JAHRBUCH DER
DEUTSCHEN
SHAKESPEARE-
GESELLSCHAFT
Iii
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U4-02.. Z>
HARVARD COLLEGE
LIBRARY
PROM THE BEQUEST OF
THOMAS WREN WARD
Treasurer of Harvard College
183 0-1842
0
JAHRBUCH
DER
DEUTSCHEN SHAKESPEARE - GESELLSCHAFT
■■\ — ^ - — » -
IM AUFTRAGE DES VORSTANDES
HERAUSGEGEBEN
DUKCH
KARL ELZE.
ELFTER JAHRGANG.
0
WEIMAR.
IN KOMMISSION HEI A. HUSCHKE.
1876.
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harvabd coiiyiE uĂĽaAsr
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Inhaltsverzeichniss.
Seite
Shakespeare und Schröder. Einleitender Vortrag zur Jahresversamm-
lung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Von Gisbert Freih.
Vinck e t , . t , t , t : * • ♦ t • • • • • • ♦ • • L
Bericht ĂĽber die Jahresversammlung zu Weimar am 23. April 1875 . . 30
Shakespeare^ Coriolanns in seinem Verhältniss zum Coriolanns des
Pin Wh. Vnn N. Pftlin« : - . . 22
Ueber und zu Mucedorus. Von Wilhelm Wagner 59
Emendationen und Bemerkungen zu Marlowe. Von Wilhelm Wagner 70
Ueber Shakespeare'« Clowns. Von J. Thümmel 78 -
Shakespeare und Giordano Bruno. Von Wilhelm König 97
Die En t wickelnng der Sage von Romeo und Julia. Von Dr. Karl Paul
Schulze 140
Eine Quelle zu Shakespeare's Sommernachtstraum. Von Fritz Kraus« 226
Polymythie in dramatischen Dichtungen Shakespeare'«. Von C. C. Hense 245
Noten und Conjecturen zu Shakespeare. Von K. Elze 274
Statistischer Ucberblick ĂĽber die Shakespeare- AuffĂĽhrungen deutscher
BĂĽhnen vom 1. Jnli 1874 bis 30. Jnni 1875 301
Literarische ITeber.sicht 307
Miscellen 319
Katalog der Bibliothek der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft .... 323
Mitglieder-Verzeichniss 358
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Druck der L. Reiter'schen Buchdruckerei (Otto DornblĂĽth)
in Beruburg ( Anhalt).
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Shakespeare und Schröder.
Einleitender Vortrag znr Jahres-Versammlnng der
Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.
Von
Gisbert FVeih. Vinclco.
Das Gedeihen des Theaters verlangt Dreierlei : tĂĽchtige
StĂĽcke, tĂĽchtige Darsteller, tĂĽchtige Leitung; und Tage des
Glanzes erschienen immer dann, wenn ein Mann in allen drei
Richtungen sich hervorthat. Das beweisen die Namen: Shake-
speare, Moliere, Garrick, Schröder und Iffland; sie vertreten
während zweihundert Jahren eine seltene Blüthe des Theaters
in England, Frankreich, Deutschland. Drei von ihnen sind zu-
gleich durch ein engeres Band verbunden; Garrick und Schröder,
die Zeitgenossen, verdanken ihren Ruf und Ruhm nicht zum
kleinsten Theil dem Beistande Shakespeare's : wenn ihn Garrick
für die heimische Bühne wiedergewann, musste ihn Schröder für
die fremde BĂĽhne erst gewinnen. Er ging an's Werk, nachdem
volle anderthalb Jahrhunderte seit dem Tode des britischen
Dichters verstrichen waren; und so drängt sich die Frage auf:
warum wurde nicht frĂĽher schon das deutsche BĂĽrgerrecht fĂĽr
Shakespeare erworben? — Diese Frage beantwortet die dornen-
volle Lehrzeit, welche dem Werden und Wachsen des deutschen
Schauspiels beschieden war, eh' es neben andern Völkern in die
erste Reihe trat oder gar ihnen voranstand.
Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts hat Shakespeare
in England den Zenith seines Ruhmes erreicht; in Frankreich
wird Pierre Corneille geboren, der sich bald zum grössten tragi-
Jahrbuch XI. 1
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sehen Dichter unter den Franzosen aufschwingt; in Spanien glänzt
der vielbewunderte, unerschöpfliche Lope de Vega, welcher seine
klingenden Verse schneller aufs Papier warf, als der Abschreiber
ihm folgen konnte. Alle drei Länder bieten den Poeten zugleich
Darsteller, welche deren Gestalten meisterhaft zu beleben wissen,
und hier wie dort leuchtet die Sonne der FĂĽrstengunst ĂĽber der
Schauspielkunst. — Was kann Deutschland Dem gegenüber auf-
weisen? Als höchste Bühnenwerke die ungefügen Spiele des
Hans Sachs; noch fĂĽr eine lange Zukunft vermag es keinen
Namen zu nennen, der jenen fremden Sternen gleichstände an
Grösse und Glanz; — seine Darsteller, aus der Zunft oder Schule,
genĂĽgen den dĂĽrftigen Aufgaben, welche ihnen zugetheilt sind,
wachsen können sie nicht an ihnen; — und deutsche Fürsten-
gunst soll sich erst später der Opernpracht zuwenden.
Das siebzehnte Jahrhundert gehört bei uns den nomadischen
Wandertruppen, unter Führung des 'Komödianten-Meisters'. Stücke
und Darstellung bewegen sich im Extrem — des Tragischen wie
des Komischen: dort wird das Blut ĂĽberreichlich vergossen, hier
fehlt nie der schablonenhafte Hanswurst, aber ihm fehlt nur zu
oft die Lebensader, der Witz.
Um diese Zeit erscheinen auf deutschem Boden die frĂĽhesten
Spuren Shakespeare's — nicht seines Namens, sondern seiner Werke;
allein die Spuren sind schwach, fast im Sande verweht. Zuerst
begegnet uns zeitgemäss das blutigste aller Shakespearestücke,
der Titas Andronkus, unter dem lockenden Titel: 'Eine sehr
klägliche Tragedia von Tito Andronico und der hoffertigen Kay-
serin, darinnen denkwürdige actiones zu befinden' — gedruckt
1620, schon vorher oft aufgefĂĽhrt. Zu dem Titel stimmt die
Bearbeitung: in acht Akten wird der Inhalt gekĂĽrzt und ver-
stĂĽmmelt, dafĂĽr sind alle Greuelscenen mit behaglicher Breite
ausgemalt. — Um die Mitte des Jahrhunderts folgt dann 'Romio
und Julieta' — nur der entlaubte Stamm von Shakespeare's
Trauerspiel, denn sein reicher Blätter- und Blüthenschmuck ist
abgestreift bis auf kärgliche Reste; zum Ersätze bietet Pickel-
hering, 'Capolet's Diener', eine Musterkarte seiner Spässe, die an
Rohheit ihres Gleichen suchen. — Etwa um dieselbe Zeit finden
wir die Tragödie: 'Der bestrafte Brudermord f oder Prinz Hamlet
ans Dännemwk. 1 Sie steht auf keiner höheren Stufe als 'Romio
und Julieta' : im Prologe zeigt sich die Nacht, mit den drei Furien,
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der Hanswurst erscheint als Hofnarr Phantasmo, in den die wahn-
sinnige Ophelia sich verliebt, und Hamlet ist stets so rĂĽcksichts-
voll, von dem Geist seines Herrn Vaters zu sprechen. — Endlich
wird 1658 auch ein Shakespearesches Lustspiel dargestellt: l Die
wunderbare Heurath Petruvio mit der bösen Catharinen 1 ; wir kennen
davon bloss den Titel, weil kein Manuscript erhalten blieb ; aber
aus dem Jahre 1672 liegt gedruckt vor: 'Kunst ĂĽber alle KĂĽnste,
Ein bös Weib gut zu machen' — vielleicht nur eine Umgestaltung
des vorhergehenden. Die Handlung ist aus Italien nach Deutsch-
land verlegt, und das derbere englische Original gestattete dem
Bearbeiter treueren Anschluss. — Bei all diesen Stücken wird
Shakespeare nicht genannt; ihr Flickwerk entsprach dem Ge-
schmack der Zuschauer; sie gingen spurlos vorĂĽber.
Die Wandertruppen erreichen ihren Höhepunkt in der 'be-
rĂĽhmten Bande' des Magisters Johann Velthen, bei der auch die
Frauenrollen des Schauspiels zuerst durch Frauen dargestellt
werden. Velthen wagt die Einführung der Stegreifkomödie; sie
zerstört den Ernst der Vorbereitung: die Bahn ist offen für
schrankenlose WillkĂĽr, und das rasche Ausarten der Kunst endet
allzubald mit völliger Verwilderung. Im ersten Drittel des acht-
zehnten Jahrhunderts steht es schlimmer um die deutsche Schau-
spielkunst, als hundert Jahre frĂĽher: die Spielweise hat den Ernst
zum ungeheuerlichen Zerrbild hinaufgetrieben, sie hat den Scherz
zur plattesten Gemeinheit herabgedrĂĽckt.
Unterdess ist der Name 'Shakespeare' allgemach in litera-
rische Kreise gedrungen, freilich nicht ein Simson, der die Phi-
lister schlägt, und diessmal nur sein Name — olme seine Werke,
Als Christian Gottlieb Jöcher, Professor der Geschichte, auch
Universitätsbibliothekar zu Leipzig, das Gelehrten-Lexikon, wel-
ches der chursächsische Historiograph Menke begonnen hatte,
im Jahre 1733 neu herausgab, wiederholte er zwar mit gemĂĽth-
licher Anerkennung die Notiz: 'Shakespeare, Wilhelm, ein eng-
lischer Dramaticus, ward schlecht auferzogen und verstund kein
Latein, jedoch brachte er es in der Poesie sehr hoch. Er hatte
ein schertzhafftes GemĂĽthe, kunnte aber doch auch sehr ernst-
haft seyn, und excellirte in Tragödien'; allein der Kollege Johann
Christoph Gottsched, Professor der Dichtkunst, zugleich unfehl-
barer Reformator des Geschmacks, behauptete daneben hartnäckig
seinen höheren Standpunkt: er betrachtete Shakespeare lediglich
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als den rohen unwissenden Verderber der Poesie, welcher darin
nur gräuliche Verwirrung angerichtet.
Ein neuer Geist musste zuvor die Dichtkunst wie die Schau-
spielkunst beleben, ehe Shakespeare mit Ehren in Deutschland
auftreten konnte; und dieser neue Geist sollte bald seine Schwingen
regen. Der Komödiantenstand hatte es dahin gebracht, dass
sich die bürgerliche Gesellschaft seiner schämte: weiter abwärts
könnt' es nicht mehr gehen — so musst' es denn naturgemäss
wieder aufwärts gelin! Und zu rechter Zeit erscheinen jetzt ein-
zelne Persönlichkeiten, welche während eines halben Jahrhun-
derts durch Talent und Charakter schöpferisch für die Zukunft
wirken. Ihre Bilder springen scharfumrissen aus dem Rahmen
der Geschichte.
Zuerst Friederike Caroline Weissenborn, verehelichte Neuber,
geboren 1602. Eine schlanke, edle Gestalt, ein schöner Kopf
mit reichem blondem Haare, mit geistvollen ZĂĽgen; dazu die
nicht gewöhnliche Bildung der Advokatentochter. Auf den Bret-
tern glänzt ihr kecker Humor, auch im Stegreifspiel, und am
liebsten in Männerrollen; aber als Prinzipalin hält sie strenge
Zucht, mit dem Wahlspruch: 'Ordnung und Sitte'. Sie ersetzt
den leichtfertigen Stegreifdialog durch die abgemessene Sprache
des Dichters — das führt vor der Hand in's entgegengesetzte
Extrem, zu den französischen Klassikern und ihren Nachahmern;
aber die lockere Willkür muss doch das Feld räumen vor dem
steifen Regelzwang: ein fester Boden ist wiedergewonnen fĂĽr die
Schauspielkunst. In Gemeinschaft mit Gottsched — wird von ihr
der Hanswurst verbannt, welcher trotzdem noch lange sein Wesen
trieb; in Feindschaft mit Gottsched — bringt sie auf ihrem
'Schauplatz' zur ersten AuffĂĽhrung den 'Jungen Gelehrten', das
erste Lustspiel des Studiosus Gotthold Ephraim Lessing. Die
Neuberin stirbt hochbetagt, ganz verarmt; als Komödiantin darf
die fromme Frau nur im Stillen beerdigt werden.
Sodann Konrad Ernst Ackermann, geboren 1710; ein statt-
licher Mann mit gewinnendem Wesen, selbstlos und treuherzig, stark
und gewandt, Meister im Tanzen, Reiten, Fechten, Schlittschuh-
laufen. Als Wundarzt des russischen Feldmarschalls MĂĽnnich hat
er auf dem Schlachtfeld seinen Muth erprobt, um dann erst die
BĂĽhne zu betreten. Sein massvolles Spiel zeigt in komischen
Rollen die vollendete Wahrheit der Natur; diese begrĂĽndet zu
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haben, bleibt sein unvergänglicher Ruhm. Als Wachtmeister Paul
Werner entscheidet er die gĂĽnstige Aufnahme der Minna von
Barnhelm in Hamburg. Aber die alte behagliche Wanderlust
sitzt ihm im Blute — das stört den Haushalt des Prinzipals: so
stirbt er verschuldet, ein Sechziger.
Und nun Konrad 3Mof, geboren 1720, klein, hochschultrig,
eckig gebaut, mit starken ZĂĽgen, gebĂĽcktem Gang, ohne alle
Anmuth. Der Sohn eines hamburgischen Stadtsoldaten, in engen
Verhältnissen aufgewachsen, anfangs Schreiber, betritt er die
Bühne, kaum Zwanzig alt. Die französischen Vorbilder der Lehr-
zeit werden abgestreift unter Ackermann's Einfluss, er erreicht
im Tragischen das Höchste durchdachter, lebensvoller Darstellung.
Dem Zauber seines Auges, seiner Stimme widersteht Keiner: da
hebt sich die Gestalt, aus der Haltung, aus dem Gange spricht
königlicher Adel. Und doch war Eckhof im Grunde eine nüch-
terne Natur, ein guter Hausvater, sparsam, ordnungsliebend,
pflichttreu, als' Regisseur genau bis zur Peinlichkeit, nicht frei
von Eigenwillen und Rollensucht, aber begabt mit feinem Urtheil,
tief durchdrungen von der Würde seiner Kunst. Zu den schön-
sten Leistungen des Meisters zählte der alte Odoard o Galotti;
auf dem Weimarschen Liebhabertheater spielte er im 'Westindier'
mit dem regierenden Herzog, dem Prinzen Constantin und Goethe.
Er starb zu Gotha als Leiter des Hoftheaters, noch nicht sechzig-
jährig, in bescheidenen Verhältnissen. Missgünstige nannten ihn
den 'Schulmeister', Parteilose nennen ihn den 'Vater der deut-
schen Schauspielkunst.'
Das waren die drei Vorläufer: Caroline Neuber grundlegend
und bahnbrechend, Ackermann im Komischen, Eckhof im Tra-
gischen mustergĂĽltig durch naturtreue Wahrheit. Ihnen folgt als
Vierter, abschliessend und vollendend:
Friedrich Ludwig Schröder, geboren 1744, achtundzwanzig
Jahre jĂĽnger als Garrick. Er war Ackennann's Stiefsohn, das
echte Komödiantenkind. Die Bretter betrat er im zweiten Lebens-
jahre zu Petersburg, im dritten sprach er dort zum ersten Male
auf der BĂĽhne als Darsteller der 'Unschuld' in einem Vorspiel;
seine Rolle bestand nur aus den Worten: '0 nein, ich Sprech'
Dich frei!' sie hatte gleichwohl glänzenden Erfolg. Kaiserin
Elisabeth war freundlich mit dem Kinde, das sie in ihre Loge
bringen Hess, und seine Mutter, die Verfasserin des Vorspiels,
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wurde reich beschenkt. Für den Siebenjährigen findet sich schon
eine Wochengage von 2 Rubeln ausgeworfen, während seine Eltern
zusammen 12 Rubel bezogen. Aus den Händen der Jesuiten zu
Warschau, die sich des talentvollen Knaben bemächtigt hatten,
befreit ihn nur die umsichtige Dreistigkeit des Schauspielers
Krohn, welchem der Jesuitenpater in aller Ruhe erklärt: 'Hätte
er die Probe noch ausgehalten, dann war er fĂĽr Euch verloren,
und seine Seele war gerettet!' — In Königsberg lässt man den
Elfjährigen, der bereits sechsundzwanzig verschiedene Rollen ge-
spielt hat, auf der Schule zurĂĽck; aber die Geldsendungen bleiben
aus, ein Winkelschuster nimmt ihn auf, mit diesem hungert er,
trinkt Branntwein und macht Kinderschuhe. Da erscheint der
berühmte Drahttänzer Mr. Stuart mit seiner schönen hochgebil-
deten Frau zur Rettung aus leiblicher und geistiger Verwilderung.
Endlich rufen ihn die Eltern zurück. Der Vierzehnjährige fährt
zur See nach LĂĽbeck und strandet dabei auf Christians-Oe; er
reist dann weiter als feiner Herr ĂĽber Cassel nach Strassburg;
doch hier versiegen seine Mittel; elsässische Bauern richten ihn
übel zu, als er zwar auf den König von Frankreich trinken,
aber nicht auf den König von Preussen schimpfen will. Die vier-
wöchentliche Irrfahrt endet in Solothurn, wo Ackermann mit
seiner Gesellschaft gerade verweilt. Jetzt geht's wieder auf die
Bretter: in dem Verstrauerspiel 'die Befreiung von Solothurn'
spielt er, noch nicht fĂĽnfzehn Jahre alt, den Geheimschreiber so
gelungen, dass ihm die Rathsherren der Stadt eine goldene Schau-
mĂĽnze verehren. Die allzukĂĽhle Anerkennung der Eltern erzeugt
ein starkes Selbstgefühl, welches sich äussert in Ueberschätzung
der eignen, in herber Kritik der fremden Leistungen. Ackermann
nicht minder als Eckhof mĂĽssen das bald unliebsam empfinden,
weil Schröder's Scharfblick rasch die wunde Stelle trifft; erklärt
doch der fertige Meister, dass er seine Ansicht ĂĽber Fehler und
Vorzüge der Darsteller seit seinem zehnten Jahre nicht geändert
habe, weil er sie auch später bewährt gefunden. Ackermann,
der gutmĂĽthige, leichtlebige, begeht den Missgriff, seinen Stief-
sohn ohne Gage, beim dĂĽrftigsten Taschengeld, unter eiserner
Zuchtruthe halten zu wollen: das veranlasst die schärfsten häus-
lichen Conflicte. Schröder sucht sich Nebenverdienst durch
Taschenspieler- und Balancir- KĂĽnste, auf dem Billard, auf der
Kegelbalm; als ihn die Noth treibt, macht er eine gewaltsame
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Anleihe bei den Ersparnissen seiner Mutter. Dazwischen fallen
ernstere Studien in der Musik, im Tanzen, Ringen, Fechten, und
die Fechterkünste werden demnächst praktisch verwerthet mit-
telst einiger Duelle. Im achtzehnten Lebensjahre componirt er
sein erstes Ballet: 'Die Aepfeldiebe' ; nun folgt eine "Wochengage
von 2 Thalern. Aber erst mit zwanzig Jahren wird er sein
eigner Herr und bezieht 8 Thaler wöchentlich als — Grotesk-
tänzer, Sänger, Schauspieler, Ballet- und Theater-Meister. Sieben
Jahre später lieferte er die erste Bühnenbearbeitung: 'Der Arg-
listige', nach Congreve, und blieb, als Ackermann starb, der
Ober-Regisseur seiner Mutter. In Celle, wo Königin Caroline
Mathilde von Dänemark tiefgebeugt verweilte, hatte der Hof-
marschall den Befehl, Ihre Majestät zu erheitern. Er wandte
sich desshalb an Schröder, und dieser erfüllte den Zweck über
jede Erwartung hinaus durch das Arrangement eines tollen
Stegreifspieles, ausgefĂĽhrt von ihm selbst, Charlotte Ackermann,
Brockmann und dem Ehepaar Reinecke. Der Titel lautete: 'Glaub
nicht Alles, was Du siehst', angeblich nach dem Spanischen des
Calderon della Barca. Kunstverständigste Kenner erklärten die
Vorstellung fĂĽr durchweg vollendet, ohne deren Improvisation
zu ahnen; fremde Gelehrte fragten und forschten nach dem un-
bekannten Meisterwerke Calderon's. Im 29sten Lebensjahre ver-
heirathete sich Schröder mit der achtzehnjährigen Anna Christina
Hart, einem Komödiantenkinde, gleich ihm. Sie war ausge-
zeichnet auf der BĂĽhne wie im Hause durch bescheidene Wahr-
heit, welche Alles erreichte, ohne die Absicht, sich geltend zu
machen: so wurde die kinderlose Ehe eine ĂĽberaus glĂĽckliche.
Erst fünf Jahre später tanzte er zum letzten Male im Ballet,
nachdem er inzwischen den Uebergang von komischen Bedienten
und Chevaliers zu tragischen Rollen vermittelt hatte. Nächste
Veranlassung dazu gab ein Schauspieler-Gerede: 'Wäre Der im
Ernsthaften eben so gut als im Lustigen, dann möchte ihm der
Teufel nachspielen!' — Schröder bedurfte keiner langen Vor-
bereitung, er kannte seine Kräfte genau und zeigte den Zweif-
lern, dass sein Können dem Wollen gleichstand: die natürliche
Begabung war gereift durch Scharfblick in reichster Lebens-
erfahrung. Nicht umsonst hatte er von frĂĽhester Jugend Acker-
mann und Eckhof vor Augen gehabt: was sie schöpferisch wagten,
das erhob er zum Kunstgesetz. So galt ihm als Höchstes —
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Wahrheit! Wenn KĂĽnstelei und Unnatur beklatscht wurden, sagte
der Meister: 'Ich begreife endlich, dass das gefällt, aber ich
begreife nicht, wie ich gefallen konnte.' — Mit gleich feiner
Characteristik war er in Minna von Barnhelm nacheinander : der
Wirth — Just — Paul Werner; in Götz von Berlichingen neben
einander: der Bruder Martin — Lerse — Aeltester des Vehm-
gerichts. Ein Engländer, der kein Wort Deutsch verstand,
meinte gelegentlich während der Vorstellung: 'Was der lange
Mann will, das weiss ich sehr gut; die Uebrigen geben mir
Räthsel auf.' Welche Anforderungen er dem Schauspieler stellte,
diess zeigt die sechste stumme Scene im HI. Akt seines Lust-
spiels: 'Der Fähndrich'; sie lautet so:
'Baron Harrwitz (allein, geht unmuthig auf und ab , wird
zerstreut und verliert auf einmal die Erinnerung an den
Fähndrich. Unter der Bemühung, die verlorene Idee
wiederzufinden, fällt er von einer auf die andere, bis er
das Billet an den Fähndrich findet, sich seines Verdrusses
erinnert und wĂĽthend auf- und abgeht). NB. Ich schreibe
dem Schauspieler keine Ideenfolge vor; er muss sie selbst
finden, wenn sie wahr sein soll. Nur hĂĽte er sich, Spass
machen zu wollen, und suche so ungezwungen von einer
Sache zur andern ĂĽberzugehen, dass der Zuschauer sehen
kann, wie er auf jede Idee kommt.'
Und bei aller massvollen Zurückhaltung blieb Schröder erklärter
Liebling der Gallerie; da lachten und weinten sie ĂĽber ihn, da
hiess er nur: 'Unser Schröder!' — Aber dem bescheidenen Manne
fehlte noch die Probe, ob seine schlichte Kunst auch ausserhalb
Hamburg's Stand halte? Ein Gastspiel in Berlin, Wien, MĂĽnchen,
Mannheim gab ihm diese Gewissheit. Er wurde mit seiner Frau
fĂĽr das Burgtheater gewonnen, Maria Theresia und ihr Sohn
Joseph II. ehrten ihn hoch. Dennoch mochte es seiner nordischen
abgeschlossenen Natur schwer werden, mit der sĂĽdlichen Leicht-
lebigkeit sich abzufinden, und dem Meister, der sie verdunkelte,
traten die Mitwirkenden hindernd und hemmend entgegen. Schon
nach vierjährigem Verweilen wurde Wien abermals mit Hamburg
vertauscht, Kaiser Joseph sagte ihm beim Abschied: 'Wenn Sie
Hamburg satt werden, dann wenden Sie sich an Niemand als an
mich.' — Dreizehn Jahre lang hat er die Hamburger Bühne ge-
leitet auf eigne Gefahr — oft mit schweren Opfern, stets in
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wĂĽrdigster Weise; Gelderwerb war niemals erster Zweck. Rasch
und fest von Entschluss gegenĂĽber den Schauspielern wie den
Zuhörern, verband er mit seltenem Organisationstalent die eigne
Erfahrung als Tänzer, Sänger, Stegreifspieler, Komiker, Tragiker,
als Komponist, Autor, Regisseur, Ballet- und Theater -Meister.
Keine deutsche BĂĽhne ĂĽbertraf damals die Hamburger. Im 51sten
Lebensjahre lernte er die letzte neue Rolle, etwa die sieben-
hundertste; fast 50 Jahre umfasste seine gesammte Bühnenthätig-
keit; 1 ) er komponirte 63 Ballette, bearbeitete mehr denn andert-
halbhundert StĂĽcke fĂĽr die BĂĽhne und lieferte ihr drei Original-
schauspiele: 'Der Fähndrich', 'Der Vetter in Lissabon', ,Das
Porträt der Mutter', auch hier seine Erfahrung bewährend, welche
den Darstellern Raum gab, ihre Kunst zu entfalten. Heute wäre
keins dieser StĂĽcke ohne tiefgreifende Aenderungen zu verwen-
den, weil sie mit praktischem Blick nach Verhältnissen und An-
schauungen der damaligen Zeit, nach dem BedĂĽrfniss ihres Pu-
blikums gearbeitet sind. Schröder starb im Holsteinischen Dorfe
Rellingen, wo er ein kleines Eigenthum besass, 72 Jahre alt,
bei voller geistiger Kraft. Bestattet ward er auf dem Petri-
Kirchhof in Hamburg: ein unabsehbares Gefolge gab dem grossen
Todten die letzte Ehre. Seine Zeitgenossen entwarfen von ihm
dieses Bild: die Gestalt hoch und schlank; der Kopf edel, mit
feinstem Profil; das Auge blau, nicht gross, aber höchst bedeu-
tend, der Blick scharf; die Gesichtsfarbe rein und frisch; das
Haar blond; Hände und Füsse von schönem Ebenmass; die
Stimme wohllautend hell, für tiefere Töne künstlich geschult;
dazu gefälliger Anstand. Er war ein Ehrenmann durch und
durch, der treueste Freund, der liebenswĂĽrdigste Wirth, gross-
müthig ohne Misstrauen, aber unversöhnlich gegen Falschheit
und eigensinnig in Dem, was er fĂĽr recht hielt; allzufeines Ehr-
gefĂĽhl, leicht erregte Reizbarkeit konnten ihn der Uebereilung
fähig machen. Im vertrauten Kreise, beim Becher, flössen ihm
Knittelverse leicht vom Munde. Neben dem Lateinischen ver-
stand er Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch so weit,
um sich stets zurechtzufinden. Er war stolz auf die Kunst, weil
die Kunst stolz auf ihn sein durfte; doch liebte er nicht, gelobt zu
werden — am wenigsten zum Nachtheil Anderer; unbegründeter
Tadel liess ihn kalt. Es gibt kein Fach, das er nicht gespielt und
beherrscht hätte, von der ausgelassensten bis zur ernstesten Rolle,
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darunter sogar die alte Mutter Anne im ländlichen Gemälde
'Röschen und Colas', 2 ) eine ehrliche, fast kindische Bauerfrau,
aus der er mit sauberer Feinheit ein niederländisches Kabinets-
stĂĽck schuf; nur das vornehmleichte Wesen hat man ihm ab-
sprechen wollen — dem entgegen steht die eingehendste Kritik
sachverständiger Zeitgenossen. 3 ) Selbst undankbare Rollen über-
nahm der Meister, wo es das Interesse des Ganzen galt. Auf
der BĂĽhne nie Pedant, schickte er sich leicht in Ungewohntes.
Kein Darsteller hat ihm völlig genügt — auch er sich selbst
nicht; und nur einen vollkommenen Souffleur fand er — der aber
ruhte nicht, bis er durchfiel als Schauspieler. — Sein künstleri-
sches Glaubensbekenntniss enthalten die Worte: 'Der Schauspieler
kann nie mehr leisten, als der Dichter bezweckt; er ist sehr
gross, wenn er Alles erfĂĽllt, wozu ihm der Dichter Veranlassung
gab. Es kommt mir nicht darauf an, zu schimmern und hervor-
zustechen, sondern auszufĂĽllen und zu sein. Ich will jeder Rolle
geben, was ihr gehört, nicht mehr, nicht weniger: dadurch
muss jede werden, was keine andere sein kann.' — Man hat ihn
'den grossen Vertrauten der Natur' genannt; das Wort ist richtig,
nur nicht erschöpfend: er war bis auf unsere Gegenwart in
Deutschland der grösste Schauspieler.
Und dem grossen Vertrauten der Natur blieb es vorbehalten,
die deutsche Bühne für Shakespeare zu erobern, Träume früher
Jugendbegeisterung als Mann zu verwirklichen. Seine erste Be-
kanntschaft mit dem britischen Dichter fällt in die Königsberger
Zeit, wo Mr. Stuart, ein ebenso gewandter RedekĂĽnstler als
Drahttänzer, ganze Scenen aus Hamlet, Lear, Othello dem vier-
zehnjährigen Schröder vortrug. Vier Jahre später erschien Wie-
land's Uebersetzung; sie brachte nur 22 Stücke, sämmtlich in
Prosa (mit Ausnahme des 'Sommernachtstraumes , 1 der in gebun-
dener Rede voraufging), und was sie brachte, war nicht ĂĽberall
vollständig, nicht überall richtig, das knappe Dichterwort trug
oft ein schlotterndkahles Kleid, der Clown wurde noch als 'Pickel-
häring' oder 'Hanswurst' eingeführt. Aber Schröder erkannte
den Kern: die Uebersetzung diente ihm als Hausbuch. Er stiftete
in Hamburg den Verein der Theaterfreunde: Shakespeare und
Sophokles kamen da zur Vorlesung, während ihn Pläne der Dar-
stellung ihrer Meisterwerke beschäftigten. Gottsched's Bannstrahl
gegen Shakespeare war längst ohnmächtig; für diesen erhoben
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sich Deutschlands beste Männer: vor Wieland schon Johann Elias
Schlegel, Lessing, Moses Mendelssohn, mit ihm und nach ihm
Herder, Bürger, Goethe. — In Wien brachte der Schauspieler
Stephanie der jĂĽngere bereits 1772 einen wunderlichen Macbeth
auf die BĂĽhne, welcher erst mit dem fĂĽnften Akte des Originals
begann und doch seine richtigen fünf Akte zählte. Vom Geiste
Shakespeare's ist wenig zu spüren, dafür erscheint öfter der
polternde Geist König Duncan's; Macbeth wird von der wahn-
sinnigen Lady Macbeth erstochen, und ĂĽber ihr stĂĽrzt schliess-
lich das brennende Schloss zusammen. Anders, fast umgekehrt,
behandelte der Wiener Schriftsteller Franz Heufeld im folgenden
Jahre den Hamlet: hier werden vier Akte verwendet fĂĽr die erste
Hälfte des Shakespeareschen Trauerspiels, und dessen zweite
Hälfte ist in den fünften Akt zusammengedrängt, wobei dann
Opheliens Wahnsinn, die Reise nach England, die Kirchhofscene,
das Fechtspiel, Fortinbras, selbst Laertes ganz ausfallen, wäh-
rend Hamlet ungefährdet den Thron besteigt. Wieland's Ueber-
setzung dient als Grundlage.
Schröder wurde des Bedenkens nicht Herr: ob überhaupt,
und in welcher Gestalt seinen Hamburgern Shakespeare vorzu-
stellen wäre? Alle Zweifel entschied der Zufall. Im Jahre 1776
sah er zu Prag den Heufeldschen Hamlet aufführen: die mächtige
Wirkung bestimmte ihn sofort, das Gleiche zu wagen, und dem
Entschluss folgte rasche That. Am 24. August wurde die Arbeit
begonnen, am 20. September erschien der Dänenprinz zu Ham-
burg auf den Brettern. Also binnen vier Wochen: Fertigstellen
des Textes, Ausschreiben aller Rollen, Leseprobe, Einstudiren
von Seiten der Schauspieler, sämmtliche Theaterproben, endlich
die Darstellung. Der ursprĂĽngliche Text zeigt die Spuren dieser
Eile, wohl auch des Zagens. Er stützt sich in der ersten Hälfte
ganz auf Heufeld, dann aber ist dessen Akteintheilung verbessert,
Opheliens Wahnsinnsscenen sind aus Wieland eingefĂĽgt. Stets
erkennt man die Absicht, Handlung und Scenerie möglichst zu
vereinfachen. Beibehalten werden die Heufeldschen dänisirten
Namen: Oldenholm, Gustav, Bentfeld, Ellrich; Frenzow — für:
Polonius, Horatio, Bernardo, Marcellus, Francisco. Ein zweiter
Text gibt dann sechs Akte, zu bequemerer scenischer Eintheilung,
bedingt durch Herstellung des Laertes (der freilich unter die
Dänen-Namen nicht passen will) und der Todtengräberscene; die
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Reise nach England wird wenigstens vorbereitet, nur kommt sie
nicht zur Ausführung; aber Opheliens Begräbniss, das Fechtspiel,
Fortinbras — sind ein für allemal beseitigt, Hamlet und Laertes
mĂĽssen ohne Gnade am Leben bleiben. Inzwischen war Eschen-
burg's Uebersetzung erschienen, welche Wieland's Arbeit verbes-
sernd und vervollständigend, den ganzen Shakespeare brachte —
immer noch in Prosa, nur Richard III. ist mit Geschick metrisch
behandelt. Sie wurde fĂĽr den dritten Hamlet-Text benutzt. Hier
ist die Todtengräberscene wieder entfernt: ihre Komik zwischen
dem übrigen tieftragischen Inhalt schien anstössig, auch fehlte
ihr die eigentliche Begründung durch Opheliens Begräbniss, und
fĂĽnf Akte werden nun hergestellt. Durch alle drei Texte laufen
zwei schwer begreifliche Aenderungen: das reuige Gebet des Kö-
nigs: '0, meine That ist faul', und Hamlet's Rede: 'Jetzt könnt'
ich's thun', kommen vor der Schauspielscene, durch welche bei
Shakespeare des Königs Gewissensangst erst ihren Anstoss erhält.
Sodann bekennt die sterbende Königin unter Donnerrollen ihre
Mitwissenschaft um den Tod des ersten Gatten. Im Uebrigen
verdient die Mühe des steten Nachbesserns desto grössere An-
erkennung, nachdem eine mächtige Wirkung schon bei der ersten
AuffĂĽhrung erzielt war. Brockmann, bald als Hamlet berĂĽhmt,
hatte merkwĂĽrdigerweise den Character leichtblĂĽtig aufgefasst;
die Scenen: 'Schwört auf mein Schwert' und: 'Geh' in ein Kloster'
wurden von ihm mit Laune gegeben. Das Ueberraschendneue
des Ganzen liess fĂĽrerst keinen Tadel laut werden: man begriff
nicht gleich, wie es anders sein könne? Dagegen war Dorothea
Ackermann, Schröder's Stiefschwester, als Ophelia vollendet; würdig
ihr zur Seite stand das Ehepaar Reinecke als Herrscherpaar;
Schröder's königlichschwebender Geisterschritt, der klagenddumpfe
Klang seiner Stimme weckte das Grausen der Zuschauer. Neben
dem Geist spielte er zeitweis den Todtengräber mit hinreissendem .
Humor. Den Hamlet ĂĽbernahm er erst nach Brockmann's Abgang
und gab dem Character sein volles tragisches Recht zurĂĽck; aber
er trat auch dreimal als Laertes auf, damit zwei seiner Schau-
spieler sich in der Hamlet-Rolle versuchen könnten, und dem Pu-
blikum war die Entscheidung anheimgestellt, wem von den Dreien
der Dänenprinz verbleiben solle? Die Entscheidung fiel für Schrö-
der. — Während der ersten drei Monate wurde das Stück in
Hamburg zwölfmal wiederholt; man sprach dort nur von Hamlet
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— 13 —
und Brockmann, ihn brachten die Schaubuden in Kupferstich, aul
Schaumünzen, in getriebenem Bildwerk. Der vielbeschäftigte Dr.
Reimarus, berühmt als Arzt, Kosmopolit und Original, hörte bei
Krankenbesuchen von nichts Anderem reden, er wollte das Wunder
selber sehen und fuhr zu der Vorstellung, trotz aller Gegenreden
seines Kutschers, dem diese Laune des Herrn doch allzu seltsam
däuehte. Als der Vorhang fiel, sagte Reimarus den Freunden, die
voll Spannung sein Urtheil erwarteten: 'Das ist recht gut, das
darf Euch gefallen. Aber was sprecht Ihr immer allein von Brock-
mann? Auf den Geist seht! den Geist bewundert! Der kann
mehr als die Andern zusammen!' — Schon im folgenden Jahre
spielte Brockmann den Hamlet zwölfmal in Berlin und brachte die
Schrödersche Bearbeitung dann nach Wien, wo er beim Burgtheater
eintrat. Das StĂĽck machte unaufhaltsam seinen Weg durch Deutsch-
land: von der Hofbühne bis zum elendesten Thespiskarren herab —
ĂĽberall ward es aufgefĂĽhrt, und der Eindruck war kein geringerer
bei den Kunstverständigen als bei der rohen Menge. Man hatte
sogar Tarokkarten mit Figuren aus Hamlet. Goethe's 'Wilhelm
Meister' erschien — er gab der allgemeinen Stimmung Ausdruck
und gab ihr neue Nahrung. Im Jahre 1790 schreibt Reichard's
Theaterkalender: 'Man komme nach Wien zu jeder Jahreszeit,
man trifft gewiss sechs bis acht Hamlet-Spieler mĂĽssig am Markt.'
Und schon vor hundert Jahren unternahm eine Frau das Kunst-
stück, den Dänenprinzen zu spielen — die schöne Felicitas Abt.
Aber es scheint, dass der verhängnissvolle Name Felicitas sich
damals für solche Spielerei gleich wenig bewährte, als in unserer
Gegenwart. Unumstösslich ist die Thatsache: Schröder's Hamlet-
Bearbeitung — wie viel wir auch heute an ihr vermissen mögen —
sie gewann doch mit einem Schlage fĂĽr Shakespeare das deutsche
BĂĽrgerrecht. Auf dem festen Grunde galt es nun fortzubauen.
Und schon nach zwei Monaten (am 26. und 27. November)
brachte die Hamburger BĂĽhne den Othello 'mit neuen Kleidungen
und neuen Theaterverzierungen', wie die AnkĂĽndigung lautete.
Schröder folgte hier keinem Vorgänger; wenn er das Verständniss
und den Muth hatte, die tragische Entwicklung ungeschwächt
beizubehalten, so ist der RĂĽckschluss gestattet, dass Hamlet als
König über Dänemark für Shakespeare nur den Weg ebnen sollte.
Aber diessmal hatte der erfahrene BĂĽhnenkenner sich doch geirrt:
sein Schritt vorwärts war zu kühn gewesen. Welche Wandlung
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des Gefühls, des Geschmacks bei den Zuhörern! Noch vor hun-
dert Jahren wurden auf offener Scene Enthauptungen mit täu-
schender Wahrheit ausgefĂĽhrt; die Geister der Enthaupteten
erschienen, ihren abgeschlagenen Kopf in der Hand tragend —
daran fand Niemand Bedenken; und das Trauerspiel Polyeuctus,
welches der Leipziger Dichter Cormart nach Corneille ĂĽberaus frei
bearbeitet hatte, gab sogar folgende BĂĽhnenweisung:
'Zwei persianische Christen werden an Pfählen oder Creutzen
in einem angelegten Feuer aufgehängt; einer von den dabei
stehenden Soldaten gehet hin und stösset dem einen Ge-
kreutzigten die Partisan ins Hertze, dieser quälet sich ein
wenig und stirbt. Hierbei werden unterschiedliche Christen
noch umbs Leben gebracht, als einer gesteiniget, der andre
gespiesset und ins Feuer geworfen.'
Gegen solche Bühnenvorgänge Hesse sich der Ausgang des Othello
fast harmlos nennen; allein die Zuschauer waren inmittelst ange-
kränkelt von der matten Sentimentalität französischer Tragödien,
und so erschien denn dem gedrängt vollen Hause die Katastrophe —
Desdemona's Erwürgung — 'zu schauderhaft', sie wurde überdiess
von Otlfello-Brockmann besonders stark aufgetragen. Die Ham-
burger Theatergeschichte meldet zur Othello -AuffĂĽhrung: 'Ohn-
mächten über Ohnmächten erfolgten während der Grausscenen
dieser ersten Vorstellung des ĂĽbertragischen Trauerspiels. Die
LogenthĂĽren klappten auf und zu, man ging davon oder ward
nothfalls davongetragen.' Der Hamburger Senat hatte nunmehr
das Einsehen, vor der zweiten Wiederholung zu beschliessen, dass
dem StĂĽcke ein glĂĽckliches Ende untergeschoben werden solle, 4 )
und dagegen gab es keinen Widerspruch. Die AuffĂĽhrung wird
gerĂĽhmt. Brockmann gefiel zwar in der Titelrolle weniger als
frĂĽher, aber meisterhaft war wieder Dorothea Ackermann als Des-
demona, ebenso der Jago Schröder's. Solche Bösewichte, denen
das Böse Selbstzweck ist, spielte er ungern; Hess sich's nicht ver-
meiden, dann lag ihm daran, jeden kleinen Zug hervorzuheben,
in welchem noch eine Spur von Menschlichkeit durchblickt. MĂĽsse
doch sonst der Zuschauer allen handelnden Personen den gesunden
Verstand absprechen, wenn ein Schurke sie täusche, der das Siegel
der Verworfenheit stets an der Stirn trage. Wie mag aber dem
Jago-Schröder zu Muthe gewesen sein, als Othello und Desdemona
auf Senatsbeschluss in liebevoller Gemüthlichkeit sich versöhnten!
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War es diese trĂĽbe Erfahrung, welche seinem Eifer fĂĽr den
britischen Dichter einen Hemmschuh anlegte? Fast scheint es so,
denn erst nach zwölf Monaten (24. November 1777) wird das dritte
ShakespearestĂĽck aufgefĂĽhrt, und zwar diessmal eine minder be-
denkliche Komödie: Der Kaufmann von Venedig, 'mit neuer De-
koration eines perspectivischen Kolonadenganges.' Dorothea Acker-
mann war Porzia, Frau Schröder — Nerissa, Schröder — Shylock.
Die Theatergeschichte bemerkt von ihm: 4 Eine treffliche Nach-
ahmung jĂĽdischer Sitte und Benehmens, mit dem feinsten Beob-
achtungsgeiste der Natur abgelauscht. Sprachton, Händeschlagung
und Geberdung im Handel und Wandel hatte er sich eigen zu
machen und zu veredeln gewusst' Schröder' s Biograph fugt hinzu:
'Der Jude stand da, den Shakespeare sah. Mir ist kein Schau-
spieler vorgekommen, der sich ihm genähert hätte, als der Eng-
länder MackUn, und doch hab' ich Kemble gern gehabt.'
Schon nach drei Wochen folgte wiederum eine Komödie:
Mass fĂĽr Mass (15., 16. und 18. December). Hier ist die Ex-
position geändert: der Herzog erscheint gleich als Mönch, er zog
bereits seit vier Wochen in der Residenz unerkannt umher, er-
mittelte Angelo's früheres Verlöbniss mit Mariana und erklärt jetzt
erst seinem mönchischen Begleiter den Zweck seiner Verkleidung.
Das Lied zu Anfang des IV. Aktes ist mit ĂĽberaus schwachen
Versen vertauscht. Die sonstigen Abweichungen beschränken sich
im Wesentlichen auf Scenen-Umstellung und Zusammenlegung: von
den vier ersten Akten hat jeder nur eine Verwandlung, der reich-
gruppirte Schlussakt bleibt fast unverändert. Schröder gab den
Herzog, Dorothea Ackermann die Isabella, Frau Schröder die
Mariana. So fand das Stück eine günstige Aufnahme und öftere
Wiederholung.
Das Jahr 1778 brachte drei Shakespeare -Dramen, zunächst
(am 17. Juli) den König Lear, mit Musik von Stegmann. Schröder
ändert, neben praktikabler Zusammenlegung einzelner Scenen,
nicht bloss den Anfang, sondern auch das Ende. Die ganze erste
Scene, mit der Theilung des Reiches und Kordelia's Verstossung,
ist in gedrängte Erzählung umgewandelt; Kent berichtet diese
Vorgänge dem Grafen Gloster. Hier entschied die Besorgniss,
dass des Zuschauers Theilnahme für Lear beeinträchtigt werde,
wenn er den thörichten Zorn des Königs als Augenzeuge miterlebt
habe; zugleich sollte der scharfe Abfall zwischen väterlicher Frei-
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gebigkeit und töchterlicher Hartherzigkeit eine Ausgleichung fin-
den, wenn Beides nicht fast unmittelbar sich folgte. Der Schluss
wählt einen Mittelweg, vielleicht noch im Gedanken an Othello's
Schicksal: Lear stirbt, als er die ohnmächtige Kordelia für todt
hält, aber diese bleibt am Leben.
Dorothea Ackermann hatte wenige Wochen vor der AuffĂĽh-
rung die BĂĽhne verlassen, im 26sten Lebensjahre, um sich mit
dem Professor Unzer zu verherathen. Eine grosse KĂĽnstlerin,
im Besitze aller innern und äussern Mittel — sobald sie auf der
BĂĽhne stand, allein stets blieb es ihr peinlich, die Bretter zu
betreten. Schröder beurtheilte Keinen strenger als die eigenen
Angehörigen: auf sein Lob durften sie stolz sein; — er stellte
Dorothea ĂĽber ihre Schwester Charlotte, und diese, welche im
18ten Lebensjahre starb, hatte unter anderthalbhundert Rollen
auch die Adelheid von Walldorf so glänzend gespielt, dass der
Bruder die Leistung für das Vollkommenste erklärte, was er je
auf irgend einer BĂĽhne gesehen. Dorotheens Shakespeare-Rollen:
Ophelia, Porzia, Isabelle, übernahm nun Frau Schröder, und sie
stand nicht zurück hinter ihrer grossen Vorgängerin. Als Ophelia
sang sie die Balladenstrophen der Wahnsinnsscene nach selbst-
erfundener Melodie in dumpfem, verstimmtem Tone; dazu das
todtenblasse Antlitz, die starren Blicke, der zum Lächeln verzogene
Mund, indess alle ĂĽbrigen Theile des Gesichtes von Wahnsinn
gespannt sind — ein Gesammtbild fürchterlichster Wahrheit.
Frau Schröder war auch jetzt Kordelia, während Schröders
Lear aller Orten Begeisterung erweckte. Iffland wurde gefragt:
ob er wirklich in dieser Rolle so gross gewesen sei? und erwiderte:
4 Ja, ja! Das lässt sich gar nicht beschreiben; sehen, fühlen musste
man es. Sein Blick entschied; wohin er den wandte, da erblindete
man. Die Nebenspieler wagten oft kaum zu sprechen. , Als Schröder
den Lear zum Beginn seines ersten Wiener Gastspiels wählte,
verdross diess die Freunde Brockmann's, welcher die Rolle bis
dahin erfolgreich gegeben hatte: ihre Stimme regte die Menge
auf, immer lauter hetzte man gegen den anmassenden Fremden;
es hiess, er habe das Urtheil der Wiener für nichtssagend erklärt.
Der missgĂĽnstige Schauspieler Stephanie der jĂĽngere schĂĽrte im
Stillen, während er offen die wärmste Freundschaft für den Gast
zeigte. Schröder wurde von dem Fürsten Kaunitz gewarnt. 'Ich
weiss,' sagte dieser, 'welche Gewährsmänner Ihnen zur Seite stehen,
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ich weiss auch, dass ich denen beitreten werde; aber wer kann
gegen das Vorurtheil aufkommen? Und hier werden Sie mit Ihren
eigenen Waffen bekämpft: Brockmann ist Dir Schüler.' — 'Durch-
laucht,' erwiderte Schröder verbindlich, 'etwas darf sich der Mei-
ster immer noch vorbehalten.' — So kam die Vorstellung heran.
Kaiser Joseph erschien, dadurch ward Anstand und Sitte gewahrt —
aber Stille sollte bleiben, das war die Losung der zahlreichen
Gegner. Bei dem Fluch ĂĽber Goneril applaudirte der Kaiser mit
seiner Begleitung, die Mehrheit murrte; im II. Akt, wo Lear den
beiden Töchtern gegenübersteht, gelang es nochmals, die steigende
Theilnahme zu unterdrĂĽcken; aber der Sturm auf der Haide ent-
fesselte auch den lange verhaltenen Beifallssturm, der dann Scene
fĂĽr Scene donnernd losbrach, Freund und Feind mit sich fort-
reissend. Dem einstimmigen Hervorruf durfte Schröder nicht folgen, '
weil ein kaiserlicher Befehl diesen Missbrauch abgestellt hatte.
FĂĽrst Kaunitz sagte ihm andern Tages: 'Wer denkt an Alles? Sie
hätten statt der Bühne meine Loge betreten können, um sich von
dort noch einmal dem Publikum zu zeigen. Das ist nicht im Gesetz
verboten.' — Ganz Wien feierte den gewaltigen Schauspieler. Maria
Theresia, die Kaiserin -Königin, empfing ihn in Gegenwart ihres
Hofstaates mit den Worten: 'Meine Gesundheit verbot mir, das
Theater zu besuchen; aber das lass' ich mir nicht nehmen, den
Mann kennen zu lernen, von dem meine Kinder und meine guten
Wiener nicht genug zu erzählen wissen, und ihm Dank zu sagen.'
Kaiser Joseph sprach ihn eine Stunde lang. — Die Darstellerin
der Goneril war so tief erschĂĽttert, dass sie sich entschieden wei-
gerte, den Fluch Schröder- Lear's noch einmal über sich ergehen
zu lassen. Bei einer spätem Aufführung in Hamburg machte
Schröder vor diesem Fluch eine lange Pause, als ob er sich erst
sammeln mĂĽsse, um die Worte zu finden. Das Publikum war hin-
gerissen, die Freunde rĂĽhmten diese neue tiefe Wahrheit seines
Spiels. Lächelnd erwiderte er: 'Wenn der Schauspieler durch das
Ganze seiner Eolle wirkt, ist der Zuschauer leicht geneigt, ihm
auch jede Einzelheit als Verdienst auszulegen. Diessmal war nur
Geistesgegenwart die Ursache der Pause. Ich sah die Kulisse von
einer Kerze entzĂĽndet, und der Theatermeister stand ruhig darunter,
er bemerkte nichts. In der Pause rief ich ihm zu: 'Esel, siehst
Du denn nicht die umgefallene Kerze?' — Auf dem Burgtheater
ist der Schrödersche mildere Schluss des Trauerspiels seitdem bei-
Jahrbuch XI. • 2
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behalten worden, und Heinrich Laube, der alte BĂĽhnenkenner, tritt
fĂĽr denselben ein, weil das Opfern der ehrlichen, liebenswĂĽrdigen
Cordelia bei der Darstellung stets als Misston wirke.
Vier Monate nach dem Lear (am 17. und 20. November) wurde
König Richard II. aufgeführt. Schröder war Richard: er hatte
eine alte Vorliebe fĂĽr das StĂĽck und die Rolle; seine Frau gab
die Königin, welcher verschiedene Reden der Constanze im König
Johann zugelegt waren, so beispielsweise die Worte aus Akt ETI,
Scene 1, welche bei Schlegel lauten:
'Ich will mein Leiden lehren stolz zu sein;
Denn Gram ist stolz, er beugt den Eigner tief.
Um mich und meines grossen Grames Staat
Lasst Kön'ge sich versammeln; denn so gross
Ist er, dass nur die weite, feste Erde
Ihn stĂĽtzen kann; dm Tliron will ich besteigen,
Ich und mein Leid; hier lasst sich Kön'ge neigen.'
Damals waren solche Entlehnungen ein beliebtes Mittel, um die
Wirkung zu steigern, von dem auch Dalberg in Mannheim Gebrauch
machte. Der an sich schon bedenkliche Kunstgriff wurde aber
noch bedenklicher, wenn das beraubte StĂĽck ebenfalls an die Reihe
kam und dem EigenthĂĽmer die Zwangsanleihe zu erstatten blieb.
— Dem Spiel des Schrüderschen Ehepaars spendete das Publikum
wiederum vollen Beifall, allein die Tragödie wollte nicht gefallen.
Schon vierzehn Tage später (2. December) folgte König Hein-
rich IV., beide Theile zusammengezogen. Theil I bildet die vier
ersten Akte, vielfach gekĂĽrzt und umgestellt, daneben mit Verwen-
dung einzelner Scenen aus Theil II; die Krankheit des Königs
wird schon hier hervorgehoben; der fĂĽnfte Akt ist dann ganz aus
Theil II zusammengefĂĽgt, Am Schluss wendet sich der Lord Ober-
richter zu Falstaff und seinen Gesellen mit den Worten:
'Der grossmüthige junge König hat befohlen, Euch mit
Allem, was Ihr braucht, zu versehen. Sieben Meilen ver-
bannt er Euch aber so lange, bis man bessere Sitten an
Euch sieht.'
Falstaff und die Uebrigen blicken sich lange an, endlich sagt Fal-
staff: 'Gute Nacht, Bauch!' und der Vorhang fällt. — Schröder
war der biedere wohlbeleibte Ritter Hans ; eine raschgezogene rothe
Schneckenlinie auf jeder Backe genĂĽgte, das Vollmondsgesicht zu
schaffen, seiner Rede wusste er 'eine lallende, den Sekttrinker
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verrathende Feinstimmigkeit' zu geben. Die Freunde Shakespeare's
begrĂĽssten ihn mit Jubel, von der Zuschauermenge wurde das
Schauspiel kalt aufgenommen. Nach dem Schlüsse trat Schröder
heraus, um die nächste Vorstellung anzukündigen, und sagte: 'In
der Hoffnung, dass dieses Meisterwerk Shakespeare's, welches
Sitten schildert, die von den unsrigen abweichen, immer besser
wird verstanden werden, wird es morgen wiederholt.' Nun folgte
wirklich eine dreimalige Wiederholung, und das StĂĽck blieb auf
dem Repertoire, aber die Masse konnte ihm keinen Geschmack
abgewinnen. Nur in Berlin durfte Schröder beim Gastspiel den
Falstaff an vier auf einander folgenden Abenden geben. In Wien
dagegen wurde das Stück — trotz seinem Falstaff — nach einer
AuffĂĽhrung beseitigt.
Wir wissen nicht, ob der doppelte Misserfolg — mit Richard II.
und Heinrich IV. — die Veranlassung war, dass Schröder den
Shakespeare eine Weile ruhen Hess. Es bleibt dabei auch zu
erwägen, dass er ein neues Shakespeare-Drama niemals im ersten
oder im letzten Quartal des Theaterjahrs auf die BĂĽhne brachte,
ohne Zweifel geleitet vom Interesse sicheren, nachhaltigen Zu-
sammenspiels. Immerhin mochte es der Ueberlegung Werth scheinen:
welches StĂĽck jetzt folgen solle? Die entschiedenste weitgreifende
Wirkung hatten bis dahin zwei von den fünf grossen Tragödien
erzielt: Hamlet und Lear, beide in der Schlusskatastrophe gemil-
dert; die dritte, Othello, war an dem grellen Ausgang gescheitert.
Das gleiche Bedenken fĂĽr ein Publikum jener Tage zeigt Romeo
und Julie. Der Schluss Hess sich poetisch nicht ändern, höchstens
wieder polizeilich; und für Schröder fehlte darin die eigentlich
tragische Rolle, er hätte wohl nur den Mercutio oder den Bruder
Lorenzo übernehmen können. Endlich befand sich der Stoff unter
dem nämlichen Titel schon zweimal auf dem Repertoire: zuerst als
Trauerspiel von Christian Felix Weisse, eine selbständige Arbeit
mit Shakespcareschen Anklängen, aber nur 8 handelnden Personen,
dann als Singspiel von Georg Benda. So blieb noch die fĂĽnfte
grosse Tragödie, der Macbeth, welcher, sentimentalen Bedenken
gegenĂĽber, den Vortheil bietet, dass keine Hauptperson auf offner
Scene stirbt, und dass der Untergang des Herrscherpaars auch ein
zartes GemĂĽth schwerlich verletzen kann.
Vielleicht waren solche GrĂĽnde mitbestimmend, dass nunmehr
Macbeth auf der Hamburger BĂĽhne erschien, sieben Monate nach
2*
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- 20 —
Heinrich IV. (21. Juni 1779). Die Hexenscenen, von Eschenburg
so geschickt ĂĽbertragen, dass Schiller in seiner Bearbeitung sie
ohne Weiteres beibehielt, wurden gleichwohl aus BĂĽrger's Ueber-
setzung genommen, wo dieselben, nach BĂĽrger's Art, stark-niedriger,
vielleicht hexenmässiger gefärbt sind, und dem Brauch der eng-
lischen Bühne entsprechend wurden sie gesungen: eine gefällige
fliessende Komposition hatte Stegmann geliefert. Neue, gelungene
Dekorationen erhöhten die glänzende Ausstattung. Schröder war
Macbeth, er Hess auch hier die menschlichen Seiten des Oharacters
zur vollen Geltung kommen, ohne dessen Kraft zu schädigen, und
das war dem Ganzen nur förderlich. Engländer stellten ihn dem
berühmten John Kemble nicht nach, der als Macbeth seine grössten
Triumphe feierte. Uns erscheint das natĂĽrlich, denn, nach Ludwig
Tieck's Urthei], stand bei Kemble die Deklamation immer im Vorder-
grunde. Schröder's Frau gab die ganze Lad}' Macbeth — als
Gattin, Hausfrau, Königin, wachend und schlafwandelnd, während
ihre grosse Nebenbuhlerin in England, Kemble' s Schwester: Mrs.
Siddons, nicht stets vergessen liess, dass man ein Schauspiel sah.
So hatte Schröder in kaum 3 Jahren (20. September 1776 bis
21. Juni 1779) 8 Shakespeare-Dramen auf die BĂĽhne gebracht:
Tragödien, Komödien, Historien, aber keines der Römerdramen.
Sein LieblingsstĂĽck, Julius Osar, wurde nur desshalb nicht vor-
genommen, weil ihm eine vollkommene Besetzung unmöglich schien.
Gegen den Timon erklärte er sich mit den Worten: 'Ich bin fest
ĂĽberzeugt, dass der Character des Timon in Hamburg kein GlĂĽck
machen wĂĽrde, und die Bearbeitung hat viele Schwierigkeiten.'
Nach dem Macbeth liess der Bearbeiter eine dreizehnjährige
Shakespeare -Pause folgen. Den leichtsinnig bewegten Tagen der
Jugend waren die sorgenvoll bewegten Tage des Mannes gcgenĂĽber-
getreten. Das Hamburger Theater wird von Schröder's Mutter
verpachtet, er macht seine Gastspielfahrt, bleibt vier Jahre am
Burgtheater und gibt hier auch den Cymbelin in einer Bearbeitung
unter dem Titel: 'Imogen', welche seinem Biographen Meyer zu-
geschrieben wird. Dann sammelt er selbst eine Gesellschaft fĂĽr
Hamburg und beginnt dort seine Bühnenleitung 1786. Im nächsten
Jahre lautet ein Brief: 'Meine Lage ist glĂĽcklich. Ich habe das
beste Theater in Deutschland, bin gesund, man schätzt und liebt
mich, ich besuche die ersten Gesellschaften. Auch kann ich Gutes
thun und thue es redlich.' Fünfzehn Monate später heisst es:
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'Mein Werk ist zu gross für Hamburg. Hätt' ich keine Frau, ich
Hesse den ganzen Teufel auffliegen, so sehr hab' ich es satt.' In
dieser Weise wechseln Fluth und Ebbe — aussen und innen. Bald
erschwert Naclilass des Gedächtuisses dem 48jährigen Manne das
Lernen neuer Rollen. Eine Reise wird unternommen, sie fĂĽhrt ihn
auch nach Weimar, er verkehrt hier mit den Koryphäen der deut-
schen Literatur, die Herzogin Anna Amalia zieht ihn in ihren Kreis.
Dann stirbt seine hochbetagte Mutter, die Wittwe Ackermann's,
seit 25 Jahren auf der Bühne nicht mehr thätig. Sie war die
Freundin Wieland's und PfefFeFs; in tragischen wie in komischen
Rollen bedeutend, Verfasserin vieler Gelegeuheitsspiele und Theater-
reden; sie verbesserte die StĂĽcke, studirte alle Rollen ein, verstand
jede Handarbeit, ihr Fleiss gränzte an's Unglaubliche. Welch eine
Künstlerfamilie! Ackermann und seine Frau, die Töchter Dorothea
und Charlotte, der Sohn Schröder und dessen Frau — alle auf den
höchsten Stufen ihrer Kunst. Der Kreis steht einzig da, er hat
niemals seines Gleichen gesehen! —
Im Jahre 1792 (26. October) erschien auf der Hamburger
Bühne Schröders letzte Shakespeare-Bearbeitung: Viel Lärmen um
Nichts, Schauspiel in 5 AufzĂĽgen. Die Handlung war diessmal,
um lebendigere Wirkung zu erzielen, in die Gegenwart verlegt,
wie Schröder das liebte; und sein Personen- Verzeichuiss wird sich
folgendennassen stellen: 6 )
General von Heerenberg (Don Pedro, Prinz von Arragonien).
Hauptmann Baron von Breitenau (Benedict).
Baron Diemen (Claudio).
Baron Grottau (Don Juan).
Graf Hedwig (Leonato, Statthalter von Messina).
Gabriele, seine Tochter (Hero).
Albertine, seine Nichte (Beatrice).
Spach, Kammerdiener des Barons Grottau (Borach io).
Der Dorfschulz (Holzapfel).
Kohl, Dorfwächter (Schleewein).
Die Zuneigung, welche Breitenau -Benedict und Albertine -Beatrice
fĂĽr einander empfinden, wiewohl sie sich mit Spott und Witz rastlos
bekämpfen, wird gleich zu Anfang bestimmt hervorgehoben. Bei
der Intrigue, welche jedem Theil die Gewissheit geben soll, dass
der andere ihn liebt, geht aber Albertine nicht in die Schlinge;
und von der Kritik wurde diese Aenderung als besonders wirkungsvoll
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hervorgehoben, weil das Fräulein dadurch ein ungemeines Ueber-
gewicht über den leichtgläubigen Breitenau erhalte, während das
Komische ihres Characters und der Situation nur verstärkt werde.
Breiter ausgeführt ist das Gespräch, in welchem Grottau-Don Juan
bei Diemen-Claudio die Eifersucht stufenweise zu wecken versteht.
Zuerst Lob der geliebten Gabriele, aber von sarkastischem Lächeln
begleitet; dann flĂĽchtige Anspielungen auf das reizbare Tempera-
ment der Dame; hiernächst allgemeine Bemerkungen über die
Unzuverlässigkeit der Weiber, mit entfernter Anwendung auf die
Person; ein bedeutendes Schweigen zur rechten Zeit — und endlich
die sichtbare Ueberzeugung für den Betrogenen. Schröder war mit
glĂĽcklichster Laune Breitenau -Benedict (auch Garrick's Lieblings-
rolle); von Frau Schröder als Albertine-Beatrice wird berichtet: es
scheine, dass sie sich zu der Rolle eine eigene Physiognomie an-
geschafft habe, und mit Leib und Seele sei sie so völlig im Geiste
der Aufgabe gewesen, als ob sie das Stück geschrieben hätte. Uebri-
gens urtheilte die Kritik: Diemen- Claudio's und Gabriele -Hero's
ernsthafte Liebesgeschichte, zwar vortrefflich ausgefĂĽhrt und mit der
Handlung verwebt, zeige sich doch fĂĽr das Ganze nicht vortheilhaft;
der Zuschauer werde durch Albertine und Breitenau vorwiegend
beschäftigt, sej^e Empfänglichkeit für den ernsten Theil des Stückes
aber werde zudem beeinträchtigt durch die glänzenden komischen
Scenen mit dem Schulzen und seiner Wache, denn immer sei der
Uebergang schwierig von grossem Gelächter zu grosser Rührung.
Die Vorstellung fand jubelnden Beifall, sie wurde gleich in den
nächsten Wochen fünfmal wiederholt.
Schröder hat mithin überhaupt 10 Dramen Shakespeares in
9 Stücken bearbeitet: 4 Tragödien — Hamlet, Othello, Lear, Mac-
beth; 3 Komödien — Der Kaufmann von Venedig, Mass für Mass,
Viel Lärmen um Nichts; 3 Historien — Richard IL, Heinrich IV.,
Ister und 2ter Theil, beide zusammengezogen. Von diesen Arbeiten
waren nur 4 gedruckt zu ermitteln: Hamlet, Lear, Mass fĂĽr Mass,
Heinrich IV.; 6 ) es ist wahrscheinlich, dass die ĂĽbrigen Manuscript
blieben, sie scheinen verloren. Er ĂĽbersetzte nicht eigentlich selbst:
Wieland oder Eschenburg wurden zu Grunde gelegt, aber er war
des Englischen mächtig genug, um sie bühnengerecht zu verbessern.
Die Sprache erhält durch ihn den dramatischen Ausdruck, so dass
sie dem Schauspieler leicht vom Munde geht, dem Zuschauer leicht
in's Ohr fällt. Den Monolog Hamlet's 'Sein oder Nichtsein' gibt
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Wieland in breitester Nüchternheit, Eschenburg nähert sich dem
knappen Schwung des Originals, Schröder erstrebt daneben die
Klarheit des Vortrags durch folgende Fassung:
'Sein oder Nichtsein, das ist also die Frage. Ist edler die
Seele dessen, der Wurf und Pfeil des angreifenden Schick-
sals duldet? oder dessen, der sich wider alle die Heere
des Elends rüstet, und widerstrebend es endigt? — Sterben
— Schlafen; weiter nichts, und mit diesem Schlaf den
Gram unserer Seele, die unzählbaren Leiden der Natur
endigen, die hier unser Erbtheil sind, — ist eine Vollen-
dung, die wir mit Andacht wünschen sollten. — Sterben,
schlafen. — Schlafen? Vielleicht auch träumen. Da, da
liegt's! Denn was uns in diesem Todesschlafe für Träume
kommen möchten, wenn wir nur dem Geräusch hier ent-
ronnen sind, das verdient Erwägung. Diess ist die Rück-
sicht, warum wir uns den Leiden des Lebens unterwerfen.
Denn wer ertrĂĽge seine Geissein, seine Schmach, die Bos-
heit des UnterdrĂĽckers, die Verachtung des Stolzen, die
(Qualen verworfner Liebe, die zögernde Gerechtigkeit, den
Uebermuth der Grossen, die Verhöhnung des leidenden Ver-
dienstes von UnwĂĽrdigen; wenn er sich mit einem kleinen
Messerchen in Freiheit setzen könnte; wer würde unter
der Last eines so unheilvollen Lebens schwitzen und jam-
mern? Aber die Ahndung von etwas nach dem Tode ver-
wirrt die Seele, und bringt uns dahin, dass wir lieber
die Uebel leiden, die wir kennen, als zu andern fliehen,
die wir nicht kennen. So macht uns das Gewissen zu
Memmen; so entnervt ein blosser Gedanke die Stärke des
natĂĽrlichen Abscheus vor Schmerz und Elend, und die
grossesten Unternehmungen, die wichtigsten EntwĂĽrfe, wer-
den durch diese einzige Betrachtung in ihrem Laufe ge-
hemmt, und von der Ausführung zurückgeschreckt.' —
Fortgelassen ist hier, bei der Schlussredaction, die Stelle:
'Das unentdeckte Land, von dess Bezirk
'Kein Wandrer wiederkehrt.'
offenbar w r egen des öfter hervorgehobenen Bedenkens: wie Hamlet
diess aussprechen könne, nachdem er erst kurz vorher mit dem
Geiste seines Vaters geredet? —
Aber die gedruckten Bearbeitungen Schröders sind weder,
. *r
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was sie bei den ersten Vorstellungen waren, noch was sie bei den
letzten wurden: fast jede Wiederholung gab dem Dichter mehr
zurĂĽck. Die praktische Absicht der Aenderungen tritt beinah
immer klar hervor; wo wir dieselben nicht billigen können, da
werden wir doch erwägen, dass seiner tiefen Verehrung Shake-
speares die Kenntniss der veränderten Büline, des veränderten
Geschmacks gegenĂĽberstand.
Schröder zog diesen Geschmack zu Rathe, ohne sein Sklave
zu werden, vielmehr lag ihm an dessen Veredelung: das beweist,
neben der EinbĂĽrgerung Shakespeares , auch die Behandlung der
KostĂĽmfrage, welche bis dahin kaum angeregt war. Es genĂĽgte
den Schauspielern wie den Zuschauem, wenn nur Herrscher und
Diener, Vornehme und Geringe sich unterscheiden Hessen. Garrick
spielte die Shakespeare-Gestalten grauer Zeit noch lange im Ge-
sellschaftsanzug seiner Tage, dem Habit habille: dasselbe war fĂĽr
Hamlet schwarz; für König Lear mit Pelz verbrämt, dazu ein
Ueberwurf mit reicher Hermelineinfassung; fĂĽr Macbeth hatten Rock
und Weste breiten Tressenbesatz, der Haarbeutel fehlte nicht, und
neben ihm stand seine Lady, die Dolche darbietend — in unge-
heurem aufgebauschtem Reifrock. Garrick's Zeitgenosse, der Schau-
spieler Macklin war es, welcher hier die alte schottische Tracht
zuerst einführte. Auch Eckhof spielte den König Canut (von
Schlegel) im französischen Staatskleid, mit Knotenperrücke, Stern
und Band, nebst goldbesetztem Federhut, den KrĂĽckstock ĂĽber die
rechte Hand gehängt; und Fleck trug als Othello noch rothe
Generals-Uniform, dazu einen dreieckigen Hut mit weissen Federn.
Schröder gehörte zu den Ersten in Deutschland, welche Werth
legten auf ein geschichtlich bestimmtes KostĂĽm, weil ihm die Tracht
seiner Zeit, wo nicht gegenwärtige Zustände sie erforderten, für
die Bühne nachtheilig erschien; allein Geschmack stand ihm höher
dabei als peinliche Treue: seine Kleidung war stets angemessen,
nie ĂĽberladen. FĂĽr den Lear erachtete er weder eine fabelhafte
altbritanische, noch die spanische Tracht geeignet und wählte dess-
halb als Ueberwurf ĂĽber dem Wamms einen echten chinesischen
Schlafrock von schwarzer Grundfarbe, auf dieser grosse, in einander
verwickelte Drachen. Aehnlich half er sich beim Macbeth. Und
noch lange nach seinem Tode bewahrte die Hamburger Garderobe
diese KostĂĽmstĂĽcke als historische DenkwĂĽrdigkeiten. *)
Bis zum SchlĂĽsse des vorigen Jahrhunderts wurden in Deutsch-
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— 25 —
land, ausser den Schröder'schen Bearbeitungen, ferner folgende
Dramen Shakespeare's aufgeführt: Julius Caesar, Coriolan, Timon —
Die Irrungen, Der Sturm, Die bezähmte Widerspänstige, Die lustigen
Weiber von Windsor — König Johann, König Richard III.; ein-
zelne davon allerdings verballhornt bis zur Unkenntlichkeit. So
hatten denn in den 25 Jahren seit der ersten Schröder'schen Hamlet-
Aufführung bereits mehr als die Hälfte aller Shakespearestücke
ihren Weg auf die deutsche BĂĽhne gefunden.
Es war nicht Zufall, es war Nothwendigkeit, dass Garrick
und Schröder, die grössten Schauspieler, für Shakespeare, den
grössten dramatischen Dichter, in die Schranken traten; aber der
Zufall brachte die drei Namen durch drei Jahrhunderte in eigne
Zahlenverbindung: — 1616 starb Shakespeare — 1716 ward Gar-
rick geboren — 1816 starb Schröder.
Anmerkungen.
•) Nachdem Schröder 13 Jahre lang auf eigner Scholle gewirthschaftet
hatte, tibernahm der Siebenundsechzigjährige noch einmal die Leitung der
Hamburger Bühne am 1. April 1811 — um schon nach Jahresfrist wieder
zurückzutreten. Diese letzte öffentliche Thätigkeit wurde ihm verleidet theils
durch Ungunst der Zeitverhältnisse (von den französischen Machthabern und
ihrer Censur begegnete ihm ruhe WillkĂĽr), theils durch Ungunst des Publi-
kums, welche nicht ohne Grund war (Schröder verschmähte es, dem Zeit-
geschmack zu huldigen, er glaubte ihn reformiren zu können mittelst einer
starken Anzahl von ihm selbst bearbeiteter StĂĽcke, allein sie brachten nur
leere Häuser). So ergab der Jahresschlnss einen Schaden von etwa 60,000 Mark
/fĂĽr den Unternehmer. (Vergl. DenkwĂĽrdigkeiten des Schauspielers, Schauspiel
dichters und Schauspieldirectors Fr. Lud. Schmidt. Zusammengestellt und
herausgegeben von Hermann Uhde. II, S. 1—42.)
2 ) Singspiel in 1 Aufzug, das Original französisch von H. Sedaine, über-
setzt von H. Faber. FĂĽr die Hamburger BĂĽhne hatte Eschenburg einige Arien
geändert.
*) Eduard Devrient sagt von Schröder:») 'Die komischen und bürgerlichen
Charactere blieben seine vorzüglichsten, die Würde seiner ernsteren und höheren
«) Geschichte der deutschen Schauspielkunst m, 191.
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26
Gestalten war eine mehr innerliche, denn Vornehmheit und tceltmännischer Schliß
war seine schwächste Seite. Die Rolle des Grafen KlingsbergV z. B., die er mit
Vorliebe, durch zwei StĂĽcke hindurch, fĂĽr sich zugerichtet hatte, die er sogar
wählte, um vom Theater abzutreten, gehörte keineswegs zu seinen gelungensten.
Devrient urtheilt nicht als Augenzeuge: er wurde 1801 geboren, während Schrö-
der 1798 (30. März) zum letzten Male die Bühne betreten hatte. Insofern er-
scheint gewichtiger eine Mittheilung des 'alten Schmidt 1 c > ans dem Munde des
siebzigjährigen, aber überaus geistesfrisch gebliebenen Bürgermeisters Heise»
der Schröders Jugendfreund gewesen war und ein geistvoller Mann genannt
wird. Ich habe' — erzählte dieser — 'Schröder aufwachsen sehen. Unbedingt
bestätige ich alles Lob, welches ihm in komischen Rollen, wie der Geizige
u. a. m. von jeher gespendet worden ist. Nur hat er sich den vornehmen
Anstand nie aneignen können. 1 'Das Nämliche bestätigte auch Iifland 1 — setzt
Schmidt hinzu und bemerkt weiter: 'Auffallend — fuhr der Bürgermeister
fort — sei in Rollen, welche solchen Anstand erforderten, die Verlegenheit
seiner Hände gewesen; er (Heise) habe ihm daher die Uebernahme des Mari-
nelli widerratheu, den er denn auch schnell wieder abgegeben habe. Keine
Spur von dem abgeschliffenen Höfling sei in der Darstellung gewesen, wie-
wohl Schröder die Rolle mit unendlichem Verstände gesprochen habe. 1
Nun erscheint es seltsam genug, dass Schröder, der schon in seinem 19ten
Lebensjahre mit den jungen reichen Offizieren zu Hannover auf vertrautestem
Fusse stand, d > der von Jugend auf das glänzendste Talent der Beobachtung
und Aneignung besass, gleichwohl nicht vermocht haben sollte, die Manieren
vornehmen Anstands zu gewinnen. Und in der That wird das Gegentheil be-
hauptet von zwei ebenso feinsinnigen als sachverständigen Augenzeugen ; diese
sind: der Dramaturg Joh. Fr. Schinck und der Professor F. L. W. Meyer,
Schröder's Biograph, welcher für dessen Schwächen keineswegs blind ist.
Schinck beurtheilt das Lustspiel: 'Die unglĂĽckliche Ehe durch Delikatesse 1 in
eingehendster Weise und sagt dann über Schröders) 'Graf Klingsberg, wie
ihn Herr Schröder, als Dichter und Schauspieler, gibt, steht unter den Welt-
leuten dieses StĂĽckes obenan. So gewandt, geschmeidig und abgeschliffen, so
sich jedes Menschen, der ihm aufstösst, durch Auffindung seiner schwachen
Seite sicher und unfehlbar bemächtigend; so schnell beobachtend und das Be-
obachtete anwendend; so besonnen sich aus jeder begangenen Unbesonnenheit
herauswickelnd; so leicht sich in jede Gattung der Konversation schmiegend;
so gleichmĂĽthig Spott und Neckerei hinnehmend und sie auf der Stelle er-
widernd; so kaltblütig höflich Beleidigungen ahndend; so Allen Alles, mit
einem Worte, so in jeder Situation des Lebens zu Hause, wie Klingsberg, ist
b ) In dem StĂĽcke: 'Der Ring, oder die unglĂĽckliche Ehe durch Delikatesse.
Ein Lustspiel in 4 AufzĂĽgen. 1 Eine Fortsetzung des Lustspiels: Der Ring.
Nach Farquhar's: 'Sir Harry Wildair. 1 Von Schröder. (Schröder's dramatische
Werke, herausgegeben von E. v. BĂĽlow, IV, 169.)
c) DenkwĂĽrdigkeiten von Fr. Ludw. Schmidt. Herausgegeben von Hermann
Uhde, I, 249.
<*) Fr. Ludw. Schröder. Beitrag zur Kunde des Menschen und des Künst-
lers, von F. L. W. Meyer. I, 122.
•) Dramaturgische Monate. Schwerin, 1790. IH, 762.
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— 27 —
der Menschen Keiner, die der Dichter um ihn her gruppirt hat. Er ist
immer der Mann vun Erziehung, von feiner Bildung in Sprach' und Betragen —
der Kavalier, der abgeschliffene Weltmann. — — Am hervorragendsten aber
entfaltet er sich als in der Schule der Welt gebildeten Virtuosen während
seines Abentheuers mit der Unbekannten.' Meyer bestätigt diess f > mit den
Worten: 'Schröder als sein (iraf Klingsberg, Madame Schröder als Majorin
Selting, Zuccarini als Major — können schwerlich übertroffen werden.' Noch
bestimmter wird das Urtheil, wie Schröder mit vornehmem Wesen vertraut
gewesen, von Jleyer ausgesprochen durch die Schilderung des Schröderschen
Spiels als Lord Ogleby,«) welcher grade als vornehmer Manu dem reichen
Emporkömmling gegenübergestellt ist. Es heisst hier:'») 'Schröder's Lord Ogleby
erstieg, meiner Meinung nach, die höchste Stufe seiner feinkomischen Kunst.
Ich habe ihn mit Meistern, mit dem gebĂĽhrend bewunderten King, vergleichen
können, und bin nicht davon zurückgekommen. Es ist eine der letzten Rollen,
die Ackermann sich entschloss zu lernen; er gab ihn mit meisterhafter Wahr-
heit und Laune; wer nur ihn gesehn, konnte uichts vermissen. Dennoch ist
es der einzige Character, von dem sich Schröder selbst nicht verbergen konnte,
dass er diesen ihm über Alles werthen Vorgänger übertroffeu, und der Vor-
gänger selbst würde für ihn entschieden haben. Denu Alles vereinigte sich,
um in ihm das Bild eines liebenswürdigen und lächerlichen, geistreichen, ge-
bildeten und eitlen Mannes vom Staude, vollendet hervortreten zu lassen.
Wer aus dieser Darstellung keine Menschenkenntniss zurĂĽckbrachte, dem wĂĽrde
sie keine Lehrstunde der Schule, keine Erfahrung der Wirklichkeit verliehen
haben.' — Als Bestätigung sagt Schinck:0 'Schröder's Lord Ogleby ist ein
'wahrer Triumph der Darstellung, da geht auch nicht der kleinste Zug verloren.
Glänzender kann der Schauspieler nicht mit dem Dichter um die Palme ringen.'
Ueber Schröder's Marinelli berichtet 31eyer Folgendes : k > 'Er hatte sich den
Angelo zugetheilt, alle Schauspieler und näheren Schauspielfreuude riefen ihn
zum Marineiii aus. Er gab nach und gefiel anfangs. Nur eine Tonangcberin
erlaubte sich das Urtheil: 'Marinelli ist Schröders Sache nicht!' und fand Nach-
beter. Schröder erfuhr es. Emilia tialotti war am 15. May (1772) zuerst ge-
geben, am 19. und 25. bei nicht vollem Hause, am 16. Junius bei leerem wieder-
holt. Das hielt der bescheidene Mann, zu Bodens 1 ) und anderer Kenner grossem
Aerger, für einen deutlichen Wink, übernahm Möller's Angelo und gab diesem
den Marinelli. Möller ging ungern daran, bot seine ganze Kraft auf, nutzte
Schröder's Unterricht und gefiel am 18. August dennoch nicht. Schröder's
Angelo desto mehr. Als nach beträchtlicher Zeit Berlin, Wien, München,
^ F. L. Schröder. IT a, 39.
In dem StĂĽcke: 'Die heimliche lleirath. Ein Lustspiel in 5 AufzĂĽgen.
Nach Colman's und (iarrick's: CJandcstiuc Marriagc. Von Schröder.' (Schröder's
Dram. Werke, herausg. von E. v. BĂĽlow. I, 1.)
b) F. L. Schröder. I, 2H5.
j> Dramaturgische Monate. II, 467.
fc) F. L. Schröder. I, 230. 234.
D Johann Joachim Christoph Bode, geb. 1730, der bekannte Literat und
Uebersetzer, mit Lessing befreundet, starb als Darmstädtischer Geheimer Rath
in Weimar 1793.
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— 28 —
Mannheim und das übrige Deutschland Schröder für einen tragischen Schau-
spieler erklärt und in Hamburg Glauben gefunden hatten, drang eben diese
Tonangeberin dem KĂĽnstler ihre Bewunderung auf. 'Gleichwohl', erwiderte
dieser, 'wĂĽrde ich jetzt den Marinelli um kein Haar breit anders spielen als
vor zehn Jahren. Auch der, den es Ihnen damals beliebte, so hoch ĂĽber, jetzt
so tief unter mir zu erblicken, ist noch der er war. Nicht wir haben unsere
Fertigkeit, Sie haben Ihre Ansicht verändert. 1 — — Schröder'n begünstigte
seine Gestalt, seine vollendete Declamation, die Gewalt über jede seiner Be»
wegungen, mit Bedeutung aufzutreten ohne anspruchsvoll, mit körperlicher
Ausbildung ohne geziert zu erscheinen, und Sicherheit und Gewandtheit des
Benehmens zu verbinden. Er schmĂĽckte Marinelli's Verworfenheit nicht, aber
er war weit entfernt sie zu ĂĽbertreiben. Ein doppelter geschmackvoller
und reicher Anzug vollendete die Erscheinung.' —
Was Iffland's angebliches Urtheil über Schröder betrifft, so darf nicht un-
erwogen bleiben, dass das Vcrhältniss zwischen Beiden ein eigenthümliches
war: äusserlich durchaus freundschaftlich; dabei aber hatte Iffland, dem grös-
â– ern Meister gegenĂĽber, ein GefĂĽhl, welches sich aus Scheu und Neid zusammen-
setzte ; Schröder hingegen sah bei jenem die Anfänge des Virtuosenthums, ge-
fördert durch rastloses Gastspiel, er erkannte, wie die wahre schlichte Kunst
bereits von geistvoller KĂĽnstelei untergraben wurde, und diese Erkenntniss
entlockte ihm das Wort: 1 ") 'Ich begreife endlich, dass so etwas gefällt; aber
ich begreife nicht mehr, wie ich habe gefallen können.' — So war der Beweg-
grund zur Verstimmung bei Schröder mehr ein sachlicher, allgemeiner, bei
Iffland mehr ein persönlicher, egoistischer. Wenn übrigens dieser an jenem
wirklich den vornehmen Anstand vermisst hat, so verhielt sich das umgekehrt
ganz ebenso. Schröder schreibt an Karl August Böttiger (Hamburg d. 11. Mai
1796): 'Haben Sie im Grafen Wodmar den Mann, der in Wien Minister sein
konnte, gefunden? Gewiss nicht. Wäre der Graf ein braver Schneidermeister,
Iffland würde ihn um kein Haar anders repräsentirt haben.' n ) Die Ifflandsche
Competenz zur Beurtheilung der Schröderschen Vornehmheit erscheint min-
destens nicht zweifellos.
Devrient schildert Schröder's Aeusseres also : °) 'Die nicht grade edlen Züge,
das mehr als unbedeutende Auge verriethen wenig von dem Geiste, der darin
wohnte.' — Schmidt sagt aus eigner Anschauung :p) 'Seine Kleidung glich der
eines Landmanns eine höchst edle Gestalt bewegte sich in dieser Tracht.
Schröder's Grösse war die eines vollkommenen Mannes, seine Gesichtszüge in
schönstem Verhältniss; die Augen blau, etwas klein, aber höchst bedeutend;
der Blick scharf.' — Uebereinstimmend bemerkt Meyer Sein Kopf war edel
geformt, und das Gesicht hatte einen unverkennbaren Ausdruck von Ruhe,
Scharfsinn und Wohlwollen. Ein feineres Profil ist mir selten vorgekommen.'
») F. L. Schröder, von Mover, n a, 167.
n) Fr. L. Schröder in seinen Briefen an K. A. Böttiger (1794—1816) von
Herrn. Wide. (Fr. v. Raumer's Histor. Taschenbuch. Neue Folge von HĂĽhl.
Jahrg. 1875.)
°) Gesch. d. deutschen Schauspielk. HJ, 190.
p) DenkwĂĽrdigkeiten, I, 164.
F. L. Schröder, U a, 349.
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Diese ausfĂĽhrlicheren Angaben schienen mir nothwendig, weil Eduard De-
vrient's Buch weit verbreitet ist, während die Quellenschriften nicht so allge-
mein zugänglich sind.
4 ) So berichtet Ludw. Brünier: Fr. Ludw. Schröder. Ein Künstler- u.
Lebensbild. S. 211.
5 ) Nach den Andeutungen der gleichzeitigen Theaterkritik.
6 ) lieber die Shakespeare -Bearbeitungen Schröders, welche gedruckt zu
ermitteln waren, folgenden Nachweis:
1. Hamlet — a, in ß Aufzügen — s. Schröders dramatische Werke, her-
ansg. von E. v. BĂĽlow. IV, S. 279. Auch Einzeldrucke
finden sich.
b, in 5 Aufzügen — s. Hamburgisciies Theater, 4 Bde. Ham-
burg 1776-1781, m, S. 1.
2. Mass für Mass — s. Sammlung von Schauspielen für's Haraburgische
Theater. Herausgegeben von Schröder. 4 Bde. Schwerin
und Wismar 1790—1794. I, S. 1.
3. König Lear — s. Hamburgisches Theater, wie vor (1 b ). IV. S. 1.
(Auch Einzeldrucke.)
4. Heinrich IV. Ein Schauspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen. Nach Shakespeare fĂĽr's
deutsche Theater eingerichtet, von Schröder. Aufgeführt, im
k. k. National -Hof- Theater. Wien, bei Joseph Edler von
Kurzbeck. 1782.
So berichtet August Lewald. (Ein Menschenleben, V, S. 245, 249, 255.)
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Bericht
ĂĽber die Jahresversammlung zu Weimar
am 23. April 1875.
In Abwesenheit des Herrn Präsidenten Professor Dr. Ulrici
wurde die elfte Jahresversammlung der Deutschen Shakespeare-
Gesellschaft vom Herrn Vice-Präsidenten Geheimen Commerzienrath
Oechelhäuser eröffnet und geleitet. Aus den einleitenden Mitthei-
lungen desselben ergab sich, dass sowohl die Mitgliederzahl als
auch der Absatz des Jahrbuches nicht unerheblich gestiegen, und
der Stand der Gesellschafts-Angelegenheiten ĂĽberhaupt ein befrie-
digender ist. Der darauf folgende Festvortrag des Herrn Prei-
herm Vincke über 'Shakespeare und Schröder' fand den allgemeinen
Beifall der zahlreich versammelten Zuhörerschaft. Nachdem sodann
der Rechnungs - Abschluss fĂĽr das abgelaufene Jahr in Statuten-
massiger Weise vorgelegt und erledigt worden war, schritt die
Versammlung zur Ergänzung und Constituirnng des Vorstandes.
Die Herren Professor Dr. Ulrici und Oberhofmarschall Freiherr
von Friesen, Exe, hatten nämlich andauernder Kränklichkeit halber
ihr Ausscheiden aus dem Vorstande erklärt und eine eventuelle
Wiederwahl im Voraus abgelehnt. Um den GefĂĽhlen dankbarer
Hochschätzung gegen diese beiden hochverdienten Vorstands-Mit-
glieder Ausdruck zu geben, wurde daher den Vorschlägen des Vor-
standes entsprechend der erstere zum Ehrenpräsidenten, der zweite
zum Ehrenmitgliede des Vorstandes erwählt, während die entstan-
dene Lücke durch die Wahl des Herrn Universitätsrichters Dr.
Thümmel in Halle ausgefüllt wurde. Zum zweiten Vicepräsidenten
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— 31 —
wurde Herr Generalintendant Freiherr von Loen ernannt, und den
beiden Herren Vicepräsidenten bis zur eventuellen Wahl eines neuen
Präsidenten die Geschäftsführung übertragen. Schliesslich wurde
beschlossen, dass die nächste Jahresversammlung in Weimar ab-
gehalten werden soll, und der zehnte Band des Jahrbuches wurde
den anwesenden Mitgliedern ausgehändigt.
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Sbakespeare's Coriolanus in seinem Verhältniss
zum Coriolanus des Plutarch.
Von
IV- Delius.
Das Studium der sogenannten 'Quellen des Shakespeare', lange
Zeit auf die engern Kreise der Fachgenossen beschränkt, hat all-
mählig die Aufmerksamkeit des grössern Publicums auf sich ge-
zogen, seitdem auch die weniger zunftgemässe, exoterische Kritik
häufiger und systematischer, als fi'üher der Fall war, auf diese
Seite der Shakespeare-Forschung hingewiesen hat. Ein populäres
Interesse durfte in der That dieser Gegenstand um so eher in An-
spruch nehmen, als es sich ja dabei nicht um eine bloss ästhetische
oder literarhistorische Frage handelte, sondern zugleich um eine
Rechtsfrage, um die Frage des Eigenthumsrechtes nämlich, das
unserm Dichter an seinen eignen Werken verbleibt, wenn wir das
von ihm anderswoher Entlehnte den nachgewiesenen ursprĂĽnglichen
und rechtmässigen Besitzern zurückerstatten oder in Anrechnung
bringen müssen. An die Erörterung dieser ersten materiellen juri-
stischen Frage wĂĽrde sich dann die fĂĽr eine unparteiische WĂĽrdi-
gung Shakespeare's tiefer eingreifende ideelle Erwägung anschliessen,
wie viel oder wie wenig von seinem Dichterruhm er an die Vor-
gänger, d. h. an die Verfasser seiner 'Quellen', abzutreten oder mit
ihnen zu theilen hätte. Da will es uns denn bedünken, als ob eine
zu einseitig gehandhabte Erörterung jener ersten materiellen Rechts-
frage, gestĂĽtzt auf die BemĂĽhung, das Mein und Dein zwischen
Shakespeare und seinen Vorgängern festzustellen, nicht selten zu
einer Verdunkelung jener nicht minder wichtigen zweiten Frage
gefĂĽhrt habe und noch fĂĽhre. Je eifriger man die Quellen des
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Shakespeare studirt und jede fĂĽr sich betrachtet in ihren Ent-
wĂĽrfen wie in ihren Einzelnheiten mit den entsprechenden Ent-
wĂĽrfen und Einzelnheiten der Shakespeareschen Dramen zusammen-
stellte, desto bedenklicher schien da, den gehäuften Resultaten
dieser Parallelen gegenüber, unseres Dichters Originalität in ihrem
traditionellen Ansehen gefährdet, desto häufiger seine Erfindung,
seine Charakteristik, ja am Ende seine ganze dramatische Kunst
nicht mehr ausschliesslich ihm selber angehörig, sondern zu gutem
Theil ein fremdes Verdienst zu sein.
Dass eine solche, durch den blendenden Anschein augenfäl-
liger Aehnlichkeiten irregeleitete, an der Oberfläche des Stoffes
haftende Auffassung dem Genius Shakespeare's in keiner Weise
gerecht zu werden vermochte, das habe ich bereits an einem ecla-
tanten Beispiel nachzuweisen gesucht in meiner Abhandlung ĂĽber
Lodgc's Rosalynde and Shakespeare's As You IAke It (Jahrbuch
VI, S. 226—249). Wenn in irgend einem Falle von einer weit-
gehenden Benutzung seiner Quelle durch Shakespeare die Rede sein
konnte, so war es in diesem Falle der damals so berĂĽhmten und
beliebten Novelle von Thomas Lodge, die mit allen ihren Personen
und Begebenheiten in das Shakespearesche Drama hinĂĽbergenommen
zu sein schien. Einem oberflächlichen Blicke mochten die einzelnen
Scenen des Drama's in ihrem Fortgange als eben so viele drama-
tisirte Capitel der Novelle in entsprechender Reihenfolge erscheinen,
und es mochte demgemäss für Shakespeare an diesem Werke wie
ein verhältnissmässig geringerer Antheil schöpferischer Arbeit, so
auch ein geringeres Mass poetischen Verdienstes sich ergeben.
Und doch hat eine tiefer eindringende vergleichende Analyse der
Novelle und des Drama's in ĂĽberzeugender Weise den Beweis ge-
liefert, dass As You Lilie It in demselben eminenten Sinne Shake-
speare's ureigenstes, ihm ausschliesslich angehörendes Werk ist wie
irgend ein anderes seiner Dramen, bei dem sich materielle Entleh-
nungen entweder gar nicht oder doch nur in geringerem Umfange
nachweisen Hessen.
Der in jener Abhandlung gemachte Versuch, das Verhältniss
Shakespeare's zu seinen Quellen in das rechte Licht zu stellen,
soll nunmehr an einem andern Drama wiederholt werden, bei welchem
ebenfalls der Schein einer massenhaften Entlehnung eines unserm
Dichter vorliegenden Stoffes ähnliche Fehlschlüsse des Urtheils über
seine eigne geistige Productivität und Originalität veranlassen könnte.
Jahrbuch XI. 3
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Es ist bekannt, dass Shakespearee sich bei der Dichtung seiner
drei Römerdramen auf die einzige Quelle der Biographieen des Plu-
tarch in Thomas North's englischer Uebersetzung angewiesen sah.
Die Art und Weise, wie er sich im Ganzen und Grossen an sein
historisches Original gehalten hat und demselben auch in dessen
Einzelnheiten, sogar mit wörtlicher Benutzung, vielfach gefolgt ist,
könnte auch hier bei dem Leser, der in den grössern Ausgaben
der Werke Shakespeare's die einzelnen Scenen der Römerdramen
mit so vielen entsprechenden Parallelstellen aus dem Plutarch be-
gleitet sieht, leicht die Meinung erwecken, dass wir in diesen Schau-
spielen wesentlich jene Biographieen dramatisirt, aus Plutarchischer
Prosa in Shakespearesche Verse ĂĽbertragen, vor uns haben. Solcher
irrigen Auffassung gegenüber erscheint es angemessen* zunächst an
einem dieser Römerdramen, an Coriolanus, die Probe einer ähnlichen
vergleichenden Analyse wie frĂĽher an As You Like It anzustellen
und daraus das Resultat zu gewinnen, dass Shakespeare auch hier
bei der scheinbar reichlichsten Ausbeutung seines Originals in der
That, um ein wirkliches Drama zu gestalten, Alles neu zu schaffen
hatte: das Scenarium, die CJiarakteristik und die Sprache.
Von diesen drei Punkten, welche unsere Betrachtung in's Auge
zu fassen hat, untersuchen wir zunächst den ersten, indem wir zur
Vergleichung mit dem Shakespeareschen Scenarium des Coriolanus
das entsprechende Scenarium Plutarch's, d. i. eine kurzgefasste In-
haltsübersicht seiner Biographie geben. Zur Erleichterung späterer
Bezugnahme auf dieselbe, bezeichnen wir, da in der North'schen
Uebersetzung jede Capiteleintheilung fehlt, die einzelnen Daten, wie
sie sich uns aus einer cursorischen LeetĂĽre ergeben, mit Nummern.
1) Abstammung und Geschlecht des Marcius ; seine Erziehung
und Charakterentwicklung; seine ersten Waffenthaten im Kriege
gegen Tarquinius Superbus; seine Hingebung an seine Mutter.
2) Aufruhr in Rom wegen des Wuchers und der Schuldgesetze;
Auszug der Plebejer auf den Möns Sacer; Menenius Agrippa als
Fabelerzähler; Einsetzung der Volkstribunen.
3) Kampf um Corioli; Besiegung der Volsker; Vertheilung der
Beute; Marcius erhält den Beinamen Coriolanus.
4) Aufruhr in Rom wegen der Hungersnoth ; Marcius als Volks-
feind; sein Einfall in das Gebiet von Antium; seine RĂĽckkehr mit
reicher Beute.
5) Marcius' Bewerbung um das Consulat; Wankelmuth der
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Plebejer, die seiner Wahl erst zustimmen und nachher abhold sind;
Marcius' Ansehen bei den jungen Patri eiern, die sich um ihn
schaaren.
6) Verhandlungen wegen der Kornvertheilung; Coriolanus gegen
dieselbe und für die Abschaffung der Tribunen; sein thätlicher
Widerstand gegen die Aedilen; Coriolanus erst zum Tode verurtheilt,
dann vor Gericht gestellt, endlich verbannt; Jubel des Volkes bei
Coriolan's Verbannung.
7) Coriolanus in Antium bei Tullus Aufidius; Zwiespalt in
Rom; Vertreibung der ansässigen Volsker aus Rom; Kriegsrüstung f- f
der Volsker gegen Rom unter Aufidius und Coriolanus. •
8) Coriolanus verwüstet das Römische Gebiet, belagert und
erobert die Städte der Provinz; die Plebejer in Rom für die Zurück-
berufung des Coriolanus, der Senat dagegen.
9) Coriolanus vor Rom ; Gesandtschaft an ihn, der er Friedens-
bedingungen macht mit dreissigtägiger Frist; mittlerweile räumt
er das Römische Gebiet und geräth bei den Volskern in den Ver- •
dacht des Hochverraths. ^ -u***«m
10) Coriolanus nach Ablauf der Frist mit den Volskern aber-
mals vor Rom; zweite vergebliche Gesandtschaft an ihn; steigende
Noth und Bedrängniss in der Stadt.
11) Valeria, Publicola's Schwester, von Römischen Matronen
begleitet, beredet Coriolan's Mutter und Gattin, mit ihnen vereint
in's Volskische Lager zu gehen; Anrede der Volumnia an ihren
Sohn; Coriolanus erhört sie und zieht mit dem Heere fort von Rom;
Freudenbezeugungen in der Stadt. t ;
12) Tullus Aufidius, neidisch auf Coriolan's Ansehn, stiftet in » .
Antium eine Verschwörung gegen ihn an. Als Coriolan sich in der
dortigen Volksversammlung rechtfertigen will, fallen die Verschwo- r i \
renen über ihn her und tödten ihn. Seine ehrenvolle Bestattung; M
Trauer der Volsker und der Römer um seinen Tod.
In diesem Inhaltsverzeichniss sind, als dem Plane der Bio-
graphie fremd, sowohl die moralischen Nutzanwendungen ĂĽbergangen,
in denen Plutarch's lehrhafte Manier sich gefällt, als auch diejenigen
antiquarischen Excurse, die der Autor gelegentlich einzufĂĽgen liebt,
wie z. B. über die Anwendung der Beinamen bei den Römern, über
Traumdeutungen und Prodigien u. s. w. Shakespeare konnte selbst-
verständlich von solchen Horsd'ceuvres keinen Gebrauch machen,
am so weniger, als er fĂĽr seinen dramatischen Zweck von dem
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biographischen Ballast, mit welchem Plutarch sein Werk ĂĽberladen,
ohnehin genug ĂĽber Bord zu werfen hatte. Sehen wir denn nach
Massgabe der oben rubricirten und numerirten Inhaltsanzeige zu,
welche von diesen Nummern unser Dichter fĂĽr sein Scenarium ĂĽber-
haupt verwerthen konnte und in welcher Reihenfolge er sie ver-
werthet hat.
Die unter 1) zusammengestellten Notizen hat Shakespeare nicht
in der ziemlich willkĂĽrlichen Fassung, wie Plutarch sie ihm darbot,
an einer und derselben Stelle seines Schauspiels wiederholt, sondern
die Einzelnheiten an verschiedene Personen in verschiedenen Scenen
vertheilt und sie erst so dem lebendigen Organismus seines Dramas
u^pak einverleibt. Die Notizen von dem patricischen Trotz und Stolz des
Marcius den Plebejern gegenĂĽber werden ebenso wie die von seiner
kriegerischen TĂĽchtigkeit den beiden BĂĽrgern in den Mund gelegt,
welche als die WortfĂĽhrer des Aufstandes unser Drama in der
ersten Scene eröffnen. Ebendaselbst ist auch von der Hingebung
des Marcius an seine Mutter die Rede, und damit wird ein Motiv
gewonnen, uns die Volumnia (A. 1, Sc. 3) in ihrer einfach republi-
canischen Häuslichkeit zu zeigen. Was Plutarch im Eingang der
Biographie von den ersten Waffenthaten des Marcius berichtet,
das stellt bei Shakespeare Volumnia's Mutterstolz als das Ergebniss
ihrer consequenten Erziehungskunst hin. Auf das weitere Detail
* (J "V .* . \
dieser Notizen geht dann (A. 2, Sc. 2) Cominius in seiner Lobrede
auf den Coriolan ein. Was Plutarch endlich von dem Adel des
Geschlechtes der Marcier und von berĂĽhmten Mitgliedern dieses
patricischen Hauses erzählt, das wird von dem Dichter dem Tri-
bunen Brutus (A. 2, Sc. 3) in den Mund gelegt,, zur Rechtfertigung
einer Ernennung des Coriolan zum Consul.
In Plutarch's Darstellung ist 3), d. h. der Kampf um Corioli,
eingeschoben zwischen 2) und 4), d. h. zwischen zwei verschiedene
Aufstände der Plebejer in Rom: einen wegen der drückenden Schuld-
gesetze, an den sich der Auszug auf den Möns Sacer anschliesst,
und einen zweiten Aufruhr wegen der Hungersnoth, in welchem
Marcius als Bekämpfer der plebejischen Forderungen auftritt. Un-
mittelbar an diesen letztern innern Conftict reiht sich dann ein
zweiter Feldzug gegen die Volsker, ein Einfall der Römer unter
Marcius' FĂĽhrung in das Gebiet von Antium. Shakespeare hat
nun im Interesse der dramatischen Einheit und Klarheit beide Auf-
stände in einen einzigen zusammengezogen ; er hat ferner den Auszug
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der Plebejer und den zweiten Feldzug unterdrückt, und demgemäss
den Menenius Agrippa als Beschwiebtiger des Volks, aus 2), in
unmittelbare gegensätzliche Verbindung mit Marcius, aus 4), als
Bekämpfer der populären Forderungen gebracht. Die Einsetzung
der Volkstribunen, welche Plutarch als eine Folge der Verhand-
lungen des Menenius mit den ausgewanderten Plebejern darstellt,
fasst Shakespeare als ein gleichzeitiges, aber davon unabhängiges
Factum auf, von welchem, als ausserhalb der Coriolanischen Tra-
gödie liegend, nur berichtet wird, und zwar, characteristisch genug,
durch den Mund des Coriolanus selbst an den Menenius Agrippa. —
Shakespeare's A. 1, Sc. 1 ist also aus Plutarch's 1), 2) und 4)
combinirt, wie Shakespeare's A. 2, Sc. 4—10 dem 3) bei Plutarch
entspricht. Nichts Entsprechendes im Plutarch fand dagegen unser
Dichter für A. 1, Sc. 2 und A. 1, Sc. 3. Er lässt hier schon Per-
sonen auftreten, die als bedeutend in den ferneren Gang der
Handlung eingreifend, dem Zuschauer zeitig vorgefĂĽhrt werden
müssen, während Plutarch in Ermangelung eines dramatischen Cal-
cüls oder Interesses dieselben Figuren dem Leser erst viel später
vorfĂĽhrt. Nach Shakespeare's wohlbedachtem Plan soll der Anta-
gonismus des Coriolan und des Aufidius sich durch das ganze
Drama hindurchziehen und zur Anschauung gebracht werden. Er
lässt deshalb den letztern als Anführer der Volsker schon A. 1,
Sc. 2 in voller kriegerischer Thätigkeit erscheinen und an den
Kämpfen um Corioli sich persönlich, sogar im wiederholten Zwei-
kampf mit Coriolanus, betheiligen. Plutarch dagegen erwähnt den
Aufidius als einen angesehenen Mann in Antium erst in 7), als
Coriolanus in der Verbannung ihn aufsucht, und spricht beiläufig
erst bei dieser Gelegenheit von den wiederholten feindlichen Be-
gegnungen, welche früher zwischen Beiden stattgefunden hätten. —
Ebenso anticipirt in A. 1, Sc. 3 unser Dichter das Auftreten der
Valeria, der Schwester des Publicola, die bei Plutarch erst in 11)
erscheint, wo sie Coriolan's Mutter und Gattin beredet, mit ihr
in das Lager der Volsker zu ziehen. Indem Shakespeare im dra-
matischen Interesse bei diesem letztern Vorgange der Valeria nur
eine secundäre Rolle, der Volumnia aber die der Mutter seines Helden
uaturgemäss gebührende Hauptrolle zuertheilte, mochte er sich um
so eher veranlasst sehen, möglichst bald auf eine zwischen den
beiden Römischen Matronen bestehende Freundschaft, die Plutarch
nicht kennt, hinzuweisen.
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— 38 —
Eine noch bedeutsamere Anticipation von Seiten des Dichters
ist in Betreff der beiden Tribunen und ihrer Stellung gegen den
Coriolan zu constatiren. Ihre Ernennung wird freilich bei Plutarch
bereits in 2) erwähnt, aber von ihrer Beeinflussung der Plebejer,
um Coriolan's Consulatswahl wieder rückgängig zu machen, finden
wir bei dem Biographen keine Spur. Wenn die Plebejer dem Co-
riolan ihre Stimmen zuerst geben und nachher wieder entziehen,
so erscheint das bei Plutarch lediglich als plebejischer Wankelmuth
ohne alle Einwirkun'g von Seiten der Tribunen, die erst da thätig
eingreifen, wo Coriolan unmittelbar ihre eigne Autorität zu gefähr-
den sich anschickt. Shakespeare, indem er schon am SchlĂĽsse von
A. 2, Sc. 1 die Tribunen die ihnen von jener Seite her drohende
Gefahr in's Auge fassen und am SchlĂĽsse von A. 2, Sc. 3 ihre vor-
beugenden Massregeln dagegen ergreifen Hess, brachte in sein
Drama einen pragmatischen Causalnexus, zu dem ihm Plutarch
keinerlei Handhabe bot.
Zwischen Coriolan's fehlgeschlagene Consulatsbewerbung und
seine Verbannung schiebt Plutarch in 6) ein neues Moment ein,
welches Shakespeare als lästige Wiederholung einer schon früher
verhandelten Frage und als eine ungeschickte Störung seines dra-
matischen Planes wohlweislich beseitigt hat. Die Ankunft grosser
Kornvorräthe in Rom, die gerade zu der Zeit erfolgt, giebt die
Veranlassung zu neuen Senatsverhandlungen ĂĽber Getreideverthei-
lung, an denen Coriolan sich denn abermals im volksfeindlichen
Sinne betheiligt. Aus der Rede, welche laut Plutarch's Erzählung
Coriolan bei dieser Gelegenheit im Senate hielt, hat unser Dichter
Manches als charakteristisch für seinen Helden gebrauchen können
und theilweise wörtlich aus Plutarch's wörtlicher Mittheilung ent-
lehnt; aber Shakespeare lässt seinen Coriolan die betreffenden Worte
nur in retrospectivem Sinne sprechen, zur Vertheidigung seines
frĂĽheren Verhaltens in dieser Angelegenheit gegen die erst jetzt
desshalb vorgebrachten Anklagen der Tribunen. Wir sehen auch
hier wieder, wie Shakespeare in den Verlauf der Ereignisse einen
Zusammenhang bringt, der bei Plutarch gänzlich vermisst wird:
Coriolan soll in der Meinung seiner patricischen Standesgenossen
fĂĽr seine Heldenthaten im Volskerkriege mit dem Consulat belohnt
werden. Li derselben Meinung stimmen die Plebejer bei und wider-
rufen ihre Beistimmung erst in Folge der Einwände und Vorstel-
lungen ihrer Tribunen, die von einem solchen Consul die Vernichtung
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oder doch die VerkĂĽmmerung ihres tribunicischen Ansehens be-
sorgen. Coriolan, durch die erlittene Kränkung gereizt, kehrt den
angeborenen, bisher mĂĽhsam zurĂĽckgehaltenen Stolz und Trotz
wieder heraus, lässt seiner Leidenschaft im Hasse und in der Ver-
achtung seiner Gegner in masslosen Reden den ZĂĽgel schiessen
und bietet damit den Tribunen den willkommensten Anlass, die
Verwerfung seiner Consulatswahl zu rechtfertigen und ihn selber
förmlich in Anklagestand zu versetzen. Da haben wir also eine
festgeschlossene Reihe von Verbindungsgliedern, welche Shakespeare
erst in die zusammenhangslose Berichterstattung des Plutarch
hineinzutragen hatte.
Wenn wir die ĂĽber Coriolan hereinbrechende Katastrophe seiner
Verbannung in den parallel laufenden Darstellungen bei Plutarch
in 6) und bei Shakespeare (A. 3, Sc. 3) vergleichen, so finden wir
bei Letzterem zwei Punkte nur angedeutet, die in der Plutarchi-
schen Erzählung ihr volles Licht erhalten. Der Tribun Sicinius
fragt zu Anfang der genannten Scene den Aedilen, ob er die
dem Coriolan ungĂĽnstigen Stimmen der Plebejer nach Tribus ge-
sammelt habe. Weiche Bewandtniss es mit dieser Abstimmung
nach Tribus im Gegensatz zu der Abstimmung nach Centurien hatte,
und aus welchem Grunde der Tribun die erstere vorzog, das hat
Shakespeare für sein Publikum unerklärt gelassen, obwohl er die
Sache selbst bei Plutarch ausführlich besprochen fand. — Ebenso
figurirt unter den Anklagen, die gegen Coriolan vorgebracht werden
sollen, die Nichtvertheilung der den Antiaten abgenommenen Beute
— eine Hindeutung auf jenen Einfall in's Antiatische Gebiet, von
dem Plutarch unter 4) berichtet, von dem Shakespeare aber nichts
weiss. Wir sehen auch hier wieder die völlige Freiheit und Un-
befangenheit, welche unser Dichter seiner Quelle gegenĂĽber sich
bewahrt: nämlich gelegentlich da, wo es seinem höhern dramatischen
Zwecke passt, in flĂĽchtiger Hindeutung Plutarchische Thatsachen
anzustreifen, welche in ausfĂĽhrlicher Auseinandersetzung seinem
Schauspiel einzuverleiben, ohne eine lästige Hemmung des rasch-
fortschreitenden Ganges seiner einheitlichen Handlung ihm kaum
thunlich erscheinen mochte.
Plutarch lässt 7) unmittelbar auf 6), d. h. Coriolan's Erschei-
nung in Antium auf seine Verbannung aus Rom folgen. Bei Shake-
speare aber liegen zwischen dieser (A. 3, Sc. 3) und jener (A. 4,
Sc. 4) drei theils rückblickende und ergänzende, theils vorbereitende
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Scenen (A. 4, Sc. 1 — 3). Die erste dieser drei Scenen begreift in
sich Coriolan's Abschied von den Seinen, von seinen Freunden
und Parteigenossen und ist deshalb merkwĂĽrdig, weil sie,
ganz gegen Shakespeare's sonstige BĂĽhnenpraxis, keinerlei An-
deutung enthält von dem, was kommen soll, also in diesem Falle
von dem Plane Coriolan's, nach Antium zu gehen, die Zuschauer
Nichts ahnen lässt. Diese exceptionelle Zurückhaltung von Seiten
des Dichters ist hinlänglich motivirt durch die Erwägung, dass
Coriolan den in Rom zurĂĽckbleibenden Freunden seine gegen sie
selber mitgerichteten Rachegedanken unmöglich verrathen durfte.
Andererseits aber musste dem Dichter daran gelegen sein, den
bevorstehenden Krieg der Volsker gegen Rom noch vor der Mit-
wirkung Coriolan's als bereits in der Vorbereitung begriffen dar-
zustellen, so dass Coriolan's Ankunft in Antium den schon be-
schlossenen Aufbruch des Heeres nur zu beschleunigen brauchte.
Diesem Zwecke dient die Zwischenscene (A. 4, Sc. 3), wo der
Römische Ueberläufer Nicanor seinem Volskischen Bekannten
Adrian von der in Rom seit Coriolan's Verbannung obwaltenden
Gährung, und dieser seinerseits ihm von den kriegerischen Rü-
stungen der Volsker berichtet. So durfte denn Shakespeare in
den beiden folgenden Scenen (A. 4, Sc. 4 und 5) in rascher För-
derung die sich drängenden Ereignisse zusammenfassen und zum
Abschluss bringen, was bei Plutarch in mancherlei Zwischenfällen
zerstreut und zerrissen daliegt. Deshalb z. B. trifft bei Shake-
speare Coriolan den Aufidius bei einem Gastmahl, das derselbe
den vornehmen Antiaten giebt. Da wird in der ersten Freude
ĂĽber den unerwarteten U ebertritt und Beistand des bisher ge-
fĂĽrchteten Coriolanus der Beginn des schon vorbereiteten Krieges
gegen Rom alsbald beschlossen und in's Werk gesetzt, während
bei Plutarch in 7) erst eine Vertreibung der in Rom ansässigen
Volsker aus Rom den Anlass zu gegenseitigen KriegsrĂĽstungen
und zu längera vorhergehenden Unterhandlungen bieten muss.
Erst wenn diese letztern sich zerschlagen, wird Coriolan durch
seinen nunmehrigen Gastfreund Aufidius den Senatoren von Antium
als sein WĂĽnschenswerther Theilhaber im Oberbefehl des Krieges
gegen Rom vorgestellt und empfohlen. Man erkennt leicht, wie
guten Grund der Dichter auch hier hatte im Interesse seines
Drama's von der weitläufigeren Erzählung Plutarch's abzuweichen.
Der Schluss des vierten Actes (Sc. 6 und 7) entspricht dem,
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was Plutarcb in 8) und 9) erzählt, und zwar abermals mit den-
jenigen Modifikationen, welche die Oekonomie des Schauspiels zu
erfordern schien. Shakespeare konnte den Zuschauern freilich
seinen Helden nicht augenscheinlich vorführen, wie er eine Rö-
mische Provinzialstadt nach der andern erobert und wie er zuerst
da das Misstrauen der Volskischen Regierung erregt, als er sich
in eigenmächtige Friedensverhandlungen mit Rom einlässt und
auf eine dreissigtägige Frist das eroberte Römische Gebiet wieder
räumt. Eben so wenig konnte der Dichter im Widerspruch mit
allem Vorhergegangenen die auffällige Notiz bei Plutarch berück-
sichtigen, dass bei der Nachricht von Coriolan's feindlichem An-
zĂĽge die Plebejer seine ZurĂĽckberufung aus der Verbannung ver-
langen, die Patrizier aber sich diesem Gesuche widersetzen. Statt
dieser störenden Einzelnheiten schildert uns lieber der Dichter
in A. 4, Sc. 6 die verschiedenen EindrĂĽcke der wachsenden Be-
sorgniss und Verzweiflung, welche in rascher Aufeinanderfolge die
einlaufenden Botschaften von Coriolan's fortschreitender Annähe-
rung in Rom verbreiten. Und in der Schlussscene des vierten
Actes, in den vertraulichen Aeusserungen des Aufidius gegen
seinen Lieutenant erkennen wir anderseits die Gefahr, welche dem
siegreichen Coriolan von Seiten des eifersĂĽchtigen Volskischen
Feldherrn von fern, aber sicher bedroht. Die erste Frage des Au-
fidius in dieser Scene: Do they still fty to thc Roman? deutet
wiederum auf eine von Plutarch berichtete, von Shakespeare ĂĽber-
gangene Thatsache hin: dass nämlich die zum Schutz ihres Lan-
des als Besatzung zurĂĽckgelassenen Volsker auf die Nachricht
von Coriolan's beutereichen Siegen und Eroberungen alle in sein
Lager laufen und keinen Feldherrn als ihn allein anerkennen
wollen.
Nach Ablauf der dreissigtägigen Frist, deren Bewilligung
nach Plutarch's Darstellung den Coriolan bei den Volskern in den
Verdacht des Hochverraths gebracht hatte, erscheint Coriolan
wieder vor den Thoren Rom's, wohin Shakespeare ihn ohne solche
unmotivirte Unterbrechungen alsbald rücken lässt. Plutarch be-
richtet sodann von einer abermaligen Römischen Gesandtschaft,
aus Priestern und Auguren bestehend, welche bei ihrem feindlichen
Landsmann weniger ausrichtet, wie die frĂĽhere, die doch einen
zeitweiligen Abzug des Coriolan erwirkt hatte. Shakespeare
hat an die Stelle dieser beiden Gesandtschaften, deren erste doch
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von bedingtem Erfolge gekrönt war, zwei andere gleich erfolglose
treten lassen: die eine des Cominius, von der den Zuschauern nur
berichtet wird, die andere des Menenius, die dem Publikum lebendig
und charakteristisch genug vor Augen gestellt wird. Wie der
Dichter auch hier ein persönliches Moment, das bei Plutarch
fehlt, in's Spiel bringt, so lässt er gleichfalls den Aufidius, dessen
Anwesenheit im Volskerlager bei Plutarch nicht erhellt, an der
Seite seines Verbündeten als Zeugen dieser Vorgänge erscheinen ;
ja, er lässt ihn auch in der grossen Scene der Wiederbegegnung'
Coriolan's mit seiner Familie in dessen Feldherrnzelte mit zugegen
sein. In welcher Weise und zu welchem Zwecke unser Dichter
in der Bearbeitung dieser grossen Scene von seiner Quelle ab-
gewichen ist, das ist theilweise schon vorher angedeutet worden,
als von dem Besuche der Valeria bei der Mutter und Gattin des
Mar eins die Rede war. Jener Besuch war, wie wir sahen, eine
Vorwegnahme desjenigen Besuches, den Plutarch erst an dieser
Stelle in 11) beschreibt, indem er ausführlich und wörtlich die
Anrede der Valeria an die Volumnia und die Antwort der letztern
mittheilt. Shakespeare strich wohlweislich diese ganze Plutarehi-
sche Scene, sowohl weil eine solche hervorragende Rolle der Va-
leria der spätem Rolle der Volumnia Abbruch thun musste, als auch
weil die zwischen diesen Römischen Frauen gewechselten Reden
grossen Theils denselben Inhalt wie die folgenden Wechselreden
im Volskischen Lager darbieten und unfehlbar die dramatische
Wirkung jener entscheidenden Verhandlungen abschwächen wür-
den. Unser Dichter begnĂĽgt sich daher mit einer leisen Andeu-
tung in den Worten des Cominius (A. 5, Sc. 2, am Schluss), dass
Coriolan's Mutter und Gattin einen letzten Versuch beabsichtigten,
den Coriolan um Gnade für Rom anzuflehen. — Die Scene, in
welcher dieser Vorsatz nun ausgefĂĽhrt wird, bei Plutarch (in 11)
und bei Shakespeare (A. 5, Sc. 3) scheinbar identisch, kann hier
füglich übergangen werden, da sie einer nähern Betrachtung doch
weiterhin, wo das Verhältniss der Sprache Shakespeare's zu der
Sprache Plutarch's erörtert wird, unterliegen muss. Nur die
Worte in Coriolan's letzter Rede: Ladies, you deserve to Jiave a
temple built you, mögen hier citirt werden als eine weitere Probe
jener Shakespeareschen Weise, flĂĽchtig auf Thatsachen hinzudeuten,
die Plutarch ausfĂĽhrlicher berichtet, die aber in dem ohnehin
stofflich ausgefĂĽllten Drama keinen passenden Platz finden konnten.
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Es handelt sich hier nämlich um die Erbauung eines Tempels
der Fortuna Muliebris zum Ehrengedächtniss der Römischen Ma-
tronen und ihres Erfolges bei Coriolan, also um eine antiquarische
Notiz, die den Römischen Lesern des Plutarch interessanter sein
mochte, als dem Shakespeareschen Theaterpublikum.
Die letzte Scene der Biographie, 12), und des Drama's (A. 5,
Sc. 5) schildert die Katastrophe in gleichem Verlauf. Nur dass
Aufidius den von ihm selber geplanten und durchgefĂĽhrten Tod
des Coriolan alsbald bereut und persönlich das Leichenbegängniss
seines gefallenen Nebenbuhlers anordnet, ist ein von unserm
Dichter im Sinne eines versöhnenden Abschlusses erfundener, dem
Plutarch fremder Zug. Plutarch erzählt nur, dass Aufidius später
in einem neuen Kampfe mit den Römern gefallen sei.
In dem vorstehenden Theile dieser Abhandlung haben wir
versucht, die vermeintlichen Verpflichtungen Shakespeare's gegen
Plutarch, so weit sie die Anlage, das Scenarium seines Drama's
betreffen, auf ihr wirkliches bescheidenes Maass zurĂĽckzufĂĽhren.
Wir gehen nunmehr zu unserer nächsten Aufgabe über und prüfen,
wie viel oder wie wenig der Biograph dem Dichter in der Oia-
rakteristik der auftretenden Personen vorgearbeitet haben möchte.
Freilich kann bei Plutarch streng genommen nur von einer Cha-
rakterzeichnung seines Helden die Rede sein, und auch diese be-
steht bei ihm mehr in einer Aneinanderreihung und Zusammen-
stellung der verschiedensten, theilweise widersprechendsten Eigen-
schaften, die er dem Marcius beilegt, als dass der Biograph sich
bemüht und es verstanden hätte, dieselben in einen psychologischen
Zusammenhang und unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu
bringen. Und wo er einen Anlauf zu solchen Combinationen
nimmt, da schlägt er in der Regel einen Weg ein, den Shake-
speare kaum weiter verfolgen konnte. Plutarch legt zum Beispiel
ein grosses Gewicht darauf, dass Marcius frĂĽh seinen Vater ver-
loren habe und dann lediglich von seiner Mutter erzogen oder
vielmehr nicht erzogen sei. Aus diesem Mangel an Erziehung
leitet Plutarch den Mangel an Selbstbeherrschung her, der den
Marcius im Verkehr charakterisirte, während er andererseits Co-
riolan's Wahrheitsliebe, Festigkeit und Tapferkeit, seine Hingebung
fĂĽr sein Vaterland, seine UneigennĂĽtzigkeit als einen Ausfluss seiner
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ureigensten, angebornen Natur auffasst. Bei Sliakespeare ist von
dem Vater Coriolan's so wenig wie von dem aus dessen frĂĽhem
Tode herrĂĽhrenden Mangel an Erziehung bei dem liinterlassenen
Sohne eine Spur zu finden. Vielmehr erscheint bei ihm die Mutter
vollkommen geeignet, diese Erziehung zu ĂĽbernehmen und so
energisch in ihrem männlich kräftigen Sinne durchzuführen, dass
Coriolan's Charakter ganz das Gepräge des mütterlichen Geistes
und Charakters trägt. Bei Plutarch geht der eben dem Knaben-
alter entwachsene Marcius aus eigenem Antriebe in den Krieg
gegen Tarquinius; bei Shakespeare entsendet ihn seine Mutter
dahin und frohlockt, wie ĂĽber ihr eignes AVerk, wenn der junge
Held mit dem Eichenkranze geehrt heimkehrt. Diesen so hervor-
stechenden mĂĽtterlichen Einfluss auf alles Thun und Lassen des
Sohnes, von dem schon zu Anfang des Drama's 'der erste BĂĽrger'
spricht, betont der Dichter durch den Verlauf des ganzen StĂĽckes,
im wiederholten Auftreten der Volumnia, während Plutarch des-
selben nur zu Anfang der Biographie gedenkt, wo er u. A. erwähnt,
Coriolan habe den Gehorsam gegen seine Mutter auch in der
Wahl seiner Gattin bewiesen und sei nach wie vor im Hause
der Mutter geblieben. Diese Mutter lässt Plutarch dann erst bei
Gelegenheit der Katastrophe wieder auftreten. Dass Coriolan ledig-
lich als gehorsamer Sohn nach mütterlicher Weisung sich vermählt
habe, das mochte fĂĽr Shakespeare's Auffassung weder zu dem
durchaus selbständigen Charakter seines Helden, noch zu dem
innigen Verhältnisse, in welchem derselbe, nach des Dichters Dar-
stellung, zu seiner Gattin Virgilia steht, zu passen scheinen und
ist deshalb füglich im Drama unerwähnt geblieben. Aber nicht
nur in seinem Verhältniss als Sohn und als Gatte hatte unser
Dichter auf eigne Hand seinen Helden zu zeichnen, um ihm die
rein menschliche Theilnahme der Zuschauer zuzuwenden; auch als
Vater musste er ihn schildern. Plutarch erzählt nur, dass Co-
riolan zwei Kinder gehabt, die mit ihm und seiner Gattin in dem
Hause seiner Mutter gewohnt haben und die nachher nur Einmal
als stumme Personen wieder vorkommen, da wo sie mit den Rö-
mischen Matronen in's Volskerlager ziehen. Shakespeare hat aus
den beiden Kindern den einen jungen Marcius gemacht, der schon
im ersten Akt von den Frauen in seiner knabenhaften Unbändig-
keit und Lust zu kriegerischem Spiel als das wahre Abbild seines
Vaters charakterisirt wird. Wie theuer dieser Solin dem Herzen
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des Vaters gewesen, das erhellt in der Lagerscene aus den schonen
Worten, in welchen Coriolan dem jungen Marcius seine kĂĽnftige
ruhmvolle Laufbahn, gleichsam sein eignes idealisirtes Vorbild,
als Muster vorzeichnet und hinstellt.
Wie in der Zeichnung dieser verwandtschaftlichen Verhält-
nisse seines Helden der Dichter weit ĂĽber die dĂĽrftigen Andeu-
tungen des Biographen hinausging, so hatte er in andern Bezie-
hungen, die den Coriolan als Menschen uns näher bringen sollten,
Alles nachzuholen, was seine Quelle verschwieg oder was in der
Ueberlieferung, wie wir sie bei Plutarch finden, kaum vorhanden
sein konnte. Plutarch sagt u. A. vom Marcius: for lack of edu-
cation he was so cholerick and impatient, HĂĽtt he would yield to
no living creature: tvhich made htm churlish, uncivĂĽ, and altogethcr
unfit for any man'* convermtion. — Einen solchen unliebenswür-
digen und unbeliebten, fĂĽr Niemandes Umgang geeigneten Gesellen
konnte Shakespeare freilich nicht zum Mittelpunkte seines Drama's,
zum Träger seiner Handlung machen, da es doch zur Erre-
gung einer gemĂĽthlichen Theilnahme bei den Zuschauern mit
der blossen Darlegung kriegerischer Tapferkeit allein nicht gethan
war. So lässt unser Dichter jenes abfällige Urtheil des Plutarch
nur in dem Munde der plebejischen Widersacher Coriolan's be-
stehen und eben da nur begreiflich erscheinen. Er selber aber
stellt ihn dar als den jĂĽngern, fast angebeteten Freund des alten
Menenius und als den treu anhänglichen, durchaus nicht wider-
haarigen Kameraden des Feldherrn und Consuls Cominius während
des Krieges wie nachher — er stellt ihn also dar in solchen
Verhältnissen, wie wir sie dem Plutarchischen Coriolan schlechter-
dings nicht zutrauen könnten. — Menenius erscheint bei Plutarch
lediglich Einmal und zwar als der volksbeliebte Abgesandte des
Senats, der mit seiner Fabel vom Streite des Bauches mit den
übrigen Körpertheilen die ausgewanderten Plebejer beschwichtigt
und zur RĂĽckkehr nach Rom ĂĽberredet. Daraus schuf Shake-
speare denn die prächtige Rolle des lebenslustigen Greises und
humoristischen Patriciers, der seinen Humor nicht bloss zur Ein-
maligen Beschwichtigung der Einmal aufgeregten Plebejer, sondern
zur steten Beschwichtigung seines stets aufgeregten hitzköpfigen
Lieblings Coriolan, sowie zur steten Vermittelung zwischen ihm
und den streitenden Parteien zu verwenden hat. Um so herz-
zerreissender ist denn auch seine Enttäuschung, wenn er als
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Römischer Abgesandter im Volskerlager bei dem umgewandelten
ehemaligen Freunde so wenig ausrichtet, wie der ehedem von
Coriolan so hochverehrte und so respektvoll behandelte Kriegs-
gefährte Cominius schon vorher bei ihm ausrichten konnte. — Zu
den begeisterten Freunden Coriolan's ist auch sein Waffengenosse
Titus Lartius zu zählen, der seine Bewunderung für dessen Helden-
grösse neidlos im Lager vor Corioli ausspricht. Er erklärt den
jungen tapfern Kameraden, den er schon fĂĽr verloren hielt, fĂĽr
das Ideal eines Kriegers, wie Cato von Utica solchen gewünscht —
ein Anachronismus, den unser Dichter beging, als er, was Plutarch
selbst von Coriolan ausgesagt hatte, dem Lartius in den Mund legte.
Von den Freunden, in deren Mitte Shakespeare seinen Coriolan
gestellt hat, wenden wir uns nun zu den Feinden, mit denen eine
so urkräftige, leidenschaftliche und auf sich selbst beruhende
Natur, wie die Coriolan's, in vielfachen Conflict gerathen musste.
In der Analyse des Scenariums ist bereits hervorgehoben, wie
unser Dichter den Tullus Aufidius weit früher auftreten lässt, als
Plutarch das gethan hat. Die beiderseits so eifrig gepflegte
Gegnerschaft zwischen dem Römischen Kriegsmann und dem
Volskischen zieht sich wie ein rother Faden durch das ganze
Drama, bis dass sie in die für beide Betheiligte so verhängnissvolle
Bundesgenossenschaft zwischen dem Verbannten und seinem in
Antium aufgesuchten neugewonnenen Gastfreunde ausschlägt. Eben
deshalb musste der Charakter des Mannes, den Shakespeare so
viel bedeutsamer in den Vordergrund rĂĽckt, voller und tiefer ge-
fasst werden, als Plutarch ihn gezeichnet, der wenig mehr von
ihm aussagt, als dass Aufidius einer der reichsten und angesehen-
sten Männer in Antium gewesen sei und mit Coriolan sich öfter
im Kampfe gemessen habe. Shakespeare schildert ihn nicht nur
als solchen Krieger, sondern als einen erprobten Staatsmann,
dessen Rath schon frĂĽher (A. 1, Sc. 2) im Senate von Corioli den
Ausschlag gegeben hat. Da er, ganz im Gegensatz zu Coriolan's
gerade und rĂĽcksichtslos auf sein Ziel losgehendem offenem Wesen,
ein politisch verschlagner Charakter ist, äussert sich sein Hass
gegen seinen grossen Gegner auch in anderer, sogar hinterhaltiger
und meuchlerischer Weise, und die Selbstbekenntnisse, welche er
in dieser Beziehung nach dem unglĂĽcklichen Ausgange des Kam-
pfes um Corioli zum SchlĂĽsse des ersten Aktes macht, sollen im
Sinne des Dichters die Zuschauer schon zeitig vorbereiten auf die
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Verschwornenrolle, die er zuletzt in tĂĽckisch hinterlistigem Ver-
fahren zur Vernichtung des nach Antium zurĂĽckgekehrten, aufs
Neue und bitterer als vorher gehassten Nebenbuhlers spielt. Wie
sehr ein persönlicher Neid gegen den siegreich vor Rom lagernden
Mitfeldherrn und eine staatsmännisch kluge Erwägung der kom-
menden Ereignisse bei Aufidius zusammenwirken und seine heim-
lichen Anschläge für eine spätere Ausführung veranlassen, das
erhellt auch aus der zur Orientirung fĂĽr die Zuschauer eingescho-
benen Scene (A. 4, Sc. 3) zwischen Aufidius und seinem Lieutenant.
Wir sehen daraus, dass im Plane des Aufidius Coriolan's Unter-
gang feststand, auch wenn Letzterer Rom erobert hätte, statt
sich durch die Bitten der Mutter und der Gattin erweichen und
unverrichteter Sache sich zum RĂĽckzĂĽge bewegen zu lassen. Es
war eben die Nemesis, die in der Gestalt des Aufidius den Rö-
mischen Vaterlandsfeind unter allen Umständen treffen musste —
ein Gedanke, den Shakespeare aus sich selber schöpfte und bei
Plutarch nicht vorfand.
Zu Coriolan's Feinden gehören ferner die Tribunen Sicinius
und Brutus, deren Rolle, wie wir oben sahen, bei Shakespeare
ebenfalls eine viel tiefer angelegte und noch weiter greifende ist,
als bei Plutarch. Sie bedurften deshalb von Seiten des Drama-
tikers auch einer schärfern Charakteristik, als der Biograph ihnen
hat angedeihen lassen, wenn er sie ĂĽberhaupt weiter charakteri-
sirt hat, als dass er gelegentlich den Sicinius the cruellest and
stoutest of tlw Tribunes nennt. Der Hass der Tribunen gegen den
Coriolan entspringt natĂĽrlich einer andern Quelle als der Hass
des Aufidius und ist demgemäss auch anders geartet. In der
Bekämpfung des Coriolan, in der Vereitlung seines Consulats und
in seiner Verbannung aus Rom vertreten die Tribunen ebensosehr
ihre tribunicischen Rechte wie die Interessen der Plebejer, die
sie in gleicher Weise durch Coriolan's steigende Autorität in Rom
gefährdet sehen. Coriolan ist wie im Felde so auch daheim der
Mann der strammsten Disciplin, die nach seiner rĂĽckhaltlos ĂĽberall
ausgesprochenen Ueberzeugung nur durch die völlige Unterord-
nung der Plebejer unter die Oberhoheit des Senats aufrecht er-
halten werden kann. Jede Concession, welche von Seiten der
Patricier dem Volke gemacht ist, erscheint ihm als eine verderb-
liche Lockerung dieser Disciplin, der er dann mit aller rauhen
Energie seines nur fĂĽr den Krieg, nicht fĂĽr das Staatswesen im
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Frieden geschulten Charakters in maassloser Redeweise entgegen-
tritt. Was die Tribunen hindert, eben so offen und leidenschaftlich
ihren prinzipiellen Gegner zu bekämpfen, und was sie zwingt,
theilweise krumme Wege einzuschlagen und scheinbar mit ihm
zu pactiren, das ist die Wahrnehmung, wie Coriolan trotz seiner
unverhohlenen Volksverach tung, gleichsam wider seinen Willen,
sich die Anhänglichkeit und Bewunderung der Plebejer erzwingt.
Nicht ohne guten Grund hat Shakespeare deshalb dem Tribunen
Brutus und nachher dem Boten (A. 2, Sc. 1) eine hyperbolisch
glänzende Schilderung von dem allseitig umjubelten Triumphzuge
Coriolan's durch die Strassen Rom's in den Mund gelegt. Was
die bescheidenen Verhältnisse der Englischen Bühne jener Zeit
nicht in scenischer Ausstattung sichtlich den Zuschauern vorzu-
fĂĽhren gestatteten, das sollte, nach des Dichters Ansicht, doch
in nüancirter Ausmalung der Phantasie des Publikums näher
gebracht werden: das so mächtig aufflackernde Feuer allgemeiner
B egeisterung für den siegreichen jungen Helden. — Das war ein
Factor, mit welchem immerhin die Tribunen zu rechnen hatten,
wenn sie die ihnen so gefährliche Bewerbung Coriolan's um das
Consulat vereiteln wollten.
Wenn unser Dichter fĂĽr diese eben betrachteten Scenen bei
Plutarch keinerlei brauchbares Material vorfand, so durfte und
musste er doch den traditionellen Hergang der Consulatsbewer-
bung, wie Plutarch ihn berichtet, aus seiner Quelle entlehnen,
nur dass er auch hier das Beste aus seiner eignen schöpferischen
Kraft hinzuzuthun hatte: die anschaulich detaillirte Darstellung
des seiner unwürdigen Supplikantenrolle sich schämenden Coriolan
den harmlosen BĂĽrgern gegenĂĽber, welche von der ingrimmigen
Ironie, mit der er sich ihre Stimmen erbettelt, keine Ahnung haben,
sondern ihm höchst bereitwillig dieselben ertheilen. Derlei Volks-
scenen, in scharfer individueller Ausprägung vorgeführt, bilden
ein notwendiges Element für ein Römerdrama, das die Conflicte
des Einzelnen mit einer Mehrheit behandelt. Der Dichter hat
es deshalb nicht verschmäht, die 'vielköpfige Menge' durch sein
ganzes Schauspiel hindurch mithandeln und mitreden zu lassen.
Aber zu dieser Charakteristik der Plebejer, vielleicht der grössten
Meisterschaft seines Meisterwerkes, hat ihm Plutarch keinen an-
dern Fingerzeig und Beitrag geliefert, als dass er gelegentlich
moralisirend auf den Wankelmut!» des gemeinen Volkes hinweist. —
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Diesen Volksscenen reihen sich in zweiter Linie einige andere
subalterne Scenen an, zu denen Plutarch nicht einmal eine schwache
Handhabe bot: zunächst das Gespräch zweier Capitolsoffizianten
(A. 2, Sc. 2), welches, an eine Charakteristik Coriolan's anknĂĽpfend,
in schlichter Form eine hausbackene politische Beobachtungsgabe,
wie sie solchen biedern Beamten entspricht, an den Tag legt; ferner
(A. 4, Sc. 5) das Hausgesinde des Aufidius in ihrem bedientenhaften
DĂĽnkel wie in dem guten Humor, mit dem sie sich so naiv auf
den frischen, freien, fröhlichen Krieg freuen, der gegen Rom in
Aussicht steht.
Der dritte und letzte Theil unserer Untersuchung hat sich mit
der Sprache des Shakespeare'schen Coriolanus in ihrem Verhältnis«
zur Sprache des Plutarchischen Coriolanus zu befassen. Von vorn-
herein ist es klar, dass die Redeweise eines Shakespeare'schen
Drama's aus des Dichters reifster und spätester Zeit, als sein Styl
sich zur höchsten Eigenartigkeit entwickelt hatte, Nichts gemein
haben konnte mit der schlichten Prosa eines biographischen Werkes,
welche die ursprüngliche Färbung des griechischen Originals bereits
durch Amyot's französische Uebersetzung verwischt hatte, ehe sie
aus dieser in Thomas North's tĂĽchtiges, aber sehr wenig individuell
nĂĽancirtes Englisch ĂĽberging. Andererseits aber konnten die von
den Herausgebern Shakespeare's so zahlreich aus dem Plutarch
beigebrachten Parallelstellen, theilweise in wörtlicher Ueberein-
stimmung, den Verdacht erregen, als ob der Dichter bei einer so
fleissigen Benutzung seiner Quelle gelegentlich seinen eignen Styl
durch den Styl Plutarch's hätte beeinflussen lassen oder doch stellen-
weise durch Entlehnungen aus der Biographie ein fremdes Element
unvermittelt in sein Werk aufgenommen hätte. Gegen den letztern
Verdacht spricht schon die vollkommen unverfälschte Einheit des
Tones, welche durch das ganze Drama geht. Diese einheitliche
Färbung würde es uns unmöglich machen, in sprachlicher Hinsicht
wirkliche oder vermeintliche Plutarchische Entlehnungen im Shake-
speare'schen Drama zu entdecken und mit Bestimmtheit als solche
nachzuweisen, wenn zufällig uns etwa der North'sche Plutarch un-
zugänglich wäre. Da aber Shakespeare's Quelle auch uns vorliegt,
so scheint es der MĂĽhe werth, auch in dieser Beziehung beide
Werke zu vergleichen und etwaige sprachliche Spuren des Vor-
Jahrbuch XL 4
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gängers in dem Nachfolger zugleich aufzusuchen und zu erklären.
Es wird sich dabei ergeben, dass Shakespeare nur in seltenen
Fällen dem Plutarch eine einzelne Phrase, Metapher oder Antithese
abgeborgt hat, die ihm besonders prägnant und glücklich gewählt
erscheinen mochte. Im Ganzen bot ihm Plutarch's zahmer und
planer Styl in der North'schen Bearbeitung keine grosse Ausbeute
nach dieser Seite hin. Häufiger allerdings hat der Dichter längere
Stellen aus Plutarch verwerthet, und zwar im dramatischen Interesse
gerade solche, in denen der griechische Biograph seine Personen
redend einfĂĽhrt; aber ebenfalls im dramatischen Interesse hat Shake-
speare diese Stellen zu seinem Eigenthum gemacht und ihnen den
Stempel seines Geistes aufgedrĂĽckt durch Zuthaten, durch Aus-
lassungen und durch Umbildungen der verschiedensten Art, die
doch sämmtlich denselben Zweck erstreben und erzielen: die betref-
fenden Reden dem Charakter der redenden Personen und der jedes-
maligen Situation ausdrucksvoller anzupassen, als sie bei dem ur-
sprĂĽnglichen Referenten erscheinen.
A. 1, Sc. 1. Der erste Theil der Rede des Menenius zur Be-
schwichtigung der aufständischen Plebejer gehört durchweg unserm
Dichter an. Plutarch spricht nur ganz kurz von den many good
persnasions and gentle requests, made to the peuple, on behalf of
the Senate, die Menenius vorgebracht und fĂĽhrt ihn erst da redend
ein, wo er die von Shakespeare ebenfalls benutzte Fabel erzählt.
Der Unterschied der beiderseitigen Erzählungen betrifft zwei Punkte,
die hier sogleich als charakteristisch für weitere analoge Fälle hervor-
gehoben werden mögen. Einerseits verräth der Shakespeare'sche
Menenius schon in seinem Fabelbericht, im Gegensatze zu dem
trocken lehrhaften Fabelberichte des Plutarch, die humoristische
Ader, mit der ihn der Dichter auch fernerhin so treffend indivi-
dualisirt hat. Kein Wunder da, dass seine Vortragsweise die
naiven plebejischen Zuhörer lebhaft anregt und sie zu manchen
Unterbrechungen, neugierigen Fragen und dreisten EinwĂĽrfen ver-
anlasst, denen Menenius dann in seiner originellen und ĂĽberlegenen
Weise begegnet. Bei Plutarch folgt auf die nĂĽchterne Nutzanwen-
dung, die sein Menenius von der erzählten Fabel macht, die dürftige
Notiz: These pretensions paeified the people etc. — Zweitens hat
unser Dichter in die plane Redeweise, die er in der Plutarchischen
Fabel fand, eine ganze Reihe prägnanter Wendungen verwoben und
sie damit erst recht belebt und nüancirt. Wir können nur einige
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der hervorragendsten Proben hier beispielsweise citiren: still cup~
boarding the viand, heisst es vom faulen Bauche. Und wo Plu-
tarch von den andern Organen sagt: tvhere all other park diel la-
hour painfully and tvere very careful to satisfy tlie appetites and
desires of the body, da speeificirt Shakespeare in anschaulichster
Weise:
tvhere th 1 other Instruments
Did see and liear, devise, instruet, walk, feel,
And mutually partieipate did minister
Unto the appetite and affection common
Of the whole body. *)
Der Dichter fand im Plutarch, dass der Bauch gelacht habe: And
so the belly , all this notwithstanding , laughed at their folly, and
said — und er erweiterte diese Naivität zu einer schalkhaften
Wendung seines Menenius:
Tlie belly answer'd With a kind of smile
Wliich ne'er came from the lungs, hat even thus,
For look you, I may make the belly smile,
As well as speak, it tauntinyly replied
To the discontented members, the mutinous parts
Thai envied hĂĽ receipt.
Die Worte: even thus — muss Menenius mit einer Pantomime
begleitet haben, in der er solch ein Lächeln des Bauches nach-
ahmte, gewiss zur grossen Ergötzung seiner Zuhörerschaft.
Wir mĂĽssen es uns aus RĂĽcksicht auf den Raum versagen,
0 Nach Malone's Vermnthung hat unser Dichter an dieser Stelle nicht den
Plutarchischen Fabelbericht, sondern einen andern in Camden's Reniains (1605)
vor Augen gehabt, in welchem allerdings die einzelnen Sinnesorgane, wie bei
Shakespeare, in ihren resp. Functionen charaktcrisirt werden. Indess mochte
der Dichter leicht von selbst auf diese ihm gemässe anschaulichere Darstellung
gerathen, um so eher, als im Uebrigen die Fabel bei Camden vielfach von
Shakespeare's und Plutarch's gemeinsamer Erzählung abweicht, • So redet Cam-
den nicht vom Bauche, sondern vom Magen, gegen den sich die ĂĽbrigen Organe
thatsächlich zur Einstellung ihrer Funktionen verschwören. Nachdem sie dann
an sich selber die Ăśbeln Folgen ihres Strike verspĂĽrt haben, legen sie ihre
Streitsache nicht dem Magen, sondern dem Herzen vor, und die dort thronende
Vernunft äussert sich ungefähr so, wie bei Plutarch und Shakespeare sich der
Bauch zu seiner Rechtfertigung äussert. — Die spätem Herausgeber unseres
Dichters haben denn [auch mit gutem Grunde auf Malone's angebliche Ent-
deckung wenig Gewicht gelegt.
4*
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aus dem Verfolg des Fabelberichtes alle die bezeichnenden Details
der Redeweise hervorzuheben, welche Shakespeare zum Plutarch
hinzugefugt hat, und wir fahren fort, uns nach weiteren sprach-
lichen BerĂĽhrungspunkten zwischen Beiden umzusehen.
A. 1, Sc. 4. Diese Scene bietet nur zwei fast wörtliche Ent-
lehnungen. Wenn Marcius die Krieger auffordert, mit ihm in die
offenen Thore von Corioli einzudringen und wenn er ihnen zuruft:
'Tis for the followers fortune widens them,
Not for the fliers,
so fand er bei Plutarch : he did meourage his fellows with words
and deeds, erging out to them that Fortune had opened the gates
of the city more for the followers than the flgers. — Die zweite
Stelle, auf die bereits in einer vorhergehenden Abtheilung dieses
Aufsatzes hingewiesen wurde, enthält Worte des Lartius zu Ehren
des Coriolan:
Thon wast a soldier
Even to Cato's wish, not fieree and terrible
Only in Strohes, but with thy grim looks, and
The thunder-like 2wn<&<«*ow of thg sounds
Tliou mad'st thine enemies shake, as if the world
Was feverous and did tremble.
Sie sind gegrĂĽndet auf das, was Plutarch von Marcius bei Ge-
legenheit seines tapfern Angriffs gegen die Coriolaner sagt: For
he was even such another, as Cato would have a soldier and a captain
to be, not only terrible and fierre to lag about htm, but to make
the enemy afraid with the sound of his voice. — Wie sehr auch
hier der Shakespeare'sche Ausdruck sein Vorbild an Energie und
Prägnanz überbietet, das ergiebt schon eine einfache Zusammen-
stellung beider.
A. 1, Sc. 6. Die einzigen theilweise wörtlichen Uebereinstim-
mungen in dieser Scene betreffen Marcius' Frage nach der Schlacht-
aufstellung des Feindes und Cominius' Antwort. Dass aber bei
dieser Gelegenheit Cominius den Aufidius nennt und damit der
Kampflust Coriolan's einen neuen Antrieb und eine veränderte
Richtung giebt, das ist, wie schön oben angedeutet wurde, ein von
dem Dichter frei erfundener Zug.
A. 1, Sc. 9. Here is the steed, we the caparison — sagt Lartius
bildlich von Coriolan. Plutarch erzählt ohne Bild, Cominius habe
dem Coriolan, weil er vor allen Andern sich hervorgethan, geschenkt:
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a goodly horse with a caparison. — Die Anekdote zum Schluss
dieser Scene, dass Coriolan einen kriegsgefangenen Gastfreund
losbittet, entlehnte der Dichter aus Plutarch. Der Biograph spricht
aber nicht von einem armen Mann in Corioli, bei dem Coriolan
einmal im Quartier gelegen, sondern von einem reichen Volsker,
einem alten Freunde und Gastfreund des Coriolan, der, nun ver-
armt und gefangen, in die Gefahr geräth, in die Sklaverei verkauft
zu werden. Dass der Gastfreund bei der ErstĂĽrmung Corioli's den
Beistand des Marcius angerufen, dieser aber gerade den Aufidius
erblickt und darĂĽber den Nothschrei seines ehemaligen Wirthes
unbeachtet gelassen habe, dass er endlich, da Cominius seine FĂĽr-
bitte gewährt, den Namen seines Schützlings vergessen hat — das
Alles sind ZĂĽge, welche Shakespeare erst hinzugefĂĽgt hat, um die
Plutarchische Anekdote dem Charakter seines Helden mehr anzu-
passen und diesen Charakter gleichsam dadurch zu illustriren.
A. 2, Sc. 2. Die ersten Waffenthaten des Marcius, von denen
Cominius in seiner Lobrede spricht, erwähnt Plutarch im Eingange
seiner Biographie. Aber nur sehr Weniges hat Shakespeare wört-
lich davon beibehalten und manchen Zug hat er hinzugefĂĽgt, den
er nicht vorfand; so z. B. den, dass Marcius sich mit Tarquinius
selber im Kampfe gemessen. Von der Emphase des zweiten Theils
dieser Rede, der die Thaten des Marcius vor und in Corioli schil-
dert, gehört ohnehin Alles der Erfindung unsers Dichters an.
A. 2, Sc. 3. Shakespeare fand, wie schon vorher erwähnt
worden, die Einzelnheiten von dem 'edlen Hause der Marcier',
welche er dem Tribunen Brutus in den Mund legt, zu Anfang der
Plutarchischen Biographie berichtet. Er hat seine Quelle hier so
getreu benutzt, dass sich aus ihr ein zufällig im Shakespeare'schen
Texte ausgefallener Vers, den Censorinus betreffend, fast wörtlich,
wenigstens dem Sinne nach genau, ergänzen lässt. Freilich übersah
der Dichter dabei, dass wohl Plutarch, nicht aber der Tribun,
von Censorinus, von Publius und Quintus Marcius, die das beste
Wasser nach Rom gebracht, sprechen konnte, so wenig wie an
einer schon berĂĽhrten Stelle Lartius den Coriolan fĂĽr einen Krieger
nach Cato's Wunsch erklären durfte.
A. 3, Sc. 1. Wenn der Tribun Brutus sagt, Coriolan habe
die BegĂĽnstiger der Kornvertheilung genannt: Time-pleasers , flat-
terers, foes to noblcncss, so hatte der Plutarchische Coriolan sie
betitelt: People-pleasers, and traitors to the nobility. — Aehnlichen
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Anlehnungen begegnen wir in den folgenden Strafreden, welche
der Dichter seinen Helden an die 'höchst unweisen Patricier' halten
lässt. Aber selbst da, wo er theilweise wörtlich aus Plutarch
entlehnt, fügt er zur Erläuterung oder zur Verstärkung des ent-
lehnten Ausdrucks immer Etwas aus seinem eignen Wortschatz
ein. So z. B., wenn Plutarch sagt: Moreover, he said, they nou-
rished agabist themselves the naughty seed and cockle of insolency
and sedition which had been sowed and scattered abroad amongst
the pcople — so macht Shakespeare daraus:
I sag again,
In soothing tliem we nourish 'gainst our senate
The cockle of rebellion, insolence, sedition,
Which we ourselves have plough'd for, sow'd and scatter'd &c.
Wenn Shakespeare den Römischen Senat nennt:
a graver bendi
Than ever frown'd in Oreece —
so gerieth er auf diese Wendung, weil Plutarch weiterhin in der-
selben Rede von den vormals in Griechenland ĂĽblichen Kornver-
theilungen redet — eine Hinweisung, die der Dichter ebenfalls
daher entlehnt hat. Die Stelle lautet bei Plutarch : they (hat gave
counsel and persuaded that the com should be given out to tlie
common people gratis, as they used to do in the cities of Oreece,
where the people had more absolute power, did but only nourish
their disobedience, which would break out in the end, to the utter
ruin and overthrow of the whole state. — Dafür sagt Shakespeare :
Wlwever gave that counsel, to give forth
The com o' the store-house gratis, as 'twas us'd
Sometime in Greece
Though there the people had more absolute poiver,
I sag, they nourish' d disobedience, fad
The ruin of the state.
FĂĽr alles Andere in diesen Strafreden hat der Dichter wohl den
Gedankengang aus Plutarch entnommen, obgleich auch dann mit
mancher Modification, aber wörtliche Uebereinstimmungen sind
ausser den eben citirten nicht nachzuweisen.
A. 3, Sc. 3. Die Beschuldigung, dass Coriolan nach der
Tyrannis gestrebt habe, fand der Dichter fast mit denselben
Worten ausgedrĂĽckt im Plutarch: that all his actions tended to
usurp a tyrannical poiver over Rome. — Ob Shakespeare aber
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damit denselben bestimmten antiken Begriff verbunden hat, wie
Plutarch, das erhellt nicht aus seiner zweifachen Anwendung des
betreffenden Wortes:
tJiat he affects
Tyrannical power —
und ferner:
and to wind
Yourself into a power tyrannical
A. 4, Sc. 5. Mehr wörtliche Uebereinstimmungen als in irgend
einer frĂĽhern Partie dieses Drama's finden wir hier. In der That
ist die erste Rede, in welcher Coriolan sich dem Aufidius zu er-
kennen giebt, wenig mehr als eine Shakespeare'sche Versification
der Prosa des Plutarch. Nur einzelne eingeflochtene Kraftaus-
drücke gehören unserm Dichter an, so:
And suffer* d me by the voice of slaves to be
Whoop'd out of JRome —
wo Plutarch viel zahmer sagt: And let me be banish'd by the
peopk. — Auch das Folgende:
and stop those maims
Of shame seen through thy country —
ist ein Shakespeare'scher Zusatz. Endlich der Schluss der Rede:
and present my throat to thee It be to do thee Service —
lässt in seiner energischen Steigerung den matten Abfall derselben
Rede bei Plutarch kaum wiedererkennen: And it were no wisdom
in thee to save the life of him ivho hath been heretofore thy mortal
enemy, and tvhose service now nothing can help nor pleasure thee. —
FĂĽr den weitem Verfolg des Dialogs, die Antwort des Aufidius,
sah sich der Dichter dagegen gänzlich auf sich selber angewiesen,
denn Plutarch bot ihm da nur folgende Replik: Stand up, oh
Marcius, and be of good cheer; for in proffering thyself unto us
thou doest us great honour, and by this means thou mayst hope
also of greater things at all the Volsces' hands. — Dafür musste
Shakespeare der Antwort des Aufidius Alles einverleiben, was
Plutarch, wie schon oben nachgewiesen wurde, erst der spätem
Erzählung vorbehält: die augenblickliche Kriegsbereitschaft der
Volsker und die Aufforderung an Coriolan, den Oberbefehl mit
Aufidius zu theilen.
A. 5, Sc. 3. Die Rede der Volumnia bei Shakespeare steht
in ähnlichem Verhältniss zu der bei Plutarch, wie Coriolan's Rede
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in der zuletzt betrachteten Scene. Bei vielfacher wörtlicher Ent-
lehnung hat auch hier der Dichter den matteren Plutarchischen
Ausdruck mit seinem energischeren vertauscht. So setzt er :
Making the mother, wife and child to see
The son, the husband, and the father tearing
His country* s bowels out —
wo Plutarch sagt: making myself to see my son, and my daughter
hcre, lwr husband, besieging the tualls of hü native country. — So
sagt Shakespeare ferner:
for either thou
Must, as a foreign recreant, be led
With manacles through our streets, or eise
Trmmphantly tread on thy country's ruin
And bear the palm for having bravely shed
Thy wife and children's blood —
wo Plutarch sagt: And I may not defer to see the day, either tliat
my son may be led in triumph by his natural country -men, or
that he himself do triumph of them and of his natural country. —
Die Worte, welche Virgilia und ihr junger Sohn der ersten Rede
der Volumnia hinzufĂĽgen, haben nichts Entsprechendes bei Plu-
tarch. — Auch für den ersten Theil der zweiten Rede der Vo-
lumnia, die bei Plutarch mit ihrer ersten Rede ein Ganzes bildet,
konnte der Dichter den Gedankengang und theilweise den Aus-
druck seiner Quelle entnehmen, obgleich letzterer auch hier viel- 1
fach von ihm gesteigert und erweitert scheint. Man vergleiche
•den Shakespeare'schen Passus: The end of war is uncertain
To the ensuing age abhorr'd — mit dem entsprechenden Plutarchi-
schen Original: So, though the end of war be uncertain, yet this
noUvitJistanding is most certain, that if it be thy chance to conquer,
this benefit shalt thoxi reap of thy goodly conquest to be chronicled
thc plague and destroyer of thy country. And if Fortune over-
throw theo, then the ivorld will say that through desire to revenge
thy private injuries, thou hast for ever undone thy good friends,
who did most lovingly and courteously receive tliee. — Von solcher
Alternative, welche Volumnia hier aufstellt, berĂĽcksichtigt Shake-
speare mit gutem Grunde nur den ersten Satz und ĂĽbergeht den
ungeschickt angebrachten Gegensatz. — Bei Plutarch macht Vo-
lumnia nach den citirten Worten eine Pause, indem sie die Ant-
wort ihres Sohnes abwartet, und fährt dann fort: My son, why
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— 57 —
dost thou not answcr me? — entsprechend dem Shakespeare'schen:
Speak to me, son! — Auch im Folgenden findet sich manche wört-
liche Uebereinstimmung, wie z. B. Plutarch's Worte: dost thou
taJce it honorable for a noble man, to remember tfie wrongs and
injuries done him — und seine Worte : besides, thou hast not hitherto
showed thy poor mother any eourtesy — fast unverändert in den
Text des Drama's mit hinübergenommen sind. Daneben enthält
aber diese Schlussrede der Volumnia ganze Partieen, welche der
Dichter aus sich selbst und nicht aus dem Plutarch geschöpft hat.
So z. B. die Verse: Thou hast affected the fine strains ofhonour —
Thai slimild but rive an oak — und ebenso die Verse: WJienshe
(poor hen) Loaden with honour. — Was auf den zuletzt
citirten Passus folgt bis zum SchlĂĽsse der Rede: die Hinweisung
auf den Beinamen Coriolanus, die Vermuthung, dass Coriolan ein
Volsker sei, sein Weib in Corioli lebe und sein Knabe ihm nur
zufällig ähnele — alle diese prägnanten Züge, welche erst die
Wirkung der mĂĽtterlichen Rede auf Coriolan begreiflich machen,
fehlen gänzlich bei Plutarch. — Coriolan's Antwort ist theilweise
aus Plutarch entlehnt, bei dem sie lautet: Oh mother, what have
you done to nie? Oh mother, you have won a happy victory for
your country, but mortal and unhappy for your son: for I see
myself vanquished by you ahme. — In Shakespeare's Bearbeitung
dieser Vorlage iĂźt die Hindeutung auf Coriolan's unvermeidliches
Verderben viel bedeutsamer hervorgehoben und an's Ende gerĂĽckt:
Most dangerously you have with him prevaiVd,
If not most mortal to him. Bat let it comc. —
Eingeschoben hat unser Dichter die Worte: a
Behold, the heavens do ope,
The gods lock down, and this unnatural scene
They laugh at —
von denen sich bei Plutarch keine Spur findet. — Dass Coriolan
sodann an die Empfindungen des Aufidius appellirt und erklärt,
mit ihm nach Antium zurĂĽckgehen zu wollen, musste ebenfalls
bei Plutarch fehlen, der, wie wir schon vorher sahen, den Aufidius
bei diesem Auftritt überhaupt nicht zugegen sein lässt.
Die folgenden Schlussscenen des Drama's sind in ihrem Ver-
hältniss zu den entsprechenden Partieen bei Plutarch in Bezug
auf das Scenarium und auf die Charakteristik bereits oben ge-
wĂĽrdigt worden. In Bezug auf die Sprache bieten sie, so wenig
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wie alle ĂĽbrigen, in diesem dritten Theil unserer Abhandlung des-
halb ĂĽbergangenen Scenen, zu weiterer Notiznahme keinen Anlass,
weil sie eben keine sprachlichen Reminiscenzen aus Plutarch ent-
halten. Wir können also hiemit unsere Untersuchung über den
Coriolanus abschliessen und das Ergebniss derselben dahin zu-
sammenfassen, dass Shakespeare fĂĽr sein Drama der Plutarchi-
schen Biographie quantitativ wie qualitativ weit weniger zu ver-
danken hat, als man gemeiniglich anzunehmen geneigt ist. Den-
selben Nachweis für die beiden anderen Römerdramen unseres
Dichters zu liefern, muss einer spätem Gelegenheit vorbehalten
bleiben.
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Uebor und zu Mueedorus.
Von
Wilhelm Wagner.
Dass der 'wunderliche Mueedorus' nicht von Shakespeare her-
rĂĽhren kann, darĂĽber muss natĂĽrlich Alles einig sein, und so
leicht wird sich keine Stimme mehr fĂĽr die Tieck'sche Hypothese
erheben. Deshalb wäre es aber doch unvernünftig, dies allerdings
höchst barocke Machwerk fortan unberücksichtigt zu lassen; jetzt,
wo uns in dem zweiten Bande von N. Delius' 'Pseudo-Shakspere-
schen Dramen' ein Abdruck dieses seit langer Zeit nicht wieder
aufgelegten Drama's zugänglich ist, mag es vielmehr gestattet
sein, einige Punkte, welche sich noch zur Aufhellung darbieten
und die von dem letzten Herausgeber mit Stillschweigen ĂĽber-
gangen worden sind, einer Erörterung zu unterziehen.
Das StĂĽck wird, wie Delius S. VII anfĂĽhrt, in dem satyrischen
Drama Fletcher's: 'TheKnight of the Bnrning Pestle' (ziemlich zu
Anfang) erwähnt, wo (p. 451 von Bd. 2 der Londoner Ausgabe von
1811 in 4°) zur Empfehlung von Ralph's mimischer Kunst gesagt
wird: Nay, gentlemen, he hath play'd before, my husband says, Mu~
sidorus, before the Wardens of our comjmiy. In der Anmerkung
zu dieser Stelle sagt G. Colman, dass Mueedorus zuerst im Jahre
1598 gedruckt und 1610, 1615, 1629 und 1668 neu aufgelegt wor-
den sei. Hiezu kommen nach Delius a. a. 0. noch Ausgaben von
1606 und 1621. Die letztere ist deshalb bemerkenswerth, weil sie
auf dem Titel speziell besagt, dass das StĂĽck before the King's Ma-
jesty at WJätchall on Shrove-sunday night by Iiis Highness' Servants
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usnally playing ot tJie Globe aufgefĂĽhrt worden sei, also von der
Truppe, welcher Shakespeare selbst einst angehörte. Hier ist wohl
die einzige Quelle jener wahnschaffenen Ansicht, dass der grosse
Dichter mit dem Mucedorus ĂĽberhaupt etwas zu thun gehabt habe.
Die New Additions, welche auch auf dem Titel der Ausgabe von
1621 erwähnt werden, sind, wie Delius richtig bemerkt, in dem
Prolog und den beiden Dialogen zwischen Envy und Comedy zu
Anfang und Ende des Stückes zu suchen. Es wäre indessen
interessant gewesen, durch eine Vergleichung mit frĂĽheren Aus-
gaben den Umfang dieser Additions genau zu constatiren, und das
hat Delius leider nicht gethan. Delius hat sich nämlich darauf
beschränkt, die letzte und offenbar corrupteste, jedenfalls am mei-
sten ĂĽberarbeitete Ausgabe des StĂĽckes, von 1668, abdrucken zu
lassen; nur in der Vorrede gibt er Nachträge aus einer ihm von
K. Elze zur VerfĂĽgung gestellten Abschrift der Ausgabe von 1621.
Ralph hatte aber jedenfalls den Mucedorus in einer andern
Fassung gespielt. Die erste Ausgabe von Fletcher's Knight of the
Buming Pestle erschien 1613, und da wir es dort mit einfachen
BĂĽrgern von London zu thun haben, so ist wohl klar, dass Ralph
sich mehr nach der 1606 erschienenen Ausgabe gerichtet haben
wird, deren Titelblatt den Vermerk trägt: Newly set foorth, as it
Jiaih hin sundry times playde in the honorahle Cittie of London;
denn das ist offenbar als eine AuffĂĽhrung von London Citizens zu
verstehen.
Die grösste Zugkraft bei diesem' Stücke werden gewiss die
komischen Stellen besessen haben, und gewiss wurden vor einer
Versammlung Londoner BĂĽrger noch ganz andere Witze gerissen,
als vor dem Hofe. So ist wohl klar, dass bei Hofe die Bemerkung
des Clown S. 25: Have not we Lords enoiigh on ns in the Court?
anders aufgefasst wurde als in der Stadt; die darauf folgenden
Worte: why, shepherds are men, and längs are no more, möchten
speciell auf den König gemünzt sein, der sich als einen notfirjv
Xawv auffassen mochte. Oder sollte man an die AuffĂĽhrung von
Pastorais bei Hofe denken? Das scheint kaum wahrscheinlich.
Ich sollte meinen, dass die Stelle S. 50, wo der thörichte
Clown von dem König zum Dank für seine gute Nachricht zum
Ritter geschlagen werden soll, in der Stadt gewiss Gelegenheit zu
Witzen auf die etwas zu häufige Verleihung der Ritterwürde durch
Jacob I. gegeben haben wird. Namentlich sollte man meinen, dass
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das Adjectiv lean sogleich Gedanken erregt haben mĂĽsse an die
ausgehungerten bettlerhaften Schotten, welche Jacob I. zu Rittern
machte.
Der Dichter — oder die Dichter — des Mucedorus haben auch
einige Gelehrsamkeit — sie ist freilich nicht weit her — in ihrem
Machwerk anzubringen gesucht. So enthält, um nur dies anzuführen,
die Rede des Mucedorus S. 41 Anklänge an Horaz Sat. I 3, 99 fgg.,
und die einzige Scene, in welcher sich ein edler Styl bemerklich
macht und wo die Sprache einen höhern Schwung zu nehmen
scheint, S. 34—36, gemahnt in mehr als einem Punkte an Shake-
speare'sche AusdrĂĽcke und Gedanken. Dies ist auch, wenn ich
recht beobachtet habe, die einzige Scene, welche in echt Shakespeare-
scher Weise mit einem Reimpaare schliesst.
Eine Anspielung ist aber vor allen Dingen zu beachten, da
dieselbe, wie mir scheint, fĂĽr die Feststellung der Tendenz der uns
vorliegenden Bearbeitung des Mucedorus von Bedeutung sein kann.
Ich glaube nämlich kaum, dass Mucedorus. ein ernst gemeintes
StĂĽck ist. Wir sollten dasselbe als eine Burleske betrachten, bloss
auf das Amüsement der Zuhörer, gewiss auf keine Katharsis be-
rechnet. Dass der tragische Theil des StĂĽckes nur ganz flĂĽchtig
skizzirt ist und sich gerade nur in den dĂĽrftigsten Redensarten
dieser Gattung bewegt, steht hiemit in Einklang; dass auch Scherze
und Witze mit einlaufen, versteht sich von selbst. S. 13 fragt
Segasto den Clown: how sJipuld I know thee? worauf dieser erwi-
dert: why then, you knoiv nobody, and (d. h. an) you know not
me; I teil you, Sir, I am goodman Rat's son of the next parish
over the kill. Dies ist eine offenbare Anspielung auf Thomas Hey-
wood's sehr populäres Stück If you know not me, you know no-
bodie, zuerst 1606 und 1608 gedruckt. Die Stelle, worauf ganz
besonders angespielt wird, hat auch K. Elze neuerdings bei Gelegen-
heit von S. Rowley's Historie: When you see me, you know me
(Dessau 1874) S. VI angezogen; sie lautet: Knowest thou not me,
Queen? Then thou knowest nobody. Bones a me, Queen, I am
Hobson, old Hobson; By the Stocks, I am sure, you know me.
Delius hat es in seiner Einleitung abgelehnt, etwas fĂĽr die
Emendation des schwer verderbten Textes des Mucedorus zu thun.
Ich kann ihm darin, offen gestanden, nicht Recht geben und erlaube
mir hier, eine Reihe von Vorschlägen im Anschluss an seine Aus-
gabe vorzubringen, welche vielleicht bei einem spätem Heraus-
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geber des Stückes Berücksichtigung finden mögen. 1 ) Ich kann
nicht glauben, dass der Verfasser des Mucedorus keinen regelrechten
Blankvers zu bauen verstand (Delius S. XI), wohl aber glaube
ich, dass der Mensch, welcher die cuiing copy einer umherziehenden
Schauspielergesellschaft zum Druck beförderte, darin ziemlich un-
erfahren war. Wenigstens lässt sich in einer ziemlichen Anzahl
von Stellen noch der Vers leicht erkennen und herstellen, ohne
dass man zu sehr gewaltsamen kritischen Operationen seine Zuflucht
zu nehmen braucht; ja an manchen Stellen ist die Emendation
schon deshalb nicht abzuweisen, weil durch sie erst Sinn in das
Ganze gebracht wird. Ich will also, ohne den Verdiensten des
von uns allen hochgeehrten Delius zu nahe zu treten, meine kriti-
schen Vorschläge vorbringen; es wird, wie dies ja auch bei Kon-
jekturen zu altklassischen Autoren zu gehen pflegt, gewiss manches
Verfehlte darunter sein, doch bin ich ĂĽberzeugt, dass auch Man-
ches ein bleibender Beitrag zur Kritik des StĂĽckes sein wird, und
jedenfalls will ich meine Zweifel immer ehrlich bekennen. In Be-
treff der 'Auslassungen oder Einschiebsel entsprechender Wörter
und Wörtchen' (Delius a. a. 0.) möchte ich aber doch noch auf
den ganz analogen Fall der Plautinischen Kritik verweisen, bei
der man auch ohne dies Hilfsmittel nicht auskommen wird.
Dass der uns vorliegende Text nichts weiter als eine acting
copy ist, zeigt schon das Personenverzeichniss , welches sich mit
seiner Bemerkung: ten persans may easily play it, ganz an eine
itinerante Truppe zu wenden scheint, 'deren Kräfte beschränkt sein
mĂĽssen. Auf die frappante Aehnlichkeit einer solchen Rollenver-
theilung, wobei ein Schauspieler je nach BedĂĽrfniss mehrere Rollen
ĂĽbernehmen muss, mit der aus den PersonenĂĽberschriften des codex
Bembinus fĂĽr die StĂĽcke des Terenz zu erschliessenden Vertheilung
sei nur ganz nebenbei hingewiesen.
Uebrigens dürfte hier gleich bemerkt werden, dass der König
Adrästus heisst (S. 15), und dass Romelio S. 42 (die einzige Stelle,
wo er auftritt) Rumbelo genannt wird. Es fehlen in dem Personen-
verzeichniss Roderigo und Lord Barachius, vgl. S. 34; letzterer
heisst ĂĽbrigens S. 53 Brachius.
') Die englische New Shahtpere Society beabsichtigt eine neue Ausgabe des
Mucedorus. Hoffentlich wird man ja dabei alle existirenden Ausgaben des
Stückes vergleichen und die verschiedenen Lesarten vollständig mittheilenu
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- 63 —
S. 3, V. 4 entschieden with statt wich, was wohl blosser Druck-
fehler ist. Dabei sei bemerkt, dass Delius' Ausgabe leider an dieser
unangenehmen Beigabe keinen Mangel hat. — V. 6 und 1 5 scheint
mir Bellona (an zweiter Stelle sogar swcet B., wo das Adjectiv
doch ganz unpassend ist) keinen rechten Verstand zu haben ; doch
weiss ich nicht zu helfen. — V. 15 würde ich still vorziehen. Zwei
Zeilen weiter muss es statt name wohl heissen fame, und goddess
ist natĂĽrlich als Genitiv zu fassen. To disturb somebody's name
scheint mir kein Englisch zu sein, wenn man nicht wenigstens
good hinzusetzt; vgl. Othello's he (hat from me filehes my good name.
S. 4, V. 1 vielleicht appall statt appale. V. 2 ist wohl nach
shiver die Präposition in ausgefallen; die Nymphen werden erschreckt
und zittern in ihren Reigen. Freilich warum sie gerade nach dä-
nischen Höhlen fliehen müssen, wie es im dritten Verse heisst, be-
kenne ich nicht zu verstehen. In der vierten Zeile erfordert nicht
bloss der Vers, sondern auch die Grammatik die Einschiebung des
Artikels a vor noise; dem Vers allein zu Liebe lesen wir zu An-
fang heark, hea/rken. (Nach noise muss man natĂĽrlich Auslassung
des Relativpronomens annehmen.) V. 7 ist breath reiner Unsinn;
man lese reach. Ebenso ist zwei Zeilen weiter chival eine vox
nihili; man lese rival: die Invidia ist die Rivalin des Kriegsgottes,
und gerade darin, dass er selbst den Kranz ihr herabreicht, ist die
Anerkennung ihres Verdienstes zu suchen. — V. 19 muss es statt
delighting entschieden delights heissen; die drei Verben seeks —
delights — bringeth stehen auf gleicher Stufe, während das Particip
mixt zu mirth gehört. Der Gegensatz zu delights ist dann V. 23
delightst (wie dort zu lesen). Uebrigens darf nach V. 21 kein
Doppelpunkt, sondern höchstens ein Komma gesetzt werden; denn
delightst V. 23 ist das zu thoii 21 gehörende Verbum. — V. 28
soll wohl heissen: give me but leave.
S. 5, V. 10 verstehe ich methods nicht, ebenso wĂĽnschte ich
ein anderes Wort V. 18 statt prove. (Im vorhergehenden Verse
soll es doch wohl with thy tr. fumes heissen?)
S. 6, V. 8 ist in zwei Verse zu theilen und so zu schreiben:
But my Anselmo, loth I am to say f
I must estrange my friendship.
Der Prinz sagt: ich muss meine Freundschaft entfremden — nicht
von Dir, sondern von dem Reiche (indem ich in die Fremde gehe).
Nach V. 10 ist ein Punkt zu setzen. V. 13 sind die Worte Had
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as einfach sinnlos; mindestens verstehen liesse sich Such as. V. 16
lies lest statt less.
S. 7, V. 4 trivial ist vielleicht nicht das richtige Wort. V. 19
möchte ich once am Ende zufügen.
S. 9, V. 10 ist Majesty nicht richtig; denn Mncedorus hat
noch gar nicht gehört, dass Amadine eines Königs Tochter ist.
Ich glaube, dass der Vers ursprĂĽnglich einfach lautete: tvith Wil-
ling heart I yield it to yottr hands. V. 20 verbessere man den
Druckfehler bur in hut; V. 25 ist gewiss zu Anfang And ausge-
fallen, was um so leichter geschehen konnte, als auch der vorher-
gehende Vers mit And begann. Im folgenden Verse ist vielleicht
zu Ende ein einsilbiges Wort wie hcre verloren gegangen; in V. 27
aber fehlt entschieden his vor father's.
S. 10, V. 2 ist die kürzere Form speciälly anzunehmen.
S. 11, V. 12 verbessere man den Druckfehler in 'proof. —
V. 19 muss wohl als Ausruf selbständig gefasst werden: Accursed
I f in ling'ring life thus long! Dann V. 20 Komma nach thus.
S. 12, V. 3 ist der Punkt nach live — statt des von dem
Sinne geforderten Kommas — wohl bloss Druckfehler. Ebenso sind
weiter unten V. 19 te und V. 21 ujmn Druckfehler fĂĽr to und upon.
Auf der nächsten Seite, Z. 22, lies know statt knew. S. 14, Z. 6
v. u. sorroivful. Z. 2 v. u. tvith.
S. 15, V. 1 halte ich die von Delius S. XIII mitgetheilte Con-
jectur K. Elze's — are foil'd — für das überlieferte the foil für
unmethodisch; ich möchte to foil vermuthen. Vgl. weiter unten
S. 31, V. 3 what a foil Jmdst thon. Die beiden folgenden Zeilen
sind offenbar als richtige Verse so zu fassen (was gewiss die ein-
fachste aller metrischen Correctnren ist):
It us behoves to use such clemency
In yeace as valour in the wars;
und diesem Paar genau entsprechend die nächstfolgenden:
'Tis as great honour to be bountiful
At home as conquerors in the field.
V. 11 ist durch eine leichte Umstellung zu verbessern:
And reign hereafter as tofore I have done.
V. 19 wird dadurch correct, dass man Tremelio als extra versum
stehend auffasst — was bei Eigennamen öfter der Fall ist.
V. 20 muss am Ende natĂĽrlich kein Punkt, sondern ein Komma
stehen.
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— 65 —
S. 16, V. 5 ist zunächst der Druckfehler (bounties) zu ver-
bessern, dann aber V. 7 des Metrums halber to vor dem Infinitiv
auszulassen; vgl. Abbott, Shakesp. Gr. § 349, wo p. 249 aus Ben
Jonson's Sejanus III, 1 citirt wird if tke Senate still command me
serve. Ein Beispiel wie dieses beweist klar die Zulässigkeit me-
trischer Oorrecturen, da hier offenbar nur die Unkenntniss der
älteren Sprache die Verderbniss des Textes veranlasst hat. (Zwei
Zeilen weiter ist der Druckfehler you zu verbessern.)
[S. 17 der Druckfehler sqeak fĂĽr speak zu verbessern.]
S. 18 muss Segasto's erste Rede wohl so gelesen werden:
Well, Sir, aivay. Tremelio, this is it:
Thou Icnow'st the valour of Segasto spi'ead
Thorouyh all the kingdom of Aragon;
And stich as have founä trhimph and favours
5 Never daunted me at any Urne: lut notv
A shepherd is admir'd in court for worĂĽiiness,
And all Segasto's honour laid aside.
My will therefore is this, that thou dost find
Some means to work the shepherd's death: I know
10 Thy strength safficient to perform — thy love
No other than to wreak my injuries.
V. 3 ist zwar etwas holperig, indessen der älteren Versification,
in der wir uns den Mucedorus ursprĂĽnglich geschrieben denken
sollten, doch nicht widerstrebend. Die alte Form der Präposition,
die auch Shakespeare noch kennt, ist ohne Zweifel von dem spä-
teren und mehr geläufigen through verdrängt worden. V. 4 erscheint
mir durchaus nicht sicher. Es ist wohl möglich found in zwei
Silben zu zerdehnen, doch ist bei dem sonst stumpfen Schluss der
Verszeilen favours verdächtig. Vielleicht hiess die Zeile ursprüng-
lich: And such as triumph have and favours found, wobei dann
die von dem Gewöhnlichen abweichende Wortstellung die Veran-
lassung zur Aenderung wurde. V. 5 erhält durch die von mir
vorgenommene Einschiebung von me erst Sinn. V. 6 habe ich is
eingeschoben, welches Delhis' Ausgabe an anderer Stelle bietet,
freilich gegen das Original, und noch dazu zum Verderb des Vers-
masses. Da der Vers ein Sechsfüssler ist, so lässt sich vielleicht —
aber keineswegs mit Sicherheit — vermuthen, dass statt ivorthincss
das einfache und gleich gute toorth herzustellen sei. V. 7 scheint
kaum etwas Besseres möglich, als die Zufügung des dem Sinne
Jahrbuch XI. 5
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und Metrum genügenden aU. V. 8— 11 stehen bei Delius als Prosa
und sind doch klärlich Verse. Ich hatte weiter nichts zu thun,
als V. 10 das Glossem my desire nach per form auszulassen, auch
war noch and vor thy love hinzugefĂĽgt worden, und inV. 11 ivise
nach other zu streichen, sowie für das geläufige revenge das ältere,
seltenere wreak einzusetzen.
Auch die folgende Rede Tremelio's ist leicht zu verbessern:
'Tis not a shepherd's frowns Tremelio fears:
Count it accomplisht what I tdke in hand.
Man frage sich doch auch ehrlich, ob durch solche Ausscheidung
prosaischer Wörtchen nicht die Rede selbst an Kraft gewinnt, und
ob nicht schliesslich die Wiederherstellung der ursprĂĽnglichen me-
trischen Fassung, auf welche Delius freiwillig verzichtet, erst eine
richtige Beurtheilung des Stückes ermöglicht.
In der Antwort des Segasto wĂĽrde ich in der zweiten Zeile
what I do promise lesen; in der Erwiderung des Tremelio in der
zweiten Zeile stand you by a white. Die dritte Zeile ist überzählig,
ich enthalte mich aber zu sagen, was ich davon halte. Die letzte
Zeile der Seite aber lautete sicher in ihrer ursprĂĽnglichen Fassung:
Accursed villain, what is't thon hast done?
S. 19 ist die Rede des Segasto 'hopelessly corrupt' ; hier liesse
sich ein Versuch der Herstellung wohl erst nach Vergleichung der
ältesten Ausgabe wagen. Die Rede des Mucedorus zu Anfang von
S. 20 ist — wenigstens wie sie jetzt dasteht — reine Prosa, wenn
ich auch mir wohl eingebildet habe, darin die Spuren solcher Lang-
zeilen zu entdecken, wie sie das älteste englische Drama kennt.
Auch hier wäre es wünschenswerth zu wissen, wie die älteste Aus-
gabe liest. Sollte aber in der Rede des Bremo, Z. 6, nicht aimless
statt cndless zu lesen sein? Wenigstens ist mir endless in der Be-
deutung von aimless nicht bekannt, und 'endlos' hat an dieser Stelle
keinen Sinn. In der vorletzten Zeile dieser Seite ist Not me ein
einfältiger Zusatz, der den Vers verdirbt und den gewiss jeder
verständige Schauspieler von selbst auslassen würde. Ebenso
möchte ich rathen, zu Anfang von S. 21 entweder with me auszu-
lassen, oder combat with me zu schreiben. In der drittletzten Zeile
von Bremo's Rede fehlt nach suffweth eine Silbe, und da lässt sich
allerdings gar Vieles denken ; ich möchte vorschlagen : one pat snf-
ficeth straight to work my will. In der Rede des Mucedorus möchte
ich lesen: ThĂĽ" 1 not of any malice; in der Antwort des Segasto
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gewinnt der Vers an Correctheit , die Rede an Kraft, wenn man
mit Auslassung des mĂĽssigen and liest: I seek for justice; justice
craves his death. In der drittletzten Zeile dieser Seite ist der
Druckfehler (yon fĂĽr you) zu berichtigen.
S. 22 ist die Rede Amadine's leicht in Verse zu fassen:
Dread Sovereign and tuell-beloved Sire,
On bended knee I crave the life of this
Condemned shepherd, which tofore preserv'd
The life of thy sometime distressed daughter.
In des Königs Antwort braucht wohl sometime nicht wiederholt zu
werden; es genĂĽgt:
Preserv'd the life of my distressed daughter?
In der dritten Zeile dieser Rede möchte ich herstellen:
Wherein thou wast distress'd, nor kneiv the day.
In Amadine's Antwort darf zu Ende der ersten Zeile kein Punkt,
sondern nur ein Komma stehen; in der dritten Zeile ist adoum
statt des gewöhnlicheren dmvn zu lesen; zu Ende wohl: I do refer
it to Segasto's credit. In der hierauf folgenden Rede Amadine's,
Z. 5 v. u., darf nach dread kein Semikolon stehen, sondern nur
Komma, dagegen Semikolon nach Amadine Z. 4 v. u.
S. 23, V. 2 Komma nach you, nicht Punkt! V. 10 ist in
zwei Verse aufzulösen:
Come hither, bog; lo, here it is,
Which I present unto your Majesty.
In dem zweiten Theile war do ebenso auszulassen, wie wir es
vorher zugesetzt haben. V. 13 wohl often statt oftmtimcs. V. 22
umzustellen: Segasto, cease the shepherd to accuse. V. 24 sollte
shepherd als extra versum betrachtet werden.
S. 24, V. 12 verbessere man den Druckfehler knaverie (statt
knaveric). In den fĂĽnf Versen, welche Mucedorus allein spricht,
scheint doch der Sinn zu der Annahme zu drängen, dass nach der
dritten Zeile ein Vers zum Mindesten ausgefallen sei.
S. 25, Z. 7 v. u. natĂĽrlich hear statt bear, ob das nun Druck-
fehler bei Delius sein mag oder nicht. In der darauf folgenden
Zeile ist in pain f wenn correct, jedenfalls sehr ungewöhnlich; man
sagt sonst on pain. Zu Ende der drittletzten Zeile der Seite ist
ein Fragezeichen zu setzen.
S. 26, V. 4 lese man and ye siveet-smelling savours.
S. 27, V. 12 sollte ich denken, dass es heissen mĂĽsse: Idare
5 *
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not promise, what I may n't per form. Gleich darauf ist der Druck-
fehler wliar (statt what) zu verbessern. In der Antwort des Mu-
cedorus, V. 4, möchte ich let htm dem nur bei sehr nachlässiger
Redeweise erklärlichen let them vorziehen.
S. 28, V. 2 as he ist zum nächsten Verse zu ziehen, welcher
dadurch erst vollzählig wird:
As he, eelipse thy credit through the Court.
Die folgende Zeile wird durch Ausscheidung überflüssiger Wört-
chen metrisch:
No, ply, Segasto: let it not bc said.
S. 29, V. 3 cannot (Druckfehler!); Z. 5 forgotten (Druckfehler!).
Z. 19 erfordert der Sinn: I thought 't would he seven years. Z. 8
v. u. frustrate (Druckfehler!).
S. 31, V. 6 wĂĽrde ich nicht zaudern wantst statt des im Ori-
ginalabdrucke stehenden ivants zu schreiben; man bemerke, dass
strength folgt, mit st im Anlaut. Vergleiche auch oben S. 4 de-
lights fĂĽr delightst (Delius p. XII).
S. 32, Z. 7 v. u. verlangt die Sprache go look f or your pot.
S. 33, Z. 1 ist der Schlussbuchstabe in but abgesprungen.
S. 34, Z. 10 u. 11 sollten nicht als Verse gedruckt sein; es
ist simple Prosa. In der darauf folgenden Rede des Clown muss
nach Z. 4 donc ein Komma, kein Punkt gesetzt werden; dann
muss zu Anfang der nächsten Zeile be vor not zugefugt werden;
es konnte — wenn es wirklich im Originaldruck fehlt — nach he
leicht ausfallen.
S. 37, Z. 3 u. 4 ist offenbar Prosa; weshalb steht es also wie
Verse gedruckt? Z. 12 v. u. twenty (Druckfehler!).
S. 39, Z. 3 lese man My Bremo? als verwunderte, unwillige
Frage. Z. 3 v. u. Blackbirds (Druckfehler!).
S. 40, Z. 2 freely (Druckfehler!). Z. 16 kenne ich wenigstens
mucigolds nicht; haben wir es mit einem Druckfehler fĂĽr marigolds
zu thun? Z. 5 v. u. Hesse sich vermuthen: Say,' sirrafi, wilt thou
fight, or doest thou die?, jedenfalls ist aber zu Ende der Zeile ein
Fragezeichen zu setzen! Die dritte Zeile v. u. ist überzählig,
während die vorhergehende nicht genug Silben hat. Wie wäre
es, wenn die eine der andern etwas von ihrem Ueberfluss abgäbe,
etwa in folgender Weise:
Mu. I want a weapon; hoiv then can I fight?
Bre. Thou want* st a weapon: uhy, thou yield'st to die!
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Hierdurch scheint mir wiederum die Rede an Kraft und Ausdruck
zu gewinnen.
S. 41, Z. 2 v. u. muss wegen des Verses such ausgelassen
werden.
S. 43, Z. 8 liest sich walked sonderbar; ist es beabsichtigt
oder falsche Lesart? Dagegen in der dritten Zeile v. u. muss
sicher stielt a gelesen, sowie nach sits zu Ende der Seite ein Komma
statt des unpassenden Punktes gesetzt werden.
S. 44, V. 2 schiebe man and nach come ein. Sollte nicht
Z. 3 v. u. vielmehr defer als refer gemeint sein?
S. 45 in Bremo's erster Rede trenne man was't statt der
zweiten Person wast. Z. 6 v. u. ist me nach teil einzuschieben.
S. 46 schreibe man:
Then have at thine. So lie there, and die —
A death (no doubt) according to desert.
Z. 8 v. u. streiche man die ĂĽberflĂĽssigen Buchstaben lo vor long.
S. 48, V. 5 weUl statt weel. V. 7 doch wohl pugnando statt
pugsnando, da mit der sonst anzunehmenden Verketzerung des latei-
nischen Wortes, so weit ich sehen kann, kein Witz verbunden
sein könnte. In den bald darauf folgenden Worten des Mucedorus
ist nach der Grammatik zu lesen, und dabei gewinnt wieder der
Vers:
And, Amadine, why wilt thou none bitt me?
S. 49, V. 3 Aragonian (Druckfehler!), dann V. 4 Komma nach
hing, nicht Punkt! Z. 8 v. u. erhält man einen richtigen Vers
durch Annahme der gleichbedeutenden Form gladden statt glad,
und ebenso Z. 2 v. u. durch Einsetzung von but statt des zu
langen except.
S. 53, letzte Zeile v. u. lese man turned down thy blocke,
mit Auslassung von upside.
S. 54, Mitte, ist das wohl vereinzelt dastehende sancted recht
auffallend; sollte es nicht sainted heissen mĂĽssen?
S. 55 Ende der ersten Rede der Envy erfordert der Sinn your
statt our.
S. 56, V. 4 we'll statt weel.
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Emendationen und Bemerkungen zu Marlowe.
Von
AViLhelm Wagner.
1. In dem Jew of Malta, Akt 1, Sc. 2 erscheinen 'Bassoes',
um mit dem Gouverneur von Malta zu unterhandeln. Auf die
Frage desselben:
Now, Bassoes, what deniand you at our hands?
erfolgt die Antwort:
Know, knights of Malta, that we come from Bhodes,
From Cyprus, Candy, and those other isles
That lie betxvixt tlie Mediterranean seas.
Hierauf der Gouverneur:
What's Cyprus, Candy, and those other isles .
To ns or Malta? What at our hands demand ye?
So steht die zuletzt angefĂĽhrte Zeile bei Dyce (Ausg. von 1865)
und Cunningham, ohne Angabe einer verschiedenen Lesart. Es
ist aber wunderbar, dass man sich bei dem unsinnigen or so lange
beruhigt hat. Dass dem Gouverneur wenig oder nichts an Cypern,
Candia und den ĂĽbrigen Inseln liegt, begreift sich leicht. An
Malta aber muss ihm etwas liegen, da diese Insel sein eigenes
Land ist, welches er gegen die TĂĽrken vertheidigen soll. Sinn
entsteht unseres Erachtens erst durch die leichte Aenderung:
Wliat' s Cyprus, Candy, and those other isles
To us of Malta?
Was ihr in Cypern und Candia gethan habt, kann uns in Malta
ziemlich gleichgiltig sein ; denn das Schicksal jener Inseln bestimmt
noch nicht das unsere. We of Malta ist durchaus nicht unge-
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— 71 -
wohnliches Englisch im Sinne von we Maltese. Vgl. they of Paris
in dem Massacre of Paris bei Dyce p. 248 b.
2. In demselben StĂĽcke Akt 2, Sc. 2 (p. 96 b bei Cunningham)
heisst es:
My lord, remember that, to Europe's shame,
The Christian isle of EJwdcs, from tvhence yon come,
Was lately lost, and you were stated liere
To be at deadly enmity with TĂĽrks.
Cunningham bemerkt nicht das Geringste zur Rechtfertigung des
immerhin auffallenden stated; Dyce dagegen fĂĽgt hinzu, es be-
deute (wie man übrigens hätte rathen können) estated, established,
stationed. Offenbar wĂĽrden nur die beiden letzten AusdrĂĽcke dem
heutigen Gebrauche entsprechen. DasVerbum to state ist in an-
derer Bedeutung eines der gewöhnlichsten Wörter der Sprache,
nämlich in dem Sinne to fix, to settle, indkate; man vergleiche
einen Satz wie: allow tne to state all the particulars of the case.
Webster fĂĽhrt ein Beispiel von Withers fĂĽr die Bedeutung to esta-
blisJi an, welches anscheinend zur Vertheidigung der uns vorlie-
genden Stelle benutzt werden könnte:
I myself, though meanest stated,
And in court now almost hated.
Aber hier lässt sich auch ohne Weiteres das Substantiv state zur
Erklärung herbeiziehen: though my state is but vcry mean, d. h.
state in der bei Webster unter 3 angegebenen Bedeutung, condition
of prosperity or grandeur . . . dignity. Die zweite von Webster
aus Pope angeführte Stelle sollte der gewöhnlichen Bedeutung
'festsetzen' zugetheilt werden: ivho calls the Council, states the day.
In demselben Sinne redet man von stated hours of business (s.
Webster) = regulär, d. h. fixed hours. Es ist aber klar, dass
in der angezogenen Stelle von Marlowe diese Bedeutungen nicht
passen wollen; dort heisst you were stated here entschieden so
viel wie: you were stationed here, oder, um es mit dem geläu-
figsten Ausdruck zu bezeichnen, you were settle d. Dass aber to
state = to settle sein könne, muss ich stark bezweifeln; jedenfalls
ist dieses die einzige Stelle, an welcher mir das Wort in dieser
Bedeutung vorgekommen ist. Zwar ist es unmöglich, daraufhin
mit Entschiedenheit ein Urtheil zu begründen; es wäre eine grosse
Anmassung, ĂĽber das unendliche Gebiet englischer Wortbildung
nach der eigenen Lektüre, die immerhin eine beschränkte sein
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mnss, urtheilen zu wollen. Hier haben wir einen Fall, wo das
Fehlen eines historischen, mit vollen Belegen versehenen Wörter-
buchs sehr zu beklagen ist. Indessen zweifeln darf man an der
Zulässigkeit dieses auffallenden Gebrauchs; er geht zunächst wohl
jedem, der Englisch versteht, gegen sein SprachgefĂĽhl, und dazu
kommt, dass Johnson denselben in seinem sehr ausfuhrlichen Ar-
tikel über to State gar nicht kennt. Es Hesse sich zunächst sagen,
dass wie to date = to jrrovide with a date, so mĂĽsste auch to state
= to provide with a state sein. In dem aus Withers angefĂĽhrten
Beispiele passt diese Erklärung vollständig; für den gewöhnlichen
Gebrauch des Wortes haben wir das analoge französische constater.
Man wird nun aber doch kaum in gezwungener Weise erklären
wollen: you were provided with a state at Malta, man richtete euch
in Malta einen Staat ein! In diesem Sinne ist to estate veraltet,
und es Hesse sich ja allenfalls, so wie stablish fĂĽr establwh vor-
kommt, to state auch so erklären. Aber doch nur aUenfaUs, und
ĂĽberzeugend erst dann, wenn man weitere Beispiele aufweisen
kann. Obgleich ich mich nun nach solchen umgethan und die mir
zugängliche Literatur durchgesehen habe, so habe ich doch keines
entdecken können und verbleibe daher vor der Hand bei der Con-
jectur, welche ich mir schon längst an den Rand meines Marlowe
notirt habe: seated. So heisst es in der von Johnson aus Ra-
leigh citirten Stelle: Should one famĂĽy or one thoasand hold pos-
session of all the Bouffiern undiscovered continent, because they
had seated themselves in Nova Guiana? Dazu kommt aus Shake-
speare, Henry V., I, 2, 62:
Charles the Great
Subdued the Saxons, and did seat the French
Beyond the river Sala;
kurz vorher 46 fg. heisst es von derselben Sache: where Charles
the Great, huving subdued the Saxons, Tliere left behind and settled
certain French. (Andere Stellen, in denen das Verb to seat bei
Shakespeare vorkommt, soUen hier nicht angefĂĽhrt werden.) Es
wird also wohl nicht zu viel gesagt sein, wenn wir behaupten,
dass Marlowe an der vorliegenden Stelle auf aüe Fälle seated sehr
gut brauchen konnte; nach unserer Ansicht hat er auch wirkHch
so geschrieben. Wer nicht mit uns ĂĽbereinstimmt, hat weitere
Belege für to state — to settle beizubringen.
3. Auf eine andere Vermuthung in demselben StĂĽcke (p. 97 b
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— 73 —
bei Cimn.) legen wir nicht denselben Werth, wie auf die beiden
vorhergehenden, da sich dieselbe nicht ebenso zwingend erweisen
lasst. Doch mag sie hier vorgetragen werden, weil durch die
Aufnahme unserer Emendation immerhin die betreffende Stelle ge-
hoben, also im Ausdruck gebessert zu werden scheint. Barabas
sagt:
Good sir,
Your father Jias deserved it at my hands,
W)io, of mere charity and Christian truth,
To bring nie to religious purity,
And as it were in catechising sort,
To make me mindful of my mortal SltlS,
Against my will, and whethvr I would or no,
Seized all I had, and thrust me mit o' doors,
And made my house a place for nuns most chaste.
Genau genommen versteht man nicht recht, wie all' diese Hand-
lungen — in dem ironischen Sinne des Juden — aus Christian
truth hervorgegangen sein sollen; wenn man nicht etwa schon in
etwas weiterem Sinne die 'christliche Wahrheit' als eine treue
Befolgung der christlichen Lehre auffassen will. Das mag thun,
wer ein so weites Gewissen in der Worterklärung besitzt; wir
können nicht umhin, ein Synonymum von charity zu erwarten: aus
Barmherzigkeit und christlicher Liebe hat der Gouverneur
Barabas all' seiner GĂĽter beraubt! Wir lesen also: of mere cha-
rity and Cliristian ruth. Das Wort ruth ist hochpoetisch und
gleichbedeutend mit jnty, tmderness.
Ein paar Zeilen weiter (p. 98 a) ist wohl der Vers durch
Auslassung von holy vor friars zu verbessern:
And yet I Itnow, the prayers of those nuns
And friars, having money for thcir pains,
u. s. w. Man dĂĽrfte auch fragen, warum holy nicht schon bei
nuns stehe — wenn es überhaupt nöthig wäre.
4. Diesen auf einzelne Stellen des Jew of Malta bezĂĽglichen
Bemerkungen mag sich nun eine Vermuthung von weiterer Be-
deutung anschliessen. Man hat in Bezug auf Marlowe's Faustus
schon oft erörtert, dass diese Tragödie in ihrer heutigen Ver-
fassung nicht ohne Weiteres Marlowe zugeschrieben werden darf;
man weiss ja aus des alten Philip Henslowe's Tagebuch, dass
Dekker, Rowley u. a. ( additions f zu neuen AuffĂĽhrungen lieferten,
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— 74 —
und man kann auch Anspielungen und AusdrĂĽcke aus dem StĂĽcke
vorbringen, welche entschieden nicht von Marlowe herrĂĽhren, weil
sie eben sich auf Ereignisse, die erst nach seinem Tode ein-
getreten sind, beziehen. Man hat noch nicht genĂĽgend betont,
dass unter den dramatischen Arbeiten Marlowe's ĂĽberhaupt bloss
Edward II. uns in der ursprĂĽnglichen Verfassung des Textes ĂĽber-
liefert zu sein scheint. Dklo, Queen of Carthage, war mit Nash
gemeinschaftlich geschrieben — wir wollen noch weiter unten ein
Wort über dieses Werk sagen — und darf also nicht als der reine
Ausdruck von Marlowe's Kunst angesehen werden. Die beiden
Theile von Tamburlaine aber wurden, wie dies der erste Heraus-
geber in seiner Vorrede to the Oentletnen Headers and Others Uiat
take pleasure in reading Historie* ausdrĂĽcklich bezeugt, auf der
Bühne schon willkürlich entstellt: s. Cunn. p. 309, und es lässt
sich wohl bezweifeln, dass Alles, was uns ĂĽberliefert ist, auch
ohne Weiteres Marlowe zugeschrieben werden darf. Jedenfalls
steht fest, dass Marlowe an der schon 1590, also noch bei seinen
Lebzeiten, erfolgten Publikation seines StĂĽckes keinen Antheil
hatte; sonst wĂĽrde der Text schwerlich so verderbt sein, wie er
es notorisch an vielen Stellen ist. Das Massacre of Paris ist ein
ganz nachlässig hingeworfenes Stück, an dem Marlowe gewiss sehr
wenig Theil gehabt hat; es handelte sich eben nur darum, die
Pariser Bluthochzeit fĂĽr den BĂĽhnengebrauch, so gut oder so
schlecht wie es gehen mochte, zu dramatisiren. Dazu kommt, dass
das StĂĽck in sehr verstĂĽmmelter Gestalt aus einem flĂĽchtig ge-
schriebenen BĂĽhnenexemplar auf uns gekommen ist, wofĂĽr man die
Beweise bei Dyce p. 239 findet. Der Jetv of Malta — ein Stück,
das von Shakespeare ileissig studirt und benutzt worden ist, wie
dies vor Anderen Karl Elze ausgeführt hat — ist, wie aus der
Widmung hervorgeht, von Thomas Heywood herausgegeben wor-
den, und man mĂĽsste die Sitte der damaligen Zeit schlecht kennen,
wenn sich nicht die Vermuthung aufdrängte, dass Heywood (der
von sich sagt: 'I ushered it into Court and presented it to the Cock-
pit*) sich wohl manche Veränderung an dem Texte, manche Zuthat
erlaubt haben wird. Es ist sicher, dass der Prolog und Epilog,
bei der AuffĂĽhrung am Hofe, sowie der Prolog bei der AuffĂĽhrung
in der Stadt von Heywood herrĂĽhren. Auch an manchen Stellen
des StĂĽckes selbst glaube ich Heywood's Hand zu erkennen, nir-
gends sicherer als in der vierten Scene des vierten Aktes, wo das
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ganze Colorit nicht Marlowisch ist, und schon die Prosa eine andere
Hand zu verrathen scheint. Jedenfalls steht als Resultat fest, dass
bloss Edward II. ohne Weiteres verwerthet werden darf, um Mar-
lowe's Styl zu kennzeichnen; in allen anderen StĂĽcken sind erst
kritische Untersuchungen der eingehendsten und oft gefährlichsten
Art erforderlich, um die Frage zu beantworten, wie weit dieselben
Marlowe's eigene Arbeit noch darstellen, und in welchem Umfange
sie schon überarbeitet und verändert uns vorliegen. Man darf
eben nie vergessen, dass Marlowe's Werke sich lange auf der
BĂĽhne und in der Gunst des Publikums behaupteten und bei jeder
neuen AuffĂĽhrung durch Zuthaten und wohl auch Streichung des
Ursprünglichen verändert wurden.
5. 'Dido, Queen of Curthage' ist ein von unseren Kritikern
viel zu wenig beachtetes, vermuthlich zu wenig gelesenes StĂĽck.
Es ist eine sehr durchdachte und sorgfältig ausgeführte Arbeit,
in der Marlowe offenbar seinen jĂĽngern Genossen, Nash, Alles aus-
fuhren Hess, was zur bloss äusserlichen Fortführung der Handlung
gehörte, während er selbst den Gesammtplan und die grossen,
pathetischen Scenen lieferte. Hervorzuheben ist die Kraft und
dabei doch Maasshaltung, mit welcher die Liebe der Dido zu
Aeneas geschildert wird; man lese vor allen andern die erste Scene
des dritten Aktes; dort herrscht ein so innig- wahrer und echt-
poetischer Ausdruck, wie ihn Marlowe sonst nicht wieder seinen
weiblichen Charakteren hat leihen können. In dieser Beziehung
ist dies Drama geradezu als ein bedeutender Fortschritt in Mar-
lowe's Kunst zu bezeichnen; weder Zenocrate im Tamerlan, noch
die schattenhafte Isabella in Edward H. darf man hiermit ver-
gleichen, und Barabas' Tochter Abigail — die wie Shakespeare's
Juliet 1 ) ein wahres Kind an Jahren ist, starte fourteen years of
age, wie es in dem Stücke selbst heisst, p. 95 a bei Cunn. — ist
echter Liebe gar nicht fabig. Dido ist eine Gestalt, welche schon
nahe herankommt an die liebliche Hero in dem leider nicht von
Marlowe vollendeten Epyllion, der vollkommensten Schöpfung der
') Man vergleiche auch aus dem Jew of Malta p. 95 b Cunn. die Verse:
But stay, wliat star shines yonder in the east?
The loadstar of my life, if Abigail —
mit Shakespeare's Worten, Romeo and Juliet U, 2, 2:
But soft, what light through yonder window breaks?
Jt is the east, and Juliet is the mn.
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— 76 —
Marlowe'schen Muse, welche viel mehr eine epische, als eine drama-
tische war. Das ist zwar ein hohes Lob, wir glauben aber, man
wird es bei näherem Studium des Charakters der Dido gerecht-
fertigt finden. Allerdings ist auch nicht zu tibersehen, dass Virgil
dem englischen Dichter schon bedeutend vorgearbeitet hatte.
6. Eine kritische Bemerkung, die indessen uns wieder einen
Einblick verstatten wird in die nachlässige Ueberlieferung des
Marlowe'schen Textes, möge den Beschluss dieses Aufsatzes machen.
Freilich kann man auch hier, wie bei einer frĂĽheren Gelegenheit,
die Verwunderung nicht unterdrĂĽcken, dass eine Reihe von Her-
ausgebern — Dyce unter ihnen — eine so seltsame Unzuträglich-
keit, wie wir sie gleich auseinandersetzen wollen, so ruhig haben
passiren lassen können. Dem Gang der Virgü'schen Erzählung
folgend, hat Marlowe seinem Aeneas, der an der KĂĽste von Afrika
umherirrt, dessen Mutter Venus in der Kleidung einer Jägerin
erscheinen lassen; diese giebt ihm (p. 175 b Cunn.) folgende Aus-
kunft:
Bnt for flie land whereof thou dost inquire,
It is the Punic kingdom, rieh and strong,
Adjoining an Agenor's stately town,
The kingly seat of southern Libya,
Whereas Sidoniari Dido rules as quem.
In der ganzen Scene, in weicher diese Worte vorkommen, findet
sich nirgends der Name Cartliage, und man muss sich also sehr
wundern, wie zu Anfange des zweiten Aktes Aeneas, Achates und
Ascanius sich inmitten der prächtig ersteigenden und mit Bild-
werken aus der trojanischen Geschichte geschmĂĽckten Stadt be-
finden, deren Name — Cartliage — ihnen noch ganz unbekannt
ist (nur dass Dido da herrscht, wissen sie) und Aeneas ausruft:
Where am I now? these should be Carthage walls!
Es muss natĂĽrlich heissen: these should be Trojan walls! In
seiner Verwunderung (amazed, V. 2) ruft Aeneas aus: Das sieht
aus, als wären es die Mauern von Troja! Wenige Zeilen weiter
heisst es: Methinks, that town there should be Troy. Erst nachher
theilt Ilioneus seinem FĂĽrsten mit (p. 177 b): Lovely Aeneas,
these are Carthage walls, und aus diesem Verse hat ein vor-
witziger Copist oder Corrector auch den Anfangsvers der Scene
verschlimmbessert.
Es mag noch bemerkt werden, dass bei Virgil Venus sogleich
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ihrem Sohne den Namen der Stadt mittheilt: ubi cernes — $ur-
gmtem novae Karthaginis arcem (Aen. I, 366). Die kleine Ab-
weichung, welche hier Marlowe und Nash sich von ihrem Vorbilde
erlaubt haben, möchte ich als einen glücklichen, recht dramatischen
Griff betrachten, und rathe entschieden ab, etwa anzunehmen,
dass p. 176 a nach der zweiten Zeile etwas ausgefallen sei, worin
der Name Carthage gestanden habe.
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Ueber Shakespeares Clowns.
Von
.T. ThĂĽmmel.
Der Lustigmacher der alten Mysterien und Moral-Plays, der
Vice, der sich als allegorischer Hanswurst besonders in der Rolle
eines erbitterten und stets siegreichen Gegners des höllischen Erz-
feindes der höchsten Popularität zu erfreuen hatte, verschwand
gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fast gänzlich von der
englischen SchaubĂĽhne. Das Typische seiner Erscheinung, das
Traditionelle seines Witzes und Gebahrens scheint dem Geschmack
des damaligen Theaterpublikums nicht mehr zugesagt zu haben —
wenigstens lässt sich von Heywood ab das Bestreben der drama-
tischen Dichter wahrnehmen, dieser fĂĽr die BĂĽhnenspiele und die
Unterhaltung der Zuschauer so ĂĽberaus wichtigen komischen Figur
durch Individualisirung Wahrheit und Leben zu verleihen. — Der
grosse reformatorische Zug, der das sechzehnte Jahrhundert kenn-
zeichnet, der im staatlichen, kirchlichen und bĂĽrgerlichen Leben
alle Verhältnisse durchdringend, der hergebrachten Formel den
Krieg erklärt und der Selbsttätigkeit des Gedankens und der
Eigenartigkeit Recht und Geltung zu verschaffen sucht, macht
sich auch in der Literatur bis in die kleinsten Details fĂĽhlbar.
Selbst der Hanswurst muss sich der Reform unterwerfen, denn
der Sport der englischen Theaterbesucher jener Periode verlangt
seinen Antheil an der Zeitströmung.
An Stelle des bisher allegorischen Possenreissers tritt zunächst
die aus dem wirklichen Leben gegriffene Figur des komischen
Hausbedienten, des Domestic Fool, allerdings noch mit Beibehal-
tung typischer Färbung — gleichzeitig bürgert sich jedoch in
beide Gattungen des Drama's, in die Komödie wie Tragödie ein
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79
komischer Gesell von eigenartiger Naturwahrheit ein, bald neben
dem Gewerbsnarren, seinem Stammverwandten herlaufend, bald
die Komik des StĂĽckes beherrschend, immerhin jeder dramatischen
Produktion unentbehrlich, der Clown.
Beide Schösslinge aus der Wurzel des Vice finden wir in
Shakespeare's Dramen bis zur höchsten Blüthe entwickelt, den
Fool durchgeistigt, veredelt, zum Vertreter des Gnomischen er-
hoben, 1 ) den Clown mit einer solchen FĂĽlle charaktervoller Komik
ausgestattet, dass es sich wohl der MĂĽhe verlohnen dĂĽrfte, auch
diese Figur einer nähern Betrachtung zu unterziehen. 8 )
Ueber die Entstehung des Wortes 'Clown* sind die englischen
Etymologen verschiedener Meinung. Wedgwood 3 ) bringt Clown
wie auch die Nebenform Cown mit Clod, Clot in Zusammenhang,
so dass die Begriffsentwickelung ungefähr dem neuhochdeutschen
'Klotz' einigermassen entsprechen dürfte, während Skinner und
Trench der gewöhnlichen Ableitung des Clown von Colon (latei-
nisch colonus) mit der Bedeutung des deutschen: 'Landmann,
Bauer, Tölpel' den Vorzug geben. 4 ) Ueberlassen wir es den Fach-
männern, über die Wurzel zu befinden — für die Begriffsbestim-
mung dürfte es genügen, dass beide Ableitungen ungefähr auf
dasselbe hinauslaufen: auf das Klotzige, Tölpische des Clown, der
sich auch etymologisch von seinem Stammesgenossen, dem Fool,
insofern scheidet, als die Bezeichnung des Letztern, offenbar aus
dem Romanischen nach England herĂĽbergenommen, mit dem La-
teinischen follis 5 ) oder doch wenigstens mit dem Französischen
follet zusammenhängt und auf die Windbeutelei, das Irrlichteriren
des buntscheckigen Gewerbsnarren hinfuhrt, also das Gegenteilige
von dem die Unbeweglichkeit darstellenden Clown auszudrĂĽcken
scheint. —
Demgemäss würde schon sprachlich als wesentliches Merkmal
des Clown das Tölpelhafte der Erscheinung, das Naturwüchsige
des Wesens zu konstatiren sein, und zwar im Gegensatze zu dem
l ) Jahrbuch Band IX, S. 87 ff. J. Thtlmmel, Ăśber Shakespeare's Narren.
a ) Cf. ĂĽbrigens Delius, Vortrag ĂĽber die Figur des Narren in Shakespeare's
Dramen vom 3. Februar 1860, abgedruckt in der Kölnischen Zeitung.
') Dict. of Engl. Etymol. I, 356.
*) Eduard Müller, Etymol. Wörterbuch der englischen Sprache. 1865. 1, 216.
*) Diez, Wörterbuch der romanischen Sprachen. 1853, S. 148.
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Gewandten, reflektirt KĂĽnstlichen des Gewerbsnarren, des Fool
artificial. — Sofern aber die Natur vielgestaltig zur Erscheinung
kommt, bedingt auch ihre Darstellung im Bilde' eine entsprechende
Mannichfaltigkeit der Charakteristik. Das Bild des Naturburschen
kann nur wirken durch seine Eigenartigkeit und ergiebt sich
hieraus von selbst als ferneres Kennzeichen des Clown das Indi-
vidualisirte seiner Persönlichkeit zum Unterschied von dem Ty-
pischen, dem Maskenartigen in der Figur seines Zwillingsbruders,
des Fool. *) Soll nun der Naturbursch als solcher komisch wirken,
so muss gerade diese Eigenartigkeit die Veranlassung dazu ab-
geben, seine Handlungen mit seiner Lage oder mit seiner Absicht
in Widerspruch zu bringen, d. h. nach Jean Paul den sinnlich
angeschauten Unverstand, das Lächerliche produziren. Die bäue-
rische Naivität des Gesellen, sein täppisches Wesen, meist durch
eine Zuthat urwĂĽchsigen Mutterwitzes gehoben, mĂĽssen ihn, so-
bald er mit andern, seiner Anschauungsweise ferner liegenden
Lebenskreisen in Berührung geräth, zum Gegenstand der Belusti-
gung machen.
Im Shakespeare'schen Clown finden sich die hervorgehobenen
Merkmale ziemlich durchweg scharf ausgeprägt: das Tölpische,
RĂĽpelhafte in der Erscheinung, das Naive im Wesen, das Man-
nichfaltige in der Gestaltung, das Zweckwidrige seines Handelns
im Kontakte mit ausserhalb seiner Sphäre liegenden Verhältnissen.
Allerdings tritt bei den verschiedenen Charakteren bald das eine,
bald das andere Moment mehr zu Tage und hat der Dichter
sogar einigen seiner Clowns eine so starke Dosis witziger Bega-
bung beigemischt, dass man sich veranlasst finden könnte, die
betreffenden Figuren an die Bedeutsamkeit und Rangstufe der
Shakespeare'schen Hausnarren heranzurücken — wenn nicht durch
all den Witz und Humor immer wieder die bäurische Einfalt des
Naturburschen durchleuchtete.
So durchläuft der Shakespeare'sche Clown die verschieden-
artigsten Stadien des Intellekts vom Stumpfsinn bis zur Pfiffigkeit.
Seine äussere Lebensstellung kömmt dabei nicht in Frage; mag
er Kärrner, Bauer, Handwerker, Bediensteter vom Küfer bis zum
Friedensrichter, oder gelegentlich Landjunker 2 ) sein, wenn seine
*) Francis Douce, Illustrations of Shakespeare (London 1839) S. 498: 'The
clown was certainly a character of much greater variety.'
*) Francis Douce: 'One of the above persouages. 1
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â–
Tölpelhaftigkeit nur belustigt. Selbst an das Geschlecht darf
man sich nicht binden — in der Amme (Romeo und Julie) und
in Frau Hurtig (Heinrich IV.) hat der Dichter ein Paar weibliche
Clowns geschaffen, die es in jeglicher Beziehung und nach allen
Richtungen hin mit ihren männlichen Kollegen aufnehmen. 1 )
Bald treten die Clowns in Shakespeare's Dramen einzeln
auf, bald zu mehreren, zuweilen sogar truppweise, so zu sagen
in ganzen Nestern, wie in Heinrich IV. und im Sommernachts-
traum; bald fordern sie die Haupthandlung und sind fĂĽr die Ent-
wicklung des Pragmatischen unbedingt nothwendig, wie die Kon-
stab el Holzapfel und Schleewein in Viel Lärmen um Nichts und
die beiden Dromio's in den Irrungen, bald verhalten sie sich rein
episodisch. — In dieser letztern Beziehung flicht sie der Dichter
hin und wieder in seine Tragödien ein, den ernsten Gang der
Handlung mit den Spässen des komischen Gesellen unterbrechend.
Diese Mischung der heterogenen Elemente, des Tragischen mit
dem Komischen, ist von den Aesthetikern vielfach getadelt und
als unkĂĽnstlerisch verworfen worden. Goethe voran in seinem
Essay: 'Shakespeare und kein Ende' 5 ) hebt beispielsweise hervor,
dass der tragische Gehalt von Romeo und Julie durch die zwei
komischen Intermezzisten, die Amme und Mercutio, geradezu in
Frage gestellt werde, und bezeichnet den Eindruck, den diese
Komik auf den Zuschauer mache, als einen unerträglichen. Barm-
herziger verfährt er schon mit Schill er's Turandot, 8 ) obwohl er
auch hierbei nicht verhehlt, dass StĂĽcke von rein gesonderten
Gattungen mehr nach seinem Geschmacke wären, überhaupt der
deutsche Ernst diese Sonderung verlange. Goethe's Eifer gegen
die Mischung des Komischen mit dem Ernsten dĂĽrfte wohl wesent-
lich auf Rechnung seiner klassisch-antiken Neigungen zu schreiben
sein, welchen ein unvermitteltes, schroffes Nebeneinander der
Gegensätze als eine Inkorrektheit im Styl erscheinen musste. Das
deutsche Wesen möchte wohl hiermit auch nicht das Geringste
zu schaffen haben. Wenn es wahr ist — was schon Plato im
Symposion aufstellt — dass die Komik aus derselben Tiefe des
') Nach Fr. Douce hat das Instige Alt -England sogar weibliche Fools
gekannt.
*) Band 4B, S. 54.
») Band 45, S. 14.
Jahrbuch XI. • *>
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Geistes entspringt, wie die Tragik, so dĂĽrfte es gerade der deut-
schen Natur gegeben sein, dem Dichter ĂĽberall hin, selbst durch
die Gegensätze zu folgen, ohne an einem Stimmungswechsel An-
stoss zu nehmen. — Ueber alle diese Bedenken ist auch die Styl-
richtung des Drama's, welche ja nach Shakespeare's Vorgange
die Kontraste faktisch zugelassen hat — mit der Zeit hinweg-
gegangen, und hat sich Goethe selbst dem Gewicht dieser That-
sache nicht zu entziehen vermocht; sein Schneider Jetter im Egmont
ist genau genommen eben nichts Anderes, als ein moderner Clown,
der im Trauerspiele und trotz des Ernstes der Haupthandlung seine
Witze reisst, auch recht belustigend mit sich spassen lässt.
Bei Shakespeare ist dieser Kontrast von Ernst und Scherz
allerdings in aller Schärfe vorhanden, denn wo immer der Clown
auftritt, wirkt er entschieden drastisch. Freilich verdankt der
täppische Bursch diesen unzweifelhaften, nie versagenden Effekt
einer gewissen UeberfĂĽlle seiner Charakteristik, der Holzschnitt-
manier, in der er gezeichnet ist, dem Plastisch -Grotesken seiner
Erscheinung; mit Einem Wort: er wirkt eben als Karikatur. —
Aehnlich wie bei Aristophanes , der nach dieser Richtung hin auf
dem politischen Gebiete Kolossales leistet, tritt uns bei Shakespeare,
nur in der Kleinwelt der bürgerlichen Sphäre, dasselbe Uebermass,
dieselbe Anspannung bis zum kecksten Uebermuthe entgegen. —
Rosenkranz findet deshalb auch die Karikirung des Shakespeare-
schen Clowns bis in's äusserste Extrem, in's Fratzenhafte gestei-
gert, allerdings mit der ausdrĂĽcklichen Reserve, dass uns diese
Fratzen bei alledem herzlich lachen machen. 1 ) Und um dieser
Reserve willen darf auch Rosenkranz's Aeusserung kaum als ein
Tadel aufgefasst werden, denn das herzliche Belachen ist es gerade,
was dem Bizarren, der Karikatur, ĂĽberhaupt dem Niedrigen seine
Position innerhalb der Kunst sichert. Dem Dichter, der uns be-
lustigen will, lässt Schiller 2 ) allerlei Extravaganzen hingehen, wo-
fern er nur nicht Unwillen oder Ekel erregt. Der Zärtlichkeit
des Geschmacks räumt er hierbei gar keine Berechtigung ein und
pointirt ausdrücklich, dass allein die Stärke des Eindrucks ent-
scheide. —
Für die Stärke des Eindrucks ist aber lediglich die Stärke
') Rosenkranz, Aesthetik des Hässlichen, S. 403.
8 ) Band XII. S. 320.
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— 83 —
der Handlung selbst, innerhalb welcher der Clown belustigend auf-
treten soll, massgebend — nur das Pragmatische regulirt hier die
Grenzen des Erlaubten, und versteht es sich von selbst, dass die-
selben für die Tragödie anders zu bestimmen sind, als für die
Komödie. — Je schärfer und beängstigender der pragmatische
Verlauf im Trauerspiel sich zuspitzt, um so unabweislicher stellt
sich beim Zuschauer das BedĂĽrfniss nach Milderung der peinlichen
Situation ein. Diese Milderung kann immerhin und wird am
sichersten durch eine episodische Scene komischer Färbung herbei-
geführt werden, nur darf dieselbe nicht willkürlich und völlig zu-
sammenhangslos in die Handlung hineingeworfen sein, muss viel-
mehr an das Thatsächliche anknüpfen oder fiir die Stimmung und
Situation des Helden eine humoristische Parallele aufstellen —
unter allen Umständen aber wird sie sich nicht weiter ausdehnen
dürfen, als eben hinreicht, der Handlung das Beängstigende zu
benehmen. — Hier tritt die drastische Komik des Clowns hemmend
auf in rückschreitender Bewegung. — Diese Mission erfüllt bei-
spielsweise der Clown im Macbeth, der Pförtner. Am Schlüsse
der grauenvollen Scene, *) in welcher Macbeth den Königsmord be-
geht und von den Furien des Gewissens gepeitscht in die Halle
zurückstürzt, lässt sich am Südthor des Schlosses Inverness ein
wiederholtes Klopfen vernehmen, dessen mahnender Ton das Grauen
und Entsetzen des Mörders zur Raserei steigert. — Da erscheint
der Clown 2 ) und verhilft dem Zuschauer zu der so notwendigen
Abschwächung des durch die grelle Mordscene hervorgerufenen
peinlichen Eindrucks, indem er jenes ängstigende Pochen witzig
persiflirt und dabei seine bizarre Nachtwächter -Philosophie aus-
kramt. — Aehnlich verhält es sich mit der drolligen Leichen-
Metaphysik der beiden Todtengräber im Hamlet, 3 ) deren Galgen-
humor ĂĽbrigens mit dem sarkastischen Zuge im Charakter des
Helden der Tragödie in wunderbarem Einklänge steht. — In
Romeo und Julie ist die episodische Einflechtung der beiden Clowns,
des weiblichen (der Amme) und des männlichen (des Aufwärters
Peter) weniger darauf angelegt, einer besonders beängstigenden
Situation die Schärfe zu nehmen, als vielmehr die Schwüle der
') Akt II, Scene L
*) Akt II, Scene 2.
») Akt V, Scene 1.
6*
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— 84 -
Atmosphäre, die sich nach und nach über die ganze Handlung
legt, dem Zuschauer erträglicher zu machen. — Darin werden die
beiden Clowns durch den Humoristen Mercutio — den Goethe mit
der Amme in gleiche Kategorie wirft — auf das Lebhafteste
unterstützt. —
Anders verhält es sich mit den Clowns der Komödie. Diesen
kommt es nicht darauf an, zu neutralisiren, abzuschwächen — im
Gegentheil, ihnen fällt die Aufgabe zu, das Komische der Situation
so viel als möglich zu heben, zu verstärken. Hire drastische Er-
scheinung tritt fordernd auf und treibt in fortschreitender Bewe-
gung das Spiel kecker Laune bis zum Aeussersten. — Dem ent-
sprechend ist denn auch der Eindruck der Lustspiel -Clowns ein
unwiderstehlicher. — Wer sich über die Konstabel Holzapfel und
Schleewein in Viel Lärmen um Nichts, die Junker Christoph und
Tobias in Was ihr wollt, vor Allem ĂĽber die Sommernachtstraum-
RĂĽpel vor Lachen nicht auszuschĂĽtten vermag, dem geht in der
That das ab, was Kant ausser der Hoffnung und dem Schlaf als
das hauptsächlichste Gegengewicht gegen die Misere des Alltags-
lebens preist, der Humor.
Kurz, der Eindruck ist da — es fragt sich nur, wie sich
derselbe seiner Entstehung nach erklären lässt.
Zunächst ist der Shakespeare'sche Clown allerdings jeder Zoll
ein Engländer; die Küfer, die Kärrner, die Konstabel, insbesondere
die komischen Landjunker haben ganz das Gepräge nationaler
Absonderlichkeit. — Ja, sie können sogar die Abstammung vom
lustigen Alt-England nicht verleugnen — ganz im Geschmacke
der Elisabethischen Periode gehalten, sprechen und handeln sie
genau aus den Anschauungen und Sitten jenes Zeitalters heraus.
Die natĂĽrliche Folge hiervon ist, dass uns insonderheit die Aus-
drucksweise des Shakespeare'schen Clowns -Witzes mehrfach be-
fremdet, dass uns auch stellenweis das Gebahren des komischen
Gesellen nicht recht zu Sinne will. — Indessen was uns hierbei
fremdartig berĂĽhrt, ist und bleibt die Form, gewissermassen die
äussere Tracht des lustigen Alt-Englands — der Kern stellt sich
dem unbefangenen Auge als durchaus international volksthĂĽmlich,
als vollgültig für alle Zeiten und Völker dar. Durch seine Natur-
wahrheit und sein urwüchsiges Wesen repräsentirt der Shakespeare-
sche Clown den Volkshumor, dessen gesunde Frische in den
wirksamsten Kontrast mit dem Angekränkelten und Gemachten des
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— 85 —
feinem Kulturlebens tritt. Es ist die Macht der Naivität, die hier
durchschlägt, wie Kant es erklärt: 'der Ausbruch der der Mensch-
heit ursprĂĽnglich natĂĽrlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern
Natur gewordene Verstellungskunst, dem das kindliche GemĂĽth des
Volks jede unschuldige Verletzung kĂĽnstlicher Formen und der so-
genannten Anstandsgesetze gern zu Gute hält.' — Um dieser Un-
schuld willen wird sich auch der vorurtheilsfreie Zuschauer des
neunzehnten Jahrhunderts von den zuweilen derben Verstössen des
Clowns gegen die gute Sitte wenig oder gar nicht irritiren lassen —
er nimmt sie mit in den Kauf, weil sie naiv gemeint sind und des-
halb auch naiv empfunden werden. Man merkt es dem täppischen
Burschen nur zu gut an, dass er sich an den Zweideutigkeiten und
Obscönitäten, die er hin und wieder loslässt, nicht selbst ergötzt
oder sich etwas darauf zu Gute thut. — Ekel und Unwillen können
nĂĽr die Zoten eines Rabelais erregen, weil sie eben zotig gemeint
sind — selbst Heinrich Heine's verhülltere Pointen dürften viel
eher dazu angethan sein, den schönen Leserinnen das Blut in die
Wangen zu treiben, eben weil sie mit Bewusstsein und Raffinirtheit
geboten werden, als die lockern Spässe unseres bäurischen Gesellen.
Denn in der That tritt uns aus seinem ehrlichen Gesicht ein
idealer Zug entgegen, dem sich selbst die prĂĽdeste Seele nicht zu
verschliessen vermag, ich meine die liebenswĂĽrdige Gutherzigkeit
des braven Burschen. Vergegenwärtigen wir uns die Charaktere
der Shakespeare'schen Clowns der Reihe nach vom Idioten Trinculo
bis zu dem durchtriebenen Zwillingspaar der Dromio's, so werden
wir an ihnen auch nicht ein Atom von Bosheit, TĂĽcke oder von
dem herben Wesen entdecken, das uns zuweilen in den komischen
Figuren des Aristophanes weniger angenehm berührt. — Shake-
speares Clowns sind eben absolut komisch, humoristisch vertieft. —
Ihre Narrheit wird nicht durch die Intrigue bestimmt, wie bei den
schematischen Figuren Moliere's — umgekehrt, Rede und Handlung
sind Produkt ihrer Eigenartigkeit, ihres bäurisch -gemüthlichen
Wesens, welches sogar Falstaffs Strolche nicht vermissen lassen.
Drum ist ihr Humor so wohlthuend und gestaltet sich um so be-
haglicher, als der Clown von seinem Verstände und von der Zweck-
mässigkeit seines Handelns auf das Lebhafteste durchdrungen ist,
ohne dies durch eine widerwärtige Ueberhebung zur Anschauung
zu bringen. — Die Selbstgenügsamkeit, mit der Peter Squenz und
seine Spiessgesellen das Festspiel zu Theseus' Hochzeit in's Werk
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— Be-
setzen, die Ueberzeugung der Konstabel Holzapfel und Schleewein
von der Unfehlbarkeit ihrer Inquisitionsmaxime, die hohe Meinung,
die die Junker Bleichenwang und Schmächtig von ihrer Unwider-
stehlichkeit ihren Angebeteten gegenüber durchblicken lassen —
und dabei ihre völlige Ahnungslosigkeit, wie unendlich lächerlich
ihre Thorheit sich darstellt, ist geradezu entzĂĽckend.
Wenn hiernach schon die Charakterzeichnung des volkstĂĽm-
lich -humoristischen, naiv -liebenswĂĽrdigen Clowns das karikirte
Wesen desselben als eindrucksvoll im Sinne Schiller's zur Erschei-
nung bringt, so entspricht die Situation, in welche sich der Clown
durch seine Narrheit bringt, dem Eindrucke seiner Persönlichkeit
vollkommen. — Hier ist es der Kontakt des aus seinen einfachen
ländlichen Verhältnissen herausgerissenen und in verfeinerte Lebens-
kreise versetzten Gesellen mit einer andern, ihm fremdartigen Sphäre,
welcher ihn bald zum Gegenstande des Gelächters macht, bald
seinen Mutterwitz provocirt, ihn bald Scheibe bald SchĂĽtz sein
lässt. — Nach beiden Richtungen hin ist sein Handeln stets irra-
tional, zweckwidrig; in der Eegel erzielt er das Gegentheil von
dem, was er beabsichtigt. — Die Handwerker im Sommernachts-
traum wollen zu Theseus' Hochzeitsfeste den 'höchst grausamen
Tod des Pyramus und der Thisbe' tragiren, ein StĂĽck, 'das einige
Thränen kosten wird bei einer wahrhaftigen Vorstellung', und
bringen eine Posse zur Naht — Holzapfel und Schleewein vertrö-
deln die Zeit mit ungeschickten Verhören, die sie mit den Helfers-
helfern des Intriguanten Juan abhalten, anstatt einfach das Schelmen-
stück der Malefikanten zur Kenntniss der Betheiligten zu bringen —
die beiden Dromio's gerathen mit ihren Bestellungen stets an den
unrechten Antipholus — die Junker Bleichenwang und Schmächtig
machen sich durch die Art ihrer Werbung um die Gunst ihrer An-
gebeteten diesen nur unausstehlicher. Und wo die Dromio's, die
Bedienten Lanz, Flink (in den Veronesen) und Grumio (in der
Widerspenstigen Zähmung) ihren Mutterwitz leuchten lassen, wer-
den sie stellenweis von ihren Herren mit einer Tracht PrĂĽgel dafĂĽr
regalirt. — Kurz, die Berührung des Clown mit dem feinern Leben
schlägt in der Regel zu seinen Ungunsten um und bringt ihn in
Lagen, die seinen Bestrebungen schnurstraks zuwiderlaufen. — Ja
noch mehr, sobald die närrischen Burschen vereint auftreten, richtet
sich die Zweckwidrigkeit ihres Handelns, ohne dass sie es beab-
sichtigen, gegen einander; jeder der Clowns leidet durch die Ver-
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kehrtheit des andern — die Narrheit des Einen findet in der des
Andern ihre Ironie. — Die Clowns im Sturm Trinculo und Stephano,
die Handwerker -Komödianten im Sommernachtstraum, die Junker
Christoph und Tobias in Was ihr wollt, selbst die Strolche in
Heinrich IV. und V. wenden sich in ihrer Thorheit gegen einander,
wo sie eine gemeinsame Aktion intendiren. — Ihr Handeln stellt
sich als eine sich selbst aufhebende Bewegung dar, die, indem sie
zum Ziele strebt, davon abfuhrt.
Die Wirkung, die dieses Gebahren der Clowns auf den Zu-
schauer macht, besteht wesentlich in dem WohlgefĂĽhl des Letztern,
alle diese Dinge als Thorheiten empfinden zu können — in dem
GenĂĽsse der Ueberlegenheit. Man fĂĽhlt sich, so zu sagen, gegen
das "Narrenthum des Clown in der Vorhand; man dĂĽnkt sich ĂĽber
dessen Verkehrtheiten zu stehen und sie deshalb belachen zu dĂĽrfen.
Darum sind wir auch geneigt, uns der 'Zärtlichkeit des Geschmacks'
zu entschlagen und uns mit dem Tröste abzufinden: der Clown ist
zwar stark aufgetragen, aber er ergötzt!
Bei aller Mannichfaltigkeit der Shakespeare'schen Clown-Cha-
raktere lassen sich dieselben in verschiedene Gruppen eintheilen,
fĂĽr welche der Grad des Intellekts den passendsten Bestimmungs-
modus abgeben dĂĽrfte.
Den Reigen eröffnet die Gruppe der Idioten, von denen ich
William in 'Wie es Euch gefällt' zuerst nenne, weil er für den
bereits früher — Jahrbuch IX, S. 87 u. ff. — aufgestellten und
hier festgehaltenen Unterschied zwischen dem Clown und Fool den
schlagendsten Beweis liefert. 1 ) Im Uebrigen ist William ein alberner
Tolpatsch, der nichts weiter leistet, als dass er sich fĂĽr den In-
haber eines 'ganz hübschen Verstandes' hält und sich bei alledem
durch eine Hand voll Redensarten seines Nebenbuhlers, des Ge-
werbsnarren, aus seinen Heirathsgedanken herausschrecken lässt. —
Ungefähr von demselben Kaliber sind die beiden Schäfer im Winter-
mährchen, nur für die Handlung des Stücks von grösserer Bedeu-
tung, als der völlig episodische William. Ihre Albernheit, die der
Gauner Autolykus in dem Idyll des vierten Akts recht ergötzlich
ausbeutet, erreicht ihren Gipfel, als die Tölpel schliesslich a ) zu
'geborenen' Sicilianischen Freiherren erhoben werden.
l ) Touchstone, der Fool artificial, sagt ausdrĂĽcklich von und zu ihm : It is
meat and drink to me to see a clotvn — und : Therefore, you down, abandon —
the society of this female. As You Like It V, 1. *) Akt V, Scene 2.
88 —
In dem Jester Trinculo 1 ) und dem KĂĽfer Stephano im Sturm
begegnen wir einem Paar degenerirter Bursche, die zwar von Haus
aus von der Nato nicht ganz so stiefmĂĽtterlich behandelt zu sein
scheinen, wie ihre vorher genannten Kollegen, deren Fassungs-
vermögen jedoch der Sekt auf einen winzigen Rest beschränkt hat.
Ihr Attentat auf Prospero und auf die Herrschaft der Insel, na-
mentlich die Art, wie sie sich von dem Saufungeheuer Caliban
beeinflussen lassen, weist ihnen unzweideutig ihren Platz unter
den Idioten an, obwohl die Weinlaune, in der sie sich konstant
bewegen, aus ihrem ausgebrannten Hirn noch einen Vorrath von *
Witzfunken herausschlägt, der nicht allein hinreicht, ihre Erschei-
nung mehr belustigend als widerwärtig wirken zu lassen, sondern
sogar noch hie und da einen humoristischen Lichtstreifen auf den
Spiessgesellen Caliban abwirft. 2 )
Die zweite Rangstufe nehmen die Rüpel ein, die Tölpel von
Geblüt, welche sich, ohne es zu wollen, dem Gelächter preisgeben,
lediglich als Zielscheibe fĂĽr den Witz Anderer. In den Figuren
dieser Kategorie zeigt sich der Clown unvermischt, in seiner ganzen
liebenswürdigen, drolligen Narrheit. — Der vornehmste Platz ge-
bührt hier entschieden der schon mehrfach erwähnten Genossen-
schaft der Sommernachtstraum -RĂĽpel, einem wahrhaften Ratten-
könig von Musterclowns, die in ihrer hausbackenen Naivität nicht
die leiseste Ahnung davon haben, wie tölpisch sich ihre dilettanti-
schen Leistungen ausnehmen, wie absichtslos sie durch ihre possen-
hafte Darstellung des 'traurigen Geschicks von Pyramus und Thisbe'
das tragische Pathos der Liebe parodiren. In dem Helden dieser
Handwerkerbande, 'hart von Faust und widerspenstigen Gedächt-
nisses', in Zettel dem Weber vereinigt sich in der That Alles, um
ihn zum Prototyp der RĂĽpelgruppe zu stempeln. Als
den ungesalzensten von den Gesellen
Den Pyramus berufen darzustellen
0 Hinsichtlich der Eubricirnng des Fool natural, des Jester Trinculo unter
die Clowns vergl. Jahrbuch IX, S. 89 ff.
2 ) Caliban, obwohl durch seine ingrimmige Bosheit meist komisch wirkend,
kann als Clown nicht aufgefasst werden. Ihm fehlt das naiv Unschuldige.
Ausserdem verkörpert e r, wie Rosenkranz treffend bemerkt, eine grosse ge-
schichtliche Wahrheit: die Unterdrückung und Bewältigung des wilden rohen
Naturelements durch das Kulturleben Prospero; er geht also in dieser Bedeu-
tung, als Repräsentant einer Idee, weit Uber den Clown hinaus.
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bezeichnet ihn Puck, Oberon's lustiger Rath, während die übrigen
Handwerkerkomödianten von den Talenten ihres 'Sappermentszettel'
die allergtinstigste Meinung haben. In seiner Naivität theilt Zettel
natürlich die Ansicht seiner Kollegen. Mit selbstgefälligem Eifer
will er sich aller Rollen des Stücks bemächtigen, den Löwen auch
spielen, und ist schliesslich nur im Zweifel, welche Bartfarbe
seinem süssen Gesicht wohl am besten anstehen möchte, damit er
ja auch auf die Damen den nöthigen Eindruck mache. Absichtslos
in die Feenwelt hineingestossen, wird seine Narrheit mit dem
Eselskopfe beschenkt — sein Tragödiespielen trägt ihm das unaus-
löschliche Gelächter der Zuschauer ein. — Kurz, unserm Bottom
the weaver fehlt auch nicht der kleinste Zug zum Bilde des
Clown an sich. — Von jeher ist Zettel ein Liebling des Publikums
und der darstellenden KĂĽnstler gewesen. Gervinus (I, S. 251)
erzählt uns, dass im Jahre 1631 ein Schauspieler, welcher im
Hause des Bischofs von Lincoln an einem Sonntage den Zettel
gespielt hatte, das Martyrium seiner Kunst bestand, indem er von
einem puritanischen Richter wegen Sabbathschändung verurtheilt
wurde, zwölf Stunden in der Portierstube des bischöflichen Palais
mit dem Attribute seiner Rolle, dem Eselskopfe, zu sitzen. — Trotz
des WĂĽthens der Independenten und Puritaner gegen die drama-
tische Kunst rettete sich vor Allen Zettel in die CromwelTsche
Periode hinüber. — Robert Cox, ein Schauspieler, der sich mit
seinen Darstellungen der Drolls durchzuschlagen wusste, gab dem
zur Zeit der BĂĽrgerkriege humorbedĂĽrftigen England die Zettel-
Episode zum Besten (the merry conceited humours of Bottom the
weaver), welche, durch englische Banden nach Deutschland ver-
pflanzt, zuerst von Daniel Schwenter fĂĽr die deutsche BĂĽhne ver-
werthet und dann von Gryphius, Bredow und Christian Weise
bearbeitet wurde. 1 ) Nachdem Schlegel's Uebersetzung und Men-
delssohn's Musik den Sommernachtstraum als RepertoirstĂĽck bei
uns eingebĂĽrgert, hat besonders . die traditionell gewordene Zettel-
darstellung des Berliner Komikers Gern viel dazu beigetragen,
unserm Clown zu seiner Popularität auf der deutschen Bühne zu
verhelfen.
Den RĂĽpeln des Sommernachtstraums steht Schaedel in Liebes-
l ) Freih. Vincke, Wunderbare Schicksale des Sommernachtstraums, Jahr-
buch V, S. 359.
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Leid und Lust insofern am nächsten, als auch er — natürlich
völlig unbewusst — parodirend sich verhält und die Junggesellen-
marotte des Königs von Navarra und seiner Hofherren durch seine
naive Grundehrlichkeit ironisirt.
Bei den Kärrnern in Heinrich IV. ersten Theils tritt aller-
dings nur ein grobkörniger Cynismus zu Tage, während FalstafFs
Rekruten Schimmelig und Consorten (zweiten Theils) durch ihre
äussere Erscheinung und ihr Gebahren bei der Aushebung zu des
Ritters Kompagnie dem fetten Cyniker eine willkommene Gelegen-
heit bieten, seinen Humor auf die traurigen Gestalten loszulassen.
Sie sind eben nur Scheibe fĂĽr FalstafTs Witzgeschosse, in gleicher
Weise wie Frau Hurtig, die Wirthin zum wilden Schweinskopfe
zu Eastcheap, letztere freilich mit der Modifikation, dass sie ausser-
dem von dem wĂĽsten Gesellen um Zeche und Geld geprellt wird.
Wenn ich ferner die Amme in Romeo und Julie den RĂĽpeln
beigeselle, so glaube ich hierzu durch das Massive ihres Wesens,
die Naivität und das ungemein Lächerliche ihrer Erscheinung, der
selbst nicht einmal die GutmĂĽthigkeit fehlt, einigermassen berech-
tigt zu sein. Dass sie Anfangs die Gelegenheitsmacherin fĂĽr das
Liebesverhältniss Julie's mit Romeo abgiebt und dann, als sich
ihrer Meinung nach der Montague für die Capulet unmöglich ge-
macht hat, umspringt und bei Julien für den Grafen Paris plädirt
— was Gervinus in sittlicher Entrüstung als Treubruch brand-
markt — kann sie unmöglich um unsere Sympathie bringen. Als
Hausinventarium der Familie Capulet, als Nährerin und Erzieherin
ihrer Julie hat sie nur Eins im Auge: ihren Pflegling unter die
Haube zu bringen, welches GlĂĽck sie sich nach ihrer eigenen
groben Empfindungsweise und nach ihrer schwachen Urtheilskraft
konstruirt. Ihre Inkonsequenz — meinetwegen Treulosigkeit —
gegen das Liebesverhältniss entspringt aus einer freilich missver-
standenen persönlichen Treue gegen den einen ihrem Herzen immer-
hin nahe stehenden Theil des Liebespaares; ihr Treubruch ist der
Ausfluss ihrer ungebildeten dienstfertigen Gutherzigkeit. Hiernach
sind wir gar nicht einmal in der Lage, an die Handlungsweise
der Amme einen ernsten, ethischen Massstab anzulegen — wie dies
Gervinus und Ulrici 1 ) thun — wir erfreuen uns einfach an der
Narrheit unseres weiblichen Clowns und lassen ihr um dieser
l ) Shakespeare's dramatische Kunst II, S. 19.
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willen gewiss gern gegen den verurteilenden Wahrspruch der
Sittenrichter mildernde Umstände zu statten kommen, um so mehr,
als das Selbstbewusstsein, die wichtige Meinung, die Frau Angelica,
die Amme, von ihrer Position in der Welt hat, und die Art, wie
sie dies namentlich bei ihrer Begegnung mit Mercutio zur Schau
trägt, 1 ) wesentlich darauf hinwirken, dem dunkeln Gemälde der
Tragödie einige hellere Töne aufzusetzen. Dazu trägt auch das
Seinige redlich bei: der andere Clown, Peter, der Fächerträger
und Adjutant der Amme und ihr GegenstĂĽck, l a pestilent knave',
der nicht allein die abziehenden Hochzeitsmusikanten foppt, sondern
sich auch über seine Patroness selbst lustig macht, eine köstliche
Figur, zwar nur mit wenigen Strichen ä la Hendschel gezeichnet,
aber um so drastischer hingestellt, — übrigens trotz ihrer Unbe-
deutendheit eine Lieblingsrolle Geras. — Peter ist allerdings mehr
Schütz als Scheibe und gehört deshalb eigentlich der dritten Gruppe
an; hier hat er lediglich als Zubehör der Amme seine Erwähnung
gefunden.
Doch wir kehren zu unserer zweiten Serie zurĂĽck, zu welcher
Polizei und Gericht ein ziemlich starkes Kontingent stellen. — Von
jeher haben es die Lustspieldichter gebebt, Sarkasmen auf diese
unliebsamen Institute einzuflechten , und kann es uns in der That
nicht Wunder nehmen, dergleichen verspottenden Ausfällen auch bei
unserm Dichter zu begegnen, der ja in seiner Jugend mit den
Sicherheitsbehörden in unangenehme Kollision gerathen sein soll,
dessen Schauspiel-Direktorium im Uebrigen oft genug zu heikein
BerĂĽhrungen mit der Obrigkeit der City Veranlassung gegeben
haben mag. — Die Gerichtsdiener Klaue und Schlinge (Heinrich IV.,
zweiten Theils), die Konstabel Dumm (Liebesleid und Lust) und
Elbogen (Mass für Mass), die schon mehrfach erwähnten Holzapfel
und Schleewein, vor Allem aber der von dem Dichter mit beson-
derer Sorgfalt gezeichnete Friedensrichter Schaal (Heinrich IV.,
zweiten Theils und lustige Weiber von Windsor) sowie sein Vetter
und Kollege Stille (Heinrich IV., zweiten Theils) legen Zeugniss
dafĂĽr ab , dass Shakespeare's ' Witz sich mit Vorliebe mit jener
unbequemen Beamtenklasse beschäftigte und dieselbe mit Behagen
dem Gelächter Preis gab. — Die Dummheit stellt sich als Grundzug
dieser Biedermänner dar, ihre Aufgeblasenheit als eine natürliche
Folge ihrer Beschränktheit und ihre Verkehrtheit als Konsequenz
») Akt II, Scene 4.
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beider Eigenschaften — nur dass die Frohndiener Klaue und Schlinge
mit einer Portion Feigheit, Dumm und Elbogen mit einem guten
Theil Brutalität, Holzapfel und Schleewein dagegen mit einer Zu-
gabe spiessb Ă„rgerlicher Bonhomie ausgestattet sind, die sich
an den zuletzt genannten alten Burschen ganz besonders liebens-
wĂĽrdig ausnimmt. Uebrigens findet bei den subalternen JĂĽngern
der Themis die Narrheit darin ihren spezifischen Ausdruck, dass
dieselben gern mit missverstandenen Fremdwörtern um sich werfen
und zuweilen die einfachsten Begriffe verwechseln; der biedere Holz-
apfel ist hierin besonders stark. Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass diese Redeweise eine besondere satyrische Beziehung gehabt
haben mag — unter allen Umständen wird dadurch der komische
Effekt erzielt, dass die Holzapfel und Consorten in dem Bestreben,
gebildeter erscheinen zu wollen, als sie sind, und durch das Her-
austreten aus ihrer Sphäre sich selbst und ihr Amt kompromittiren
und ihren Amtsverrichtungen den Stempel burlesker Harlekinaden
aufdrĂĽcken.
Das unvergleichliche Friedensrichterpaar Schaal und Stille,
welches natürlich einige Nummern feiner ausfällt, als das Grobzeug
der Konstabel — sie sind ja Esquires und gehören zur Gentry —
kann man nicht treffender charakterisiren, als sie Paul Konewka
in seinen Falstaff- Silhouetten gezeichnet und Hermann Kurz be-
schrieben hat. Beide Clowns sind ein Paar englische Krautjunker
vom reinsten Wasser, Coloni durch und durch, deren Ideenkreis
sich wesentlich um den Preis des Rindviehs und um die Schafzucht
dreht — als Friedensrichter natürlich nur Hampelmänner, die fünf
gerade sein lassen — beziehungsweise thöricht genug, sich mit Sir
John Falstaff auf Geldgeschäfte einzulassen — Herr Stille ein altes
tranquilles Männchen von dünnen Beinen und schwacher pia mater,
ein hartnäckiger Schweiger, der, wenn er einmal über den Strang
schlägt und sich zu tief in die Flasche versenkt, mit seinen Lieder-
Reminiscenzen nicht zu bändigen ist, so dass schliesslich Nichts
ĂĽbrigbleibt, als ihn zu Bett zubringen; Herr Schaal sein direktes
Gegentheil, geschwätzig wie eine -Elster, fahrig wie ein Kreisel,
renommirend mit seinen Streichen, mit welchen er als Oxforder
Student die Welt in Staunen gesetzt haben will, dabei unsäglich
albern in Worten und Werken. — Doch, kein Geringerer als Sir
John Falstaff selbst mag sein Portrait vervollständigen: 1 )
») Heinrich IV., Theil II, Akt in, Sc. 2.
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'Dieser schmächtige Friedensrichter hat mir in Einem fort von
der Wildheit seiner Jugend vorgeschwatzt und von den Thaten,
die er in Turnbullstreet ausgefĂĽhrt hat; und um's dritte Wort
eine Lüge, dem Zuhörer richtiger ausgezahlt, als der Tribut dem
GrosstĂĽrken. Ich erinnere mich seiner in Clements -Hof, da war
er wie ein Männchen, nach dem Essen aus einer Käserinde ver-
fertigt; wenn er nackt war, sah er natĂĽrlich aus wie ein gespal-
tener Rettig, an dem man ein lächerliches Gesicht mit dem Messer
geschnitzt hat; er war so schmächtig, dass ein stumpfes Gesicht
gar keine Breite und Dicke an ihm wahrnehmen konnte — der
wahre Genius des Hungers, dabei so geil wie ein Affe, und die
Huren nannten ihn Alräunchen. Er war immer im Nachtrabe
der Mode und sang schmierigen Weibsbildern die Melodieen vor,
die er von Fuhrleuten hatte pfeifen hören und schwor darauf, es
wären seine eigenen Einfälle oder Stückchen. Und nun ist diese
Narrenpritsche (this Vice's dagger) ein Gutsbesitzer geworden und
spricht so vertraulich von Johann von Gaunt, als wenn er sein
Dutzbruder gewesen wäre, und ich will d'rauf schwören, er hat
ihn nur ein einziges Mal gesehen auf dem Turnierplatz: und da
schlug er ihm ein Loch in den Kopf, weil er sich zwischen des
Marschalls Leute drängte. Ich sah es und sagte zu Johann von
Gaunt: sein Stock prügele einen andern. Denn man hätte ihn
und seine ganze Bescheerung in eine Aalhaut packen können; ein
Hoboenfutteral war eine Behausung fĂĽr ihn, ein Hof! und nun
hat er Vieh und Ländereien!'
Dieser ebenso drastischen als erschöpfenden Charakteristik
ist in der That Nichts hinzuzufĂĽgen.
Den beiden friedensrichterlichen Clowns stellt sich wĂĽrdig
an die Seite die Garnitur der Landjunker: Schaum (in Mass fĂĽr
Mass) ein Troddel von kaum ein Dutzend Worten, Schmächtig
(in den lustigen Weibern) ein Narr von Schaars Verwandtschaft,
vor Allen aber die Krone der Einfaltspinsel Christoph Bleichen-
wang, der Flachskopf, dessen Hauptverdienst in dem Besitz seiner
trefflich gebauten, in einem geflammten Strumpfe sich besonders
gut ausnehmenden Wade besteht, der Rindfleischesser, der 'man-
nichmal nicht mehr Witz hat, als ein Christensohn und ein ganz
gewöhnlicher Mensch', der Fuchsprell er, der thöricht genug ist,
sich von seinem versoffenen Kumpan und Mitclown, dem Junker
Tobias Rülp prellen, hänseln und ausbalgen zu lassen, ein Feig-
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ling, der sich auf seine FechterkĂĽnste nicht wenig einbildet und
vor jeder Klinge Reissaus nimmt, ein Bursch von der entzĂĽckendsten
Stupidität, ein kapitales pceiis camin, in der That der Würdigste,
um die Gallerie der Dummköpfe zu schliessen. l )
Die dritte und höchste Rangstufe des Shakespeare'schen
Clownthums behaupten die Mischlinge von Einfalt und Witz oder
jenachdem — von Witz und Einfalt, in welcher letzteren Com-
position sie den Uebergang zu den eben so reich wie ideal aus-
gestatteten Figuren der Gewerbsnarren unseres Dichters bilden.
FĂĽr diese Charaktere finden sich allerdings Analogieen bei den
Dichtern der romanischen Nationen, besonders bei den Spaniern
(die Clarin's und Chato's des Calderon), nur mit dem Unterschiede,
dass die romanischen Poeten den Schwerpunkt in die Intrigue,
auf die Komik der Fabel legen und ihre Komiker als stehende
Masken behandeln, während Shakespeare den komischen Charakter
als solchen vor uns treten lässt, in That und Wort sein Inneres
vor uns aufdeckt und durch die Perspektive in die WidersprĂĽche
seines Bewusstseins und in seine unendliche Naivität unser Wohl-
behagen hervorzaubert. Freilich stehen die Clowns dieser, der
dritten Gattung, fast durchweg — die beiden Dromio's ausge-
nommen — mit der Haupthandlung der Stücke, in welchen sie
auftreten, in keinem nothwendigen Zusammenhange; sie könnten
auch — bis auf die genannten Dromio's — fehlen, ohne dass dem
pragmatischen Verlaufe der Fabel ein wesentlicher Eintrag ge-
schähe, so gut wie die Gewerbsnarren — und doch möchten wir
sie eben so wenig missen, wie diese. Ihr Witz ist zwar meist
nur der akustische und bewegt sich wesentlich in Wortspielen,
welchen man eine besondere Gedankentiefe nicht nachrĂĽhmen kann;
und wo die guten Burschen Metaphysik treiben, läuft dieselbe
immer auf ziemlich hausbackene Anschauungen hinaus — doch
gestaltet sich dies Alles in ihrem Munde und aus ihrer natĂĽrlichen
Narrheit heraus so drollig und theilweis so ĂĽberraschend, dass ihre
GedankensprĂĽnge und Kapriolen nie ihren Eindruck verfehlen.
Die bereits erwähnten Todtengräber im Hamlet sowie der
Pförtner im Macbeth, der Kerkermeister, der Pförtner und der
') Der dritte Comicus in Was ihr wollt, der Hausmeister Malvolio, hat
Nichts vom Tölpel — im Gegentheil rühmt Olivia seine verständige Höflichkeit.
Obwohl im Uebrigen Narr, ist er doch darum kein Clown.
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Knecht in Heinrich VIII. sowie Peter in Romeo und Julie (blosse
Intermezzisten), der KĂĽfer Pompejus in Mass fĂĽr Mass, die Be-
dienten Lanz und Flink in den beiden Veronesen, Lanzelot Gobbo
im Kaufmann von Venedig, Grumio und Biondello in der Wider-
spenstigen Zähmung, vor Allen das Zwillingspaar der Dromio in
den Irrungen — mit mehr oder weniger Betheiligung an der
Handlung — stellen diese Gruppe der Mischlinge von Tölpel und
Witzbold dar; nur lasst sich bei Flink, Biondello und dem Syra-
kuser Dromio ein höherer Grad witziger Begabung und ein ab-
geschleifteres Wesen wahrnehmen, als bei den Uebrigen, bei wel-
chen das Naturwüchsige prävalirt. Was sie jedoch samt und
sonders vor den Clowns der beiden vorhergehenden Klassen aus-
zeichnet, ist, dass sie sich nicht blos durch ihre Einfalt, bezĂĽglich
ihre Tölpelhaftigkeit als Objekte der Belustigung dem Gelächter
Preis geben, sondern auch, und zwar die Einzelnen mit mehr oder
weniger Bewusstsein, den Spiess umkehrend, sich zum Subjekt
der Verlachung aufschwingen und nicht selten mit dem glĂĽcklich-
sten Erfolge ihre Umgebung ironisiren.
Am deutlichsten tritt dieser Dualismus passiver und aktiver
Komik in FalstaflPs Spiessgesellen hervor (Heinrich IV., V. und
Lustige Weiber von Windsor). Auf allen den wĂĽsten Burschen
von Eastcheap trommelt der Witz des lustigen Ritters recht un-
barmherzig herum — dafür muss es aber auch Sir John ruhig
hinnehmen, wenn sich die Gehänselten gelegentlich durch einen
Ausfall auf seinen fetten Bauch revanchiren. Der Unverschämteste
und Verlumpteste aus der Gesellschaft, Pistol, geht hierin natĂĽr-
lich am weitesten; wo sich die Strolche nicht an den Meister
selbst heranwagen, richten sie ihren Witz gegen KĂĽfer, Haus-
knechte, Rekruten und andere Dümmlinge. — Im Uebrigen haben
wir in der Bande von Eastcheap eine wahre Musterkarte katilina-
rischer Existenzen vor uns, die sich samt und sonders in dem
Brennpunkte Falstaflf sammeln, um von diesem in einzelnen Ra-
dien wieder ausgestrahlt zu werden, die Trabanten des Urbildes
des Humors, langfingerige Schufte, doch so lustig wie die Heim-
chen, Kavaliere vom Schatten, Schoosskinder des Mondes. Man
sehe sich nur die Galgenphysiognomieen eines Gadshill und Peto
an, wie der Eine die Räubereien der Bande ausspürt, der Andere
die lustigen Schwänke veranschlagt — diesen Nym, den stets
malkontenten mit seinen schlotterigen, blasirten GesichtszĂĽgen und
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dem gläsernen Blick, die Nachteule, die stets vom Humor krächzt
und dabei das arme Wort nur zu Tode hetzt — Bardolf, den
kapitalen Sekttrinker mit dem unauslöschlichen Freudenfeuer im
Gesicht, das FalstafFs Witz beständig im Weissgltihen erhält —
vor Allen Pistol, den aufgestelzten / komödiantischen Bramarbas,
diese Karikatur der bizarrsten Sorte mit dem satyrischen Beige-
schmack auf das hohle Pathos der damaligen Dramatiker — und
man wird keinen Augenblick anstehen, unter den Clowns der letzten
und höchsten Rangstufe den Gesellen FalstafFs die Palme zuzu-
erkennen.
Zum Schluss sei eines Ausspruchs gedacht, welcher, in der
Vincke'schen Bearbeitung von Calderons Tochter der Luft dem
Clown Chato geltend, vielleicht mit grösserem Rechte auf die
Shakespeare'schen Naturburschen anzuwenden sein dĂĽrfte:
'Der Klotz bleibt immer Klotz! Und doch, es lässt sich
Was aus .ihm schnitzen von geschickter Hand.'
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Shakespeare und Giordano Bruno.
Von
Willielm König:.
Die Shakespeare- Kritik ist gewöhnlieh dann am meisten in
Gefahr, auf allerlei Abwege zu gerathen, wenn sie ihren Dichter
und seine Werke mit der Philosophie in nahe BerĂĽhrung bringt.
Indess wird man, so wenig gewiss er selbst sich fĂĽr einen Philo-
sophen angesehen hat, doch in Anbetracht seiner tiefen Erkennt-
niss der menschlichen Natur, insbesondere des Zusammen- und
Entgegenwirkens der Seelenkräfte, ihn immerhin als einen Jünger
wie Förderer derjenigen Wissenschaft erachten müssen, die es
vorzugsweise mit der Erkenntniss des menschlichen Geistes und
ihrer Beziehung auf das Weltganze zu thun hat. 1 ) Freilich ist,
wenn diese Wissenschaft nur in der Fortbildung des sogenannten
philosophischen Systems verfolgt wird, weder nachzuweisen, dass
Shakespeare sich zu einem bestimmten System bekannt hat, noch
dass er auf Ausbildung eines solchen direkten Einfluss gehabt hat.
Gleichwohl dĂĽrften manche JĂĽnger der Philosophie, sowohl von
denen, welche sich dafür ausgeben, als auch solche, die thatsächlich
durch ihr Streben nach Erkenntniss in deren Reihen treten, aus
') Eine umfassende Kenntniss der Philosophie wird Shakespeare z. B. von
G. MarggrafF zugeschrieben in dem Werk: W. Shakespeare als Lehrer der
Menschheit (Leipzig 1864), wo es heisst: 'Zu Compositionen, wie Shakespeare
sie lieferte, bringt es jedenfalls auch ein englischer blos autodidactisch und
durch Leetüre gebildeter Naturdichter nicht. Poesie von solcher Höhe und von
solchem Umfange, wie sie bei Shakespeare erscheint, erfordert unbedingt die
gründlichste Kenntniss und das tiefste Studium der vorhergegangenen grössten
poetischen Schöpfungen aller Zeiten. Die bis dahin bekannt gewordenen phi-
losophischen Systeme muss Shakespeare ebenfalls aus dem Grunde gekannt
haben; denn er steht auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit. 1
Jahrbuch XI. 7
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den Dichtungen Shakespeare's mein* fĂĽr ihre philosophische Er-
kenntniss und Fortbildung gewonnen haben, als aus den Schriften
mancher Philosophen von Fach. Inwieweit nun Shakespeare selbst
seine umfassende Erkenntniss menschlicher Dinge auch philosophi-
schen Studien verdankt, ist eine Frage, deren Beantwortung mit
der Anschauung zusammenhängt, welche sich der Einzelne von
dem früher noch mehr als jetzt streitigen Verhältniss bildet, in
welchem natĂĽrliche Intuition und praktische Erfahrung einerseits
und Schulbildung und Studium andrerseits beim Hervorbringen
seiner Schöpfungen gewirkt haben. Es sind darüber auch nach
den verschiedensten Richtungen hin die genauesten Untersuchungen
vorgenommen und bis in das kleinste Detail verfolgt worden, in
Anbetracht der philosophischen Bildung des Dichters dĂĽrfen wir
sie noch nicht als abgeschlossen ansehen und gerade hier sind sie
wichtiger, als bei Feststellung dessen, was Shakespeare von ein-
zelnen concreten Wissenschaften, der Medizin, Rechtswissenschaft
u. a. gelernt und verstanden hat. Bei dem weiten, eigentlich
unbegrenzten Umfang der philosophischen Wissenschaft in An-
sehung ihres Gegenstandes, bei der Möglichkeit, Alles in den-
selben hineinzuziehen und alle Erkentniss auf sie zurĂĽckzufĂĽhren,
ist solcher Untersuchung freilich ein weites und schwieriges Feld
gegeben, wenn die Spuren philosophischen Studiums aus den zahl-
reichen Werken des Dichters im Grossen wie im Einzelnen nach-
gewiesen werden sollen, und das gewonnene Resultat und die
BeweisfĂĽhrung im Einzelnen werden allerlei Anfechtungen unter-
liegen. Doch sei es hier immerhin versucht, da wir eine solche
Untersuchung an sich als förderlich für die Erkenntniss des Dich-
ters erachten, einen Beitrag zu derselben dadurch zu liefern, dass
wir die Beziehungen der Dichtung Shakespeare's zu dem zeit-
genössischen Philosophen Giordano Bruno zu ermitteln suchen.
Bisher sind dieselben von den Commentatoren Shakespeare's wenig
beachtet worden, und erst Tschischwitz hat mit einem solchen,
aber wesentlich auf Hamlet beschränkten Nachweis einen dankens-
werthen Anfang gemacht. 1 )
l ) B. Tschischwitz, Shakspeare-Forschungen, Bd. 1, Hamlet. Halle 1868.
Derselbe, Shakspeare's Hamlet. Englischer Text, berichtigt und erklärt. Halle
1869. Wir werden im Einzelnen nicht immer wiederholen, welche Nachweise
schon Tschischwitz gegeben hat. Im Ganzen sind von ihm die meisten der
aus Hamlet hier angeführten Stellen in demselben Sinne wie hier erörtert.
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Dass ĂĽberhaupt philosophische Studien Shakespeare nicht
fremd waren, ist zunächst dadurch unwiderleglich erwiesen, dass
er Montaigne's Essays nicht nur besessen, sondern auch in seiner
Dichtung benutzt hat. 1 ) Dabei ist freilich die Frage noch voll-
ständig offen gelassen, ob er Philosophie wissenschaftlich getrieben
und ob er ĂĽberhaupt viel Werth auf dieselbe gelegt hat. Man
hat sogar darauf hingewiesen und es ist z. B. von Hebler in einer
Zusammenstellung vieler darauf bezĂĽglicher Stellen plausibel ge-
macht worden, 2 ) dass Shakespeare von der Philosophie nicht viel
gehalten habe, da er allenthalben nicht die Stärke, sondern
schwache Seiten derselben hervorgehoben habe, auch zu sehr
Dichter gewesen sei, um Philosoph zu sein. Das Letztere können
wir nur insoweit nachgeben, dass er zu sehr Dichter war, um
Philosophie auf Kosten seiner Dichtung zu treiben, dass aber
philosophische Studien fördernd auf sein poetisches Schaffen ge-
wirkt haben und dass er der Philosophie als Wissenschaft im
Allgemeinen den ihr zukömmlichen Werth beilegte. Die Stellen,
aus denen das Gegentheil hervorgeht, können hier nicht einzeln
nach diesem Gesichtspunkt erörtert werden, auch Hebler misst
ja den einzelnen Stellen keinen Beweis ĂĽber seine Aufstellung
bei, wir erlauben uns nur einige allgemeine Bemerkungen und
glauben, dass unter deren BerĂĽcksichtigung sich ein anderes Re-
sultat herausstellt, als das von Hebler gefundene.
Schon in einigen der frĂĽheren Dramen Shakespeare's, in der
Zähmung der Widerspenstigen und Verlorener Liebesmühe sind
junge Männer, die sich dem Studium der Philosophie hingeben
wollen, in einer Weise dargestellt, dass wir solches Studium als
dem Dichter sympathisch ansehen mĂĽssen. Dass im weitern Ver-
lauf der StĂĽcke von solchem Studium nicht weiter die Rede ist,
lag schon im Stoff der Dichtung, der ĂĽberhaupt nicht leicht phi-
losophisches oder anderes Studiren zum Gegenstande haben wird.
Dann war es in der Anschauung des Dichters tief begrĂĽndet, dass
er zugleich in verschiedenen Formen und Graden der Darstellung
sich gegen ein ĂĽbertriebenes und einseitiges philosophisches Stu-
dium erklärte, so in der Zähmung der Widerspenstigen durch die
») Sturm n, 1, 145. Jahrbuch B. VIT, S. 33. B. IX, S. 198.
2 ) C. Hehler, Aufsätze über Shakespeare. 2. Ausgabe. Bern 1874. S. 279 ff. :
Shakespeare und die Philosophie.
7*
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Scherze des Dieners des jungen Studiosen Lucentio, in der Ver-
lorenen LiebesmĂĽhe durch die poetischen Declamationen Biron's
und den Verlauf der Handlung. Zwar ist später im Hamlet noch
nachdrĂĽcklicher die philosophische Speculation in ihrer Kehrseite
und als die Willenskraft lähmend dargestellt, doch hat der Dichter
augenscheinlich den Helden als einen geistig sehr hoch stehenden
Mann vorfĂĽhren wollen, und wenn er ihn dabei als philosophisch
geschult erscheinen lässt, so ist unverkennbar, dass er das philo-
sophische Studium als eng damit zusammenhängend voraussetzt.
In einer Reihe von Stellen, worin von der Philosophie in ab-
wendiger oder geringschätziger Art gesprochen wird, geschieht
dies aus einer sehr leidenschaftlichen Stimmung heraus, so bei
Romeo, Constanze, Leonato (in Viel Lärm um Nichts), und es
beweist eben nichts, wenn in solcher Aufregung die Betreffenden
für die Tröstungen der Philosophie sich unzugänglich erweisen.
Andrerseits sind philosophische TrostgrĂĽnde bei Claudio (Maass
fĂĽr Maass HE, 1) von Wirkung, und wenn dieselbe auch nicht
lange vorhält, so beweist doch alles dies nichts für eine gering-
schätzige Anschauung des Dichters über die Philosophie überhaupt.
Man könnte sogar eine Vorliebe für philosophisches Raisonnement
daraus folgern, dass hier wie an anderen Stellen die TrostgrĂĽnde
von der Philosophie und nicht von der christlichen Religion ent-
nommen sind.
Wenn an anderen Stellen die Philosophie in den Bereich des
Scherzes gezogen, ja sogar eine Art Spott darĂĽber ergossen wird,
so ist zu berĂĽcksichtigen, dass Shakespeare in denjenigen Scenen,
welche der Tummelplatz seiner Narren sind, alle möglichen Gegen-
stände hereinzieht, um Wortspiele und Scherze daran üben zu
lassen, während in den ernsteren Theilen der Dramen, wo mehr
die Leidenschaft als die Reflexion zu sprechen hat, sich viel
weniger Raum dafĂĽr findet, ĂĽber ernste Dinge ernsthaft zu spre-
chen. Daher kommt es, dass vieles, was im Gewände des Scherzes
recht gut poetisch zu verwerthen ist, keinen Boden fĂĽr ernst-
hafte Behandlung im Drama hat. Dann ist aber auch der Spott,
der bei Shakespeare gelegentlich gegen Philosophen und die Philo-
sophie gerichtet wird, nicht auf die Wissenschaft als solche, son-
dern auf gewisse Abwege in der Art, wie sie behandelt wird, zu
beziehen. Derartige Ausfälle macht namentlich Probstein in
Wie es Euch gefallt (111,2), wenn er den Schäfer frägt, ob er
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Philosophie verstehe, und auf dessen Antwort, die etwa darauf
hinausgeht, dass er weiss, der Regen mache nass und das Feuer
brenne, erwidert: 'so einer ist ein Natur-Philosoph' (natural philo-
svpher, zugleich ursprĂĽnglicher, ungeschulter und Narr-Philosoph.
Andere Wortspiele, wo 'natural* als Narr gebraucht ist, finden
sich in A. I, Sc. 2 desselben Lustspiels). Probstein beweist sodann
durch eine Kette von Schlüssen dem Schäfer, dass er verdammt
sei, weil er nicht am Hof gewesen ist. Ob nun hier der Spott
des Dichters nach den Worten seines Jacques wie eine wilde
Gans (unclaim'd of antj mm) ohne bestimmtes Ziel umherfliegt,
oder ob er hier gewisse Philosophen im Auge gehabt hat, wird
kaum nachzuweisen sein. Fast sieht es so aus, als wäre der
natural philosopher auf den grossen Baco von Verulam selbst ge-
mĂĽnzt gewesen. Damals waren zwar von diesem nur einige der
Essays erschienen (1597), — die übrigen Schriften wurden erst
nach Shakespeare's Tode gedruckt — doch sind die Hauptwerke
Baco's schon viel frĂĽher vollendet worden (das Advancement of
Learning 1605) und die philosophischen Ansichten Baco's werden
schon viel frĂĽher im Allgemeinen und vielleicht gerade so unvoll-
ständig bekannt gewesen sein, dass Shakespeare zur Zeit, als er
jenes Lustspiel dichtete (wahrscheinlich 1599), zu jenem Ausfall
sich veranlasst fühlen konnte, wie denn auch die grosse Autorität
Baco's als Philosoph erst viel später und zuerst im Ausland her-
vortrat. Man hat zwar eine grosse Geistesverwandtschaft zwischen
Baco und Shakespeare behauptet, von dem Versuch zu geschweigen,
beide vollständig zu identifiziren, l ) doch finden sich unter den
vielen Parallelstellen, die man aus Shakespeare's und Baco's Essays
zusammengestellt hat, nur äusserst wenige, die auch nur eine
Aehnlichkeit, viel weniger eine Benutzung verriethen. Wenn
Shakespeare auch in einigen Anschauungen mit Baco ĂĽberein-
kommt, z. B. dass der Mensch fĂĽr Andere leben mĂĽsse, in der
Abneigung gegen die Extreme, so ist dies doch nichts besonders
EigentĂĽmliches, und die fĂĽr die Philosophie gemachte Anwen-
dung, wonach Baco zum Massstab derselben die GemeinnĂĽtzigkeit
aufstellt, 2 ) scheint Shakespeare gerade nicht adoptirt, der könig-
>) W. H. Smith: Was Lord Bacon the Author of Shakespeare's Plays?
London 1856. Derselbe, Bacon and Shakespeare. London 1857.
3 ) Erdmann, Geschichte der Philosophie. 2. Aufl. B. 1, S. 561. 562.
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liclien Wissenschaft vielmehr einen abstracteren Werth beigemessen
zu haben, wie schon die bisher erwähnten Aeusserungen andeuten.
Vielleicht ist sogar obige Probsteinsche Erörterung gerade dazu
bestimmt, jene beabsichtigte GemeinnĂĽtzigkeit der Philosophie
lächerlich zu machen. *) Auch ist es gewiss der Anschauung des
Dichters gemäss gewesen, dass man von der Philosophie nicht zu
viel verlangen und sich bescheiden mĂĽsse, dass so manches auch
der tiefsten philosophischen Forschung unzugänglich bleibe (Hamlet
I, 5, 166; II, 2, 383; Ende gut, alles gut II, 3, 1).
Von den zeitgenössischen Philosophen ist es also nicht Baco,
der später berühmteste derselben, gewesen, an welchen sich Shake-
speare angelehnt, dagegen hat von denselben Giordano Bruno einen
Einfluss auf ihn geĂĽbt, wie gewiss kein anderer der bis dahin
bekannten Philosophen, abgesehen von der allgemeinen Einwirkung,
welche damals die aristotelische Philosophie in der literarischen
Welt noch hatte, ohne dass ein specielles Studium der Schriften
ihres Urhebers dabei vorausgesetzt werden darf. Um jenen Ein-
fluss nachzuweisen, muss zunächst über die Person Bruno's, seine
Schriften und seine Lehre etwas vorausgeschickt werden.
Giordano Bruno oder Bruni war im Jahr 1548 in Nola bei
Neapel geboren, trat jung in den Dominicaner-Orden ein, kam
aber vermöge seiner lebhaften, ja glühenden Phantasie, seiner Be-
geisterung fĂĽr die Natur und fĂĽr die Entdeckungen des Copernikus
sehr bald in Conflicte mit seinen geistlichen Oberen, welchen er
sich demnächst durch die Flucht entzog. Er führte nun ein
unstätes Leben, indem er an verschiedenen Orten Frankreichs,
Deutschlands, der Schweiz in akademischen und Privatvorlesungen
sowie in verschiedenen Schriften seine Ansichten geltend machte.
Gegen Ende des Jahres 1583 kam er nach London, mit Empfeh-
') Dass Baco als Mensch und ĂĽberhaupt Shakespeare nicht sympathisch
gewesen sein kann, dĂĽrfte aus seinem wenig achtungswertheu moralischen Cha-
rakter und der feindlichen Stellung, welche Baco gegen Essex, den Freund
Soutbampton's und ebenfalls Gönner Shakespeare's, einnahm, zu entnehmen sein.
Vgl. Macaulay, Lord Bacon, in den Essays (Tauchnitz Edition Vol. 3, S. 1-147. 45).
Baco selbst erwähnt Shakespeare, der nur drei Jahr jünger war, als er, und
den er um zehn Jahr ĂĽberlebte, mit keiner Silbe, obgleich er wiederholt auf das
Theater seiner Zeit zu sprechen kommt. Dass sich beide, vielleicht auch persön-
lich gekannt haben, ist nach ihrer beiderseitigen Stellung und den Beziehungen
Beiger zu Southampton, vorauszusetzen. C. Karpf, Erklärung der Sonette (To
ri ijv eivai), s. 13.
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— 103 —
lungen des Königs Heinrich HL von Frankreich an seinen Ge-
sandten Mauvissier, wnrde von diesem gut aufgenommen und ver-
lebte in dessen Hause die glĂĽcklichsten und ruhigsten Zeiten seines
bewegten Lebens. Er blieb daselbst, mit Ausnahme einiger Mo-
nate, die er in Oxford, mit Vorlesungen und Disputationen be-
schäftigt, zubrachte, bis gegen Ende 1585, zu welcher Zeit der
Gesandte wieder abberufen wurde. Er begleitete diesen dann nach
Paris, ging später nach Maiburg und darauf nach Wittenberg, wo
er vom August 1586 bis April 1588 öffentliche Vorlesungen über
Philosophie, Mathematik und Physik hielt. Von der guten und
liberalen Aufnahme, die er in Wittenberg, welches er das deutsche
Athen nannte, bei den akademischen Lehrern fand, hat er wieder-
holt dankbare Erwähnung gethan, und es darf dies hier hervor-
gehoben werden, da die Erwähnung von Wittenberg im Hamlet
vielleicht auf Giordano Bruno zurĂĽckzufĂĽhren ist. 1 ) An anderen
Orten hat Bruno dagegen um so mehr Verfolgungen wegen seiner
Lehre erfahren mĂĽssen; von Marburg wurde er auf Veranlassung
der dortigen Professoren vertrieben und endlich in Venedig, wohin
ihn ein SchĂĽler, Mocenigo, eingeladen hatte, auf dessen Denun-
ciation und in dessen Hause verhaftet und der Inquisition ĂĽber-
liefert (1592). Sieben Jahr widerstand er im Kerker allen Foltern
und allen Zumuthungen des Widerrufs seiner Lehre und erlitt
endlich in Koni, wohin er ausgeliefert worden war, mit dem grössten
Muth und ohne einen Schrei des Schmerzes den Feuertod, nachdem
er bei VerkĂĽndung des Urtheils die denkwĂĽrdigen Worte zu seinen
Richtern gesprochen hatte: Mehr Furcht beweist Ihr durch Euer
Urtheil als ich, indem ich es anhöre. 2 )
Von dem Leben Bruno's ist fĂĽr die Kenntniss Shakespeare's
und der englischen Zustände zu jener Zeit besonders sein Aufent-
halt in London und was er von demselben erzählt von Interesse.
Wie schon seine Aufnahme in das Haus des Gesandten und die Gunst,
in welcher er bei demselben stand, ergiebt, kam er mit vielen
hochgestellten und berĂĽhmten Personen Englands in BerĂĽhrung.
Auch der Königin wurde er vorgestellt und scheint mit Mauvissier
und auch ohne diesen öfter bei Hofe gewesen zu sein. Den Re-
*) Vgl. Tschischwitz, Shakespeare-Forschungen, B. 1, Hamlet, S. 53. Do-
menico Berti, vita di Giordano Bruno. Florenz, Turin, Mailand 1868, S. 207 ff.
8 ) Berti a. a. 0. S. 263.
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gententngenden und der hohen Bildung Elisabeth's zollt er an
mehreren Stellen seiner Schriften ein ĂĽberschwengliches Lob, nennt
sie die grosse Amphitrite, Diana, die Göttin auf Erden, eine Sonne
unter den Sternen, mit denen er die anderen Frauen und Damen
Englands vergleicht, fĂĽr welche er ĂĽbrigens ebenfalls grosse Be-
wunderung an den Tag legt. 1 ) Nicht minder weiss er viel zum
Lobe der englischen Grossen und Cavaliere zu sagen und preist
die hohe Bildung und LiebenswĂĽrdigkeit derselben ĂĽberhaupt und
mehrerer einzelner insbesondere, z. B. von Leicester, Walsingham,
Phil. Sidney. 2 ) Nach dem neuesten und sehr sorgfältigen Bio-
graphen Bruno's, Berti, der zuerst ein vollständiges Licht über
sein Leben verbreitet hat, da ihm die Acten des von der Inqui-
sition gegen ihn gefĂĽhrten Prozesses in den Archiven von Venedig
zn Gebote standen, ist er auch mit Spenser und Harvey bekannt
gewesen, dagegen bezeugt Berti ausdrĂĽcklich, dass es ungewiss sei,
ob er Baco von Verulam und Shakespeare gekannt habe. 3 ) Das
letztere würden wir voraussetzen können, wenn nicht Bruno's An-
wesenheit in London vor und in die erste Zeit von Shakespeare's
Wirksamkeit und wahrscheinlich vor die Bekanntschaft mit South-
ampton fiele, der beim Weggange Bruno's erst zwölf Jahr alt war.
In der Schattenseite von Bruno's Gunst stehen die Fach-
gelehrten, namentlich die Professoren von Oxford und das niedere
Volk. Erstere schildert er als Pedanten und von bäurischen
Sitten 4 ) und von der Rohheit des gemeinen Volkes spricht er mit
einem gelinden Entsetzen. Im Eingang der cena Helle ceneri erzählt
er eine Wanderung durch London, wobei verschiedene unliebsame
BerĂĽhrungen mit dem Volk der Strasse, Schiffern u. dgl. und der
mangelhafte Zustand der Strassen, der Koth u. s. w. in ergötz-
licher Weise geschildert werden. Dabei interessirt uns der Name
eines Begleiters, Florio, der offenbar derselbe italienische Sprach-
meister und Uebersetzer des Montaigne ist, welchen Shakespeare
im Holofernes in der Verlorenen LiebesmĂĽhe portraitirt haben soll.
Das letztere behaupten wenigstens einige der frĂĽheren Commen-
') Das Sonett nach der Widmung zn den eroici furori. Bruno, Opere, Ausg.
von Ad. Wagner, Vol. II, S. 312. Vol. I, S. 144. 230.
3 ) Opere, Vol. I, S. 145.
») Berti, Giordano Bruno, S. 192.
4 ) Opere, Vol. I, S. 179.
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tatoren, Warburton, Farmer, Steevens, und N. Drake ist ihrer
Ansicht beigetreten. *) Malone war entgegengesetzter Meinung und
fĂĽhrte dafĂĽr den Umstand an, dass Florio ein SchĂĽtzling South-
ampton's gewesen sei und Shakespeare daher eine derartige Ver-
spottung sich nicht erlaubt haben würde. Wir können diesen
Grund nicht fĂĽr stichhaltig erachten, wenn er auch bei der Zeit-
bestimmung Malone's, der das StĂĽck in das Jahr 1594 setzt, zu-
treffender erscheint, als wenn dasselbe, wie es wol richtiger ist,
in die ersten Jahre von Shakespeare's BĂĽhnenwirksamkeit in London
gesetzt wird. FĂĽr die Beziehung des Holofernes auf Florio fĂĽhrt
man namentlich die Ausfälle an, welche derselbe gegen dramatische
Dichter ĂĽberhaupt und dann insbesondere in einer Vorrede wegen
einer erlittenen Verspottung gemacht hat, wobei auch eines Sonettes
Erwähnung geschah, das man mit dem Gedichte des Holofernes
(V. L. M. II, 2, 57) in Verbindung brachte. Die erwähnte Deu-
tung ist hiernach ziemlich unsicher, jedenfalls hat es nicht den
Anschein, als wenn der Dichter ein vollständiges und leicht erkenn-
bares Bild des Italieners hätte geben wollen, sonst würde er unter
die vielen fremden Sprachbrocken des Holofernes wol noch mehr
aus der Muttersprache Florio's aufgenommen haben, als den kleinen
Keim zum Preise Venedigs, der allerdings (nach Delius, Shakespeare-
Ausgabe) aus einem Buch Florio's entnommen sein soll. Es wĂĽrde
also bei der Seltenheit der Fälle, in denen sich bei Shakespeare
ein Spott auf bestimmte Personen erkennen lässt, immerhin wichtig
sein, wenn aus Bruno's Erwähnung jenes Florio etwas zur Auf-
klärung der Frage gewonnen werden könnte. Doch ist dies nur
in geringem Maasse der Fall. Florio erwartet Bruno, wie dieser
erzählt, mit noch einem Andern, nachdem er ihn lange gesucht
hatte, vor seiner Wohnung, um ihn zu der Abendmahlzeit (von
welcher der Titel der Schrift cena delle ceneri, Mahl am Ascher-
mittwoch, hergenommen ist) bei Folco Grivello (Greville) abzuholen.
Bei der Fahrt auf der Themse stimmt Florio, 'als wenn er sich
seiner Liebschaften erinnerte', ein Liebeslied an (Dove vai senza
me, doke mia vita?) 2 ) Als sie endlich am Ort ihrer Bestimmung,
vermöge des schlechten und schlechtgewählten Weges verspätet,
ankommen, finden sie die andern Gäste bereits bei Tafel und dabei
') N. Drake, Shakespeare and his Times. Paris 1838, S. 217. Shakespeare's
Plays and Poems. London 1821 (Variorum Edition), Vol. IV, S. 479 ff.
2 ) Opere, Vol. I, S. 138. 139.
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wird von einem der (drei) Ankömmlinge ein hübscher Scherz er-
zählt. 1 ) Derselbe wird auf den noch offenen untersten Platz der
Tafel gewiesen, hält solchen aber für den obersten, dem Vornehm-
sten gebĂĽhrenden, und macht nun mit dem, der diesen Platz ein-
nahm, allerlei Complimente, um ihn aus vermeintlicher Bescheiden-
heit auf den geringsten Platz zu nöthigen. Offenbar war Florio
der Held dieses Scherzes, wenn er auch als solcher nicht genannt
ist, denn gleich darauf sitzt er, wie erzählt wird, gegenüber von
jenem Cavalier, der den obersten Platz einnahm, links von ihm
der Erzähler (Teofilo), offenbar jener 'niaestro Guin', der dritte
Begleiter bei dem gefährlichen Marsche durch London. Im weitern
Verlaufe der Erzählung kommt Florio nicht mehr vor, wenn er
nicht etwa unter der Maske des Pedanten von Bruno irgendwo
versteckt worden ist, doch widerspricht dem auch wieder jenes
Liebeslied, da der Pedant Bruno's als Weiberfeind geschildert ist.
So wenig wir hiernach aus dieser Erwähnung Florio's entnehmen
können, so würde doch dadurch bestätigt werden, dass der italieni-
sche Sprachmeister eine lächerliche Figur vorstellte, und es würde
sich auch jene hochmĂĽthige Bescheidenheit verrathen, die ein
Hauptzug in der ergötzlichen Figur des Holofernes ist, welche
wir noch weiter unten mit den Werken Bruno's werden in Ver-
bindung bringen müssen. In jener Erzählung lässt sich Bruno
auch ausfĂĽhrlich und mit grossem Widerwillen ĂĽber die Sitte des
starken Trinkens und die dabei vorkommenden, ihm lächerlichen
und unappetitlichen Gebräuche (z. B. das Reihetrinken aus dem-
selben Becher) aus. 2 ) Auch in einer andern Schrift zieht Bruno
über das übermässige Trinken und dessen Methode in Deutschland
her, wobei er schliesst: 3 ) 'videbitur pvrcus yorcorum in gloriam
Ciacchi (des Ferkels).' Ist es nicht, als hätte solche Auslassung
Veranlassung zu den Versen im Hamlet gegeben (I, 4):
Doch meines DĂĽnkens ist's ein Gebrauch,
Wovon der Bruch mehr ehrt als die Befolgung.
Dies schwindelköpfge Zechen macht verrufen
Bei andern Völkern uns in Ost und West;
Man heisst uns Säufer, hängt an unsre Namen
Ein schmutzig Beiwort. —
') Opere Vol. I, S. 150.
8 ) Opere Vol. I, S. 150.
*) In der Bestia triomfante. Opere Vol. ĂĽ, S. 247.
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Von den Schriften Bruno's fallen die verhältnissmässig meisten
in die Zeit seines Londoner Aufenthaltes, darunter auch die drei
bedeutendsten, welche seine philosophische Lehre hauptsächlich
entfalten: la cena Helle ceneri, deren äussern Eahmen wir soeben
erwähnt haben, de la causa, principio et uno; de Vinfinito, universo
e mondi. Alle drei sind in Gesprächsform und dem Kanzler Mau-
vissier gewidmet. Ferner sind in jener Zeit erschienen: Spaccio
della bestia trionfante, cabala del cavallo Pegaseo, welche beide mehr
in das Gebiet der Satire als der Philosophie gehören und daher
von Hallam unter der Unterhaltungsliteratur aufgefĂĽhrt werden, l )
endlich die eroici furori, ein Werk, in welchem Philosophie und
Dichtung in eigenthĂĽmlicher Weise gemischt sind. Das letztere
und das erste dieser drei sind Philipp Sidney gewidmet. Alle ge-
nannten sechs Werke sind zwar dem Titel nach in Paris oder
Venedig gedruckt, sie sind aber, wie Inhalt und Jahreszahl ergiebt,
offenbar in London verfasst und wahrscheinlich auch dort gedruckt
und bald verbreitet worden. In welchem Maasse letzteres geschah,
ist kaum festzustellen, jedenfalls sind sie Shakespeare bekannt ge-
worden, wie im Nachstehenden gezeigt werden soll. Daraus, dass
alle sechs Werke in italienischer Sprache verfasst sind, lässt sich
wieder ein Schluss auf die damalige Verbreitung dieser Sprache
unter dem Adel und den Gebildeten des damaligen England ziehen,
fĂĽr welche diese Schriften offenbar in erster Reihe berechnet
waren. Die ĂĽbrigen philosophischen Schriften Bruno's sind in
lateinischer Sprache verfasst. Von allen seinen Werken sind die
Einzelausgaben von jeher sehr selten gewesen, erst im Jahr 1830
erschien die hier citirte (jetzt ebenfalls vergriffene) Sammlung der
italienischen Schriften von A. Wagner in 2 Bänden. Die lateini-
schen Schriften sind noch gar nicht gesammelt. 2 ) Auch ĂĽber das
Leben Bruno's sind erst sichere und zusammenhängende Nachrichten
vorhanden, seit Berti die Acten der Inquisition in dem gegen Bruno
anhängigen Prozesse in Venedig kennen lernte und sein Buch:
Vita di Giordano Bruno 1868 herausgab. Hieraus erklärt sich
auch, dass die älteren Commentatoren von einer Beziehung des
') Hallam, Introduction to the Literature of Europe etc. Paris 1839, Vol. II,
S. 249.
J ) Die von Gfrörer begonnene Sammlung derselben, Stnttg., Lond., Paris
1834, ist ins Stocken gerathen und die wichtigsten Schriften fehlen darin.
Erdmann, Gesch. der Philosophie, B. I, S. 544.
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Dichters zu Giordano Bruno und dessen Schriften nirgends etwas
erwähnen.
Ehe wir nun diese Beziehungen näher zu erörtern versuchen,
wollen wir von der Lehre Bruno's einige Hauptpunkte, und grade
solche, die sich von Shakespeare beachtet finden, hervorheben.
Das philosophische System Bruno's basirt hauptsächlich auf der
von einigen alten Philosophen der eleatischen Schule aufgestellten,
später von Spinoza und Leibnitz weiter ausgebildeten Lehre, dass
die ganze Welt und alle darin vorkommenden Körper aus Atomen
bestehen, welche, an sich unverändert, wechselnde Verbindungen
eingehen. Danach werden alle Erscheinungen in der Welt, Men-
schen, Thiere, Sachen durch die Art der Verbindung solcher Atome
bedingt, und es findet bei keinem Körper eine Aenderung der Be-
standtheile oder ein Untergang, sondern nur eine veränderte Form
der Verbindung, keine Aenderung der Existenz, sondern nur der
Art und Weise des Daseins statt. Dies gilt sowohl von den rein
körperlichen, wie von den geistigen Existenzen und so werden die
verschiedenen Eigenschaften von Körper und Geist, die verschie-
dene Individualität des Menschen überhaupt durch die verschiedene
unendlich mannichfache Verbindung des unendlich theilbaren Stoffes
hergestellt, der nicht seiner Substanz, sondern nur seiner Verbin-
dung nach sich ändert. So heisst es im fünften Dialog des Werkes
de la causa, principio et uno von einem der Zuhörer: Wer also
Poliinnio als Poliinnio nimmt, ergreift damit nicht eine besondere
Substanz, sondern Substanz in einem besondern Verhältnisse und
in den Unterschieden, welche dieselbe betreffen, so dass es dahin
kommt, dass dieser Mensch in der Zahl und Menge eine Art aus-
macht. l )
Bei Shakespeare finden wir die Atomenlehre Bruno's in kurzer
Zusammenfassung in den Worten des Herzogs in Mass fĂĽr Mass
an Claudio (HI, 1, 19), da er ihn im Kerker tröstet:
thou art not thyself,
For thou exist'st on many a thousand grains,
That issue out of dust.
Wir unsererseits ĂĽbersetzen mit einer kurzen, aber allerdings er-
heblichen Aenderung von Schlegel's Uebertragung:
>) Opere Vol. I, S. 288.
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Du bist nicht du selbst,
Denn du bestehst aus tausenden von Körnern,
Vom Staub entsprossen.
Es ist uns freilich nur Eine Uebersetzung bekannt, in der die
Stelle in diesem Sinn aufgefasst ist, die von Heinrich Döring in
der bei Reclam in Leipzig erschienenen deutschen Ausgabe Shake-
speares. Die bekanntesten Uebersetzer, Schlegel, Bodenstedt und
Andere übersetzen: Du bestehst durch tausend Körner u. s. w.,
worunter also offenbar die durch Vegetabilien, Getreide gewährte
x Nahrung verstanden werden soll. Dies giebt einen ziemlich tri-
vialen Sinn, der den Vordersatz: 'Du bist nicht du selbst' in keiner
Weise begründen würde. Auch die Erklärung von Delius: 'Du
hast kein eigenes, bestimmtes, dir selbst angehöriges Wesen, son-
dern hängst von tausend Kleinigkeiten ab', befriedigt offenbar
nicht. Fassen wir dagegen den Satz als mit der Bruno'schen
Atomenlehre in Beziehung stehend auf, so giebt er einen guten
und dem Zusammenhang sich fugenden Sinn, denn jene Lehre
fĂĽhrt consequenter Weise zu der Behauptung, dass der Mensch
keine bestimmte Individualität, kein eigenes Selbst besitzt, sondern
nur ein zufälliges, auf Zeit beschränktes Conglomerat fremder
Körperchen ist. Unserer Erklärung dürften nur einige gramma-
tische und sprachliche Bedenken entgegenstehen, welche sich aber
einigermassen auch bei der gewöhnlichen Auffassung geltend ma-
chen, dass nämlich on für gewöhnlich weder 'durch' oder 'von', noch
'aus' in den bei obigen Uebersetzungen gebrauchten Bedeutungen
heisst, wenn man auch allerdings 'to feed on* in einem mit der gang-
baren Uebersetzung ĂĽbereinstimmenden Sinn gebraucht. Doch
wird, wie auch Delius im Shakespeare-Lexikon bezeugt, on öfter
fĂĽr of und umgekehrt bei Shakespeare gesetzt, und in einem ganz
gleichen Sinne, wie er hier gedeutet wird, kommt on in einer
Stelle im Sturm (IV, 1, 156) vor:
We are such stuff
As dreams arc made on —
in welcher der Sinn völlig klar und dem oben nachgewiesenen
nahe verwandt ist. Ob exist in der Bedeutung von 'bestehen aus'
gebraucht werden darf, hat allerdings seine Bedenken, doch lässt
sich der Satz immerhin auf die Atomenlehre beziehen, wenn man
auch übersetzt: 'du lebst durch, bestehst vermöge der tausend
Atome, aus denen du zusammengesetzt bist'. Dass yrain in der
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Bedeutung von kleinster Theil, Atom, bei Shakespeare gebraucht
wird, bezeugt auch A. Schmidt in seinem Shakespeare-Lexikon,
und ergeben dies auch klar die von ihm dort angefĂĽhrten Stellen.
Uebrigens kommt auch das Wort Atom, atomy, bei Shakespeare
einige Mal in der uns geläufigen Bedeutung vor. Wie es Euch
gefällt m, 2, 245. m, 5, 13. Eomeo und Julie I, 4, 57.
Auf jene Atomenlehre Bruno's in ihren GrundzĂĽgen finden wir
ferner ganz deutliche und bestimmte Anspielungen in folgenden
schon von Tschischwitz hervorgehobenen Stellen aus Hamlet. In
der Kirchhofsscene (V, 1, 223) sagt Hamlet: 'Warum könnte die
Einbildungskraft nicht dem edlen Staube Alexander's nachspĂĽren,
bis sie ihn findet, wie er ein Spundloch verstopft?' und auf den
Einwurf des Horatio: 'die Dinge so betrachten, hiesse sie allzu
genau betrachten' fährt er fort: 'Wahrhaftig, nicht im geringsten,
es heisst ihm nur mit hinlänglicher Zurückhaltung und Wahrschein-
lichkeit, die den Weg zeigt, dorthin folgen, wie z. B. so : Alexander
starb, Alexander ward begraben, Alexander ward wieder zu Staub, 1 )
Staub ist Erde; aus Erde machen wir Lehm, und warum könnte
man mit dem Lehm, in den er verwandelt wurde, nicht ein Bier-
fass verstopfen?'
In gleicher Weise behandelt Hamlet diese Stoffwanderung in
Akt IV (3, 21), wo er auf die Frage des Königs nach des Polonius
Leichnam antwortet, dass die Würmer sich über ihn gemacht hätten.
'So ein Wurm,' fährt er fort, 'ist Euch der einzige Kaiser, was
die Tafel betrifft, wir mästen alle sonstigen Creaturen, um uns zu
mästen, und uns selbst mästen wir für Maden. Ein Mann
könnte mit dem Wurme fischen, der von einem Könige gegessen
hat, und von dem Fische essen, der sich von dem Wurm genährt.' —
Auf die Frage, was er damit meine, ist die Antwort: 'Nichts, als
Euch zeigen, wie ein König seinen Triumphzug durch den Darm
eines Bettlers halten kann.'
Auch Bruno verfolgt den Gedanken der Stoffwanderung mit
ähnlicher Genauigkeit in einer Stelle seiner Schrift della canm,
prhwijrio et uno: 'Sehet Ihr nicht, dass das, was Samen war, zu
Gras, und was Gras war, zur Aehre, was Aehre war, zu Brod,
was Brod war, zu Milchsaft, was Milchsaft war, zu Blut wird?
l ) Hierbei mag indess bemerkt werden, dass Alexander in Atome zerstreut
aucb ein Gegenstand von Marc Aurel's Selbstbetracbtungen ist. Vgl. Carriere,
Die Kunst im Znsammenbange etc., B. II, S. 603.
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dass aus diesem der Same, aus diesem der Embryo, aus diesem
der Mensch, aus dem wieder der Leichnam, aus diesem die Erde,
aus dieser Stein oder sonst etwas wird, und dass sie auf diesem
Wege weiter zu allen natĂĽrlichen Formen gelangen?' Bei dieser
Anschauung konnte Bruno den Körpern kein Aufhören, keinen Tod,
sondern nur ein verändertes Dasein beimessen, worüber er sich
deutlich in folgender Stelle der cena delle ceneri ausspricht, welche
daher ebenfalls zur Erklärung jener Aussprüche Hamlet's dient:
'Da aber jener gesammten Materie, aus welcher unser Erdball
besteht, das Sterben und die Auflösung nicht zukommt, auch die
Annihilation der ganzen Natur nicht möglich ist, so kommt sie
dazu, von Zeit zu Zeit nach einer bestimmten Ordnung sich zu
erneuern und alle ihre Theile zu ändern, zu wechseln und umzu-
setzen, was nach einer bestimmten Reihenfolge stattfinden muss,
nach welcher ein jedes Ding den Platz aller andern einnimmt/
Noch deutlicher wird diese Erklärung durch den sonst von Bruno
aufgestellten Satz, dass in der Welt und Natur ĂĽberall und zu
jeder Zeit eine gewisse Bewegung stattfindet.
Aus solchen Vorstellungen, die sich nach des Dichters Dar-
stellung eben auch Hamlet angeeignet hat, womit vielleicht auch
der Umstand im Zusammenhang gedacht ist, dass Hamlet in Witten-
berg seine Studien gemacht hat, wo Bruno einst einen Wirkungs-
kreis von etwas längerer Dauer hatte, als an andern Orten, erklärt
sich einigermassen auch die GleichgĂĽltigkeit, welche Hamlet sowohl
beim Tode Anderer (Polonius, GĂĽldenstern), als auch bei dem Ge-
danken an seinen eigenen verräth. Seine auf letzteren bezüglichen
Worte (V, 2, 230): 'geschieht es nicht jetzt, so geschieht es doch
einmal in Zukunft, geschieht es nicht in Zukunft, so wird es jetzt
geschehen, und geschieht es jetzt nicht, so geschieht es doch einmal
in Zukunft. Bereit sein ist Alles! Da kein Mensch weiss, was
er verlässt, was kommt es darauf an, bei Zeiten zu verlassen,'
haben im Einzelnen Aehnlichkeit mit folgenden auch sonst an
Shakespeare erinnernden Worten Bruno's aus der Dedication zum
Candelajo: 1 ) 'Mit dieser Philosophie erhebt sich mein Geist, er-
weitert sich mein Denkvermögen. Aber welches auch die bestimmte
Zeit jenes Abends, den ich erwarte, sein mag, wenn die Umwand-
lung Thatsache wird, so erwarte ich, der ich in Nacht bin, den
•) Opere Vol. I, S. 5.
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Tag, und jene, die im Tage sind, erwarten die Nacht. Alles das,
was ist, ist entweder hier oder da, nah oder fern, jetzt oder später,
gleich oder hernach.'
Bei Betrachtung der obigen Aeusserungen Hamlet's wird man
leicht zu der Ansicht gefĂĽhrt, dass dieselben und die ganze Lehre
Bruno's mit dem berĂĽlimten Monolog Hamlet's 'Sein oder nicht sein',
sowie der Erscheinung des Geistes nicht ganz im Einklang stehen.
Wir möchten hierbei weniger mit Tschischwitz annehmen, dass Hamlet
im Monolog sich skeptisch gegen die mehr gleichgĂĽltige Anschauung
vom Tode auflehnt, als dass jene GleichgĂĽltigkeit ĂĽberhaupt mehr
gegen das Ende des StĂĽcks zugleich mit einer gewissen Stumpf-
heit im ganzen Auftreten Platz greift, während Hamlet in den
ersten drei Akten häufiger von leidenschaftlichen Aufregungen heim-
gesucht wird. Andererseits dürfen wir die Erklärung vielleicht
darin finden, dass der Monolog, worauf wir schon im Jahrbuch
(VI, S. 297) aufmerksam machten, aus einer frĂĽhern Zeit herrĂĽhrt,
und um der BĂĽhnenwirkung willen beibehalten worden ist. Bei
der Erscheinung des Geistes ist Shakespeare ganz anderen Vor-
stellungen aus der Sphäre des damaligen Volksglaubens gefolgt,
hat sich dabei von rein dramatischen RĂĽcksichten leiten lassen und
sich nicht veranlasst gefĂĽhlt, dieses Motiv mit den von Hamlet
geäusserten philosophischen Ansichten in Uebereinstimmung zu
bringen.
Ueberhaupt dĂĽrfen wir nicht entfernt annehmen, dass Shake-
speare seine poetischen Schöpfungen oder auch nur einzelne Cha-
raktere, wie Hamlet, ganz conform mit dem philosophischen System
Giordano Bruno's habe gestalten wollen, dazu war er zu sehr
Menschenkenner und auf die dramatische Wirkung bedacht.
Man könnte hiernach uns füglich einwerfen, dass wir mit der
gegenwärtigen Erörterung etwas sehr Gleichgültiges unternommen
hätten, indem mit dem Nachweis, dass Shakespeare Giordano Bruno
gekannt und gelegentlich seine Lehren verschiedenen Personen in
den Mund gelegt habe, fĂĽr die Erkenntniss des Shakespeare'schen
Geistes nicht das Mindeste gewonnen sei, oder höchstens ein wei-
terer Beweis für den früher so häufig angezweifelten höhern Grad
von Bildung des Dichters. Indess ist die Lehre Bruno's doch
augenscheinlich auf die Denkweise und Ausbildung des Dichters
von Einfluss gewesen, und das namentlich auf einem Felde, auf
dem Shakespeare seine grösste Stärke entwickelt hat, auf dein der
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Charakterschilderung und der Darstellung von Charakterbildung.
Wir begegnen auf diesem Gebiete bei beiden Männern so überein-
stimmenden Ansichten ĂĽber einzelne tiefere psychologische Erschei-
nungen, dass es unter allen Umständen von Interesse erscheint,
den Erörterungen Bruno's über Wahrnehmungen nachzugehen, die
Shakespeare mehr oder weniger deutlich erwähnt und berührt,
ohne sie näher zu erklären, wozu er als Dichter ja auch keine
Veranlassung hatte.
Zunächst tritt an verschiedenen Stellen der Dichtungen Shake-
speare's die oben erwähnte Anschauung Bruno's, die er auch bei
geistigen Existenzen zur Geltung bringt, deutlich hervor, und finden
sich solche Stellen namentlich wieder im Hamlet und in StĂĽcken
aus derselben Zeit, lieber der Leiche des Brutus sagt Antonius
(Julius Caesar, Schluss) : 'Die Elemente waren in ihm so gemischt,
dass die Natur selbst ihn als Muster eines Mannes bezeichnet
hätte.' Ferner Hamlet, da er von Horatio's Charakter spricht:
'gesegnet, wess Blut und Urtheil sich so gut vermischt' u. s. w.
Auch bei sich selbst sieht Hamlet, wie er sich seine Fehler vor-
wirft, den Grund davon in einer fehlerhaften Zusammensetzung:
'mir fehlt's an Galle, die bitter macht den Druck,' doch verräth
sicli in den letzteren Stellen neben der Bruno'schen Lehre auch die
zu jener Zeit häufige Anschauung,- wonach gewisse Leidenschaften,
Seelenkräfte ihren Sitz in einzelnen bestimmten Körpertheilen haben
sollten. Ferner spricht Hamlet bei Vergleichung der beiden Könige
(TI, 4, 60) von einer 'Form' und 'Combination' und da er sich den
Tod wĂĽnscht, von einem Zergehen seines Fleisches in einen Thau
(I, 2, 130), also nicht von einem Untergange, sondern einer andern
Zusammensetzung, die aber allerdings dem Aufhören eines festen
Körpers und dem völligen Untergange, der ihm ja eben wünschens-
werth scheint, am ähnlichsten ist. 1 ) Edmund im Lear (I, 2, 11)
äussert seine Zufriedenheit mit seinem Aeussern in den Worten,
dass er 'more comjwsition' und 'fierce qualitij erhalten habe, als
eheliche Söhne, und der König in Ende gut, alles gut, da er sich
beifällig über Bertram's Erscheinung aussprechen will, sagt (I, 2, 20):
l ) Auch der König in Hamlet sieht den Tod nur als einen Formwechsel
an (I, 2, 72):
Thon knotest, Vis common, all fhat lives must die,
Passing through natnre to eterntiy.
Jahrbuch XI. 8
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— 114 —
Frank naturc, rather curious than in haste,
Has well compos'd thee —
Auch die Worte der Lady Macbeth, da sie sich zu Entschluss und
Ausführung des Mordes fähig machen will, bewegen sich in der-
selben Anschauungsweise (I, 4, 41 — 50), namentlich der Schluss:
Cotne to my Momarts breasts,
And take my milk for galt, you murdering ministers,
Wherever in your sightless sabstances
You wait on nature's mischief!
Endlich finden wir in den Sonetten vielfache AusdrĂĽcke, in denen
die Individualität, sowohl körperlich wie geistig, auf einer Zu-
sammensetzung beruhend, ganz im Sinne Bruno's, gedacht er-
scheint, z. B.:
Son. 45. life's composition —
Son. 53. what is your substance, ivhereof are you made —
Son. 59. this composed wonder of your frame —
Son. 71. when I perhaps compounded am with clay —
Son. 81. although in me each pari will be forgotten —
Son. 89. to set a form upon desired diange —
Aus der Atomenlehre Bruno's ergiebt sich von selbst die Behaup-
tung, die er auch ausdrĂĽcklich aufgestellt hat, dass alles Vor-
handene schon längst da war, dass nichts ganz verschwindet, son-
dern nur den Baum und die Verbindung wechselt, und anderen
Körpern Platz macht, dass nichts überhaupt in demselben Zustand
beharrt. Dies finden wir in folgenden Stellen der Sonette wie in
anderen zum Theil weiter unten zu erwähnenden wieder:
Son. 59. If there be nothing new —
Son. 60. Each changing place with that which goes before
In sequent toil all forwards do contend.
Bei der erwähnten, etwas mechanischen Anschauung von der
Bildung des Charakters werden von Shakespeare die fehlerhaften
Eigenschaften besonders auf ein Ueberwiegen einzelner Elemente,
auf eine Uebertreibung an sich unschädlicher Eigenschaften zurück-
gefĂĽhrt, so Hamlet I, 4, 27 : 'overgrowth of some complexion.' Hier
und an vielen anderen Stellen ist mehr oder weniger deutlich ge-
sagt, wie ein solcher Fehler dann auch die ĂĽbrigen Eigenschaften
und die Tugenden gleichsam ansteckt und verdirbt. Besonders
zeigt sich dies aber allenthalben in der Darstellung der Charaktere
bei Shakespeare. Wo er Ideale darstellen will, ist es vorzugs-
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115 -
weise die harmonische Gleichgewogenheit der Eigenschaften, die
massvolle Bescheidung und ZurĂĽckhaltung, wodurch er seine Lieb-
linge auszeichnet, wie wir dies an Heinrich V./Portia u. A. sehen.
Ebenso wird sich nach der fehlerhaften Seite hin das Prinzip
allenthalben bei Shakespeare's Charakteren erkennen lassen, und
hier sogar noch mehr, da der Dichter von der Unvollkommenheit
der menschlichen Natur zu sehr durchdrungen war, um ĂĽberhaupt
vollkommene Ideale von Menschen gelten zu lassen.
Zu den in den Werken Shakespeare's sich in einer Art wieder-
holenden Anschauungen, dass wir sie mit der Person des Dichters
im nothwendigen Zusammenhange denken müssen, gehört jene
eigenthĂĽmliche Doppelseitigkeit, jenes wahrhaft philosophische Be-
mĂĽhen, jedes Ding von zwei Seiten zu betrachten, in dem Guten
das Böse, in dem Bösen das Gute zu erkennen. Gerade hierbei
verräth er eine nahe Geistesverwandtschaft mit Bruno, die sich
allerdings, ihren verschiedenen Aufgaben gemäss, bei beiden auch
wieder verschieden äussert. Während Bruno manchmal in etwas
sophistischer Art von manchen Dingen gerade das GegentheĂĽ ihrer
EigentĂĽmlichkeit zu beweisen sucht, bleibt Shakespeare mehr in
den Grenzen der Erfahrung, wenn auch er mitunter bei Behand-
lung dieses Themas etwas dunkel wird. Wie Bruno darauf hin-
weist, dass die Kreislinie, wenn sie die grösste Ausdehnung hat,
der geraden wieder am ähnlichsten wird, so zeigt Shakespeare,
bald in kurzen Erwähnungen, bald in mehr nachdrücklicher und
ausgefĂĽhrter Darstellung, dass moralische und intellektuelle Eigen-
schaften, wenn sie ĂĽbertrieben werden, in ihr GegentheĂĽ um-
schlagen. Von Bruno wird jene Doppelseitigkeit in einer längern
Auslassung in der Schrift de la causa, principio etc. (Opere Vol. I,
S. 286 ff.) erörtert, welche wir theils wörtlich, theils im Excerpt
hier aufnehmen, damit Shakespeare's Anschauung darin wieder-
gefunden und ihr Zusammenhang mit der Lehre Bruno's erkannt
werden kann:
'Der Intellekt, die menschliche Einsicht, indem sie sich von
der Einbildungskraft befreien will, suche die Menge und Verschie-
denheit der Erscheinungen aus einer gemeinschaftlichen Wurzel
herzuleiten. So habe Pythagoras Alles auf die Zahl, Plato auf
den Punkt zurĂĽckgefĂĽhrt, jenes Methode sei vorzuziehen, weil sie
auch auf den Punkt und ĂĽberhaupt auf alle Erscheinungen anzu-
wenden sei. Bei ErgrĂĽndung einer Sache sei es die Aufgabe des
8*
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- 116 -
Intellekts, sie so viel als möglich zu vereinfachen, von der Zu-
sammensetzung und Menge zu abstrahiren und weniger auf die
zufälligen und wechselnden Eigenschaften, die Dimensionen und
äusseren Verhältnisse, als auf das, was denselben zu Grunde liegt,
RĂĽcksicht zu nehmen. Wollen wir zum Prinzip und der eigent-
lichen Substanz der Dinge gelangen, so mĂĽssen wir gegen die
Untheilbarkeit derselben vorschreiten, zum Urstoff und der allge-
meinen Substanz gelangen wir erst, wenn wir zu der einen untheil-
baren Substanz kommen, in welcher Alles enthalten ist.
Die Substanz und das Sein sind von der Quantität getrennt,
das Mass und die Zahl sind nicht Substanz selbst, sondern beziehen
sich nur auf die Substanz, sind nicht Existenzen, sondern GrĂĽnde
der Existenz. Die Substanz ist also im Wesentlichen ohne Zahl
und Mass, und daher ein und dieselbe in allen besondern Dingen,
welche ihre EigentĂĽmlichkeit eben von der Zahl, als von etwas
ausserhalb der Substanz liegendem, erhalten. Daher sei ein be-
stimmter Mensch nicht eine besondere Substanz, sondern Substanz
in einer besondern Beziehung und durch Unterschiede, welche
ausserhalb der Substanz liegen, vermöge Zahl und Menge sei er
unter eine bestimmte Gattung gestellt. Gewisse äussere Ereignisse
bewirken eine Vervielfältigung der Substanz, die im Grunde ge-
nommen bei allen Sachen eine und dieselbe sei, so wie sich jede
Zahl auf die Einheit zurĂĽckfĂĽhren lasse, welche in der Wieder-
holung bei dem begrenzten eine Zahl ergebe, bei dem unbegrenzten
die Zahl negire.'
Bruno weist nun an verschiednen geometrischen Figuren nach,
dass beim Grössten und Kleinsten die Gegensätze wegfallen, und
fährt fort:
'Das Prinzip der Wärme ist etwas Untheilbares und daher
von jeder einzelnen Wärme Verschiedenes, weil das Prinzip etwas
Anderes ist als der Gegenstand, worauf es angewendet wird.
Wenn es sich so verhält, wer steht noch an zu behaupten, dass
das Prinzip weder kalt noch warm, sondern den gleichen Antheil
an Kälte und Wärme hat? Daher kommt es, dass ein Gegensatz
der Anfang des andern ist, und dass die Veränderungen nicht
kreisförmig vor sich gehen, sondern nur in der Art, dass ein
Gegenstand, ein Prinzip, ein Endziel und eine Fortsetzung im
Zusammentreffen des einen wie des andern stattfindet; die geringste
Wärme und die geringste Kälte sind ganz ein und dasselbe; vom
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— 117 —
Endziel der grössten Wärme fängt die Bewegung nach der Kälte
zu an. Dalier ist es klar, dass nicht nur so oft die beiden äus-
serten Grade im Widerstande und die beiden geringsten in der
Uebereinstimmung sich berühren, sondern auch das Grösste und
Kleinste im Wechsel der Veränderung; weshalb die Aerzte bei der
besten KörperbeschafFenheit nicht ohne Grund Befürchtungen haben,
die Vorsichtigen beim höchsten Grade des Glückes am besorgtesten
sind. Wer sieht nicht ein, dass das Prinzip der Verderbniss und
der Erzeugung ein und dasselbe ist? Ist nicht das Ende des Ver-
dorbenen der Anfang des Geschaffenen? Sagen wir nicht zugleich,
jenes wird genommen, dieses hingestellt, jenes war, dieses ist?
Gewiss, wenn wir den richtigen Massstab anlegen, so sehen wir,
dass die Verderbniss nichts Anderes als eine Erzeugung ist, und
die Erzeugung nichts Anderes, als eine Verderbniss: die Liebe ist
ein Hass, und der Hass am Ende eine Liebe. Der Hass des Gegen-
theils ist Liebe bezĂĽglich des Zusagenden; die Liebe zu diesem
ist der Hass gegen jenes. Dem Wesen und Ursprung nach ist also
Liebe und Hass, Freundschaft und Streit ein und dasselbe Ding.
Wovon sucht der Arzt am zweckmässigsten das Gegengift, als
vom Gift selbst? Woher erhalten wir bessern Theriak, als von
der Viper? In den stärksten Giften sind die besten Heilmittel
enthalten. Kommt nicht eine Kraft von zwei entgegengesetzten
Gegenständen? Wovon soll dies herrühren als davon, dass in
dieser Art das Prinzip des Daseins ein und dasselbe ist, wie das
Prinzip einen oder den andern Gegenstand aufzufassen ein und
dasselbe ist, und dass in dieser Art die Gegensätze sich um einen
Gegenstand so bewegen, wie sie von ein und derselben Wahrneh-
mung aufgenommen sind? Ich behaupte, dass die Kugelform auf
der Ebene beruht, das Hohle auf dem Convexen, der Zornige sich
mit dem Geduldigen vereinigt, dem sehr Stolzen am meisten der
Bescheidene zusagt, dem Geizigen der Freigebige. Das Resultat
ist, dass, wer die grössten Geheimnisse der Natur ergründen will,
solche in den Gegensätzen bei den grössten und kleinsten Dingen
aufsuchen und betrachten muss! Ein tiefer Zauber liegt in dem
Aufstellen des Gegensatzes, wenn mau zuvor den Punkt der Ver-
einigung gefunden hat.' 1 )
l ) Aehnlich lässt sich Bruno im Spaccio de la bestia trionfante aus. Dial. I,
Opere Vol. 2, S. 132.
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— 118 —
Muss es nicht, wenn wir diese Erörterung Bruno's lesen, den
Eindruck machen, als wäre Shakespeare's Bruder Lorenzo als ein
Anhänger seiner Philosophie', vielleicht gar als der wandernde
Philosoph noch im Mönchsgewande gedacht worden, wenn ihm die
Worte in den Mund gelegt sind (Romeo und Julia II, 3, 8):
Pflanzen gift'ger Art und diensam zum Genesen.
Die Mutter der Natur, die Erd', ist auch ihr Grab,
Und was ihr Schooss gebar, sinkt todt in ihn hinab.
0 grosse Kräfte sind's, weiss man sie recht zu pflegen,
Die Pflanzen, Kräuter, Stein' in ihrem Innern hegen.
Was nur auf Erden lebt, da ist auch nichts so schlecht,
Dass es der Erde nicht besondern Nutzen brächt'!
Doch ist auch nichts so gut, das, diesem Ziel entwendet,
Abtrünnig seiner Art, sich nicht durch Missbrauch schändet;
In Laster wandelt sich selbst Tugend, falsch geĂĽbt,
Wie AusfĂĽhrung auch wohl dem Laster WĂĽrde giebt.
Die kleine Blume hier beherbergt gift'ge Säfte
In ihrer zarten Hüll' und milde Heilungskräfte!
Sie labet den Geruch, und dadurch jeden Sinn;
Gekostet, dringt sie gleich zum Herzen tödtend hin.
Auch Romeo selbst scheint bei Bruno in die Schule gegangen zu
sein, wenn wir die Verbindung der Gegensätze in seiner Decla-
mation in Betracht ziehen (I, 1, 182):
Liebreicher Hass! streitsĂĽcht'ge Liebe,
Du Alles, aus dem Nichts zuerst erschaffen,
Schwermüth'ger Leichtsinn, ernste Tändelei
Stets wacher Schlaf! dein eignes Widerspiel
Aus den zahlreichen andern Stellen, in denen die erwähnten An-
schauungen Bruno's sich mit mehr oder weniger Deutlichkeit wie-
derholen, mögen nur folgende hervorgehoben werden:
Vor der Genesung einer heft'gen Krankheit,
Im Augenblick der Kraft und Bess'rung ist
Am heftigsten der Anfall, jedes Uebel,
Das Abschied nimmt, erscheint am ĂĽbelsten.
Pandulpho in König Johann (m, 4, 112).
Ist man ganz elend,
Das niedrigste vom Glück geschmähte Wesen,
Lebt man in Hoflhung nur und nicht in Furcht,
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Beweinenswerther Wechsel trifft nur Bestes,
Das Schlimmste kehrt zum Lachen.
Edgar in König Lear (IV, 1, 2).
Süss ist die Frucht der Widerwärtigkeit,
Die, gleich der Kröte, hässlich und voll Gift,
Ein köstliches Juwel im Haupte trägt.
Wie es Euch gefällt (II, 1, 12).
Es ist ein Geist des Guten in dem Uebel,
Zog' ihn der Mensch nur achtsam da heraus,
So können wir vom Unkraut Honig lesen,
Und machen selbst den Teufel zur Moral.
König in Heinrich V. (IV, 1, 4).
Am meisten Unkraut trägt der fett'ste Boden
König in 2 Heinrich IV. (IV, 4, 56).
Es wächst die Erdbeer' unter Nesseln auf!
Ely in Heinrich V. (I, 1, 60).
Wie UeberfĂĽllung strenge Fasten zeugt,
So wird die Freiheit, ohne Mass gebraucht,
In Zwang verkehrt.
Claudio in Mass fĂĽr Mass (I, 3, 130).
Wir ĂĽberrennen
Durch jähe Eil' das Ziel, nach dem wir rennen,
Und gehn's verlustig. Denkt nur, wie die Flamme,
Wenn sie den Trank geschwellt zum Ueberschäumen,
Ihn, scheinbar mehrend, nur zerstäubt.
Norfolk in Heinrich VIII. (I, 1, 144).
ErfĂĽllte Freude
Durch Zeitumschwung ermattet, wandelt sich
In's Gegentheil.
Antonius in A. und Cleopatra (I, 2, 129).
Laut klagt das Leid, wo laut die Freude schwärmt,
Leid freut sich leicht, wenn Freude leicht sich härmt.
König i. S. in Hamlet (HI, 2, 208).
Nichts beharrt in gleicher GĂĽte stets,
Denn GĂĽte, die vollblĂĽtig wird, erstirbt
In eignem Allzuviel.
König in Hamlet (IV, 7, 116).
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— 120 —
Die Liebe böser Feinde wird zur Furcht,
Die Furcht zum Hass.
König in Richard IL (4, 2).
Ich seh\ wenn süsse Liebe lässt von Art,
Wird sie zum tödtlichsten und herbsten Hass.
König in Richard II. (HI, 2, 135).
In vorstehenden Stellen sind, besonders gegen das Ende zu,
allenthalben auch die moralischen Eigenschaften und die Charakter-
bildung behandelt. Eine besonders interessante Uebereinstimmung
zwischen Bruno und Shakespeare findet aber statt, wenn beide auf das
plötzliche Umschlagen des Charakters vom Guten zum Schlimmen
zu sprechen kommen. Bekanntlich ist es ein besonderer Vorzug
Shakespeares, wie wir ihn in gleichem Grade keinem andern
Dichter beimessen, dass wir die Charaktere, die er darstellt, auch
in ihrer Veränderung und Entwicklung beobachten und verstehen
können. Der Regel nach werden solche Veränderungen, wie auch
im Leben selbst, allmälich und unscheinbar sich darstellen, und
die Beispiele, in denen plötzlich ein radikaler Umschwung im Cha-
rakter und in der Sinnesart des Menschen vorkommt, sind auch
bei Shakespeare und auf dem Boden gewaltiger Ereignisse, wie
sie die Tragödie bietet, verhältnissmässig selten. Wir werden als
solche bei ihm vielleicht nur Timon von Athen und Angelo in Mass
fĂĽr Mass, sowie die noch etwas unreife Bildung des Proteus in
den beiden Veronesern anführen können. In geringerem Grade
und mehr nach einzelnen Richtungen zeigen sich Wandlungen bei
Hamlet, Bertram in Ende gut, Alles gut, auch bei Lear, Macbeth
und Lady Macbeth, und dann in einem geringeren Grade bei den
andern Gestalten des Dichters, bis allerdings bei den rfnbedeuten-
deren von einer sichtbaren Entwickelung des Charakters ĂĽberhaupt
nicht mehr die Rede sein kann. Als besonders interessant und -
wieder auf Bruno hinweisend fĂĽhren wir einige einzelne Stelleu
an, die wir freilich am besten im Zusammenhange mit der sceni-
schen Darstellung solcher Charakterwandlungen (bei andern Per-
sonen) in Erwägung ziehen, da sich dann erst vollständig ergiebt,
mit wie tiefem Verständniss der Dichter solche Aussprüche that.
In Heinrich VIII. spricht der König von einer ziemlich unter-
geordneten Person (Buckingham), auf welche die Anwendung nicht
einmal richtig- ist und nur in der irregeleiteten Meinung des Kö-
nigs beruht (I, 2, 114):
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— 121 —
Er ist gelehrt, ein trefflich seltner Redner,
Naturbegünstigt, an Erziehung fähig,
Den grössten Meistern Lehr und Rath zu geben,
Nie HĂĽlfe suchend ausser sich, und dennoch,
Wo also edle Gabe schlecht vertheilt
Erfunden wird, wenn erst der Geist verderbt ist — ,
Verkehrt sie sich zum Laster, zehnfach wĂĽster,
Als schön zuvor.
Ferner heisst es in Sonett 94:
Doch wenn die Blum', ein gift'ger Thau befällt,
War' ihr das ärmste Unkraut vorzuziehn;
In Sauerstes kehrt Süssestes sein Wesen, —
Dahin gehören ferner ausser einigen schon oben citirten (Romeo
und Julia n, 3, 19, 2 Heinrich IV, IV, 4, 54, Richard II, IH, 2,
135) noch mehrere Stellen, wo der Dichter die an sich guten
Gaben und Eigenschaften, wenn sie ĂĽbel angewendet werden, als
Verräther bezeichnet (Ende gut, Alles gut I, 1, 45 — 52, Wie es
Euch gefällt H, 3, 10).
Wir haben an andern Orten l ) darauf hingewiesen, dass in ge-
dachten Stellen das alte Axiom corruptio optimi pessima wieder-
holt wird und haben zu dessen Erläuterung noch einige Stellen
aus Dante (Purg. 30 v. 109. 118 ff. Parad. 8 v. 93. v. 159.
Inf. 31 v. 55) und Plato (Staat, Buch 6) dort aufgenommen. Am
deutlichsten und mit der grössten Uebereinstimmung findet sicli
das, was Shakespeare in obigen AussprĂĽchen ĂĽber den Gegenstand
gesagt, bei Giordano Bruno im ersten Dialog der Schrift de la
causa, prinripio et nno (Ausgabe von Wagner, Vol. I, S. 222)
wieder. Nachdem dort Filoteo den Vorwurf widerlegt hat, er
habe (in der cena dette cenert) in verletzender Art das englische
Volk dargestellt, beruft er sich darauf, dass in den gesegnetsten
Ländern gerade neben den besten Sitten auch recht schlechte vor-
kämen, dass z. B. in Italien, wo Tugend, Wissenschaft und gute
Sitte vor Allem genährt und gepflegt würden, andrerseits auch
Laster, Betrug, Geiz und Grausamkeit den höchsten Grad er-
reichten. Darauf sagt Elitorio, was dann Filoteo bestätigt, leider
ohne eine weitere Erklärung anzuknüpfen:
*) Mein Buch : Shakespeare als Dichter etc. S. 229 ff. Auch im Jahrbuch
Bd. VH, S. 174 ff. sind die einschlägigen Stelleu angeführt.
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— 122 —
'Das ist nach den Grundsätzen Eurer Philosophie ganz richtig,
vermöge deren die Gegensätze im Prinzip zusammentreffen, wes-
halb dieselben Geister, welche am geschicktesten fĂĽr erhabne,
tugendhafte und edle Thaten sind, wenn sie einmal verderbt sind,
in die entgegengesetzten Fehler verfallen. Ausserdem finden wir
gewöhnlich da die seltensten und ausgezeichnetsten Geister, wo
die allerunwissendsten und albernsten gewöhnlich sind, und wo
die Menschen im Allgemeinen weniger gebildet und von guten
Sitten sind, begegnen uns einzelne von der grössten Feinheit und
Bildung, so dass es den Anschein hat, als wenn vielen Generationen
in verschiedener Art doch dasselbe Mass von Vollkommenheit und
Unvollkommenheit gegeben worden sei.'
Ans den bisher erörterten Anschauungen und Aussprüchen
Bruno's wie Shakespeare's folgt schon von selbst der Satz und ist
auch in den citirten Stellen hier und da deutlich genug angedeutet
(z. B. Romeo und Julia II, 3, 8), dass nichts an sich gut oder
böse sei, und Shakespeare hat dies auch an andern bekannten
Stellen kurz und bĂĽndig ausgesprochen, z. B. Hamlet II, 2, 255,
Kaufmann von Venedig (V, 1, 99). Mit ähnlicher Bestimmtheit
lässt sich Bruno darüber aus: 'Absolut genommen ist nichts un-
vollkommen oder ein Uebel; nur in Bezug auf ein Anderes er-
scheint es so, und was dem Einen ein Uebel, das ist dem Andern
gut,' ferner: 'Kein Ding ist so schlimm, dass es nicht zum Nutzen
und Vortheil der Guten ausschlĂĽge, und kein Ding so gut und
werthvoll, dass es den Bösen nicht Ursache und Stoff zu Aerger-
niss werden könnte.' Hier ist also dasselbe in Prosa gesagt, was
Shakespeare in einigen oben citirten Stellen (Heinrich V, IV, 1,
Wie es Euch gelallt H, 1, 12) in die poetische Form gebracht
hat. Da wir hier bei dem relativen Begriffe des Guten etc. sind,
so verdient auch erwähnt zu werden, dass Shakespeare einmal
von dem Ding an sich spricht. Lear sagt zu dem als Bettler
verkleideten oder vielmehr sehr wenig bekleideten Edgar: 'Drei
von uns sind in Sophisterei befangen (sqphisticatecl) , du bist das
Ding selbst (itself, an sich) ; der Mensch ohne Zuthat (unaccom-
modated) 1 ) ist nicht mehr, als solch armes, nacktes, zweibeiniges
Thier, wie du bist.'
Diese spöttische Erwähnung des Ding an sich stimmt ganz
') Ueber diesen Ausdruck vergl. Jahrbuch Bd. EK. S. 213, Aura.
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— 123 —
damit, dass der Dichter den Dingen nur relativen Werth beimisst,
augenscheinlich hat er auch besondre philosophische Erörterungen
oder Richtungen hier persifliren wollen, doch fehlt jeder weitere
Anhalt, um zu bestimmen, auf was er hier gezielt hat. Doch
wĂĽrde immerhin auch hier eine antagonistische Richtung gegen
Baco's Philosophie und die Anlehnung an Bruno's Lehre sich an-
nehmen lassen.
So reich Shakespeare an Sentenzen ist, so werden wir doch
an eigentlich philosophischen Sätzen wenig aus seinen Werken
nachzuweisen haben, und es versteht sich auch von selbst, dass
im dramatischen Gespräch solche nur sehr ausnahmsweise ihren
Platz finden können. Von dem aber, was uns derartiges in seinen
Dichtungen geboten wird, hat vieles wieder Zusammenhang mit
der Bruno'schen Lehre. Hier möchten wir zunächst die Hamlet'sche
Aeusserung (V, 2, 146) hervorheben: 'einen Andern aus dem Grunde
kennen, heisst sich selbst kennen.' Der Satz lässt mancherlei Er-
klärungen zu und giebt zu vielerlei Betrachtungen Anlass. Wir
erklären uns denselben am einfachsten so, dass der Mensch für
die Erkenntniss Anderer nur in sich selbst den Massstab hat, so
wohl was moralische wie intellectuelle Eigenschaften betrifft. Je
reicher er mit diesen ausgestattet ist, je richtiger und normaler
deren Beschaffenheit sein wird, desto gerechter und richtiger wird
er auch andre beurtheilen und andrerseits wird die Beurtheilung
Andrer ihm Gelegenheit geben, die Mittel dieser Beurtheilung, die
eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften kennen zu lernen und wird
ihn daher in der Selbsterkenntniss fördern. In dieser Art be-
leuchtet auch Shakespeare selbst an andern Stellen den Satz und
weist namentlich darauf hin, dass in der Erkenntniss Andrer, und
zwar in mehrfacher Beziehung, die Selbsterkenntniss zu suchen
sei. In Heinrich VIII (II, 2, 23) sagt Suffolk auf die Bemerkung
Norfolks, der König werde Wolsey schon noch kennen lernen:
Gott geb's, er lernt sich selber sonst nicht kennen.
Ferner erwähnt Ulysses in Troilus und Cressida (HI, 3, 96) den
Ausspruch eines als 'stränge fellow' bezeichneten Autors, den er
gerade liest, dass ein reich ausgestatteter Mensch seine VorzĂĽge
erst im Widerstrahl des Beifalls Anderer als die seinigen empfinde
und Achilles sagt darauf:
Die Schönheit, die uns hier im Antlitz blüht,
Kennt nicht der Eigner, fremdem Auge nur
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— 124 —
Empfiehlt sie sieb. Auch selbst das Auge nicht,
Das geistigste der Sinne, schaut sich selbst
FĂĽr sich allein; nur Auge gegen Auge
BegrĂĽssen sich mit wechselseit'gem Glanz.
Denn Sehkraft kehrt nicht zu sich selbst zurĂĽck,
Bis sie gewandert und sich dort vermählt,
Wo sie sich sieht.
Ulysses erklärt sich damit einverstanden und den Satz als nicht
neu, sondern nur die Folgerung des Autors, dass Niemand Herr
von etwas sei, bis er's als Gabe Andern mitgetheilt habe,
Noch hab' er selbst Begriff von ihrem Werth,
Eh' er sie abgeformt im Beifall sieht,
Der sie auffasst und einer Wölbung gleich
RĂĽckwirft die Stimme; oder wie ein Thor
Von Stahl die Sonn' empfängt und wiedergiebt
Dir Bild und ihre Gluth.
In ähnlichen Gedanken und Bildern bewegt sich das Gespräch
zwischen Brutus und Cassius (Julius Caesar I, 2, 51), da dieser
jenen auf seine Fähigkeiten und die damit gestellte Aufgabe auf-
merksam macht:
Cassius.
Sagt, Brutus, könnt Ihr Euer Antlitz sehen?
Brutus.
Nein, Cassius, denn das Auge sieht sich nicht,
Als nur im Wiederschein, durch andre Dinge.
Cassius.
So ist's,
Und man beklagt sich sehr darĂĽber, Brutus,
Dass Ihr nicht solche Spiegel habt, die Euren
Verborgnen Werth Euch in die Augen rĂĽckten,
Auf dass Ihr Euren Schatten säht.
Jener Zusammenhang der Erkenntniss Anderer mit der Selbst-
erkenntniss ist nun zwar gewiss von vielen Philosophen, wie auch
von Dichtern 1 ) behandelt worden, doch scheint es uns immerhin
') Goethe hat sich darĂĽber, gerade wo er von Shakespeare spricht, treffend
ausgesprochen: 4 Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Be-
wusstsein eigner Gesinnungen und Gedanken, das Erkennen seiner selbst,
welches ihm die Einleitung giebt, auch fremde GemĂĽthsarten zu durch-
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125 —
wichtig, auch hier zu constatiren, dass Bruno und zwar gerade in
den subtileren Erörterungen seiner Lehre zu denselben Resultaten
kommt, wie sie sich aus den obigen Auslassungen Shakespeare^
ergeben. Wie wir aus der oben angeführten längeren Erörterung
Bruno's in der Schrift de la causa etc. (Vol. I, S. 286 ff.) ent-
nehmen können, sieht Bruno die Erkenntniss ganz besonders in
der Vergleichung und in der Abstraction der Verschiedenheiten.
Dabei ergiebt sich, dass bei der Menge und Verschiedenheit der
äusseren Erscheinungen die Vernunft nur durch Selbstbeschauung
und Uebertragung des einheitlichen Gebildes , das sie repräsentirt,
auf die objective Welt zur richtigen Erkenntniss derselben gelangen
kann. Darum hat die alte Mahnung 'nosce te ipsum' nicht nur
fĂĽr die eigne Bildung und TĂĽchtigkeit, sondern auch fĂĽr die Er-
kenntniss anderer und des Menschen ĂĽberhaupt besondern Werth.
Wer nicht blos auf dem Gebiet der äussern Wahrnehmung bleiben,
sondern zu dem innern Wesen der Erscheinungen vordringen und
diese zur Einheit zusammenfassen will, muss in die Tiefe des
eigenen Innern hinabsteigen, wo er allein die dazu nöthigen all-
gemeinen Begriffe finden kann, die in der objectiven Welt im
Gewirr der Einzeldinge zerstreut liegen und aus diesem nur dem
erkennbar werden, der sie schon in sich hat.
Andere einzelne Anschauungen, die aber mehr äusserlich von
Shakespeare bei seinen Dichtungen verwendet worden sind, indem
sie einzelnen Characteren und auch das nicht immer als deren
Ueberzeugung in den Mund gelegt sind, finden bei Bruno ihr deut-
liches Vorbild und ihre Erklärung und sind, wenn auch mitunter
schon älteren Philosophen geläufig, doch wahrscheinlich aus Bruno's
Schriften vom Dichter entnommen worden. So hat der bei Bruno
(Vol. II, S. 246) erwähnte Satz 'sol et homo generant hominem ,
Shakespeare offenbar vorgeschwebt, als er Hamlet dem Polonius
die Warnung geben lässt, er solle seine Tochter nicht in der Sonne
gehen lassen, sie köune empfangen (II, 2, 185). *) Auch bei den
schauen, u. s. w.' Shakespeare und kein Ende. Ausgabe in 2 Bänden. B. I,
S. 610. Im Tasso sagt Antonio (II, 3):
Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes
Erkennen, denn er misst nach eignem Mass
Sich bald zu klein und leider oft zu gross.
Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur
Das Leben lehret jeden, was er sei.
') Th. Vatke hat in einem Aufsatz ĂĽber diese Stelle darauf aufmerksam
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— 126 —
leidenschaftlichen Ausfällen gegen das Weib im Hamlet und ander-
wärts hat Shakespeare offenbar sich an Erörterungen Bruno's,
namentlich in der Schrift de la causa etc. angelehnt. Daselbst
(Opere Vol. II, p. 266) wird das Weib mit der Materie und der
Mann mit der Form in Verbindung gebracht resp. identificirt. Die
SĂĽnde wird lediglich auf die Frau, die Materie, zurĂĽckgefĂĽhrt,
indem Poliinnio sagt: 'Die Form sĂĽndigt nicht und aus keiner
Form geht der Fehl hervor, wenn sie nicht mit der Materie in
Verbindung tritt.' Als Entschuldigung sagt daher die durch das
Männliche bezeichnete Form zur natura naturans: 'Mulier, quam
dedisti mihi i. e. der Stoff, den Du mir zur Gemeinschaft gegeben
hast, ipsa me decepit, h. e. er ist der Grund aller meiner SĂĽnden.'
Schon Tschischwitz *) hat mit Recht zu dieser Stelle und einigen
ähnlichen die herben Auslassungen Hamlet's gegen Ophelia (HI,
1, 122): 'gehe in ein Kloster, weise Männer wissen zu gut,
was fĂĽr Ungeheuer ihr aus ihnen macht,' ferner das bekannte
'Schwachheit, dein Name ist Weib' — in Beziehung gesetzt. Auch
Posthumus in Cymbeline (II, 5) misst alle Fehler und SĂĽnde der
Frau bei:
Could I find out
The woman's part in me I For there 's no motion
TJiat tends to vice in man, but I affirm
It is the womari's part —
Hat nun Giordano Bruno, wie wir im Vorstehenden genĂĽgend
erwiesen zu haben glauben, als Philosoph mehrfachen Einfluss auf
die Bildung und Dichtung Shakespeare's ausgeĂĽbt, so ist uns die
Erwägung nahe gelegt, ob nicht auch die dichterischen Werke
Bruno's als solche auf Shakespeare eingewirkt haben, zumal beide
Dichter vorzugsweise dieselben Gattungen der Poesie cultivirt haben.
gemacht, dass der Satz schon uralt sei und in Aristoteles Physik (II, 2) vor-
komme: 'avd-Qwnog yag avd-Qo)7iov yevvq xal rjhog! Er glauht daher,
dass Shakespeare's Anspielung hier auf allgemeinen Anschauungen der Zeit,
die mit denen über spontane Zeugung und Alchymie zusammenhängen, beruhe
und nicht auf Bruno zurĂĽckzufĂĽhren sei. Obgleich er mehrere Belegstellen aus
B. Jonson anfĂĽhrt, so beziehen sich diese nur auf die spontane Zeugung von
Thieren, fĂĽr die Verbreitung jenes Satzes bringt er keinenBeweis, und Shake-
speare dĂĽrfte ihn eher aus G. Bruno, als aus Aristoteles genommen haben.
Herrig, Archiv fĂĽr neuere Sprachen. B. LIL S. 39.
') Shakespeare-Forschungen B. I, S. 64.
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— 127 —
Denn die — freilich nicht zahlreichen — Schöpfungen Bruno's auf
diesem Felde bestehen aus Sonetten und anderen kleinen Ge-
dichten von annähernd ähnlicher Form, und aus einer Comödie,
H Candelajo (der Lichtzieher). Der poetische Werth der letztern
verhält sich zwar zu Shakespeare's Dramen etwa so, wie jenes
Unicum zur Anzahl derselben. Im Druck ist dieselbe im Jahr
1582 erschienen, nach der Angabe auf dem Titel in Paris, wahr-
scheinlich war sie aber schon in frĂĽherer Zeit in Italien geschrieben,
wie aus der ganzen Färbung und aus lokalen Beziehungen darin
hervorgeht. 1 ) Sie scheint bei den Zeitgenossen kein besonderes
GlĂĽck gehabt zu haben, da man von einer AuffĂĽhrung gar nichts
und nur von wenig Bearbeitungen aus viel späterer Zeit etwas
weiss. Gleichwohl ist anzunehmen, dass mit den philosophischen
Schriften Bruno's auch dieses Werk, in welchem, wie Berti sagt,
der Philosoph Bruno ebenso wieder zu erkennen ist, wie in den
philosophischen Schriften der Dichter der Comödie, in England
genügend bekannt geworden ist, um Shakespeare zugänglich zu
sein, und dass Shakespeare, da er sich mit den andern Werken
Bruno's bekannt machte, um so mehr von seinem Lustspiel Notiz
genommen haben wird. Es finden sich auch im Einzelnen deut-
liche Spuren, dass der englische Dichter den Candelajo gekannt
und Einzelnes daraus in seiner Dichtung verwerthet hat. Die De-
dication zum Candelajo ist schon oben (S. 111) mit einigen Worten
Hamlet's in Parallele gestellt worden. Ferner fällt uns im Akt II,
Sc. 1 des Candelajo ein Dialog auf, der im Hamlet eine Art
Wiederholung findet. Dort fragt Octavio den Pedanten Manfurio :
'Was ist der Inhalt (materia, zugleich Bestandtheil) Eurer Verse?'
worauf die Antwort erfolgt: 'litterae, syllabae, dictio et oratio,
partes propinquae et remotae ', was dann die weitere Frage veran-
lasst: 'Ich meine, was ist der Gegenstand und Zweck davon?'
Im Hamlet fragt Polonius den Prinzen, was er da lese und erhält
zur Antwort: 'Worte, Worte, — Worte!' worauf Polonius sagt:
'Ich meine den Inhalt (the matter) dessen, was Ihr lest.' 2 ) Wird
nun durch solche Einzelheiten, die sonst und an sich wenig Werth
haben, der Beweis von der Bekanntschaft Shakespeare's mit dem
0 Berti, a. a. 0. S. 141.
*) Aebnlich und mit demselben Gegensatz lieisst es in Troilus und Cressida
(V, 3, 108): Words, tcords, mere words, no matter from tlic heart.
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- 128 -
Lustspiel Bruno's geführt oder vervollständigt, so dürfen wir, da
es unzweifelhaft ist, dass das italienische Drama erheblichen Ein-
fluss auf Shakespeare^ Bildungsgang gehabt hat, einen, wenn
auch nicht bedeutenden Theil auch auf den Candelajo zu rechnen uns
berechtigt halten. Ist er auch nicht ein Meisterwerk, vielmehr von
so unvollkommener Beschaffenheit, dass Shakespeare zu keiner Zeit
sich das Stück schlechthin zum Muster genommen hätte, so gehört
es doch auch nicht zu den schlechten Erzeugnissen des italie-
nischen Dramas. Es herrscht in demselben eine mephistophelische
Ironie und sarkastische Laune, wenn auch keine rechte Lustspiel-
stimmung, so dass das Titelmotto des Verfassers ganz zutreffend
erscheint: in tristitia hilaris, in hilaritate tristis, worin wir zu-
gleich schon die Neigung zu jener oben hervorgehobenen Doppel-
seitigkeit erkennen möchten. Im Ganzen hat das Lustspiel Bruno's
etwa dieselben VorzĂĽge und Fehler, wie die des Pietro Aretino,
es findet sich auch dieselbe schwache Charakterzeichnung und ähn-
liche Obscönitäten darin wie bei diesem, doch ist Bruno's Manier
noch etwas grösser angelegt und nähert sich schon der des Ariost. *)
Die Handlung ist schwer ĂĽbersichtlich und verwirrt, weil drei
verschiedene Intriguen durch einander geflochten sind, was aller-
dings an die ScenenfĂĽhrung in einzelnen StĂĽcken Shakespeare's,
z. B. im Kaufmann von Venedig, erinnern kann. Unter den Fi-
guren des Lustspiels macht sich auch der Pedant geltend, und es
ist anerkannt, dass Shakespeare diese in der italienischen Comödie
typische Figur in sein Lustspiel aufgenommen hat. Daraus wĂĽrde
sich bei diesem allgemeinen Charakter des Pedanten eine Verbin-
dung mit dem Lustspiel Bruno's noch nicht ergeben, es finden sich
aber mancherlei Aehnlichkeiten, die es wahrscheinlich machen, dass
Shakespeare bei seinen Pedanten auf die Darstellung Bruno's
zurĂĽckgegangen ist. Da Bruno, wie schon aus dem bisher ĂĽber
ihn Gesagten zu entnehmen ist, eine ganz besondere Abneigung
gegen Pedantismus in jeder Form, und besonders auch gegen ge-
lehrten Pedantismus hatte, ein Zug, worin er Shakespeare ebenso
ähnlich ist wie in der damit zusammenhängenden tiefen Wahrheits-
liebe und dem Hass gegen alles Scheinwesen und alle Heuchelei,
so lässt er die Figur des Pedanten auch in seinen philosophischen
Dialogen ĂĽberall wiederkehren und greift sie mit den verschieden-
') Berti, a. a. 0. S. 153.
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- 129 -
artigsten Waffen und in allen Graden der ernsthaften Erörterung,
des Witzes »und der Satire an. Im Lustspiel heisst der Pedant
Manfurio, in den Dialogen Poliinnio und Coribante, es ist aber
im Grunde genommen ein und dieselbe Person. Tsckischwitz
bat aus der Aehnlichkeit dieser Namen mit Polonius und Corambis,
welchen derselbe in der ersten Ausgabe des Hamlet fĂĽhrte, einen
Zusammenhang zwischen Bruno's und Shakespeares Charakter-
bildung hergeleitet, und wir sind um so mehr geneigt, seiner An-
sicht beizutreten, als es nicht an andern kleinen, auch von ihm
hervorgehobenen Zügen fehlt, wodurch dies bestätigt wird. Auf das
Gespräch des Polonius mit Hamlet (II, 2) haben wir schon oben
hingewiesen, und es ist bemerkenswerth, dass die Antwort von
Bruno's Pedanten bei Shakespeare umgekehrt dem Hamlet in den
Mund gelegt ist, um den Pedanten zu verhöhnen. Ueber einen
andern Zug in des Polonius Kede, der auf Giordano Bruno zurĂĽck-
zufĂĽhren sein dĂĽrfte, haben wir uns schon frĂĽher im Jahrbuch
(B. IX, S. 211) ausgelassen. Dann giebt aber Bruno auch eine
ausfĂĽhrlichere Schilderung des gelehrten Pedanten, in welcher wir
noch andere ZĂĽge und Aeusserungen des Polonius wiedererkennen.
Bei Verlesung des Billets von Hamlet an Ophelia (II, 2, 109) sagt
Polonius, nachdem er sich besonders selbstgefällig in der Erörte-
rung von Hamlet's GemĂĽthszustand bewegt hat: 'Das ist eine
schlechte Redensart, eine gemeine (vild und vile) Redensart, lieb-
reizende ist eine gemeine Redensart.' Dann äussert er während
der Declamation des Schauspielers bei geeigneten und ungeeigneten
Absätzen sein Urtheil in derselben Manier (H, 2, 488, 520, 526)
bald billigend, bald missbilligend, zum Theil vermöge des (Kon-
trastes gegen die Declamation mit höchst komischer Wirkung,
z. B. 'das ist zu lang', 'schlottrige Königin ist gut'. Jene Schilde-
rung Bruno's vom Pedanten, auf welche wir die vorstehenden Stellen
beziehen möchten, giebt Filoteo im ersten Dialog der Schrift De
la causa etc. (Opere, Vol. L S. 227). Dieselbe ist ziemlich lang
und geben wir sie in abgekürzter Form, jedoch da wörtlich, wo
die Aehnlichkeit besonders hervortritt. Die AusfĂĽhrlichkeit des
Citats rechtfertigt sich auch dadurch, dass wir noch einen andern
Pedanten Shakespeare's damit in Bezug zu setzen haben. Filoteo
sagt von Poliinnio, nachdem er die andern bei den Gesprächen
betheiligten Personen kurz charakterisirt hat:
'Dieser gottvergessne Pedant ist der vierte, einer der strengsten
Jahrbuch XI. 9
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I
— 130 —
Richter der Philosophen, einer, der seiner Heerde von Scholastikern
gar sehr zugethan ist, weshalb er sich aus sokratischer Liebe den
ewigen Feind des weiblichen Geschlechts nennt und sich wie
Orpheus, Musäus, Tityrus und Amphion vorkommt. Das ist einer
von denen, die, wenn sie dir eine gute Construction gemacht, ein
elegantes Brieflein zu Stande gebracht, eine schöne Phrase aus
Cicero's Vorrathskammer entwendet haben, von sich sagen möchten :
da ist Demosthenes auferstanden, da wächst noch Tullius, da lebt
Sallust noch fort; da ist ein Argus, der jeden Buchstaben, jede
Silbe, jede Redensart bemerkt; da ruft Rhadamantus die Schatten
der Todten. Da bewegt Minos die Urne. Solche Leute lassen die
Reden zur PrĂĽfung vortreten und discutiren ĂĽber die einzelnen
AusdrĂĽcke mit Worten wie: 'Das versteht nur ein Dichter, das
ein Komiker, das ist für den Redner! Das ist schwerfällig, dies
ist leicht, dieses ist erhaben, jenes ist humile dicendi genus; diese
Rede ist rauh, sie wĂĽrde aber glatt sein, wenn sie in dieser Art
gebildet wäre, dies ist ein jugendlicher Schriftsteller, der wenig
das Alterthum studirt hat, non redolet Arpinatem, desipit Latium ;
dieser Ausdruck ist nicht toskanisch, nicht von Boccaccio, Pe-
trarca und andern Musterschriftstellern gebraucht. Man schreibt
nicht homo, sondern omo, nicht honore, sondern onore, nicht Poli-
himnio, sondern Poliinnio. Bei solcher Selbstzufriedenheit gefallen
ihnen die eignen Leistungen am besten, er ist Jupiter, der von
hoher Warte das Leben der andern Menschen beobachtet, welches
so viel Irrthümern, Unglücksfällen und unnützen Mühen unterworfen
ist; er allein ist glĂĽcklich und lebt ein himmlisches Leben, indem
er seine Göttlichkeit im Spiegel eines Lexikons oder literarischen
Sammelwerkes betrachtet. Mit solchem SelbstgefĂĽhl ausgestattet,
ist ihm jeder andre nur einer, er selbst aber alles auf einmal.
Wenn er lacht, heisst er Demokrit, Heraklit, wenn ihn etwas be-
trĂĽbt; disputirt er, so nennt er sich Aristoteles, wenn er phantasirt,
Plato, wenn er eine Rede blökt, Demosthenes, und studirt er Virgil,
so ist er selbst Maro. Er corrigirt den Achilles, lobt den Aeneas,
tadelt den Hektor, ereifert sich gegen Pyrrhus, bedauert den Pria-
mus, entschuldigt Dido und während er ein Wort durch ein an-
deres wiedergiebt und Synonymen auf einen Faden zieht, nihil
divinum a se alienum putat und steigt vom Katheder, wie einer,
welcher die Himmel geordnet, Heere gebändigt, Welten reformirt
hat, und gewiss liegt es nur an der Ungerechtigkeit des Zeit-
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— 131 —
alters, dass er nicht in der That das bewirkt, was er zu tliun
vermeint.'
Für Shakespeare durfte, wenn ihm Bruno ein so ergötzliches
und ausgefĂĽhrtes Portrait des Pedanten lieferte, welches in der
Comödie Candelajo noch seine lebendigere Färbung erhielt., die
Versuchung nahe liegen, davon fĂĽr die eigne Dichtung ZĂĽge und
Farben zu entnehmen und namentlich sein Holofernes in der Ver-
lorenen LiebesmĂĽhe hat augenscheinlich einige Geisseihiebe des ita-
lienischen Philosophen auf seinen steifen RĂĽcken nehmen mĂĽssen.
Denn er hat mit Bruno's Pedanten, wie sich aus der vorstehenden
Schilderung ergiebt, so manches gemein, z. B. die Strenge, mit
welcher er auf Orthographie und Aussprache hält (V, 1, 20 ff.) t
die Einmischung lateinischer Sprachbrocken, an welcher Manfurio
allerdings sich noch reicher zeigt. Mitunter ĂĽbernimmt auch Na-
thaniel, der Pfarrer, die Rolle des Pedanten, wie er denn ĂĽber-
haupt den Lobredner seines Schullehrers macht, einen von jenem
gebrauchten Ausdruck lobt er ähnlich wie Polonius : 'ein sehr
eigentümliches und gewähltes Beiwort' (V, 1, 17). Ein von Man-
furio auf Holofernes ĂĽbergegangener Zug ist auch folgender: Jener
bringt ein sehr barockes Gedicht auf ein geschlachtetes Haus-
schwein, welches er mĂĽhelos aus dem Aermel geschĂĽttelt und ganz
original verfasst, dabei aber die Schilderung Ovid's vom calydo-
nischen Eber nachgeahmt haben willl. Das SeitenstĂĽck zu diesem
Product ist das alliterirende Gedicht des Holofernes auf das von
der Prinzessin geschossene Wild, von welchem dieser ebenfalls mit
arroganter Bescheidenheit als von etwas leichthin Bxtemporirtem
spricht, wobei er seine Dichtergabe erörtert und auch auf Oyid
als Muster fĂĽr Eleganz der Rede und Leichtigkeit des Versbaues
hinweist (IV, 2, 50 ff.). Endlich mag auch nicht unerwähnt bleiben,
dass in jenem Werk Bruno's sich bald hinter der Schilderung des
Pedanten eine Aufforderung an diesen findet (a. a. 0. S. 230), den
Hass gegen das weibliche Geschlecht als etwas unsinniges und der
Natur widersprechendes aufzugeben, welches Motiv in Verlorener
Liebesmühe mit grosser Ausführlichkeit namentlich in den schönen
Deklamationen Birons (Akt I und IV) behandelt ist. 1 )
') Filoteo sagt bei Brnno: Chi e piĂĽ insensato e stupide-, che quello che
non vede la luce? Qual pazzia puo esser piĂĽ abietta, che per ragion di sesso
esser nemico a Tistesso natura.
9 *
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So ĂĽberzeugend die vorstehend hervorgehobenen Aehnlich-
keiten auf einen Einfluss Bruno's hinweisen, den er auf den Lust-
spieldichter Shakespeare ausgeĂĽbt, wie er ihn als Philosoph auf
seine geistige Entwicklung im Ganzen gehabt hat, so könnte
doch jene Uebereinstimmung in Einzelheiten immerhin zufällig sein,
und das Leben bietet und hat zu allen Zeiten immer so viel Pe-
danten geboten, dass Shakespeare die Vorbilder zu seinem Holo-
fernes z. B. vielleicht bequemer von den Schulkathedern in London
oder Stratford entnehmen konnte, als von italienischen Comödien,
wie denn jener Florio, wie oben erwähnt (S. 103 fg.) schon als ein
solches Modell mit vieler Wahrscheinlichkeit ermittelt worden ist,
was ĂĽbrigens der Annahme keineswegs entgegensteht, dass der
Dichter zugleich nach Bruno's oder andern italienischen Comödien
die ergötzliche Darstellung seiner Pedanten gegeben hat. Wir
finden aber in der Comödie Bruno's noch etwas, was in Shake-
speare's Dichtung wiederkehrt und wozu dieser kaum anderswoher
und gewiss nicht nach dem Leben, die Vorbilder nehmen konnte,
die gerade hier in gewissem Grade selbst dem begabtesten Dichter
unentbehrlich scheinen. Es ist dies jene geläufige, lebendige und
äusserst rasche Sprech- und Darstellungsweise des gemeinen Man-
nes, der Personen niedern Standes, welche einem Theil des roma-
nischen Stammes, und besonders den Italienern und unter diesen
wieder vorzugsweise den Neapolitanern eigen ist. Bruno hat nun
in seinem Lustspiel und einigermassen auch in den Dialogen, in
jenem besonders da, wo er Personen des niedrigsten Standes spre-
chen lässt — •beiläufig auch von solcher Denkungsart, denn gleich
im Personenverzeichniss werden sie als Betrüger aufgeführt — ,
ganz die Volkssprache seiner Heimath wiedergegeben, wie dies in
gleichem Grade in wenigen anderen Dramen jener Zeit sich zeigen
dürfte. Etwas ähnliches konnte Shakespeare unter den niederen
Volksklassen Englands nicht finden, da weder damals noch heut
eine derartige Sprechweise unter den Völkern germanischer Eace
in den entsprechenden Kreisen zu finden ist. Gleichwohl hat
Shakespeare und besonders in seinen frĂĽheren Lustspielen, in denen
der italienische Einfluss noch vorherrscht, in verschiedenen Per-
sonen aus niedrer Lebenssphäre jene Art zu sprechen und zu er-
zählen, mit grosser Naturwahrheit zur Anwendung gebracht und
eine Vergleichung einiger solcher Stellen ergiebt unseres Erachtens,
dass dabei Bruno zum Vorbild gedient hat. Im Candelajo (Akt III,
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— 133 —
Sc. 8) erzählt Barra, einer der vier im Stück auftretenden Be-
trĂĽger, einen Streich, den er einem Wirth gespielt, in folgen-
der Art:
'Ich sprach zum Wirth: 'Herr Wirth, ich will spielen!' 'Was
fĂĽr ein Spiel,' sagte er, 'wollen wir spielen, hier sind Tarokkarten.'
Ich antwortete: 'Bei diesem verdammten Spiel kann ich wegen
meines* schlechten Gedächtnisses nicht gewinnen.' Er sprach: 'Ich
habe auch gewöhnliche Karten.' Ich entgegnete: 'Vielleicht sind
sie gezeichnet und Euch kenntlich, habt Ihr nicht welche, die noch
gar nicht gebraucht sind?' Er antwortet: 'Nein. Also denken
wir auf ein anderes Spiel. Hört, spielt Ihr auf dem Damenbret?'
'Davon versteh' ich nichts.' 'Hört, spielt Ihr Schach?' 'Das Spiel
wĂĽrde mich zur Verleugnung Christi bringen.' Da fuhr ihm der
Senf in die Nase: 'Was Teufel willst Du fĂĽr ein Spiel spielen,
schlage vor.' Sage ich: 'Kugel und Ring werfen.' Sprach er:
'Wie denn Kugel und Ring. Siehst Du hier Platz zu solchem
Spiel?' Sagte ich: 'Mirella?' 'Das ist ein Spiel für Lastträger
und Schweinetreiber.' 'Mit fĂĽnf WĂĽrfeln?' 'Zu was Teufel mit
fünf Würfeln? Nie hörte ich von solchem Spiel, wenn Ihr wollt-,
spielen wir mit drei WĂĽrfeln.' Ich sagte ihm, dass ich mit drei
Würfeln kein Glück hätte. 'In funfzigtausend Teufels Namen!'
sagte er, 'wenn Du spielen willst, so schlage ein Spiel vor, das
wir beide spielen können.' Ich sagte ihm: 'Spielen wir Muschel-
spalten.' 'Geh' weg,' sagte er, 'Du willst mich zum Besten haben;
das ist ein Spiel für Kinder, schämst Du Dich nicht?' 'Nun also,'
sagte ich, 'spielen wir haschen.' 'Auch das ist Dein Spass,' sagte
er, und ich betheuerte beim Blut der unbefleckten Jungfrau, ich
wolle das spielen. 'Meinst Du es redlich,' sagte er, so bezahle
mich, und wenn Du nicht mit Gott gehen willst, so geh mit dem
Obersten aller Teufel.' Ich sprach: 'Beim heiligen Blut, ich will
spielen.' 'Und ich spiele nicht,' sagte er. 'Und Du musst spielen,'
sprach ich. 'Und ich werde niemals, niemals mit Euch spielen.'
'Und Du wirst hier auf der Stelle spielen.' 'Und ich will nicht.'
'Und Du wirst wollen.' 'Und das Ende war, ich fing an, ihn mit
den Fersen zu bezahlen, id est zu laufen.'
In der Comödie der Irrungen berichtet Dromio sein Zusammen-
treffen mit Antipholus (II, 1, 62) folgendermassen:
"s ist Essenszeit,' sagt ich; 'mein Gold,' sagt er.
'Das Fleisch brennt an,' sagt' ich; 'mein Gold,' sagt er.
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— 134 —
'Kommt Ihr nicht bald?' sagt ich; 'mein Gold,' sagt er.
'Wo sind die tausend Mark, die ich Dir gab?'
'Die Gans verbrennt,' sagt ich; 'mein Gold,' sagt er.
'Die Frau/ sprach ich — 'zum Henker mit der Frau!'
Aehnlich recitirt Lanz in einem Monologe in den Veronesern
(IV, 4):
'Hinaus mit dem Hunde,' sagt Einer; 'was für ein Köter ist
das?' sagt ein Anderer; 'peitscht ihn hinaus,' ruft der Dritte;
'hängt ihn auf,' sagt der Herzog.
Dieser lebhaften Art zu sprechen bedient sich Lanz auch an
anderen Stellen in Selbstgesprächen (II, 3), ebenso sein Geistes-
verwandter Lanzelot im Kaufmann von Venedig (II, 2, 1 — 35), der
auch, wie Bruno's Barra, mit dem Davonlaufen schliesst (my heels
are at your command). In allen späteren Dramen dagegen, bei
welchen der italienische Einfluss zurĂĽckgetreten war, findet sich
kaum eine ähnliche Ausdrucksweise unter den Clowns, Narren und
allen den Personen aus niederer Sphäre, welche die komischen
Effecte des jeweiligen Dramas durchzufĂĽhren haben.
Hiernach scheint es uns unzweifelhaft, dass Bruno auch auf
Shakespeare als Lustspieldichter mancherlei Einwirkungen gehabt
hat. Vielleicht Hessen sich bei sorgfältigerer Vergleichung auch
noch andere Beispiele davon nachweisen, da Bruno hier und da
auch in den philosophischen Schriften einzelne komische ZĂĽge in
scharfes Licht zu stellen weiss, die jedem Lustspieldichter zu
Studien dienen können. Beispielsweise ist die Darstellung, wie in
der Cena delle ceneri (Dial. 3. Opere, Vol. I. S. 151) der Doctor
Nundinio die Disputation eröflhet, ein köstliches kleines Genrebild,
das auch fĂĽr unsere Zeit der Vereine, Versammlungen, Vorver-
sammlungen mit Vorstehern und Vorsitzenden Interesse hat: 'Jetzt
begann Doctor Nundinio, nachdem er sich in Positur gesetzt, den
Rücken etwas zurückgebogen, beide Hände auf den Tisch gestützt,
ein wenig rings um sich her geblickt, die Zunge im Munde etwas
in Bewegung gesetzt, die Augen in stiller Heiterkeit zum Himmel
aufgeschlagen, den Mund zu einem feinen Lächeln verzogen, und
einmal ausgespuckt hatte, folgendermassen.'
Endlich dürfen wir in gegenwärtiger Untersuchung die So-
nette Bruno's nicht ganz ĂĽbergehen, wenn sie auch nur einiger-
massen zum Verständniss der Shakespeare'schen beitragen sollten,
denn bei dem noch immer schwankenden Zustand desselben wird
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— 135 —
jeder Beitrag zu dessen Fortbildung- an sich gerechtfertigt sein.
Die Sonette Bruno's finden sich zerstreut in seinen italienischen
Schriften. Einzelne sind diesen wie eine Art Widmung oder Ein-
leitung vorangeschickt, die meisten sind in der Schrift Degli eroici
furori enthalten und bilden den eigentlichen Inhalt des Werkes,
insofern sich die Erörterungen in Prosa hauptsächlich in Erklärung
der Gedichte bewegen. Das Ganze behandelt die Liebe zum Gött-
lichen in zwei Abtheilungen, deren jede in fĂĽnf Dialoge zwischen
verschiedenen Personen zerfällt. Der erste Theil enthält vierzig
Sonette, der zweite eine etwa gleiche Anzahl von Gedichten, von
denen ein Theil ebenfalls in Sonettenform, ein anderer in verschie-
denen der des Sonetts sich annähernden Formen gedichtet sind.
Die Gedichte sind meist von etwas harter Versification, und auch
im Einzelnen wird es mit dem Versmass nicht ĂĽberall genau ge-
nommen. Der Inhalt des ganzen Werkes leidet an Dunkelheit,
und dasselbe steht an Schärfe den übrigen hier erwähnten Schriften
Bruno's nach, zum Theil in Folge jener Vermischung der Form
der Rede. Dagegen spricht sich darin und namentlich in den So-
netten eine grosse Begeisterung und tiefe Empfindung aus, und sie
enthalten nach der Meinung der berufensten Beurtheiler l ) einen
guten Theil des innern Lebens ihres Urhebers. Bekanntlich ist
dies auch von den Sonetten Shakespeare's einerseits behauptet,
andrerseits mit Bestimmtheit in Abrede gestellt worden. Unsere
Ansicht, dass wenigstens ein Theil von Shakespeare's Sonetten und
gerade die gehaltvollsten und interessantesten in dieser Art und
als Ausdruck eigner Empfindungen aufzufassen sind, wird durch
eine Vergleichung mit den Sonetten Bruno's noch mehr bestärkt,
und schon der Umstand scheint uns dafĂĽr zu sprechen, dass, wenn
bei solchen Gedichten fingirte Verhältnisse zu Grunde lägen, solche
thatsächlich deutlicher angedeutet sein würden, als dies bei Shake-
speare und bei derartigen Gedichten italienischer Autoren der Fall
ist. An Bruno und andern Italienern, wie Dante, Michael Angelo
hatte nun Shakespeare Vorbilder, bei denen das Sonett zum Aus-
druck tiefinnerlicher Seelenzustände und Empfindungen gemacht
ist, während bei den englischen Sonettendichtern vor und zur Zeit
Shakespeare's hauptsächlich nur in conventioneller Art fingirte
Liebes- und Freundschaftsverhältnisse in den Sonetten behandelt
! ) Berti, a. a. 0. S. 187.
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wurden. In jener Manier ist er also, wenn man unsere Auffassung
überhaupt gelten lässt, wahrscheinlich von italienischen Sonettisten
beeinflusst worden. Dass auch Bruno in dieser Kichtung auf ihn
eingewirkt, mĂĽssen wir nach den sonstigen hier gezeigten BerĂĽh-
rungen um so mehr annehmen, und in der That zeigt sich in ein-
zelnen Sonetten beider Dichter sowohl eine inhaltliche Verwandt-
schaft, wie auch Aehnlichkeit einzelner Gedanken und AusdrĂĽcke.
Im Dialog 2 jener Schrift Bruno's, dessen Gedichte den inneren
Zwiespalt der noch nicht concentrirten Seele schildern, lautet das
zweite Sonett (das zehnte des ganzen Werkes):
Mich hat umstrickt ein wunderbarer Bann,
Denn lebend bin ich todt, mein Tod ist Leben,
Und dies Geschick hat Amor mir gegeben,
Dass ich nicht todt noch lebend heissen kann.
Die Hoffnung flieht, die Hölle blickt mich an,
Die Sehnsucht flammt, ich mag zum Himmel schweben,
Doch kann ich Höll' und Himmel nicht erstreben,
Denn zwei Gesetzen bin ich unterthan.
Ja, meine Qual ist gross und ohne Ende,
Zwei mächt'ge Ströme, welche tosend streiten,
Sie nehmen wirbelnd mich in ihre Mitte,
So dass ich bald zur Fluth mich eilig wende,
Bald zur Verfolgung; nach verschiednen Seiten
Lenkt Sporn und ZĂĽgel meine schwanken Schritte.
Amor ist hier, wie in andern Sonetten, was am deutlichsten im
Sonett 7, Dialog I gesagt ist, als Spender des reinsten GlĂĽckes
und der edelsten Güter, nämlich der Erkenntniss und der Wahr-
heit gedacht. Ferner lautet im dritten Dialog, der von der Macht
des Willens handelt, welcher bisher noch in Zwiespalt war, end-
lich aber mit Entschiedenheit sich dem Uebersinnlichen zuwendet,
das dritte Sonett (das vierzehnte des Ganzen)
0 wehe mir, der Liebe heisse Glut
Hat mich entflammt, dem Unheil nachzustreben,
Das mir Gott Amor preist als höchstes Gut!
Und nimmer will mein Geist sich kĂĽhn erheben,
Zu bändigen den wahnbethörten Willen
Und zu vernichten des Tyrannen Bann,
Der mich mit Leid und Elend will erfĂĽllen,"
Der schmachvoll mich mir selbst entfremden kann.
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— 137 —
Nicht will mein Blick der Freiheit Wonne sehen;
Der Windeshauch, der meine Segel schwellt,
Lässt dem verhassten Glück mich schnell entgehen,
Führt mich dem Unheil zu, das mir gefällt.
Hiermit vergleiche man von Shakespeare's Sonetten 129, 144, 148,
137 und besonders 147:
Mein Lieben ist ein Fieber, es begehrt
Nur was die Krankheit fristet; all sein Sehnen
Geht auf den Zunder, der das Uebel nährt,
Dem kranken, launenhaften Reiz zu fröhnen —
Unheilbar bin ich, nun Vernunft zerstoben,
In ew'ger Unruh ein Besessener:
Gedank' und Urtheil, wie im Wahnsinn, toben
Blind um die Wahrheit irrend hin und her.
Jenes zweite Sonett Bruno's zeigt in der Form eine auffallende
Uebereinstimmung mit Shakespeare's Sonett 126, insofern es wie
dieses blos 12 Zeilen hat, doch ist die Reimstellung bei beiden
etwas verschieden. Eine andere Unregelmässigkeit, welche sich
in den Sonetten Bruno's mehrfach findet, hat Sonett 145 Shake-
speare's, indem darin die einzelnen Verse durchgängig einen Fuss
weniger haben, als die anderen nach der Regel gebauten Sonette.
Nach dem Gesagten scheint uns ein vielfacher Zusammenhang
der Shakespeare'schen Dichtung mit den Werken Giordano Bruno's
unverkennbar und wenn wir auch weit entfernt sind, zu behaupten,
dass jener sich den letzteren zum bestimmten Vorbild genommen,
oder dass Bruno auf ihn einen ĂĽberwiegenden und anhaltenden
Einfluss geĂĽbt habe, so wĂĽssten wir doch kaum einen einzelnen
Dichter oder Schriftsteller unter seinen Zeitgenossen oder aus
früherer Zeit namhaft zu machen, dem wir einen grösseren Ein-
fluss auf Shakespeare's Bildung beimessen möchten. Dabei bringen
wir selbstverständlich nicht in Anschlag, was die englische Bühne,
wie sie Shakespeare vorfand, und die Erzeugnisse derselben im
Grossen und Ganzen auf ihn gewirkt haben. Auch ist es ĂĽber-
haupt bei jeder derartigen Erwägung schwer, die Grenze zwischen
derjenigen Förderung und Anregung zu ziehen, welche den jün-
') Vergl. mein Buch: Shakespeare als Dichter etc. (S. 237), wo auch ein
Gedicht Michael Angelo's von verwandtem Inhalt aufgenommen worden ist.
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— 138 —
geren in neue Bahnen zieht oder neue Vorstellungen in ihm weckt,
und zwischen der, welche eine bereits vorhandene Gleichheit der
Anschauungen zu Tage treten lässt, und bei dem Jüngeren das
Interesse fĂĽr den geistesverwandten Aeltern hervorruft, ohne dass
er deshalb ein Anderer wird, als er ohne des Letzteren Vorbild
geworden wäre. In der Mitte von beiden Arten der geistigen
Einwirkung liegen so viele Stufen und Grade der Beeinflussung,
und so viele unmerkliche Uebergänge, dass es im einzelnen Falle
kaum möglich ist, ein solches gegebenes Verhältniss genau auf die
richtige Stufe zu stellen und aus einzelnen Zeichen einer gewissen
Abhängigkeit ein Gesammtresultat zu ziehen, zumal, wenn wie
hier die «tatsächlichen Vorlagen der Bildungsgeschichte dessen,
um den es sich handelt, fehlen oder unsicher sind. Es wird dann
mehr dem subjektiven Urtheil des Einzelnen, das er sich ĂĽber die
Originalität einerseits und die Aneignungsfähigkeit andrerseits bei
dem gerade in Frage stehenden gebildet hat, zu ĂĽberlassen sein,
in welche Abhängigkeit er denselben von einem einzelnen Vorbilde
stellt, und wird es zunächst darauf ankommen, wie es hier ver-
sucht wurde, dem individuellen Urtheil die Spuren nachzuweisen,
an denen die geistige Verwandtschalt oder die Beeinflussung des
einen durch den andern erkennbar wird. Gewiss können diese
Spuren in den Werken Shakespeare's wie Bruno's noch zahlreicher
nachgewiesen und weiter verfolgt werden, als es hier geschehen
ist, und bei einer vollständigen Abwägung und Nebeneinander-
stellung der in den Werken Beider sich kund gebenden Lebens-
anschauung dĂĽrfte sich noch manches Beachtenswerthe fĂĽr das
hier behandelte Thema ergeben, doch wĂĽrden damit die Dimen-
sionen der Untersuchung leicht so sehr erweitert werden, dass
man billig fragen könnte, ob das damit zu gewinnende immerhin
unsichere Eesultat mit dem Aufwand der kritischen Erörterung
in richtigem Verhältniss stände. Doch darf, um nicht Shakespeare
zu nahe zu treten und um keine falsche Vorstellung zu erwecken,
die gegenwärtige Untersuchung noch nicht abgeschlossen werden,
ohne dass auf eine sehr wesentliche Verschiedenheit in der Grund-
anschauung beider Männer hingewiesen wird. Bruno stellte sich
in seiner Lehre ganz ausserhalb des Christenthums, in manchen
Schriften demselben sogar feindlich gegenĂĽber. Er war nicht
Atheist, wie ihm mitunter vorgeworfen worden ist, sein Glaube
äussert sich bald in einer gewissen Gotttrunkenheit, bald in einer
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Art Pantheismus, da er eine Alles durchdringende Weltseele an-
nahm. Auf diesem ganzen Gebiete zeigt sich bei Shakespeare
nicht die mindeste BerĂĽhrung mit Bruno, und wir kommen auch
hier zu der Wahrnehmung, dass Shakespeare Alles, was seinen
religiösen Glauben berührte, von der poetischen Darstellung mög-
lichst fern hielt. Damit finden wir unsere schon frĂĽher ausge-
sprochene Ansicht bestätigt, dass sein Christenthum von derselben
Echtheit und schlichten Einfachheit war, wie wir uns seine ganze
menschliche Erscheinung vorstellen.
») Shakespeare als Dichter etc. S. 120. 250. Jahrbuch VH, 191.
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Die Entwiekelung
der Sage von Romeo und Julia
Von
H>!% Karl Faul Schulze.
W ie die Quellen eines grossen Stromes oft in geheimniss-
vollem Dunkel verborgen liegen und sich dem Entdeckungseifer
der Reisenden entziehen, so sind oft die ersten Anfänge einer
Sage, deren spätere Entwiekelung sich leicht verfolgen lässt, vor
unserer Forschung verhĂĽllt. Auch der Ursprung der Sage von
Romeo und Julia ist uns nicht bekannt. Die ältesten Zeugnisse,
in denen sie uns noch vorliegt, weisen uns nach Italien, und es
ist wahrscheinlich, dass sie hier im Lande der erfindungsreichen
Erzähler mit dem eifrig lauschenden Volk ihren Ursprung gehabt
hat. Italien ist das Land der Prosadichtung. Dort sind im 14.
und 15. Jahrhundert jene unzähligen heiteren und ernsten Erzäh-
lungen entstanden, die wir aus den Novellen eines Boccaccio,
Cinthio, Bandello und Anderer kennen, und welche in zahlreichen
Uebersetzungen und Umdichtungen, bald als Novelle, bald als
Drama, die Runde durch Frankreich, Spanien, England und Deutsch-
land gemacht haben. Es ist erstaunenswerth, welcher Reich thum
der Erfindung sich hier vor uns entfaltet, und wir erfreuen uns
desselben. Fragen wir aber nach dem ersten Gewährsmann einer
Erzählung, so bleibt unsere Frage meist unbeantwortet. So wenig
wir die Dichter unserer Volkslieder nachweisen können, so ver-
geblich suchen wir nach dem ersten Erfinder jener Sagen.
Und eine Sage ist auch die Geschichte von Romeo und Julia,
wenn auch einige unserer Quellen, um ihre Erzählung glaub-
wĂĽrdiger erscheinen zu lassen und mehr Interesse fĂĽr dieselbe zu
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erwecken, von Leuten sprechen, die sie noch erlebt haben; so
Boaistuau: Histoire non moins adroirable que Veritäbie, äffiEllde
des Sommaire; und am Anfange seiner Erzählung: en est encores
pour le jour d'huy la memoire si recente ä Veronne, qu'ä peine en
sont essuyez les yeux de ceux, qui ont veu ce piteux spectacle.
Und Brooke: No legend lye I teil, scarce yet theyr eyes be drye,
That did belwld the grisly sighty with wet and weping eye. Paynter:
TJie memory whereof (of thys most true history) to thys day is so
wel knoum at Verona, a$ unneths their bliibbred eyes be yet dry,
that saw and beheld that lamentable sight Die älteren italieni-
schen Gewährsmänner Luigi da Porto, Clitia und Bandello haben
hiervon kein Wort. Und man kann derartigen Versicherungen
keinen Glauben schenken, wenn man beobachtet, dass es geradezu
Mode war, diese Erzählungen für wahrhafte Ereignisse auszugeben.
So versichert Masuccio im Parlamento de lo autore al libro suo
von seinen Novellen: Invoca Paltissimo Dio per testimonio che
tutte sono verissime istorie, le piĂĽ nelli nostri modern i tempi tra-
venute. Und Boaistuau im Sommaire zur 3. Novelle: Je n'inse-
reray aucune histoire fabuleuse en tout cest ceuvre, de laquelle je
ne face foy par annales et chroniques, ou par commune approba-
tion de ceux qui Tont veu, ou par autoritez de quelque fameux
historiographe, Italien ou Latin. Auch Belieferest betheuert in
seiner Widmung an den prince Charles Maximilian de France,
dass alle seine Geschichten wahr seien.
Eine Sage ist die Geschichte von Romeo und Julia trotz des
Denkmals, von dem Boaistuau, Paynter und Brooke reden und
welches bei dem ersten ganz genau beschrieben wird: Le tombeau
qui fut erige sur une haulte colonne de marbre, et honore d'une
infinite d'excellens epitaphes. Et est encores pour le jour d'huy
en essence: de sorte que entre toutes les plus rares excellences,
qui se retrouvent en la cite de Veronne, il ne se voit rien de
plus celebre, que le monument de Rhomeo et de Juliette. Achn-
lich bei Brooke und Paynter. Die älteren Quellen Luigi da Porto
und die Veroneserin Clitia erwähnen nichts von einem solchen
Denkmal. 1 ) Captain Breval sagt in seinen Travels (1726), dass
. ihm in Verona ein altes Gebäude, das in ein Waisenhaus umge-
') Ancb Bandello nicht in der Ausgabe von 1560, während in andern von
einem Monument die Rede ist.
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Bekanntlich zeigt man noch heutzutage in Verona einen alten stei-
nernen Wassertrog als den letzten Ueberrest des Denkmals.
Eine Sage ist die Erzählung endlich, trotzdem sie in Girolamo
de la Corte's Istoria di Verona (Ver. 1594—96. 2 voll. 4°) als eine
wahre Begebenheit aus dem Jahre 1303 erzählt wird. 1 ) Simrock
hat aber nachgewiesen (Die Quellen Shakspeare's. 2. Aufl. 1870),
dass in diesem Falle der Geschichtschreiber aus den Novellen
geschöpft habe, obwohl er versichert, die Ueberreste der Gruft,
worin die Liebenden beigesetzt wurden, gesehn zu haben. Giro-
lamo fĂĽhrt die Geschichte Verona's bis zum Jahre 1560; vor
diesem Jahre waren aber schon BandehVs und Luigi da Porto's
Novellen erschienen. Simrock weist nun sogar nach, welchem von
diesen beiden der Historiker die Geschichte entnommen hat; er
folgte dem jüngeren Gewährsmann Bandello. Julia erfährt nämlich
erst nach dem Ball von der Amme, dass der Geliebte ein Mon-
tecchi sei, und Pietro, Romeo's Vertrauter, dient im Hause der
Montecchi: Beides stammt aus Bandello und findet sich bei Luigi
da Porto nicht. 2 ) Bereits Schlegel (Kritische Schriften I, p. 384),
der gleichfalls die historische Wahrheit der Geschichte bezweifelte,
hat auf Dante Purg. VI, 106 verwiesen, aus welcher Stelle her-
vorgeht, dass die Cappelletti und Montecchi derselben Partei,
nämlich den Ghibellinen, angehört haben. Und Dante hielt sich
längere Zeit in Verona auf, und zwar kurz nach der Regierung
Bartolomeo's della Scala, unter dem sich die Geschichte zugetragen
haben soll. Auch Luigi da Porto weiss nichts von einer Feind-
schaft jener zwei Familien; am Eingange seiner Erzählung schreibt
er: avegna che io alcune vecchie croniche leggendu haobia queste
due famiglie trovate, che unite ĂĽna stessa parte sosteneano: non
di meno come^io udi, senza altrimenti mutarla a voi la sporto.
Ej^jsWieCwohl bewusst, dass er eine Sage erzählt. Die Vero-
neserin Clitia lässt die Geschichte vor 150 Jahren, also c. 1400,
geschehen sein. Denselben Stoff will Luigi Groto den Annalen
i) Italienische Gelehrte zwar, wie Alessandro Toni (Pisa 1831) nnd Filippo
Scolari (in seinen Lettere critiche, Livorno 1831) schenken dem Historiker
Glanben.
*) Warnm Della Corte den Frate Lorenzo in einen Frate Leonardo umge-
tanft hat, wissen wir nicht
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— 143 —
seiner Vaterstadt Hadria entnommen haben. Und endlich werden
wir sehen, wie ähnliche Geschichten sich an mehreren Orten zu-
getragen haben sollen.
Die Sage von Romeo und Julia findet sich in der Gestalt,
wie sie in den Hauptzügen bei allen Spätem wiedererscheint, so
viel wir wissen, zuerst bei Luigi da Porto, der eine Novelle Giu-
lietta schrieb. Eine Uebersetzung derselben findet sich bei Sim-
rock c. 1. Luigi da Porto stammte aus Vicenza, wo er 1485 ge-
boren ward; er kämpfte als einer der Führer der Venetianischen
Armee in Friaul gegen die Deutschen und starb 1529 (nach An-
deren erst 1531) in seiner Vaterstadt. Seine Novelle, die 1524
bereits geschrieben war (cf. Klein, Geschichte des Dramas Bd. V,
p. 432 ; sie wird in einem Briefe von Bembo als la bella vostra
Novella erwähnt) ward jedoch 'erst nach seinem Tode in Venedig
gedruckt, 1535. Spätere Ausgaben datiren aus den Jahren 1539
und 1553; zuletzt ward sie 1731 in Vicenza wieder abgedruckt.
Dunlop {History of Fiction II, p. 398) giebt an, dass die verschie-
denen Ausgaben in einigen unwichtigen Punkten etwas von ein-
ander abweichen. Mir stand eine ältere zu Venedig ohne Angabe
von Datum und Namen des Verfassers erschienene Ausgabe zu
Gebote, die mir auf das Zuvorkommendste von Herrn Oberbiblio-
thekar Förstemann aus der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu
Dresden geliehen ward. 1 ) Der Titel lautet hier: Hystoria no-
vellamente ritrovata di due nobili Amanti: Con la loro pietosa
morte: intervenuta gia nella citta di Verona. Nel tempo del
Signor Bartholomeo dalla Scala. Hierauf kommt zunächst nach
der Sitte der Zeit (Masuccio widmet jede seiner fĂĽnfzig Novellen
einem vornehmen Gönner und schliesslich noch die ganze Samm-
lung Jemand besonders) eine Widmung: alla bellisima e leggiadra
Madonna Lucina Sauorguana. Der Verfasser sagt, er wolle ihr
una compassionevole novella da me gia piu volte udita nieder-
schreiben und erwähnt, dass er die Geschichte in Friaul von
einem Soldaten Peregrino, der aus Verona gebĂĽrtig war, habe er-
zählen hören. Der Verlauf der Geschichte ist bei ihm folgender:
Zur Zeit, als Bartholomeo dalla Scala Herr von Verona war,
lebten daselbst zwei vornehme Familien, die Capeletti (meist Ca-
pelletti gedruckt) und die Montecchi, zwischen denen eine alte
') Mau nimmt an, dass dieselbe aus dem Jahre 1530 stammt.
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Feindschaft bestand. Da gab einstmals, während des Carnevals,
Antonio, das Haupt der Capelletti, ein Fest, auf welchem auch
der junge Montecchi erschien, um seiner Geliebten nachzugehen.
Er erregte daselbst sowohl seiner hohen Schönheit, als auch seines
Muthes wegen, der ihn kĂĽhn in das Haus des Feindes fĂĽhrte, die
allgemeine Aufmerksamkeit, namentlich bei den Damen. Auch
der einzigen Tochter des Hausherrn entgeht er nicht, und als die
Augen des Jünglings und des Mädchens sich begegnen, entbrennen
sie in Liebe zu einander. Da ward gegen das Ende des Festes
il ballo del torchio o del capello, come dire lo vogliamo, getanzt,
wobei der Jüngling auf die eine Seite des Mädchens zu stehen
kam, während sich auf ihrer andern Seite ein edler Jüngling,
Namens Marcucio Guertio befand. Dieser hatte von Natur stets
eisig-kalte Hände. Als beim Tanze Romeo — so hiess der Ge-
liebte — ihre Hand ergriff, sprach sie zu ihm: Benedetta sia la
vostra venuta qui presso me Mess. Romeo; du erwärmst mir die
kalten Hände. Und er erwiderte: Und du entzündest mir mit
deinen schönen Augen mein Herz. Nach diesem Abend beschliesst
Romeo der ersten Geliebten, die ihn trotz seiner heissen Liebe
stets kalt von sich gestossen, zu entsagen und der neuen Geliebten
zu dienen, sei sie auch die Tochter des Erbfeindes. Sie aber er-
widert seine Liebe und wĂĽnscht seine Frau zu werden, indem
sie hofft, dass durch ihre Verbindung mit ihm die zwei feindlichen
Häuser ausgesöhnt werden würden. So suchten sie sich öfter zu
sehn, und Romeo schleicht sich wiederholt Nachts auf einen Balkon
an dem Hause der Geliebten, um sie zu belauschen. Hier ward
er in einer mondhellen Nacht von ihr bemerkt. Sie ruft ihm zu :
Che fate qui a questa hora cosi solo? und macht ihn darauf auf-
merksam, in welcher Gefahr er schwebe, falls er entdeckt werde;
komme er nur, sie zu bethören und ihr die Ehre zu rauben, so
möge er unverrichteter Dinge heimkehren. Begehre er sie aber
zur Frau, so sei sie bereit, ihm ihre Hand zu reichen. Er möge
sich an ihren Confessore frate Lorenzo da San Francesco aus
Reggio wenden. Derselbe war zugleich der Freund Romeo's. Als
dieser ihm von seinem Vorhaben erzählt, giebt Lorenzo seine Zu-
stimmung, indem auch er hofft, durch die Verbindung der Beiden
den alten Familienhass beseitigen zu können und somit ein ver-
dienstliches Werk zu thun. Am Tage Quadragesima begiebt sich
das Mädchen unter dem Vorwande beichten zu wollen zum Mönch
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- 145 —
und wird von diesem mit Romeo verbunden. Die Neuvermählten
kamen darauf öfter Nachts zusammen, bis ihr junges Glück durch
ein trauriges Ereigniss gestört ward. Eines Tages geriethen näm-
lich die Montecchi und Capelletti auf der Strasse aneinander; und
obwohl Romeo sich Anfangs vom Streit entfernt hielt (alla sua
donna rispetto havendo di percuotere alcuno della sua casa si
guardava), ward er doch endlich, da er mehrere der Seinen am
Boden liegen sah, vom Zorn tibermannt und erschlug den *An-
fĂĽhrer der feindlichen Schaar, Thebaldo Capelletti, den Vetter
der Geliebten. Zur Strafe ward er fĂĽr immer aus Verona ver-
bannt. Er eilt zum Frate, wo er sich mit der Geliebten trifft.
Sie wehklagt, und da sie ohne ihn nicht leben könne, bittet sie,
dass er sie als Diener verkleidet mit sich nehme. Er widerräth
dies und tröstet sie mit der Hoflhung, dass er bald zurückkehren
dĂĽrfe. Romeo flieht nach Mantua. Die ZurĂĽckbleibende aber
grämt sich sehr über die Abwesenheit des Geliebten, so dass ihre
Betrübniss die Aufmerksamkeit ihrer sie zärtlich liebenden Mutter
erregt. Diese glaubt, die Tochter, welche bereits 18 Jahre alt
sei, sehne sich nach einem Gatten und theilt diese Vermuthung
ihrem Gemahl mit, der sie mit einem Conte di Lodrone zu ver-
heirathen wünscht. Als Frau Giovanna — so hiess die Mutter
— der Tochter verkündet, dass sie die Gemahlin des Grafen di
Lodrone werden solle, sagt diese, sie wĂĽnsche nicht zu heirathen,
sie wolle nur sterben. Dies hinterbringt die Mutter ihrem Gemahl,
welcher Giulietta (hier erst wird ihr Name erwähnt) zu sich rufen
lässt und ihr heftige Vorwürfe darüber macht, dass sie so eigen-
willig sei und den Grund ihres Kummers verschweige. Und er-
zürnt lässt er mit Frau Giovanna die weinende Tochter stehen.
Giulietta wendet sich an Pietro, einen Diener ihres Vaters, der
in ihre Geheimnisse eingeweiht war. Dieser schreibt Romeo von
dem, was vorgefallen, welcher antwortet, er hoffe binnen 8 bis
10 Tagen sie abholen zu können. Die Eltern beschliessen inzwi-
schen die Hochzeit zu beschleunigen, um Giulietta's Gedanken end-
lich von ihrem Gram abzulenken. Diese eilt in ihrer trostlosen
Lage zu Lorenzo und erzählt ihm, wie man auf einem Landgute
ihres Vaters, 2 Meilen in der Richtung nach Mantua hin (der
Name wird nicht genannt), bereits die Vorbereitungen zu ihrer
Hochzeit treffe; er möge ihr ein Gift geben, sonst werde sie sich
erdolchen. Da giebt er ihr ein Pulver, das sie, wenn sie es in
Jahrbuch XL 10
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Wasser aufgelöst trinke, auf 48 Stunden scheintodt machen werde.
Man werde sie dann im Erbbegräbniss der Familie beisetzen, von
wo er sie bei ihrem Erwachen abholen und zu Romeo geleiten
werde. Sie solle mit eigner Hand dem Romeo von ihrem Vorhaben
schreiben, und er wolle den Brief durch einen befreundeten Mönch
nach Mantua besorgen lassen. Froh kehrt Giulietta zur Mutter
zurĂĽck und ruft ihr zu: Veramente, madonna, che frate Lorenzo
e il miglior confessor del mondo; ihre Traurigkeit habe er gänz-
lich von ihr genommen. Die Mutter, hocherfreut ĂĽber diese Sinnes-
änderung der Tochter,- verspricht den Mönch reichlich zu be-
schenken. So wird denn festgesetzt, dass Giulietta am nächsten
Tage mit ihrem zukünftigen Gemahl auf dem bereits erwähnten
Landgut zusammentreffen soll, damit sie sich kennen lernten. Da
sie furchtet, dass man sie dort plötzlich verheirathen wolle, nimmt
sie das Pulver mit und lässt sich in der Nacht vor der Zusam-
menkunft von einer Dienerin ein Glas Wasser reichen, da ihr vom
Abendessen unwohl sei. Indem sie das Pulver hineinschĂĽttet, trinkt
sie es in Gegenwart der nichts Böses ahnenden Dienerin und
einer Verwandten aus. Darauf legt sie sich zu Bett, kreuzt die
Arme über ihrer Brust und entschläft. So fand man sie am an-
dern Morgen, und der aus Verona herbeigerufene Arzt hält sie für
todt. Von dem Landgute wird sie nach Verona gebracht und auf
dem Friedhofe des heiligen Francesco beigesetzt. Inzwischen hatte
Lorenzo den Brief, welchen Giulietta an Romeo geschrieben, einem
Mönch übergeben, der vergeblich versucht, ihn an letztern abzu-
geben, da er ihn wiederholt nicht zu Hause trifft. So trägt er
ihn, da er ihn keinem andern ĂĽbergeben will, noch bei sich, als
Pietro Romeo die Kunde von dem Tode Giulietta's ĂĽberbringt.
Der treue Diener war erst zu Lorenzo geeilt, dass dieser Romeo
benachrichtigen solle, hatte denselben aber nicht in seiner Zelle
vorgefunden, da er in Geschäften seines Klosters abwesend war.
Als Romeo die traurige Botschaft erhält, will er sich selbst mit
dem Schwert tödten und wird nur mit Gewalt von seinem Vor-
haben abgehalten. In wildem Schmerz klagt er sich an, die Schuld
an Giulietta's Tod zu tragen, da er nicht gekommen sei, sie ab-
zuholen. Als Landmann verkleidet eilt er nach Verona und nimmt
ein Gift mit sich, das er von frĂĽher her besass. Im Dunkel der
Nacht schleicht er sich zum Grabmal, erbricht es und tritt in
dasselbe ein. Er kĂĽsst die Geliebte und bricht in heftige Weh-
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klagen ĂĽber ihr trauriges Schicksal aus. Nachdem er das Gift
getrunken, umarmt er Giulietta, um an ihrem Busen zu sterben.
Da erwacht sie,, indem die Kraft des Schlaftrunks von ihr gewichen
war. Oyme ove sono? ruft sie aus, und da sie glaubt, Lorenzo
küsse sie, fährt sie fort: a questo modo, frate, serbate la fede a
Romeo? Endlich erkennt sie diesen, kĂĽsst ihn tausend Mal und
erzählt ihm, wie sie nur scheintodt gewesen. Da erkennt er, in
welchem grausamen Irrthum er sich befunden, und verwĂĽnscht sein
unglĂĽckseliges Geschick. Indem das Gift schon zu wirken an-
fängt, liegt er bewusstlos in ihren Armen. Da kommt Lorenzo
mit einem Gefährten, um Giulietta abzuholen. Sie überhäuft ihn
mit VorwĂĽrfen, dass er ihren Brief nicht besorgt habe. Lorenzo
beschwört Romeo bei seiner Geliebten wieder aufzuwachen, und
als dieser den Namen Giulietta hört, öffnet er noch einmal die
todesmüden Augen und stirbt. Der Mönch fordert Giulietta auf,
mit ihm zu gehen und ihre Tage in einem Kloster zu beendigen.
Sie aber antwortet, sie werde nicht von ihrem Geliebten lassen
und stirbt vor Schmerz (deliberando di piu no vivere raccolto
asse il fiato e alquanto tenutolo, e poscia con un gran grido
fuori mandando sopra'l morto corpo morta si rese). Da kommt,
durch das Licht in dem Grabgewölbe, welches Romeo mit sich ge-
bracht hatte, herbeigelockt, die Nachtwache und ergreift die beiden
Mönche. Sie werden vor den Fürsten geführt; dort sagt Lorenzo,
um das Geheimniss der Liebenden zu bewahren, aus, er sei in
das Gewölbe gestiegen, um über dem Grabe Giulietta's zu beten.
Inzwischen wird aber, der Leichnam Romeo's im Gewölbe aufge-
funden. So kann er das Geheimniss nicht länger verschweigen
und erzählt Allen die Geschichte der beiden Liebenden. Die
Väter derselben schliessen nunmehr Frieden. Romeo und Giulietta
werden feierlich beerdigt, und ĂĽber ihnen wird zum Andenken ein
Grabmal errichtet. Der Verfasser schliesst mit einer Lobpreisung
der Treue jener beiden Liebenden, einer Tugend, welche neuer-
dings leider abhanden gekommen sei. Qui finisse lo infelice Inna-
moramento di Romeo Montecchi et di Giulietta Capelletti. Stam-
pato in la inclitta citta di Venetia, per Benedetto de Bendoni. —
So lautet die Erzählung von Romeo und Julia bei Luigi da
Porto. In einfacher, schlichter Rede, ohne grossen Prunk, aber
mit vielen Zwiegesprächen, die dem Ganzen dramatische Lebendig-
keit verleihen, erzählt er das traurige Geschick der beiden Lie-
10*
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benden; namentlich vermeidet er allen gelehrten Aufputz. In
volkstĂĽmlicher Redeweise giebt er die Sage fĂĽr das Volk wieder,
wie er sie vielleicht vom Volke hatte erzählen hören. —
In der Darstellung des Luigi da Porto finden wir zuerst die
Sage in der Gestalt, welche sie in allen späteren Bearbeitungen
mit Ausnahme der spanischen bis zu Shakespeare hinab in allen
Hauptsachen wenigstens behalten hat. Der Kern der Sage ist
folgender: Die Sprösslinge zweier feindlicher Häuser verlieben
sich in einander und schliessen heimlich mit Hülfe eines Mönchs
einen Ehebund. Da muss der Geliebte, weil er im Streit einen
Bürger tödtet, fliehen; die gramgebeugte Geliebte soll von ihren
Eltern gezwungen werden, einem Zweiten ihre Hand zu geben.
Sie trinkt einen Schlaftrunk, den ihr der Mönch giebt und wird
scheintodt begraben. Durch unglückliche Umstände erfährt der
Geliebte, dass sie todt, nicht, dass sie nur scheintodt sei. Er eilt
an ihr Grab und vergiftet sich. Sie folgt ihm in den Tod. Die
feindlichen Häuser aber söhnen sich nach dieser ernsten Mahnung
des Schicksals mit einander aus. Nur Bandello giebt an, dass ihre
Versöhnung nicht von Dauer gewesen: tra i Montecchi e Capelletti
si fece la pace, benche non molto dopoi durasse. Auch die Namen
der Hauptpersonen bleiben seit Luigi da Porto unverändert.
Fragen wir nun, woher dieser die Erzählung entnommen, so
sagt er zunächst selbst, dass er sie nicht erfunden habe: hystoria
novellamente ritrovata, sagt er von der Novelle. Er scheint sie
vielmehr aus dem Volksmunde gehört zu haben (una novella, da
me gia piu volte udita), wie er sie sich ja auch von einem Vero-
neser Soldaten erzählen lässt. Wir wissen von ähnlichen Sagen,
welche von der Macht der Liebe handeln, die zwei Sprösslinge
feindlicher Häuser zusammenführt und sie vernichtet. Simrock
(c. 1.) und vor ihm Boswell (in der Einleitung zu Romeo and Juliet
seiner Ausgabe Shakespeare's) *) haben darauf hingewiesen, dass
dasselbe Thema in der Sage von Pyramus und Thisbe behandelt
wird: die Eltern der Liebenden sind gegen die Heirath, und Py-
ramus wird gleich Romeo durch die falsche Annahme zum Selbst-
mord verleitet, dass die Geliebte todt sei. Der Vergleich ist von
Simrock ausfĂĽhrlich durchgefĂĽhrt worden, der ausserdem die Sagen
von Hero und Leander und von Tristan und Isolde zur Verglei-
») 1821, vol. VI p. 265.
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chung heranzieht. *) Alle diese Sagen von dem tragischen Geschick
zweier Liebender haben verwandte Motive, ohne dass man deshalb
auf eine äussere Einwirkung der einen auf die andere oder auf
eine gemeinsame Quelle schliessen dürfte. Sie gehören zum Ge-
meingut der Völker. Ich erinnere noch an die bekannte dalma-
tische Sage von der Hero von St. Andrea, welche Noe in seinen
Reisebildern aus Dalmatien und Montenegro erzählt und die von
P. Heyse in einer seiner Novellen in Versen behandelt worden ist.
Dieselbe lebt, wie Dr. Joh. Meissner in dem Feuilleton der Wiener
Deutschen Zeitung vom 5. September 1875 berichtet, noch jetzt
im Volksmunde fort. Er hörte sie in folgender Gestalt erzählen:
In einer grösseren Küstenstadt Dalmatiens gab es einst zwei vor-
nehme Familien, die sich befeindeten. Aus der einen war längere
Zeit hindurch der Knes hervorgegangen, und als man beim Tode
des letzten Knes das Haupt der feindlichen Familie zum Nach-
folger erwählte, zogen die drei Söhne des Verstorbenen mit ihrer
Schwester Margita fort auf die Insel St. Andrea. Diese hatte je-
doch ein geheimes Liebesverhältniss mit Teodoro, dem einzigen
Sohne des Feindes. Derselbe kaufte eine alte Steinmine auf der
Felseninsel Lopud, nächst St. Andrea; dort baute er sich eine
HĂĽtte und lebte darinnen einsam. Nachts aber schwamm er hin-
ĂĽber zur Geliebten, oder diese kam zu ihm geschwommen, indem
ein Licht am Fenster Beiden den Weg durch die Wogen zeigte.
Da verrieth ein Fischer den BrĂĽdern der Margita die heimlichen
ZusammenkĂĽnfte. Als diese das Licht in ihrer Kammer angezĂĽndet
hatte und den Geliebten am Strande erwartete, löschten sie das
Licht aus, fuhren selbst in die See hinaus und steckten ein neues
Licht an. Teodoro schwimmt auf dasselbe zu, das ihn trĂĽgerisch
in die hohe See hinaus lockt, wo er, als seine Kraft erlahmt, von
den Wogen verschlungen wird. Margita aber springt in Verzweif-
lung vom hohen Felsen in die See hinab. Fast genau derselbe
Stoff ist in einer Novelle des Straparola (VII, 2) behandelt.
l ) Klein (Geschichte des Dramas, ITT, p. 135 etc.) verweist uns sogar anf
ein indisches Drama Mälati und M&dhava, welches er das Komeo und Julia-
Drama der Inder nennt. Aber nichts rechtfertigt einen solchen Vergleich; einmal
hat das StĂĽck einen glĂĽcklichen Ausgang, und sodann ist weder von einem
Familienhass noch von einem Schlaftrunk die Rede. Wie so oft hat auch hier
die Sucht Fremdartiges zu verbinden und zu vergleichen Klein einen Streich
gespielt.
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Eine ähnliche Sage, die jedoch der unseren viel näher steht,
gab es in Italien selbst und ist uns dieselbe im Novellino des Ma-
succio erhalten (cf. H Novellino di Masuccio Salernitano ; restituto
alla sua antica lezione da Luigi Settembrini. Napoli 1874), einem
Werke, das zuerst 1476 in Neapel erschien. Der Verfasser, von
dessen Leben wir wenig wissen, lebte gegen das Ende des 15. Jahr-
hunderts und wird il Boccaccio napoletano genannt. Seine Novellen-
sammlung, die viel Aehnlichkeit mit dem Decameron hat, enthält
50 Novellen, von denen jeder eine conclusione morale angehängt
ist, die sich nach den oft nicht gerade sehr moralischen Erzäh-
lungen allerdings zuweilen komisch ausnimmt. Dies war jedoch
eine alte Sitte, die wir schon in den Gestis Romanorum und bei
Boccaccio finden. Der neueste Herausgeber meint, dass Masuccio
den Stoff zu diesen Novellen wohl aus dem Volke geschöpft habe,
dessen Gemeingut sie waren, und fĂĽgt hinzu: spesso avviene che
chi l'ha saputo l'ultimo, ma lo ha raccontato meglio, e creduto
egli il primo inventore.
Das Argument zu der 33. Novelle lautet: Mariotto senese,
innamorato di Giannozza, come omicida se fugge in Alessandria:
Giannozza se finge morta, e da sepoltura tolta va a trovare
l'amante; dal quäle sentita la sua morte, per morire anche lui,
ritorna a Siena, e conosciuto e preso, e tagliatali la testa. La
donna nol trova in Alessandria, ritorna a Siena, e trova l'amante
decollato e lei sopra il suo corpo per dolore se more.
Allo Hlustrissimo Signor Duca d'Amalfi. Hierauf ein Esordio,
eine Widmung an den Illustrissimo Signore, und endlich die Narra-
zione selbst:
In Siena lebte einst ein JĂĽngling aus guter Familie, Namens
Mariotto Mignanelli; derselbe verliebte sich in die Tochter eines
angesehenen BĂĽrgers und ward von Giannozza Saraceni (so hiess
die Geliebte) ebenso feurig wieder geliebt. Da sie per contrarieta
di fati ihre Liebe nicht offen aussprechen durften, Hessen sie sich
heimlich von einem frate augustinese trauen. Nachdem sie längere
Zeit heimlich zusammengekommen, traf es sich, dass Mariotto mit
einem ehrbaren BĂĽrger in Streit gerieth und denselben erschlug.
Er ward hierauf zu perpetuo esilio verurtheilt, und nach einem
thränenreichen Abschied von der Geliebten flieht er nach Alessan-
dria, wo ein Onkel von ihm als wohlhabender Kaufmann wohnte.
Vor seiner Abreise weiht er noch einen seiner BrĂĽder in sein Ge-
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— 151 —
heimniss ein und bittet denselben, ihn von Allem, was seine Gian-
nozza beträfe, zu benachrichtigen. Da inzwischen Viele um die
Hand der heimlich Verheiratheten anhalten und sie unter nichtigen
Vorwänden Alle ausschlägt, soll sie endlich von ihrem Vater ge-
zwungen werden, einem der Freier ihre Hand zu reichen. Wäh-
rend sie aber scheinbar nachgiebt, wendet sie sich in ihrer Be-
drängniss an den Mönch, der sie heimlich getraut hat, und dieser
compose una certa acqua con certa compositione di diverse pol-
veri, terminata in maniera che bevuta, Pavrebbe non solo per tre
di fatta dormire ma de essere da ciascuno per vera morta giudi-
cata, e alla donna mandata (seil. l'ebbe). Nachdem sie Mariotto
durch einen Kurier von ihrem Vorhaben benachrichtigt, trinkt sie
das Wasser. Als der Vater seine einzige geliebte Tochter scheinbar
todt daliegend findet, ruft er die Aerzte herbei, die sie jedoch fĂĽr
todt erklären. So ward sie unter grosser Theilnahme der Bürger
in Santo Agustino beigesetzt. In der Nacht ward sie jedoch von
dem Mönch mit Hülfe eines Gefährten aus dem Grabmal hervor-
geholt und nach der Wohnung desselben getragen. Dort kehrt sie
in das Leben zurück und eilt als Mönch verkleidet zu Schiff nach
Alessandria. Inzwischen hatte der Bruder Mariotto's diesen von
dem plötzlichen Tode der Giannozza, sowie davon, dass ihr Vater
bald darauf vor Schmerz gestorben sei, benachrichtigt. Während
diese Kunde zur rechten Zeit an ihn gelangt, wird unglĂĽcklicher-
weise der Bote der Geliebten von Seeräubern gefangen genommen.
Mariotto eilt, des Lebens ĂĽberdrĂĽssig, als Pilger verkleidet nach
Siena, geht dort nach der Kirche, wo er seine Giannozza beerdigt
glaubt, und wirft sich über ihr Grab. Als er damit beschäftigt
ist, dasselbe aufzubrechen, wird er vom Sakristan bemerkt, der
ihn für einen Dieb hält und al latro ruft. Er wird ergriffen, er-
kannt und nachdem er Alles offen bekannt, trotz des allgemeinen
Mitleids, namentlich der Frauen, zum Tode verurtheilt und hinge-
richtet. Giannozza erfährt unterdessen in Alessandria, dass Ma-
riotto auf die Kunde von ihrem Tode plötzlich verschwunden sei.
Sie eilt rathlos nach Siena zurĂĽck, wo sie von seiner Hinrichtung
hört. Darauf zieht sie sich in ein Kloster zurück, um dort den
Tod ihres Gatten zu beklagen, wo sie nach kurzer Zeit vor Schmerz
stirbt (con interno dolore e sanguinose lacrime con poco eibo e
niente dormire).
Es folgt eine Betrachtung ĂĽber diese Novelle, von Masuccio
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— 152 —
selbst hinzugefĂĽgt, wie er dies bei der Mehrzahl seiner Novellen
gethan hat. —
Es bedarf keines Beweises, dass wir in dieser kurzen Erzäh-
lung die Geschichte von Romeo und Julia unter anderen Namen
vor uns haben. Die HauptzĂĽge der Sage sind in dieser Novelle
gleichsam noch im Ei enthalten, und die Vermuthung liegt nahe,
dass Luigi da Porto sie gekannt, benutzt und weiter ausgefĂĽhrt
habe. Die Namen der Liebenden sind verändert, der Ort der Hand-
lung von Siena nach Verona verlegt, der vom Geliebten Erschla-
gene ist bei ihm nicht mehr einfach ein BĂĽrger, sondern ein Ver-
wandter der Geliebten, wodurch die Bande enger und kunstvoller
verknĂĽpft werden. Der Frate des San Francesco wird zu einem
Frate des Santo Agustino, und der Schluss wird auf eine kĂĽnst-
lichere und poetischere Weise ausgefĂĽhrt. Der Geliebte wird
nicht einfach hingerichtet, die Geliebte stirbt nicht im Kloster:
sie sterben Beide vereint ; romantisch wird ihr Leben ausge-
schmückt, das bei Masuccio viel zu nüchtern und alltäglich er-
schien. Aber trotz dieser allerdings meist nebensächlichen Ab-
änderungen finden sich mehrere kleine Züge, die entschieden dar-
auf hinweisen, dass Masuccio die Quelle Luigi's gewesen. Bei
Masuccio benachrichtigt die Geliebte den Mariotto selbst von ihrem
Vorhaben, den Schlaftrunk zu nehmen; ebenso bei Luigi, wo der
Mönch zu ihr sagt: ma non scordare percio di mandarmi la lettera
che a Romeo dei scrivere, che importa assai. Bei den späteren
Nachahmern benachrichtigt Lorenzo Romeo durch einen Brief von
seiner Hand, nicht durch einen von Julia geschriebenen. Bei Ma-
succio holt der Mönch sie mit einem Gefährten aus dem Grab-
gewölbe ab und bringt sie zunächst nach seiner Zelle, von wo sie
als Mönch verkleidet den Geliebten aufzusuchen eilt. Bei Luigi
kommt Lorenzo gleichfalls in Begleitung eines Mönchs, um sie mit
nach seiner Wohnung zu nehmen. Er hatte ihr versprochen, sie
von da in Mönchskleidern nach Mantua zu Romeo zu führen (tra-
vestita nel nostro habito al tuo marito ti menaro). Erst bei den
Späteren will Lorenzo den Romeo zu ihrem Erwachen ins Grab-
gewölbe bestellen; bei ihnen will wohl Giulietta auch Männer-
tracht anlegen, aber von einer Verkleidung als Mönch haben sie
nichts. Bei Masuccio wird Mariotto als Dieb ergriffen, der Sa-
kristan ruft al latro und lässt ihn festnehmen. Bei Luigi kommt
die Nachtwache nach dem Grabe, nicht weil sie im VorĂĽbergehen
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Licht darinnen bemerkt, wie bei den Spätem, sondern bei der Ver-
folgung eines Diebes: quando ecco la famiglia del podesta, chi
dietro alcun ladro correa, vi sopragionse. Bei Masuccio tritt die
Geliebte nach dem Tode Mariotto's in ein Kloster ein, um dort
ihren unglücklichen Geliebten zu beklagen. Aehnlich räth bei Luigi
Lorenzo nach dem Tode Romeo's der Giulietta in ein Kloster zu
gehen: rinchiuderti in qualche santo Monasterio et ivi pregar
sempre Dio perte e per lo morto tuo sposo. Seltsam stimmt end-
lich die Todesart der Giannozza-Giulietta bei Beiden ĂĽberein ; sie
sterben vor Schmerz; con interno dolore heisst es bei Masuccio,
und ebenso stirbt bei Luigi Giulietta ĂĽber der Leiche des Geliebten.
Zu dieser seltsamen Erfindung verleiteten ihn vielleicht die Worte
im Argomento bei Masuccio : lei sopra il suo corpo per dolore se
more. Dazu war es ferner nöthig, den ganzen Schluss der Er-
zählung in der Weise abzuändern, wie wir ihn bei Luigi da Porto
finden. Seine Nachfolger mit Ausnahme Bandello's und der Clitia
haben bekanntlich sehr an dieser sonderbaren Todesart Anstoss
genommen und wiederum selbstständig geändert. Uebrigens stim-
men die soeben citirten Worte aus dem Argomento des Masuccio
mit der Narrazione selbst gar nicht, wo sie nicht sopra il suo corpo
sondern im Kloster stirbt. Sollte Masuccio etwa die ursprĂĽngliche
Gestalt der Sage abgeändert haben, eine Vermuthung, die bereits
Torri (c. 1.) ausgesprochen? Wir werden später bei Boaistuau
eine ähnliche Erscheinung finden. —
Somit glaube ich, dass Luigi da Porto den Stoff zu seiner
Novelle dem Masuccio verdankt, dessen kurze Erzählung er aus-
gefĂĽhrt und umgedichtet hat. Wie ausserordentlich beliebt dessen
Werke zu jener Zeit waren, beweist die Anzahl der Auflagen, die
binnen kurzer Zeit von dem Novellino erschienen: Neapel 1476,
Mailand 1483, Venedig 1484, 1492, 1503, 1510, 1522, 1525, 1531,
1535, 1539, 1541 etc. Möglich wäre es allerdings auch, dass Ma-
succio und Luigi da Porto aus einer gemeinschaftlichen, ältern,
uns verloren gegangenen Quelle geschöpft haben, welcher Luigi
streng folgte, während Masuccio umänderte. Darauf weist der
oben nachgewiesene Widerspruch zwischen Argomento und Narra-
zione bei diesem hin. —
Douce {IUustrations of Shakespeare II, 198) hat versucht, die
Spuren der Sage von Romeo und Julia noch weiter in das Alter-
thum zurĂĽck zu verfolgen und glaubt den Ursprung derselben in
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einem griechischen Roman des Xenophon von Ephesus, der nach
einigen im 2. Jahrhundert, nach andern im 4. oder 5. Jahrhundert
n. Chr. gelebt hat, gefunden zu haben. Der Titel des Werkes
heisst: Sevotpwvwg *E<peoCov ziuv xata 'Av&Cav xal 'AßQoxdfirjv *Eg>€-
aiaxwv Xöyoc uxvxs. Xenophon tis Ephesii de Anthia et Habrocome
Ephesiacorum libri V. Graece et Latine rec. Peerlkamp. Har-
lemi 1818. Der Inhalt dieses Romans ist folgender: Zu Ephesos
lebte einst ein angesehener BĂĽrger, Namens Lykomedes, dessen
Sohn Habrocomes sich durch grosse Schönheit des Körpers aus-
zeichnete. Dieser lernte an einem Feste der Artemis Anthia, die
schöne Tochter des Megamedes, kennen. Sie verlieben sich gegen-
seitig und schwinden vor Liebessehnsucht dahin. Als die Eltern
aber die Ursache ihres Grames erkennen, vereinigen sie die Beiden
zu einem glĂĽcklichen Paar. Einem Orakelspruch des Gottes zu-
folge begeben sich die Neuvermählten auf eine Reise und werden
auf der See von Räubern überfallen und nach Tyros gebracht. Dort
verliebt sich die Tochter des Piratenhäuptlings, Manto, in den
schönen Habracomes und berichtet, als dieser ihre Liebesanträge
verschmäht, ihrem Vater, der soeben von einer Reise zurückkehrt,
der Gefangene habe ihr Gewalt anthun wollen. Habracomes wird
in ein Gefängniss geworfen, Anthia aber der Manto, die sich ver-
heirathet, als Dienerin geschenkt. Der Gemahl der Manto verliebt
sich in die Anthia, und aus Eifersucht befiehlt die Herrin einem
Diener sie zu tödten. Dieser hat jedoch Mitleid mit der unschul-
digen Anthia und verkauft sie als Sclavin an Kaufleute, die mit
ihr auf der Fahrt nach Cilicien Schiffbruch erleiden. Inzwischen
wird Habrocomes, dessen Unschuld offenbar geworden, freigelassen;
er macht sich auf, die Geliebte aufzufinden. Sie lebte zu der Zeit
beim Perilaos, der sie aus den Händen der Räuber — diese hatten
sie nach dem Schiffbruch gefangen genommen — befreit hatte und
sie zur Frau begehrte. Sie sucht den Tag zur Hochzeit möglichst
hinauszuschieben. Als aber endlich der Hochzeitstag bestimmt
war, lässt sie sich von einem Arzte ein Gift geben, mit dem sie
sich tödten wollte. Dieser giebt ihr jedoch Öaväcifiw fxh ovxl
(pdQfiaxov, vTwwnxdv de. Sie trinkt den Trank, und so findet man
sie scheinbar todt in ihrem Bett. Sie wird begraben. Diebe öffnen
Nachts ihr Grab, um den Schmuck der Beerdigten zu rauben, und
finden sie lebend im Grabmal. Sie wird nach Alexandria verkauft,
von wo sie mit einer indischen FĂĽrstin als Sclavin nach Indien
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gefuhrt werden soll. Habrocomes fällt inzwischen wiederum in
die Hände von Seeräubern. Er wird verkauft und von der Frau
seines neuen Herrn geliebt. Diese tödtet ihren Gemahl, um sich
mit Habrocomes von Neuem zu vermählen. Als dieser aber ihr
Anerbieten zurĂĽckweist, giebt sie an, er habe ihren Gemahl ge-
tödtet. Man ergreift ihn, um ihn hinzurichten; da aber zweimal
die Götter ihn erretten, wird er endlich freigelassen. Anthia fällt
auf der Reise nach Indien wiederum Räubern in die Hände, tödtet
einen derselben, der ihr Gewalt anthun will, und soll lebendig be-
graben werden. Der Diener aber, der sie im Grabe zu bewachen
hat, erbarmt sich ihrer und rettet sie. Die Räuber werden zer-
sprengt; sie selbst wird von einem ägyptischen Heerführer ge-
fangen genommen, dessen Frau sie aus Eifersucht nach Tarent
verkaufen lässt. Hier wird sie die Dienerin des Hippothoos, der
ihrem Gemahl befreundet war und ihr verspricht, den Habrocomes
ausfindig zu machen. Zunächst will er mit ihr nach Ephesos, um
dort nach dem Verschollenen nachzuforschen. Auf der Fahrt da-
hin opfert Anthia zu Rhodos ihr Haar fĂĽr den Verlorenen den
Göttern ; dorthin war auf seinen Irrfahrten auch Habrocomes ge-
langt und hier finden sich die Geliebten nach so viel traurigen
Irrfahrten endlich wieder. GlĂĽcklich kehren sie nach Ephesos
zurück. —
Dies ist der Inhalt des Romans von Xenophon von Ephesus,
der mit Unrecht von Dunlop (Hist. of Fiäion II, 253) als die Quelle
zur 7. Novelle des 2. Tages in Boccaccio's Decameron betrachtet
wird; ausser dem bunten Wechsel der Ereignisse haben beide
nichts mit einander gemein. Hier finden wir allerdings die eine
Aehnlichkeit mit der Sage von Romeo und Julia, dass eine Frau,
um ihrem Gemahl die Treue zu bewahren, einen Schlaftrunk nimmt
und scheintodt begraben wird, um bald darauf wieder ins Leben
zurĂĽckzukehren. Dies ist aber auch die einzige Aehnlichkeit zwi-
schen den beiden Erzählungen, die in allem Andern so verschie-
den wie möglich von einander sind. Und gerade dieser Zug ge-
hörte gleich den Ueberfällen von Piraten, den Träumen und der-
gleichen Kunstgriffen zu den allerbeliebtesten und gebräuchlichsten
Mitteln jener milesischen Märchendichter. So wird auch bei Cha-
riton von Aphrodisias (zw xatä Xacqiav xal KcdXt$$6rp> igvorcxa 6t-
riyrinara) die Heldin, in Folge roher Behandlung scheintodt, be-
graben, und von Räubern, welche die nach der Sitte der Zeit mit
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156 —
ihr begrabenen Schätze rauben wollen, lebend aus der Gruft ge-
holt und entfĂĽhrt. Cf. Dunlop c. L I, p. 77 (1816, 2. Aufl.) Und
nichts rechtfertigt die Vermuthung, dass Masuccio den griechischen
Roman gekannt und benutzt habe. Die Editio princeps des Xeno-
phon von Ephesus datirt nämlich aus dem Jahre 1726, die erste
italienische Uebersetzung ward von Salvinio drei Jahre vor der
Editio princeps angefertigt und 1723 in London veröffentlicht (cf.
Peerlkamp c. 1. p. XLIV). Es ist bekannt, wie wenige ĂĽberhaupt
zur Zeit des Masuccio in Italien Griechisch verstanden ; zwar er-
lernten Petrarca und Boccaccio die griechische Sprache, aber Ma-
succio «non visse tra i tanti eruditi latinisti e grecisti del suo
tempo, ma tra i signori ed il popolo (c. 1. p. XXIII) und Masuccio
non fu un erudito; perö scrive in lingua materna, mentre tutti
scrivono in latino; — egli non fa pompa di storia antica, ne di
mitologia, ne di alcuna maniera di erudizione: p. XXX. Douce
hat freilich nicht ĂĽbersehen, dass die Ephesiaca damals noch nicht
veröffentlicht waren; er nimmt aber an, Luigi da Porto habe das
Märchen aus dem griechischen Manuscript kennen gelernt. Dabei
ĂĽbersieht er, dass nicht Luigi, sondern Masuccio den Stoff zuerst
behandelt hat, der sicher nicht Griechisch verstand. — Eine eng-
lische Uebersetzung von Rooke erschien 1727 zu London. —
Einen indirecten Einfluss jener milesischen Märchen auf die
Sage von Romeo und Julia können wir aber wohl zugestehen,
da sie frĂĽhzeitig ihren Weg nach Unteritalien gefunden hatten und
dort allgemein beliebt waren. So konnten einzelne ZĂĽge, die sich
wiederholt in ihnen fanden, sehr wohl im Volke fortleben und in
anderen Erzählungen verwerthet werden. Aus dem Sagenschatze
des Volkes aber wird Masuccio seine Erzählungen geschöpft haben.
Wir haben nachgewiesen, dass zwei der HauptzĂĽge aus der
Romeosage, die Liebe der Sprösslinge feindlicher Häuser zu ein-
ander und das Lebendig-Begrabenwerden einer Scheintodten, auch
sonst in Prosadichtungen vorkamen. Ich verweise hier noch auf
zwei Novellen aus Boccaccio's Decamerone (circa 1348—58), in
denen Scheintodte begraben werden. Die erste ist die 8. Novelle
des 3. Tages, deren Inhaltsangabe lautet: Ferondo, mangiata certa
• polvere, e sotterrato per morto e dallo Abbate che la moglie di
lui si gode, tratto della sepoltura, e messo in prigione e fattogli
credere che egli e in Purgatorio. Eine Frau beklagt sich bei
einem Priester ĂĽber ihren eifersĂĽchtigen Gemahl. Dieser giebt ihr
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ein Pulver, das ihn drei Tage scheintodt macht. Hier stimmt
nicht nur die Zeitangabe, sondern auch die Beschreibung des Pul-
vers auffällig mit der, welche sich in unseren Novellen findet: ri-
trovata una polvere di maravigliosa virtü, la quäle nelle parti di
Levante avuta avea da un gran principe — , e che ella, piü e
men data, senza alcuna lesione facera per si fatta maniera piĂĽ e
men dormire colui che la prendeva, che mentre la sua virtĂĽ
durava alcuno non avrebbe mai detto, colui in se aver vita. Auch
bei Masuccio macht das Pulver drei Tage scheintodt, und bei Beiden
bereitet es ein Priester.
In dem Argomento zur 4. Novelle des 10. Tages heisst es:
Messer Gentil de' Carisendi, venuta da Modona, trae della sepol-
tura una donna amata da lui, sepellita per morta. Ein Edelmann
in Bologna verliebt sich in eine bereits verheirathete Frau und
geht, um seine Liebe zu vergessen, nach Modena. Die Frau fällt
eines Tages in Ohnmacht, wird von den Aerzten für todt erklärt
und in einer benachbarten Kirche begraben. Der Edelmann wird
durch einen Freund hiervon benachrichtigt und eilt an das Grab,
ihr, die er lebend nicht habe kĂĽssen dĂĽrfen, im Tode einen Kuss
zu rauben. Da er sie umarmt, merkt er, dass noch Leben in ihr
sei, hebt sie mit Hilfe eines treuen Dieners aus dem Grabe und
bringt sie nach Bologna in sein Haus. Als sie dort erwacht, sind
ihre ersten Worte: Ohne! ora ove sono io? Wie sehr auch die
Novelle später von unserer Sage abweicht, so ist doch klar, dass
diese ZĂĽge genau mit den entsprechenden der Romeo -Sage ĂĽber-
einstimmen. l )
Man ersieht hieraus, wie volksthĂĽmlich und allgemein ver-
breitet dergl. Sagen waren. Und es liegt nahe zu vermuthen,
dass das erfinderische und erzählungslustige Volk Italiens die er-
wähnten zwei Novellen -Ingredienzien zu einem neuen Trank zu-
sammengebraut hat. Freilich, was die Sage so entzĂĽckend macht,
das haben erst andere später hinzugefügt.
Wie beliebt unsere Sage in Italien zu jener Zeit war, beweist
der Umstand, dass sie bald nach Luigi da Porto von einem der
gleichzeitigen italienischen Dramatiker, Luigi Groto, dramatisirt
worden ist, auf welches Drama bereits Walker (Historical Me-
moir on Italian Tragedy, London 1799, p. 49 fgg.), Dunlop (c. L II
') Ein Schlaftrunk kommt noch in einer Novelle des Cinthio vor (TU, 5).
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p. 399 fg.), von Schade (Dramat. Liter, u. Kunst in Spanien,
Berlin 1845. III, 318) und neuerdings Klein (Geschichte des Dramas,
5. Bd.) verwiesen haben. Von dem Leben Groto's wissen wir
wenig. Er hiess il Cieco d'Hadria, weil er fast von Geburt an
erblindet war, und starb 1585 zu Venedig, von wo seine Gebeine
nach seiner Vaterstadt Hadria geschafft wurden; dort ruhen sie
noch. Sein Drama Hadriana muss nach der davorstehenden De-
dication (il di 29 di Novembre MDLXXVHI) bereits im Jahre
1578 verfasst sein. Es erschien 1586 zu Venedig, doch muss nach
den Worten auf dem Titelblatt: nuovamente ristampata bereits
eine frühere Ausgabe existirt haben. Erwähnt wird noch eine
spätere Ausgabe von Venedig 1612, appresso Ant. Turino. Mir
liegt die ältere Ausgabe vor: La Hadriana. Tragedia nova di
Luigi Groto Cieco d'Hadria. Nuovamente ristampata. In Venetia
1586. Das StĂĽck ist gewidmet alF illustrissimo S. Paolo Tiepolo
Der Inhalt ist folgender:
Atto I: Es bestand eine alte Feindschaft zwischen Mezentio,
dem Könige von Latium, und dem Vater der Hadriana, dem Kö-
nige von Hadria. Ersterer kommt mit seinem Heere und belagert
die Stadt Hadria. Da erblickt eines Tages Hadriana von einem
Thurme der Stadt aus den Sohn Mezentio's, Latino, und verliebt
sich in ihn. Ihre Liebe wird von Latino, der sie gleichfalls be-
merkt hat, erwidert; er schleicht sich wiederholt Nachts in die
feindliche Stadt und trifft sich mit der Geliebten im Garten der
Königsburg. Hadriana zieht die Amme in ihr Geheimniss; diese
warnt sie vor den Folgen ihrer Liebe. Zu ihnen gesellt sich
Orontea, die Mutter der Hadriana, welche soeben vom Thurme aus
dem Kampfe der beiden Heere zugeschaut hat. Ein Bote meldet,
dass das eigene Heer den Sieg ĂĽber die Feinde davongetragen,
dass aber der Sohn der Orontea im Zweikampfe von Latino ge-
tödtet worden ist. Der Chor der Frauen Hadria's beendet mit
einem Trauergesang ĂĽber den Tod des hoffnungsreichen FĂĽrsten-
sohnes den ersten Akt.
Atto II: Latino erwartet die Geliebte im Garten und fĂĽrchtet,
dass sie ihn, als den Mörder ihres Bruders, hassen werde. Er
reicht ihr seinen Degen und fordert sie auf, ihn zu tödten. Sie
aber verzeiht ihm. Indem er hofft, dass binnen Kurzem der
Friede geschlossen werde, und dass er dann öffentlich um ihre
Hand anhalten könne, nimmt er Abschied von ihr. Inzwischen
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soll ein Zauberer (il mago), der um ihre Liebe weiss, ihn von
Allem, was die Geliebte betrifft, benachrichtigen. Beim Abschied-
nehmen spricht Latino die Worte:
E (s'io non erro) e presso il far del giorno.
Udite il rossignuol che con noi desto,
Con noi gerne fra i spini etc.
Ein Chorgesang schliesst den 2. Akt.
Atto III: Die Mutter kĂĽndet der Hadriana an, dass ihr Vater
sie mit dem Sohne des FĂĽrsten der Sabiner verlobt habe; sie
weigert sich, ihm ihre Hand zu reichen, da der Schmerz um ihren
verlorenen Bruder noch ihr Herz betrĂĽbe und bittet um Aufschub.
Der Vater ist ĂĽber ihre Weigerung so erzĂĽrnt, das er sie mit
Gewalt zur Hochzeit zwingen will. In ihrer Bedrängniss bittet sie
den Magier um Rath, und dieser giebt ihr ein Pulver, das sie auf
16 Stunden scheintodt machen werde. Sie werde dann in der
Gruft beigesetzt werden. Er fiagt sie, ob sie den Muth habe,
unter den Todten zu liegen, und sie antwortet, dass sie selbst in
die Unterwelt gehen wĂĽrde, um eine zweite Heirath zu vermeiden.
Diese ganze Stelle erinnert lebhaft an die entsprechende bei Luigi
da Porto; Groto:
Se questa via dee darmi al mio Latino,
Non per l'arche passar fra i corpi morti,
Ma tra l'alme damnate per rinferno,
Non mi spaventerei.
Luigi da Porto: Padre, se per tal via pervenir dovessi a Romeo:
senza tema ardirei di passare per l'inferno. Inzwischen wolle er
den Latino benachrichtigen, dass er sie bei ihrem Erwachen ab-
holen könne. Diesen Zug dankt Groto vielleicht Bandello ; bei
Luigi da Porto will der Mönch sie allein abholen und sie zu Romeo
fuhren. Der Chor freut sich, dass Hadriana nun zur Heirath ge-
neigt sei.
Atto IV: Ein Bote meldet dem Chor, dass Hadriana todt sei;
sie habe sich scheinbar gefĂĽgig gestellt; am Abend vor der Hoch-
zeit habe sie sich von der Amme ein Glas Wasser reichen lassen
und es mit den Worten getrunken:
S'io posso, mal mio grado,
Padre, non mi darete hoggi marito.
Diese Worte sind beinahe wörtlich aus Luigi da Porto entlehnt:
Mio padre per certo contra mio volere non mi dara marito s'io
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potro, und finden sich in den anderen italienischen Novellen nicht.
Die Hände über der Brust gekreuzt, habe man sie am Morgen in
ihrem Bette todt gefunden. Die Amme tritt hinzu und klagt, dass
sie mit eigenen Händen ihr das tödtliche Wasser gereicht habe;
diese Klage erinnert wiederum an Luigi da Porto, bei dem sie
sich gleichfalls findet. Hadriana wird feierlich bestattet, und mit
einem Trauergesange des Chores endet der 4. Akt.
Atto V: Der Bote, welchen der Magier an Latino gesandt hat,
kehrt unverrichteter Sache zurĂĽck; er hat den Brief nicht abgeben
können, da Latino bereits durch einen Boten, der von der Amme
an ihn abgesandt war, geheime Kunde von dem Tode der Hadriana
erhalten hatte. Latino erscheint von dem Boten geleitet selbst;
er klagt sich an, dass er an dem Tode der Geliebten schuld sei,
da er sie nicht mit sich genommen. Auch dieser Monolog er-
innert an Luigi da Porto. Latino trinkt das Gift, das er mit sich
gebracht, und erwartet, Hadriana in seinen Armen haltend, den
Tod. Da erwacht Hadriana; ihre ersten Worte sind:
Dove sono? Chi mi stringe?
Quest'e, Mago, la fe? cosi secura
Mi condurrete al mio Latino, e intatta?
Violando a lui la fede, e la mogliera?
wiederum fast wörtlich aus Luigi da Porto entlehnt. Der traurige
Irrthum wird aufgeklärt. Latino bittet Hadriana, die ihm in den
Tod folgen will, sich am Leben zu erhalten, und stirbt. Da kommt
der Magier, um Hadriana abzuholen; während er mit seinem Diener
auf Bitten derselben den Leichnam Latino's in das Grab legt, er-
sticht sie sich mit einer Nadel, die sie zufällig in ihrem Gewände
gefunden. Das Land wird von Mezentio und durch eine Wasser-
fluth verheert, die Königin stirbt vor Schmerz über den Tod ihrer
Kinder. So endet die Tragödie.
Dieselbe ist mit Zugrundelegung der Giulietta des Luigi da
Porto angefertigt. Obwohl Bandello's Novelle vor dem Drama
erschienen ist, so weist doch nur Weniges auf diese hin; viel-
leicht dankt Groto ihr den Charakter der Amme; viele Wen-
dungen aber, ja wörtliche Nachahmung zeigen an, dass der Ver-
fasser Luigi da Porto benutzt hat. Dies erkannte schon Walker,
der die Stellen, welche wörtlich an die Giulietta anklingen, ita-
lienisch abgedruckt hat. Wir haben oben noch einige, die uns
noch schlagender zu sein schienen, hinzugefĂĽgt. Nur die Namen
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»
und der Ort der Handlung sind verändert; auch das Ende der
Hadriana ist anders geschildert: sie stirbt nicht vor Schmerz,
sondern ersticht sich. Interessant ist es, dass Groto als Drama-
tiker gleichfalls den Charakter der Amme ausgefĂĽhrt hat, wie
Shakespeare; freilich sind bei ihnen die Ammen zwei verschiedene
Charaktere.
Der Stil Groto's ist höchst schwülstig und mit mythologischem
Zierrath ĂĽberladen. Langathmige Reden mit Reflektionen dehnen
das Drama, dem es an Handlung fehlt, ungebĂĽhrlich aus. Wir
erwähnen noch, dass auch Groto angiebt, den Stoff zu seinem
Drama aus den Annalen seiner Vaterstadt Hadria entnommen zu
haben. Dies ist eine offenbare Erfindung, durch die er vielleicht
seine Leser mehr fĂĽr den Stoff interessiren wollte. Dass das StĂĽck
nach seiner Vaterstadt benannt sei, verräth Groto selbst.
Noch ein andres italienisches Gedicht, das derselben Periode
angehört, behandelt die Sage von Romeo und Julia und beweist
gleichfalls, wie volksthĂĽmlich der Stoff damals in Italien war. Es
ist dies ein Gedicht angeblich von einer edlen Veroneserin, Namens
Clitia, auf das Scolari (Lettere critiche), Torri (der es mit der
Novelle da Porto's und Bandello's zusammen abdruckt) und neuer-
dings Klein (c. 1. V, p. 435 und X, p. 340) hingewiesen haben.
Der eigentliche Verfasser soll Gherardo Boldiero sein. Klein giebt
an, dass es circa 1530 verfasst sei; es giebt nur Eine Ausgabe
des Gedichts, vom Jahre 1553. Jedenfalls fällt es in die Zeit vor
Bandello's Novelle. *) Der Titel ist: L'infelice amore dei due fede-
lissimi amanti, Giulia, e Romeo; scritto in ottava rima da Clitia,
nobile Veronese ad Ardeo suo. Das Gedicht besteht aus 4 Canti.
Canto I: Vor 150 Jahren lebten in Verona unter der Herr-
schaft der Principi della Scala zwei edle Familien, die Cappelletti
und Montecchi, in Feindschaft. Das Haupt der ersteren gab einst
ein Maskenfest, wohin trotz der Gefahr auch Romeo Montecchi
ganz allein ging, getrieben von der Liebe zu einer Dame, die ihn
stolz zurückwies. Er wird erkannt, da Cappelletti ihm höflich zu
verstehen giebt, dass es Niemandem gestattet sei, maskirt zu
bleiben. Wie er Giulia kennen lernt und seine frĂĽhere Geliebte
vergisst, wie er beim Fackeltanz, der hier ausfĂĽhrlich beschrieben
l ) Ein Auszug aus dem Gedicht findet sich im 4. Bande der Shakespeare
Society*! Papers 1849.
Jahrbuch XI. 11
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wird, neben ihr zu sitzen kommt, und ihre Hand erwärmt, die
Marcuccio Vertio (so wird er hier genannt) zu Eis erfroren hat,
wird hier in derselben Reihenfolge und zuweilen mit ähnlichen
Worten wie bei Luigi da Porto erzählt. Sie kennen sich auch,
wie bei diesem, von vornherein und beklagen beide das böse Ge-
schick, das ihre Familien veruneint. Als Romeo Nachts von ihr
im Garten entdeckt wird, tadelt sie seinen Leichtsinn, und er
antwortet:
devendo morir, qual miglior sorte
Häver potrei ch'a morte esser condutto
Qui in su i vostri occhi innanzi a queste porte?
Cf. Luigi da Porto: perche son ancho in ogni altro luogo cosi
presso alla morte come qui, procaccio di morire piu vicino alla
persona vostra, und ähnlich bei Bandello. Ebenso eng schliesst
sich das Folgende an Luigi's Erzählung an; der Mönch heisst bei
Clitia aber Frate Batto Tricastro de minori di San Francesco; der-
selbe verspricht sie zu trauen.
Canto II: Giulia geht mit ihrem vertrauten Diener Pietro (so
heisst er hier wie bei Luigi ; und dieser ist ihr Vertrauter, nicht
die Amme) zur Beichte und wird dort Romeo angetraut. Da wird
eines Tages Romeo von Tebaldo presso alle porte dei Borsari an-
gegriffen (bei Luigi da Porto: nella via del corso; gemeint ist
damit derselbe Platz, wie aus Bandello hervorgeht, der schreibt:
su il corso vicino alla porta dei borsari und noch hinzufĂĽgt:
verso castel vecchio). Er will dem Kampf ausweichen (inanzi a
glocchi mai sempre havea Pamata sua mogliera, ähnlich bei Luigi
da Porto: alla sua donna rispetto havendo di percuotere alcuno
della sua casa si guardava. Clitia fĂĽgt noch hinzu: fa l'amore
della moglie a Romeo lenta la man), er wird aber von Tebaldo an-
gegriffen und stösst, aufs Aeusserste gereizt, diesen nieder. Auch
das Folgende ist dem Stoff nach aus Luigi's Novelle entlehnt; nur
sagt hier die Mutter, Giulia sei bereits 20 Jahre alt; der Graf
heisst Francesco conte di Lodrone.
Canto III: Giulia, die den Grafen heirathen soll, geht zum
Frate, um sich von diesem Rath und Beistand zu holen. Darin
weicht die Verfasserin im Folgenden von Luigi ab, dass bei ihr
Romeo sie mit bei ihrem Erwachen in der Gruft erwarten soll,
während bei Luigi der Mönch allein sie abholen wollte. Dieselbe
Aenderung findet sich später bei Bandello, der das Gedicht ge-
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kannt zu haben scheint. Ganz eng folgt Clitia dem Luigi in den
Strophen, welche schildern, wie Giulia den Schlaftrunk zu sich
nahm. Auch bei ihr spricht sie die geheimnissvollen Worte, die
von zwei anwesenden Frauen, einer Tante und der Amme, gehört,
aber nicht verstanden werden. Giulia stirbt hier ebenfalls auf
dem Landgut und wird von da nach Verona gebracht; der mit
der Nachricht an Komeo abgesandte Mönch trifft diesen, wie bei
Luigi, nicht zu Haus.
Canto IV, et ultimo: Romeo eilt an ihr Grab und trinkt das
Gift; als Giulia erwacht, glaubt sie, der Mönch umarme sie und
tadelt ihn wie bei Luigi; namentlich stimmt die Beschreibung der
Todesart der Giulia bei beiden genau ĂĽberein: e tutta in se ixen
l'anima raccolta; bei Luigi: raccolto asse il fiato et alquanto te-
nutolo. Mit dem Tode der Giulia bricht das Gedicht scheinbar
unvollendet ab; wenigstens ist von dem, was Luigi noch bringt,
hier nicht die Rede.
Dem Gedichte folgen Rime d'Ardeo in morte di Clicia sua (hier
wird der Name mit einem c geschrieben), gleichfalls in Ottava
rima, und endlich folgt eine Canzone auf den Tod der Clitia. Die
Sprache des Gedichts ist geziert und weit von der naiven Einfach-
heit des Luigi da Porto entfernt, aber in der Erzählung und An-
ordnung der Thatsachen folgt ihm die Verfasserin so eng, dass kein
Zweifel darĂĽber herrschen kann, wer ihr als Vorbild gedient hat.
An Luigi da Porto schliessen sich ĂĽberhaupt alle Bearbeitungen des
Stoffes in Italien, die uns bekannt sind, genau an. 1 )
Aber recht eigentlich in die europäische Literatur eingeführt
ward die Sage erst durch die Bearbeitung des berĂĽhmten italie-
nischen Novellendichters Bandello, dessen Novelle sich bei Sim-
rock c. L in deutscher Uebersetzung findet. Nachdem Bandello
einen Theil seiner Novellen zu Mailand geschrieben hatte, zog er
sich, der beständigen Umwälzungen in jenem Staate müde, 1534
auf ein Dorf bei Agen in Frankreich zurĂĽck (cf. Dunlop c. 1.
p. 453); 1550 ward er Bischof von Agen, wo er im Jahre 1562
starb. Seine Novellen erschienen zuerst 1554 zu Lucca in drei
Theilen, ein vierter folgte 1573 nach. Mir liegt eine Ausgabe, die
zu Mailand 1560 erschien, vor. Der Titel des 2. Bandes, dessen
') In dem Gedicht der Clitia wird übrigens zuerst der Umstand erwähnt,
dass die Mutter Tibalt's Tod für die Ursache des Grame der Tochter hält.
11*
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1. Novelle die unsrige ist, lautet: H secondo volume delle novelle
del Bandello, nuovamente ristampato, e con diligenza corretto. Con
una aggiunta d'alcuni sensi morali dal Signor Ascanio Centorio
de gli Hortensii ä ciascuna novella fatti. Der Titel der Novelle
selbst lautet: La sfortunata morte di due infelicissimi amanti, che
l'uno di veleno e Taltro di dolore morirono, con varii accidenti.
Hier lautet die Geschichte wie folgt: Zur Zeit der Signori dalla
Scala lebten in Verona zwei berĂĽhmte adlige Familien, die Mon-
tecchi und Capelletti, in Feindschaft. Der Zwist zwischen beiden
hatte schon viele Opfer gefordert. Als Bartolomeo dalla Scala
regierte, versuchte dieser, den alten Streit zu schlichten, aber
vergeblich. Da gab einst Antonio Capelletto, das Haupt seiner
Partei, einen Maskenball, zu dem er viele edle Herren und Damen
lud. Dorthin ging auch mit mehreren Freunden Romeo Montecchio,
ein Jüngling von 20 — 21 Jahren, der schönste aller jungen Männer
Verona's. Er liebte damals seit zwei Jahren ein Mädchen, das
alle seine Liebesbewerbungen kalt von sich wies. Um seinen Lie-
besgram zu vergessen, hatte er schon Verona auf 1 — 2 Jahre ver-
lassen wollen. Aber die Liebe liess ihn seinen Plan nicht aus-
führen. Ein älterer Jugendfreund warnt ihn, seine Jugendzeit
doch nicht so nutzlos hinschwinden zu lassen wie der Schnee vor
der Sonne vergehe. Er solle alle Festlichkeiten der Stadt be-
suchen und auch anderen schönen Mädchen seine Blicke zuwenden.
Indem Romeo dem Rathe desselben folgte, ging er auf den bereits
erwähnten Maskenball. Alle und namentlich die Damen bewun-
derten Romeo's KĂĽhnheit, auf dem Feste der Feinde zu erscheinen.
Diese aber Hessen ihn gewähren, da er noch jung war. Als er
dem Tanz zuschaute, fiel ihm ein Mädchen auf, das ihm schöner
schien als alle andern; ihr Name war ihm unbekannt. Giulietta
(so hiess die Schöne), die Tochter des Festgebers, kennt den
Romeo gleichfalls nicht. Sie folgen einander mit den Blicken und
geben sich ihre Liebe zu erkennen. Endlich nimmt Romeo an der
Seite des Mädchens Platz, zu dessen andrer Hand ein gewisser
Marcuccio il guercio sass, der seiner LiebenswĂĽrdigkeit wegen
überall gern gesehen war. Dieser hatte stets eiskalte Hände. Giu-
lietta, die zu ihrer Linken den Romeo und zu ihrer Rechten den
Marcuccio hatte, flĂĽstert ersterem zu: Benedetta sia la venuta
vostra a lato ä me, und drückt ihm liebevoll die Hand. 'Wundre
dich nicht, dass ich deine Anwesenheit segne. Marcuccio hat mit
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seiner Hand mich schon fast zu Eis gefrieren lassen, während du
mich mit deiner Hand erwärmst.' Romeo schätzt sich glücklich,
ihr diesen Dienst zu erweisen und erwidert, mit ihren Augen habe
sie ihn schon ganz in Brand gesteckt. Als am Ende des Fackel-
tanzes, während dessen sie zusammengewesen, Giulietta hinweg-
geht, folgt ihr Romeo mit den Blicken und erfährt von einem
seiner Gefährten, wer sie ist. Neugierig erkundigt sich auch Giu-
lietta bei einer vecchia, che nodrita l'havea, als die Gäste das Haus
verlassen, nach dem Namen dieses und jenes und endlich auch nach
dem Romeo's, der die Maske in der Hand eben die Strasse betritt.
Als sie hört, dass er ein Montecchio sei, erschrickt sie, verheim-
licht aber ihre Liebe und Besorgniss. In der Nacht kann sie vor
bangen Bedenken nicht schlafen; sie hofft aber, dass durch ihre
VereinigĂĽng mit Romeo der alte Zwist der Familien beigelegt
werden würde. Täglich sah nun Romeo seine neue Geliebte, an
deren Haus er vorĂĽberging; auch Nachts schlich er sich unter das
Fenster ihres Zimmers. Da ölmete sie in einer Nacht das Fenster,
bemerkte ihn im Mondenschein und rief seinen Namen: 'Romeo,
was beginnst du hier zu dieser Stunde so allein? Wenn man
dich hier entdeckte, so wäre es dein sichrer Tod.' Er bittet sie,
ihm Zutritt zu ihrem Zimmer zu gewähren. Sie erwidert, hege
er böse Absichten gegen sie, so würde er seinen Zweck nicht er-
reichen, doch wolle sie gern seine Gattin werden. Er möge sich
an ihren Beichtvater Frate Lorenzo da Reggio wenden. Dieser
Mönch war dell' ordine dei minori, bewandert in allen Wissen-
schaften und auch in den ZauberkĂĽnsten. Romeo selbst sowie
sein Vater ehrten und liebten den frommen Mönch. Bei Tages-
anbruch ging Romeo ä san Francesco zu diesem und erzählte ihm
von ihrem Vorhaben. Er giebt seine Zustimmung, indem auch er
hofft, durch diese Heirath die beiden Häuser auszusöhnen und die
Gunst des FĂĽrsten zu gewinnen. Giulietta vertraut ihr Geheim-
niss der Alten an, die mit ihr in einem Zimmer schlief. Diese
trägt dem Romeo einen Brief zu, in welchem Giulietta den Ge-
liebten auffordert, in der fĂĽnften Stunde der Nacht unter ihr
Fenster zu kommen und eine Strickleiter mitzubringen. Sein treuer
Diener Pietro beschafft eine solche, und mit HĂĽlfe derselben steigt
Romeo in Giulietta's Gemach. Hier verabreden sie, dass sie am
Freitag zur Beichte gehen wolle, dann solle Lorenzo sie trauen.
Der Verabredung gemäss geht sie mit ihrer Mutter, Frau Gio-
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vanna, a san Francesco, wo Romeo bereits, von Lorenzo verborgen,
harrte. In der Zelle des Mönchs werden sie getraut. Am Abend
treffen sie sich in Giulietta's Garten und feiern die Hochzeit. So
kamen sie wiederholt zusammen. Da geriethen einst zur Osterzeit
die Montecchi und Capelletti in der Nähe der porta dei borsari
an einander. Der AnfĂĽhrer der letzteren war Tebaldo, primo cu-
gino di Giulietta, ein stolzer Mann, der die Seinigen zum Kample
anfeuerte. Romeo, der mit einigen Freunden des Weges kam, for-
derte seine Begleiter auf, die Kämpfenden zu trennen. Sobald Te-
baldo ihn bemerkt, stĂĽrzt er wĂĽthend auf ihn zu und wird von
Romeo durchbohrt. Der Gerichtshof erscheint. Romeo flieht ä
san Francesco und verbirgt sich bei Lorenzo. Signor Bartolomeo,
vor dem beide Parteien ihre Sache vortragen, verbannt Romeo, da
durch Zeugen erwiesen wird, dass er unschuldig von Tebaldo her-
ausgefordert ward. Giulietta ist tief betrĂĽbt, nicht sowohl ĂĽber
den Tod des Verwandten, als darĂĽber, dass nun alle Hoflhung auf
eine offene Vereinigung mit Romeo geschwunden ist. Sie bittet
ihn brieflich, sie doch mit in die Verbannung zu nehmen, und als
er sie Nachts im Garten trifft, um ihr Lebewohl zu sagen, wieder-
holt sie ihre Bitte; sie wolle ihm als Diener folgen. Er tröstet
sie mit der Hoffnung, dass seine Verbannung bald werde aufge-
hoben werden, dann würden sich die zwei Familien aussöhnen.
Beim Anbruch der Morgenröthe trennen sie sich. Romeo verlässt
als Handelsmann verkleidet Verona und geht nach Mantua. Giu-
lietta, untröstlich in ihren Klagen, schwindet vor Gram und Sehn-
sucht dahin; die Mutter glaubt, sie gräme sich, dass sie allein
ledig, während alle ihre Freundinnen verheirathet seien, und theilt
diese Vermtithung ihrem Gemahl mit. Giulietta sage, sie wisse
den Grund ihrer Traurigkeit selbst nicht; sie aber hoffe, ihn aus-
findig gemacht zu haben und bitte ihn, fĂĽr sie einen Gemahl zu
wählen, da sie bereits 18 Jahre alt werde. Damals lebte in Ve-
rona ein Graf Paris di Lodrone, ein sehr schöner und reicher
Jüngling von 24—25 Jahren; den erwählt der Vater zu ihrem
zukĂĽnftigen Gemahl. Als sich aber Giulietta weigert, ihn zu hei-
rathen, ergrimmt er und schlägt sie fast. In 3 — 4 Tagen müsse
sie mit ihm nach Villafranca gehen, wo Graf Paris sie erwarte.
Giulietta benachrichtigt Romeo vermittelst des Mönchs von Allem,
und er verspricht ihr, sie binnen Kurzem nach Mantua holen zu
wollen. Inzwischen sieht sie Graf Paris in Villafranca, und ver-
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abredet mit ihrem Vater, dass Mitte September die Hochzeit sein
solle. Lorenzo aber sagt sie, sie wolle den Lodrone nicht, der
ihr ein ladrone ed assassino scheine. Sie will nach Mantua fliehen.
Lorenzo widerräth ihr dies; ihr Vater wurde Boten nachsenden
und sie zurĂĽckholen lassen, noch ehe sie Mantua erreicht habe.
Er giebt ihr ein Pulver, das, in Wasser aufgelöst und getrunken,
sie auf 40 Stunden scheintodt machen wĂĽrde. Sie werde dann
begraben und von Romeo, den er benachrichtigen wolle, bei ihrem
Erwachen aus dem Gewölbe abgeholt werden. Heiter kehrt sie
zu ihren Eltern zurĂĽck. Der Tag der Hochzeit naht heran. Da
nimmt sie in der Nacht zuvor das Pulver, nachdem schreckliche
Träume von Leichen, dem erschlagenen Tebaldo, Schlangen und
Würmern sie fast von ihrem Vorhaben abgeschreckt hätten. Als
die Alte sie am Morgen wecken will, findet sie sie todt. Das
ganze Haus fĂĽllt sich mit Wehklagen, die ganze Stadt trauert.
Lorenzo theilt in einem Briefe Romeo Alles mit und fordert ihn
auf, den folgenden Tag nach Verona zu kommen. Mit diesem
Briefe eilt ein vertrauter Frate nach Mantua und steigt zunächst im
Kloster des heiligen Francesco ab. Dort war zufällig ein Mönch
an der Pest gestorben. Das Kloster wird geschlossen, und so kann
der Mönch seinen Brief nicht abliefern. Inzwischen wird Giulietta
feierlich im Familiengewölbe bei San Francesco beigesetzt, und
Pietro eilt, seinem Herrn die traurige Kunde zu ĂĽberbringen. Romeo
ward, als er die Nachricht von dem Tode der Geliebten hörte, nur
mit MĂĽhe von seinem treuen Diener abgehalten, sich selbst zu
erstechen. Er sendet Pietro nach Verona vorauf, um Brecheisen
zum Oeffhen des Grabgewölbes zu beschaffen, schreibt einen Brief
an seinen Vater, in welchem er ihm Alles auseinandersetzt, steckt
ein Fläschchen Gift zu sich und eilt als Deutscher verkleidet nach
Verona. Nachdem er das Grab geöffnet, umarmt er Giulietta, dann
trinkt er das Gift, das ihm in Mantua jener Spoletiner gegeben, der
Schlangen in seinem Laden gehabt habe, ĂĽbergiebt Pietro einen
Brief an seinen Vater, und indem er den Tod erwartet, kĂĽsst er
Giulietta. Diese kehrt eben in das Leben zurĂĽck, und indem sie
meint, Lorenzo kĂĽsse sie, tadelt sie ihn, dass er so die Treue
breche. Sie öffnet die Augen und erkennt Romeo; als dieser sieht,
dass sie nur scheintodt gewesen, ergreift ihn unendlicher Schmerz,
da er nur noch eine halbe Stunde zu leben hat. Indem er Te-
baldo's Leichnam sieht, ruft er ihm zu, nun wisse er ja, dass er
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ihn nicht habe beleidigen wollen, und bittet ihn nochmals um Ver-
zeihung. Wenn er Rache wĂĽnsche, so habe er sie jetzt in vollem
Masse erhalten. Im Tode wĂĽrden sie nun in Einem Grabe vereint
liegen, die sich im Leben bekämpft hätten. Er bittet Giulietta,
die mit ihm sterben will, am Leben zu bleiben. Da kommt Lo-
renzo, von einem getreuen Mönche begleitet, um Giulietta abzu-
holen, sieht Pietro und eilt, Unglück ahnend, zum Grabgewölbe.
Giulietta empfängt ihn mit Vorwürfen, dass er den Brief nicht ab-
gesandt habe, während er ihn doch durch Frate Anselmo abge-
schickt hat. Romeo bittet ihn, sich Giulietta's anzunehmen und
verscheidet. Aber obgleich Lorenzo sie auffordert, mit ihm zu
gehen und in einem Kloster ihr Leben zu beschliessen, beharrt sie
bei ihrem Entschluss, Romeo in den Tod nachzufolgen, da er sie
gewiss im Jenseits erwarte, und ihr ohne den Geliebten das Leben
freudlos sei. Sie legt Romeo's Leichnam auf ihren Schooss und
stirbt. Während die zwei Mönche und Pietro sie t ins Leben zurück-
zurufen versuchen, kommt die Wache, welche im Vorbeigehen das
Licht im Gewölbe bemerkt hat, und ergreift sie. Man fuhrt sie
vor den FĂĽrsten, der ihnen verzeiht. Die Liebenden werden unter
allgemeiner Theilnahme in der Gruft bestattet, die zwei feindlichen
Familien versöhnen sich, wenn gleich ihre Eintracht nicht von
langer Dauer ist. Romeo's Vater befolgt genau den letzten Willen
des Sohnes, wie er ihn aus dem ihm ĂĽberbrachten Briefe kennen
lernte. —
Es kann kein Zweifel obwalten, dass Bandello den Stoff von
Luigi da Porto entlehnt hat, dessen Gedanken er zuweilen fast
wörtlich herübernimmt; so die Worte Giulietta's : benedetta sia
la venuta vostra etc.; dann die: Romeo, che fate voi qui ä quest'
hora cosi solo? Bei Beiden werden Romeo und Julia in dem tempo
della quadragesima vermählt, ebenso bestimmen Beide das Alter
Giulietta's wörtlich übereinstimmend: ä questa santa Eufemia com-
pirä i dieciotto anni; bei Beiden sagt Giulietta, sie wünsche keinen
Gemahl, sie wolle nur sterben. Als Romeo die Giulietta kĂĽsst,
ruft sie erwachend, bei Luigi: a questa modo, frate, serbate la
fede a Romeo? bei Bandello: Ahi padre frate Lorenzo, e questa
la fede che Romeo haveva in voi? und so öfters.
Aber während Bandello da Porto in allen Hauptpunkten der
Erzählung aufs Engste folgt, ändert er vielerlei Nebensächliches
zum Vortheil der Novelle; vieles Unwahrscheinliche dichtet er um
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und rundet somit die Erzählung immer mehr ab. Den Faden der
Geschichte selbst aber spinnt er weiter aus; die bei Luigi noch
ziemlich nackte Novelle umkleidet er mit vielerlei Zierrath; na-
mentlich liebt er es, pathetische Reden, zu denen der Stoff ja reich-
lich Veranlassung giebt, einzufĂĽgen und lauge Monologe und philo-
sophische Betrachtungen einzuschalten, während da Porto die
kurzen Zwiegespräche vorzog.
Da die Nachfolger Bandello, nicht da Porto gefolgt sind, lohnt
es der Mühe aufzuzählen, was die Romeo- und Julia-Sage ihm
Neues dankt. Zunächst führt er das Verhältniss Roineo's zu seiner
ersten Geliebten, das bei da Porto nur ganz kurz angedeutet ist,
weiter aus. Bei ihm erscheint zuerst der ältere Freund, der Romeo
in pomphafter Rede ermahnt, seine schöne Jugendzeit nicht an
eine Undankbare zu verschwenden. Während da Porto ganz
schlicht die Thatsachen erzählt, gestaltet Bandello Vieles künst-
licher. So kennen sich bei Luigi die beiden Liebenden von vorn-
herein, bei Bandello nehmen sie die Liebesgluth in sich auf, ohne
sich zu kennen; Andere mĂĽssen ihnen erst die Namen des resp.
der Geliebten sagen. Die Strickleiter, mit HĂĽlfe deren Romeo in
das Zimmer Giulietta's steigt, ist gleichfalls Bandello's Erfindung;
ebenso findet sich bei Luigi kein Wort von der Trauer um den
erschlagenen Tebaldo; bei ihm trennen sich die Geliebten beim
Mönch, bei Bandello und den Nachfolgern im Haus der Giulietta.
Bandello fülirt zuerst den Streit, in welchem Tebaldo getödtet
wird, weiter aus. Er dichtet die Vermittlungsversuche Romeo's
und das Zwiegespräch zwischen ihm und Tebaldo hinzu. Dem
Bandello verdanken wir auch die Figur der Amme, von der sich
bei da Porto nichts findet; er benennt zuerst das Landgut Villa-
franca; er bringt zuerst den Zug, dass der zĂĽrnende Vater die
ungehorsame Tochter schlagen will. Bei Luigi sieht der Graf Giu-
lietta gar nicht lebend, während bei Bandello sie sich in Villa-
franca treffen. Der Name Paris ist Bandello's Erfindung; er fĂĽgt
auch bestimmte Angaben hinzu; so, dass Paris 24 — 25 Jahre alt,
dass die Hochzeit im September sein solle u. dergl. Bandello
hat zuerst jene Monologe Giulietta's, bevor sie das Gift einnimmt.
Bei Luigi fragt Lorenzo nur: ma dimmi, non temerai del corpo
di Thebaldo tuo cugino che poco e, che ivi entro fue seppellito?
(bei Bandello: dimmi figliuola, non haverai tu paura di tuo cu-
gino Tebaldo che e cosi poco tempo che fu ucciso, e nelP arca,
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ove posta sarai, giace?) Bei Luigi will Lorenzo Giulietta allein
aus dem Gewölbe abholen, bei Bandello soll Romeo sie mit ent-
führen. Während bei ersterem Giulietta das Pulver vor dem ver-
mutheten Hochzeitstag auf dem Landgut in Gegenwart einer Die-
nerin zu sich nimmt, trinkt sie es bei Bandello vor ihrem wirk-
lichen Hochzeitstage in Verona, senza che la vecchia se n'awedesse.
Bei Luigi stirbt sie auf dem Landgut, bei Bandello in Verona.
Dieser macht ferner den Pietro zu Romeo's Diener; er erfindet zu-
erst, dass der Mönch den Brief nicht abliefern kann, weil das
Kloster der Pest halber geschlossen wird; jedenfalls kam ihm die
einfache Angabe Luigi's, dass er den Romeo wiederholt nicht zu
Hause getroffen habe, zu unglaubwĂĽrdig vor. Auch hat Bandello
nichts davon, dass Lorenzo gerade zu der Zeit, als Giulietta be-
graben ward, von Verona abwesend war: dergleichen erschien ihm
zu unwahrscheinlich. Er deutet zuerst an, woher Romeo das Gift
gehabt habe; bei ihm begleitet zuerst der Diener den Romeo zum
Grabgewölbe; er dichtet die Anrede Romeo's an den Leichnam
Tebaldo's liinzu. Luigi erwähnt nicht, dass man dem Mönch ver-
ziehen habe, was allerdings auch Bandello nur ganz kurz andeutet:
fu perdonato ä i frati ed ä Pietro. Bandello erwähnt nichts von
einem Denkmal, das den Liebenden errichtet worden. Er liebt es ein
wenig Gelehrsamkeit anzubringen; während Luigi ganz kurz sagt,
kein Arzt könne die scheintodte Giulietta von einer wirklich Todten
unterscheiden, sagt Bandello, selbst wenn Galeno, Hippocrate,
Messue, Avicenna sie sähen, würden sie dieselbe für todt halten.
Indem so Bandello das Unwahrscheinliche der Erzählung, wie
er sie bei Luigi vorfand, umändert und dem schlichten Bilde des
Vorgängers viele neue charakteristische und gut erfundene Züge
hinzufĂĽgt, giebt er der Sage im Grossen und Ganzen diejenige
Gestalt, in der sie von den Nachahmern getreu copirt worden ist.
Gleich vielen anderen italienischen Novellen fand auch die uns-
rige bald ihren Weg in das benachbarte Frankreich. Die Novellen
Bandello's wurden von zwei Franzosen Boaistuau und Belieferest
bearbeitet und ĂĽbersetzt, und unter der Zahl der so nach Frank-
reich hertibergenommenen Geschichten befindet sich auch die von
Romeo und Julia. Aber schon vorher ward sie in Frankreich in
der Widmung zu einer französischen Uebersetzung von Boccaccio's
Philocopo von Adrian Sevin erzählt. Da diese 1542 veröffentlicht
ward (das Privilegium, das Buch zu verlegen, stammt bereits aus
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dem Jahre 1541), die erste Ausgabe Bandello's aber erst von
1554 datirt, so muss ein älterer Autor die Quelle gewesen sein.
Auch Sevin erzählt die Geschichte als eine wahre Begebenheit:
une moderne novelle advenue puisnaguieres en ma presence et au
sceu de plusieurs. Nach Daniel (New SJiakspere Society, Series III,
Part I) lautet die Erzählung wie folgt: In einer Stadt Morea's,
Courron, lebten zwei Edelleute, Karilio Humdrum und Malchipo.
Ersterer hatte zwei Kinder, einen Sohn Bruhachin, und eine Tochter
Burglipha; letzterer hatte nur einen Sohn Halquadrich. Die Väter
starben plötzlich an der Pest und hinterliessen die Kinder ihren
Frauen Kalzandra und Harriaquach. Da verlieben sich Halqua-
drich und Burglipha in einander. Der Bruder dieser ist aber gegen
ihre Verbindung. Es entsteht ein Streit, in welchem Bruhachin
von Halquadrich erschlagen wird. Dieser flieht. Seine Geliebte
verzeiht ihm brieflich; sie geht zu einem alten Priester und er-
klärt, dass sie sich tödten würde, wenn er ihr nicht beistehe. Er
giebt ihr ein Pulver, das sie 24 Stunden scheintodt machen werde.
Er wolle sie dann aus dem Grabe holen und dem Geliebten zufĂĽhren.
Sie trinkt den Trank und wird fĂĽr todt gehalten. Da eilt der
Diener Halquadrich's, Bostruch, seinem Herrn die traurige Kunde
zu überbringen. Dieser lässt sich von einem Apotheker Gift geben
und isst es am Grabe der Geliebten. Sie erwacht und lässt sich
von ihm die andere Hälfte des Giftes geben. So sterben sie zu-
gleich und werden in einem Grabmal beigesetzt.
Dies ist offenbar die Sage von Romeo und Julia mit verän-
derter Scene. Ob der Franzose diese Veränderung selbst vorge-
nommen, oder ob er darin einer andern uns unbekannten Quelle
der Sage gefolgt ist, kann ich nicht bestimmen.
Dunlop giebt an, dass die Novellen Belleforest's zu Lyon
1564 veröffentlicht seien. Mir liegt eine ältere Ausgabe derselben
aus Paris 1561 vor. In dieser sind die von Boaistuau ĂĽbersetzten
Novellen streng von denen Belleforest's gesondert. Der Titel des
Werkes heisst: Histoires Tragiques extraictes des oeuvres Ita-
liennes de Bändel, et mises en nostre langue Franchise, par Pierre
Boaistuau, surnomme Launay, natif de Bretaigne. Paris 1561.
Das Privilege du roy für den Buchhändler Sertenas, libraire
en l'universite de Paris, dieses Buch drucken und verkaufen zu
dĂĽrfen, datirt bereits vom 17. Januar 1558. Es sind im Ganzen
sechs Erzählungen. Das Werk des Francois de Belieferest, das
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den Titel hat: Continuation des histoirea tragiques, extraites de
l'Italien de Bändel, mises en langue Franchise par Francois de
Belieferest Commingeois, stammt aus dem Jahre 1559 (Paris) und
enthält zwölf Erzählungen. Ein gewisser Gabriel de Lyuene, der
Belieferest in einer Ode besungen hat, ist als Franzose bescheiden
genug, zu behaupten, dass Bandello nur durch Belieferest fortlebe:
Ainsi par toy Bändel vivra;
und ein andrer, Börard de Girard, singt:
Un Bändel Millannois d'un gros Lombard langage
A fait de tout cecy, un grand chaos d'ouvrage:
De ce chaos confus Launay premierement
En a tire le sens, et ie nom seulement,
Et t'a fait cy devant voir, combien se descoauvre
Son rare, et bon esprit en un si parfaict ceuvre.
Nostre Belle-Forest, tant heureusement nay,
A suyvi en cecy, les pas de son Launay: etc.
In dem Advertissement au lecteur sagt Boaistuau, dass er die Arbeit
mit HĂĽlfe des Belieferest angefertigt; in Bezug auf seine Ueber-
setzung selbst sagt er in demselben Advertissement: *Te priant au
reste, ne trouver mauvais, si je ne me suis assubiecty au stile de
Bändel: car sa phrase m'a semble tant rude, ses termes impro-
pres, ses propos tant mal liez, et ses sentences tant maigres, que
j'ay eu plus eher la refondre tout de neuf et la remettre en nou-
velle forme, que me rendre si superstitieux imitateur: n'ayant
seulement prins de luy que le subject de l'histoire, comme tu
pourras aisement descouvrir, si tu es curieux de conferer mon
stile avec le sien.' Nach unserer Ansicht hat Boaistuau weder
den Stil noch die Geschichte durch seine Umänderungen verbessert,
sondern beides verschlechtert; dies haben die Franzosen selbst
zugestanden. Daniel (c. 1.) citirt das Urtheil eines Franzosen, das
Brunet in seinem Manuel du Libraire anfĂĽhrt : 'Voici le jugement
que porte de cette traduetion l'abbe de Saint-Leger, dans une de
ses notes sur Du Verdier: Belieferest a gate le Bändel par les
additions et les changements qu'il a fait ä ses nouvelles italiennes;
aussi la traduetion francaise est-elle tres ennuyeuse et tres degoĂĽ-
tante, tandisque l'original italien est fort agreable a Bre.'
Die Geschichte von Romeo und Julia ist die dritte der Samm-
lung. In dem vorausgeschickten Sommaire erinnert er den Leser,
der sich etwa darüber wundern könnte, dass Jemand vor Traurig-
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keit stirbt, an ähnliche Erzählungen bei Plinius, Valerius, Plutarch
u. A., und versichert ein fĂĽr alle Mal, dass er keine 'histoire fabu-
leuse' erzähle. Die Ueberschrift lautet: Histoire troisiesme, de
deux amans, dont l'un mourut de venin, l'autre de tristesse.
Um festzustellen, was Boaistuau Neues hinzugefĂĽgt, und wie
er den Bandello benutzt hat, müssen wir Beide sorgfältig mit ein-
ander vergleichen.
Boaistuau fängt mit einer Lobpreisung Verona's an; dann
versichert er nochmals, dass die Geschichte, die er erzählt, tres-
veritable sei; 'et en est encores pour le jour d'huy la memoire si
recente ä Veronne, qu'ä peine en sont essuyez les yeux de ceux,
qui ont veu ce piteux spectacle.' Die Namen hat er alle verändert.
Zur Zeit, als Seigneur Barthelemy de l'Escale Herr von Verona
war, lebten in der Stadt zwei berĂĽhmte Geschlechter, die Mont-
esche's und Cappellett's, in Zwist. Rhomeo Mohtesche, der 20 — 21
Jahr alt war, le plus beau et mieux accomply gentilhomme, qui
fust en toute la jeunesse de Veronne (Bandello : il piĂĽ bello e cor-
tese di tutta la gioventü di Verona), war in ein Mädchen verliebt,
das ihn kalt verachtet; er will Verona verlassen, um sie zu ver-
gessen; aber seine Liebe zu ihr hält ihn zurück. II se fondait
peu ä peu, comme la neige au soleil (B. come neve al sole). Ein
älterer Freund räth ihm, von dieser Liebe, die seiner unwürdig
sei, abzulassen. Er, der einzige Sohn seines Hauses, mĂĽsse sich
auszeichnen. Da gab zur Weihnachtszeit Anthoine Capellet (später
nennt er ihn auch Antonio) einen Maskenball, auf dem auch Rhomeo ♦
(mit und ohne h) mit einigen jungen Freunden erschien, um sich
die anderen schönen Jungfrauen Verona's anzusehn. Er wird er-
kannt, allein trotzdem wird ihm seiner Jugend wegen gewillfahrt.
Hier sehen sich Rhomeo und Juliette zum ersten Mal, ohne sich
zu kennen, und verlieben sich in einander. Beim 'bal de la torche'
weiss Rhomeo es so einzurichten, dass er neben ihr zu sitzen
kommt, während auf der andern Seite Marcuccio Platz genommen,
courtisan fort ahne de tous, lequel ä cause de ses facecies et
gentillesses estoit bien receu en toutes compagnies. (B. ch'era
huomo di corte molto piacevole, e generalmente molto ben veduto
per i suoi molti festevoli, e per le piacevolezza ch'egli sapeva
fare). Dieser hatte stets kalte Hände. Julietta sagt zu Rhomeo,
der ihre linke Hand ergriffen hat: benoiste soit l'heure de vostre
venue ä mon coste (B. benedetta sia la venuta vostra a lato ä
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me), und sie gestehen einander ihre Liebe. Als sie am Ende des
Festes sich erkundigen, wie die resp. der Geliebte heisst, und sie
den Namen des Erbfeindes hören, sind sie untröstlich. Julietta
hegt Zweifel, ob der JĂĽngling sie aufrichtig liebe, oder sie nur
bethören wolle; aber bald ist sie von der Aufrichtigkeit seiner
Liebe ĂĽberzeugt und hofft, dass ihre Verbindung die zwei feind-
lichen Familien aussöhnen werde. Sie sehen sich im Garten und
Rhomeo beschliesst zu Frere Laurens, de l'ordre des freres mineurs,
ä sainct Francis, zu gehn, dass er sie traue. Juliette verräth
ihr Geheimniss ihrer Amme, die mit ihr in einem Zimmer schläft ;
durch diese lässt Rhomeo Juliette sagen, sie solle nächsten Sonn-
abend zu Laurens zur Beichte kommen; dort sollten sie verbunden
werden. Bis hierher schliesst sich Boaistuau, trotzdem er in der
Einleitung das Gegentheil versichert, aufs Engste an Bandello an,
den er oft genug wörtlich übersetzt; an einigen Stellen fugt er
allerdings lange Monologe und phrasenhafte Reden ein. So spricht
Giulietta, als Romeo ihr zuerst seine Liebe gesteht, sehr taktvoll
nur die Worte: Ohne, che posso io dirvi, se non ch'io sono assai
piü vostra che mia? Boaistuau legt ihr eine längere Rede voll
bombastischer Phrasen in den Mund.
Im Folgenden hat Boaistuau auch den Gang der Erzählung
mehrfach umgeändert. Juliette kommt mit der Amme und einer
Dienerin und wird, während diese die Messe hören, Rhomeo an-
getraut; so fällt bei Boaistuau die zweite Zusammenkunft in
Giulietta's Zimmer vor der Hochzeit weg. Rhomeo's Diener Pierre
besorgt eine Strickleiter, die 'au soir sur les cinq heures' (alle
cinque höre della notte: B.) von der Amme abgeholt wird. Die
Liebenden können die Zeit der Zusammenkunft nicht erwarten
(chacune minute d'heure lern* duroit mille ans : parendole un' hora
milF anni: B.); Rhomeo steigt in Juliette's Zimmer; lange um-
armen sie sich und stehen sprachlos da, sans qu'elle eust pouvoir
de luy dire un seul mot (che nulla dir poteva); und nachdem
Rhomeo eine lange Rede voll Phrasen gehalten, ermahnt die Amme
sie, die Zeit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen: voylä un
camp, que je vous ay dresse, prenez vos armes et en jouez des-
ormais la vengeance (bei Bandello spielt diese Scene im Garten).
So kamen sie ein bis zwei Monate lang ungestört zusammen. Da
stiessen zur Osterzeit einige Capellets, an der Spitze Thibault,
cousin germain de Juliette (primo cugino di Giulietta) mit Mon-
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tesches aupres la porte de Boursari zusammen, und Rhomeo, der
von Thibault heftig angegriffen wird, tödtet denselben und flieht
zu Laurens. Er wird verbannt. Als Juliette dies erfährt, bricht
sie in die heftigsten VorwĂĽrfe gegen Rhomeo aus, von denen bei
Bandello gar nichts erwähnt wird. Dort sendet im Gegentheil
Giulietta sofort die Amme mit einem Brief an Romeo und bittet
ihn, sie mit in die Verbannung zu nehmen. Auch klagt sie gar
nicht um Tebaldo. Bandello sagt vielmehr ausdrĂĽcklich: piangendo
non la morte del cugino, ma della perduta speranza del parentado.
Bald aber macht sie sich selbst VorwĂĽrfe, dass sie Rhomeo habe
tadeln können. Sie verfällt in einen todähnlichen Schlaf, aus dem
sie von der Amme aufgeweckt wird. Um Juliette zu trösten, eilt
diese zu Laurens und bringt von Rhomeo die Nachricht, dass er
Abends zu ihr kommen werde. Beim Abschied bittet Juliette
Rhomeo, ihm als Diener folgen zu dürfen. Er aber hofft, in 3—4 Mo-
naten zurĂĽckgerufen zu werden. So scheiden sie mit langen pomp-
haften Reden, während Bandello taktvoller ihnen nur wenig Worte
in den Mund legt. Als Kaufmann verkleidet verlässt Rhomeo Ve-
rona und geht nach Mantua. Da Juliette's Kummer die Aufmerk-
samkeit der Mutter erregt, und diese sie ermahnt, aufzuhören, um
den Erschlagenen zu weinen, antwortet sie: Madame, il y a long
temps, que les dernieres larmes de Thibault sont gettees et croy
que la source en est si bien tarye qu'il n'en renaistra plus d'autres.
Dies ist frei von Boaistuau erfunden; bei Bandello sagt Giulietta
nur: che non sa che cosa s'habbia. Obgleich sie noch nicht 18
Jahre alt sei, will Antonio ihr einen Gemahl aussuchen, und seine
Wahl fällt auf Paris, comte de Lodronne. Juliette weigert sich
zu heirathen und wird von dem erzĂĽrnten Vater, trotzdem sie vor
ihm auf die Kniee fällt, fast geschlagen. Am Mittwoch müsse sie
nach seinem Schlosse Villefranche, wo sie dem Grafen ihre Zu-
stimmung geben solle. Die Hochzeit werde am 10. September
stattfinden. Sie eilt zu Laurens, der ihr ein Fläschchen mit einem
Pulver giebt, das sie auf 40 Stunden scheintodt machen werde.
Boaistuau erzählt hier nichts von dem Zusammentreffen des Paris
mit Juliette in Villafranca; wohl aber weiss Juliette, die sich
nun mit Allem einverstanden stellt, das Herz des Paris zu ge-
winnen. Am Abend vor der Hochzeit bittet sie die Amme, sie in
ihrem Zimmer allein schlafen zu lassen, da sie zu beten habe. Bei
Bandello hatte die Amme das Zimmer nicht verlassen ; es heisst
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dort nur, sie trank das Gift, senza che la vecchia se n'awedesse,
und ausdrücklich wird erwähnt la vecchia che seco dormiva. Da
regen sich Zweifel in Juliette: Wie, wenn das Pulver nicht wirkte?
wenn sie zu frĂĽh erwachte und allein unter den Gebeinen der
Todten daliegen mĂĽsste? In ihrer erhitzten Phantasie sieht sie
den Leichnam Thibault's neben sich liegen. Schnell trinkt sie das
Gift und liegt bald besinnungslos da. Die Amme findet sie am
andern Morgen scheinbar todt (la pauvre femme chantoit aux sourds,
la buona vecchia cantava ä sordi: B.). Die ganze Stadt trauert.
Laurens entsendet einen Bruder seines Klosters, Namens Anselme,
mit einem Brief an Rhomeo, um diesen von dem Plan zu benach-
richtigen. Der Bote darf wie bei Bandello das Kloster nicht
wieder verlassen. Juliette wird 'au cynietiere de sainct Francois'
in der Familiengruft der Capellets beigesetzt und Pierre eilt,
Rhomeo hiervon zu benachrichtigen. In seiner Verzweiflung geht
derselbe zu einem armen Apotheker und bewegt ihn durch 50 Du-
caten, ihm Gift zu verkaufen. Am Grabmal trifft er sich mit sei-
nem Diener, der vorausgeeilt war, um ein Brecheisen zu besorgen.
Er sendet ihn hinweg und trinkt, nachdem er Juliette noch ein-
mal gesehen, das Gift. Auch hier hat Boaistuau Einiges geändert:
Rhomeo versucht nicht beim Empfang der Todesnachricht sich zu
tödten; er trifft sich mit seinem Diener auf dem Kirchhof selbst,
während bei Bandello er ihn erst von dessen Haus abholt. Ferner
verheimlicht Rhomeo seinem Diener, dass er Gift bei sich fĂĽhrt
•
und schickt ihn, ehe er es trinkt, hinweg; vor Allem aber dichtet
Boaistuau die Figur des Apothekers hinzu, während bei Bandello
Romeo angiebt, er habe das Gift von einem Spoletiner (ci diede
in Mantova quello Spoletino che haveva quegli aspidi vivi ed altri
serpenti). Da Rhomeo den Leichnam Thibault's sieht, redet er
ihn an : welche grössere Genugthuung konntest du haben als die,
dass ich nun neben dir liegen werde? So stirbt er. Da naht
Laurens, der, weil er von Rhomeo keine Nachricht erhalten, Böses
ahnt, und erfahrt von Pierre, dass derselbe im Gewölbe sei. Er
tritt hinzu und findet ihn todt neben Juliette liegen. Zu gleicher
Zeit erwacht diese. Laurens beschwört sie mit ihm zu kommen;
er wolle sie in ein Kloster bringen. Sie aber folgt ihm nicht,
und da man Schritte nahen hört, fliehen Laurens und Pierre. Ju-
liette nimmt Rhomeo's Dolch und ersticht sich. Die Wache, welche
Necromanciers im Grabe vermutliet, eilt herzu und findet die zwei
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— 177 —
Leichen und Laurens und Pierre, die sich auf dem Kirchhof
versteckt hatten. Die ersteren werden feierlichst ausgestellt,
die zwei Gefangenen aber öffentlich verhört. Wiederum benutzt
Boaistuau die sich ihm darbietende Gelegenheit und lässt Laurens
eine lange, feierliche Rede halten, in der er Alles aufklärt. Pierre,
sowie ein Brief Rhomeo's an seinen Vater, bestätigen die Angaben
des Mönchs völlig. Die Amme wird verbannt, weil sie die Ehe
geheim gehalten; der Apotheker wird gehängt, Pierre und Laurens
aber bleiben unbestraft. Dieser zieht sich in eine Einsiedelei zwei
Meilen von Verona zurĂĽck, wo er noch fĂĽnf bis sechs Jahre lebte.
Die zwei feindlichen Familien versöhnen sich; den beiden Lieben-
den aber wird ein Denkmal errichtet, welches heutigen Tages noch
zu sehn ist.
Neben vielen unbedeutenden Veränderungen finden sich bei
Boaistuau zwei von grösserem Belang; erstens hat er die Episode
mit dem armen Apotheker hinzugefĂĽgt, die Shakespeare zu einer
eigenen Scene erweiterte, und dann hat er den Schluss vollständig
verändert: Juliette stirbt nicht mehr vor Schmerz, — das schien
dem kritischen Franzosen doch zu unglaublich und abenteuerlich
— sie ersticht sich; wie wir sahen, hatte vor ihm bereits Luigi
Groto zu diesem Mittel seine Zuflucht genommen. Diesen Schluss
haben die englischen Nachahmer sämmtlich herübergenommen.
Trotz der Umänderung hat Boaistuau die Ueberschrift wörtlich
nach Bandello ĂĽbersetzt: dont l'un mourut de venin, l'autre de
tristesse, und trotzdem sagt er in dem Sommaire, dass man ebenso
gut plötzlich vor Schmerz wie vor Freude sterben könne.
Bald darauf ward unsere Sage aus Frankreich nach England
verpflanzt und zwar in derselben Form, welche sie bei Boaistuau
angenommen hatte. Zwei englische Bearbeitungen sind es, welche
uns aus der Zeit vor dem Drama Shakespeare's vorliegen. Beide
sind fast zu gleicher Zeit entstanden und beide haben sie, wie
wir sehen werden, aus derselben Quelle geschöpft. Wir thun des-
halb gut, sie nicht nur mit Boaistuau, — dieser war ihre Quelle
— sondern auch unter einander zu vergleichen, um festzustellen,
in welcher Weise sie die französische Novelle benutzt haben.
Die erste dieser beiden vorshakespeare'schen Bearbeitungen
ist die von Arthur Brooke, oder Broke, von deren frĂĽhester Aus-
gabe nur noch zwei Exemplare vorhanden sind, eins in Oxford und
eins in Cambridge (cf. Collier, Shakespeare's Library, II). Da letz-
Jahrbuch XI. 12
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teres die Prosaeinleitung To the Reader nicht enthält, so giebt es
nur Ein vollständiges Exemplar, das der Bodleian Library gehört,
und nach diesem hat Collier seinen Abdruck besorgt. Ganz neuer-
dings hat Daniel das Gedicht wieder veröffentlicht (New Shakspere
Society, Series III, Pt. I, 1875 London). Das Gedicht ward von
Eichard Tottell 1562 gedruckt: Imprinted at London in Flete strete
tviihin Temble harre, at the signe of the hand and starre, by
Richard Tottill the XIX day of November, An. Do. 1562. Eine
zweite Ausgabe, von Totteil im Jahre 1582 besorgt, existirt nicht
mehr; wieder abgedruckt ward das Gedicht von R. Robinson 1587.
Wie alt Brooke 1562 war, wissen wir nicht. 1563 starb er, indem
er auf der Fahrt nach Newhaven Schiffbruch erlitt. Unter den
'Epitaphes and Epigrammes' des George Turberville von 1567 be-
findet sich eins 'On the death of Maister Arthur Brooke, droiunde
in passing to Newhaven'; in demselben erwähnt Turberville Römern
and Juliet zum Beweis dafĂĽr, dass der Ertrunkene for metre did
excel. Nur hieraus erfahren wir, dass das Gedicht von Arthur
Brooke verfasst war; auf dem Titelblatt des Gedichts steht nur:
'and nowe in Englishe by Ar. Br.' —
Der vollständige Titel heisst: TJie Tragkall Historye of Römern
and Juliet, written first in Italian by Bändelt, and noive in Eng-
lishe by Ar. Br. In cedibus Richardi Tottelli. Cum PriuĂĽegio.
Dann kommt eine Ansprache To the Reader in Prosa, in der sich der
Verfasser entschuldigt, dass er eine so gottlose Geschichte erzähle,
die Geschichte zweier Liebender, die den Rath ihrer Freunde und
Eltern verachten, sich mit abergläubischen Mönchen abgeben und
Alles wagen, um ihren sinnlichen Gelüsten zu fröhnen. Ihr böses
Ende soll den Leser vor ähnlicher Gottlosigkeit warnen.
Eine zweite gereimte Ansprache To the Reader sagt, dass dies
das Erstlingswerk des Verfassers:
the eldest of them loe,
I off er to the stake; my youthfull Woorke,
Wiich one reprochefull mouth might ouerthrowe.
Hierauf folgt ein gereimtes Argument, und endlich das Gedicht
selbst: Romeus and Juliet. Es ist in Reimpaaren von 6- und
7 fussigen Jamben verfasst (Zeilen von 12 und 14 Silben, z. B.:
There is beyonde the Alps, a towne of auncient fame,
Whose bright renoune yet shineih cleare, Verona men it name),
und hat etwa 3000 Verse. Eine Inhaltsangabe desselben findet
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sich bei A. Schmidt im 4. Bande der Uebersetzung der Deutschen
Shakespeare-Gesellschaft. Wir werden nur angeben, worin Brooke
von Boaistuau abweicht. Zunächst bildet er die italienischen
resp. französischen Namen in englische um. Sie heissen bei ihm :
Prince Escalus, Capelet (Capilet) and Montagen) (oder Montague),
Hamens, Juliet, Mercidio, Fryer Lawrence, Tibalt (Tybalt), Count
Paris, Freetowne, Frier John und Peter.
Indem Brooke den Inhalt des Sommaire ĂĽbergeht, beginnt er
die Erzählung mit dem Lobe Verona's. Durchweg giebt er seinem
Gedicht einen gelelirten Anstrich. So beginnt er die eigentliche
Geschichte p. 7 (ich citire nach Collier) mit einer Anrufung der
Pallas und der Musen, und versichert hierauf, wie auch Paynter,
nach Boaistuau (Sommaire):
No legend Ige I teil, scarce yet tJieyr eyes be drye,
Tliat did behold the grisly sight, tvith wet and weping eye.
Oft finden sich bei Paynter und Brooke in der Uebersetzung die-
selben Worte; so: retrancher ses affections amourcuses ; Br.: cutte
of thaffections of Iiis love; P.: to cut of his amorous affections.
Romeo schmilzt vor Liebe dahin, comme la neige au soleil; Br.;
as snoxv against the sonne; P.: as the snow agaynst the sunne. —
Commenca ä le reprendre aigrement übersetzt Br.: gan sharply
htm rebuke; P.: began sharply to rebuke him; und so öfters. Brooke
verziert die Erzählung mit vielen mythologischen Vergleichen ; als
Romeo Juliet zuerst sieht, findet er sie so schön, which Thesens
or Paris would have chosen to their rape: p. 12 ; Romeo scheint
der Juliet so viel schöner als die Andern as Plioebns shining bea-
mes do passe the brightnes of a starre: p. 13. Den verliebten
Romeo vergleicht Brooke mit Tantalus: tfie lot of Tantalus is Po-
ntens like to thine: p. 16. Als Juliet Bedenken hegt, ob Romeo's
Liebe ernst gemeint sei, sagt sie:
Wfiat, tvas not Dido so, a crouned queene, defaml?
And eke, for such an heynotis cryme, liave men not Tfieseus blamd?
A thousand stories more, to teache me to betvare,
In Boccacce and in Ovids bookes too playnely written are.
P. 18 sagt Juliet, sie wolle Romeo lieben, tili Attropos shall cut
my fatall thread of lyfe.
Ferner liebt es Brooke, allgemeine Sentenzen einzufĂĽgen, so:
the proverbe saith, unminded oft are they that are nnsecne : p. 12;
12*
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The wedker aye unto the sträng of force must yeld, at length: p. 13;
und unzählige andere Sinnsprüche.
Wichtiger als ĂĽber dergleichen Zierrath, den Brooke seinem
Gedicht hinzugefĂĽgt hat, zu berichten ist es, genau die kleinen
Züge anzugeben, welche Brooke selbstständig hinzugedichtet hat.
Wir werden sehen, dass Shakespeare dieselben fast alle in seinem
Drama benutzt und weiter ausgeführt hat. Zunächst fügt Brooke
bei der Schilderung des Maskenballes hinzu, dass der alte Capelet
die Namen der Einzuladenden selbst aufgeschrieben habe:
But Capilet himselfe hath byd unto his fcast,
Or by his name in paper sent, appoynted as a geäst
Dies hat vor ihm Keiner; Shakespeare benutzt es aber in der
Scene I, 2. P. 20 heisst es bei dem Zusammentreffen der Juliet
mit Romeo, als dieser ihr seine Liebe erklärt hat:
And thereupon he sware an othe;
davon haben Paynter und Boaistuau nichts, wohl aber Shake-
speare. P. 23 fĂĽgt Brooke hinzu, dass Juliet die Amme durch
Geld fĂĽr sich zu gewinnen wusste:
Not easely she rnade the frmvard nurre to boive,
But wonne at length with promest hyre etc.
So bildet Brooke den Charakter der Amme, die vor ihm völlig
als Nebenfigur in dem Hintergrund stand, durch einzelne kleine
ZĂĽge weiter aus, und auch hierin ist ihm Shakespeare bis in die
kleinsten Details hinein gefolgt. Als (p. 24) die Amme zu Romeo
kommt, erzählt sie ihm in ausführlicher Geschwätzigkeit von der
Jugend der Juliet. Romeo giebt ihr dafĂĽr 6 crotmes of gold. Bei
ihrer Rückkehr zögert sie, der ungeduldig fragenden Juliet Be-
scheid zu sagen (p. 25); beides findet sich ebenso bei Shake-
speare. P. 31 fĂĽhrt Brooke die Worte des Boaistuau: Rhomeo
se sentant presse par Fimportunite du jour, print conge d'elle
(Paynter: BJiomeo perceyuing the morning mähe to hasty approch,
tooke his leaue), weiter aus:
Tfie hastiness of Phoebus steeds in great despyte they blame;
und weiterhin:
The nigh approche of dayes retoarne these seely foles diseasd.
And for they might no white in pleasure passe theyr Urne,
Ne leysure had they much to blame the hasty momings crime.
Shakespeare erweitert dies noch an der bekannten Stelle m, 5.
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P. 32: das gate of Boursarie bei Paynter heisst bei Brooke:
Pursers gate.
P. 41 — 47 dichtet Brooke in ausführlicher Schilderung hinzu,
wie Romeo bei der Nachricht von seiner Verbannung hinfällt und
sich das Haar rauft, und wie Lorenzo ihn tröstet; auch dies hat
Shakespeare verwerthet m, 3. Brooke benutzt die Stelle zugleich
dazu, eine Unmenge weiser Lehren auszukramen.
P. 57 sagt Brooke von Juliet: scarce saw she yet fĂĽll XVI
yeres; bei Paynter und Boaistuau ist sie noch nicht 18, bei Shake-
speare noch nicht 14 Jahre alt.
P. 57 nennt Brooke den Grafen nur County Paris, während
er bei Paynter und Boaistuau Paris of (de) Lodronne heisst.
P. 60 sagt der Vater Juliet's, am Mittwoch solle sie sich
bereit erklären, den Grafen Paris zu heirathen; bei Paynter und
Boaistuau ist es der Dienstag.
P. 60 geht der Vater, als er die # strengen Worte zu Juliet
gesprochen, hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten:
And afler him Iiis wife doth folloiu out of doore,
And there they leave theyr chidden childe kneeling upon Ohe floore.
Paynter, Boaistuau und Bandello erwähnen hiervon nichts, wohl
aber Shakespeare lH, 5.
P. 66 heisst es bei Brooke von Juliet, die vom Fryer zu-
rĂĽckkehrt:
As soone as she was vnto her approched sumwhat nere,
Before tJie mother spähe, thus did she fyrst hegin.
Anders bei Paynter; sie kehrt zurĂĽck, where she found hir motiier
at Ăśie gate attending for hir: And in good devotion demaunded if
shee continued still in hir former follies? But Julietta witii more
gladsome cheere than she wont to use, not suffering hir inother to
aske agayn, sayd untohir: etc. Bei Boaistuau heisst es: qui l'at-
tendoit, en bonne devotion de luy demander, si eile vouloit encores
continuer en ses premieres erreurs: mais Juliette avec une con-
tenance plus gaye que de coustume, sans avoir patience que sa
mere Pinterrogast, luy dist; hier folgt Brooke dem Boaistuau ge-
nauer als Paynter. Shakespeare entlehnt an der entsprechenden
Stelle sogar wörtlich von Brooke: IV, 2 sagt der alte Capulet:
TU have this knot knit up to-morrow morning; ebenso bei Brooke
p. 68: The wedlockc knot to knit soone up, und p. 77: tlie wedlocke
knot was knyt.
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P. 68 erzählt Brooke selbstständig, dass die Amme Romeo
auf Kosten des Paris der scheinbar nachgiebigen Juliet gegenĂĽber
verkleinert habe:
And eke she praysetll much to Jier tJie second mariage;
And County Paris now she praiseth ten times more,
By wrong, then she her seife by right had Romeiis praysde before, etc.
Auch diesen Zug hat Shakespeare m, 5 (am Ende) bei seiner
Charakterzeichnung der Amme verwerthet; auch bei ihm verstellt
sich Juliet und stimmt der Amme zu.
P. 73 heisst bei Brooke der Frier, der den Brief ĂĽberbringen
soll, John, bei Paynter und Boaistuau: Anselme.
P. 76 sagt Brooke, der Apotheker habe das Gift aus Armuth
verkauft; er sass unbusied at his doore; bei Boaistuau und Paynter
verkauft er zu gleicher Zeit an andere Kunden: fayning to gyve
hym some other medycine befove the people's face. Auch hier folgt
Shakespeare Brooke, V, 1; ĂĽbrigens verkauft bei jenem der Apo-
theker das Gift fĂĽr forty diicats, bei Brooke fĂĽr fiftie crownes of
gold, bei Paynter, wie auch bei Boaistuau, für fifty ducates. —
Brooke schliesst sich in der AneinanderfĂĽgung der Thatsachen
und oft sogar im Wortlaut auf das Engste an Boaistuau an, so
eng wie nur irgend ein Dichter ein Prosawerk benutzen kann.
Zuweilen folgt er ihm treuer als selbst Paynter. Er verziert aber
die Geschichte wie mit Arabesken mit schönen Gleichnissen, mytho-
logischem Beiwerk und Sentenzen, und fĂĽgt einige ZĂĽge selbst-
ständig hinzu, wie bei ihm namentlich der Charakter der Amme,
der vorher ganz unbestimmt gelassen war, im Gegensatz zu den
idealen Gestalten der Juliet und des Romeo nach englischer Weise
derb realistisch gezeichnet ist. Gleichwohl behauptet Klein (Ge-
schichte des Dramas X, p. 340 und V, 433 fg.), Brooke sei nächst
Bandello dem italienischen Poem der Clitia gefolgt, und verspricht
dies bei Erörterung des Shakespeare'schen Stückes näher nachzu-
weisen. Wir können auf diesen Nachweis nur gespannt sein. Ich
habe auch nicht das geringste Anzeichen finden können, das auf
jenes erwähnte italienische Gedicht hingewiesen hätte. Sowohl in
den Thatsachen als auch in der AusfĂĽhrung ist dasselbe von
Brooke's Gedicht grundverschieden. So wird, um nur dies eine
anzuführen, die Amme bei der Clitia gar nicht erwähnt, während
doch Brooke gerade diese Figur von Boaistuau abweichend aus-
gefĂĽhrt hat. Ein ebenso entschiedener Irrthum Klein's ist es, wenn
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— 183 —
er Bandello als die Quelle Brooke's angiebt. Obwohl auf dem
Titel steht: first in Italian by Bändelt, and nowe in Englishe by
Ar. Br., weist doch nichts auf Bandello hin, der bekanntlich das
Ende ganz anders als Boaistuau und nach diesem Paynter hat.
Dies erkannte auch bereits Collier c. 1. p. II.
Uebrigens ist Brooke's Gedicht ein vorzĂĽgliches Werk, das
vielerlei Schönheiten der Sprache bietet.
Die andere vorshakespeare'sche Bearbeitung der Sage in Eng-
land stammt von William Paynter, der im 2. Bande seines Palace
of Pleasure (einer Sammlung von Geschichten) the goodly hystory
of the trtie and constant love betweene Bhomeo and Julietta ver-
öffentlichte. Dieser 2. Band datirt vom 4. November 1567 und
erschien ungefähr zwei Jahre nach dem 1. Bande. Auch diese
Prosabearbeitung findet sich bei Collier c. 1. Während dieser die
erste Ausgabe benutzte, druckte Daniel (New Shdkspere Society,
Series III, PL I. 1875) die zweite Ausgabe ab, welche mehrfache
Veränderungen enthält. Die folgenden Citate verweisen auf die
Ausgabe des Boaistuau von 1561. —
Paynter fängt mit einer wörtlichen üebersetzung des Sommaire
de la troisiesme histoire an, vergisst auch das Lob Verona's nicht
(sogar die Namen werden fast buchstäblich herübergenommen:
Adisse = Adissa; Alemaigne = Almayne), und erwähnt ferner,
dass die Augenzeugen der Geschichte erst vor Kurzem in Verona
gestorben seien. In der Üebersetzung des Sommaire (p. 31) lässt
er folgende Worte unĂĽbersetzt: si est-ce que je puis acertener
une fois pour toutes, que je n'insereray aucune histoire fabuleuse
en tout cest ceuvre, de laquelle je ne face foy par annales et
chroniques, ou par commune approbation de ceux qui Tont veu,
ou par autoritez de quelque fameux historiographe, Italien ou Latin.
P. 36 steht bei Boaistuau: cendre; P. ĂĽbersetzt dust, Brooke
genauer ashes.
P. 38 hat B. : Romeo ging seul avec ses armes en ceste pe-
tite ruelle: P. lässt avec ses armes unübersetzt; Br. hat es: well
armcd he walketh foorth alone.
P. 38 steht bei B. : Jeder liebte den frere Laurens, depuis les
petits jusques aux grands; P. hat diese Worte nicht; Br.: tfie
olde, the young, the great and mall.
P. 41 hat Juliette 3 mortiers de cire vierge anzĂĽnden lassen,
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bei P. nur: the tapers of virgin wax; es ist aber wohl nur ein r
ausgefallen: thre.
P. 42 bleiben die Worte der Amme: prenez vos armes, et en
jouez desormais la vengeance bei Paynter unĂĽbersetzt; bei Br.:
ivhere you mag, if you list, in armes revenge your seife by fight.
P. 44: B. hat nur die Worte: Romeo attiroit si bien les coeurs
d'un chacun; hier fugt P. hinzu: like as tJie stony adamante doth
the cancred iron; Br. hat diesen Vergleich nicht, ebensowenig
Bandello.
P. 53: Hier fĂĽgt P. (p. 117) hinzu: tyme, the mother of truth;
B. hat nichts dem Entsprechendes.
P. 56 steht bei B. in wörtlicher Uebersetzung aus Bandello:
la pauvre femme chantoit aux sourds; Br. hat:
But well away, in vayne unto the deafe she calles,
SJie thinkes to speake to Juliet, bat speaketh to Ăśie walles.
P. hat: the poore old woman spoke unto the wall, and sang a song
unto the deafe. Die Worte spoke unto the wall hat P. vielleicht
von Br. entlehnt.
P. 58 steht bei B. : Die Hälfte des Gifts genügt, um in einer
Stunde den stärksten Mann zu tödten; P. lässt diese Zeitbestim-
mung weg, offenbar absichtlich, da Romeo ein Gift gefordert hatte,
das in einer Viertelstunde tödtete. Br. setzt beide Mal: in lesse
then hälfe an howre.
P. 62 steht bei B.: C'est Pheure suspecte, et les ferrements;
P. hat nur: is the suspected hour, Br. wiederum genauer:
You sag these present yrons are, and the suspected tyme.
V. 64 fĂĽgt B. hinter Barthelemy de PEscale in Klammem
hinzu: qui commandoit de ce temps lä ä Veronne; P. hat diese
Bemerkung weggelassen, weil sie ungenau ist (de ce temps lä),
und weil Aehnliches bereits am Anfange der Geschichte be-
merkt war.
P. 64: P. fĂĽgt an der entsprechenden Stelle hinzu: and kept
close hys lawfull secrets, according to the well conditioned nature of
a trusty servaunt; der Grund ist offenbar. Die Amme, die dem
Befehle ihrer Herrin folgt, wird bestraft; Peter, der seinem Herrn
folgt, wird öffentlich belobt. Zur näheren Erklärung dieser schein-
baren Ungerechtigkeit fĂĽgt P. obige Worte hinzu. Br. schliesst
sich wiederum ganz eng an B. an.
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— 185 —
So folgt P. von Anfang bis zu Ende, mit Ausnahme der an-
gefĂĽhrten Stellen, in ganz sklavisch-getreuer Uebersetzung, oft mit
Herübernahme französischer Ausdrücke, seiner Quelle. Die Namen
haben bei ihm meist französische Form: Senior Escala, MontescJies
und Capellets ; BartJwlmew Escala; Rliomeo, Anthoine (oder An-
tonio), Mercutio, fryer Laurence, Julietta, Pietro (Petre), Thibault,
Paris count of Lodronne, Yillafranco (!), frier Anselme.
A. Schmidt (in Shakespeare's dramatische Werke, herausge-
geben von der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft Bd. IV) hat in
der Einleitung zu Romeo und Juliet p. 171 behauptet, Paynter's
Novelle sei im Wesentlichen eine Uebersetzung nach Boaistuau
'mit Entlehnung einiger ZĂĽge aus Brooke.' Mit Ausnahme des
oben citirten Vergleichs to speak to the walh habe ich auch nicht
die geringste Spur einer Entlehnung aus Brooke von Seiten Payn-
ter's entdecken können ; und diese Worte sind wohl hinzugefügt
worden, um die etwas unverständliche Redensart: to sing unto
the deafe durch eine mehr englische Redewendung zu erläutern.
Findet sich zuweilen Uebereinstimmung in den Worten bei Brooke
und Paynter, wie wir oben an mehreren Beispielen nachgewiesen
haben, so erklärt sich dies daraus, dass beide dieselbe Quelle
möglichst wortgetreu benutzt haben. — Daniel (c. 1.) glaubt noch
an der folgenden Stelle einen Einfluss Brooke's auf Paynter wahr-
zunehmen; die Worte Boaistuau's: je demeure la fable du peuple
ĂĽbersetzt Brooke: The peopWs tale and laughing stock slwll I re-
mayne for aye, und Paynter in der ersten Ausgabe: / shall re-
mayne a Fable and icsting stocke to the People ; in der zweiten
Ausgabe sind die Worte 'and iesting stocke' weggelassen. —
Ausser diesen zwei Bearbeitungen der Sage sind von eng-
lischen Gelehrten noch einige Nachbildungen und Anspielungen auf
dieselbe aus der Zeit vor Shakespeare nachgewiesen worden, welche
beweisen, wie volksthĂĽmlich die Sage in England war:
1) Bernard Garter: The tragicall and true historie whicli hap-
pened betwene two English louers. 1563. written by Ber. Gar. 1565.
In oedibus Eichardi Tottelli. Cum Priuilegio. Daniel (c. 1.) giebt
von dem äusserst seltenen Werk einen Auszug. Es ist im Stil
eine entschiedene Nachahmung Brooke's, hat aber mit der Ge-
schichte von Romeo und Julia nichts zu thun. Die Scene wird
nach England verlegt; sonst werden in der Erzählung keine Namen
genannt. Die Personen heissen nur the Lovers, tlie Father and
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— 186 —
Mother, the Nurse, an olcl Doctor. Zwei junge Leute verlieben
sich in einander und heirathen sich. Da bricht ein Krieg aus und
der junge Ehemann zieht mit den Truppen fort; er zeichnet sich
sehr aus, wird aber von einem Soldaten unschuldig des Verrates
angeklagt. Um die Sache auszutragen, kommt es zu einem Duell.
Der Ankläger fällt, aber auch unser Held stirbt an den erlittenen
Wunden. Als seine junge Frau diese traurige Nachricht erhält,
stirbt sie plötzlich vor Gram.
2) Aus Brooke's Address to the Reader erfahren wir, dass vor
1562 derselbe Stoff auf die englische BĂĽhne gebracht war, und
zwar lobt Brooke das StĂĽck als ein vorzĂĽgliches: though I saw
the same argument lately set foorth on stage with more commenda-
tion then I can hohe for, being there much better set forth than I
have, or can dooe.
3) 1565 wird die Sage von T. Peend, oder Delapeend, in
seinem Pleasant fable of Hermaphroditus and Salmacis: With a
morall in English verse, erwähnt; hier heisst es:
And Juliet, Romeus yonge,
For bewty did imbrace,
Yet dyd hys manhode well agree,
Unto hys worthy grace;
dazu in einer Anmerkung: Juliet, a noble mayden of the cytye Ve-
rona, in Italye, whyche loved Romeus, eldest sonne of Ăśie Lorde
Montesche, and beinge pryvely maryed togyther: he at last poysoned
hymselfe for love of her. SJie, for sorowe of his deatlie, sletve her-
seife in the same tombe with hys dagger.
4) 1570 erschien Henry Bynneman: The Pitifull Hystory of
2 lovyng Italians.
5) In A right excellent and pleasant Dialogue betwene Mercury
and a Souldier 1574 sagt der Verfasser, Baraabe Bich, dass the
pittifull history of Romeus and Julietta auf Tapeten dargestellt war.
6) wird die Sage erwähnt in The Gorgeous Gallery of Gallant
Inventions: 1578. Sir Romeus 1 annoy but trifte seems to mine.
7) 1579 in A poor knight his Palace of private Pleasure.
8) 1582 erwähnt Stanyhurst in seinem Epitaph zu der Ueber-
setzung der vier ersten BĂĽcher von VirgiFs Ă„neide Juliet neben
Dido und Cleopatra.
9) 1583 in Melbancke's Philo timus: the Warre betwixt Nature
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and Fortune; darin die Worte: nor Romeo thou hast cause to weepe
for Juliets losse.
10) 1596 wird a new hallad of Romeo and Jidiett erwähnt,
die nicht erhalten ist. —
Bevor wir uns zu Shakespeare selbst wenden, mĂĽssen wir
noch einen Abstecher nach Spanien machen. Auch dort taucht
plötzlich die Sage von Romeo und Julia in zwiefacher Gestalt auf,
in einem Drama des Lope de Vega und in einem andern des Fran-
cesco de Rojas. Auf dieselben hat bereits Dunlop in seiner Hi-
story of Fiction II, p. 401 aufmerksam gemacht, scheint aber we-
nigstens das StĂĽck des Rojas nicht gekannt zu haben ; sonst wĂĽrde
er nicht behauptet haben: the former (das StĂĽck des Rojas) coin-
cides precisely with Romeo and Juliet. Das Drama Lope's wird er
aus einer englischen Uebersetzung, die 1770 in London erschien,
gekannt haben. Der Titel heisst: Romeo and Juliet, a comedy
written by fliat celebrated dramatk poet, Lopez de Vega, contempo-
rary with Shakespeare, and built upon the same story on which
tlmt greatest dramatk poet of the English nation lias founded his
well known tragedy. London, printed for William Griffin, at Gar-
rkk f s Head in Catharine Street, Strand. 1770. 8°. Eine Inhalts-
angabe des Lope'schen StĂĽckes findet sich bei von Schack (c. 1.
II, p. 331—337) und bei Klein (c. 1. X, p. 340 fgg.). Neuerdings
ist eine zweite englische Uebersetzung erschienen: Castelvines y
Monteses. Tragi- Comedia, by Frey Lope Felix de Vega Carpio.
Translated by F. W. Gosens. London 1869. Da die erste englische
Uebersetzung sehr ungenau war und nur die Stellen vollständig
wiedergab, die eine gewisse Aehnlichkeit mit den entsprechenden
bei Shakespeare zeigten, so ist die wortgetreue, vollständige Über-
setzung von Cosens ein sehr verdienstliches, willkommenes Werk.
Wir geben zunächst eine kurze Inhaltsangabe des Stückes,
das meist in Verona spielt.
I. AM. Roselo (der Romeo der Sage) und sein Freund An-
selmo hören aus dem Hause Antonio's, des Hauptes der Castel-
vines, festliche Musik herausschallen und wollen den Diener Marin
hineinsenden, um zu erfahren, was gefeiert werde. Dieser, ein
Feigling, wagt sich nicht in das Haus hinein; denn alte Feind-
schaft bestand zwischen seinem Herrn und den Castelvines. So
wollen sie selbst maskirt sich hineinwagen, um sich die schönen
Mädchen des Festes anzusehen. Wahrlich, sagt Roselo, da die
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Männer der Monteses ebenso kühn und tapfer sind, wie die Frauen
der Castelvines schön, so sollte die Fehde zwischen beiden durch
die Hochzeitsfackel beendet werden. Abenteurerlust treibt sie trotz
der warnenden Stimme des feigen Dieners in das Haus des Fein-
des hinein:
/ must even have (sagt Roselo)
Mine own free fancy unmolested go,
Despising that whicli mm call easy gain,
Td climb a mach more cragged })ath.
Die zweite Scene fĂĽhrt uns auf das Fest selbst. Otavio, der
Vetter Julia's, folgt dieser in den Garten, wo sie sich vom Tanz
abkühlen wollen. Teobaldo und Antonio, die Väter der Beiden,
blicken ihnen nach und wĂĽnschen, dass sie ein Paar wĂĽrden. Da
tritt Eoselo mit seinen Begleitern ein und sobald er Julia sieht,
entbrennt er in Liebe zu ihr und bedauert, dass man ihn von Ju-
gend auf gelehrt habe, sie als eine Castelvine zu hassen. Die Liebe
macht ihn so kĂĽhn, seine Maske abzunehmen; er wird von Antonio
erkannt, und nur mit Mühe hält Teobaldo denselben zurück, Roselo
mit dem Schwert in der Hand die ThĂĽr zu weisen. Inzwischen
ist auch Julia von ihrer Cousine Dorotea auf den schönen Jüng-
ling aufmerksam gemacht worden und sofort schenkt sie dem
Fremdling ihr Herz, ohne ihn zu kennen. Wählend Anselmo sich
mit Dorotea unterhält, setzt sich Roselo zu Julia, auf deren an-
derer Seite Otavio mit den stets eiskalten Händen sitzt, und nun
erfolgt eine Unterhaltung, die zu den Glanzpunkten des StĂĽckes
gehört. Listig weiss Julia ihre Worte so zu stellen, dass, obwohl
sie zu Otavio gewandt spricht, dieselben fĂĽr Roselo bestimmt sind.
Sie giebt ihm ihren Ring, und sie verabreden, sich am andern
Abend im Garten zu treffen . Als die Gäste scheiden, fragt Julia
ihre Dienerin Celia nach dem Namen des Geliebten, und als sie
erfährt: es ist Roselo, Arnaldo's Sohn, da bricht sie in Klagen
aus; nun aber sei es zu spät, die Liebe habe ihr Herz bereits
völlig ergriffen.
Die dritte Scene fĂĽhrt uns in das Haus Arnaldo's; derselbe
kehrt soeben von einer Reise zurĂĽck und fragt seinen Diener nach
Roselo's Befinden. Er hört wenig Gutes über die Führung seines
Sohnes; dieser lebe leichtsinnig, spiele viel und suche erst frĂĽh
am Morgen sein Bett auf; zu alledem verfĂĽhre ihn sein Diener
Marin, jener gottlose Bursche. Und gleich darauf, als Arnaldo
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die BĂĽhne verlassen, kommt Freund Marin selbst und freundschaft-
lich schĂĽtteln sich die beiden Diener die Hand. Roselo wirft dem
Schicksal vor, warum er sich gerade in die Tochter des Feiudes
habe verlieben mĂĽssen, beschliesst aber, mit Anselmo und Marin
zu dem gefahrvollen Rendez-vous zu gehn.
Die vierte Scene spielt in Julia's Garten, wo diese mit ihrer
Dienerin Celia den Geliebten erwartet. Den gerade zur unrechten
Stunde sie störenden Otavio weiss sie geschickt zu ihrem Vater
zu entsenden. Endlich kommt Roselo und sie verabreden, sich in
der Kirche bei einem befreundeten Mönch zu treffen, der sie trauen
würde. Als er ihr Liebe zuschwört, sagt sie: 'Schwöre nicht, denn
ich habe gelesen, dass die, welche so leichtfertig schwören, bei
Gott und der Welt nur wenig Vertrauen besitzen. , Die Fusstritte
Jemandes, der in den Garten kommt, scheuchen das Liebespaar
aus einander. —
IL Akt. Der alte Streit der Castelvines und Monteses ist von
Neuem ausgebrochen: in der Kirche haben mehrere der einen
Partei die KirchenstĂĽhle der andern bei Seite gerĂĽckt, und laut
ruft der alte Teobaldo seinem Sohne Otavio zu, diese Schmach zu
rächen. Anselmo und Roselo nähern sich dem Platze in eifrigem
Zwiegespräch. Letzterer vertraut seinem Freunde an, dass er nun-
mehr mit Julia vermählt sei. Der Mönch Aurelio sei zwar An-
fangs gegen die Verbindung gewesen; da er aber gehofft habe,
durch dieselbe die zwei feindlichen Häuser zu versöhnen, so habe
er nachgegeben. Da stĂĽrzen Antonio und Otavio auf der einen,
und Arnaldo und Marin auf der andern Seite mit gezogenen Schwer-
tern aus der Kirche. Roselo versucht die Kämpfenden zu trennen;
als er aber dem Otavio vorschlägt, er wolle die Julia heirathen,
und er solle die Andrea Montes zur Frau nehmen, dringt Otavio
wüthend auf ihn ein — und Roselo erschlägt ihn. Der Herzog von
Verona mit seinem Gefolge kommt hinzu und fragt nach dem Ur-
heber des Streits und wer den Otavio erschlagen habe. Alle be-
zeugen, dass Roselo nur, nachdem er von Otavio wĂĽthend ange-
griffen, das Schwert gezogen habe, auch Julia und Celia, die eben
aus der Kirche zu dem Verhör hinzukommen. Roselo, der sich mit
Marin in einen benachbarten Thurm geflĂĽchtet hat, wird vom Her-
zog herabgerufen, der ihn, um ferneren Aufruhr in Verona zu ver-
meiden, verbannt.
In der zweiten Scene nimmt Roselo von Julia im Garten Ab-
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schied und verspricht die Geliebte bald nachzuholen. Und wäh-
rend die beiden Liebenden allen Schmerz der Trennung empfinden,
sagt Marin in burlesk-parodirender Weise seiner Celia Lebewohl.
Da erscheint Antonio; Roselo und sein Diener fliehen eiligst; zornig
fragt der Vater, was Julia in so später Stunde noch allein im
Garten zu thun habe und warum sie weine. Sie sagt, ihre Thränen
gälten ihrem erschlagenen Geliebten. Um ihren Schmerz zu lin-
dern, will Antonio einen andern Geliebten für sie wählen, und seine
Wahl trifft den Grafen Paris, der frĂĽher um ihre Hand bei ihm
angehalten habe und bald mit dem Herzog von einer Reise zurĂĽck-
kehren werde.
In der dritten Scene trifft Paris mit Roselo, der eben mit
Marin auf dem Wege nach Ferrara begriffen ist, auf der Land-
strasse zusammen und verspricht, ihn seinen Feinden gegenĂĽber
vertheidigen zu wollen. Ein Diener Antonio's ĂĽberbringt einen
Brief, in welchem der Vater Julia's Paris auffordert, eiligst nach
Verona zu kommen, wo seine Tochter ihn als Bräutigam erwarte.
Nur mit MĂĽhe unterdrĂĽckt Roselo seine Aufregung ĂĽber diese
Nachricht. Als sie sich getrennt haben, bricht er in heftige Kla-
gen ĂĽber die Treulosigkeit der Geliebten aus, und Marin weiss
keinen jandern Trost als den, dass es in Ferrara mehr schöne
Frauen gebe. —
III. Akt. Nachdem sich Julia erst geweigert, Paris zu hei-
rathen, giebt sie dem Drängen ihres Vaters scheinbar nach; wäh-
rend aber Antonio, hocherfreut über diese Sinnesänderung der
Tochter, weggeht, die Vorbereitungen zur Hochzeit zu treffen, ĂĽber-
bringt Celia ihr vom Mönch Aurelio, an den Julia in ihrer Be-
drängniss sich gewandt hatte, Gift. Julia trinkt es und fällt iu
einen todähnlichen Schlaf, nachdem sie ihiem Roselo nochmals
Treue zugeschworen.
Dieser bringt inzwischen (zweite Scene), um sich an der treu-
losen Geliebten zu rächen, der schönen Sylvia ein Ständchen, als
sein Freund Anselmo aus Verona, von Aurelio entsandt, ihm die
Nachricht von Julia's Tod bringt. Man habe sie scheintodt be-
graben; er solle nun kommen und sie, die nach zwei Tagen wie-
der in das Leben zurĂĽckkehren werde, abholen, um mit ihr zu
entfliehen.
In der dritten Scene kommt Antonio zum Herzog, der Paris
über den Verlust der Braut tröstet, und holt sich von ihm die
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Erlaubniss zur Heirath mit seiner nahen Verwandten Dorotea. Da
nun Otavio und Julia todt seien, wĂĽrde sein Haus aussterben,
wenn er nicht wieder heirathe. Der Herzog giebt seine Einwilli-
gung. Die vierte Scene fuhrt uns in das Grabgewölbe unter der
Kirche zu Verona. Julia, die aus ihrem Schlaf erwacht, weiss
nicht, wo sie ist und wie sie dahin gekommen. Da naht sich
Licht; es sind Kusel o und Marin, jder in seiner Herzensangst das
Licht hinfallen lässt. Als Julia sie anredet und fragt: 'Seid Ihr
lebend oder nicht?' antwortet Marin : 'Ich bin wahrlich todt.' So
contrastiren seine Witze seltsam mit dem schaurigen Ort der Hand-
lung. Roselo erkennt Julia an ihrer Stimme; er erzählt ihr, wie
er hierhergekommen, und sie verlassen die Gruft, um zunächst als
Bauern verkleidet auf einem Gute von Julia's Vater zu wohnen.
Hier finden wir sie nebst Anselmo in Bauerntracht (in der
letzten Scene des Dramas) bei den Bauern des Gutes, die ihren
Herrn Antonio zur Feier seiner Hochzeit mit Dorotea erwarten.
Als Antonio selbst erscheint, um sich zu ĂĽberzeugen, ob Alles zum
Feste vorbereitet sei, spricht Julia als Engel aus dem obern Stock-
werk des Hauses zu ihm und verkĂĽndet ihm ihre Verbindung mit
Roselo. Da sie wieder verschwindet, erklärt sich Antonio bereit,
Otavio als seinen Sohn anzuerkennen. Zugleich bringt Teobaldo
Roselo, Anselmo und Marin als Gefangene an. Man hat sie er-
kannt und will sie tödten. Antonio aber, seinem Versprechen ge-
treu, tritt dazwischen und begrtisst Roselo als Sohn, ja er will
ihm sogar seine eigene Braut Dorotea zur Gattin geben. Da tritt
Julia dazwischen und nimmt Roselo fĂĽr sich in Anspruch und
nachdem sich Alles aufgeklärt, begrüsst Antonio sie als seine
Kinder. Anselmo heirathet Dorotea und Marin seine Celia. So
endet das StĂĽck mit einer dreifachen Hochzeit:
Good Senators, here, I pray 'tis understood,
Die Castelvines ends in happiest mood.
Welch' ein Gegensatz zu allen bisherigen Bearbeitungen der
Sage ! Die ernste Novelle ist unter Spaniens heiterem Himmel in
eine Comödie verwandelt worden, die oft ans Possenhafte anstreift
Die Sage, die in den Novellen der Italiener in dramatisch-belebten
Zwiegesprächen, die in Frankreich in pathetischen Reden, in Eng-
land in gedankenreichen Versen nacherzählt worden war, aber
immer mit demselben ernsten Antlitz, tritt hier plötzlich mit hei-
terer Maske, mit lustigen, scherzhaften Gesprächen vor uns hin.
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Der tiefe Strom der Sage ist plötzlich verflacht und in die seichten
Schablonen der spanischen comedia geleitet worden. Hier finden
wir alle die stehenden Figuren des spanischen Dramas wieder:
Roselo den primero galan, Julia die dama, Antonio den barba,
Dorotea die eifersĂĽchtige Freundin, und vor Allem fehlt der Possen-
reisser nicht, der gracioso, der als feiger und stets witziger Die-
ner die tragischen Worte seines Herrn, des Helden, parodirt.
Scherzhafte Partien sind reichlich in die ernste Handlung einge-
flochten. Während von Schack, der eifrige Bewunderer der spa-
nischen dramatischen Muse, an dem StĂĽck den witzigen Dialog
und die wunderbar poetische Sprache rĂĽhmt, giesst Klein die ganze
Schale seines Zorns ĂĽber dem Drama aus: 'Die grossen spanischen
dramatischen Virtuosen wissen von jener Liebe nichts, die der
Apostel verherrlicht; sie kennen nur das geräuschvolle Liebes-
pathos.' 'Jeder Zoll ein spanischer Comödienschablonenheld,' sagt
er an einer andern Stelle von Roselo. Und fĂĽrwahr, denken wir
an Shakespeare's wundervolles Drama, so mĂĽssen wir Klein Recht
geben. — Wir wissen nicht genau, wann das Stück verfasst ist;
nur soviel steht fest, dass es vor 1603 geschrieben ist, da es sich
in einer Liste der bis zu diesem Jahre von Lope gedichteten
Stücke mit erwähnt findet.
Fragen wir, woher Lope den Stoff entnommen habe, so kann
man zweifelhaft sein, ob die Sage ihren Weg ĂĽber Frankreich
nach Spanien genommen habe, oder ob sie direct aus Italien ein-
gewandert sei. Wir wissen, dass zur Zeit Lope's (1562—1635)
die spanische Literatur am stärksten von der bereits zu herrlicher
BlĂĽte entfalteten italienischen Literatur beeinflusst ward. Nicht
nur Dante, Petrarca, Ariost und Tasso waren in Spanien bekannt,
sondern auch die Novellen eines Boccaccio, Bandello, Cinthio und
Anderer existirten in spanischen Uebersetzungen, die vielfach von
den Dramatikern benutzt wurden. Auch Lope hat aus dieser reich-
haltigen Fundgrube wiederholt geschöpft (cf. v. Schack, c. 1. II,
p. 330 und Klein, X, p. 493) und mehrfach aus unserem Bandello.
So entlehnte er den Plan zu seinem el mayordomo de la Duguesa
de Amalfi aus Bandello I, 26; ebendaher stammt seine La Quinta
de Florencia. So wird er auch den Stoff zu unserem Drama di-
rect dem Bandello verdanken. Freilich können ihm auch die Hi-
stoires tragiques des Belieferest bekannt gewesen sein. Nicht nur
unsere Erzählung, sondern auch die der Quinta de Florencia zu
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Grunde liegende finden sich aus Bandello entnommen auch bei
Belieferest (I, 12). Einige der Namen, wie Antonia (diese Form
findet sich allerdings neben Anthoine auch bei Boaistuau), An-
selmo, Mercutio und Teobaldo sprechen aber fĂĽr die Annahme
einer directen Benutzung Bandello's. —
Die zweite spanische Dramatisirung der Sage stammt von
Francesco de Rojas y Zorrilla und fĂĽhrt den Titel: Los Bandos
de Verona. Montescos y Capeletes. Auch hiervon existirt eine
englische Uebersetzung von F. W. Cosens, London 1874, welche
aber nur die Stellen wiedergiebt, die einige Aehnlichkeit mit dem
Shakespeare'schen StĂĽck haben. Danach ist der Inhalt folgender
(auch Klein, Bd. XI, p. 253 fg. giebt einen kurzen Auszug):
2. Akt. Das StĂĽck beginnt mit einer Unterredung zwischen
Julia Capelete und Elena, Romeo's Schwester, der unglĂĽcklichen
Gattin des Grafen Paris, der sie vernachlässigt. Sie kommen im
Laufe der Unterhaltung auf den Ursprung der Feindschaft zwi-
schen den Montescos und Capeletes zu sprechen: Otavio Komeo,
das Haupt der Montescos und der Vater der Elena, erschlug aus
Zufall bei einem Turnier den Luis Capelete, den Bruder der Julia,
und wird aus Rache getödtet. Seit drei Jahren wüthet nun der
Kampf in Verona. Romeo dringt, um seines Vaters Tod zu rä-
chen, in das Haus der Capeletes ein; dabei sieht er Julia und ver-
liebt sich in sie; seitdem kommen sie öfters verstohlen zusammen.
Heute aber soll sie auf Wunsch ihres Vaters ihren Vetter Andres
heirathen. Da treten plötzlich unerwartet Romeo selbst und sein
Vetter Carlos ein, welche von der Abwesenheit des Vaters Julia's
wissen und ĂĽbereingekommen sind, die Zustimmung desselben zu
ihrer Hochzeit zu gewinnen. Die Unterredung der Liebenden wird
durch das Erscheinen des alten Capelete und des Andres gestört,
vor denen sich Romeo und Carlos nebst den Damen verbergen.
Andres hält von Neuem um die Hand der Julia an. Graf Paris
kommt hinzu und fordert den alten Capelete auf, ihm bei einem
Anschlag gegen die Montescos behĂĽlflich zu sein; er wolle sich
von seiner Frau scheiden lassen und Julia zur Frau haben. Dieser
"Anschlag wird natĂĽrlich von den Andern belauscht. Romeo tritt
aus seinem Versteck hervor und es kommt zu einem Kampf zwi-
schen beiden Parteien. Da gesteht Julia offen ihre Liebe zu
Romeo ein und tritt zwischen die Kämpfenden. So endet der
erste Akt.
Jahrbuch XI. 13
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II. Akt. Romeo's Diener, die lustige Person des StĂĽckes,
dringt als Dachdecker verkleidet in Capelete's Haus ein, um der
Julia ein Billet Romeo's zu uberbringen, worin er sie auffordert,
mit ihm zu fliehen. Als der alte Capelete wieder in Julia dringt,
den Paris oder Andres zum Gemahl zu wählen, erklärt sie, sie
liebe einzig und allein Romeo. Aufs Aeusserste erzĂĽrnt legt ihr
Vater einen Dolch und eine Flasche Gift hin und fordert sie auf,
zwischen beiden zu wählen. Sie trinkt das Gift, während nun der
Vater vergeblich versucht, es ihr zu entreissen. Sie fällt schein-
bar todt nieder und wird heimlich in der Familiengruft in der
San Carloskirche beigesetzt. Romeo's Diener, der im Hause Ca-
pelete's Alles mit angesehen hat, benachrichtigt seinen Herrn von
dem traurigen Ereigniss und dieser eilt nach dem Grabe. — Otavio,
der Diener des Andres, erzählt seinem Herrn, wie er dem alten
Capelete Gift habe besorgen sollen. Da er aber geglaubt habe,
es sei für seine Geliebte Esperanza, Julia's Kammermädchen,
bestimmt, die Romeo öfters zu ihrer Herrin geführt, habe er statt
des Giftes einen Schlaftrunk gekauft. So eilen sie nach dem Ge-
wölbe, um Julia bei ihrem Erwachen zu entführen, und verbergen
sich dort. Ebendaselbst erscheinen auch Romeo und sein Diener
und fĂĽhren Julia, die eben erwacht, aus der Kirche. Da erlischt
ihr Licht und in der Dunkelheit verliert Julia Romeo's Arm und
nimmt den des Andres, den sie für Romeo hält und mit dem sie
entflieht. Romeo enteilt dagegen mit seiner Schwester Elena, die
er fälschlich für Julia hält. Diese war in Folge des Billets Ro-
meo's zur Kirche gekommen.
III. Akt. Da entdeckt Romeo seinen Irrthum, zugleich hört
er Julia seinen Namen rufen; denn diese hatte gemerkt, dass sie
an Andres Seite gehe. Sie entflieht diesem , verfolgt von ihm und
ihrem Vater nebst Graf Paris. Der benachbarte Wald wird von
diesen nach ihr, Romeo und Elena durchsucht. Als der alte Ca-
pelete und Paris Julia finden, von deren Erwachen sie noch nichts
wissen, halten sie dieselbe erst für ihren Geist. Sie aber erzählt,
wie Romeo sie erlöst habe; ihm wolle sie treu bleiben. Da will
der Vater sie erstechen und wird nur mit MĂĽhe durch Paris von
der blutigen That zurĂĽckgehalten. Sie soll wenigstens in ein Ge-
fängniss geworfen werden. So wird sie in ein benachbartes Schloss
abgefĂĽhrt. Inzwischen durchsuchen die Montescos den ganzen
Wald und greifen endlich das Schloss an, in welchem sie Julia
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wissen. Sie beschiessen dasselbe, bis der alte Capelete mit Julia,
die er vorher getödtet zu haben vorgab, auf den Zinnen erseheint;
Romeo und Julia heirathen sich; Graf Paris und Elena versöhnen
sich natĂĽrlich auch, und das StĂĽck schliesst mit den Worten:
Now joyoas hours on every side increase,
And let this fead of both our hoases cease;
Oood Don Francisco Rojas aslcs the hands of all,
And to his share let your kind lĂĽatidits fall.
Der Verfasser des StĂĽckes war um den Beginn des 17. Jahr-
hunderts (Klein giebt das Jahr 1607 an) zu Toledo geboren; wann
das Drama geschrieben ist, wissen wir nicht. Es findet sich in
dem 2. Bde. der gesammelten Werke des Rojas, Madrid 1680. Rojas
war 30 Jahre alt, als Lope starb, auf dessen Tod er ein Sonett
verfasst hat. Er hat offenbar das StĂĽck Lope's, das denselben
Stoff behandelt, gekannt. So verdankt er diesem den wunderbaren
Zug, dass Julia von ihrein Vater fĂĽr einen Geist gehalten wird,
und den glĂĽcklichen Ausgang des Dramas. Er muss aber, wie die
Namen beweisen (Romeo, Montesco, Capelete), die wieder gleich
den italienischen sind, auch die italienische Novelle Bandello's oder
eine Uebersetzung derselben gekannt haben. Uno* es ist höchst
interessant zu sehen, wie zwei so verschiedene StĂĽcke wie das
Shakespeare's und das des Rojas derselben Quelle ihren Ursprung
verdanken können. Das Drama des Rojas wird von allen Kriti-
kern für völlig verfehlt gehalten; selbst von Schack urtheilt über
dasselbe (c. 1. m, p. 318): 'In Los Vandos de Verona erkennt man
den geistvollen Verfasser der bisher erwähnten Tragödien nicht
wieder.' Ausser den stehenden Personen des spanischen Dramas,
dem Gracioso mit seinen derben Scherzen, dem Geliebten mit sei-
nem hohlen Pathos und dem zĂĽrnenden Alten, bietet es nichts als
ein wirres Durcheinander plumper Verwechselungen und bunter
Abenteuer. Es steht tief unter dem Niveau aller Dramen und
Novellen, in denen die Sage von Romeo und Julia behandelt wor-
den ist. —
Wir kommen nun zu der herrlichsten, köstlichsten Frucht,
welche unsere Sage hervorgebracht hat, zu dem StĂĽck Shake-
speare's, und wenden uns zu der wichtigen Frage, welche der be-
reits vorhandenen Bearbeitungen der Sage er zu seinem Drama
benutzt hat. Während man früher darüber einig zu sein schien,
dass er allein dem Gedicht Ar. Brooke's gefolgt sei, eine Ansicht,
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die bereits von Schlegel und Malone vertreten ward, hat es neuer-
dings nicht an vielfachen Versuchen gefehlt, diese oder jene der
von uns besprochenen Bearbeitungen als Quelle Shakespeare's nach-
zuweisen. So vermuthet Drake (SJiakcspeare and Iiis Times, Lon-
don 1817, II, p. 359) und nach ihm Collier (in The History of Eng-
lisli Dramatk Poetry and (he Stage II, 416), Shakespeare habe ein
StĂĽck gleiches Namens, auf welches die oben citirte Stelle bei
Brooke uns zu schliessen gestattet, benutzt. Dies ist aber nur
eine völlig müssige und leere Vermuthung, zu der wir keine Be-
rechtigung haben. Wir wissen von dem StĂĽck ausser durch Brooke
gar nichts. Ja, es hat sogar nicht an Gelehrten gefehlt, die das
Vorhandensein eines solchen Stückes gänzlich bestritten und mein-
ten, die Worte 'latdy set foorth on stage 1 bezeichneten nicht die
wirkliche BĂĽhne, sondern bedeuteten nur 'zur Schau stellen, ver-
öffentlichen,' so dass mit den Worten Brooke's ebensogut eine No-
velle gemeint sein könnte (Delius, Einleitung zu Romeo und Julia
in seiner Ausgabe Shakespeare's). Klein (c. 1. V, p. 423) schĂĽttelt
aus dem unerschöpflichen Füllhorn seiner Phantasie gleich zwei
Vermuthungen heraus, die sich an die Worte Brooke's knĂĽpfen.
Er meint, jenes verschwundene Stück könne eine Nachahmung von
Groto's Hadriana gewesen sein, die der Verfasser durch eine ita-
lienische Schauspielergesellschaft, welche damals in London viel
Zuspruch hatte, als Manuscript kennen gelernt haben mochte.
Gleich darauf vermuthet er, das von Brooke gelobte StĂĽck sei die
Hadriana selbst gewesen, die er von italienischen Schauspielern in
London habe darstellen sehen. Ein derartiges Spiel mit Conjec-
turen, deren eine auf die andere ohne alle Grundlage kĂĽhn in die
Luft hineingebaut wird, richtet sich von selbst. —
Ferner haben Walker (Historical Mcmoir on Italian Tragedy,
London 1799, p. 49fgg.: 'perhaps it will yet appear, that the Eng-
lish bard read, with profit, the drama nnder consideration') und
nach ihm Dunlop, von Schack (III, p. 318) und Klein (V, p. 436 fg.)
behauptet, Shakespeare habe das bereits besprochene Drama Ha-
driana gekannt und benutzt. Und dies ist an und fĂĽr sich nicht
gerade unwahrscheinlich. Wenn auch keine englische Uebersetzung
des Stückes aus der Zeit Shakespeare's bekannt ist, so könnte er
es doch sehr wohl im Original gelesen haben. Denn dass er Ita-
lienisch, die Modesprache der damaligen Zeit, verstand, wird nicht
wohl bestritten werden können. Und Groto's Gedichte waren zu
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Shakespeare's Zeit in England bekannt; Florio erwähnt in seinem
Italienisch-Englischen Lexicon (1611) La Adriana Tragedia in der
Liste der Authors and Books that have heen read of purpose for the
collection of this Dtctionarie. Ferner wird Groto in einer Stelle bei
B. Jonson, auf welche zuerst Elze (Jahrbuch der Deutschen Shake-
speare-Gesellschaft VII, 33) hingewiesen hat, erwähnt. Im Vol-
pone HE, 2 (der allerdings erst 1605 aulgefĂĽhrt ward) bringt die
gelehrte Lady Politick Would-be die Unterhaltung auf die italie-
nischen Dichter und zählt folgende auf:
Petrarch, or Tasso, or Dante?
Guarini? Ariosto? Aretine? '
Cieco di Hadria? I lmve read them all.
Ja, man könnte noch weiter gehen und behaupten, da an derselben
Stelle auf Shakespeare's Benutzung des Montaigne gestichelt wird,
sei die Erwähnung des Groto ein weiterer verdeckter Seitenhieb
B. Jonson's auf Shakespeare. Doch sind dies Alles eitle Conjec-
turen, sobald nicht in den StĂĽcken selbst augenscheinliche Nach-
ahmung zu Tage tritt. Es ist nicht unwichtig, noch darauf hinzu-
weisen, dass in der älteren Ausgabe des Florio'schen Lexicons von
1598 die Adriana nicht mit erwähnt wird. Somit scheint das
Drama erst nach der Abfassung der Shakespeare'schen Tragödie
in England bekannt geworden zu sein. Trotzdem hat man auf
folgende Aehnlichkeiten hingewiesen. Latino spricht beim Abschied
von der Hadriana zur Geliebten:
E (s'io non erro) e presso il far del giorno.
Udite il Rossignuol che con noi desto,
Con noi gerne fra i spini etc.
Hierher «stammt nach Walker und Klein Shakespeare HE, 5:
Witt thou he gone? It is not yet near day;
It is the nlfjhtingale and not the lark etc.
Der Umstand, dass hier die Nachtigall bei Beiden erwähnt wird,
während sich in den Novellen nichts von ihr findet, wird für einen
unumstösslichen Beweis für die Nachahmung Shakespeare's ge-
halten. 'Daraus folgt,' sagt Klein (V, 441), 'dass Shakespeare
Groto's Hadriana im Original g'elesen.' So muss denn also Shake-
speare, um die Nachtigall erwähnen zu können, erst die Bücher
der Italiener durchstöbern. Ein Stubengelehrter freilich wäre auf
einen solchen poetischen Gedanken nicht von allein verfallen. FĂĽr
einen Dichter aber, der so feines NaturgefĂĽhl hat wie Shakespeare,
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liegt die Erwähnung der Nachtigall in dieser zauberhaften Balkon-
scene nahe genug. Hat doch gerade dieser Vogel sich stets der
hohen Gunst der Dichter aller Nationen zu erfreuen gehabt. Ausser-
dem sind die Stellen bei beiden Dichtern wesentlich von einander
verschieden. Bei Shakespeare singt die Lerche und Juliet glaubt
nur, es sei die Nachtigall; bei Groto ist es wirklich die Nachti-
gall, welche singt. Ebensogut könnte man die Worte Hadriana's
gleich darauf:
0 da invidia accelerata aurora,
Che a gli altri luce, a nie tenebre
Apporti,
mit den Worten bei Shakespeare:
Jul. — more light and light it grows.
Rom. More light and light: more dark and dark our woesf
vergleichen. Dergleichen ist eben Gemeingut der Dichter aller
Zeiten und Völker. Mit Recht hat vielmehr Malone bereits in
seiner Ausgabe zu der Stelle bemerkt, dass folgende Stelle bei
Brooke Shakespeare die herrlichen Worte eingegeben habe:
The golden sun ivas gone to lodge htm in the tuest,
The fĂĽll moon ehe in yonder south had sent most men to rest;
When restless Romeus and restless Juliet etc.
But now, (somewhat too soon) in farthest east arose
Fayre Laeifer, the golden starre that lady Venus chose;
Whose course appoynted is tvith spedy race to rönne,
A messenger of dawning day, and of the rysing sonne.
Ferner macht Walker darauf aufmerksam, dass bei Groto
nach dem Tode der Hadriana der Consigiiere des Königs diesen
über den Verlust der Tochter tröstet, ähnlich wie bei Shakespeare
der Friar den alten Capulet. Hiervon steht in den Novellen nichts.
Aber solche Umänderungen sind dem dramatischen Dichter, der
von den Klagen des Vaters nicht nur berichten, sondern sie uns
auf der Bühne hören lassen soll, geradezu geboten; und überdies
hätte, wenn von wirklicher Uebereinstimmung die Rede sein sollte,
bei Groto nicht der Consigiiere, sondern der Mago die Trostes-
worte sprechen mĂĽssen. Denn dem Mago entspricht der Friar.
Schack empfiehlt auch die Scene zur Vergleichung, wo der
Priester Hadrianen den Schlaftrunk reicht, ferner die, wo die letz-
tere die Phiole leert, und die ihres Erwachens in der Gruft. In
der ersten dieser Scenen schliesst sich Groto eng an sein Vorbild
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Luigi da Porto an, sie hat mit der Shakespeare'schen AusfĂĽhrung
weder in Worten noch Gedanken etwas gemein. Wir werden
sehen, wie Shakespeare gerade an dieser Stelle sogar die Worte
Brooke's herübernimmt. — Noch weniger stimmt bei beiden die
Scene ĂĽberein, wo Juliet-Hadriana den Schlaftrunk trinkt. Bei
Shakespeare trinkt sie ihn allein, nachdem sie die Amme ent-
fernt hat, ist fieberhaft aufgeregt und glaubt den Leichnam Ty-
balt's zu sehen, alles in engem Anschluss an Brooke. Bei Groto
reicht die Amme Hadrianen das Wasser, genau wie bei da Porto,
und findet sich kein Wort von jenen Fieberphantasien. Noch
weniger eignet sich die Scene des Erwachens in der Gruft zu
einem Vergleich. Bei Shakespeare erwacht Juliet, als Romeo be-
breits todt ist. Bei Groto wechseln sie noch ergreifende Worte
mit einander. Hätte Shakespeare diese höchst wirkungsvolle
Fassung der Scene gekannt, so wĂĽrde er sie sich nicht haben
entgehen lassen. Klein ist freilich anderer Meinung. Mit un-
fehlbarer Sicherheit behauptet er, „dass Shakespeare nur diesen
und keinen andern Ausgang habe wählen dürfen; und dass er ihn
nach kunstnothwendigen Gesetzen hätte erfinden müssen, wenn er
ihn nicht schon in einigen seiner Fabelquellen vorfand. " (V, 434.)
In dieser Ansicht steht er aber doch allein. Anders hilft sich
Walker (p. 55) ĂĽber diesen Punkt, der nach unserer Ansicht un-
zweifelhaft beweist, dass Shakespeare die Hadriana nicht kannte,
hinweg. Er sagt: 'This affecting ciraimstance is omitted in Brooke's
translation of da Porto's novel. And as Sliakspeare has not availed
himself of it, it has been presumcd he could not read the story in
the original Italian; — which, perhaps, he never saiv. Bwt this, as
Dr. Johnson observes, proves nothing against Iiis knotvledge of the
original He was to copg, not ivhat he kneiv himself, but what
was known to Iiis audience.'' Mit dieser sophistischen Auseinander-
setzung und der Annahme, dass Shakespeare sich als ein Sclave
des Publikums gefĂĽhlt habe, schlĂĽpfen Walker und Johnson ĂĽber
diesen Einwand hinweg. Wenn aber Schack gerade diese so
verschiedenen Scenen zur Vergleichuug empfiehlt, so liegt die Ver-
muthung nahe genug, dass er die Hadriana gar nicht gekannt
hat. Mit ebenso wenig GlĂĽck nehmen Walker und Dunlop an,
Shakespeare habe den Character seiner Nurse aus jenem Drama
entlehnt. Hier findet sich allerdings eine Nutrice als eine der
Hauptpersonen des^Stückes. Aber es kann kein schärferer Gegen-
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— 200 —
satz gedacht werden, als der, welcher zwischen der Amme bei
Shakespeare und bei Groto besteht: jene geschwätzig, gewinn-
sĂĽchtig, eine komische Figur; diese ernst, eine treue Dienerin
ihrer Herrin. Nein, woher Shakespeare die Amme entlehnt hat,
wissen wir; er dankt sie den Andeutungen Brooke's. — Klein
hat ausserdem noch auf Folgendes hingewiesen: Der Stil sei bei
beiden Dichtern gleich, der Concetti-Stil in pointirt geistreichen
Antithesen; hierauf hat bereits vor ihm Walker aufmerksam ge-
macht; er sagt: It may be said of Groto, that he could never for-
give any conceit that came in his way, but siuept, like a drag-net,
great and small. Beide vergessen dabei gänzlich, dass dieser
kĂĽnstliche Stil zu Shakespeare's Zeit in England in Folge der
Nachahmung italienischer Poesie allgemein gebräuchlich war. —
Dann verweist Klein auf folgenden Zug: Hadriana erklärt ihrer
Mutter, als diese ihr verkündet, dass sie den Sohn des Königs
der Sabiner heirathen soll (HI, 1):
inaritarmi,
Madre, e signora mia, con pace vostra
— non voglio; —
ebenso Juliet bei Shakespeare:
I pray you, teil my lord and father, niadam,
I will not marry yet.
„Diese Worte finden sich weder bei Brooke noch in den italieni-
schen Novellen", sagt Klein. Derselbe Gedanke findet sich aber
ĂĽberall; bei Brooke sagt Juliet:
Doo what you list, but yet of this assure you still,
If you do as you say you will, I yelde not there untill etc.,
ebenso bei Paynter und Boaistuau. Bei.Bandello antwortet Julia,
allerdings dem Vater und nicht der Mutter: rispose, cWella non
voleva maritarsi; hier haben wir sogar dieselben Worte wie bei
Groto; bei da Porto sagt Giulietta: Padre mio, no, che io non
saro contento, und gleich darauf: questo non fie mai. — Wenn
aber in den Novellen einfach erzählt wird, dass Julia eine der-
artige Unterredung mit Mutter und Vater gehabt, während bei
Groto und Shakespeare die Mutter der Tochter ausdrĂĽcklich sagt:
Dort kommt dein Vater, sag' du selbst ihm das
(El ecco a punto, ch'egli esce col mago —
A lui ti volgi, e lui medesimo ascolta;
Here comes your father; teil htm so yourself),
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— 201 —
»
so ist dies ein ganz natĂĽrlicher Kunstgriff des Dramatikers, der
den Stoff nicht erzählen, sondern in Dialoge bringen soll. End-
lich vergleicht Klein folgende Stelle: Latino klagt am Grabe
Hadriana's:
0 marmi, che'l bei viso mi celate
E col ciel vi partiste ogni mio bene,
Deh, per pietade, apritevi, ond'io miri
Quell' oggetto, per cui cari ho sol gli occhi.
Dies soll Shakespeare nachgeahmt haben mit den Worten:
Thou detestahle maiv, thou womb of death,
Gorged luith ihe dearest morsel of the earth,
Tims I enforce thy rotten jaws to open etc.
Man traut seinen Augen nicht! Auch nicht der leiseste Anklang
erinnert an Groto; und hiernach hält es Klein für ganz unzweifel-
haft, dass Shakespeare Groto's Hadriana gekannt habe. Wahr-
lich mehr Phantasie als Kritik! — Daniel (c. L) vergleicht end-
lich noch folgende Stellen: Latino redet das Grabmal der Ha-
driana an (V, 4):
Benche chiamar sepolcro non ti debbo,
Ma erario, ove s'asconde il mio thesoro.
Bei Shakespeare ruft Romeo, als er Paris in das Gewölbe legt:
A grave? 0, no; a lanthorne, slaughtered youth;
For here lies Juliet, and her bewtie makes
Tins vault a feasting presence fĂĽll of light.
Aber ein Erario ist doch kein Lanthorne!
Hadriana redet die Amme an (I, 1):
Tu che si spesso alhor, ch'io pargoletta
Stava per trabocca, man mi porgesti.
Porgimi hora consiglio, ond'io non cada.
Daniel bemerkt hierzu: It is possible, that this mag have suggested
any part of the Nurse's famoiis speech in Romeo and Juliet, Akt 1,
Sc. 3: 'Slie could have run and ivadled all ahout: for even tlie
day before, she brolce her brow 1 etc. Man sieht, die ganze Aehn-
lichkeit besteht darin, dass erwähnt wird, Hadriana-Juliet sei als
Kind öfter hingefallen und von der Amme wieder aufgehoben
worden. Das konnte Shakespeare natĂĽrlich nicht allein wissen,
sondern musste es erst von dem Italiener lernen.
Dann sagt bei Groto die Mutter zu Hadriana, nach ihrer
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— 202 —
Meinung müsse sie sich selbst einen Gemahl wählen dürfen, und
sollte ihre Wahl selbst auf Latino fallen (HE, 1):
Benche so che nol vuoi, che Vodii a morte.
Hieran sollen die Worte Juliets erinnern (III, 5):
I will not marry yet and, xvhen I do, I stvear,
It shall he Romeo, whom yoii knoiv I hate,
Bather than Paris.
Aber bei Groto spricht diese Worte die Mutter, bei Shakespeare
spricht sie Julia; dies ist ein grosser Unterschied!
Endlich verweist Daniel noch darauf, dass der Bote bei beiden
den Brief des Priesters als unbestellbar zurĂĽckbringt, was ein
ganz nebensächlicher Umstand ist. Wie wenig Gewicht er selbst
auf diese GrĂĽnde legt, geht aus dem Endurtheil hervor, das er
schliesslich fällt: Nohv ithstand ing these resemhlances, I find it dif-
ficult to believe that Shakespeare could have made use of Grotö's
play. Derselben Ansicht ist Grant White (Note in Fumess's Vari-
orum Shakespeare p. 403): Walker hos very slender grounds for
supposing that Sliakespeare was acquainted with Groto's tragedy.
Auch W. W. Lloyd (in seiner Abhandlung ĂĽber Romeo und Juliet
in Singer's Ausgabe Shakespeare's) kann sich nicht ĂĽberzeugen,
dass Shakespeare das italienische Original Groto's gekannt habe.
Und wie hilft er sich? Er nimmt an, dass Shakespeare Groto
aus einer englischen Uebersetzung kennen gelernt. So wird, um
die Conjectur zu stĂĽtzen, gleich eine neue erfunden; denn von
einer englischen Uebersetzung der Hadriana ist uns gar nichts be-
kannt. —
Begründeter ist es in Erwägung zu ziehen, in welchem Ver-
hältniss die Stücke Lope's und Shakespeare's zu einander stehen.
Da beide Dichter gleichzeitig lebten und blĂĽhten (Lope geb. 1562,
Shakespeare 1564; die Blütezeit beider fängt c. 1590 an), und
wir die genaue Abfassungszeit der betreifenden StĂĽcke nicht
kennen, so lagen zwei Möglichkeiten vor: man konnte vermuthen,
Shakespeare habe Lope bei diesem StĂĽcke beeinflusst, und um-
gekehrt. Und wirklich sind beide Vermuthungen ausgesprochen
worden.
Elze hat im Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft
Bd. V, 1870, p. 350, die Frage angeregt, ob Lope nicht neben
andern englischen Schriftstellern der Zeit auch Shakespeare ge-
kannt und speciell in dem erwähnten Drama vor Augen gehabt
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— 203 —
habe. Es sei auffallend, dass Lope sich viel mit englischen Stoffen
beschäftigt und Anklänge an die gleichzeitige englische Literatur,
wie an Fitzgeflrey, Rob. Greene und Sidney, habe. So erinnere
Lope's la Dragontea an das Gedicht von Charles Fitzgeffrey:
Hie Life and Death of Sir Francis Drake (1596); in der Corona
trägica behandle er das Schicksal der Maria Stuart; seine Don-
zella Teodor biete Vergleichungspunkte mit Rob. Greene's Friar
Bacon (1594) und sein Schäferroman Arcadia klinge an Sidney's
gleichnamiges Werk an. Hiergegen ist einzuwenden: Wenn Lope
unter seinen 1000 Werken wirklich mehrmals englische Stoffe be-
arbeitet hat, so darf dies hei dem damaligen lebhaften politischen
Verkehr Spaniens mit England nicht Wunder nehmen. Wir
wissen, wie Lope selbst an dem grossen Kampfe zwischen den
zwei Nationen persönlich Theil nahm. Er befand sich auf der
Armada, welche Philipp II. 1588 gegen England entsandte, und
verlor auf derselben Expedition einen Bruder. Kein Wunder, dass er
eine Dragontea (1597) schrieb, ein Gedicht auf Drake, das aber
mit dem Gedicht Fitzgeffrey's nur den Helden gemein hat. Lope's
Gedicht ist eine leidenschaftliche Schmähschrift gegen Drake und
die Königin Elisabeth. Ebenso behandelte er in seiner Corona
trägica das Schicksal der Maria Stuart in einer von den eng-
lischen Anschauungen grundverschiedenen Weise. In diesem Ge-
dichte, das gleichfalls Schmähungen gegen Elisabeth enthält, wird
Maria als die reine Märtyrerin der katholischen Religion geschil-
dert. „Wer den Nationalhass der Spanier gegen die Engländer
in seiner ganzen Energie kennen lernen will, sagt Schack c. 1.,
lese Lope's Dragontea und Corona trägica, und die Ode al arma-
mento de Felipe TL. contra Inglaterra von Göngora". Auch wissen
wir, dass Lope in seiner Arcadia nicht Sidney, sondern Cervantes
nachgeahmt hat. Dass ersterer nicht die Quelle Lope's sein
konnte, ergiebt sich schon aus der Abfassungszeit der beiden
Gedichte: Lope's Arcadia ward 1585 verfasst (cf. Klein, IX, 535),
Sidney's aber erst 1598; ausserdem lagen derartige Schäferromane
im Geschmack der damaligen Zeit. Von Robert Greene aber
wissen wir, dass er in Spanien gereist war (cf. R. Greene's Works,
by A. Dyce. London 1831. Vol. L Preface); somit könnte man
eher auf einen Einfluss, den Lope auf Greene geĂĽbt, schliessen,
als umgekehrt.
FĂĽr Shakespeare selbst fĂĽhrt Elze an, dass Lope im Animal
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de Ungria ein spanisches Schiff in Ungarn landen lasse, was an
die bekannte böhmische Küste im Wintermärchen erinnere. Dies
wĂĽrde aber doch weiter nichts beweisen, als dass beide Dichter
es mit der Geographie gleich leicht genommen haben. — Wenn
Elze ferner erwähnt, dass Graf Gondomar, der 1613 — 1622 spani-
scher Gesandter in London war, englische BĂĽcher nnd Manuscripte
nach Spanien geschafft habe, so kann dies wenigstens auf unser
StĂĽck keinen Einfluss ausgeĂĽbt haben, da die Castelvines y Mon-
teses, wie wir wissen, sicher vor 1603 verfasst sind. Wenn end-
lich Elze fragt: „Kann nicht Lope de Vega ebensowohl einige
Kenntniss der englischen Sprache und Poesie besessen haben?",
so mĂĽssen wir wohl nach Schack mit einem entschiedenen Nein
antworten. Die Geistesproducte fremder Völker mit Ausnahme
der Italiener und Portugiesen wurden aus religiösen Beweggründen
streng von dem erzkatholischen Spanien ferngehalten. Namentlich
aber verabscheute man alles, was aus England, dem Lande der
Erzketzer, kam. Wir haben bereits erwähnt, dass Lope hierin
keineswegs seinen Landsleuten ĂĽberlegen war, dass er vielmehr
ihren Anschauungen wiederholt Ausdruck gab. So drang die eng-
lische Sprache nur spät erst in Spanien ein. Noch im Jahre 1754
soll es kein einziges englisches Buch in spanischer Uebersetzung
gegeben haben. Jedenfalls dĂĽrfen wir fĂĽr das Ende des 16. Jahr-
hunderts einen Einfluss englischer Poesie auf die spanische nicht
annehmen.
Der Vertreter der andern Ansicht, dass Shakespeare Lope's
Drama gekannt und benutzt habe, ist Klein. Und es lässt sich
nicht leugnen, dass man fĂĽr seine Ansicht mehrerlei geltend
machen kann.
Spanische Romanzen waren am Ende der Regierung der Eli-
sabeth in England vielfach verbreitet (cf. Drake, c. 1. I, p. 570),
ebenso spanische Novellen, die mehrfach Stoff zu Dramen her-
geben mussten. Schack citirt eine ganze Reihe von Dramen
von Beaumont und Fletcher, deren Plan aus spanischen Werken
geschöpft ist (II, p. 53). Dasselbe wissen wir von spanischen Co-
mödien: cf. Collier, History of English Draniatic Poetry II, 419:
/ may boldly say it — fliat conwdies in Latin, Frenck, Italian, and
Siwnish, have heen thoroughly ransacked to furnish the playhonses
in London. Auch wurden zu Shakespeare's Zeit bereits spanische
StĂĽcke zu London in englischer Bearbeitung aufgefĂĽhrt. Dagegen
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205
muss selbst Schack zugeben (c. I. p. 54), dass sich unter den
Dramen von Shakespeare's Zeitgenossen von keinem mit Be-
stimmtheit behaupten lasse, es sei einem spanischen nachgeahmt.
„Unzweifelhafte Entlehnungen dieser Art kommen erst in der Zeit
Karl's IL vor." Es lässt sich nicht leugnen, dass vielfach Bei-
spiele von Uebereinstimmnng vorkommen; so, um nur einige der
bekanntesten anzufĂĽhren, zwischen Beaumont und Fletcher's Maid
of the Mill und Lope's Quinta de Florencia; zwischen Webster's
Duchess of Malfy und dem Mayor domo de la Duquesa de Amalfi
des Lope. Aber v. Schack weist darauf hin, dass sich diese
ebenso gut durch die gemeinsame Entlehnung aus derselben No-
velle erklären lassen; beide erwähnten Stücke des Lope sind nach
italienischen Novellen gedichtet. Trotzdem hält er es für höchst
wahrscheinlich, dass die Werke der spanischen Dramatiker in
England zur Zeit der Elisabeth bekannt gewesen seien und möchte
dies namentlich fĂĽr Lope annehmen.
So hat man denn auch bei Shakespeare eine ganze Reihe von
Anklängen an spanische Stücke constatiren zu müssen geglaubt.
Shakespeare's Twelfth Night soll an die anonyme Comödie La
Espanola en Florencia (die aus Bandello entlehnt ist), sein Winten' 8
Tale an El marmol de Felisardo, .As you liJce it an Las flores de
Don Juan (Klein, X, 106), AlVs well that ends well an La Her-
mosura aborrecida (Klein, X, 155), Taming of the Slirew an El
caballero de Olmedo (Klein, X, 435), und schliesslich Tiie two
Oentlemen of Verona an mehrere spanische StĂĽcke erinnern. Von
dem letztgenannten StĂĽck behauptet Carriere (Jahrbuch der Deut-
schen Shakespeare - Gesellschaft VI, p. 367), dass es „wie eine
Verwebung mannigfacher spanischer Motive erscheine". Zwar
weiss er kein bestimmtes Drama als Vorbild Shakespeare's anzu-
fĂĽhren, meint aber, gewisse ZĂĽge mĂĽsse er aus spanischen Dramen
entlehnt haben. Carriere nimmt somit ohne weiteres an, dass
Shakespeare eine ziemlich ausgebreitete Kenntniss der gleich-
zeitigen spanischen Literatur gehabt haben mĂĽsse. Er glaubt,
der Umstand, dass Julia ihrem Proteus in Männertracht folgt, sei
ein spanisches Motiv. Als ob derartiges nicht auch in italienischen
Novellen vorkäme. Ich erinnere nur daran, dass gleich bei da
Porto und Bandello Julia ihrem Romeo in Männerkleidern folgen
will. Und fast von allen andern oben erwähnten Stücken wissen
wir, dass Shakespeare sie nach italienischen Novellen, resp. eng-
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lischen Nachbildungen solcher gedichtet hat. Twelfth Night stammt
aus Bandello, Winter' s Tale floss zunächst aus Robert Greene's
Pleasant History of Dornst es and Fawnia, dem wohl eine uns unbe-
kannte Novelle, aus der auch Lope geschöpft hat, zu Grunde lag
(dies nimmt wenigstens Schack II, 338 an). As you like it
stammt zwar zunächst aus Thomas Lodge's Bnsalynd, Euphttes
Golden Legacy, 1598, oder aus The Coke's Tale of Gamelyn. Auch
hier nimmt Klein (X, p. 106) an, dass diese wiederum aus einem
französischen Oonte geflossen sind, dem auch Lope folgte. AIVs
well that ends well stammt aus Boccaccio, vermittelst Paynter's
Palace of Pleasure. Taming of the SJireiv ist nach den Menächmen
des Plautus gedichtet, die Shakespeare aus einer englischen Ueber-
setzung kennen lernte.
So finden wir eine ganze Reihe von Beispielen für die höchst
interessante Erscheinung, dass italienische Novellen ihren Weg,
zuweilen ĂĽber Frankreich, zugleich nach England und Spanien
nahmen und in beiden Ländern fast gleichzeitig zu Dramen ver-
arbeitet wurden. Es ist leicht, noch mehr Beispiele zu obigen
hinzuzufĂĽgen. So findet sich der Stoff zu La Quinta de Florencia
und dem Maid of the Mill bei Bandello und Belleforest, und dann
in spanischen und englischen Dramen. Ein anderes Beispiel ent-
nehme ich den neuerdings erschienenen FĂĽnfzehn Essays von H.
Grimm, Neue Folge, Berlin 1875. In einer Abhandlung ĂĽber Shake-
peare's Sturm in der Bearbeitung von Dryden und Dayenant,
weist Grimm Aehnlichkeiten zwischen Shakespeare's Sturm und
und einigen Scenen im Cymbeline und einem StĂĽck des Calderon
nach. Er nimmt aber nicht an, dass Calderon sein StĂĽck aus
den beiden genannten Dramen Shakespeare's zusammengeschmiedet
hat, findet es vielmehr zweifelhaft, ob Shakespeare ĂĽberhaupt zu
Calderon's Zeit in Spanien bekannt gewesen sei. Indem er
„märchenhafte Grundelemente" in beiden Stücken nachweist, glaubt
er, dass beide aus derselben Quelle schöpften, dass beide auf die
gleiche novellistische Grundlage zurĂĽckgefĂĽhrt werden mĂĽssten.
Nun weiss er zwar keine bestimmte Novelle als Quelle zu nennen,
erinnert aber daran, dass die Idee von der himmlischen Unwissen-
heit der Jugend uralt sei und sich bereits in indischen Sagen,
dann in griechischen Mythen, ferner in Baarlam und Josaphat,
und endlich auch in den Cento Novelle finde. Wie das Märchen
dann aus Italien nach Spanien und gar nach England gekommen
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sei, lasse sich freilich nicht nachweisen, doch mĂĽsse gewiss mĂĽnd-
liche Ueberlieferung angenommen werden. — Man sollte deshalb
mit der Annahme, englische StĂĽcke seien aus spanischen entlehnt,
recht vorsichtig umgehn; wie leichtsinnig man aber bei derartigen
Vergleichungen gewesen, möge ein Beispiel zeigen. Es ist ver-
muthet worden, dass die Stelle im Hamlet:
TJie nndiscovered country, from xvhose boimi
No tra veller r et ums
aus der spanischen Romanze Palmerin d'Oliva entlehnt sei, wo
sich ein ähnlicher Gedanke findet: Before he took Iiis journey
wherein no weature returneth againe; man hat dann auch höchst
gelehrt nachgewiesen, dass von dieser spanischen Ballade bereits
1588 eine englische Uebersetzung existirt habe (Drake, c. 1. I,
570), aber ganz ĂĽbersehn, dass obiger Gedanke Gemeingut un-
zähliger Dichter seit den ältesten Zeiten gewesen; so findet er
sich bereits bei Catull c. Hl: illuc unde negant redire quemquam.
Elze (Shakespeare's Hamlet, Leipzig 1857, p. 186) bemerkt mit
richtigem kritischen Tact zu der Stelle: „Es giebt viele Gedanken,
welche allen Dichtern fast in denselben AusdrĂĽcken in die Feder
fliessen, ohne dass sie darum einer vom andern entlehnt hat."
Demnach beweisen obige Anklänge Shakespeare's an spanische
StĂĽcke keinen spanischen Einfluss, sie beweisen nur, dass eine
gemeinsame Quelle vorhanden war. Nicht aus entlegenen Ländern
pflegte Shakespeare seine Stoffe herzunehmen. In den StĂĽcken,
die italienischen Novellen entstammen, folgt er doch nicht diesen,
sondern englischen Uebersetzungen oder Bearbeitungen: so in
Cymbeline, Mercliant of Venice, Measure for Measure, Much Ado
about Nothing (die letzteren zwei vermittelst Belieferest, wie bei
Romeo and Juliet). Er griff vielmehr nach dem Nächstliegenden,
zu Stoffen, die zu seiner Zeit recht volksthĂĽmlich waren, und
schuf aus oft unscheinbaren Erzählungen seine grossen Meister-
werke.
Dazu kommt noch, dass die spanische Sprache zu jener Zeit
in England fast noch unbekannt war. Erst 1590 erschien eine
englische Uebersetzung einer spanischen Grammatik nebst Lexicon
von John Thorins, und 1591 die erste spanische Grammatik mit
Lexicon, verfasst von Richard Percival (cf. Warton, History of
English Poetry IV, p. 335). Wir mĂĽssten somit annehmen, dass
Shakespeare einer der ersten gewesen, die in England die spanische
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Sprache erlernt haben. Dies ist nicht wahrscheinlich, wenn man
erwägt, dass Shakespeare wenn auch keinen Nationalhass, so doch
wahrlich nichts weniger als Vorliebe fĂĽr Spanien gezeigt hat.
Sein Don Armado in Love's Labour Lost ist ein Bild des spani-
schen Renommisten ; und mit Recht vermuthet Elze (Jahrbuch der
Deutschen Shakespeare - Gesellschaft X, p. 122), dass der Name
ein absichtlicher Anklang an die Armada ist. Ein weiterer
Seitenhieb auf die Spanier ist the Great pirate Valdes (Pericles
IV, 1); dies ist nämlich der Name eines von Drake gefangen ge-
nommenen Admirals: Don Pedro Valdes.
Gleichwohl hat Klein (X, 340 fgg.) versucht nachzuweisen,
dass Shakespeare's Romeo and Juliet directe Entlehnungen aus
spanischen StĂĽcken enthalte, wenn er auch bescheiden sagt, er
wolle mit einer solchen Behauptung noch hinter dem Berge halten,
„um nicht die Holzköpfe von der Shakespeare-Gelehrsamkeit vor
den Kopf zu stossen". So soll (VIII, 859) die alte spanische
Comedia Celestina den Stoff zu dem Wechselgespräch zwischen
Romeo und Benvolio 1,1, wo dieser dem betrĂĽbten Verliebten gute
Rathschläge giebt, geliefert haben. Dabei vergisst Klein ganz,
dass jene Worte Benvolio's:
Be raled by me, forget to thirik of her, und
Examine other beauties etc.
fast wörtlich aus Brooke entlehnt sind. Noch ärger ist es, wenn
er annimmt, die Worte ET, 1:
I conjure thee by RosaUne's bright eycs,
By her high forchead and her searlet Up,
By her fine foot, straight leg etc.
erinnerten an Calisto's Schilderung der Reize Melibea's, und die
betreffende Stelle der Celestina wörtlich übersetzt abdruckt. Als
ob dergleichen nicht jeder Liebhaber an seiner Geliebten zu
rĂĽhmen wisse.
Vor allem aber glaubt Klein, dass Shakespeare folgende ZĂĽge
zu Romeo aml Juliet dem entsprechenden StĂĽcke Lope's ent-
lehnt habe:
1) Klein sagt, Shakespeare und Lope lassen beide die ĂĽber
Romeo's Erscheinen auf dem Ball ergrimmten Feinde dadurch be-
sänftigt werden, dass man ihnen bedeutet, der Jüngling sei von
edlen Sitten und ohne Arg eingetreten; bei Shakespeare I, 5 sagt
der alte Capulet zu Tybalt:
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- 209 -
Content thee, gcntle coz, let him ahne;
He bears him like a portly gentleman;
And, to say truth, Verona brags of him
To be a virtuous and well govern'd youth:
I tvould not for the wealth of all the toivn
Here in my house do him disparagement.
Bei Lope I, 2 beruhigt Teobaldo den Antonio mit diesen Worten:
Tins youth a noble nature doth unfold,
Though but of thoughtless age he is;
He knows no venom of that cursed hate
So madly cherish'd by our rival hin,
And seeing that we joyous revels hold,
He boldly comes to share them.
He comes in boyish confidcnce and truth.
Einmal wird bei Shakespeare die jugendliche Unbedachtsam-
keit Romeo's gar nicht mit erwähnt, und hält bei Lope Teobaldo
den Antonio zurück, während bei Shakespeare viel tactvoller der
Hauswirth selbst den ungestĂĽmen Tybalt zĂĽgelt. Dann findet sich
derselbe Gedanke bereits in den Novellen, von Bandello an. Ban-
dello: tuttavia, perche Romeo oltra ch'era bellissimo era anco gio-
vanetto molto costumato e gentile, era generalmente da tutti
amato; i suoi nemici poi non gli ponevano cosi la mente, come
forse haverebbono fatto s'egli fosse stato di maggior' etate: p. 4.
Boaistuau: les Capellets dissimulans leur hayne ou bien pour
la reverence de la compagnie, ou pour le respect de son aage, p. 35.
Brooke (p. 12.):
The Cainlets disdayne the yresence of theyr foe,
Yet they suppresse theyr styrred yre, the cause I doe not knoive:
Pelhams toffmd theyr gestes the conrteous knights are loth,
Perhays they stay from sharpe reuenge, dreadyng the Pmiccs tvroth.
Perhaps for that they shamd to cxercise theyr rage:
Wiihin their house, gainst one ahne, and him of tender age.
{ The Capilets disdain the presence of their foe' ĂĽbersetzt Klein
(p. 341): „Die Capulets achten nicht auf ihres Parteifeindes Gegen-
wart": sie achten wohl auf sie, unterdrĂĽcken aber ihren Grimm
darüber. —
Paynter: TJie Capellets, dissembling their mallice, either for
the honor of the Company, or eise for respect of hĂĽ age, did not
misuse him cytlier in ivorde or decde. p. 92.
Jahrbuch XI. 14
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— 210 —
2) soll Shakespeare folgenden Zug dem Lope danken; bei
diesem ruft Roselo, als er erfährt, wer Julia sei, I, 2:
Great Heaven, why a Montes I?
Why not Castelvin born as yon sweet maid?
Ebenso ruft Julia, als Celia ihr sagt, der JĂĽngling, den sie liebe,
sei Roselo, Arnaldo's Sohn, Lord of the hause Montesi:
Oh Celia, say not so! oh, grief! oh, tears!
Oh, misery and woe!
Aehnlich bei Shakespeare I, 5, wo Romeo sagt:
Is she a Capulet?
0 dear account! my life is my foe's debt.
Und Julia ruft II, 2:
0 Romeo, Romeo! wherefore art tlwu Romeo?
Deny thy father and refuse thy navie; .
Or, if thou wilt not, be but sworn my love,
And TU no longer be a Capulet
Auch dies findet sich vorher bereits bei Bandello, p. 6; so heisst
es von Romeo, als er die Herkunft Julia's erfährt: di questo si
trovö forte di mala voglia, stimando cosa perigliosa e molto dif-
ficile ä poter conseguir desiderato fine di questo suo amore; und
ebenso gleich darauf Julia: al cognome del Montecchio rimase
meza stordita la giovane, disperando di poter' ottener per sposo
il suo Romeo, per la nemichevol gara, chera tra le due famiglie. —
Boaistuau: lequel (Romeo), indigne outre mesure de quoy la
fortune l'-avait adresse en lieu si perilleux, iugeoit en soymesme
qu'il estoit presque impossible de mettre fin ä son entreprinse:
p. 37; und von Julia: la pucelle au seul nom de Montesche de-
meura toute confuse, desesperant du tout de pouvoir avoir pour
expoux son affectionne Rhomeo, pour les anciennes inimitiez d'entre
les deux familles. — Ferner Brooke (p. 15) von Romeo:
TJms hath his foe in clwyse to geue him lyfe or death,
That scarsely can his wofiill Irrest Iceepe in the. liuely breath.
Wherfore with piteous plaint feerce fortune doth he blame,
That in his ruth atul ivretched plight doth seek her laughing game.
und von Julia:
The woord of Montegew, her ioyes did ouerthrow,
And straight in stcade of happy hope, despayre began to groive.
What hap haue I quoth she, to loue my fathers foe?
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- 211 —
Pa} T nter sagt von Romeo: who wroth beyonde measure that fortune
had sent Mm to so dangerous a place, thought it impossible to bring
to end his enter prise begon; und von Julia: But the mayden at
the onely name of Montesche was altogyther amazed, despayrynge
for ever to attayne to hasband hir great affectyoned fryend RJiomeo,
for the annoyent hatreds between those two f amilies: p. 95 fg. —
3) Bei Lope und Shakespeare finden sich in der Garten-
resp. Balconscene die Worte der Julia: Schwöre nicht.
Lope I, 4: Jul. Look that thou no promise dost forget.
Roselo. Nay, this I swear, forgetting such
May heaven desert me at my need.
Jul. Swear not, for I have read
That ready swearers have
Scant credit with the world or God.
Shakesp. II, 2: Rom. Lady, by yonder blessed moon I swear
That ti})s with silver all these fruit-tree tops.
Jul. 0, swear not by the moon etc.
Rom. WJiat shall I swear by?
Jul. Do not swear at all,
Well, do not swear.
Bei Bandello findet sich nichts entsprechendes, wohl aber bei
Brooke p. 20:
But that in it, you might I loue, you honor, serue and please,
Tyll dedly pangs the sprite out of the coips shall send:
And thereupon he sware an othe, and so his tale had ende.
Julia wehrt ab: AJi my deere Romeus, keepe in those woords
(quod she) etc.; er soll ihr seine Liebe gestehen in few vnfained
woords. Aehnlich Paynter; Romeo verspricht: to love, serve, and
honor you, so long as breath slial remaine in me; und Julia ant-
wortet: Syr RJiomeo, 1 pray you not to renne that grief agayne;
sie ersucht ihn to declare unto her in fewe wordes what his
determynation is to attaine.
Ebenso sagt bei Boaistuau (p. 39), als Rhomeo ihr seine
Liebe zusichert, Julia, er solle ihr „exposer en peu de paroles
quelle est sa deliberation pour Tavenir". — So stehen in den No-
vellen die eidlichen Versicherungen Romeo's den fewe woords
gegenüber, die Julia von ihm verlangt; sie weist jene zurück. —
4) Am Ende des Ballfestes ruft der alte Capulet bei Lope
und Shakespeare: Fackeln her, wovon in den Novellen nichts stehe.
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Lope: Teobaldo. Already dance and revel cease.
Antonio. Torches, ho! torclies, here.
Teobaldo. Farewell etc. I, 2.
Shakesp. I, 5 : Cap. I thanlt you, honest gentlemen, good night.
More torches here! Come on then, let's to bed.
Bei Bandello wird p. 5 il ballo del torchio erwähnt; und p. 6
eilt Giulietta, als die Gäste nach Hause gehen, mit ihrer Amme
in ein Zimmer, das nach der Strasse hinausfĂĽhrt, um sich nach
Romeo zu erkundigen; e fattasi alla finestra che per la strada da
molti accesi torchi era fatta chiara: p. 6. Ebenso findet sich
bei Boaistuau ein bal de la torche und werden beim Scheiden den
Gästen Fackeln vorgetragen: Qui sont ces deux iouvenceaux, qui
sortent les premiers avec deux torches devant? fragt Juliette p. 37.
Bei Brooke wird der „torches daunce" erwähnt, p. 15; dann
fragt Juliet die Amme:
What twayne are those (quoth she) ivhich prease vnto the doore,
Whose pages in theyr hand doe beare, two toorches light before? p. 16.
Bei Paynter wird gleichfalls der daunce of the torche erwähnt;
ferner fragt Julietta die Amme : Mother, what two yong gentlemen
J>e they which first goe forth with the two torches before them?
Ueberall werden also beim Scheiden der Gäste aus dem
Hause Fackeln erwähnt; es ist demnach durchaus nicht auffällig,
dass Lope und Shakespeare ĂĽbereinstimmend den alten Capulet
als den Hauswirth nach Fackeln zum Hinausleuchten der Gäste
rufen lassen. —
5) Lope's 1. Akt schliesst mit einem Rufe hinter der Scene,
gesprochen von Marin:
Marin (ivithout). Come, master, or Tm off, alone.
Es ist am Ende der Gartenscene; Marin fordert Roselo auf zu
fliehen, da Leute kommen. Bei Shakespeare ruft bei dem Zusammen-
treffen von Romeo und Juliet in Capulet's Garten II, 2 die Amme
(within): Madam! Auch dies hält Klein für eine Nachahmung.
In den Novellen findet sich etwas entsprechendes freilich nicht;
aber bei Dramatisirung derselben gab ein solches Unterbrechen der
Unterredung zwischen den beiden Liebenden eine gute Gelegen-
heit die Scene abzuschliessen. Dies bot sich einem gewandten
dramatischen Dichter von selbst dar, und braucht Shakespeare
derartiges wahrlich nicht erst von Lope gelernt zu haben. —
6) verweist Klein auf die Gleichheit im Strassenkampf (Lope
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II, 1; Shakespeare III, 1); so auf Romeo's Apostrophe an Julia;
bei Shakespeare:
— 0 sweet Juliet,
Thy beanty hath made me effeminatc
And in my temper soften' d valour's stcel!
Aehnlich gedenkt Roselo bei Lope in dieser Kampfscene Julia's:
Roselo (apart to Anselmo). Anselmo, go my father teil,
And say I hold for Julia's sake ahne,
Although my blood denies her hin and house.
Anselmo (apart to Roselo). No need of words, I see
That love doth blind thee.
Als Roselo vorschlägt, Otavio solle die Andrea Montes und er
die Julia Castelvin heirathen, entbrennt der Kampf erst recht
heftig; da zieht Roselo endlich das Schwert, indem er beiseite
spricht:
Oh Julia niine otvn love, forgive, forgive.
Out, villain! Know, that no coward's arm I otvn,
One holds me back, who love my soul hath taught.
Bei Bandello steht hiervon nichts, wohl aber bereits bei Luigi da
Porto : alla sua donna rispetto havendo di percuotere alcuno della
sua casa si guardava. Dann bei Boaistuau, wo p. 44 Rhomeo
zu Thibault spricht: je te prie de croire, qu'il y a quelque autre
particulier respect, qui m'a si bien commande jusques icy,qui je me
suis contenu, comme tu vois. Ebenso Paynter, p. 104: And if thou
thinkest that for default of courage I have fayled myne endevor,
thou dost greate wronge to my reputacion. And impute thys my
suffrance to some other perticuler respecte, rather tlian to tvante of
stomacke. Ebenso Brooke (p. 34), wo Romeus zu Tybalt spricht:
Thou doest me xvrong (quoth he) for I but part the frage;
Not dread, but other waighty cause my hasty hand doth stay.
In derselben Scene ist Folgendes zu beachten: In den Novellen
gerathen Romeo und Teobaldo unmittelbar aneinander. Lope
schiebt den Otavio, Roselo's Nebenbuhler, an Tybalt's Stelle;
nicht Teobaldo, der Onkel Julia's, wird erschlagen, sondern Otavio,
den er selbstständig als den Rivalen Roselo's erfunden. Bei Shake-
speare, der in dieser Scene sich an keinen der Vorgänger eng
angeschlossen hat, beginnen Mercutio und Benvolio den Kampf;
Mercutio wird von Tybalt erschlagen. Um Romeo noch mehr zu
entschuldigen, lässt er erst dessen Freund erschlagen werden, ehe
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er selbst wüthend zieht und den Tybalt tödtet. Während der
Tebaldo Lope's der Onkel der Julia war, ist Shakespeare's Tybalt
wie in den Novellen ihr Vetter (Paynter: cosin germayne toJulietta;
Brooke: our Julieis unkles sonne, that cliped was Tibalt; cugino
di Oiulietta bei Bandello). Der Rival Romeo's wird bei Lope so
wie bei Shakespeare erschlagen. Aber während dies bei ersterem
Otavio ist, den er selbstständig erfunden (er ist der Vetter der
Julia: I, 2 sagt Teobaldo: 'twoidd be a happy day for
That sees fair Julia wed Otavio.
Antonio: They're coasins, true), ist es bei Shakespeare wie in den
Novellen Tybalt. So folgt er den Novellen und nicht Lope. —
Uebrigens wird in den Novellen erwähnt, dass, als Romeo in den
Kampf eingreift, bereits mehrere gefallen waren. Bandello p. 12:
giä erano per terra due ö tre per banda caduti ; Boaistuau p. 43 :
il y en avoit plusieurs blessez des deux costez. Brooke p. 33:
They pittie mach to see the slaughter made so greate,
That wetslwd they might stand in blood on eyther side the streate.
Paynter, p. 103: After he had well advised and beholden many
wounded and hurt on both sides. —
7) Bei Shakespeare sagt Julia in dem Schlummertranksmonolog
IV, 3, 30 fg.:
How if, when I am laid into the tomb,
I wake before the Urne that Romeo
Come to redeem me? —
Where, for these many hundred years, the bones
Of all my buried ancestors are pack'd:
Where bloody Tybalt, yet but green in earth,
Lies etc.
Auch diese ZĂĽge soll Shakespeare dem Lope entlehnt haben, der
Akt m, 2 den Roselo, als er durch Anselmo von dem Begräbniss
und zu erwartenden Wiedererwachen Julia's hört, sagen lässt:
I tremble at thy words, Anselmo. Should
She awdke amid the silent trappings of the dead,
White we can scarcely, winging way through air,
Be at the church ere she awakes,
Will she not die of fear?
Aber dies dankt Shakespeare offenbar den Novellen; so bereits
bei Bandello p. 20: Se le cominciö ä rappresentar nell' imagi-
natione Tebaldo, del modo che veduto l'haveva ferito nela gola
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tutto sanguinolente: e pensando che ä lato ä queilo, ö forse ad-
dosso sarebbe sepellita, e che in quel monimento erano tanti corpi
di morti etc. Oime, che voglio io fare? ove voglio lassciarmi
porre? Se io mi destassi prima che il frate e Romeo vengano,
che sarä di me? potro io sofferire quel gran puzzo che deve
render' il corpo di Tebaldo etc. Auch die serpe und mille vermi
werden wie bei Shakespeare erwähnt; ebenso bei Boaistuau ser-
pens et autres bestes venimeuses; und er sagt von Juliette: il luy
sembloit avis, qu'elle voyoit quelque spectre ou fantosme de son
cousin Thibault, en la mesme sorte qu'elle l'avoit veu blesse, et
sanglant: p. 55.
Brooke p. 70: And what know I (quoth she) if serpentes odious,
And other beastes and wormes that are of nature venomous etc.
Oy how sliall I —
Endure the loathsonie stinke of such an heaped störe
Of carkases, not yet consumde, and bones that long before
Intombed were, where I my sleping place shall haue,
Where all my auncestors doe rest, my kindreds common graue ?
Sliall not the fryer and my Romeus, when tliey come,
Fynd me (if I awake before), ystifled in tlie tombe?
Dann denkt sie an Tybalt. —
Paynter p. 120: WJiat know I moreovcr, if the serpents and otJier
venemous and crauling tvormes etc. But how shall I endure tJie
stynche of so many carions and bones of myne auncestors whych rest
in the gram, yf by fortune I do awake before RJwmeo and fryer
Lawrence doe come to help me? — She thought that she saiv a cer-
tayn vision or fansie of her cousin Uiibault etc.
So weit Klein; es liesse sich aber noch mehr fĂĽr eine Ent-
lehnung Shakespeare's aus Lope geltend machen:
8) Lope und Shakespeare lassen Julia als Grund ihrer Thränen
Trauer um den erschlagenen Verwandten angeben. So Shake-
speare III, 5; Lope II, 2. Anders bei Paynter p. 111. Als die
Mutter zu ihr sagt: Think no more upon the death of your cosin
Thibault, antwortet sie: Madame, long Urne it is sithens the last
fear es for Thibault were powred forth; worauf die Mutter glaubt,
sie sei deshalb betrĂĽbt, dass ihre Freundinnen alle verheirathet
seien, sie aber noch nicht. Aehnlich bei Brooke p. 55: Madame,
the last of Tybalts teares a great ivhile since I shed.
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Bei Bandello p. 14 antwortet Giulietta der Mutter non saper
che cosa s'havesse; auch diese glaubt die Ursache ihrer Thränen
darin gefunden zu haben, dass ihre Freundinnen frĂĽher als sie
verheirathet seien.
Bei Lope dagegen sagt Julia:
Have I not cause to be abroad, and with despair
To weep Otavio's cruel death
In red-eyed silence with the stars?
MerkwĂĽrdigerweise hat der erste dramatische Bearbeiter der
Romeo- und Julia-Sage, Groto, denselben Zug. Bei ihm räth die
Amme der Hadriana, die Trauer um den erschlagenen Bruder als
Vorwand zu benutzen, um den eigentlichen Grund ihrer Thränen,
die Liebe zu Latino, zu verdecken. Und doch kann schwerlich
von einem EinflĂĽsse Groto's auf Shakespeare die Rede sein.
9) Bei Lope hat Paris bereits vor der Ermordung Otavio's
um Julia's Hand angehalten: Akt II, 2:
Connt Paris did entreat me for her hand,
Ere he did joxmxey with the Duke.
Ebenso bei Shakespeare bereits I, 2:
Biet now, my lord, what say you to my mit?
In den Novellen hingegen wirbt Paris erst um Julia's Hand,
als deren Vater einen Gemahl fĂĽr sie sucht, um ihren Kummer
zu stillen. Bandello p. 15: In questo tempo (als die Eltern daran
denken für Julia einen Mann zu suchen) fu messo per le mani ä
messer' Antonio il conte Paris — ; e pratticandosi questo partito
con non poca speranza di buon fine, messer' Antonio lo disse alla
moglie, parendole cosa buona e molto honorata, lo disse alla figliuola ;
ebenso bei Boaistuau p. 50, Brooke p. 57 und Paynter p. 112.
Auch diese Abweichung von den Novellen bot sich freilich dem
Dramatiker, der den Stoff enger verbinden und ineinander ver-
flechten soll, von selbst dar. —
Nach dem Auseinandergesetzten können wir Klein nicht Recht
geben, wenn er meint, Shakespeare sei von Lope beeinflusst wor-
den. Ebensowenig dĂĽrfen wir mit Klein auf eine Wechselwirkung
zwischen Shakespeare und Rojas schliessen, weil bei diesem Romeo,
bei jenem Julia die Nacht anruft, ihren Gang zu beschleunigen.
Vielmehr scheint uns Klein von jener Sucht nach Parallelstellen
ergriffen zu sein, die in der classischen Philologie so viel Unheil
angerichtet hat. Freilich fand sich manches in den Novellen in
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anderer Form als in den Dramen; dies ist aber durch die ver-
schiedene Natur der beiden bedingt. Was dort schlicht erzählt
wird, muss hier handelnden Personen in den Mund gelegt werden.
Der Dramatiker gebraucht, um die Handlung zu beleben, mehr
Personen als der Novellenschreiber; der Stoff muss anders ange-
ordnet werden. Hier liegt die Möglichkeit sehr nahe, dass zwei
Dramatiker, welche derselben Novelle folgen, dieselben dramati-
schen Kunstmittel in Anwendung bringen, ohne von einander zu
wissen.
So haben Calderon und Schiller die bekannte Geschichte von
Rudolf von Habsburg behandelt, und Viehoff (Schiller's Gedichte
II, 300) weist eine Aehnlichkeit zwischen beiden Bearbeitungen
der Erzählung nach. Er hütet sich aber wohl daraus zu folgern,
dass Schiller Calderon nachgeahmt habe, sondern fĂĽgt weise hinzu:
„Und hierin traf er, gewiss ohne es zu wissen, mit Calderon
zusammen".
Sollte aber wirklich von einem Einfluss Lope's auf Shake-
speare die Rede sein, so hätte er sich doch wohl in wichtigeren
als in jenen unbedeutenden Nebendingen gezeigt. Aber welche
unendliche Verschiedenheit herrscht hier zwischen den beiden Dra-
matikern! Wie viel feine ZĂĽge, welche die Sage bot, hat sich
Lope entgehen lassen, während Shakespeare sie zu den herrlichsten
Scenen benutzt hat. So fehlt bei Lope jenes feine psychologische
Motiv, dass Romeo, ehe er Julia kennen lernt, bereits in ein
andres Mädchen verliebt ist, gänzlich. Bei Shakespeare geht
Romeo auf den Maskenball von der Liebe zu Rosalinde verleitet;
bei Lope aus reiner Abenteurerlust. Bei diesem kennt Roselo die
Julia schon, als er sie sieht; bei Shakespeare verliebt er sich in
dieselbe, ohne zu wissen wer sie ist. Lope lässt den alten An-
tonio selbst auf Roselo losstĂĽrmen; bei Shakespeare ist es der
Heissspom Tybalt, der von dem Hausherrn taktvoll zurĂĽckgehalten
wird, einen Gast zu beleidigen. Dieser lässt Romeo und Juliet
bei ihrem ersten Zusammentreffen nur wenig Worte wechseln ; bei
Lope verabreden sie nach langem Zwiegespräch sofort ein Rendez-
vous. Lope's Roselo ist ein leichtsinniger JĂĽngling, der spielt
und die Nächte umherschwärmt; Shakespeare' s Romeo ist ein
schwärmerischer Liebhaber. Roselo plaudert seine Liebe sofort
allen Bekannten aus; Romeo verbirgt sie keusch vor aller Welt
in seinem Herzen. Lope lässt nur erzählen, dass Roselo Nachts
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sich mit Julia treffe; Shakespeare giebt uns nach Andeutungen
der Novellen dafĂĽr die wundervolle Balconscene. Lope wusste die
Gestalt des Mönchs nicht zu verwerthen; bei Shakespeare ist seine
ehrwĂĽrdige Erscheinung eine Hauptzierde des Dramas. Sollte
Shakespeare Lope's Drama wirklich gekannt haben, so mĂĽssen
wir ihn auch noch deshalb bewundern, dass er aus demselben
nichts entlehnt, sich vielmehr an die hochpoetische Novelle Brooke's
angeschlossen hat. — Daniel erwähnt in seiner soeben erschienenen
Abhandlung ĂĽber die Quellen zu Shakespeare's Romeo and Juliet
der spanischen StĂĽcke mit keiner Silbe; und er thut wohl daran.
Noch eins bleibt zu erwägen übrig: man hat neben Brooke
auch Paynter als Quelle Shakespeare's bezeichnet. So sagt Delius
in der Einleitung zu dem Stück: „Shakespeare hat sich näher
dem Gedicht A. Brooke's angeschlossen, als der Novelle Paynter's,
obwohl kein Zweifel sein kann, dass auch diese ihm vorlag." Ich
wüsste nichts anzugeben, was für eine Benutzung Paynter's spräche,
als den Namen Romeo, der ja bei Brooke Rorneus heisst, und die
Erwähnung der 40 ducates, welche Romeo dem Apotheker giebt.
Bei Paynter sind es wie bei Boaistuau 50 ducates; bei Brooke
dagegen, der selbst die Geldsorten englisch angiebt: 50 crownes
of gold. Wie wenig ĂĽbrigens Shakespeare auf dergleichen Neben-
dinge giebt, ersehen wir daraus, dass er in der ersten Recension
von 1597 nur twentie duckates angiebt, dass er Sainct Frauncis
in St. Peter 's Church umwandelt, und Juliet 14 Jahr alt sein
lässt, während sie bei Brooke 16, bei Paynter 18 Jahr alt ist.
Endlich könnte noch die Zeitbestimmung für die Wirkung des
Pulvers:
Thon shalt continue ttvo and fortie houres,
auf eine Benutzung Paynter's hinweisen; denn Brooke p. 64 sagt,
ohne bestimmte Zeitangabe, nur:
Longer or shorter is the titne before the sleeper ivaketh.
Paynter dagegen: and you alride in sutch extasie the space of forty
houres at the least (p. 117), wörtlich nach Boaistuau: tu demeu-
reras en teile extase l'espace de quarante heures pour le moins.
Bandello hat: circa quaranta höre almeno; Luigi da Porto: per
quarant' otto höre, over poco piu o meno. Bei der Clitia sind es
2 Tage; bei Groto 16 Stunden. Masuccio hat: l'avrebbe non solo
per tre di fatta dormire. Da die Angabe der two and fortie houres
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sich bei Shakespeare in der Quarto von 1597 nicht findet, sondern
erst in den spätem Ausgaben auftritt, so könnte man vermuthen,
dass Shakespeare ursprĂĽnglich allein Brooke gefolgt sei und erst
später aus Paynter einige Züge nachgetragen habe. Ich würde
aber dergleichen Nebenumstände gar nicht erwähnt haben, wenn
es nicht an und für sich wahrscheinlich wäre, dass Shake-
speare Paynter's Novelle gelesen habe. Bekanntlich dankt er dem
Palace of Pleasure den Stoff zu mehreren anderen Stücken. —
So bleibt uns denn, vielleicht neben Paynter, als Hauptquelle
Shakespeare's Brooke ĂĽbrig. Es ist Malone's Verdienst dies zuerst
erkannt zu haben (in seiner Ausgabe 1821). Folgende gewichtige
GrĂĽnde stĂĽtzen seine Behauptung:
1) Bei Brooke und Shakespeare heisst der prince von Verona
Escalus, bei Paynter Signor Escala, zuweilen Lord Bartholomen
of Escala. Den Namen Escalus, der wohl aus della Scala ent-
standen ist, hat Shakespeare auch in seinem Mcasure for Measure.
2) Bei Brooke und Shakespeare heisst der Name Montagues,
bei Paynter Montesches.
3) Der Bote des Lawrence, der den Brief an Romeo bringen
soll, heisst bei Brooke und Shakespeare Friar John, bei Paynter
Anselme.
4) Bei Brooke und Shakespeare schreibt Capulet die Namen
der Gäste auf, bei Paynter wird hiervon nichts erwähnt.
5) Bei Brooke und Shakespeare heisst der Sitz der Capulets
Freetown, bei Paynter Villafranco.
6) Mehrere kleine ZĂĽge weisen auf Brooke hin; ja zuweilen
erinnert der Wortlaut an jenen. Nachweise hierfĂĽr finden sich
in den Anmerkungen zu Shakespeare's Ausgabe von Romeo and
Juliet (Malone's Shakespeare, by Bosweli VI, 3).
Für Brooke lässt sich ausserdem noch Folgendes geltend
machen:
7) Brooke und Shakespeare nennen den Vornamen des alten
Capulet nicht, Paynter nennt ihn nach seinen Vorgängern Antonio
oder Anthonie (Antonio heisst er auch bei Lope).
8) Bei Brooke und Shakespeare heisst der Graf nur Paris,
und zwar in der Regel in der Form County Paris; Paynter nennt
ihn Ein Mal wenigstens cotmt of Lodronne.
9) Shakespeare gebraucht ein Mal die Form Capel fĂĽr Capulet:
her hody sleepes in Capels monument: V, 1.
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r
Auch Brooke hat diese Form ein Mal, während er sonst Capilet
oder Capelet, Shakespeare Capulet schreibt. Paynter hat die Form
Capel nicht. —
Um zu zeigen, wie eng sich Shakespeare an Brooke an-
schliesst, hat Daniel (c. 1.) hei jeder einzelnen Scene des Dramas
auf die entsprechenden Verse Brooke's hingewiesen; dies hatte
vor ihm bereits Malone gethan. Wir lassen im Folgenden ein
paar Stellen zur Vergleichung folgen, welche uns am meisten Be-
weiskraft zu haben scheinen.
Oben ist bereits erwähnt worden, wie Shakespeare mehrere
ZĂĽge zu dem Character der Amme von Brooke entlehnt hat; da-
mit man gar nicht im Zweifel bleiben könne, finden sich nicht
nur dieselben ZĂĽge, sondern sogar dieselben Worte wie bei Brooke :
so m, 5, wo die Amme den Count Paris lobt und Romeo tadelt:
He dares ne'er cotne back to challenge you.
I think it best you married with the county.
i" think you are happy in this second mateh.
Brooke: And eke she praiseth much to her the second marriage;
And county Paris now she praiseth ten times more
By wrong; than she herseif by right had Romms praĂĽ'd before.
Paris shall divell there still; Romeus shall not return.
IV, 3 schickt Juliet die Amme mit den Worten weg:
But, gentle nurse t
I pray thee, leave me to myself to-night;
For I have need of many oi'isons
To move the heavem to smile upon my state.
Brooke: — wherefore, this night, my purpose is to pray
Vnto the heavenly minds tliat divell above the skies
Tliat they so smile upon the doings of to-morrow.
III, 3 erhält Romeo die Nachricht, dass er verbannt sei; als
er darĂĽber in masslosen Schmerz versinkt, redet der Friar ihn an :
Art thou a man? thy form cries out thou art:
Thy tears are womanish; thy wild acts denote
The unreasonable fury of a beast.
Brooke: Art thou quoth he a man? thy sliape saĂĽh, so thou art;
Thy erging, and thy weping eyes, denote a womans hart.
For manly reason is quite from of thy mynd outchased,
And in her stead affections lewd, and fansies highly placed:
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So (hat I stoode in doiite this howre (at the hast)
If thou a man, or wonian wert, or eis a brutish beast.
Ebenso wörtlich entlehnt ist die Beschreibung der Wirkung des
Pulvers, IV, 1:
Take thou this vial, being then in bed,
And this distilled liquor drink thou off;
When presently through all thy veins slw.ll run
A cold and drmvsy humour, — for no p\dse
Shall keep his native progress
Then, as the manner of our country is,
In thy best robes nncover'd on the biet
Thon slialt be hörne to that same ancient vault etc.
Brooke: Eeceiue this vyoll small, and keepe it as thine eye,
Then drink it off, and thou shalt feel throughout eoxh vein and limb
A pleasant slumber slüle —
No pulse shall goe etc.
Borne to their cJiurch with open face upon the bier he lies
In wonted weed attired, not wrapt in winding-sheet. —
Schmidt (c. 1.) macht noch auf folgenden Zug aufmerksam, der
sich bei Shakespeare und Brooke gemeinsam findet. Als der alte
Capulet seine Tochter trotz ihres Widerstrebens zu einer Heirath
mit Paris zwingen will, verlässt er nach harten Worten das Zim-
mer, ohne eine Antwort Julia's abzuwarten:
And after him his wife doth follow out of doore,
And there they leave theyr chidden childe kneeling upon the floore.
Ebenso bei Shakespeare III, 5; die Mutter sagt, als Juliet sich
an sie wenden will:
Not to me, for TU not speak a ward.
Do as thou ivilt, for I have done ivith thee.
Bei Paynter wird an dieser Stelle die Mutter gar nicht er-
wähnt; Juliette kniet (fei down at his feie); am Ende der zürnen-
den Worte des Vaters heisst es: and withoxd Staging for other
answer of his dattghtcr, the olde man departed the Chamber, and
lefte hir mpon hir knees. Julietta — retired for the day into hir
Chamber. Bei Boaistuau wird die Mutter ebenso wenig erwähnt:
Et saus attendre autre response le vieillard part de sa chambre,
et lä. laissa sa fille ä genoux, sans vouloir attendre aucune re-
sponse d'elle. Bandello hat nur die Worte des Vaters, nichts von
Julia's Niederknien, noch von der Gegenwart der Mutter bei der
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Scene. Wohl aber wird die Mutter bei Da Porto erwähnt: Et
non potendo da lei altro che lacrime ritrare, oltra mado scontento
con madonna Giovanna la lasscio.
Obgleich somit alles auf Brooke als die einzige Quelle Shake-
speare's hinweist, hat ganz neuerdings Simrock (1870, in der
2. Auflage seiner Quellen) behauptet, Shakespeare habe nicht nur
Brooke und Paynter, sondern auch Bandello und sogar Luigi da
Porto gekannt. Wenn auch Shakespeare die meisten der spätem
Abweichungen von Bandello's Erzählung mit Brooke gemein habe,
so dĂĽrfe man doch daraus nicht den Schluss ziehen, dass Shake-
speare den Bandello nicht gekannt habe, da er ja diesen Ver-
änderungen aus künstlerischen Gründen den Vorzug geben konnte.
Aber einmal ist es unkritisch, Schriftsteller als Quellen fĂĽr Shake-
speare anzunehmen, auf welche weder der Wortlaut einzelner Stellen,
noch irgend ein bestimmter Zug der Sage hinweist. Was aber
den „Vorzug aus künstlerischen Gründen" betrifft, so wird er durch
folgende Erwägung widerlegt. Aeltere Kritiker haben Shakespeare
einen Vorwurf daraus gemacht, dass er nicht mit Luigi da Porto
und Bandello Julia in der Gruft habe erwachen lassen, als Romeo
noch am Leben war. So habe er sich eine hochpoetische, echt
dramatische Scene, in welcher die Liebenden Abschied von einander
nehmen, entgehen lassen. Dieser Vorwurf wäre gewiss begründet
(wie auch Klein darĂĽber denken mag), wenn Shakespeare da Porto,
Groto oder Bandello gekannt hätte. Aber bereits früher hat man
Shakespeare von ihm freigesprochen, da er die italienischen Quellen
der Sage nicht kannte. Oder glaubt Simrock wirklich, dass er
aus „künstlerischen Gründen" dieser modernen Auffassung der Sage
vor jener ältern, weit dramatisch-wirksamem den Vorzug gegeben
hätte? —
So sehen wir, wie unsere Sage in Italien aus uns unbekannten
Quellen ihren Ursprung nahm, wie sie sich bald ĂĽber ganz Italien
verbreitete, wie dann der mächtig angeschwollene Strom sich theilte,
von dem ein Arm nach Spanien floss, um dort nach lustigen Cas-
caden bald zu versiechen; wie der andre Arm aber ĂĽber Frank-
reich nach England strömte und, seitdem Shakespeare die Richtung
desselben bestimmt hat, noch heutzutage weiter strömt nicht nur
durch England, sondern durch die ganze civilisirte Welt. —
Aber wie verschieden gestaltet sich die Sage in den ver-
schiedenen Ländern! Wir haben an den betreffenden Stellen bereits
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die Novellen unter einander verglichen. Die beiden italienischen
Novellen in Prosa waren schlichte Erzählungen , die mit fast
dramatischer Lebendigkeit den Stoff wiedergaben, wie er aus dem
Yolksmunde den Erzählern bekannt geworden war. Doch fanden
wir hier bereits den Unterschied, dass Da Porto viel naiver erzählt,
als sein Nachahmer. Aber bei weitem grösser ist der Unterschied
zwischen Bandello und seinem französischen Nachfolger. Wir fühlen
sofort, dass die Sage in ein anderes Land ĂĽbergetreten ist. Mit
stolzer Verachtung blickt Boaistuau auf seinen Vorgänger herab.
Die naive Wiedergabe einer Volkssage konnte ihm, dem reflectiren-
den Franzosen, nicht mehr genĂĽgen. So wird alles wahrschein-
licher und begreiflicher gemacht, dabei aber der feine Staub von
den FlĂĽgeln der Sage abgestreift. Die kunstlose Darstellung wird
durch eine kunstvollere ersetzt. Pathetische Reden treten an Stelle
der einfachen, natĂĽrlichen Worte; gelehrter Schmuck verziert die
Erzählung, selbst religiöse Betrachtungen fliessen mit unter. Aber
in den Händen dieses nüchternen Franzosen mit dem kalt secirenden
Verstände verliert die Erzählung viel von ihrem ursprünglichen
Zauber. Paynter kann hier nicht in Betracht kommen, da seine
Novelle nichts als eine schĂĽlerhafte Uebersetzung des Boaistuau ist.
Wie verschieden auch die beiden uns bekannten Novellen in
Versen! Clitia schildert mit sĂĽdlicher Lebhaftigkeit mehr die
Aeusserlichkeiten ; sie giebt z. B. eine vollständige Beschreibung
des Fackeltanzes; in wohltönenden Ottave Rime fliesst die Er-
zählung glatt dahin, frei von tiefer Leidenschaft. Ganz anders
bei Brooke. Für die Veränderung der Sage können wir ihn nicht
verantwortlich machen; er nahm sie aus seinem französischen
Original herĂĽber, wie er sie dort fand. Die Form aber ist ihm
eigen, und er hat ein kleines Meisterwerk damit geschaffen. Tiefe
Sinnsprüche schmücken die Erzählung; pathetische Reden vermeidet
er, er ist nicht ein italienischer VerskĂĽnstler, sondern ein nordischer
Denker, den sein Stoff zu ernsten Betrachtungen auffordert.
Bei weitem am interessantesten aber ist es, die vier Dramen,
in denen die Sage bei drei verschiedenen Völkern auftritt, unter
einander zu vergleichen. Der Zeit nach liegen sie gar nicht so
weit auseinander: 20 Jahre Unterschied sind zwischen dem frĂĽhesten
und spätesten der Dramen, wenn wir von Rojas' Spätgeburt ab-
sehen. Aber es scheint uns, als ob Jahrhunderte dazwischen lägen.
Die Hadriana ist mehr eine Reihe schwungvoller Reden als ein
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Drama. Den romantischen Stoff versucht Groto in ein antikes
Gewand zu kleiden; seine Personen handeln nicht auf der BĂĽhne,
sie declamiren nur. Dazwischen erscheint nach alter Sitte der Chor,
um weise Lehren an den Faden der Geschichte anzuknĂĽpfen. Er
macht zwar den Versuch, durch das Hinzudichten der Amme den
Stoff lebensvoller zu gestalten, aber dies gelingt ihm nicht. Seine
Personen sind Wesen ohne Fleisch und Blut, die bald einen Monolog
von Hunderten von Versen, bald langathmige, unnatĂĽrliche Dialoge
hersagen. Ganz anders in Spanien! Hier pulsirt ein lustiges,
fröhliches Leben im Drama. Wir finden wohl die alten Gestalten
der Sage wieder, aber sie sind lebenslustiger geworden und haben
die ernste Maske der Tragödie mit dem heitern Gesicht der Comödie
vertauscht. Fast nur die Namen sind von ihnen geblieben, ihr
Wesen ist völlig verändert. Der schwermüthige Romeo hat auf-
gehört um die Geliebte zu seufzen; leichtsinnig klingen seine Worte,
leichtblĂĽtig ist sein Handeln. Als er vermuthet, dass die Geliebte
ihm untreu geworden, weiss er sich schnell zu trösten: die neue
Stadt bietet ihm leicht ein neues Liebchen. Hier ist nichts mehr
von dem ernsten, tragischen Ton; munter hüpfen die Spässe des
Gracioso, selbst die hochtragische Grabesscene wird derartig um-
gewandelt, dass die Lachnmskeln der Zuschauer in Bewegung ge-
setzt werden. Witzige Dialoge, spässige Einfalle, heitere Scherze,
so spielt sich die Handlung von der ersten bis zur letzten Scene
ab : ewiger Sonnenschein, der nur selten von einer schnell vorĂĽber
huschenden Wolke verdeckt wird. Bei Lope wird die Tragödie
zur Comödie, in unserer Bedeutung des Wortes, bei Rojas wird
sie gar zur jämmerlichen Posse.
Auch bei Shakespeare pulsirt durch das ganze StĂĽck hindurch
ein kräftiges Handeln und Leben. Auch er weiss nach seiner Art
des Lebens Ernst mit Scherz zu verbinden. Aber sein Schön-
heitssinn bewahrt ihn vor dem argen Fehlgriff, einen von Natur
hochtragischen Stoff in eine Posse umzuwandeln. Auch seine Per-
sonen sind von Leidenschaft durchglĂĽht. Aber deshalb declamiren
sie nicht phrasenhafte Reden mit hohlem Pathos. Es ist kein Stroh-
feuer, das in ihnen aufflackert, sondern wahre Liebesgluth. W T ährend
in der Hadriana fast nur Reden declamirt werden, giebt es kaum
ein lebensvolleres StĂĽck, ein Drama, das mehr diesen Namen ver-
diente, das so viel Handlung hätte, als Shakespeare's Romeo und
Juliet. So verschieden von Groto wusste er denselben Stoff zu
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verwertheii. Gleich die erste Scene, die er völlig selbständig hin-
zugedichtet hat, und in der er uns ein Bild von dem Parteihader
in Verona entrollt, ist ein MeisterstĂĽck der Exposition. Seine
Figuren sind nicht nach der Schablone gezeichnet, wie bei Lope;
es sind naturgetreue Gestalten, voll originellen Lebens. So musste
es dem nordisch-germanischen Dichter vorbehalten bleiben, die sĂĽd-
ländische Sage romanischen Ursprungs so zu gestalten, dass sie
für alle Zeiten lebensfähig geblieben ist. Die Werke, in denen
die Sage ursprĂĽnglich auftaucht, sind verschollen und vergessen,
und nur der Fachgelehrte sucht sie noch auf; das Meisterwerk
des grossen Dichters hat sie verdunkelt. — Und warum hat sich
in Frankreich kein Dichter gefunden, den Stoff zu behandeln? Die
Sage war doch auch dort bekannt genug. Ich glaube deshalb, weil
den Franzosen der Stoff zu genial war. Sie konnten es nicht fassen,
dass die Leidenschaft der Liebe so mächtig wirken könnte. Ihrer
verstandesgemässen Poesie lag ein derartiger Stoff mit seinen ge-
waltigen Leidenschaften, die kĂĽhn die Schranken des Herkommens
und der Sitte ĂĽberspringen, fern, und sie waren zu nĂĽchtern und
verständig eine Posse daraus zu machen. — Shakespeare aber hat
aus der höchst traurigen Geschichte zweier Liebenden die wunder-
volle Tragödie der Liebe geschaffen.
Berlin, im October 1875.
Jahrbuch XI. 15
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Eine Quelle
zu Shakespeares Sommernachtstraum.
Von
Fritz Kranes.
scheint" — sagt A. Schmidt in seiner Einleitung zur
Schlegel'schen Uebersetzung des Sommernachtstraumes , von der
Schilderung der Königin Mab in Romeo und Julia sprechend —
„als ob Shakespeare diese schöne Stelle nur eingeschaltet hat,
weil er einem unwiderstehlichen Zuge seiner Phantasie folgte, die
gerade von den Bildern der Feenwelt erfĂĽllt war. Nichts konnte
ihm da näher liegen als der Plan zu einem Werk, in welchem
er diesen poetischen Hang nach Herzenslust durfte gewähren lassen.
Und darin würde es denn auch seine Erklärung finden, dass alle
BemĂĽhungen vergeblich gewesen sind, die Quellen zu ermitteln,
aus welchen der Dichter den Stoif des Sommernachtstraumes
schöpfte. Sobald er einmal den Gedanken gefasst, die Elfen mit
den menschlichen Herzen ihren Schabernack treiben zu lassen,
musste der ganze Entwurf fertig vor seiner Seele stehen." —
Ich kann mich nicht erwehren, in dieser anscheinend sehr
logischen Entwicklung einen Beweis dafĂĽr zu sehen, wie leicht
wir ĂĽber das rĂĽckblickende Begreifen einer Idee oder Erfindung
das Wunder ihrer Geburt vergessen. Heute erscheint uns der
Gedanke, „die Elfen mit den menschlichen Herzen ihren Schabernack
treiben zu lassen" sehr einfach; ihn zuerst haben konnte aber
nur ein genialer Geist und zwar zu glĂĽcklicher Stunde. Jenes
„sobald" konnte nicht nur so von ungefähr eintreten; es muss in
der Seele des Dichters durch besondere Eindrücke und Vorgänge
gezeitigt worden sein.
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Warum schilderte Shakespeare „wenn er einmal gerade von
den Ideen der Feenwelt erfĂĽllt war" diese Feenwelt nicht einfach
so, wie er sie in den uns bekannten Quellen, in Chaucer, in Märchen,
Balladen und Dramen, in der Geschichte Robin Goodfellow's und
im Volksglauben vorfand?
Schöll sagt 1 ): „Man hat mit Grund behauptet, dass diese
Maschinerie des Elfenvolkes ihre EinbĂĽrgerung in der Poesie mit
so vorherrschend freundlicher, phantastisch -lieblicher Bedeutung
zumeist dem Shakespeare verdanke. Gesetzt übrigens, er hätte
die Elfenschilderung schon ganz ähnlich vorgefunden, so war doch
hiermit ebensowenig wie mit den romanhaften Gestalten des Theseus
und seiner Geliebten die komische Handlung gegeben, worin er
diese luftigen Wunderwesen so anmuthig, so ergötzlich beschäftigt.*'
Und wie Halliwell 2 ) sich ausdrückt, „waren die Feen von Launfal
und Orfeo nicht die Feen Shakespeare's, noch haben die Feen
Chaucer's oder der früheren Romanciers eine grössere Aehnlichkeit
mit ihnen. Auch Spenser begnĂĽgte sich mit den Feen der Romanze.
Shakespeare grĂĽndete seine Feenwelt auf die hĂĽbschesten der
Volkssagen und kleidete sie in die ewigen Blumen seiner reichen
Phantasie. Wie viel die Erfindung des grossen Dichters ist,
werden wir wahrscheinlich nie erfahren, und seine Nachfolger
haben die Sache nicht klarer gemacht, indem sie die von ihm ge-
schaffene bildliche Welt auffassten, als wäre sie mit der Volks-
mythologie verwebt und bildete einen Theil davon."
Die Elfen, welche Shakespeare vorfand, waren mit unseren
Kobolden zu vergleichen; sie spielten den Menschenkindern Streiche,
hauptsächlich den „Knaves and Queanes", den bösen Buben und
faulen Mädchen, oder hallen den Guten und Fleissigen bei der
Arbeit wie die Heinzelmännchen. Sie spielten noch nicht mit den
MensdienJierzen, wie Shakespeare's Elfen, und darin liegt der grosse
Unterschied. Bei Shakespeare können wir den Uebergang von
der Elfenwelt des Volksglaubens zu seiner eigenen, die Genesis
der Erfindung, erkennen. Die Schilderung der Königin Mab im
Romeo fusst noch ganz auf der Tradition, und Puck im Sommer-
nachtstraum ist noch der alte Necker Robin Goodfellow, während
') Blätter f. liter. Unterhaltung, 1844.
*) Illustrations of the Fairy Mythology of a Midsummer Night's dreara.
London, 1845. Einleitung.
15*
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Oberon mit seiner Einsicht ins Menschenherz Shakespeare's eigene
Schöpfung ist. Daher kommt es wohl, dass Puck in der Aus-
fĂĽhrung der Befehle seines hohen Meisters sich so ungeschickt
zeigt: ihm geht offenbar das Verständniss ab, das dieser für die
GefĂĽhle der Menschen besitzt. Mir scheint, dass in Puck und
Oberon recht deutlich der Unterschied zwischen der alten und
Shakespeare's Elfenwelt ausgeprägt ist.
Ich möchte demnach, entgegen Schmidt's Auffassung, dass
Shakespeare die Personen seines Dramas schuf, um an ihnen die
Einwirkung des Elfenvolks auf die Menschenwelt zu demon-
striren, fragen: kann er nicht umgekehrt das Elfenvolk herbeige-
zogen und umgestaltet haben, um durch seinen geheimen Einfluss
den Zauber der Liebe und die Verwirrungen zu erklären, welche
sie in den menschlichen Herzen anrichtet, sei es, dass ihn eine
zufällig gefundene Schilderung solcher Verwirrungen oder ein wirk-
liches, ihn nahe berĂĽhrendes Erlebniss dazu reizte? Vielleicht
fand sich beides zusammen, wie auch der Maler verschiedene Mo-
tive zu einem harmonischen Bilde vereinigt. Der Gedanke, „die
Elfen mit den menschlichen Herzen ihren Schabernack treiben zu
lassen" kann nur durch die Beobachtung der Sonderbarkeiten des
menschlichen Herzens in Shakespeare erzeugt worden sein. Letztere
geht voraus. Das Elfenvolk wurde daher fĂĽr Shakespeare nicht
Zweck , sondern Mittel, und er schuf es fĂĽr seinen Zweck um. Nach
dieser Auffassung kämen wir von selbst darauf, den Schwerpunkt
des StĂĽckes, oder die Veranlassung dazu, in den Sonderbarkeiten
des menschlichen Herzens zu suchen, welche hier zunächst in den
liebenden Paaren Lysander und Hermia, Demetrius und Helena
zur Anschauung gebracht werden. Von den im Drama neben ein-
ander herlaufenden Handlungen nimmt auch allein die Geschichte
der Liebenden unser Gemüth in Anspruch, während die Hochzeit
des Theseus nur als prächtiger Rahmen dient, die Elfenwelt nur
unsere Phantasie erregt, und die Komödie der Handwerker sich
selbst als blosses Zwischenspiel kennzeichnet.
In Romeo und Julia hatte Shakespeare die Liebe in ihrer
elementaren Gewalt, als Schicksal, geschildert; hier im Sommer-
nachtstraum stellt er sie von ihrer menschlicheren Seite dar mit
all den ihr anhaftenden Schwächen und Wunderlichkeiten. Diese
Schwächen drückt er dem Drama gleichsam als Stempel auf, so
dass alle Charaktere mehr oder weniger Beispiele davon geben.
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Wie Hense sagt, 1 ) „ist die Geschichte der Charaktere dieses
Dramas wandelbare Liebe. So Theseus. Oberon hat tagelang als
Corydon der verliebten Phyllida von Minne gesungen und hat ein
„"Verhältniss" zu Hippolyta. Titania liebt Theseus und verliert
sich in träumerischer Bezauberung in eine Leidenschaft für Zettel."
Und Ulrici: 2 ) „Willenskraft, Verstand und Vernunft treten in
den Hintergrund zurück, alle übrigen Seelenkräfte dagegen, nament-
lich Phantasie und GefĂĽhl, Stimmung und Laune, und jene leisen,
verborgenen Regungen, welche uns meist gar nicht zum Bewusst-
sein kommen, oft aber bedeutsam in unser Leben eingreifen, wirken
in voller Freiheit und ZĂĽgellosigkeit. Insbesondere ist es die Ein-
bildungskraft, welche in aUen handelnden Personen als Ursache
ihres Thuns und Strebens thätig ist. So vor allem beruht
die Liebe, der Haupthebel der Action, wie sie hier gefasst und
dargestellt ist, im Grunde nur auf der Einbildungskraft." —
Wer hat nicht schon an sich und Andern jene unerklärlichen
Wandelungen erfahren, die ein edles Herz plötzlich in das Gegen-
theil verkehren, einen hohen Character zum Zerrbild machen,
Alles, worauf wir in ruhiger Sicherheit gebaut, in eitel Dunst
auflösen, unsere Begriffe so verwirrend, dass wir das Unbegreifliche
nicht mehr fassen können und uns fragen: „was ist mit uns vor-
gegangen?" Es ist uns, als müssten Zaubermächte ihr Spiel mit
uns getrieben haben.
Bei diesen Wandelungen streift das Tragische an das Komische,
das Erhabene an das Lächerliche; Shakespeare aber fasste vor-
züglich das Komische auf, als er zu ihrer Erklärung das Elfenvolk
herbeizog und umgestaltete. Es handelt sich hier um die scliwache
Seite der Liebe, das Närrische, das ihr innewohnt, und das musste
des Dichters immer wachsamen Humor reizen. So sagt Ulrici
p. 276 1. c: „Durch die Fürsten der Elfen und deren Eingreifen
in die Action erscheint jene höhere Macht repräsentirt, welche das
Leben der Menschen an unsichtbaren Fäden leitet. Aber auch sie
ist nicht gefasst in ihrer wahren Grösse, in ihrer schwer wiegenden
Bedeutung und stillen, geheimnissvollen Wirksamkeit, sondern
gleichfalls ergriffen von dem allgemeinen Strudel des Humors tritt
sie in handgreiflichen körperlichen Gestalten hervor und zeigt sich
bloss als das muntere neckende Spiel personificirter Naturkräfte." —
*) John Lilly und Shakespeare, Shakespeare-Jahrbuch VTI, 269.
3 ) Shakespeare^ dramatische Kunst n, 282.
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Wie aus allem diesem hervorgeht, dass der eigentliche Ken.
des StĂĽckes, um den sich Alles dreht, das schwache Herz ist, als
dessen Repräsentanten in erster Linie die liebenden Paare auf-
geführt werden, möchte ich auch auf Ulrici's Einwendung: „Zwei
Liebespaare . . . spinnen eine Intrigue an, die aber mitten in der
AusfĂĽhrung stecken bleibt, und daher nicht als der Kern des
Ganzen angesehen werden kann" — entgegnen: Gerade weil die
Macht der Liebe, ihre Wandelbarkeit stärker ist als die Menschen,
kommt hier die Absicht der Menschen, die Intrigue, in's Stocken;
es wird gezeigt was die Menschen eigentlich leitet: „Launen, Ver-
änderlichkeit, Phantasie, Stimmungen und Einbildungskraft", und
diese lässt Shakespeare bewusste Wesen sein, die Elfen. Es ist
also eine Feinheit des Dichters, dass er die Liebespaare erst nach
gewöhnlicher Menschenart eine Intrigue anspinnen lässt, von der
sie dann durch das Eingreifen der geheimen Mächte (ihre eigenen
Schwächen) abgetrieben werden, wie ein Windstoss die Blätter
vor sich herweht.
Konnte nun auch die blosse Beobachtung des schwachen
Menschenherzens Shakespeare schon zu einem solchen StĂĽcke ver-
anlasst haben, so lässt sich doch fragen, ob nicht, wie früher an-
gedeutet, Anstösse von aussen hinzukamen, Berührungen, durch
welche, wie ZĂĽndstoff durch den Funken, eine fruchtbare Idee
plötzlich auflodert, die dann tausend andere gebiert.
Es ist bekannt, dass Shakespeare den Hauptstoff zu „Die
beiden Edelleute von Verona" aus einer Episode des spanischen
Schäferromans „La Diana" des Jorge de Montemayor schöpfte.
Da die erste englische Uebersetzung des Romans durch Yonge erst
1598 erschien, die Veroneser aber wohl schon vor 1591 geschrieben
wurden, glaubte man als Shakespeare's unmittelbare Quelle ein
1584 aufgeführtes, verloren gegangenes Stück „Felix und Philio-
mena" von unbekanntem Verfasser annehmen zu sollen, das den
gleichen Stoff behandelt zu haben scheint. Von diesem StĂĽcke
kennen wir aber nur den Titel, der uns nicht einmal mit Gewiss-
heit auf die Hauptpersonen jener Episode schliessen lässt, die
Philiomena mĂĽsste denn aus der Felismena der letzteren entstellt
sein. Nun existirte aber die Yonge'sche Uebersetzung handschrift-
lich schon 1582 oder 1583, und dass Shakespeare „Die Geschichte
der Schäferin Felismena und zwar höchst wahrscheinlich in Yonge's
handschriftlicher Uebersetzung der Diana des Montemayor gelesen
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haben muss, ergiebt sich aus einer Vergleichung seines Dramas
mit jener Episode des Romans" — (sagt Nie. Delius in seiner
Einleitung zu den Veronesern). Und hätte Shakespeare Yonge's
Uebersetzung nicht gekannt, so wäre ferner möglich, dass seine
Freunde ihm die Geschichte aus dem in England längst und viel
gelesenen spanischen Originale mĂĽndlich ĂĽbersetzten oder auch
nur erzählten, falls er selber nicht spanisch genug verstand; un-
bekannt aber kann ihm dieser Roman, ob ĂĽbersetzt oder nicht,
unmöglich geblieben sein, ein Roman, von dem damals Alles er-
fĂĽllt war und den Sidney sich zum Muster fĂĽr seine, Shakespeare
wohlbekannte „Arcadia" genommen, wie er auch manches Gedicht
daraus fĂĽr Lady Rieh ĂĽbertragen hatte.
Ohne auf die Geschichte der Felismena hier näher eingehen
zu wollen, muss ich doch bemerken, dass sie mit dem Tode der
Rivalin nicht abschliesst. Felix verlässt aus Kummer das Land,
und Felismena sucht ihn noch durch mehrere BĂĽcher dieses Romans
hindurch. Wenn nun Shakespeare die Schicksale seiner Heldin
Felismena (in den Veronesern Julia) verfolgte, kann ihm nicht
entgangen sein, dass sie auf ihren Fahrten auch an den Hof der
„weisen Felicia" kam, welcher der Tugend und Keuschheit ge-
weiht war. Daselbst traf sie andere unglĂĽckliche Hirten und
Hirtinnen, die auch der Felicia Rath suchten, worunter Syreno,
Sylvano und die Sylvagia. Die Drei befinden sich in grossen
Nöthen. Syreno liebt die verheirathete Diana, die ihn als Mädchen
auch geliebt, jetzt aber seine Neigung verschmäht. Sylvano, der
erst die Sylvagia liebte, hat sie verlassen, um auch der Diana zu
folgen, worauf Sylvagia sich von ihm abwendet und dem Alvanio
zuneigt. In dieser Verwirrung kommen sie zur weisen Felicia,
die sie daraus befreien will. Nun heisst es im Romane weiter:
(ich citire aus der, 1663 zu NĂĽrnberg gedruckten Ausgabe der
deutschen Uebersetzung des Freiherrn von Kueffstein) —
„Giengen hierauf beede (Felicia und Felismena) in den
„Saal, darinnen sie die Schäfer und Schäferin allbereit ihrer
„wartend funden." Felicia entfernt sich einen Augenblick und
kommt wieder mit zwei crystallenen Gefässen, geht zu Syreno
und sagt zu ihm: „Mein betrübt- und von Deiner Schäferin so
„gantz vergessener Syreno, da zu Deinem Anliegen einig er-
„spriessliches Mittel wäre, wolte ich solches gewisslich für ge-
kommen haben: wann aber Du derjenigen, die Dich einmals
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„so hoch geliebet, nimmehr ohne eines andern Tod nicht ge-
messen kanst, und aber solcher allein in Gottes Willen be-
ruhet: Also must Du Dich eines andern Mittel behelfen, dessen,
„nemlich zu vergessen so zu erlangen unmöglich u. s. w. Du
„aber meine schöne Sylvagia und Du ungeliebter Sylvano trincket,
„bitte ich, miteinander diese andere Geschirr aus, darinnen ihr
„grosse Linderung der vergangenen Pein und nicht geringem
„Anfang einer neuen und gantz unverhofften Vergnügung befinden
„werdet. — Hiemit reichete sie denen gedachten beeden Theilen
„die schönen Gläser, welche sie alsbald austruncken, und gleich
„darauf gleichsam in einer Ohnmacht zur Erde suncken, darob
„die schöne Felismena mercklich erschrocken. . . . Verwundert
„euch hierob, sprach Felicia, nicht: dann das Wasser, so ich
„Ihnen zu trincken gegeben, ist solcher Wirckung, dass sie, als
„lang es mir gefallt, schlaffen müssen, auch durch keinen
„Menschen aufgemuntert werden mügen, welches ihr, da es euch
„beliebet, versuchen möget. Die Felismena thate es, und be-
ruhete sich mit Rufen und anderwärts die Eingeschlaffenen
„aufzuwecken, aber alles vergebens. Da sagte die Felicia, sie
„solle sich hierob nicht so sehr verwundern, sintemal sie doch
„seltzamere Sachen hören und sehen würde, wann diese Leut
„erwachet sein werden. Und weil ich, sprach sie weiter, hoffen
„will, es habe der Tranck seine Wirckung bereit verrichtet, so
„will ich sie aufwecken. Name hierauf ein Buch, und rühret
„mit demselben dem Syreno sein Haubt an, davon er, alsbald
„erwachend, bey seiner völligen Vernunfft vor ihnen stunde. Da
„fragte ihne die weise Felicia: Lieber Syreno, sag mir, was
„wollestu thun, wann Du die schöne Diana mit ihren Mann
„fröhlich reden und Deiner gegen ihr getragenen Liebe spotten
„sehest? Ich wolt mich, wahrlich, antwortete der Hirt, hierob
„wenig betrüben, sondern ihnen umb meine begangene Thorheit
„lachen helfen. Wann sie aber, fragt Felicia weiter, noch un-
verehelicht, und den Sylvano lieber als Dich zu nemen bedacht
„wäre, was wollestu sagen? Ich wolte, sagt er, die Heyrath
„selber erhandeln helffen.
„Hierauf legte sie das Buch auf dess Sylvano Haubt, wel-
„cher, unverzüglich erwachend, mit anmutigen Geberden sagte:
„Ach meine schöne Sylvagia, was grosse Thorheit hab' ich be-
dangen? indeme ich, seit meine Augen Deine Gestalt gesehen,
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„die Gedanken anderswohin dann gegen Dir gericht. Wie da?
„sagte hierauf die Felicia, hastu denn Dein Gemtite, so der
„schönen Diana dermassen ergeben wäre, so behend verändern
„und der Sylvagia zueignen können? Sylvano antwortet hierauf:
„Es seyn (Hochvernünfftige Frau) meine Gedancken, diese gantze
„Zeit über, so ich die Diana bedient, nicht änderst beschaffen
„gewesen als ein Schiff, so, von Winden und Wellen auf dem
„ungestümen Meer getrieben, in den verlangten Port nicht ge-
gangen kan: Nunmehr aber habe ich einen Hafen ersehen, allda
„ich mit so gutem Wind einzufahren wünsche, als die Grösse
„meiner Lieb dessen würdig zu seyn verhoffet."
Nun will Sylvano die Sylvagia aufwecken, was ihm jedoch
nicht gelingt. „Als aber solch Wecken und Zusprechen nichts
„helffen wolte, begunte der verliebte Hirt viel heisse Threnen
„mit solcher Beweglichkeit zu vergiessen, dass theils der Umb-
„stehenden sich, mit ihme zu weinen, nicht enthalten kunten."
Die weise Felicia fĂĽhrt ihn in ein Nebenzimmer, heisst ihn
dort sich gedulden und — „gienge alsdann wiederumb, wo die
„Sylvagia läge, und erweckete dieselbige mit Auflegung des
„Buchs, gleichwie die Hirten, zu ihr sagende: Meine Hirtin, wie
„schläffstu so stark: Sie aber schauete alsbald umb sich und
„sprach: Frau, wo ist mein Sylvano? wäre er doch unlängst
„da bey mir; mein Gott, wo ist er hin? oder wird er auch
„wiederkommen? Die Felicia antwortet ihr: Wie meinestu es,
„meine schöne Hirtin, mich däucht, Du redest noch im Schlaff;
„Du must wissen, dass dein lieber Alanio gleich jetzund hie-
„hero ankommen, mit Vermelden, wie dass er dich in vielen
„Ländern mit unsäglichem Verlangen gesucht, auch von seinem
„Vater, sich mit dir zu verehlichen Erlaubniss erlanget habe:
„Die Erlaubniss (antwortet Sylvagia) wird ihm nunmehr wenig
„fürtragen, sintemal er sie von mir nimmer haben mag. Meinen
„Sylvano begehre ich zu sehen ; mein Gott, wo ist er doch?" —
Die Herzensverwirrung unter diesen Hirten und Hirtinnen der
„Diana" ist gewiss das vollständige Gegenstück zu jener, welche
uns Shakespeare im Sommernachtstraum vor Augen fuhrt. Hermia,
die irĂĽher den Demetrius geliebt zu haben scheint und ihm von
ihrem Vater zur Gattin bestimmt worden, verlässt ihn und liebt
Lysander, der sie wieder liebt. Demetrius, der frĂĽher die Helena
liebte, ist jetzt auch in Leidenschaft zu Hermia entbrannt, die
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nichts mehr von ihm wissen will. So läuft denn (um mit Bodenstedt
zu reden) Helena in wahrer Liebesraserei dem Demetrius nach,
der sie verabscheut, und Demetrius der Hermia, die ihn ver-
abscheut. Wie in der „Diana" die unglücklichen einander gegen-
seitig verfolgenden Hirten und Hirtinnen an den Hof einer weisen
Frau kommen, die sie durch Zauber in einen Schlaf versenkt, in
welchem sie alle Thorheit vergessen sollen, um geheilt und ver-
nĂĽnftig zu erwachen, so bringt Shakespeare seine Verliebten in
Berührung mit dem Elfenvolke, dessen König ihnen nun auch aus
ihrer Noth helfen will. Der Dichter kann eine langweilige weise
Frau mit einem todten Buche nicht brauchen; er wählt das Elfen-
volk und seine Zauberblumen. Dazu muss er aber den Elfen, oder
wenigstens ihrem Könige, die Einsicht in's Menschenherz verleihen,
welche Felicia besass, und welche erste Bedingung fĂĽr seinen Zweck
war, und wie er ihnen so neue Kräfte giebt, wachsen sie an Macht,
bis sie selbst Macht, Naturkraft geworden sind. Da er die komi-
sche Seite der Liebe behandelt, so lässt er auch seinem Humor
freien Lauf; er lässt nicht nur die Elfen ihr Spiel mit den Men-
schenherzen treiben, sondern spielt mit den Elfen selbst. Es ist,
als habe ihn die Beschäftigung mit diesem lustigen Volke so be-
zaubert, dass er sich nicht genug thun konnte und immer neue
Nüancen seinem Gemälde hinzufügen musste; wir können das
Wachsen seiner Phantasie förmlich verfolgen. Die Verwirrung
ergreift Alle: Oberon verzaubert seine Königin, um ihr eine wohl-
thätige Lektion zu ertheilen und wird dann selbst „in dem zweiten
Gebrauche, den er von der Wunderblume macht, geneckt. Er
will damit der unerwiederten Liebe der Helena zu HĂĽlfe kommen,
indem fĂĽr sie der untreue Demetrius bezaubert werden soll. Puck
soll es verrichten", — er nimmt aber den Lysander für den De-
metrius, so dass jener jetzt die Helena lieben muss. „Statt also
Treue zu wirken, wird aus einfacher Untreue eine doppelte ge-
macht. Hier wird denn zugleich mit Oberon der täuschungsreiche
Puck getäuscht, und es ist ein Glück, dass diesen Elfen ein neues
Wunder zu Gebot steht, um das Unrecht des ersten, das keine
kleine Verwirrung anstellt, wieder gut zu machen." 1 )
Wie die armen abgehetzten Verliebten zum Schlafe hinsinken,
muss ihnen Puck den Saft der zweiten Blume auf die Augen
träufeln, nach Oberon's Befehl:
0 Schöll 1. c.
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*
ZerdrĂĽck' diess Kraut dann auf Lysander's Augen.
Die Zauberkräfte seines Saftes taugen,
Von allem Wahn sie wieder zu befrein,
Und den gewohnten Blick ihm zu verleihn.
Wenn sie erwachen, ist, was sie betrogen,
Wie Träum' und eitle Nachtgebild' entflogen. . . .
Die hier gebrauchte entzaubernde Blume entspricht dem Zauber
des Buches der Felicia; die andere „Lieb' im Müssiggang" repräsen-
tirt dagegen die Verzauberung, welche (ebenfalls durch Elfenmacht)
die Menschenherzen ergreift. Der Dichter lässt letztere in wunderbar
poetischer Auffassung vom Pfeile Cupido's getroffen sein, um ihre
„Liebe erzeugende Kraft" zu begründen, und es däucht mir, dass
so diese prächtige Stelle, wie auch Schmidt und Delius bemerken,
ihre Erklärung vollkommen in sich selber trägt, und dass die von
Halpin aufgezeigte Allegorie sich wenigstens nicht bis auf das
BlĂĽmchen selbst (the Utile western fiower) zu erstrecken braucht,
wennschon die Anspielungen auf die Königin begründet sein mögen.
Shakespeare liebte es, doppelsinnig zu sprechen und mit seinen
Bildern den Freunden verständliche Anspielungen zu verflechten.
Es. ist interessant, wie Shakespeare selbst die verschiedenen
Standpunkte zeigt, von welchen aus sein StĂĽck betrachtet werden
kann, und dadurch zugleich die Triebfedern andeutet, welche ihn
leiteten.
„Was sind die Menschen für Narren!" ruft Puck aus, der sie
nicht versteht. Und Theseus erklärt später:
Verliebte und VerrĂĽckte
Sind beide von so brausendem Gehirn,
So bildungsreicher Phantasie, die wahrnimmt,
Was nie die kĂĽhlere Vernunft begreift.
Wahnwitzige, Poeten und Verliebte
Bestehn aus Einbildung.
So spricht der Kritiker. Hippolyta aber erwidert auf diese
vernĂĽnftige Rede, der Kritik des Verstandes jene des GefĂĽhls ent-
gegenstellend:
Doch diese ganze Nachtbegebenheit,
Und ihrer aller Sinn, zugleich verwandelt,
Bezeugen mehr als Spiel der Einbildung —
Es wird daraus ein Ganzes voll Bestand,
Doch seltsam immer noch, und wundervoll.
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Die Verliebten selbst aber glauben geträumt zu haben; eine
höhere Macht, Zauber hat sie beherrscht. Und der Dichter liess
uns diesen Zauber belauschen, in der Johannisnacht, die fĂĽr den
Volksglauben ĂĽberhaupt zauberreich war.
Haben wir das StĂĽck so von den Gesichtspunkten der Mit-
wirkenden betrachtet, so wollen wir auch Hippolyta's freundlichen,
mit unverkennbarer Absichtlichkeit gegebenen Wink nicht unbe-
rĂĽcksichtigt lassen und forschen, inwiefern diese Nachtbegebenheit
mehr als Spiel der Einbildung zeigt und welches das „Ganze voll
Bestand" sein mag.
Man hat im Sommernachtstraum ein Gelegenheitsgedicht zu
einer Hochzeitsfeier gesehen, und Einige, wie Tieck und Gervinus,
glaubten das Stück zur Vermählung des Grafen Southampton ge-
schrieben. Elze und Kurz nehmen es fĂĽr Essex' Hochzeit (1590?)
in Anspruch, was von Hense, Delius, Schmidt wieder angefochten
wird. 1 ) Das Schlusswort Puck's an's Publikum, worin er um
Nachsicht bittet und bald bessere Gaben verheisst, wĂĽrde eigent-
lich das Drama als ein fĂĽr die BĂĽhne geschriebenes StĂĽck kenn-
zeichnen; es seien denn die Schlussworte vom Dichter später für
die AuffĂĽhrung auf dem Theater besonders hinzugesetzt worden.
Southampton kam im August 1598 heimlich aus Frankreich nach
England herĂĽber, um sich mit Elisabeth Vernon, die sich zwin-
gender Umstände halber nach Essex -House zurückgezogen hatte,
zu vermählen und verliess gleich darauf England wieder. Zu
solch' heimlicher Verheirathung konnte Shakespeare nicht wohl das
fĂĽnfaktige Drama schreiben; auch nennt es Meres schon im gleichen
Jahre in seiner Palladis Tamia. Endlich giebt die Schilderung
Titania's von der Umkehr der Jahreszeiten und dem endlosen
Regen, die so sehr an den ganz abnormen Sommer des Jahres
1594 erinnert, denjenigen einen plausiblen Grund, welche an-
nehmen, das StĂĽck mĂĽsse unter dem frischen Eindrucke dieser
Naturereignisse geschrieben sein (obwohl man einen, an Ueber-
') Der Vollständigkeit halber mag mir gestattet sein hinzuzufügen, dass
auch W. König (Shakespeare-Jahrbuch X, 210 fg.) sich meiner Hypothese nicht
abgeneigt zeigt, und dass Professor Dowden (Shakspere: a Critical Study of
bis Mind and Art, Lond. 1875, p. 67) ihrer mit den Worten gedenkt: 'There is
much to be said in favour of this opinion.' Zu den Gegnern gehört übrigens
noch von Friesen, Shakspere-Studien II, 271 fgg.
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schwemmungen, Missernten und Seuchen so reichen Sommer recht
wohl einige Jahre im Gedächtnisse haben konnte!). Uebrigens
kann ich doch nicht verschweigen, dass Shakespeare in der alten
französischen, 1570 ins Englische übersetzten Romanze „Huon von
Bordeaux", welcher er wahrscheinlich den Namen des Elfenkönigs
„Oberon" entnahm, auch folgende Schilderung der Wirkung von
Oberon's Zorn fand: Gerames sagt zu Huon: „wenn er über Euch
böse wird, wird er Regen und Wind, Hagel und Schnee und furcht-
bare StĂĽrme mit Donner und Blitzen machen, so dass es Euch
scheinen wird, als wolle die ganze Welt untergehen". *) Es mochte
Shakespeare also nahe liegen, den Effect eines ZerwĂĽrfnisses
zwischen Oberon und Titania in solchen Naturerscheinungen dar-
zustellen; vielleicht hat er aber auch da wieder in seiner doppel-
sinnigen Weise eine abstracte Schilderung mit, seinem Publikum
noch erinnerlichen, Ereignissen verflochten.
Trotz alledem muss ich mich zu der Meinung bekennen, dass
Shakespeare im Sommernachtstraum doch auf gewisse den Grafen
Southampton nahe berührende Verhältnisse und Persönlichkeiten
angespielt hat. Gerald Massey 2 ) sieht in Helena und Hermia
Elisabeth Vernon (Southampton's Braut) und Lady Rieh, und Elze 3 )
steht nicht an, dies aufzunehmen. Shakespeare mag nur beab-
sichtigt haben, seinem unglĂĽcklichen Freunde, Jahre vor dessen
Vermählung, durch die glückliche Lösung der im Traumbilde dar-
gestellten Liebesnoth Muth und Trost zuzusprechen; er kann das
Stück aber auch in Voraussicht der Vermählung geschrieben haben,
die er wohl immer fĂĽr seinen Freund herbeiwĂĽnschte und deren
geheime, hastige und späte Vollziehung er nicht voraus wissen
konnte.
Die Geschichte von Southampton's Liebe zu Elisabeth Vernon
habe ich in der Einleitung zu meiner Uebersetzung der Sonette *)
nach Massey geschildert. Massey hat in gewissen Sonetten An-
deutungen von Untreue und Eifersucht zu finden geglaubt und
0 Halliwell, Dlustrations of the Fairy Mythology &c. London 1845.
*) Shakspeare's Sonnets &c. London 1866 nnd 1872, p. 473.
a ) Shakespeare -Jahrbuch m, 130. — Von Anfang an habe ich diesem
Punkte kein Gewicht beigelegt nnd bin immer mehr davon zurĂĽckgekommen;
es ist eine blosse Möglichkeit, die für die Erklärung meiner Ueberzeugung
nach keinen Anhaltspunkt darbietet. K. E.
4 ) Shakespeare's Southampton-Sonette, deutsch. Leipzig, W. Engelmann.
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— 238 —
eine Gruppe Sonette unter dem Titel: „Eifersucht von Elisabeth
Vernon auf ihre Freundin Lady Rieh" zusammengestellt. Es ist
das reine Hypothese, aber die betreffenden Sonette unterstĂĽtzen
sie jedenfalls bedeutend. Penelope Devereux, spätere Lady Rieh,
der Elisabeth Vernon Cousine und Freundin und des Grafen Essex
Schwester, war eine berĂĽhmte, vielgeliebte und vielbesungene
Schönheit, der strahlendste Stern am Hofe der Königin Elisabeth;
ihr Reiz war ein starker Magnet fĂĽr des Grafen Essex Sache,
fesselte z. B. Mountjoy an ihn und konnte wohl auch dem heiss-
blütigen Southampton gefährlich werden. Wer weiss, wie viel
von seiner Parteinahme fĂĽr Essex auf Rechnung von Lady Rieh's
„Sphärenaugen" kam? Als Mädchen hatte sie den edlen Philipp
Sidney geliebt; sie besang er als Philoclea und Stella, nachdem sie
ihn verlassen hatte, um Lady Rieh zu werden.
In wie weit Lady Rieh Elisabeth Vernon's Rivalin gewesen,
bleibe dahingestellt, vielleicht war nur eine kleine Schwärmerei
Southampton's im Spiel, denn mehr lassen auch die Sonette nicht
vermuthen. Auffallend ist nun aber die Analogie der Verhältnisse
zwischen Helena und Hermia einer- und Elisabeth Vernon und
Lady Rieh anderseits. Shakespeare hat die Charaktere im Sommer-
nachtstraum, der ja nur ein „Schattenspiel" sein sollte, bloss an-
gedeutet; die Frauengestalten des Dramas fordern aber unwill-
kĂĽrlich zu einem Vergleiche mit jenen der Sonette auf. Die
weiche, gutmĂĽthige, blonde Helena entspricht der Lady Vernon,
wie sie sich in den Sonetten darstellt; die entschlossenere, hitzigere,
schwarze Hermia scheint nach dem Bilde gemalt, das Sidney von
Lady Rieh gab. Im 28. Sonett singt Southampton zu Elisabeth:
Ich sag dem Tag', wenn Wolken ĂĽberdunkeln
Den Himmel, strahlst Du ihm zum Schmuck so hold:
So schmeichle ich der braunen Nacht, dass funkeln
Ihr Sterne nicht, Du glĂĽhst als Abendgold.
und im Drama ruft der verzauberte Lysander aus:
Die schöne Helena, die mehr die Nacht
Vergoldet als dort aller Sterne Pracht.
Hermia hat die berĂĽhmten Augen der Lady Rieh, von denen
Sidney sang:
Die schwarzen Sterne, die in diesen Sphären, (spheres)
Ein unvergleichlich Paar, das Lob befleckt
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— 239
Als die Natur ihr Meisterwerk erschuf,
Stella's Augen
Wie können schwarze Strahlen so tief brennen?
0 diese Sterne wende nicht von mir!
So nennt Helena Hermia's Augen „Leitsterne" (lode stars) und
sagt später:
Wo Hermia ruhen mag, sie ist beglĂĽckt,
Denn sie hat Augen, deren Strahl entzĂĽckt.
Wie wurden sie so hell? — —
Vor welchem Spiegel könnt ich mich vergessen,
Mit Hermia's Sternenaugen (sphery-eyne) mich zu messen?
Lady Rieh war eine Brünette: „ihre Wangen waren wie mit
Ciaret Ăśbergossen" wie Sidney sich ausdrĂĽckt, und ein andermal
sagt er: „Du liebst mit gutem Grunde die Nacht, denn Verwandt-
srhaft oder Zufall kleidete Euch beide gleich."
Lysander aber ruft Hermia im Zorne zu: „Fort Mohrenmäd-
fhen!" „Hinweg, Zigeunerin!" und sagt zu Helena von Hermia
sprechend, die eine gegen die andere wagend: „Wer will die
Kräh' nicht für die Taube geben?"
fn den Sonetten wie im Drama sind die späteren Rivalinnen
aufs innigste befreundet gewesen; so waren es auch in Wirklich-
keit die Cousinen Penelope und Elisabeth, bis (nach Massey's Hy-
pothese) Elisabeth Grund bekam, auf Penelope eifersĂĽchtig zu
sein — für den Dichter „gerade Grund genug, um mit dem Gegen-
stande zu spielen." Im 120. Sonett spricht Southampton von
einer Zeit, wo Elisabeth lieblos gewesen und ZerwĂĽrfniss zwischen
ihnen war und gedenkt der „Nacht des Grames," und dieses
Drama „ist ein Traum jener Nacht, in welcher der Dichter die
Liebenden von einer Johannis- Verzauberung befangen hielt. 1 )
Wie Helena Hermia's Augen einen Magnet (attractive) nennt
und von Demetrius sagt:
Wie Wahn ihn zwingt, an Hermia's Blick zu hangen,
spricht im 133. Sonett Elisabeth zu Lady Rieh:
Mir selbst hat mich Dein grausam Aug' entzogen;
Mein zweites Ich hast, ärger!, Du berückt.
Auch Demetrius gleicht dem Southampton der Sonette. Als Ersterer
•) Maasey p. 476.
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— 240 —
aus seiner Verzauberung erwacht und Helena wieder liebt, sagt
er, von Hermia redend:
Liebt' ich sie je, die Lieb' ist längst vorüber.
Mein Herz war dort nur wie in fremdem Land,
Nun hat's zu Helena sich heim gewandt,
Um da zu bleiben.
So spricht Southampton im 109. Sonett zu Elisabeth nach seiner
RĂĽckkehr nach England:
Oh falsch und treulos darfst Du mich nicht nennen,
Obgleich, abwesend, ich Dir so erschien!
Ich könnte leichter von mir selbst mich trennen,
Als meiner Seele, die in Dir, entfliehn.
Dort ist mein Liebesheim! Zog ich Dir ferne,
Dem Wandrer gleich, komm' ich zur rechten Zeit,
Derselbe noch, zurĂĽck.
und in No. 140:
Nun ist's vorbei! Dir sei was bleibt fĂĽr immer:
Nicht rieht' ich mehr auf Neues meinen Sinn
Und die sich längst bewährt versuch ich nimmer,
Dich, Gott in Liebe, der ich eigen bin.
So nimm, die meinem Himmel gleicht alleine,
Mich an Dein Herz, das liebe, treue, reine!
Man lese ferner Sonett 117:
Beschuld'ge mich, dass ich so karg bemessen
Den Lohn fĂĽr Dein Verdienst, dass ich erneut
Nach Dir, Geliebteste! zu sehn vergessen,
Was höchste Pflicht mir täglich doch gebeut;
Dass Du mich oft auf fremder Spur betroffen
und 118:
Wie man, um seinen Appetit zu mehren,
Dem Gaumen schärfere Gerichte beut
Hab' ich, voll Deiner nie zu reichen SĂĽsse,
In bittre BrĂĽhen meine Kost getaucht,
Gut findend, dass die Sättigung ich büsse
Durch Krankheit eh' ich wirklich es gebraucht
und vergleiche damit die Erklärung, welche Demetrius dem Her-
zoge giebt:
Und alle Treu' und Regung meiner Brust,
Der Gegenstand, die Wonne meiner Augen
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— 241 —
Ist Helena allein. Mit ihr, mein FĂĽrst,
War ich verlobt, bevor ich Hermia sah.
Doch, wie ein Kranker, hasst' ich diese Nahrung;
Nun zum natĂĽrlichen Geschmack genesen,
Begehr' ich, lieb' ich sie, schmacht' ich nach ihr,
Und will ihr treu sein, nun und immerdar.
Das sind doch gewiss ĂĽberraschende Analogieen, und die
Elfen mĂĽssten fĂĽrwahr auch noch mit dem Dichter selbst ihren
Schabernack getrieben haben, wenn sich diese Analogieen ohne
seine Absicht ergeben hätten. Sie lassen schliessen, dass sowohl
jenen Sonetten als auch dem Sommernachtstraum etwas Thatsäch-
liches zu Grunde liegt, und Massey's Hypothese wĂĽrde dadurch
einigermassen bestätigt. Ohne also so weit gehen zu wollen, den
Sommernachtstraum fĂĽr ein zu Southampton's Hochzeitsfeier im
August 1598 schnell geschaffenes Stück zu halten, möchte ich doch
in Southampton's Liebe zu Elisabeth Vernon eines der Motive zu
Shakespeare's Drama erkennen, sei es nun, dass sie ihm zur eigent-
lichen Veranlassung dazu wurde, sei es, dass er seine Freunde
nur als Modelle fĂĽr gewisse Personen seiner Dichtung benutzte,
oder auch nur schalkhafter Weise ihre Geschichte in seinem Traum-
bilde sich wiederspiegeln Hess. Ich glaube, man darf das Erstere
annehmen und wĂĽrde dann die Resultate vorstehender Untersuchung
wie folgt zusammenfassen: Southampton's Liebesgeschichte war die
eigentliche Veranlassung zu diesem Drama, das Shakespeare fĂĽr
seine Freunde schrieb — vielleicht in Voraussicht der Vermählung,
vielleicht auch nur zum Gedächtnisse. Jene Geschichte aus der
„Diana" mag ihm die Conception eingegeben haben, die Idee, der
Liebenden Erwachen zur Vernunft durch Zauber einer höheren
Macht eintreten zu lassen, woran sich der Gedanke reihte, auch
die vorhergegangene Verzauberung dieser höheren Macht zuzu-
schreiben; endlich wird alle Liebesnarrheit Zauber und Neckerei
geheimnissvoller Mächte, des Elfenvolkes, das er zu diesem Zwecke
umgestaltet. Den Zauber aber verlegt er in die Johannisnacht
und lässt ihn mit humorvollem Behagen nach allen Seiten wirken:
zum Traum wird dieses luftige, aus Thatsachen und Phantasie
gewobene Gebilde, wie auch den glĂĽcklich vereinten Liebenden
die durchlebte bange Zeit wie ein Traum erscheinen mochte.
Wir hätten so einen Blick in die geheime Werkstätte des
Dichters gethan und gesehen, wie er aus Erinnerungen an die
Jahrbuch XI. 16
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„Diana" des Montemayor und aus der Geschichte seiner Freunde
mit HĂĽlfe seiner Phantasie, die er im Elfenvolke gleichsam ver-
körperte, das wunderbare „Schattenspiel", den Sommernachtstraum,
schuf, Wahrheit und Dichtung, was sein Auge da und dort er-
fasst, vermischend, nach seinem eigenen Worte:
Des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erd' hinab,
Und wie die schwangre Phantasie Gebilde
Von unbekannten Dingen ausgebiert,
Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt
Das luft'ge Nichts, und giebt ihm festen Wohnsitz.
Ich kann nicht umhin, hier noch auf eine Stelle in Romeo
und Julia aufmerksam zn machen, die ebenfalls eine persönliche
Anspielung zu enthalten scheint und eine Parallele zu den im
Sommernachtstraum gefundenen bildet. Massey sagt: *) „Ich glaube,
dass Shakespeare ein gut Theil nach dem Leben und Lieben seiner
Freunde Southampton und Elisabeth Vernon arbeitete, als er Romeo
und Julia schrieb; denn die Opposition der Königin gegen ihre
Heirath nimmt die Stelle der Feindschaft der Häuser im Drama
ein." „Der Dichter wird dem unglücklichen Freunde oft haben
Geduld predigen mĂĽssen, wie Bruder Lorenz dem Romeo."
Stelle „liebe mässig" erhält eine interessante Beleuchtung dur^h
die Notiz Rowland White's vom Sept. 1595. „My Lord Southampton
macht der schönen Mistress Vernon mit zu viel Familiarität dou
Hof, und durch die zwei Jahr später sehr drängende Heirath.
Shakespeare hat fĂĽr Elisabeth und fĂĽr Julia ein ĂĽberraschend
ähnliches Bild:
Im 27. Sonett singt Southampton von Elisabeth:
Dein BĂĽd
Das, wie ein Kleinod hängt in Nachtesgrauen,
Die alte schwarze Nacht verjĂĽngt, erhellt.
Und Romeo ruft aus, als er Julia erblickt:
0, sie nur lehrt den Kerzen, hell zu glĂĽhn!
Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin,
So hängt der Holden Schönheit an den Wangen
Der Nacht.
») p. 470 L c.
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— 243 —
Die Frage Julians: „Bist du nicht Romeo, ein Montague?" tritt in
ein neues Licht, wenn wir erfahren, dass Southampton mĂĽtter-
licherseits ein Montague war; sein Grossvater war Anthony Browne,
„fair Viseount Montague" 1 ). Vergegenwärtigen wir uns nun, dass
Elisabeth Vernon eine Hofdame der Königin Elisabeth war, die
ihre Heirath mit Southampton nicht gestattete (wie sie denn trotz
ihrer Jungfräulichkeit, auf die sie so stolz war, aus einer gewissen
Eifersucht keinem ihrer jungen Edelleute vom Hofe erlaubte, sich
zu vermählen) dass die Königin die Liebenden, namentlich aber
Southampton, aufs hartnäckigste verfolgte, ja schliesslich beide
die vollzogene geheime Vermählung mit Gefängniss büssen Hess,
so wird folgende, etwas dunkle Stelle plötzlich einen ganz anderen
Inhalt bekommen:
Romeo, Nachts in Capulets Garten, als er Julia im Fenster
erblickt:
Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
Es ist der Ost, und Julia die Sonne! —
Geh' auf, du holde Sonn'! ertödte Lünen,
Die neidisch ist, und schon vor Grame bleich,
Dass du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.
0, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht.
Nur Thoren gehn in ihrer blassen, kranken
Vestalentracht einher: wirf du sie ab!
Gewiss ist das zunächst als ein sehnsüchtiger Wunsch zu
verstehen, Julia möge der keuschen Mondgöttin, die ja doch auf
ihre Schönheit neidisch, nicht länger dienen und ihre Jungfräu-
lichkeit ihm zu liebe aufgeben; es kann sich aber auch eine
Doppelsinnigkeit darin verbergen, die fĂĽr ein dem Dichter gerne
lauschendes Ohr berechnet war („dem Ohre sing', dem werthvoll
deine Lieder!" ermahnt sich Shakespeare im 100. Sonett) — für
Southampton. Das fällt im Originale noch mehr auf:
Arise, fair sun, and kill the envious moon,
Who is already sich and pale with grief,
That thou, her maid, art far more fair than she:
Be not her maid, since she is envious;
Her vestal livery is bnt sick and green,
And none but fools do ivear it; cast it off —
*) Massey p. 471.
16*
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— 244 —
Hier ist die erotische Beziehung viel weniger hervortretend
als in Schlegel's Uebersetznng, dagegen können wir an die
Königin denken, deren „vestal livery" so krank und gallicht aus-
sieht, die der Neid auf ihre schöneren Mädchen quält und an
Elisabeth Vernon, die Hofdame, der Königin Maid, die unter ihrer
Herrin Launen schmachtet und ihr GlĂĽck nicht haben soll : sie wird
ermahnt, sich doch frei zu machen! Wie Shakespeare ĂĽber Hof-
luft und Hofdienst dachte, findet sich an mancher Stelle seiner
Werke ausgesprochen; Beispiele davon gab ich in meinen An-
merkungen zum 122. und 123. Sonett. Sich unter dem „moon"
die Königin zu denken, fallt nicht schwer, da Mond oder Cynthia
ein oft angewandter poetischer Name für die Königin Elisabeth
war, als Bild ihrer Jungfräulichkeit und Keuschheit — eine starke
Schmeichelei im Munde ihrer Dichter! Spenser bemerkt in einer
Anmerkung zu seiner 'Aegloga octava?: „Cynthia hiess man den
Mond." Und an Walter Raleigh schreibt er ĂĽber seine 'Fairy
Queen' „Ich meine unter Belphoebe die Königin Elisabeth, indem
ich ihren Namen nach Eurer eigenen ausgezeichneten Idee mit
der Cynthia umgestalte (da Phoebe und Cynthia beides Namen
der Diana sind)." *)
Die unter einer blĂĽhenden Hyperbel versteckte beissende An-
spielung wird dem Grafen Southampton sehr verständlich gewesen
sein. Er war, wie bekannt, ein grosser Freund des Theaters und
brachte, wie White einmal berichtet, wenn er unmuthig vom
Hofe wegblieb, „seine ganze Zeit" dort (auf Shakespeare's Theater!)
zu. Da, auf der Bühne, auf den Plätzen der Lords sitzend, mag
er manche Anspielung der Art innerlich lächelnd gehört haben, die
Shakespeare speciell fĂĽr ihn einflocht, wohl in seinen eigenen Rollen
extemporirte, und deren Bedeutung uns verloren gegangen ist.
ZĂĽrich, im November 1875.
') Ich mu8s doch anführen, dass ähnliche Stellen, die keine solche Aus-
legung zulassen, vorkommen im Pericles II, 5:
One ttvelve moons more she'll tvear Diana' 8 livery;
This by the eye of Cynthia hath she vow'd
And on her virgin hotmtr will not break it.
Ebenda V, 3:
HaU Dian!
A maid-child call'd Marina; who, 0 goddess!
Wears yet thy sĂĽver livery.
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Polymythie
in dramatischen Dichtungen Shakespeares,
Von
O. C Henne.
Die Zeiten sind längst vorüber, in welchen Shakespeare als
ein Dichtergenie betrachtet wurde, welches der Phantasie zĂĽgellos
ĂĽberlassen, um Kunstgesetze unbekĂĽmmert seine Werke wie in
einem poetischen Rausche gedichtet habe; dem Urtheile MiRon's,
dass der sĂĽsseste Shakespeare, der Sohn der Phantasie, angeborne
wilde Waldgesänge habe ertönen lassen, wird der heutige Leser nur
mit dem Zusätze beistimmen, dass Shakespeare als der ächte Sohn
der Phantasie mit dem kĂĽhnsten Fluge der Einbildungskraft, mit
der reichsten FĂĽlle dichterischer Intuition die besonnenste Ueber-
legung und sichere Kenntniss immanenter Kunstgesetze verbunden
habe. Im Besitze dieser Eigenschaften nimmt Shakespeare unter
den dramatischen Dichtern seines Zeitalters dieselbe Stellung ein,
durch welche Sophokles ausgezeichnet ist, welcher den Gesetzen
seiner Kunst mit tiefem Denken nachforschte und von Aeschylus
sagen durfte, derselbe thue das Rechte, aber nicht mit Bewusst-
sein. Mit der sicheren Erkenntniss der Eigenartigkeit, durch
welche das moderne Drama von dem antiken unterschieden ist, ergriff
Shakespeare die hauptsächlichste Eigentümlichkeit der modernen
Kunst, die Polymythie, und hat auf diesem Gebiete das Grösste
geleistet, wie Sophokles das monomythische Drama fĂĽr die Griechen
zur höchsten Vollendung gebracht hat. Beide Dichter folgten mit
Bewusstsein dem Genius ihres Zeitalters, und das Drama der ein-
fachen Handlung in der feinen Gliederung der Verhältnisse, welche
Sophokles ihm verliehen hat, entspricht der Einfachheit der Plastik
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— 246 —
und Architektur im perikleischen Zeitalter, wie die mehrfache, ver-
vielfältigte Handlung in Shakespeare's Dramen jener scheinbar
verschiedenartigen Handlung auf Gemälden Titians entspricht oder
der reicheren Instrumentirung des modernen Musikwerks. Die
Monomythie des griechischen Dramas war durch die Sage gegeben,
welche der bearbeitende Dichter von seinem Volke empfing; sie
bewegte sich innerhalb der Grenzen des griechischen Volkscharakters
und liess mit abweisendem Stolze das Fremdländische nicht zu.
Die handelnden Personen des antiken Dramas entwickeln ihr Thun
auf dem Boden- des griechischen Landes, und wenn der Dichter,
wie es nur Einmal, in den Persern des Aeschylus, geschehen ist,
die Scene in das Land der „Barbaren" verlegt, geschieht es nur,
um den Gegensatz von griechischer und persischer Sitte, griechischer
Mässigung und persischen Uebermuths eindringlich zu entfalten.
Wie die griechischen Dramatiker nur gegebene Stoffe zu scenischem
Leben gestalteten, so that es Shakespeare in den meisten seiner
Dramen; aber seit dem Untergange der griechischen Nationalität
hatte sich der Gesichtskreis der Menschen unendlich erweitert und
vertieft; die Nationen waren einander näher getreten und theilten
sich ihren geistigen Besitz gegenseitig mit; der Blick der Eng-
länder, eines so meervertrauten Volkes wie die Griechen waren,
war auf weite Fernen gerichtet und neuentdeckte Länder waren
ihnen nicht fremd. So konnte Shakespeare, wie sehr er auch an
nationalem Stolze den Griechen gleicht und sie ĂĽberbietet, sich
fĂĽr seine dramatische Darstellung nicht mit dem Stoffe begnĂĽgen,
den die heimische Geschichte und Sage bot, die Vertrautheit der
gebildeten Zeitgenossen mit ausländischen Erzählungen , mit
italienischen Novellen und mit der Geschichte und Dichtung des
klassischen Alterthums und die eigne Liebe zu diesen Stoffen wies
ihn ĂĽber die Schranken des eignen Vaterlandes hinaus und gab
ihm einen erweiterten Gesichtskreis, welchem das polymythische
Drama ebenso entspricht wie das monomythische der Griechen den
engeren Schranken ihres Vaterlandes.
So fĂĽhrte den englischen Dramatiker die universalere Richtung
des eigenen Zeitalters zur Polymythie ; aber diesem geheimnissvollen
Zuge traten andere Ursachen mitwirkend zur Seite. Shakespeare
hat das polymythische Drama zu hoher Vollendung gefĂĽhrt; er-
funden hat er es nicht; vor ihm hatten schon andere Dichter, wie
Robert Greene, wenn auch in sehr mangelhafter Weise, die Bahn
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— 247 —
der polymythischen Darstellung betreten. Ausserdem nöthigte den
Dichter zur breiteren und vertiefteren Composition derselbe Um-
stand, der den Sophokles veranlassen musste, den Sagen, welche
schon Aeschylus dramatisch behandelt hatte, eine neue Gestalt zu
geben: der Umstand, dass Shakespeare vielfach bekannte Stoffe
wählte, mochten dieselben bereits in dramatischer Form vorhanden
sein oder dem Gebiete der erzählenden Unterhaltungsliteratur an-
gehören. Wollte der Dichter, wie sein auf das Originale gerichteter
Geist nicht anders konnte, das Selbstständige leisten, die breiten
Wege des Bekannten, ja Trivialen meiden, sein Theaterpublikum
in dem Bereich bekannter Dramen- oder Erzählungsstoffe durch
das Unerwartete fesseln, so blieb ihm nichts ĂĽbrig als eine neue
und durch Reich thum und Fülle auch des Thatsächlichen aus-
gezeichnete Composition.
Aber bei einem Shakespeare war der eben bezeichnete Grund
doch nur ein untergeordneter. Ueberall und in seinen reifsten Dra-
men am meisten tritt er uns als ein Dichter entgegen, der den sitt-
lichen Mächten des Lebens ein unbestochenes Nachdenken widmet,
der mit der Leuchte der vielseitigsten Beobachtung die dunkelsten
AbgrĂĽnde des Menschenherzens zur Anschauung bringt und in der
Form des Schönen dem Sittlichwahren ungeschmälerte Dienste
leistet. Auch um diesen priesterlichen Dienst mit eindringendem Er-
folge zu leisten, um der Macht der sittlichen Idee auch einen un-
zweifelhaften Sieg zu verleihen, wandte Shakespeare die Polymythie an.
Durch die Polymythie gewannen viele Dramen Shakespeare^
einen Reichthum und eine FĂĽlle der Handlung, welche der Phantasie
den Reiz der mannigfachsten Farben, dem GemĂĽthe die Lebhaftig-
keit gleichartiger und verschiedener Empfindungen in auf- und
absteigender Stärke und Tiefe darbietet. Die Fülle gleichartiger
Handlungen tritt in den Dramen „Der Kaufmann von Venedig",
„Wie es euch gefällt 44 , „Was ihr wollt", in individuellen Schattirungen
und Abstufungen hervor. In diesen Dramen handelt es sich um die
Darstellung von Liebe und Freundschaft, doch nicht allein. Im
„Kaufmann von Venedig" sind alle Verhältnisse der Liebe auf
einen tragischen Hintergrund gezogen, auf das düstere Verhältniss
Shylocks zu Antonio. Die Haupthandlung des erotischen Gebiets
ist die prüfungsreiche und glückgekrönte Bewerbung Bassanio's um
Portia. Diese reiche Handlung wirft ihren gestaltenden und be-
glĂĽckenden Segen auf die gleichartigen Nebenhandlungen der Liebe,
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auf Gratiano's Verhäitniss zu Nerissa und Lorenzo's gefahrbedrohte
Liebe zu Jessica. Der opferfreudigen Liebe der Portia zu Bassanio
steht ein gleichartiges oder verwandtes Verhäitniss aufopferungs-
fähiger allseitig geprüfter Freundschaft zur Seite.
In dem Lustspiel „Wie es euch gefällt" bilden die Doppel-
handlungen, welche die beiden BrĂĽderpaare betreifen, den dĂĽsteren
Hintergrund. Zwei schlimnigeartete Personen, der Herzog Friedrich
und Oliver de Bois berauben ihre BrĂĽder ihres Besitzthums, die
Beraubten finden sich in der phantastischen Verbannung im Ardenner-
walde zusammen. Die Tochter des verbannten Herzogs und der
Bruder des verwerflichen Oliver, werden durch Leid und Liebe
einander zugefĂĽhrt; die Entwicklung ihrer Liebe zum BĂĽndniss
des Hymen mit den lyrischen Empfindungen der durch Waldesduft
genährten Sehnsucht, mit ihren Verkleidungen und Hindernissen
bildet die Haupthandlung des Dramas; der polymythische Hang
des Dichters giebt aber Nebenhandlungen von ähnlicher Farbe;
die Hindernisse, welche sich der Liebe des Silvius in dem Eigen-
sinn der Phöbe entgegensetzen, werden ebenfalls überwunden;
Probstein's Verbindung mit Käthchen stellt eine parallele und
contrastirende Handlung eines realen Verhältnisses der Liebe dar,
und das Schicksal des Lustspiels ĂĽberwindet das Unwahrschein-
liche, gestaltet den Charakter Oliver's um und verbindet ihn mit
Celia.
Die Gleichartigkeit polymythischer Liebesverhältnisse ist ferner
die Seele des Lustspiels „Was ihr wollt". Die Liebe des Herzogs
Orsino zu Olivia wendet durch die männlich verkleidete Viola
alle Anstrengungen der Bewerbung an; in seine vermeintliche
Leidenschaft eigensinnig vertieft, kommt er aber bei einem anderen
Ziele an, der Verbindung mit Viola; Olivia, eigensinnig in ihre
halb wahre, halb vermeintliche Trauer um den verstorbenen Bruder
versunken, wird plötzlich von einer Leidenschaft zu Viola-Cäsario
ergriffen und vermählt sich mit dem Bruder derselben, Sebastian.
Diesen phantastisch -phantasiereichen Verhältnissen entspricht die
grundphantastische Liebe Malvolio's zu seiner Herrin, welche ohne
Erwiderung bleibt, und die realphantastische Verbindung des
Junker Tobias mit der Zofe Oliviens, Maria. Eine der Liebe ver-
wandte Handlung der Freundschaft, charakteristisch fĂĽr Shakespeare,
tritt in den beiden letzten Lustspielen wie im „Kaufmann von
Venedig" auf, in der durch Opfer bewährten Freundschaft Rosa-
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linden's und Celia's, in der hingebenden Freundschaftsneigung
Antonio's zu Sebastian, welche den herzgewinnenden Charakter
des letztern auch in seinem Verhältniss zu Olivia beleuchtet.
Aber nicht blos die verwandten und ähnlich gearteten Ver-
hältnisse der Liebe erscheinen in dem polymythischen Drama
Shakespeare's in paralleler Weise, sondern auch die Handlungen
des Gegentheils. Die folgenschwere Handlung, aus welcher im
„Sturm" die Thätigkeit Prospero's sich entwickelt, liegt wie im
Oedipus des Sophokles vor den Ereignissen, welche im Drama
selbst erscheinen; es ist die dem Verbrechen des Herzogs Friedrich
gegen seinen Bruder (in „Wie es euch gefällt") verwandte Hand-
lung des Antonio, durch welche er seinen Bruder Prospero von
dem herzoglichen Throne Mailands stĂĽrzte und ihn mit seiner im
Kindesalter stehenden Tochter den Gefahren des Meeres ĂĽbergab,
aus welchen Prospero auf eine entlegene wunderbare Insel ge-
rettet wird. Diesem Verhältniss der Vergangenheit entspricht in
der Gegenwart des Dramas der verbrecherische Versuch des
Sebastian, welcher mit Antonio im Bündniss seinem königlichen
Bruder Alonso Thron und Leben entreissen will, sowie die lächer-
lichen Bestrebungen des thierischen Kaliban und seiner thierisch
sich geberdenden Genossen Stephano und Trinculo, den Prospero
seiner Oberherrlichkeit zu berauben; die Doppelhandlung innerhalb
des Dramas setzt die siegreiche Weisheit und Humanität Prospero's
in das hellste Licht.
Die polymythischen Parallelhandlungen verworrener Leiden-
schaft, ruchloser, wilder und ĂĽberlegter Bosheit, sowie die gleich-
artigen Handlungen geprüfter Seelenstärke und Gemüthsschönheit,
welche die Nacht des Wahnsinns erleuchten und der Verzweiflung
Heilung bringen, sind nirgends mit so kunstvoller Besonnenheit
in Wirkung gesetzt, in ihrer Wechselwirkung nirgends in so
stark und harmonisch gefĂĽgter Composition mit allen HĂĽlfsmitteln
von Natur und Geist dargestellt worden als im „König Lear".
Mit bewunderungswĂĽrdigem Parallelismus ist dargestellt, wie in
der Haupthandlung und in der begleitenden Nebenhandlung die
Hauptcharaktere innerhalb des Familienlebens durch Leidenschaft
und leichtfertigen Sinn schuldig werden, wie beide ein Überhäuftes
Leiden erfahren (I am a man niore sinn'd against Oian sinning),
wie in beiden Handlungen die bevorzugten Personen sich in zer-
störender Bosheit überbieten, und die ungerecht verstossenen und
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— 250 —
gemisshandelten rettendes Seelenheil bringen, wie in den beiden
Handlungen die Charaktere übermässigen Leidens aus Selbst-
verblendung und Leidenschaft zu Selbsterkenntniss und Mässigung
gefĂĽhrt, wie in beiden Handlungen die Bosheit sich selbst ver-
nichtet und Liebe ĂĽber Hass, Wahrheit ĂĽber LĂĽge den Sieg davon
trägt. Was Sophokles in den beiden Oedipus in einfacher
Handlung dargestellt hat, wie Verblendung der Seele von dem
Schicksal ergriffen wird, um mehr zu leiden als gehandelt worden
ist, wie aus dem Leiden (Oedipus auf Kolonos) die Selbsterkennt-
niss, Bescheidung und Geduld entspringt, in welcher die Seele
sich sammelt zu einem friedenvollen und versöhnenden Tode, das
hat Shakespeare im König Lear durch die Polymythie gleichartiger
Handlungen mit einer rhythmischen Schönheit dargestellt, deren
FĂĽlle und reiche Gliederung die einfache Handlung des antiken
Dramas nicht erreichen konnte. 1 )
Diese FĂĽlle des Rhythmus beruht auch auf den Contrasten.
Die Schärfe, der Reichthum und die Verzweigtheit der Contraste
in vielen Dramen Shakespeare's beruht auf der Polymythie. Die
contrastirende Nebenhandlung kann schon in der Parodie wahr-
genommen werden, welche die Haupthandlung durch einen ähnlich
gearteten Vorgang erfährt. In den Lustspielen „Wie es euch
gefällt" und „Was ihr wollt" bilden die sehr realistischen Hand-
lungen, durch welche Probstein und der Junker Tobias zum Besitz
von Gattinnen gelangen, einen parodirenden Contrast gegen die
empfindsamen und schwärmerisch zarten Verhältnisse des erotischen
Gebiets. In dem Sommernachtstraum möchte man es fast bedauern,
dass der Dichter die schöne Novelle Ovids von Pyramus und Thisbe
mit ihrem tragischen Gehalte den harten Fäusten der Handwerker
zu possenhafter Parodirung ĂĽberliess, eine Parodie, welche freilich
mehr gegen bombastische Stellen schwĂĽlstiger Dichter, wie Kyd
u. a. waren, gerichtet ist; aber die Neigung des Dichters zur Dar-
stellung parodischer Contrasthandlungen war noch vorherrschend,
und der schroffe Contrast des realistischen eselsohrigen Zettel und
der mährchenhaft zarten Titania reizte ihn zu der Darstellung
der Handwerkerscenen, welche die polymythischen Handlungen der
mythischen Liebesversöhnung von Oberon und Titania, der fürst-
l ) Ueber diesen Rhythmus im König Lear vgl. die meisterhafte Entwickelung
in Fr. Vischer's Aesthetik III p. 46—49.
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liehen Liebe des Thesens zu Hippolyta, der bĂĽrgerlichen Doppel-
liebe der Athener und Athenerinnen mit ihren Irrungen und Zwistig-
keiten noch um eine Contrasthandlung vermehren. In ähnlicher
Weise war Shakespeare schon in dem Lustspiel „Verlorne Liebes-
mühe" zu Werke gegangen; das ascetische Gelübde des Königs
und seiner drei Genossen, drei Jahre lang nur der Wissenschaft
obzuliegen und jede Annäherung an ein weibliches Wesen zu meiden,
wird mit Witz und Humor gebrochen und dadurch lächerlich ge-
macht; dieser verzweigten Haupthandlung geht eine parodirende
Contrasthandlung zur Seite, in welcher die affektirte Studienneigung
des Königs und seiner Genossen im Zerrbilde geschmackloser Ge-
lehrsamkeit erscheint, und die spanische Aufgeblähtheit zur Neigung
zu einem höchst untergeordneten Mädchen herabsinkt. Aber der
Contrast, der in dieser Nebenhandlung ist, wird bei weitem ĂĽber-
boten in dem Lustspiel „Viel Lärmen um Nichts." Hier sind
polymythisch zwei Handlungen des erotischen Gebiets im schärfsten
Contraste einander entgegengestellt. Die Liebe Claudio's zu Hero
entsteht plötzlich, sie ist nicht autonom, sondern durch Eigennutz
bedingt; sie gelangt zu ihrem Ziele nicht durch eigne Kraft, sondern
durch Vermittelung des Prinzen von Aragon; ungeprĂĽft wie es ist
erfährt das geschlossene Bündniss eine rohe Störung durch die
plumpste Täuschung, von welcher nur oberflächliche Charaktere
irre geführt werclen können, die Lösung der unglücklichen Ver-
wirrung wird nicht durch Scharfsinn, nicht durch Thätigkeit der
dazu am meisten Berufenen, sondern von Personen herbeigefĂĽhrt,
welche durch Beschränktheit des Geistes die fast unfreiwilligen
Entdecker werden. Die Wiederherstellung des gestörten Ver-
hältnisses geschieht so leicht als die Schliessung des Bündnisses
im Anfange. In ganz entgegengesetzter Richtung bewegt sich die
Handlung in Beatrice's und Benedict's Verhältniss. Sie sind
schon durch FĂĽlle des Scharfsinnes und Witzes gegen die Personen
der ersten Handlung in Contrast gestellt; die ungezĂĽgelte Neigung
zum Spott macht sie zu Gegnern und sie stimmen in nichts ĂĽberein
als in der betont und witzig ausgesprochenen Abneigung gegen
die Ehe. Beide in einander verliebt zu machen hält Don Pedro,
der auch hier die Rolle des Ehestandsprocurators spielt, fĂĽr eine
„Herkulesarbeit", die er auch zur Unterhaltung, „zur Ausfüllung
einer Pause" verrichten will ; die Doppelkomödie, welche den beiden
Antipoden gespielt wird, ist ein polymythischer Parallelismus,
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welcher durch eine Täuschung die Herzen wandelt und zur Einigung
vorbereitet, wie eine Täuschung das Bündniss der Hero und des
Claudio zerreisst. Zu dem gegenseitigen Geständniss ihrer Liebe
kommen Benedict und Beatrice nur langsam mit den Retardationen
des Witzes im Gegensatz gegen Claudio und Hero, welche ohne
grosse Ueberlegung sich vereinigt hatten. Das BĂĽndniss der
letzteren war zur Zeit des GlĂĽckes geschlossen (im Anfang des
Lustspiels); die Liebe Benedicts und Beatrice's erhält ihren offenen
Ausdruck erst zur Zeit der Noth, nicht der eignen, sondern der
Noth einer anderen, aber geliebten Person; diese Liebe ruht auf
bewährter Charakterstärke und äussert sich in Benedict in ent-
schlossener Thatkraft gegen Claudio; die lange durch Spottsucht
Getrennten sind jetzt tief vereinigt durch die EntrĂĽstung ĂĽber die
rohe Beschimpfung, welche Hero erfahren hat, und stehen in Ein-
sicht und Ueberzeugung, dass Hero unschuldig sei, in einem er-
habenen Contraste über den Personen, deren flache Leichtgläubig-
keit Hero's unverschuldetes Elend herbeifĂĽhrte.
In einer ähnlichen Weise wie in dem Lustspiel „Viel Lärmen
um Nichts" ist „Heinrich IV." in seinen beiden Theilen auf den
polymythischen Contrast gebaut, nur dass die Contraste in grösserer
Verzweigung auftreten. Der Geschichte Heinrich IV. steht die
Entwickelungsgeschichte seines Sohnes im vollkommenen Gegen-
satze gegenüber. Der König befindet sich im ersten Drama in voller
Kraft, im Besitze der Staatsklugheit und Herrscherkunst, welche
nicht frei von Despotismus ist, aber doch die Gedanken an seine
Usurpation nicht aufkommen lässt; in der Schlacht von Shrewsbury
ist er persönlich zugegen und siegreich. Er gelangt (im zweiten
Theil) zur vollständigen Niederwerfung seiner Gegner, aber dem
Bewusstsein seines Triumphs fehlt die Freudigkeit, Krankheit
drückt ihn nieder, Schlaflosigkeit öflhet den Vorwürfen des Ge-
wissens Eintritt in die Seele und eine schwere Sorge belastet ihn,
dass die von Schuld nicht freie Arbeit seines Lebens in den Händen
der Leichtfertigkeit eines entarteten Sohnes, wie er meint, ver-
loren gehen wird. Es ist eine „absteigende Linie." Dieser Sohn
ist der entschiedene Gegensatz des Vaters; ist dieser verschlossen
und seine Würde eifersüchtig bewachend, ceremoniös, so ist der
Prinz offen, wirft seine WĂĽrde selbstbewusst spielend an Genossen
hin, die von fĂĽrstlichem Stande und Sinne weit entfernt sind, ein
Feind der kühlen Etiquette; ist der König ganz von den Sorgen
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des Staatslebens beherrscht, so muss der Prinz als gleichgĂĽltig
gegen den Ernst staatlicher Arbeit, befriedigt von einer Gesell-
schaft scheinen, deren Hauptvertreter zwar Witz und Humor in
Fülle hat, es aber mit keinem Verhältnisse der Sittlichkeit ernst
nimmt. Wenn von dieser Gesellschaft, die den Strassenraub nicht
verschmäht und durch Gemeingefahrlichkeit Besorgnisse erregt,
der Prinz auch innerlich geschieden ist, wie wir im Anfange
des Dramas aus seinem Munde erfahren, so muss er sich doch
selbst der Vergeudung der kostbaren Zeit anklagen und thut es;
aber seine frische Natur, welche die Niedrigkeit des Lebens nicht
verschmäht, steigt thatkräftig zu siegreichem Heldenthum auf und
entfernt sich nun (im zweiten Theile) von dem weissbärtigen,
witzigen Satan Falstaflf, gewinnt durch Liebe und WĂĽrde das
volle Vertrauen des Vaters und berechtigt zu den glĂĽcklichsten
Honnungen als Regent. Es ist eine „aufsteigende Linie." Aber
der Dichter begnĂĽgte sich nicht mit diesem grossen Contraste.
Die Weite des polymythischen Dramas gestattete ihm noch andere
Contraste, die er absichtlich suchte. Die geschichtlichen Quellen
erzählen nichts davon, dass Prinz Heinrich den Heinrich Percy
persönlich besiegt und getödtet habe. Der Dichter bedurfte dieser
Umänderung geschichtlicher Thatsachen um des Contrastes willen.
Es ist wieder die absteigende und aufsteigende Linie. Heinrich
Percy wird von dem König Heinrich selbst gerühmt als ein Mann,
der stets der Ehre Thema ist, in einem Wald der allerschlankste
Stamm, des holden GlĂĽcks Liebling und Stolz zugleich; und neben
diesem Ruhme sieht der König seinem Sohne Wüstheit und Schande
auf die Stirn gedrĂĽckt. Percy selbst, der das Wort Ehre immer
im Munde führt, nennt den Prinzen einen „Schwadronirer", und
der letztere ist bereitwillig genug, den tapferen Heisssporn, den
gepriesenen Ritter als das Kind der Ehren und des Ruhmes
uneingeschränkt anzuerkennen. Aber diesem Sohne des Ruhmes,
dessen leidenschaftliche Heftigkeit der Dichter in mannigfachen
Situationen zeigt, der sich durch Maasslosigkeit, ein anderer Ajax,
ins Verderben stĂĽrzt, steht der verachtete, aber besonnene Prinz
mit ironischer Ueberlegenheit des Geistes gegenĂĽber; der Ver-
achtete wird Sieger über den Verächter; was der Prinz seinem
Vater, seine Schimpflichkeit der Glorie Percy's entgegensetzend,
versprach, mit Percy abzurechnen, dass dieser ihm jeden Ruhm
ausliefern solle, das geht nicht durch Zufall, sondern durch den
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Charakter des Prinzen in ErfĂĽllung; die Schlacht von Shrewsbury
ist der praktische Contrast von Percy und Prinz Heinrich, welcher
aus Vernon's Gespräch mit Percy der Gesinnung nach hervor-
getreten war; Percy wollte den Prinzen mit Soldatenarm umfassen,
dass er zusammenzucken sollte vor seinem Gruss; aber der Prahler
unterliegt dem Bescheidenen, und der Bescheidene hat fĂĽr seinen
Verächter nach dessen Tode wieder Worte der reinsten Humanität
und Wahrheitsliebe.
Die Polymythie in den beiden Dramen „Heinrich IV." machte
einen andern grossstilisirten Contrast möglich, der zwischen dem
Prinzen und Falstaff in aufsteigender und absteigender Linie sich
darstellt. Dieser Contrast ist schon beim ersten Auftreten der
beiden vorhanden, er erweitert sich nur. Der Prinz betrachtet
seinen Umgang mit Falstaff und dessen Genossen nur als ein Spiel ;
seiner Gesinnung nach ist er durchaus von ihm getrennt; was ihn
an diesen Umgang noch iesselt, ist die Freude des Witzigen an
dem Witze und der komischen Erscheinung des feisten Ritters.
Die Komik FalstafFs leuchtet in allen Farben. Ihr wesentliches
Element ist die Phantasie. Von dieser geht die Neigung zum
Schauspielerischen und Parodischen aus. Das Drama im Drama,
in welchem Falstaff den König spielt und abgesetzt wird, ist höchst
charakteristisch fĂĽr die phantastischen Neigungen des Ritters.
Dieser Zug ergeht sich mit Vorliebe in Uebertreibungen und hand-
greiflichen Unwahrheiten, ist stets zu Vergleichungen, parodischen
Anspielungen, Verdrehungen und Wortwitzen geneigt. Diese Phan-
tasie bewegt sich in dem Kreise des Niedrigen und Gemeinen und
wird getragen von einem beobachtenden Scharfsinn, durch welchen
Falstaff sich aus den misslichen Lagen, in welchen er sich durch
seine ĂĽbertreibende Phantasie verwickelt, nothdĂĽrftig zu befreien
sucht. An dieser Begabung zur Vielseitigkeit im Komischen, welche
Falstaff entwickelt, hat der Prinz sein Gefallen. Nicht minder er-
götzt ihn das Objectivkomische der Gestalt FalstafFs. Die feiste
Gestalt des Ritters und die Contraste, welche an dieselbe sich
knĂĽpfen, sind Gegenstand mannigfaltigen Spottes von Seiten des
Prinzen, die misslichen Lagen, in welche den GenusssĂĽchtigen
die beschwerliche Unform des Leibes bringt, belustigen den be-
henden Königssohn; das aufstrebende Gewissen FalstafFs, welches
durch die massenhafte Trägheit und Genussliebe immer wieder
niedergezogen wird, ist fĂĽr den Verstand des Prinzen ein komisches
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Schauspiel. In dieser Neigung zum Komischen, welche der Prinz
mit Falstaff ausĂĽbend theilt, ist er scheinbar ein Gleicher unter
Gleichen; aber nur scheinbar; vielmehr ist der Gegensatz zwischen
ihm und Falstaff gleich von vornherein sichtbar; Falstaff ist der
Komödienspieler für den Prinzen, er selbst der vornehme und
kritische, wenn auch mitspielende Zuschauer; er kritisirt die
Gleichnisswitze Fallstaif s (Was meinst Du zu einem Hasen etc.?),
er kritisirt witzig FalstafFs Gestalt, er lässt ihn mit seiner Tapfer-
keit bei der Beraubung der Kaufleute renommiren und entlarvt
den witzig ĂĽbertreibenden Renommisten; er kritisirt das Schau-
spiel, in welchem Falstaff den König spielt, dadurch, dass er den
Spieler absetzt und in eigner Person den König spielend in witzigen
Gleichnissen die vernichtendste Kritik ĂĽber die sittliche Verworfen-
heit FalstafTs ausspricht. Als Falstaff sich zu dem Scherze ver-
mass, den König mit einem Cantor in Windsor zu vergleichen,
hatte der Prinz handgreifliche Kritik dadurch geĂĽbt, dass er dem
Spötter ein Loch in den Kopf schlug. In dieser gesammten Kritik
des Prinzen ist die Kluft des Contrastes sichtbar, welche sich
zwischen ihm und Falstaff immer mehr erweitert. Der sittliche
Gegensatz beider hatte sich schon in der bedenklichsten Handlung
des Prinzen, in der Theilnahme an der Beraubung der Kaufleute
dargestellt; aber diese Theilnahme ist die praktische Parodie der
Raubsucht und Feigheit FalstaflTs, und der scherzende Prinz ist
unter dem Gesindel der humoristisch sittliche Genius. Dieser
Genius, dessen FlĂĽgel durch unsaubern Umgang nicht unbeschmutzt
geblieben sind, hat seine angeborne Kraft behalten, schwingt sich
zu ritterlichen Thaten auf und lässt den feigen Genossen mit milder,
aber der Eitelkeit abholder Gesinnung am Boden liegen. Dieser
war sittlich immer tiefer gesunken und hatte nach eignem Ge-
ständniss des Königs Aushebungsbefehl schnöde gemissbraucht. In
der Schlacht von Shrewsbury ersteigt der sittliche Contrast den
höchsten Gipfel im ersten Theile des Dramas. Prinz Heinrich
hatte sich selbst zum Einzelkampf mit Percy angeboten, diesen
Kampf ruhmvoll gegen den gerĂĽhmten Gegner vollendet; an der
Leiche des Rebellen erhebt sich der gemässigte Sieger zum Aus-
druck edelster Menschlichkeit und überlässt gleichgültig gegen
die äussere Ehre dem feigen Falstaff den Ruhm der That. Dieser,
der als den besseren Theil der Tapferkeit die Vorsicht bezeichnet
und ĂĽber die Ehre, d. h. ĂĽber sittliche Verpflichtung die bedenk-
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lichsten Sätze ausspricht, liegt aus Furcht vor Douglas den Tod
heuchelnd am Boden, seine Feigheit verwundet den todten Percy
und mit dem LĂĽgenhumor der Schamlosigkeit nimmt er den Ruhm
in Anspruch Percy getödtet zu haben, den ihm der Prinz, die
Wahrheit und Scheinlosigkeit der LĂĽge und dem Scheine, gross-
müthig freundlich überlässt. Der eklatante Contrast, der in dieser
Scene im sittlichen Aufsteigen und Niedersteigen der beiden Per-
sonen sich noch mit humoristischer Färbung darstellt, erreicht im
Schlüsse des zweiten Dramas seine tragische Höhe und Vollendung.
Den Prinzen lernen wir in diesem Drama ganz besonders in
seiner GemĂĽthsinnigkeit kennen; Falstaff sinkt immer tiefer
in seiner GemĂĽthlosigkeit; der Prinz wird immer reifer fĂĽr die
grosse Aufgabe, welche seiner im Staate wartet; Falstaff wird
immer ausgelernter, den Staat und seine Mitmenschen zu betrĂĽgen.
Die Zweifel, welche der König noch immer über die sittliche Zu-
kunft seines Sohnes hegt, den er von Falstaff durch Geschäfte
trennt, die Sorge um den Thron, wenn Gier und heisses Blut die
Räthe des Nachfolgers sind, wenn Macht und üppige Sitten sich
begegnen, werden gänzlich beseitigt durch den tiefen Gemüthsernst
des Prinzen, durch die innige und unzweideutige Liebe desselben
zu seinem Vater, und die Scenen unmittelbar vor dem Tode des
• Königs, in ihrer charaktervollen Schönheit über alle andern hervor-
leuchtend, leiten die würdevolle Haltung des jungen Königs ein,
der seine Seelengrösse durch den Akt beweist, dass er den Lord
Oberrichter zum väterlichen Berather wählt, von dem seine Un-
gebundenheit einst gestraft worden war. Dieser Lord Oberrichter
hatte auch den Falstaff gemahnt brav zu tein, als er mit dem
Prinzen Johann von Lancaster gegen den Erzbischof und den
Grafen von Northumberland zog. Dem Verschwender tausend
Pfund zu leihen hatte er verweigert. Seiner gedenkt Falstaff mit
dem Ausrufe „Wehe dem Lord Oberrichter'', als er nach der
Thronbesteigung des Prinzen Heinrich in dem Wahne ist, dass
die Gesetze Englands ihm zu Gebote stehen. Wie er mit diesen
Gesetzen gewirthschaftet haben wĂĽrde, hat im zweiten Theile sein
Verhältniss zur Frau Hurtig und zu Dortchen Lakenreisser, seine
Methode Soldaten auszuheben, seine PlĂĽnderung Schaars bewiesen.
Seine gemĂĽthloseste Undankbarkeit gegen den Prinzen, der ihn
bei Shrewsbury mit unverdientem Ruhme überhäuft hatte, tritt in
der Kritik hervor, welche er der gemeinen Heerstrasse Dortchen
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Lakenreisser gegenüber giebt, welche der Prinz verkleidet anhört.
Durch Gesinnung und Thaten hat sich die Kluft des Contrastes
zwischen dem Prinzen und Falstaff so sehr erweitert, dass die
absolute Trennung unabweislich ist.
Das polymythische Drama hat sich in contrastirender Dar-
stellung noch einmal FalstaflPs bemächtigt in den „Lustigen Weibern
von Windsor". Der Haupthandlung, der gewinnsĂĽchtigen Bewerbung
Falstaffs um die Gunst der lustigen und sittlich tĂĽchtigen Frauen,
in welcher die Unsittlichkeit des Ritters wiederholt die possenhaft
komischen Niederlagen durch die bĂĽrgerliche Ehrbarkeit erleidet,
entsprechen in paralleler Weise die erfolglos versuchte Verbindung
der Anna Page mit Dr. Cajus oder Slender, und wie der witzig
thörichte Falstaflf von zwei Frauen getäuscht wird, so täuscht
Anna Page zwei alberne Freier. Die Contrasthandlung bewegt
sich in der reinen und gemĂĽthvollen Liebe Fenton's und Anna
Page's, welche der Masse der Verkehrtheit gegenĂĽber einen wohl-
thuenden Eindruck gewährt.
Die Polymythie in dem Drama „Ende gut, Alles gut" hat nicht
minder die schärfsten Contraste herbeigeführt. Der Haupthandlung,
in welcher die Liebe Helena's zu Bertram, der Verlust und die
Wiedergewinnung des Gatten dargestellt wird, steht als Gegen-
bild die Entlarvung Parolles' gegenĂĽber. Wie weibliche Liebe
und Treue den Bertram rettet und den bekehrten fĂĽr sich selbst
gewinnt, wie die falsche und unzuverlässige Gesinnung des Parolles
ihre Ziele verfehlt, wird in beiden Handlungen sichtbar. Es ist
eine aufsteigende und absteigende Linie. Helena besitzt das Ver-
trauen und die Liebe Bertram's nicht, obwohl sie dieselben verdient;
sie erwirbt sie, und Bertram lernt das verachtete Kleinod der Liebe
Helena's schätzen; Parolles besitzt das Vertrauen des leichtge-
sinnten Bertram, obwohl er es nicht verdient, und Bertram lernt
den hohlrenommistischen und abtrĂĽnnigen Sinn des Parolles end-
lich kennen und verachten; dort zuerst Niederlage und zuletzt
Sieg; hier zuerst Sieg, zuletzt Niederlage. Wenn Shakespeare,
wie J. H. Klein (Geschichte des italienischen Dramas, I, p. 549 fg.)
wahrscheinlich gemacht hat, Bernardo Accolti's Drama „Virginia"
benutzte, so lässt sich aus der Vergleichung der Dichtung Shake-
speare's mit der italienischen deutlich wahrnehmen, wie der poly-
mythische Hang Shakespeare's den Charakter des Parolles in um-
fangreichere Handlung verflocht; der Parolles in Accolti's Drama
Jahrbuch XL 17
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„Ruffo" ist, wie Klein sagt , die „allermagerste Skizze" zu Shake-
speare's reichgestalteter Figur. Wenn Accolti den Werth seiner
Heldin (Virginia), die von ihrem Gatten verschmäht wird, durch
die Liebe des Sylvio hervorleuchten lässt, welcher sterben will,
wenn Virginia den Tod erleidet, so hat Shakespeare die Personen,
welche für die von Bertram verschmähte Helena ein tiefes Interesse
zeigen und fĂĽr ihren Werth bĂĽrgen, noch vermehrt, indem er Ber-
tram's Mutter, die liebevolle und anerkennende BeschĂĽtzerin He-
lena's, den Lafeu und die vier Edelleute einfĂĽhrte, welche die
Hand der schönen Jungfrau gern empfangen würden.
Das Verhältniss, welches zwischen Parolles und Bertram Statt
findet, erinnert lebhaft an FalstaiFs und des Prinzen Heinrich Ge-
schichte; der Contrast, dass der ernsten und tragischen Handlung
komische Scenen gegenĂĽber spielen, ist in beiden Dichtungen wahr-
nehmbar. Dieser Contrast der ernsten, tragisch bewegten Hand-
lung und der komischen ist durch polymythische AusfĂĽhrung auch
in dem Wintermärchen zur Darstellung gekommen. In diesem
Lustspiel ist zunächst ein Contrast sichtbar, wie wir ihn in „Viel
Lärmen um Nichts" wahrgenommen haben; die Liebe und Ehe
des Leontes und der Hermione wird tief geschädigt durch den
kurzsichtigen, argwöhnischen Eigensinn des Leontes, wie Claudio's
Flachheit sich von der plumpen Bosheit bethören Hess; die Liebe
Florizel's und Perdita's stösst auf harte Hindernisse, welche durch
die tiefen und reinen Gesinnungen der Liebenden so glĂĽcklich
ĂĽberwunden werden, wie sich Benedict's und Beatrice's BĂĽndniss
gerade in dem UnglĂĽck Hero's erprobt und befestigt. Der ernsten
und tragisch vorschreitenden Handlung, welche Leontes und Her-
mione trennt, stehen die heiteren Scenen des Schäferlebens in dem-
selben Contraste gegenĂĽber, wie Beatrice's und Benedict's heiteres
Witzspiel der gefährdeten Liebe Claudio's und Hero's. Aber die
Polymythie erschuf in dem Wintermärchen in den Schäferscenen
einen anderen Contrast von tiefster Bedeutung, den Contrast der
reinen und unverfälschten Natur im Gegensatze gegen die Ver-
wöhnung durch gemissbrauchte Macht, und diese reine Natur ist
es, welche heilend eintritt in die entartete Cultur. So grosse
Gegensätze zwischen Natur und Cultur Hess das monomythische
Drama der Alten nicht zu, und wo die Dichter, wie Euripides,
diesen Gegensatz bildeten, erscheint er nur in den Anfängen. Wenn
Medea bei Euripides, die Erwürgeriu der eignen Söhne, in Attica
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Zuflucht suchen will, so stellt der Chor ihrem Verbrechen das
Land und Volk entgegen, welches durch den lautersten Glanz des
Aethers wallt in Seligkeit, wo Kypris aus dem schönfliessenden
Kephisos die Floth schöpft und zur Flur herab den süss und ge-
mässigt wehenden Hauch der Lüfte giesst. Und wenn Phädra
im Hippolytus an unkeuscher Liebe krank ihr gequältes Herz er-
öffnet, so wünscht sie aus frisch entsprudeltem Quell das lautere
Nass sich zum Trank zu schöpfen und im Pappelgebüsch und auf
grĂĽnender Flur hinsinkend zur Rast sich dem Vergessen zu weihen;
sie will in den Wald, ins Fichtengehölz und wie Maria Stuart an
der Jagd theilnehmen. Aber volle Charaktere, welche in reicher
Entwickelung die schöne und reine Natur constrastirend verkör-
pern, vermochte er wegen der engeren Schranken des monomy-
thischen Dramas nicht zu bilden. Shakespeare hat es gethan,
und der Charakter der Perdita, welche in einem beschränkten,
aber gesunden Naturleben sich entwickelt, ist ein glänzendes Zeug-
niss. Aus der Treuherzigkeit, Gutmüthigkeit, Beschränktheit und
Natürlichkeit der Schäferscenen , zu denen Shakespeare den Stoff
in Greene's Dorastus und Faunia nicht vorfand,' sehen wir das
naturschöne Bild der Perdita reizend hervortreten, indem die guten
Eigenschaften der harmlosen Naturumgebung gesteigert in ihr er-
scheinen. Ihre Liebe zur Natur, die in der sinnig anmuthigen
Charakteristik der Blumen eine fesselnde Schönheit entfaltet und
ihren eigenartigen Charakter in der fast eigensinnigen Abweisung
aller Kunstmittel entwickelt, ist mit der Verachtung alles Tandes,
welche Florizel an ihr rĂĽhmt, mit der Abneigung gegen alles Ge-
kĂĽnstelte, mit Wahrheit, Gewissenhaftigkeit und Muth verbunden;
einfach und kraftvoll wie die Natur ist sie das vollendete Gegenbild
gegen den Schein und die Verweichlichung der Gesinnung, durch wel-
che Leontes, der Wahrheit unzugänglich, sein Glück untergrub.
Dieser scharfe Gegensatz reiner Natur gegen die Entartung verwor-
rener Culturverhältnisse konnte in seiner reichen Fülle nur zur Er-
scheinung kommen in einer weit gegliederten Handlung des poly-
mythischen Dramas. Er hat seine Genossen in den Naturcontrasten
in „Wie es euch gefällt" und im „Cymbeline". Auch diese Dramen
bewegen sich in einem Gegensatze des harmlosen und starken Natur-
lebens, einem Hofleben gegenĂĽber, welches durch WillkĂĽr oder durch
Schwäche, Schmeichelei, Bosheit und Intrigue die verderblichsten
Folgen herbeiführt und wie im „Cymbeline" seine Rettung und Ge-
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sundheit nur wieder empfängt durch die ungebrochene Naturkraft.
In beiden Dramen entsteht der Contrast durch Polymythie; in
„Wie es euch gefällt" ist die Handlung, welche in idyllischer
Schönheit in einem zum Theil phantastischen Naturleben sich be-
giebt, die überwiegende; in „Cymbeline" bilden die Scenen des Na-
turlebens die minder umfangreiche Handlung, haben dafĂĽr aber eine
um so grössere Tiefe und eindringendere Schärfe des Contrastes.
Die einfache Grösse der Helden, welche in diesen Scenen auf-
treten, ist wirksam in negativer und positiver Art; sie protestiren,
wie Bellarius, der das Opfer der Missgunst und Verläumdung war,
gegen die Wucherei der Städte, gegen die Gunst des Hofes, die
schwer aufzugeben, schwer zu bewahren ist; durch ihre Existenz
und Erziehung, durch ihren starken, reinen und zartfĂĽhlenden
Sinn stehen Guiderius und Arviragus im abweisenden Gegensatze
gegen einen Hof, an welchem durch die Schwäche Cymbeline's die
giftmischende Bosheit und Känkesucht der Königin die Herrschaft
fĂĽhrt, an welcher ein Posthumus nicht geduldet wird und eine
Imogen vor der brutalen Werbung des polternden und hochmĂĽthigen
Narren Cloten nicht sicher ist; in ihrer keuschen Sittlichkeit sind
sie die vollendeten Gegenbilder gegen die Fäulniss der Gesinnung,
mit welcher der verworfene Jachimo lügt und verläumdet; mit
ihrer gradsinnigen Thatkraft und Tapferkeit, durch welche der
freche Cloten von des Guiderius Hand den Tod empfangt, stehen
sie im Gegensatze gegen die feige Flucht der Briten, sie retten
den König und stellen die Schlacht her. Der Reichthum und die
Vielseitigkeit dieser Contraste wird noch gehoben durch die Hand-
lungen, welche von Imogen und Posthumus ausgehen, welche im
gleichen Gegensatze stehen gegen die Personen eines entarteten
Hoflebens und die verworfene Unsittlichkeit eines Jachimo, und
es ist von wunderbarer Schönheit, dass Imogen auf ihrer gefahr-
voll mĂĽhseligen Wanderung Zuflucht und liebevolle Aufnahme bei
den Bewohnern der Wildniss findet und Posthumus in tiefer
Reue in Gemeinschaft mit den tapferen Natursöhnen die höchste
Tapferkeit als Bauer verkleidet beweist.
Die Polymythie hat jedoch nicht allein den Reichthum der
Contraste hervorgerufen, die wir bisher betrachteten, welche nicht
durch einzelne Personen, wie im antiken Drama, sondern durch
Gruppen von Personen gebildet werden; das polymythische Drama
verpflanzte die Contraste in die Charaktere selbst und in Folge
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der Polymythie sind die einzelnen Charaktere complicirter, indi-
vidueller geworden und geben der psychologischen und ethischen
Betrachtung den interessantesten Stoff dadurch, dass sie nicht als
fertige auftreten, sondern als werdende sich entwickeln. Ein
Charakter des polymythischen Contrastes ist Hamlet. Er ist
melancholisch, von dem an seinem Vater begangenen Verbrechen,
• das er ahnt, von der jäh geschlossenen Ehe seiner Mutter bis zu
Selbstmordgedanken bedrĂĽckt, ein trĂĽbsinniger Beurtheiler der
Welt, die fĂĽr ihn ein 'wĂĽster Garten ist, den verworfenes Unkraut
ganz erfĂĽllt, ein dĂĽsterer Satiriker und Humorist, der mit bitteren
Sarkasmen trifft und geisselt; er ist vorsichtig, besonnen, behut-
sam, ein Zweifler; er ist ein Denker, der in Wittenberg in sein
Inneres gefuhrt wurde, welchem das Wissen BedĂĽrfniss und die
Kunst ein Gegenstand reflectirender Forschung geworden ist; er
ist eine gefĂĽhlvolle, der Liebe und Freundschaft bedĂĽrftige Seele.
Aber er ist auch, was man bei solcher Beschaffenheit nicht er-
warten sollte, leidenschaftlich, furchtlos, thatkräftig und besitzt
nach Ophelia's Ausdruck den Arm des Kriegers; leidenschaftlich
aufgeregt tödtet er den Polonius, furchtlos tritt er dem Geiste
entgegen, der erste von Allen springt er in das geenterte Schiff
der Seeräuber. Der philosophische Denker, welcher die Gesetze
des Schauspiels so fein zu beurtheilen weiss, hat etwas von dem
Geiste der Blutrache in sich, welcher nur in unphilosophischen
Zeitaltern gedeiht; er verfolgt seinen brudermörderischen Oheim
mit seinem Hasse bis in das Jenseits, wie Ajax den Hass gegen
Odysseus noch in der Unterwelt festhält und die Versöhnung ab-
weist; Rache ist seine Losung, nicht bloss Vergeltung; darum will
er seinen Oheim nicht tödten, wenn derselbe betet, weil er nicht
gerächt wäre, wenn er in seiner Heiligung ihn fasste, bereitet
und geschickt zum Uebergang; vielmehr soll sein Schwert schreck-
licher gezĂĽckt sein: wenn Claudius berauscht ist, schlafend in der
Wuth, in seines Bettes blutschänderischen Freuden, beim Doppeln,
Fluchen oder andern Thun, das keine Spur des Heiles an sich
hat, dann ist fĂĽr ihn die rechte Zeit ihn niederzustossen, dass
gen Himmel er die Fersen bäumen mag und seine Seele so schwarz
und so verdammt sei, wie die Hölle, wohin er fährt. Es ist klar,
dass eine solche FĂĽlle zum Theil einander widersprechender Eigen-
schaften nur auf dem Wege der Polymythie zu erreichen war.
Damit wir Hamlet in dieser FĂĽlle seiner Eigenschaften kennen
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lernen, hat der Dichter eine parallele und zugleich contrastirende
Handlung weit ausgebildet, welche die Schicksale des Polonius
und seiner Familie betrifft. Wie Hamlet's Vater ermordet ward,
so wird auch dem Laertes, wenn auch in anderer Weise, der
Vater getödtet; und wenn Hamlet die Aufgabe seinen ermordeten
Vater zu rächen aus dem Jenseits empfängt, so bedarf es für
Laertes einer jenseitigen Aufforderung nicht, um zur rächenden
That der Vergeltung zu eilen. Mag man diese Handlung, in
welcher sich die Geschichte des Polonius,* des Laertes und der
Ophelia bewegt, wie Gervinus auffassen oder wie Werder, Nie-
mand wird bestreiten, dass ohne sie dem Charakter des Hamlet
viele Gelegenheit genommen wĂĽrde, sich in den verschiedensten
und entgegengesetzten Lagen und Eigenschaften zu zeigen. Laertes
kann zur AusfĂĽhrung seines Vorsatzes einfach, wie Orestes, vor-
schreiten; Hamlet kann es nicht; die Todesart des Polonius und
der Urheber dieses Todes sind nicht in das Geheimniss gehĂĽllt,
so wenig wie der Tod Agamemnon's und seine Mörder; das an
Hamlet's Vater begangene Verbrechen und der Thäter ist ein Ge-
heimniss, und die dienende Umgebung des verbrecherischen Königs,
unselbständige und schmeichelnde Schatten wie Polonius, Rosen-
kranz, GĂĽldenstern,' Osrick wĂĽrden die Hand zur EnthĂĽllung des
Geheimnisses niemals bieten. Die Aufgabe Hamlet's, dieses Ge-
heimniss zu enthüllen und den König vor der Oeffentlichkeit zu
entlarven, zu überführen, zum Geständniss zu zwingen, lastet so
sehr auf der Seele des Prinzen, dass er von der Tafel seines Ge-
dächtnisses um dieser Einen Aufgabe willen alles hinwegwischen
will, was dieser Aufgabe fern liegt, dass die Liebe zu der an-
muthvollen Ophelia in seiner Seele keinen Raum mehr hat, und
ohne den letzteren Theil aus der Handlung, in welcher des Po-
lonius und seiner Familie Geschichte sich entwickelt, wären wir
ausser Stande, das liebebedĂĽrftige Herz des Prinzen und, was
mehr ist, seine Entsagung um der Einen grossen Aufgabe willen
kennen zu lernen. Aber das Geheimniss, das fĂĽr das Empfinden
und Ahnen des Prinzen durch die Offenbarungen des Geistes ent-
hĂĽllt ist, ist vor seinem Denken, Reflectiren wie vor seinem Ge-
wissheit fordernden Gewissen nocli nicht in evidenter Klarheit;
„der Geist, den ich gesehen", ruft er aus, „kann ein Teufel sein;
der Teufel hat Gewalt sich zu verkleiden in lockende Gestalt und
vielleicht, bei meiner Schwachheit und Melancholie (da er sehr
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mächtig ist bei solchen Geistern), täuscht er mich zum Verderhen:
ich will Grund, der sicher ist. Das Schauspiel sei die Schlinge,
in die den König sein Gewissen bringe." In der Orestie des
Aeschylus hat Orestes, der von Apollo das Geheiss den ermordeten
Vater zu rächen bekam, wie Hamlet von dem Geiste seines Vaters,
solche Bedenken nicht; in dem monomythischen Drama des
Aeschylus wie in der Electra des Sophokles ist die That der
Klytämnestra und des Aegisthus eine unverhüllte; aber auch im
entgegengesetzten Falle wĂĽrde die Einfachheit der antiken Tra-
gödie eine Handlung der Polymythie, ein Drama im Drama, nicht
ertragen haben. Dieses Drama im Drama, welches der polymy-
thische Stil Shakespeare's in der „Ermordung Gonzago's" schuf,
ein symbolischer Spiegel der That des Claudius, war durch die
Eigenschaft des reflectirenden Geistes, welche Hamlet im hohen
Grade besitzt, gefordert. In diesem reflectirenden Sinne hat die
Gewissenhaftigkeit ihren Grund, mit welcher er sich scheut die
Rache an Claudius vor der PrĂĽfung seiner Schuld zu vollstrecken ;
wenn Hamlet dann ausruft: „so macht Gewissen Feige aus uns
allen; der angebornen Farbe der EntSchliessung wird des Ge-
dankens Blässe angekränkelt", so hat dieses Gewissen wenigstens
da nicht gesprochen, als er Rosenkranz und GĂĽldenstem dem
Untergange weiht, ohne auch nur ein Wort des Mitleids, wie
Horatio, fĂĽr sie zu haben. Die Rede Hamlet's an seine Mutter
ist mit Recht ein MeisterstĂĽck ethischer Beredtsamkeit genannt
worden ; im Gegensatze zu dieser Rede steht die zweideutige Art,
in welcher die Worte Hamlet's gegen Ophelia sich ergehen. Zu-
letzt ist eine gläubige Stimmung in Hamlet's Gemüth nicht zu
verkennen: er sieht einen Cherub, der die Absichten des Königs
sieht, und der Glaube an die Vorsehung ist in ihm lebendig; im
Gegensatze zu diesem Glauben kommen Gedanken des Skepticis-
mus vor, wie in dem Monologe „Sein oder Nichtsein".
Die ausserordentliche FĂĽlle zum Theil sehr contrastirender
Eigenschaften, welche der Charakter Hamlet's darbietet, mit wel-
chem man den ebenfalls auf die schärfsten Contraste gebauten Cha-
rakter des Antonius in Antonius und Cleopatra vergleichen mag,
ist nur aus der Menge der Beziehungen zu erklären, in welche
der Charakter zu den verschiedensten Personen des polymythischen
Dramas tritt. Aus diesen Beziehungen erhalten auch die werdenden
Charaktere im Drama Shakespeare's ihre richtige Beleuchtung.
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Das monomythische Drama der Griechen, insbesondere des
Meisters, der die Tragödie zu ihrer vollkommensten Gestalt inner-
halb der plastischen Weltanschauung fĂĽhrte, schloss die werdenden
Charaktere aus. Die Hauptcharaktere des Sophokles, der doch die
Handlung durch EinfĂĽhrung des dritten Schauspielers erweiterte
und vertiefte, sind bei ihrem ersten Auftreten fertige, die Hand-
lung, in deren Folgen sich die Charaktereigenschaften spiegeln,
ist meist eine vor der dramatischen Action geschehene oder zu
Anfang derselben geschehende, der Charakter bleibt consequent
und ohne Schwanken in seiner ursprĂĽnglichen Gesinnung. Der
Charakter der Elektra beruht in der leidenschaftlichen Liebe zu
dem ermordeten Vater, mit welcher der Hass gegen die freche
Mutter und ihren Mord- und Buhlgenossen identisch ist; die hass-
erfĂĽllte Liebe der Elektra entwickelt sich in einer Skala von
Gedanken, Empfindungen und Handlungen, die immer aus derselben
Quelle fliessen: der Hass gegen Klytämnestra, leidenschaftlicher
in ihr ausgebildet als in dem milden Gegenbilde Chrysothemis, sucht
die letztere zu bestimmen, den Weiheguss, den die Mutter zum
Grabe Agamemnons zur SĂĽhne sendet, nicht zu spenden; die Liebe
zum Vater giebt der Elektra eine scharfe Beredsamkeit, mit
welcher sie die sophistischen Scheingründe der Klytämnestra
widerlegt; die Liebe zum Vater lebt von der Hoffnung, dass einst
der Rächer in der Person des Orestes erscheinen werde, und duldet
alle Unbilden; die Liebe zum Vater trauert im tiefsten Schmerze,
als sie glauben muss, dass Orestes nicht mehr unter den Leben-
den ist, und hatte schon den Entschluss gefasst, von Chrysothemis
verlassen, allein den Aegisthus zu tödten; die Liebe zum Vater
ersteigt die höchste Stufe des Entzückens, als Orestes erkannt
und der Vollbringer der Rachethat gefunden ist; die Liebe zum
Vater kennt keine Hamletsbedenklichkeiten, hat kein Gewissen in
Betreff der Mutter und kann bei der Ermordung der Mutter dem
Orestes zurufen: „0 stoss noch einmal!" — In dem Charakter
der Antigone entspringen alle Empfindungen und Handlungen aus
dem Einen Grundzuge der Pietät gegen den Polynices. Dieser
Grundzug verschlingt jede andere Empfindung. Antigone ist die
Verlobte Hämons. Man könnte sich denken, dass die Liebe zu
dem Verlobten einen Zwiespalt in ihre Seele geworfen, einen
Widerstreit der Empfindungen in ihrer Seele und das Bedenken
hervorgerufen hätte, ob sie aus Liebe zu Hämon die gesetzwidrige
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und gefahrvolle That unterlassen oder der Erfüllung der Pietäts-
pflicht sich unterziehen solle. Diesen Widerstreit Hess das mono-
mythische Drama des Sophokles nicht zu; unbeeinflusst von der
Liebe zu Hämon schreitet sie zu ihrer heiligen Frevelthat (oaia
TravovQyrjaaaa), unbeeinflusst von dieser Liebe steigert sie ihren
Widerwillen gegen die mildere Ismene, ihren Trotz gegen Kreon
und sieht dem bevorstehenden Tode ins Antlitz. Man kann eine
ähnliche Beobachtung anstellen an den Charakteren des Philoktet,
des Oedipus im ersten Drama, des Ajax, welcher weder durch
Liebe und Anhänglichkeit, noch durch das eigne Gewissen gehindert
wird sich dem freiwillig gewählten Tode darzubieten.
Diesen mehr oder weniger in sich fertigen Charakteren des
Sophokles stehen die werdenden gegenĂĽber, wie sie das poly-
mythische Drama Shakespeare's hervorbrachte. Ein Beispiel von
hervorragender Bedeutung ist Posthumus. Bei seinem Auftreten
wird er als ein vollkommenes Wesen bezeichnet, im Wissen und
Charakter gleich vortrefflich, dadurch vor allem in seinem Werthe
hervortretend, dass eine so vollendet schöne Seele wie Imogen ihn
zum Gemahl gewählt hat. Seine imponirendste Eigenschaft scheint
die antike Ruhe und feste Geduld zu sein, welche er den mannig-
fachen Unbilden des Lebens entgegensetzt. Aber diese Ruhe und
Geduld weicht in der schwierigsten Lebenslage einer verhän£niss-
vollen Leidenschaft, Die Treue seiner Gemahlin wird ihm ver-
dächtig, ja die Beweise des Jachimo müssen ihm so unzweideutig
erscheinen, dass Zweifel unmöglich ist. Das Bild der rosigen
Sittsamkeit, welches ihm Imogen immer gewesen war, die ihm
rein erschien, wie ungesonnter Schnee, kann seine leidenschaftliche
Rachsucht nicht hemmen; er giebt seinem Diener den Befehl die
Herrin zu tödten, die er durch falsche Vorspiegelungen zu der
Hoflhung getäuscht hat, dass sie ihn in Milford- Hafen finden
werde. Er muss glauben, dass sein blutiger Befehl ausgefĂĽhrt
worden ist. Die Besinnung tritt bei ihm ein und mit ihr die Reue,
das Gewissen; er verurtheilt seine That, da sie der Imogen mit
dem Leben die Gelegenheit zur Reue entrissen habe; er sucht
seine Unthat zu sühnen; verkleidet und unerkannt kämpft der
Tapfere fĂĽr sein Vaterland Britannien, dem er die FĂĽrstin erschlug;
im Kerker betet sein belastetes Gewissen zu den Göttern: sie
mögen für das theure Leben Imogen's das seine nehmen und den
Schuldbrief zerreissen. Zu welcher sittlichen Tiefe hat er sich
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durch seine Busse entwickelt; im Anfang des Dramas erscheint er
gepriesen von allen: aber sein wahrer Werth offenbart sich erst,
als er jeden Euhm verschmähend die tapfersten Thaten unerkannt
vollbringt und nur nach dem Grundsatze handelt „schlecht aussen,
kostbar innen", als seine Leidenschaft verurtheilend sich gegen
sich selber richtet (V, 5) und seine Rache gegen den verläumderischen
Urheber alles Unheils, den Jachimo, darin findet, dass er ihm ver-
zeiht. Eine solche Entwickelung eines iverdenden Charakters, welche
das Höchste leistet, wozu die dramatische Dichtung gelangen
kann, war nur im polymythischen Drama möglich, und Posthumus
musste in die verschiedensten Verhältnisse geführt werden, um
das Werden seines Charakters zu erfahren. Er musste im fernen
Italien mit Jachimo in BerĂĽhrung kommen; er musste an dem
Kampfe gegen die Römer Theil nehmen, er musste mit Bellarius,
Guiderius und Arviragus in kämpfende Gemeinschaft treten: er
musste in der Einsamkeit des Kerkers verweilend seine Seele ver-
tiefen und läutern. Der Reichthum seines Seelenlebens, in welchem
Melancholie und Thatkraft sich vereinigen, tritt durch Polymythie
um so bemerkens werther hervor, wenn man ihn mit ähnlichen
Charakteren des antiken Dramas vergleicht, welche im mono-
mythischen Drama nur Skizzen bleiben konnten, wie schön sie auch
sind. Das Drama des Sophokles Hess nur in der Person des
Deuteragonisten die Darstellung jener Seelenkämpfe zu, an welchen
das Drama Shakespeare's so reich ist. Neoptolemos im Philoktet
fällt, wie Posthumus, von sich selber ab, die Geradheit und Wahr-
heitsliebe, in welcher der Sohn des Achilleus dem Vater gleicht,
geht aus Ruhmliebe, wenn auch widerwillig, doch auf die Pläne
der Täuschung ein, mit welchen die Staatskunst des Odysseus den
Philoktet umspinnt; aber das Elend Philoktet's, das Vertrauen des
unsäglich leidenden Mannes bringen den Neoptolemos zur Besinnung:
das Zutrauen, mit welchem Philoktet ihm seinen Bogen zum Auf-
bewahren ĂĽbergiebt, rĂĽhrt seine Seele; er gesteht dem Philoktet
die Wahrheit, dass er ihn nach Troja, zu dem gehassten Odysseus
und den Atriden führen will, er wirft zuletzt alle Pläne der Ruhm-
liebe bei Seite und ist entschlossen, den duldenden Helden in seine
Heimath zu fĂĽhren. Man hat wohl gesagt, dass die VorwĂĽrfe des
enttäuschten Philoktet die Gewissensbisse des Neoptolemos ver-
mehren; aber zu einer Darstellung eines so tiefbewegten GemĂĽths-
lebens hat das monomythische Drama des Sophokles keinen Raum,
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— 267 —
und die Umkehr des Neoptolemos erscheint mir in der vom Drange
des Gemüths bewegten Handlung, die geheimen Gänge der Reue
in seiner Brust werden nicht offen gelegt (vgl. Fr. Zimmermann,
Ueber den Philoktet des Sophokles p. 27). Dagegen konnte das
polymythische Drama mit voller Energie in die Darstellung eines
tiefbewegten Seelenlebens eindringen, wie es in den Gewissens-
regungen und in der Selbstanklage des Posthumus sich entwickelt.
Das polymythische Drama Cymbeline bietet auch eins der schön-
sten Beispiele dar von dem malcrisclwn Individualismus, in welchem
die Charaktere der Shakespeare'schen Dramen mehr oder weniger
sich darstellen. Es ist Imogen. In ihr allein fanden Ulrici und
Mezieres die Einheit des ganzen Dramas, welche von Johnson und
anderen Kritikern so herbe bezweifelt wurde. Und in der That
wird die vielseitige Schönheit ihres Charakters der richtende und
verklärende Genius für alle Verhältnisse und Personen. Die Viel-
seitigkeit ihrer Seelenschönheit wird nur durch die Menge der
Situationen offenbar, in welche das polymythische Drama sie ver-
setzt. Mrs. Jameson bemerkt, dass in Imogen's Charakter etwas
von dem romantischen Enthusiasmus Julia's, von der Treue, Aus-
dauer und Beständigkeit Helena's, von der Würde und Reinheit
Isabella's, der Zartheit und Lieblichkeit Viola's, der Selbst-
beherrschung und Verständigkeit Portia's sich finde, dass in ihr
diese mannigfaltigen ZĂĽge sich harmonisch verschmelzen und keiner
das Uebergewicht ĂĽber die andern besitze (Ulrici, Shakespeare's
dramatische Kunst. Leipzig 1868, II p. 390). Sie beweist diese
Eigenschaften in doppelter Weise. Ihre Seelenschönheit ist ab-
weisend den Personen gegenĂĽber, deren Charakter schwach, in-
triguant, roh und schmutzig verderbt ist, abweisend gegen
Cymbeline, die Königin, Cloten und Jachimo, und diese Charaktere
erfahren durch die blosse Existenz ihrer reinen Seele ihr ver-
urtheilendes Gericht; ihre Seelenschönheit bringt sie in positive
Verbindung mit allen Gestalten, welche durch sittliche Reinheit
hervortreten, wie Guiderius und Arviragus, oder in ihrem Kerne
tĂĽchtig sind, wie Posthumus. Ein antiker Zug, die unverbrĂĽoh-
liche Treue, beherrscht ihr ganzes Wesen; sie ist eine andere
Penelope und weist die Bewerbung Cloten's und die Versuchung
Jachimo's gleich sehr entrüstet ab ; aber während sich Penelope's
Treue nur in Einer Lage, in der ausdauernden und stets sich er-
neuernden Geduld erweist, wird die Treue Imogen's durch die
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Mannigfaltigkeit der Situationen bewährt und beleuchtet, in welche
das polymythische Drama sie bringt. Was der Dichter der Odyssee
nur dem männlichen Helden geben konnte, die Mannigfaltigkeit
der Abenteuer, in welchen die Heimathsliebe, die Besonnenheit und
ungebrochene Ausdauer des Odysseus hervortritt, das verlieh das
polymythische Drama auch einem Weibe. Der romantische Glanz
der Abenteuer, welcher auf die Scenen fällt, in welchen Imogen
auf der Wanderung, in Milford-Hafen, verkleidet in der Gebirgs-
einsamkeit bei Guiderius und Arviragus, als Page des Lucius er- .
scheint, lässt zugleich die Mannigfaltigkeit ihrer Charakterzüge
in der grössten Vollendung erscheinen. Dieser Charakter wird
von der Bildung getragen und gemässigt: nicht umsonst hat sie
römische Dichter gelesen, nicht umsonst befinden sich in ihrem
Schlafzimmer edle Werke der bildenden Kunst; ihre Bildung stellt
sich in der Neigung dar, ihre Beobachtungen in sinnvoll treffende
Aussprüche der Reflexion zusammen zu fassen; aber ihr gemässigter
Sinn ist nicht blutlos oder von stoischer Ataraxie: die sonst gleich- .
massige Welle ihrer Gesinnung wogt bei gegebener Gelegenheit
empor zur innigen, phantasievollen Zärtlichkeit beim Abschiede
von Posthumus, zur wegwerfenden Verachtung des gemeinen Cloten,
zur leidenschaftlichen Sehnsucht nach dem Wiedersehen ihres Ge-
mahls, zu erregtem Zorne ĂĽber die vermeintlichen Verbrechen des
Pisanio, oder sinkt herab zur Todessehnsucht, als sie den Posthumus
fĂĽr falsch halten muss. In Imogen's Charakter vereinigt sich hohe
Bildung mit schlichter Natur: die Königstochter besitzt die ganze
Hoheit ihres Standes, hat aber den lebhaftesten Sinn fĂĽr die ein-
fachsten Verhältnisse: als Posthumus verbannt ist, spricht sie den
Wunsch aus, dass sie eines Schäfers Tochter sein möchte und ihr
Leonatus des Nachbarhirten Sohn, und diese schlichte Gesinnung
bewährt sie in der anmuthigsten Weise in der Begegnung mit den
Bewohnern der Höhle. Das vollendete Gegenbild der Imogen, die
Untreue, Coquetterie und Genusssucht tritt in Cleopatra durch
polymythische Beziehungen mit einem ähnlichen Reichthum in-
dividualisirender Darstellung auf.
Wenn das polymythische Drama Shakespeare's den Reichthum,
die individuelle Mannigfaltigkeit, die psychologische Tiefe der
Charaktere erschuf, so war mit dieser FĂĽlle und Tiefe auch die
grössere Verzweigung und Eindringlichkeit der Idee gegeben.
Diese Idee ist kein abstracter Gedanke, sondern der sittliche Ge-
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I
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halt des Dramas. In dem antiken Drama des Aeschylus und
Sophokles tritt der sittliche Gehalt einfach in Folge der mono-
mythischen Handlung auf, bei Shakespeare in den polymythischen
Dramen verdoppelt oder weit verzweigt. Im Oedipus auf Kolonos
erscheint die sittliche Idee der Pietät sehr schlicht: Oedipus flucht
den pietätslosen Söhnen, damit sie lernen die Eltern fromm zu •
ehren, und segnet die liebevollen Töchter. Die Idee der Pietät,
welche im „König Lear" so gigantisch sich aufdrängt, entwickelt
sich in doppelten Handlungen von gleichartigem Inhalt und in
vielfacher Verzweigung. Das Verhältniss des Menschen zur Treue
ist, wie Gervinus anziehend ausgefĂĽhrt hat, im Cymbeiine die
sittliche Idee, welche nicht bloss im Charakter der Imogen in
den reichsten Schattirungen sich entwickelt, sondern in den Ge-
sinnungen und Handlungen der verschiedensten Personen in poly-
mythischer Gliederung sich abspiegelt. Aber in vielen Fällen
hindert der polymythische Charakter des Dramas wegen der Viel-
seitigkeit der wirkenden Personen und Interessen den sittlichen
Gehalt auf eine einfache Formel zurĂĽckzufĂĽhren. Die sogenannte
Grundidee in dem „Kaufmann von Venedig" ist sehr verschieden-
artig bestimmt worden (vgl. K. Elze, Zum Kaufmann von Venedig,
Jahrbuch der Deutschen Shakespeare- Gesellschaft VI, 129 fgg.
und W. König, Shakespeare als Dichter, Weltweiser und Christ,
p. 72 fgg.); die Polymythie des Dramas lässt eine aufopferungs-
fahige Freundschaft hervortreten, die in den Personen des Antonio
und Bassanio gleich sehr thätig ist; sie giebt uns die mannig-
fachen Bilder der Liebe, in deren Mitte das Verhältniss Portia's
zu Bassanio hervorleuchtet; sie' entfaltet in Portia den Charakter-
zug edler Humanität, welche unbeherrscht von der Macht des Be-
sitzes fĂĽr sich und viele andere beglĂĽckend wirkt; sie giebt das
dĂĽstere, Furcht und Mitleid erweckende Gegenbild des Shylock,
dessen verhärtete Habsucht und arg gereizte Rachsucht für sich
und Andere zerstörend und die Bande der Pietät auflösend wirkt,
und vereinigt diese Erscheinungen märchenhaft zu einer pragma-
tischen Einheit. Aber durch sittliche Verhältnisse auf dem Wege
der Polymythie die Handlung zu bereichern war bereits in seinen
frĂĽhsten Dramen Shakespeares unzweifelhaftes Streben. Beispiele
sind unter anderen „die Komödie der Irrungen" und „die Zähmung
der Widerspenstigen". Die Komödie der Irrungen bezeichnet
Sievers (W. Shakespeare I, 249) als eine Kritik der Macht des
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- 270 -
menschlichen Geistes. Dieser Tiefsinn, wenn es einer ist, war dem
jugendlichen Shakespeare fremd. Diesem lag es am Herzen, der
einfachen Handlung der Menächmen des Plautus polymythisch eine
grössere Fülle zu geben, die Irrungen durch reichere Verwickelung
aus GrĂĽnden der Komik zu steigern. Aber er begnĂĽgte sich nicht
durch Vermehrung der Irrungen, wozu ihm der Amphitruo des
Plautus nach der Entdeckung von P. Wislicenus den Stoff bot, das
possenhafte Element des lustigen Dramas gesteigert zu haben.
Durch Polymythie befi'iedigte er die BedĂĽrfnisse des Herzens, wel-
chen das sittlich flache Drama des Plautus nicht gerecht wird: er
gab dem ZerwĂĽrfniss zwischen Antipholus von Ephesus und Adriana
tiefere Motive als er bei Plautus fand und stellte ihnen ein Ver-
hältniss der Liebe Luciana's und des Antipholus von Syrakus zur
Seite, welches ebenso phantasiereich als gemĂĽthvoll anmuthig ist
und in dem Charakter der Luciana das Gegenbild sittlicher Be-
sonnenheit und Mässigung gegen den leidenschaftlichen Sinn der
Adriana aufstellt. Mit dem Zuge der Wiedererkennung, der in
dem antiken Drama so häufig ist, bereicherte Shakespeare in ge-
müthvoll sittlicher Weise die Komödie der Irrungen dadurch, dass
auch die Eltern der BrĂĽder, Aegeon und Aemilia, sich wieder finden,
und Aegeon aus den StĂĽrmen der Todesgefahr in den Hafen eines
vielfachen EamilienglĂĽckes gefĂĽhrt wird.
Diese gemüthvollen Verhältnisse bilden die sittliche Idee in
der Komödie der Irrungen, und diese ist auf dem Wege der Poly-
mythie gewonnen worden. In der Zähmung der Widerspänstigen
ist die sittliche Idee in der Rede der Katharina am SchlĂĽsse mit
didaktischer Derbheit ausgesprochen worden, aber durch die Poly-
mythie, welche die Nebenhandlungen der Liebe Lucentio's zu Bianca,
des Hortensio zu der Wittwe ausbildete, gewinnt diese Idee Be-
deutung und dramatisches Leben. Wir haben nicht die Absicht,
die Dramen Shakespeare's dem ideellen Gehalte nach durchzugehen
und wollen nur noch die Bemerkung hinzufĂĽgen, dass das poly-
mythische Drama Shakespeare's die satirische und die tendentiöse
Behandlung der Charaktere ausschloss, und wenn der Dichter hin
und wieder einen Charakter der ĂĽbermĂĽthigen Verspottung Preis
giebt, wie den Malvolio in „Wie es euch gefällt", so ist es nur
eine Nebenrolle, in welcher die Abneigung Shakespeare's gegen
den Puritanismus die Pfeile der Satire versendet. Die Polymy-
thie liess es nicht zu, dass der satirische Angriff, wie es in den
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„Rittern" des Aristophanes geschieht, auf die Hauptperson des
Dramas gerichtet war. Auch Hess sie nicht zu, da ihr Grund-
charakter in dem reichsten Individualismus der Darstellung besteht,
dass das Drama eine Tendenz verfolgte, wie etwa Moliere im
„Tartüffe" that, oder dass ein abstracter Begriff verfolgt wurde und
z. B. statt des Geizigen der Geiz zur Darstellung kam.
Aber das polymythische Drama Shakespeare's ist nicht immer
mit der Liebe angesehen worden, mit welcher Gervinus dasselbe
mit Recht eine grosse und erstaunliche Bereicherung der Kunst
nennt. Selbst die überaus imponirende Grösse, mit welcher im
„König Lear" die Doppelhandlung zur Gestaltung einer mächtigen
Idee wirkt, ist von feinen Kennern des Dramas, wie von Gustav
Frey tag, getadelt worden. Auch bemerkt der grosse Aesthetiker
Fr. Vischer, dass Shakespeare in der Komödie durch Ineinander-
greifen der einzelnen Handlungen und durch Contraste fest und
täuschend die zwei Bestandtheile verkittet, aber doch nur prag-
matisch, nicht wahrhaft innerlich; „die Bemühungen", fährt er
fort, „im „Kaufmann von Venedig", im „Sommernachtstraum", in
der „gezähmten Keiferin" eine organisch herrschende Einheit auf-
zuzeigen, werden gegen das Zugeständniss vertauscht werden
mĂĽssen, dass der Dichter es im Lustspiele leichter nahm als in
der Tragödie. Der Kitt gleicht jenem Kalke alten Mauerwerks,
der so fest ist, dass eher die Steine brechen als die Fugen sich
lösen lassen, ist aber doch nur Kitt." Allein wenn wir uns auch
mit der nur pragmatischen Einheit der polymythischen Bestand-
theile der Shakespeare'schen Lustspiele sollten begnĂĽgen mĂĽssen,
so war diese pragmatische Einheit schon ein ausserordentlicher
Fortschritt und Gewinn. Shakespeare hat das polymythische
Drama nicht erfunden, so wenig wie Sophokles die griechische
Tragödie; aber der letztere hat dem monomythischen Drama zu-
erst eine so bewundernswĂĽrdige Gestalt gegeben, wie Shakespeare
dem polymythischen. Die Neigung zu der FĂĽlle der dramatischen
Handlungen lag in Shakespeare's Zeitalter tief begrĂĽndet; aber
Shakespeare's Vorgänger, wie R. Greene, begnügten sich mit der
Mehrheit von Handlungen, zwischen welchen auch ein pragma-
tischer Zusammenhang nicht besteht oder die VerknĂĽpfung nur
durch die losesten Fäden bewirkt ist. In Greene's Drama „die
Historie vom Bruder Baco und Bruder Bungay" ist mit der Dar-
stellung der ZauberkĂĽnste des Baco eine anmuthige Idylle ver-
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bunden, welche die Liebe des Grafen Lacy zu der schönen Mar-
garetha, der Tochter des Försters von Fresingfeld, und die Ent-
sagung des Prinzen von Wales enthält; allein beide Handlungen
sind weder innerlich, wie Ulrici mit Recht bemerkt, mit einander
vereinigt, noch lässt sich jene feste pragmatische Verkittung, welche
Vischer den Handlungen in Shakespeare's Lustspielen vindicirt,
in Greene's Drama wahrnehmen. Die VorwĂĽrfe, welche die An-
hänger der pseudo- aristotelischen, d. h. französischen Einheits-
theorie gegen die polymythischen Dramen Shakespeare's erhoben
haben, tibergehen wir als einen oft behandelten Gegenstand: dass
aber die VorzĂĽge, welche das polymythische Drama in dem grossen
Reichthum und der Verzweigtheit der Handlungen, in der FĂĽlle
höchst individueller, oft im schärfsten Contrast, wie Shylock und
Portia, stehender Charaktere auszeichnen, auch Schattenseiten
einschliesst, kann nicht verkannt werden. Das monomythische
Drama des Sophokles, mit vertieftem Sinne von Goethe in der
Iphigenie und im Tasso ausgebildet, kann sich in klarer Ueber-
sichtlichkeit, in gleichmässigem Tone, der auch in der Sprache
von grellen Unterschieden sich frei erhält, von der Verbindung
anachronistischer Bestandteile fern halten; an dem polymythischen
Drama Cymbeline ist die Verbindung verschiedenartiger Zeiten,
welche Shakespeare mit naiver UnbekĂĽmmertheit, das Auge auf
die höchsten poetischen Zwecke gerichtet, zusammenbrachte, ge-
tadelt worden. Das monomythische Drama des Sophokles und
Goethe konnte in der beschränkteren Handlung die Charaktere
mit ruhigem Gleichmaass bis zur Vollendung mit Vermeidung des
Unwahrscheinlichen ausbilden; dem polymythischen Drama konnte
es begegnen, dass eine Handlung, wie die Geschichte Claudio's
und Hero's in „Viel Lärmen um Nichts" mit „wenig psychologischem
Aufwände, mit absichtlich geringer Vertiefung der Charaktere, mit
wenig Schöpferliebe" (vgl. Wilbrandt, Einleitung zu „Viel Lärmen
um Nichts" p. VI) behandelt und der Phantasie grosse Unwahr-
scheinlichkeiten zugemuthet zu sein schienen. Dass der Werth des
monomythischen Dramas ungeschmälert bleibt, ist durch Shake-
speare's poetische Praxis selbst anerkannt worden: nicht in allen
seinen Dramen ist jene tiefgegliederte Doppelhandlung, welche wir
im Lear bewundern: Dramen wie Romeo und Julie, Othello, Mac-
beth u. a. sind monomythisch, nicht im Sinne der Alten, da auch
in diesen Dramen die Hauptcharaktere durch grössere Fülle der
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Nebenpersonen schärfer beleuchtet und durch die grössere Anzahl
der Beziehungen psychologisch mehr vertieft sind; aber jenen
Dramen gegenĂĽber, in welchen die Mehrheit der Handlungen sich
bewegt und bedingt, kann in Romeo und Julie, Othello, Macbeth
von Monomythie die Rede sein. Dass Shakespeare zu solchen
einfacheren Gestaltungen auch durch seine Quellen veranlasst
wurde, mag Coriolan und Julius Cäsar lehren: und der fast antike
Eindruck, den diese Dramen auf Viele gemacht haben, mag seine
Erklärung in dem Umstände linden, dass der Dichter in dem ein-
facheren Gange der Handlung den Erzählungen des Plutarch
folgte und sich der polymythisch gehäuften Handlung enthielt.
Jahrbuch XI. 18
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Noten und Conjecturen zu Shakespeare.
Von
L
0, think on that;
And mercy then will breathe within your Ups,
Like man new-made.
Meas. for Meas. II, 2.
'Die Barmherzigkeit, so erklärt Delius diese Stelle, wird dann
in Euch aufleben, in Eurem Munde, der sie ausspricht, den ersten
Lebenshauch athmen, wie ein Mensch, der sein Dasein beginnt.'
AI. Schmidt (Schlegel-Tieck'sche Uebersetzung herausgeg. von der
Deutschen Shakespeare-Gesellschaft X, 307) stimmt hiermit nicht
ĂĽberein und fasst namentlich 'man new-made? ganz andere auf.
'Wie der durch Gottes Erbarmen erlöste und wiedergeborne
Mensch, so lautet seine Erklärung, kein Wort und keinen Ge-
danken finden konnte als 'mcrcy\ Gnade, Erbarmen, so auch An-
gelo, wenn er denken wollte, dass Gott in seiner Strenge mit ihm
ins Gericht gehen könnte. Die hergebrachte Erklärung, wie Delius
sie giebt, ist doch wol nicht haltbar, wenigstens hätte es da heissen
mĂĽssen: Uke a man new-made. Singer, grammatisch richtiger:
"Ihr werdet so weichherzig und mitleidig sein, wie es der erste
Mensch in den Zeiten seiner Unschuld war." Dass aber die ersten
Menschen sich gerade durch Weichherzigkeit auszeichneten, möchte
eines Beweises bedĂĽrfen.'
So weit Schmidt. 'Man new-made' ist meiner Ueberzeugung
nach der neugeschaffene, eben geschaffene Mensch — das dürfte
als sicher anzunehmen sein. FĂĽr den neugeschaffenen Menschen
war das Athmen eine Wonne, er sog mit EntzĂĽcken die Luft des
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Paradieses ein und hauchte sie wieder aus; mit eben solcher
Wonne, will Isabella sagen, wird Gnade und Barmherzigkeit
zwischen deinen Lippen athmen, wenn du daran denkst, dass
Gott, der das höchste Gericht ist, dich so beurtheilen könnte wie
du dich zeigst.
n.
My wind cooling my broth
Would blow me to an ague, whm I thought
What harm a wind too great at sea might do.
Merch. Ven. i, i.
'Wind' wird hier in dem Sinne von 'breath' verstanden, es
scheint jedoch fraglich, ob das sprachlich zulässig und sachlich
richtig ist. Schon die Wiederholung des Wortes erst in diesem
ungewöhnlichen und dann in seinem gewöhnlichen Sinne ist be-
denklich, da es sich hier nicht um eine Wortspielerei handelt und
es am natĂĽrlichsten scheint, das Wort an beiden Stellen in der-
selben Bedeutung aufzufassen. Was die Sache angeht, so kann
man sich doch unmöglich mit seinem eigenen Athem einen Fieber-
schauer anblasen; das, was Fieberfrost in uns hervorruft, muss
von aussen kommen, es muss also ein Luftzug und nicht der
eigene Athem sein. Das Pronomen 'my' steht dieser Auffassung
nicht im Wege; es ist in der Art und Weise des ethischen Dativs
gebraucht, wie z. B. in K. John. I, 1:
New your traveller,
He and his toothjnck at my wvrshijfs mess;
And whm my hnightly stomach is suffitfd,
Wliy then I such my teeth, and catechise
My picked man of countries.
Die Verse wĂĽrden also deutsch wiederzugeben sein:
Die Luft, die meine Suppe kĂĽhlte, wĂĽrde &c.
oder:
Das LĂĽftchen, das die BrĂĽh' mir kĂĽhlte, wĂĽrde &c.
oder:
Der Windhauch, der die BrĂĽh' mir kĂĽhlte, wĂĽrde
Mir Fieberschauer anwehn, dächt' ich dran,
Wie viel zur See ein starker Wind kann schaden.
18*
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in.
How like a faivning publican he looks.
â–
Merch. Ven. I, 3.
Die Cambridge-Herausgeber nehmen an diesem Verse Anstoss;
'a "fawning publican", sagen sie in ihrer kleinen Oxforder Aus-
gabe des StĂĽckes (in der Clarendon Press Series), 'seems an odd
combination. The Publicani or farmers of taxes Wider tlie Roman
government ivere mtich more Wcely to treat the Jexvs with insolence
than servility. Shakespeare perhaiis orily remembered that in the
Gosjiels "publkans and sinners" are mentioned together as objects
of the hatred and contempt of the Pharisees. 1 Dabei ist ĂĽbersehen,
dass nach der bekannten Erzählung bei Lucas 18, 10 — 14 das
'fawning 1 des Zöllners nicht den Menschen, sondern Gott gegen-
ĂĽber Statt findet. Eine DemĂĽthigung und Zerknirschung vor Gott,
wie sie dort der sich an die Brust schlagende Zöllner mit dem
Ausrufe: Gott sei mir Sünder gnädig! an den Tag legt, kennt und
begreift Shylock — ja der Mosaismus überhaupt — nicht; darin
ist der Pharisäer der vollgültige Vertreter seiner Glaubensgenossen.
Im Gegentheil beruft sich Shylock wiederholt auf sein Recht, nicht
nur den Menschen, sondern auch Gott gegenĂĽber; beiden gegen-
ĂĽber steht er auf seinem Schein. 'Wiat jndgment sliall I dread,
doing no wrong?' und 'My deeds upon my headV ruft er aus
(IV, 1). Ebenso redet Marlowe's Barabas (A. I):
The man that dealeth righteously shall live;
And whieh of you can charge me otherwise?
Von diesem Standpunkte aus ist der vor Gott kriechende und um
Gnade bettelnde Zöllner Shylock zuwider, wie ja auch Portia's
schöne Rede von der Gnade wirkungslos von ihm abprallt. Das
Einzige, was gegen diese Erklärung eingewendet werden könnte,
wäre, dass damit dem Juden Shylock eine Anspielung auf das
neue Testament in den Mund gelegt wird; allein diese Anspielung
liegt schon in der Erwähnung des Zöllners an und für sich, mag
das Epitheton 'faivning 1 erklärt werden wie es will. Es verhält
sich damit ähnlich wie mit jener Stelle in Antonius und Cleopatra
(III, 13), wo der Heide Antonius von der gehörnten Herde auf
Basan spricht. Vergl. Shakespeare- Jahrbuch X, 96 fg.
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— 277 —
IV.
Let the forfeit
Be nominated for an equal pound
Of your fair flesh —
Mergh. Ven. X, 3.
'Speäfied — so erklären die Cambridge -Herausgeber in ihrer
kleinen Oxforder Ausgabe diese Worte — speäfied as a pound of
flesh, which shall be accepted as an equivalent for the debt', und
auch Delius sagt, es sei ein Pfund gemeint, 'das der betreffenden
Summe entspricht'. 'An equal pound' ist vielmehr ein genau ab-
gewogenes Pfund, wo Waare (im vorliegenden Falle also das Fleisch)
und Gewicht sich völlig entsprechen, und die Schalen der Wage
folglich gleichstehen. Die von den Cambridge -Herausgebern an-
gefĂĽhrte Stelle aus 2 K. Henry VI. II, l: 'Justice'' equal scales'
bestätigt diese Erklärung; nicht minder spricht der Titel der
beiden ersten Qs dafür, wo es (wie in Portia's Erklärung in IV, 1)
heisst: 'in cutting a iust pound of his flcsh.' 'A iust pound 1 ist
offenbar dasselbe was hier 'an equal pound 1 genannt wird.
• V.
The young gentleman, is indeed deceased, or, as you would
say in piain terms, gone to heaven.
Mebch. Ven. n, 2.
'To go to heaven' ist kein 'piain term 1 , sondern die landläufige
Redensart ist 'to go to helV, und das will auch Launcelot eigent-
lich sagen; er verbessert sich aber während des Sprechens, indem
er das Gegentheil von dem nennt, was er eigentlich meint. So
hat er vorher gesagt 'turn down indirectly to the Jcw's house' statt
directly, so sagt er nachher 'the suit is impertinent to myself statt
pertinent. Belegstellen fĂĽr die Phrase 'to go to hell' sind billig
wie Brombeeren; im vorliegenden StĂĽcke HI, 2 finden wir:
Let Fortune go to hell for it, not I.
Von 'to go to heaven' dagegen wird sich kaum ein vereinzeltes
Beispiel finden; die ĂĽbliche Wendung ist hier: 'to send to heaven',
oder, wie es in 2 K. Henry VI, HI, 1 heisst:
i" will stir up in England some block storm,
Shall blow ten thousand souls to heaven or hell.
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— 278 —
Es sollte daher geschrieben werden: or, as you ivould say in
idain terms, ywie to — heaven. Der Schauspieler muss vor 'Jieaveri
eine bezeichnende Pause machen. So aufgefasst erinnert die Stelle
an einen ähnlichen komischen Euphemismus in Burns' Gedicht
'Duncan Gray':
Shall I, like a fool, quoth he,
For a haughty hizzie die?
She may gae to — France for me!
Ha, Ita, the wooing o't.
VI.
Farewell; and if my fortunc be not crost,
I haue a fallier, you a daughter lost.
Mkkch. Ven. n, s.
Diese Worte, mit denen sich Jessica von ihrem Vater trennt,
wĂĽrden im hohen Grade herzlos klingen, wenn wir nicht bereits
zwei Scenen vorher das Bekenntniss aus ihrem Munde vernommen
hätten:
Alach, wltat helnous sin is it in me
To be ashamed to be my fathers childf &c.
Das innere ZerwĂĽrfniss zwischen Vater und Tochter ist durch das
ganze StĂĽck so tief begrĂĽndet, dass es gar nichts anders sein
kann. Diejenigen Kritiker, denen Jessica's Flucht unentschuldbar
dünkt, mögen doch einmal erwägen, wie sich die Handlung ge-
stalten wĂĽrde, wenn Jessica ein liebreiches und hingehendes Kind
wäre, das die Gesinnungen und Neigungen ihres Vaters theilte.
Sollte sie vielleicht seine Gehülfln bei seinen Wuchergeschäften
sein und in dem Handel um das Pfund Fleisch auf seiner Seite
stehen? Sollte sie Theil haben an der Verfluchung und an dem
Eachewerk gegen die Christen, die ihr nie etwas zu Leide gethan
haben? Man vergegenwärtige sich nur die Rolle, die sie von einem
solchen Standpunkte aus im StĂĽcke spielen mĂĽsste. Vielleicht
trĂĽge sie gar in der Gerichtsscene ihrem Vater die Wage nach
und stĂĽtzte ihn, wenn er aus dem Rathssaale nach Hause wankt.
Dann wäre die Tragödie, und zwar die Tragödie in ihrer Ver-
zerrung, fertig. Um zu einem vollen Verständniss auch dieses
Punktes zu gelangen, muss man immer wieder auf die Genesis
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— 279 —
des StĂĽckes zurĂĽckgehen, und in dieser Hinsicht kann es nicht
zweifelhaft sein, dass auch bezüglich des Verhältnisses zwischen
Shylock und Jessica Shakespeare seine Anregung und Richtung
von Marlowe's Juden von Malta empfangen hat. Marlowe's Abigail
ist in der That ihres Vaters gehorsame und hingebende Tochter,
und was ist die Folge davon? Keine andere, als dass sie ihm
als blindes Werkzeug bei seinen Verbrechen dient. Auf sein Ge-
heiss lässt sie sich zum Schein ins Kloster aufnehmen, das in
ihres Vaters Hause errichtet worden ist, und holt unter diesem
betrügerischen Vorwande die Schätze heraus, welche ihr Vater
unter den Dielen verborgen hat. Dann kirrt sie, wieder auf Be-
fehl des Vaters, den Don Lodowick und verlobt sich ihm, obschon
ihr Hera dem Don Mathias gehört, lediglich um des Vaters Rache-
plan zu unterstĂĽtzen, nach welchem sich die beiden Liebhaber gegen-
seitig umbringen mĂĽssen. So handelt also die gehorsame, kind-
liche Tochter des Juden. Und doch, als ihr hinterbracht wird,
dass die gegenseitige Tödtung der beiden Christen von ihrem
Vater angestiftet worden ist, verlässt auch sie heimlich und ohne
Erlaubniss das väterliche Haus — gerade wie Jessica — wird
Christin und flĂĽchtet sich nun im Ernste ins Kloster. Der Vater
sendet ihr nicht nur seinen Fluch nach, sondern vergiftet sie und
alle ĂĽbrigen Insassen des Klosters durch einen Reisbrei. Daraus
scheint doch klar hervorzugehen, dass fĂĽr den dramatischen Dichter
die Trennung zwischen Vater und Tochter in diesem StĂĽcke eine
Notwendigkeit ist; Marlowe hat das Verhältniss tragisch ge-
staltet; er hat die Tochter mit Schuld beladen und schickt sie
dann ins Kloster und in den Tod. Shakespeare lässt die un-
vermeidliche Losreissung vom Vater von vorn herein eintreten,
ehe es noch der Jessica unmöglich geworden ist, ein neues Leben
zu beginnen und sich ihre Zukunft auf einer sittlichen Grundlage
(nämlich durch die Ehe) selbständig und frei zu gestalten. Ja,
je eingehender man Shakespeare's StĂĽck mit dem Marlowe'schen
vergleicht, desto mehr überzeugt man sich von der Unmöglichkeit,
dass Shakespeare der Jessica eine andere Stellung und Rolle
hätte geben können, als er gethan hat.
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— 280 —
vn.
Lies all within. Deliver me the key:
Here do I choose, and thrive I as 1 may.
Mebch. Ven. n, 7.
Wie die beiden vorhergehenden Scenen (die 5. und 6.) mit je
einem, so schliesst die siebente Scene dieses Actes mit zwei Reim-
paaren. Innerhalb der sechsten Scene findet sich beim Abgange
Lorenzo's mit Jessica und Salarino das Reimpaar:
On, gentlemen; away!
Our masquing mates by this time for us stay.
Es kann danach nicht auffallen, dass auch die lange Rede des
Prinzen von Marocco in der siebenten Scene durch ein Couplet
abgeschlossen wird, und zwar durch das oben angefĂĽhrte. Nach
der heutigen Aussprache bilden zwar 'key' und 'may' keinen Reim
mehr, wol aber war das zu Shakespeare's Zeiten noch der Fall.
Das wird nicht allein durch das vorliegende Verspaar wahrschein-
lich gemacht, sondern auch durch andere Umstände bewiesen. In
den Canterbury-Tales (ed. Wright) 9917 fg. heisst es:
Such deynte hath in it to walk and pleye,
Tliat he wold no wight suffre lere the keye.
Ebenda 13,146 fg.:
Tfiay opened and scliette, and wente here weye,
And forth with heni they caryed the keye.
Ist damit die vor-Shakespeare'sche Aussprache des Wortes 'key'
festgestellt, so lässt sich auch die nach-Shakespeare'sche mit
nicht geringerer Sicherheit nachweisen. Nach Ellis, Early English
Pronunciation I, 127 stellt John Jones (Practical Phonography:
or, the New Art of Rightly Speling and Writing Words by the
Sound thereof &c. 1701) das Wort 'key' bezĂĽglich seiner Aussprache
in eine Reihe mit grey, prey, they, Wey (FlĂĽsse in Surrey und in
Dorsetshire) brey (= bray) u. a. Die Shakespeare'sche Aussprache
von 'key' kann danach nicht zweifelhaft sein.
TJie moon shines bright: in such a night as this &c.
Mebch. Ven. v, i.
Die öfter erwähnte Nachahmung dieser Scene in Wily Beguiled
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— 281 —
(Hawkins, The Origin of the English Drama III, 365) lautet im
Zusammenhange folgendermassen :
Sophos. Novo come, fair Lelia, let's hetake ourselves
Unto a Utile hermitage hereby;
And there to live obseured from the world,
Till fates and fortune call us thence away,
To see the sunshine of our nuptial day.
See hoiv the ttvinJcling stars do hide their borroid'd shine,
As half asham'd, their lustre is so stainhl
By Lelia 's beauteous eyes, that shine more bright
Than twinkling stars do in a winters night:
In such a night did Paris win his love.
Lelia. In such a night, Aeneas prov'd unJcind.
Sophos. In such a night, dkl Troilus court his dear.
Lelia. In such a night, fair Phillis was betrag* d.
Sophos. TU prove as true as euer Troilus was,
Lelia. And I as constant as Pcnclope.
Sophos. Tlicn let us solace; and in lovds delight,
And sweet embracings spend the livelong night:
And whilst love mannte her on her wanton wings,
Let descant run on musicWs silver strings. [Exeunt.
A Song.
Ausserdem finden sich aber noch weitere sehr bemerkens-
werthe Aehnlichkeiten mit dem Kaufmann von Venedig in diesem
Stücke. Eine der Hauptfiguren darin ist nämlich 'Gripe, an Usurer J
der eine Tochter, Lelia, hat; die Mutter ist todt uud ihre Stelle
vertritt eine Amme. Gripe's Sohn, Fortunatus, ist auswärts im
Kriege. Lelia soll nun den Sohn des Nachbars Ploddall heirathen,
weil dessen Vater vermögend ist. Peter Ploddall ist aber ein ein-
faltiger, bäurischer Mensch, den Lelia nicht mag, sie liebt viel-
mehr einen armen Gelehrten, Sophos, von dem ilir Vater nichts
wissen will. Ausserdem ist aber noch ein dritter Bewerber im
Felde, das ist Churms, ein spitzbĂĽbischer Advokat, der Gripe's
Geldgeschäfte besorgt. Nachdem Lelia PloddalPs Hand zurück-
gewiesen hat, wird sie von ihrem Vater eingesperrt, wie Jessica
von dem ihrigen. Unterdessen kommt unerwarteter Weise Ihr
Bruder Fortunatus zurĂĽck, welcher der vertraute Freund des
Sophos ist und theils von diesem, theils auf anderem Wege Kennt-
niss von der Sachlage erhält. Mit Hülfe der Amme wird nun ver-
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— 282 —
abredet, dass sich Lelia von Chams entfĂĽhren lassen soll, dass
aber Churms, ohne es zu wissen und wollen, sie an einen Ort
fĂĽhren muss, wo Sophos und Fortunatus ihrer warten. Churms
ist entzĂĽckt, und um sich das zur EntfĂĽhrung erforderliche Geld
zu verschaffen, giebt er den Schuldnern Gripe' s gegen geringe
Theilzahlungen ihre Schuldscheine zurĂĽck. So wird der Listige
überlistet — Wily Beguiled. Als nun Gripe die Flucht seiner
Tochter und den Verlust seiner Schuldscheine erfährt, bricht er
ganz ähnlich wie Shylock in Wuth aus, und es folgt folgende
Scene (Hawkins III, 369):
Gripe: I am undone, I am robb'd: my daughter! my money! Wliirh
way are they gone?
Will Cricket. 'Faith sir, it's all to nothing, but your daughter and
master Churms are gone both one way: marry, your money
flies, some one ways, and some another; and therefore His but
a folly to mdke hue and cry after it.
Gripe. Follow them, mdke hue and cry öfter them. My daughter!
my money! alVs gone, what shall I do?
Will Cricket. 'Faith, if you will be ruVd by me, TU teil you
what you shall do: (Mark what I say; for TU teacli you the
way to come to heaven, if you stumble not:) Give all you have
to the poor, but one single penny, and with that penny buy
you a good strong halter; and when you ha' done so, come to
me, and TU teil you what you shall do with it.
Gripe. Bring me my daughter: that Churms, that villain! TU
tear him with my teeth.
Wem fällt bei Will Cricket's Worten nicht der gute Rath
ein, welchen Gratiano dem Shylock giebt? Dem Shylock ist frei-
lich auch der letzte Penny genommen; er soll um Erlaubniss bitten,
sich auf Staatskosten hängen zu dürfen. Und wer kann zweifeln,
dass dem Verfasser hier die Scene vorgeschwebt hat, wo (nach
Solanio's Bericht II, 8) Shylock wahnsinnig durch die Gassen
läuft und schreit:
My daughter! 0 my ducats! 0 my daughter!
Fled with a Christian! 0 my Christian ducats!
Justice! the law! my ducats, and my daughter!
Freilich ist die Nachahmung in Wily Beguiled so abgeblasst
als möglich. Eine Aehnlichkeit mit dem Kaufmann von Venedig
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— 2«3 —
kann endlich auch darin gefunden weiden, dass sich am SchlĂĽsse
von Wily Beguiled das zweite Liebespaar zugleich mit dem Haupt-
paar trauen lassen will, um dem Pfarrer eine Arbeit zu ersparen.
Der Verfasser von Wily Beguiled hat aber nicht allein den
Kaufmann von Venedig gut studirt, es finden sich auch Anklänge
an den Hamlet bei ihm, wenngleich sie sich mit weniger Sicher-
heit feststellen lassen. Schon in der oben angefĂĽhrten Rede Will
Cricket's treffen die Worte: // you will be ruVd by me mit der
Frage zusammen, welche Claudius an Laertes richtet (IV, 7) : Will
you be ruled by me? Die Stelle im Prolog (Hawkins III, 294):
TU rnaJce him fiy swifter than meditation' erinnert an Hamlet I, 5:
HoUk tvings as swift as meditation, or (he thoughts of love', und
die Verse bei Hawkins III, 362:
Now Phoehus 1 silier eye is drench'd in H estern deep,
And Lima 'yins to sltow her splendent rays
gemahnen in Ausdruck und Stimmung an Hamlet I, 5:
The glow-ivorm shoies the malin to he near
And 'gins to })ale Iiis uneffeetual fire.
Zur Vergleichung mit den Worten bei Hawkins HE, 336: Robin
Goodfcllow: 0, by tli* mass } well remembefd; Fll teil you ivltat I
mean to do, bieten sich endlich Polonius' Worte I, 3 dar:
Harry, well bethonght:
'Tis told me, he hath rery oft of lote
Giren private time to you.
Beruhen nun diese Stellen auf zufalligem Zusammentreffen oder
auf Reminiscenz? Im letztem Falle hätten wir. also ein neues
Indicium, dass der Hamlet bereits vor 1596 vorhanden war, denn
in diesem Jahre wird Wily Beguiled von Nash in seinem Pamphlet
'Have with you to Saffron Waiden' erwähnt — freilich in einer nichts
weniger als zweifellosen Weise, so dass auch hier zu keiner that-
sächlichen Gewissheit zu gelangen ist. lieber diesen Punkt wie
wegen anderer in Wily Beguiled enthaltener Nachahmungen vergl.
Brooke T s Romeus and Juliet ed. P. A. Daniel (New Shakspere
Society's Publications) p. XXXV seqq.
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— 284 —
IX.
Bear your body rnore seeming, Audrey.
As YoĂĽ Likb It v, 4.
Hierzu hat P. A. Daniel in seinen Notes and Conjectural
Emendations &c. (siehe Shakespeare -Jahrbuch VI, 360) die aus-
gezeichnete Conjectur gemacht: Bear your body more stvimming,
Audrey. Die von ihm angefĂĽhrten Beweisstellen lassen sich noch um
eine vermehren, welche unzweideutig zeigt, dass ein 'scJiwimmender 1
Gang eine Mode der damaligen Zeit war, und dass Personen er-
mahnt werden, sich dieser Mode zu fĂĽgen; die Stelle findet sich
bei Chapman, The Ball, Act II (The Works of Geo. Chapman:
Plays. Ed. Ăź. H. Shepherd p. 494) und lautet: 'Carry your body
in the swimming fashion! 1
X.
Call forth Nathaniel, Joseph, Nicholas, Philip, Walter, Sugarsop,
and the rest.
Tam. Shrew iv, i.
Zu meiner Anmerkung zu dieser Stelle in der Schlegel-Tieck'-
schen Uebersetzung herausgegeben von der Deutschen Shakespeare-
Gesellschaft VII, 127 kann ich jetzt noch hinzufĂĽgen, dass nach
Pepys' Diary unter April 17, 1663 'Sugarsop 1 eine Fastenspeise
war. Pepys berichtet: 'It being Good Friday our dinner ums only
sugar-sopps and fish; the only Urne tluit we have had a Lenten
dinner all this LenV Das Räthsel, was 'sugarsop 1 in der obigen
Stelle zu bedeuten hat, und beziehentlich, wie es in den Text
gekommen sein mag, wird freilich auch hierdurch nicht gelöst.
XI.
And, like the watchful minutes to the hour,
Still and anon cheered up the heavy tinie.
K. John iv, l
Dass in diesen Versen, so wie sie in der Folio stehen, eine
Verderbniss steckt, kann schwerlich bezweifelt werden. Der Ge-
dankengang ist klar genug; Arthur will sagen: 'just as the watcliful
minutes cheei' up the long, slow hour, so did I cheer up the heavy
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- 285 -
Urne by my repeated sympathking questionsJ Danach läge nichts
näher als zu lesen:
And, like the watchful minutes do (he hour &c.
wenn dieser Aenderung nicht das 'like 1 im Wege stĂĽnde. Allein
diess Hinderniss ist in der That nur ein scheinbares, indem like 9
keineswegs selten als Conjunction (wie as) gebraucht wird und
selbst bei Shakespeare Pericles I, 1 so vorkommt:
And like an arrow shot
From a well-eocperienced archer hits the mark
His eye doth level at, so thou ne'er return
Unless thou say 'Prince Pericles is deadĂĽ.
Ebenda I, 3 heisst es:
Like goodly buildings, left without a roof,
Soon fall to min &c.
Vergl. auch Midsummernight's Dream IV, 1:
But, like in skkness, did I loathe this food;
But, as in healih, come to my natural taste &c.
Die alten Drucke lesen hier allerdings 'like a skkness 1 , allein
die von Farmer herrĂĽhrende Aenderung ist von allen Herausgebern
unbedenklich angenommen worden. Auch Rape of Lucrece 506
ist hierher zu ziehen. Mag immerhin dieser Gebrauch von strengen
Grammatikern als fehlerhaft getadelt werden, so lässt sich doch sein
thatsächliches Vorkommen nicht in Abrede stellen. 'In provincial
English, sagt Earle, The Philology of the English Tongue p. 214,
like is still novo used as a conjunction: he behaved like a scoundrel
wouW Damit stimmt auch Ernest Adams, The Elements of the
English Language (London, 1866) p. 117 überein, und ein — nicht
provinzielles! — Beispiel findet sich in John Forster's Life of
Dickens I, 263 (Tauchn. Ed.) : 'Nobody shall miss her like I shalV
Vergl. Notes and Queries 1874, Feb. 7, p. 116. Feb. 28, p. 176.
Mar. 21, p. 237. Aug. 1, p. 97. Aug. 8, p. 114.
XII.
If tvhat in rest you Jiave in right you hold.
K. John rv, a.
Steevens hat conjicirt 'in ivresf; Jackson 'infresV; ein Anonymus
'in rent 1 ; und Staunton liest:
If what in rest you have not right you hold.
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286
König Johann bat nichts 'in resV ; im Gegentheil wird sein un-
ruhiger, von äussern und innern Feinden bedrohter Zustand vom
Legaten Pandulplio sehr bezeichnend mit folgenden Worten cha-
rakterisirt (TU, 4):
— it cannot be
That, whiles warm life plays in that infanfs veins,
The misplaced John should entertain an hour,
One minute, nay, one quiet breath of rest.
Die Conjectur 'in forest' scheint grammatisch unzulässig; es
mĂĽsste ein Pronomen possessivum hinzutreten 'in your wresV,
denn man kann schwerlich sagen 'to have something in ivrest' oder
Ho have something in grasp\ Wie mir scheint, sollte gelesen
werden:
If what in trust you have, in right you hold.
Die Regierung ist ein dem Könige anvertrautes Amt, das er
zum Besten seines Landes und Volkes zu verwalten hat. Das ist
keineswegs eine moderne Anschauung, die Shakespeare und seiner
Zeit etwa nicht zugetraut werden dĂĽrfte, vielmehr legt sie Holinshed
gerade bei der Krönung Johann's dem Erzbischofe von Canterbury
in den Mund. 'A man, so lässt er diesen vom Könige sagen,
i" doubt not, but that for hiĂź otvne pari will apply his whole indevour,
studie, and thought vnto that onelie end, whkh he shall percenie
to be most profitable for the coinmonivealth, as knoiving himself to
be borne not to serue his owne turne, but for to profit his countrie
and to sceke for the generali benefit of US that are his subjeets.'
Einer ganz ähnlichen Auffassung des königlichen Amtes begegnen
wir in Richard II, III, 3 und IV, 1, wo der König als:
the figure of God's majesty,
His captain, Steward, deputy-elect
bezeichnet wird.
XIII.
Your grcatest want is, you want mueh of meat.
TlMOH of Athens iv, s.*)
Von den verschiedenen Versuchen diesen offenbar verderbten
Vers zu emendiren, lässt sich keiner als befriedigend ansehen, und
*) Vergl. Notes and Queriea, June 25, 1870 p. 594.
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- 287 -
Dyce wie die Cambridge-Herausgeber haben daher die obige Lesart
der Folio unverändert beibehalten. Dem Richtigen am nächsten
kommt die Conjectur von Steevens: you want miwh of me; er
hätte nur noch Einen Buchstaben mehr ändern sollen, denn es
scheint mir nicht zweifelhaft, dass der Dichter geschrieben hat:
you want muck of me — 'muck? nämlich in dem Sinne von Gold,
in welchem es in der That mehrfach vorkommt. In der bekannten
Ballade von Gernutus, the Jew of Venice bei Percy lautet die
sechste Strophe:
His haart doth (hinke on many a teile,
How to deceive the poore;
His mouth is ahnost ful of mucke,
Yet still he gapes for more.
Im Coriolanus II, 2 heisst es:
Our spoils he kieWd at,
And look'd upo7i things preeious as they were
The common muck of the world.
Desgleichen in Thomas Heywood's If you know not me, you
know nobody Pt. II (ed. Collier for the Shakespeare-Society p. 149) :
'But, madam you are rieh, and by my troth, I am very poor, and
I haue been, as a man should say, stark naught; and, Ăśwugh
I have not the muvk of the world, I haue a great deal of good love,
and I prithee accept of it 1 Ferner Nash, Summer's Last Will
und Testament (Dodsley 1825, IX, 25): 'All the poets were beggars;
all alchemists, and all 2ihilosojihers are beggars. Omnia mea mecum
porto, quoth Bim, when he had nothing but bread and cheese in a
leathern bag, and two or three books in his bosom. Saint Francis,
a holy saint, and never had any money. It is madness to doat
lipon mucke.'' Vergl. ebenda p. 23: 'If then the best husband hos
been so liberal of his best handy-work, to tvhat end should we makc
much of a glittering exerement, or doubt to spend at a banqiiet
as many powiuls, as he speiuls men at a battief 1 In der vorliegen-
den Stelle ist der Dichter vermuthlich durch das vorhergehende
'much 1 auf 'muck 1 gekommen; es ist eine Wortspielerei, der er
nicht widerstehen konnte. Der Gedankengang ist folgender: die
Banditen sagen, sie seien keine Diebe, sondern Männer, die sehr
bedürftig seien, worauf Timon erwidert, ihr grösstes Bedürfniss
sei der Quark, das Gold; sie könnten, so fährt er fort, unmöglich
bedürftig sein, wenn sie sich zu beschränken und naturgemäss zu
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leben verstĂĽnden, denn die Erde sei reich an Wurzeln, Beeren und
Quellen, und die gütige Haushälterin Natur stelle auf jedem Strauch
einen gedeckten Tisch vor sie hin, — wie könne da von Mangel
die Rede sein. Der an die Banditen gerichtete Vorwurf, dass sie
nur Gold haben wollen, wird in V, 1 auch dem Maler und Dichter
entgegen geschleudert:
Henee, pack! Herc's gold; you camo for gold, ye slaves!
XIV.
You knoiv, sometimes he walks four hours together,
Here in the lobby.
Hamlet ii, 2.
Noch immer giebt es nicht allein Shakespeare-Leser, sondern
sogar Shakespeare-Herausgeber, welche sich nicht davon zu ĂĽber-
zeugen vermögen, dass diese übereinstimmende Lesart der alten
Drucke unbestreitbar richtig ist. So hat noch Dr. Jacob Heussi
(Shakespeare's Hamlet, Parchim 1868) die Conjectur 'for 1 in den
Text gesetzt und durch folgende Anmerkung gerechtfertigt: 'Alle
alten Drucke lesen freilich 'four 1 statt 'for 1 , und die Erklärer be-
haupten, 'four 1 werde häufig als unbestimmte Zahl gebraucht, wie
'forty' ; nirgends findet sich aber diese Behauptung durch ein wirk-
liches Beispiel constatirt; dass 'four'' heut zu Tage nicht in dieser
Weise gebraucht wird, ist bekannt, ob es frĂĽher der Fall war, ist
noch abzuwarten. Ich setze hier die Präposition 'for 1 statt des
'four'' der Ausgaben, da diese Präposition die Zeitdauer bezeichnet.'
Benno Tschischwitz (Shakespeare's Hamlet, Prince of Denmark &c.
Halle, 1869) liest allerdings 'four\ scheint aber diese Zahlangabe
im eigentlichen Wortverstande aufzufassen. Er sagt: 'Four hours
wäre eine auffallend lange Zeit, um sich zu ergehen, wenn sie
nicht der Prinz, der gänzlich ohne die noblen Passionen eines
Laertes ist, mit LeetĂĽre und Meditationen ausfĂĽllte. Auch Ophelia
wird später aufgefordert 'to tvalk 1 und dabei in einem Buche zu
lesen, es mag dies also wol einer Zeitsitte entsprechen.' Collier's
angeblicher Corrector hat 'for 1 corrigirt, und sogar Malone hat
dieser Tyrwhitt'schen Aenderung den Vorzug gegeben, obwohl er
eine schlagende Parallelstelle aus Webster's Dutchess of Malfi (1628)
beibringt, welche hingereicht haben sollte, um nicht allein ihn
selbst, sondern auch Dr. Heussi zu ĂĽberzeugen:
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— 289 —
She will muse four hours together; and her silenve
Methinks expresseth more than if she speak,
Malone meint freilich, dass hier dasselbe Versehen wie im Ham-
let obgewaltet habe,*) und auch Collier sagt in seinen Supple-
mental Notes I, 276: 'TJie same probable misprint of 'four 1 for 'for 1
is contained in Webster 1 s Duehess of Malfi Act IV (ed. Dyee I, 260),
tvhere Bosola is giving to Ferdinand a description of the demeanour
of the heroine 1 &c.
Die Wahrheit ist, dass sowohl 'four 1 , als auch 'forty 1 und
'forty thousand 1 ausserordentlich häufig zur Angabe einer un-
bestimmten Anzahl benutzt wird, und dass dieser Gebrauch sich
nicht auf das Englische beschränkt, sondern sich auch in andern
Sprachen wiederfindet und bis ins graue Alterthum zurĂĽckreicht.
Wenn dabei die Einerzahl ungleich seltener vorkommt als die
Zehnerzahl, so kann das nicht auffallen, da ja eine unbestimmte
Zahlangabe in der Regel eine grössere Menge voraussetzt; die
Belegstellen sind jedoch vollkommen ausreichend und unzweifelhaft.
Nach den Bemerkungen, welche J. Grimm in seinen Deutschen
RechtsalterthĂĽmern Seite 211 fgg. ĂĽber die Vierzahl und ihr Vor-
kommen in unsern alten Rechtsgewohnheiten macht, kann der Zu-
sammenhang dieses Gebrauches mit den vier Himmelsgegenden
und dem Einfluss derselben auf Landeseintheilung, Wege und Ge-
richtsplätze nicht in Zweifel gezogen werden. Allein sowohl im
Deutschen wie im Englischen ist eine etwaige örtliche oder recht-
liche Nebenbedeutung völlig abgestreift worden. Wenn es im
Nibelungenliede (Lachm. 2014, Simrock Seite 386) heisst:
Tausend und viere die kamen in das Haus,
so bedeutet tausend die unbestimmte Hauptzahl und vier den gleich-
falls unbestimmten Ueberschuss darĂĽber. In Ayrer's Dramen,
herausgeg. von Keller (IV, 2796) lesen wir:
Er wĂĽrd wol vier mahl vmb gebracht,
Eh er ein mal drob thet erwachen.
Ebenda IV, 2801 fgg.:
Ach Ancilla, ich bitt durch Gott
Verlass mich nicht in dieser Noth!
Vier Cronen geb' ich dir zu Lohn.
Das älteste englische Beispiel, das ich bis jetzt aufgefunden
*) Malone'a Supplement I, 352.
Juhrl.ucb xi. lfl
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— 290 —
habe, steht in Robert Mannyng's Uebersetzung der Chronik Peter
Langtoft's bei WĂĽlcker, Altenglisches Lesebuch I, 64 und 153:
Sone in for yers per chance a werre shall rise.
Noch schlagendere Stellen finden sich bei den Elisabethanischen
Dramatikern, ja sogar bei Shakespeare selbst. Im altern Timon
(ed. Dyce, 1842, p. 7) heisst es:
Timon, lend me a little goulden dust,
To ffree me from this ffeind; some fower talents
Will doe it.
S. Rowley, When you see me, you know me (ed. Elze p. 22):
TJie lords has attmded here this four days. Lilly's Endimion IV,
2 (The Dramatic Works of John Lilly ed. F. W. Fairholt, 1858,
I, 53): 'Sampas], — But how wilt Oiou live? Epifton]. By
angling; 0 'tis a stately ocmpation to stand foure houres in a
colde morning, and to have Iiis nose bitten with frost before his
baite be mumbled with a fish. 1 Lord Cromwell II, 2 (Malone's
Supplement II, 391): 'We were scarce four miles in the grem water,
but I, thinking to go tojny afternoon's nuncheon, feit a kind of
rising in my guW Webster, The White Devil, or Vittoria
Corombona (bei Dodsley 1825, p. 316):
I made a vow to my deceased lord,
Neither yourself nor I should outlive him
TJie mimbering of four hours.
Ebenda (Dodsley p. 322):
0 could I kill you forty times a day,
And useH four years together, Hwere too little.
Shakespeare^ Wintermärchen V, 2: Autolycus. 1 know you are
now, sir, a gentleman born. Clown. Ay, and have been so any
Urne these four hours. Endlich K. Henry V, V, 1 : I say, I will
make him eat some part of my leek, or I will peat his pate four days.
Streng genommen wäre der erforderliche Beweis für 'four
hours' hiermit geführt, die Sache erhält jedoch ihr volles Licht
erst, wenn auch die beiden andern typischen Zahlen, vierzig und
vierzig tausend, mit in den Kreis der Betrachtung gezogen werden.
Schon im alten Testament begegnet uns die Zahl 'vierzig' häufig
in diesem unbestimmten Sinne; bei der Sintflut regnet es vierzig
Tage und Nächte, und Moses führt die Juden vierzig Jahre in der
WĂĽste umher (Apostelgeschichte 13, 18). Bei Ayrer (V, 3213)
finden wir:
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- 291 —
Starb doch der gross Riess Goliat
Der deiner sterckh wol firtzigk hat.
Ein altes deutsches Volkslied (Das Schloss in Oesterreich, bei
Scherer, Jungbrunnen, 3. Aufl., S. 67) singt:
Darinnen liegt ein junger Knab
Auf seinen Hals gefangen,
Wol vierzig Klafter tief unter der Erd'
Bei Ottern und bei Schlangen.
In dem englischen Rittergedicht von Richard Löwenherz wickelt
sich Richard vierzig Ellen seidener TĂĽcher um den Arm, ehe
er ihn in den Rachen des Löwen steckt und diesem das Herz
ausreisst (Percy, Essay on the Ancient Metrical Romances in den
Reliques). Bei den Elisabethanischen Dramatikern wird die Zahl
der Belegstellen Legion. Webster, The White Devil, or Vittoria
Corombona (Dodsley, 1825, p. 266):
WilVst seil me forty ounces of her blood
To water a mandrake?
Heywood, If You know not Me, You know Nobody (ed. Collier
p. 71; vergl. ebenda p. 125):
Bid htm by that token
Sort thee mit forty pounds' worth of such ivares
As tJwu slialt think most beneficial.
B. Jonson, The Devil is an Ass Et, 8 (bei Gifford n, 3):
0, sir! and dresses himself tlie best ! beyond
Forty o' your ladies! Bid you ne'er see htm?
B. Jonson, Epicoene IV, 1 : I liave not kissed my Fury these forty
weeks. Ebenda: A most vile face! and yet she spends me forty
poimd a year in mercury and hogs-bones. B. Jonson, Bartholomew
Fair II, 1: Like enough, sir; she'll do forty stich things in an
lwiir (an you listen to her) for her reci'eation. Ebenda DI, 1:
put him a-top o* the table, where his place is, and hell do you
forty fine things. Marlowe, The Jew of Malta IV, 4 (ed. Dyce I,
256): Within forty foot of the gallmvs, conning his neckverse.
Beaumont and Fletcher, The Knight of Malta HI, 4 init:
Oh, H was royal music!
And to procure a sound sleep for a soldier,
Worth forty of your fiddles.
19*
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— 292 —
Twelfth Night V, 1: I had rather than forty pound, I were at
home. Midsummer Night's Dream II, 2:
ril put a girdle round about the earth
In forty minutes.
Merry Wives I, 1 : J luxd rather than forty sliillings, I had my
book of songs and sonnets here. Comedy of Errors IV, 3:
A ring he hath of mine worth forty diwats —
For forty duiats is too mnch to lose.
Henry VlUL, V, 4: when I might see firom far some forty trun-
cheoners draw to her suecour. Ebenda:
The hing may die before my first return;
Then whertfs my cash? Why, so the king may live
These forty years; thm, tvhere is Gresham's gain?
Am Vorabende von Essex's Verschwörung wurde bekanntlich
ein Richard n. (aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Shake-
speare'sche) in Essex House aufgefĂĽhrt, wobei das Schicksal
Richard's IL der Elisabeth zugedacht wurde. Elisabeth wusste
das und sprach sich gegen William Lambarde darĂĽber aus, indem
sie hinzufĂĽgte: 'This tragedy was played fortie times in open streets
and houses 1 . (S. Halpin, Oberon's Vision &c. p. 105.) Wir wĂĽrden
heutigen Tages etwa sagen: x Mal.
Um zu zeigen, dass dieser Gebrauch von 'foiiy 1 keineswegs
ausgestorben ist, lasse ich noch zwei moderne Stellen folgen. In
Wordsworth's kleinem Gedichte 'Written in March' (Poetical Works,
Moxon, 1850, 6 vols, II, 110) heisst es:
The cattle are grazing,
Their heads never raising;
There are forty feeding like one.
Die bekannte Ballade 'Barbara Fritchie' von Whittier (Complete
Poetical Works, Boston, 1873 p. 270) enthält folgende Verse:
Forty flags with their silver stars,
Forty flags with their crimson bars,
Flapped in the morning wind: the sun
Of noon loöked down, and saw not one.
Was die Tausende anlangt, so findet sich schon bei Layamon
25,395: feouwer hundred thusende. Marlowe, Tamburlaine (ed.
Dyce I, 20):
Our army will he forty thousand strong.
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293
Edward Hl (ed. Delhis p. 78):
No less than forty thousand wicked eiders
Hove forty lean slaves this day stört d to death.
Webster, The White Devil, or Vittoria Corombana (Dodsley, 1825,
p. 262): Td he entered into the list of the forty thousand
pedlars of Poland, The Winter's Tale IV, 2: Here's another bailad
of a fish, that appeared lipon the coast on Wednesday the fourscore
of April, forty thousand fathom above water and sung this ballad
against the hard hearts of maids.
Merkwürdig ist es, dass auch die Hälften dieser Zahlen, zu-
mal die von vierzig, häufig in dem nämlichen typischen Sinne ge-
braucht werden. Man könnte glauben, dass dies seinen Grund
darin habe, dass zwanzig ein bekanntes Zahlmass war, nämlich
'a score', eine Schaar oder Stiege. Allein dies reicht doch zur
Erklärung der Thatsache schon um deshalb nicht aus, als auch
die Hälfte von vier vorkommt. So im König Lear I, 2: Edm.
Spähe you with him? Edg. Ay, two hours together. Ferner im
altern Timon (ed. Dyce p. 73):
Gelas(imus): Pseudoeheus,
How tnany miles think you that wee must goe?
Pseud. Two thousande, forty four.
Die hinzugefugten vier und vierzig lassen keinen Zweifel ĂĽber
die Auffassung der zweitausend bestehen. Ungleich häufiger als
die Zwei begegnet natĂĽrlicher Weise die Zwanzig. Merch. of
Ven. II, 6:
I have sent twenty out to seelc for you.
Ebenda KT, 4:
And twenty of these puny lies TU teil.
Ebenda, Schluss:
For ive must measure twenty miles to-day,
wo jedoch möglicher Weise auch eine buchstäbliche Auffassung
zulässig sein könnte (siehe meine Essays on Shakespeare p. 279,
Note). Thomas Heywood, If You know not Me, You know Nobody
(ed. Collier p. 125):
— thou owest me but twenty pound,
TU venture forty more.
Ebenda p. 150:
Now, for your pains, there is twenty pound in gold.
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— 294 —
The Return frorn Parnassus III, 2 (Hawkins, Origin of the Eng-
lish Drama HI, 242): When he returns, TU teil twenty admirable
lies of his hawk. Ebenda (p. 249):
His hungry sire will scrape you twenty legs
From one good CJiristmas meal on CJiristmas -day &c.
Rowley, When you see me, you know me (ed. Elze p. 36): 'King
Henry loves a man and I perceive there's some mettle in thee,
there's twenty angels for fliee' — während es wenige Zeilen vor-
her heisst:
There's forty angels, drink to hing Harry's health.
In Chapman's Alphonsus (ed. Elze p. 49) wird ein Gift gerĂĽhmt,
dessen besonderer Vorzug es sei:
That it is twenty liours before it works.
Das gewinnt sprachlich wie sachlich erst volle Klarheit und
volles Interesse, wenn damit die folgende Stelle aus dem Juden
von Malta A. ID. (ed. Dyce in 1 vol. 1870 p. 163) verglichen
wird:
It is a precious powder tJiat I bought
Of an Italian, in Ancona, once,
Wwse Operation is to bind, infect,
And poison deeply, yet not appear
In forty hours after it is ta'en.
Für 'twenty thousand' im unbestimmten Sinne als die Hälfte
von 'forty thousand 1 vermag ich bis jetzt noch keinen Beleg bei-
zubringen.
XV.
Nay then, let the devil wear block, for FU have a suit of sables.
Hamlet, in. 2.
Wie Dyce zu d. St. mittheilt, ist in der Zeitschrift The Critic
1854 p. 317 und p. 373 die Vermuthung aufgestellt worden, dass
zu lesen sei 'a suit of sabelV, d. h. ein isabell -farbenes Gewand;
der Correspondent des 'Critic' beruft sich dabei auf Henry Peacham,
allerdings einen Zeitgenossen Shakespeare's, bei dem 'sabell colour 1
vorkommen solle — er kennt jedoch die betreffende Stelle nur aus
einem Citat. Es ist sehr fraglich, ob Shakespeare ĂĽberhaupt
isabell-farbene Kleider gekannt hat; das Wort 'sabelV findet sich
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— 295 —
nicht in seinen Werken und ist so viel ich weiss auch in denen
der ĂĽbrigen Elisabethanischen Dramatiker nicht nachgewiesen, so
dass es ausserordentlich gewagt sein wĂĽrde, dasselbe in Shake-
speare's Text hineinzutragen. Es scheint aber auch keineswegs
nöthig. l A mit of sables 1 ist und bleibt ein Zobelpelz; der Gegen-
satz gegen das schwarze Trauerkleid ist aber nicht in der Farbe,
sondern in der Kostbarkeit und im Glänze des Stoffes zu suchen.
Nach der uralten biblischen Sitte, in Sack und Asche zu trauern
('Jacob zeriss seine Kleider und legte einen Sack um seine Lenden',
1. Mos. 37, 34), werden noch jetzt zu Trauerkleidern grobe und
stumpfe Stoffe verwandt, während zum Zobelpelz, der sich schon
an und für sich durch seinen Glanz auszeichnet, der prächtigste
und glänzendste Stoff gewählt wird. Dass daneben noch eine Wort-
spielerei mit 'block 1 und 'sables 1 einhergeht, thut dieser Erklärung
keinen Abbruch.
XVI.
Wlw, dipping all Iiis faults in their affection,
Would, like the spring that turneth wood to stone,
Convert Iiis gyves to graces; so (hat my arrows &c.
Hamlet rv, 7. *)
Die Verderbniss dieser Stelle scheint nicht, wie Theobald u.
A. gemeint haben, in 'gyves 1 , sondern in 'graces 1 zu liegen. Wie
können die nur zu materiellen 'gyves 1 in abstracte 'graces 1 ver-
wandelt werden? Das bringt auch die Quelle zu Knaresborough,
die doch Holz in Stein verwandelt, nicht fertig. Ein abstractes
Nomen an dieser Stelle verdirbt die ganze Metapher und ist
logisch unmöglich. Würde 'gyves 1 durch ein Abstractum ersetzt
(das in Vorschlag gebrachte 'gibes 1 erscheint geradezu unerträglich),
so wäre damit allerdings logische Gleichförmigkeit hergestellt,
allein das Gleichniss wĂĽrde alle sinnliche Anschaulichkeit, Kraft
und FĂĽlle verlieren, und die Herbeiziehung der wunder- wirken-
den Quelle zur Vergleichung zweier abstracten Eigenschaften wäre
ganz beziehungslos und sicherlich nicht in Shakespeare's Geist und
Stil. Es sollte, wie ich glaube, gelesen werden:
») Vergl. Athen. 1869, I, 284.
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— 296 —
Convert Iris gyves to graves, &c.
wodurch zugleich der Rhythmus des Verses hergestellt wĂĽrde.
'Graves 1 , nach gegenwärtiger Schreibung 'greaves 1 , findet sich auch
2 K. Henry IV, IV, 1, wo wie hier etwas Niedriges darin ver-
wandelt und dadurch geehrt und erhoben werden soll:
Turning your books to graves, your irik to blood &c.
Denn wenn es in unserer Stelle wol als unzweifelhaft angenommen
werden darf, dass 'gyves 1 metonymisch fĂĽr diejenigen Verbrechen
gesetzt ist, die damit bestraft zu werden verdienen, so wĂĽrden
dem entsprechend die 'graves 1 die Auszeichnung und das Verdienst
bedeuten, die mit diesem WaffenstĂĽck und Abzeichen des Ritter-
thums geschmĂĽckt zu werden verdienen. Wer erinnert sich dabei
nicht der ivxvrjfjudsg y A%atot, die Chapman allerdings zu 'tvell-arm 'd
Greeks 1 abgeblasst hat; doch lässt auch er (Hiads XVIII, 415)
die 'fair greaves 1 zu ihrem Rechte kommen. Das von der Quelle
hergenommene Gleichniss erscheint nur um so treffender, wenn
wir erwägen, dass die Fussschellen ursprünglich aus Holz ver-
fertigt worden sein mögen; freilich sollten dann die Beinschienen
aus Stein bestehen, allein soweit kann man unbedenklich zugeben,
dass jedes Gleichniss hinkt. Was endlich die Schreibung 'graves 1
statt 'greaves 1 anlangt, so kann uns dieselbe nicht im mindesten
beirren; sie kehrt nicht allein in der angefĂĽhrten Stelle aus 2 K.
Henry IV (FA) wieder, sondern wird auch bestätigt durch die
Formen 'thraves 1 statt 'threaves 1 (vergl. Hooper zu Chapman's Hiads
XI, 477) und 'stale 1 statt 'steale 1 oder 'stele 1 (ebenda IV, 173, wozu
Nares s. Stele zu vergleichen ist).
XVH.
Go, get thee to Yaughan: fetch nie a stoup of liquor.
Hamlet v, i.
Es scheint noch nicht genĂĽgend bekannt zu sein, dass diese
'crax interpretum 1 endlich von Brinsley Nicholson in Notes and
Queries, 4 th Series, Vol. VIII p. 81 gelöst worden ist. Mr. Nicholsons
Erklärung gründet sich auf eine Stelle in B. Jonson's Every Man
out of his Humour V, 4, wo es heisst: 'her eh a slave about the town
here, a Jeiv, one Yolian, or a feĂĽow that makes perukes, will glue it
on artificiallyJ Also offenbar ein deutscher Jude, der unter dem Aller-
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— 297 —
weltsnamen Johann als Friseur und Factotum in der Stadt bekannt
war und vermutlich als Theaterfriseur am Globus fungirte. Nun
gehörte aber, wie wir aus HalliwelPs Illustrations of the Life of
Shakespeare p. 88 wissen, zum Globustheater eine Kneipe (tap-house),
die von den Theater- Eigenthümern für 20 bis 30 Pfund jährlich
verpachtet war und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach an diesen
nämlichen deutschen Juden. Dies letztere geht aus einer zweiten
Stelle bei B. Jonson hervor, The Alchemist I, 1, wo von 'an
älehoiise darker than deaf Jb/mV die Rede ist. Vielleicht kann
es als eine weitere Bestätigung angesehen werden, dass Carlo an
der erstgenannten Stelle als 'my good German tapster 1 angeredet
wird. Man braucht in der That nicht viel Phantasie zu besitzen,
um diesen alten taubgewordenen jĂĽdischen Theaterfriseur und
Theaterkneipier leibhaftig vor sich zu sehen. Was das Sprach-
liche anlangt, so kann es kein Bedenken erregen, dass hier
• Yanghan 1 statt 4 Yohan 1 geschrieben ist, da ja auch, wie Nicholson
bemerkt, 'hough 1 für 'ho 1 vorkommt. Auf alle Fälle haben wir
liier die entschieden wahrscheinlichste Erklärung der berüchtigten
Stelle. Es scheint sich sogar noch etwas Weiteres daran zu
knüpfen, was Mr. Nicholson nicht in Betracht gezogen hat, näm-
lich das bekannte 'an absolute Johannes factotum 1 , das Greene
unserm Dichter vorgeworfen hat. Woher kommt hier die un-
gewöhnliche und fremdländisch klingende Form 'Johannes' statt
des üblichen 'Jack'? Hängt sie vielleicht auch mit dem deutsch-
jĂĽdischen Theaterfriseur zusammen, und war dieser der eigentliche
und ursprĂĽngliche 'Johannes factotum 1 ? Der Greene'sche Ausfall
würde dadurch nichts an Schärfe einbüssen, sondern im Gegentheil
nur an drastischer Handgreiflichkeit gewinnen, wenn er den Leser
sofort an diese stadtbekannte Figur erinnert hätte.
XVIII.
Die cat tvill mew, a dog will Hove his day.
Hamlet v, l
Man hat hierzu die sehr annehmbar klingende Conjectur ge-
macht: a (and, oder the) dog tvill have his bay. S. Athen. 1868,
II, 314, 346, 440. Und doch muss diese Conjectur entschieden
zurĂĽckgewiesen werden. Die folgende Stelle aus Nash, Summer's
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Last Will and Testament (Dodsley, 1825, IX, 37), von der ich
nicht weiss, ob sie bereits beigebracht worden ist oder nicht,
giebt die richtige Erklärung an die Hand:
Each orte of these foul-mouthed mangy dogs
Governs a day (no dog but hath his day);
And all the days by them so governed
The dog -days hight.
XIX.
Look, look a mouse! Peace, peace; this piece of toastcd clieese
will do't.
K. Lear iv, e.
Dr. Stark fĂĽhrt in seiner bekannten psychiatrischen Studie
über König Lear S. 70 diese Stelle ohne weitere Bemerkung als
Beweis der eingetretenen 'vollen, reissenden Ideenflucht, des Ueber-
stürzens der Gedanken' an. Auf Seite 82 erwähnt er die 'Sinnes-
täuschungen und Visionen', von denen Lear heimgesucht wird.
'Lear, sagt er, hält den Narren und Edgar einmal für Richter,
dann fĂĽr seine Ritter, einen Sessel fĂĽr seine Tochter; oder er
sieht Hunde, eine Maus, wo keine sind.' Es ist auffällig, dass
Dr. Stark nicht noch einen Schritt weiter gegangen ist und auf
die bekannte Thatsache hingewiesen hat, dass Delirirende vorzugs-
weise kleine krabbelnde Thiere zu sehen glauben, namentlich
Mäuse und Spinnen. Der von Dr. Stark geführte Beweis, dass
der Dichter mit dem Wesen der von ihm dargestellten Geistes-
krankheit im höchsten Grade vertraut war, wird hierdurch noch
verstärkt. Es könnte zwar scheinen, als Verstösse Shakespeare
gegen die Naturwahrheit, indem er Lear Hunde sehen lässt (HI, 6),
die doch nicht gerade zu den kleinen Thieren gehören, allein Lear
sagt ausdrĂĽcklich, dass es kleine Hunde sind; und dass er deren
viele sieht, ist auch ein merkwĂĽrdig richtiger Zug, da die Deliranten
solche kleinen Thiere häufig 'en masse 1 zu erblicken glauben. Diese
scheinbar so unbedeutenden ZĂĽge tragen dazu bei, die wunderbare
Thatsache ins hellste Licht zu stellen, dass es dem Dichter ge-
lungen ist, im Lear ein dramatisches Gemälde von Geisteskrank-
heit zu liefern, in dessen Bewunderung noch heute Irrenärzte und
Aesthetiker mit einander wetteifern, trotzdem sowohl Psychiatrie
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— 299 —
als auch Aesthetik seitdem um nahezu drei Jahrhunderte vor-
geschritten sind; ja man fĂĽhlt sich versucht zu sagen, dass Irren-
ärzte und Aesthetiker von dieser wetteifernden Bewunderung er-
fĂĽllt sind, weil Psychiatrie und Aesthetik seitdem um drei Jahr-
hunderte vorgeschritten sind.
XX.
That handkerchief
Did an Egyptian to my mother give;
Slie was a cliarmer, and could almost read
Tlie thmtghts of people: —
'T is true: there's magic in the web of it:
A sibyl, that had number'd in ilie world
TJie sun to course two hundred compasses,
In her prophetic fury sew'd the work;
The worms were liallow'd (Jiat did breed the silk;
And it tvas dyed in mummy which the skilful
Conserved of maidens' hearts.
Othello in, 4.
In B. Jonson's Sad Shepherd II, 1 (am Schluss) findet sich
eine merkwürdig ähnliche Schilderung, auf welche meines Wissens
bis jetzt noch nicht aufmerksam gemacht worden ist. Die Verse
lauten:
But, hear ye, Douce, because ye may meet me
In mony shapes to-day, where'er you spy
This browder'd belt with characters, 'tis I.
A Oypsan lady, and a right beldame,
Wrought it by moonshine for me, and star-light,
lipon your grannam's grave, tliat very night
We earWd her in the sliades; when our dame Hecate
Made it her gaing night over tlie kirk-yard,
Witfi all the barkand parish-tikes set at her,
WJiile I sat whyrland of my brazen spindle:
At every twisted thrid my rock let fly
Unto the sewster, who did sit me nigh,
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— 300 —
Under the totvn turnpike; which ran each spell
She stitched in the work, and knit it well.
See ye take tent to this, and ken your mother.
Kann man zweifeln, dass B. Jonson hier Shakespeare vor Augen
gehabt und nachgeahmt hat? Es sind nachgerade so viele Bei-
spiele dieser — nicht immer gutmüthigen — Nachahmung zu-
sammengetragen worden, dass selbst ein zukĂĽnftiger zweiter Gifford
B. Jonson von der Anklage Shakespeare stellenweise parodirt und
ins Lächerliche gezogen zu haben, nicht wird freisprechen können.
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»
Statistischer Ueberblick
ĂĽber die Shakespeare -AuffĂĽhrungen deutscher BĂĽhnen
vom 1. Juli 1874 bis 30. Juni 1875.
Altenburg: Othello, 1 AuffĂĽhrung.
Berlin, Königl. Schauspiele: Was ihr wollt (Oechelhäuser), 7
— Richard III. (Oechelh.), 5 — Viel Lärm (Tieck), 7 — Kauf-
mann von Venedig, 4 — Widerspenstige (Deinhardstein), 5 —
Romeo und Julia, 3 — Lear, 2 — zusammen 33 Aufführungen.
Berlin, National -Theater: Viel Lärm, — Othello, 7 — Ham-
let, 5 — Kaufmann von Venedig, 2 — Heinrich IV., 2 —
Coriolanus, 7 — König Johann, 4 — Julius Caesar, Act III, —
zusammen 29 AuffĂĽhrungen.
Berlin, Stadt -Theater: Hamlet, 7 — Richard in., 3 — zu-
sammen 10 AuffĂĽhrungen.
Berlin, Reunion-Theater: Romeo und Julia, 9 — Hamlet, 4 —
Kaufmann von Venedig, 4 — Lear, 4 — zusammen 21 Auf-
fuhrungen.
Berlin, Friedrich -Wilhelm stildter Theater: Das Hoftheater
von Meiningm gab hier im Gastspiel (vom 16. April bis
15. Juni 1875): Julius Caesar, 8 — Kaufmann von Venedig, 3
— zusammen 11 Auffuhrungen.
Braunschweig: Kaufmann von Venedig, — Widerspenstige
(Deinhardstein), n. e., 4 — Romeo und Julia, — Winter-
märchen (Dingelstedt), — Sommernachtstraum, n. e., 3 —
zusammen 10 Auffuhrungen.
Breslau, Stadt -Theater:*) Romeo und Julia (West), 9 —
*) Das Lobe. Theater in Breslau hat — nach den, mir freundlichst zur
Durchsicht tiberlassenen, Listen des Bureau der deutschen Genossenschaft dra-
matischer Autoren und Componisten in Leipzig — dies Jahr keine Shakespeare-
Aufführungen gegeben. — Aus diesen Listen musste das Material ergänzt
werden, soweit es nicht von den BĂĽhnen selbst zu erlangen war.
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Othello, 2 — Lear (West), — Macbeth (Dingelstedt), —
Kaufmann von Venedig, 3 — zusammen 16 Auffuhrungen.
Cassel: Sommernachtstraum , 2 — Hamlet, — Wintermärchen
(I)ingelstedt), — Romeo und Julia, — Was ihr wollt, — Mac-
beth, — Lear (West), — Richard IL (Ed. Devrient, z. e. M.
30. Jan. 1875), 2 — Kaufmann von Venedig, — Viel Lärm, —
Heinrich V. (Dingelstedt, z. e. M. 29. April 1875), 2 — Hein-
rich VI., 1. Th. (Dingelstedt, z. e. M. 7. Juni 1875) — zu-
sammen 15 AuffĂĽhrungen.
Cöln, Stadt-Theater: Kaufinann von Venedig, 2 — Viel Lärm
(Holtei), — Othello, — Hamlet, — zusammen 5 Auffuhrungen.
Darmstadt: Sommernachtstraum, — Othello (West), — Hein-
rich IV., 1. Th. (Dingelstedt, z. e. M. 2. März 1875), — zu-
sammen 3 AuffĂĽhrungen.
Dessau: Romeo und Julia (West), — König Johann, 2 — Cym-
belin (Vincke), 2 — zusammen 5 Auffuhrungen.
Dresden: Kaufmann von Venedig (Ed. Devrient), 3 — Wider-
spenstige (Deinhardstein), 4 — Was ihr wollt (Quanter), 2 —
Viel Lärm (Holtei), 5 — Sommernachtstraum, 3 — Hamlet, 5
— Othello, — Wintermärchen (Dingelstedt), — Coriolanus
(Gutzkow), 2 — Romeo und Julia (Ed. Devrient), 2 — zu-
sammen 28 AuffĂĽhrungen.
Frankfurt a. M. : Hamlet, 4 — Coriolanus (Ed. Devrient, n. e.),
4 — Wintermärchen (Dingelstedt), 2 — Viel Lärm (Holtei),
3 — Sommernachtstraum, 2 — Othello, — Kaufmann von
Venedig, 2 — Richard HL, — zusammen 19 Aufführungen.
Freiburg i. Br.: Cymbelin (Vincke, z. e. M. 12. Novbr. 1874), —
Romeo und Julia, — Kaufmann von Venedig, — Hamlet, —
Macbeth (Schiller), — zusammen 5 Aufführungen.
Gera. Kaufmann von Venedig, 2 — Lear, — zusammen 3 Auf-
• führungen.
Hamburg, Stadt- Theater: Julius Caesar, 4 — Richard II., —
Heinrich IV., 3 — Hamlet, 2 — Widerspenstige (Deinhardstein),
zusammen 11 AuffĂĽhrungen.
Hamburg, Thalia-Theater: Viel Lärm (Holtei), — Was ihr wollt
(Deinhardstein), — Wintermärchen (Dingelstedt), — Kauf-
mann von Venedig, 2 — zusammen 5 Aufführungen.
Halle: Hamlet, — Ende gut, Alles gut (Thümmel), 2 — Romeo
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— 303 —
und Julia, — Viel Lärm, — Widerspenstige, — Kaufmann
von Venedig, — Othello, 2 — zusammen 9 Aufführungen.
Hannover: König Johann (z. e. M. 18. Jan. 187B), 3 — Richard II.
. (z. e. M. 15. Febr. 1875), 2 — Heinrich IV., — Was ihr
wollt, 2 — Hamlet, — Macbeth (Schiller), — Romeo und
Julia, — Viel Lärm (Holtei), 3 — Widerspenstige (Deinhard-
stein), 2 — Wie es euch gefällt, 2 — Sommernachtstraum,
2 — zusammen 20 Auffuhrungen.
Karlsruhe (und Baden-Baden): Kaufmann von Venedig (Ed.
Devrient), 3 — Widerspenstige (Deinhardstein), 3 — Winter-
märchen (Dingelstedt) , 2 — Cymbelin (Vincke), — Sommer-
nach tstraum, — zusammen 10 Auffuhrungen.
Koburg- Gotha: Othello, 2 — Viel Lärm, — zusammen 3 Auf-
fĂĽhrungen.
Königsberg: Hamlet, — Viel Lärm (Holtei), — zusammen 2 Auf-
fĂĽhrungen.
Leipzig (Neues und Altes Theater) : Othello, 2 — Widerspenstige
(Deinhardstein), 4 — Sommernachtstraum, 3 — Kaufmann
von Venedig (Haase), 2 — Romeo und Julia, 4 — zusammen
15 AuffĂĽhrungen.
Mannheim: Widerspenstige (Deinhardstein), — Ende gut, Alles
gut (Vincke, z. e. M.), 2 — Sommernachtstraum, — Viel
Lärm (Holtei), — Wintermärchen (Dingelstedt), — Sturm
(Dingelstedt), — zusammen 7 Auffuhrungen.
Meiningen: Widerspenstige, — Kaufmann von Venedig, 3 —
Othello, 2 — Julius Caesar, 2 — Hamlet, 2 — Viel Lärm, —
Romeo und Julia, — zusammen 12 Aufführungen.
(Gastspiel in Berlin — 11 Auffuhrungen — siehe oben.)
München: Romeo und Julia, 2 — Viel Lärm (Holtei), 5 —
Heinrich VI., 1. Th. (Dingelstedt), — Heinrich VI., 2 Th.
(Dingelstedt), — Richard III. (Dingelstedt), — Sommernachts-
traum, 2 — Wintermärchen (Dingelstedt), 3 — zusammen
15 AuffĂĽhrungen.
Oldenburg: Romeo und Julia, 2 — Hamlet, 2 — Macbeth
(Dingelstedt), — Irrungen, — Kaufmann von Venedig, —
Othello, — zusammen 8 Aufführungen.
Riga (und Mi tau): Cymbelin (Vincke, z. e. M. 31. Aug. 1874
a. St.), 6 — Mass für Mass (Vincke, z. e. M. 22. Novbr. 1874
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a. St.), 5 — Othello, 3 — Sommernachtstraum , n. e., 6 —
zusammen 20 AuffĂĽhrungen.
Schwerin : Hamlet (Wolzogen, n. e.), 3 — Kaufmann von Venedig
(Wolzogen), — Richard II. (Wolzogen, z. e. M.), — Heinrich IV.
(Wolzogen, z. e. M.), 2 — Heinrich V. (Wolzogen, z. e. M.),
2 — Heinrich VI., 1. Th. (Wolzogen, z. e. M.), — Heinrich VI.,
2. Th. (Wolzogen, z. e. M.), — Richard III. (Wolzogen, z. e. M.),
2*) — Romeo und Julia, n. e., — Cymbelin (Wolzogen), —
zusammen 15 AuffĂĽhrungen.
Strassburg: Macbeth (Schiller), 2 — Hamlet, 2 — Othello, 2 — -
zusammen 6 AuffĂĽhrungen.
(Ausserdem wurde vom Strassburger Theater auch Othello
1 Mal in Metz gegeben.)
Stuttgart: Widerspenstige (Deinhardstein), — Kaufmann von
Venedig, 2 — Macbeth (Dingels tedt), — Sommernachtstraum,
3 — Julius Caßsar (Laube), 2 — Romeo und Julia, —
Irrungen, — Hamlet, — zusammen 12 Aufführungen.
Weimar: Kaufmann von Venedig (Ed. und Otto Devrient), 2 —
Macbeth (Dingelstedt), 2 — Sommernachtstraum (Oechelhäuser),
— Hamlet (Ed. und Otto Devrient), 2 — Viel Lärm (Holtei),
zusammen 8 AuffĂĽhrungen.
Wien, Hofburg -Theater: Othello (West), — Richard HE.
(Dingelstedt), 2 — Was ihr wollt (Laube), 2 — Kaufmann
von Venedig (West-Laube), 2 — Widerspenstige (Deinhardstein),
2 — Richard II. (Dingelstedt, z. e. M. 30. Januar 1875), 5 —
*) Die im Obigen kurz benannten 6 historischen Dramen, sämmtlich „mit
freier Benutzung der Schlegerschen Uebersetzung fĂĽr die BĂĽhne bearbeitet
von A. Frhrn. v. Wolzogen", sind in der vom Schwerin'schen Hoftheater ver-
öffentlichten Uebersicht für 1874/75 bezeichnet:
„König Richard II."
„König Heinrich IV. Nach des Originals erstem Theile und einigen
Scenen des zweiten Theils."
„König Heinrich V. Nach dem Original von Heinrich^ IV. zweitem
Theil und von Heinrich V. u
„König Heinrich VT. Nach des Originals zweitem Theile, sowie
einigen Stellen aus dem ersten und dem Anfang des dritten
Theils."
„König Eduard IY. Nach dem Original von Heinrich's VI. drittem
Theil.«
„König Richard III."
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t
— 305 —
Heinrich IV., 1. Th. (Dingelstedt, z. e. M. 22. Febr. 1875), 4
— Heinrich IV., 2. Th. (Dingelstedt, z. e. M. 4. März 1875),
4 — Heinrich V. (Dingelstedt, z. e. M. 19. März 1875), 5 —
Heinrich VI., 1. Th. (Dingelstedt), — Heinrich VI., 2. Th.
(Dingelstedt), — Julius Caesar (Laube), — zusammen 30 Auf-
fuhrungen.
Vom 17. bis 23. April 1875 wurden die 7 Historien, Richard II.
bis Richard HL, in unmittelbarer Folge aufgefĂĽhrt.*)
Wien, Stadt-Theater: Viel Lärm (Holtei), 2 — Widerspenstige,
— Kaufmann von Venedig, 6 — Julius Caesar (Laube), 2 —
Mass für Mass (Vincke, z. e. M. 29. Octbr. 1874), 4 — zu-
sammen 15 AuffĂĽhrungen.
Wien, Komische Oper: Sommernachtstraum (z. e. M. 12. Decbr.
1874, dann bis 20. Decbr. täglich, also doch 8 Mal, wiederholt),
— 12 Aufführungen.
Wiesbaden: Richard EI., n. e., 2 — Sommernachtstraum, —
Kaufmann von Venedig, n. e., 2 — Widerspenstige, — Ham-
let, n. e., — Viel Lärm (Holtei), — Wintermärchen (Dingelstedt),
— Othello (West), — zusammen 10 Aufführungen.
Demnach wurden im Theaterjahr 1874/75 von 37 BĂĽhnen
27 StĂĽcke von Shakespeare in 460 AuffĂĽhrungen gegeben, die sich
vertheilen aut:
1) Kaufmann von Venedig, 55 — 2) Hamlet, 46 — 3) Sommer-
nachtstraum, 43 — 4) Romeo und Julia, 40 — 5) Viel Lärm,
36 — 6) Othello, 31 — 7) Widerspenstige, 31 — 8) Julius Caesar,
20 — 9) Richard HI., 16 — 10) Was ihr wollt, 15 — 11) Winter-
*) Herr Dr. August Förster, Mitglied und Regisseur des Hofburg-Theaters,
hatte die GĂĽte, mir sowohl obige AuffĂĽhrungen, als auch die bis dahin nicht
zu beschaffenden, deshalb im letzten Ueberblick fehlenden, des Vorjahres mit-
zutheilen. Im Theaterjahr 1873/74 — in dem die, gewöhnlich vom 1. Juli bis
16. August dauernden, Ferien, der Wiener Weltausstellung wegen, ausfielen —
gab das Hofburg-Theater:
Was ihr wollt (Laube), 4 — Widerspenstige (Deinhardstein) , 5 — Kauf-
mann Ton Venedig (West -Laube), 4 — Julius Caesar (Laube), 3 — Othello
(West), 4 — Romeo und Julia (Laube), 3 — Heinrich VI., 1. Th. (Dingelstedt,
z. e. iL 18. Octbr. 1873), 9 — Viel Lärm (Holtei), 2 — Heinrich VI., 2 Th.
(Dingelstedt, z. e. M. 28. Febr. 1874), B — Richard m (Dingelstedt, z. e. M.
27. April 1874), 4 — zusammen 43 Aufführungen.
Am 23., 2B. und 27. April 1874 wurden aufeinanderfolgend Heinrich VI.,
1. Th., Heinrich VX, 2. Th., und Richard IH. gegeben.
Jahrbuch IX. 20
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— 306 —
tnärchen, 13 — 12) Coriolan, 13 — 13) Heinrich IV., 1. TL (?),
13 — 14) Cymbelin, 11 — 15) Richard IL, 11 — 16) Macbeth,
10 — 17) König Lear, 9 — 18) König Johann, 9 — 19) Heinrich V.,
9 — 20) Mass für Mass, 9 — 21) Ende gut, Alles gut, 4 —
22) Heinrich IV., 2. TL, 4 — 23) Heinrich VI., 1. TL, 4 —
24) Heinrich VI., 2 TL, 3 — 25) Wie es euch gefällt, 2 —
26) Irrungen, 2 — 27) Sturm, 1.
Von den 37 BĂĽhnen gaben 24 den Kaufmann von Venedig,
19 Hamlet, 17 Viel Lärm, 16 Romeo und Julia, 16 Othello,
15 Sommernachtstraum, 14 Widerspenstige, 9 Wintermärchen,
8 Macbeth, 7 Julius Caesar, 7 Richard III., ^Heinrich IV., 1. TL,
6 Was ihr wollt, 5 König Lear, 5 Richard H., 5 Cymbelin u. s. w.
Der Zahl der gegebenen AuffĂĽhrungen nach stehen unter
den Bühnen voran: Berliner Königliche Schauspiele mit 33, Wiener
Hofburg- Theater 30, Berliner National -Theater 29, Dresden 28,
Berliner Reunion- Theater 21, Hannover 20, Frankfurt 19, Riga
(ohne Mi tau) 17.
An StĂĽcken gaben: Cassel 12, Wiener Hofburg- Theater 12,
Hannover 11, Dresden 10, Schwerin 10 — welche letztere Bühne
die meisten neuen oder neu einstudirten StĂĽcke brachte.
R. O.
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Literarische Uebersicht,
*
Die New ShaJcspcre Society — um unsere Umschau mit dieser
zu beginnen — hat ihre Arbeiten im verflossenen Jahre rüstig fort-
gesetzt. Ein dritter Band der Transactions ist ausgegeben worden,
der sieh vorzugsweise mit Richard III. beschäftigt (die Verhand-
lungen darüber knüpfen sich an zwei Aufsätze von James Spedding
und Edward H. Pkkersgill) und auch eine englische Uebertragung
der im Shakespeare-Jahrbuch Band X erschienenen Abhandlung von
Delhis Ueber den ursprünglichen Text des King Lear enthält.
Namentlich ist es aber die zweite ihrer acht Serien, die der Re-
prints Shakespeare'scher Dramen, welche die Gesellschaft mit be-
sonderem Eifer gefordert hat. Hier liegen AbdrĂĽcke von der ersten
Quarto (1600) und von der Folio von Henry V vor, welche Dr.
Brinsley Nicholson mit Sachkunde und Sorgfalt besorgt hat. Man
könnte freilich fragen, ob ein Reprint eines einzelnen Stückes aus
der Folio ein wirkliches BedĂĽrfniss sei, nachdem ja die Folio durch
das photo-lithographische Facsimile von Staunton und den Reprint
von Booth dem gesammten Kreise der Shakespeare-Gelehrten zu-
gänglich geworden ist; man könnte der Ansicht sein, dass es
wesentlichere LĂĽcken auszufĂĽllen und dringendere WĂĽnsche zu
befriedigen gäbe, allein wir sind auf diesem Gebiete immerhin
noch weit von Ueberfluss entfernt, und die vermehrten Reprints
der Folio haben wenigstens das Gute, dass sie sich gegenseitig
zur Controle dienen. Mutatis mutandis gelten diese Bemerkungen
auch von den Reprints von Romeo und Juliet, von denen nun-
mehr ein besonders reichhaltiger Apparat fertig gestellt ist. Wir
haben hier 1. einen Reprint der ersten Quarto (1597); 2. einen
dergleichen der zweiten Quarto (1599); 3. einen dergleichen von
der revidirten Ausgabe der zweiten Quarto; 4. eine Parallel- Aus-
gabe der beiden ersten Quartos auf gegenĂĽberstehenden Seiten,
20*
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— 308 —
ein Geschenk des Prinzen Leopold an die Mitglieder der Gesell-
schaft. Diese Parallel- Ausgabe ist gleich den drei vorhergenannten
Reprints von P. A. Daniel besorgt. Sollte die Reihe vollständig
abgeschlossen werden, so hätte nach Analogie von K. Henry V
auch ein Reprint des StĂĽckes aus VA geliefert werden mĂĽssen,
den wir jedoch keineswegs vermissen. Statt dessen haben wir
als No. 1 der dritten Serie eine gleichfalls von P. A. Daniel be-
sorgte Ausgabe von Arthur Brooke's Romcus and Juliet und William
Paintefs Rhomeo and Jidietta (in einem Bande) erhalten, und
diese Gabe dĂĽrfte den deutschen Shakespeare-Gelehrten noch will-
kommener sein, als beispielsweise die Parallel- Ausgabe, da wir,
wie schon im vorigen Jahrbuche p. 358 bemerkt worden ist, be-
reits eine Ausgabe dieses Doppeltextes von Tycho Mommsen be-
sitzen. Der Arbeit des Herausgebers soll damit nicht zu nahe
getreten werden, im Gegentheil verdient dieselbe sowohl hier wie
bei der Ausgabe von Brooke und Painter vollste Anerkennung.
In Einem Punkte hat sich die New Shakspere Society das
Praevenire spielen lassen. Auf der Registrande ihrer Reprints
oder Ausgaben steht nämlich auch The Two Nolüe Kimmen,
deren Bearbeitung Mr. IAttledale übernommen hat. Während aber
der Druck dieser Nummer kaum begonnen hat, ist bereits eine
andere Ausgabe des interessanten StĂĽckes von W. W. Skeat er-
schienen, welche einen Bestandteil der von der Universität Cam-
• bridge herausgegebenen sogenannten 'Pitt Press Series'' bildet. Bei
aller Anerkennung fĂĽr Mr. Skeat's Verdienste als Herausgeber
muss man nichtsdestoweniger sagen, dass seine Ausgabe die der
New Shakspere Society insofern nicht ĂĽberflĂĽssig macht, als diese
letztere hoffentlich das unverstĂĽmmelte StĂĽck enthalten wird. Bei
der Cambridger Pitt Press Series gilt nämlich wie bei der Ox-
forder Clarendon Press Series die Regel, dass alle anstössigen
Stellen gestrichen werden mĂĽssen. So weit die von beiden Uni-
versitäten veranstalteten Ausgaben für den Unterricht oder über-
haupt zum Gebrauch der Jugend bestimmt sind, lässt sich gegen
eine solche Anordnung nichts einwenden; ob in diese Kategorie
auch The Tivo Noble Kinsmen gehören, wollen wir nicht unter-
suchen, jedenfalls aber sollte ein Unterschied gemacht werden,
zwischen UnterrichtsbĂĽchern und zwischen den fĂĽr Gelehrte be-
stimmten kritischen Ausgaben. Es ist uns ein Fall bekannt, wo
eine Ausgabe der letztern Art in der Clarendon Press Series keine
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— 309 —
Aufrahme fand, lediglich weil in dem Stücke einige Anstössig-
keiten enthalten waren. Uebrigens werden The Tivo Noble Kins-
men auch in der von Brinsley Nicholson vorbereiteten Ausgabe der
'Doubtful Plays' enthalten sein. Wie diese sich so rasch folgenden
Ausgaben beweisen, besitzt dies StĂĽck augenblicklich eine ganz
besondere Anziehungskraft, indem es sich darum handelt, die An-
theile der beiden angeblichen Verfasser, Shakespeare und Fletcher,
von einander zu sondern, ein Problem, welches die New Shakspere
Society durch ihr kritisches Universalmittel, nämlich das der
Metrical Tests, aufs sicherste lösen zu können glaubt. Schon im
ersten Theile der Transactions befanden sich Arbeiten ĂĽber dieses
Thema von Sam. Hickson, Fleay und Furnivall,
Mr. W. W. Skeat hat die Shakespeare - Gelehrten noch mit
einer zweiten Publication bedacht, fĂĽr welche er allseitigen Dankes
gewiss sein kann, das ist: Shakespeares Plutarch; häng a Selection
from the Lives in North's 'Plutarch'', which illustrate Sliakespeare's
Plays. Edited, urith Introduktion, Notes, Index of Names, and
Glossarial Index by the Rev. W. W. SIceat, M. A. (London, Mac-
mĂślan, 1875. 6 s.). Man kann das vom Athenaenm 1876, I, 192
seq. ausgesprochene Lob nur unterschreiben und muss den ange-
legentlichen Wunsch hinzufĂĽgen, dass der verdienstvolle Heraus-
geber sein Werk durch einen 'Companion Volume' unter dem Titel
'Slidkespeare's Holinsheä" krönen möchte.
Gewissermassen als Annexa der New Shakspere Society mögen
zwei neue Erscheinungen betrachtet werden, nämlich die zweite Aus-
gabe von Miss Bunnetfs Uebersetzung des Gervinus'schen Werkes
ĂĽber Shakespeare (Shakspeare Commentarics), die durch eine Ein-
leitung von Mr. Furnivall eingefĂĽhrt worden ist, und die kleine
Schrift von A. H. Paget ( Shakespeare' 's Plays: a Chapter of Stage
History &c), welche Mr. Halliwell- Phillips den Mitgliedern der
Gesellschaft zum Geschenk gemacht hat. Es ist eine anspruchs-
lose Studie, die zwar keine tiefgehenden Untersuchungen anstellt
und keine neuen Ergebnisse zu Tage fördert, wol aber in gefälliger
Darstellung einen kurzen Ueberblick gewährt über den Gang, den
die AuffĂĽhrungen der Shakespeare'schen Dramen auf der englischen
BĂĽhne genommen haben. Das ist freilich ein Thema, welches sich
nicht durch einen Essay erledigen lässt, sondern wol verdiente zum
Gegenstande eines erschöpfenden Werkes gemacht zu werden.
Eine zweite Auflage ist ferner zu verzeichnen von William
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Watkiss Lloyd's Critical Essays on the Plays of Sliakespeare (Bell
& Sons, 2/6), sowie von Dr. Inglebifs unter dem etwas sonder-
baren Titel 'The Still Lion' bekannten Essay, der zuerst im Jalir-
buche der Deutschen Shakespeare - Gesellschaft Bd. II erschien,
später unter die Mitglieder der New Shakspere Society vertheilt
wurde und jetzt in Buchform herausgekommen ist unter dem Titel:
Shakespeare - Hermeneutks; or, The Still Lim: being an Essay to-
wards the Restoration of Shakespeare' 1 s Text. By C. M. Ingleby,
M. A. LL. D. (London, TrĂĽbner, 4/6.)
Dass der Hamlet nicht mit Stillschweigen ĂĽbergangen worden
ist, wird der Leser von vorn herein nicht anders annehmen. Die
beiden Beiträge zur Erklärung dieses ewigen Räthsels, die wir zu
verzeichnen haben, sind jedoch von keiner dem Gegenstande ent-
sprechenden Bedeutung. A Study of Hamlet by Frank A. Mar-
shall (Longmans, 7/6, pp. 205) ist aus einer oder zwei Vorlesungen
entstanden, welche der Verfasser vor der Catholk Young MerVs
Association gehalten hat. Dieser Vorlesungs-Stoff nimmt jedoch
nur die Hälfte des Buches ein (bis p. 113); die andere besteht
aus Anhängen und nachträglichen Anmerkungen, ein Beweis, dass
der Verfasser den Stoff nicht genĂĽgend beherrscht und nicht voll-
ständig zu verarbeiten verstanden hat. Mit Vorliebe behandelt
der Verfasser die neuesten Hamlet- Darsteller, Tommaso Salvini,
Emesto Rossi und Henry Irving, denen er daher ziemlich ein-
gehende Besprechungen gewidmet hat. Noch weniger als Mar-
shalFs Studie befriedigt: Hamlet; or, SJiakespeare's Philosophy of
History &c. By Mercade (Williams and Norgate). Shakespeare,
meint der Pseudonyme Verfasser, hat in diesem StĂĽck das grosse
dynamische Princip der modernen europäischen Geschichte er-
grĂĽndet. Die Zeit ist die BĂĽhne, auf der das StĂĽck aufgefĂĽhrt
wird, das Menschengeschlecht bildet das darstellende Personal,
Wahrheit und Irrthum sind die Handlung des StĂĽckes. Claudius
vertritt Irrthum, Ungerechtigkeit &c, Gertrud 'human belief and
custom\ und beider Heirath bedeutet die Verderbniss des Christen-
thums, während der alte Hamlet das unverfälschte Christenthum
(bis zum zweiten Jahrhundert), die ideale Wahrheit und Gerech-
tigkeit vertritt, Polonius repräsentirt Bigotterie, Unduldsamkeit
und Absolutismus; Ophelia die Kirche — der Verfasser scheint
nicht hinlänglich erwogen zu haben, dass Ophelia verrückt wird —
Hamlet den Fortschritt, Osric Gesellschaft und Kritik. Ohne uns
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auf eine weitere Erörterung dieser und anderer Repräsentationen
einzulassen wollen wir uns nur noch die Frage erlauben, was wol
der Herr Verfasser selbst repräsentirt?
Was die folgenden Publikationen angeht, so mĂĽssen wir uns
— aus verschiedenen Gründen — damit begnügen ihre Titel zu
verzeichnen. Es sind: The Mind of Slwkespeare. By the Rev.
A. A. Morgan, M. A. (Routledge). — TJie New Shaksperian Die-
tionary of Quotations. By G. Somers Bellamy (ungĂĽnstig recen-
sirt von R. Simpson in The Academy, Sept. 25, 1875 p. 322 seq.)
— A Lecture on Macbeth; being one of a Series on Dramatic Lite-
rature, delivered by the late James Sheridan Knowles. Never be-
fore published. (Francis Harvey, 2/6). — Shakespeare Library.
A New Edition by W. C. Hazlitt (wird von zwei Bänden auf sechs
ausgedehnt). ' — Shakesperian Calendar for 1876. A Changeable
Date Block for the Wall, in large Type, with a Pertinent Quo-
tation from Shakespeare for every Day in the Year. Printed in
Colours (Marcus Ward & Co. 1/6). — Endlich eine Schulausgabe:
Shakespeare' s K. Henry VIII. With Introduction and Notes by
William Lawson (Collins's School and College Classks).
Unter den in der periodischen Presse erschienenen Beiträgen
zur Shakespeare - Kunde verdienen einige namhaft gemacht zu
werden. Dr. Oiarles Mackay hat im Athenaeum (October 1875)
einige Artikel unter dem Titel 'Gaelic Words in Sliakespeare' ver-
öffentlicht, in denen er sich bemüht eine ganze Reihe schwieriger
Wörter und Redensarten in Shakespeare's Dramen aus dem Gaeli-
schen herzuleiten. Leider gebricht es diesen Versuchen jedoch
an grĂĽndlicher philologischer Kenntniss, und es hat daher nicht
an sachkundigem Stimmen gefehlt, die sich dagegen erklärt haben;
so namentlich W. W. Skeat im Athen. 1875, II, p. 542 seqq. —
Ein anderer interessanter Aufsatz (Othello and Sampiero) im .
Athen. 1875, II, 371 von C. Elliot Browne versucht eine neue
Quelle des Othello nachzuweisen; ein dritter ebenda 1875, II, p.
609 von Stanislaus Kozmian in Posen will in einer polnischen
Geschichte des 14. Jahrhunderts eine Quelle des Wintermärchens
entdeckt haben; ein vierter endlich in Tlie British Quarterly Re-
view No. CXXIII (July 1875) beschäftigt sich mit 'Shakespeare's
Character and Early Career*.
Alle diese Arbeiten werden weit ĂĽberragt von Adolphtis Wil-
liam Ward's History of English Dramatic Literature to the Death
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Queen Anne (Macmillan, 1875, 2 vols), einem Werke von weitem
Gesichtskreise, grossartiger Anlage und echt wissenschaftlicher
DurchfĂĽhrung. FĂĽr das Shakespeare - Jahrbuch kommen freilich
nur diejenigen Partien in Betracht, welche sich mit Shakespeare,
seinen Vorgängern, Zeitgenossen und Nachfolgern beschäftigen;
diese Partien bilden aber die Haupt-Substanz des Werkes, wie
folgende Kapitel -Ueberschriften und Seitenzahlen darthun: Sliak-
spere's Predecessors I, 151 — 270; Slidkspere I, 271 — 513; Ben Jonson
I, 514 — 604; Tlie Leiter Elisabetlians II, 1 — 154; Beaumont and
Fletcher II, 155—248; TJie End of tlie Old Drama II, 249—443.
Ein je reicherer Inhalt uns in diesen Kapiteln entgegen tritt, um
so mehr müssen wir die Unmöglichkeit bedauern, demselben von
dem Standpunkte des einfachen Berichterstatters aus Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen; wir sind nicht im Stande auf den wenigen
uns zu Gebote stehenden Seiten dem Verfasser bei dem Gange
seiner Darstellung zu folgen oder seine Auffassung kritisch zu
beleuchten. Ausser dem Mangel an Raum liegt noch ein anderer
Grund vor, der sich einer wirklichen Kritik hindernd in den Weg
stellt, der nämlich, dass die deutschen Shakespeare-Gelehrten hier-
bei Partei sind. Denn das, was uns bei Durchlesung des Buches,
soweit es das Shakespeare'sche Drama betrifft, zunächst ins Auge
springt, das ist die umfassende Kenntniss, die wohlwollende An-
erkennung und die einsichtsvolle Verwerthung der einschlagenden
deutschen Arbeiten, welche der Verfasser durchgängig an den Tag
legt. Bei seinen Landsleuten dient ihm das freilich nicht ĂĽberall
zur Empfehlung; hat doch das Athenaeum (1875, n, 681 seq.) in
seiner abfälligen Besprechung des Werkes die nicht misszuver-
stehenden Worte einfliessen lassen: 'With German criticism Mr.
Ward is conversant and this, indeed, seems to he his principal qua-
lification for (he taslc he has undertdken.' Wir Deutschen dagegen
können uns nur freuen, dass Ward (gleichwie wie Dowden und
Furness) das Studium Shakespeare's im Geiste wahrer BrĂĽder-
lichkeit als ein Bindeglied zwischen den Nationen der germani-
schen Völkerfamilie auffasst, und wollen im Bewusstsein dieser
erfreulichen Thatsache gern vereinzelte Ausschreitungen Anders-
denkender ĂĽbersehen, gleichviel auf welcher Seite sie Statt finden
mögen. 'No Englishman, sagt Ward I, 321 seq., will dispute the
right of German Sh-äkspere- scholars to take an honest pride in Üie
spirit as well as in the results of their single-minded labours, or
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— 313 —
deny tJiem the pleasure of calling Slmkspere their own. He cannot
be denationalised by their love for him; but he can be made more
and more what it is his destiny to become, the poet above all others
of the Oermanie race, and through it of civilisation at large. With
such an end in view, needless boasts mag be received with kindly
good'humour, and extravagant claims dismissed in silence. There
is no branch of the study of Shakspere in whicJi tlie labours of the
Germans will not be weleomed by ourselves, neither that of aestheticdl
critieism in whicli they have hitJierto more especially shone, nor that
of textual critieism in which tlie efforts of our own scholars are
being seconded by theirs. Of the rivalry between the German and
the English stage as artistic homes of Slialcspere it would be unliappily
a mockery to spedk at the present day. But it is to be hoped tliat
ihe literary world of either nation mag still find much to learn from
that of the other.' Das an derselben Stelle der Deutschen Shake-
speare-Gesellschaft und ihren einzelnen Mitgliedern gespendete Lob
kann die Gesellschaft unmöglich selbst registriren, wie wünsehens-
werth es auch sein möchte, dass diese Seite der Medaille einmal
unsern Herren Feuilletonisten zu Gesicht gebracht wĂĽrde. Die
Sache steht mit Einem Worte so, dass die Geschichte der dra-
matischen Poesie in England, deren Mittelpunkt Shakespeare bildet,
nicht mehr ohne BerĂĽcksichtigung der deutschen Arbeiten ge-
schrieben werden kann. In der That beruht Mr. Ward's Werk,
theilweise selbst ĂĽber die Darstellung Shakespeare's hinaus, zur
Hälfte auf deutscher Forschung, was um so erklärlicher ist, als
sich bei einem so umfänglich angelegten Werke der Verfasser
selbst . nicht auf Detailforschung einlassen kann. Ihm kommt es
vielmehr darauf an, die Ergebnisse der letztern zusammenzufassen
und auf dieser Grundlage den Entwicklungsgang der dramatischen
Poesie zur Anschauung zu bringen. Es versteht sich, dass dabei
die Arbeiten der englischen Shakespeare-Gesellschaft nicht minder
gewissenhaft benutzt worden sind, und wenn sie fĂĽr die Zwecke
des Verfassers etwa geringere Ausbeute geliefert haben sollten, so
liegt das nicht an ihm, sondern an der englischen Gesellschaft,
welche bezĂĽglich ihrer kritischen Richtung unleugbar in eine ge-
wisse Einseitigkeit verfallen ist und sich nicht vor der Klippe
gehĂĽtet hat, den an sich sehr beachtenswerthen metrischen Kriterien
auf Kosten aller andern eine ausschliessliche Geltung zuzugestehn
und dadurch zu Resultaten zu kommen, die trotz der Sicherheit,
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— 314 —
mit welcher sie verkĂĽndet werden, bei unparteiischer und allseitiger
Erwägung unmöglich als feststehend angesehen werden können.
Der Verfasser spricht sich I, 358 seqq. eben so freimĂĽthig als be-
sonnen ĂĽber die External und Internal Tests aus, und man wird nicht
umhin können, ihm im Allgemeinen beizustimmen. Alles in Allem
verdient sein Werk um so mehr eine sympathische Aufnahme, als
wir keine andere zusammenfassende Geschichte des englischen
Drama' s besitzen, welche dem gegenwärtigen Stande der Forschung
entspräche. Hoffen und wünschen wir also, dass das Buch recht
bald eine zweite Auflage erleben und so dem Verfasser Gelegen-
heit gewähren möge, einzelne stylistische und andere Mängel zu
beseitigen und dem Ganzen nochmals eine nachbessernde Hand zu
widmen. —
Wir wenden uns zu America. Die erfreulichste Nachricht,
die uns von dorther kommt, ist die, dass Band 3 der Netv Variorum
Editim von H. H. Furness, der den Hamlet enthält, im Manuscript
vollendet ist. Leider wird aber der Druck anderer Umstände
halber schwerlich vor Winter beginnen können, und wir müssen
uns über diese Verzögerung mit der Hoffnung trösten, dass der
unermĂĽdliche Herausgeber die Zwischenzeit nicht ungenutzt ver-
streichen lassen wird, so dass der vierte Band dem dritten in
nicht langer Frist wird folgen können.
Ein zweiter schätzbarer Beitrag, den America zur Shake-
speare-Literatur beisteuert, sind die bibliographischen Studien von
Justin Winsor ĂĽber die ursprĂĽnglichen Quartos und Folios. Diese
Studien sind seit längerer Zeit in den Monatsberichten der unter
Mr. Winsor's Leitung stehenden Bostoner Bibliothek veröffentlicht
und in dankenswerth freigebiger Weise auch deutschen Shakespeare-
Gelehrten mitgetheilt worden. Mr. Winsor wird das Ganze dem-
nächst in Buchform herausgeben unter dem Titel: A Bibliograpliy
of the Original Quartos and Folios of SJiakespeare with Particular
Reference to Copies in America. By Justin Winsor, Superintendent
of the Boston Public Library. With Sixty Two Heliotype Facsimiles.
(Boston, Osgood & Co.; London, TrĂĽbner & Co.) Leider wird
das Werk seines hohen Preises wegen (5 Guineen) nur der Minder-
zahl der Shakespeare-Gelehrten zugänglich sein; desto mehr sollten
es die Bibliotheken fĂĽr ihre Aufgabe halten, sich desselben zu
versichern.
Einige Aufsätze und Skizzen, welche in verschiedenen Amerika-
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— 315 —
nischen Zeitschriften erschienen sind, besitzen insofern Interesse,
als sie Documente fĂĽr die geographische Verbreitung Shakespeare's
sind, wenn man nämlich von einer solchen wie etwa von einer
geographischen Verbreitung der Thiere und Pflanzen sprechen
kann. In Lippincoifs Magazine Dec. 1875 p. 685 — 689 hat die
in der Nähe von Philadelphia lebende Frances Anne Kemble 'Notes
on tlie Characters of Queen Katharine and Cardinal Wolsey in
Sliakespcarc's Play of Henry VHP veröffentlicht. Mit feinem,
ästhetisch gebildetem Sinne stellt die Verfasserin diese beiden
Gestalten einander gegenĂĽber, von denen die eine den Geburts-
stolz, die andere den Stolz des Emporkömmlings und Machthabers
vertritt ; sie bleibt aber nicht blos bei diesen Charakteren stehen,
sondern spricht sich ĂĽberhaupt ĂĽber das jetzt so vielfach be-
handelte StĂĽck aus. Ein Backwoodsmann , D. J. Snider, hat eine
Reihe von Kritiken ĂĽber Romeo and Julie, Lear, Timm, Othello
und Macbeth geliefert, die von einem gesunden, poetisch empfäng-
lichen Sinne Zeugniss ablegen und ihm zur Ehre gereichen (siehe
The Academy Oct. 30, 1875 p. 452). Damit noch nicht genug ist
das Shakespeare-Studium bereits bis in den fernsten Westen vor-
gedrungen: das in S. Francisco erscheinende Overland Monthly hat
in seiner Juni-Nummer 1875 Seite 506—514 einen beachtenswerthen
Artikel ' Shakespeare 's Prose 1 von Edward E. Sill gebracht. Also schon
in Californien, im Lande Bret Harte's, entwickeln sich die An-
fänge der Shakespeareomanie! Wenn die californischen Feuille-
tonisten ihren deutschen Collegen gleichen, so werden sie sich
kreuzigen und segnen; auf alle Fälle sollten sie als literarische
Zionswächter zusehen 'ne quid detrimenti respublka capiat' —
Die bedeutendste Erscheinung auf dem Felde der deutschen
Shakespeare-Literatur ist die Vollendung des Shakespeare-Lexicons
von AI. Schmidt (Berlin, G. Reimer, 2 Bde). Wir begrĂĽssen in
diesem Werke ein Denkmal unermĂĽdlichen Fleisses, das auf lange
Jahre hinaus ein schätzenswertlies und fruchtbares Hülfsmittel
beim Studium Shakespeare's zu bleiben verspricht. Wie der Ver-
fasser in der Vorrede aus einander gesetzt hat, unterscheidet sich
sein Werk einerseits von den Glossaren (Nares, Dyee u. a.) wie
andererseits von den Concordanzen (Mrs. Cowden Clarke, Mrs. H.
H. Fnrness u. a,). Während nämlich die Glossare nur das obsolet
und unverständlich Gewordene zusammenstellen, hat das Lexicon
den gesammten Sprach- und Wortschatz Shakespeare's in sich auf-
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— 316 —
genommen. Von den Concordanzen unterscheidet es sich dadurch,
dass es systematisch die verschiedenen Bedeutungen vorfĂĽhrt, in
denen ein Wort vom Dichter gebraucht wird und so ein Bild von
der begrifflichen Entwicklung der Wörter gewährt, soweit sie
bei Shakespeare vorkommen. In letzterer Hinsicht hat sich der
Verfasser streng an die echten Werke des Dichters, einschliess-
lich des Pericles, gehalten. Eine Ausdehnung etwa auf die dra-
matische Poesie der Elisabethanischen Periode ĂĽberhaupt wĂĽrde
dem Werke ohne Frage manche befruchtende Elemente zugefĂĽhrt
haben, sie hätte aber an die Stelle der festen Grenze eine völlig
unsichere gesetzt und obendrein die Arbeit zu einer fĂĽr den
Einzelnen fast unbezwinglichen gemacht. So wie es ist bildet
das Werk ein in sich geschlossenes Ganzes, und auch die Aus-
schliessung der zweifelhaften StĂĽcke kann vom Standpunkte des
Verfassers aus nur gebilligt werden. Eine andere Frage wäre
die, ob nicht eine eingehendere Aufmerksamkeit auf Etymologie
und Orthographie erwünscht gewesen sein möchte; aber die Ety-
mologie ist nicht sowohl Sache eines Special-, als eines allgemeinen
Lexicons, das den gesammten Umfang der Sprache behandelt;
und die Orthographie war zu Shakespeare's Zeit weit entfernt
von systematischer Regelung, so dass der Verfasser offenbar den
sachgemässesten Weg eingeschlagen hat, wenn er sich bei dem
ohnehin gewaltigen Umfange des Stoffes hierin auf das knappste
Maass beschränkt hat. Was endlich den in Aussicht genommenen
Nutzen des Buches betrifft, so lässt sich dieser unmöglich mit
treffendem Worten charakterisiren als mit denen des Verfassers
selbst; er ist nach ihm 'sichreres und gründlicheres Verständniss
des Dichters; methodischere kritische Behandlung seines Textes,
Beschaffung möglichst zuverlässigen Materials für die seit Samuel
Johnson zwar äusserlich sehr angewachsene, aber innerlich mehr
und mehr verfallene englische Lexicographie; Richtigstellung zwar
nur eines einzelnen, aber des hervorragendsten und wichtigsten
Merksteins in der Geschichte der englischen Sprach-Entwickelung.'
Indem wir keinen Zweifel hegen, dass sich dieser angestrebte
Nutzen mehr und mehr verwirklichen wird, wĂĽnschen wir dem
trefflichen Buche diesseits wie jenseits des Kanals die Verbreitung
und Anerkennung, die es so reichlich verdient.
Den Dimensionen des Schmidt'schen Lexicons gegenĂĽber
schrumpfen die übrigen letztjährigen Beiträge zur deutschen Shake-
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- 317 -
speare-Literatur zur Unbedeutendheit zusammen, und zwar nicht
blos äusserlich. Wir hoffen nichts übersehen zu haben, wenn wir
die folgenden aufzählen. 1. William Shakespeare. Eine neue Studie
ĂĽber sein Leben und sein Dichten, besonders ĂĽber seinen Einfluss
auf alle späteren dramatischen und darstellenden Künstler von Karl
Fxilda, Kreisgerichtsrath in Marburg (Marburg). Es ist ein BĂĽch-
lein von und für Dilettanten, bei dem von selbständiger Forschung
und Kritik keine Rede sein kann. Der Herr Verfasser weiss u. a.
nicht allein, dass die Frauen nur 'verlarvt' ins Theater gehen
konnten, sondern auch, dass sie es nur in 'männlicher Kleidung' thun
durften (S. 39). 2. Die BlĂĽthezeit des englischen Drama* 8. Von
O. H. Haring. (Hamburg, Meissner.) Drei populär- wissenschaft-
liche Vorträge, als deren Quellen der Verfasser Chambers* Cyclopaedia;
JDrake, Shakespeare and his Times; Rye, England as seen by Foreigners
und Taine, History of English Literature translated by van Latin
angiebt. 3. Shakespeare 1 s Macbeth ĂĽbersetzt und kritisch beleuchtet
von Georg Messmer (MĂĽnchen, Literarisch -artistische Anstalt). Die
Uebersetzung des Macbeth ist bekanntlich eine so ausserordentlich
schwierige Aufgabe, dass trotz mannigfacher Versuche das Unter-
nehmen noch nicht in endgĂĽltiger Weise gelungen ist und zu seinem
Gelingen eine Uebersetzungs- Kraft ersten Ranges erfordert. Die
kritische Beleuchtung des Verfassers besteht in einer Anzahl von
Anmerkungen, zu denen die Ausgaben von Delhis und Furness den
Stoff geliefert haben. 4. Studie ĂĽber William Shakespeare' 's Trauer-
spiel: Hamlet, Prinz von Dänemark. Von Gustav Liebau, Ein
Beitrag aus des Verfassers demnächst erscheinender Schrift: 'William
Sliakespeare's dramatischer Nachlass 1 (Bleicherode). Es möchte zweck-
mässig sein, das Erscheinen dieser Schrift abzuwarten, ehe über
den gegenwärtigen, 16 Seiten umfassenden 'Beitrag' etwas gesagt
wird. 5. König Eduard der Dritte. Geschichtliches Schausjnel von
William Sliakspere. Uebersetzt und mit einem Nachwort begleitet
von Max Moltke (Leipzig, Reclam jun.). Obwohl dies Drama bereits
von Tieck in seinen 'Vier Schauspielen von William Shakespeare'
(1836) und von Ortlepp ĂĽbersetzt worden ist, so heissen wir nichts-
desto weniger die neue verbesserte Uebersetzung willkommen und
sind ganz damit einverstanden, dass sie in einer so wohlfeilen Aus-
gabe auch den weitesten Kreisen zugänglich gemacht worden ist;
sowohl das StĂĽck wie die Uebersetzung verdienen Verbreitung.
Womit wir uns aber nicht einverstanden zu erklären vermögen,
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das ist die bedingungslose Bezeichnung des Drama's als eines
Shakespeare'schen, die selbst durch Tieck's Vorgang nicht gerecht-
fertigt werden kann. Wie viel auch fĂĽr Shakespeare's Urheber-
schaft gesagt werden mag — und auch Collier hat neuerdings in
seiner privatim gedruckten Ausgabe des StĂĽckes dieselbe als fest-
stehend angenommen — so ist es doch in keinem Falle angemessen,
selbst ein noch so ĂĽberzeugendes Ergebniss kritischer Unter-
suchung als eine geschichtliche Thatsache zu behandeln und da-
durch das grosse Publikum, das von den innern Vorgängen in
der Shakespeare-Forschung selbstverständlich keine Kenntniss be-
sitzt, irre zu fĂĽhren. Der Uebersetzer verweist allerdings auf
die in seinem Shakespeare-Museum erschienene BeweisfĂĽhrung; er
wird aber gewiss selbst zugestehen, dass sich diese nicht an das-
selbe grosse Publikum wendet wie seine Uebersetzung. Uebrigens
können wir diese Gelegenheit nicht vorüberlassen ohne einen
Wunsch gegen den Uebersetzer auszusprechen, der allerdings nichts
mit Edward III. zu thun hat, den nämlich, dass er sobald als
möglich seine bereits seit Jahren begonnene Hamlet -Ausgabe
vollenden möchte. Als Torso kann sie unmöglich weder ihrem
Zwecke entsprechen, noch Erfolg erzielen.
Zum Schluss haben wir nur noch ein paar vereinzelte Notizen
hinzuzufĂĽgen ĂĽber neue Shakespeare -Erscheinungen in andern
Ländern ausser England, America und Deutschland. In Italien ist
eine neue Uebersetzung von G. Carca.no (Ojpere di Shakspeare, Milano,
Hoepli, 1875) im Erscheinen begriffen; in Portugal hat Vizconde
Castilho den Sommernachtstraum unter dem Titel: 0 Sonlio d'una
.Noite de 8. Joäo übersetzt (nach Athen. 1875, II, 611), und in Ost-
indien (Madras?) ist eine tamulische Uebersetzung des Kaufmanns
von Venedig von V. Vanoogapola Charyar, Kaufmann in Madras und
B. A. der dortigen Universität, herausgekommen. Der nämliche
Uebersetzer kĂĽndigt auch eine Sanskrit-Uebersetzung dieses StĂĽckes
an. Das sind Thatsachen, die keines Commentars bedĂĽrfen.
Miscellen.
L Seneca und Shakespeare.
Stellen aus dem Tragiker Seneca sind schon frĂĽher gelegent-
lich von den Commentatoren Shakespeare's zum Vergleich heran-
gezogen worden; doch ist bisher noch nicht eine Reihe solcher
Parallelstellen aus den beiden Dichtern in der Absicht zusammen-
gebracht worden, um aus ihnen den Schluss zu begrĂĽnden, dass
Shakespeare ein Leser Seneca's war, und dass solche Anklänge,
weil nicht vereinzelt, auch nicht rein zufällig sind. Neuerdings
hat H. A. J. Munro, der auch bei uns in Deutschland wohlbekannte
Herausgeber des Lucrez, in dem englischen Journal of Philology
Bd. 6 Seite 70 ff. Einiges dieser Art zusammen gestellt, und da
wenig Wahrscheinlichkeit dafĂĽr ist, dass den meisten Lesern des
Shakespeare-Jahrbuchs die englische Zeitschrift, welche sich ĂĽber-
haupt keiner grossen Verbreitung in Deutschland zu erfreuen
scheint, zu Gesicht kommen wird, erlauben wir uns hier, das von
Munro Gegebene auszugsweise mitzutheilen.
Macbeth V, 3,40: Canst thoii not minister to a mind disrased
wird verglichen mit Herc. FĂĽr. 1261 (1628) nemo polluto queat
Animo mederi. Dabei stellt sich, zwischen den bei Seneca vor-
hergehenden Versen und der Stelle im Macbeth L c. V. 22 ff. eine
auffallende Aehnlichkeit heraus. Bei Seneca heisst es 1265 ff.:
cur animam in wta luce detineam amplhis
moresque, nihil est. Clinda Um amisi bona:
mentem, arma, famam, coniugetn, gnatos, manns,
etiam fnrorem.
Bei Shakespeare:
I have lived long enough —
And that which should aecompany old age,
„ As honour, love, obedience, troops of friends,
I must not look to have.
— 320 —
In Hamlet's berühmtem Monolog HI, 1 lässt sich die Stelle
V. 78 ff. mit verschiedenen Stellen aus Seneca vergleichen; Herc.
FĂĽr. 858 (862):
qualis est nobis animus, remota
luce, cum macstus sibi quisque sentit
obrutum tota caput esse terra ...
(864) sera nos illo referat senectus.
nemo ad id sero venit, unde numquam,
cum semel venit, potuit reverti.
quid iuvat dirum properare fatum?
Herc. Oet. 48:
inde ad hunc orbem redi,
nemo unde retro.
Ibid. 1525 (1529):
die ad aetemos properare Manes
Herculem et regnum canis inquieti,
unde non umquam remeavit ullus.
Der Gedanke, dass von der Unterwelt Niemand zurĂĽckkehre,
ist natürlich den Alten geläufig genug — man vergleiche vor
Allem Catull's bekannten Ausspruch in dem reizenden Klagelied
über den Tod von Lesbia's Sperling, — aber darauf wird es jetzt
nicht ankommen, sondern darauf, dass sich dieser Gedanke auch
bei Seneca findet, und zwar ähnlich ausgedrückt, wie bei Shake-
speare.
Cassius' Worte im Julius Caesar m, 1, 111 ff.:
How many ages hence
Shall this our lofty scene be acted wer
In states unborn and t accents yet unlmotvn
erinnern in ihrer ganzen Haltung an die Verse 292 — 294 in den
Troades, wo Pyrrhus fragt:
nullumne AchĂĽlis praemium Manes ferent?
und Agamemnon antwortet:
ferent, et illum laudibus cuneti canent,
magnumque terrae nomen ignotum andient.
Etwas weiter ab liegt der Vergleich der Worte Hotspur's:
Methinks, it were an easy leap
To pluck bright honour from the pale-faced moon,
Or dive into the bosom of the deep &c.
mit den Worten des Atreus in dem Thyestes 289:
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321
regna nunc sperat mea.
hac spe minanti fidmcn occurret Jovi,
hac $})e subibit gurgitis tumidi minas
dubitunque Libyern Syrtis intrabit fretum.
Zu diesen von Alunco angefĂĽhrten Stellen Hesse sieh noch
manche hinzufĂĽgen, doch sind ja auch schon die hier gegebenen
Stellen von ganz besonderer Bedeutung und andere sind, wie gesagt,
schon gelegentlich von den englischen Herausgebern angezogen
worden. Im Allgemeinen lässt sich hinzusetzen, dass der Einfluss
der Tragödien Seneca's auch bei den englischen Dramatikern kein
geringer gewesen ist, wenn gleich in England Seneca nicht von
der Bedeutung war wie in Frankreich und Italien. Munco redet
von diesen Dingen nur ganz beiläufig — Seneca wurde einst viel
gelesen, heut zu Tage wenig. Er gehört indessen mit zu den
Schriftstellern, die am frĂĽhesten in's Englische ĂĽbersetzt wurden.
Jasper Heywood ĂĽbersetzte die Troades schon 1559, den Thyestes
1560, Herculus Furens 1561; Alexander Neoyle ĂĽbersetzte den
Oedipus 1563; John Studley Medea und Agamemnon 1566. Diese
Uebersetzungen erschienen dann auch gesammelt; man vergleiche
Collier's History of Dramatic Poetry IH, 13 — 22. Aus diesen
Uebersetzungen, wenn nicht aus dem Original, konnte Shakespeare
die bombastischen Tragödien des Börners leicht kennen lernen,
und es scheint nicht zweifelhaft zu sein, dass er sie gekannt hat.
Der Gegenstand wĂĽrde eine weitere AusfĂĽhrung lohnen, doch
mĂĽssten bei einer solchen die alten englischen Uebersetzungen
mit zum Vergleich herbeigezogen werden : so Hesse sich auch viel-
leicht entscheiden, ob Shakespeare Original oder Uebersetzung,
oder vielleicht beides zugleich benutzt hat.
W. Wagner.
H. Zu Jahrbuch X 157 und 175.
Der GĂĽte des scharfsinnigen Forschers Michael Bernays ver-
danke ich die folgende Aufklärung, welche den Lesern des Jahr-
buchs, namentlich wenn sich dieselben fĂĽr die voriges Jahr von
mir hervorgezogene Alcilia interessirt haben sollten, nicht vor-
enthalten werden darf. Dieselben werden gewiss mit mir Herrn
Jahrbuch XL 21
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Bernays danken für seine schöne Entdeckung, welche zugleich
auf den Charakter der Gelehrsamkeit, sowie auf die ganze Richtung
des Dichters der Alcilia ein Streiflicht wirft.
Bernays schreibt mir, wie folgt:
„Uncouth unkist habe auch ich bisher in Chaucer nicht ent-
decken können; die Stelle aber, auf die der Poet der Alcilia an-
spielt, glaube ich nachweisen zu können. Sie findet sich in der
Rede, durch welche Pandarus (im ersten Buche von Troylus and
Cryseyde) den Liebenden bestimmen will, die heimlich und schmerz-
lich Geliebte zu nennen:
806. Thou mayst allone here wepe, and crye, and knele;
But love a wornan that she wote it nougt,
And she wol qivyte (hat thow shalt not feele:
UnJcnowe unkyst, and lost that is unsought.
Der Poet hat sein Citat gar nicht unmittelbar aus Chaucer
entnommen. Uncouthe, unkiste, sayde the old famous Poete Chaucer
— so beginnt der Brief an Gabriel Hawey, den E. K. dem
Shepheades Calender (1579) vorsetzte. Wie vertraut der Dichter
mit Spenser's Werken war, haben Sie selbst nachgewiesen."
Die Richtigkeit des von Bernay's gegebenen Nachweises springt
in die Augen; es ist eine Sache, die man sich ärgert, nicht selbst
gefunden zu haben, während man doch dem Finder entschieden
sehr dankbar sein muss.
W. Wagner.
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Katalog
der
Bibliothek der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.
I. Ausgaben sämmtlicher und einzelner Werke
Shakespeare's.
Shakespeare. The First Folio Edition of 1623. Repro-
duced under the immediate Supervision of H. Staunton by Photo-
lithography. London 1864. (Geschenk L K. H. der Frau Gross-
herzogin von Sachsen.)
The Works of Mr. W. SJiakespear. By N. Rowe. Vol.
I— VII. London 1709—10.
Twenty of the Plays of Shakespeare, being the whole
Number printed in Quarto . . . publish'd from the Originals by G.
Steevens. Vol. I — IV. London 1766.
Mr. W. Shakespeare, his Comedies, Histories, and Tra-
gedies. [Ed. by E. Capell.] Vol. I— X. London 1767—68.
The Works of Shakespear. [Ed. by Th. Hanmer.] The
second Edition. Vol. I— VI. Oxford 1770—71.
The Works of Shakespeare. By Mr. Theobald. Vol. I— XII.
London 1772.
The Dramatic Works of Shakespeare; with Notes by J.
Rann. Vol. I— VI. Oxford 1786.
The Plays and Poems of W. Shakspeare, with the Cor-
rections and Hlustrations of various Commentators [by J. Boswell],
Vol. I— XXI. London 1851.
The Plays of W. Shakspeare. Vol. I— XX. London, Jones
1826. (Geschenk des Herrn Dr. C. van Dalen in Berlin.)
21 *
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324 —
The Complete Works of W. SJiakspeare. Leipzig 1837.
(Geschenk des Herrn C. van Dalen in Berlin.)
The Pictorial Edition ofthe Works of SJiaJcspere. Edited
by Ch. Knight. Vol. I— VITI. London o. J.
The Works of W. Shakespeare. By J. P. Collier. Vol.
I— Vm. London 1842—44.
The Dramatic Works of W. SJiakespeare. By S. W. Singer.
Vol. I— X. London 1856.
The Works of W. Shakespeare. By A. Dyce. Vol. I— VI.
London 1857.
The Works of W. Shakespeare. By A. Dyce. Second Edition,
Vol. I— IX. London 1864—67.
SJiakspere's Werke. Herausgegeben und erklärt von N. D e 1 i u s.
Neue Ausgabe. Bd. 1—7. Elberfeld 1864. (Geschenk des Herrn
Herausgebers.)
The Works of Siiakespeare. Edited by H. Staun ton. Vol.
I— III. London 1864.
The Works of W. Shakespeare. By R. Gr. White. Vol.
I— XII. Boston 1865.
The Dramatic Works of W. SJiakspeare. By W. Hazlitt.
Vol. I— IV. London 1865.
The Supplemehtary Works of W. Shakspeare, comprising
bis Poems and Doubtful Plays. By W. Hazlitt. London 1865.
* The W orks of W. SJiakespeare. From the Text of A. Dyce's
second Edition. Vol. I — VII. Leipzig, Tauchnitz 1868. (Geschenk
des Herrn Verlegers.)
Doubtful Plays of W. Shakespeare. Leipzig, Tauchnitz
1869. (Geschenk des Herrn Herausgebers M. Moltke in Leipzig.)
Cassell's Illustrated Shakesptcare. The Plays of
SJiakespeare. Edited by Ch. and M. C. Clarke. Vol. I — HI.
London o. J.
SJiaJispere's s ä m m 1 1 i c h e W e r k e. Englischer Text, berichtigt
und erklärt von B. T schischwitz. Bd. 1. (Hamlet.) Halle 1869.
(Geschenk des Herrn Herausgebers.)
ANewVarior um Edition of SJiakespeare. Edited by H. H.
Furness. Vol. I. Romeo and Juliet. Philadelphia 1871.
Vol. II. Macbeth. Philadelphia 1873.
The Dramatic Works of SJiakespeare: adapted for Family
Reading. By Th. Bowdler. New Edition. London o. J.
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— 325 —
Shakespeare' s S e 1 e c t P 1 a y s. Ed. by J. Hunter. (Richard TL
Richard III. Henry VIII. Julius Caesar. Coriolanus. As You
Likelt. The Merchant of Venice. The Tempest. Hamlet. Twelfth
Night. King Lear. Macbeth. Othello. Antony and Cleopatra. Mid-
summer Night' s Dream. King Henry IV, P. I. IL King John.
Cymbeline. The Merry Wives of Windsor. Troilus and Cressida.
AU's Well that Ends Well.) London 1869—73.
Shakespeares Select Plays. Ed. by W. G. Clark and
W. A. Wright. (The Merchant of Venice. Richard H. Macbeth.
Hamlet. The Tempest.) Oxford 1869—72.
SelectPlaysof Slialcspere. Rugby Edition. AsyouLikeit.
Ed. by Ch. E. Moberly. — Coriolanus. Ed. by R. Whitelaw.
— Macbeth. Ed. by Ch. E. Moberly. — Hamlet. Ed. by
Ch. E. Moberly. London, Oxford, and Cambridge 1872—73.
All's well, that Ends well. London 1756.
Coriolanus. Edited by F. A. Leo. London and Berlin 1864.
(Geschenk des Herrn Herausgebers.)
Cymbeline. London 1734.
Cymbeline. [Lacy's Acting Edition.] London 1864. (Ge-
schenk des Herrn Karl Eitner in Weimar.)
Hamlet. London 1758.
Hamlet, and As You Like It. A Specimen of a new
Edition of Shakespeare. London 1819.
Hamlet. Met ophelderingen voorzien door S. Susan.
Deventer 1849.
Hamlet. Herausgegeben von K. Elze. Leipzig 1857.
Hamlet, 1603; Hamlet, 1604; being exact Reprints of the
First and Second Editions . . . by S. Timmin s. London 1859.
Hamlet. Uitgegeven en verklaard door A. C. Löffelt,
Utrecht 1867.
Hamlet. Englisch und deutsch. Neu übersetzt und erläutert
von M. Moltke. Seite IX— LXXXVIII und 1 — 64. Leipzig
1869 — 71. (Geschenk des Herrn Herausgebers.)
Hamlet. Ed. by F. H. S t r a t m an n. London and Krefeld 1869.
King Henry V. London 1759.
King Henry VHT, arranged by Ch. Kean. 6. Ed. London 1855.
King John. London 1754.
Julius Caesar. London 1751.
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— 326 —
Julius Caesar. Für den Schulgebrauch erklärt von L. Rie-
chelmann. Leipzig 1867. (Geschenk des Herrn Herausgebers.)
King Lear. Revived, with Alterations, by N. Täte. Lon-
don 1759.
Macbeth. London 1755.
Macbeth. With explanatory Notes selected from Dr. John-
son's and Mr. Steevens's Commentaries. Göttingen 1778. (Geschenk
des Herrn Grafen Yorck von Wartenburg in Weimar.)
Macbeth, [edited by] M. P. Lindo. Arabern 1853.
Measure for Measure. London 1734.
The Merchant of Venice. London 1755.
The Merchant of Venice. Edited, with Notes, by W. J.
Rolfe. New-York 1872.
The Merchant of Venice. FĂĽr den Schulgebrauch crelairt
von L. Riechelm ann. Leipzig 1876. (Geschenk des Herrn
Herausgebers.)
Much Ado ab out Nothing. Photo - lithographed from the
matchless Original of 1600 in the Library of the Earl of Ellesmere.
London 1864.
Othello. London 1756.
Richard IL By H. G. Robinson. Edinburgh 1867.
Richard HI. Alter'd from Shakespear by C. Cibber. Lon-
don 1757.
Richard JE Revised by J. P. Kemble. London 1818.
Romeo andJulietta. With Alter ations, and an additional
Scene; by D. Garrick.' London 1768.
The Tempest. Edited, with Notes, by W. J. Rolfe. New-
York 1871.
The Winter's Tale; with Alterations by J. P. Kemble.
Now first published, as it is acted by Their Majesties Servants of
the Theatre Royal, Drury Lane. London 1802.
The Poems of SJiakspeare. Edited byR. Bell. London o. J.
Venus and Adonis, from the hitherto unknown Edition of
1599; The Passionate Pilgrime, from the first Edition of
1599; Epigrammes, written by Sir J. Davies, and certaine of Ovid's
Elegies, translated by Chr. Marlowe. Edited by Ch. Edmonds.
London 1&70.
Digitized by Google
— 327 —
Shakespeares Sonnets, and a Lover's Complaint. Re-
printed in the Orthography, and Punctuation of the original edition
of 1609. London 1870.
Shakespeare 1 s Sonnets; reproduced in Facsimile. From the
Original in the Library of Bridgewater House. London 1862.
The Sonnets oiW. Sliahspere, rearranged and divided into
four Parts. With an Introduction etc. London 1859.
II. A. Uebersetzungen und BĂĽhnenbearbeitungen der Dramen
Shakespeare's.
1) In deutscher Sprache.
SJiakespear. Theatralische Werke. Aus dem Englischen
übersezt von Herrn Wieland. Bd. 1—8. Zürich 1762—66.
Shakspeare's Schauspiele von J. H. Voss und dessen Söhnen
H. Voss und A. Voss. Bd. 1—3. Leipzig 1818—19. 4—9.
Stuttgart 1822—29. (Geschenk der Buchhandlung F. A. Brockhaus
in Leipzig.)
Shakspeare's dramatischeWerke, ĂĽbersetzt von Ph. Kauf-
mann. Th. 1—4. Berlin und Stettin 1830—36.
Shakespeare in deutscher Uebersetzung. Bd. 1 — 9. Hildburg-
hausen 1867. (Geschenk des Herrn Dr. Panse in Weimar.)
Slwkespeare's dramatische Werke. Deutsche Volksausgabe.
Herausgegeben von M. Mol tke. Bd. 1—12. Leipzig (1868). (Ge-
schenk des Herrn Uebersetzers.)
SJiakespeare's dramatische Werke nach der Uebersetzung
von A. W. Schlegel und L. Tieck sorgfältig revidirt und
theilweise neu bearbeitet etc., unter Eedaction von H. Ulrici
herausgegeben durch die Deutsche Shakespeare - Gesell-
schaft. Bd. 1 — 12. Berlin 1867 — 71. (Geschenk des Herrn
Verlegers.)
Shakespeare' s dramatischeWerke. FĂĽr die deutsche BĂĽhne
bearbeitet von W. Oechelhäuser. Bd. 1—16. Berlin 1870—75.
(Geschenk des Herrn Bearbeiters.)
Familien-Shakspeare. Eine zusammenhängende Auswahl
aus Shakspeare's Werken in deutscher metrischer Uebertragung.
Mit Einleitungen, etc. von 0. L. B. Wolff. Leipzig 1849.
Digitized by Google
SJiakespeare's Historien. Deutsche BĂĽlmenausgabe von F.
Dingelstedt. Bd. 1—3. Berlin 1867.
Shakespeare 1 's Antonius undCleopatra. Auf Grundlage der
Tieck'schenUebersetzung neu bearbeitet und fĂĽr die BĂĽhne eingerich-
tet von F. A. Leo. Halle 1870. (Geschenk des Herrn Bearbeiters.)
Cymbeline. Schauspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen von Shakspere.
Nach Delhis' Ausgabe fĂĽr die BĂĽhne ĂĽbersetzt und bearbeitet von
G. Frhr. Vincke. Freiburg i. Br. 1873. (Geschenk des Herrn
Bearbeiters.)
Shdksperefs König Eduard der Dritte. Uebersetzt und
mit einem Nachwort begleitet von M. Moltke. Leipzig o. J.
(Geschenk des Herrn Uebersetzers.)
Ende gut, Alles gut. Schauspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen nach
Shakspere. Nach Delhis' Ausgabe fĂĽr die BĂĽhne ĂĽbersetzt und
bearbeitet von G. Frhr. Vincke. Freiburg i. Br. 1871. (Ge-
schenk des Herrn Bearbeiters.)
Hamlet, Prinz von Dännemark. Ein Trauerspiel in 6 Auf-
zügen. [Nach Shakespeare von F. L. Schröder.] Zum Behuf
des Hamburgischen Theaters. Hamburg 1777.
Hamlet, Prinz von Dännemark. Ein Trauerspiel in fünf Auf-
zĂĽgen. Nach Shakespear. (Hamburgisches Theater. Bd. 3.
Hamburg 1788.)
Hamlet. Trauerspiel in sechs AufzĂĽgen von W. Shake-
spear. Nach Göthe's Andeutungen im Wilhelm Meister und A. W.
Schlegel's Uebersetzung fĂĽr die deutsche BĂĽhne bearbeitet von
A. Klingemann. Leipzig und Altenburg 1815.
Sliakspeare's Hamlet, fĂĽr das deutsche Theater bearbeitet
von K. J. Schütz. Neue unveränderte Ausgabe. Leipzig 1819.
Hamlet, eine Tragödie von W. Shakespeare. Uebersetzt
von J. B. Mannhart. Sulzbach 1813.
Shakspeare' s Hamlet, in Deutscher Uebertragung [von F.
Jencken]. Hamburg 1834.
Hamlet von W. Shakspeare, ĂĽbersetzt von R. J. L.
Samson von Himmelstiern. Dorpat 1837.
Die erste Ausgabe der Tragödie Hamlet von W. Shake-
speare. London 1603. Uebersetzt von A. Ruhe. Inowraclaw 1844.
Hamlet, Prinz von Dänemark. Tragödie des Shakspeare.
Deutsch von E. Lobedanz. Leipzig 1857. (Geschenk der Ver-
lagshandlung.)
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Hamlet, Prinz von Dänemark. Drama von W. S h a k s p e a r e,
ĂĽbersetzt von W. Hagen. Nr. 116 des BĂĽhnen -Repertoire des
Auslandes, herausgegeben von Both (L. Schneider). (Berlin o. J.)
Hamlet. Grosse Oper. Nach Shakespeare von M. Carre
und J. Barbier. Deutsch von W. Langhans. Musik von A.
Thomas. Berlin 1869.
Der travestirte Hamlet. Eine Burleske in deutschen Knittel-
versen mit Arien und Chören von K. L. Gieseke. Wien 1798.
Prinz Hamlet von Dännemark. Marionettenspiel [von J. F. Schink.]
Berlin 1799. 2. verb. Aufl. das. 1800.
Hamlet. Eine Karrikatur in drey AufzĂĽgen, mit Gesang in Knittel-
reimen. Von J. Perinet. Wien 1807.
Schakespear in der Klemme oder Wir wollen doch auch den
Hamlet spielen. Ein Vorbereitungsspiel zur Vorstellung des Hamlets
durch Kinder von Schink, aufgeführt im k. k. Kärntnerthor Theater.
Wien 1780.
Der neue Hamlet. In drey Acten. Nebst einem Zwischenspiele
Pyramus und Thisbe genannt, in zwey Acten. Von Herrn von
Mauvillon. Grätz 1800.
Prinz Hammelfett und Prinze ssin Pumphelia. Eine Trauer-
posse fĂĽr Polichinell- und Kasperletheater von Dr. Sperzius. Neu-
Kuppin o. J. (Geschenk eines Ungenannten.)
Shakspeare's König Heinrich VJLLL, übersetzt von Wolf
Grafen von Baudissin. Hamburg 1818.
König Heinrich VHI. Schauspiel von Shakespeare. In
das Deutsche ĂĽbertragen von S. H. Spike r. Berlin 1837.
Julius Cäsar oder Die Verschwörung des Brutus. Ein Trauer-
spiel in sechs Handlungen von Shakespear. FĂĽr die Mann-
heimer BĂĽhne bearbeitet [von W. H. von Dalberg.] Mannheim
1785.
Der Kaufmann von Venedig. Schauspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen
von Shakespeare. FĂĽr die Darstellung eingerichtet von C. A.
West. Wien 1841.
König Lear. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Nach
Shakespear [von Fr. L. Schröder.] Hamburg 1778.
König Lear. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Nach
Shakespear. Auf dem Augsburger Theater zum ersten Mal auf-
gefĂĽhrt unter der Direction Herrn Schikaneder's. 0. 0. 1779.
König Lear. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Shak-
speare. Neu ĂĽbersetzt, und fĂĽr die deutsche BĂĽhne frei bearbeitet,
von J. B. von Zahlhas. Bremen 1824.
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Shakespeares König Lear. Für die Bühne übersetzt von
Beauregard Pandin [K. F. von Jariges]. Zwickau 1824.
KönigLear. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Shakespeare.
FĂĽr die Darstellung eingerichtet von C. A. West. Wien 1841.
Maass fĂĽr Maass. Schauspiel in 5 AufzĂĽgen von Shak*
spere. Nach Delius' Ausgabe fĂĽr die BĂĽhne ĂĽbersetzt und be-
arbeitet von G. Frhr. Vincke. Freiburg i. Br. 1871. (Geschenk
des Herrn Bearbeiters.)
[Stephani der JĂĽngere.] Macbeth. Ein Trauerspiel in
fĂĽnf AufzĂĽgen. 0. 0. u. J. [Wien 1774.] (Geschenk des Herrn
Grafen Yorck von Wartenburg in Weimar.)
Macbeth, ein Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen von Shakespear.
FĂĽrs hiesige Theater adaptirt und herausgegeben von F. J. Fischer.
Prag 1777.
Macbeth, ein Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen nach Schake-
spear von H. L. Wagner. Frankfurt a. M. 1779.
SJiakespeare's Macbeth. Uebersetzt von S. H. S pik er. Ber-
lin 1826.
Sliakspeare's Macbeth, tibersetzt von K. Lachmann. Ber-
lin 1829.
Shakspere als Vermittler zweier Nationen. Von K. S im rock.
Probeband. Macbeth. Stuttgart und TĂĽbingen 1842.
Sfi akspere's Macbeth, ĂĽbersetzt von A. Jacob. Berlin 1848.
Stokspear's Othello. Aus dem Englischen von L. Schubart
Leipzig 1802.
Othello. Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen von Shakespeare.
FĂĽr die Darstellung eingerichtet von C. A. West. Wien 1841.
Richard der zweyte, ein Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen von
Shakespear, fĂĽrs hiesige Theater adaptirt. Prag 1777.
Sliakespear's Richard H. Ein Trauerspiel fĂĽr die deutsche
SchaubĂĽhne von 0. von Ge mm in gen. Mannheim 1782.
Shakspeare's Richard IL, Heinrich IV. und Heinrich V.
Uebersetzt von R. J. L. Samson von Himmelstiern. Bd. 1. 2.
Riga 1848.
Richard IH., ein Trauerspiel in 5 AufzĂĽgen nach Weisse
[und Schäckespear]. Für die Schuchische Bühne bearbeitet
von dem Schauspieler C. Steinberg. Königsberg i. Pr. 1786.
Romeo und Julie. Ein Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen nach
Shakespear frey fĂĽrs deutsche Theater bearbeitet. Leipzig 1796.
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Romeo und Julie. Trauerspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen von Shake-
speare. Zur Darstellung eingerichtet von C. A. West. Wien 1841.
Romeo und Julia. Tragödie des Shakspeare. Deutsch
von E. Lobedanz. Leipzig 1855. (Geschenk der Verlagshandlung.)
Der Sturm oder die bezauberte Insel. Ein Schauspiel in zwei
AufzĂĽgen nach Shakespear von Schink. Wien 1870.
SJiakespeare's Sturm. Deutsch von Fr. Dingelsted t. Hild-
burghausen 1866. (Geschenk des Herrn Uebersetzers.)
SJiakspeare's Troilus und Cressida. Uebersetzt von
Beauregard Pandin [K. F. von Jariges]. Berlin 1824.
Die Jbeyden Veroneser. Ein Schauspiel in 4 AufzĂĽgen.
Nach Shakespear's Schauspiele, gleiches Namens, bearbeitet von
Kleediz. Schneeberg 1802.
Viola. Lustspiel in fĂĽnf AufzĂĽgen. Nach SJiakespeare's: Was
Ihr wollt fĂĽr die BĂĽhne bearbeitet von Deinhardstein. Wien
1841.
Die lustigen Weiber zu Windsor. Ein Lustspiel von
Shakespear. Göttingen 1786.
Die lustigen W T eiber von W T indsor von Shakspeare. Neu
und getreu übersetzt. Königsberg 1826.
Gideon von Tromberg. Eine Posse in drey AufzĂĽgen nach [den
Instigen Weibern von Windsor von] Shakespear. Von W. H.
Brömel. 0. 0. 1794.
Der Widerspenstigen Zähmung. Komische Oper nach
Shakespeare^ gleichnamigen Lustspiel frei bearbeitet von J. V.
Widmann. Musik von H. Goetz. Leipzig o. J. (Geschenk
der Grossh. General -Intendanz in Weimar.)
Kunst über alle Künste Ein bös Weib gut zumachen.
Eine deutsche Bearbeitung von Shakespeare's The Taming of
the Shrew aus dem Jahre 1672. Neu herausgegeben von R.
Köhler. Berlin 1864. (Geschenk des Herausgebers.)
Vier Schauspiele von Shakspeare [Eduard HI. Th. Crom-
well. Sir John Oldcastle. Der Londoner verlorne Sohn.] Ueber-
setzt von L. Tieck. Stuttgart und TĂĽbingen 1836.
2) In holländischer Sprache.
Hamlet, naar het Engelsch van W. Shakspere, door A. S.
Kok. Haarlem 1860.
Macbeth, Treurspel van W. Shakespeare, uit het Engelsch,
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in de voetmaat van het oorspronkelijke , vertaald en opgehelderd
door Jurriaan Moulin. Kampen 1835.
SJiakspear. Macbeth, Drama in't Nederlandsche vertaald
door N. Destanberg. Gent 1869. (Geschenk des Herrn Ober-
bibliothekars F. Vanderhaeghen in Gent.)
3) In friesischer Sprache.
De Keapman fenVenetien in Julius Cesar, twa Toneel-
stikken fen Willem Shakspeare: uut it Ingelsk foarfrieske trog
R. Posthumus. Grinz 1829.
4) In dänischer Sprache.
Hamlet, Prinz af Dannemark. Tragoedie af Shakespear.
Oversat af Engelsk. Kiöbenhavn 1777.
En Skiaersommernats Dröm. Lystspil af Shakespeare.
Oversat af A. Oehlenschläger. Kiöbenhavn 1816.
Stormen. Et Syngespil i tre Afdelinger af W. Shakespeare.
Omarbeited til Kunzens efterladte Partitur af L. Chr. Sander.
Kiöbenhavn 1818.
5) In schwedischer Sprache.
Köpmannen i Venedig. Skadespel i fem Akter af W.
Shakespear. Försvenskadt och för scenen behandladt af N.
Arfwidsson. Stockholm 1854.
6) In lateinischer Sprache.
Gnlielmi ShaJcsperii Julius Caesar. Latine reddidit H.
Denison. Editio H. Oxonii et Londini 1869.
7) In französischer Sprache.
Oeuvres dramatiques de Sliakspeare. • Traduction nouvelle
par B. Laroche, precedee d'une introduction sur le genie de
Shakspeare par A. Dumas. T. I. II. Paris 1839—1840.
Hamlet, Prince de Danemark. Drame en vers en cinq acts
et huit parties par MM. A. Dumas et P. Meurice. Represente
pour la premiere fois, ä Paris, le 15. Dec. 1847. (Theätre contem-
porain illustre. 18. et 19. Livraison. Paris o. J.)
Hamlet, traduit de Shakspeare par P. de Garal. Paris
1868.
SJiakspeare. Jules Cesar, Tragedie, traduite en vers francais,
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precedee d'une etude et suivie de notes par C. Carlhant. 2ieme
edition. Paris 1865.
Othello ou le More de Venise, Tragedie. Par le citoyen
Du eis. Paris, an IL
Romeo et Juliette, Tragedie, par Mr. Ducis. Paris 1772.
(Geschenk des Herrn Freiherrn Wendelin von Maitzahn in Weimar.)
Romeo et Juliette. Tragedie en cinq actes de Shak-
speare, traduite en vers francais par M.E. Deschamps. Paris 1863.
(Geschenk des Herrn Grafen Wolf von Baudissin in Dresden.)
La Tempete: Tragedie de W. Shakespeare. Traduite en
vers francais par le Chevalier de Chatelain. Londres 1867.
8) In italienischer Sprache.
Operedi Shakspeare. Nuova versione italiana di diversi tra-
duttori edita e corredata di note e delT analisi del dramma II
Re Lear da G. Jan. Programma e Saggi. Parma 1838.
Alcune Tragedie e Drammi di Gugliehno Shakespeare.
Nuova traduzione dalF originale inglese. Vol. I. (Otello.
La Tempesta.) H. (II Re Lear. Macbeth.) III. (Sogno di una
notte di mezza State. Romeo e Giulietta.) Milano 1834.
II Mercante di Venezia di G. Shakspeare. Versione di
P. Santi. Milano 1839.
Romeo e Giulietta. Tragedia di G. Shakspeare, recata
in versi italiani da M. Leoni di Parma. Firenze 1814.
Romeo e Giulietta di G. Shakspeare. Versione di 0.
Garbarini. Milano 1840.
9) In spanischer Sprache.
Hamlet. Tragedia de Guillermo Shakespeare. Tra-
ducida e ilustrada con la vida del autor y notas criticas. Pol-
ln arco Celenio P. A. [L. F. Moratin.] Madrid 1798.
El Principe Hamlet, drama trägico-fantästico, en tres
actos y en verso, inspirado por el Hamlet de Shakespeare y escrito
expresamente para el primer actor Don Antonio Vico, por C.
Coello. Madrid 1872.
10) In rumänischer Sprache.
Macbeth. Tragoedie in cinci acturi de Shakspeare, traduse
d'in englisesce de P. P. Garp. Jassi 1864.
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334 —
11) In neugriechischer Sprache.
c AftXetog, ĂźadiXoncug tijg davCag, TQaywSCa tov " AyyXov 2ai%-
7ttjQov f han%vaq n£m<fQao&uaa y vtto'I.H. Ile^ßavöyXov. Athen 1858.
12) In polnischer Sprache.
Dziela WiUiama Shakspeare. Przekladal Ignacy Ke-
falinski. [Sh's Werke, Uebersetzt von I. K.] Tom I. Hamlet,
Romeo i Julia. Sen w wigiliq, S. Jana. [A Midsummer-Night ? s
Dream.] Tom II. Machet. Kröl Lear. Burza. [The Tempest.]
Wilno 1840—41.
Dramata Willjama Shakspear'a. Przeklad z pierwotworu.
[W. Sh's Dramen. Uebersetzung aus dem Original.] Tom I. Ham-
let. Romeo i Julja. Tom II. Macbeth. Wieczör trzech Kröli.
[The Twelfth Night,] Kr61 Lear. Krotochwila z pomylek. [The
Comedy of Errors.] T. III. Kröl Ryszard III. Ukröcenie spornej.
[The Taming of the Shrew.] Kupiec Wenecki. [The Merchant of
Venice.] Wiele halasu o nie. [Much Ado about Nothing.] War-
szawa 1857 — 58. (Die Uebersetzung ist von Josef Paszkowski.)
Szehspir. Puste kobiety z Windsor'u. [The Merry
Wives of Windsor] przeJo2yi John of Dycalp. [Uebersetzt von
John of D.] Wilno 1842.
Szekspir. Pölnocna godzina. [The Twelfth Night."
Przeklad Johna of Dycalp. [Uebersetzung von John of D.
Wilno 1845.
Dzieia WiUiama Sliakspeare. Przeklad Johna of Dy-
calp. [Sh.'s Werke. Uebersetzung von John of Dycalp.] Tom m.
[Kröl Henryk IV.] Wilno 1847. (Der Uebersetzer heisst eigent-
lich Jan Placyd. Placyd rückwärts gelesen = Dycalp.)
Kröl Jan. Dramat w pi^ciu aktach W. Szekspira, Prze-
klad Jözefa Korzeniowskiego. Sofoklesa Edyp Kröl.
Przeklad z Greckiego Alfonsa Walickiego. [König Johann.
Schauspiel in fĂĽnf Acten von W. Sh. Uebersetzung von J. Kor-
zeniowski. König Oedipus des Sophokles. Uebersetzung aus dem
Griechischen von A. Walicki.] Wilno 1845.
Juljusz Cezar. Tragedja w pie,cki aktach W. Szekspira.
Przeklad Adama Pajg erta. [Julius Cäsar. Tragödie in fünf Akten
von W. Sh. Uebersetzung von A. Pajgert.] Lwöw [Lemberg] 1859.
Makbet. Tragedya Wilhelma Shakspeara, przeloSona z
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Angielskiego wierszem polskim przez Andrzeja Edwarda Koz"-
miana. [M. Tr. von W. Sh., ĂĽbertragen aus dem Englischen in
polnischen Versen von A. E. Koimian.] Poznan [Posen] 1857.
Dziela dramatyc Szekspira. [Sh's dramatische Werke.]
Tom I. Sen nocy letniej. [A Midsummer-Night's Dream.] Kröl Lyr.
[King Lear.] Dwaj panowie z Werony. [The Two Gentlemen of
Verona.] Przekiad Stanislawa Koimiana [Uebersetzung von
St. Koimian.] Poznan [Posen] 1866.
(Sämmtliche polnische Uebersetzungen sind ein Geschenk des
Herrn Banqniers Kronenberg in Warschau.)
13) In wälscher (kymrischer) Sprache.
Yr Eisteddfod. Rhif. 6. Cyf. II. Hamlet, Tywysog Den-
marc. Cyfieithiad. Buddugol yn Eisteddfod Llandudno, 1864. Gan
"William Stratford", sef, Mr. D. Griffiths. Wrexham 1865.
14) In finnischer Sprache.
William Shakespearin Macbeth, Murhenäytelmä wiidessä
näytöksessä. Alkuperäisestä suomentanut Kaarlo Slöör. Helsin-
gissä 1864. [W. Sh's Macbeth, Trauerspiel in fünf Akten. Aus
dem Original ins Finnische übertragen von Karl Slöör. Helsingfors
1864.] (Geschenk des Herrn Professors Dr. Leo in Berlin.)
15) In hebräischer Sprache.
Othello, the Moor of Venice, by Shakspeare. Translated
into Hebrew by J. E. S. [Salkinson] Edited by P. Smolensky.
Vienna 1874.
II. B. Uebersetzungen der Gedichte Shakespeares.
SJiakspeare's Gedichte. Uebersetzt von E. von Bauern-
feld und A. Schumacher. Wien 1827.
Shakspeare ] s sämmtliche Gedichte. Im Versmaasse des
Originals übersetzt von E. Wagner. Königsberg 1840.
Shakspeare. Venus und Adonis. Tarquin undLukrezia.
Uebersetzt von J. H. Dambeck. Leipzig 1856. (Geschenk der
Verlagshandlung.)
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SJiakespearc's Sonette in deutscher Nachbildung von F.
Bodenstedt. Berlin 1862. (Geschenk des Herrn Uebersetzers.)
Shaks2iere's Sonette. Uebersetzt von H. Freiherrn von
Friesen. Dresden 1869. (Geschenk des Herrn Uebersetzers.)
Shakspcre's Sonette, deutsch von B. Tschi schwitz. Halle
1870. (Geschenk des Herrn Verlegers.)
SJiakespcare's Southampton-Sonette. Deutsch von F.
Kr au ss. Leipzig 1872.
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London and Westminster, the Borough of Southwark and the Parts
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from the Original in the Guildhall Library with a Biographical
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Der Bibliothekar
der Deutschen Shakespeare -Gesellschaft.
Dr. R. Köhler.
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Mitglieder-Verzeiehiiiss
der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft
Protedorin.
I. K. H. die Frau Grossherzogin von Sachsen.
Vorstand,
Ulrici, Dr., Professor, Halle, Ehren-Präsident.
Oechelhausen Geh. Kommerzienrath, Dessau, Vicepräsident.
Freih. v. Loen, General-Intendant, Weimar, Vicepräsident.
Freih. v. Friesen, Oberhofmarschall, Exe, Dresden, Ehrenmitglied
des Vorstandes.
Delius, Dr., Professor, Bonn.
Elze, Dr., Professor, Halle.
Gildemeister, Dr., BĂĽrgermeister, Bremen.
Hertzberg, Dr., Professor und Gymnasialdirector, Bremen.
Köhler, Dr., Bibliothekar, Weimar.
Leo, Dr., Professor, Berlin.
Marshall, Dr., Geh. Hofrath, Weimar.
Moritz, Kommerzienrath, Weimar.
Schöll, Dr., Geh. Hofrath und Oberbibliothekar, Weimar.
Thiimmel, Dr., Universitätsrichter, Halle.
Freih. Vincke, Freiburg im Breisgau.
Elirenm itgliecler.
Graf Baudissin, Wolf, Dresden.
Clark, W. G., M. A., Cambridge.
Döring, k. Hofschauspieler, Berlin.
Furness, H. H., Esq., Philadelphia.
Halliwell-Phillipps, ,T. 0., Esq., London.
Janauschek, Fanny, Hofschauspielerin, MĂĽnchen.
La Roche, k. k. Hofschauspieler, Wien.
Wright, W. A., M. A., Cambridge.
*
Mitglieder.
S. M. der König von Sachsen.
I. K. und K. H. die Frau Kronprinzessin des Deutschen Reiches
und von Preussen.
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S. K. H. der Grossherzog von Sachsen.
S. K. H. der Grossherzog von Oldenburg.
S. H. der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha.
S. H. der Herzog von Sachsen-Meiningen.
S. D. der regierende FĂĽrst von Reuss j. L.
Abecken, Justizminister, Exe, Dresden.
Aigner, Maler, Wien.
Arnd, Dr., Chef des Industrie-Comptoirs, Weimar.
Auerbach, Ludwig, jun., Bijouterie-Fabrikant, Pforzheim.
Barthel, G. Emil, Halle.
Bauer, Dr., Max, Eittergutsbesitzer, Adendorf bei Gerbstedt.
v. Beaulieu-Marconnay, Wirkl. Geh. Rath, Exe, Dresden.
Behmer, Maler, Weimar.
Bibliothek, Herzogliche, Dessau.
v. Bodenstedt, Dr., General-Intendant a. D., Meiningen.
v. Bojanowski, Hofrath, Weimar.
Böttger, Dr., Professor, Dessau.
Braumüller, Hof- und Universitäts-Buchhändler, Wien.
Brockhaus, Dr., Eduard, Buchhändler, Leipzig.
Brose, M., Privatgelehrter, Berlin.
Carriere, Dr., Professor, MĂĽnchen.
Cohn, Albert, Buchhändler, Berlin.
Cohn, Anton, Kaufmann, Berlin.
Cohn-Speier, GL, Frankfurt a. M.
Collin, Daniel, Buchhändler, Berlin.
Freih. v. Cramm, Hofmarschall a. D., Gera.
v. Cuny, Appellationsgerichtsrath a. D., Berlin.
van Dalen, Dr., Professor, Berlin.
Davy, Humphrey, Esq., Berlin.
Dernburg, Dr., Professor, Berlin.
Devrient, Otto, Regisseur, Weimar.
Dickmann, Dr., ord. Lehrer am Johanneum, Hamburg.
Dirksen, E., Stadtgerichtsrath, Berlin.
Döbbelin, Dr., Berlin.
Ebbinghaus, Julius, Berlin.
Eisenmann, R., Consul, Berlin.
v. Falkenhausen, General a. D., Freiburg i. Br.
Feist, Leopold, Bingen.
Feising, Otto, Leipzig.
Fortlage, Dr., Professor, Jena.
FretzdorfF, Justizrath, Berlin.
Freih. v. Friesen, Staatsminister, Exe, Dresden.
Fuchs, J., Warschau.
Furnivall, F. J., Esq., London.
Gallenkamp, Director der städt. Gewerbeschule, Berlin.
Gehring, Dr., Professor, Wien.
— 360 —
Gericke, Robert, Dr., Leipzig.
Gerstmayr, Professor, Kremsmünster in Oberösterreich.
Gesellschaft fĂĽr das Studium der neueren Sprachen, Berlin.
Gosche, R., Dr., Professor, Halle.
Gottschall, Dr., Geh. Hofrath, Leipzig.
Gruner, Dr., Justizrath, Weimar.
Gymnasial-Bibliothek, Bunzlau.
Hager, Dr., Privatgelehrter, Breslau.
Hallier, J. H., Hamburg.
Heckmann, Aug., Kommerzienrath, Berlin.
Heckmann, Fr., Berlin.
Heintz, Elise, Frau, Halle.
Hense, Dr., Gymnasial-Director, Schwerin i. Mecklenburg.
Hering, Appellationsgerichtsrath, MĂĽnster.
Herrig, Dr., Professor, Berlin.
Hettner, Dr., Hofrath, Dresden.
Hildebrandt, Dr., Professor, Jena.
Höchberg, Leopold, Frankfurt a. M.
v. HĂĽlsen, General-Intendant, Exe, Berlin.
Huschke, AI., Hofbuchhändler, Weimar.
Kammerer, Oberlehrer, Braunschweig.
Freih. v. Kap-herr, Bärenklause bei Kreischa.
v. Keller, Dr., Professor, TĂĽbingen.
König, W., Rechtsanwalt, Bunzlau.
König, W., jun., Lockwitz bei Dresden.
Koppel, Rieh., Dr., Privatgelehrter, Dresden.
v. Koseritz, Dr., Landrath, Wittenberg.
Kronenberg, Stanislaw, Warschau.
Krummacher, Martin, Dr., Oberlehrer, Elberfeld.
v. Kudriaffsky, Euphemia, Fräulein, Wien.
v. Kyau, Oberappellationsgerichtsrath, Dresden.
Kyllmann, Baumeister, Berlin.
Landgraff, Eugen, Gutsbesitzer, Externbrock bei Nieheim.
Freih. v. Ledebur, Theaterdirector, Riga.
Lemcke, Dr., Professor, Giessen.
Lewinsky, Jos., k. k. Hofschauspieler, Wien.
Liebau, Gust, Geh. exped. Secretär im Reichskanzleramt, Berlin.
Lindner, Albert, Dr., Berlin.
Lölimann, Baurath, Dresden.
Löwe, Feodor, Dr., Stuttgart.
LĂĽders, Ferd., Dr., ord. Lehrer am Johanneum, Hamburg.
Mahn, Dr., Privatgelehrter, Berlin.
Marckwald, G., Berlin.
Marcuse, H., Consul, Niederwalluf, Rheingau.
Marshall, Dr., Consul, Weimar.
Meissner, Johannes, Dr., Redacteur, Wien.
Merzbacher, Josef, Kaufmann, NĂĽrnberg.
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— 361 —
Micolci, Ad., Dr., Lehrer am Jolianneum, Hamburg.
v. Müde, Feod., Kammersänger, Weimar.
Moltke, Max, Privatgelehrter, Leipzig.
Mommsen, Theodor, Dr., Professor, Berlin.
MĂĽller, Eduard, Professor, Kothen.
MĂĽller, J., Dr., Oberlehrer, Brandenburg a. H.
v. MĂĽller, Baumeister, Kiel.
Nawrocki, F., Dr., Professor, Warschau.
Nehring, Richard, Liegnitz.
Nelkenbaum, Heinrich, Warschau.
Neumann, Regierungsrath, Berlin.
Niese, Dr., Professor und Institutsvorsteher, Sulza.
Nolte, Wilhelm, Berlin.
Oechelhäuser, Adolf, Hannover.
Oechelhäuser, Heinrich, Siegen.
Oehlmann, Geh. Regierungsrath a. D., Dessau.
Pabst, Julius, Dr., Hofrath, Dresden.
Palleske, Emil, Dr., Villa Thal bei Eisenach.
Parrow, Dr., Rentier, Weimar.
Platzmann, Dr., Amtshauptmann, Leipzig.
Plebanski, Dr., Professor, Warschau.
Putlitz, Gustav zu, Generaldirector des Hoftheaters, Karlsruhe.
Putzler, Dr., Oberlehrer, Görlitz.
Realschule zu GrĂĽneberg, Schlesien.
Freih. von Reichlin-Meldegg, Dr., Professor, Heidelberg.
Reimer, Georg, Verlagsbuchhändler, Berlin.
Riechelmann, Dr., Gymnasialdirector, Thann im Elsass.
Rodrian, Buchhändler, Wiesbaden.
Rotte, A., Dr., Staatsrath, W T arschau.
Schartow, Geh. Ober-Finanzrath, Berlin.
Schmidt, AI., Dr., Realschuldirector, Königsberg i. Pr.
Schmitz, Leonhard, Dr., London.
Schulz, Zeichnenlehrer am Gymnasium, Neu-Ruppin.
SchĂĽtz, G., Oberlehrer, Minden.
Schwabe, Dr., Medicinalrath, Blankenburg bei Rudolstadt.
Schwarz, Oskar, Dessau.
Schweitzer, Julius, Berlin.
Schwetschke, Gustav, Dr., Halle.
Freih. v. Seckendorff, Wirkl. Geh. Rath, Exe, Meuselwitz bei
Altenburg.
Seminar fĂĽr romanische und englische Philologie, Marburg.
Simrock, Dr., Professor, Bonn.
Singer, Wilh., Redacteur, Wien.
Sonntag, Karl, k. Hofschauspieler, Hannover.
Stadtbibliothek zu Danzig.
Stedefeld, Kreisgerichtsrath, Langensalza.
Steinrück, Otto, Dr., Sanitätsrath, Berlin.
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— 362 —
Steinthal, E. Alfred, Rev., Manchester.
Stichliug, Dr., Geh. Staatsrath, Weimar.
v. Strauss u. Torney, Wirkl. Geh. Rath, Exc., Dresden.
v. Struve, Heinr., Dr., Professor, Warschau.
Suhle, Ernst, Rentier, Weimar.
Freih. v. Tauchnitz, Leipzig.
Toeche, E., Berlin.
Troebst, Dr., Professor und Realschuldirector, Weimar.
Tschischwitz, Benno, Dr., Professor, ZĂĽrich.
Turgenjew, Iwan, Paris.
Ulrici, Georg, Dr., Archidiaconus, MĂĽhlhausen.
Universitätsbibliothek zu Marburg.
Vatke, Theod., Dr., Realschullehrer, Apolda.
Veckenstedt, Edmund, Dr., Gymnasiallehrer, Cottbus.
Veit, Johanna, Frau Dr., Berlin.
Verein HĂĽtte, Berlin.
Freih. Vincke, Oberregierungsrath a. D., Coblenz.
Vogt, G., Landkammerrath, W'eimar.
Volkmann, Richard, Dr., Professor, Halle.
Wagner, Willi., Dr., Professor am Johanneum, Hamburg.
Wahl, Dr., Director der höhern Handels-Fach-Schule, Erfurt,
Wandel, Geh. Admiralitätsrath, Berlin.
Weinberg, Peter, Collegien-Assessor, Warschau.
Wislicenus, Paul, Dr., Berlin.
Wittmann, Redacteur, Wien.
v. Zedlitz, Oberhofmeister, Weimar.
Zejdowski, Dr., Professor, Warschau.
Zilken, Fritz, Köln.
Zimmer, Heinrich, Buchhändler, Frankfurt a. M.
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Nachtrag zu Seite 73.
Durch die Freundlichkeit des Herausgehers des Jahrbuches werde ich so-
eben darauf aufmerksam gemacht, dass die von mir in gutem Glauben als neu
vorgeschlagene Emendation näh statt tnäh in Mario we's Jew of Malta p. 97b
Cunn., bereits bei Pyce p. 166a der Ausgabe von 1865 im Texte steht, und
zwar ohne eine Bemerkung des Herausgebers. Indem ich dies einerseits gerne
als Bestätigung meiner Emendation begrüsse, muss ich bedauern, dass ich
versäumt habe, vor dem Niederschreiben derselben Dyce's Ausgabe nachzusehen.
In der einzigen andern Ausgabe des Jew of Malta, welche mir hier zugäng-
lich ist, im fĂĽnften Bande von Colliers Ausgabe der Dodsley'sehen Collection
of Old Plays (1826), p. 276, steht gleichfalls ruth, und es ist demgemäss tnäh
bei Cunningham wohl als ein blosser Druckfehler anzusehen. — Zu der Seite
70 empfohlenen Emendation to us of Malta möchte ich bemerken, dass die von
anderer Seite vorgeschlagene Auffassung to us or [to] Malta sich kaum halten
lässt, da man dann wohl statt or ein and erwarten würde: der Gouverneur
und Malta sind, ganz besonders nach der Sitte der elisabethanischen Drama-
tiker, Regent und Land zu identificiren, ein und dasselbe.
W. Wagner.
Nachtrag zu Seite 294.
Auch für 'twenty tJunaand' vermag ich nachträglich unzweifelhafte Belege
beizubringen. Two Gentlemen II. 6: With twcnty thoumnd soul-confinning
oaih8. Merry Wives IV, 4: though twenty thousand worthier come to erat» Jier.
Love's Labour's Lost V, 2: I am compared to twenty thousand fqirs. Taming
of the Shrew U, 1 und V, 2: twetäy thousand crowns. Richard II, IV, 1: to
answer twenty thousand such as you. 2 K. Henry VI, DJ, 2: to chafe Ms paly
Ups With ttoenty tliousand kisses. Ebenda: Though Suffolk dare htm twenty
thousand times. Coriolanus DI, 3: Within thine eyes sat twenty thousand deaths.
Hamlet IV, 4: Two thousand souls aml twenty thousaml ducats. Ebenda: The
imminent death of twenty thousand
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- 364 -
Sogar 'twenty hundred* findet sich bei Dryden, The Tempest IV, 1 :
, You cannot teil nie, sir,
I know Im mnde for twenty hundred women
(1 mean if there so many be i' th' icorld) &c.
FĂĽr die hochfliegende Leidenschaft in Romeo und Julie kann es bezeich-
nend scheinen, dass sich hier (M, 3) die am höchsten gegriffene unbestimmte
Zahlangabe findet: and call thee back With ticenty hundred thousand times
more joy, &c.
MerkwĂĽrdig sind die Verbindungen 'four and ticenty' und 'two and twenty.'
Die erstere kommt vor im Wintermärchen IV, 3: she luith made me four and
ttcenty nosegays for the shearers. 1 K. Henry IV, III . 3: and money lent you,
four and ttcenty pound. Die zweitgenannte Zahlenverbindung findet sich 1 K.
Henry IV, I, 1 : Ten thousand bold Scots, two and ttcenty knights, Balk'd in tJieir
oicn blood did Sir Walter see On Holmedon' 8 plains. Ebenda H, 2: I have
forswom his Company hourly any Urne this two and ttcenty years. Ebenda IDT, 3 :
0 for a fine thief, of tlie age of two and twenty or thereabouts ! 2 K. Henry IV,
I, 2: I looked a' shottld have sent me two and twenty yards of satin.
Durch diesen Nachweis des eigentĂĽmlichen Gebrauchs der Vierzahl und
der Zweizahl wird selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass auch andere
Zahlen, wenn gleich minder häufig, in derselben Weise gebraucht werden. So
z. B. three, seven, three and ttcenty (Troilus and Cressida I, 2), three and twenty
thousand (1 Henry VI, I, 1), five and twenty, five and twenty thousand (3 Henry
VI, n, 1) IL a. K. E.
Druckfehler.
Seite 321, Zeile 5 und 12. Lies: Munro statt Mnnco.
„ „ „ 17. Lies: Hercules statt Herculns.
Nevyle statt Neoyle.
„ 322, „ 12. Lies: nought statt nougt.
„ „ „17. „ Harvey statt Ilawey.
„ „ „ 18. „ Shepherdes statt Shepheades.
„ „ „20. „ Bernays statt Bernay's.
20
3 4
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