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Full text of "Studium der klassischen Philologie"

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Studiu 




der 



lassischen 



Philologie 




Wilhelm Kroll 





Jjarbarti (£ollrge Itörarj 

FROM THE 

CONSTANTIUS FUND 



Establishcd by Professor E. A. Sophocles of Harvard 
University for "tlie purchase of Greek and Latin 
books (the ancient classics), or of Arabic 
books, or of books illustrating orex- 
plaining such Greek, I^ilin, or 
Arabic books." 



Das Studium 
der klassischen Philologie 

Ratschläge für angehende Philologen 

Wilhelm Kroll 

ord. Prof. an der Universität Münster 



Zweite vermehrte Auflage 



Greifswald 

Druck und Verlag von Julius Abel 
1906 




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Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen, 
Kin Werdender wird immer dankbar sein. 



Das Studium der klassischen Philologie gilt im 
allgemeinen für schwer, und das nicht ohne Be- 
rechtigung. Denn, wie schon der Name 'Altertums- 
wissenschaft' zeigt, muss es das Ziel des Philologen 
sein, eine lebendige Auffassung vom Altertum zu 
gewinnen, d. h. er kann sich nicht damit begnügen, 
Sprache und Literatur der Alten kennen zu lernen, 
sondern muss ihre gesamte Kultur zu erfassen suchen. 
Das ist eine hohe Aufgabe, deren Lösung zwar eine 
grosse innere Befriedigung verschafft, aber auch mit nicht 
geringen Schwierigkeiten verknüpft ist; und manchem 
mag es leichter und lohnender erscheinen, sich eine 
gute Kenntnis der modernen Sprachen anzueignen, 
auf die beim Studium der neueren Philologie jetzt 
vielfach der Hauptnachdruck gelegt wird. Man darf 
auch wohl sagen, dass die Anforderungen, die im 
Examen gestellt werden, an den meisten Universitäten 
nicht niedrig sind; trotzdem fehlt es an einem Studien- 
plan, wie ihn andere Fächer besitzen, und die Vor- 
lesungen sind zum grossen Teil nicht darauf zu- 
geschnitten, Examenskenntnisse zu vermitteln, sondern 



« 4 * — 

Anregungen zu geben und in den Stand der Probleme 
einzuführen. Diese und andere Umstände lassen es 
als wünschenswert erscheinen, einige praktische Rat- 
schläge für das Studium der klassischen Philologie 
kurz zusammenzufassen, zumal es ein recht brauch- 
bares Buch dieser Art meines Wissens nicht gibt.*) 

Der Abiturient, der für die klassischen Studien 
Neigung hat, nehme vor dem endgültigen Entschluss 
eine ernste Selbstprüfung mit sich vor. Er mache 
sich klar, dass das Altertum zwar immer noch ein 
wichtiges Ferment unserer Kultur, aber doch nicht 
mehr das wichtigste ist, und dass es zu den die Herzen 
der Menge bewegenden Fragen nur in sehr lockeren 
Beziehungen steht. Nur wer Liebe und Begeisterung 
für die Sache hat, wird darin eine Entschädigung für 
wirkliche oder vermeintliche Vorteile finden, die ihm 
entgehen. Vor allem sollte niemand ohne inneren 
Beruf dieses Studium ergreifen, bloss weil es gerade 
im Augenblick für aussichtsvoll gilt; Studenten dieser 
Art erreichen ihr Ziel immer noch besser, wenn sie 
sich anderen Fächern zuwenden. Sodann lege sich 
ein jeder die Frage vor, ob er ausser der allgemeinen 
Begeisterung für das Altertum Fleiss und Ausdauer 
genug besitzt, um allerlei Dinge zu treiben, die viel- 
leicht nicht sehr reizvoll, aber für eine solide Grund- 
lage unentbehrlich sind; z. B. grammatische und 
kritische Arbeiten, ohne die niemand erfolgreich alte 



•) Vor Freunds Triennium philologicum und seiner 
Schrift: „Wie studiert man klassische Philologie?" kann nur 
gewarnt werden. Übrigens bitte ich, meine Ratschläge nicht 
urteilslos hinzunehmen und zu bedenken, dass sie für einen 
einzelnen Fall einmal garnicht taugen können; betonen möchte 
ich auch, dass es natürlich ausser den von mir genannten 
Büchern auch andere gute und empfehlenswerte gibt. 



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— 5 *— 



Sprachen studieren kann, wenn sie auch heutzutage 
nicht mehr das A und O des Studiums ausmachen. 

Die nächste Frage betrifft dann die Wahl der 
Universität. Es hat sich besonders in den letzten 
Jahrzehnten die nicht genug zu lobende Sitte heraus- 
gebildet, dass der Student im Laufe seiner Studienzeit 
die Universität mindestens einmal wechselt; ein jeder 
sollte von vornherein damit rechnen, dass er auf zwei 
bis drei Universitäten studiert, und sich über deren 
Wahl wenigstens ungefähr schlüssig werden. Dabei 
sollte — was leider oft geschieht — die Erwägung nicht 
mitsprechen, dass Conabiturienten aus Rogasen oder 
Neuss ebenfalls nach Berlin oder München gehen. 
Das Heraustreten aus dem vertrauten engen Kreise 
mag im ersten Augenblick unbequem sein, aber es 
bildet die Voraussetzung für eine gedeihliche geistige 
Entwickelung. Man glaube nicht, das in späteren 
Jahren nachholen zu können; nur wenige bewahren 
sich genug geistige Biegsamkeit, um in reiferen Jahren 
durch eine veränderte Umgebung in ihrem Wesen 
noch verändert zu werden. Genauere Ratschläge zu 
geben ist misslich, aber einige Fingerzeige sollen 
doch nicht fehlen; sie gelten natürlich nur für solche 
die wirklich studieren wollen. Wer die Absicht hat, 
ein Semester oder mehrere zu bummeln, wird auch 
ohne diese Schrift leicht eine für diesen Zweck 
geeignete Stadt ausfindig machen; dem klassischen 
Philologen ist aber zu dergleichen Vorsätzen nicht zu 
raten; denn er muss von Anfang an darauf bedacht 
sein, seine Zeit auszunutzen. Zeit und Gelegenheit 
zur Erholung wird und soll besonders in den ersten 
Semestern auch der finden, der eine Anzahl von Vor- 
lesungen wirklich besucht. Für den Anfang ist ent- 
schieden der Besuch einer kleineren Universität zu 
empfehlen, an der der junge Student womöglich Ge- 



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*» 6 



legenheit hat, sich bei seinen akademischen Lehrern 
über seine Studien Rat zu erholen; wer gleich an 
einer grossen Universität beginnt, gerät sehr leicht in 
die Gefahr, aufs Geratewohl Vorlesungen zu belegen, 
die er vielleicht aus Interesse oder Pflichtgefühl hört, 
die ihm aber den richtigen Einblick in das Wesen 
des philologischen Studiums nicht eröffnen, ohne dass 
ihn irgend jemand auf den richtigen Weg bringt. Er 
fühlt sich dabei unter Umständen ganz wohl und 
hat den Eindruck, sich mannigfache Kenntnisse er- 
worben zu haben, aber wenn es dann gilt, ins Seminar 
einzutreten, so macht er die Entdeckung, dass er 
von vorne anfangen muss. Bei der Auswahl der 
Anfangsuniversität frage man jüngere Oberlehrer 
seines Gymnasiums, nicht alte Herren, die nur zu 
leicht mit Zuständen rechnen, wie sie vor 30 oder 
40 Jahren in X oder Y waren, oder man wende sich 
an ältere Studenten des Faches, denen man ein 
Urteil über andere Dinge als über die Bierverhältnisse 
zutrauen darf. Es ist natürlich nützlich, sich die Vor- 
lesungsverzeichnisse vorher anzusehen, die in den 
„Hochschulnachrichten" (München, Akademischer 
Verlag) abgedruckt werden und in dieser bequemsten 
und billigsten Form auch in den Handel kommen, 
oder die man von den Sekretariaten der einzelnen 
Universitäten beziehen kann; indes lasse man sich 
nicht einseitig durch die Titel der Vorlesungen leiten. 
Nicht der Stoff allein macht die Vorlesung, sondern 
ebenso und mehr der Lehrer, der ihn gestaltet; eine 
grammatische Vorlesung, die man für trocken hält, 
kann in hohem Grade anregend, eine kunstgeschicht- 
liche zum Sterben langweilig sein. Ist man über 
irgend einen Punkt im Zweifel, so wende man sich 
ungescheut an die Dozenten selbst; das ist ein 
Rat, der nicht ausdrücklich genug eingeschärft werden 



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« 1 9» 



kann. Man halte den Professor nicht für ein höheres 
Wesen, das allen rein menschlichen Fragen ab- 
gestorben ist, sondern man setze bei ihm ein lebendiges 
Interesse für das Wohl seiner Zuhörer voraus und 
begebe sich in dieser Voraussetzung gleich nach 
der Ankunft in der Universitätsstadt in seine Sprech- 
stunde, sei es auch nur um sich vorzustellen. 

Hat man einen genügenden Einblick in das Fach 
gewonnen, d. h. keinesfalls vor Ablauf von zwei 
Semestern, so kann man mit Nutzen eine grosse oder 
grössere Universität beziehen, an der man vielleicht 
auf eine nähere Berührung mit Dozenten nicht rechnen 
kann. Bei der Wahl derselben sind die Vorbedingungen 
massgebend: ein richtiger Kleinstädter versäume nicht, 
wenigstens ein Semester in Berlin zuzubringen, und 
der Norddeutsche suche süd- oder westdeutsches Leben 
kennen zu lernen und umgekehrt. Auch hier strebe 
man aber danach, nicht isoliert zu bleiben, sondern 
verkehre wenigstens mit einigen Fachgenossen, wo- 
möglich mit solchen, die andere Hochschulen kennen 
und andere Anregungen von dort mitbringen. Nach 
einigen Semestern muss man sich dann die Frage 
vorlegen, ob es zweckmässig ist, an dieser Universität 
zu bleiben und dort sein Examen (oder seine Examina) 
zu machen oder noch einmal zu wechseln. Das ist 
davon abhängig zu machen, ob man Aussicht hat, 
ordentliches Mitglied des Seminars zu werden, und ob 
das Seminar so eingerichtet ist, dass man eine wesent- 
liche Förderung davon erwarten darf. Ist der Andrang 
zum Seminar so gross, dass man keine oder geringe 
Hoffnung hat, aufgenommen zu werden, oder sitzen 
so viele Teilnehmer darin, dass man zur eigenen Be- 
tätigung nicht kommt, so tut man besser, wieder eine 
kleinere Hochschule aufzusuchen, und zwar dann 
spätestens im 6. Semester, da man zwei bis drei 



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8 » — 



Semester Seminarmitglied bleiben muss. Ich bitte, 
mich nicht misszuverstehen, als ob dieser Studiengang 
der allein mögliche wäre; aber er ist für Leute von 
durchschnittlicher Begabung etwa der normale, und 
es ist für jeden zunächst ganz gut, wenn er von seiner 
Befähigung nicht zu hoch denkt. Der Primus omnium, 
der schon vor Beginn seines Studiums die ordentliche 
Professur sicher zu haben glaubt, hat sich schon oft 
zu einem mittelmässigen Studenten entwickelt.*) 

Eine andere heikle Frage ist die nach dem Ein- 
tritt in studentische Verbindungen. Es ist nur 
zu häufig, dass der Fuchs deshalb in eine Korporation 
einspringt, weil seine Schulgefährten dort aktiv sind, 
oder dass der im kleinen Ort Ankommende von vorn- 
herein von einer Verbindung mit Beschlag belegt 
wird und nolens volens eintritt, ehe er andere 
Korporationen gesehen und einen Begriff vom aka- 
demischen Leben gewonnen hat. Beides ist gründlich 
verfehlt und von manchem bitter bereut worden; die 
Ratschläge, die Polonius dem scheidenden Laertes 
gibt, sind noch immer beherzigenswert. An den 
meisten Universitäten gibt es philologische Vereine, 
in die einzutreten dem, der ernsthaft studieren will, 
jedenfalls nicht schädlich sein wird; doch sei man 
auch hier nicht voreilig und urteile hier wie sonst 
nicht nach Statuten und Prinzipien, sondern nach dem 
Eindruck, den die einzelnen Mitglieder machen. Wer 
in eine recht verbummelte Verbindung hineingerät, 
z. B. in eine kleine farbentragende Verbindung mit 
drei bis fünf Mitgliedern, muss mit einem Verlust 



*) Auch wer die akademische Laufbahn einzuschlagen 
hofft, tut am besten, denselben Studiengang einzuschlagen wie 
die grosse Mehrzahl, d. h. in jedem Falle die Staatsprüfung zu 
bestehen. 



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— « 9 » — 



von mehreren Semestern rechnen und wird oft ganz 
den Anschluss verfehlen. In keinem Falle trete man 
aber in eine Verbindung ein, in der man der einzige 
seines Faches ist; denn die Isolierung ist für den 
klassischen Philologen im allgemeinen ein Verderb. 

Das Studium selbst wird in den meisten Fällen 
auf die Ablegung der Oberlehrerprüfung berechnet 
sein, aber es ist nicht gut, wenn es von vornherein 
„berechnet" ist. Diejenigen Studenten, die sich zu 
Beginn ihrer Studienzeit die Prüfungsordnung kaufen 
und sie bei ihren Studien in erster Linie im Auge 
haben, d. h. gerade nur so viel und gerade das hören 
und arbeiten, was von der Prüfungsordnung gefordert 
wird, leiden nur allzuleicht Schiffbruch, weil sie sich 
wertvollen Anregungen mutwillig verschliessen und 
am Ende eine Summe toter Kenntnisse ohne geistiges 
Band aufzuweisen haben. Eine wirkliche Befriedigung 
wird als Student und später nur der verspüren, der 
die Wissenschaft um ihrer selbst willen treibt und sich 
eine plastische Anschauung vom Altertum erwirbt, 
von der freilich in der Prüfungsordnung nichts steht. 
Der Student wird zunächst häufig nur wissen, dass 
seine Hauptfächer Griechisch und Lateinisch sind, und 
sich über das Nebenfach, das zu einem Oberlehrer- 
zeugnis gehört, erst später schlüssig werden; da ist 
es kein besonderer Schaden, wenn er in den ersten 
Semestern auf diesem oder jenem Gebiet eine an- 
regende Vorlesung hört*) und sich erst dann für das 
eigentliche Examensfach entscheidet. Der Nachdruck 



*) Einstündige Publica Uber allgemein interessante Fragen 
werden besonders reichlich in Berlin gelesen, fehlen aber 
nirgends. Es ist jedoch verfehlt, unterschiedslos alle Vor- 
lesungen dieser Art zu belegen, da das Interesse erfahrungs- 
gemäß selten bis zum Schlüsse anhält. 



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— -» io <*■ 

- 

muss jedenfalls zunächst auf den Hauptfächern liegen. 
Hier waltet nun das eigentümliche Verhältnis ob, dass 
Griechisch und Lateinisch in gewissem Sinne nur ein 
Fach sind, wie sie ja auch ein gemeinsames Seminar 
haben, und nur wer beide Fächer gleichmässig be- 
treibt, kann die welthistorische Bedeutung der antiken 
Kultur voll erfassen. Daher empfiehlt es sich — 
schon aus praktischen Gründen — , beide Fächer 
gleichmässig zu treiben. Mindestens sollte, wer eine 
Lehrbefähigung für obere Klassen im Lateinischen 
erstrebt, die im Griechischen für mittlere Klassen zu 
erlangen suchen, und umgekehrt, obwohl die Prüfungs- 
ordnung es nicht unbedingt vorschreibt. (Dagegen 
ist es wohl angängig, die lateinische oder griechische 
Lehrbefähigung für Mittelklassen allein zu erwerben, 
weil hier eine eigentlich wissenschaftliche Durch- 
bildung doch nicht erreicht wird.) 

In den Vorlesungen pflegt eine feste Abfolge 
nicht innegehalten zu werden, weil die Auswahl der 
möglichen Vorlesungen sehr gross ist und auch ältere 
Dozenten öfters über neue Stoffe lesen; dagegen werden 
unter normalen Verhältnissen die Dozenten der ver- 
wandten Fächer eine Vereinbarung treffen, so dass 
die in einem Semester auf dem Gebiet der Altertums- 
wissenschaft gehaltenen Vorlesungen sich gegenseitig 
ergänzen und eine geschickte Auswahl aus ihren ver- 
schiedenen Zweigen darstellen. Da meistens etwa 
drei Vertreter der klassischen Philologie, ein Archäologe 
und ein Historiker in Betracht kommen, so steht der 
Student vor einer ganzen Reihe von Fachvorlesungen, 
unter denen er zu wählen hat. In keinem Falle belege 
man ohne verständigen Rat; auch hier frage man 
einen jüngeren Lehrer, der womöglich an derselben 
Hochschule dieselben Dozenten gehört hat, oder einen 
älteren Kommilitonen, Man folge aber auch diesem 



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« II 



Rate nicht blindlings, sondern höre die Vorlesung 
mindestens eine Woche mit an, wozu man nach den 
Statuten das Recht hat; wer die Empfindung hat, nicht 
mitzukommen, oder kein Interesse an dem Gebotenen 
finden kann, belege die betreffende Vorlesung lieber 
nicht. Der wichtigste Rat, den man dem Anfanget 
geben kann, ist der, dass er vom ersten Semester an an 
Übungen teilnimmt. Von diesen kommen zwei Arten 
in ersterLinie in Betracht: Stilübungen und Proseminar. 
Die Stilübungen sind seit einer Reihe von Jahren all- 
gemein eingeführt worden, weil das Gymnasium nicht 
mehr dieselbe Fertigkeit im Gebrauche der alten 
Sprachen erreicht wie früher. Der Anfänger versäume 
in keinem Falle, daran regelmässig teilzunehmen, und 
höre nicht eher damit auf, als er sich im Gebrauche 
der lateinischen und griechischen Sprache sicher fühlt, 
denn diese Sicherheit ist die unentbehrliche Voraus- 
setzung für ein gedeihliches Studium. Mancher sieht 
das erst dann ein, wenn er an die Ausarbeitung einer 
Seminararbeit oder Dissertation geht und die ein- 
fachsten Gedanken nicht in verständliches Latein zu 
bringen vermag, oder wenn ihm im Staatsexamen eine 
Übersetzung ins Griechische oder Lateinische als Klau- 
surarbeit auferlegt wird und er nicht einmal den An- 
sprüchen genügen kann, die im Abiturientenexamen 
gestellt werden. Diese Stilübungen werden häufig im 
Proseminar abgehalten, oder die erfolgreiche Teilnahme 
an ihnen bildet die Voraussetzung für die Aufnahme 
ins Proseminar, die dann erst im zweiten oder dritten 
Semester erfolgen kann. Wie das auch immer liegen 
mag, in jedem Falle trete man so früh wie möglich 
ins Proseminar ein und suche von dessen Übungen 
recht viel zu profitieren. Denn hier wird man am 
raschesten und bequemsten in die Wissenschaft ein- 
geführt ; hier lernt man gewisse Handgriffe, die man später 



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immer wieder braucht; hier erfährt man von den 
Fragen, die in der philologischen Wissenschaft be- 
handelt werden, und hier lernt man — last not least — 
die Handbücher und Hilfsmittel kennen, in deren An- 
wendung man sich eine gewisse Sicherheit aneignen 
muss. Hier tritt man endlich in nähere Beziehungen 
zu den Dozenten, die nur hier Gelegenheit haben, die 
verschiedenen Anlagen der einzelnen kennen zu lernen, 
um sie danach bei ihren Studien beraten zu können. 
Meist wird auch von der Teilnahme an diesen Übungen 
die Erlaubnis abhängen, die Seminarbibliothek zu be- 
nutzen; hier zu arbeiten muss sich der Student, dessen 
eigener Bücherbestand meist bescheiden sein wird 
(vgl. S. 23), gewöhnen, und manchmal wird er eine 
müssige Stunde, in der er sich zu angestrengter Arbeit 
nicht aufgelegt fühlt, nützlich dadurch ausfüllen, dass 
er die Bestände der Seminarbibliothek durchmustert. 

Sehr viel schwieriger ist es, über die Auswahl der 
zu hörenden Vorlesungen genaueres zu sagen. Man 
hüte sich vor allem, zu viel zu belegen; in den früheren 
Semestern sollte man nicht mehr als etwa 24 Wochen- 
stunden hören, in den späteren, wenn man durch die 
Teilnahme an Seminarübungen stark beschäftigt ist, 
noch weniger. Es gibt bisweilen Studenten, welche 
die Fähigkeit haben, bis zu 30 Stunden in der Woche 
zu hören, aber dann wird nur ein kleiner Teil des 
Gehörten lebendiges geistiges Eigentum werden. Denn 
man soll nie glauben, dass das blosse, wenn auch noch 
so regelmässige Hören genügt; man muss sich wo- 
möglich auf die Vorlesung vorbereiten, in jedem Falle 
sie nachher durcharbeiten. Hört man eine Interpreta- 
tionsvorlesung, so sollte man etwa in den Ferien vor 
dem Semester die betreffende Schrift durchlesen oder 
jedesmal vor der Vorlesung so viel durchgearbeitet 
haben, dass man ohne Mühe zu folgen vermag; nachher, 



— « 13 <*- 



,z. B. in den nächsten Ferien, kann man im Anschluss 
an die gehörte Vorlesung verwandte Literatur lesen, 
also etwa nach einer Aristophanes- oder Terenzinter- 
pretation die anderen oder einige andere Stücke. 
Wenn bestimmte Vorlesungen durch ihren Titel ver- 
raten, dass sie für Anfänger berechnet sind (z. B. 
„Einführung in die klassische Philologie"), so muss 
man diese natürlich hören; umgekehrt werden andere 
durch ihren Titel verraten, dass sie zu schwer sind, 
und z. B. Pindar, Aischylos und Plautus wird nicht 
jeder im ersten Semester verstehen können; doch werden 
geschickte Dozenten auch solche Vorlesungen für den 
Anlänger geniessbar machen. Auch bei grammatischen 
Vorlesungen wird man gut tun, sich erst durch Hos- 
pitieren zu überzeugen, dass man auch mitkommt. Sonst 
werden systematische Vorlesungen, wie Literatur- 
geschichte, Altertümer, Mythologie meist auch dem 
Anfänger verständlich sein, zumal wenn er seine Nach- 
schrift mit einem guten Handbuche vergleicht. Es 
ist vielfach der Glaube verbreitet, dass derartige Vor- 
lesungen überflüssig seien, eben weil es gute Hand- 
bücher gebe; das wird in manchen Fällen zutreffen, 
in den meisten aber wird der Dozent bemüht sein, 
in seiner Vorlesung eben das zu geben, was in den 
Handbüchern nicht steht, oder es so zu geben, dass 
es dem Hörer von einer anderen Seite erscheint oder 
dass ihm der Gegenstand lebendiger und greifbarer 
wird. Aber es gibt garnicht für alle wichtigen 
Gebiete brauchbare Handbücher, z. B. nicht für die 
Metrik, in der sich eben ein vollständiger Umschlag 
der Anschauungen vollzieht; auch Christs Griechische 
Literaturgeschichte macht eine gute Vorlesung über 
den Gegenstand keineswegs überflüssig; in mytholo- 
gische und religionsgeschichtliche Fragen werden 
sich die meisten auch mit Hilfe guter Bücher (wie es 



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die von Robert, Gruppe, Wissowa sind) nur schwer 
einarbeiten. Ganz falsch ist auch die Meinung, dass nur 
Vorlesungen über Schulschriftsteller eigentlichen Wert 
haben; es kommt nicht auf das an, was man später 
ohne weiteres praktisch verwerten kann oder zu 
können glaubt, sondern auf die Anregung, die man 
mitnimmt.*) 

Wenn der Student etwa drei philologische Vor- 
lesungen und Übungen hört, so behält er daneben 
Zeit, sich auch um die Gebiete zu kümmern, die an 
sich integrierende Teile der Altertumswissenschaft 
sind, in der Praxis aber als Hilfswissenschaften der 
Philologie geführt werden. So muss er einige Vor- 
lesungen aus dem Gebiete der alten Geschichte 
hören und wird gut tun, wenigstens ein Semester lang 
auch Übungen auf diesem Gebiete mitzumachen; dabei 
ist es vorteilhaft, wenn diese Übungen nicht mit der 
Teilnahme am philologischen Seminar zusammenfallen, 
und überhaupt ist die gleichzeitige Beteiligung an 
mehreren Seminaren oder Übungen, die ernsthafte 
Vorbereitung erfordern, auf das dringendste zu wider- 
raten. Ebenso muss der Student archäologische 
Vorlesungen und Übungen hören, auch in dem Falle, 
dass er sein eigentliches Interesse grammatischen 
Fragen zuwendet; denn ganze Epochen des Alter- 
tums werden häufig durch ihre Kunstwerke besser 
und rascher charakterisiert als durch irgend ein anderes 
Erzeugnis; für die alexandrinische Zeit hat das Heibig 
in seinen 'Untersuchungen über die campanische Wand- 



*) Übrigens werden ziemlich Uber alle Schulautoren, die 
sich dafür eignen, Vorlesungen gehalten; hier soll der Student 
beileibe nicht glauben, seinen Horaz, Sophokles oder Demosthenes 
so gut zu kennen, dass ihm eine Vorlesung darüber nicht ganz 
neue Gesichtspunkte eröffnete. 



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maierei' treftlich gezeigt. Auch im Schulunterricht 
wird heute viel Anschauungsmaterial gebraucht, das 
der Student schon auf der Universität kennen lernen 
muss (z. B. Heibig 'Das homerische Epos aus den 
Denkmälern erläutert'). Archäologische Übungen für 
Anfänger, Führungen durch Sammlungen u. dgl. sollten 
sich junge Semester niemals entgehen lassen, zumal in 
solchen Städten, wo die klassische Kunst durch Ori- 
ginalwerke vertreten ist; hier suche man sich auch 
die Kataloge zu verschaffen und besichtige mit ihnen 
selbständig die Sammlungen.*) Namentlich an solchen 
Universitäten werden viele von einem tieferen Inter- 
esse für die antike Kunst erfasst werden und Neigung 
fühlen, diese in den Mittelpunkt ihrer Studien zu 
stellen; an sie wird nach einigen Semestern die Frage 
herantreten, ob sie Philologen oder Archäologen 
werden wollen, und im letzteren Falle wird es ihnen 
nicht immer möglich sein, das philologische Staats- 
examen zu bestehen.**) Darüber ist es nötig, recht- 
zeitig zur Klarheit zu kommen, da eine gewisse Regel- 
mässigkeit des Studienganges auch für alle begabten 
Köpfe durchaus wünschenswert ist. Etwas schwieriger 
ist das Verhältnis zu einem dritten Fache, zur Sprach- 
wissenschaft. Die Grammatik der griechischen und 
lateinischen Sprache ruht heutzutage ganz auf dem 
Fundament, das die vergleichende Sprachforschung 
gelegt hat; der Student muss sich wenigstens mit den 

*) Da, wo keine Originale und nur dürftige Abguss- 
sammlungcn vorhanden sind, können Vorlesungen mit Licht- 
bildern einen nicht zu verachtenden Ersatz bieten. 

**) Wer sich ganz auf das Studium der Archäologie 
wirft, wird gut tun, sich beizeiten die praktischen Konsequenzen 
klar zu machen; auch hier ist dem Studenten eine rechtzeitige 
Aussprache mit seinen akademischen Lehrern aufs dringendste 
zu empfehlen. 



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----- *> i6 * — 



Grundbegriffen dieser Grammatik vertraut machen, 
ohne dass man doch von ihm ein tiefes Eindringen 
in die Sprachvergleichung verlangen kann. An den 
meisten Universitäten werden heute Vorlesungen aus 
diesem Gebiete in einer Form gehalten, die auch für 
den Durchschnittsstudenten verständlich ist, d. h. für 
einen, der weder Sanskrit noch andere indogermanische 
Sprachen versteht, und diese Vorlesungen soll der 
Philologe hören. Ausserdem werden ihm Vorlesungen 
über das Leben der Sprache, „Einleitung in das 
Sprachstudium", oder wie sie sich betiteln mögen, 
von grösstem Nutzen sein; denn es ist eine alte 
Erfahrung, dass der Mensch vom Wesen der Sprache, 
das er scheinbar kennen müsste, herzlich wenig weiss. 
Die wichtigsten Grundbegriffe, wie Lautgesetz, Analogie- 
bildung, Ausgleichung müssen jedem Philologen in 
Fleisch und Blut übergehen.*) Dagegen ist es eine 
andere Frage, ob der Student Sanskrit lernen soll. 
Jedenfalls soll er es tun, wenn er ausgesprochene 
grammatische Interessen hat und begabt genug ist, 
um während eine Reihe von Semestern einen Teil 
seiner Zeit für die Erlernung des Sanskrit aufwenden 
zu können; wer sich aber nur ein oder zwei Semester 
lang mit dieser Sprache nebenher zu beschäftigen, 
gedenkt, der lasse es lieber von vornherein bleiben. 

Ein besonderes Wort erfordert das Studium der 
Philosophie. Eine gründliche Kenntnis der Ent- 

*) Die Lektüre von Delbrücks Einleitung in das 
Sprachstudium ist dem Anfanger sehr anzuraten. Ausserdem 
etwa noch Whitneys 'Leben und Wachstum der Sprache' 
(übersetzt von Jolly); auch Max Müllers Vorlesungen 
über die Sprachwissenschaft bieten viele Anregung. Kein 
höheres Semester sollte sich aber die Mühe verdriessen 
lassen, H. Pauls 'Prinzipien der Sprachgeschichte' gründlich 
durchzuarbeiten. 



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i 7 <* 



wickelung der griechischen Philosophie ist für jeden 
Philologen unerlässlich, da sie im Geistesleben der 
antiken Welt eine beherrschende Rolle spielt und in 
alle Einzelwissenschaften in einer für uns zunächst 
befremdlichen Weise eingreift. Hat man nicht gleich 
Gelegenheit, eine Vorlesung über antike Philosophie 
zu hören, so lese man doch philosophische Texte — 
ausser Piaton z. B. die in v. Wilamowitz' Lesebuch 

■ 

aufgenommenen — und Ritter-Prellers Historia philor 
sophiae graecae sowie Windelbands ausgezeichneten 
Leitfaden (J. Müllers Handbuch V i); später wird man 
Diels' Vorsokratiker und wenigstens die ersten Bände 
von Zellers monumentalem Werke über die Philosophie 
der Griechen mit Nutzen durcharbeiten. Aber zum 
wirklichen Verständnis der philosophischen Probleme 
ist eine Bekanntschaft mit der neueren Philosophie 
notwendig, und gerade der klassische Philologe, dessen 
gesamtes Wissen ein lebendiges Ganzes sein soll, muss 
sich bemühen, auch hier in die Tiefe zu gehen, und 
sich nicht damit begnügen, einige Wochen vor dem 
Examen nach einem schalen Kompendium zu greifen. 
Und das gilt überhaupt: je breiter man die Grundlagen 
in der Jugend legt, desto mehr Freude wird man später 
an seinem Beruf haben, welcher es auch immer sein 
mag; auch beim ernsthaftesten Fachstudium muss man 
daher Zeit finden, sich mit der Literatur des eigenen 
Volkes, mit neuerer Kunstgeschichte und anderen 
Dingen zu beschäftigen, welche für das Verständnis der 
modernen Kultur unerlässlich sind. Der ist vielleicht 
der Glücklichste, der Goethes Wort nachsprechen kann : 
„Wie glücklich mich meine Art, die Welt anzusehen, 
macht, ist unsäglich, und was ich täglich lerne und 
wie doch mir fast keine Existenz ein Rätsel ist!" 

Auch der junge Student wird neben den Vor- 
lesungen und der Vorbereitung auf sie schon eigene 



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— « i8 * 



Studien treiben, und 2war in erster Linie Lektüre 
antiker Schriftsteller. Es ist vorteilhaft, wenn er mit 
einigen Kommilitonen ein Lesekränzchen einrichten 
kann; der Zwang, bestimmte Stunden inne zu halten, 
ist sehr wohltätig, und man macht sich gegenseitig 
auf Schwierigkeiten aufmerksam, die man übersieht, 
wenn man sich selbst überlassen ist. Man wird dabei 
am besten solche Schriftsteller wählen, zu denen gute 
Kommentare vorliegen: zuerst etwa Sophokles und 
Euripides mit Brünns, Aristophanes mit Kocks, Horaz 
mit Kiesslings, Terenz mit Spengels, Haulers, Kauers 
Anmerkungen. Hat man sich erst eingelesen, so wird 
man viele Texte auch ohne Anmerkungen mit Nutzen 
lesen können ; es ist von grossem Wert, dass man durch 
vieles Lesen Texte von mittlerer Schwierigkeit rasch 
zu bewältigen lernt. Sehr zu empfehlen ist die Durch- 
arbeitung von v. Wilamowitz' Griechischem Lesebuch, 
das zwar zunächst für die oberen Gymnasialklassen 
bestimmt ist, aber auch dem angehenden Studenten 
gute Dienste leisten wird; dann später Euripides' He- 
rakles mit v. Wilamowitz', Sophokles' Elektra mit Kai- 
bels, Lucrez III mit Heinzes, Aeneis VI mit Nordens 
Kommentar.*) Bei anderen Texten wird der Anfänger 
gute Übersetzungen neben dem Original zu Rate ziehen; 
dazu gehören von Wilamowitz' Griechische Tragödien, 
(für ältere Semester Aristoteles' Metaphysik von Kö- 
nitz), Droysens Aristophanes, Bardts Römische Komö- 
dien und Horaz, Heyses Catull; auch Blümners Satura 
(Horaz, Juvenal, Persius) kommt bei vorsichtiger Be- 
nutzung in Betracht. Doch ist es verkehrt, zu glauben, 

*) Ich nenne lerner noch Piaton von Sauppc und Gercke. 
die Apologie von Schanz, Plautus von Brix und Lorenz, Tacitus 
von Nipperdey, Ovid von Ehwald. Juvenal und Petronius von 
Friedländer; Thukydides von Classen und Cicero de offieiis von 
Müller mi» ausgezeichneter Erläuterung des Sprachlichen. 



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— •» iq so- 



dass man irgend einen antiken Autor aus der Über- 
setzung allein zur Genüge kennen lernen kann; daher 
lese man womöglich zuerst das ganze Original und 
dann erst die Übertragung. Auch moderne philolo- 
gische Arbeiten kann er bereits lesen, vielleicht nicht 
gleich Spezialuntersuchungen, sondern darstellende 
Werke, die zur Anregung und Einführung geeignet 
sind: Mommsens Römische Geschichte, Rohdes 'Psyche' 
(später dann seinen 'Griechischen Roman'), Dieterichs 
'Mutter Erde', die leichteren Abschnitte aus v. Wila- 
mowitz' Arbeiten, Hatchs Griechentum und Christen- 
tum, Roberts Bild und Lied, Ribbecks Römische 
Dichtung, Friedländers Sittengeschichte, Lehrs' Populäre 
Aufsätze — eine Liste, die man leicht vermehren kann.*) 
Auch hier werden wenigstens jüngere Dozenten und 
Seminaristen gern bereit sein, gute Ratschläge zu 
geben. 

Nach einigen Semestern sollte man aulhören, 
lediglich receptiv zu bleiben. Schon im Proseminar 
empfiehlt es sich, kleine Arbeiten zu machen, zu 
denen man sich die Themen immer von Dozenten 
geben lasse; dabei achte man zunächst darauf, dass 
man seine Gedanken zur Klarheit bringt und sie in 
korrektem, verständlichem Latein ausdrückt; wirklich 
eigene Beobachtungen zu machen, wird auf dieser 
ersten Stufe nur wenigen gelingen, am ehesten noch 
auf dem sprachlich-kritischen Gebiete; daher empfiehlt 
es sich im allgemeinen, ein Erstlingsthema aus diesem 
zu erwählen und erst später schwierigere Fragen, z. B. 
aus der Literaturgeschichte zu bearbeiten. Fühlt man 
sich reif genug und raten die Dozenten zu, so wage 



*) Auch Biographien von Philologen sind zu empfehlen: 
Kekules Welt kor. Ribbecks Ritschi. Helgers M. Haupt, Curtius. 
Ein Lebensbild in Brieten', Crusius' E. Rohde usw. 



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« 20 <* — 



man sich an die Bewerbung um die Aufnahme ins 
Seminar, im günstigsten Falle nach drei, im Durchschnitt 
nach vier bis fünf Semestern; auch hierzu lasse man 
sich das Thema von einem Dozenten geben, etwa von 
dem, unter dessen Leitung man zuletzt im Proseminar 
gearbeitet hat. Ein erster Misserfolg darf hier nicht 
abschrecken; denn oft ist die Zahl der Bewerber viel 
grösser als die der freiwerdenden Plätze (die Zahl 
der Mitglieder pflegt auf 12 beschränkt zu sein), und 
die Arbeiten können dann nur nach ihrem relativen 
Werte abgeschätzt werden; im folgenden Semester 
glückt es besser, und man hält seinen Einzug ins 
Seminar. Über dieses hat es keinen Zweck, viele 
Worte zu machen, da der Student hier unter der un- 
mittelbaren Leitung des Dozenten arbeitet und von 
diesem seine Anweisungen erhält; doch mögen einige 
Bemerkungen hier stehen. Man unterlasse es nie, 
sich auf den Abschnitt, der interpretiert werden soll, 
vorzubereiten, weil nur so eine erspriessliche Debatte 
zustande kommt; man greife aber auch immer ein, 
wenn man etwas Förderliches sagen zu können glaubt, 
und lasse sich nicht durch Schüchternheit abhalten 
oder durch das erste Gegenargument verblüffen. Auch 
wenn Arbeiten besprochen werden, orientiere man 
sich vorher über die strittige Frage. Namentlich 
aber ist es Aufgabe des Rezensenten, seine Besprechung 
so einzurichten, dass jedes anwesende Mitglied über 
den Stand des Problemes orientiert ist und allen 
Einzelheiten zu folgen vermag; das ist nicht immer 
leicht, aber es ist eine ausgezeichnete Vorbereitung 
für den künftigen Lehrer. Die Themata für die 
Seminararbeiten lasse man sich — falls man nicht 
selbst auf ein geeignetes Thema verfällt — schon am 
Schlüsse des vorhergehenden Semesters geben, damit 
man die Arbeit oder doch die wichtigsten Vorarbeiten 



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21 «- 



dazu in den Ferien erledigen kann; denn je älter 
man wird, desto mehr muss man darauf bedacht sein, 
auch die so reichlich bemessenen Ferien durch ver- 
ständige Arbeit auszunutzen. Schon in jungen 
Semestern soll man sie zum Nacharbeiten der Vor- 
lesungen und zur Schriftstellerlekttire verwerten; 
später muss man darauf bedacht sein, in ihnen die 
Lücken seiner wissenschaftlichen Bildung auszufüllen 
und sich für das Seminar oder gar fürs Examen vor- 
zubereiten. Ist man in der Heimat zu sehr an der 
Arbeit behindert — ein recht häufiger Fall — so 
kehre man vor Semesteranfang nach der Universitäts- 
stadt zurück, wo es dann leer und still ist und sich 
reiche Gelegenheit zu förderlicher Arbeit bietet. Meist 
wird es vorteilhaft sein, wenn man seine Bewerbungs- 
arbeit nicht erst vor Toresschi uss abgibt, sondern 
einige Tage vorher. 

Wer seine Studienzeit und namentlich die Seminar- 
semester gut ausgenutzt hat, für den wird das Kxamen 
nur geringe Schrecknisse besitzen. Eben deshalb soll 
der Anfänger nicht mit dem Studium der Prüfungs- 
ordnung beginnen (vgl. S. 9), sondern nach einem 
Überblick über seine Wissenschaft und einer Ver- 
trautheit mit ihren Methoden streben, die ihn zu einer 
erspriesslichen Beteiligung an den Seminarübungen 
befähigen. 

Ich habe bisher nicht von der Doktorpromotion 
gesprochen, die vielen auch als Ziel vor Augen 
schwebt, sei es als das einzige, sei es als ein zweites 
neben der Staatsprüfung; obligatorisch ist sie aber nur 
für den, der sich später habilitieren oder zur Bibliothek 
übergehen will. Aber auch von denen, welche den 
eigentlichen Abschluss ihrer Studien in der Staats- 
prüfung sehen, pflegen nicht wenige zu promovieren, 
leider nicht immer aus wirklichem Interesse für die 



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22 



Wissenschaft. Denn manchem liegt nur an dem Doktor- 
titel, der namentlich während der leidigen Hilfslehrer- 
zeit sehr angenehm ist; andere wieder glauben — mit 
Unrecht — sich das Staatsexamen zu erleichtern, wenn 
sie vorher promovieren, weil ihnen dann die Disser- 
tation als Examensarbeit angerechnet zu werden pflegt. 
Wenn der Dozent diese Motive durchschaut, so wird 
er hoffentlich nicht auf die Bitte eingehen, ein Thema 
zu stellen; ganz verhindern aber lässt sich der Miss- 
brauch nicht. Eigentlich aber sollte jeder von einer 
solchen Begeisterung für seine Wissenschaft durch- 
drungen sein, dass er an einem Punkte mit eigener 
Arbeit einzusetzen wünscht; selbst wenn er nur ein 
kleines Eeld beackern kann, so hat er doch gelernt, 
ein Problem anzufassen und sich geistig zu kon- 
zentrieren; und das ist ein bleibender geistiger 
Gewinn. In keinem Falle lasse man sich zu früh 
ein Dissertationsthema geben, d. h. nicht vor Ende 
des fünften Semesters; denn die allgemeine wissen- 
schaftliche und menschliche Ausbildung wird oft ver- 
nachlässigt, wenn man sich zu früh auf ein eng be- 
grenztes Gebiet konzentriert hat. Ich spreche von 
geben lassen, weil ich das für den normalen Verlauf 
halte ; denn auch wenn der Student etwa durch seine 
Tätigkeit im Seminar von selbst auf ein Thema ver- 
fällt, so wird er es doch mit seinem Lehrer besprechen 
und dieser in der Lage sein, ihm die wichtigsten 
Fingerzeige zu geben. In keinem Falle lasse man 
sich auf eine Arbeit ein, in der man nicht wirkliche 
Befriedigung empfindet und mit der man selbst nicht 
glaubt, der Wissenschaft einen Dienst zu leisten; von 
stumpfsinnigen Zusammenstellungen, wie sie früher 
vielfach als Dissertation galten und in anderen Fächern 
vereinzelt noch heute gelten, hat man keinen wahren, 
d. h. keinen geistigen Vorteil. Eine geschickt ge- 



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wählte Arbeit dagegen führt in ein Gebiet der Wissen- 
schaft am besten ein, und die Anregung, die sie 
gewährt, hält oft für das ganze Leben vor; aber auch 
die Vielen, die später nicht mehr Müsse zur wissen- 
schaftlichen Arbeit finden, haben davon dauernden 
Gewinn, dass sie einmal im Dienste der Wissenschaft 
die Wahrheit um ihrer selbst willen gesucht haben. 
Demgegenüber will die Verlängerung des Studiums, 
welche durch die Promotion bewirkt wird, wenig 
besagen; denn darüber muss man sich vorher klar 
sein, dass der klassische Philologe bis Promotion und 
Staatsexamen neun Semester zu brauchen pflegt. Aber 
von einer unnötigen Verlängerung des Studiums muss 
ich entschieden abraten; solche, die nach dem achten 
Semester keine Vorlesungen mehr hören, sondern sich 
zu Hause jahrelang „systematisch" auf die Prüfung vor- 
bereiten, verlieren meist den lebendigen Zusammen- 
hang mit der Universität, sind gründlich 'verochst' 
und schneiden beim Examen schlecht ab. 

Ich habe noch ein Wort über die Anschaffung 
von Büchern hinzuzufügen. Man darf es offen aus- 
sprechen, dass die Studierenden der Philologie nicht 
bemittelt zu sein pflegen; dadurch ist für die meisten 
die Möglichkeit ausgeschlossen, sich eine Bibliothek 
anzulegen, die diesen Namen verdient. Aber auch 
der Ärmste sollte nicht unterlassen, sich das not- 
wendigste Handwerkszeug anzuschaffen, also vor allem 
billige Texte und ausreichende Lexika, in zweiter 
Linie die wichtigsten Handbücher.*) Es ist ein 

*) Die meisten der in J. Müllers Handbuch erschienenen 
Bände können empfohlen werden ; das in Vorbereitung befindliche 
Handbuch, welches Gercke und Norden herausgeben, wird 
aber schon wegen seiner Knappheit vorzuziehen sein. Der 
Sammelband 'Die Altertumswissenschaft im letzten Vierteljahr- 
hundert' (Bursians Jahresbericht Bd. 124) bietet eine bequeme 



trauriges und unzulängliches Arbeiten, wenn man 
wegen jedes Wortes, das in dem alten abgegriffenen 
Schullexikon nicht steht, oder wegen jedes Citates 
nach der Seminar- oder Universitätsbibliothek gehen 
muss. Aber auch darüber hinaus sollte der Student 
darauf bedacht sein, sich einige Texte und Standard- 
works anzuschaffen, damit die Wände seines Zimmers 
ihn nicht leer angähnen und damit er auch dann 
nicht von der Arbeit abgeschnitten ist, wenn er nicht 
in einer Bibliotheksstadt lebt und sich nur mühsam 
Bücher anschaffen kann. 

Es Hesse sich noch manches über den Gegen- 
stand sagen, aber es ist vielleicht richtiger, die 
wichtigsten Ratschläge noch einmal kurz zusammen- 
zufassen. 

Erstens: Der klassische Philologe bedarf dringend 
erfahrenen Rates und findet diesen am besten bei 
seinen akademischen Lehrern. 

Zweitens: Die Altertumswissenschaft besteht nicht 
aus einer begrenzten Summe von Antworten auf 
typische Examensfragen, sondern sie strebt nach dem 
Verständnis der geschlossensten und zugleich reichsten 
Kultur, welche die Weltgeschichte gesehen hat. Wer 
dieses Ziel fest im Auge behält, wird nie ganz in die 
Irre gehen. 

Übersicht Uber die wichtigsten Fortschritte unserer Wissen- 
schaft in neuester Zeit. Ausserdem etwa die Griechische Mythologie 
von Preller-Robert, die Griechischen Altertümer von Schoemann- 
Lipsius, G. Meyers oder Hirts Griechische und Lindsays oder 
Sommers Lateinische Grammatik. 



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