Studiu
der
lassischen
Philologie
Wilhelm Kroll
Jjarbarti (£ollrge Itörarj
FROM THE
CONSTANTIUS FUND
Establishcd by Professor E. A. Sophocles of Harvard
University for "tlie purchase of Greek and Latin
books (the ancient classics), or of Arabic
books, or of books illustrating orex-
plaining such Greek, I^ilin, or
Arabic books."
Das Studium
der klassischen Philologie
Ratschläge für angehende Philologen
Wilhelm Kroll
ord. Prof. an der Universität Münster
Zweite vermehrte Auflage
Greifswald
Druck und Verlag von Julius Abel
1906
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Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
Kin Werdender wird immer dankbar sein.
Das Studium der klassischen Philologie gilt im
allgemeinen für schwer, und das nicht ohne Be-
rechtigung. Denn, wie schon der Name 'Altertums-
wissenschaft' zeigt, muss es das Ziel des Philologen
sein, eine lebendige Auffassung vom Altertum zu
gewinnen, d. h. er kann sich nicht damit begnügen,
Sprache und Literatur der Alten kennen zu lernen,
sondern muss ihre gesamte Kultur zu erfassen suchen.
Das ist eine hohe Aufgabe, deren Lösung zwar eine
grosse innere Befriedigung verschafft, aber auch mit nicht
geringen Schwierigkeiten verknüpft ist; und manchem
mag es leichter und lohnender erscheinen, sich eine
gute Kenntnis der modernen Sprachen anzueignen,
auf die beim Studium der neueren Philologie jetzt
vielfach der Hauptnachdruck gelegt wird. Man darf
auch wohl sagen, dass die Anforderungen, die im
Examen gestellt werden, an den meisten Universitäten
nicht niedrig sind; trotzdem fehlt es an einem Studien-
plan, wie ihn andere Fächer besitzen, und die Vor-
lesungen sind zum grossen Teil nicht darauf zu-
geschnitten, Examenskenntnisse zu vermitteln, sondern
« 4 * —
Anregungen zu geben und in den Stand der Probleme
einzuführen. Diese und andere Umstände lassen es
als wünschenswert erscheinen, einige praktische Rat-
schläge für das Studium der klassischen Philologie
kurz zusammenzufassen, zumal es ein recht brauch-
bares Buch dieser Art meines Wissens nicht gibt.*)
Der Abiturient, der für die klassischen Studien
Neigung hat, nehme vor dem endgültigen Entschluss
eine ernste Selbstprüfung mit sich vor. Er mache
sich klar, dass das Altertum zwar immer noch ein
wichtiges Ferment unserer Kultur, aber doch nicht
mehr das wichtigste ist, und dass es zu den die Herzen
der Menge bewegenden Fragen nur in sehr lockeren
Beziehungen steht. Nur wer Liebe und Begeisterung
für die Sache hat, wird darin eine Entschädigung für
wirkliche oder vermeintliche Vorteile finden, die ihm
entgehen. Vor allem sollte niemand ohne inneren
Beruf dieses Studium ergreifen, bloss weil es gerade
im Augenblick für aussichtsvoll gilt; Studenten dieser
Art erreichen ihr Ziel immer noch besser, wenn sie
sich anderen Fächern zuwenden. Sodann lege sich
ein jeder die Frage vor, ob er ausser der allgemeinen
Begeisterung für das Altertum Fleiss und Ausdauer
genug besitzt, um allerlei Dinge zu treiben, die viel-
leicht nicht sehr reizvoll, aber für eine solide Grund-
lage unentbehrlich sind; z. B. grammatische und
kritische Arbeiten, ohne die niemand erfolgreich alte
•) Vor Freunds Triennium philologicum und seiner
Schrift: „Wie studiert man klassische Philologie?" kann nur
gewarnt werden. Übrigens bitte ich, meine Ratschläge nicht
urteilslos hinzunehmen und zu bedenken, dass sie für einen
einzelnen Fall einmal garnicht taugen können; betonen möchte
ich auch, dass es natürlich ausser den von mir genannten
Büchern auch andere gute und empfehlenswerte gibt.
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— 5 *—
Sprachen studieren kann, wenn sie auch heutzutage
nicht mehr das A und O des Studiums ausmachen.
Die nächste Frage betrifft dann die Wahl der
Universität. Es hat sich besonders in den letzten
Jahrzehnten die nicht genug zu lobende Sitte heraus-
gebildet, dass der Student im Laufe seiner Studienzeit
die Universität mindestens einmal wechselt; ein jeder
sollte von vornherein damit rechnen, dass er auf zwei
bis drei Universitäten studiert, und sich über deren
Wahl wenigstens ungefähr schlüssig werden. Dabei
sollte — was leider oft geschieht — die Erwägung nicht
mitsprechen, dass Conabiturienten aus Rogasen oder
Neuss ebenfalls nach Berlin oder München gehen.
Das Heraustreten aus dem vertrauten engen Kreise
mag im ersten Augenblick unbequem sein, aber es
bildet die Voraussetzung für eine gedeihliche geistige
Entwickelung. Man glaube nicht, das in späteren
Jahren nachholen zu können; nur wenige bewahren
sich genug geistige Biegsamkeit, um in reiferen Jahren
durch eine veränderte Umgebung in ihrem Wesen
noch verändert zu werden. Genauere Ratschläge zu
geben ist misslich, aber einige Fingerzeige sollen
doch nicht fehlen; sie gelten natürlich nur für solche
die wirklich studieren wollen. Wer die Absicht hat,
ein Semester oder mehrere zu bummeln, wird auch
ohne diese Schrift leicht eine für diesen Zweck
geeignete Stadt ausfindig machen; dem klassischen
Philologen ist aber zu dergleichen Vorsätzen nicht zu
raten; denn er muss von Anfang an darauf bedacht
sein, seine Zeit auszunutzen. Zeit und Gelegenheit
zur Erholung wird und soll besonders in den ersten
Semestern auch der finden, der eine Anzahl von Vor-
lesungen wirklich besucht. Für den Anfang ist ent-
schieden der Besuch einer kleineren Universität zu
empfehlen, an der der junge Student womöglich Ge-
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*» 6
legenheit hat, sich bei seinen akademischen Lehrern
über seine Studien Rat zu erholen; wer gleich an
einer grossen Universität beginnt, gerät sehr leicht in
die Gefahr, aufs Geratewohl Vorlesungen zu belegen,
die er vielleicht aus Interesse oder Pflichtgefühl hört,
die ihm aber den richtigen Einblick in das Wesen
des philologischen Studiums nicht eröffnen, ohne dass
ihn irgend jemand auf den richtigen Weg bringt. Er
fühlt sich dabei unter Umständen ganz wohl und
hat den Eindruck, sich mannigfache Kenntnisse er-
worben zu haben, aber wenn es dann gilt, ins Seminar
einzutreten, so macht er die Entdeckung, dass er
von vorne anfangen muss. Bei der Auswahl der
Anfangsuniversität frage man jüngere Oberlehrer
seines Gymnasiums, nicht alte Herren, die nur zu
leicht mit Zuständen rechnen, wie sie vor 30 oder
40 Jahren in X oder Y waren, oder man wende sich
an ältere Studenten des Faches, denen man ein
Urteil über andere Dinge als über die Bierverhältnisse
zutrauen darf. Es ist natürlich nützlich, sich die Vor-
lesungsverzeichnisse vorher anzusehen, die in den
„Hochschulnachrichten" (München, Akademischer
Verlag) abgedruckt werden und in dieser bequemsten
und billigsten Form auch in den Handel kommen,
oder die man von den Sekretariaten der einzelnen
Universitäten beziehen kann; indes lasse man sich
nicht einseitig durch die Titel der Vorlesungen leiten.
Nicht der Stoff allein macht die Vorlesung, sondern
ebenso und mehr der Lehrer, der ihn gestaltet; eine
grammatische Vorlesung, die man für trocken hält,
kann in hohem Grade anregend, eine kunstgeschicht-
liche zum Sterben langweilig sein. Ist man über
irgend einen Punkt im Zweifel, so wende man sich
ungescheut an die Dozenten selbst; das ist ein
Rat, der nicht ausdrücklich genug eingeschärft werden
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kann. Man halte den Professor nicht für ein höheres
Wesen, das allen rein menschlichen Fragen ab-
gestorben ist, sondern man setze bei ihm ein lebendiges
Interesse für das Wohl seiner Zuhörer voraus und
begebe sich in dieser Voraussetzung gleich nach
der Ankunft in der Universitätsstadt in seine Sprech-
stunde, sei es auch nur um sich vorzustellen.
Hat man einen genügenden Einblick in das Fach
gewonnen, d. h. keinesfalls vor Ablauf von zwei
Semestern, so kann man mit Nutzen eine grosse oder
grössere Universität beziehen, an der man vielleicht
auf eine nähere Berührung mit Dozenten nicht rechnen
kann. Bei der Wahl derselben sind die Vorbedingungen
massgebend: ein richtiger Kleinstädter versäume nicht,
wenigstens ein Semester in Berlin zuzubringen, und
der Norddeutsche suche süd- oder westdeutsches Leben
kennen zu lernen und umgekehrt. Auch hier strebe
man aber danach, nicht isoliert zu bleiben, sondern
verkehre wenigstens mit einigen Fachgenossen, wo-
möglich mit solchen, die andere Hochschulen kennen
und andere Anregungen von dort mitbringen. Nach
einigen Semestern muss man sich dann die Frage
vorlegen, ob es zweckmässig ist, an dieser Universität
zu bleiben und dort sein Examen (oder seine Examina)
zu machen oder noch einmal zu wechseln. Das ist
davon abhängig zu machen, ob man Aussicht hat,
ordentliches Mitglied des Seminars zu werden, und ob
das Seminar so eingerichtet ist, dass man eine wesent-
liche Förderung davon erwarten darf. Ist der Andrang
zum Seminar so gross, dass man keine oder geringe
Hoffnung hat, aufgenommen zu werden, oder sitzen
so viele Teilnehmer darin, dass man zur eigenen Be-
tätigung nicht kommt, so tut man besser, wieder eine
kleinere Hochschule aufzusuchen, und zwar dann
spätestens im 6. Semester, da man zwei bis drei
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8 » —
Semester Seminarmitglied bleiben muss. Ich bitte,
mich nicht misszuverstehen, als ob dieser Studiengang
der allein mögliche wäre; aber er ist für Leute von
durchschnittlicher Begabung etwa der normale, und
es ist für jeden zunächst ganz gut, wenn er von seiner
Befähigung nicht zu hoch denkt. Der Primus omnium,
der schon vor Beginn seines Studiums die ordentliche
Professur sicher zu haben glaubt, hat sich schon oft
zu einem mittelmässigen Studenten entwickelt.*)
Eine andere heikle Frage ist die nach dem Ein-
tritt in studentische Verbindungen. Es ist nur
zu häufig, dass der Fuchs deshalb in eine Korporation
einspringt, weil seine Schulgefährten dort aktiv sind,
oder dass der im kleinen Ort Ankommende von vorn-
herein von einer Verbindung mit Beschlag belegt
wird und nolens volens eintritt, ehe er andere
Korporationen gesehen und einen Begriff vom aka-
demischen Leben gewonnen hat. Beides ist gründlich
verfehlt und von manchem bitter bereut worden; die
Ratschläge, die Polonius dem scheidenden Laertes
gibt, sind noch immer beherzigenswert. An den
meisten Universitäten gibt es philologische Vereine,
in die einzutreten dem, der ernsthaft studieren will,
jedenfalls nicht schädlich sein wird; doch sei man
auch hier nicht voreilig und urteile hier wie sonst
nicht nach Statuten und Prinzipien, sondern nach dem
Eindruck, den die einzelnen Mitglieder machen. Wer
in eine recht verbummelte Verbindung hineingerät,
z. B. in eine kleine farbentragende Verbindung mit
drei bis fünf Mitgliedern, muss mit einem Verlust
*) Auch wer die akademische Laufbahn einzuschlagen
hofft, tut am besten, denselben Studiengang einzuschlagen wie
die grosse Mehrzahl, d. h. in jedem Falle die Staatsprüfung zu
bestehen.
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von mehreren Semestern rechnen und wird oft ganz
den Anschluss verfehlen. In keinem Falle trete man
aber in eine Verbindung ein, in der man der einzige
seines Faches ist; denn die Isolierung ist für den
klassischen Philologen im allgemeinen ein Verderb.
Das Studium selbst wird in den meisten Fällen
auf die Ablegung der Oberlehrerprüfung berechnet
sein, aber es ist nicht gut, wenn es von vornherein
„berechnet" ist. Diejenigen Studenten, die sich zu
Beginn ihrer Studienzeit die Prüfungsordnung kaufen
und sie bei ihren Studien in erster Linie im Auge
haben, d. h. gerade nur so viel und gerade das hören
und arbeiten, was von der Prüfungsordnung gefordert
wird, leiden nur allzuleicht Schiffbruch, weil sie sich
wertvollen Anregungen mutwillig verschliessen und
am Ende eine Summe toter Kenntnisse ohne geistiges
Band aufzuweisen haben. Eine wirkliche Befriedigung
wird als Student und später nur der verspüren, der
die Wissenschaft um ihrer selbst willen treibt und sich
eine plastische Anschauung vom Altertum erwirbt,
von der freilich in der Prüfungsordnung nichts steht.
Der Student wird zunächst häufig nur wissen, dass
seine Hauptfächer Griechisch und Lateinisch sind, und
sich über das Nebenfach, das zu einem Oberlehrer-
zeugnis gehört, erst später schlüssig werden; da ist
es kein besonderer Schaden, wenn er in den ersten
Semestern auf diesem oder jenem Gebiet eine an-
regende Vorlesung hört*) und sich erst dann für das
eigentliche Examensfach entscheidet. Der Nachdruck
*) Einstündige Publica Uber allgemein interessante Fragen
werden besonders reichlich in Berlin gelesen, fehlen aber
nirgends. Es ist jedoch verfehlt, unterschiedslos alle Vor-
lesungen dieser Art zu belegen, da das Interesse erfahrungs-
gemäß selten bis zum Schlüsse anhält.
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muss jedenfalls zunächst auf den Hauptfächern liegen.
Hier waltet nun das eigentümliche Verhältnis ob, dass
Griechisch und Lateinisch in gewissem Sinne nur ein
Fach sind, wie sie ja auch ein gemeinsames Seminar
haben, und nur wer beide Fächer gleichmässig be-
treibt, kann die welthistorische Bedeutung der antiken
Kultur voll erfassen. Daher empfiehlt es sich —
schon aus praktischen Gründen — , beide Fächer
gleichmässig zu treiben. Mindestens sollte, wer eine
Lehrbefähigung für obere Klassen im Lateinischen
erstrebt, die im Griechischen für mittlere Klassen zu
erlangen suchen, und umgekehrt, obwohl die Prüfungs-
ordnung es nicht unbedingt vorschreibt. (Dagegen
ist es wohl angängig, die lateinische oder griechische
Lehrbefähigung für Mittelklassen allein zu erwerben,
weil hier eine eigentlich wissenschaftliche Durch-
bildung doch nicht erreicht wird.)
In den Vorlesungen pflegt eine feste Abfolge
nicht innegehalten zu werden, weil die Auswahl der
möglichen Vorlesungen sehr gross ist und auch ältere
Dozenten öfters über neue Stoffe lesen; dagegen werden
unter normalen Verhältnissen die Dozenten der ver-
wandten Fächer eine Vereinbarung treffen, so dass
die in einem Semester auf dem Gebiet der Altertums-
wissenschaft gehaltenen Vorlesungen sich gegenseitig
ergänzen und eine geschickte Auswahl aus ihren ver-
schiedenen Zweigen darstellen. Da meistens etwa
drei Vertreter der klassischen Philologie, ein Archäologe
und ein Historiker in Betracht kommen, so steht der
Student vor einer ganzen Reihe von Fachvorlesungen,
unter denen er zu wählen hat. In keinem Falle belege
man ohne verständigen Rat; auch hier frage man
einen jüngeren Lehrer, der womöglich an derselben
Hochschule dieselben Dozenten gehört hat, oder einen
älteren Kommilitonen, Man folge aber auch diesem
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« II
Rate nicht blindlings, sondern höre die Vorlesung
mindestens eine Woche mit an, wozu man nach den
Statuten das Recht hat; wer die Empfindung hat, nicht
mitzukommen, oder kein Interesse an dem Gebotenen
finden kann, belege die betreffende Vorlesung lieber
nicht. Der wichtigste Rat, den man dem Anfanget
geben kann, ist der, dass er vom ersten Semester an an
Übungen teilnimmt. Von diesen kommen zwei Arten
in ersterLinie in Betracht: Stilübungen und Proseminar.
Die Stilübungen sind seit einer Reihe von Jahren all-
gemein eingeführt worden, weil das Gymnasium nicht
mehr dieselbe Fertigkeit im Gebrauche der alten
Sprachen erreicht wie früher. Der Anfänger versäume
in keinem Falle, daran regelmässig teilzunehmen, und
höre nicht eher damit auf, als er sich im Gebrauche
der lateinischen und griechischen Sprache sicher fühlt,
denn diese Sicherheit ist die unentbehrliche Voraus-
setzung für ein gedeihliches Studium. Mancher sieht
das erst dann ein, wenn er an die Ausarbeitung einer
Seminararbeit oder Dissertation geht und die ein-
fachsten Gedanken nicht in verständliches Latein zu
bringen vermag, oder wenn ihm im Staatsexamen eine
Übersetzung ins Griechische oder Lateinische als Klau-
surarbeit auferlegt wird und er nicht einmal den An-
sprüchen genügen kann, die im Abiturientenexamen
gestellt werden. Diese Stilübungen werden häufig im
Proseminar abgehalten, oder die erfolgreiche Teilnahme
an ihnen bildet die Voraussetzung für die Aufnahme
ins Proseminar, die dann erst im zweiten oder dritten
Semester erfolgen kann. Wie das auch immer liegen
mag, in jedem Falle trete man so früh wie möglich
ins Proseminar ein und suche von dessen Übungen
recht viel zu profitieren. Denn hier wird man am
raschesten und bequemsten in die Wissenschaft ein-
geführt ; hier lernt man gewisse Handgriffe, die man später
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immer wieder braucht; hier erfährt man von den
Fragen, die in der philologischen Wissenschaft be-
handelt werden, und hier lernt man — last not least —
die Handbücher und Hilfsmittel kennen, in deren An-
wendung man sich eine gewisse Sicherheit aneignen
muss. Hier tritt man endlich in nähere Beziehungen
zu den Dozenten, die nur hier Gelegenheit haben, die
verschiedenen Anlagen der einzelnen kennen zu lernen,
um sie danach bei ihren Studien beraten zu können.
Meist wird auch von der Teilnahme an diesen Übungen
die Erlaubnis abhängen, die Seminarbibliothek zu be-
nutzen; hier zu arbeiten muss sich der Student, dessen
eigener Bücherbestand meist bescheiden sein wird
(vgl. S. 23), gewöhnen, und manchmal wird er eine
müssige Stunde, in der er sich zu angestrengter Arbeit
nicht aufgelegt fühlt, nützlich dadurch ausfüllen, dass
er die Bestände der Seminarbibliothek durchmustert.
Sehr viel schwieriger ist es, über die Auswahl der
zu hörenden Vorlesungen genaueres zu sagen. Man
hüte sich vor allem, zu viel zu belegen; in den früheren
Semestern sollte man nicht mehr als etwa 24 Wochen-
stunden hören, in den späteren, wenn man durch die
Teilnahme an Seminarübungen stark beschäftigt ist,
noch weniger. Es gibt bisweilen Studenten, welche
die Fähigkeit haben, bis zu 30 Stunden in der Woche
zu hören, aber dann wird nur ein kleiner Teil des
Gehörten lebendiges geistiges Eigentum werden. Denn
man soll nie glauben, dass das blosse, wenn auch noch
so regelmässige Hören genügt; man muss sich wo-
möglich auf die Vorlesung vorbereiten, in jedem Falle
sie nachher durcharbeiten. Hört man eine Interpreta-
tionsvorlesung, so sollte man etwa in den Ferien vor
dem Semester die betreffende Schrift durchlesen oder
jedesmal vor der Vorlesung so viel durchgearbeitet
haben, dass man ohne Mühe zu folgen vermag; nachher,
— « 13 <*-
,z. B. in den nächsten Ferien, kann man im Anschluss
an die gehörte Vorlesung verwandte Literatur lesen,
also etwa nach einer Aristophanes- oder Terenzinter-
pretation die anderen oder einige andere Stücke.
Wenn bestimmte Vorlesungen durch ihren Titel ver-
raten, dass sie für Anfänger berechnet sind (z. B.
„Einführung in die klassische Philologie"), so muss
man diese natürlich hören; umgekehrt werden andere
durch ihren Titel verraten, dass sie zu schwer sind,
und z. B. Pindar, Aischylos und Plautus wird nicht
jeder im ersten Semester verstehen können; doch werden
geschickte Dozenten auch solche Vorlesungen für den
Anlänger geniessbar machen. Auch bei grammatischen
Vorlesungen wird man gut tun, sich erst durch Hos-
pitieren zu überzeugen, dass man auch mitkommt. Sonst
werden systematische Vorlesungen, wie Literatur-
geschichte, Altertümer, Mythologie meist auch dem
Anfänger verständlich sein, zumal wenn er seine Nach-
schrift mit einem guten Handbuche vergleicht. Es
ist vielfach der Glaube verbreitet, dass derartige Vor-
lesungen überflüssig seien, eben weil es gute Hand-
bücher gebe; das wird in manchen Fällen zutreffen,
in den meisten aber wird der Dozent bemüht sein,
in seiner Vorlesung eben das zu geben, was in den
Handbüchern nicht steht, oder es so zu geben, dass
es dem Hörer von einer anderen Seite erscheint oder
dass ihm der Gegenstand lebendiger und greifbarer
wird. Aber es gibt garnicht für alle wichtigen
Gebiete brauchbare Handbücher, z. B. nicht für die
Metrik, in der sich eben ein vollständiger Umschlag
der Anschauungen vollzieht; auch Christs Griechische
Literaturgeschichte macht eine gute Vorlesung über
den Gegenstand keineswegs überflüssig; in mytholo-
gische und religionsgeschichtliche Fragen werden
sich die meisten auch mit Hilfe guter Bücher (wie es
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die von Robert, Gruppe, Wissowa sind) nur schwer
einarbeiten. Ganz falsch ist auch die Meinung, dass nur
Vorlesungen über Schulschriftsteller eigentlichen Wert
haben; es kommt nicht auf das an, was man später
ohne weiteres praktisch verwerten kann oder zu
können glaubt, sondern auf die Anregung, die man
mitnimmt.*)
Wenn der Student etwa drei philologische Vor-
lesungen und Übungen hört, so behält er daneben
Zeit, sich auch um die Gebiete zu kümmern, die an
sich integrierende Teile der Altertumswissenschaft
sind, in der Praxis aber als Hilfswissenschaften der
Philologie geführt werden. So muss er einige Vor-
lesungen aus dem Gebiete der alten Geschichte
hören und wird gut tun, wenigstens ein Semester lang
auch Übungen auf diesem Gebiete mitzumachen; dabei
ist es vorteilhaft, wenn diese Übungen nicht mit der
Teilnahme am philologischen Seminar zusammenfallen,
und überhaupt ist die gleichzeitige Beteiligung an
mehreren Seminaren oder Übungen, die ernsthafte
Vorbereitung erfordern, auf das dringendste zu wider-
raten. Ebenso muss der Student archäologische
Vorlesungen und Übungen hören, auch in dem Falle,
dass er sein eigentliches Interesse grammatischen
Fragen zuwendet; denn ganze Epochen des Alter-
tums werden häufig durch ihre Kunstwerke besser
und rascher charakterisiert als durch irgend ein anderes
Erzeugnis; für die alexandrinische Zeit hat das Heibig
in seinen 'Untersuchungen über die campanische Wand-
*) Übrigens werden ziemlich Uber alle Schulautoren, die
sich dafür eignen, Vorlesungen gehalten; hier soll der Student
beileibe nicht glauben, seinen Horaz, Sophokles oder Demosthenes
so gut zu kennen, dass ihm eine Vorlesung darüber nicht ganz
neue Gesichtspunkte eröffnete.
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maierei' treftlich gezeigt. Auch im Schulunterricht
wird heute viel Anschauungsmaterial gebraucht, das
der Student schon auf der Universität kennen lernen
muss (z. B. Heibig 'Das homerische Epos aus den
Denkmälern erläutert'). Archäologische Übungen für
Anfänger, Führungen durch Sammlungen u. dgl. sollten
sich junge Semester niemals entgehen lassen, zumal in
solchen Städten, wo die klassische Kunst durch Ori-
ginalwerke vertreten ist; hier suche man sich auch
die Kataloge zu verschaffen und besichtige mit ihnen
selbständig die Sammlungen.*) Namentlich an solchen
Universitäten werden viele von einem tieferen Inter-
esse für die antike Kunst erfasst werden und Neigung
fühlen, diese in den Mittelpunkt ihrer Studien zu
stellen; an sie wird nach einigen Semestern die Frage
herantreten, ob sie Philologen oder Archäologen
werden wollen, und im letzteren Falle wird es ihnen
nicht immer möglich sein, das philologische Staats-
examen zu bestehen.**) Darüber ist es nötig, recht-
zeitig zur Klarheit zu kommen, da eine gewisse Regel-
mässigkeit des Studienganges auch für alle begabten
Köpfe durchaus wünschenswert ist. Etwas schwieriger
ist das Verhältnis zu einem dritten Fache, zur Sprach-
wissenschaft. Die Grammatik der griechischen und
lateinischen Sprache ruht heutzutage ganz auf dem
Fundament, das die vergleichende Sprachforschung
gelegt hat; der Student muss sich wenigstens mit den
*) Da, wo keine Originale und nur dürftige Abguss-
sammlungcn vorhanden sind, können Vorlesungen mit Licht-
bildern einen nicht zu verachtenden Ersatz bieten.
**) Wer sich ganz auf das Studium der Archäologie
wirft, wird gut tun, sich beizeiten die praktischen Konsequenzen
klar zu machen; auch hier ist dem Studenten eine rechtzeitige
Aussprache mit seinen akademischen Lehrern aufs dringendste
zu empfehlen.
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----- *> i6 * —
Grundbegriffen dieser Grammatik vertraut machen,
ohne dass man doch von ihm ein tiefes Eindringen
in die Sprachvergleichung verlangen kann. An den
meisten Universitäten werden heute Vorlesungen aus
diesem Gebiete in einer Form gehalten, die auch für
den Durchschnittsstudenten verständlich ist, d. h. für
einen, der weder Sanskrit noch andere indogermanische
Sprachen versteht, und diese Vorlesungen soll der
Philologe hören. Ausserdem werden ihm Vorlesungen
über das Leben der Sprache, „Einleitung in das
Sprachstudium", oder wie sie sich betiteln mögen,
von grösstem Nutzen sein; denn es ist eine alte
Erfahrung, dass der Mensch vom Wesen der Sprache,
das er scheinbar kennen müsste, herzlich wenig weiss.
Die wichtigsten Grundbegriffe, wie Lautgesetz, Analogie-
bildung, Ausgleichung müssen jedem Philologen in
Fleisch und Blut übergehen.*) Dagegen ist es eine
andere Frage, ob der Student Sanskrit lernen soll.
Jedenfalls soll er es tun, wenn er ausgesprochene
grammatische Interessen hat und begabt genug ist,
um während eine Reihe von Semestern einen Teil
seiner Zeit für die Erlernung des Sanskrit aufwenden
zu können; wer sich aber nur ein oder zwei Semester
lang mit dieser Sprache nebenher zu beschäftigen,
gedenkt, der lasse es lieber von vornherein bleiben.
Ein besonderes Wort erfordert das Studium der
Philosophie. Eine gründliche Kenntnis der Ent-
*) Die Lektüre von Delbrücks Einleitung in das
Sprachstudium ist dem Anfanger sehr anzuraten. Ausserdem
etwa noch Whitneys 'Leben und Wachstum der Sprache'
(übersetzt von Jolly); auch Max Müllers Vorlesungen
über die Sprachwissenschaft bieten viele Anregung. Kein
höheres Semester sollte sich aber die Mühe verdriessen
lassen, H. Pauls 'Prinzipien der Sprachgeschichte' gründlich
durchzuarbeiten.
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i 7 <*
wickelung der griechischen Philosophie ist für jeden
Philologen unerlässlich, da sie im Geistesleben der
antiken Welt eine beherrschende Rolle spielt und in
alle Einzelwissenschaften in einer für uns zunächst
befremdlichen Weise eingreift. Hat man nicht gleich
Gelegenheit, eine Vorlesung über antike Philosophie
zu hören, so lese man doch philosophische Texte —
ausser Piaton z. B. die in v. Wilamowitz' Lesebuch
■
aufgenommenen — und Ritter-Prellers Historia philor
sophiae graecae sowie Windelbands ausgezeichneten
Leitfaden (J. Müllers Handbuch V i); später wird man
Diels' Vorsokratiker und wenigstens die ersten Bände
von Zellers monumentalem Werke über die Philosophie
der Griechen mit Nutzen durcharbeiten. Aber zum
wirklichen Verständnis der philosophischen Probleme
ist eine Bekanntschaft mit der neueren Philosophie
notwendig, und gerade der klassische Philologe, dessen
gesamtes Wissen ein lebendiges Ganzes sein soll, muss
sich bemühen, auch hier in die Tiefe zu gehen, und
sich nicht damit begnügen, einige Wochen vor dem
Examen nach einem schalen Kompendium zu greifen.
Und das gilt überhaupt: je breiter man die Grundlagen
in der Jugend legt, desto mehr Freude wird man später
an seinem Beruf haben, welcher es auch immer sein
mag; auch beim ernsthaftesten Fachstudium muss man
daher Zeit finden, sich mit der Literatur des eigenen
Volkes, mit neuerer Kunstgeschichte und anderen
Dingen zu beschäftigen, welche für das Verständnis der
modernen Kultur unerlässlich sind. Der ist vielleicht
der Glücklichste, der Goethes Wort nachsprechen kann :
„Wie glücklich mich meine Art, die Welt anzusehen,
macht, ist unsäglich, und was ich täglich lerne und
wie doch mir fast keine Existenz ein Rätsel ist!"
Auch der junge Student wird neben den Vor-
lesungen und der Vorbereitung auf sie schon eigene
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— « i8 *
Studien treiben, und 2war in erster Linie Lektüre
antiker Schriftsteller. Es ist vorteilhaft, wenn er mit
einigen Kommilitonen ein Lesekränzchen einrichten
kann; der Zwang, bestimmte Stunden inne zu halten,
ist sehr wohltätig, und man macht sich gegenseitig
auf Schwierigkeiten aufmerksam, die man übersieht,
wenn man sich selbst überlassen ist. Man wird dabei
am besten solche Schriftsteller wählen, zu denen gute
Kommentare vorliegen: zuerst etwa Sophokles und
Euripides mit Brünns, Aristophanes mit Kocks, Horaz
mit Kiesslings, Terenz mit Spengels, Haulers, Kauers
Anmerkungen. Hat man sich erst eingelesen, so wird
man viele Texte auch ohne Anmerkungen mit Nutzen
lesen können ; es ist von grossem Wert, dass man durch
vieles Lesen Texte von mittlerer Schwierigkeit rasch
zu bewältigen lernt. Sehr zu empfehlen ist die Durch-
arbeitung von v. Wilamowitz' Griechischem Lesebuch,
das zwar zunächst für die oberen Gymnasialklassen
bestimmt ist, aber auch dem angehenden Studenten
gute Dienste leisten wird; dann später Euripides' He-
rakles mit v. Wilamowitz', Sophokles' Elektra mit Kai-
bels, Lucrez III mit Heinzes, Aeneis VI mit Nordens
Kommentar.*) Bei anderen Texten wird der Anfänger
gute Übersetzungen neben dem Original zu Rate ziehen;
dazu gehören von Wilamowitz' Griechische Tragödien,
(für ältere Semester Aristoteles' Metaphysik von Kö-
nitz), Droysens Aristophanes, Bardts Römische Komö-
dien und Horaz, Heyses Catull; auch Blümners Satura
(Horaz, Juvenal, Persius) kommt bei vorsichtiger Be-
nutzung in Betracht. Doch ist es verkehrt, zu glauben,
*) Ich nenne lerner noch Piaton von Sauppc und Gercke.
die Apologie von Schanz, Plautus von Brix und Lorenz, Tacitus
von Nipperdey, Ovid von Ehwald. Juvenal und Petronius von
Friedländer; Thukydides von Classen und Cicero de offieiis von
Müller mi» ausgezeichneter Erläuterung des Sprachlichen.
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— •» iq so-
dass man irgend einen antiken Autor aus der Über-
setzung allein zur Genüge kennen lernen kann; daher
lese man womöglich zuerst das ganze Original und
dann erst die Übertragung. Auch moderne philolo-
gische Arbeiten kann er bereits lesen, vielleicht nicht
gleich Spezialuntersuchungen, sondern darstellende
Werke, die zur Anregung und Einführung geeignet
sind: Mommsens Römische Geschichte, Rohdes 'Psyche'
(später dann seinen 'Griechischen Roman'), Dieterichs
'Mutter Erde', die leichteren Abschnitte aus v. Wila-
mowitz' Arbeiten, Hatchs Griechentum und Christen-
tum, Roberts Bild und Lied, Ribbecks Römische
Dichtung, Friedländers Sittengeschichte, Lehrs' Populäre
Aufsätze — eine Liste, die man leicht vermehren kann.*)
Auch hier werden wenigstens jüngere Dozenten und
Seminaristen gern bereit sein, gute Ratschläge zu
geben.
Nach einigen Semestern sollte man aulhören,
lediglich receptiv zu bleiben. Schon im Proseminar
empfiehlt es sich, kleine Arbeiten zu machen, zu
denen man sich die Themen immer von Dozenten
geben lasse; dabei achte man zunächst darauf, dass
man seine Gedanken zur Klarheit bringt und sie in
korrektem, verständlichem Latein ausdrückt; wirklich
eigene Beobachtungen zu machen, wird auf dieser
ersten Stufe nur wenigen gelingen, am ehesten noch
auf dem sprachlich-kritischen Gebiete; daher empfiehlt
es sich im allgemeinen, ein Erstlingsthema aus diesem
zu erwählen und erst später schwierigere Fragen, z. B.
aus der Literaturgeschichte zu bearbeiten. Fühlt man
sich reif genug und raten die Dozenten zu, so wage
*) Auch Biographien von Philologen sind zu empfehlen:
Kekules Welt kor. Ribbecks Ritschi. Helgers M. Haupt, Curtius.
Ein Lebensbild in Brieten', Crusius' E. Rohde usw.
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« 20 <* —
man sich an die Bewerbung um die Aufnahme ins
Seminar, im günstigsten Falle nach drei, im Durchschnitt
nach vier bis fünf Semestern; auch hierzu lasse man
sich das Thema von einem Dozenten geben, etwa von
dem, unter dessen Leitung man zuletzt im Proseminar
gearbeitet hat. Ein erster Misserfolg darf hier nicht
abschrecken; denn oft ist die Zahl der Bewerber viel
grösser als die der freiwerdenden Plätze (die Zahl
der Mitglieder pflegt auf 12 beschränkt zu sein), und
die Arbeiten können dann nur nach ihrem relativen
Werte abgeschätzt werden; im folgenden Semester
glückt es besser, und man hält seinen Einzug ins
Seminar. Über dieses hat es keinen Zweck, viele
Worte zu machen, da der Student hier unter der un-
mittelbaren Leitung des Dozenten arbeitet und von
diesem seine Anweisungen erhält; doch mögen einige
Bemerkungen hier stehen. Man unterlasse es nie,
sich auf den Abschnitt, der interpretiert werden soll,
vorzubereiten, weil nur so eine erspriessliche Debatte
zustande kommt; man greife aber auch immer ein,
wenn man etwas Förderliches sagen zu können glaubt,
und lasse sich nicht durch Schüchternheit abhalten
oder durch das erste Gegenargument verblüffen. Auch
wenn Arbeiten besprochen werden, orientiere man
sich vorher über die strittige Frage. Namentlich
aber ist es Aufgabe des Rezensenten, seine Besprechung
so einzurichten, dass jedes anwesende Mitglied über
den Stand des Problemes orientiert ist und allen
Einzelheiten zu folgen vermag; das ist nicht immer
leicht, aber es ist eine ausgezeichnete Vorbereitung
für den künftigen Lehrer. Die Themata für die
Seminararbeiten lasse man sich — falls man nicht
selbst auf ein geeignetes Thema verfällt — schon am
Schlüsse des vorhergehenden Semesters geben, damit
man die Arbeit oder doch die wichtigsten Vorarbeiten
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dazu in den Ferien erledigen kann; denn je älter
man wird, desto mehr muss man darauf bedacht sein,
auch die so reichlich bemessenen Ferien durch ver-
ständige Arbeit auszunutzen. Schon in jungen
Semestern soll man sie zum Nacharbeiten der Vor-
lesungen und zur Schriftstellerlekttire verwerten;
später muss man darauf bedacht sein, in ihnen die
Lücken seiner wissenschaftlichen Bildung auszufüllen
und sich für das Seminar oder gar fürs Examen vor-
zubereiten. Ist man in der Heimat zu sehr an der
Arbeit behindert — ein recht häufiger Fall — so
kehre man vor Semesteranfang nach der Universitäts-
stadt zurück, wo es dann leer und still ist und sich
reiche Gelegenheit zu förderlicher Arbeit bietet. Meist
wird es vorteilhaft sein, wenn man seine Bewerbungs-
arbeit nicht erst vor Toresschi uss abgibt, sondern
einige Tage vorher.
Wer seine Studienzeit und namentlich die Seminar-
semester gut ausgenutzt hat, für den wird das Kxamen
nur geringe Schrecknisse besitzen. Eben deshalb soll
der Anfänger nicht mit dem Studium der Prüfungs-
ordnung beginnen (vgl. S. 9), sondern nach einem
Überblick über seine Wissenschaft und einer Ver-
trautheit mit ihren Methoden streben, die ihn zu einer
erspriesslichen Beteiligung an den Seminarübungen
befähigen.
Ich habe bisher nicht von der Doktorpromotion
gesprochen, die vielen auch als Ziel vor Augen
schwebt, sei es als das einzige, sei es als ein zweites
neben der Staatsprüfung; obligatorisch ist sie aber nur
für den, der sich später habilitieren oder zur Bibliothek
übergehen will. Aber auch von denen, welche den
eigentlichen Abschluss ihrer Studien in der Staats-
prüfung sehen, pflegen nicht wenige zu promovieren,
leider nicht immer aus wirklichem Interesse für die
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Wissenschaft. Denn manchem liegt nur an dem Doktor-
titel, der namentlich während der leidigen Hilfslehrer-
zeit sehr angenehm ist; andere wieder glauben — mit
Unrecht — sich das Staatsexamen zu erleichtern, wenn
sie vorher promovieren, weil ihnen dann die Disser-
tation als Examensarbeit angerechnet zu werden pflegt.
Wenn der Dozent diese Motive durchschaut, so wird
er hoffentlich nicht auf die Bitte eingehen, ein Thema
zu stellen; ganz verhindern aber lässt sich der Miss-
brauch nicht. Eigentlich aber sollte jeder von einer
solchen Begeisterung für seine Wissenschaft durch-
drungen sein, dass er an einem Punkte mit eigener
Arbeit einzusetzen wünscht; selbst wenn er nur ein
kleines Eeld beackern kann, so hat er doch gelernt,
ein Problem anzufassen und sich geistig zu kon-
zentrieren; und das ist ein bleibender geistiger
Gewinn. In keinem Falle lasse man sich zu früh
ein Dissertationsthema geben, d. h. nicht vor Ende
des fünften Semesters; denn die allgemeine wissen-
schaftliche und menschliche Ausbildung wird oft ver-
nachlässigt, wenn man sich zu früh auf ein eng be-
grenztes Gebiet konzentriert hat. Ich spreche von
geben lassen, weil ich das für den normalen Verlauf
halte ; denn auch wenn der Student etwa durch seine
Tätigkeit im Seminar von selbst auf ein Thema ver-
fällt, so wird er es doch mit seinem Lehrer besprechen
und dieser in der Lage sein, ihm die wichtigsten
Fingerzeige zu geben. In keinem Falle lasse man
sich auf eine Arbeit ein, in der man nicht wirkliche
Befriedigung empfindet und mit der man selbst nicht
glaubt, der Wissenschaft einen Dienst zu leisten; von
stumpfsinnigen Zusammenstellungen, wie sie früher
vielfach als Dissertation galten und in anderen Fächern
vereinzelt noch heute gelten, hat man keinen wahren,
d. h. keinen geistigen Vorteil. Eine geschickt ge-
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wählte Arbeit dagegen führt in ein Gebiet der Wissen-
schaft am besten ein, und die Anregung, die sie
gewährt, hält oft für das ganze Leben vor; aber auch
die Vielen, die später nicht mehr Müsse zur wissen-
schaftlichen Arbeit finden, haben davon dauernden
Gewinn, dass sie einmal im Dienste der Wissenschaft
die Wahrheit um ihrer selbst willen gesucht haben.
Demgegenüber will die Verlängerung des Studiums,
welche durch die Promotion bewirkt wird, wenig
besagen; denn darüber muss man sich vorher klar
sein, dass der klassische Philologe bis Promotion und
Staatsexamen neun Semester zu brauchen pflegt. Aber
von einer unnötigen Verlängerung des Studiums muss
ich entschieden abraten; solche, die nach dem achten
Semester keine Vorlesungen mehr hören, sondern sich
zu Hause jahrelang „systematisch" auf die Prüfung vor-
bereiten, verlieren meist den lebendigen Zusammen-
hang mit der Universität, sind gründlich 'verochst'
und schneiden beim Examen schlecht ab.
Ich habe noch ein Wort über die Anschaffung
von Büchern hinzuzufügen. Man darf es offen aus-
sprechen, dass die Studierenden der Philologie nicht
bemittelt zu sein pflegen; dadurch ist für die meisten
die Möglichkeit ausgeschlossen, sich eine Bibliothek
anzulegen, die diesen Namen verdient. Aber auch
der Ärmste sollte nicht unterlassen, sich das not-
wendigste Handwerkszeug anzuschaffen, also vor allem
billige Texte und ausreichende Lexika, in zweiter
Linie die wichtigsten Handbücher.*) Es ist ein
*) Die meisten der in J. Müllers Handbuch erschienenen
Bände können empfohlen werden ; das in Vorbereitung befindliche
Handbuch, welches Gercke und Norden herausgeben, wird
aber schon wegen seiner Knappheit vorzuziehen sein. Der
Sammelband 'Die Altertumswissenschaft im letzten Vierteljahr-
hundert' (Bursians Jahresbericht Bd. 124) bietet eine bequeme
trauriges und unzulängliches Arbeiten, wenn man
wegen jedes Wortes, das in dem alten abgegriffenen
Schullexikon nicht steht, oder wegen jedes Citates
nach der Seminar- oder Universitätsbibliothek gehen
muss. Aber auch darüber hinaus sollte der Student
darauf bedacht sein, sich einige Texte und Standard-
works anzuschaffen, damit die Wände seines Zimmers
ihn nicht leer angähnen und damit er auch dann
nicht von der Arbeit abgeschnitten ist, wenn er nicht
in einer Bibliotheksstadt lebt und sich nur mühsam
Bücher anschaffen kann.
Es Hesse sich noch manches über den Gegen-
stand sagen, aber es ist vielleicht richtiger, die
wichtigsten Ratschläge noch einmal kurz zusammen-
zufassen.
Erstens: Der klassische Philologe bedarf dringend
erfahrenen Rates und findet diesen am besten bei
seinen akademischen Lehrern.
Zweitens: Die Altertumswissenschaft besteht nicht
aus einer begrenzten Summe von Antworten auf
typische Examensfragen, sondern sie strebt nach dem
Verständnis der geschlossensten und zugleich reichsten
Kultur, welche die Weltgeschichte gesehen hat. Wer
dieses Ziel fest im Auge behält, wird nie ganz in die
Irre gehen.
Übersicht Uber die wichtigsten Fortschritte unserer Wissen-
schaft in neuester Zeit. Ausserdem etwa die Griechische Mythologie
von Preller-Robert, die Griechischen Altertümer von Schoemann-
Lipsius, G. Meyers oder Hirts Griechische und Lindsays oder
Sommers Lateinische Grammatik.
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