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Full text of "Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen : Festgabe bei der vierten Säcularfeier ihrer Gründung, im Jahre 1877"

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Universität Tübingen 



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LIBRARY OF THE 
UNIVERSITY OK VIRGINIA 




From THE Hertz books 

PRESENTED BY - ^ * 

Thomas Randolph Price 

AND THE 

New York Alumni 



BEITRAGE 



ZUB 



GESCHICHTE 



DEB 



UNIVEESITAT TUBINGEN. 



FfiSTUABE 

BEI DEB 

YIEßTEN SÄCüLAßFEIEß 

IM JAHRE 1877. 



TÜBINGEN, 

DRUCK VUN LDDWIO FBIEDBICU FUGS. 

1877. 

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Di^i2ed,by 



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Die Geschichte unserer Universität ist mehrfarh im ganzen, 
so zuletzt von K. Klüpfcl , Geschichte und Beschreibung der 
Universität Tübingen, Tübingen, L. F. Fues, 1849, und im 
einzelnen, so besonders fiir das sechszehnte Jahrhundert in dem 
trefflichen Buche von Christian Friedrich Schnurrer, Erläuter- 
ungen der Würtcmbcrpfischen Kirchen-, Reformations- und Ge- 
lehrten-Geschichte, Tiibini^^cri, J. G. Cotta, 1798, bearbeitet. 

Das Fest der GrutuhitiL; der Universität vor vierhundert 
Jahren durfte nicht voruber^elicn, olinc durch neue Schriften zu 
ihrer Geschichte, von gegenwärtigen Lehrern, gefeiert zu werden. 

Vier Facultätcn haben in Festprogrammen ihre Beiträge 
htezu gegeben: 

1) Die evangelisch-theologische Facultät: 

Lehrer und Unterricht an der evangelisch-theologischen 
l'acultiit der Universität Tübintjcn von der Reformation 
bis zur Gegenwart, beschrieben von Carl von Weiz- 
säcker, Doktor der Theologie und Philosophie, o. ö. 
Professor der Theologie. 

2) Die katholisch-theologische Facultät: 

Konrad Summenhart. Ein Culturbild aus den Anfangen 
der Universität Tübingen, von Dr. Franz Xav. Linsen- 
mann, o. ö. Professor der katholischen Theologie. 

3) Die juristische l%acultät: 

Die strafrechtlichen consilia Tubingensia von der Gründung 
der Universität bis zum Jahre 1600, von Prof. Dr. 
Hermann Seeger, 

4) Die philosophische T*\icultät: 

Die Jubiläen der Universität Tübingen, nach handschrift- 
lichen Quellen dargestellt von Dr. Bernhard Kugler, 
o. ö. Professor der Geschichte 
Wir bieten dieselben den Thcilnehmem unserer Feier als 
Festgabe zu wohlwollender Aufnahme. 

Tübingen, im Sommer 1S77. 



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Zur 



der 



Universität Tübingen 



im Sommer 1877. 



F e s t p r 0 g r a iii m 



der 



evansrelisch-theol Offischen Facultät. 



T ü b i 11 e 11 , 

Druck von Ludwig Y r i e d r i c Ii F u e s. 

1877. 




Leliier und Uutemcht 

au der 



evangelisch - theologischen Facultät 



der 



VniTersUat T&blngen 

< 

You der lieforuiaiiou bis zur Gegenwart 



bescbriebeu 



Carl von Weizsäcker, 

Doctor der Theologie und Pliilosopbio, 
o. 0. Professor der Theologie. 




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*^;jJcr uiicJisti Zi^'cck der foIj^'CJit/rii AiifzricJiuuuti- /s/, sir/'rrr 
Kiinde dßriibcr zu geben ^ wclc/ii' Iwhrcr seit der Reformation 
an unserer tJieologischen Facultät warcn^ warn sie kamen und 
giengen^ und weiter^ so viel diess su ermitteln ist^ welclien Unter- 
richt sie gegeben haben. Hiermit sollte ein Hilfsmittel fiir die 
(j r seil ich te dieser Männer ^ leie fiir die Geschichte der Univer- 
sität gegeben luerden. 

Es is$ also nicht abgesehen auf eine Geschichte der Theo- 
logie oder der Theologen in Tübingen. Was dieselben geschrieben 
hiibeny und was sie geieollt haben ^ konnle auf diesen Blättern 
nicht dargesteiit luerden. Das let:itere zumal ist auch im wesent- 
lichen bekannt. 

Dagegen biete ich einen Beitrag zu der Geschichte des theo- 
logischen Universitätsunterrichtes ^ der wohl mehr als bloss ort- 
lichen Werth haty da diese Dinge immer noch nur mangeUiaft 
untersucht sind. Ein Stück Geschichte der Wissensc/iaft liegt 
dann von selbst darin. Denn sie ist von diesem Unterrichte 
nicht gu trennen^ und wie dieser betrieben ward, wirft manches 
Schlaglieht auf jene zurück. 

Die Aufzeichnung der Lehrer fiiJirte auch zu den Beruf ungeUf 
welche ihrerseits theils für die Geschichte der Universitätsein- 
richiungen^ theils aber für die Geschichte des theologischen und 
kirchlichen Geistes selbst Bedeutuns^ haben. 

Es lear niciit möglich, auch die Geschichte des VnterricJites 

in dem fürstlichen Stipendium^ Stift , zuletzt auch Seminar gc- 

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itamUf aufzunehmen^ welche doch zur Gesaninitgeschichte des 
hiesigen Uuologisclien Unterrichts mi^eJwrL Übrigens ist die 
FactUtät durch diese JSinrichttn^ nie wesentlich destimmt worden. 
Dieselbe hat vorzüglich nur swei Folgen gehabt, die sichere 
Schu/iüijr der Studierenden der Theologie iiberhaupt, und die 
ausgedehnte allgemein wissenschaftliche und philosophisclie Vor- 
bereitung derselben fiir die Tlieokgie^ welclu aus der lange fest" 
gehaltenen Verbindliclikeit der philosophischen Magisterpromotion 
hervorgegangen ist. 

Die gegeberwn Nachrichten sind aus den Akten der Uni- 
versität und zum TlieU der Reglern^ entnommen* Senatspro- 
tokollc^ seit 1731 auch FacuHätsprotokolUy Vocationsakten^ Visü 
tationsakten, Statuten, Studienordnuugen^ Consilia, Promotionslisten^ 
Rechnungen. Wortliche . bi fuhnuigeu siud idh verschiedenen Druck 
kenntlich. Wo ick aus Druckschriften ergäiisen musste^ habe 
ich die Quellen genannt. 

Lehrreich durch Vorsiige und Mängel soll dieses BUd der 
Vergangenheit unser Streben weiter fördern. Es ist darin ein 
cigeutJiiiuilicJies Leben, dessen eingehendes Beschauen nur weitere 
Jhrucht bringen kann. 



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1535—1561. 

Vor der Rütkkehr Hersog Viridis in Würtembcrg im Jahr 
1534 war an der Universität Tiebitigen die Ordnung in Kr oft y 

ici-iclic tili' Regent, Erzlwrzog l-\ rdiiiand, aui 23. Octobcr lö^o 
erlassen Itatte. 

Sie hatte för die theolugische Facultät einen genauen Unter^ 
richtsplan festgestellt, der mit vier Professoren und swei ordent- 
lichen Stiuiden des Tages, auf die jedesmalige Volleftdung in 

fünf Jahren hereeJinet ist. In diesen fiiuf Jahren also sollte 
die gan.':e Theologie vorgetragen werden, und ziear bestand die- 
selbe theils in der Erklärung der wichtigsten Schriften des eUten 
und sämmtlicher Schriften des neuen Testaments, theils in der 
Erklärung der Sentenzen des Petrus J.oinbardus. Jeder der 
vier Professoren hatte eines der vier l^icJier der letzteren zu 
tractiren, ebenso waren jedem derselben bestimmte biblisclie BücJter 
sugetheUtf und zwar dem ersten: der Petdateuch tatd die patdi- 
nischen Briefe, dem stueiteft: Matthäus mtd Johannes, Psalter 
und Jfiob, dein dritten: Jesaias, Jeremias, Daniel, Markus, Lukas, 
ApostelgeseJiiehte und katholisehe Briefe, dem vierten Ezeehiel, 
die kleinen Profeten, die libri sapieniiales, ufid der Hebräerbrief, 
Von den beiden täglichen Lectionen imisste die eine Vor- 
mittags, die andere Nachmittags gehalten werden. Da demnach 
nur z veei Professoren jeden Tag zu lesen hatten, so traf jeden 
der vier Professoren die Reihe mir je am zweiten Tage^ wobei 

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nochj ah^rsrliiii 7'ou den Ferien^ die bei der Facultät übliche 
wdclientliche Feier des Smnstags in Betracitt kommt 

Hatten die Professoren Vire Aufgabe in den fünf Jahren 
durchgeführt^ so war es ihnen freigestellt^ die Pensen zu leechseln. 
Neben den Lectioueu Itrg ihnen die Alfhaltung von Disputationen 
obf welche dann die Lectuni des Tages verdrängten. 

Die Ordnung Itatte einen refonnatorischen Character, Diess 
ergiebt sich schon aus der überwiegenden Stellung der biblischen 
Jivegese^ )wch mehr aus den l 'orscJiriften, leelcJie die Beseitigung 

der Scholastik bezivecken, Sie gehen davon aus: quod pro 

solida et luculenta veritatis doctrina fragiles nutantesque argtitias, 
pro coelestis eloquii mysterüs perplexa pkilosophonim placita 
tradita esse cognovimus. — Anck der Text des Magister soll so 
behandelt zeerden^ dass nur die Schw/er/gkeiten , die sich aus 
ihm selbst ergeben, ei/w möglichst kurze und klare Erläuterung 
empfangen: quomam per fidem eiücimur fUii Dei, et non per 
inanes et frivolas questiones, quae sunt inflantis et in aetemum 
exilium aedtficantis camis, et doctrinae, quae spirituf Dci adver- 
satur. So lear auch die frühere Theilung der Theologen in Reali- 
sten und Noniiimlistoi aufgegeben, die Resiimtioncn abgescJmfft, 

Der berathende Tiieologe für diese Ordination war Martin 
Plantsch gewesen, Sie ist gedacht im Geiste des Regensburger 
Reformator inms von 1524, des Eck^schen cnchiridions von 1525. 

Nachdem Herzog Ulrich sein Land leiedergeiuojinen, ivar 
der erste Schritt , welciten er der Unrifersität gegember tliat^ 
dctss er Vir befahl^ von jetzt an keine Lectur mehr ohne sein 
Wissen und Wollen sti vergeben. So berichtet der Würtevt' 
bergisclie Kaiirj/er Aic/unanii aus den QuilUii^ welche ih)n zu 
Gebot standen. Wir haben noch ein, eigenhändig vofi Herzog 
Ulrich imterseichneteSf Dekret aus Wildbad im September 1534, 
woraus liervorgeht, wie die Universität den Versuch machte, 
das Eingreifen des Hersogs von Anfang an trotsig ahcteivehren. 
Auf ein schriftliches Ansinnen des Her:;ogs hatten sie Gesandte 



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nach Stuttgart gcsdiickt; diese trafen den Hersog dort nicht 
an; mit seinen Käthen wollten sie nicht verfiandeln. Jetzt fiatte 
der Hersog sein Ansinnen dnrch den Tiihinger Obervogt Hans 

Harter uiioidlicli i.K.'icdcrJiolcn lassen, darauf gabm sie wieder 
keinen andern Bescheid ^ als: ihre Antwort werde dem Hersog 
schriftlich eröffnet %vcrden^ darum erklärt ihnen mm der Hersog: 
Nun hetten wir uns von euch solHcher Grobkeit unnd Hartt- 
näckigkeit nit versehen. Dann wir je in sollichem falss inUt 
wcyss) niclit anndcrs, ^va^n das gottgefällig, darzu «gemeiner 
Universität zu hohem Uffgang nutz und Eer dienlich, fiir/Aine- 
men willens sind. Sie sollen also jetzt unvcrsüglich endlich Ant" 
wort geben. 

Der Trotz und das AusiveicJien half den 'Jidnngern nicht. 
Ebensowenig die Zögerungen^ xvelche sie gegen Ende des Jahres 
den Reformatoren des Herzogs^ Blarer und Grynäus^ bereiteten. 
Sie konnten nicht verhindern^ dass am HO. Januar l'tHü die 
Neue Ordnung des Hersoi;s für die Ünr&ersität erschien, und 
die unerbetene Reformation brachte. 

Der Herzog konnte mit Recht davon ausgehen^ dass die 
Universität lieruntergekommen und hinter dem raschen Fort-' 
schritte der Wissenschaft in Deutschland zurückgeblieben sei. 
Was die Anordnung des theologischen Studiums betrifft^ so lag 
die Sache so, dass man nur in der durch die Eerdinandeisclie 
Ordming von lo^;» eingeschlagenen Richtung fortbauen durfte. 
Die Erklänt^g der Sentetizen fallt weg, die biblisclte Exegese 
wird die alleinige Aufgabe, Das neue liegt jedoch darin, dass 
, diese F.rklärung sich künftig an die Ersprachen halten solle, 

und die Ordnung ist im vollen /n-wusstse/>/ der Tragiveite dieser 
Neueruttg verfasst. Aber freilich sie konnte gerade hierin fürs 
erste nur eitu^n Uebergattgszustand schaffen. Zur vollen Aus- 
fi/hrung fehlte vorläufig das Personal. 

l 'or allem die Lehrer. Fast die ganze Eniversität verhielt 
sich ablehnend gegen die Reformation^ und suchte dieselbe su 



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erschweren und zu veraogcrtu Sie konnten fiir den Ai^ettblick 
dem Hersog nicht offcnai Widerstattd leisten , aber sie hofften 

offrnhnr, {/nss die Zeiten sich ivicdcr diidcrn u'crdcn^ icas im 
Jahre lii'ii} in Deutschland itbcrhaupt^ in Würhinhcn^ insbcson- 
dere^ mdie gemtg lag. Für die Tlieolcgie war durch die nette 
Ordnung wenigstens der Widerspruch gegen die Verleihung der 
Grade ohne die vorausgegangenen Weihen beseitigt. Aber von 
den vier vorhandtncn Theologen nuisstcn drei entfernt i^^erden^ 
Pctcr Jinnij Gallus Müller ^ Johann Armbrustcr. Peter Brun 
wurde als emeritus versotgt^ atich noch su Geschäften der Uni- 
versität verwendet. Aber er arbeitete im Stillen gegen die Re- 
formation fort. So hat er später^ da er WoJimnig im herzog- 
lichen Stipctidiuni bekommen hatte, dort den jungen iH iierlin su 
bearbeiten gesucht^ dass er bei der Kömischen Kirche bleiben 
soUCy wie Tli, Schnepjf^ or.fun. J. BeuerL 5. IS ersahlt Gallus 
Miillerj der leidenschaftlichste Gegner^ entfernte sich. Johann 
ulrmbruster i.'nrd,- zz.uir auch der Lection entlassen, blieb aber 
zunächst in seinem der mal igen Amt als Rector und es wurde 
ihm noch ein Jahr zur Unisclieidung vorbehalten^ ob er sich bis 
daliin mit der rechten Wahrheit und Gottes Wort vergleichen 
wilrde. So blieb ein einziger, der sich fügte, zu weiterer Ver- 
zveudiing übrig, Dr. Daltliasar Käuffelin, und ihn musste man 
nehmen zvie er zvar. Geschätzt laurde seine patristische Gelehr- 
samkeit, Die Aussichten auf weiteren Ersatz und namentlich 
spraclienkundige Älanfier war sehr zweifelhaft. Die beiden Re- 
formatoren Blarer und Grynäus hatten keine Lekrthätigkeit. 
Jdarers Sache zcar es ohnediess nicht. Grynäus fand nicht 
einmal für öffentliche Vorträge über den Katechismus , die er 
halten wollte^ Eingangs Misstratten gegen seine Lehre vom Sakra- 
ment stand ihm entgegen. Ehe Grynäus berufen wurde ^ hatte 
man an Andreas Oslander gedacht, über Melanchthon unter- 
handelt. Beides zcar gescheitert. Jetzt hemülite sich Grynäus 

um die Berufung ßuUingcrs und ßiblianders^ aber vergeblich. 



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Die siwei Strdtfmgcn in' der WUrtmbergischen Rcfortnatim^ 
welche sich an diesen Platten erkennen lassen^ habat anch das 

GclifigiU erschwert. 

Hiezu kam aber noch, dass, ivie aus der Ordniuig selbst 
ssu sehen ist^ vorläufig keifte Sttidierenden da waren^ welcJie für 
den Unterricht im griechischen und liebräischen Text bejühigt 
geivesen wären. Man musste auch von dieser Seite erst auf 
die Zukunft warten. 

So werden also Übergangsbestimmungen getroffen. Es sollen 
fur*s erste mir zwei Theologen bestellt werden, der eine für das 
alte Testament, der andere fiir das fietie; sie erklären wie bisher, 
d. h. den lateinischen Text, jedoch mit \^cr^lcichiincj der eine 
der hebräischeny der andere der griechischen Sprache, l 'orbc- 
halten ist aber, deiss, sobald man die Lehrer und die auditores 
dasu hat, swei weitere angestellt werden sollen, welche der eine 
über das alte, der andere über das neue Testament in der Ur- 
sprache lesen. Die beiden ersteren sollten dann luben diesen 
bleiben, damit auch weiter noch für die Uf^enügend vorbereiteten 
Zuhörer gesorgt, und so stufenweise das eigentliche Ziel erreicht 
werde. Die stuei, welche jetst zunächst aufgestellt werdett, lesen 
abwechselnd je den andern Tag, so dass eine I nterrichtsstunde 
auf den Tag kommt. Ein Eort schritt ist doch auch darin z^'enig- 
stens beabsichtigt, dass der eine ausschliesslich das alte, der 
andere ebenso das neue Testament übernehmen soU. 

Im Jahre 1:j3:j, lange che die dem Johajin Armbrttster 
gegebene Frist abgelaufen war, erhielt Käuffelin einen Collegen 
an Paul Phrygio von Basel, der zugleich an Gallus Müllems 
Stelle Pfarrer wurde. Das hersogliche Berufungsschreiben vom 
21. Januar 1585 (abgedruckt bei Th. Presset, A. Blatire/s L. 
n. Sehr. S. o*<ST f. ) bot ihm die beiden /linter des Pfarrlierrn 
und Lehrers der h. Schrift in Tübingen an. Am 'UK jniii wird 
er in den Senat eingeführt durch ein hersogliclies Dekret, als 
neuer Commissär (für die Reformation der Universität) an 



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Stclic des Gty/tätts, neben Blarer, Die Universität fiigt sick 
der Anordnung und Phrygio erklärt dann zur Berti h ig m/i^ bei 
Si'incni liintritt^ die Couniiissioii sei i/iiii ohne sein Zittliun idwr- 
tragCHy (r wolle aber nun der Vitiversität nach Kräften dienen. 
Aber erst anno D. 1536 in die S. Luce inscriptus inque facul- 
tatts thcologicae ordinarium receptus est eximius vif Paulus 
Phrygio Constatitinus. Phrygids Stärke war wohl tveniger die 
Theologie als andere gelehrte Bildung. Vcrhiingnissvoll aber 
war er fiir das Auf kommen der neuen Facultät ^ lucil er als 
Zwinglianer galt^ und zu denvorhandaien Schwierigkeiten damit 
eine neue gefügt wurde. Der Herzog hatte alte Verbindu/tg 
niii den Seh wei::ern. Aber im Lande hatte die siiehsische Lehre 
den grösseren Anhang, l ^nd von denjenigen^ welche der Refor- 
mation widerstrebten^ unirden die Schweizer am meisten geh(7sst. 

Die Facultät bestaftd also jetzt aus diesen zweien, Käuffe- 
lin und Phrygio , und sie war damit der füis erste gegebetun 
l'orsehrift gemiiss besetzt. .Iber die Ordnung selbst zeurde schon 
am 't. November J.'h'lf! abgeändert durch Herzog Ulrichs neue 
Ordnung. Für die. theologische Facultät sind mm zwei tägliche 
Lectionen angeiwmmen, die eine Vormittags^ die andere Nach- 
mittags^ als Führer sollen jetzt zum wenigsten drei ordentliche 
I.cscr beste/Ii :eerdrji. Wie die 'j:eei t</<f liehen Stunden unter 
die drei ordentlichen L.ehrer vertJicilt werden^ darüber sagt die 
Ordmatg selbst nichts. Aus späteren Verhandlungen aber ist 
zu ersehest, dass bis zum JaJire JüHfif wenn wirklich drei vor- 
handen sind ^ die Ausgleichung dadurch hergestellt wird, dass 
von den dreien je einer abieeehse/ud in der dritten Woche feiert. 
j\fan solle dazu christliche gottesfiirchtige Männer nehmen, uiul 
^00 immer möglich sßracheftkundige, damit im alten Testament 
durch hilf der hebräischen und im neuen der griechischen 
Zuiv^cn y.u wahrem verstanndt, Usslcguiv^ und lucinung möffc 
gckhoninicn werden. ILienuit :eird also dem Ziele der li.xegese 
des Urtextes schon ttäher getreten. Dazu kommt mch eine andere 



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Bestimmung, Es soll nämlich der lector Ncroi Testamenti eine 
Materie vornehmen, wobei er in einem oder staei Jahren einmal 

ordcnlich ein i.^ant/e Sumnic der cliristcnliclicn lehr unnd alle 
articiilos dess glauliens hanndcl und vcrclcre. Dirss ist wenig- 
stens ein erster Anfang des systematischen Unterrichts^ wain 
aneh nur im Anhange snr Exegese, Andererseits ist su beach' 
ten, dass — im Unterschiede von der encyclopädisehen F^xcgescy 
welche dir Or<fii!if\i^- :'OJi 1'>:J.~> :'0][i(ist/t rieben lintte — jetzt nicht 
nur für dieselbe die freie Wahl des Objectes besteht^ sondern 
auch ein längerer Zeitranm für dessen Abhandlung angenommen^ 
und damit schon die spätere bekannte Weitläufigkeit eingeleitet ist. 
Der dritte Iheolo^^e leeir leieder nicht h-icht r.u iieieiin/en. Man 
versuchte es mit Pellikan in ZiiricJi^ mit \ 'eit Dieterich andererseits. 
Sodann aber^ besonders auf Melatuhthotis lietrieb, mit Bretts, 
Schon am W, Noro, 1536 schreibt Brens von Hall aus, nachdem 
er unter Zustimmung der Universität einen Ruf i'otn Herzog 
erhallen hat, an die Universität — der Ih'ief ist abi^ed nicht in 

Th, Presself Anecdota Brentiana S. i.s7 /. — dass er trotz aller 
Bedenken über seine Leistungsfähigkeit sich doch gedrungen fühle, 
ZI! f'/-rii, die Sache aber der Entscheidung der Stadt anJieim- 
i'csuiu hnlh\ Am Noz-ei/!i>er l't'Hi erscheint Brenz im Senate, 
und ilu'ill mit^ dass auf Bitte des Herzogs und der Universitiit 
er vom Senat von Hall erlangt habe, ut ipsc per untus annt 
spacium profcssorcm thcologie ac pictatis nobiscum hic agat, 
— jedoch haben sich die Haller vorbehalten, ihn auch vor Ab- 
lauf dis Jahres si (jiiid pcricli in rcpiiblica 1 lallcnsi incidcret, 
zu riichzn rufen; für Jetzt könih er üus dringenden Ursachen nicht 
gleich da bleiben, er luerde aber ad medium quadragestmc wieder- 
kommen. Diess hat er ausgeführt. Bald mch seifier Ankunft 
aber berichtet uns das Senatsprotokoll unter dem Jl. Mai loHY^ 
dass Ihrnz und Camerarius als commissarii principis — die 

Uolimaeht der ersten Reformatoren war am ^^G. October lö<tU 
von Gesandten des Hersogs ( Göler, Thumm, Lang) für erloschen 



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erklärt worden — eine VoUinackt des Hersogs verlesen und die 

Discussion über den herzoglichen Entiüurf einer ordinatto «ni- 
versitatis eröffnen. Die ordinatio tvird am 26. Januar J.'):iH^ 
also noch wä/irettd Brenz AntvesenJieit von den Professoren be- 
schworen. Am 6, April 1538 nimmt Brenz Abschied unter 
Danksagung und Entschuldigung^ ambltionis vitio si quid pecca- 
vissct, zcolh-i er zugleich an die Dinge erinnert^ i^elche noch 
nicht iiis reine gebracht siiidf voran <^//V confirmatio singularum 
facultatum statutorum. Brems hatte demnach in diesem Jahre 
vorzugsweise eine organisatorische Arbeit gehabt. Gelesen hat 
er daneben über Exodus^ über Psalm LI und nach der Angabe 
Jae. Heerbrands or. fun. ete. Jo. Ih-entii /. 2(> a/ia quietiani^ 
daneben auch gepredigt, Statuten der theologischen Facultät sind 
dann aufgestellt worden^ sie liandeln aber nur vom Dekanat uttd 
den Graden, 

Da Brens nur fiir so kurze Zeit gt zoonnen war, so ettthielt 
sel/oii die Instnietion , zcelehe er und Canierarius als Connnis- 
säre mitbraehteUy den Auftrags den dritten Theologen weiter zu 
Stichen, Es hcisst darin: Solliche Commissarii möchten dann 
auch umb den dritten theologum, dergleichen umb andere 
professorcs der christlich und evangelischer Religion genaij^t, 
vcrmöfrc der Ordination . an denen jeder Zeit mangel sein 
wird, sich umbschcn, und soUichc für andern fürdcrn, welches 
sunst langkhsam, wies bisanhero wo! vcrmerckht, von statt 
gon will. 

Der Herzog selbst bcmiihte sich 1537 noch einmal ^ ja zuletzt 
noch J.') /.7, Melanchthon zu bekommen. Statt dessen wurde noch 
vor F.ude /"5.76', auf F.mpfeJilung Luthers^ nicht so Melamhtlions^ 
der dritte Mann neben Phrygio und Käuffelin erworben^ in dem ge- 
lehrtcfi und natnentlich des Hebräischen kundigen Johann Forster, 
Seine cojiductio zeurde im Senat am l "). Deeevd^er / I.VV beschlossen. 
Dann Anno Doniini 1539 septimo vero die Februarii acceptus 
est in iacultatem Theologicam Venerabiiis vir Johannes Phor- 



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sterus ut publice in hac academia cum duobus aliis The-* pro- 

fcssoribus s.icras prclcgat litcras. Er machte dann mit Mat- 
thäus Albcr das Doctor-Examcn und disputierte am ^0, October 

Alis der kurzen Zeit seiner Anwesenheit besitzen wir nun 
einen Heriehfj welcher die Stelle eines ersten Lcctions^Catal y i S 
vertritt ^ und zu welclum das folgende Iiersoji^liclir Beeret an 
Reetor und Regenten die Veranlassung gab: Vonn gottcs <4naden 
Ulrich Herzog zu Würtembei^ und zu Tcckh Grave zu Mump- 
pclgart Unscm gunstigen grus zuvor. Würdiger unnd hoch- 
£i[clcrtcn licbcnn (▼ctreven, Wir bcvelhcn cucli Ir wellend iinns 
by discm 1 Jollen schrilTtlich berichten, wicvil Ir ordinarios Lcc- 
torcs in der Tcologi, Juristen, und der medicin Faculteten, auch 
sonnst In artibus hapt, unnd wie deren Jeder mit namen haisst, 
•für Besoldung hab, und was er lese, auch wie vil In ainer 
jeden ob^cmcllct l'acultct iinnscr Univcrsitct zu haben von net- 
ten, des wellen wir Linns von euch t^nctliglich gcwartcn. Dat 
Stutg. den XI martii Anno D. 40. Hans conratt Thum erb- 
marschall. 

/// dem Vcrzcichniss des Berichtes heisst es dann von der 
theoiogisehi n I'aeultät: 

Ivrstlich nach ausweysens Euer Fl. Drl. ncwgcgcbcner Ordi- 
nation sollen drey Theologi sein, wie auch yezo sein mit namen: 
Doctor Paulus Constantinus Phr>'gio. Der list Epistolas 
Pauli ad Corintliios, und hat jährlich 160 ^\d. 

JJoctor Balthasar Kcffclin liesst Evangelium Johannis, hat 
160 gld. 

Doctor Johannes Vorsterus hat zwo Icctiones von welchen 
Er die Erste In der heiligen Schrifft und nemblich Libros Rcj^iim 

nach art der I [cbraisclicn spracli, und die andere Lection im 
llcbreo liest, hat von Inen baiden 20O gld. 

Die Atnvesenheit Forsters war aber van kurzer Dauer. 
WäJirend Breetz sich darein gefiigt hatte^ neben Phrygio zu 



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wirken, tncinte Forster offeitbar dadurch su gewinnen, dass er 
es stm Brttch treibe. Es kam aber anders. Am 20. September 

1510 crscJlicn eine Cotiniiissioii /icrrjo(;iii/iir Rtil/ir, den Laiul- 
niarscliall IniltJiasar von CültUugen an der Spitze, mit dem 
herzogliclien Kanzler Nikolaus Maier als Sprecher^ und hielt 
dem Senat zwölf defectus und vitia der Universität vor, welche 
mr Kunde des Herzogs gekommen seien. Die Universität tvolite 
dieselben sehri/tlieh liaben, um sieh auch schriftlich zu verant- 
worten. Man bedeutete sie aber^ dass es an der Eröffnung ge- 
nüge, welche ihnett sur Nachachtung gemacht sei, mit Ausnaltme 
einer Forster betreffaiden Sache. Der erste Punkt fiämlich war 
die K/nge, quod institutus rcligionis Christian.L' ordo admoduni 
frij^idc obscrvctur, insbesondere aber darüber , dass Mitglieder 
der Universität ausserhalb Tübingefis, in Reutlingen, Stuttgart 
utui anderwärts das Abendmahl gemessen, quasi in ducatu hoc 
non una esset otnnium ratio de sacramento pra:dicandi, quod 
in it^nominiani cti.im principis verj^at. Dazu kam in Art. 1t 
die iH'scJiivcrde , dass gewisse Leute in öffentlichen Leetionen 
fremde Meimingen in persönlich gehässiger Weise angreifen und 
den D, Oecolampaditts einen gottlosen Eli Sohn, den Blarer 
aber eiwn Unßat (scoria) nennen. Diess war ebenfalls Förster^ 
nnd die Conimissiire erklärte)!^ dass sie dariiber an den Herzog 
berichten müssten. Der Senat bat, die Sache ruhen su lassen: 
Förster läugne diese Schimpfreden; entlasse man ihn, der von 
Luther und Melanchthon (?) empfohlen sei, so könne diess der Uni- 
versität schaden. Die Anttvort lautete aber: die Sache müsse 
dem Herzog vorgelegt lucrden, nicht soieo/il :eegen Jener Scliiinpf- 
reden, als weil er alibi pessimo cxcmplo communicarit, quod 
ipse ut D. Theologus vitare dcbuerat Der Ausgang war seine 
Entlassung, über ivelche wir jedoch nur die kurze schon von 
Schnurrer, Xaehric/tten ete. S. l(u; eneii!i)ite Xotiz besitzen. 

N^aeh Forsters Abgang sind Känffelin und Phrygio zum drit- 
tenmale allein in der Facultät, und so bleibt es bis su Phrygio s 



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— 13 — 



Tod im yaJire 1543, Dabei war die neue Theologie eigentlich 
nur durch den elften Phrvi^io vertreten. Denn Käuffelin hatte 

sicJi zwar de r Rc/oriiinfio/i i^ffU^ty aber docJi mir auf diu uiu- 
traliu Ihdai des GclcJirtoi zurückgezogen und seine Ansichten 
festgehalieUy die im Grunde für eine conciliare katholische Re- 
form der Kirche waren; er konnte desswegen auch ebensogut 
neben dem schweizerisch denkenden Phrygio^ tvie neben den 
Lutheranern^ die er nach einander zu CoUegen bekam ^ aus- 
halten. Um so schwerer vertrugen sich diese beiden Partien mit 
einander. 

Erst durch Phrygids Tod trat die Wendung ein, welche 

die Lutherische Kichtuiii'- au der l iiii'ersifat dauernd ba^riiudete. 
Zwar die Wiederberuf u)ig von Brenz inisslatig, dagegen kam 
nun Erhard Schnepff, Am Hofe missliebig geworden^ naltm er 
die erledigte Stelle als Pfarrer und Professor an^ und kam am 
1» Februar ITiii nach Tübingen, mit einem Schreiben des Her- 
ZOgSf auf zcelches hin er zum Nachfolger Phrygids angenommen 
wurde ^ mit dessen Gehalt von 100 Gulden und der Verpflich- 
tung ad lectionem Theologie ordinariam singulis dicbus, quibus 
legi solet, profitendam. Auf Verlangen des Herzogs liess 'tnan 
zUy dass er auf (iruuil seiner einstigen I leideloerger couif>letio 
in theologia promovierte. Anno d. 1544, 19. l'Y'bruarii in.si<^ni- 
bus doctoratus coronatus est Gelesen hat auch Schwpff siclur 
nichts als Exegese, Näher wissen wir nur, dass er die Psalmen 
erklärt hat, aber die unter seinem Namen gedruckten Vorlesungen 
daritber si/uf zum \eeuigsten von seinem Sohne überarbeitet, it'/V 
Julius llartmann gezeigt hat: lirhard Sehne pfj\ S. IUI (f. 

Nun war noch die dritte Stelle offen. Im Jahre lüAo war 
Johann Marbach als Pastor von Isny nach Tübingen gekommen 
und hatte um eine ordentliche Professur der Theologie gebeten. 
Die Sache kam am ^hxi vor den Senat, der sich Jiedenkzeit 
mhin, und zu Ende des Momts ihm schriftliche ^hitzeort su 
schicken versprach, übrigens ihm sechs Thaler nomine viatici 



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— 14 — 



reichen liess. Es erfolgte dann ein ablehnendes Schreiben, In 
der Antwort darauf vorn Mai 1545 versichert er die Uni- 
versität, dass er ihr seine Dienste auch künftig immer bereit 
halten zverde. Dass er die Sa ehe nicht aufgegeben hatte^ zeigt 
sich bald» Am 13. April 1546 erliess^ Herzog Ulrich von Böb- 
lingen aus ein Dekret an die Universität^ in welchem er der- 
selben vorhält^ wie schlecht sie bislier seit zehen Jaliren seinen 
^■lösic/ilefi und Demühutigcn entsprochen /ujIh\ i)isbeso)idere auch 
in Saclien der Religion und Theologie ^ in zvelcher weder mit 
Fleiss gelesen noch genug disputiert werde. Da ist es ein Haupt- 
vorwurf: — Haben Ir In so lannger Zeit noch nach Ichainem 
RechtgeschafTnen Theoloj^o getrachtet, der doch khündte vorab 
zu discr Zeit die rhcolo<4iam by Euch wider In ufrL;an<:f prin^en 
heißen. Darum ivird ihnen zuletzt gesagt, sie sollen ainen Recht- 
geschaffnen Theologum furderlich bestellen, vorab Doctorem 
Marppachium, wa der, wie wir bericht, zuerlangen, furderlich 
för Euch erfordern, unnd uff ain Bestellung mit Ime handien 
unnd schlicssen. Oder wa Ir t^cdiicliten , das einer oder mcr 
auss den Jungen Theologen by Euch, die In kurtzcr Zeit Doc- 
torat annemen, die gelert, der sprachen erfaren, ain soUiche 
Lectur versehen mechten, das Ir dteselbigen unns anzeigen, 
Alssdann wir auch dcrwegcn unnscr Meinung euch ^ediglich 
eröffnen wellen. Einen Erfolg hatte diess aber nicht. 

Durch das Interim ivurde auch Schncpff wieder vertrieben' 
Am 11, November 1546, dem Tage der gezwungenen Wieder- 
einführung der Messe in Würtembergy hielt er seine leiste Predigt. 
Ucbrigens geseliah seine Jiiitlassinig Seitens des Jfemgs in allen 
Ehren. Ein herzogliches Decret, Urach 24, November 1548, 
an die Universität theilt mit, dass er seines Pfarramtes und 
Lehramtes gnediglichen erlassen sei und fordert die Universität 
auf in Anbetracht, dass der Brauch bisher gewesen, dass man 
einem abgehenden Lehrer ain ficrtcil Jars zuvor abkundt, auch 
Ine allsdann mit einer zimlichen Vcreerung abgevcrtigt, so 



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— 15 — 



auch jetzt angeregten D. SchncpfTcn auch mit ainer stattlichen 
Vcrccrung unnd sonst gunstiglich abzufertigen,. 

Aus der Sehlde von Schncpjf, so kurs er im gansen dage- 

Zi'i'Sdff sind die Mtiniu-r liiTrori^r^njigi-n, unter zerh /it /i fast ein 
JahrzckaU nachher die FaciUtat zuerst eine festere Gestalt geivantu 

Zuttäehst aber war nun wieder drei Jeüire lang Käuffelin 
der einzige Professor, Er fii,i^tc sich dem Interim wie vorher 
der Reforuiatioii. Das erstere bot in dieser Zeit unidwrieiud- 
lieJie SeJnvierigkcitcn für die Ergänzung der lacultät. Der 
Herzog Virich stvar wollte sie im FriihjaJir lüöO wagen, stiess 
aber auf Widerspruch bei der Universität, 

Was damals vorgieiig^ ersehen wir aus der Visitati&nsver* 
Jiandlung zwise/ien den fürstlichen Rüthen und der Universität 
am u, Mai löüö: 

— Der Doctrin halber und iiimemblich die Theol<^am 
belangend, wissen sich die fürstliche rhät wol zuerinnem, wie 
und warumb hicvor 13. l'>hart ab^fcschafft worden. Nun haben 
Rector und Regenten ab den zwcy benannten pcrsonen, so 
zuletzt angenommen werden sollten, kein mangel. Es tragen 
aber Rector und Regenten die unterthenige försorg, wa Sie 
sich der keyserlichcn Declaration ntt gemess hallten und die 
anncmen wurden, das solliches möcht der Universität aussgc- 
höpt werden (zudem so sey Statut vorhanden, in facuitate theo- 
logica, das man Baccalaureos zuvor und Licentiaten machen 
soll, ehe man an doctoreos gradus khom, und das solliche 
derlei und .saccrdotcs sc\'n\ W'a aber disc ursach nit statt 
liabcn sollte, wollte universitas wytcr davon hören rhödcn. 

Aber es haben sich Rector und Regenten sovil bedacht, 
das Sic in unterthenigkhcit darfur halten, es möchte zu diser 
Zeyt am nutzlichsten sein, das unser f^nedigstcr Herr gnedige 
p^edult triicL^ und vberstiend dis punct halb mit anncmung £^0- 
melltcr personen, bis man sehe wa aus die Sachen auf künflfti- 
gem Reichstag laufen wollten. — 



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I 



— Der Doctrin halb haben Sic die fürstlichen rhat mit 
beschwerde vernommen, das die zwo iiirgeschlagencn Personen 

nit sollten anj^cnommcn, sondern bis zue Ussgan£^ des künflfli- 
gen Reiclistags sollten verzogen werden. Dan die sachcn moch- 
ten sich lang verzighen, und zue dem verlust, so bisher in 
dieser facultet gewesen, noch verrer schaden bei den Jungen 
crvolgen. wölten aber disen Funct auch unserem gnedigen 
Herrn furpringen. — 

yj/r Ei'^iinziiiii^ der FacitUtit imtcrblicb. Eine jlnshiifc aber 
wurde doch getroffen. Martin I' recht, der wegen seines Wider- 
standes gegen das Interim vertriebene Ulmer Prediger, der jetzt 
in Kirchheim n, T. ans der spanischen Gr/aus^cnschaft entlassen 
7^'arj ivurdc in das fitrstlichc Stipoidium aufgenommen nnd zum 
magister domus bestellt, leoriu er Dietrich Sehne J ff zmn Col- 
legen liatte, Nikodemus hrischlin sagt im Stip. Tubingense, 
Hersog Christoph habe dies patre nuper moricntc gethan; also 
dürfen wir es in den Winter liiHO — fil ( Schnurr er: Febr. 
setzen. Dort hat er dann im Sommer l.'iM schon zieei l'or- 
Icsmigeu j^ehalten, tiii^lieh eine Stunde , den eiiu n Tag über die 
Gcftesis, den andern über Matthäus, zvie er es selbst erzählt in 
einem Briefe vom 4?6*. Ang. loHl an Georg Forster in Nürnberg, 
Hummel cpp. inedd. .7s. Das öffentliche Leiwen blieb ihm noch 
z'ersagty weil man es kaiserlichcrscits so forderte, obxeolil im 
Widerspruch mit dein Text der von ihm beschworenen Urfede. 

So blieb es, bis Herzog Christoph die ängstliche Rüchsicht 
brach. Noch im Jahre l'uti bekam Käuffelin den Dr. Jakob 
JlcuerUn zum Collciicu. Anno a Chr. n. 1551 pridic d. CicorL^ü 
promoti sunt in Theologiie doctores clariss. et doctiss. viri D. 
Mag. Jacobus Beuerlinus Domstettcnsis et D. Mag. Jacobus 

Heerbrandus Gengensis. Anno codcm rcceptus est D. D. 

Jac. Beuerlinus in professorcm theologia; in Academia Tubin- 
gcnsi, //// September {ani^ar. Cruc. hat er scifi erstes (iehaltS' 
Quartal bezogen. Im folgenden Jahre erhielt auch Frccht die 



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~ 17 — 



dritte ordentliche Lehrstelle ^ seine erste Gehaltsrate liat er auf 
die angaria enteis lti52 besogen. Von den beiden nettangestcllten 

Iiatti Iirc/it im xlbcndinahhstrt it luiLi riiir vcnuittchidi' Stcllüui:^ 
eingenommen, zjar aber durch die IVitUnbcrgcr Concor die doch 
eigentlich Lutlieraner geworden. Er ist der letzte Tübinger 
Lehrer^ der der Generation der Reformatoren im engeren Sinne 
angeJiört. iHHcrlin da^^i '^ni eröffnet mit seiner ]\'rson i^erade 
dadurch eine neue ReUu\ dass er der erste ist^ der an der neuen 
Facultät in Tübingen studiert hat. Er ist ans der Schule For- 
sters'und Schnepffs, Mit ihm hat die Facultät angefangen^ sich 
aus sich selbst su erhalten. Doch gehört auch er seinem ganzen 
Charakter naili i)i die Zeit der Kefonnation seligst oder zu den 
Männern^ welchen die Reformation liölur stand als die Ortho- 
doxie. 

Das Andenken an die lange Verkümmerung der Facultät 

sprach sieh aus, als der Herzog /•>.>/, :2. Jf(7! die Universität 
aufforderte y weit er den D. Ik uerlin in Kirehensachen der 
Osiandristischcn Händel lialber) nach Königsberg x*erschickty 
für seifu: Stellvertretung in der Lection bis su seiner Rückkehr 
zu sorgen. Die Universität bemüht sich, in einetn Berichte vom 
f. ßfai diese W^rseh iehum:' noch abzuwenden. Sie hat allerlei 
Gründe^ die Gefahren der weiten Jieisc^ das schreckliche Klima 
von Königsberg — D, Beuerlin sey ohne das nit der sterkhste 
— voran aber stellt sie die Lage der Facultät: — Dann Erstlich 
mo<;cnd Sich I-^wcr furstliclK (inadcn erinnern, Wiedas cttlichc 
vil Jar her unserer facultas TheoloL^ica zwccn ordentliche pro- 
fessores in mangcl gestanden, und allererst bi zweier Jar her 
vermittelst Ewer fürstlichen Gnaden selbs genediger stattlicher 
Beförderung mit zwey, Doctor Peurlin und Licentiaten Frecht 
crcjcntzt. auch seither 'gottlob das Studium theolof^icuni, so zuvor 
lange zeit nuhr durch aincn profcssoremi der doch in seinem 
Vleiss nichts erinnern lassen, versehen gewesen, widenimb in 
zimmblichen uflfgang gebracht, indem sich auch vidgedachtcr 

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— i8 — 



D. Peurlin alls noch in florenti et vivida xtate mitt solchem 

Vleiss und Ernst in die Sachen geschickht, das er schohu et 
ecclesire nostriE Doctrina cxcinplo et nioribus nitt allein wol- 
anstcndig sondern auch gantz nutz- und fruchtbar gewesen. — 

Der Hersog aber blieb bei seiner Anordnung und die Uni- 
versität musste sich fügcn^ und die Stellvertretung anordnen. — 
Intcrca viccs ejus ci^crunt in Icc^cndo 1). 1). lialthasar et liccntia- 
tus 1 Vechtas, usque dum priefatus D. D. Jacobus Beuerlinus 
ex Regiomonto Prussic Del gratia huc salvus rediit et suas 
lectiones rursus incepit 3. Decembris 1554. 

Die Ztisammenset::i(i!<r der Facultät Künffclin y Betterlin, 
Frixlit währte aber nur von !'>.'> :J .V/. Denn liFartiii J- recht 
starb Ende September l'uMi l'ml im gleichen Jahre wurde 
Käuffelin verabschiedet. Am I. August löä6 hatte der Hersog 
von Zwiefalten aus Comtnissäre sur Visitation der Universität^ 
an der Spitae den Landhofmeister Balthasar von GültlingCHy ab- 
geordnet. Es handelte sich um eine förmliche Reorganisation 
der Universität, Die theologische Facultät betrcjfcnd^ wurde dem 
Reetor ein Memoriale übergeben^ Ober welches er mit einer von 
ihm selbst gewählten Commission aus den Regendten su deli- 
beriren hatte, leoritber aber auch die theologische Facultät be- 
soiuieren In' rieht erstatten sollte. Da geht gleich der erste Punkt 
dat Dr, Käuffelin an. In etlichen Visitatiomm habe sich ge- 
zeigt^ eUiss derselbe I^ibs Plödigkheit und alltershalb nit lesen 
khünde. Das gehe nicht an. Da mm aber bemellter D. Bal- 
thasar ein alltcr l'lmcritus milcs, der der Hohcnscluil vil i^uts 
erzaigt, trewlich und nützlich so lange Jar beyj^cw onet, so scy 
er pillich auch die uberigen tage seines Icbens In ehren und 
sonst wol zu halten, Er soll also seiner Lectur mit gnaden 
und güettlich erlassen oder gcfrcyet werden, seine Behausung 
behalten itnd eine jährliche Siuniiie (icld seiner Condnction s;e- 
inäss oder ivie es sonst senatui !^cfaiU\ daneben er D. Balthasar 
als ein allter verdienter Professor und ilirnämer MitRegendt 



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— 19 



In publicis Actibus und sonst In gepürlicher ehr und Rcvcrcntz 

gehalltcn werden. 

Der Hersog will aber der Facultät drei Profcssoroi er- 
halten. Die Universität soll einm Vorsehlag machen. Sie sollen 
gottfiirchtig, gelerdt seyn, und grratiam docendi haben. Es sei 

von D. Hccrbrand und D. Dietrich ScJaicpff die Rede ^vieescj/j 
ujid ivird über sie beide imbcsoiidcre Aeussennig verlangt. Fer- 
ner soll dafür gesorgt werden ^ dass ein geschickhter gclerdtcr 
Hebräus zuwegenpracht und bestöUt werde. Magister Hyltc- 
prantns soll dieser Lectttr entlassen werden und eine andere be- 
kommen. Wo möglich sollte Schrcckhcnfuchs von T'^rcyhurjjj 
geivonncn werden; auch iiber Magister Samuel (Heiland) soll 
berichtet werden^ wie er im Stipendio neben den Ij>cis communi- 
bus Theologien das Hebraeuvi gelesen hätte» 

Die Universität berichtet darauf zuerst , dass sie sogleich 
mit Schnepff in Unterhandln ng getreten seij und demselben die 
theologische Professur nebst der der hebräischen Grammatik 
gegen einen Jaliresgehalt von 160 fl. und 10 fl, für die fuor 
und ufTzug — er kam von Nürtingen — angeboten habe, sodann 
etwas später, dass man mit ihm itbereingekommen sei. J:r traf 
am ersten Februar l')')7 ein und lourde am Ft. in den Senat 
eingeführt. Seine Verpflichtung war, drei Stunden in der Woche 
lectio theologica in hebraico textu, und zwei Stundett hebräische 
Grammatik. Man leollte diese Verbindung damals bleil>ciid 
marlini, und erklärte daher die Instruction in In lri ff einer be- 
sonderen l ocation für die lectio hebraica als hinfällig, Schmpff 
liat übrigens dieselbe doch bald wieder abgegeben. Auch mit 
Heerbrand, der in Pforzheim war, setzte sieh die Universität 
sogleich in Verbindung. Hier dauerte es. etwas länger, 7eeil er 
sieh dem Markgraf eji Carl von Baden auf ein fahr zur Re- 
formation zugesagt hatte. Die Universität und der Herzog selbst 
wandten sich an den Markgrafen, Im Octobcr 1567 konnte 
auch er in den Senat eingeführt werden, 

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— 20 — 



dem eben erwähnten ersten Bericht der Universität ist 
mm auch für künftig in Betreff der Lectionsordnung der Theo- 
logen aufgenommen^ dass jeder der drei täglich eine Stunde^ 
mithin wöchentlich fünf Stunden su lesen habe^ die drei Stunden 
waren die eine Vormittags um !f Uhr, die beiden anderen Xach- 
mittags^ nämlich um 12 Uhr umi um 2 Uhr. Die alte 6V- 
wohnheit^ dass aäwec/tselnd einer in der dritten Woclie feiert^ 
wird abgeschafft. 

Das herzogliche Meuioriale aber halte noch die folgende 
al Ige nie ine Vorschrift idn-r den theologischen Unterricht enthalten: 
Nachdem auch die Studiosi Theologiae fiirnemblich zu dem 
Kürchendienst uferzogen, und nit allein die Hailige Schrift für 
sich selbst zu verstehen lernen, Sondern auch andere zuverstehen 
und Ir Mail daraus durcli Gottes gcnad zucrholcii leren sol- 
len, Hierauf, wil die Notturftt erhaischen, das ein yegÜcher 
Professor Theologiae, Nachdem er ein Caput vei Veteris vel 
novi Testamenti seins Vleiss interpretirt, und aussgelegt, gleich 
darauf den Auditoribus die fiimämbsten locos desselben capitis 
anzaige, und sie Juxta pracccpta diccndi berichte, wie und 
wöUclicr gestallt die bemellte loci In der Kürclien zutractiren, 
und den Predigldndem nützlich furzutragen sey, damit die 
Studiosi Theologiae zu den Kürchendiensten beratttet und in 
Iren Predigten nutzlich und vcrstendtlich Disposition zuhallten 
angefiert und geübt werden. 

Diese Anweisung^ wie die CoUegien zu halten^ ist fast ivört- 
lieh in die Ordination vom 15, Mai ITtii? übergegangen. Ebenso 
ist hier vorgeschrieben^ dass die Professoren der Theologie zu 
Vernieidnng i'on Collisionen ihre feste Stunde einhalten sol/rn. 
Ausserdem ist ihren Theologen die Abhaltung von Disputationen 
(etliclie fual im JcUir) und die Herattbildung der Studenten dazu 
eingescliärft. Den Itebräischen Sprachunterricht wollte auch 
diese Ordination stets einem dasn befähigten Theologen über' 
tragen wissen^ wie denselben eben Schnepjf ubenwnimen hatte. 



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Aber nachdem dieser ihn u'icdcr ahgcgi bciiy kam es nicht ivciter 
zur Ausführung^, Die Facultät mtisste später nur auf diesen 

Unterricht gewisse Rücksichten nehtnen. So wurde sie 1593 
angewiesen, dem Professor hehraiais immer die gwölfte Stunde 
frei zu halten. Im Jahr JdLS ivird sie auch noch beauftragt^ 
den Ersats für den cmeritirten Professor hebraeae linguac D. 
Berit^er su besorgen^ der aber nicht su ihr gehört hatte. Erst 
in spaterer Zeit werden wir finden, dass die Combination durch 
das rndürfniss ernennt i.'ird. 

Ans der Ordnung von J:jü/ ist auch noch des allgemeinen 
evangeliscJien Reiigionsunterricfits an der Universität zu gedenken. 
Schon die Ordination vom 30, Jan, 1535 hatte die Vorschrift 
enthalten, dass der eine der Theologen, und swar derjenige von 
beiden^ welcher das AV//<- Tcstaincnt liest, am Sonntag, DoiincrS' 
tag Uiui anderen l-cii iitv^i-ji zu gclegetur Stunde in pnblieo audi- 
tario über den Katechismus lesen solle. Zum ßesuclte dieser 

Vorlesung werden diejenigen verpflichtet, so in artibus com- 
plicrcn; es soll aber jedermann dazu freien Zutritt haben. Ge- 
gen diese Einrichtung erhoben jedoch die Prifessoren wiederholt 

Vorstellungen, zuletzt in einer eigenen Denkschrift. Ein Dekret 
vom 29, Dec, 1556 aber, eigenhändig von Herzog Christoph ge» 
zeichnet, behärrte darauf und führt neben den allgemeinen Grün- 
den daßir an: — Inn HctraclUun«jj das zu dcrsclbit^cn Zeit 
auch die Kinder Leer in der Kirchen gctriben würdt, welche 
die Studiosi zuversichtlich nit besuchen. — femer: dann wir 
uns zu erinnern haben, das die (Lection) bey ettlichen anderen 
berüembten Universitcten gleicher f^cstallt In Übung istl — So 
ist die Einrichtung auch in der Ordination vom Jn. Jhii 1 ■'>'>/ 
aufrecht erJialten worden. Was es jedoch damit fiw einen Fort- 
gang heute, können wir hier gleich aus einem Gutachten vom 
1, Febr, 1601 über die damals beabsichtigte neue Ordination 
vor7veg nehmen. Der Enhvurf derselben enthielt ivieder die 

Vorsclirift, dass diese sogenannte Icctio communis für Studenten 



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• — 22 — 

aller Facultätcn je am Domurstag durch einen Professor der 
Theologie gehalten iverden solle y der dafür dann seine ordentr 
liehe Leetion am "vorhergehenden Mittivoch ausfallen lassen dürfe. 
Darauf wird bemerkt: Können V.. Y. Gnaden \\\x in Un- 
tcrtlicnigkeit nicht verhalten, das gleich wol vor etlichen jarcn 
solche communis lectio in gebrauch und Übung gewesen, die- 
weil aber zu Winterszeitt sonderlich diese ungelegenheit mit 
einfallet, das sollche lectio in riffido frigore zu halten und 
gleich darauf publica concio 7.11 frcqucntircn sein wil, mus 
eines das ander merkh'ch verhindern, wie so vil uns wissend 
allweg geschehen, und solche lectionem publicam niemand an- 
ders quam qui mctu certissimo poenae advectus fuerit besucht 
liat, da (loch sonstcn, sowol in publicis concionibus als tlico- 
logicis disputationibus eine feine frequentia auditorum omnium 
facultatum sich crzaiget 

Ende l'm7 also bestand die Faeultät aus den drei ProfeS' 
roren Beuerlin, Dietrich Schnepff und Heerbrand. Von Benerlin 
ly.nsseu leir ans Dietric/i ScJinepff or. fun. D 1, dass er über 
das J'h'aiiLie/inju und den Brief JoJiannis^ über den Hebräerbrief 
und den Römerbrief aber auch über Melanchthotis loci gelesen 
hat, Schnepff las Profeten^ er fieng mit Daniel an^ Cellius or. 
fun. E 4. Heerbrand las regelmässig den Pentateuch^ zu dessen 
viermaliger Erklärung er vierzig Jahre brauchte^ Cellius^ or. 
fun. G 1. 

1561—1590. 

Hiermit ivar der Anfang sn einer lange danerttdcn Ord- 
nung gemachty nach leelcher von den drei Theohgen einer den 
Pentateuch, ein anderer die Profeteii^ der dritte das Nene Testa- 
ment liest. Nach dem Vorgange Beiierlim verband dann der 
letstere mit seiner Hauptaufgabe auch den Vortrag des Systems; 
doch bleibt dies untergeordnet. 

Eine neue Einrichtung von grosser Tragweite für die Ea- 



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— 23 — 



culiäl braclUe die tieue Ordnung Hersog Christophs von 1561^ 
Bei der Einfiihrung der Refortnation war einer der abgehenden 
Theologen^ Gallus Müller, zugleich Pfarrer gewesen. Die Pfarrei 

ircJiörU' der Abtei In biiiJuiuscii loui Jiattc inil der Universität 
als solcher nichts zu thun. Aber mch der Reformation war die 
Gelegenkeit benutzt worden y dem erstberufenen evangelisc/un 
Theologen^ Phrygio^ wieder zugleich die Pfarrei zu übergeben^ 
und nach dessen Tod wurde diess bei Erhard Schnepff ivieder- 
holt. Das Interim^ durcJi welches Schnepff vertrieben wurdc^ 
zerriss auch diese Verbindung wieder. Nach demselben war 
Joh. Isenmann evangelischer Pfarrer von Jubingen. Ihre Wie- 
derkerstellung, und zwar in umfassenderer Weise, ist dann ein- 
geleitet unter Herzog Christoph, n/s 1'>:'>S durch Isennianns Be- 
förderung zum Abt von An/idusen die Pfarrei in Jirledigung 
kam. Der Herzog befiehlt jetzt am 30. December den Mitglie- 
dern der Facultäty Beuerlin, Schnepff und Heerbrand, dass die- 
selben die Geschäfte der Pfarrei, bis auf weitere l 'erfugung, 
gemeinschaftlich versehen , insbesondere abwechselnd predigen^ 
und sich in die Inspectionen theilen. Nun war aber ferner die 
Universität in erster Linie darauf gegründet^ dass das Collegiat- 
stifl S. Martin von Sindelfingen auf die S. Georgenkirche über- 
tragen war, und aus diesem stanunten die beiden Würden des 
Stiftsprobstes und des Stiftsdekatis. Mit der Prob st ei war das 
Kanzlerami ständig verbunden worden. Die Stelle des decanus 
war mit der Reformation zuerst eingegangen. Die Probstei 
aber und das Cancellariat war von dem 1534 vor der Refor- 
mation naeli Rottenbuns entwichenen J)r. jlmbrosius Widmann 
hartnäckig und nach dem Interim durch einen mit ihm h'n")! 
geschlossenen Vertrag auch mit Erfolg behauptet worden. Erst 
1666 drängte man ihn, wenigstens die Promotionen einem ein- 
zelnen oder der Universität im ganzen zu übertragen; er ent- 
schloss sich löijT zum letzteren, gegen geicisse ökonomische Ver- 
günstigurtgen (zollfreie Weineinfuhr und Ueberlassut^ eines 



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— 24 — 



Weinkellers . Sc/nvi bei diesen VerhamiLiingcn hatte der Her- 
sag Dr. Bcucrlin als denjenigen im Auge gehabt^ welchen er 
von Widmann substitniert uiinschte. Im Augnst IHGI starb 
endlieh Widmaiin und die Uni^'ejsilät bat sofort^ dass bei der 
Jirsetsiuig des Canccllariats demselben die Probstei verbleibe. 
Die Regienutg erwog in den Verhandlungen die Frage der 
Trenmnig^ giet^g aber darüber himveg^ richtete die alte Verbin' 
dung unter Herstelbmg des geistlichen Charakters der Probstei 
zuieder auf und Hess aueh die Würde des Stiftsdeka)is leieder- 
außeben. Beide zusammen mit der Pfarrstelle bildeten nun drei 
geistliche Acmter^ welche mit den drei ordentlichen Professuren 
durch die neue Ordnung Herzog Christophs vom 16. September 
Iniil verhuiideu leurden. Das Recht zu dieser EinrieJituui!^ ist 
ganz dem Relii^ionsfriedeu j^'-emäss daraus abi^eleitet^ dass der 
Hersog als regierender Land es fürst, Patron und Klostervogt des 
Stifts zu Tübingen die Probstei und Dekanci daselbst cu ruh 
fuiniren, leihen und präsentiren habe, und dass ebenso für die 
Pfarrei der jetzt Jierzo^^Helie Prälat von BebeuJiausen die Prii- 
sentation hat. Die Kinriehtuui:^ verband zweierlei Zwecke^ den 
ökonomischen^ der auf der Hand liegt, und eine Erlidhung der 
Würde und des Ansehens der theologischen Facultät, welche sU' 
j^leich zur Sicherstellunjr ihres Bekenntnisses dienen soll. Aber 
der Jlerzo^^ bekani dadureh aueh einen besonderen und bleiben- 
den JSinßuss auf die Ju setzuiig dieser Facultiit, l'ür alle an- 
deren Stellen an der Unri*ersität behielt diese selbst die Nomi' 
nation und der Hersog hatte nur die Bestätigung. Bei den theo^ 
logischen Professuren umrdc aber nun in Betracht j;^ezoj^enj dass 
das damit verbundene ^e ist liehe Amt zu besetzen dem Herzog 
zustehe^ und desshalb der Ausweg getroffen^ dass beide 2 heile 
auch bei der Nomination susammemvirken. Es wird diess da^ 
durch ausjreführt, dass herzogliche Commissäre für Universu 
tätssaehen jedesmal zur Wahl eines thei'/e^isehen Professors 
nach Tubingen deputiert icerden, umi dass der Vorschlag in 



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- 25 - 

ihrer Gegenwart berathen^ sodann zwar in geheimer Abstim- 
mung festgestellt^ darauf aber ihnen sur hercogUchen Präsen- 
tation eines der Vorgeschlagenen übersehen wird* Ein RecJit, 

licssi H AusitbHu<; in der l\)I<^c inancJicrki Verwicklungen nach 
sich zog. Für das erstemal übrigens wurden die drei Würden 
einfach Seitens des Herzogs den drei vorhandenen Tluologen 
übertragen , imd diess • der Universität durch besonderes Dekret 
vom AA'/. Se/^tLinlh-r eröffnet; niinilicJi dem D. Heneriin l^robstei 
uiui Cancellariat, dem D. Heerbrand die Stiftsdekane i^ und dem 
Dr. Schnepff die Pfarrei, Zu der ganzen Einrichtung gehört 
aber auch nochy dass künftig bei der Wahl immer unter den be- 
fähigten Thcoloi^en solche den Vorzug haben sollen^ welche schon 
im /ierz:oi^iiehen Dienste, Kirchen- oder rni'i'crsitatsanit stehen. 

Dem Probst steht ausser dem Canceltariat auch die Visi- 
tation tnehrerer Prälaturen zu, dem Dekan aber in Verbindung 
mit dem ersteren die Visitation der Artistenfacnltät und des 
/\id(f^i^-([<{inn/s, fiir sich ist der Delcan der erste Superitttendoit 
des herzoLiiichen Stipendiiuns. Der Jfarrer hat ausser seinein 
eigenen Amt auch die Superintciuienz über einen gewissen kirch- 
lichen Bezirk. Alle drei haben an der Stiftskirche stt predigen, 
und Z7var haben Probst und Pfarrer abwechselnd die Predigt 
am Sonata/^ ]'erniittag , der Dekan hat die lormittags/f redigt 
an Feiertagen., und alle drei wechseln ab in der Predigt am 
Donnerstag. 

Durch dieselbe Ordination von 1561 ist der theologischen 
Facultäi noch eine andere Nenening gebracht, nämlich die Auf 
Stellung eines vierten theologischen Lehrers als extraordinarins. 
Dieser vierte Theologe ist der zweite Superintetident des fürst- 
lichen Stipendiums. Er hat als solcher mit demselben am Don- 
nerstag über die Margarita theologica und an den Vakanztagen 
iiber die Pastoralbricfe (später über einen .h/sy/f^'- aifs Ileer- 
brands compendium) zu lesen, inid in l'erbindung mit dem Dekan 
als dem ersten Superintendenten neben den öffentlichen tlieologi- 



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— 26 — 



sdunDispiUdUioncn an der Universität besondere dispntationes und 
declamatiofies theologiac im Stift su leiten. Aber als viertein und 

ausscrordcutlichcni Professor liegt ihiii .zi/i^/etch an der L 'iiii'ersität 
eincreme! //lässige dffe/itlieJie Lectio/i^ alle Ferien^ Sonntag ii//d J'eier- 
tag und endlich die Stellvertretung für die ordentlichen Profes- 
soren in allen Vcrhindcrtingsfällen derselben ob, wosu ihm jedes- 
mal die Materie der Txction aufgetz-agen wird. Seine Anstellung 
erfolgt dureJi die herrjogliel/en KircheuriitJie und Conunissarc 
unter Beirath des Rcctors^ Kanzlers und der theologischen J-'a- 
ailtät, Diess wurde später eine besondere Quelle von Streitig- 
keiten zwischen der Regiertmg und der Uniifersität* 

Schon bei dieser Einrichtung ist das Math vorangestellt^ 
dass im Stipendiuni nicht nur die Leute für den Kirchendienst 
ausgebildet y soiuLern auch und insbcsomicre gelehrte Theologen 
sollen herangesogen lucrden für Professuren^ Prälaturen utui Su- 
perinletuientenstellen und für elfte literarische theologische Thä- 
tiiskeii u/iter dem Klents des Landes. Dieser Zieeck ist aber 
noch ivciter verfolgt^ im Anschlüsse an die grosse Kirchenord- 
ming von HjöO, Diese hatte verord/wt, dass im herzoglichen 
Stipendium ausser dem magister domus und den sechs Repe- 
tenten immer noch eine Ansal, sunt wenigsten vier magistri d, //. 
Sti/'e/tdiaten, die den Cnrs in artibus mit erlangtem Grad beendet 
haben, unterhalten leerdeu^ welche nicht bloss den gcxvöhnliclu n 
theologisclien Curs absohneren^ sondern so lange bleiben und ihre 
Studien fortsetsen^ bis sie es mim Doctorgrad gebracht haben. 
Als Zweck ist hier schon angegeben: damit man jederzeit feine 
gelehrte Theologos fiir Professuren und gewisse Kirche iiäniter 
habe. Gewählt sollen dazu I^tUe werde/i^ so gute ingenia und 
feine Gaben habeit. Die neue Universitätsordnung von löOl 
bestätigt diese Einrichtimg. Die Superintendenten des Stiftes 
sollen beobachten, wo sich unter den Stipe/idiaten geeignete junge 
Leute ßiuleny sollen sie dann zu diesem Curs auf/nuntern und 
dabei beratlieft und unterstütscn. Die Kirchcnrätlie sollen die 



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— 27 — 



Einrichtung respccticrcn und diese Leute in Rulie lassen ^ nicht 
unscitig in Pfarrstellcn ziehen, cominandieren und verschicken : 

CS ivcrdc ja noch genug andere für die gemeinen Pfarreien 
geben. Sun icird aber ferner auch darauf Rücksicht gcnomnwn^ 
dass es doch nicht gerade jedem solchen geschickten Ingenium 
passen mdchtef so lange Zeit als coelebs im Stift auszuharren^ 
bis er es zum Doctorgrad gebracht hätte. Und auch hiefur 
ivird Rath i^esihnjft, indem i/ieseu Caiididaten eine An zahl Rfarr- 
ste/Ien reservier/ werden ^ erst/ich die beiden Diakonate in Tü- 
bingen selbst^ dann die Pfarreien Lustnau^ Derendingen^ Weil- 
heim, Kilchberg, Jesingen und Hagelloch, lauter Orte, welche 
der Stadt so nahe licj^eu, dass von hier ans das Studium ohne 
Schwierigkeil ebenso i^uf fortbe trieben werden konnte. Wer aber 
eine von diesen Stellen erhalten hat, bleibt darauf nur so lange, 
bis er seinen Doctorgrad erlangt hat; dann wird er weiter be- 
fördert f damit die Stelle wieder einem andern snm gleichen 
y.ieeck j^egeben werden kann. So ist also die Absicht^ in der 
umfassendsten und liberalsten Weise mittelst des fürstlichen 
Stiftes eine eigefUliche theologische GeUhrtenschule su errichten. 

Dass jene Pfarrstellen wirklich so verwendet wttrden, be- 
weist uns ein Schreiben des Pfarrers Georg Senger von yesingen, 
im Juni J-'id'^. lir sa^i^t dari/f, dass er 7'or sechs Jahren von 
den fürstlichen Rüthen auf dieses Amt gesetzt -worden sei, mit 
der Auflage, von da aus alle Zeit, welche ihm der kirchliche 
Dienst freilasse, auf den Besuch der Vorlesunt^^en in Tübingen 
zu wenden^ beklagt nur ^ dass diess in der Zeit der Pest für 
ihn etwas schwierii^ gdeorden sei: doch habe er so viel möglich 
gcthan, und nicht bloss Lectionen gehört, sondern auch öffenilich 
und privatim disputiert, und sei immer willig gekommen, so oft 
ihn Dr, Jakob Andreä unvermuthet dazu berufen habe. Unter 
vielen Complivienten gegen die Facnltät und Jn-scheidenheits- 
versichernnj^-en biUet er, ihm jetzt das biblische Buch alten oder 
neuen Testamentes für seine cursoria Icctio susuweisen, die er 



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— 28 — 

/// den bciwrstchcndcn Huiidstagcn {in ur lehnt die ordentlichen 
Lectumen feierten und sivar für die oberen Facultäten vier 
Waclien lang) halten mochte. Die cnrsorischc Lection gehörte 

zum Proinovicj'cn ah Vorbedingung und pjlegtc der Promotion 
selbst unbestimmte Zeit vorauszugeJieu. 

Ein anderes Beispiel für die AusfiUimng jener Institution 
ist der ßingere Eberltard Bidembach^ der am B, Febntar 1501 
die gleiche Eingabe wie Setiger an die Faailtät richtet, und 
zwar als Diacoiius i'on litbingeii. ZeJhii jfa/ire laug hat er 
Theologie studiert^ er hat es auf den Wunsch seiner Eltern 
gethan. Ausser dem Besiuh der Lectionen beruft auch er sich 
auf seiiu: Ucbung in Disputationen^ insbesondere dass er vor 
ziuci Jahren unter dem Präsidium von Jakob Andrea^ der vor 
Kurzem gestorben lear, selbst verfasste Thesen de persona 
Christi et ccena Dominii dcque Peccato originis, contra Zwingli- 
anorum et Flacianorum dogmata, öffentlich volle vier Tage lattg 
vertheidigt hat. Auch hat er auf Gehciss der Facultät am 
Ju-sttag des Ii. Augustinus eine öffentliche theologische declamatio 
gehalten. Nachdem er sechs Jahre studiert j wurde er zum 
Diaconus in Tiibingen ernannt, uttd hat hier seit vier Jahren 
neben seinen kirchlichen Pflichten seine Studien fortgesetzt. Nun 
ist noch übrig, dass er seine lectio cursoria hatte^ und er bittet^ 
dass man ihm dazu einen raulinischeu Brief anweise. Dabei deutet 
er dass er lieber in Tübiugen b/frh:', seine Abberufung aber 
beiforsteht. Die. Facultät hat ihm den Kolosserbrief aufgegeben, 
Bidembach ist aber im Sommer des gleicJicn Jahres gestorben. 

Ein weiteres Beispiel zeigt sich unten bei der Ernennung 
Johann Georg Sigwarf s zum Pfarrer. 

Peiin Rfickb/ick auf die sämintlieli ii F.iurichtungcn^ welehe 
die Ordnung der Universität von lüül in Verbituiu^g mit der 
grossen Kirchenordnung gebracht hat^ ist die Erinnerung an- 
gezeigt, dass die herzogliche Commission für die Universität 
damals aus Balthasar von GiUtUngen^ Johann Brenz^ S, Hont' 



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— 29 — 



tnoldt und Caspar Wildt bcskmd. Es lässt sich leicht ermessen^ 
welchen Tlieil Brenz daran hat 

Kehren ivir von diesen Einrichtungen zur Geschichte der 
Famltät zurück. Der Ptrsonalstand von li'jOl erlitt bald eine 
Vcrändemng, Noch in diesem Jahre am 2S, Oktober starb 
Beuerlin in Paris, Er hat das Kanzleramt nicht wirklich an- 
getreten. Der Herrje^ übertrug nun zunächst am IL Jan, 1562 
dem Rcctor das. l 'icccaiU iUariat^ lasst aber dann im J'ridilini^ 
der Universität durch seine Coniniissäre eröffnen^ dass er 
Probstei und Cancellariat dem Generalsuperintetidenten und 
Pfarrer zu Göppittgen^ Jakob Andrea^ iibertragcn woHc^ worauf 
ihn die Unitfersität zum Professor tiüihlte. Ein Dekret vom 
7. April 1'>(i.'2 zei^t der Universität an, dass die Vocation zu 
Stande gekommen. 

Die durch die Ordination von 1561 geschaffene ausser- 
ordentliche Professur wurde noch vorher dem jiiui^eren Brenz 
— er lear damals Jalirt alt — itbertra'j-en. ^Im /. Februar 
1^62 ist er schon Professor und Super itUetuiciU des Stipendiums 
und wird zum Doctor promoviert. 

Dieser Personalbestand: Andreä^ Heerbrand^ Schnepff^ Brenz 
hat dann M Jahre^ bis zum Tode Schnepjfs^ sich erhalten. Nur 
erforderte die liaußge Abieesenheit von Andrea öftere Ueber- 
tragung des Vicecancellariates theils an Heerbrand ^ thcils an 
Schnepff^ und aus diesem Anlasse erhielt die Faaätät durch 
Dekret vom 9. Juli 1576^ da Schtwpff in Andreas Abwesenlieä 
mit dem l'icecanielliuiat beauftragt leurde, zuniieJist zu deS' 
selben Unterstützung noch einen Superiiunierarius an dem M* 
Joliann Vesenbeck für Kirchengeschäfte und Lectiotien, 

Der schwankende äussere und imiere Zustaftd der Facultät 
hat mit Hei- zog Christophs Regierung, genauer aber doch erst 
mit Käuffelins Tod aufgehört. Mit Andrea aber erst beginnt 
nun die Zeit des f sigewordeuen Lehrtypus. Andrea selbst hat 
in diesem seine Heimat ^ seine zeitxveilige Irenik ist doch nur 



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— 30 — 



diplomatischer Natur^ und gerade dcsswcgen vmsste er zu jenem 
zurückkehren. Dieser Typus ist dann in Tübingen von allen 
Wechseln, wie sie andere evangelisclie Universitäten in der 

nächsten Zeit erfahren^ frei i^ebliehen. Zzeeimai hat daher auch 
Tübingen geholfen, in Kur Sachsen das Liii/irrtnni wieder auf- 
surichten, und damit auf das ganze evangelische Deutschland 
eingewirkt Das erstetnal durch Andreas personliche Thätigkeit 
unter dem Kurfürsten August^ das sweitemal nach der Episode 
des Kurfiirste)i CJiristian /., durcJi Andreas Scliitler. Denn 
Aegidius Hunnias und Polykarp Leyscr ivaren geborene Wür- 
tetnberger und Tübinger Zöglinge, Wie viel die Einrichtungen 
Herzog Christophs zu diesem Ergebnisse beigetragen haben, 
ergibt sich von selbst. Aber auch der giinstige Umstand der 
langen Dauer des gleichen Personenbestandes in entscheidender 
Zeit musste förderlich einwirken. 

An den Lehraufgaben der Facultät hatte die Ordination 
von 1561 nichts geändert. Sie blieben dieselben y wie sie 1536 
und iryhV angeordnet learcn^ mithin in der UauplsacJie bc' 
schränkt auf die Exegese und wir viiissen Iiinzusetzcn^ auch 
innerhalb dieses Gebietes eher beschränkter als früher, nachdem 
die Weitschweifigkeit des Betriebes und damit das lange und 
ausschliessliche Verweilen bei einseinen Schriften überhand ge- 
iwinnien hatte. Doch hat Andrea den l 'organg Beuerlins int 
Vortrag der loci commuiies in der Weise fortgesetzt ^ dass er 
dieselben mm regelmässig neben der Neutestamentlichen Exegese 
zu lesen pflegte. Diess geht aus eitlem Berichte liervor, ivelclten 
die Facultät im Jahre l:'i76 erstattete^ und welcher uns überhaupt 
in den damaligen J'^v/esungsbetrieb eineti vollständigen l'Anddich 
geiveiJirt. Er lautet iiu Concept lleerbrands^ mit swei Zusätsen, 
welche Schnepff beigeschrieben hat^ — wie folgtt 

Ewer Fürstlichen Gnaden gnedigsten bevelh, belangend 
den Supcrnumcrarium Theologia: professorcm, und wie es am 
fueglisten und gelcgcnistcn mit predigen auch lesen in abwesen 



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— 31 — 

Herrn doctoris Jacobt Andres angerichtet, was auch für libros 
Scripturas und matcrias, und zu was stund ein ieder tractiere, 

und das wir unser iiiciniinix und cructbcdunkcn l'.wcr l'ürst- 
liehen Gnaden hicraufl in schrifTtc lassen zukommen, haben 
wir in undcrthenigkeit empfangen und seines inhalts vernommen. 
Demnach geben Ewer Fürstlichen Gnaden wir in underthenig- 
kcit gehorsam zuvcrncmcn, das 

ich D. Diettcrich Schnepft die prophetas ordine, und ietzo 
Jeremiam, somers zeitten hora octava und wintters zeitten nona, 

und ich D. Jacob Heerbrand Genesin Sommers Zeitten 
hora sexta matutina, Wintters aber duodecima, 

D. Canccllarius wann er liic ist hora sccunda die drcy 
ersten tag in der wochen Epistolas Paulinas, die anderen zween 
tag locos communes. 

Doctor Johannes Brentius aber in abwesen eines under 
unss th-e\ en , hat biss anhcr andere büccher i\ltes und iNicues 
Testaments, j;elescn, , 

und diss alles ex ordinattone principali. 

Dieweil nu £. F. G. der kürchen und Schulen zu gutten in 
abwesen gedachts hcrrn Cancellarii ein Supcrnumerartum gne- 
diij^hch verordnet, hielten wir in undcrthenigkeit für ratiisani, 
das beide seine lectiones dermassen behoben würden, 

das D. Brentius lectiones paulinas cursim, 

und dann M. Vesenbeccius Locos communes oder com- 
pcndium Thcolojj^ia,- nach E. F. G. gn. gefallen hora secunda 
anstatt D. Cancellarii lesen, 

also und dergestallt, das sie abwechselten, und einer ein 
Wochen umb die andern lese, und damit diss ortts nichts ver- 
absäumet, sonder sie darinnen möchten fortfaren, das sie alle 
tiii^, wann an einen die wochen kenie, auch tempore vacationum, 
und dcss Donnerstags lesen, in anselumg das der eine allweg 
die andere wochen feyert, wie auch zuvor von alters her, 
wann drey professores Theologise gewesen, geschehen, das 



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32 — 



nur die zween gelesen und der dritte professor alternis die 
dritte wochen gcfeyert, dergleichen auch Dr. Brentius an Sonn- 
und Fcycrtagen, da er sunstcn ordinarie liset, in Icctionc 
Epistolarum Paulinarum proccdicrte. 

Und damit sie beide fortfaren möchten, desgleichen auch 
die Auditores dester ehe hinauffkommen , ihnen beiden Pro- 
fessoribus eingebunden und bevolhen würde, das sie nicht 
lang immoricrtcn, sonder ein ieder seinen tcxtum vleysoig 
doch cursim enarrarierteui und usum kürzlicli anzeigen solten. 

So were unseres geringfügigen erachtens beiden lectionibus 
geholffen, biss zu glücklicher widerkunfft vilcrmellten hcrm 
Cancellarii und lictten auch die anderen lectiones wie zuvor 
iren fortgang . 

Das predigen betretend, wöllen wir unss diss ortts, der 
gelegenheit nach wol wissen zu vergleichen und dermasscn 
verhalten, das vermittelst göttlicher gnaden, wie bissanhcr, 

also auch fiirohin sovil an unsj kein fehl mangel oder clag 
darinnen soll erscheinen. 

So will auch ich D. Jacob Heerbrand wie zuvor ie und 
alleweg in abwesen dess herrn Cancellarii, auch ietzo diss als 
bissanhcr (wiewol ich in meinem statu solches nicht ver- 
bunden, sondern gefreyet) also auch fiirohin gerne nach der 
gnad und krefften mir von Gott verlihen, das böst thun. 

Das haben £. F. G. auff dero empfangenen bevelch in 
underthenigkett sollen berichten. 

Die DrcizaJil der Tagesstunden ist also noch von J't.'>(! /wr 
in Uebufigy so sehr dass auch die Stellvertreter jhidrcäs sich 
eben in seine fünf Wochenstunden Üieilen müssen. Nur die 
Tageszeit wird freier bestimmt. Die Vorlesung über Compen- 
dium oder loci covimunes ist doch auch bei Andrea unter' 
geordnet neben der Hauptaufgabe der Exegese. Dieser fallen 
daher die drei Stunden der ersten Wochentage zu. Aber auch 
die erstere Vorlesung wird als ein stellendes Fach angeseheti^ 



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- 33 — 



wÄf sich eben bei der Frage der Stelhfertretutig seigt. Für 

diH l'ortbcstand derselben ist bald das F.rsclieinen von Ileer- 
brands Compendium im Jahre liiVS von Ce:eie/i/. Später ver- 
steht es sich von selbst ^ dass über Heerbrands Buch gelesen 
wird. Sonst kann hier über Andreäs Lehrihälii^keit auch noch 
aus lleerbrands or. fun. D 2 bei^t^efit^i^t leen/e/i, dass er sie/i 
besonders bemüht habe um die histruetion der Studierenden in 
Theolcgia practica ^ wozu ihn seine reiche Erfahrung vorsugs- 

s 

weise befähigte^ und ebenso^ dass er sehr häufig Disputationen 

über die Streifmaterien der Gegenu^art hielt. Was über des 
'ßingcren Brenz i^eiAdinliehe Thätigkeit als Extraordinarius an- 
gegeben wird, entsprieht ganz der Ordination von löOl, 

Der herzogliche Bescheid auf den Bericht ist vom 18. Sep- 
tember 1576 datiert. Er verhehlt nicht , dass bey uns etliche 
andere beclencklien füri^efallcn , j^enehnii^i^t aber i'orlai/Jii^ den 
jliitraj^, unter l'orbehalt weiteren Berichtes und weiterer Ent- 
scheidung, Dann wird auch bestimmt ^ worüber Brenz lesen 
solle, nämlich: wafeer Inn Kürtzin die Epistola Pauli ad Tttum 
nicht j»elesen worden, solle Brenz den Anfang damit machen, 
\va aber die Epistola ad Titum neuerlicher Zeith cxphcicrt 
worden, solle man ihn ein andere kurtze zunächst lesen lassen. 
Auch wird ihm aufgegeben, da er nur je die ziveite Woche lese^ 
das er mit seiner Explication fortschreitte und nicht zu lang 
ininiorierc. Die Facnltät hatte ja für die Hilfslehrer selbst hier- 
auf hingeioiesen, während dieses Gebrechen allerdings in ihrer 
eigenen Mitte ausgezeichnet vertreten war. 

Der Supemümerarius Visenbeck, der 1577 zugleich zum 
Diaconus in Tübingen bestellt war, wurde 15H0 durch Stephan 
Gerlach ersetzt; ein Hilfslehrer lear bei Andrejs häufiger und 
andauernder Abwesenheit fast unentbe/irlii h. Gerlach z>.'ar im 
yahre 1578 von Constantinopel zurückgekehrt^ wohin er den 
kaiserlichen Gesandten, Herrn von Ungnad, als evangelischer 
Gesandtschaftsprediger begleitet hatte. Er wurde auf Herzog 

3 

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— 34 — 

Ludwigs Befehl mnäcint im Stifl untergebracht^ um sich dort 
auf cifte Professur vorzubereiten, und schon nach einetn halben 

yaJir rrj^f/it am If). yuH l^tTO ein licrzoi^licJics Dekret^ es solle 
berichtet werden^ wie und wölchermassen er sich seidthero con- 
ctonando, disputando, auch lectione dirsoria geübt, unnd was 
er verrichtet, unnd wie die sach mit Im geschaffen seye. Auf 
L^ii)istig-en In- rieht leii'ii dann am Jani/ar 1580 der Unii'er- 
sität eröffnet, äass Vcscftbcck zum Superintendenten und Pfarrer 
in Göppingen, und an seiner Stelle Gerlach, der am ^3, No- 
vember 1579 Docior geworden war, cum stipernumerären Pro- 
fessor ernannt sei. Er hat dann auch die Aufgabe Vesenbecks, 
nämlieli das Compeiidiiim iibernommen^ so dass sich in der Be- 
setzung der Fächer nichts änderte. Bald darauf wurde die Don- 
nerstagslection des Extraordinarius aufgehoben. Her sog Ludwig 
dictierte auf einen ihm von dem Hofprediger Lucas Oslander 
unmittelbar vorgelegten Bericht den Bescheid: man soll diese 
Lcctionen einstellen, Multac cnim Icctioncs absque repetitione 
parum prosunt. actum Stuttgart, i8. April 1580. 

Die nächste Lücke in der Facultät selbst seit Andreäs Ein" 
tritt brachte der Tod Schnepffs am 9, November 15S6, Die 
ersten Verhandlungen fanden gleich darauf statt. Die Juicultat 
hatte sich geäussert, umi im Scnatsprotokoll vom ^0. Noi>. fituiet 
sich schon ein Vorschlag mit nicht weniger als sehen Namen: 
Dr, Stephan Gerlach, Dr, Brem, der Pfarrer Bremmer su Göp- 
pingen, Dr. Jacob Schopper, Dr. Hcilbrowtcr, M. Sigivart, Dr. 
\\-senbeck , Dr. Uunnius, Polykarpus ( Leyser , Dr. Oslander. 
Alfer die Sache zog sich länger hin. Die Verbindung der Pro- 
fessur mit dem Pfarramt macht diesmal Schwierigkeit, insbe- 
sondere weil die Gemain und Burgerschafft zweimal bei dem Her- 
sog eine Supplication einreicht, um Besetzung der Pfarrei mit 
dem Tiibinger Diakonus jfohantt Georg Sigzcart. Im Sommer 
werden sweinial, Ende Juni, und 27, Juli, die herzoglichen 
Commissäre atigemeldet, endlich kommen sie, und in der Ver- 



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— 35 



handhtfig sUÜU sich heraus^ dass inan dock nicht so ohne zvci' 
teres auf den Candidaten der Regicriiui; — das ivar Gerlach — 

i-iiiL;\'IiL-)i ivolltc. Der Senat incHniertc auf die In-nifituf;; von 
Hunnius aus Marburg; man wollU' aber zuerst an ihn schreiben 
und zwar laut Beschlusses: ob er fuglich abkommen und er 
nit grossen nutz zu Marpur^ schaffen könnde. Iftdess unter- 
blieb diese seltsame fneildtii<>i , leeil der Recior und die theo- 
logische Facultät nicht dariiber eini;^ iverdea konnten^ iver von 
ihnen beiden zu schreiben habe. Am 20, August lö87 berichtet 
diess der Rector dem Senat uftd am 2i. hatte er schon das her- 
zog! icke Dekret vom mitsntheilen, wodurch Gcrlach und 
Sii^'iiuirt beide angestellt wurden. Die Regierung hatte sieh 
durch die schwerfalligen Anläufe der Universität nicht auf- 
halten lassen. 

Das Dekret motiviert nun ausdrücklich, warum auf Hun- 
nius nicht eingegangen zeerde^ und ebenso wenig auf D. lleil- 
bromier, der damals Hof p red iger des Pfalzgrafen Philipp Ludwig 
von Neulfurg war. Beide seien, als unsere gewesene Alumni 
und sttpendiarii wohl bekannt und für das Afnt gatts geeigttet; 
jedoch — heisst es weiter — will iinns auss Vielen erheblichen 
bcwcgliclien iinnd W ichtigen Ursachen ganz bcdcnckhlich sein 
unnd nit für rathsam ansehen, Sie oder andere Ihresgleichen 
vonn denen Enden unnd Orten, dahin wir Sic zu der Ehre 
Gottes, befiirderung und Vortpflanzung der Rhainen lehre, aln- 
nial bcwillip;t, unnd da Sic (Sonderlich bc)' discn gefährlichen 
unnd beschwerlichen Zeiten vil guts schaffen, oder ja vil böses 
verhindern künden, abzufordern, da wir vU lieber sonst andern 
mehr christlichen Herrschafiten , bey denen An taugenlichen 
Rainen lehrern mangel furfallen möchte, weitere Hilff thun, 
unnd die 1 lantl bieten ^\o]leten, Inn Annsehuni'' wir bissher 
genugsam gespürt und erfahrenn, ^^as der getreue Gott ettlich 
Jar her hiedurch zur erhallttung christlichen Consens für Nuzen 

geschafft, da sich sonsten etwa an vilen Orttenn Andern gc- 

3« 



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- 3Ö - 

nachbarten umbligenden Kirchen zuo Schaden, ohnruhe erhebt 

unnd Allcrhaiul bcschwcrdcn zucrctraj/en hctten. Jis sri drs- 
halb^ heisst es später^ onnotwendtg, an Dr. Hunnius oder einen 
anderen zu schreiben. 

Was die Besetzung selbst belangt^ so verßgt das Dekret^ 
dass für dicssuial ausjtahmswcisc die Professur und die Pfarrei 
{getrennt ^iwrdc'n; die Profcssur kouunt an Dr. GcrlacJi ^ die 
Pfarrei aber wird dem Diaconus Johann Georg Sigwart ver- 
liehen, Diess wird damit begründet: Das unnser Diacon bei 
Euch Ds Joannes Georgius Sigwart sich Inn Seinem studio 
thon unnd leben allwci^cn gcvlisscn , gebürliclicn unnd wol 
verhalltten , nach dem magisterio 7 Jar lan;^ Thcologiam ge- 
hört und darinnen complirt, unnd jez viel Jar nie vonn der 
Universitet ann andere Ortt abkommen, sonndem Inn steetigem 
Exercitio gebUben, dahero (wie Ihr selbst wissen) In contro- 
VLTsiis und disputationibus excrcitatus unnd cxpcditus ist, darzu 
sovil das PredigAmbt anlanget (wie wir Ine selbss gehört unnd 
befunden) sonndere feine dona hat, anmüetig zuhören ist, Unnd 
mit seiner lehr durch Gottes gnad etwas erbawen kann. — 
Neben dem Pfarramt wird ihm aber auch zuglcicJi die Stell- 
vertretung des Kanzlers (Andrea) in Icctionibus und disputatio- 
nibus auferlegt^ für den FaU^ dass dieser wie bislier so oft in 
Geschäften abwesend , oder durch Leibesschwacliheit verhindert 
sein sollte, Sigiuart selbst werde sich durch diese Auflage als 
ein junger Theologus nulil bLSciticcrt fiilileii. So ist er also 
in der T/iat ebenso wie /riiher Vesad?eck und Gerlach der Fa- 
cultät als Supemutnerarius beigegeben^ wird aber dann bald als 
Extraordinarius aufgeführt, 

Uebergangen war bei dieser Gelegenfieit der Extraordinarius 
Brens^ der nun schon ^ahre auf seiner Stelle sass. Das 
Dekret bezeugt ilnn, dass er bisher sein Meiss unnd bestes ge- 
than und verspriclU Htm bei Gelegenlieit eine anderwärtige Ver- 
wettdu^g. Als dann Gerlach in den Senat eitigefülirt wurdc^ 



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— 37 — 

hUU er^ e/ie er sem Jurameqtum prcstirte cifte Ansprache: er 
hättef si posset fieri^ nichts anders gewollt^ als dass Brcns die 
Professur erhalten, und er selbst an dessen Stelle (gekommen 

zi'iitr; da nun. aber der Senat sich für ihn selbst entschieden^ 
so tnitsse er ivokl geliorcken. 

Ein weiteres Dekret von 1587 regelt dann wieder die Aus- 
theilung der Fächer, und zwar gans in derselben Weise wie es 
V)7i) (!^esc/iehen 7^ar. J^er neue Ordinarius, GerlaeJi nändiek 
hat die Leetion Schnepffs, d. h. die Profeten iibernonimen (Heer- 
brand behält den Pentateuch)^ der Kanzler Andrea aber ist w le- 
ider auf längere Zeit abwesend ^ also seine Fächer wieder wie 
damals zu versorgen. Davon übernimmt Brems die Paulinisclien 
Ih'iefe und —.car zunächst den (ersten: } Coriiithierbrief zcorju 
er sich erboten. Der Pfarrer M, Sigwarf nl>er statt GerlacJis 
das Compendium und loci communes (nach Heerbrands CotPipen- 
dium vgl, M, Hafenreffer or, fun, in y, G, Sigmartum, 7ub, 
JKilO S. 19), und zivar bekommt Prenz zeieder die drei Stunden 
in den ersten drei JlWhentai^^e//, Siii^wart die zwei in den letzten 
Wochentagen, Nach Andreas Zurückkunft soll weiter berichtet 
werden. Aus dieser Zeit besitzen wir auch wieder ein Dekret 
über den Vortrag der Professoren im Visitationsreeesse von InSO: 
Nachdem auch die professores superiorum et inferiorum faciil- 
tatum in den Rccesscn hervoriger Visitationen dahin erinnert 
worden, das sie in Iren lecttonibus unnd assignirten materiis 
et autoribus nicht zu lang Immoriren, sondern etwas fiirderlich 
darinn fiirc^chen und procediren sollen, l'nnd sich aber in Jetzi- 
ger Visitation befunden, das bey ettliclien das vil unnd Ueber- 
, flüssig Dictiren unnd daher verursachter längsamer Proccss 
nicht abgestellt, sollen dieselben hiemit abermals mit ernst zu 
schleunii;em Vortgang, underlassung des überflüssigen dictirens, 
und Insgemain dahin achiionirt sein, das sie mehr auff tlen 
profcctum unnd nutzen der Auditorum, denn au£f Iren eige- 
nen Rhum (so sie auss solchem lesen , welches magno cum 



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- 3» - 



apparatu bcschicht, zu erlangen verhoffcn) sehen wöUen. Achn- 
lieh shid W)H den Promotorcs die laugen Reden untersagt^ bei 

ijclchcji dann die candidati selbst zu kurz kommen. 



1590—1620. 

Am 7. "yanuar IdOO starb jbidrcä, WäJircmi seimr Dienst- 
zeit war durch seine häufigen und tätigen Entfemwtgen oft die 
Sfellvertreiung im Kanzleramt nothtoendig gewesen^ und wir 

Juideii, d<rss rjn derselben leiederliolt 1570^ L'tTJ I leerhraiui 

berufen umrdc^ J'>7<i aiicJi^ ivie oben cneä/inl^ Sckncpjf. Jetzt 
wird von Herzog Ludiuig schon unter dem 0, Jamiar eim her" 
sogliclie CommissioiiyDirector Magirus^ Hof Prediger Luceis Osian- 
der, Rath Eisengrein abgeordnet^ um über die vorläufige Ver- 
seJiuni: bis zur \ll'ederbeset.:it//ir mit dem Senat .zu beratiten. 
Die drei Herren kamen aber bloss bis Waldenbuch^ und seh rei- 
hen von hier aus nach TübiitgeUi sie hätten da auss allerhand 
bewegenden Ursachen gleich wider umbzulcheren bedencldien 
gehabt. Sie ziehen die schriftliche Verhatidlung vor, wtd machen 
den l'ersihlngy es möge das Mcecaneellariat bis auf weiteres 
an lleerbrand gegeben zeerden, nmi leegen der Predigten die 
Herrn sich mit einander vergleichen. Diess wurde denn auch 
von Tübingen aus so beantragt^ und erhielt die Genehmigung, 
wobei sich zeigte dass die vier Theologen nicht bloss die Morgen- 
predigten, leie die Ordination von 1'>i)l sie ihnen zniveist, son- 
dern an eh die Vesperpredigten abweehseliui zu verseilen pfiegten. 
lleerbrand, der sich schon in dem Dericlit von 1576 darauf be- 
rufen ItattCy dass ihn sein Stat als decanus nicht zur Aushilfe 
bei den Sonntagspredigten verpfaehte ^ hat dabei wenigstens er- 
langt, dass er die Wsperpred igten , wenn sie ihn im Turmis 
treffen, abgeben dürfe. Am 22, Mai moniert die Universität 



die definitive Besetzung und erhält die ZiisagCy dass die /».•- 
ratkutig mit den Jierscglic/u*n Commissären bei der. bcvarstehcn- 
den Visitation erfolgen soll. Am 19. Ncvember 1590 /toben dann 

die furstliclu ii Conunissdir^ den JAxndhofnieistcr an der Spitrje, 
die Entsc/iliessung des Hersogs dem Senate verkündet^ dass man 
keine qualificirtere Person zum Universitätskanzler gefunden 
Itabe^ als D. Heerbrand ^ und wird dessen Einführung in aller 
Feierliehkeit vollzogen^ durch Wechselredcn des Rcctors, des 
neuen Kanz/erSy und wieder des Reetors^ und cndlieJi des fürst- 
lichen Kanzlers Aichmann , der das Wort für die Commissäre 
fUltrte^ und der dieses alles dem Hersog bericltten will. 

Hiebet hat der letztere gleich den weiteren Ersatz der 
Faeultät mit dem herzoglichen l'orsc/ilag ringe/eitd , dass jetzt 
Gerlach das durch lleerbrands Ikförderung erledigte Dckaiuxt 
bekomnten^ und^ dieweil in lectio epistolanim Divi Pauli hoch- 
gelegen, dieselbe übernehmen solle. Diess ist auch geschehen 
und Gerlach hat nach einander die zehen Ih'iefe vom lipheser' 
triefe aUy mit J:insch/uss des Ilebräerbriefs^ gelesen. Bretiz 
dagegen sollte die Profeten übernehmen^ und endlich Sigivart 
xtMrde Extraordimritts bleiben. Somit hätte zwar Brenz eine 
lectio ordinaria erhalten, aber es war dabei nicht gemeint, dass 
er auch Ordinarius iverde. Denn es ist iiusdri(ck!ich damit der 
Vorschlag verbunden, die beiden livtraordinarii d, h. Brenz umi 
Sigwart abzvechslungsweise ^ ähnlich wie die Artisten^ an den 
Sitzungen des Senates, auch den damit verbundenen comtnoda 
T/ieil nehmen zu lassen. 

Aber die Sache kam anders. Vormittags hatte man diesen 
Bcschluss gefasst. In einer Nachmittagssitzung erklärten die 
Commissäre die Genehmigung des Hersogs, (der in Tübingen 
anwesend war) und beantragten^ dass man sofort den beiden 
Fxtraordinariis Brenz und Sigi^uirt die liro^'nuug mache. Da 
erklärte der Kanzler der Universität , die Herren ha^^ n sich 
inzwischen amiers besonnen^ jene Abrede bringe doch Incon- 



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— 40 — 



venicnscn mit sich^ man solle lieber D. Brenz in den Senat 
setzen und ihm die ordentliche Professur der lectio proplictariim 
gehen ^ so dass Sigxcart alleiu Extraordinarius und dabei wie 
bisher Pfarrer bleibe, Aichmann erklärt sich auch hiermit ein- 
verstanden, will es dem Herzog berichten, nimmt aber sofort 
aitf s'h'h^ dass schon jetzt Brenz hereingerufen und ihm die 
Eröffming gemacht iccnle , was denn auch geschieht und von 
Brens viit grosser Danksagung en^egengenotnmen wird. So 
hatte er also nach 29 Jahren doch die ordentliclie Professur 
erreicht. Aber auf kurze Zeit, denn schon im Juli 1591 wurde 
er auf die l^rälatur Hirsau berufen, bei welcher Gclegciüicit 
der Sciiat die Frage erörtert^ wie es damit su luüten seiy dass 
CT auf sein Besohlungsgeld etwas vorausgenatnmen habe, ob 
man dieses bei einem abbenifenen behandeln k^nne, wie bei einem 
verstorbenen. . Ins der Kürze der Zeit^ in welcher Brenz Ordi- 
luirius lear^ erklärt sich, dass nachher Jfafenreffer als unmittel- 
barer Nachfolger auf der Stelle Heerbrands genannt wird, so 
von Lucas Oslander in or, fun, in ex, D, Hafenrefferi, S. 19, 
So handelte es sich jetst noch einmal um die Wieder- 
besetzung der ordentlichen Lehrstellen in der Facullät neben 
Heerbrand umi Ger/ach^ und ztuar hatte der zu berufende wieder 
die Profeten su übernehmen, Diessmal wollte Herzog Ludwig 
den Dr, Heilbronner haben, und fnan suchte der Universität 
zuvorzukommen. Das herzogliche Dekret vom 7;>. Jn/i litUt 
sagt vor allem: wie sein locus mit einer solchen Person widcr- 
umbcn zuersetzen, welche nicht allein mit Predigen, lesen und 
dtsputiren solcher Vocation (zur ehre des Allmächtigen, er- 
bawungf seiner p^elicbten Kürchcn, unnd guttem nutzen der 
hliulircndcn jiii^t lult , notturftiglich vor/.ustchn wol ()u.ililu irt, 
sondern auch publicis Scriptis den Adversariis sincene Kcli- 
gionis widerstandt zuthun taugenlich und allbereitt apud Exteros 
bekhandt, auch eine zimbliche Experientiam in negotüs Theo- 
logicis habe. Der Herzog habe die Berathuug über eine solche 



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- 41 - 



Person seinen Geheimen Riithen und Coiniuissnren für Uni- 
versitätssachcn ) aufge^ebeUf und diese Jmbcn ihm den Dr. Heil» 
bromer "genannt. Er sei unser ' landkindt und noch obligirtcr 
Stipendiat Der Unvuersitätsordmwg gemäss solle sich mtn 
auch der Senat Uber iJin inissern^ der Herzog leisse leolil^ dass 
sie früJier ge'^en Um Bedenken geJiabt ^ versehe sieh aber jetzt 
nicIUs dergleichen. Der Senat aber liess- sich nicht überraschen^ 
sondern erklärte ^ er habe noch Bedenken und fordere die ord- 
nungsgemässe Absendung fürstlicher Commissäre stir gemetn- 
sanien Beratliung. Diess konnte man nicht ableJinen^ der Herzog 
schickte am 7. August löUl seinen Kanzler Aichmann und den 
Hof Prediger Lukas Oslander. 

lieber das Ergebniss dieser Verhandlung enthalten unsere 
Akten nichts. Xach der Angabe Hafenreffers i christliche Leitch- 
predigt bei der Begrabniis drss etc. etc. jfacobi Ucilbrnnners etc.ete, 
Tübingen^ 1619, S, 35,) hat der Herzog die Vocation im Jahre 
1591 an Heilbronner gerichtet^ der Pfalzgraf Philipp Tjudwig 
aber dieselbe abgewendet. Heilbronner ist nachher als Prälat 
von Auhausen nnd zuletzt von Bebenhansen doch leieder in 
Würtcmbergische Dienste gekommen, Ueber die Professur in 
Tübingen aber wurde im Juni 1592 tvieder verhandelt ^ und 
nach Uebcnvindung verschiedener Schwierigkeiten erlangt, dass 
auf dieselbe der Ifofprediger nnd fürstliche Rath in Stuttgart 
M. Matthias Hafenreff er ernannt wurde, l'.r bekam zugleich 
die Steile des zweiten Superintendenten am Stift neben Gerlach, 
der als Dekan die erste hatte^ weil der Extraordinarius Sigwart 
aiisnahms7veise die Pfarrei hatte, nnd daher jene sonst mit dem 
I''xtraoriiiiiariat verbundene Stelle nicht fiihrcu konnte. Das 
Dekret spricht auch aus: und halten wir darfür, das er sich 
Selbsten dahin richten werde, damit er ^adum Doctoratus 
assumire, das er hernach mit desto mehrerer authoritate docim 
möge. Die Facultäf u'crde ihn ja lenhl selbst gerne dabei 
fördern, Er übernahm dann die bisherige Vorlesung Gerlaclis 



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— 42 — 



über die Profetcn^ uttd hat sie allc^ die grossen und die kleinen^ 
absolviert y vgL Luc, Osiander y or, fun» in ex, Matth* Hafen^ 

reffcri p. 23. 

Die Facultiit Jiattc nun von Inf)!!} an n'icdcr einen festen 
Bestand in Heerbroiuly Gcrlacli und Jlafenrejjfcr^ dazu der Extra- 
ordinarius Sigioart, Die näcfute Aenderting tritt ein mit der 
Resignation Heerbrands ^ welche dieser nach mehr als xnersig" 
jäJiriger Function nahezu achtaiq^jähriij;- mit witternder Hand 
umi doch noch festen /iii^en unterschrieben aui ö. Jan. lö'Jl) 
einreichte: — Nunc voluntatc Domint co loco res mcre sunt, 
heisst es darin ^ ut, quamvis animtis ad officium porro etiam 
faciendi non desit, tarnen ncc corporis ncc memoriae vires 
siippctant, qii.ic in co IVofcssore Thcohv^o rcquiruntur , qui 
et cum laude dignitatcquc scliolac, et cum fructu commodoquc 
Studiosae juventutis pracesse functioni suae recte velit. 

Die Resignation tvnrde am 11. Jan* 1590 in Gegetrwart 
der fürstlichen Commissäre, an deren Spitze der Landhof- 
nieister l-.berJiard Schenk zu LifUpuri:; stand ^ im Senate an- 
genommen^ und sofort durch den Kanzler Aichmann im Namen 
des Hersogs Friedrich der Vorschlag gemacht^ Aegidius Hun- 
nius zu berufen^ wozu auch sclton die ersten eiiäeitenden Scliritte 
geschehen seien. Der Senat stimmte bei^ und man war so 
sicher, dass man schon den Anfang des Gelt altes auf sein an 
Gcorgii oder Pfingsten entartetes Fintrejfen festsetzte, Jlnunius 
beantwortete das Schreiben am 2i, Februar lltOO von sich aus 
zusage ftd. Aber er legte zwei Schreiben bei, die er von der 
Kurßirstin Wittwe Sophie von Sachsen und von dem Admini- 
strator in KursachsiUy Herzog Friedrich Wilhelm von AUenburg 
erluxltcn hatte ^ ivonach von dort eine eigene lugation an den 
Herzog Friedrich geschickt werden x\follte^ um ihn zu bewegen^ 
dass er voff seiner Fordenmg cdf stehe ^ utul erklärte^ dass er 
unter diesen Umständen nur zuivarten könne, leie iiber ihr ent' 
schieden werde. Der Herzog von Wiirtembcrg gab nach. Im 



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— 43 



folgenden Verlaufe aber spiegelt sich die herrische Natur des 
jetzigen Regiments. Die Kanzlerstelle blieb dann sechs Jahre 
unbesetzt. Erst am o*. Mai IfjOi) erfolgt die Ernennung des 
ylbtes Andreas Oslander zu Adelberg. In die Zivischenzeit fällt 
die Aufrichtung einer neuen Ordination, der Fridericiana vom 
IS. Februar IGOl. Der Personalstand der vorhandenen Theo- 
logen blieb ivähremi dieser langen Vakatur des Kanzleramtes 
unverändert. Nur wurde bei Gelegenheit der Visitation der 
Universität endlich am 4. Juli 100 f. vorgeschlagen , dass die 
seit Heerbrands Resignation erledigte ordentliche Professur der 
Facultät besetzt werden solle , und zivar durch Ein rücken des 
Pfarrers Sigwart, jedoch nur ad tempus; das heisst, es sollte 
für die definitive Besetzung des Kanzleramtes — als l 'icekanzler 
imr ebe/i Gerlach verkündet — alles widerruflich bleiben. Der 
Senat stimmte c//, Sigivart wurde sofort eingeführt und erstattete 
Jiiranicntiim «cnatorium. Endlich gab die fühlbare Lücke lO'Ol 
Veranlassung^ wenigstens zeitweilig einen neuen Extraordinarius 
aufzustellen y in der Person des M. Michael Schäfer, bisher 
Diaconus in Marbach. Es geschah diess nach Art jenes Re- 
giments unter Herzog Friedrich zuerst durch einseitige Anord- 
nung vom 22. März 1604, und zwar in der Form, dass Schäfer 
von seiner Stelle aus nach Tübingen geschickt wurde unter 
Hinweisung auf das Bedürfniss in der be^vor stehenden Oster- 
zeit, um dasclbstcn bcy der Kürchcn mitt Predigen und inn 
ander wecg gcbürendc Assistenz zu laisstcn. Dabei wird 
lueiterer fk scheid in Aussicht gestellt , ivas demselben bey der 
Kürchen und unser Universität rationc professionis cxtraordi- 
nariac (doch allein ad tempus) obgelegen sein solle. Da 
musste die Universität schon wieder am 0. April sich um ihr 
Recht wehren, dass sie bei der Anstellung dieses Extraordiiiarius 
statu tgemäss gehört werde. Diess geschah dann,, am 1. j\fai 
wurde dem Senate erklärt, dass bis zur Tractation Schäfer 
einstweilen wieder sein Amt in Marbach versehen solle, und im 



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Juli 1604 kam es dann sn seiner ordnungsmässigen Ernennung 
auf das Extraordinariat Am 5. August hat er Formulae Con- 
cordiae subscribiert und Juramentum Professorium erstattet. Mit 

dl)' Kruiununi^ Oslanders zum Kanzler KiO'f i^^urdc er wieder 
entbehrlich f und ist zusi^leich weitere Entschlicssung iibcr ihn 
angekündigt. Er wurde dann aweiter Hofprediger in Stuttgart, 
Seine Tübinger Amtszeit war übrigens auch von den Collegcn 
benutzt worden^ dem Extraordinarius die Abendpredigten auf- 
zulegen. \ 'on da an sind die Faeiiltdtsniitgiieder hritJipredigcr^ 
und der lixtraordinarius hat die Abcndprcdigten^ was sich mit 
vorübergehenden Sc/iwankuttgen das siebensehnte JaJirhundert 
hindurch erhalten hat. 

Was die neue Ordinal lon vom !-. l'ebruar Klf^l saninii 
den neuen luieultatsstatuteti luini /.">. August IdOl anbetrifft , so 
vjurde dadurch in der Einrichtung der theologischen Facultät 
besüglich des Studiums kein nennetiswerther Fortsehritt gebraeltt. 
Es ist in den Vorlesungen nur die Gewohfdieit , welche sich 
seit Ik uerlins Zeit gebildet Jiatte^ zur Oniiiung erheben. Xani- 
lich dass der eiiw den Pentateuchy der andere die Profeten, der 
dritte libros et epistolas Nervi Test, erklären solL Für die loci 
ist aber jetst anders gesorgt^ als su Beucrlins und Andreäs Zeit, 
Der vierte Theologe d, h, der Extraordinarius sollte nach der 
Ordination zur Aushilfe Jiir die andern da sein, naeJi den 
neuen Facultätsstatuten aber als eigene Lection haben die Au- 
gustana oder die Cottcordienfonnelj oder das compendium locorum 
Theologicortm. Doch dürfen sie es auch anders vcrtheilen. 
Aufgenommen ist dann auch die schon in dem Memoriale von 
l.'i.'iii enthaltene Atiordnung , leie der Fxeget am Seh/usse Jedes 
Capitels die loci aus deinseUn n und ihre f^rahtische Anieendung 
aufstizeigen habe^ utul ebenso die Vorschrift ^ dass jeder seine 
bestimmte Stunde einliaUen solle. Wenn ein Professor aber su 
predigen hat. ist er Tags streor lectionsfrci. Was die Lcctions- 
verthcilung betrifft^ so zählt ein nachher zu erwühiumicr Bericht 



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vom 6. Mai 1605 die Stellen so auf: Kansler^ Dekan und Pro- 
fessor lectionis Propheticae, Diess schliesst sich an die Tliat- 

saclii aUy dass diircJi Ilicrbrand als Itiziiii Kanzler der Pru- 
tateuck die Kanslers-Leciion^ durch Ger lach bei seiner Ueber- 
nahnte des Dekanats aber die Neutestamentliche Lection die 
DekanS'Lection geworden war. 

In den VorecrJiandluiigen fiir die neue Ordination hatte 
die Regierung eine Aenderung bei der FaciilUit beabsichtigt, 
der Plan toar an dem Widerstande der Universität gesclieitert. 
Erstere wollte nämlich die Facultät sum erstenmal wieder seit 
der Reformation auf den Normalbestand von iner ordentlichen 
rrofessoren setzen, das heisst die aiisseivrdentliche Professur 
SU einer ordentlielien erlicben* Hiermit sollte aber aiick eine 
Neuerung in den Vorlesungen verbunden werden. Einer der 
vier Theologen sollte nämlich die lectio Hebraea übernehmen; 
wie das früher bei Schnepffs Eintritt beabsichtigt 7var, ein 
anderer zu der sogenannten lectio communis verpflichtet sein. 
Was das letztere betrifft , so liaben wir die Gegengründe der 
Facultät gegen die Fortfuhrung und Erneuerung dieses Institutes 
schon früher kennen gelernt. Die Universität lehnte aber auf 
Cruud einer Vorlage der luieultiit auch die beiden anderen 
Punkte in einem Berichte vom 1. Februar 1001 ab. Gegen die 
Verwandlung des Extraordinariates in eine ordentliclte Lehr- 
stelle wusste sie nichts anderes vorzttbringen^ als dass dann auch 
dieser vierte Theologe wie die drei anderen am Donnerstag 
zum r>esueh der Senatssitzungen verpßichtet wäre ^ und seine 
Domwrslag-Lection nicht halten könnte. Nach jetziger Einrich- 
tung aber kann derselbige ein extraordinarium exercitium dts- 
])utandi, Inmassen auch bei andern Universiteten gebräuchtg, 
mit den thcoloi^iac vStudiosis hallen, wie dann in geircnwcr- 
tii;em Statu D. Sigvvartus Alle Donnerstag sein privatum Col- 
legium exercirt. Daran aber sei nicht wenig gelegen^ wie 
solches auch die vleissige Theologis Studiosi embsig begeren. 



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- 46 - 

Die Icctio Hcbvaca In treffend^ so könnte dieselbe freilich auch 
durch einen der Theologen versehen werden^ aber um so inelc 
Stunden^ als sie erfordere, würde ja desselben lectio theologica 

daran vielleicht mchcr nutz und profectus gelegen vcrkürst. 
Unangercc^t gelassen , das solche Hcbraea lectio so w ol als 
andere Professionen tägliches Exercitium (wie es jetzund gehet) 
erforddert und dannoch bey den Auditoribus vleis und mühe 
haben wil. Man hofft dabei, das Prophcticae Lectionis Pro- 
fessor Allbcrcit Tcxtum Hcbracuni, so oftt es die Xotturfllt 
erforddert, cvolvirt und kiinfl'tig auff E. V. G. befclch noch 
meher geschehen kann. Letzteres trifft den Kern der Sache. 
Die Regierung verfolgt mit beachtenswerther Consequens 1001 
wie IfinO ff. den Gedanken der ersten reformatorischen Ord- 
nung ^ dass die l-lxcgcsc zur h'.rkläruug des l 'rtexti's icerdrn 
solle. Die Antivort der Universität enthält das deutliche Ge- 
ständnisse wie beschränkt dieses Ziel bis jetst erreicht war. 
Und wie man hierin nicht recht vorwärts kam, so ist auch die 
Pßege der systemaliseJun ItieuUgie nicht zu wirklichem Ge- 
deihen gekoniinen ^ trotz der seit Beuerlin bcgnindeten Lection. 
Als das Fach des Extraordinarius war sie jetzt förmlich zum 
Nebenfache gestempelt, Ueberdiess soll sie nichts als Inter- 
pretation sein^ Auslegung der Bekenfttfiisschnften, oder des 
Heerbrand i sehen Conipoidiunis. 

Disputationen soll Jeder Pro fessor jährlich zieei zu halten 
verpflichtet sein^ und die Studierenden sum Respondieren an- 
gehalten werden. Hierin lag in dieser gansai Zeit die aka- 
demische XJehutig für die Polemik, welche in der theologischen 
Literatur eine so herrorrnc^cnde Stelle hat. So hat dieselbe dorn 
auch bald auf der Grundlage der Autorität sich in formelle 
D\sputierkunst verhreiu In den Vorlesungen lierrscht immer 
noch die Exegese allein. Nicht su ihrem Vortheil, diese Stel' 
lung zvar der Gedanke der Reforniatioji^ aber sie ist nicht im 
Sinju: derselben lucitcrgcbildct worden. Unter ihrem Namen 



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— 47 — 



hat man wohl allerlei Gelehrsamkeit vorgetragen^ eben weil 
diess fast die einsige Gelegen/ieit dasu war. Aber das Ver- 
ständniss der biblischen Schriften selbst blieb ohne wesentlielien 

Fortschritt. 

Aus den Statuten der Facultäl tnag hier auch noch die 
Regulirung ihrer Ferien angefültrt werden. Diese fallen sum 
weitaus grössten Theil mit den allgemeinen Universitätsferien 

zusauunoi^ und betragen mit diesen em \ \ eihnaeJiten vom lag 
vor dem Thomasfeiertag bis zum lipipJianicnfcst 1^ Tage, 
sodann 'in der Fastenzeit von Estoinihi bis Jnvocavit 7 Tage^ 
an Ostern vom Tage vor dem Palfnsonntcfg bis ssu Misericordia 
2B Tage, an Pfingsten vom Pfingstsamstag bis Trinitatis 8 Tage, 
in den Hundstagen vom (i, Juli bis Laurentii .V6' Tage, und 
endlich im Herbst von Micliaclis bis Lucä Jage^ also zu- 
sammen: 112 Tage, oder 16 Wochen, Ausserdem Jiaben die 
Theologen und die Mediciner herkömmlich gemeinsam 15 Feier- 
tage im fahr zerstreut, i'ud da:-.u muss man noch den Don- 
nerstag als wöchentlichen akademischen Feiertag rechnen. 

Gellen wir von den Ordnungen der Facultät wieder auf 
die Personalverhältnisse im Anfang des 17, Jahrhunderts zurück, 
so ' war nach den oben erwähnten Veränderungen des Jahres 
Hiol zwar die Kanzlerstelle noch immer unbesetzt^ aber die 
drei vorhandenen Theologen^ Gerlach, Hafenreffer , Sigwart, 
waren jetzt sämmtlich Ordinarii und mithin die Facultät dennoch 
vollzählig, woneben als Extraordinarius noch M, Schäfer func- 
tionierte. Als dann durch Dekret vom 3. Mai 1605 der Abt 
Andreas Osiander von Adelberg zum Kanzler und Probst er* 
nannt wurde, war, wie schon gezeigt ist, die nächste Folge, 
dass der quartus, nämlich Schäfer, zunächst als überflüssig zur 
Disposition gestellt und dann anders verwendet werden musste. 
Aber eine iceitere Folge uar, dass von den drei Facultätsmit- 
glicdern citicr auf die Stelle des Extraordinarius zurückversetzt 
werden musste, wenn man nicht von der Ordnung abweichend 



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- 48 - 

vier Ordinarien haben woüte. Dieses Loos war in dem Dekret 
dem Dr. Hafenreff er in verhlUmier Wendung zuerkannt , nüm- 

lieh so, i/ass i-r, ivhilLi\ >iii (rcrlacli als Dekan und Sigicar/ als 
jyanrr Iwstätigt werden, neben der Stipcndii Supcrattcndcntz 
in dem ofiitio, wie vor Alters und sonderlich bei obgemelts 
Dr. Jacob Andreä Zeiten, seine Vorfohren gewesen, verbleiben 
solle. Zwar ist dicss cinigcrmasscn dadurch vcrsüsst , dass 
alle drei, auch Hafenreffcr also, nelnii dem neuen Kanzler in 
der FacuUät und im Senate den Sitz behalten sollen. Aber er 
wird dach dadurch in der Function selbst ^ im Lehramt auf 
den Extraordinarius, d. h. auf Nebenfach und Aushilfe gesetst. 
In Beziehung der LeJiraufgabe aber fühlte sich auch Sigieart 
betroffen, welcher mit der Ernennung zum Ordinarius die J'or- 
lesung Heerbrands (über die Genesis) Übernommen hatte ^ und 
nun erwarten musste^ durch den neuen Kanzler wieder aus 
dieser verdrängt zu werden. Für Hafenreffer aber kam noch 
das besondere Ungemach , dass er provisorisch die Kaiizler- 
wohnung hatte beziehen dürfen; nun sollte er diese eiligst 
räumen^ und die Wohnung^ welche der Extraordinarius als 
Stiftssuperattendent hatte y beziehen ^ aber diese war mch von 
Schäfer besetzt, welcher sich weigerte, herauszugehen , bis er 
wisse, ivohin er komme. I-jidlieli sah sieh die Universität ge- 
mthigty Hafenreffer, der moi auf die Jivtraordinariatsbesoldung 
gesetzt war, die Differenz zwischen dieser und seiner bisherigen 
Ordinariusbesoldung zuzulegen , was ihr über andere hochnot- 
wendige Aussgaben fast bcschwörlich erschien. Es handelte 
sich um eine Differenz von -'»(f Gulden und zzuei Jiinier Hein. 
So fiel das herzogliche Dekret wie eine Bombe herein , und 
wurde sofort am 6. Mai mit elfter dringlichen Gegenvorstellung 
beantwortet. Dreisehen volle yahre sei Hafenreffer nun ordent- 
licher J^rofessor mit der leetio prophetiea i^-eieesoi , habe alle 
akademische IVürden bekleidet, und mit getrevvem mügliclistem 
Vleiss, Rühmlich und wol versehen, so müsse es ihm hocli- 



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— 49 



beschwerlich und sowol alhte allss apud Exteros schimpflich 
sein^ sich so aus seifun Officien ex improviso ad Extraordi- 
nariam wetsm su lassen. Aber auch Sig^vart^ dessen Verdienste 

nicht 2vcnigcr gcriihmt werden^ fühle sich bcscJiwcrt^ 'iiaclulcin 
er die Lcction des Katiskrs mn drei Vierteljahre versehen^ 
jetzt sie wieder abgeben su sollen^ und müsse besorgen^ dass 
Ihme diese mutatio und quasi altquo modo degradatio zu 
schimpfif und dcspcct fjercichen möchte. Dabei kouinit heran 
dass der widerrufliche Charakter seiner Beförderung zum Or- 
dinarius im vorigen Jaltre ihm von den Commissären allererst 
post praestitum juramentum angezeigt worden war. Doch sei 
es ihm nur um die Ehre zu thun^ im übrigen wolle er lieber 
fieben seinem Pfarramt wieder Extraordinarius werden , als 
dass um seinetwillen der Universität etwas präjudiciert werde. 
Die letztere nun bittet^ dass man die Gehaltszulage Hafenreffers 
anderwärts beschaffe und wegen der übrigen Incomfenienzen 
CouDuissäre zur Verhaudlutig schicke. Aber die herzogliche 
Antii'ortj die schon zwei Tage später^ am 8. Mai ausgefertigt 
ist, hält ihr nicht ohne Nohn vor, dass sie sich um die 00 Gulden 
und zwei Eimer Wein sperre, und weist die ganze Gegenvor- 
stellung schroff zurück y es werde keinen falls etieas geändert, sie • 
sollen sogleich erklären^ ob sie sich fügen züollen. Die Lectionen 
können sie einstweilen halten wie bisher, später könne man sich 
darüber mit den Commissären vergleiclien* Die Universität 
antwortet darauf am 9, Mai: es handle sieh nicht bloss um das 
Geld und den Wein, sondern um schwere [ncoiivenienzen ; der 
Herzog möge ihnen Commissärr schicken, um zu beralhen^ wie 
seine Befehle ausgeführt wul doch gute Concordia unter den 
Theologen erhalten werden körnte. Sigwart, der Über die Unter- 
stützung Hafenreffers durch den Senat besorgt wird, erklärt 
jetzt in der Sitzung, in welcher diess beschlossen wurde: ja, 
wenn man ihm tmr zzvei oder drei Stunden in der Woche und 

etwa die Erklänmg der Aj^gustam oder der Concordienformel 

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* 



— so — 

auflegen wolle^ dann lasse er sich auch wieder die ausserordent- 
liche Professur neben seiner Pfarrei gef edlen. Er begehre kein 
Ordinariat; zvenn man ihm aber die Geschäfte eines solchen 

au/erlege ^ so scJic er nicht ehiy ivaruin er iveniger dafür haben 
solle^ als ein anderer. Nun waren eben die fürstlichen Com- 
missäre sur VisiüUion anwesend. A/n folgenden Tage sclion 
erscheinen: sie im Senate und der Kansler Reinhard verlangt 
im Namen des Herzogs^ der einen Kurier geschickt hohe ^ zu 
wissen, was das für Inconvenienzen seien , es viiisse dem Herzog 
lieute NaclU noch durch einen Kurier berichtet werden. Die 
Senatoren treten darauf zur Berathung ab in das Juristenstüb- 
lein wid geben hernach eine Erklärung, deren Hauptpunkte sind: 
Sigwarfs Beförderung sei ihrer Zeit [im Gegensatz zu Hafen- 
rcjffer) gar nicht rite tractiert worden; einen Ordinarius aber 
so ohne weiteres zurückzusetzen gehe niclU an; was denn da 
die fürsUichen Stipendiaten noch für Respect vor Hafenrej^er 
habeft k'dnnten? wenn aber auf einmal vier Theologen im Senat 
sitzen sollen, jniissfen sich andere Facultäten leie die Medicim^r 
und Artisten mit Recht beschieeroi. Kcitdiard entgegnet^ es 
liandle sich gar niclU um eine Verdrängung HafenrefferSy der 
solle Stationen! und professionem behalten ^ mtr solle Sigwart 
daneben auch Ordinarius sein. Zu einer Ausgleichung kam es 
nicht. Aber einige Jage nachher kam Herzog Friedrich selbst 
in Tübingett au, erschien am 14. Mai cum illustri et nobili 
comitatu nebst den Commissären im Senat und hielt eine An- 
sprache ^ worin er sich zunächst darüber verbreitete^ wie er 
beabsichtigt habe ^ Htinnius als Kanzler zu berufen ; nachdem 
dieser aber in Kursachse n nicht frei gegeben worden, habe er 
nun den ja auch mit vorgeschlagenen Andreas Oslander ge- 
wälilt und verkündige hiermit dessen Ernennung, Nachher 
musste Dr. Entslin noch in seiner Gegenwart erklären, betreffs 
der officia und lectiones der anderen Theologen solle es beim 
gegenwärtigen Stand bleiben^ Gcrlach das Dekamt und ordcnl- 



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t 



— 51 — 

licJic Professur j ebenso 1 Infenrejfer ordentliche Professur und 
Statio bchaltai^ aber auch Sigwart lubcn scinevi Pfarramt eine 
ordentliche Professur. Dabei blieb es denn auch^ nur fönten 
noch allerlei Verhandhtfigen über die Gehaltsanspruche, be^ 
sonders Siiizearts. Und d/s aui 7. fuiii Jfjfhj Osiivider ein- 
gefüJirt wurde und seinen liid leistete^ ivird Sigieart jetzt als 
der quartus aufgefülirt. Es scheint^ dass er doch auch die 
frühere Lection als» solcher wieder su übentehmen hatte. We- 
nigstens berichtet Hafcnrcffer in der Leichenrede auf ihn, dass 
er vom Pentatciuh nur Genesis und Exodus und in diesem Buch 
die letzten acht Capitel nicht nuhr gelesen liabe. 

Die nächste Aenderung tritt durch den Tod Gerlachs am 
SO. yan, 1612 ein. Am 25. Oktober verhandelt der Senat über 
die iriedrr/>ese/:::uf/g mit den fitrst/icl/en C(>mmiss(irnt, und be- 
antragt^ dass jetzt Hafenreffer das erledigte Dckcutat erhalte,. 
Damit war die Facultät wieder regelrecht besetzt mit Probst^ 
Dekan und Pfarrer (Osiander, Hafenreffer, Sigwart \ und war 
nur noch der Extraordinarius :// nominieren. Hier handelt es 
sieh um einen ttciu^i Mann und leird desshalh mit aller Förm- 
lichkeit verfaliren. Auch diese Wald geschieht in Anwesenlieit 
der Cotnmissäre. Nur treten zuerst die Senatoren ab in das 
PedellenstÜblein, und einer nach dem andern n^nt Namen , so 
viel er ivill. Darauf zieht der Reetor das Resultat, und t heilt 
den Commissären mit, dass Dr. Hiemer, der die meisten Stimmen 
erlialten hatte, vorgeschlagen sei. Dann müssen aber tu>ch ein- 
fnal die Senatoren einzeln nach einander bei dm Commissären 
eintreten^ und denselbett ihr Votum zu Protokoll geben. J Hemer 
wurde bestätigt und leistete am .V. Deeember 101:2 vor dem 
Senate die Unterschrift der Concordienfortnel und das Jttra^ 
mentum Professorum. - Er war bisher Diakonus in Herrenberg 
gewesen. 

Am 31. April 1('>17 starb aucJi der Kanzler Andreas Ost- 
auder, an dessen Stelle nun endlich Hafenreffer vorruckte, sowie 



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* 



- 52 - 

/// das Jiii-dnvcJi erledigte Dekanat Sigieart. Die bisJierige Stelle 
Si^tuarts aber wurde dem HospitaLpredigcr Theodor Tliumm 
in Stuttgart verlieliiiL Diese Ememmngen erfolgten üärigens 
erst am 3, Mai 'lülß, Da Thumm sieh erst die DcctwwUrde 
crzverben miisste, schenkte ihm der Herzog hiezn litO ß. und 
%f er langte^ die Universität solle auch 50 fl. zulegen^ zvas diese 
aber ablehnte: die Universität habe twch nie einen soklien Bei» 
trag gegeben und sei jetzt nicht bei Geld^ Thumm klmne mit 
den li>0 fl, reichen und sei übcrdicss ein wohlhabender Mann. 

Bei dieser Gelegenheit ist aueJi in Ansehung der Leetionen 
wieder eine Verfügung zu Gunsten der pauliniselien Briefe er- 
ga$igcni seit Gerlachs Tod seien sie nicht fnehr gelesen worden^ 
Thumm soll sie iibemehtnen. Thumm scheint auch dabei ge- 
blieben SU sein. Wenigstens nennt Lucas Oslander in der 
Leiehenrede fiir iJni keine andere l 'orlesung als eben diese Uber 
die Paulinischen Briefe, Er rüJimt bcsotiders seine Erklärung 
des Rjöinerbriefes, 



1620—1652. 

Auch dieser Bestand der Facultät {Hafenreffer, Sigzuartf 
7/iunn/i j J/iemerj :ear ron kurzer Dauer ^ und bald nachher 
fieng die Facultät unter der Noth der Kriegszeiten an abzu- 
brökein und su veröden ^ so dass sie nach dem Schlüsse des 
Krieges ebenso wieder aufgebaut werden musste, wie ein yahr- 
hundert vorher. 

Am Oktober Kilti starb Sigivarty und wurde durch Lucas 
Oslander im Dekanat ersetzt; und als am Oktober 161i) 
auch Hafenreffer gestorben war, rückte dieser Anfangs 1020 
gum Kanzler vor. Am SKi. Februar dieses Jahres wurde dann 
Thumm Dekan ^ und an seitur Stelle Professor und Pfarrer 



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— 53 



der bisherige Pfarrer viui Sn/^rrintrinintt zu Calw Jl/\ Joliann 
Ulrich Pregit^er, Ettdlich das Exiraordimriat war 1619 durch 
Versetzung Biewers auf die Abtei AnJtausen ebenfalls erledigt, 
und iiocJi zu Hafenreffers Lebzeiten mit Meleliior Nicolai ^vieder 
besetzt ivordcn. So bestand also JfJ^O die Facidtät aus dem 
Probst Ltuas Oslander, dem Dekane Theodor Thumm, dem 
Pfarrer Prcgitzer und hatte als Extraordinaritts Melchior Nicolai, 
Von Lucas Oslander wissen wtr aus einer Deposition Pre- 
gitzers (bei dir Msitatioii voti dass derselbe die Genesis 

las, Thumtn liatte, ivie gezeigt, das Neue Testament, und Pre- 
gitzer die lectio prophetica, worin er von 162Q — 24 das Buch 
Daniel, von 1024 — 49 den Jesaja behandelte, vgL Schnurrer, 
Erläuterungen S. 415. 

Die Facultät bekam aber am 7. Jan. IG 22 durch herzog- 
liches Dekret einen vweiten Extraordinarius an dem Cottvertitcn 
und früheren Jesuiten Jakob Reyhing, Die Universität nahm 
denselben nur zögernd an. Der Herzog Johann Friedrich setzte 
jedoeJi die Anna/une durch. Man hatte im seehszehenten und 
siebenzehenten Jahrhundert allezeit eine Freistatt für Cofwertiten 
und Religionsflüchtlinge in dem fürstlichen Stifte su Ttibingen, 
das ihnen Obdach und Nahrung gr.aähren konnte. Hier aber 
htnidelfe es sieh um ( inen Mann^ der seiner neuen Kirche Rulun 
bringen kontUc: man erwartete etUscIuidende Leistungen in der 
Polemik von ihm. Zwischen dem Herzog und der UnruersitiU 
aber schwebte tine Zeit lang die Verhandlung über seilten Ge- 
haltj sn welchem nach des Herzogs Ansinnen beide Titeile bei- 
tragen sollten. Die Universität hingegen betrachtete die Sache 
als Privatangelegenheit des Herzogs^ und berief sich darauf 
dass auch zu Andreas Zeit der fünfte Tlteolcge, der cur Stell- 
Vertretung des im herzoglichen Dienste verschicktcfi Andrea er- 
fordert war^ auf herzogliche Kosten aufgestellt wttrde, Sie er- 
bot sich da Ii er nur zu einem Beitrat:; von ztoei FJnier Wein und 
sechs Scheffel DitikeL Das Drängen des Herzogs steigerte die- 



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I 



— 54 — 

scn Beitrag oidlich twck auf drei Himer Wei/t, sedis 6ciieffel 
Dinkel^ und die Ugumina. 

Auch der erste und stahttenmHssige Extraordinarius, Mekhior 

Nicolai verschaffte der ( 'niversitat unliebsauie VerJiandluugen. 
Noch vor Hafenreffers Tod hatte der christologische Streit der 
Tubinger mit den Giessener TlieoU^en begonnen^ durch welchen 
die besondere Wärtetnbergische Orthodoxie sur Ehrensache der 
Faailtät wurde. Nim schien aber Nicolai in der Stille sich zu 
der JMentzeri sehen Lehre zu neigen oder doch jedenfalls nicht 
siclicr und allseitig die Tübinger Ansicht zu theilen. Diess er- 
aclitete man för um so gefälirlichcr ^ als auch in der Landes- 
geistlichkcit wenigstens einzelne wagten^ den Giessenem ReclU 
zu geben. Xicolai hatte sich iiberhaupt von Anfang an nicht 
recht mit der FacultHt vertragen und sich flicht in die unterge- 
ordnete Stellung finden wollen. Er doctorierte zusammen mit 
, dem in die Facultäteben eingetretenen Lucas Oslander^ und machte 
dessen Respondenten, fand aber, dass dieser ihn dabei nicftt eben- 
bürtig behandelt habe. Auch im Colloquiuui sei }nan, meinte er, 
mit ihm scliärfer als sonst verfahren. Er fühlte sich durch 
Bemerkungen f welclie ihm Hafenreff er über seine Predigtweise 
macltte^ beleidigt. Ebenso dadurclt^ dass ihn die andern abzu- 
treten baten, als sie gelegentlich in der Kirche nach der Beichte, 
eine Faad/alssache zu besprechen hatten, ^ lls Oslander in einer 
Predigt über die Demuth Leute schilderte^ welche trotzig ohne 
Gruss an arideren vorbeigehen^ sah er darin eine Stichelei auf 
seine Person, Bitter beschwerte er sich^ als bei der Vacatur^ 
welclie Hafenreffers Tod herbeigefiihrt hatte ^ nicht cr^ sondern 
Pregitzer zum Ordinarius geivählt xvurde. Ueber Thumm beklagte 
er sichf dass derselbe mit einem collegium privatum ihm die 
Nahrung edfscimeide. Die Hauptsache war aber doch Nicolais 
Stellung im Streite der Tübinger Theolegen gegen den Giessener 
Mcntzer. Die Collegen Xicolais neunten nach ihrer . Ingabe zu- 
erst durch den Strassburger Gisenius^ der nach Tübingen ge- 



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— 55 — 

komnu n ivar^ um iJuwn di u Conseiis der Stmssburgi r au erklä- 
ren^ in Kemttniss gesetzt^ dassy wie man in Strasslmrg ans Cor' 
respondensen von Tübingen wisse ^ Nicolai siclt insgeheim sn 
Mcntzers I^hre neige. Nicolai erklärte abcr^ Mentsers Schrift 
teil nicht zu kcii/icfi^ und als man ihm dessen Sätze vorhielt^ 
erklärte er sie für verwerßicli. Jedoch sein W rkeJir mit heim- 
Helten Mentserianem körte nicht auf* Den CoUegen gegenüber 
trug er dann suerst nur Bedenken über harte Reden in Dr. 
Gcrlachi und \)v. Ilunnii Scriptis, die Dr. Mcntzcr zu seinem 
Wirtheil zu gebrauchen, vor^ und Hess sich darüber ivieder be- 
lehren. Aber die Sache wurde ernsthafter^ es kam m sehr 
peinlichen Verhandlungen mit der Facultät^ die ihn ins Gesicht 
grober Calvinianischer und Nestorianischer Trrthumben beschul- 
digte. Darau f ging er seinerseits erst rec/it heraus , und de- 
clariertc: qua ratione homo Christus fuit ante Abrahamum et 
tempore exinanitionis rexit mundum, ea ratione X6yo; passus 
est Atqui homo Christus nullo modo fuit ante Abrahamum, 
ncc tempore exinanitionis ullo modo rcxit mundum. Ergo 
ctiam Xoyo; nullo modo et ratioiu est passus nisi per identi- 
tatem personae etc. Die wiederholten Confcrensen fülirten zu 
keinem anderen Ziel^ als das\ er versprach^ vorläufig seine An- 
sichten für sich zu behalten^ obwohl er, wie er meinte, sich leicht- 
lieh einen Anhang machen könnte. Aber die Sache machte Rumor, 
und Nicolai erfuhr ausserhalb der Facultät manche Sympathie^ 
in Tübingen^ wie in Stuttgart und auf dem Lande^ so dass die 
Tlteologen für w6thig fanden^ sich selbst zu vertheidigen^ und 
froh ivaren, als Nicolai auf das Zureden seines Bruders mch- 
zugeben erklärte. Indessen hatte der Ifcrz(g Johaiin Iricdrich 
Bericht erhalten, Nicolai wurde nach Stuttgart vor denselben 
berufen^ die Facultät zu einer Darstellung des ganzen Hergangs 
aufgefordert, und der Herzog verfugte seine Versetzung auf die 
Prälatur Anhausen, ivas nicht als Beförderung galt. Sclnver 
betroffen suchte er die Fürbitte des Semtes um Abwendung der 



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- S6 - 

Massri'i^i l, dieser liess sich auch gewifmen, und stelUe dem 
llcrzoi^ am 7. Juni 1(1:^1 7>or, riurrst'iis: Aicolai Jiahc in prin- 
cipalibus schon nacJigcgchcUy der vollige V^crgleich stehe in sicherer 
Aussicht^ und andererseits: Nicolai sei valetudinarius nidit allein, 
sondern auch mitt ettwas starker Melandioli behafftet, es wäre 
besser für ihn, ivenn er in seiner Stelle belassen als m locum 
solitarium transferieret würde. Ein herzogliches Dekret vom 
11. Juni 10;il erklärte der Universität^ der Herssog lushe zwar 
keinen Grttnd^ von seiner Resolution m weichen^ aber er wolle 
ihrer Fürbitte für diessntal entsprechen, Dasu die Emtahnung, 
es solle' von allen Seiten an die studierende Jugend gedacht und 
verhütet werden, dass vonn denen Studiosis unnötiges fürwitziges 
dtsputiren (wider unsere ordinationes) erweckht unnd unnsere 
Univcrsitet dardurch apud exteros verschrait und verschtmpfit 
werden möchte. Nicolai hatte den Widerstand an/gegeben, ja 
im folgenden Jahre legitimierte er sich schon öffentlich als tap- 
feren Mitstreiter gegen ^kntzer, und die Facultät hatte die Ge- 
fidtr einer Neuerung in ilircr Mitte überstanden^ die einzige seit 
Beuerlins Zeiten und wiederum lange nach dieser Zeit, Aber 
Nicolais Stellung war persönlich wohl doch keine ganz ange- 
nehme mehr. Im fahre Id'J.'t n'ih'de er doch transferiert, diess- 
vial auf die Pnilatur Lorch , von wo er dann weiter auf die 
Prälaiur Adelberg kam. Der Universität ward er aber surück- 
gegeben, als in Folge des Restitutionsediktes diese Prälaten ihre 
Stellen verloren. Da nun nach Reyhings Tod kein Extraordi- 
narius mehr vorhanden war, schlug der Administrator Herzog 
Ludwig Friedrich am IL Septatdfer 1630 der ünkßersität vor^ 
Nicolai wieder auf diese Professur su setzen. Die Universität 
ging am 16. Sept. willig darauf ein^ und fügte nur der Form 
2cegen hinzu., dass auch die Prälaten von In-benhausen ^ HirsaUy 
Maulbronn und Lorch die BefaJiigung su diesem Amte hätten. 
Zwei Tofge darauf war er ernannt. 

Hiermit Itaben wir aber schon vorgegriffen und müssen 



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— 57 — 



tttif Reyhing zurückkommen^ der nach Bereinigung der Gehalts- 
frage aui :JL Fcbruay ernannt zuorden war. llicbci hatte 

CS docJi ratJisam geschienen ^ allerlei Vorsicht auzuivcnde)!. So 
enthält das Emmnungsdckret die Bestimmung: damit auch Ins- 
künftig bei unserer Universitet zu Tüwingen desto weniger 
frcmbdc lehr oder ohngewohnlichc phrascs et modi loquendi 
verursacht \vcrdc!i. Tst unser bcfelch, Ihr wollen Ihne Dr. Rcy- 
hing nicht allein Sich zu der formula Concordiae, (welche Er 
Zweifels ohne nunmehr mit bedacht gelesen haben würdt), 
mitt seiner handtsubscription zu bekhenncn, vor allen Dingen 
anhalten, llr solle sieh in Sehri/ten und in LeJurn ganz der 
Formel conformieren. Und was er seh reihe sinvohl als was er 
docicre, soll zuerst der tkeologisclien FacultiU^ und ersteres 
ausserdem auch dem Consistorium zur Censur 'vorgelegt werden^ 
In seiner Antrittsrede soll er die Angriffe des Jesnitoi Stengel 
von Ingolstadt und des Dill Inger Vitus auf seine Coniursion 
widerlegen. Diese Rede sollte er vor dem Drucke dam auch 
dem Consistorium vorlegen. Reyhing beschwerte sich über die 
Auflage^ da SS er seine Mamtskripte der Facultät einreichen 
solle ^ ehe er die Vorlesung halte. Darauf wurde ihm dicss 
durch Dekret vom ö. März erlassen, aber durch schlimmeres 
ersetzt. Man solle sich die Nachschriften der Zuhörer geben 
lassen, und da Ihr in phrasibus oder rebus ipsis Ichtwas ohn- 
passierlichs befmdcn, ein solches E^c^^cn Ihme der t;ebür nach 
Anden, oder, da nöthig, inn unser Consistorium berichtlich 
gelangen lassen. Von Anfang an war ihm übrigens literarische^ 
d, h. polemiscite Arbeit zur Pflicht gemacht. So sollte er na- 
mentlich seine von ihm früher als Jesuit verfasste Streitschrift 
gegen des Dresdener Ihfpredigers Ifoe Teutsehes Ifandbiiehlein 
jetzt selbst widerlegen, utui lG2ij wird er^ damit diess sehne Her 
vorwärts gehe, von den Lectumen entbunden. Nach der Ent- 
fertmng Nicolais war nun Reyhing der regelmässige Extra* 
Ordinarius, und zugleich ^ leeiter Sui^erintendeiit des Stipendiums 



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- 58 - 

gew&rden und wurde demselben am 5, Januar 1626 präsentiert. 
Ebenso im März 1626 der Getneinde mit einer Antrittspredigt^ 

IVO CS sich nacJi dem Dekrete mich ^v{cdcr darum handelt^ 
seiner adversariorum rumoribiis cttlichcr masscn zu begegnen. 
Aber schon am 6, Mai hatte die FacuUät seinen Tags jmvor 
erfolgten Tod zu berichten. 

Was die Lectiorten betrifft ^ so musste bei der ersten An- 
Stellung Rcy/iiiii^s als fünften und supernunicrärcn llicoloc^cn 
ein eigenes Pensum geschaffen ivcrdcn. Er sollte nämblich Lcc- 
tionem Controversiarum Theologicarum für sich nemmcn, und 
contra Bellamntnum In seinen controvcrsiis, den Hauptarticul 
de Justificationc i^ratiiita hominis pcccatoris coram Dco mitt 
gucttcm fleyss tractircn und aussführcn. Diess ist der erste 
Anfaitg der später so wichtig geivordciwn Profcssur controver- 
siarum. Auch Stunden mussten ihm geschaffen werden. Da 
sc igt sich doch, dass j^lzt, bei vollständiger Besetzung der Fa- 
culiiily dem normalen Extraordinarius doch eigene Stunden am 
J\[itt7voch und Samstag iiberlasscjt ivarcti. Und diese sollte nun 
Nicolai mit Reyhing tlicilen^ Nicolai den Mittwoch behalten und 
Reyhing den Samstag haben. Damit aber mehr lierauskommc, 
soll Nicolai auch an Disputationstagen Nachmittags lesen, und 
bei W rliinderung Thumms dessen Stunden habeti^ Reyhing je 
am Tage nach Disputatioiuii von 12 bis 1 Uhr lesen, und ebenso 
für den Kanzler eintreten. 

Weiter erscJieint nun in dieser Zeit attch die Kategorie 
eines privatum Collegium in Verhandlungen; es ergibt sich 
aus den Besclnu erden iVicolaiSj dass der Extraordinarius ins- 
besondere darauf angn^^iesen war, Thumm, sagt er, schneide 
ihm mit seinem Prrvatcollegium umb ein namhafftcs das 
Brod vor dem Mund ab. Thumm erbietet sich daim, ihm 
auch zu einem solehem zu helfen , beruft sich aber für sich 
selbst darauf, dass ihm de Novo und innsonderhcit zu 
Stutgardten wegen der Stipendiaten, alle Freytagen den re- 



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— 59 — 



petierenden Locum auss dem Compendio zu disputiren anbe- 
fohlen worden. 

D(jss die IVivatcoIlc^ien als Rrpctitioiini ^^t /iülii ii iciadi fiy 
ersehen zvir auch aus dem Visitaiioiisrecess von lUlö. Derselbe 
begitmt mit dem Vorwurf ^ dass von etlichen professoribus die 
Lectiones mchrmahlen versaumbt, die Studenten mit langen 
dictatfs uflT^haltten, Disputationes sdilechtifch gctrtben, und 
wcnic^ privata collegia gchalttcn werden. /:V :eird iJnien daher 
anf erlegt: dass Jeder Professor zur bcstimbten Stundt pro- 
fitieren, seine Lectiones fleissig tractieren unnd nit stetigs die 
Altte repetieren, Auch dahin trachten, wie Er fein methodice 
unnd vcrsUincltlicli die l>cctioncs anstellen niöt^c. mit lanj^eni 
dicticrcn, sonnderiicli da es impertincntiü, die Studiosob nitt 
auff haltten solle. Sei einer verhindert ^ so solle er es doch 
wenigstens eine Viertelstunde vorher anschlagen^ und die ver- 
säumten Lectionen nachholen oder durch Disputationen ersetzen. 
Und zivar solle mau auf (iruud iieschriebener Thesen iiber den 
Inhalt der vorigen Lectionen disputieren (so auch schon im 
VisiteUionsrecess von 15ß6J, für welche Disputation weder ex 
fisco noch vonn Studenten pro praesidto Ichtwas i^ei^^ben 
werden soll. Driuj^eudst zeerdeu privata colle<4ia und leetiones 
anbefohlen f und zwar nicht nur den Professoren^ sondern sie 
sind auch anndem gelehrtten Studiosis zu haltten und pri- 
vatim zu lesen verwilligt: Den Artisten^ welche nit Kostgänger 
oder privata collegia haltten, sollen die Icg^mina entzogen 
werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass es ii/wr 
die PrivafcoIIegien am zeenigsten altenmässige Quellen gibt. 
Bei den iUbinger Theologen sind dieselben ferner desswegen 
weniger im Gange ^ weil das Bedürfnis s der repetierenden 
Instruction durch das fürstliche Stift befriedigt 7var. Damit 
hängt denn auch zusammen^ dass die Abhaltung vorzugsweise 
an den Extraordiitarius kam, Uebrigens sind Spuren vorhan* 
den^ dass auch die anderen es mit auswärtigen Studierenden^ 



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I 

i 



— 60 — 

hesoiiders Kostgängern thatai. Nachweislich ist es bei Sig' 
war?. ^ 

In diesem seilten Visittitionsrecrss von LÜiH ßndemvir auch 
verschiedene Grundsätze fiir die Berufw^ tmd Annahme der 
'Professoren susamtnengefcisst^ deren Amvendut^ uns bei den 
theo loi]^i sehen Vocationen bisher begegnet ist Kein Professor 
darf in eine I'acnltät eintreten^ oJine zuvor öffeiitUch disputiert 
zu /iahen. Ebenso haben wir gesehen^ dass er eine oratio pro 
loco halten muss^ und dass^ wie seit der Ordination von 16G1 
immer wiederholt wird^ nietnatid Professor werden soll^ der 
sich nicht schon apnd Extcros durch Schriften einen Nmne% 
gemaeJit /labe, dass aber auch die fortgesetzte schriftstellerische 
• Arbeit als ein integrirender Theil seines Berufes angeschen 
wurde. Bestimmte Arbeiten dieser Art werden vom Herzog eaif 
getragen. Kann ein Professor für die rasche Vollendung seiner 
Arbeit ein allgemeines Interesse geltend macJien^ so wird er 
ohne 7<'eiteres von seinen W^rlesungen enlbundeUy und die nothige 
Stellvertretmig angeordnet. So für Hafenreffer KJOd su Wider- 
legttng eines calvinischen Tractates. So, wie oben gezeigt, für 
ReyJiing. Der Visitationsrecess von 1018 legt den Professoren 
auf: — bcncbcn , sovil sein kann, publicis Scriptis sich und 
die Univcrsitct bcrümbt zu machen. 

Das Bewusstscin, dass man durch die Einrichtung des 
fiirstlichen Stiftes eine Gelehrtcmchule besilse, nicht nur fiir 
das eigene Bedürfniss, sondern auch noch snr Versorgung an- 
derer Länder^ fitJirte mehr und mehr zu einer fonnlichen Ex- 
clusivität bei den eigenen l'ocationen. Schon die Ordination 
von 1501 hatte ausgesprochen, dass jederscit bei dieser die ein- 
heimischen Theolc^en den Vorzug haben sollten, uttd dabei ist 
CS geblieben. So heisst es im AWess von 101 fi: Wann wür 
Auch Inn Unnserm I Iert/(.>L,4linnib Vilü gelehrter Ministros 
unnd J( w eilen Inn unnscrni Stii)cndio feine unnd solche in- 
genia haben, welche zuc Professionen gar Wohl zuegebrauchen. 



1 



- 6i — 

Unnd genugsam qualificiert seindt» Allss wollen Dir Inn Künff- 

tii^en promotlonibus dergleichen qualificierten Ministromm unnd 

Stipciuliatcii InnL;c(lcnckh sein, damit sclbii^cn nit au.sslaiuli>che 
vorgezogen werden. Alh r freilhli ist es daneben auch sy. 
erklären^ dass Privatbeziehwigen bei dcfi Vocationen das grosse 
Wort filhrten. Es konnte auch kaum anders sein^ demt schon 
in der ersten Zeit ist dit iianzt l 'acultiit Imhi unter sich vcr- 
wandt und lursc/ncdi^crt^ und in ehr als einmal hat sich diess 
wiederJiolt, Aber das Uebel leitete auf der gesammien Unwert 
sität^ so dass gegen die daraus erwachsenen Misstände die ver^ 
mveifelte Anordnumr (getroffen wttrde: dass Inn Allen der- 
gleichen elcctiunibus Jeder IVofcssor Rectori unnd Canccllario 
Ann Aydtcsstatt Händglübdt thuen solle, dass Er seines Voti 
halb sich Zuvor mit kheinem verglüchen oder unnderredet 
hab, sonnder ohne einibhen Aflfect unnd libere pro Conscientia 
zu votieren. DeiJier aueJi das oben geschilderte umständliche 
Verfahren bei der Nomination der theologischen Professoren. 

Wie man es aber verstand^ nicht nur durch die literarisclien 
Leistungen der Professoren^ sondern auch durch andere Mittel^ 
Studenten anzuziehen^ davon zeugt in dem Visitationsrecess von 
Kils folgende Bestimmung: Wcittcrs haben Wür Vernommen, 
dass Jetziger Zelt wenig irembde Studenten sich zue Tübingen 
fönden, welches dahero rüehren möchte, dass theils Professores 
gegen denselben gar zu rigoros unnd hartt verfahren, zwischen 
erfahrnen, fifclehrtten unnd Alttcn, unnd thuin Jutiij^cn olmvcr- 
johrnen Studenten khein Unndcrschid gehakten , unnd etw acii 
umb liedenlicher Ursach, auch nur eines Juhsclirays Willen, 
selbige mit dem carcere oder ann geltt starckh straafien wollen: 
Nun seindt Wür nit gemeint, diss ortts die statuta schwächen, 
sonnder Inn Ihrem Vigore verbleiben zuelassen, allein damit 
die Studiosi nit vertriben werden, unnd bei der Universität 
länger zuverharren Ursachen haben mögen. So wollen Ihr Sie 
Studiosos liberaliter beleben, nit austeri gegen Ihnen sein, 



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— 62 — 

unnd Inn Abstraaifung der förprelauffenen excess ein discretion 

.unnd <^cbürende bcschaydeiihcit zwischen den Studenten Ihren 
quahtäten nach Euch gebrauchen. 

Viel strenger nahm man es in einem anderen Punkt. De- 
krete und Visiiationsrecesse wehren seit den 80er Jahren dem 

Eindringen der rcfonnirtcn Lc/ur, Religio vera, sagt der 
Visitatioiisrccess von 7.7.sy;, wurdt biliich inn guettcr Achtung 
gehalten, Unnd durch embsige auffsehung verhüetet, dass 
weder ofifendtlich noch haimlich einiche widerwerdtige ver- 
föerische Sect, bevorderst Aber, die gefahrltche Calvintsche 
Lehr, Iniisgcmcin oder bcy soiiiulcrn l^Tsoncn nicht cinc^e- 
schleicht Namentlich galt es der Duldung he'nnlichey Calvi- 
nisten unter den Studenten^ der Verbreitung des Calvinismus 
durch Schweizer und Ungarn (Vis, Ree, 1584). Ebenso wurde 
bei jeder Gelegenheit eingeschärft ^ dass alle Professoren^ nicht 
hlos die Theologen^ dir Coniordienforniel unterschreibeny so im 
Visitationsrecess von 108Ü. Das ganze Jahr und besonders nach 
der Messe sollen die Buchfuhrer und die Buchbinder ^ die zu- 
gleich Antiquare sind^ beaufsichtigt werden; die Buchführer 
sollen (Vis. Ree. IMf^i) dcji Sliidiiifcn kiine scctirischc bcsoiulcis 
calvinischc Bücher, als Calvini, Bc/.ac, Pezelii, Sadcelis, xVrctii, 
Piscatoris verabfolgen^ die Buchbinder von abgeltenden Stu- 
denten keine sectirische Bücherkaufen. Die Auftragslisten^ welche 
die Buchführer mr Messe mitnehmen^ müssen der theologischen 
l'acultat vorgelegt iverdcn (ICOG). Die Theologen haben alle 
ankomme ndcn Bücher zu visitieren und censieren^ wobei ihnen 
auch die Diaconi helfen müssen ( Vis. Ree. 1604), 

Im Jahre i626 war, wie gezeigt^ Rey hing gestorben^ die 
drei ordentlichen LcJircr der Facultät waren damals Lucas 
Osiattder^ Theodor Thumm und Johann Ulrich Pregitzcr. 

Von diesen gieng suerst Thumm durch Tod ab^ nachdem 
er in seinen späteren Jahren noch durch bedrohliche Erlebnisse 
hindurchgegangen war. Er hatte in seiner Streitschrift ^ ob 



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ein evangelischer Christ auf begehren und nöthigen weltlicher 
Obrigkeit mit gutem Gewissen zur päbstischen Religion sich 
begeben könne? den Päpsten vorgeworfen, dass sie nickt 

si'Iti fi i/nTs///(>S(- liluii bijordi rt liabcu^ und unter den Hcispu-L n 
die Klicn Philipps von Spanien sowie des lirzJierzogs Carl mit 
Schwestcrtöchtem angefiihrt. Durch die Entgegnung des Je- 
suiten Forer auf diese Beschimpfung seines Hauses hingewiesen^ 
forderte Kaiser Ferdinand seine Auslieferung, Herzog Johann 
In'iedrick beschwichtigte die Forderung, indem er Um selbst 
gefangen setzte und swar im Jahre lOJiiT. £s ist übrigens 
eine Legende ^ dass er swei JaJire im Kerker gesessen und 
dadurch aufgerieben seinen Tod gefunden habe. Der Verlauf 
ist viehneJir folgender. Schon am .i^S. Mära Vi'*? leerden 
Thumms Biicher leeggenoiiniien auf fiirstliches Dekret Ii in. Am 
S. Dezember 1627 zeigt der Rcctor dem Semt an, dass Thumm 
schon einige WocJien Hausarrest habe uftd jetzt auf die Feste 
Hohentid)ingen geselzt sei. Weil diess der ganzen Universität 
ein überaus beschwerliches praejudiciuni causicre, müsse er 
ratume officii darüber referieren. Alan wollte ein Intercessions- 
schreiben abgehen lassen, hielt aber dann auf Thumms eigenen 
Wuttsch ß. Dezember noch vorläufig damit zurück. Thumm 
sah aber bald doch, dass die Sache nicht so schnell vorüber- 
gehe . er schickte am J.'t. Januar t(>:iS die Schlüssel zum Ge- 
wölbe, die er als Mitglied des collegium deputatorum in Händen 
gehabt, und hinderte die Intercession nicht weiter, die dann am 
IS. Februar abgefertigt wurde. Noch am €. Mai ist Thumm 
gefangen, und die Universität bittet den Herzog um seine Be- 
freiung, dg communis vox et fama allhier umbgehet, als ob 
die Rom. Khays. Majest Unser allergnedigster Herr, die 
Khayserliche. Ungnad L.ci,cn D. Thummen betten allergnedigst 
fallen lassen. Am I f. Mai ist er bereits im Senat gegenieartig. 
Am :"). Juli geht er mit dem Rector lksold als Deputierter nach 
Stuttgart, um die Verwendung der Universität für den Kanzler 



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Ostander vareutragen^ am 18, Oktober wird er an Besolds 
Steile zum Rector gewählt ^ worin ihn am S. Mai 1029 Baicr 

iuu/ifol(^f; er vertritt (//ism noch oft als Prorcctor^ und er- 
sciieint regelmässig im Senat bis zum 15. Januar 10 ^>0, von 
wo an er kränkelt^ am Oktober 1630 ist er gestorben. Hieraus 
erhellt, was es mit der Angabe des Andr. Carolus^ metn, eccles, 
/. UIU7, p. (i'J7 auf sich hat : custodia^ traditus in arcc Tub. 
ibique taedio miseriae confectus bicnnio post humanis valc- 
dtxit hoc in orbe, ad meliorem transiatus. IVesentlicU rhe- 
torisch^ ist sie von Arnold und Fischlin wiederholt und dann 
die Grundlage der Legende von dem Martyrittm einer mvei- 
jährigen Gefangenschaft 1():^S—:U) und durch Leiden herbei- 
geführte VI Tod des Gefcmgcnen geworden. 

Noch leichter gieng an Lukas Oslander die Gefcüir vor- 
über ^ welche die Polemik der Tubinger in der Reichsreligions- 
sache herbeiführte. Er sollte 1628 auf eine Prälatur versetzt 
werden ^ die Unii'rrsität hat am Juli eifw bewegliche Vor- 
stellung dagegen erhoben^ in welcher sie neben seinen Verdiensten 
auch darauf hinwies ^ wie die Widersacher frohlocken würden. 
Die Versetzung ist dann unterblieben. 

Nach TJtuinnis Tod icurde an dessen Stelle aiu 1. Mai 
1081 MclcJiior Nicolai als ordentlicher Professor und Deeanus 
suriickberufcn^ während Pregitzcr Pfarrer blieb. Die Facultät 
zählte Jetzt diso: Oslander^ Nicolai ^ Pregitzer, Dcts Extra- 
ordinariat war nicht wieder besetzt worden. , 

Am VK Au<^Hst Pt.'is starb Lukas Oslander. Nicolai :eiirde 
jetzt Prokanzler. Eine neue Anstellung erfolgte nichts er war 
oho mit Pregitzer allein in der Facultät^ bis ztf^ Ende des 
Krieges, dessen Seiten sich in diesetn Abbrdkeln spiegeln. Ni- 
colai ^eht dann nach dem Lyicden im jähre lOrtO als Probst 
?mch Stuttgart f so dass endlich Pregitzer allein noch übrig 
bleibt. 



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- 65 - 



1650—1690. 

^ Der Wiederaufbau der Universität war nickt leicht. Der 
lange Krieg hatte theils ein rohes, theils ein hartes Geschlecht 

herangezogen. Es gab Professoren, die es sich nicht abgneöhnen 
wollten^ ihre ganze Zeit in den Schenken mit Zechen und Wiir- 
feln SU verbringen. Die Theologen^ welche sich in harter Noth 
für die Existenz ihrer Reli^ ion zu wehren hatten, waren streitbar 
gezuorden bis zion Eigensinn und zur Lust am Streite. Diese 
Gewohnheit hat dann leoJiI auch zum bestündigen Kampfe um 
das Recht des einzelnen y das wirkliche oder eingebildete^ ge- 
führt. Man vertrug sich schlecht. Dazu fehlten Überkaufi die 
brauckbaren Mimierf und drängte die Noth des Lebens noch 
lange. 

Am Id. Nov. lOrtl schickt der Herzog nun einen Com- 
missär, den fürstlichen Rath Dr, Jur, Lang, um die Besetzung 
der erledigten Stellen einzuleiten. Er hatte vor allem den Vor- 
schlag zu machen, dass der ^hxg ister domus des Stipeud m :iis^ 
M. Heinrich Schmid fitr die theologische Eacultiit nominiert 
werde. Die Universität erklärte gerne auf ihn einzugelien^ als 
einen gelehrten Mann und zugleich beliebten Prediger, Er wurde 
am 8. Dec. 1651 zum ordentlichen Professor der Theologie er- 
nannt, und diess am f. 'Juni 70';")^ naher dahin bestimmt, dass 
er die Steile des Dekans und ersten Superintendenten des Stifts 
liaben soll. Gleichzeitig wurde nun auch Pregitzer zum Probst 
und Kanzler ernannt^ nachdem er seit Nicolais Abgang das 
Procancellariat versehen hatte. Aber schon am 4. April 1653 
besc/neert sieh ein herzogliches Dekret^ dass Schmiäs kUrslicU 
erfolgter Tod nicht angezeigt worden sei* 

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— 66 — 



Der Auftrag von Lang 7car aber zugleich dahin gegangen^ 
dass auch ein dritter Theologe lieben Pregitzcr und Schniid 
vorgeschlagen werden solle. Der Vorschlag vom W, Nov. JLGöl 
nemtt hieflir neun Würtembergiscke und fiinf Ausländer, Dem 
der herzogUclie Befehl hatte diessmal dahin gelautet^ brauchbare 
ThcoloL^cn zu nennen die weren gleich inn oder ausserhalb 
Landts gesessen. Unter den Ausländern finden wir Hulsemann 
von Leipzig und Dorscheus von Strassburg^ diesen mit der Be- 
merkung ^ dass er in religione ortliodoxus und während des 
Streites mit den WürtembergiscJien Theologen einig geieesen. 
Der Herzog ernannte aber Jan. 100:^ den gleichfalls vorge- 
schlagenen M. Baltliasar Philgus^ gewesenen Pfarrer und Senior 
SU Lindau, und zwar zum Professor extraordinarius, Pfarrer 
und Superintendenten des Stifts, Aber er erkrankte bald un- 
Jieilbar und am 2S. Juli Vi^t '.l fordi rt ein Dekret schon Vor- 
SclUäge für den durch seinen Tod notJtwetidig gewordeneu Iirsatz. 

Am 22, August 1602 war indessen auch der Pfarrer Bal- 
tltasar Raith von Derendingen sum Extraordinarius der Theo- 
logie ernannt worden. /le^ Ieich wurde demselben die Professur 
Hchraeae limruae iibertras^en. leie leir in der nächsten Zeit über- 
haupt solchen aus dem Mangel an verfugbaren Kräften sich er-, 
klärenden Verbindungen begegnen. 

Nun waren dber IGoB Schmid und Phifgus wieder zu er- 
setzen. Für den ersteren nahm man ohne weitere Verhandlung 
einen der in dem Berichte vom lü. Nov. Wöl mit vorgeschla- 
genen Männer, den D, Tobias Wagner, der zwar jetzt Pfarrer in 
Esslingen^ aber geborener Würtemberger und Zögling des Tü- 
binger Stifts war. Er wurde unter dem 19, April 1653 zum 
Dekan und Stiftssuper inte uiienlen eriunint^ und unter dem 11. Mai 
lO.'h'l ver/ügtj dass ihm sein GeJialt von Anfang an jederzeit 
jährlich voll ausbezahlt werden solle, Diess liatte er sich aus* 
bedungen^ weil er seinen Esslinger Gehidt voll beziehe^ an der 
Uniifersität aber flössen die Einkünfte und Gefalle erst all- 



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_ 67 - 

mäklig wieder Ufid wurde auch dcvi cntspnxhcnd inani^clhaß 
ausbceahlL Er sollte aber nach dem Dekrete so gestellt sein^ 
dass er sowohl den publicis lectionibus, alss privat collegiis, 
Kirchen- und andern Geschafften desto ohngehtnderter incum- 

bicrcn und oblicrcn mö<jL. J-itr J^/ii/<^i(s aber ivuvdc clhufalls 
noch lGü3 als ordentlicher Profcssoy und lyarrcr der bisherige 
Superintendent von Bietigheim^ Joseph DemmUr^ bestellt. 

So war also der Stand der Facultät von 1653 an wieder 
der norniali: Probst Prigitzcr^ Dekan Wagner^ Pfarrer Dentmler^ 
Extraordinarius Raith. Im Jahre 1006 aber trat der Tod Pre- 
gü»ers ein. Das Kaneleramt wurde nicht sofort wiederbesetzt^ 
Wagner versah zunächst als Dekan das Procancellariat, Da- 
mals wurde von Stt/ttgart aus an die Tübinger Canzlei um 

Auskunft itber die fridieren Geioohn/ieiteu bei de;- P*eset.:uiig der 
KanzlerstclU geseh rieben. In Stuttgart sei bei der Laiidesoccu- 
pation, nach der Ndrdlinger Schlacht das fürstliche Archiv so* 
wohl als die übrigen Registraturen so übel distrahiert und die 
meisten bieten entführt leorden, dass man sieh gar nieht mehr 
informieren könne. Raith bekam g/eieh~eitig wie früher einst 
Sigwart ein interimistisches Ordinariat, d. h, er sollte Professor 
. Theologiae heissen und im Senat siteen, bis su Wiederbesetgung 
der Kawslerstelle , im übrigen aber Superintendent des Stifts 
bleiben und auch die Professur Ilebraeae linguae beibehalten. 
Zum Extraordinarius aber wurde gleichzeitig Johann Adam 
Oslander ernannt , und bekam daneben die Professur Graecae 
linguae. Beides am 2S, Nov. 1656, Im Jahre 1660 starb 
Demmler nach lauster Krankheit^ und die Universität trug auf 
das Vorrücken der Collegoi an. Der /fer."og Pberhard JH. 
gcwälirte diess am :2(K Febr.^ jedoch mit Verwalirung gegen ein 
jus successioniSf und der Erklärung^ dass Unns dergleichen Of- 
ficta nach Belieben zu bestellen undisputierlich allein gebühret 
Es bekam also Raith die Pfarrei^ Johann Adam Oslander aber 

ganz dieselbe interimistische Stellung^ die Raith bisher gehabt. 

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— 68 — 

Raith aber sollte dabei noch eine Beitlang das Hebräische in 

drei Stunden beibehalten. Das Extraordinär iat icnrde dem M. 
Christoph VVölfflin verliehen. 

Erst mit dem Jahre 1662 wurde Wßgner endlich Kamtler» 
Es ItaUe in seinem ProcanceUäriat sogleich Schwierigkeiten ge- 
geben. Am 7. ytdi 1656 war es ihm übertrafen worden, am 
A-*/. Nov. Ifi.'ffi wurde angeordnet, dass er zu allen Akten seinen 
CoUcgen Demmler beizusichen ^ und im Falle ihrer Uneinigkeit 
die Sache nach Stutzbart vorzulegen habe, Diess war gesclielien 
in Folge von Denunciatianen gegen ihn bei der Visitation, Wag- 
ner war ein Mann von starkem Kraftgefühl und den Collegen 
bald lästig. Er fiihlle sieh seJion sieher als Kanzler, sprach 
ohne Scheu davoti^ er wolle den Karren schon führen» bald musste 
er sehen ^ dass die Ansteigen in Stut^art gewirkt hatten. Er 
wendet sich mit einer Apologie an den Geheimenrath Varenbäler, 
er verlangt vom Senat selbst wiederholt eine Rechtfertigung. 
Sie wird ihm nicht gegeben. Man sprach davon^ lieber einen 
Kanzler aus einer andern Facultät zu haben. Da wirkt er 
selbst für die Besetzung mit einem anderen Theologen^ der Prälat 
Heinlin voft Bebenhausen kam in Wurf, Aus dem allem wurde 
nichts. Die Sache blieb so länger im schwebenden Stand. Nach- 
dem Wagner 1G0.2 Kanzler gezcorden war, rückte auch Raith 
in das Dekafiat, Johann Adam Oslander aber in die Pfarrei 
ein, Friede blieb es mit Wagner aber auch dann nichts natnent- 
lieh nicht für Osiattder. Unter drei Herzogen, Gerhard, WiU 
heim Luäwig und Friedrich Carl wird der Kanrder zur Ruhe 
verwiesen. Man conjisciert ihm eine Schrift de Pugna Philo- 
sophiae et TJteologiae^ verbietet Htm seine Lehre de sabbato N, T,^ 
über die er besonders mit Oslander im Streite Uig, Ebenso das 
endlose Erneuern der Menteerischen Controverse, wie ein Dekret 
vo)ii Iii. April 1(17.') sagt, besonders zu dieser Zeit, da man 
nicht noth die alte conflictus der Kirchen mit neuen Wunden 
aufzufrischen» sondern genug zu schaffen habe wider die, so 



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69 - 



sich der reinen Lehr entgegensetzen, zu vigiliren. Eine bt" 
softdere Klage gegen ihn war aucli^ dass er immer unterwegs 

sei, zvodiirch seine Amtspflichten zu kurz kommen, und endlich 
seine Veybindion^ mit dem S/rtisshurrer Seb. Schmid. Noch 
aber Wagners lod hinaiis setzt sich der Streit fort^ Jeüire laiig 
über seine parentatiOy welche er dem Juristen HarppreclU über" 
tragen hatte ^ während die Theologen sie fiir sich in Anspruch 
nahmen und dann lieber 'errJniiderteu. Diese Handel unter den 
Theologen zu Wagners Zeit waren so peinlich, dass der Visi- 
tationsrecess von 1675 behauptet^ es kommen desswegen keine 
auswärtigen Stttdenten mehr. 

Im Jahre W03 sodann bekam die Facultiit noch einen 
iv eiteren Lehrer an dem Convertiten Anton Winter, dem zieeiten 
dieser Art im siebenzelienten Jahrhundert, Es naltm keinen 
guten Ausgang mit ihm. Auch er war Jesuite gewesen^ und 
als Flüchtling vom Hersog zunächst im Stift aufgenommen. 
Am HO. Dec. betreibt der Hersog Eberhard bei der Uni- 

versität den solennen Akt seiner I\ei>oc'jfi('U , dem er selbst au' 
wohnen wiU, Am 29, Januar 1663 wird ihm auf seine Bitte 
die Professur der Theologie ertheilt; er soll biblische Collegien 
in vaciereiiden Sttinden lesen, philosophische Prit'ateoi/egieii hal- 
ten^ uiul einigen Päbstischcn scriptorcni rcfuticrcn. Ucbrigens 
muss er seine Vorlesung ad calamum dictieren, datftit man sie 
überwachen kann. Den Gehalt übernimmt der Herzog selbst, 
Winter wollte heirathen, und hat diess dann auch ausgeführt 
und die Wiliiee des l^rofessor W'unnser i:;eehelieJLt, :eelche ihm 
zivei Stiefkinder zubrachte. Getraut hat man ihm nie völlige 
Als das Extraordimriat 1670 erledigt wurde ^ daclUe man von 
keiner Seite an ihn. Man übergieng ihn bei jeder Gelegenlieit, 
So besehwerte er sich 1075 darüber, dass man ihn nicht einmal 
beim examen neglectuum verlwre. Die Censur seiner Sehriften 
Tjüird eifrig betrieben, und es bildet gelegentlich einen l 'onourf 
gegeti den Kanzler Wd^gner, dass er sich diesem Gescliäft ent- 



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— 70 — 



zUhc^ und CS ganz den Collcgcn iilhTuusc Nach zwölf jfaJircn 
wurde er rückfiülig^ von Pfingsten 1070 an dachte er mif die 
Rückkehr sttr katholischen Kirche^ wollte die Seinigen mit dazu 
überreden^ und entfernte sich im Octobcr^ angeblich nm dem 
Prinzen FricdricJi aufzmvartcn. Aber am 4. November Vl7ö 
schreibt er als Flüchtling von Ulm aus an die Universität. Er 
Itabe^ sagt er^ nur die Wahl geltabt, entweder die Seinigen oder Gott 
aufzugeben. Er wäre nicht Iteimlich durc //gegangen, wenn er nicht 
Jiätte den Kiaifen seiner Familie aiisieeic/ien müssen. Leider sind 
seine Prau und seine Stiefkinder so blind gewesen^ bei ihrer lie- 
ligion eu beliarren und allen Verlockungen einer glänzenderen Exi- 
stenz zu widerstehen. Man werde sie nun schlecht behandeln^ das 
könnte für das Land üble Folgen Itaben, droht er. Ihnen sei 
CS vieileic/it gut dazu, dass sie sieh doch noch a/idcrs cntsch/ies- 
sen. Dann dankt er dcui Herzoge dem Senat, fordert, dass die 
Bebenliätiscr Pflege seiner Frau den resiirenden Gehalt bezahle , 
droltt andernfalls mit dem Kaiser» Das Schreiben schliesst 
mit folgendem Postscript: Er^o nullum deinceps catholicum re- 
cijiitc. nemo, ciii haec rclii^io intime pcrspccta , scrio cani dc- 
ponit. Nec uUus me in scriptis lacessat, cum enim non tantum 
fragilia Status scd et domcsticas privatorum sordes apprime 
norim. Nolitei obsccro, servum vestrum, vestrae suaeque adeo 
amantem patriae, compellcre, ut lutulenta tarn diari soli vel 
invitus, foctorcni cxcitaturus. movcat. Der Senat, der das 
Schreiben dem Herzog vorlegen mnsste, redet dabei von einge- 
rückten empfindlichen, aber an sich ganz ohngegrtindeten Ca- 
lamnien und angehängten Bedrohungen. Neuh Winters Abgang 
sind 1675 noch im Amt: Wagner, Raith, Oslander und der Extra- 
ordinarius Wölfflin. 

IVä/irend in den Jeüircn IGöl—y^i der Personalstand der 
Universität wieder ItergestelÜ wurde^ hat man zugleich ange" 
fangen den Studiengang neu zn regeln. Zunächst bezieht es 
sich noch auf die Vermehrung der Lehrkräfte, wenn in dem 



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I 



Visitationsrecess vom 4. yunt 16oJ9 angeordnet wird^ es solle 
jungen Theologen , bei vor/iandener (2naiifieation die Abhaltung 
von colUgia dispiUatoria ^ iibrigens unier Controle der Professo- 
ren erleichtert^ auch dem Extraordinarius die Be/upiiss su 
öffentlichen Disputationen eingeräumt werden. 

In dem gleichen Dekret aber wikrde nun auch den Facul- 
täten eine neue Ordnung, wie es künftig sowohl quoad niatc- 
rias ipsas et methodum tractandi alss auch ratione der Stunden 
undt mit denen disputatoriis oratoriis und anderen dergleichen 
Exercitiis gehalten werden solle, angekündigt und mr Nach" 
achtung empfohlen. Man halte zur Vorbereitung desselben bei 
der Visitation aufneJivien lassen^ zvas gegenwärtig gelesen iverde. 
Da tntg der Kanzler Pregiteer ein, er stehe am 14. Capitel des 
Jeremias, Da diess im April 165J^ war, und derselbe Mann 
im April 1654 beim Examen neglectuum erklärt, er sei jetst 
am JJJ. Capitel, so brauehte er gerade ZToei fahre .zu J(f Capi- 
tcln des Profeten. Selnuid hatte damah den Römerbrief an- 
gefangen, und Philgus die Augustana, Hierauf wurde dann der 
neue ordo studiorum ausgegeben^ von dessen Inhalt für die theo- 
logisehe Faeultät luir leenigstens noeJi einen Ausi.ug haben. Der 
Kanzler y Probst und erste Ordinarius heisst es darin y iverde mit 
seinen Vorlesungen Ober den Profeten Jeremias fortfahren. Ihn 
liess man in seinem Alter bei seiner Gewohnheit, Dagegen fängt 
die Neuerung an bei dem zweiten Professor und DecamtSy von 
dem es heisst: controvcrsiarum giibcrnator ac vcluti sculna crit. 
Diess li'ar jetzt noeh Sehmid, bald darauf giet^g es an 11 agner 
über. Der dritte Professor, zugleich Pastor, werde das Neue 
Testament erklären, Diess traf den Dr, Philgus und nach ihm 
Demmler. Der vierte, der Extraordinarius y soll Hafenreffers 
Compendium erklärrUy sine molcsta dictationc, libcriori scrnionc, 
und jedett Monat über eimn locus eine kurze Disputation halten, 
und zwar so, ut et themata concionum proponat sudiosis utrin- 
quc theoriam cum praxi utilissime mixturus. Die wesentliche 



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— 72 - 

Neuerung ist also die Einfilhning der Professur contrauersia- ^ 
rum. lUs daher ivar die Lectionsvertheilung von iGOl in 
Kraß gewesen , ;//// den zxvei alttestamentliehen und dem 
einen neutestamenUichcn Lehraitftrag fiir die drei Hmptpr<h 
fessurefty detn Compendium für das Extraordinariat Eine Pro* 
fessur für die Controversien toar nur persönlich für Reyhing 
geschaffen worden. Jetzt wird diess eine Ilauptprofessury umi 
da die Zahl der Stellen sich nidU vertnehrt^ so fällt die eine 
der beiden alttestamentliehen Aufgaben weg. Die Hauptpro- 
fessuren sind jetzt: Controversien ^ Altes Testament ^ Neues 
Testanieut. 

Bezüglich dieser Neuerung sagt der alte Kanzler Pregitzcr 
in einem Protokoll vom 4. November 1658 ausdrücklich ^ es 
seie hiebevor gar kein Professor controversiamm gehalten 
worden; er achte es auch unnöthig zu sein. Aber diese An- 
sicht drang nicht mehr durch , im Gegentheile finden 7vir bahi^ 
dass nicht nur die Contnn crsiae die vorne Jimste Professur bilden^ 
sondern dass auch die Exegese beider Testamente gu iliren 
Zwecken getrieben werden soll. Als Schmid und Philgus ge- 
storben ii.'areny Hess die Regierung 16')P» sorgfältig untersuchen^ 
wer sich am besten für diese Professur eigne, Demmler oder 
Wagner. Demmler meinte nur, es könnle ihm zur Unehre 
gereichen f wenn er mit der Stelle nicht auch den Lehrauftrag 
Schmids bekonmte^ im übrigen bestand er selbst nicht darauf 
weil derselbe seinen bisherigen Studien fremd sei. NacJiher 
wurde auch noch berichtet^ dass er nicht genugsam mit Büchern 
verselten sei, Pregitzer meinte von Anfangs wenn es denn einer 
sein f misse f so werde sich Wagner am besten eignen ^ weil er 
ein Practicus sei, und den herzogliclien Visitataren sagte man^ 
er sei darin besonders gei/b/ und in Streitschriften beieährt. 
So erhielt Wagner den Auftrag , übrigens mit dem Vorbehalt^ 
dass derselbe nicht an die Stelle gebunden^ sondern immer nach 
den personlichen Eigenschaften ertheiU werden sollte. Da nun 



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— 73 — 



aber Wagner später Kanzler wurde ^ bildete sich bald eine 
Tradition^ dass die Controvcrsieti die Kattsiersprofessur sei. 

Die nähere Vorschrift für die nette Professur ist voft detn 
ersten Tnhaln r Sclnuid iui lixauioi luxfcctuuiti aiii Ki Oktober 
165^ in den U'i'r/t n reproduciert: statum controversiae ex ad- 
versariorum verbis formare» sententiam orthodoxam juxta prae- 
scriptum unico argumento confirmare» illudquc ab instantiis 
et cxcc|)tionibus advcrsariorum \in(licarc et ar;4umcntuiii ad- 
vcrsariorum contrariuni tliliicrc et refutare. Dass es übrigens 
damit auch nidU scimell vorwärts gieng, zeigt sich bei dieser 
Gelegenheit; denn er hat im Sommer nicht mehr fertig ge^ 
bracht, als den ersten Thcil des locus de S. Scriptura, näm- 
lich de autoritate S. 6., und fängt jetzt an, de libris canonicis 
et apocrypJiis zu handeln. 

Uebrigens war ein anderes Regiment über die Universität 
gekommen. Die Regiemug griff überall ein, mit Anordnung 
und Aufsicht^ bi lebend, bald aiicJi ivillkiirlicli^ iiiclit gi -radi- i ininer 
szuec/cniässig, iiu Ganzcu docJt mit überwiegendem l'erständniss 
für den Fortschritt der Zeit. Die vierteljährliche Neglectenabliör 
an der Universität^ welche früher sich in der That auf die 
Versäumnisse beschränkte, enthält jetzt in den fünfziger Jahren 
des siebenze/inten JaJirJiunderts zum 'Iheil förmliche fortgehende 
Relationen über das, was die einzchwn lu-Jirer gethan haben. 
Besonders bemüht sich um diesen Nachweis der Extraordinarius, 
der sich seinen Beruf grossentheils erst selbst stisarnmensetsen 
musste. So berichtet Raith IG'ii, er habe den locus de peceato 
absolviert mit einer Disputation, im Artikel de clcctiotu: drei 
Vorlesungen gehalten, er setze ein Disputatorium über die 
Augustana mit zehen Studenten fort. Zu dem allan kommt 
noch, was er als Professor der hebräischen Spracite leistet. 
Sodann stellt er mit Studenten Predigtithnngen an. Diese prak- 
tische Ausbildung kommt jetzt überhaupt mehr in ^hiftta/une^ 
auch Wagner berichtet über sein^collegium privatum concionemdi. 



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— 74 — 



Zehen JaJire ttach dem Erlasse- des neuen ordo sludioruni 
war die Regierung wenig befriedigt iiäer den Erfolg der An- 
ordnung und sc/iärfte der Universität die Hauptpunkte und 
Zwecke derselben in einem herzoglichen Gcncralrecesse vorn 
S. Noi'endhr Ulli:* ein^ unter Rüge aller bei den l'isitationen^ 
namentlich der letzten vom Jahr 1601 wahrgenommenen Ah* 
weichungen. Dein Professor controversarium Wagner wird 
vorgehalten y dass er über jeden locus ganze Tractate schreibe 
und dictiere, mn sie nachher lierauszn^i^fben, er solle viel kiirzer 
sein. Uebrigens finden wir noch im Jahre 1070 in einem Gc- 
neraherweis für den Kanzler unter Anderem auch den Vor- 
wurfe dass er unnöthiger Weise in der Vorlesung den Priick- 
nerum In der Mentzerischen Controverst und den Vedelium 
rcfutirt, auch de S.ibb.itho sonderbahre Icctioncs denen Studiosis 
dictirt. Raith hatte neben dem Alten Testament aneh die He- 
bräische Professur; er hatte aber nur seine fünf Wochenstunden 
für beides zusammen gegeben^ so dass nur zwei auf die Exegese 
gekommen waren. Ihm nmrde gesaj;tj dass das Hebräische ein 
Extragesehiift sei , ?/nd er seine fiinf Stunden j:^anz der theo- 
logischen Profcssur .c// ^eidnim Imhe. . \ucli hatte er die Vor- 
lesung benutzt e seine Vindiciae Versionis Luther i vorzutragen. 
Auch diess soll aufhören, und er soll nach der Vorschrift die 
Dicta controz'ersa Veteris Testamenti behandeln. Dasselbe wird 
dem Professor des Xeiien 'Jestaments Osiander eiiiiieseliärft ; 
er soll in derselben Weise das ganze Neue TestainetU durch- 
gehen , statt dass er sich bisJier in zusamtnenliängender und 
langsamer Erklärung mit dem Philipperbrief allein bescliäftigt 
habe. Der Extraordinarius Wölfflin soll das Hafen reffer ische 
Compeiidium in zioei Jahren absolvieren^ und damit praktische 
Anleitung verbinden, den Methodus cofuionandi zeigen, indem 
er Predigtthemeüa aufstellt. 

Nicht minder bemerkenswerth sind die allgemeinen Vor- 
scJiriJten über die Methode des Unterriehts, Man habe bisher^ 



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— 75 — 



! 



luisst es^ viel su viel Theologia scholastica getrieben^ mvutUlich 
in den Disputationen lauter subtile Distinctiones Metaphysicac 
und so intrikat vorgebracht, dass Niemand der Sache folgen 
koHiir y der nie Ii t eben darauf besonders eingeseJutlt sei, statt 
dass aiieJi Leute aus anderen FacuUätcn ihres Glaubens Stärkung 
in fundamentalibus articulis dabei empfangen sollten. Die Sachen 
sollen verständlich proponiert werden und wegen der philo- 
sophischen Subtil itiit der Kern der Dictoruni Scrijiturie nicht 
ausser Acht gelassen werden, wohin unsere vorige Theologi 
allezeith sorgfältig gesehen. 

Schon 1656 war bei der Visitation geklagt zvorden, dass 
keine Exemplare des ordo studiorum mehr su bekommen seien; 
jetzt leird eine Neubearbeitung angeordnet, damit sieh Nietnand 
mit Unkenntniss ausreden und mau iJiu aueJi wieder an auS' 
wärtige Universitäten verschicken kann, .Diess ist im Jalire 
1664 dann ausgeführt worden, und ebenso geschah es wieder 
im Jahre Kisf, Jn-ide Progranune besitzen :eir noeli. Sc/ion 
im jfahrc lü'J7 hat man bei amtlicher Zusammenstellung nur 
diese drei aus der früheren Zeit gekannt^ das erste von JOö^, 
und diese beiden von 1664 und 1664, Erst bei der Visitation 
im yahre 1696 wurde dtr Gedanke angeregt , es sei nicht mtr 
icieder ein neues Programm not h ig, sondern es ivärc wohl 
besser^ jedes Jahr ein solches zu drucken. 

Das Programm von 1664 ist nun ganz nach den Vor^ 
Schriften von 166^ eingerichtet. Der Titel heisst: Ordo stu- 
diorum in Acadeniia ICberhardina, (luac Tubingac est, [)ubhcc 
propositus, anno 1664. Formis Reiäianis. Fs ist nielit ein 
einfacher Catalog, sondern eine etwas pomphafte Versprechung 
dessen^ was geleistet werden soll, mit umständlicher Beschreibung 
des Verfahrens, was sich zunächst daraus erklärt, dass die 
Ankündigung pugleieh die Xormen des Unterrieliies enthalten 
soll. Da ^-'e/;:-/ sich nun vor allen Dingen, dass seit lüi}2 nicht 
nur die Co/itroversien-Professur neu hereingekommen ist^ sofh 



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I 



- 76 - 

dem dass sie der Mittelpunkt geworden ist und edles andere 
nur SU ihrem Dienste betrieben wird. Der Kanzler Wagner 

als Professor controvcrsiantni stellt sciuc Aufgabe ganz so, züie 
sie schon 1662 Schinid aus der ersten Vorschrift repetiert hat^ 
dar. Aber es deutet immer noch ein gutes Stück scliolastisclier 
Methode an, wie aus den Quästionen die wichtigste heraus- 
gesucht, :eie <tie expliceitio teruiiuoruui , des Subjekts und Prä- 
dikatSy vollzogen ivird, Siiui die Loci so durchgegdugeu, dass 
immer die Frage bei einem jeden auf die Hauptcontroroerse 
surückgefldirt ist, und diese erledigt , so fängt er wieder von 
%tome an, um diessmal bei jedem Locus eine andere Contro- 
vcrse in der i^leieheu Weise zu absolvieren. Der Vortrage soll 
in der Hauptsache niiindlich d. h. frei scin^ nur jedesmal zum 
Schlüsse wird er eine kurze Summa von theoremata in die 
Feder dictieren. Er liest von 9 bis 10 Uhr, Die beiden an- 
deren Ordittarii treiben nun allerdings Kvegese, und swar hat 
Raith das Alte, Joh. Ad. Osiander das Neue Testament. Aber 
nicht mehr ivic früher fortlaufende Exegese biblischer Bücher, 
sondern ausgewählte Stellen für den Zweck der Polemik, Sie 
lesen über die loca difficiliora beider Testamente^ die Stellen^ 
ivomit man die Feinde am besten schlagen kann, erklären den 
ivahren Sinn und leiderlegen die Argumente der Gegner. Raith 
liest von S — U Uhr Morgens ^ Osiander von 1 — 2 Uhr, der 
erstere hat jetzt neben diesem noch aweimal in der Woche die 
Hebräische Vorlesung, Der Extraordinarius IVolfflin hat immer 
noch die eigentliche Dogmatil: ^ leenn man es so nennen darf, 
d. h. er liest über Hafenrejfers Conipcndium , wie friilwr über 
Hecrbraiul gelesen wurde, nicht dasgatise^ sondern vom zweiten 
Buch (den Engeln) in das dritte mir hinein. Dieses dritte 
de homine umfasst allerdings die ganze Übrige Lehre. Er 
liest citra dictatiouuui anibages nimias, und ivird immer Repe- 
titionen iiber den vorgetragenen Abschnitt halten. Nur der fünfte, 
Anton Winter^ hält sich der ihm ertheilten Vorschrift nach 



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I 



— 77 — 



an eigentliche Exegese. Er liest Ober den Romerbrief, Alle 
miteinander werden regelmässige Disputationen im Zusammen- 

/ianj{ mit zliirn l\)rlrsn/igi-u /lal/i'u , loid es aiicJi iiie/it an 
Collegia Prhata fehlen lassen. So(I(V>;i hegegnet um liier wieder 
die homiletische Instruction bei Wölfflin: Themata quoque 
Concionum hujus literaturae Studiosis proponet. 

Im Persona isla Ilde trat die erste Veränderung im Jn/ire 
1070 durclL die Versetzung des D. Wölfflin an die Hofkapellc 
in Stuttgart ein. Der Herzog liess der Universität fiir das 
freigewordene theologische Ordinariat den Professor der Philo* 
Sophie Graft vorschlagen. Des Herzogs DurchlaucJit, lieisst es 
in einem Aufsatz der Universität vom IS. April lH'.KJy sei vor 
ihne D. Graft zu allen Zcitten portirt gewesen. Craft stammte 
aus der Grafschaft JValdech, und war Professor der Logik 
an der philosophischen Facultät. Im Jahre 1669 hatte er einen 
Ruf als IValdeeksi/ur Generalsuperintendent, dur den Ver- 
stellt erhielt er ein herzogliciws Versprechen für Befördcruitg 
ad ordinem Theologorum y unter der VorausUUsung ^ dass die 
Universität ihn vorschlage. Als aber nun die Gelegenheit ein- 
trat, wollte die Universität nichts davon wissen. Craft habe 
sieh, so liiess es in der Berat kung vom ;^.V. März Ki/O, in der 
Leitung des CotUubemiums nicht bewäliri. Sodann ^ er lusbe 
mehrere orationes publice gehalten ^ die er aus des Jesuiten 
Drexelii tractätlein abgeschrieben habe, zu höchster Ver- 
kleinerung der Universität bei den benachbarten Jesuiten. Die 
theologische lacultät habe ihn allerdings zum Doctor gemacht^ 
aber nur auf sein Vorgeben^ dass es der Herzog haben wollte^ 
was sich dann nicht bestätigt, Sie hatte nämlich durch diese 
Angabe sich bestimmen lassen, ohne Erlanbniss zu promovieren, 
und dariiber einen V rieeis bekommen. Der Hauptgrund jedocJi^ 
der übrigens aus dem Berichtsentwurfe wieder gestrichen wurde, 
• war, dass er in Königsberg bei Dreyer studiert habe^ desselben 
Lehren anhänge^ und sie in philosophischen Disputationen^ wohin 



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- 78 - 



doch theologica gar nicht gehörten^ vorgetragen habe. So wurde 
nicht Craft, sondern di r Suptrinti ndcnt von Höbliugcu^ M. Georg 
Heinrich Keller^ vorgeschlagen^ der auch am 20. April 1G70 
die Bestätigung erhielt Graft reichte dam im Oktober 1674 
eine Bittschrift bei dem Herzog ein, dass ihm die künftige 
Hofnung ad Theolo<;iain befördert 7ai werde n , nicht nio^e 
zerrinnen. Die theologische Facnltät erhielt aber Gelegenheit^ 
sich darüber m äussern^ und rieth entschieden davon ab, dass 
ihm ein solches Versprechen gegeben werde. Weder die Uni' 
versität noch der Fürst selbst dürfe in seiner Entscheidung auf 
diese Weise zum voraus gebunden iver'den. Ausserdem aber 
könnte ihm ja zuerst nur das Extraordinariat verliehen zuerdeti ; 
mit diesem aber sei die Stelle eines Superattendenten des Sti» 
pendhtms verbunden^ die nach der grossen Kircltenordnung keinem 
Theologen verliehen werden solle^ er sei denn bei diessem Land 
und Hcrzoc^thumb licrkomnicn, wahrend Graft Scxn 'rhcoloi:jiani 
Meistens zu Königsberg hat studirt, und ein recommendirter 
Discipul des verdächtigen Syncretisten D. Dreyers gewessen. 
Wenn er sich als langjcüiriger Professor der Philosophie so 
grosse Verdienste^ wie er sage ^ erworben habe, so solle man 
ihn gerade dessieegen bei dieser Professur^ fiir leeleJie er sich so 
sehr bezeährty auch belassen. Das Gutachten weist dabei auch 
darauf hin, dass er, auch gegen die Ordination, tlieologisclie 
Sachen ohne Censur sn Frankfurt und su Heilbronn drucken 
lasse. Im Jahre 1680 — 81 wurde dann Graft in der TJiat 
noch einmal ubergangen y und ihm dafür eine Superintendenten- 
steile angeboten, die er aber nicht annahm. Er hat sich damals 
gegen die Vorwürfe der Theologen in einer ausführlichen Schrift 
vertheidigtj und sich bemüJU su zeigen, wie nothwendig die 
Philosophie zur erfolgreichen Bekämpfung theologischer Gegner 
seiy und ivie er allen Grund habe, auch als Philosoph diese 
Anwendung zu lehren. Unter den Vorwürfen war aber auch 
das Thema einer Disputation darüber, ob Gott causa peccati 



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— 79 — 

per accidens f^enannt werden komie. Noch 168,^ verlangt der 

KanzLr jolumu Adam OsiaiiiLr, (fass die ubrij^rn r/iioii\i^cn 
sich über ciiie Disputation Graft s de Jure mturac gtutium et 
civili wegen der vorgekommenen Verstösse gegen die Orthodoxie 
äussern sollen, Sie erklären sich erst auf einen herzoglichen 
BtfcJdy wollen hei der Disputation nichts bedenkliches gek'ort 
Juibtn^ itbcr die i^i'dnickic ScJiriff aber iwriueigern sie als ehe- 
malige Schüler Grafts, ein Urtkeil abzugeben. Uebrigens wird 
es von jetzt an bald zur Gewohnheit^ dass Professoren der 
Philosophie auf die Stellen in der theologischen Facultät ad" 
spiricreu. Sie uheniainnen daher auch sehr gerne freiieillig ' 
die Abendpredigten^ um sich dafür zu empfehlen. Auch Graft 
hatte diess getluxn. 

Am 13, August 1680 zeigt die Universität den am gleichen 
Tage eingetretenen Tod Wagners an , und gleichzeitig hat sie 
über das Victalitium Raitlis zu berichten ^ der Alters halber 
kurz zuvor resigniert hatte Bei der diessjälirigen Visitation 
sprach die Regierung die Erwartung aus^ dass nun auch ein 
besseres Zusammensetzen und Verständtnus gestifftet und auch 
fortgepflanzt zeerden könne. Auch :ear bei dieser Gelegenheil 
von Aufstellung eines collega practicus die Rede, was jedoch 
zu keinem Ziele fiUirte, Nur ordnete die Regierung an, dass 
man die älteren Studenten in der Umgegend auf den Dörfern • 
predigen lasse. Noch vor Ende des Jahres erfolgte darauf die 
Beförderung Joh. ^Id. Oslanders zur ]''robstei un<l Kanzler- 
Stelle y zuerst provisorisch y bald darauf definitiv^ und Anfangs 
16S1 wurden auch die übrigen Stellen wieder besetzt^ nicht ohne 
lottere Verhandlung^ weil die Universität einem smmnarischen 
Jierzogliclien Personahorsch läge gegenüber ihre Rechte und ins- 
besondere auch in Betreff des Jixtraordijiariates ihr freies Wahl- 
recht waJirte. Sie nominierte daJier auch zwar für die beiden 
erledigten Ordinariate im Anschlüsse an den licrzoglichen Vor- 
schlag den bisherigen Extraordinarius Keller und neben diesetn 



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— 8o — 



Michael Müller und Andreas Hachstetter, fiir das eventuell aber 

durtli Kellers Bcfordiniui^- freie Extraordiiiariat den Diaconus 
Georg Heinrich Häberlin vo}i Stuttgart^ mit dem Aiijugcn^ dass 
a$tch van dent Markigräflich Baireutkischen Hof Prediger SteitP* 
hofer die Rede gewesen j er wäre wohl mit zu einem der 
Ordinariate voi[i:esc/ilagen worden, wenn er zu dieser Zeit in 
diesem I lochlöblichcn 1 Icrt/osjthunib in Ministcrio in Diensten 
wie die Ordinatio Hertzogen Friderici Christlöblichcn Andenkens 
erfordert, gewesen wäre. Dahero ohne Fürstliche Dispensation 
es nicht von uns beschehen können. Darauf erhielt Keller 
die Professur mit dem Dekanat^ llochstettcr die mit der Stadt- 
pfarrei verbundene^ ebenso erhielt Häberlin die ausserordenfliehe 
Profcssur, Diese Besetmng wurde jedoch sciwn im folgenden 
yahre 1QS2 wieder dahin abgeändert^ dass Hochstetter trotz 
seiner Bitte ihn zu belassen und drim-ender Intercession des 
Senates ai(f die Prälalur Maiilbronn versetrst ^ und jetzt an seiner 
Statt die Professur an Michael Müller gegeben zvurde. Auf 
Müllers Bitte wurde ihm herzogliclie Dispensation daiiin ge^ 
währt^ dass er ohne erst zu disputieren seine Antrittsrede halten 
dürfe , jedoch sollte er die Disputation in Bälde nachholen» 

1)1 diese Zeit der Paculllit fällt ein neuer ordo studioruniy 
welcher schon bei der Visitation von lOdO als tiot/rjueiidig be- 
zeichnet^ aber erst im Jalire 1684 ausgegeben wurde. Der 
Kanzler Johann Adam Oslander gibt darin an, dass er zuletzt 
die Apokalypse gelesen; er werde aber jetet wieder die Contro^ 
vcrsien lesen Mittags 1 — J2 Uhr. Der Dekan Keller liest Uber 
die loca W-t. Test, dubia et controversa von 0 — 10 Uhr, der 
Pastor Müller ebenso über die loca controversa Nävi Test, von 
2 — 3 Uhr, aber wold etwas weitläufig , denn er verspricht nur 
einige Capitcl aus dem Matthäus- Evangelintn^ nänilieh die Perg- 
predigt. Der Extraordinarius JJäbeiiin tractiert Hafenreffers 
loci von 8 — 9 Uhr, und zwar expiicatione nervosa et accurata^ 
daneben hat er das Hebräische, 



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— 8i — 

JVapter, Raitk^ Osiander waren jeder in seiner Art an- 

gesehene Alänner. Die itacJi/oIgendcn lassen sicli mit ihnen 
nicht mehr vergleichen^ bis gegen Ende des Jcüirhunderts naie 
Veränderungen eintreten. 



1690-1720. 

Die Zusammensetzung der Facultät aus jfoh. Ad. Osiander^ 
Keller und Midier^ erhält sich nun bis zu des ersteren Tod 
im Jcdire 16i)7, Dagegen gieng der Extraordinarius Häbcrlin 
im Jahre 1692 ab, und vorher schon war der Ersatz für ihn 
vorbereitet^ durch die Aufstellung des bisher ige )i Magister dotnus 
des Stipendiinns und Professors der riiilosophie Johann Wolff- 
gang Jäger als fünften Tlu^ologen. Zum erstenniale zeigt sich 
hier^ dass diese Stellung am Stift benutzt wird zu einer nicht 
ganz correcten Intrusion in das theologische Lehramt. Jäger 
ist an der I ni'eersitiit selbst getragen durch die einßussreiche 
OsiandriscJic Faniilienverbi idnng^ die Sache leurde aber i'on 
Stuttgart aus eingeleitet. Der Herzog-Administrator Friedrich 
Carl schreibt am 27» September 1689, dass Jäger neben seinetn 
Amte auch das Studium thcolo^icum mit sondcrbahrem Eyfer 
und Fleiss tractire, derselbe sollte darin um seines ihm von 
Gott verliehenen Talentes willen weiter animiert werden; die 
theologische Facultät möge ihn examinieren und eine Inaugural- 
Disputation halten lassen; auf den Bericht darüber beabsichtige 
der Herzog dann ihn zum Iixtraordiuarius zu ei- neu neu. Die 
Universität suchte sich zuerst durch W rJiandlung mit Jäger 
selbst zu sichern, dass er keine weitere Ansprüclie an den Senat, 
ebenso an die öffentlichen Disputationen, die den theologischen 
Ordinarien gehdrten^ mache, Jägc-r gab befriedigende Erklärung, 
und sagte über seine Absichten: er möchte sei/ws Vaters Wunsch 

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— 82 



int Grab erfüllen^ der ihn ijiiuicr ij^crne im Kirc/iendifiist (^c- 
selten hatte: So ist ferner leicht zu crmcrkcn, dass kein grös- 
seres Vergnügen auch in Conscientia sein kan, als wan man 
nicht nur mit spinis phtlosophicis, sondern auch mit Gottes 
Wort als mit dem Cibo animarum umzugehen hat; da so 
schöne promissiones vor diejcnii^^c in heil, göttl. schritt't ent- 
halten, welche Andere in der Reinen lehr des Evangelii under- 
weisen, finde aber Nichts dergleichen pro professoribus Subti- 
Htatum Metaphysicalium. Jih^er musste nun alles leisten, was 
zum Doctor erforderlich ^car, ein besonderes Examen bei der 
FaculttU, eine Inaugural-Disputatiun, und lectio cursoria. 

Auch diese kielt man jetst nicht mehr wie früher über 
ein biblisches Buch^ sondern in der tlieolcgia polemica. Daneben 
auch in der komilettca^ 7aas ihm jedoch bis auf weiteres noch 
erlassen zeurde. Die Facultiit erklärte ihn für doctorfähig. 
Die Universität wünschte aber, da er ganz snpemumerär werde 
und dem Extraordinarius Häberlin nichts derogiert werden 
solle, dass er einfach sum Professor Theologiae, d. h. fürst- 
Hohem Professor, oder noch lieber ausdrücklich zum pr. super- 
numerarius oder vicarius ermnnt werde. Anch wahrte sie sich 
für alle Fälle ihr Nominationsrechtf welclies allerdings bei den 
theologisclien Ordinarii wegen der damit verbundenen vom Hersog 
abhängenden Kirchenstellen — die Professur wird immer als 
Hauptamt bezeichnet — ein absonderliches (bedingtes \, bei dem 
Extraordinarius dagegen^ welcher zivar die Abendpredigl aber 
kein eigentliclies Kirchenamt habe^ das gemeine sei, Jägers 
Ernennung erfaßte am 15, November 1690, und gab GelegenJieit, 
zum ersten Male zwei neue Fächer in die Vorlesungen der 
Fncuttäty wenn anch zunächst nur vorübergehend einzufitliren. 
Weil alles andere schon besetzt war und man jede Concurrens 
vermeiden wollte y wird ilim nätnlich auferlegt, entweder die 
Theologiam moralem vorzunemmen, oder die in disputatione 
pro gradu nevlich angefangene materiam de Statu Ecclesiae 



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primitivae et modernae, alss welche Historica-Theologica ist, 
und viel in die Antiquität hineinlaufet, fortzutractieren. Ivt 
fsweiten Jahre darauf wurde ihm weiter Platz gemacht durch 

die J:nieiniu/i!^ Häbcrliiis zum Stiftsprcdii^cr in Stitfti^^nrf , und 
der Herzog gab seine Absicht zu erkennen^ das Extra Ordinariat 
jetzt Jäger zu übertragen, Anfangs wollte man in Stuttgart 
diess mit einfachem Dekret abmacJten, entschloss sich aber dam 
doch den Kirchenral/iSiiii i eti l- Inirdili zur VcrJiandlnnsc zu 
schicken. Dieser lehnte zuerst die Annahme eines in geheimer 
Stimmgcbung unter Leitung des Rectors im Nebensimmcr gc- 
fassten Beschlusses ab und behauptete, dass er nur die Ansichten 
der einzelnen su hören habe^ um darüber su berichten. Aber 
Rcctor und Si iiat behaupteten ihr Recht; das (icschrhrne zcurde 
aftnul/iertf der Akt von vorne begangen und zwar so, dass zuerst 
eine Deliberatum in Gegenwart des Commissärs, dann aber 
erst Vota decisiva, d. h. eine förmliche Nominatim durch schrift- 
licJie fj^cJicime Absliinniunj^ im Xibcnzimmcr staltjaud. ( Die 
umgekehrte Folge haben wir friilier bei Nicolai gesehen. ) Die 
Universität reichte dann^ da das Emennungsdekret dieses Ver- 
fahren verwiesen und ihr das Nominationsrecht bestritten hatte, 
noch eine sehr ausfiihrliche Dednction ihres Wahlrechts für 
den quartus Theologus ein. Die Wahl war übrigens einst im- 
mig auf Jäger gefallen ^ am 8, März 1692 , und er inusstc 
nun neben seiner Antrittsrede noch einmal pro loco öffentlich 
disptttieren. 

Mit 7 (ig er lear ein neuer Geist und Ton in die Facultäl 
eingezogen^ aber er strebte schon 10!^') wieder leeiter^ und erhielt 
auf sein Ansuchen die Prälatur Maulbronn^ obwohl Bürgerschaft 
uftd Magistrat baten ^ ihnen doch diesen Prediger zu lassen. 
Doch bekam er die /:rlaubniss, seine neue Stelle 2'on 'Jidungen 
mis zu versehen, und am SO. Juni IG'JS auch die weitere^ da- 
selbst collegia und disputationes mit Studenten^ die es verlangen^ 
zu halten. Er gab als Hauptzweck an^ dass er Zeit gewinnen 

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84 - 



wolle^ seine KirchengeschUhU su sckreibeu. Aber es war ihm 
sichtlich auch um eine höhere Stellung su thun, und er fand 
sich sehr enttäuscht, als er sah, dass er mit der Prälatur nicht 

auch die Gt-ihTahupcrintcndcnz und die LandstandscJiaft erhal- 
ten solle. L'nd diess, trotzdem dass er versprochen hatte ^ wenn 
er als Prälat in die Landschaft komme, Seiner Hochfiürstlichen 
Durchlaucht Interessen bestens zu beobachten. 

Ju/i herzogliches Dekril vom cHK Sept. Kiiil't verordnet^ dass 
die Stelle Jägers mit einem solchen qualificirten Subjecto ersetzt 
werde^ weiches nicht nur in Theoiogicis sondern auch in Hu- 
mantoribus et poÜttori Literatura der studierenden Jugenth 
nützliche Underweisung geben, und wackhere gelährte Lenthe 
nachziehen könnte, die gnädigste Reflexion sei dessfalls auf 
den luiden-Durlachischen Consistorialrath und Hofprediger Lt. 
Mich, Förtsch gefallen^ die Universität solle sich Uber ihn ä$(s- 
sem. In der That hatte ihn der Herzog persönlich kennen ge- 
lernt, mit dem Markgrafen Uber ihn vcrJiandelt, und es war 
auch veranstaltet -ivorden^ dass er in Stuttgart eine Gastpredigt 
hicU^ die besonders der Herzogin Mutter geßeL Diese Besetzung 
stiess aber voraussichtlich auf Widerspruch^ und man beeilte 
sich dalier schon am 2, Oktober durch einen fürstlichen Com- 
missär dieselbe mit dem Senat verhandeln zu lassen. Dieser, 
der Geheimeratk und Kirchenrathsdireetor von Kulpis war hing 
genüge dabei diessmcd idfer die Formfrage in Betreff des Rechtes 
der Nomination himvegsukotmnen, indem er deren weitere Er" 
örtening einer anderen Gehgenheit vorbehielt^ und sich schliess- 
lieh das Wrfahren, das die Universität zvie das vor ige mal so 
aiuh jetzt forderte, gefallen liess^ nur ohne Präjudiz. Im Ver" 
laufe des Handels freilich erregte die Universität wiederholt den 
Zorn des Herzogs durch Behauptung ihres Rechts. Auch über 
einen anderen Punkt kam er geschieht himveg, nämlich dass 
Pürtsch ein Anslätider sei, der idn rdiess auch nie in Tübingen 
studiert liotte. Er zälilte alle bislterigen Fälle von wirklichen 



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- 8s 



und beabsichtifrten Berufungen von Ausländem auf wie Reyhing 

und P/ii/iiiis, sodd/m Sc/iiin,i und Dorsc/uns von S/rassdi/rj^^ 
wobei CS sich sogar um die Kauzlerstellc gehandelt habe; und 
er brockte es schliesslich dahin ^ dass die Tübinger Herrn sich 
' begnügten in ihren Votis deliberatvuis neben Fdrtsch noch allerlei 
Würtembcrgcr gti nennen ^ und guletst auch noch drei solche in 
den lorsch/ag aufzuncJimen. Gegen die JVrsoniic/ikeit Juhischs 
liess sich nicht viel einwenden» Es war auch veranstaltet wor^ 
den, dass er kurz zuvor Tübingen wie auf der Durchreise be- 
rührte, und daselbst Besuche machte, auch manches fallen liess, 
ivas ihm förderlich sein konnte^ nauuiitliih dass er ein Gegner 
des Pietismus sei. Aber anders stand es mif s eitler Theologie, 
Er hatte in Giessen und Strassburg studiert, in dessen promoviert. 
Es war daher aller Verdacht vorhanden, dass er könnte mit 
dem Mentzcrianisnio behaftet st in. Daraus machte sieh nun 
die Regierung niehts^ die Tübinger Professoren, die immer noch 
den Stolz ihrer Theologen auf den Kampf mit dieser Irrlehre 
iheüten, sehr viel, Fdrtsch selbst benahm sich in der Sache 
mehr 7t'/> ein Weltmann. Pr /äug/iete gar nich/^ dass er die 
Ansicht der Giesscncr getJicilt habe. Aber schon Kulpis konnte 
bei der mündlichen Verhandlung in seinem Namen erklären, er 
wolle von dem ganzen Streite abstrahiren und wenn es verlangt 
werde, sich auch anheischig machen^ von jetzt an allhlesip^e prin- 
cipia mit anz.unehmcn. und (Icfcndircn zu helfen, nicht dass er 
damit levis et inconstantis animi erscheinen mÖchtCy sondern 
weil es eben keine gewichtige Glaubens- Artikel betreffe. Da 
haben sich nun die Tübinger Senatoren unter Vortritt des Kanz- 
lers bei Abgabe ihrer Voten einer nach dem andern bemüht, 
dem Geheimenrathe mit feierlichen ] Werten begreiflich zu ma- 
chen, um welclie hochwichtige Dinge es sich vielmehr Itandlc, 
um Irrlehren, nicht nur De officio et persona Christi , sondern 
item de electione et reprobatione , de sabbato, de cniciatibus 
damnatoruni. IVohin sollte es kommen, iccnn nun der Streit 



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- 86 — 

auch nach Tubingen hereingetragen würde. Man solle bedenken^ 

meinte Osiandcr^ dass die Graiverianer und Gcrhardiancr mit 
blossen Degen auf einander losge^i^ani^en^ und zu allerletzt braelite 
er noch vor: dass zwei junge Theologen Taußler ttnd Frcreisen^ 
welclie hier doctoricrt^ die beiden Töchter des seligen Dr, Osian- ' 
der zur Ehe begehrt haben j und dieser habe einig wegen der 
Mcntzcrianac controvcrsiae Ikclcnkcn getragen. Der Gelieinw- 
rath konnte sich nicht enthalten^ darauf zu erwiedern: Die proci 
werden vielleicht denen Töchtern nit gefallen haben? Mit der 
abi^egebcnat Erklärung FörtscUs wollte man sich gar nicht be^ 
gnüt:^en; es zear 7'on allerlei (laranlien die Rtde^ von einem be- 
somieren Eide^ auch davouy dass man iJin^ ivenn er in Glessen 
den Doctor erwerbe^ in Tübingen noch eimnal pronunfierett lassen 
sollCf damit er den Tiibingcr Doctorseid leiste, Votn Hofe aus 
veranlasste man dann Eörtsch, in einem Schreiben von Basel 
her siel/ noch einmal zu erklirren, und :::ear 7C'ie er saj^te nach 
genauer Untersueluinj^- seines (ri H'issens und di r Streitigkeit selbst 
dahin: dass er die bisher behaltene Tübingische Sentenz Jedes- 
mal bona fide und nach theologischer Aufrichtigkeit samt ihren 
Gründen der Jugend vortragen werde. Mehr hat er damit 
auch jetzt nicht gesagt^ als dass ihm die Sache indifferent genug 
seif um sie gatu: objectiv darzusteileUf und dass er diess um des 
Friedens willen thun werde, Zuletst Hess er sich dann noch 
in einer Conferens mit den Tiibingcr Tlieologen zu der weiteren 
VersieJienini:; drängen, dass er seine Deelaration als Theologe 
und Christ redlich und aufrichtig meim\ dass er die Tübinger 
Meimmg nicht mtr proßonieren^ sondern auch dcfcndicren wolle^ 
und solches nicht allein wegen des Herzogs Vcrordmng^ sondern 
auch um seinem Gewissen genug zu thun und den Frieden hier 
zu erhalten. Alle diese ll'eitldußgkeit machte man mit einer 
Sache, die doch, leie von Seiten der Regierung innner wieder- 
holt tourdcy eigentlich längst eingeschlafen war, Uebrigens hat' 
ten die Tübinger das gans richtige Gefültl^ dass Fortsch noch 



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^ 87 - 

mehr ab Jäger der Mann einer neuen Zeit sei^ und in diesem 

GcfüJilc haben sie sich gegen ihn gewehrt. 

Noch grossere J'ericickliuig aber entstand daran Sy dass der 
Herzog Förtsch als Ordinarius anstellte, in Rücksicht auf seine 
bisherigen Aemter und weil die Verleihung des blossen Extra- 
Ordinariates für den Markgrafen von Baden ein affront wäre. 
Auch konnte sich die Res^iernnjj^ im ] 'erhin/e leoJil darauf be- 
rufen, dass in der luicnltät zw ei fast Emeriti sitzen. Aber man 
verfuhr dabei nicht qffen^ erliess erst ein zweideutiges Dekret^ 
traf mit den Juristen ein Abkommen unter der Handy dass sie 
es sich j^ef allen Hessen, vier Theologen im Senat über sich zu 
haben, und stellte sich zuletzt an^ als seien eigentlich vier theO' 
logische Ordinarii statutengemäss. Das neue autokratische Re- 
giment unter Herzog Eberhard Ludwig und der Statutenzopf der 
Universität stiessen hier heftis: auf einander. Als die Sache 
iwrzeitig in Tübingen ausi^ekonunen zear, i'erlangte der Herzog 
drohend^ zu ivisseUf icer ausgeplaudert habe, bis herauskam, dass 
Förtsch selbst seine Rechte geltend gemacht hatte» Der Verfas- 
ser der Gegenvorstellung des Senates wurde persönlich bedroht^ 
das Protokoll einverlangt : der Se/iat gab es aber nicht her, 7eies 
die Insiuuatiofwn ab, aber es blieb bei der Anstellung; doch 
sollte sie auch Ausnahme sein. Man wollte Htm dann auch 
noch die vakante Professur moralium d, h, der Moralphilo- 
sophie auftragen; er anerkannte ^ dass in seinem theologischen 
Lelirauftrag die tlu ologia moralis mitbegriffen sei, bat aber, ihm 
seine ganze Zeit für die Theologie zu lassen , was die Univer- 
sität bei der Visitation von 1696 unterstützte. 

Am 26, October 1607 starb der Kanzler Joh. Ad, Oslander^ 
am 10. Jan. 1698 tenrde daranf das Procaiicellariat dem Dr. 
Keller übertragen, xlber die erforderliche Ergänzung der Fa- 
cultät blieb eben desshalb einige Zeit im Verzt^, Dem nächsten 
Bedürfnisse wurde Anfangs 1698 dadurch abgeholfen^ dass der 
Professor der Logik und Metaphysik^ Lic, J&H* Christoph Pf äff 



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— 88 — 



den Befehl erhielt^ zugleich die ausserordentliche theologisclie 

Professur zu versehen, ohne jedoch eine Bestallung, noch eine 
Entschädigung dafür zu erhalten. Durch Fortschs Anstellung 
cuif dem Extraordinariat als Ordinarius war auch die Besor- 
gung der Abendpredigten durch den Extraordinarius gesfort 
worden, jctst theilte sich mit Pfaff in dieselben der Professor 
^^oraliunl Hochstettcr , und Z7e(rr auf seinen eigenen Wunsch. 
Ein Anstand aber ergab sich bald daraus, dass mit der Kanzler- 
steile nun seit Wagners Zeit die Professur controversiarum ver^ 
bunden war, und jetzt unbesetzt blieb, Keller las noch wie bis- 
her über das Alte, Müller ^er das Neue Testament, Förtsch 
aber die Thesen. Die Universität bat daher ^ dass i(ber dieses 
Fach entschieden werden möge, und nun concurriertcn darum 
Keller umi Müller, wobei ersterer geltend tnachte, dctss dieselbe 
mit seinem Procancellariat eigentlich von selbst verbunden sei, 
andererseits aber cinge\vendet 'leurde , dass er darin bis jetzt 
noch nichts geleistet habe. Jiin Dekret vom IS. März 109!) ent- 
schied, dass die Verbimiung dieser Professur mit dem Kanzler- 
atnt nicht notlnvendig sei, und ubertrug dieselbe dem Dr. Miller, 
Am 18. NoiK lOOii wurde dann dem Prokanzler Keller der blosse 

Titel eines Probsts von Tlibingen nebst der Abtei AJpirsbach 
angetragen, und nur einen halben Tag Bedenkzeit .zur Annahme 
gelassen, darauf sofort am zur vollständigen NeiUfesetzung 
geschritten, Müller wurde Kattsler, Förtsch, dem diess schon 
im September aus Anlass erhaltenen Rufs sn einer sächsischen 
(reneralsuperinfend entensteile versprochen war, bekam an Kellers 
Stelle das Dekanat umi die zweite Professur. Für die bisherige 
Stelle Millers, dritte Professur utid Stadtpfarrei, war Pfaff 
uftd mit ihm der Gymnasialprofessor Reuchlin von Stuttgart 
vorgeschlagen und vjurde letzterer genommen. Für das Extra- 
ordinariat war wieder Pfaff und neben ihm Hochstetter vorge- 
schlagen, und wurde Pfaff mmmehr definitiv bestellt, und Hoch- 
stetter auf später vertröstet 



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- 89 - 



Aus dem Jahre 1/00 haben wir von der so besetzten Fa- 
ctütiU wieder ein Programm der Lectionen, Wichtiger aber 
fast sind Verhandlungen und Vorschriften Ober die Lekrwcise 
aus den vorhc ixch enden Jahren. Schon bei der Visitation von 
J(i!)(! briiigi'n die Couumssärc VorscJiriJtcn für die llicologcn 
mity welclie zwar das Sdierna der Vörie summen belassen^ den^ 
selben aber andere Ziele stecken. Der Professor Cantrover- 
siarum soll jetzt die heutigen Controversien ratione Pietisimi, 
Chiliasmi, l"\'inatismi etc. bilidndcln. Sei der Kanzler zu alt^ 
so soll es einem jüngeren übertragen werden. Die beiden LeJirer 
des Alten und Neuen Testaments sollen doch nickt bloss ein- 
seine dicta polemisch tractieren^ sondern wieder ganze biblische 
BüeJier erklären und dann den nsns nicht bloss in controvcr- 
siis, sondern auch in Morahbus und anderen locis conimunibus 
wie nicht weniger in formandis concionibus zeigen* Der quartus 
soll in den locis fümehmlich die Thesen docieren^ und das 
systema Theologiae in einem oder anderthalb Jahren absolvieren^ 
ancJi die Theologiani Moraleni et Homilet ieani fleissi;^ tractieren. 
So bekämpfte man den Pietismus^ fügte sich aber doch seinen 
Impulsen. Und gleichzeitig sollte der Universität ratione stu- 
dionim humantorum et politioris literaturae an/geholfen werden, 

AWh stärker tritt jene Riehtnni;- bei der l '/sitatien von 
lOUU Jiervor. Die Visitatoren hatten der theologischen Facultat 
vorzultalten, dass die Studenten zwar etwas von curiosen und 
problematischen quaestionibus, die eigentlich zur Theologie 
nicht gehören, aufklauben, in fundamentc Biblico aber, wormit 
die Ortliodoxa Thcsis probiert, contra adversarios defendirt, 
und zumalen die wahre Pietät gelehret und gepflanzet werden 
solle, ut plurimum wenig, ja auch die Cardinalsprüche nicht 
zu recitiren wissen, dahero auch im Fredigen gar schwach und 
schlechtlich bestehen. 

Von besonderer Bedeutung ist, dass bei dieser Visitation 
auch die Frage emgeregt wurde^ ob nicht Hafenreffers Qmpen- 



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— 90 — 



diinn als veraltet anzusehen und durch ein neues ce/tn'nidsses 
SU ersetzen sei. Auch dieser Vorschlag gicng ganz von Stutt- 
gart aus. Was die tluologische FacuUät darauf 1700 antwortet^ 
zeigt kein besonders williges und verständnissvolles Eingehen, 
Das allerdings hohen diese Männer gerne ergriffen , dass man 
in einem neuen solchen Buche auch auf die neuen Controversen 
eingehen könnte^ die Hafettreffcr noch nicht kannte. Sie hielten 
es für besonders wünschenswerthy dass man bei dieser Gelegen- 
heit die Sententta Tubin|rensts, darinnen andere Theologi unss 
cntgcf^cn, alss in articulo de I*2xinanitioiic. ]''lectionc et Libro 
vitae etc., kürzlich und nervöse mit einbringen könnte ^ wenig- 
stens ohne Nennung der Dissentienten^ sonst wollten sie auf 
nehmen die neuen Controversien: Molinismus , Calixtinismus» 
Jansenismus, Synkretismus, Quietismus, Pietismus. Dann erhob 
sich der Zweifel , ob man die alte fragcmcthode beibehalten 
oder die aphoristische^ wie z. B. König sie habe , annehmen 
sollte, Ihre Neigung geht daliin ^ die alten Hafenrcfferisclien 
Definitionen beisubchalten und nur mit einer kursen Exegcsi 
zu beleuchten. Man könne das Buch durch Mehrere oder durch 
einen einzigen verfassen lassen; das letztere sei wohl besser^ 
doch sollen es die anderen revidieren. 

Bei dieser Visitation wurde auch vofi der Regierung über 
die Besahlung der Co lieg in luichgefragt. Für ein collegium 
Theologicum , Theticuni^ Exegeticum ^ Polemicum bezahlte der 
Zuhörer herkömmlich 3 bis 4 Gulden. 

Wenden wir uns mm jsu dem ordo sttidiomm vom Jahre 
1700^ so ist, wie schon gezeigt^ der Kanzler Miller der Pro- 
fessor controtfersarium grtvorden^ während er früher das Nene 
Testament gehabt hatte. Er hat bis jei.t die loci de S. Scrip- 
turaf Deo , i magine dwitMy libero arbitrio etc. absolviert^ mid 
spwar auf ausdrückltchett Befehl des Hersogs Solas controver- 
sias Pontificias tractavit Jetzt kommt er an den locus de 
peccatOj auch hier i^sird er die Papistischcn Irrtümer buccincta, 



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solida tarnen refutatione erledigen. Dann geht es weiter an 

(iit- itbii^^cn capita Aiitipapistua^ und liic qaiizc Polcuiik soll 
inncrluxlb ciurs Jahres zum Schluss gebracht ivcrden. Diese 
äffentlicfte Vorlesung ist um 9 Uhr, Die Disputationen gelten 
ebenso wie oben fort. Auch verspricht er soviel als möglich 
Prhmtcollegien zu halten^ die aber jetzt schlechhveg collcgia 
Tlu'ologica Ii ci SS eil. 1 >er Deeanits FörtscJi hat wieder das alte 
Testament f und liest ebenfalls über loca dijficiliora. Da liat er 
1, dieselben ausssuwählen^ im Urtext und den wichtigeren Ueber* 

m 

setziuii^en vorsutrageu, 2. den Inhalt und Zusammenhang, 3. den 

Status qiiaestionis darzustellen ^ i. die viodos difficiiltatuui und 
ü. den nervus solutionis cum deeisione zu zeigen und endlich 
6. den usum et abusum in der Lehre und den Controversen, 
Uebrigens soll sich das ganze Verfahren vornehmlich auf exe- 
getise/ie Autoritäten grinideUj mit einer eigenen epierisis niodesta. 
Im collegium privatum ist er noch mit dem ni annale Becani 
beschäftigt; ist das beendigt, so soll nach dem Wunsch der 
Studenten anderes folgen. Der dritte^ der Pastor ^ Reuchlin, liest 
um zwei Uhr über das Johannes-Evangelium ^ und will sich 
bemühen, leenn Gott ihm Kraft und (iesundheit gibt, es in einem 
Jahre zu absolvieren. Seine Methode umfasst folgendes: ana- 
lysis logico'philologica^ paraphrasisy Harmonie der evangelischen 
Geschichte^ dogmata fidei mit objectiones adversariorum^ abusus^ 
porismata. Der Extraordinarius, Joli. Christoph P/aß] Jiat noch 
immer das Compendium Jlafenreffers , und zwar muss diese 
Vorlesung im Laufe eines jfaJtres jedesmal beendigt sein, Docii 
nennt er sie jetzt Theologia thetica ad filum compendii Haf,^ 
und hebt neben dem Sinn der These selbst nachdrücklich den 
Sehri/'tbeioeis hervor, ivelelier dafür gegeben leerden soll. Die 
beiden letzten kiindigen keine Privatcollegien an. l'nd nur die 
drei Orditiarii halten regelmässige Disputationen, Etwas anders 
ist nun doch die Lage geworden. Die Polemik steht zwar noch voran. 
Aber die exegetischen Vorlesu/igen dienen ihr nicht mehr aus- 



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— 92 — 

schliesslich. Die biblische Wissenschaft hat sichtlich ein neues 
Leben bekofnmen; sie bewegt sich damit noch unbeholfen in der 

scholastischen Ztvangsjackc ^ aber Text und Grauimatik ^ präg- 
inatisiher Zusammcnliang und Entiittliiiig des Hauptgedankens^ 
exegetisches Problem und historische Aufgabe haben die blosse 
polemische Verwendung verdrängt. Uebrigens ist diese Aj^ 
kihidigKNg fast noch verheissinigsvoller als die 7'orige, und dem 
Ganzen dient ein An/ruf zur Einleitung ^ worin auf Cicero^ 
der seinen Sohn nach Athen geschickt hat^ verwiesen wird; 
sodann die Universitäten mit Märkten der Wissenschaften ver^ 
glichen werden y wo man mtr mit seiner Arbeit bezahlen darf; 
auf der Eberhardina sei ivohl alles zu haben , wonach man 
fragen werde ^ die Käufer sollen nur kommen. Beiläufig mag 
erwähnt werden, dass dieser Catalog auch reiten^ fechten^ tanzen^ 
französische und italienische Sprache und das Bcdlspiel ent" 
hält: es sei alles wieder im Stand rc/r 7'or den Kriegszeiten^ 
wo sich Tifbingen gerade durch diese Dinge ausgezeichnet habe. 

Als der Kanzler Müller im März 170^ starbt war Förtscli 
der nächste unter den Theologen der Universität^ der Aussicht 
auf dessen Stelle haben komtte. In diese theilte sich aber mit 
ihm ein anderer. Sein J'orgänger Jäger, welcher nach seinem 
Austritt zuerst noch in Tübingen sass und sich hier mit allerlei 
beschäftigte ^ auch mit Prinzenersiehung^ hatte schon bei dem 
Tode Johann Adam Osiandet^s 1698 an den Herzog geschrieben 
und seine Diefiste angeboten, seine Verdienste aber ins Licht 
gestellt. Damals erreichte er indessen nicht weiler^ als ein 
Dekret i welclies ihn zum professor honorarius ernannte^ uftd 
iltm den dritten Rang unter den Theologen und entsprechenden 
Platz in auditorio publico amvics^ wodurch sich Pörtsch zu einer 
Gcijoirorstellnnic und ]]\rhnini:; seines Kani'es veranlasst sah. 
Seither war nun Jäger neben seiiier Abtei Maulbronn Con- 
sistorialrath und Stiftsprediger in Stuttgart geworden^ tritt aber 
trotzdem nach MUÜet^s Tod gleich als Candidat fUr das Kanzler- 



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— 93 — 



amt auf. Der Iferzog liess das Vicecancellariat zuerst alh 
wechsln ngsiveise von ihm und Förtsch versehen y mit der aus- 

dnicklicJicn W ri^'dh ni?iii; dnss keiner darauf eine AnwartscJiaft 
gründen dürfe. Der Sieg blieb dann bei Jäger^ Förtsch behielt 
die Dekansstelle in der Facultät und erhielt dojsu die Priüatur 
von Lorch, Er folgte aber willig einem wiederholten Rufe nach 
Sachsen und nahm 1704 die Stelle des professor Primarius der 
Theologie in Jena an. Ais Förtsch im Miirz 1705 nach ycna 
abgezogen war, wurde die Erneuerung der Facultät damit ein- 
geleitet^ dass der Kanzler Jäger für diessmal die Stelle des 
herzoglichen Commissars vertrat und Namens des Herzogs 
einen Vorschlag machte , welchen die Ihiiversitat unter Beob- 
achtung ihrer WalUfönnlicJiIceiten annahm. Hicdurch rückte 
Reuchlin mr zweiten , Pf äff zur dritten Stelle vor^ Hochstetter 
aber erhielt das ihm schon 1699 in Aussicht gestellte Extra* 
Ordinariat. Im Juni 1704 starb Reuchlin und nun rückten 
Pf off und Hochstetter vor, Extraordinarius aber wurde Johann 
Conrad Klemm^ bisheriger Professor der Philosophie. Diesen 
hatte der Herzog vorgeschlagen und die Universität angenommen^ 
indem sie mir zur Wahrung ihres Rechtes noch einige andere 
nebeji ihm in Vorschlag brachte. Hochstetter wurde 1711 zum 
Hof Prediger und Consistorialrath berufen^ ihm aber dabei auf 
seinen Wunsch der Rücktritt auf die Professur vorbehalten^ au 
seine Stelle sollte Klemm , und an dessen Stelle als Extraor- 
dinarius der Magister domus des Stifts Hofmann eintreten, 
der schon den Titel eines /Professor Fheologiae extraordinarius 
erhalten hatte. Dieser aber lehnte unter solchen Umständen 
cdfj daher denn der Diaconus Frommann ^ übrigens wieder ein- 
mal unter Ablehnung eines Nominationsrcchtcs der Universität 
bestellt wurde, Prommann starb jedoch 171'j und nun trat 
Hof mann an seiner Stelle ein Im gleiclten yaJire 1715 Mehrte 
Hochstetter in der That auf seine Professur zurück. Klemm 
musste weichen, wenigstens in der Stadtpfarrei j leogcgen ihm 



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— 94 — 



vorläufig eine Professur heldsseu^ und in Bälde eine Prälatur 
versprochen wurde. Somit bestand jetzt die Facultät aus: Jägcr^ 
Pfaffe Hochstetter^ wosu Frtmtmatm als Extraordinaritts. Diesai 
Beständ enthält auch der ardo studiarum von 1717, 

Seif zwei Jahrzehnten hatte doch alles angefangen an der 
Universität^ einen moderneren AnstricJi zu bekommen^ zum Theil 
mehr durch Anordnung von obcn^ und unter Widerstreben der 
Universität selbst^ sum Theil durch die neuen Männer, welclie in 
die Facultät gekommen waren. Von ihnen hat der ein e^ ' ^'«^ 
lange und eingreifende Wirksamkeit gehabt, und er gerade Jiat 
es offen aueh der Regierung gegenüber ausgesproclien, mau sollte 
eben Männer haben, wie Spener oder VcicL Im Jahre 17 Vi 
ergieng ein Visitationsrecess mit eingehenden Vorschriften über 
die Leknveise. Da ist im allgemeinen über den mcthodns do- 
cendi gesagt^ die professores sollen denselben juxta quatuor 
causarum genera, als den leichtesten, begreiflichsten und do- 
cilsten modus einrichten, vorab auf die puritatem et elegantiam 
styli sehen, dann heisst es auch, man solle besonders das 
Graecum und Ilcbracum, wie auch die historiani cccleslasticani 
et prophanam fieissig traetiereu. Bei der theologischen i'acultät 
wird angeordnet, dass der Kanzler Jäger seinem Anerbietm 
gemäss in Jahresfrist sein Systema Tlieologicum durch zwanzig 
disputationes cyclicas und 13 solennes absolviere. Sonst liest er 
viermal in der Woche publice, drei Stunden h'ägt er 7'or, eine 
examiniert er. Die beiden anderen Theologen sollen der eine 
das Alte Testafnent, der andere das Neue Testametü der Ord- 
nung nach in seiner Harmonie dergestalten methodice und 
Synoptice tracticren, damit dermahlcins ein vollständii^cs o]')us 
und accurater commentarius nach artli der Poli Bibliorum 
Criticorum darauss werden, und es zum nutzen der Evange- 
lischen Kirchen dieses Herzogthumbs dienen möge. 

In dem ordo studiomm von 1717 nun verkündet der Kanzler 
Jäger von allan^ was er überhaupt neuerdings gethan. Er hat 



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— 95 — 



sein Systi'iiia ahsohicrt noch vor JaliViSahlnuf. lir JuU den 
zweiten Band sciiwr Kin/ii Hi^osc/iichU' hcraus^c^cbai^ der dritte 
solle nach vor Ostern erscluinen^ ^ Darauf komtnen erst die 
Vorlesungen. Gibt Gott Kraft und Leben ^ so will er ein Col- 
Icgium halten Über Theologia moralis mit Zugrundelegung von 
Buddeiis. Pri:'dtiin er über sein conipendinnt TJieologicuni 

lesen. Pf off hat die Genesis absolviert^ kommt jetzt an Exodus^ 
in Privatstunden tradiert er Thumm's Synopsis der Prädesti- 
nationslehre und in Disputationen will er die Etgänsmng des 
von Dorsc/ieus unvollendet hinterlassenen Conime)itars ::nm He- 
bräerbrief vortragen. I foelistetter ist mit der introductio in 
unvversam 6, Pauli ad Romanos Epistolam d. h, der Anafyse 
des Briefes fertige ebenso mit dem daran geknüpften specimen 
cmnpendii Panlini totius Theologtae^ und ivird jetzt mit der 
eingehenden lirklarung des Briefes beginnen ^ welelier die der 
anderen Briefe folgen soll. Was Privatcollegien betrifft^ so /tat 
er kürzlich ein Privatissimum für junge Adelige mit Wider- 
legung der katholischen Lehre beendigt^ jetzt setsst er sein Prwat- 
colleg über Königs Theologia Positiva fort ^ soieie auch ein 
solches über Homiletik theoretisch und prak' tisch und mit Prc- 
digtübungen verbunden. Der Extraordinarius Hof mann liest die 
ThesiSy aber jetzt nicht mehr nach Hafenreffer^ sondern nach 
des Kanalers Jäger Conipendiuni der J'oderaltheologie. Pri- 
vatim schliesst er an ein CoUegium tketicmn ein Collegium 
biblicum an, nämlich Exegese der dicta Classica nach der 
Series Locorum. 

So ist also stvar immer noch die Grundlage der Fächer' 
vertheilung erhalten^ der .zweite und dritte Professor haben 
iiocJi jener das Alte Testament , dieser das Neue Testament, 
Aber bei der ersten Stelle ist nicht mehr viel von den Contro- 
Versen zu sehen ^ sie ist in Jägers Hand eine Professur der 
systematischen Theologie geworden^ er treibt da jetzt Dogmatik^ 
dan)i Moral. Ausserdem hat der Betrieb der Exegese ivenigstens 



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- 96 - 

sum Theil ein anderes Gesicht gewonnen. Es wird Paulinisclie 
Theologie gelesen ^ es wird biblische Dogmatik gelesen. Und 

endlich bekommt der Unterricht in der Homiletik eine grössere 

Geltun^i^. 

Der letztere ist nun dem dritten Theologen jsugeeignet^ nicht 
mehr dem Extraordinarius. Jener hat den Vortheil daßr^ 
dass er zugleich der Stadtpfarrer ist. Die alten Kirchenämter 

der drei Theologen bleiben vorläufig noch. Doch sehen leir in 
der Zeit Herzog Eberhard Ludwigs mcJirerenial auch Ver- 
Onderungen in dieser Richtung. Die mit der Stadtpfarrei verbun- 
dene Specialsuperintendenzwird wenigstens von derselben getrennt. 
Es kommt auch i'or, dass eine Professur ohne Kirchenamt vergeben 
wirdf und durch zuillkiirliche Enuimungen die Zahl der Ordinär ii 
auf vier gebracht. Sonst fängt fßtan an, die Stelle des Magister 
domus des Stifts als eine Vorstufe für theologische Professuren 
anzusehen y gunächst für das Extraordinariat, und ebenso als 
eine entferntere Vorstufe auch dir Tübinger Diaconate. Die 
Ergänzung der theologischen FacultiU geschieht aber im Unter- 
schied gegen früher überhaupt meist aus der nächsten Umgebung^ 
aus der philosophischen Facultät. Ein gewisses Vorrucken 
innerhalb der Universität bildet die Rcp-el. Daher wird auch 
gelegentlich ein Professor der philosophischen Facultät zum 
theologischen Extraordinarius supemumerär ernannt ^ um ihm 
eine Anwartschaft für die Zukunft zu geben. In manchen 
Fällen verdankt die Facultät der Energie der Regierung her» 
vorragende Mä)i)ier, Aber die Art ^ wie die Besetzungen ge- 
schehen ^ etUspricJit dem herrischen Charakter des damaligen 
Regiments. Die Universität wird nicht fnüde, ihr NominationS' 
recht in der Form zu wahren, die Regierung ebensowenig, es 
ihr zu vertveiseny find sie auf blosse Consultation zu beschränken. 
Thatsächlich kommt der Vorschlag fertig von Stuttgart. Das 
Consistoriutn, aucJt die Geheitnenräthe haben dem Hersog zuerst 
von sich aus iltre Anträge gestellt^ so kommt die Proposition 



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I 



— 97 — 

an die Universüät, und diese TVählf die Vorgeschlagenen und 

bedankt sich untrrt/tänis^st. Auch bei den anderen Facnltätcji, 

I 

welche einfach in Erlcdigungsf allen zur Bes/ätignng zn präsen- 
tieren Itatlen^ verscJiaffte sich die Regierung dadurch liinfluss^ 
dass sie zum Voraus einen Candidaten für gelegentliche Berilck- 
sichtii^nni:;^ recomntendierte. 

So hiDiu i s nicht feiileii ^ dass ei)i';rlne auch durch den 
Hof an der Universität vorwärts kommen^ utui sich darum he- 
mülien^ und es sind diess nicht immer die schlechteren Jir* 
Werbungen. Förtsck war auf diese Weise gekommetty auch Jäger 
hatte seine /\ rsö)dichen Verhi)idu}ii^en loierniiidlich ansi^enntzt. 
litwas ganz neues begegnete der I nirersität aber bei der iiin- 
fiUtrutig des jüngeren Pfaff, Christoph Matthäus Pfaff war 
Reiseprediger des Erbprinzen gewesen^ und ivusste als solcher 
sc/ion nii — er zear ddiuals jnhi-e alt — sich ein F.x- 
Spectanzdekret auf eine ordentliche theologische Professur zu 
verscliaffen. An der Universität kam er bei Hof manns Ernen- 
nung zum Extraordinarius im Jahr 1715 für diese Stelle zum 
erstenmale neben anderen zur Sprache, Als er nun bei dem 
Prinzen entbehrlich ivnrde^ / rgieug am 33. Oktober Ii If! ohne 
weiteres das Dekret an die Universität ^ dass er mit Sitz in 
Facultät und Senat und Aneiennität vom Nozvmber 1714 
eintreten werde, und nur so lange keine Ordinarius- Gage vakant 
sei, ihm vorläufig der (i ehalt aus der hei-i-o^^lichen Kauniier 
gezahlt werden solle. Da Jiat sich die Universität lange Zeit 
getoehrt und förmlich gewunden für ihre verletzte Ordming^ 
und den damit zurückgesetzten Collegen Hofmann, wagte aber 
doch nichts iveiter zn erflehen^ als dass Pfaff wie einst F'örtsch 
als Professor honorarius oder extraordinarins bezeichiut und so 
wenigstens die Form gewahrt werde. Um die übrigens sehr 
vorsichtige Remonstration bei dem Herzog einzuleiten und zu 
unterstützen^ nahm man schriftlich und durch Deputierte die 
Hilfe einßnssreicher Personen in Anspruch^ des Geheimenraths 

7 

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- 98 - 

von Schütz f des Dircctors Oslander ^ des Oberhofmarsclialls 
Grafen von Grävenitz^ des Erbprinzen selbst Niemand wollte 
damit zn thmt haben. Schütz dankte für das Zutravcn^ ineiitte 

abci\ sii sollen es nur selbst versuchen ^ Ciravenitz war ivc^en 
vieler occupationcs nicht zu sprechen^ der Erbprinz verlangte 
von ihren Deputierten^ sie sollen ihr Schreiben stirucknehmen^ 
und Hess dann auf ein ziveites Schreiben durch seinen Hofrath 
de Sdi'ij^h'v aiiiieorten, das erste sei in allcrtliiif^s uii.inslaiuliL^cn 
und irrespcctuoscn Expressionen und soj^ar einigen Commi- 
nationen verfasst, man solle ihn mit solclian verscJianen^ dabei 
wtirde der Concipist besonders bedroht^ weil man es niclU für 
vtöi^lich halfen könne ^ dass ein ganzes corptis academicttm an 
sole/ier l'nbesonnenJieit T/ieil habe. Alles luas jnaii erreieltte, 
warf dass ein herrsoi^liches Dekret vom 7. ATai 17 J f anordnete^ 
wenn die beiden Pfaffe .Vater und Sohtt^ zugleich im Collegium 
sitzen, so sollen ihrer beider Vota mir für eines gelteft. Bei 
dem Kanzler umrdc iibri^i]^ens eine schetla jiiit den rationes^ 
warum der Herzog nic/it 2'on seiner Resolution weichen könnCy 
niedergelegt^ die jedes Senatsmitglied einsehen könne. Der SetuU 
aber beschloss, auf das Schreiben Seitefis des Erbprinzen nicht 
zu antivorten y und von diesen rationes keinen Gebrauch zu 
machen. Man habe seine Pflicht gethan^ nun bleibe bloss obse- 
quii gloria übrig. In einer solchen Zeit fehlte es natiirlich 
aiuh nicht an Denuncianten. Wälirend dieser Pfaffisclte Handel 
schwebt, wird deY davon schwer betroffene Professor Hof mann 
wegen ziveier Predigten vom vorhergehenden Herbst, die scan- 
dalüsc cxprcssioncs enthalten haben sollten, bedroht, und muss 
die Conceptc einschicken. 

Am April 1717 starb der Professor Hochstetten Nun 
war eine Stelle filr den jünger n Pf äff erledigt. Da dieser aber 
nicht predigen zeollte y und die erledigte Professur doch gerade 
die jnit der Stadtpfarrei vcrbumioic war, von icelcher sich die 
Predigt am wenigsten tretuten Hess, so bekam Pf äff mtr die 



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— 99 — 

und den Vorrang. J\ii^t\!>rn /nnss/t- Hof mann die 
Stadtpfarrci übcrmhmin^ und wtirdc zugleich Ordinarius, hlii-b 
aber auf dem Gehalt des Extraordinarius^ und diese Stelle 
wurde nicht neu besetzt. Erst als dann 1720 d<*r ältere Pf off 
starb, riicktt dessen SoJui in die zweite Stelle, das Dekanat, 
vor, und hiebci wurde ihm auf Antrag des Cotisistoriums auch 
auferlegt^ dass er ^wenigstens dann und wann* predige; auch 
davon Hess er sich jedoch gleich darauf wieder durch den 
Herzog persd)iHeh dispensieren. Hofmann trat jetzt in den 
vollen Besitz der dritten Professur und Stadtpfarrci. . /A quartus 
aber und «war mit dem Range als Ordinarius unter Jkziehung 
auf den Vorgang von Fortsc h wurde der Professor graecae lingttae 
Johann Rudolf Oslander bestellt. Gleichzeitig wurde aber auch 
ein fünfter Theologe bestellt, nändieh mit Beziehung auf das 
holte Alter des Kanzlers Jäger zunächst zur Aushilfe für den- 
selben beim Predigen ^ und zimr in der Person des Diacomts 
Pregitzery der zum Professor honorarius historiae ecclesiasticae 
ernannt wird , übrigens dabei Diaeonns bleibt. Hiermit leird 
die Forderung des Keccsscs von Uil2 erfüllt, und der histori- 
schen Theologie dieser erste bescheidene Eingang eröffnet^ am 
27. Februar 1720, 



1720—1756. 

Da nun gleieh darauf auch der Kanzler Jäger starb, konnte 
Pfafff der iiberdiess in diesem Jahre zum Rector gewählt war, 
mch wenigen Wochen auch zum Kanzler vorrücken^ und ebenso 
wttrden die beiden anderen Stellen durch das Vorrücken von 

Hofmann und Osiander besetzt, dabei jedoeJi dem letzteren nur 
die dritte ordentliche Brofessur und nicht zugleich die Stadt- 

.. j 

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1 



— lOO — ' 

Pfarrei übertragen^ wogegen er dann sweiter Superintendent des 
Stifts blieb. Für die ausserordentliche Professur hatte das Cm- 

sistorium und der (ri/u iuirmt// dem JL rz(>j^ in erster Lüne de)i 
Professor Weis mann am Stuttgarter Gymnasium vorgeschlagen^ 
und der Senat bedankte sich^ dass der Hersog auf ein so an- 
ständiges Subjectum in Hochförstlichen Gnaden reflectieren 
wollen. Weismann ivurdc am 18. März 1721 ernannt und es 
ivurde ihm aueJi die Stadtpfarrei und Specialsuper i}itendens 
übertragen. Hiermit war aber ein Plan des Kanzlers Pf off ver- 
eitelt^ der nicht nur für sich^ sondern auch für seine Verwandten 
SU sorgen wusste^ dess^cgen die Trennung der Stadtpfarrei von 
der Professur^ mit der sie sonst verbunden war ^ eingeleitet 
hatU\ um dem Herzog fiir die Stadtpfarrci seinen Schwager^ 
den Professor der Philosophie Klemm vorschlagen zu körnten. 
Es war auch dahin gekommen^ dass der Hersog detn Consisto- 
rium eroßnen Hess, dass er auf Klemm reflectiere. Das Con- 
sistorium fand das aber doch zu stark, stellte vor, dass die 
Stadtpfarrci Tübingen eine wichtige und schwierige Stelle sei, 
massen eine grosse nicht gar zu wohlgezogene, auch theils zu 
vihlen Excessen genaigte Burgerschafit und Gemeinde sich da- 
selbst findet, dass Klemm schon als Repetent in Stuttgart zu des 
Auditorii niclit grosser Satisfaction gepredigt liabe^ dazu über- 
haupt, keine soudcriiche äusscriichc gäbe , oder annehmligkcit 
niemablen von sich gezaigt liabe, dass er keine Autorität be- 
sitze, man in Tübingen kein Vertrauen su ihm bezeuge^ im Ge- 
gentheil seine Pemithunge;/, mit Ililje seines Seliieagers in diese 
Stelle eitiziuinngen, schon nie Iii geringes Acrgcrniss bei der Ge- 
meinde erregt haben. Der Hersag^ gab nach^ und Pf äff musste 
sich diessmal surücksiehen. 

Am 21. October 172ti starb der Pro fessor Johann Rudolf 
Oslander. Jetzt wurde lleismann auf das dritte Ordinariat 
unter Jkibchaltung der Stadtpfarrei befordert, und dagegen mit 
dem Extraordinariat wieder die Stelle des sweiten Superinten- 



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— lOI — 



dcntcn des Stiftes verbunden und beides dein Professor der Philo- 
soph ie Hngvioyer übertragen. Ilienüt war der ordnuiigsmässigc 
Acmterstand wiederhcrgesU lU. Daneben war es aber gelungen^ 
/// das herzcgliche Dekret die Ernennung des Professors Klemm 
mm ausserordeittlichen Professor der Theologie — sunächsi reiner 
Titel— zu brini^en. Diese J''rnen/iunir luunle 7'on der Unriwr- 
sität hingenommen ^ aber nicht ohne Bedenken, weilf wie man 
sagte. Klemm in seinen scriptis Irenicis denen symbolischen 
Büchern der Evang. luth. Kirche schlechte Ehre anpfethan^ uftd 
sulclie Mcinuiif^cn fuxirc, wclclic von der Würtciiib. Kirche 
lind der Universität noch /ur Zeit niclit approbirt werden 
können. Ein ähnliches Titular-Uxtraordinariat erhielt später auch 
der Professor Maichel an der philosophischen FactUtät; man 
bewarb sich um diesen Titeln weil er einmal die Grttndlage 
zum Aufriieken in die theologisclie Facultät werden konnte. Maiehcl 
zwar brachte es, obwohl er in der philosophischen Facultät theo- 
logica las, nie weiter, als dass er bei theologischen Vocationen 
einigemal auch genannt imrde. Die Faailtät aber bestand nun 
17:^'} aus Ffajf^ Hof mann, II eis mann, und der quartus ivar 
Uagmayer. 

Am 9, December 17^8 starb der eweite Professor der Tlteo- 
logie, Hoffmann. Damaligem Brauche m Folge gab zuerst das 

Consistorium sein Gutachten^ welches das Voniichen Weismann s 
in die zweite ^ //agmavers aber /;/ die dritte Stelle enip/ahL 
Beides ist hernach auch ohne Schwierigkeit ausgcfiihrt wordcit, 
Jnir die Stelle des Extraordinarius hatte das Consistorium in 
erster Linie einige ältere Geistliehe aus dem Lande ^ gi-^idss 
respectable Maninil gennnut und nur in dritter Linie auch noch 
hinzugefügt: Der Kiostcrpräceptor und l'redigcr zu Denken- 
dorff Johann Albrecht Bengel, aetat 41 Jahr, als ein Mann, 
der mit besonderem Verstand und wahrer Pietät begäbet, in 
seinem Ammt klu|^ und fleissipf, und in freundlicher Leitunjj der 
Jugend geübt und gescliickl, von einer soliden in wircklichcn 



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j 



— I02 — 

SchrilTtcn dem publico bckantiten crutlition. Aöcr (/icstr J^or- 
schlag in dritter Linie zvar nicht ernstlich j^cstcllt, und am llo/e 
hatte man ohnehin etwas anderes im Sinne, Denn bald ver- 
breitete sich die Kunde^ dass der Herzog beabsichtige^ den frülie- 
ren l'iil'ingrr ProJcsSiU- und bekannten Leibnizianer Georg Jkrn- 
hard Bilfuiger^ der seit 17:^') an der ^ikadcmie in Petersburg 
lehrte^ berufen wolle. Merkwürdiger Weise ist Bengel bald 
darauf 1733 von der phihsophisc/ten Facultät für die Professur 
moralittm mifgenannt^ aber ebenfalls einefn Leibnieianer, oder 
IVolfaner, Canz, nachgesetzt zeordcn. ßilßnger 7var schon i'or 
172H als Extraordinarius in der philosophischen Facultät bei 
Besetzung eines Ordinariates übergangen und dadurch in die 
Stellung eines Professors am collegium illustre gedrängt worden» 
Int Jahre IJ^ii hatte der Herzog (Gutachten von der tlieologi- 
sc tun und der /philosophischen luicnltät über die Frage gefordert, 
wiefern die Wölfische Philosophie circa dogmata [principia phi- 
losophica et moraliaj möge einigen influxum haben, und da- 
hero derselben professio nützlich oder schädlich seyn könnte. 
Jicide (rutachten fieLu gegen diese Philosophie aus, das der 
philosophischen Facultät zear recht schwach , das der theologi- 
schen Facultät, zi'elclies nachfuhr Wolf selbst mit sarkastischen 
Glossen %*ersah, doch mit Sachverständniss von ihrem Staftd' 
punkte aus abgefasst. Es klagte aber bitter über den Geist der 
Keuerungy welcher die Jugend ergreife und sie für die Theo- 
logie ungeschickt mache, und über das Auftreten dieser Philo- 
soplun, wie denn gewiss nicht leicht jcmahl in vorigen Zeiten 
ein neues systcma philosophicum zum Vorschein kommen, 
welches mit solcher l*räsiinitioii, mit solclu ni fastu philosophier 
und contcmtu aliorum wiirc poussirct worden, als wie dieses 
Systcma I^ibnizio-Wolffianum, da man alle diejenige, die sol* 
chcs nicht approbiren, sogleich für simple einfaltige Leuth aus- 
schreyct, und sie auf's allerverächtlichste zu tractiren pfleget, 
davon die odiosa spccimina jedermann vor Augen liegen. Als 



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— 103 — 



ansfossige Lehren dieser Iwibnisischen Philosophie werden be- 
sonders hcrvorf^chobctt: 1. Die Lehre von der besten Welt. 

2» Dass Gott zur J'.rsc/inffiiuii- dicsir IWlt moralitcr '^cu'othigt 
gewesen, 8, Voss die Erschaffung eines sündlos bleibenden 
Menschen unnioglicji gewesen, 4, Dass nur das wirklich ge- 
schehende auch in dieser Welt möglich gewesen, ü. Dass Je- 
i/rs Jl '//;/</>■/■ (ii H o^auzi ii fol^cudiii WcltUiuf liiidiiii jiiiissc^ dass 
aln r die Welt um so vollkonuncner sci^ je 7rr//.xer Wunder ge- 
schehen^ und Gott unmöglich etwas durch Wunder ausrichte^ 
was auch natürlich geschehen könne, ß. Dass alle Seelen der 
W'i'lt zuDial erschaffen seien, und mit diin leirkiiclien Crspruiij^ 
des Menselien nur den graduni rationalitatis erlangen. 7. Dass 
keine Seele auf den Leib einwirken könne, 8, Dass im Tode 
sich nicht die Seele vom Leibe trenne, sondern nur der Leib 
wieder eini^ezeiel'elt Coerde. So ansfossi^i; Jiienacli die Leibni- 
sisc/ie 'Jlieoloi^ie in ihrem Auftreten itnd in ihren Mcimiui^en 
geschildert wird^ so wird doch dabei das Geständniss gemacht, 
dass diese gefährliche Philosophie eine überaus grosse Wirkung 
auf die Jui^end äussere, und besonders für die excftatistc In- 
gcni.i. die beut oder moff^en atl altiora aspirircn, ihre unieider- 
stehliihe Anziehungskraft liabc, Pf off und Weismann -erreinig- 
ten sieh im Streite deigegen, aber wenn sie für die Erhaltung 
der Orthodoxie sprachen, so waren sie doch beide stoeifelhaftc 
k l'ertrett 1- dersellwn. Jl'eismann hatte si li'st eine freiere bildische 

Richtung, und Pfaff vertheidigte das alte System wie ein eon- 
servativer Cavalier, Unter diesen Umständen konnte die Be- 
rufung Bilfingers in die Facultäl in den kirchlichen Kreisen 
nur Schrecken erretten. Auf die Nachricht davon reichte das 
Consistorinm unter dein :L l\ bruar eine driuL^ende (re<^en- 

vorstellung ein: Bilfingers Berufun^^ von Petersburg her iviirde 
die sehr pressante Besetzung viel su lange aufhalten, er werde 
eauh nicht predigen wollen, und damit diese ohftehin tvankende 
Einrichtung vollends in Verfall kommen, auch sei er viel mehr 



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I • . 



— I04 — 



Philosoph ufi'l Matlu'inatikcr; vor allein aber: Bilfuii^crs freie 
Lchrwcisc habe schon lätigst auswärts Bedenken über seine Or- 
thodoxie erweckt i es würde also die ganze Unitfersität in Ver- 
dacht kommen; in Tübingen selbst seien Pf äff und Weismann 
gegen i/ifij und es niiisstr die Einigkeit in der Faeultät durch 
seine Berufung zcrritttct werden. Der Herzog liess sich da- 
durch nicht rühren y und eröffnete am 16, November 17^9 dem 
Consistorium seinen definitirocn Entschlnss, dass er dem von 
ihm vor cinii^cn Jalircn an den C/.aarcn übcrlasscncn uiul seit- 
her auf tler l'ctcr.sbm n r Akademie mit vielem Ruhm i;c.sian- 
dencn M. Georg Hernliard Bilünger snm Professor Theoiogiae 
quartus utid zwar Ordinarius und zzoeiten Snperattendenten des 
Stifts ernenne y mit Sitz und Stimme im Senat, wie einst den 
jetzigen Kanzler Pfaff. Die gemachten Schwierigkeiten führten 
nur dahiuy dass die gesammte Besetzung der drei Stellen ver- 
zögert wurde, bis Bilfinger verfugbar war. Dann wurde erst, 
und ztvar am 27, September 17.30 die Verhandluptg in Tübingen 
vorgenonmien^ :.\>bci :.:car der Rector die iibliche JVotes/ation 
gegen das Ordinariat eines vierten Theologen nicht untcrlicss, 
die andern aber utiter Pfaff s Fiihrung meinten, das müsse man 
dem Herzog überlassen, Pfaff wollte wenigstefts nicht versäumen, 
fiir seinen Schwager Ktemniy für tvclchen endlich eben im Mai 
ein fürstliches Dekret mit l 'erleiltnng des Titels und Ranges eines 
ordentlichen Professors der Theologie erlangt worden, ein Wort 
zu reden. Im übrigen meinte er ffwar, Bilfinger liabe ihm früher 
selbst gesagt, er wolle mit der Theologie nichts mehr zu schaffen 
haben nnd sich ganz der Philosophie ^i'idmen, aber er ivollte 
doch nur, d/rss dent selben hei der lokation anbefohlen werde, 
die Wohischc Thilosophic nicht in die Theologie cinzuflcchten, 
indem es Irrung in der Kirche gebe. Dem schloss sich auch 
Weismann an. Die Nichttheologen nahmen die Sache noch 
zaeniger bedenklich. Per Professor I lalheachs meinte, lUlfinger 
, werde schon selbst weissen, dass in 1^'acultatc Theologica nicht 



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— . los — 

so viel Freiheit wie in Philosophica gelitten werde. Der Hersog 
aber entschied über diese Bedenken in dem Anstellnngsdekret 

vom 37. Oktober I/.'Kf, (fds köuuc mau abwartcü. Ehoiso lautete 
der lusckcid auch auf die durch Pfaff s Anrcgiiug in dem 
Berichte aufgeworfene Frage y wie es denn aber gehen solle^ 
wenn der Tittdar pro fessor Klemm gar wirklicher werden wollte 
und damit das sihrriklii/u- cinzutretcu drohte^ dass es ßtfif 
ordentliche Theologen gäbe. 

So waren nun von 17:i0 die vier theologisciun Ordinarii 
vorhanden: Pfaffe Weismann^ Hagmeiyery Bilfinger. 

Bilfinger wurde aber im Jahr ITS/i unter dem Herzog 
Carl Alexander wirklicher Geheimer Rathy und als die Uni" 
versität seine angesonnene Ersetzung durch den Hofprediger 
lafinger ablehnte und den Professor Klemm dafür vorschlug^ 
be^varb sie sith bereits um die Fürsprache der neuen Excellenz 
bei dem lfi r.:o<^^ und t/as J-^rneuuuugsde/^ret für Klemm vom 
23. April J7-tfi ist von den Gelieimen RätJien Schuts umi Bil- 
finger gezeichnet. 

Durch Dekret vom Januar 1741 ivurde Hagmaycr 
riT'T// l\i-iinklielikeit emeritier! . unter Verleihums der PnUatur 
Hirsau^ an seine Stelle daj^ei^en Klemm befördert^ und als 
quartus im Eitwerständnisse mit der Universität der bisherige 
Professor Cotta in der philosophischen Facultät ernannt Nach- 
dem schon im vorigen Jahre das Consistorium auf Trennung 
der geistlichen Stelleu und der rrofessinvu am^etragen hattc^ 
■:<'urde jetrt r-wiir <lie alte Hinrichtung im rrincip beibehalten^ 
jedoch die Predigtpflicht der beiden neben dem Kanzler bestellten 
Ordinarii — der Kanzler Pfaff war immer freigeblieben — auf 
J'esttage uutl aiuiere solenne Predigten beschränkt ^ der regel- 
mässige Predigtdienst aber dem Pfarrer und einem zu be- 
stellenden besonderen Abendprediger, übertragen, Pfarrer und 
Specialsuperintendent aber war eben der Extraordinarius Cotta, 
wogegen dann der dritte Ordinarius die früher mit dem Extra- 



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— io6 — 

Ordinariat verbundene Steile des sweiten Stiftssuperintendenten 
Itatte, 

Am :J:J. Miu // // starh W'cisifnvin. Das Cottsistorinin 
imxcJitc seine VorscJiiti,^y, :colh-i wicdcnnu für Wi isninuns Stelle 
selbst Johann Albreckt Baigel ^ jetzt Prälat von HerbreclUingen 
genannt wurde^ nunmehr 00 Jahre alt^ als ein um seiner be- 
riihmten und in mancherlei Sdiriften bewiesenen erudition auch 
cxcniplarisclu r I- romnikcit willen vor capablc und würdi;^ zu 
bezeichnender Mann, aber wieder mir in dritter Linie. Die 
Entschlüsse des Hersogs vnirden am 13, Juni 1747 der Univer- 
sität durch die beiden CommissarCy Hilfinger und Prälat Knebel^ 
luit^^itJicHt y icclcJtc Herren mit seclis Pferden auf das Univcr- 
sitätshauss ^^^cfahren se\ nd. Sic i^iengen darauf^ an Weismanns 
Stelle den Professor Klemm vorriUken su lassen, dagegen sollte 
an die dritte Stelle nicht Cotta vorrücken, sondern vielmehr der 
Professor der Philosophie^ Canz^ cini:;iSchoben werden. Was 
(Hess fiir die l 'aeultät bedeutete , erklärt sich aus einem Rück- 
hliek auf fritliere Beziehungen derselben zu Canz. Dieser hatte im 
Jahre l/J^H als Klosterpräceptor in Bebetüiausen den ersten Band 
seines Usus Philosophiae Wolfiattae in Theologia ohne Censur 
in Tübinj^en drucken lassen, und dadurch der Facultät Anlass 
zur Klai^e bei ner:(\!^ Jiber/iard Ludioig gegeben , dass er in 
unterschiedenen beträchtlichen Punkten von dem typo Theo- 
logiae Evangeliae reccepto abweiche. Er solle, lautete der 
Afttra^, in die Schranken der Censur und Orthodoxie gesetzt 
leerden, und er ihkaiii auch die entsprechende W'eisunj^. I)n 
Jahre liüü wurde er, muh dem er indessen Superintendent in 
Nürtingen geivorden, zum Professor in der philosophischen 
Facultät ernannt, unter der Bedingung, dass er von seinen ehe- 
mali<4cii principiis und condiiite völli^^ abstrahircn, und in der 
Lehre sich conforniiren , auch sich friedfertig bezeigen solle. 
Aber im Jahre iy:i7 urn^^ieuj^ er doch wieder die Censur bei 
Herausgabe des dritten Bandes jetws Werkes^ sowie einerneuen 



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— 107 — 



luiition jr///<7' Jurisprudciitia civitatiü Dci i)ublica notionibus 
fundamentalibus. Die FacuUät warf ihm Irrtümer vor i/i" der 
Trinitätslehre, da er aus Gott dem Vater eine Würkung aller 
Dinge, aus Gott dem Sohn eine Allwissenheit, aus Gott dem 
heiligen (jcist eine Liebe alles Guten gemacht, ibrfiso in der 
Christologie , wo er in Joh. öf, 56 die Präexistenz luegerkläre^ 
lind sonst beträchtliche Irrtümer. Er weigerte sich einer Con* 
ferens mit den Theologen ^ ivurde aber vom Senat genöthfgty 
eine \ 'orrede zn seinein Ihiche mit Widerruf seiner Abieeu linngen 
von der hei /igen Schrift und dem recepto doctriihie cvangelieac 
typo dnuken m lassen. Er band sich demungeachtet auch in 
ferneren Schriften nicht an die Censur^ griff darin Pfaff mid 
Weismnrm auf eine einem in der Subordination stehenden 
Professüri nicht ge/.ieniendc Art zum Acrgernu.s.s der hiesigen 
Studiosorum freventlich an, und stellte , in seiner Theologia 
naturalis den abentheuerlichen und aufT einem notorisch fal- 
schen philosophischen concept beruhenden Irrthum auf^ dass 
Gott was er thue und tliun werde, alles zugleich ycwirket, 
und dass die Welt nicht in sechs Tagen, sondern zugleich 
erschaffen, und diese Schöpfung nur in sechs Tagen offen 
bahr worden, wider den ausdruckenlichen Buchstaben der heyl. 
Schrift. 

//// Jahre endlich richtete der JhiehJuxndler I laude 

in Berlin eine Eingabe an den Herzoge mit der Bitte ^ dass 
Cans die Betrachtungen über die Augsburgische Confession des 
Probstes Reinbeck fortsetzen dürfe. Die theologische FacultÜt^ 
zum (}ntiiehten au fi^ef ordert ^ stellte alle ihre Schmei-zen vor^ 
um diese I'.rlaidniiss zu hintertreiben. Nicht einmal bei der 
Wolfischen Philosophie bleibe er stehen^ sondern ersinne unter 
ihrem Prätext noch weitere .theologische Abweichungen. Sein 
Pruritus die Theologos anzuzupffen habe sich immer sogc^r 
vermehrt, dass er auch, da man doch alle Tiel)e und (ledult 
vorwalten lassen, in der Präfation IcUten Buchs nach 



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— io8 — 



seinem fast unerträglichen philosophischen Hochmuth förmlich 
Triumph wider sie singet, und mit ihnen expostulieret , dass 

sie auch seine exactcsten Demonstrationen nicht fassen wollen, 
da doch offt seine (iiiindc so uni^cmcin schwach, und von 
Demonstrationen ohnendlich entfernt sind. Die FnniltiH be- 
hauptet aber aueh^ dass man schon die betrUbtesten Erfahrungen 
aber die Folgen dieser Philosophie mache. Die Studenten seien 
von dieser neuen Weisheit i^^nnz betliort^ iK'olleu uicJits mehr von 
der alten Theologie icissen ^ der l iii^laubc und Ubertinismus 
sentietuii greife um sich^ die Würtembergische Kirche leide 
den empfindlichsten Schaden ^ in wenigen Jahren werde man 
keine brauchbaren Leute mehr flir das geistliche Amt haben^ 
man werde durch Alnceichen vom typus Theoloi^iae Luthenniae 
die Reli^ionsprivilegicn verseherzen. Pfciff verfasste der l'a- 
cultät noch besondere Schreiben in diesem Sintte an die Ge- 
heimen Räthe von Wallbntnn und von Hardettberg^ ein besonderes 
aber an den Geheimen Rath J^Ujinj^er, :eelehem er vorstellte^ 
Canz hätte doch sollen die Art und Weise und Klugheit zu 
schreiben von Ewer T^xcellenz erlernen, der Geheimerath möge 
ihn durch seine Autorität vermögen, dass er doch in Schranken 
der Censur, Modestie und Orthodoxie bleibe. Der Zweck 
lenrde aber nur Iheilweisc erreiehl. Canz bekam die lirlaub- 
niss ^ nur sollte er das Manuscript der Facultät vorlegen. Und 
ttach allem diesem sollte nun Cans in diese Facultät selbst 
gesetzt werden. Der Kansler Pf äff erklärte jetzig er wolle sivar 
nicht opponieren, müsse aber doch nach Gewissen sagen ^ dass 
das y 7eas Ganz in loco de T'crsona Christi, de Satisfactionc, 
de Fracscntia rcali corporis Christi geschrieben, ihm habe noth- 
wendig missfallen müssen. Sein kurser Grtuul ist: man müsse 
orthodox sein. Cans solle also in Sehrankeft gewiesen werden^ 
und erinnert, dass er dein typo Lutherano sieh vollkommen 
gemäss beinige. Der Geheimerath enuidcrtc dann im gleichen 
Style^ man versehe sich von gnädigster Herrschaft wegen, . dass 



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— 109 — 



Ganz sicli dem typo doctrinac fügen werde, man werde ihn 
dahin eink itcn ; von Scnnissii/ii zeugen locrdc er diese Erin- 
nerung nicht übel nehmen. Doch ist Cans dann ohne eittt 
fortnelle Instnution dieser Art angestellt worden, Cotta aber 

icurdc zur i'.iitSiliädigUHi^ pcrsiinlich zum Ordinarius cnutunt. 
Mithin sind jetzt die vier Ordinär ii vorhanden: Pfaffe Klemm, 
Cans, Cotta, 

Am 25, Septefnber 1749 starb der vieljährige professor 

Thcoloi^iar et l listoriar luch siasticar publicns Jwtwrarins M. Georg 
Conrad Prtj^itzcr, der es als solcher nie weiter ircbracht hatte, 
zur Entschädigung aber zum Prälaten von Murrhard ermmtt 
worden war. Dagegen erhielt der Professor cUr Moral, Eloquenz 
und Poesie Faber am 5. Februar 1762 den Charakter eines 
ausserordentlichen Professors der Theologie dafür, äass er die 
Predigtedi des Kanzlers hielt, ' 

Canz starb am 2, Februar 17o3, Cotta wurde sogleich 
mit Fortsetzung seiner Vorlesung über die thesin beauftrai^t, 
und danfi auch an seine Stelle befördert, l'in die -eierte Stelle 
bewarb sich der Archidiahonus Ininianuel IloJJniann, der unter 
dem Titel horae exegeticae theologischen Privatunterricht zu 
geben gewöhnt war. Die Vorschläge von Stuttgart und Tubingen 
aber ^srieni^en mit Jirfo/ii' dahin, die Stelle und zwar jetzt wieder 
als lixtraordinariat dem Professor Paber zu geben, den man 
wie Pf off sagte cum applausu predigen hörei es gehe ihm 
zwar schon etwas ab an der Weitläuffigkeit Eruditionis Theo- 
logicae, er werde dieses aber wohl in kürzester Zeit suppltren. 
L'ebrii^eus liat sich Pfaff hier leie juehrnials beschwert^ dass es 
keinen rechten ^ü:;eiehrten Xachivuehs /^""cbe, Leute welche alle 
Theile der Theologie studirt und die Autores gelesen. Er 
habe es bis jetzt nicht dahin bringen können. Es wäre guth, 
wann denen leutten ein ordo studiorum mit Autorität könnte 
bci<j[ebraclit werden. Paber bemühte sich schon li,'u't, als quartus 
das Ordinariat zu erliallen, es ist ihm diess aber erst 17(il 



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— HO — 

mit Hilfe des Rufes auf eine Pfarrstelle in Frankfurt ge* 

Am 4, Oktober IT'ti starb Klrjum, worauf Cotta in seine 
Stelle einrückte, tu die dritte aber der Sußertniendent Sartorius 
von Lndwigsburg, So bestand die Facultät im JaJire 1755 aus 

dem Kanzler Pf({ff\ den l'rofcssorcn Cotta und Sartorius und 
dem Extraordinarius Faber. 

Für das Sommersemester 17iiG kündigt Pf off keifte Vor- 
lesungen mehr an, es ist später von den Verhaftdltmgen des 
yahres 17r>G über den Ersatz des damals abgekommenen 
Kan/.lcTs Pfafl' die Rede, leir besitzen dieselben ebensoieenii:^ als 
aktenmässige Nach ruhten hber die liutfernung PfaJJs. Mit Pf äff 
schliesst ein Abschnitt in der Geschichte der Facultät, der 
ebenso wie der suitächst vorangehende durch Jäger und Förtsch, 
sein bestimmtes Gepräge hat und zivar durch Pf äff selbst, durch 
Weisnidun und die beiden Leibtiizianer Bilfmger und Canz, 
Hiermit sind in der That die wesentliclisten Richtungen der 
Zeit in der Facultät vertreten, die cotiservathe Aufklämng und 
Universalität in Pfaffe das biblische und praktische Christen" 
tum in Weismann, die Philosophie des Tages in den Leib- 
niziajieru. 

In demelben Zeitraum aber fallen tmn auch erhebliche 
Veränderungen in der Einrichtung des UnterricJttes, welche ivir 
von dem Jahre 1717 an als dem Jahre des letztbesprochenen 
ordo studionmiy zu verfolgen Iiaben , n^as zugleich mit der Be- 
rtifung des jüngeren Pfaff zusammenfällt. Den tvichtigsten 
Abschnitt bildet weiterhin eine nette Studienordnung, die das 
Jahr 1744 gebracht hat Aus der Zwischettseit sunschen 1717 
bis 1744 liegt uns von drei Jahren ^ nämlich 17:l\\ IT.'lf und 
1737 ein ordo studionun vor. Der erste Veberblick ergibt^ leic 
zunächst die seit der Mitte des vorigett Jalirhtinderts bcsteliettde 
Grundlage ittsoweit er/ialtcn wurde, dass die vier Fächer der 
Poletnik, der Alttestatnentlichen und NeuUstamentlichen Exegese 



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— III — 

und der Ihcsis den vier Professuren und cn'nr in der Reihen- 
folge %mi oben nach unten zugehörig gelten. Dem sie sind der 
Gegenstand der öff entliehen Vorlesungen der betreff efülen Pro- 
fessoren. Xur firilich treten diese offentlicJien ]^orlesmtgen 
sichtlich zurück hinter der Menge und Vielseitii^keit der Privat- 
t*orlesu>tgen Und in dem dritten ordo^ von 17H7 ist auch jene 
Grundlage nicht mehr eingehalten. Der Einfluss des Kanzlers 
Pf äff ist sehr deutlich zu erkennen^ olnvohl durch denselben nur 
leeiter fortgesetzt leird^ leas schon durch seinen J^oro-iinger 
Jäger begonnen i^far. Bei Pf äff ist es mm ausgesprocJun die 
Richtmig auf ein etuyklopädisches Wissen^ die sich in der Iwlir- 
tliätigkeit spiegelt, IFöchst bezeichmiul ist seifte eigene Anliin' 
digung im Jahre // V.V. Seif er an der I niversität lehrCy sagt 
er — und das ivar seit rier Jahren — htd^e er ge/ehrt: tJie- 
tische f polemische y exegetische ^ pastorale und asketische Theo- 
logie , alte und neuere Kirchengcschichte ^ Kirchenrecht und 
theologische Literaturgeschichte, das alles privatim und pritm- 
tissimc. (rcgenieiirtig erkläre er publice die Polemik^ und zwar 
sOy dass sie in eiium Jahre fertig leerde^ privatim aber werde 
er die sdmmtlichen genannten Fächer der Theologie vortragen^ 
so zzvar, dass man in der Zeit von drei fahren einen voll- 
stä/idigi ii theologischen C iirsus bei ihm volle luti U könne. SpiiU rhin 
hat^ er dieses etivas bescheidener so ausgedruckt, dass er ziear 
sich zu allem auf Verlangen bereit erklärt^ doch zunäcltst mben 
der öffentlichen Vorlestmg über Polemik mir ein privatum über 
Theologia dogmatica anbietet Im fahre 1737 liest er speciell 
die Polemik gegen die Soc in inner, und theologische Methodologie 
luich seiner gedruckten Schrifl darüber. 

Pon den beiden afuteren Ordinarii im Jahre 1722 liest 
Hof mann Öffetttlich Psalmen, Osiamler Thimotheusbriefe, Die 
Privatcollegien Hofmanns beieegen sich in These und Polemik, 
diejenigen Oslanders in Alt- und Neutestainentlicher llxegese^ 
sowie biblischer Dogmatik^ das heisst: Thesis in klassischen 



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Beweisstellen, Alles diess bewegt sich in hergebrachten Geleisen, 
Anders ist es bei Weismann, 

Wi'ismaiui kündigt ^7:*2 als lixtraordinarius liw I'hcsis 
an, aber er fühlt sich z'cranlnsst , dabei i't:^>as eingehender zn 
beschreiben, wie er die Sache behandein will. Denn diess ist 
nicht die alte hergebrachte Weise, Auf den deutlichen Begriff 
der Hauptwahrheiten kommt es ihm an, sozvie auf die biblische 
Beghindung nicht nur durch einzelne Steilen, sondern auch durch 
die tota analogia doctrinac sacrae, sowie auf den deutschen Aus- 
druck derselben und die Erkenntniss, dass der Theologe sie 
glauben und im I.ebcn vertreten müsse, Prrvatim ist er zu 
jeder Hilfe bereit^ seliUigt idn-r ein Colleg iiber Icire/i liehe Sta- 
tistik vor, so mimlich dass die kirchlichen Hauptcrsche imuigen 
der Gegetnvart mit praktischer Ainvendung besprochen und tut- 
mentlich den Verführungen unter dem Titel 7'on Weisheit und 
Religion begegnet werde. Im Jahre 17^)4 ist er schon zweiter 
Ordinarius und hat publice das Alte Testament zu lesen; das 
treibt er so, dass er immer ein historisches Buch, dann ein pro- 
fetisches, dann ein moralisches vornimmt, und hierauf wieder 
den Cyklus von vorne, aber mit anderen Büchern beginnt. Pri- 
vatim ist er nun schon an Moral, Polemik, exegetischer Dtgmatik 
herumgekommen, und geht jetzt zur Kirehengesehichte itber, l'>:t7 
aber ist non seifiem Pensum keine liede mehr, lir liest jetzt 
als dffetttliche und Hauptvorlesung eine Erläuterung seines Buches 
Grundlehrcn der cvanjrelischen Religion, privatim theils Moral, 
thcils iiber Lampe s Jheologiae elenctica. 

ll eismanns College Hagmaier hat 1. '>.',*! und 7.>.V7' das 
Neue Testanunt, und liest über Jolianncische und Paulinische 
Schriften, breit nach der alten Art, 153-1 liest auch Bilfingcr 
die Thesis nach Jfoffmanns Synopsis. Statt seiner ist tnST 
Klemm eingetreten , der seine dogmatischen l orlesnngen mich 
yägers Compendium weitläujig treibt. 

Jahre lang liat in dieser Zeit der oben genannte super- 



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— 113 — 

imvurärc Extraordinarius und JJiaconus Georg Conrad Prc- 
gitser sein etwas umnderlicfics Wesen getrieben: Eigentlich ist 
er für Kirckengeschichte angestellt. Danehen aber treibt er in 

irsUr Linie p faktisch r rntirwcisuni^ im i^^v ist liehen Amt, sum 
Thcil nach Hähcrlins Thcologia practica^ dann Wiirtcmbcrgische 
Kirckengeschichte^ diese auch mit Jener Amtsinstruction su einer 
Vorlesung verbunden ^ sodann auch Kirchenrecht nach BruntW' 
mann, die eigentliche Kirchengeschichte nach Rechenberg s Com- 
pendiuuif dann iiaeli Pjajf s Institutionen ^ später naeh seiner 
Epitome* Neben diesem allem ist er der theologisclie jUler- 
weltsmann^ der für sich und in Uebungen Curiosa in der 
Gegenwart, den Kirchenvätern, den Märtyreracten, der 7tfh^;{^vr 
l 'niirrsitiits^i^esehiehte sannuelt, einen ehrist/iehen Knlt ndei- für 
alle Ta^i^e maeht, und am Donnerstag Xachmittag Ersatzlectionen 
biblisch^ historisch und praktisch hälty weil er sonst so viele 
Leichenreden su halten hat. Endlich finden wir auch den Pro- 
fessor Phil. Maichcl, der zugleieh Kvtraord. llieol. ist^ 17 S4. 
mit dem J 'ortrage kireJilicher ReisebeobacJitun-^en. 

Im Catalog von 1737 liat die Emancipation von der alten 
Ordnung so weit geführt^ dass eine Alttestamentliche Vorlesung 
überhaupt gar nicht vorkommt. Auf der anderen Seite ist aller- 
dings eine grosse In reichening mit neuen luii liern niehf zu ver- 
kennen. Aber das Gesammtbild triit^t den Stempel der Prineip- 
hsigkeit. Auf der eineti Seite Zersplitterung^ jeder will alles 
leisten. Auf der anderen Seite in der Ausführung doch imufer 
noeh genug von dem alten schleppenden Gange. 

Aehniiches aber leiederholtc sieh bei allen luieultatcHy und 
sclion einige Zeit her hatte man das GefiUU^ dass etwas anders 
werden müssen ohne sogleich sich klar darüber su sein, zvoran 
es fehle. Der oben angeführte Visitationsrecess von 1713 ent- 
hielt schon die allgemeine Aufforderung, es sollten die offent/iehen 
Vorlesungen in jeder Pacultät so methodiseli eingeriehtet icerden. 
dass sie ein vollständiges System der betreffenden Wissenschaft 

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— 114 — 



darstellen, Zwei Jalirgehentc später war die Klage nicht zu 
unterdrücken^ dass die Unkfersität hertmterkonme, denn die Frc" 

qncurs licss viel zu wünscht ii itbrig. Da hat liaiin dii l iiii'L'r- 
sitiit am 16. März J/ J4 au f /'r/rh/ einen dcnkunirdigcn Bericht 
hierüber an den Herzog erstattet. Die Ursac/ien des schlechten 
Besuchs der Universität von auswärts her fiütrte tnan sunt 
77ieil au f äussere Gründe surücky die Nachwirkung der Kriegs- 
Zeiten, die nngi/nstige Lage J'iihiifgens in einem Mlnkel J^entseh- 
landSf Uftd noch dazu unter der nachbarlichen Concurrenz von 
Strassburg wtd Heideiberg, Die sächsischen Universitäten^ heisst 
es, haben ihren grossen Vorspmng der geschicktett Lage mitten 
in Ih utsildand zu verdanken. . \ber man konnte doch nicht 
läugnen, dass sie in der jetzigen öffentlichen Meinung noch etwas 
voraus Itaben ^ namentlich Halle ^ und zwar nichts anderes als 
einen moderneren Betrieb des Unterrichtes, Ueber Tübit^gen 
umrde gekhrgt, dass der Katalog nicht vollständig genug seif 
besojfders aber, dass viel zu leeitliiufig und sch^eerjällig vor- 
getragen werdc^ und man es gar nicht abicarten könne ^ bis die 
in die Länge geeogcften Vorlesungen zu Ende kommen; auf den 
sächsischett Universitäten dagegen gehe alles leidet^ prompt^ und 
rasch vor sich. Die Tübinger bestreiten das nicht, aber sie 
icehren sich für ihre Weise \ hier^ sagen sie, könne man auch 
alles hören, sogut wie atiderwärts; es werden imnur eine Menge 
von Vorlesungen angeschlagen ^ flir welclte sich mr keine Zu- 
liorer fiftden. Aber die neuen Principien des Vortrags, mit 
ivelchen Halle so rasch aufgekoinnien sei, seien keinesieegs zu 
empfehlen. Mit der liilfertigkcit dieses schnellen Cursus sei 
der studierenden Jugaid wenig gedient; da fangen sie von den 
Sätzen der Wissenschaften nur hie und da etwas gleichsam ut 
canis c Nilo auf, und bekommen nicmalen ein recht solides 
und aneinanilcr han<4cndcs systcma in den Kopf. Da aber 
nicht geiiiugnet werden konnte, dass man bislier die Collegien 
zu sehr in die iJinge gesogen luibe^ so versprechen sie^ es soll 



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I 



I — 115 ~ 

künftig keines länger als ein Jahr dauern^ die meisten aber in 
einem halben oder auch in einem J 'lerteljaJir ahsolinert icerden. 
Weiterhin wird aber noch der sonderbare VorseJdag gemacht: 
weil es zu viel seiy wenn alle Professoren der Facultät tiiglich 
ein publicum lesen, und die Studenten solche alle besuchen müss- 
tcn Da die Studirciulcn dann nur mit C(infuscn conccptibus 
und idcis obruirt und ihnen die Zeit zu einer rechtscliaficnen 
Präparation und nachmaliger Concoction oder Digestion dessen, 
was sie gehört, weggenommen werde — so sollten in jedem 
Semester nnr die Hälfte oder eliea zwei Professoren in jeder 
Facultät publice lesen ^ und darin dnnn im foli:;endeu Semester 
von anderen abgelöst zverden. Die Regierung hat dann erst 
einige Jahre später^ am 15, Aug, 1538, den Befehl gegeben, es 
solle für jede Facultät ein solcher Cursus ausgearbeitet werden, 
neieJi :ee/e/iem jedes ja/ir die Stndien von vorne angefangen und 
absolviert werden können. Neben den öffentlichen Lcctioncn soll- 
ten aber die Privatcollegien ergänzend hergehen und daeu helfen, 
dass diejenii^en^ welche das betreffende Fach specieller studieren 
leoHen ^ da.:u {ielet^enlieit finden. Iis leerden dafür pralxtiselie 
i 'orsehriften ,i^egebcn, iidin entlich dass man sie/i nicht so /an^c 
mit fremden Autoren aufhalten solle; wenn Dictieren nolhig sei, 
dieses ausserhalb der Stunde durch einen Famulus besorgt wer' 
I den könne; dass man nber ein Com/ye/idinin lesen^ oder vielmeJw 

nicht lesen, sondern spreeJien solle, Naeli diesem allem aber 
l kommt wieder: damit ein Studierender nicht seinen Cursus bei 

j verschiedenen ssusammenkoren müsse, so solle es jedem freistehen, 
jederzeit über alle Fächer der Faatltät su lesen. 

ulns allen diesen l^lanen und IirieHirnniren ist denn endlich 
eine recht sonderbare und ziveelcwidrigc Anordnun;^ liervor- 
gegcmgen, und durch den Visitationsrecess vom J^4, yuli 17 A4: 
aufgestellt worden. Die Grundlage dieser Anordnung ist näni' 
lichf dass die Professoren allerdings^ zvie in der früheren Zeit^ 
immer su einem bestimmten Pensum verpflichtet sind ^ aber dass 

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— ii6 — 



sie jilkrlich mit diesen Pensen unier sich wechseln, so dass also 

in Wirklichkeit jeder i'ou iliuoi alU- llauptfäcJu r der Theologie 
der Reihe nach vorzutragen hat. Da nun die Drei zahl der 
ordentlichen Professoren bestehen bleibt^ so musste die Theologie 
auch in drei Hauptfäclter eingetheilt werden, und diese hiessen: 
ThesiSj /{xegesis, Controi'ersiae. Jeder Professor liest daher 
innerhalb scitws dreijährigen Curscs im ersten Jahre die Thesis, 
im zweiten Jahre die Exegesis^ und swar im Winter Altes^ 
im Sotnmer Neues Testament, im dritten Jahre die Contro- 
vcrsiac. In jedem Jahre aber werden alle drei Fächer vor* 
getragen^ indem stets einer der Professoren an der Ihesis, der 
nächste an der Exegesis, der dritte an den Controversiae ist. 
Für Jedes Fach ist täglich eine Stunde angesetzt^ nur fiir die 
Controversiae im Sotnmer täglich zwei Stunden, und die zweite 
Stunde fallt dann jedesmal dem lixtraordinarius zu. Alle diese 
Vorlesungen sind im Winter öffentlich oder lectio, im Sommer 
aber privat oder collegium. Da auf diese Weise nur im Somtner 
vier Stuftden durch die Hauptfaclur besetzt sind^ im Winter 
aber nur drei, so wird für den Winter dem Extraordinarius 
aufgegeben , in der vierten Stunde Ilistoria ecclesiastica oder 
Theologia homiletiea zu lesen. Alle anderen Fächer ^ so Theo- 
logia moralis, sytnboliccL, pastoralis, ascetica^ jus ecclesiasticum 
protestantium wurden für collegia privata ausgesetzt. 

Hier 7var somit nicht nur der Begriff der Faehgelehr- 
samkeit ^ und ebenso der Freiheit des Universitätsstudiunis ab- 
handen gekommen, dieses vielmehr zur Schule herabgesetzt: 
softdem das stümperhafte der Ordnung liegt vor allem darin^ 
dass man eine Encyelopädie geben wollte y und doch nicht Uber 
die veraltete Grundlage der hergebrachten Hauptfächer hinaus- 
zugehen wagte. 

Nach einigen Jaliren hat fnan sich wenigstens davon Uber- 
zeugte dass es nicht anständig sei^ die Kirchengeschicitte mit 
dem Wintersemester abzufertigen, Sic wurde von dem dama- 



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— 117 — 



ligen Extraordinarius Cotta vorgetragen. Der Visitationsrecess 
vom 15, Desember 1751 spricht mm diesen von der sweiten 
Controversienstimde im Sommer ^ übrigens m/r fitr diesesmal 

JrL'if er soll nur die ganze KircIungescJiichte in l'eriodeii Jiir . 
Je ein Semester einthcilcn. So hat er im Wititcr 17 dl — 52 
Reformationsgeschichte^ im Sommer 1752 dann Kirchengeschichte 
des siebensehnten und achtzehnten Jahrhunderts gelesen. Eine 
regehniissige l-.inrichtung ist ober uocJt nicht daraus geieorden. 

fni idyrigeii ivurdc die Anordnung eingehalten^ wie uns die 
seit 1750 rege/massigen ordines praelectionum fiir jedes Sanester 
seigen. Mit dem neuen Jahre^ beziehungsweise Semester beginnt 
jedesmal das neue Pensum. iVur kommt es aueJi bald vor^ dass 
ciner^ der nicht fertig geworden ist, seinen Kest neben der lunen 
Vorlesung ankündigt. 

So stand es mit detn Unterrichte bis zum Abgang des 
Kanzlers Pfaff. Dieser selbst hatte in seiner späteren Zeit 
neben den genannte?! Uauptpensen Moral^ Pastoral- und C 'asual- 
Theologie ^ Kirchenrecht Theologische Literaturgeschichte , und 
Methodologie gelesen. 



1756-1785. 

Zum Kanzler wurde an Pf äff s Stelle ein Mann gesucht^ 

der diircli \anit n und Persönlichkeit die ansehnliche J.iicke 
ausfüllen y und alle nachthe tilgen liindriieke auslöschen könnte. 
Die Wahl fiel auf den Oberconsislorialrath und Gemralsuper- 
inlendenten . beider Herzogtümer Holstein und Schleswig Dr. Je- 
rcniias Friedrich Reussy der 1733 als Tübinger Repetent sub 
reservationc r.gressus in patriam in Dänische Dienste getreten 
zv ir. Er liat im Winter 1757 — 58 zum erstenmal 'in Tübingen 
Vorlesungen gehalten. Schon nach dem Tode von Cans hat^e 



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ihn das Consistoriuin in seinem CiitacJitcn über dessen J-.rsatz 
genannt^ jedoch mit dem Zusätze y dass divss keine convenable 
Stelle für Um sein wUrde, Jetzt trat er an die Spitze der 
Facultäty neben ihm biteben Cotta und Sartorius , und diese 

l'erein/i^nßig gab ßir längere Zeit derselben ein bestimmtes 
Gepräge. 

Faber wurde 1767 ConsistorialrcUk in Stiit^art^ und das 
Extraordimriat nebst Stadtpfarrei und Superintendentenstelle dann 

dem Gymnasialprofessor Heinrich Wilhelm Klefnm verliehen. 
Klemm starb J/7'> und seine Stelle erhielt dann der schon 
170U auf sein \ 'erlangen mit dem Titel eines F.xtraordinarius 
Tlteol. i>ersehatc Professor philos. und orient. Johann Jakob 
Baur, Auch Baur starb schon wieder 1776, und erhielt sunt 
A'achfolger den Klosterprofcssor von Jn benhansen^ Tobias Gott- 
fried Hcgclmaier , während gleichzeitig auch der Professor 
Philos, und Ephorus Uhiand den Charakter eines professor 
TheoL extraord. erhielt, 

Reuss starb im Jahre 1777, und nun wurde die Facultät 
so erneuert, dass Cotta Kanzler wurde ^ Sartorius l'icehanzler 
und ptveiter Ordinarius, Uhiand dritter Ordinarius. Die so^ 
lenne Präsentation der beiden ersteren im Natnen des Herzogs 
erhielt zugleich den Titel einer Constdtation, 

Sonst vollsiehen sich diese Veränderungen jetzt unter Herzog 
Carl Engen in der Regel ohne die Ikrathung der Universität, 
welche noch unter Carl Aiexajuier in aller Solenuität veran- 
staltet wurde, durch ktirse hersogliclte Dekrete, auf Grund tfon 
Gutachten des Consistoriums und der Universitäts-Visitatiofis- 
conimissiou. In den Wusch lagen des Co)isistoriunis ist als ein 
besonders empfehlendes Moment stets das höhere Alter angesehen. 
Recltt tüclitig ersclieint ein Candidat für die unterste Stelle, das 
Extraordinariat, in der Regel, wenn er schon 50 Jahre surück" 
gelegt hat. Hiebet wird es auch immer allgemeinere Gewohn- 
heit, dass Camiidaten sich bei dem Herzog bewerben, xiuf 



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d5rw Wt^c der Bnvcrhmig ist muh Storr zuerst auf den Weg 
sur theologisehen Professur gekommen. Er war bis dahin ausser^ 

ordi utliclu r Professor der r/ii/osophio, und molditc sicJi jetzt 
um die dureh Lhlands l eniitderutfi^ erledigte ordenti icJie Gc- 
schichtsprofessur. Die Stelle erhielt sein Mitbewerber Diakonus 
Rosler van Vaihingen; von Storr wurde int Dekret gesagt^ es 
wäre Schade, diesen Mann, der biss daher in dem theolo- 
giscb.cn l'ach sowohl ilurch Predigen als Docircn sich so vor- 
züglich gezeigt und einen allgemeinen Beyfall erworben hat, 
von diesem Studium, obschon nicht ganz, doch wenigstens 
manche Stunden, die er täglich dem neuen Penso durch Vor- 
bcrcitunticn und Lesen widmen niiisstc . abziibrinsjcn. Zur 
EfUschädigiing erhielt er 1777 den Charakter eines theologischen 
Extraordinarius, * 

Ende 1779 starb Cotta, und nach der bestehenden Gewöhn- • 
heit des \'orrittkeiis veränderte sicJi damit die l'iuuiUU lediglieJi 
sOf ddss Jetzt Sartori HS ^ llilmid^ liegelmaier die Ordinarien 
sindf Storr aber wirklicJier Extraordinarius und zugleich Stadt- 
Pfarrer und Specialsuperintendent ist, bis im Jedire 1785 auch 
Sartorius mit Tod abgeht. 

Das ganze lleslreben dieser Männer ivar^ den alten Lelir- 
begriffe so viel möglich^ mit neuen Mitteln aufreeJit zu erhalten. 
Aber eben diese neuen Mittel haben auch die Sache selbst nicht 
im alten Stande gelassen. Die historische Exegese, die Apo- 
l(get//x\ die (lesehiilite der iMre/u i.iid Lehre drängen sieJi ein. 
Und nie/its ist so geeignet zu erl^laren, leanim jene eonser' 
vatiüen Bemiiliungen zuletzt fruchtlos sind^ als die Wahrnehmung^ 
wie das Studium selbst^ der Wissenscha/tsbetrieb auch an einem 
solchen Orte unter dem Einflüsse der bekämpften neuen Ideen 
fU'U geieordcn ist. 

Der Zeitraum von Pfnffs ^l/gang, />is zu Sar/orins Tod, 
1766 — üö, begann unter der Herrschaft der Lehrordnung von 
1744. Wenn wir aber auf die wirkliche Gestaltung der Dinge 



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— 120 — 



cit^ehcHy so zeigt sich bald^ dass das vorgeschriebene Schema 

die rasch vonvärts treibende Entivicklung des theologischen 
Unterrichtes^ in welcluui sich der ortschritt der theologischen 
Wissettschaß zumal in historischer und praktisclicr Richtung 
selbst spiegelt^ kaum zu hindern vertnoclite. Die Behandlung 
der vorgeschriebenen Ij^ctionen des Curses selbst ist sichtlich 
gtfj/jy individuell gezeordeii. iiir den J'ortrtTg der Dogniatik 
gibt es hin festes LeJirluich mehr. Anfangs leird Pfaff oder 
Jäger ^ von Seiten Cottas auch Canz zu Grunde gelegt^ der 
erstere verschwittdet bald^ Jdger hält sich länger, Reuss und 
Cotta lesen nie ist ohne Lehrbuch ^ Sartor ins nach Jäger ^ dann 
seinem eigene i> J.rhrbncli, auch Cotta le^^t ihn dann zn Grniid, 
Die exegetiscJtc Vorlesung nitßimt Anfangs in der Regel ein 
einzelnes Buch, dann auch ausgetoählte Stellen aus dem Alten 
und dem Neuen Testament, auch einzelnes, bei Rettss zum Bei- 
spiel die Parahcln der Perikopen ^ besonders aber auserlesene 
Weissagungen zuni Cegenstande; Sartorins bcliandclt mit lor- 
liebe awigelische Geschichte, oder auch Synoßse nach BengeL 
Endlich in den Controversien tritt die alte confessionclle Polemik 
zurück; Socinianrr, Anninianer sind noch immer beliebt, daneben 
aber neuere Ar inner ^ Deistcji , fndifferentisten , ScJneärmer, 
Quäker, Mennoniten, Anabapiisten. ^Inch hier iverden Lehr- 
biicher zu Grunde gelegt, von Seiten Cottds noch Pfaff, von 
Sartorius auch Banmgarten und Kocher. 

Ausserdem aber vermehrt sich die /aJil der I'acher in den 
Privatcollegien, und es ist leiclU zu erkennen^ dass diese an 
Bedeutung den öffentlichen Ij:ctioiun niclü tiaclistchen , sondern 
zum Theil vorangehen* In der systematisclten Tlteologie tritt 
die Moral besonders durch die Pflege, welche ihr der Kanzler 
Reuss widmet, bald ebenbürtig neben die Dogmatik. Da die 
Polemik ein moderneres Gewand angezogen hat ^ so wird jetzt 
daneben eifrig symbolische Theologie, symbolisclie Bücher oder 
Einleituftg in dieselbe gelesen, von Cotta und Sartorius ^ von 



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I 



— • 121 — 

erstel l in nacJi WalcJi. Colta Jiat aiii/t srit 17fi0 — Gl Rncy- 
cloplUiic gcUsi ii Hilter dem Titel: Einleitung in die gesammtc 
Theologie utul ihre T/ieile, ebettso^ wie friUier schon Pfaffe über 
Methode des theologischen Studiums^ diess nach Miller, Femer 
hat Cotta das Kirchenrecht gelesen. — fn der exegetischen 
Theologie Junt Renss^ dann aneh Sartorius und Cotta^ die Her' 
mciwutik eiugejithrty auch über den Ncutestamentlichen Sprach- 
gebrauch gelesen f ebenso über profetische Theologie^ Sartorius 
über Einleitung in das Alte und Nene Testament y Schott über 
Jirnesti\s institntio interpr. X. '/'. Jiine Art von lüldiselier Apo- 
logetik trügt Renss vor: gegen die neuen KitiistCf den Sinn der 
heiL Schrift abzuschwächen und die unchiigsten Dogmen su 
beseitigen. Aehnlich auch Cotta. Dieser auch posittif: Ueber- 
sieht id>er die Stellen, auf :ee/e/ien die 7i'ielitigsten Glaubens- 
li'ahr/ieiten beruhen. Die historisehe Theologie wird alt- 
schnittawise von Cotta gelesen, ebenso liäujig die theologische 
Literaturgeschichte, Faber und später auch Cotta haben über 
kirchliche Altertümer gelesen^ Cotta auch über Patristik\ Klemm 
zum erstenmal idur J^ogniengesehieJite Ii eI>enso später 
(1780) Cotta. — An der praktiseJien Theologie betheiligen sich 
alle Hauptlehrer, es wird Homiletik, Katechet ik ziemlich regel- 
mässig^ dawben Pastoraltheologie ^ Kasualtheologie ^ von Faber 
aneh Umleitung in die kircJdiehen Auit.<:geseJiifte gelesen^ seltener 
ist die \ orlesung i/her KireJienreeht. 

Emilich lässt sich nicht verkennen, dass in der tätigeren 
Xeit, in welcher Reuss, Cotta und Sartorius die Facultät bil- 
deten, dieselben trotz aller Zersplitterung , r;u welcher sie die 
Lehrordnung und die (leieohnheit fahrten, dennoeh in ^i^eieisseni 
Grade als J'aehlehrer erscheinen. Bei Reuss übe n.v legt die 
exegetische Leistung, bei Cotta, der übrigens der grosste 
Vielleser, freilich auch der schwächste unter den Dreien ist, 
die historische j bei Sartorius die dogmatische und praktische. 
Sc Ulster er luurde es schon den ausserordentlichen und Ililfs- 



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— 122 — 



h hn nif ilircui Wirken ein einheitliches und bestimmtes Gepräge 
zu verschaffen. 

Zit einem x^oUständigen Bilde dessen ^ uhis von T/teol<3gie 
damals gelehrt wurde ^ muss aber auch twch die philosophische 

l'iu ultät beigezogen ivcrdcu. Hier finden wir in dieser Zeit 
noch den ererbten Missbrauch ^ dass ein sogenannter Professor 
der gricchisclictt Sprache^ der suglcich liphortis des theologischen 
Stifts isty und bis 17/^7 yohawt Adam Oslander^ von da an 
aber Inunaniiel Jlofniann /wisstj fiir die griechische Sprache 
nichts lueiter leistet, als dass er kleine lorlesnngen idfcr Xen- 
tcstamcfitliche Schriften^ vornehmlich Briefe^ und über die Alt- 
testamentlichen Citatc in solchen Briefen Itält^ vielleicltt auch 
einmal über den Kanon oder Uber den Xutsen der HebräischcHy 
oder der Ciru ehisehcii oder l\oiii ischt ii Aiilitjiiitätoi zur h.rkldrung 
historischer Schriften des Xenen Testaments ^ nicht ohne jcdoeh 
vor dem Missbrauch solcher Antiquitäten su tvartun. Neben 
diesem ist seit 1760 Johann Jakob Baur, Professor der orien» 
talischen Sprachen, übrigens suglcich der Methaphysik, und liest 
Cursor isch über Alt testamentliche Fdicher , auch Antiquitäten^ 
Poesie^ bis er seil 177:4 auch jew Pflege der griechischen Sprache 
durch das Neue Testament damit vereinigen darf, und endlich 
177^) glücklich theologischer Extraordinarius wird^ um als solcher 
wieder andere Diu<'-e zu lehren. Seit J77.'i hebt sich die Thati'>- 
keit von dieser Seite, indem Sehuurrer in der philosophischen 
Facultät mit Alttestamentliclien^ bald auch Neutcstauuntlichen 
exegetisclten wtd isagogischen Vorlesungen anfängt^ seit 1775 — 76 
neben ihm twch Sforr mit Nattestameutlichem Kanons philologia 
saenty Rhetorice sacra, Daniel etc. 

Im Jahre 1770 wurde zum erstenniale w/eder das seit 
J774 eingeführte Systetn der altertuerenden J^ctionen in der 
theologischen Facultät in Frage gestellt. Der Hersog Carl Eugen 
hatte sich bcy dem hicsij^cni höchstem sejoiir von denen pro- 
fcüöoribuö Vorschlage zu mehrerer Aufnahm und Verbcbscrung 



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— 123 — 

der Universität machen lassen^ und chic Bcrathung über die- 
selben durch eine aus Tiibinger und Stuttgarter Deputierten sU' 

sainmcngcsctzte Couimission veranlasst ^ bei welcher er selbst 
präsidierte. Ilicr wurde nun auch eben die Frage ver/iaiidelt^ 
ob das System des . Uternierens fortdauern ^ oder künftig jeder 
Professor bleibend sein eigenes Pensum haben solle. Die drei 
Professoren der Thcoloi!;ie^ Reuss^ Cotta, Sartorius waren darüber 
iiielit ei/iii^-^ die Couimission im (rangen tr/nr lear für die per- 
sonlielieii Pensen. Der Jferrjoi^ verfugte am ^0. Norember, die 
bestehende Ordnung solle bleiben^ so lange jene Drei die Pa- 
cultät bilden, die principielle Frage aber solle weiter berathen 
werden. Das Consistorinm , ivele/tes dixritber i^eJiört leurde^ er- 
stattete ei//en sehr weisen Bericht^ dahin gehend, dass die 
bcyderley Meinungen pro et contra ihre wichtigen Gründe 
vor sich haben. Für die persönlichen Pensen spreche der 
Umstand, dass selten einer in allen Fächern gleich stark sei. 
Der eine hat von Natur eine vorziicjlichc Gabe und Cieschick 
ZU diesem, ein anderer zu einem andern renso. Wenn nun 
also ein solcher Mann just dazu aufgestellt und gebraucht 
wird, w^ozu ihn die Natur selbst gerufen zu haben scheinet, 
und worinneii i'.r eine besondere rieschtcklichVcit und Stinke 
besitzet, so niuss in der Fol^e etwas besonders gutes heraus- 
kommen, und der Nutzen wird desto grösser vor dessen Zu- 
hörer sein. Es mag auch ein Professor noch so geschickt 
sein, als ICr immer will, so wird Er gleichwohlen auch nur in 
einem [)enso allein doch nicmalcn auslernen. Man kommt 
von Tai; zu Tag durch eine fleissige Uebung immer weiters. 
Mithin je länger ein Professor solches pensum und zwar allein 
treibet, desto stärker und desto vollkommener wird Er darinnen, 
\vo\on sodann ilie J^erncndc den grössten Vortheil zu c^e- 
niesscn haben. Gebnnden, heisst es weiter ^ sei der J'rofessor 
ja desswegen doch nicht zu viel^ er hcdfc durch die Prit^at- 
collegien den weitesten Spielraum, Man sollte meinen^ der erste 



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— 124 — 

Grund sei durchschlagend. Aber der Dehler ivar ebcn^ dass 
inan nicht auf einen Grund ^ sondern auf viele Gründe salt^ • 
die stellten sich dam auch für das Gegenthcil ein: Wenn der 
Professor immer das gleiche Fach habe, so treibe er nur noch 

seine 1" a\ oritj3cnsa , und icerde gar nicht mehr fertige habe 
auch keitwn Ansioss dazu, leiihrend heim WecJisel immer einer 
den andern dränge. Werde einer krank, so sei inan vollends 
in Verlegenheit^ weil man keinen Stelhertretcr habe. Auch sei 
es ziear leoJil nidiichnial gnf^ leenn ein Student denselben Pro- 
fessor itber dieselbe Materie z^veimal hören hönne, nni ihn 
besser sn begreifen, aber noch besser, wenn die Studenten die 

Wahl haben, da manchmal Professoren bei aller Gelehrsamkeit 
und aller angnvandten AfÜhe eben doch keinen Beifall finden, 

W as war das Eigebuiss .- Hei dem jt t r.igen Stande der Jut- 
cultät 7iuire es Schade^ :eenn das Alternieren aufhörte. Denn 
gehet ein Kanzler Rcuss in seinen Lesungen tieff , so hat der 
Dr. Cotta wiederum eine andere Stärckc. Von dem Dr. Sar- 
torio ist bekannt, dass ICr die Gabe einer ungemeinen ],cich- 
tigkcit in doccndo habe, und jederzeit durch eine sciiickhche 
Eintheilung sein Pensum auf die gesetzte Zeit hin zu absol- 
viren wisse. Wenn aber das Personal sich emettre, könne die 
Sache sich gans anders stellen, es solle also zugewartet werden. 
Diess 'j-esihah auch. Aber im 7ahr 1777 nach dem Tode des 
Kanzlers Renss und dem Eintritte ihlands nahm die Facnltiit 
die Sache selbst wieder auf wtd stellte den Antrag auf Nomi- 
nalprofessuren, der dann auch genehmigt wurde. Dabei wagte 
man aber sonderbarer Weise doch nicht von dem alten Schema 
der Fächer abzugehen, so leenfg dieses noch f^dssen lüülite. Cotta 
übentahm also die CotUro%nrsia, Sartor ins die Thesis, und der 
netie College Uhland wohl oder übel die Exegesis Alten und 
Netten Testamentes. Dem Extraordinarius fand man für nothig 
jetzt niicli :eieiler sein bestimmtes l'ach zu geben, und ziear 
sollte dieses die Moral scin\ denn diese werde nach der 



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« 



— 125 — 

jetzigen Beschaffenheit der Theologie nicht mehr mit oder in 
der Dogmattk zugleich, sondern als ein von der Thesi abge- 
sondertes Pensum abj^cliandelt. DdL^rL^rn wird die Kircltengc- 

schichte mit einer leichten FjitscIiNltii^i^-nni^ nnter die Privateol- 
Icgicn ViTuiicsai. Bei der herzoglichen Genehinie;iin^ leurde 
dann in erster Linie den Professoren auferlegt^ dass sie auch 
in der gesetzten Zeit fertig werden sollen. 

Damit ist doch die Zeit der ganz sehnlmässigcn Behand- 
lung iviedcr zu Ende. Zur Charakteristik dieses Zeitabschnittes 
mag aber noch eine Verhandlung aus dem Jahre 17 ö7 dicncti, 
Datnals wurde nämlich den Professoren zugemuthet^ weil die 
fürstlichen Stipendiaten die Subscription der Vorlesungen oft 
nur benutzen y um ans dem Kloster Ju rauszukomnien und ihre 
besten Stunden mit Va^ircn oder gar in W'irthshäussern oder 
andern verdächtigen Orthen unter vielfältig verübenden gröb« 
liehen Excessibus zuzubringen, sollen die Professoren am Schlüsse 
jeder Lection eiiie Recapitulationem lixaminatoriam vornehmen^ 
um durch Aufru/ung säuimtlichcr Zuhörer mit Namen zu con- 
statiren^ wer nicht da sei. Die Regierung wollte ihnen iJir Zu' 
horerverseichniss dazu in so viel Exemplaren^ als die Vorlesung 
im Semester Stunden habe^ drucken lassen, dann könne der Pro- 
fessor alsso i^anz leichtlicli einen jeden Absentetn mit einem 
Blcystili't oder Dinten ausstreichen. Die !• acut tat hatte grosse 
Miilte^ sich dieses^ wie sie sagte sowohl in Ansehung des Zeit' 
aufwandes als der Materie bei gelehrten Vorlesungen geradezu 
unausführbaren Ansinnens durch die Vorstellung zu erwehren^ 
dass doch nicht alle Studierende fürstliche Stipendiaten seien^ 
und man die anderen^ besonders auswärtigen durch den blossen 
Versuch eines so unerhörten Verfahrens geradezu vertreiben 
würde. Sie musste wenigstens versprechen, durch Spionage \\qT' 
schwie^^ene Magistri; einigerjnassen abzuhelfen. 

Kehren wir zu den l'orlesungen zuriick, so lourde die l 'er- 
einbarung von 1777 allerdings von den drei Ordinariis ausgc- 



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- n 



— 126 — 

fiUtrt^ freilich bei Persomheränderungen wechselte man dann 
wieder mit dein Lehrauftrage, Dagegen hat der Extraordinarius 
Hegelmaier doch nicht die Moral sofort Ubemommen, sondern 

vicluicJir durcJi Kirclioi^iScliiilitc imd Poli-iiiik dcii allcrndcn 
Cotta unterstützt ^ Storr aber NcutcstaDu ntliche Briefe gelesen^ 
und (der nachher su erwähnende) Märklin verschiedenes^ was 
man als Nebenfächer betrachtete: Mosaische Gesetzgebung^ Tfieo- 
logische Literärgesch ichtc und Geschichte der Do^nialik und 
MoraL Cotta s Tod brachte daini keine Aenderuui^ im Fächer- 
System, denn für das laufende Stiuiienjahr besorgte Hegelmaier 
die Polemik; aber vom Herbst 17d0 an trat Sartorius in die 
Nachfohj^e Cottds auch im Lchrpensum ein. Denn noch immer 
galt die Controi'erse fiir die vornehmste , die I\an:Ier-Lection, 
und Ilegehnaier musstc jetzt die Dogmatil' iiöernehmen , doch 
hat Sartorius die letztere mch einmal, im Winter 17811 83 ge- 
lesen» Hegelmaier aber trabt neben der Dogmatik mm auch 
Doginengeschiehte. Storr übernahm mm neben der Ncutestamcnt- 
Hellen Jixegese, (resehirf/fe des Canons und cvai/gelischer (be- 
schichte die ihm nach der Ordnung von 1777 zukommende Mo- 
ral, abwechseltui aber auch die Kirchengeschichte, die praktiscfte 
Theologie imrde bald von diesem bald von jetwm gelesen. 

Um diese Zeit ist dann auch in Ansehung der Stunden 
eine feste Gcivohnheit zur Geltung gekommen . Währciui diese 
früher mir fiir die öffentlichen und Hauptvorlesungen sicher 
bestimmt su sein pflegen, hatte mmentlich Cotta eine feste 
Uebung auch für das Privatcollegium eingeführt^ und regel- 
mässig fiir das publiLiiui eine Miirg, nslitmie^ für das privatum 
eine Nackmittagsstunde angekiindigt. Jetzt geschieht diess von 
allen, der Regel tiach kündigt jeder eine öffentliclie uiul eine 
Privatuorlesung an; jene Morgens, diese Nachmittags, Die 
Sttmden siftd 8 — 11 Uhr und 2 — 5 Uhr. Der Extraordinarius 
hält der Regel nach nur ciiw Vorlesung. 



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— 127 — 



1785—1826. 

Af/i f). /)(•('. 17 sr» cr/o/^i^-h' (h r ToiI dt s Kanzlers Sartor iuSy 
für iccichcn dann der Herzog durch Spccialn stylution vom Dcc, 
den bisturigen ersten geistlichen Consistorialrath und Prälatcti 
sti Herrenalb^ Lehret^ der Universität zuschickte. Von hier an 
darf man den Zeitraum der sogenannten Tübinger Sc/iiiie^ das 
heisst der äitercn, durch die Xatncii Storr und l'latt bezeich- 
neten^ rechnen. Als Ende lässt sich das Jcdir annehtnen. 
Dieser vierzigjährige Zeitraum war aber zu lange för den 

Werth der Richtung und I^istting. Er zerfällt in zwei Alh 
schnitte^ eine Zeit des Anse/iens und eine Zeit des l erfalls. 

Der Personaistand hat die folgende Jintieiiklu>ig. Bis 
1785 waren in der Eacultät: Sartorius, Uhland^ Hegelmaier, 
Dazu kam der Extraordinarius Storr, Jetzt war nun Lebret 
an Sartorins Stelle getreten. Als dann im folgenden Jahre 
auch liegelmaier starbt rückte Storr in die Facultiit ein. Lebret 
hatte von seinem Vorgänger die Contrcversien ühemammen^ 
Storr übernahm von dem seinigen die Dcgmatik, Bei Stor/s 

Vorrücken hatte die Regierung wieder einmal eine Con- 
Sldtation der Universität ve ran stallet das heisst des Her- 
zogs vorgefasste unabänderliche Jintscheidufig in aller Form 
durch Vota deliberativa und decisvva des Senates bestätigen 
lassen. An Storrs bisherige Stelle ritckte der Diakonus Märklin 
eiuy der ohnehin seil J/i!> eine Art i'on rrivaliloeeiit der la- 
cuUät geieordol lear, denn er hatte die Jzrlauhniss erhalten^ die 
tlieologisclien Prrvatstunden^ die er wie schon früher andere Dia- 
coni hielte als collegia im Lectioftscatalog anzuzeigen,; nur durften 
sie weder im pensum noch in den Stunden mit denen der Pro- 



1 



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— 12« — 



fessorcn coUidieren, Dagegen wurde der Professor der Philoso- 
phie Flatt^ der atich um das Extraordinariat gebeten hatte^ %'or- 
läufig sur Ruhe verwieseti. Die Faeultat bestand also vonlTSß 

an aus Lehret, Uhla)id, Sforr und dcui lixtraordinarius Märkliiiy 
erst 1792 trat an des letzteren Stelle, als er Probst in Daikcn- 
dorf wurde^ Johami Friedrich Flatt ein. Ein weiterer Extra- 
ordinarius aber kam dann 1793 hinsu^ ittdetn der Hersog seinen 
Hofkaplan und ReligionsleJirer Georg Heinrich Müller zum Abcnd- 
predigcr umi Amtsdekan und nebenbei zum ausserordentlichen 
Professor der Tlieologie ernannte. Auf den Wunsch vofi Flatt 
aber wurde im Jahre 17M die Stadtpfarrei nun auch von der 
vierten theologischen Professur trennt, und m*bst dem soge- 
nannte u Stadtdekanat dem Amtsdekan verliehen. 

liinc neue Regelung des theologischen l'uterricJites leurdc 
in einem herzoglichen Dekrete vom 22, Mai 1794 unter Her- 
zog Ludwig Eugen gegeben ^ dessen Motiv die Berichte über 
drohenden Verfall waren. Zum zweiten Male in diesem Jahr- 
hnndert hatte die Regienuig die Ansicht gezeonnen , dass nur 
sehr umfassende Veräiuicrungen die Universität zu einem ivUr- 
digen Stafuie erheben ufui su fernerer Coftcurrens jnit anderen 
befähigen können, Anfangs Märs 1792 war ihr selbst die Auf-- 
gäbe gestellt icorden, iiber den Stand der Dinge, soxvie über die 
Ziele umi die Mittel der Reform zu bcrathen. Längere Zeit hatte 
dieses erfordert, Gutachten einzelner Vertrauensmänner^ sodann 
der Facultäten^ endlich des Setuttes selbst^ mit allerlei statisti- 
schen Notieen, lieferten das Material ßir das Dekret von 1794, 
welches neben inn fassenden Aiiord)iune'en doch noch eine irrosse 
Zahl von Fragen der Berathung überliesSy und daher die ent- 
sprechenden weiteren Verhatullungen futch sich sog, Ati der 
Spitse des Dekrets steht die EntSchliessung, dass die Carlsaka- 
demie SU Guftsten der Universität aufgehoben werden solle, 
J>ei den Reformen der letzteren aber handelte es sich diessmal 
nicht mehr vorzugsweise um die Methode des Unterrichts, son- 



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— 129 — 

I 
I 

dern nm die iH-friidij^iiiig der modernen J>ediirfnisse durch 
\ neue Lelirstülile und die Sc/in[fun<^^ der lan^e rernachlässigten 

müiwendigen Institute, Die tJicologiscfte Facultät ist mit allen 
anderen betheiligt durch die Normen über den Lehrplan über- 

- hajipt. Bei den öffentlichen LectioncUj in welchen die Haupt- 
fächer gelehrt zverdeu^ soll hie nach jedes peusuui immer nur 
von einetn Lehrer vorgetragen werden \ die Berufung aber soll 
immer für das bestimmte Fach den Fachgelehrten suchen^ und 
nicht mehr etwa ein Hauptfach nach Belieben der anwesenden 
dem neueintretenden zu<^eschol)eN leerden. In allen anderen Col- 
legien aber ist nicht nur jedem Lehrer die Wahl der Materie' 
vollkommen freigestellt, sondern auch das ihrem Belieben über" 
lassen, ob etwa zwei zu gleicher Zeit über dasselbe Pensum 
lesen leollen. Auch den zanzeti l'nterschied :::eisehen öffoit- 
liehen wui Privatvorlesungen falloi oder wenigstens die Haupt' 
Vorlesungen in private verwandeln su lassen, war die Regierung 
erforderlichen Falles bereit. Das theologische Studium speciell 
In trifft eine Anzahl von VorscJiriften ^ welche thcils die Dauer^ 
besonders die Abkürzung gewisser Vorlesungen, tJieils die Fächer ^ 
selbst angehen. Es war erwogen worden, ob die Vorlesung über 

. Polemik überhaupt noch fortbestehen solle; man hatte sich nicht 
verborgen^ dass dieselbe auf den meisten Universitäten in Ab- 
gang gekommen oder doch auf die Antidcistik reducirt sei. 
Man' konnte sieh aber doch nicht entschliessen, sie fallen su 
lassen. Doch sollte sie um so mehr in einem Jahrescurse absol- 
viert 'werden. Diess, heisst es, könne um so sicherer geschehen, 
wenn man die ausgestorbenen alteren Streitigkeiten in die 
Kirchengeschichte, und so viel sie zur Kenntniss der Dogmatik 
gehören, theils in diese selbst, theils in die Vorlesung über die 
symbolischen Bücher verweise. Die Exegese und Dogmatik 
sollen ebenfalls ihren Jahrescurs behalten, in der ersteren aber 
solle man sich nicht so Zange bei einzelnen a/ttestament/ichen 

Büchern aufhalten, sondern die Studirenden mit so viel bibli- 

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— 130 - 



sehen Bäckern als tnöglich bekannt wachen. Die Kirchenge- 
schichte, von der man bisher gerne beliebige Abschnitte gelesen 

hatte, sollte aucli in einem Jahre absolviert leenlen^ wobei man 
jedoch die letztem Tkeile^ Reformatiotis- und neueste Kirehai- 
geschicltte^ nach dem Vorgange anderer Universitäten in einem 
besonderen Semester lesen könne. Auf den Cursus eines Jahres 
leurde auch die J'orlesuui^ über die Moral erhoben , mit Hin- 
loeisutig darauf, dass dieselbe überhaupt eine für den künftigen 
Prediger und Seelsorger so wichtige Wissenschaft sei^ und cUtss 
besonders gegenwärtig die Kantische Philosophie, die so vielen 
Einfluss auf dieses Fach hat, eine desto vollständigere Erklärun<^ 
und Ausdehnung desselben erfordere. Neben diesen grosseren 
Vorlesungen sollten dann andere wie chronologia sacra, antiqui' 
tates ecclesiasticae^ Peutoraltheologie^ symbolische Biiclter etc, auf 
ein Halbjeüir beschränkt werden. Eine Neuerung ist auch auf 
dem Gebiete der praktischen Theologie anbefohlen. Die Homi- 
letik^ Kateclu'tik und Pastoraltheologie^ Jieisst es Jiier^ halten sich 
SU sehr im edfgenteinen. Es sollte daJur ein collegium pastorale 
gehalten werden^ wodurch den Studenten Themata und Texte 
nicht nur zu Predigten, sondern auch zu Beichtreden, Unter- 
redungen mit Kindern , Kranken und Hekiimmcrtcn u. s. w . 
gegeben oder auch gewisse Falle zur schriftlichen Beurtheilung 
vorgelegt werden. Die tlteologische Facultät erklärte sich mit 
allem einverstanden^ und wünschte nur für die Einleitung in 
die symbolischen Bücher ein ganzes Jahr^ ebenso wollte sie swar 
in der livegese alle a//i leren Bücher in einem halbe// Jahre ab- 
solvieren y für den Profeten Jesaia aber utui die Psalmen er- 
achtet sie eine längere Zeit erforderlich. Die praktisclteti Fächer 
sollte der Extraordinarius ^ für jetst Professor Müller^ besorgen ; 
die Pi/mwisu/zg in die A/ntsthd/igheit ko/ziite e/itieeder dieser 
oder ei// (ieistlicJier^ der Stadtdekan^ i/ber//eh///en. 

Im Katalog für das Winterhalbjahr 170Aß5 bietet dam 
Lebret an publice Kirchengeschichte nach SchröckUs Compen- 



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— 131 — 

dinm, prkmfitn Kirchcnrccht nach Sehnatibcrt; Vhhml publice 

klciih' rrofi toi, privatim clirislliciu' Altcrtliiinicr oder liiulcifiiUi:; 
III die sy)jil)oIisihi'n Jute her ^ beides nach Bauuioaiten ^ Siorr 
publice Dogtnatik nach Morus ^ privalim Apokalypse^ Platt 
publice Moral^ privatim Korintherbridfe^ Müller Geschichte der 
Theologie, soivic Homiletik ntid Katcchetik. 

Die W^rsc/iriften von 179} icitrden nur sehr unvollsta)idig 
ausge^ülirt, Dass die Controversienvorlesung dennoch vollends 
abbröckelte^ lag in der Natur der Sache; dass aber die Kirchen' 
geschickte nicht zu einem regelmässigen und ordentlichen Vor- 
trage kam, mi/sste nacJitJteilig sein. Ih ides lag in den I landen 
des Kanzlers Lehret, ivclcher iiberhaup! keine umfassenden 1 er- 
Usungen zu halten pflegte, sondern fast nur kleine Abschnitte 
wie zur Liebhaberei, und diese recht breit vortntg, aus der 
Kireheu' und Dogmen-GescJiieJite : Geschichte des ersten Ja kr- 
Im Uderts, älteste Dogmengescliiehte, Lutjierische Kircheniehre bis 
Melanchthons Tod, Concordienarbeiten, Reformierte und Remon- 
stranten^Lehre y Socinianische Lehre , Geschichte des Deismus, 
netteste Kirchengeschichte, niederländische Kirchenstatistik, ein:» 
zelne AbseJuiitte der Dogmatik pole}nisc]i, ebenso nioniliscJic Ma- 
terien (von der Ehe), KireheiireeJit. 

Der Schwerpunkt der Facultät lag in Storr, Auch er hat 
verschiedenartiges gelesen, einzelne Abschnitte der Kirchenge- 
schickte, Hermeneutik nacJi J\rnesti, llomilelik. .l/>er sein Ka- 
talog ist doch einfacher. Das Hauptfach war zuerst die Moral, 
Später die Dogmatik; diese trug er Anfangs muh Sartorius, 
dann nach Morus, zuletzt nach eigenem Entwürfe aus der hei- 
ligen Schrift vor. Damit aber verbinden sich zahlreiche Neu- 
iesiament/ielie ]'er!ejungen iilu-r PanliniseJie Briefe, Johannei- 
se/ie Sekriften, evangelische Cescki eilte nach den Synoptikern, 
Evangelienharmonie, Geschichte des Kanons, Hier ist in dem 
Vorlesungskreise der Zusammenhang der geistigen Arbeit ab- 
gebildet. 

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— 132 



Neben Storr kommt wesentlich der ältere Flatt in Betracht^ 
dessen Tltätigkeit %*iel mehr wieder in die Breite geht^ und der 
durch seine Vorlesungen eine Menge beliebter Themata ßir das 

Studium (III der Universität auf lange Zeit hinaus tJieils au f- 
gestelilf Iheils angeregt Jiat, In der philosophischen Facultät 
hat er migefangen^ und ist hier an allen Titeilen des Systems 
der Philosophie herumgekommvUy Loi^ik, Psychologie^ Metaphysik, 
Ontoiogie, Kosmologie na eh r/rieh), naturliehe Theologie^ Irei- 
hcitshhrcy Encyklopiidie , Propädeutik, Methodologie, Semiotik 
und Phänatnenologie (nach Lambert); dann Geschichte der Philo^ 
Sophie^ der alten Metaphysik^ der alten Ij^hren von Gott, Pla- 
tonische Dialoge, Cicero, Epiktct. Gans besonders aber tcid- 
ntete er sieh der liiiifUhrung in die Kantischc Philosophie ujui 
der Kritik derselben, las über Kant im Allgemeinen, die Kritik 
der reinen Vermmft^ die transcctidentalc Acsthctik^ Vergleichnng 
Kants mit Cartesius, Moflebranche, Ij>cke, Ij^ibnis, anch ler- 
g/eiehung der luiturlieheii und geoJJeni>arten 'J'heologh'. ^lehn' 
lieh setzte er es in der theoiogisehen Facultät fort: Moral und 
Apologetik (nnter verschiedenen Titeln), Nentestamentliche Briefe, 
muh praktische Theologie, besonders praktische Dogmatik nnd 
praktische ErkläHmg des neuen Testaments sind seine Haupt- 
themata. Aber daneben finden wir eine Menge von Zeit Stoffen, 
besomiers in der beliebten Form der Vergleiehungcn, der leieJi- 
tigsten theologischen Systeme unter sich, der kantischen Kritik 
mit der christliclien Lehre, der alten und neuen philosophischen 
Gotteslehre mit den eh risti lehen. Ausserdem ' Gcsciiiehte des 
Verhältnisses von Philosophie und Theologie seit Cartesius, 
rationalistisches System der Gegemvart, Reden Jesu, Moral 
yesu, richtige Unterscheidimg des bloss Zeitlichen im Xeuen 
Testament. 

Diese Sehnte hat die l'ertheidignng der orthodoxen Lehre 
als soleher aufgeben. Sie hat sieh zur Aufgabe gestellt, die 
Vertheidigung der christlichen l^^itre, nnd ihres OffenbarungS' 



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— 133 — 



Charakters überhaupt. In der Defensive ist sie auch so ge- 
blieben. Nur in diesem Sinne nimmt sie an der geistigen Be- 

wi'i'^uiiij^ dl}' /rit A)!thcH. Cicradc ihre i'utcrric/itswcisc ^cigty 
mit. weicher Emsigkeit duss gcscJichcu ist. Alu r auch die lli- 
ruhe spiegelt sich darin y deren letzter Grund doch in der Ab' 
hängigkeit von einer geistigen Beweping liegt, welcher man ver- 
geblich zu lechren sucht. 

Am 0. November IJ'.i} erfolgte die Enienuung Storrs zuvi 
Ober ho f Prediger in Stuttgart und am 22, Jan, 1798 erhielt 
Flatt den Auftrag, die dogmatische Vorlesung desselben fortzu- 
setzen; im Sommer darauf wurde ihm, nachdem die herzogliche 
W'ii/cnserkläruiij;- durch abi^eschickte Commissare von der Uni- 
versität bereitwillig angenommen war, die dritte Professur über- 
tragen, und dagegen auf seine bisherige Stelle ohne weitere Be- 
fragung der bisherige Diaconus von Urach, Süsskind^ gesetzt, 
X(u h dem 'Tode l 'Jilands erfolgte dann im Januar lS(f f das 
lorriiclru l latts und Siisskinäs im Anschluss an die alte Ord- 
nung des Zusammefnvirkens von Regierung und Universität, 
aber freilieh in der Art, dass der Kurfürst diesen ßJHnnem 
die belrcjjcudcn kirchliche ii Titel und ebenso die Superinten- 
dcntenstellcn am Stift durch Dekret übertrug und die gemessene 
Erwartung aussprach, die Universität werde sich auch für die 
Uebertragung der entsprechenden Professuren an dieselben er- 
klären. Die vierte' Professur aber wurde ohne weiteres dem 
jüngeren I'latt, Carl C hristin)!^ bisherigen Jhacoius in C annstatt^ 
libertro'^^cn. Somit sind jetzt in der l aculiiii: Lebret, Johann 
Friedrich Platt, Süsskipui, und als vierter gehört dazu Carl 
Christian Flatt. 

Süsskind 7vurde im Sommer iSOn als Oderhofprediger nach 
Stuttgart berufen, und an seine Stelle nun der jüngere l'latt 
durch Dekret in die FacuUät gesetzt, für ihn aber der Diaco- 
nus Bengel vott Marbach sum Extraordinarius ernannt. Im 
Sommer 1S06 besuchte König Friedrich die Universität und die 



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I 



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I 

I I 
I /v/^i' iüi'scs ßi'sushcs ik'dry t/dss der alte Kanzler Lehret, der I 

schon läitgcre Zeit nicht mehr las^ in den Kjihcstatid versetzt 

und an seiner Stelle am 22. Juni der bisherige Ephortts tutd 

Professor an der philosophischen FacnltiU^ Schnurrer snm Kans- ! 

ler und Probst eruaiuit wurde. Ps geschah d/'ess naek den da- 
' maligen Verhältnissen durch einfaches Dekret^ und Schnur- 

rer hat selbst eine lirklärung deponiert^ dass es auch ohne sein 
Zuthun geschah. Ferner wurde dann IfilO, ohne dass eine 
Stelle er!edi]iii zeur, Pyeir^el diireJi Dekret vom .'JO. IVo:'. cum 
Ordinarius ernannt ^ und damit auch das alte System von drei j 
Ordinarien au/gegeben. Denn als 1612 der jüngere Flott nach - 
Stuttgart abberufen und in Folge dessen Bengel auf die dritte 
Stelle befördert untrdc ^ erfoli^tc die Uebert ragung der vierten 
Stelle an den ^Irclinl lacvims fnuir in Tübingen ohne leeiteres 
mit dem Charakter des Ordinariates. Xeben diesen Lehrern 
ivar seit 170H Georg Heinrich Müller, Stadtpfarrcr und Dekan, 
ausserordentlicher Professor der Theologie. Er wurde 1812 sunt 
1 Priilateu von Maulbronn befördert, und in seiner ganzen Stel- 

I Inng durch den neuen Dekan Miinch ersetzt. Ausserde )n hatte 

auch schon lüJO der Archidiacontis Köstlin den Charakter eines 
ausserordentlichen Professors bekommen. So bestand am Schlüsse 
des Jahres 1^12 die Facultät aus den vier ordentlichen Profes- 
soren: S'.imnrrer, l-latt d. iH-ngel, J>aur, neben zeeleJien noch I 
die beiden Geistliehen MiineJi und Kostlin als l-xtraordinarii I 
fungierten. Da jedoch Baur im folgenden Jahre starb, so I 
ivurde Köstlin am 3. Xoroember 181H zum inerten ordetUlichcn \ 
Professor ernannt. 

Die Dogniatik hatte an Storrs Stelle zuerst Siisskimiy und 
dann an dessen Stelle der jüngere Flatt übcrmmmcn. Süss- 
kind las nach Morus, ebenso anfattgs Flatt, später legte dieser 
Reinhard j dann Storr su Grunde, und suletst las er sua ratione. 
Anc/i trug er Co/itroversen ^ die zeiehtigsten, oder die neueren, 
• Apologetik uiui Polemik, V'ergleichuug der rationalistischen Sy- | 

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stcmc, vor. Der ältere Flott behielt die Moral. Ausserdetn 
war noch die Exegese in festen Händen^ so lange ühland lebte^ 
der sich im Sinne der Anordntnv^ von 1774 als Professor der Exe^ 

gese hielte und iusbi soiuiL-rt- ({atiials allein das alle 'fcstanu iit ver- 
trat^ während am ncuoi sich auch die Collegen betheiligten. JDa er 
aber nach der alten überlebten Weise schleppend diess besorgte^ 
und neben ihm Lebret fast nur noch mit dem Namen figurierte^ 
so lear in den ersten Jahren des Jahrhunderts schon ein Ver- 
fall eingetreten. Während andemHirts die excgetiscJien und hi- 
storischen Studien in Aufschwung kamen^ wurde hier fast nur 
Dogmatik und Moral, und überdiess diese systematischen Fächer 
ßwar von mehreren Personen^ aber doch nur ivic aus einem 
Munde^ vorgetra<^en. Schon äusscrlich ist der Katalog zu An- 
fang des Jahrhunderts ein überaus magerer. 

Nach dem Abgange UhUmds hatte zuerst der ßlngere Flatt 
historische Bücher des alten Testaments, auch jüdische Geschichte 
und Archäologie itberiiomuien. In feste Hand aber kamen diese 
Fächer erst mit dem liintritte Schnurrers. Dieser hatte seine 
ersten Vorlesungen im Wintersemester 1772173 angekündigt: 
über hebräische Grammatik nach Michaelis, ebenso Arabisch nach 
demselben , und Bücher Samuelis, Er war zur orientalischen 
Professur gelangt ^ und auf dieser doch wesentlich ebenso zvie 
der Professor des griechisclien es zu sein pflegte^ Hilfslehrer 
für die theologische Facultät in der Exegese gewesen. Wenn 
er mm nach so vielen Jahren in die theologische Facultät als 
Kanzler versetzt leurde^ so geschah diess ^eeniger auf Cirutui 
seiner theologischen biigenschaft, als zur Erhöhung des verdienten 
Gelehrten und Anerkenrmng seiner vieljäJtrigen Dietiste, Diese 
Versetzung hatte aber für die theologische Facultät eine we- 
sentliche Folge. Schnurrer übertrug in diese Facultät den Vor- 
trag der biblische/! liinleitung oder Kritik der Schriften des 
alten sowohl als des neuen Testamentes y crsterc nach Bauer^ 
und von da cm gilt dieser Vortrag für eine Hauptvorlesung in 



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— 136 — 



der Theologie. Die Einleitung in das neue Testament hat dann 
auch der jüngere Flatt gelesen ^ die in das alte auch BengeL 
Der letztere hat auch wieder den Vortrag der biblischen Theo- 
logie des alten Testamentes hcgonneu, nacJidcni dii hibliscJi-theo* 
logischen Themata ^ die Rciiss aufgebracht hatte ^ wieder ins 
Stocken gcrathen waren. 

Die historisclie Theologie war seit Cottds Tod i$nmer mehr 
vernachliissigf worden. Dass der Professor Gaab in der philo- 
soJ>hisihi n luu'ultät neben allerlei anderen Dingen auch eine 
Art von Kirchen-Geschlibfe und Dogmen-Geschichte laSy konnte 
keinen Ersatz geben. In der tJieologischen Facultät lag sie bei 
der Berufung Bcngefs vollständig brach. Dieser hat sogleich 
mit der alten Dogmeugesehichte angefangen ^ dann auch die 
Kirchengeschichte tJieils im ganzen ( zuerst nach Ständlin^ theils 
in einzelnen Abschnitten^ ebenso besondere Stücke der Dogmen- 
Geschichte^ so dieselbe seit der Refortnation^ nach Planck vor- 
getragen, und allmählich den regelmässigen Vortrag der histo- 
rischen Disciplinen eingeführt. 

Diesem Stande der Dinge gemäss bezeichtuH dann ein 
Bericht der Facultät aus dieser Zeit als die wesentlichen tJieo- 
logischen Wissenschaften, welche öffentlich und regeltnässig 
vorgetragen werden müssen: Dogmatil^ Moral, Exegese, Kirchen- 
nnd Dogmen- (} eschie/ile , Homiletik und Katechetik ^ Pastoral- 
theologie, mit der Bemerkung, dass zur Exegese die allgemeine 
Einleitung in das Alte und Nate Testantent gehöre. Derselbe 
Bericht fasst die sonstigen Vorlesungen y welche privatim ge- 
halten zu werden pflegen, so rjnsammen : liueyklopädie und 
Methodologie , lueitere Jivegetica, specielle Jiinleitung in das 
alte Testantent, Theologie des alten Testamettts, praktische Er- 
klärung neiitestamentlicher Bücher oder Abschnitte, besonders der 
Perikopen, Hermeneutik mit praktisclien Uebungen, vergleichende 
Darstellung der zeiclitigstefi digniatischen Systeme, Kirchenrecht. 

Der Bericht ist in seinem letzten Jheile nicht ganz er- 



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— 137 — 



sdiöpfcnd; aber wenn man auch die Vorlesungsverzeichnisse 
selbst mit den Katalogen der Zeit vön Rettss, Cotta, Sartor ius 

vcrglcicJit^ so cj's^ibt sich doch ^ dass ein Riickß^ang^ und szuar 
wesentlich auf der Seite der Gelehrsamkeit eingetreten ivar. 
Ebenso aber kam es auch wieder su einem Rückschritt hinter 
die Anordnungen von 1774L und 1794 bezüglich der Nominal' 
Professuren^ mit dem Abgai/i^ des jiins^eren Flatt -und dem Tode 
Baurs. Die Facultät bestand jetzt l^Vl aus Schnurrer ^ dem 
alteren Flatt ^ lu in^el y Köstlin. Da Schult rrer und Flatt bei 
ihren Pensen, der Exegese und der Moral, bleiben, der Professor 
der Dogmatik (Flatt) aber durch den Professor der praktischen ^ 
Theologie ( Küsf/in) ersetzt zjar, so blieb nichts itbrig, a/s die 
Dogmatik dem Historiker Bengel zu iibertragen ^ und diesen so 
seiner Aufgabe durch Ueberbürdung zu entfremden. Zu beachten ist 
übrigens hiebei, dass durch Kostlins Beförderung zum erstenmale 
die praktische Theologie zu einer ordentlichen Professur gelangte, 
J)as eiui^etirfeui- Missi'er/ialluiss i'erauiasste aui/i den Ku- 
rator der Universität, von W'angenheim, als Anfangs Isl^ die 
praktische Professur nach der Versetzung Kostlins wieder zu 
besetzen war, darauf aufmerksam zu machen, dass das Bedürf 
niss der Facultät noch ein \eeitcrcs sei^ dass nandicli vor allem 
die seit dem Al^gang des jüngeren Flatt noch nicht genügend 
ersetzte Dogtnatik eines eigenen V^er treters bedürfe, der — so 
wurde rücksichtsvoll hinzugesetzt — darin mit Bengel abwechseln 
könne. Die gute Absicht wurde aber rn einer bedenklichen Weise 
' ausi'c fuhrt. An Kostlins Stelle leurJe der Archidiaconus Dahn- 
viaier von Ludwigsbnrg für die praktische Theologie als vierter 
Ordinarius neben Schnurrer, Flatt, Bengel ernannt. Die weitere 
Massregel aber, die ergriffen wurde, um dem Bedürfnisse der 
Facultät abzuhelfen^ schloss sich an die schlechte (ie:eohuheit 
an, die Diaconi von Tübingen .zur Frgänzung der JäcuUät 
abwechselnd mit den Ephoren des Stifts oder den Professoren 
der philosophischen Faadtät zu verwenden. Wunderlicher Weise 



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- 138 - 



kam man itämlich jeist darauf^ lieber gleich den eben vor- 
handelten Diaconen Professttren als Nebenämter sn verleihen. 

So crJiicltcn die hi idcii Diaconcu Wurm und Stcudcl ah Neben- 
amt je eine onicntUcIw Professur» Wurui sollte die P'\':}natik 
f leben Beiigcl lesm^ Stendel wnrde für biblische Theologie er- 
ftannt. Hiebei ergab sich der eigentümliche Umstand, dass der 
r. zeeite Diaeoitus W'unn im Rau<;e vor den weisen freisinnii^er 
Haltung bei der Regierung uiissliebigen Arcliidiaconus Steudel 
gestellt war, und der den Diaconen als solchen vorgesetzte Dekan 
Minch als ausserordentlicher Professor im Vorlesungsversetch^ 
niss nach beiden stand. Alle Drei haben darüber Vorstellungen 
eingereieht^ mussteii sicli aber beruhigen. Die Stellung der beiden 
Diaconen- Professoren wurde im Laufe des Jahres 1^ l 't dadurch 
vervollständigt, dass bade, IVurtn und Steudel, auch als ausser^ 
ordentliche Mitglieder in die Faadtät eintreten durften, Steudel 
bekam dann, da im folgenden fahre 1810 der Ephortts und 
Professor orieutalium Gaab zum J'rälaten ernaf/nt leurde, zu 
allem hin auch noch, wie er sich selbst in einer Eingabe ausdrückt, 
zur Strafe die Professur desselben an der philosophisclien Facultät, 
und endlich hatte er auch noch sogenannte Auxiliarvorlesungcn 
fiir die sehieaeheren .^titdierenden im Stift zu halten. \ini hätte 
die }'ersetzu//g fies Kanzlers Schnurrer in Ruhestand im fahr 
181s Gelegenlu it zu einer besseren Einrichtung geboten. Die Fa- 
cultät erklärte dem Minister auf dessen Anfrage, dass Schnurrers 
Neutestamentliche Vorlesungen leicht iwn den andern unter sich 
vertheilt 7cerden können , ////' die 1 laupl.mehe aber, das alte 
TestamciU, sei Steudel der gegebene Mann, zeeleher nur dazu 
von seiwm Diaconeit befreit tverden müsse. Aber auch jetzt stand 
die Ungunst Steudels von oben im Wege. Wurm erhielt die 
erledii^te Stelle in der Faeultät unter Fntliebung vom Diaconat, 
Steudel erhielt allerdings das IlauptfaeJi, nämlieh Alttestament- 
liche Exegese umi Einleitung ^ musste aber dabei Archidiacomts 
bleiben. Der künftige zweite Diaconus sollte ihn freilich unter- 



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stützen^ aber seltsamer Weise wurde zugleich ausgesprochen^ 
auch dieser solle wieder nebenbei Docent seiuj und Steudefs 

]yitti\ ihm uu nigstcns die soi^cuiviutcn Auxiliart*orlesungen ab- 
zuuclimcn^ ivurde zunächst in schrojjcr Form nbxr^i'ii'srn; erst 
im Jahre ISIS wurden sie ihm abgenommen^ und dem Diaconus 
Pressel übergeben. Für die Vertheilung der Fächer in der 
Faeultäi aber haften die Verhandlungen über Sehfwrret^s Er- 
Si tzinig das KrgebnisSy dass die exegetische Professur im Sinne 
des vorigen Jahrhunderts aufhörte. Es gab jetzt eine J Pro- 
fessur für das Alte Testament; die Neutestamentlichen Fächer 
dagegen hatte man an die übrigen Lehrer als Nebenfächer ver- 
theilt^ mau nahm von dieser Zeit her (Ui ^ dtrss (tieseli)eu ge- 
vicinsame Aufgabe der l'acultiit srien^ und die einzelnen Mit- 
glieder derselben die Pflicht liaben^ sich durch Verabredung 
darein zu theileuy wobei übrigens die einzelnen nach der Rang- 
folge des Alters in der Facultät die Vorhand haben sollten. 

Im Jahre lölO ist der Professor der praktischen Theo- 
logie^ Bahnmaier^ unfreiwillig aks der Facultät geschieden. Er 
hat seine Stelle nur vier Jahre innegehabt ^ in dieser Zeit aber 
sich verdient gemacht durch die Gründung des Prediger- 
Institutes ^ in leelcJiem die praktische Vehnng der Caudidaten 
durch öffentliche Predigt in der Mdosski reite und muh folgende 
private Censur des Vorstandes veranstaltet wurde, Heber den 
Geist des Mannes sowie die Ziele^ welche er bei dieser Grün- 
dung verfolgte^ kann der nachfolgende einer Aensserung 7'on 
1^1} Uber ide Gesauirseinrichtunis ifes Instituts entnommene 
Satz Aufschluss geben: Da die Hauptsache der l^iidun^ 
des Studirenden zum Prediger (ausser der Erwerbuttg der 
nöthigcn Kenntnisse, welche Fundament und Stoff der vor- 
/.iitraiiciKlcn Uchcrzcui/uinicti werden i , nach meiner Ansicht 
(las ist, (lass der Zögling alimähcli gewohnt werde, das was 
in ihm lebt (nicht zur blossen Uebung in, einer Kunst) und 
soweit es in ihm lebt, vorzutragen, so sollte durch freiwilligen 



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— I40 



Zusammentritt eine Gesellschaft von Studirenden entstehen, 
weiche mit mir und anderen, die sich gerne mit mir dazu 
verbinden, zu einem Cult sich vereinigen, zu dessen Ausiibun'^ 
jedermann der Zutritt offen stehe, der aber nicht blosser 
UebungsplatZ; sondern gemeinschaftlicher Genuss des Evange- 
liums und des Anblicks des in den einzelnen Mi^Üedern sich 
je mehr und mehr entwickelnden, allmältch immer allsciligeren 
rclisi^iösen cliristliclien Trebens und Wirkens werde. Dieser 
Mann nun wurde in iihnliclu r Art wie de Wette ein Opfer 
der EriHordiuig Kotscbiics durch Saud. Da mau öd dieser 
T/tat eine %veit versweigte Verschwörung^ tfermuthetc j und da 
Sand sieh J'^U — 7"» /// Tiibingen nii/i;e/ia/teii hatte, so leurde 
aiieh hier mu h tiei/ Spuren einer solch eii Verbindinig und Jeden- 
falls nach der Kimmung der Studirenden Uber die Saehe 
nachgefragt f und liahmuaier hatte als Rector den Bericht 
darüber su erstatten. Kr erklärte^ dass unter den Studirenden 
sich nichts als Absehen, bedauern und l \ r:en/ulernnj^ iiber das 
J 'erbrechen und die seltsame l erirrung Sands geäussert habe. 
Hiebei glaubte er jedoch hinsu fügen su sollen ^ dass auch die 
Stttdircnden seit längerer Zeit den weittterbreiteten Abscheu 
über Kotsebucs Gebahren in seiner Geschichte des deutschen 
Ju icheSy und den frii'ole/i (?eist dieses Buches getheilt haben, 
eiiun Abseilen, der sie nur ehren kö/ine , der aber keine Spur 
eines ähnlichen Fanatismus wie bei Sand erkennen lasse. Dieser 
Bericht wurde dem König vorige legt, welcher darin die Absicht 
zu erkennen glaubte, das Schicicsal Kotzebne s doch als ein ver- 
schuldetes darzustellen , und daher dem Kector seine Missbil- 
ligung in der Stille durch den Minister ausdrücken Hess. Bahn- 
ttiaier Hess sich nun aber durch ein allzu empfindliches Rechts- 
gefnhl treiben, seine Aeusserung noch einmal stt vertheidigcn, 
und es erklart sich bei der grossen Gereiztheit jener Zeit, dass 
diese ehrlich gemeinte ^ aber ehvas rechthaberische Erividerung 
dem Könige wie ein Jii^gestä/tdniss erschien. So kam es, dass 



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— 141 -- 



Bahnmaicr von der I nh'crsität entfernt und auf die Steile 
eines Dekans in Kirchheim unter Teck versetzt wurde, liine 
Eingabe von TheologiestUdirenden ^ sammt der empfehlenden 
Vörie i: Ufr::: der Facultät hatte unter diesen Umständen erklär- 
licJier Weise /ceiiieii ^i^^ifiistij^en Jirfoti^ fiir liui briiii^eii kininen. 

Die Facultät leurdc zu einer Aeiissenui^i^ iiher iMituiiihriers 
Ersetsuf^ aufgefordert, welche in mehr als einer Hinsicht 
merkwürdige Verhandlungen zur Folge hatte, Füf^s erste wird 
jetzt im ( nterse/nede ji;ej{en friilier als setlfst:'erstäudlieh an- 
genommen, dass es sich nicht um eim'u Tlieotogcn iiberhaupt, 
sondern nur um einen Fachmann, in diesetn Jfalle für die prak* 
tische Theologie, handeln kann. Zweitens ist in den von Steudel 
als Dekan geleiteten Vcrhandluugen das Erfordrrmss des christ- 
lichen Sinnes, «kr L ebcrzeiuHitvj^ von den positiven Wahr- 
heiten des Christenthums, der Zugehörigkeit zur guten Seite 
die Rede, Drittens endlich werdest zum erstenmale seit FörtscKs 
Beruf luii^' tvieder neben verschiedenen ivürtembergi sehen Geist- 
liehen aueh Xiehtieiirteuiberi^er y und ziear Strauss von Rllh-r- 
feld, 'Krumuiaclier von J>enil>urg, Schott von Jetia genannt, bei 
Krummacher jedoch das Bedenken wegen reformierter Confession 
erhoben, ' Die Regierung beschloss auf den etwas unpraktischen 
Berieht hin ein Provisorinni , indem deni Repetenten Sehniid 
vorläufig die Besorgung der praktischen Fächer übertragen 
wurde, für welche er dann lö21 sum ausserordentlichen Pro- 
fessor ernannt wird, mit der Auflage zugleich fiir den alternden 
und kränklichen Flatt zunächst die Moral zu übernehmen. Hiefür 
hatte sieh horiiiens auch der Diaeonns Presset erboten, die 
Facultät leollte aber das Sebenämtcrsysteni nicht fortsetzen. 
Am 24, November 1821 starb Flatt, und es war in erster Linie 
eben das Fach der Moral zu besetzen. Die Facultät versuchte 
zuerst den jüngeren Flatt 7eieder fitr die Universität zu ge- 
Winnen. Da diess niisslang^ wollte sie iTivar den Aujtrag 
Schmids für die Moral fortbestehen lassen, aber es sollte noch 



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— 142 — 



ein sweiter Lehrer sinn Ainvechsehi darin angestellt werden, 
Sic benannte dafür zicci P/arn r, bemerkte aber bei dem eineiig 
er werde es nicht antuhtnen wollen^ bei dem andern, dem geist- 
vollen^ philosophisch gebildeteti Bockshammer^ sie sei über seine 
Kenntnisse nicht sicher nnterrichtet , und trug daher wieder 
auf l \ lh rtrai^iinii- an einen Repetenten Klaiber an^ der denn 
auch gewisscrmassen prchewcisc damit beanftnj<^t leurde. So 
bestand jetzt die FaciUtät noch aus Bengel, Wurm, Steudel, 

— der letctere wurde endlich auch vom Archidiacomt 
entbunden und hiermit erst wirklicher Ordinarius der Faailtät 

— lind den Extraordinarien Dekan Münch und Professor Schmidt 
sowie dem Hilfslehrer Klaiber, welcher am J, Juli 1H2H auch 
zum Extraordimrius befördert wurde. Ausserdem kommt noch 
in Betracht, dass IHlQ an die Stelle ties cum Prälaten beför- 
derten Gaab der Mai^ister 7ai^rr zum l\phoni.\ und Professor 
der biblisch-griechischen. Sprache an der piiihsophiscJicn Pacultät 
ernannt wurde, und durch exegetische Vorlesungen die theo- 
logische Facultät ergänzte. Auch wurde die Hilfsvorlcsung 
über Pastoralthcolflgie 182S dem Dekan Münch abgenodimen 
und dem Arehidiaeonus Pressel iibertrae-en. fn der luielier- 
vcrthcilung der Facultät aber war die Xeueruiv^ einj^etreteii, 
dass ausser der Dogmatik mm auch die Moral doppelt be- 
setzt war. 

So hatte man nun ziear das Stadiuin iibej-ieimden, in :eel- 
chem die Tübinger Diaconi ordentliche Professuren als Neben- 
amt bekleideten, aber man hatte mit den besseren Grundsätsen, 
welche bei deti leisten Vokatiotien ausgesprochen wurden, wenig 
Ertist gemacht Nicht einmal su eitler vollsähligen Facultät 
gelangte man, und die Prgtinrjung geschah durch Aufträge an 
Kepetenteu^ mein- nuf gute Mr-inin^^ hin und zur Probe, als 
mit sicherem Grunde. Und die Facultät hatte aus diesen beiden 
Periodm des Anstellwtgsi^erfahrens Erwerbungen genmcht, welche 
sich als fiir die Dauer nicht zulänglich erwiesen. Sie drohte 



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I 
I 



— 143 — 



immer mehr in Verfall zu kam mm. Iis ivar ein ^i:;anz richtiger 
Blick in die Lage^ welcher Carl Hase die Veranlassung gab^ 
an der Facultät in diesem Augenblick als Prruatdocent aufstt- 
treten und euuii viodeiiuii (itist .zur Ce/lnnj^ zu bringen. 
Aber die l-.pisode seines Äußre te)is war kurz. Im Sommer 
hatte er Erlaubniss zu seiner Habilitation erhalten. Die Facultät 
hatte sich vergebens bemüht seine venia legendi auf solche Fäclter 
zu beschränken^ uwle/ie niemand ans ihrer Mitte lese. Sein 
Gesueli gieni^ auf l 'orlesunj^en iiher Religionsgese/iie/ite , /i.VfXese 
und Aest/iettk, Für das WinterJialbjahr 16241^6 kündigt er 
noch an: philosophische Einleitung in die Dogtnatik der evang, 
Kirche, Eiuini^elium und Briefe Johannis. Wie er aber bald 
darauf ah politiscJier Sfrafi^rfaii^i^ener auf die IVstuut^ lIoJuii- 
aspery; l ersctzt^ dann im Herbst lö:iü zwar öcgnadi<:^t wurde, - 
doch Würtemberg verlassen musste^ hat er uns selbst in Ideale 
und Irrtümer erzählt. 

Zur iiesehichte der J 'orlesuu^i^eu in dieser Zeit i^ehört noch, 
da SS Wurm und Steudcl eiui^n^^c Zeit lang Vor/rsuuy-i-u über die 
wichtigsten Beweisstellen der Dogmatik und der Moral hielten^ 
dass Steudel^ Bengel und Klaiber von 1819 an Vorlesungen über 
Ke/ii^ion und C/iristentuni fiir protista}üische Stiidircnde aller 
J-aeultäten Jiielten, welche zwar noch später durch Kern^ Baue, 
Schmid uttd zuletzt Landerer fortgesetzt wurden^ einen rechten 
Fortgang aber jetzt so wenig wie in alter Zeit hatten^ und dass 
Professor Klaiber mit der Apologetik den Vortrag^ der Relii^^ions- 
Philosophie verband., und feruiT biblisch-theoloi^isehe l'orlcsutii^en, 
SO über bildische Anthropologie und Christolot^ie , und paulini- 
sehen Lehrbegriff eröffnete. Derselbe hat 18J2ö,'J36 auch Vor* 
lesuttgen über Kirchengeschichte Jtach Stäudlin begonnen. Femer 
erseheint seit iN.?.V auch eine thcolo<w'sche Societät mit (ü bumsen 
unter der Leitung der Professoren, welche in beschränkterem 
Masse über zwei Jahrze/iente gedauert hat^ aber neben dem theo- 
legisc/ten Stift nie su rechtem Gedeihen gekommen ist. Wich" 



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— 144 — 

tiger istf dass von 18^4:26 an der Vorlesut^skatahg der Fü" 
cultät die AnJtüiidiguugcn der Repetenten jener Anstalt enthält^ 

wcic/w dadurcJi bald im lursrfitiiclirii ilic Stelle der andcriciirts 
bestehend I II Privatdocenten in freixijiUiger Lchrtlüitigkeit ver- 
treten. In dem genannten Semester war Kling mit Varlesuf^en 
über den Römerbrief anfgetretefu Die Gewohtdteit der Auf- 

nähme dieser l'uriesniigeii in den Katalog ist löoo von der Re^ 
gierung für zulässig erklärt ivorden. 



1826—1877. 

Der am 23, März IK^O eingetretene Tod des ersten Pro- 
fessors Prälaten Bengel wurde die Veranlassung cu einer durch- 
greifenden Erneuerung der Facultät, für welche damit durch die 
Benifitiig von Baiir eine neue Periode nugehroehen ist. Der 
ak'odemisehe Senat erhielt sofort den Auftrags die Facultät zu 
einem wohlerwogenen Gutachten zu veranlassen , wie dieser in 
jeder Beziehung höchst bcklagenswerthc Verlust — zu ersetzen, 
ob hicbci auf die Vocatioii eines ausL^czcichnctcn ausländischen 
Gottesgelehrtcn der Iknlacht zu nehmen, oder die Wahl auf 
die einheimische Geistlichkeit zu beschränken, welche Lehr- 
fächer hiebei vorzugsweise zu berücksichtigen, und wer hiezu 
nach den der Facultät beiwohnenden Personalkenntnissen am 
besten geeii^net sein möchte. Wie umfassend die Lehrtliätig- 
kcit Bengels geicesen lear^ zeigte sogleich der von Stendel vcr- 
fasste Bericht der Facultät^ nach welchem sie Kirchen- ufid 
Dogmen-Geschichte^ Apologetik und Dogmatik^ Alttestametttliche 
Theologie y Symbolik und verschiedene Kxegetica begriff. Von 
diesen Fäehern leollte Steudcl die Dogmatil: und die Alttesta- 
men fliehe Theologie übernehmen; es blieben also die historischen 
Fäclier su besetzen. Die Facultät glaubte eiturpi Mann stulten 



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— 145 — 

8U sollen^ der wie Beugel von demseibigcn Geiste des acht bib- 
lischen Giristenthums, welcher von frömmelnder, sichere ver- 

nünftijj^c Ik'i^Tundunpj vcrsclinKilicndcr Mystik ebensoweit als 
von dem unseligen Streben, das Christcntluiin in das wandel- 
bare Gewand neuester selbsterfundener Philosophie zu hüllen, 
entfernt ist, durchdrungen sein möge. Die Faculiät habe sich 
bisher des vereinten, treuen Fcst/initcns nicht zu schämen f^chabt 
an dem lieber aufbauenden als zerstörenden Streben, die ur- 
sprüngliche Lehre des Christenthums gegen die Angriffe des 
wechselnden Zeitgeistes in ihrem göttlichen Ansehen und ihrer 
die edelsten Bedürfnisse des menschlichen Geistes und Herzens 
allein für den vcrniinfti<(en Menschen j^cniif^end befriedigenden 
Walirhaftif^kcit nachzuweisen. Ihre Stimme pflege aucli^ wie 
sehr sie mit manchen entgegengesetzten Strebungen der söge- 
nannten Hyperorthodoxie so gut als der Neologie im Kampfe 
liegen mochte, als eine achtbare von beiden Seiten behandelt zu 
werden» So scJilng sie in erster Linie Xeander^ weiter aber 
Vlbnam und Böhmer vor. Von inländischen Theologen ^ sagte 
sie, sei zu ihrem Bedauern Nietnand so fiir historische Studien 
bekannt, dass man sofort an ihn denken könne, musste aber dann 
so^^ieich zugeben, dass diess doch bei dem Professor an dem 
Seminar ( Kloster sc Jinle) in Blaubeuren, Ferdiiuxnd Christian 
Baur, der Fall sei. Aber freilich, mit aller Gelehrsamkeit, ge- 
nialem Blick, ausgezeichnetem philosophischem Geiste und scharf- 
siniiii^'er CombinationsLi'ei/h i'ereinii^e derselbe eine Ansicht in 
religiösen Dingen, m m welcher wir uns nicht «getrauen zu ver-, 
gewissem, dass, so hoch der Werth des Christenthums darin ge- 
stellt wird, die ausgesprochenen Ideen mit den lauteren An- 
sichten des Christenthums als einer durch die besondere gött- 
liche Veranstaltung,^ vorbereiteten und den Menschen i^eschicht- 
lich gewordenen ( )lTenl)arun«^ Gottes überall in lunklang zu 
setzen sein dürften. Neben ihm empfahl sie dann die Diaconen 
Schmid und Wurm, den Repetenten Stirm, und drei Seminar- 
Mi 

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— .140 — 



Professoren^ swei Brüder Kem^ und emilich ^ ntit dem Vorsug 
vor allen anderen^ Oslander. Auch wünschte sie, dass statt 

S/t-// 1 /t /s /1/1/1 ein rii^r/Zi'r Professor Oricntaliinn aitgcstcllt wurde, 
der auch an alttcstamcntlicJicn Vorlesungen sich bethciligc/i so//te, 
itnd schlug dafür Jtäitis Mohl und Hassler vor. Dieser Bericht 
war vom TS. Mai 1826. Am 2'». Juli hatte die Facultät eine 

Bittschrift vo/i lUi Sliii/ii ri /zdi /i der l'l/co/ogicy Sc}i//t\ ki'i////i}'gcr 
an der Spitze^ vor zulegen ^ welche dringend um die Anstellung 
Beatus baten. 

Der Minister Schmidlin erkemnte die Wichtigkeit der vor- 
liegenden Frage in vollem Umfange , und Hess sich über die- 
se//>e i'on den Prälaten Siisskind n//d l'/att ein vertrau/ieJ/es 
Gutachten erstatten. Dieses Gutachten bemiUUe sieh ebenfalls 
dantm^ dass der Facultät die bisherige Richtung erhalten werde* 
Ks ist wohl unläugbar von der höchsten Wichtigkeit sowohl 
fiir die religiöse und sittliche liildunf^, als auch fiir den Staat 
selbst, dass das ächte Christenthuni, wie es in den Urkunden 
des neuen Testaments enthalten ist, in seinem Ansehen und 
in seiner unverfälschten Reinheit erhalten, und eine auf ver- 
nünftigen Gründen beruhende Ueberzeugung von seinem wesent- 
lichen Inhalt bei Ungebildeten nicht nur, somlern auch bei 
Gebildeten bewirkt und befestigt werde. Der Glaube an das 
Christenthum als eine göttliche Offenbarung im eigentlichen 
Sinne, welcher die Lehren des Giristenthums darum annimmt, 
weil sie Belehrungen sind, welche Gott selbst gegeben hat, 
ist nicht nur fiir die Ungebildeten eine unentbehrliche, son- 
dern auch fiir die Gebildeten wenigstens eine wichtige Stütze 
des Glaubens an Religion überhaupt, so wie ein sehr wichtiges 
Beförderungsmittel der Moralität Wenn dieser christliche 
Suprarationalisnuis auf vernünftiges Nachdenken gegründet und 
mit der Vernunft in Einstimmung gesetzt wird, so wird durch 
denselben nicht nur die praktische Religion, sondern auch die 
geistige vernünftige Bildung am sichersten befördert, und er 



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— M7 — 

ist diejenige religiöse Ansicht, von welcher nnan ohne Zweifel 

zum l^cstcn der Religion und der Menschheit wünschen muss, 
dass sie praktisch unter den Gebildeten imd Ungebiltlcteu 
verbreitet, und eben desswcgen von den Rciigionslchrern selbst 
festgehalten wird. Als von dieser Detikungsart ahvcichntd 
werden beseichnet: 1. der schwärmerische ]\rysticismus , welcher 
die Offrnhanin^ mit qHnz/icficr W rac/ituHg dt r / V/v//////"/ <"/;/- 
^<7"//> cvlicbt. 2. Der rein tkcistischc Rationalismus ^ der nur 
die Lehren des Christenthums annhmut^ welche die sich selbst 
überlassenc Vermmft sn erkennen vermag. 3, Der pantheistische 
und zuiyJeieJi nivstise/ie l^ationa/isjnKs. Diese in l-'oliie der 
Schellingischen Naturphilosophie L;;cL;cn\vartii:^ besonders durch 
die Schriften des Berlinischen Theologen Schleiermacher ver- 
breitete, und besonders unter der Jugend grossen Beifall fin- 
dende theologische Ansicht lautet zwar den Worten nach sehr 
fromm und m\ stisch, enthalt au< h von der einen Seite einen 
eigentlichen Mysticismus, verbindet sich aber auf der andern 
Seite nicht nur mit dem Rationalismus, indem sie keinen 
Glauben an die Autorität göttlicher Belehrungen durch Christum 
gelten lasst, sondern ist auch consctjucnterwcise fiir die achte 
praktische Religion, ja selbst für die I\uidamente der Moral 
zerstörend, indem sie Gott und die Welt identihciert, keinen 
von der Welt verschiedenen Gott annimmt, sondern alle Dinge 
in Gott, in der göttlichen Substanz selbst cxistiren lässt. 
Keims von diesen Systemen sollte gelehrt toerdcn^ weil die- 
jenigen^ welche solche Lehren amehmen^ in die traurige Alter- 
native gesetzt werden, entweder um des Brodes willen Heuchler 
an hei lieber Stätte zu werden und zu lehren, was sie selbst 
nicht L^lauben , oder wenn sie dazu zu p;et\ isscnhaft sind , ticn 
Beruf aufzukleben, für welchen sie sich 4 — 5 Jahre lang auf 
der Universität eigentlich bilden sollten. Für das Fach der 
Dogmatik wenigstem dürfe zwar kein strenger Orthodoxe, der 
in setner Wissenschaft mit der Zeit nicht fortgeschritten, blind 



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148 

am alten hängt, sondern ein Mann von Geist und Liberalität, 
aber doch mir ein solcher gewählt werden^ der im wesentlichen 

und in tlcr liauijtsache zu dem System des vernünftij^cn 
Suprarationalismus sich bekennt. 

DUss waren die leitenden Gesichtspunkte der Berather des 
Ministeriums. Ihre Vorschläge über die Ergänsung der Fo' 
cultät selbst ivarcn venvickclt und ungenügend. 'Aber in zxvei 
Riclituugen haben sie doeh die Emuignng wesentlieh gefördert. 
Sie konnten nicht umhiny darauf aufmerksam zu machen,, dass 
Professor Wurm^ dessen ganze persönliclu Ausrüstung und An- 
lage ihn von vomlierein nicht für das acadetnische Lehramt 
be.slitiniile ^ der aucJi in die Anforde niiigen desselben tJiatsdili-' 
lieh nicht hineingewachsen ivar^ besser auf ein praktisches Amt 
'verwendet würde. Geschah dieses^ und übernaltm auch Steudel 
an Bengels Stelle die Dogmatik^ so war dornt der Ersatz für 
zwei Stellen zu suchen^ für Dogmatik und historische Theologie. 
Sie glaubten fiir das eine leie für das andere den ausser- 
ordentliehen Professor Klaiber vorschlagen zu können ^ fulirten 
aber gleichzeitig aus ^ dass er in jedem der beiden Fächer von 
cim*m ebenfalls verwendbaren WUrtembcrger iibertroffen werde, 
in der Dogmatik von dem Professor Kern in Blaubeureny der 
zwar fhiher Rationalist gewesen , aber jetzt Suprarationalist 
geworden sei, in der historischen Tlieologie aber von dem Pro- 
fessor Baur, Weil aber die Dogmatik dets wichtigere Feuh 
seif und zugleich weil Baur^s Rieht uj ig Bedenken erweckte, 
wollten sie lieber Kern fiir die Dogmatik und Klaiber für die 
Kirehengesehielite angenommen wissen. Den Vorschlag von 
Neander hielten sie für wumsfUltrbar , den von U Ilmann und 
Böhmer für unerheblich. Nebenbei wurde auch die Frage an^ 
geregt j ob nicht Professor Sehmid, der stvar die Fächer der 
Homiletik^ Kateclietik und Pädagogik tlieoretisih sehr gut lehre, 
auch dem l^rediger-Inslitut ebenso gut vorstclu\ aber selbst prak- 
tisch kein Muster der Kanzelberedtsamkeit sei, für Moral und 



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— 149 — 

Neues Testatnent uttd Symbolik allein vcnwndcty das praktische 

Fach aber an Stinu t^c^^clnii i<.\rdiii si>/If<\ 

Der Regierung miisslc durch alles dieses der mangelhafte 
Zitstand der Facultät zum volle» Bewusstsein kommen^ und es 
ist das Ferdieftst des Ministers Sckmidlin, dass er diesem mit 
ebenso vieler Einsicht als Energie abzuhelfen suchte. J:r konnte 
über Steudel urtheilen^ dass^ Xi'as ihm an he n^or stehendem Talent 
im höheren Sinne abstehe ^ in reichem Masse durch sein ausge- 
dehntes Wissen^ ächte Religiosität^ ausgeseichuete Gewissadiaf- 
tigkeit und unertnitdeten Pflichteifer ersetzt werde. Ebenso schien^ 
dass der Mangel eines gefiil/igen Kanzelvortrages bei Schtnid 
durch seine sonstigen J'orzüge an Talenty Fleiss und Kenntnissen 
aufgewogen luerde. Diese beiden vorhandenen Kräfte xvaren 
also bei der Reorganisation su benutzen^ dagegen schien es nöthig, 
nicht nur Wnrnt zu entfernen^ sondern auch Kiaiber, der doch 
bei allem Eifer sich dem Berufe auch nicht völlig gctvaehsen 
zeigte. So blieb also nicht nur eine dogmatische^ sondern auch die 
historische Stelle frei eu besetzen, und hiefür mussten nach den 
7'orangeL,'-angenen Erhebungen Kern und Baur als die ^i^eeii^neten 
Mäntur erscheinen. Denn in Ansehung des lorschlags von 
Neander^ Ullmann und Böhmer urtheilte der Minister wie seine 
Rathgeber^ wtd liob ausserdem bei Neander noch hervor, mit 
Besiehung auf das Gutachten der Fandtät, welches ihn in Gegen» 
sats zu den Frömmlern gestelll hatte, dass derselbe sehr un- 
praktisch ^ undy (^l>sclion vermöge seines hellen Geistes selbst 
nicht Frömmler, doch sehr dazu geeignet sei, andere zu Frömm- 
lern zu machen; jedenfalls aber würde seine Jocation sicher 
fruchtlos sein. In den obersten Gesichtspun/cten loae auch, der 
Minister der Ansicht ^ dass nur das positive Christenthum, die 
rechtgläubig-biblische Lehre zur Volksreligion geeignet, die 
grosse Mehrzahl der Studierenden aber zu Volksrcligionslchrcrn 
bestimmt und mithin in diesem Geiste zu unterrichten sei. Soll 
jedoch dieser OlVenbarungs^laubc nicht zum blinden Kühlcr- 



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.ISO — 



glauben werden, und nicht durch seine Abgcschmakthcit den 

einen zum Unf^laubcn, den andern zum Mysticismus führen, 
so bedarf er eines Lehrers, der die positive Christusrehgion 
mit den natürlichen und eben darum unumstösslichen Gesetzen 
des Denkens in Uebereinstimmung zu bringen, von dogmati- 
schen Spitzfindigkeiten wie von Auswüchsen der Frömmele! 
rein zu erhalten weiss, eines verstiindij^en l.elirers, von klaren 
Ansichten, ruhigem l-'orschungsgeist, praktischem Sinn für die 
rein sittliche Tendenz der Christuslehre. 

Die Anträg'e des Ministers erhielten die Getiehmti^inig des 
Königs. Wiinii (iusscrtt' sic/i bereitwillig ciitvcrstajidcn mit seiner 
Versetzung, Klaiber aber fiihltc dieselbe als Zwange und ge- 
wamtf da er persönliche Achtung gcnoss^ dafür vielfache Sym- 
pathie, Der akademische Senat erhob dalicr VarstcUmigen in 
seinem Interesse, und wies darauf hin, dass er sich nichts habe 
zu Selinhleii kouimeii lassen ^ was das Missfallen der Regierung 
ihm hätte zuziehen konucii^ dass ihm auch noch in der 2 hat 
kein Missf allen über die Art, wie er sein Lehramt besorgt^ mi 
erkennen gegeben worden, und dass unter solcfien Umständeti 
das l erfahren gegen ihn nur lähmend auf den Eifer anderer 
junger Docenten einwirken könne. Der Beseheid des Ministe- 
riums hierauf erinnerte^ dass eine so in Anspruch genommene 
Unversetsbarkeit akademischer Führer im Gcgcntlieile den Eifer 
solcher Docenten weit eher lähmen als anfachen vtüsste, und 
eine den allseitigen W'inise/ien und Inilürfnissen ents/^reeheude 
Besetzung säuimtlicher Lehr fiie her mehr zu erschweren als zu 
befördern geeignet sei. Er wies darauf hin^ wosu es führen 
müsstCf wenn der Eigensinn oder die Eigailiebe einzelner An- 
gestellten jede den höheren Zwecken der Anstalt Jörderliche Ver- 
fiiguug hindern konnte. 

Die Hauptsaclie war die Erwerbung Baurs für die FacultäL 
Er hat nicht mtr derselben seine ganze grosse Kraft zugebracht^ 
sondern auch in einen veralteten Gedankenkreis den Geist und 



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die Bcstrehufigcn der fortgeschrittenen Wissenschaft einge- 
führt. Kerft war keineswegs^ wie man meinte^ blosser Superna- 

tiii-n/ist, sondern doi liiujiusscn der Philosophie zugänglich 
und ist in dieser Richtung zoesentiich durch Baur's N^ähe be- 
stärkt worden. Aber auch bei Schmid trat eine unverkennbare 
Weiterbildung des Standpunktes unter diesem Einflüsse ein. Iis 
kam neues Leben auf allen Seiten, und dabei bot die Jetzige 
/nsaniniensef :uii > der l-acultal den grossen \ ortlieil . dass die 
verschiedenen Standpuidcte sich, entsprechend der Lage dir 
Wissettschaft^ wechselseitig ergänzten. 

Die Facultät bestand also nunmehr aus: Steudel, Kern, Baur, 
Schniid. Daneben war im Sinne des Jacnltatsantraj^s Julins 
Mohl zum Professor der orientalischen Literatur ernannt, i^'us 
freilich nicht sur Verwirklichung gelangt ist. 

Mit dieser Erneuerut^ des Personalstandes wurde aber auch 
eine Vertheiluno; der Hauptfächer angeordnet ^ in welcher theils 
die ]'eränderunj^en der neueren Zeit vusannnen^i^e/nssty theils 
aber dieselben durch t^eieisse l'ortschritte ergänzt leurden. Die 
ewei Hauptfächer der Dogmatik mit Apologetik und der Moral 
werden doppelt besetzt und alternierend vorgetragen; einfach 
vertreten sind Kirchen- und J )ogfnengeschichte^ ferner Homiletik 
und Katechetik und endlich Alttestamentliclie Exegese. Der Ge- 
sammtvertretung der Facultät überlassen bleibt die Neutestanient- 
liehe Exegese. Alle weiteren Fächer svtd der freien Wahl über- 
lassen; das Kirchenreckt hiebei nicht zu vergessen wird em- 
pfohlen. Auf die gegebenen Personen Bennien diese Fächer 
folgeuilermassen vertheilt. Steudel übernahm die Dogmatik aö- 
wecliselnd mit Kern, die Alttestamentliclie Exegese sollte er ab- 
wechselnd mit Mohl versehen. Kern neben der Dogmatik die 
Moral und ziear diese al>:eechselnd nach dem ersten Plan mit 
Baury an dessen Stelle al)er gleich darauf Schmid gesetzt leurde. 
So blieb Baur ganz auf die historischen Fächer beschränkt^ 
deren regelmässiger Vortrag nun erst mit Um beginnt. Er las 



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— 152 — 



yahmrisc- alnvcc/isc/ud Kin hcn- und DogmcngtScJiichtc. Schmid 
aber hatte die Moral neben den praktischen Fäcliem, Ausser- 
dem ist aber Schmid bald in die eifrige und umfassende Pflege 
der von Klaiber her Übernommenen Ncutestamentlichen T7icoI<{i;ic' 
fini^ftii ti )i^ ivclcJic dann später nacJi scincui Tode von Fhiui\ und 
nach dessen Tod von Lander er fortgeführt wurde. Kern da- 
gegen übernahm neben seinen Hauptfächern unter anderen exe- 
getischen Vorlesungen besonders die Synopse und femer die 
Einleitung in das Neue 'Jestauient, worin ihm später ßaur nach- 
folgte. Mit dem allem lear ohne Ziveifel ein Fortschritt ge- 
macht^ die Facultät selbst hatte aber das Gefüllt^ dass mch 
mehr gescheiten sollte , dass manche Vorlesungen rascher absol- 
viert f Verden j noch weitere gelmlten werden^ und dass nament- 
lich die Kirchen-Geschichte :('o möi^lich in iede/n 7ahre (gelesen 
7verden sollte. Sie gah diesen Wünschen in einem Bericht vom 
^3. Oct. 18M Ausdruck^ der auf eine weitere Vertnehrung ihrer 
Lehrkräfte antrug^ hatte aber keinen Erfolg damit. 

Bis zum Jahre erhielt sich die im Jahre 182G auf- 

gebaute Facultät. l ud als jetzt Steudel starb, hielt sich die 
Faadtät ivicdcr an die Fächcrvertheilung von 1^2G als an eine 
feststehende Norm^ und sie hatte allerdings insofeme keine 
attdere Wahl, als eine Veränderung, welche eine Vertnehrung 
der Lehrkräfte nach sieh gezogen hätte, damals ohne Aussicht 
war. Iis sollte also nach dem Gutachten vom 10 27. Nov, 
1837 ein Mann gewonnen werden, welcher DogtuatiU und Alt- 
testamentliche Theologie vertreten könnte. Die letztere, sofernc 
sie Steudel in der Faadtät allein gehabt hatte, schien das wich- 
tigere. Aber man lear der Meinung^ dass ein dogmatiscJi ge- 
schulter Mann sich leichter in das Alte Testament einarbeiten 
werde, als umgekehrt» Von Ausländern glaubte man absehen zu 
sollen, weil man ausgeseichmte doch nicht gewinnen werde. Von 
Inländern tvnrdcn Massier^ f^^^pffi Dettinger^ Gehler, für das Alt- 
testamcntliche Tach gut prädicicrt, dock wegen der Dogmatik nicht 



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— '53 — 

anp fohlen. Auf der anderen Seite^ mit Rücksicht auf die Dof^ma- 
tik\ 7vurdei/ OsiniK^er^ Kiiu^ und Sc/inei/y:enönri^er ^enannt^ 2cirk- 
iich vorgeschlagen aber nur Elwert^ damals Professor in Zürich^ 
und Domer , der Repetent in Tübingen war^ eigentlich aber nur 
dieser, da Ehverts Gesundheitsumst'dnde ein Hindemiss bildeten. 
Dorn er :eiirde denn nncJi zum Jixtnioniinirrins ernannt. Zur 
Empfehlung beider Männer war ^^esai^t worden^ dass sie eine 
von den einseitigen Extremen freie Richtung in der theologi- 
schen Wissenschaft haben. Domers Lehrauftrag tvar der 
Sfendefse/ie; nur :ear von einem Alr.oeihseln im alttestament- 
liehen FacJu\ 7oie es seiner Zeit zwischen Stcudel uml Mohl 
geplant war, jetzt nicht die Rede, 

Doch ist eine Ergänzung in dieser Richtung bald einge- 
treten. A/s MoJd sticht von Paris surüekkehrte, hatte man .zu- 
erst dureh einen Auftrag an den Repetenten FronmiiUer^ und 
da dieser ablehnte ^ an den Repetenten Kapff Aushilfe gesucht; 
im Jahre 1S35 aber hatte die Regierung die Unterstützung der 
june;en protestantischen Theologen Wolf und Oehler^ sowie des 
Katholiken Welte zur .lusbildnni^ für dieses J'aeh empfohlen. 
Welte aber wurde anders verwende t^ Holf zog sich zurück^ 
und da auch bei Oehler die Lage noch nicht reif zu sein schien, 
das Fach aber nicht länger unbesetzt bleiben sollte^ stellte der 
Senat am Jan. Is.'is Antra^i^, den kiir.zlieJi von G'öttingcn 
entfernten Heinrich Eivald in die philosophische Pacultät zu 
berufen. 

Die Neutestamentlichen Fächer hatten die Mitglieder der 
Facultät nach bestehender Gewohnheit wieder unter sich Ver- 
th eilt und (Hess 70a r die W ranlassung^ dass Haiir bald darauf 
das Johannisevani:;eliuni übt r nahm. Wie damit für ihn selbst 
eine Epoche seiner Entwicklung eintrat, so ist von da an auch 
die Facultät für länger in eine kritische Zeit eingetreten. 

Domers Funetion an der Facultät :ear von kurzer Dauer. 
Im Februar löoU erhielt derselbe eimn Ruf nach Kiel und 



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— 154 — 



gleich darauf nach Rostock^ und obwohl die Faadtät und der 
Setiat auf seine Beförderung sum Ordinarius antrugen^ lehnte 
das Ministerium doch dieselbe mit Hinweis auf die kursc Zcit^ 

seit icclchcr er erst Kxtraordinarius sei^ (ib. Kr liatte bei dem 
Vortrag der Dogmatik der herrsclunden Strömung gegenüber 
allerdings noch mit Schwierigkeiten su kämpfen gehabt. So 
war also die Steudetsche Stelle sunt zivntenmale erledi^i^t, die 
Sc/i7i'ierii^keif der Pu-setziiiii:^ aber lear nie fit kleiner^ sondern 
nur grösser i^^eioordcit. Pie drei Mitglieder der lurndtiit, Kern, 
Baur^ Schmidt hatten sich bei sehr auseinandergehender Richtimg 
das erstemal noch in der Anerkennung der Befähigung Dortters 
als einer Art i'on ueulraler Mitte zu^sdiii i;iengefiuidcn. Diese 
sollte nicht zum zweitenmale i^^eliiigen^ so sehr sich auch der 
Mann der Vermittlung unter ihncn^ nämlich Kcrit^ dartan be^ 
nuilite. Auf Grund mehrfacher Verhandluttg kam stvar ein 
Beschluss su Stande; aber das von Kern verfasste Gutachten 
war ein (^eineinsaines nur soieeii es unpreihtisehe Mö^lielikeiten 
bcspracJi. Auf den 7e irklichen Schlussantrag vereinigten sich 
nur Kern und Schmidt Baur gab seine Aftsicht als Scparatvo- 
tum ab; und da dieses Entgegmttigen herausforderte, die beiden 
Mitglieder der Majorität aber selbst wieder in ihrer Bei^riin- 
dung und ihren letzten Zielen auseinandergiengeny so legte aueh 
jeder von ihiun eine besondere Erklärung bei; das Facultäts- 
gutachten war also von ebenso vielen Sondererachten begleitet^ 
als die Faadtät augenblicklich Mitglieder hatte. 

Das CiiitacJiten vom .L^.V. Mai IXV/J hielt leiederum an der 
]\'rbindHng von Doi^niatik und Alttestanuntlieher 'l'htoloi^ie fest; 
doch sollte auch jetzt erforderlichen Falles die Dogmatik das 
entscheidende Fach sein. In erster Linie wurden mm fünf Aus- 
länder mehr oder weniger rühmlich charakterisiert^ aber zu^i^leich 
für unerreielibar erklärt: Xitzseh^ Lueke ^ Ilarless^ Iholuek, 
yul. Müller. Sodann lourden (nifi^eführt die Inländer mit In- 
begriff der im Auslände befindlichen : Oslander^ Schncckenburger^ 



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T * ^ 

— I35 — 

Klinga Stirffi, Froiimiillcr^ lloffmann^ Märklhif Binder^ iMndercr^ 
Ochlcr. Der Schhissantrag lautete auf Stirm umi Oehlcr. Und 

iias cutschi'idiiulc Motiv ivur^ dass besonders in unserer Zeit, 
welcher Versöhnung der W'issenscliaft und <!( - 1 irclilichcn 
Lebens frommt, jedenfalls an der ICinheit des idealen und 
historischen Christus in der Person Jesu, und was damit zu- 
.samnicnhän*(t, fest/Aihaltcn und hicnach die Glaubenslehre vor- 
zutragen nüthweiuliy ist. Dcgcgcn stellte Ikxnr seinen beson- 
dere» Antrag auf Märklin, 

Baur unterzog das gesaminie Gutachten seiner Kritik umi 
tadelte von vornherein die Aufnahme von Jul, Minier^ als einer 
7\7<KsSi' i'on 'jyiro/o^^\-n zuj^chörii^^ welche, um das Schleier- 
macherische System dem Kirchlichen conform zu machen, 
die strenge wissenschaftliche Haltung und Consequcnz des 
crstcrcn aufopfern; ebenso von Harless, als eines Mannes von 
ziemlich beschr;in]:tem Streben und von '^ro-^se^l j^olemischcm 
Kifcr für das sogenannte orthodoxe System, auch in solchen 
Bestimmungen/ deren Aufrechterhaltung kaum auf dem lioden 
der confcssioncllcn Polemik von Werth sein könne. Er etn^ 
Pfahl den Diacotius Miirklin von Caltv wegen seiner ihm ganz 
ih'sondrrs bckaiuitoi übrigens auch durch mehrere Schriftoi^ 
darunter seine DarstcUuni:^ und Kritik des modernen Pietismus 
bewährten wissenschaftlichen Tüchtigkeit. Aber auch in Betreff 
seiner theologischen Richtung; und hier wurde das Votum zu 
einer beredten Apologie der modernen philosophiseh-theolo^tiischen 
Sjfeeu/ation, icelchr nur ungerechter 11 'eise a/s eine lediglich 
negative bezeichnet tverde. Alle gebildeten utui billig denkenden 
Theologen müssten zugeben, dass das kirchliche System in der 
Form, in welcher es als Ueberlicfcrung früherer Jahrhunderte 
auf uns «gekommen ist, den Anforderungen der W issenschaft 
unmöglich mehr L^cnügc, dass also fiir dasjenii^c, was immer 
der wesentliche und unwandelbare Inhalt des Glaubens bleibt, 
den von seiner zeitlichen 1*'orm wohl zu unterscheiden ist, im 



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— 156 — 



ganzen und einzelnen eine neue Vermittlung des Bewusstsetns 
gesucht werden muss. Hat die neuere Speadatian diese Auf" 

gaht\ so icini aucJi durch sie tiii Gcscliiclitc zu ilircni Kcclitc 
kouiiiuu^ aber frei Hell nicht einseitige sondern nur so^ dass auf 
gleiche Weise auch der Idee ihr im Wesen der Vernunft nicht 
minder begründetes Recht zu Tlieil wird. Dieses Streben ist 
an sich so weni^ venverßicJi, dass es vielmehr so alt ist als 
die cliristliclie Kirche selbst; und alles insbesondere^ ivas die 
protestantische Kirche als ihr heiligstes Interesse festhält ^ ist 
von ihr mir auf diesem Wege errungen worden. Je schroffer 
mm die Gegensatze in der Gegenwarf hervortreten und je 
ernster damit die Lianrse Aii/i^^abe gcivorden ist, desto i^'eniger 
soll das Lehramt der Dogmatik in die I lande solcher gegeben 
werdeuy xvelche zu der neueren Wissenschaft sich keine artdere 
Stellung SU geben wissen^ als mir eine polemische und negative^ 
oder wenn sie auch ihren Vortheil dabei finden, von ihr für 
ihre Zieecke Gebrauch zu machen^ doch immer nur soi^'eit mit 
ihr gehen, um auf dem entscheidenden Punkt, wo ein wissen- 
schaftliches Resultat gesogen werden soll, ihr um so entschied 
dener wieder entgegensutreten, Dass aber atidererseits nicht die 
leicht mögliche Einseitigkeit und Schroffheit in Verfolgung der 
speculative/t Richtung sich geltend mache, dafür sollte der mass- 
volle und besonnene Charakter Märklins bürgen. Eine besondere 
Empfehlung seiner Wahl wurde endlich damit gegeben, dass 
die mehr kirchliche Richtimg schon in der Facultät vertreten 
sei, und daher die Jiln/uhrung der freien s/*eculatiren in 
der That nur eine richtige Ausgleichung bringe. Von denselben 
Gesichtspunkten aus, von welchen er die Wahl Märklitis em- 
pfahl, /tat Baur andererseits gegen Oehler, und gegen Hoffmann, 
der sivar in dem Antrage nicht aufgenommen, aber in der Be- 
rathung emp fohlen war, gesf^rochen, soterne nämlich beide einer 
kirchlichen Partei angehören, welche zwar neuerdings mit ihrem 
Partei-Interesse sich auch in der Wissenschaft sehr geltend su 



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— 157 



machen suc/iCy aber auf diiii LcJirstuJiU- der JJogniaiik besonders 
eznctt für das freiere wisse nse haß liclw Streben wigüiistigen Ein' 
fluss befürchten lasse ^ da ihre Richtlinie eigentlich und ur- 
sprünglich nicht von der Wissenschaft ausi^ehe, sondern viel- 
uiihr, S(>iudd t s sich um das rein leissenschaftliche Interesse 
haiuiU'f die natürliche Gegnerin der Wissenschaft sein müsse. 
Gegen Oehler insbesondere wendete er ein^ dass trotz des Bei- 
falls der von ihm als R p tent gehaltenen Vorlesungen und be- 
sonders der l'oriesuftg über alttestanientlicJte 1 heoh^^ie ^ mit 
•welcher er bei dem raschen Abgange Dorners beauftragt icorden 
war^ das Urtlieil über ihn noch nicht feststehe^ und in jedem 
Falle noch nicht durch öffentliche specimina begrümlet sei^ gegen 
Hoffmann aber^ dass bei aller Vielseitigkeit^ Gewandtheit und 
Juteri^ie ein eii^'-ent/iches Talent Jiir die Wissenschaft bei ihm 
nicht SU finden sei. Auch für Stinn konnte er sich nicht er- 
klären^ der an philosophischer Bildung jedenfalls hinter Märklin 
stehe j und auch als Lehrer der Do^^matik vielleicht nicht die 
fiöthige Entschiedenheit nud Se/bststnndii^keit für einen rein 
wissenschaftlichen Standpunkt haben dürfte. 

Wie Baur gegen Oehler und Hoffmann, so erklärte sich 
Schmid gegen Märklin und Binder, Er suchte aber in seiner 
Erklärung vor allem das Recht dafür zu zeigen^ dass man bei 
der Jn'set.:nni^ dieses theologischen Lehrstuhles nicht blos auf 
Talent und Studien^ sondern auch auf die theologische Richtung 
sehe, und zwar auf eine solche, welche den Zusammenhang mit 
dem Leben bet^ahre, Diess komme bei jeder Wissenschaft in 
/vv?<,T, i:;anz vorziii:;lich aber bei der Theolo^ie^ bei welcher die 
wissenschaftliche Denkweise in besonderem Masse die I'ührung 
des praktischen Berufes und das entgegenkommende öffentliclte 
Vertrauen bestimme. Die Universitäten dürfen keine Rieh' 
tuug //A;C'7/, welche sich mit dem Leben entxiveie. Die hier 
iii L'rage stehoide Richtung sei auf den deutsche// iniversi täten 
fast überall ausgesclüossen^ man habe trotz der Grossart igkeit^ 



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mit welcher die Heget sehe Specidation in der Philosophie 
EpocJu gemacht^ erkannt^ dass die unbedingte Asnvendutig des 
Systems auf die Theologie in allzu wesentliche Widersprüche 

mit dem biblischen Christenthum und mit den IWdiirfnisscn 
der praktischen Religiosität vcnvicklc. In Witrtcmbcrg führe 
der Bildungsgang der Theologie^Studirenden dieselben schon 
vorher so tief in das Studium der Philosophie^ dass um so 
mehr dir \'ortr<ii:;dirtIiio!oi:;iscliiu]A-JirfdiJur dir selben in dns 
geschichtliche Christenthum einführen sollte. Die würtember- 
gischen Gemeinden verlangen^ ivie sie historisch gewordett, jetzt 
im Gänsen keim andere als eine biblisclie Verkündigung des 
Christenthutns, der stark vertretene Pietismus könne mir durch 
eine solche in den Sc/iraiiken der Kirche erheilten "werden. 
Schmid erklärt^ sieh dem Vorschlage Stirms anschliessen zu 
können, Nitssch utui Julius Müller würde er vorschlagett^ wenn 
Aussicht auf ihre Gewitmung wäre. Bei IMcke^ Harless und 
Kling ist er nicht ebenso sicher^ icelchcn l^rfolg ihre Wirk- 
samkeit in Tiiöingen iiaben würde. Wenn es aber nur iibrii^ 
bleibe^ Männer vorzuschlagen^ welche erst Dogmatiker werden 
solleUt so gibt er dem Repetenten öehler den Vorzugs erklärt 
jedoch auch Hoff mann flir befähigt. 

Kern endlich rechtfertii:;t in seiner Sondererkliiru)i\^ die 
1-orderuitg der Einheit des urbildUchen und geschichtlichen 
Christus als seinen loissenschaftlichen Standpunkt^ und bezieht 
sich für sein Votum zu Guttsten Oehlet^s auf dessen wissen- 
schaftliches und Lehrtalent ^ sodann auch dar an f^ dass seine 
pietistisehe RiehliDii;- he/neswei^'S eine nnfreie sei; er habe friiJier 
eitu: Le!n s!rUc am Missionsluiuse in Basel auf Steudel s JSetrieb 
gerade cUsswegen iibcriwmmen^ weil dieser ge^ciinscht^ dass 
durch ihn in dieser Anstalt die Einseitigkeit gemildert und 
ein freierer Geist gepfla)izt werde. 

An diesem Streite der Meinungen betlu'iiigte sich nun die 
ganze Universität, Hin Antrag im Sifttu* Baur's wurde 



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- 159 - 



abgclchtit. Der Bcschluss gicng dahin ^ weder Märklin noch 
Oehler vorzuschlagen ^ sondern allein Stirm^ dabei es aber dem 
Ministerium gtt überlassen, ob dasselbe ehva in erster Linie 

ciiii-ii 1 \'rsuiJi bei Xitzsc/i niacJii'u 7coIh\ Am An^i^iist /n.V/^ 
t rwidertc das Ministerium ^ dass Xitzsch und Stinn abgelehnt 
haben; man habe ferner auch bei Ulltnann über dessen etwaige 
Geneigtheit angr/nv^t^ und eine absehl({i^ij^e Anttoort erhalten. 
Es Jiatti eben niiuiand von der l'ennittlun^i^st/ieoloj^ie Lust, sie/i 
in diese Gegensätze hineinzustellen. Das Ministerium forderte 
neue Vorschläge^ und wies darauf hin^ dass man ja bei lilwert, 
der zum sn^eitenmale der Facultät seifte Gesumiheit eingeivendet 
hatte, noch einmal in diesem Betreff' nachfragen könnte. Dieser 
Wink :ear massi^u bend in der allgemeinen l erlegenlteit. lilicert, 
der jetzt nicht melir Professor in Zürich^ sondern Pfarrer in 
Krozingen in Würtemberg war^ sum drittenmale befragt ^ Hess 
sich obwohl unter verschiedenen Vorsichtsmassregeln zur Zusage 
be7i'egen, und wurde ernannt. lir :ear ein ^^eleJirter Mann, für 
die Pacultät konnte er ein l \ reinii^ungspunkt werden. Doch 
nicht bloss seines trefflichen Charakters sondern auch seiner 
wissenschaftlichen Billigkeit wegen. Aber die getroffene Aus* 
knnft hatte nieht Zeit sich zu bc^vährcn. Elwert hat im Sonnner 
1h40 nur einen kurzen Versuch gemacht, seine J-'unctionen zu 
übernehmen y und musste sich .schon im Herbst dieses Jahres 
Krankheits halber wieder zurückziehen. 

Nun war im Sommer 1S40 Eduard Zeller, welcher bisher 
als Repetent am tIuoloi:^iSihe)i Stift mit <^rosse}n Erfolj^e Vor' 
lesungen gehalten hatte, von dieser Stelle .zuniekgetrrten und 
hatte sich als Privatdocent an der theologischen Facultät habi» 
litiert. Es war ein gegebener Auswege dass man ihm den Auf- 
trag gab , statt Ehvcrts die Dogmatik zu lesen. Aber als im 
Ju briiar U die Paeultät sieh iiber die definitive Besetzung 
ti'iederum äussern sollte, hatten sich die Sc/n^'ierigkeiten nur 
verdoppelt, Diessmal kam ein Gutachten durch die Vereinigm^ 



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I 



— i6o — 

von Kern utul Bmr zu Stande^ isfclchcm Schmid ein Separat- 
Votum t iifi^^<xcnstellte. Das von Banr verfasste Gutachten a' « 

dixvon aiiSf </(?ss die i^^ri^tincarti^c La^c der Tlwoloi^ic nur dcni- 
jrnigen zu Ih Jicrrschoi luoglich sei, welcher eine gründliche 
plulosophische Durchbildung fiir sich habe^ und lehnte aus diesem 
Grunde die zur Sprache bekommene Berufung von Lücke oder 
üllmann ab. Um die /''rage zu verein fachen ^ ivurde vorge- 
schlagen^ die Alttestamcntlichc Theologie dureJi l ersetznng Eivalds 
von der philosophischen in die thcologisclic hdcultät su x*ersorgen. 
Die Besetztmg des dogmatischen Faches aber sollte aufgeschoben 
werden, bis Zeller, der mit grossem Beifall eben gehört werde, 
sieh in diesem 1-ache nueh literarisch ausgebe iesen Jiabe ^ da 
alles schon jetzt bei ihm Leistungen versprecJie^ leelcJie über 
das gewöhnliche Mittelmass akademischer Lehrtüchtigkeit um 
ein bedeutendes hinausgelien werden. Diesen Aufschtb hatte 
noch Kern im Berichte besonders damit motvincrt, dass man 
doch nicht jetzt schon auf unverbürgte Geriichte hin iverdc 
über Zellers theologische Richtung aburtheilen wollen. Allein 
Zeller Jtatte seitte Richtung mit voller wissenschaftlicher Offen- 
heit ausgesprochen, Schmid erklärte es daher als notorisch, 
dass derselbe \ oii ücin neuesten spcciilati\ cii S) steinc eine 
uneingeschränkte Anwendung auf die Theologie überhaupt 
und auf die Dogmatik insbesondere mache. Er wies auch 
jetzt wieder darauf hin^ dass gerade die Tübinger Studt- 
renden der Theologie vermöge ihres vorausgehenden philo- 
sopJiiscJien Curses a)i das theo/ogisehe FaclistUiiium meist sc/ion 
mit ei)ier mehr oder iceniger ausgesprochciwn Vorliebe fiir die 
Hegersclte speculative Philosophie herantreten und es daher 
nicht rathsam sei, einen Mann zu wählen, welcher selbst inner- 
halb des spcculativcn Gegensatzes gegen das biblische Christen- 
thum stehe, sondern vielmehr einen solchen, welcher es sich 
zur Aufgabe mache, den christlichen Glauben wissenschaftlich 
darzustellen und zu rechtfertigen. Man müsse elften Mann 



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— i6i — 

suchen^ roclclicr GlauhiH und Wi^isrn auf c 'uh ui a)uli'ni Wege 
als dou j( UtT Philosophie i i rmitteln lehre, lir leies auf die 
peinlichen Collisioncn hiti^ ivclche er als I^itcr der praktischen 
Uebungen des Predigerseminars beobachte ^ wenn Studirende 
nur die schwere Wahl vor sich sehen , entweder die wcsent- 
Hchsten Lehren j^ctlisscntHch und im Widerspruch mit dem 
ihnen vorliegenden Texte zu umgehen oder umzugestalten, 
oder die dem jugendlichen Charakter doch so natürliche OfTen- 
heit und Geradheit schnöde zu verläugncn und ^^cradczu i^ei^^en 
ihre eigene Ueberzeugung zu sprechen. Seine rerso)iaian!nti;e 
giengcH davon aus, dass man einen Mann suchai solle ^ der 
niclU jetzt erst die academische Laufbalin betrete ^ sondern der 
sich in derselben bereits bewährt habe. Er schlug von Wlirtem- 
berj^ern neben Kling und Inck besoudns Dornev i'or, von an- 
dern wieder Müller^ Uarless^ Lücke und i llniann. Der Antrag 
des Senates schloss sich ganz an das Schmid sehe Separatvotum 
an. Die Aufgabe des Dogmatikers wurde dahin bestimmt: 
nach Kräften dahin zu leirkeu, dass eine aufgeklarte Kcligions- 
kenntniss verbreitet leerde^ aber en iverde dieses nur so lange 
können^ als er mit der Kirchenlehre in den HauptpuMen einig 
sei; im entgegengesetzten Falle werde seine I^hre nicht allein 
Argrvohn und Misstranen hervorrufen^ sondertt eben damit auch 
die Andersdenkenden zu einem um so sehrofj'eren Festhalten an 
ihren Meinungen veranlassen^ und er werde vermöge dessen der 
waJiren Aufklärung nur entgegenwirken. Hierauf hat dann 
Baur seinerseits als Mitglied des Senates noch ein Separati*otum 
beigelegt^ lee/ches leesent/ieh gegen das Schmid' sehe gerichtet 
war, und seine Stellung mit grosser Lebhaftigkeit vertheidigte. 
Vor edlem suchte er zu beweisen ^ dass es sich bei Schmid s 
Angriff nicht bloss um die Hegel sehe sondern um die Philo- 
sophie überhaupt handle. Habe man doch früher mit denselben 
Gründen gegen die Schleierniac/ier\sche Theologie sich ge^uehr/, 

und selbst gegen Llwert desswegen Bedenken geliabt. Die phi- 

11 



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I 



— 102 — 



hsophischc Richtung aber habe mhtdcstcns ihr gutes Recht und 

ihren /listorisr/ii'U Inhit ii uclhii der aiiiii rtii. Mtiii i'irldii^i^c cuu- 
Vcnnittlung von Glauben und Wissaif aber gleichzeitig die 
Rechtfertigung des Glaubens^ so dass diesem von vortthcrein 
ein absolutes Recht vor dem Wissen gegebett werde , wtd das 
letztere nur dazu dienen solle ^ jenem eine logische Form zu 
geben. Man spreche dabei von dem Glauben als von e/wns dem 
Wissen gcgeftUber feststehenden. Wo dem dieser Glaube zu 
findend In der Bibel? Es sei doch atierkannt ^ dass sivisehepi 
Dogmatik und biblischer Theologie ein grosser Unterschied ist. 
In den syinboliselien Jyitcheru: Die l 'ei ireier Jeui r I'orderNHi^ 
luagen das selbst nieht zu bejahen. Der wahre Inhalt des 
Glaubens ist fiir die protestantische Dogmatik keifte abgemachte 
Sache, Wer Protestant sein will, darf sich auch nicht weigern^ 
das Kreuz der protestantischen DoL^matik auf sich zu nehmen» 
und dieses Kreuz besteht darui^ dass die prolestantisehe Jh]}^- 
matik sieh nur dureh die ^rössten und verschiedenartigsten 
Gegensätze hindurch arbeiten kann^ dass man dem Zweifel 
auch sein vollstes Recht la^en muss, um ihn in seinem tiefsten 
Grunde überwinden 7x\ können. Mit aller Schärfe erklärt sich 
dann /»aur dage^i^en, dass man dem Lehrer^ von leelehem man 
die speculative Bildung verlangt ., doeh die Grenzen ihrer jbi* 
Wendung von voriüierein z*orschreibe. Auf diese Weise werde 
eitu* Halblieit und Unfreiheit des Geistes gepflanzt y bei welcher 
es nothwendig an aller productiven Kraft^ an aller leahrhaft 
anregenden Ihätigkeit fehlen miisse. Das eben sei das Wesen 
der riiilosophic, darin bestehe ihr Geheimnii»s, dass sie Lust 
und Liebe zur Sache wecke durch das Eingehen in dieselbe 
mit dem Denken, wodurch sie für den Geist nieht mehr ettuas 
äiisserliehes und fremdes bleibt, sende j'u sein inneres ivird. Hin 
Lehrer y der nicht mit Leib und Seele , mit dem ganzen freien 
Interesse seines Geistes bei der Sache sein darf^ die er vor- 
tragen sollf von welchem man voraus weiss, dass er durch 



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- 163 - 



gewisse Rücksichtctt gebumicn ist^ könne attch keinen Eindruek 
auf die Zuhörer machen. Endlich bestritt Baur bei dieser Ge- 

liX^iifiiit diicJi f^riTcu Siliulid. (/(ISS t/i<- :'oii dicsiiii vor'^i'braclitc 
lui)erzvn!^u>ii;s-C(d/ision bei tfcr Predigt spcculatii i r Tlicohigcn 
nnvemteidlich in der Saciw selbst liege; er berief sich auf die 
von Schmid selbst anerkannten Predigtleistuttgen junger Tlieo- 
/(\i^rn (iii\<.'r Rii/itnng, Ihi jener l'oraussctzung auf einer 

ganx unbegreifliehen Kunst der lleueJielei berjtlien miissteii. lir 
wies den Angriff auf seine eigene Prcdigtthätigkcity welcher 
darin liege ^ als ein höchst einseitiges Urtheilj wie er es milde 
bezeichnen wollen zurilck. 

Die Regierung idu-r uuu Jite nach dem Antrag des Senates 
vergebliche Berufungsversuekc bei Lücke und Müller ^ gicng 
dann aber auf den Archidiaconus Landerer in Göppingen ein^ 
dessen Schmidts Votum gedacht Itatte, und bei wiederholter 
In rathung der lunnllat und des Senates lenrde auf Um der 
Antrag gestellt, /.anderer zögerti Anfangs^ weil er nielit wider 
den Willen der Facultätsmehrheit eintreten wollte^ gab dann^ 
von Baur hierüber beruhigt^ nach^ Hess sich aber die Bedingung 
gewähren, dass er jederzeit wieder zurücktreten dürfe. 

Naclideni die Berufung Landerers entschieden war, wurde 
auch der Antrag in Hctreß Ewald' s genehmigt^ und dieser in 
die theologische Facultät versetzt. Die Faatltäl bestami also 
jetst aus KerUf Baur, Schmid, Ewald und Landerer; der 
letztere :ear niear zunäe/ist zum lixtraordinarius aber sugieie/i 
zum Mitglied e der Faeultät ernannt. 

Am '6, Februar ItldJH starb Kem^ und mit der Frage seiner 
Ersetzung drohte der ganze Zwiespalt wieder auszubrechen. 
Bei der Berathung waren wieder mtr drei Männer in der 
l-'aeultät tliatig, da Landerer dureh seine Stellung von der Be- 
rathung der Pcrsonalfragen noch ausgesehlosscn war. Neben 
Baur und Schmid stand jetzt Ewalde wie früfter Kern, IM 
indessen Baur nicht mehr versuchen konnte^ einen Mann seiner 

11* 



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— i64 — 

Richtung vorsuschlagcn y kam n'cnigstcns insoweit ein getncin- 
samcr Antrag su Stande^ dass sivei Personen von der ganzen 
Faadtät T^orgeschlagen wurden^ nämlich Professor Beck in Basel 
und Dorne r in Kiel. Jiaur und Ivwn/d j^^aben hiebe i dem er- 
steren den ]'orzus; ^ vor allem weil die doppelte Besetzung des- 
Faches der Dogmatik nur dann ihren Zweck erreichen könne^ 
wenn dadurch eine getvisse Mannigfaltigkeit des Vortrages er- 
stell tverdc; Domer und Landerer aber seien steh in der 
Kichfuui^ zu ähnlich. Ausserdem hoben sie bei Beck neben dem 
wissenscliaftlichcn Sinn besonders die Originalität und Selbst- 
stätidigkeit hervor. Endlich auch kam ttach in Betracht^ dass 
der SU enienne9ide vielleicht praktische Fächer übernehmen sollte^ 
leo.iii wiederum Juck besonders zu tnujroi schien. Schmid war 
anderer einsieht. Er xoollte Dorner in erste Linie stellen^ leeil 
ihm wie früher so auch jetzt dessen vertraute Bekantitscltaft 
mit der neuesten philosophiscliefi und theologischen Speadation 
besonders tvichti^i^ schien. Die Aehnlichkeit xwischen Domer 
und Lauderer schien ihm nicht so j^ross, da eben Dorner mehr 
die speculativCf Landerer mehr die historisch-exegetische Rich- 
tung eingeschlagen habe. Der academische Senat schloss sich 
auch diessmal den Anträgen von Schmid an^ und dem^emäss 
ergicng auch eine Vokation an Dorner in Kielj die sich jedoch 
zerschlui^: Die Regierung veriaui^te hierauf^ ehe sie sich über 
Beck entschied^ auch mch ein GutacJUen über Hase in Jena^ 
die Facultät gieng aber darauf nicht ein^ weil die Behandlung 
der Dogmatik durch Hase bei der eigentümlichen Bilduni^s n^eise 
der hiesigen Theologen den lirfolg nicht sicher erscheineu lasse. 
So kam es denn doch, wesentlich durch Baurs Bemidtungen, zu 
der IknifuMg Becks ^ bei welclicr GelegetUieit dann auch Lan- 
derer sinn ordentlichen Professor vorrückte. 

Ehe noch Beck in die Facultät eintrat^ im Dezember 
gab ein Ministerialerlnss zu l 'erhandlungen iiber die Lacher- 
i'ertlu'ilung ^bdass, ivelchc mch ihrer saclUichen Seite Erwä/umng 



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- lös - 



verdienen. Der Steudefsche Lehrauftrag für Dogtnatik und 
aittestamentliche Tkro/oi^ic war nun swisc/ten lunndcrer und 

Kivald i^i tJu'ilt^ und di r crsfcri- /Kitti i/iiiiL^iiiiäss nur ein Haupt- 
fach zu vcrtrcti n; hicvon war der Aii/ass j^rnoimncn, dir l'ra^c 
an die Facultät zu richten ^ ob etwa die doppelte Vertretuftg^ 
welche , für Dogmatik und Moral eingeführt war^ auch auf 
andere wichtige Fücher Hbertnii^cn werden dürfte. Bei der Ver- 
handlung itbcr diesen Jir/ass knnien die historischen laeher 
einerseits und die AUtcstainctUlichen andererseits zur Sprache^ 
und der thatsächliche Ausgang war, dass Landerer im Vortrag 
der Dogmen-Geschichte ^ welchen bisher Baur allein und je im 
ziiuiten Jahre /gehalten hatte ^ von nun a// mit diesem <d>- 
li'echseltc. Hie zu hätte es nach der Atisicht von Sehi/iid und 
Landerer einer förmlichen Uebertragung des Faches ^ oder Be- 
stellung des betreffenden Lehrers als Vertreters desselben be- 
durft , wahrend nach Ihurs und Ewalds Ansicht ein solcher 
Lehranftrai^ nicht erforderlich war. Die erstere Ansicht schloss 
sich an die friüieren Gewohnheiten in der Facultät an, die 
letztere an die allgemeine Universitätsübung der neueren Zeit, 
Die Rci^ieruni^ ist der letzteren Ansicht beigetreten^ und hat 
erklärt^ dass es vollkonnnen i^enitj^emi und ihrer . l/>sieht i^'-e/näss 
seif wcnit die Miti^Iieder der I'acnltät selbst entspreeheiuie Für- 
sorge für die wichtigeren Fäclier treffen, Hicdurch aber wurden 
die massgebenden Grundsätze von grosser Wichtigkeit gebilligt^ 
welche von Fwald im lunverständnisse mit Inutr bei diesem 
Anlasse <iiis:^ es/krochen waren. Anerkannt und nnbestritten war 
der Grundsatz, dass das System der Nominalprofessuren nur 
soweit gelte, als dadurch der regelmässige Vortrag der noth- 
wendigen Hauptvorlesungen sicher gestellt wird. Dajrci^en hat 
der ordent/iche Lehrer durch die Frnennnny; fiir das bestimmt: 
Fach keinen ansschlicsslichcn Einspruch auf den J 'ortrag des- 
selben ; und ebensowenig ist er durch seinen Auftrag auf das 
betreffende Fach oder die Fächer beschränkt, sondern er hat 



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— i66 — 



die Freiheit sich über so viele amiere auszudehnen^ als ihn 
Fähigkeit und Lust neben der verständigen Rücksicht auf das 
Wohl des gan/.cn treibt. AU (jriifiistäii<L- dir Xouüjialprofcs- 
siiren dachte man sich nach der bestehenden Hinrichtung die 
Exegese und Theologie des Alten Testaments, die systcmatisclten 
Jacher der Dogmatik und Moral, die historische und die prak- 
tische Tlteohgie. Ebenso wichtig aber war der ebenfalls im 
Ansc/t/iiss an das In steliciuie ausi^esprochnie Grundsatz in In treff 
der doppelten \'ertretuny; bei den l'äeJiern der XoniinalprofcS' 
suren. Man hielt daran fest, dass diese in der Regel an- 
smvendcn sei bei den systematischen Fächern, weil hier die 
Manniji^faltii^keit des Vortras^s durch die Rücksicht auf die 
Verschiedenheit herrsehe jider Richtungen und zur l 'enneidung 
jeder möglichen Einseitigkeit i;ciwten sei. Man nahm dagegen 
an, dass diese Gründe bei den historischen Fächern, dem yllt- 
testamentUchen Fach und ebenso bei den praktischen Fächern 
nicht not/neendii^ sei, dass es hier vie/nie/ir auf die Ausbildung 
besonderer Kenntnisse und Fertigkeiten ankonune , und gerade 
weil diese eiwn Mann ganz in Anspruch nehmen, man sich 
auch mit eimm Vertreter begnügen müsse. 

Vom Jahre tSSf) ab fanden wiederholte und weitläufige 
Wrliandluui^eu iiber l-.rieeiteruui^ des i'iUerriclites in der prak- 
tischen Theologie statt. Xachdem^ 7vie die Personalgeschichte 
der Faculta't zeigt, vorher längere Zeit durch Ixhraufträge und 
Lehrerbestellung tvenig ergiebige Versuche in dieser Beziehung; 
gemacht wareUf hafte dieser Unterricht eine feste Gestalt und 
eine wirklich praktische A'ieh/uuj^ mit der Gründung des Trcdi- 
gerinstitutes durch Jiahnuiaier bekommen. Diesem giengen die 
theoretischen Vorträge in den Hauptßichern durch den Professor 
der praktischen Theologie zur Seite. Ausserdem lehrte der 
Dekan Münch als Hilfslehrer die Einleitung in die geistliche 
Auitsthatigkeit und weiterliin ein anderer Ortsgeistlicher^ Presset , 
die Tastoraltheologie. Schmid, der in Jjahnmaiers Stelle ge- 



— 16/ — 

treten war, hatte im Jahre ISBi} schon bei allgemeiner Revision 
der Unrt*ersitiits- Institute flir den Etat GelegcnJieit^ eine Erweite- 

rntii^ jt'iirs fustitufrs /ii rlh'i:':iißi/n;-)i. Iis führte ihn dicss alwr 
im ja/ire weiter dazu^ fiir die praktische Ausbildung der 

Theologen einen besonderen und umfassenden Curs in einem 
('ii^rnen Studienjahr su beantroi^rn. Die Eacnltät nahm diesen 
(jidaiiktu auf s/r icolltc .:u r'ur jaln\ii^ icclchc seit t^Üi) 
die Studircnden der Theologie im Stift^ dem alten her:o<(lichen 
Stipendium zuzubringen hatte^ denselben ein fünftes Jahr ge- 
Winnen^ vor welchem die ivissenschaftliche theologische Prüfung 
SU erstehen "üu'ire, so doss Jenes Jahr dann aussehliesslich dieser 
prak tischen ^ lnsbi/dnn^ gewidmet toilrde: der Plan sollte auf die 
Studirenden überhaupt ausgedehnt werden. Man liatte dabei 
nicht bloss die Bildung für Predigt und Katechese sowie Liturgik^ 
sondern auch praktische Bibelerklärung y Kirchenrecht ^ LandeS' 
i^eset'Ji^ebnnj^ nnd Statistik ^ Amtsi^esehaf/e, und eudlieh das 
Schuhvesen im Auge, Die Regien/u>f loar zwar bereit, eitwn 
ztK'eiten Lehrer der praktischen Theologie anzustellen; von einem 
besonderen Studienjahr aber wollte sie nichts wissen. Und da 
nun die Facultüt ihrerseits die J-.rieeiteruni;- dieses Unterrichts 
ohne ein solches ßir durchjiihröar nur auf Kosten der wissen- 
schaftliehen Ausbildung ansaht so unterblieb auch jene Anstelluttg 
und die langen Verhandlungen endigten damit^ dass die Facul- 
tat am 3. Febr. 1841 gleichzeitig mit dem Vorschlage ßir die 
durch J-d:eerf4 Rücktritt erledij^te do^i^jnatische I .eJirsttlle l'cr- 
schlä^e fitr eine weitere praktische Lehrsteile machte, lliehei 
wurde Diaconus Eisenlohr von Tübingen^ wegen seiner Befähi^ 
ginig fitr Pädagogik^ sofcrne es sich aber um eiwn weiteren 
Kreis praktischer J-acher ha/zdlcy Professor Jn ck in Juisel und 
Diaconus J almer in Marbach ^ und zwar der letzere i)i bevor- 
zugter Weise genannt. Da aber keine entsprechende Verfügung 
erfolgte^ so wurde dann bei dem Vorschlage des Nachfolgers 
von Kern am 6. April 184JS angeiumimenf dass dieser ufid 



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— i68 — 

ebenso der unlätif^st ernannte Professor Landercr durch Ueher- 
naJunc praktischer Lehrfächer dem vorausgesetzten Bedürfnisse 
ablulfen sollten^ und wurde diese Anforderttng besonders zu 
Gunsten des Professors Beck im Vorschlage geltend getuaclit. 
Im Jahre 1844 tauchte ferner in äfinlicher Absicht ein sotüler- 
barer Plan auf a/s durcli den Tod des JVo/essors Jäj^cr das 
veraltete J-ach der biblischen Philologie //; der philosophischen 
Facultät cmfgieng. Die Regierung wurde nämlich veranlasst^ 
eine Cotnbination dieser Professur mit einer praktisch-theolo- 
i:;ischen zu veranstalten^ ivofur OchU r gcicoinu n loerden sollte^ 
der damals Professor in Sclwnthal ivar und eben einen doppelten 
Ruf futch Breslau uiui mch Marburg erhalten hatte. Der Plan 
kam aber nicht zur Jiusfühnutg^ und damit fiel auch der Ruck- 
schritt^ welcher eine so nnpassetide Fächervereinigung gebildet 
hafte. Aber diese im Ih rbst Is f f g( führte J^erhaudlung gab 
der Ä'egier/nig Anlass im l ebruar /s'/ ' auf die In' ruf ung eines 
weiteren I^hrers der praktischen Theologie surücksukommen, 
Ufui nun xmrde die Aushmft getroffen^ dass der Facultät wieder 
zivei Hilfslehrer in der Person von Tübinger Geistlichen zuge- 
geben ivurdeu, ArchididLonus llaubii- ßir iviirtembergischc Kir- 
chen- und Sehul'Gesetzgebung utui JJiaconus Palmer (jetzt auch 
in Jubingen) für Pädagogik, 

Bis sum Jahre 1847 blieb Eduard Zeller in erfolgreicher 
Thiitigkeil als Privaldocent an der l'atuliat. Ju diesem fahre 
folgte er eiiwm Hufe nach Purn. Pr hatte schon als Repetent 
mit Vorlesu9tgen sur Einleitung in die TlieologiCy und über die 
Schleiermachet^ sehe und Heget sehe Theologie angefangen; letztere 
Vorlesung als Privatdocent wiederholt^ ausserdem über Apologe- 
tik, Geschichte der neuesten Pheologie^ Johatmeische Schriften, 
Romerbrief und Paulinische Theologie, Apostelgeschichte^ Ein- 
leitung in das neue Testament gelesen, aber auch philosophische 
Vorlesungen, namentlich sur Geschichte der Philosophie^ gehalten. 
Im fahre J<sli erhielt C. Weizsäcker die Erlaubniss als Pri- 



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— 169 — 

vatdocciit zu lcscu^ vcrlicss aber dir l 'nivcrsität ivicdi V im fol- 
gt ndcn Ja lue Dagegen habilitierte sich im Jahre isii) 
C. Köstlin als PrivatäocetU an der Faadtät Er erhielt HiltH 
den Charakter eines ausserordentlichen Professors^ trat aber 
später zur philosophischen luuidtät idhi\ 

Von den Hauptlehrern trat im Jlerbsl l^ iS Ewald ab, indem 
er freiwillig seine Entlassung nahm. Die Facultät beantragte seine 
Stelle durch Bertheau in Göttingen oder OehUr in Breslau su 
ersetzen. Banr verwahrte sich dagegen in einem Separatvottnn^ 
indem er auf Mätiuer leie R'odii^er und Ilitzii^ hiirwies^ insbe- 
sondere aber es für bedauerlich erklärte^ wenn die geschicht- 
liche Auffassung des Alten TestafnentSy wie sie so eben Ewald 
erst in Ttibingen eingeführt habe, sofort wieder von Oehler 
durch einen i^anz anderen Standpunkt verdrany^t wiirde^ und zu- 
gleich auf die Aussichten h///:eies, z^elche sich der Jacnllät 
durch den eben mit Altlestamentlichen Vorlesungen auftretenden 
Repetenten Dillmann eroffnen. Es geschah aber zmiächst nichts 
zur Besetzung des Faches. Dies stand damit in Zusaninien- 
hang, dass int Laufe des Jahres die Stelle eines Ephorus des 
theologischen Stifts in Erledigung kam, und für diese nicht auf 
Antrag der Universität ^ sondern des kon^licken Studienrathes 
SU besetzende Stelle Wilhelm Hoffmann, damals Professor in 
Fasel, in Aussicht genommen lear, welchen man zui;;/eich an der 
Universität vencenden zu können dachte. Das Ephoral wurde 
demselben jedoch nicht zugleich mit einer Professur^ sondern am 
IS, April 1850 als selbstständige Stelle verliehen. Es war ihm 
aber zugleich die Verpflichtung zu Vorlesungen auferlegt, und 
nachträi^lich vor der l'erieirk'/ichuti'; dieser lu^stimmnih^ lenrde 
nun atuh die UniversUiU darüber gehört. Da JJoffvtann seiner- 
seits die Lehrthätigkeit in den Vöcationsverhandlungen als Jic' 
dingung gefordert hatte^ so musste er auch den Auftrag dazu 
als Gewährung dieser Bedinguu;^- , mithin als erworbene Fe- 

rechtigung verstehen. Die theologische Facultät verwahrte sich 

II»* 



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— I/o — 



<7/^v;;'-/.\(7/ <,'v^'«7/ diiS.' iiiitr Art der Uiii<^ihi(ng der rfih'crsität 
Ih'i Au/skllung eines Lehrers^ ohne jedoch die Ansfiikning ver- 
hindern SU wollen und zu können, Hoffinann bezeichnete auf 
Anfrage als Gegenstände seiner beabsichtigten Lehrthätigkeit 
Vorträge aus der Doginatik und Moral^ der Exegese des ueiieu^ 
der Tlieologie und Exegese des alten 'J'estanientes^ und diis der 
historisclien Theologie, ferner über Einleitung in das Studium 
der Philosophie für Tluologm^ PsycMogie^ Rel^onsphilosophie 
und specielle Erdkunde, Er hat Tübingen 1852 wieder ver- 
lassen, dagegen hatte sic/i . b/gust Ddlnianii im Herbst 1S')1 n/s 
Privatdocent fiir das Alttestauientliche Fach Jiabilitiert utid er- 
hielt seiner sweifellosen E.rfolge und Verdiensie wegen im 
Februar 1853 den Titel eines ausserordentliclien Professors der 
Theologie. Tm ynli lH5i aber nahm derselbe eine l 'ocation 
nach Kiel an, da in luhingen indessen ein anderer Vertreter 
lies FacJies angestellt zvar. Aach lIoff)naii)is Abgang tiämlich 
wurde Ochler in Breslau in erster Linie für das Eplwrat ifis 
Auge gefasst Die Universität erhielt swar diessntal^ weil bei 
ihm und den it beigen i'orgeschlagenen zugleich auf eine a Ende- 
mische Lehrthätigkeit Bedacht genommen war^ den Auftrags sich 
ihrerseits hierüber su äussern. Da aber in Betreff Oehlers an- 
gemmmen war, dass der früher auf ihn gerichtete Vorschlag 
noch massgebend sei^ so komte die Facultät sich nur im Princip 
zu Gunsten einer reinen und durch keine Xebenabsichten ire- 
tritbien Pu handlung akademischer Berufungen vericaiircn, Oehlcr 
wurde im April 1852 zum ordentliclien Professor der Alt- 
testamentlichen Theologie wui Ephorus ernannt, Hiedurch ist 
zugleich der Stand der Fncultiit ^eieder nuf fiüif Professoren 
gebracht^ tuie dies durch Eivaids Eintritt seimr Zeit geschehen^ 
seit seinem Abgattg aber wieder wUerbrochcn war. 

Gleich darauf trat 1852 durch Schmids Tod die Noth- 
wendigkeit ein, die Professur der Moral und der praktischen 
Theologie neu zu besetj:eu. Die Facultät schlug unter Uaurs 



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- 171 — 



Fühnntg cinzii^ doi Dinconfts Palmcr rw-, indon sie neben 
ihm ziear die rn fähi^iiug von SeJncarz in jfctiüy Schtvcizvr in 
Zürich^ Schvttkcl in Heiiielberg^ Baur in Giessen und vorzüg- 
lich Rothe in Bonn anerkannte^ aber gerade bei diesem prakti- 
schen Fache von einem Nichtwürtemberger absehen zu sollen 
^/nnhte. Sonst hatte Sehniid in früherer Zeit auch über sym- 
bolische Ina her und Symbolik ^ sodann vorziiglich^ wie oben er- 
wälint isty über Neutestamentliche Theologie^ femer ^er den 
Römerbrief und kleinere paulinische Briefe i^e lesen ^ und ist 
darin von Baur und später von Landcrcr^ zum Theil aber auch 
von Jn-ck ersetzt worden. 

60 bestand nun die Facultät von 1852 an und zwar bis 
zu Baut^s Tod im Jahre 1860 aus Baur^ Beck, Landerer^ Oehler, 
Palmer. Banr hatte in den vier und dreissij^ Jahren seiner 
Professur nach und nach einen grossen Kreis von (iej^enstanden 
in seinen 'Vorlesum^en behandelt. Seiner Verpflichtung gemäss 
hat er von Anfang bis zu Ende je in einein Jahrescurse ab- 
wechselnd die Kirchengeschichte und die Do^^ nie ni:^e schichte be- 
handeltj seit is'tO daneben aueh iioeJi besonders die fieueste Ge- 
schichte der Theologie und Kirehe. In sei/ier fhiheren l\ riodc 
hielt er Vorlesungen über Religionsgeschichte und Religions- 
philosophie, Symbolik, Kirchenrecht. In der späteren Einleitung 
in das Neue Testament und Theologie des Neuen Testamentes. 
Jixei^etisehe l 'orlesunge/i hielt er friihcr iiber Aposteh^escliichte 
und Korintherbriefcy dann Johannes^ noch später Galater und 
Jakobusbrieft und im letzten Jahrzehent mit Vorliebe iiber die 
Apokahpse, Nach seinem Tode wurde die Anordnung getroffen, 
dass sein Xaeh folger die A'irehengesehiehte nicht mehr bloss 
alle zwei fahre, sondern jähr lieh vortragen solle. 

Nachdem an Baui^s Stelle für die historische Tlieolagie 
C, Weizsäcker eingetreten, blieb der Personalstand der Facultät 
wieder ungestört von 1861 bis zn Oehlcrs Tod 1872. Oehler 
hatte als I lauptvorlesungen Einleitung und Theologie des alten 



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Testatuentcs gehabt^ in der Exegese Jesaia, Jcrefnia^ kleine 
Propheten j Psalmen^ Hiob, Kohcleth^ messianische Weissaij^um^cn^ 

ausser scincui llauptfai iic aber noch Symbolik und Ikbräcrbricfc, 
An seine Stelle trat l.udwig DiesteL 

Im Jahre 1876 verlor die Facultiü mch drei und swansig- 
jähriger Wirksamkeit muh Chr. Palmer, Mit seinem Dienst- 
antritte war das Hcdiirfniss von Hilfslehrern in der praktischen 
Theoloi^ie ii.'ei:^gefallenf da er dieselbe in ihrem i^anien Umfange 
SU vertreten bereit %var. lir Iiat in diesem Gebiete gelesen: 
Homiletik^ utid Katechetik^ Litnrgik und Hynniologie^ Geschichte 
der kirchlichen Musik ^ besonders des Chorals y praktische Er* 
kldruiii^ der Perikopeii^ l\islorallheoh\e^ie , Kirehenrecht , Päda- 
gogik. Ausser der praktisehen Theologie hatte er die Moral 
regelmässig zu vertreten, ßotist hat er noch Encyklopädie^ 
wUrtembergische Sectengeschichte^ und in der späteren Zeit Er- 
klärung verschiedener Neutestamentliclter Schriften vorgetragen. 
Sein Nacltfoli^er wnrde Hermann Weiss. 

Ausserdem 'iear der 1s7'J nach Dehlers Tod zum Ephorus 
des tlteologischen Stiftes bestellte Paul Duder sum . ausserordent- 
lichen Professor für Neutestamentliche Exegese ernannt. 

Im gei^enwärtigen Sommer 1S77 hat sich Landerer seiner 
Gesundheit luegen vom akademischen Lehramt zurückgezogen^ 
und damit eine reiche und fruchtbare Thätigkefl beschlossen. 
An seiner Stelle wur^e Buder zum ordentlichen Professor der 
Dogmatik ernamtt. 

Jlienach besteht die L\icnl tat gegenwärtig aus folgenden Mit- 
gliedern: Beckf Weizsäcker f Diestel^ U eiss, Buder, 



u\gui^Cü Ly Google 



Znr 




der 



Universität Tübingen 



im Sommer 1877. 



Festprogramm 

der 

katholiscli-theologisclien Facultät 



Tttbingeu, 

Drnck von Lüdwig Friedrich Fnes. 

1877. 



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Konrad .Summenliart. 



Ein 



C u 1 t u r b i 1 d 



ans 



den Aufüu^'en der luiversitat Tül>iu;;eu 



V e r i a s s t 



vpn 



Dr. Franz Xav. Linsenmann, 

o. ö. Professor der katholiiicboii Tbeulogie. 




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der Zeity in welche die Gründung der Universität 

Tübingen föllt, tmtrde der Charakter der Universitäten noch 

vorzKi^sii't'isr i/mr/i dir tJicoJoi^isclic Facultät hcst'ntinity icthJw 
nicht nur der Schule Namen und Glanz verlieh y sondern auch 
dem gesammten wissenschaftlichen Studium der andern FacuÜäten^ 
kaum die juristische ausgcnofnmeny Methode und Richtung angab. - 

Es ist bcmerkensiverth genni^^ li'elehe Mühe sieh der er- 
lauchte Stifter unsrer Tubinger Hochschule gab, theologische 
Celebritäten auS der Fremde an sich su ziehen, wie den hoch' 
angesehenen Johannes Heynlin von Stein (a Lapide) und 
den nicht minder berühmten Gabriel Biel, welchen man vor 
Zeiten gerne den »letzten S.liolastikeru genannt hat. Mit die- 
sen beiden Planne rn theilt sieh Konrad Su nime nhart in das 
Verdienst, den wissenschaftlichen Ruhm der neuen Facultät 
nicht nur durch gesegnete I^hrthätigkeit , sondern auch durch 
Schriftwerke begründet sn haben, welche bis diesen Tag, wenn 
anefi veraltet, doch von dem Höhestand der dama/ii^en Ju/diimr 
Zeugniss geben und von der Geschichte der Wissensclutft nicht 
mit Stillschweigen übergangen werden dürfen. 

Nachdem die Bedeutung der beiden erstgenannten Männer 
in neuerer Zeit mehrfaeh in das Liiht geriickt und oei^>//rdii^i 

Lt na CO mann, Suaiin'>uluu-t. 1 



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— 2 — 



worden ^\ achten wir es als einen schicklichen und erwünsch- 
ten Anlas dein bisher weniger beachteten und nicht weniger 

vcj'diciitin Suiiinirnhnrt im Jubiliinvisjahr unsnr Hochschule 
eitle literarische lihrensäule zu setzen. 

Unser Zweck hiebei ist^ nicht blas an ruhfnvolie Namen 
und Personen su erimtem^ sondern auch die CuUursustände^ 
welche die Mdiuu r repräsentireti, dem heutigen Geschlecht zu 
vergegcnimrtigen und ein J^ rständuiss des Geistes, in welchem 
vor 400 yaliren die Hochschule inaugurirt und in den Kreis 
der europäischen Gelehrtenschulen eingeflthrt worden^ zu gewin- 
nen. Wir werden Einblick thnn in das wissenschaftliche Leben 
und die literarische Thätigkeit einer Gelehriengeneratwn^ leelche 
dem Beginne der neuen /rit, dem Wiedereneachen der hu- 
manistischen Studien^ dem Ende der alten Scholastik und dem 
Anfang der religiösen Refortn so nahe steht Noch in neuester 
Zeit wurde es als unerlässlicke Aufgabe bezeichnet ^ den Zustand 
der Theologie etiva um liuu — i.Oio goiau zu untersuchen ^). 
Hiezu dürfte unsere Arbeit ein nicht univillkommcncr Beitrag sein, 
Sumtnenhart ist ein Typus des biedern alten Professoren- 
standes, und wir getrauen uns an ihm nachzuweisen, wie tref- 
fe nd ein GeseJiiehtsehreiber iinsrer l 'nieersilat diese alte Zeit 
und ihre Professoren kcnnzeichttetl ^Die Universität Tid)ingen<t^ 
sagt er^ *war seit ihrer Entstehung durch den gründlichen ecJU 
wissenscltafUichen Geist iltrer Gelehrten^ die nicht nach as^al- 
lenden neuen Systemen und Theorien haschten, sondern mit deut- 
schem Fleins und ee/iter Jun'schhegierde mehr im Stillen wirk- 
ten^ vor vielen andern Akademien ausgezeichnet <t ^). 

Über das Leben und die äussern Schicksale Suminenharts 
lidben wir mir sehr dürftige Nachrichten ^), wie ja das Quel- 
lenmaterial aus den ersten Jahrzehnten der Universität über- 
Jiaupt fast vollständig mangelt. Bei Summenhart aber l^ommt 
hiftzUf dass er aus dem Stillleben des datnaligen Gelehrtenthums 
nur bei seltetten Anlässen herausgetreten; ihn liotten keine weit- 



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- 3 — 

gcschicktlichcn Ereignisse^ keine hesotideren Missionai im kirch' 
liehen oder staatlichen Dienst ans der Stndierstnhe heraifs^yris' 

si'Hj tr icar ein scss/iaßcr Lr/urr^ icohl befriedigt durch die 
Obliegenheiten und Uhren seines Beruf es ^ dein er iiberdiess 
schon in der besten Kraft des Mamiesalters durch den Tod ait- 
rissen wurde. 

Konrad Sunnneuhart stammt ans der allwurtteiidh-rgiseJien 
Stadt Cal:e. Sein Geburtsjahr liisst sieh nicht angeben '). Er 
Studierte in Paris % wurde daselbst 14/6 Baccalarius und kehrte 
1478 als Magister in die Heimat surück^ wo er in demselben 
Jahr in Tübingen als Professor in der Artistenfacult'dt ange- 
stellt und g!eich:zeitig mit Johannes a Lapidc iinmalriiidirt 
wurde umi von nun an als nausge:eichnete Zierde und als vor- 
fiehmster Grundleger und Theologe der L/nii'ersität^f wie Moser 
sagtf wirkte, 

i 'ntej- die 1 Iiraufgaben der Arlisteitfaeuitiit gehörte nach 
alter Ordnung die Physik im damaligen Uinfaug der Discip- 
iin; sie umfasste ttemlich nicht nur die Naturgeschichte und 
Naturlehre in der heutigen Bedeutung der Worte^ sondern aus- 
ser der Naturphilosophie noch die Anthropologie mtd Psychologicy 
leelehe selbst im engen Ausehlnss an ylristoteles und seine mit- 
telalterlichen Commentatoren gelehrt zeurden. So finden wir 
aiuh SnmmenJiart schon 147a mit Vorarbeiten flir sein um- 
fangreiches Werk über die Physik bescltäftigt; er habe^ so er- 
zählt er selbst, in diesem Jahr um BartJiolomäi Abends 0 Uhr, 
tvähretid er an diesem Buche arbeitete ^ einen Mondregenbogen 
beobachtet 

Indessen war eine Atistellung in der Artistenfacultät ge- 
wohnlich nur eine Vorstufe für den Eintritt in eine der hohem 

Facultiiten. Obeleieh neiulieh in i^eieisser,i Sinn der Schwer- 
Punkt der leissenschaftlichen Studien und Übungen in der philo- 
sophischen Facidtät mit ihrer streng scholastischen Disciplin^ 
ihren Disputationen und Prüfungen lag^ so nahmen doch gerade 

1* 



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- 4 — 

in Tubif^en die Artisten nach Rar^ und GeJtalt eine so ver- 

/iä/tnissmässijr nicdrii^v Stellung' ein^ dass es scheint^ die Arft- 
Stcufacultät sollti' nur eint' L 'huii^^ssu'iuii aucli für die Lt lircr 
sein und den Wci^ zu höhern Ämtern und Lehraufgaben baJinen, 
So fittden wir auch Sufmnenliart bald unter den Theolcgen^ Je- 
doch in der eigeftthümlichen Ersclteinung, dass er sich su bei- 
den Facultätcn zugleich bekennt. Ks hängt diess woh/ mit dem 
Umstand zusammen^ dass die Universität noch in ihrer ersten 
Organisation begriffen^ und dass die Lehrkräfte und Lehrauf- 
gaben innerhalb der sich zmükhst berültrettden theologischen und 
Artistcnfactdtät nicht vollständig in das Gleichgewicht gebracht 
waren, leess/uilö eine diiuenhie J uirnng der LeJiranfgaben an 
die Lehrstellen , icie i^'ir sie später — durch die Stuäienord- 
nitttg von Konig Ferdinand a. löJio — finden^ fioch nicht er- 
folgt SU sein scheint^ so genau auch sonst die Facultätsstatuten 
die Vorlesungen und Übnj/gen gei-rgelt haben. 

Ln Sonuner Ifsf ist Sumnienliart Rektor der Universität; 
um dieselbe Zeit ivird sein übertritt in die theologische Facul- 
tat eingeleitet. Zu diesem Zweck betvarb er sielt nun um die 
tlteoiogisclien Grade^ die ihm nach der utnständliclien Weise der 
Promotionen der damaligen Zeit in folgender Ordnung ertheilt 
ivurden. Der mit principiarc bezeichnete Akt^ d. //. eine vor- 
geschrieboie l or/esu/ig über die h. Schrift (cursus biblicus} fand 
statt im y, 14d4 am Tage des h. Chrysostomus ; erst am 
6. Febr. 1487 erfolgte die ebenfalls obligate Vorlesung über die 
Sentenzen des Petrus LombarduSf über welche der Candidat 
fortan »pro forma« ,:// lesen hatte. Die lirtheilnng der Licen- 
tia erfolgte am 1:^. October, und am folgenden Tag fand der 
feierliche Schlussact (vesperiac) der Promotion statte eine solenne 
Disputation^ welche der Candidat mit drei Doktoren seiner Fa- 
cti l tat zu bestehen hatte. In die »aula magist ralis« eingeführt^ 
d. h. zum Doktor promovirt und mit den J\>ktorinsignien aus- 
gestattet wurde SummenJiart erst am 13. October 1480, am glei- 



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— 5 - 



chcn Ta^c mit Wcndclin Stcinhach^ dem vertrauten Schü- 
ler Gabriel lUcls^ Professor der J'/teoloi^ie und Pn-ieJitvater des 
Grafen Jdu rliard, 7eelelier denn aneJi der Promoliou amcohnte 
und die Kosten derselben auf sich nahm 

Aitch nach dem Eintritt in die theologische Facultät bc' 
schränkte Summenhart seine ThHtigkeit nicht auf diejeniq^en Lehr- 
fih'Iier, :eelt'l!e so^isf d'e Aitfi^abe der Pi-ofessori /: di r Theoh\e;ie bilde- 
teuy nemlick die lirkl'irung der l';-iL Se/irifien des alten und neuen 
Testaments und der Sentenzen des Petrus Lombardus (dogmatische 
Theologie); wir finden ihn vielmehr auf einem Felde thätig, wel- 
ches nach danialii^er Ordnung .zwisi/ien den Philosophen und Ju- 
risten { Kanonisten) gethcilt war; gerade diejenige unter seinen 
Schriften^ welche seiften Namen vorsugstveise auf die Nachwelt ge- 
bracht haty sein Werk ^iiber die Verträgem, mit Einschluss der 
kleineren Abhandlung 9 über den Zehnten gfciß einestheils in 
die ^hralpJlilosophie [ Xaturrecht\ anderntheils in das kanoni- 
selie Keeht ein ^ obj^leieh allerdings auch die Theologen der 
scholastischen Zeit sich ihr Anrecht auf diese Materien der 
»thcologia moralfs« vorbehielten. Summenhart hatte sieh aber 
auch in der That 7'on der Artistenfaeultat nieJit j^anrj abj^elö'st ; 
er erscheint noch J i ss als Decan der Artisten und sehreibt sieh 
noch laoO »Professor artium«. Das Rektorat der Universität 
bekleidete er UH4, im, 14ßß, ir,00. 

Seiner vielseitigen und besonders literarisch fruchtbaren 
Th(iti<e;keit leurde Sumnienhart durcJi einen friiJien Tod enteis- 
seu; er starb an der Fest iui Kloster Schuttern bei Offeuburg 
Uftii wurde auch daselbst vor dem Chor der Kirche begraben 
am Ü'). October V}02 berühmte Humanist und Dichter 

Heinrich Bebel aus Justingen verherrlicht seinen Freund 
Sumnienhart in einem prächtigen Ppitaphiuni 



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Wo imtncr Summenliarts von Zeitgenossen erwähnt wird^ 
geschieht es in den ehrendsten Beseichmmgen sowohl für seinen 

persönlichen Charakter als für seine li'issenschaft- 
lichen Leistungen. Er ist ihnen ein Monarch unter den 
Thcologen^^ ein n Phönix unter den Doktorenn-^ ein Mann nicht 
nur von der glänscftdsten Erudition, sondern auch von muster- 
haftem Lebenswandel^ ein überaus angesehener Redner und Lehrer, 
yakob ]V i nt p Jieli ng uitd HeinricJi Bebel begleiten seine 
Schriften mit begeisterten Epigrammen. Vornehvilich aber icird 
ihm nachgerühmt ein reines wartnes Streben nach einer Ver- 
besserung der wissenschaftlichen und kirchlichen Zustände sei- 
ner Zeit; namentlich bezeichnend isty was aus dem Munde sei- 
nes Schillers Joh. Stanpitz^ des spätem Augustinerprovinzials^ 
überliefert wirdy derselbe habe Summenhart mit tiefer Beivcgiing 
ausrufen hören: Wer 7c*ird mich Utiglücklichen einmal erlösen 
von diesem theologischen Gesättke! 

So iselit sein Lob von Mnnd zn Mnnd nnd findet sich in 
gleicher Heise beiden Literarhistorikern ivie bei den Geschichts- 
schreibern der Uneversität, Frewuie der alten und Freunde der 
turnen Richtung mhmen ihn ftir sich in Anspruch. 

Doch möchte fiir die Charakterseichmmg eines Mannes atts 
damaliger Zeit, leelche die schroffen Parteigegensatze einer spä- 
tem Epoche noch nicht kannte^ ivohl auch daran zn eriniurn 
seiiif dass atts einer Literaturepoche ^ in weklier die huma- 



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nistisdie BJutorik die nüchterne akadcmisclte Ansdmckswcise 
mehr als je überwältigte^ und tn welcher Freundlichkeit und 

Lob manchmal in viasslos augestrengten Ausdrücken ausge- 
streut iviirdc^ nicht jedes Attribut eines belobten ^Vanues für 
vollwichtig angenommen iverden ivill und die Distichen der lor- 
beergekröttten Poeten ebenso oft jur ein Spiel mit klingenden 
Wortcfi ah fiir aufrichtige Huldigung gelten können. Daun 
koutuit (lass, icie juan iu Kriegszcitcu Siliiitze vergrabt und 
Brunnen verscliidtct^ iu den Kiwip/ender Reformation ganze Trüm- 
merfelder über den Erinnerungen an die ersten Zeiten der Uni- 
versität aufgeschüttet worden sind i nur noch leise gedachte man 
da und dort der alten Zeiten und Männer, und sagenhafte An- 
klänge an die alte Geschichte pflanzten sich von Hand zu Haud 
und von Mund su Alund fort. So sittd natnentlich die Über" 
lieferungen über die Partciungcn und scholastischen Zänkereieft, die 
in den beiden Heerlagern, der Adler- und der Pfauenburse^ 
stattgefunden Judu n sollen, sowie über den A}itlteil der Profes- 
soren an densel/h ii, durchaus unzuverlässig, und höchst xvahr- 
scheitüich sind Vorgänge von andern Universitäten muh nach 
Tübingen localisirt worden *). 

Wir sind daher, zeenn leir die Bedeutung Summenharts 
inner/talö der Facultat und seitu: wissensc/iaftliche Richtung ken- 
nen lernen tvolicn, fast einsig auf seine uns noch crhaltctun^ 
nicht eben sahlreichat, aber sum Theil sehr umfangreichen mtd 
durchgehends sehr sorgfältig gearbeiteten Schriften^ so weit sie 
zion Druck gekonnnen sind, angeieiesoi. Dieselben sind für 
lois mehrfach leichtig; die einen von ihnen gewähren uns einen 
Eitdflick in den damaligen Stand und Betrieb der akademischen 
Studien und theologisclien Schulen überhaupt; die andern haben 
ein hohes atltttrgeschichtliehes Interesse allgemeinerer Art als 
Quellenschriften fiir die lirkenntniss der literarischen und sitt- 
lichen Zustände des Landes. 

DetUlich scheiden sich in der Wirksamkeit Summenliarts 



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S'U'i'l Epochen, den LcJirauf^^abcn cittsprccJwud , ivclche ihm zu- 
erst in der Philosophie tmd sodann in der Theologie sugefallen 
waren. 

In der ersten Epoche ist er Scholastiker im ansj^epn'ii^^ten 
Sinne des Wortes; er war es vermöge seines lUldiingsganges 
und vermöge seiner Beruf sstelbwg. Nur ein Scholastiker konnte 
damals auf eitwn I^hrsttthl der Philosophie berufen werden^ 
wfd sogar mir ein solcher, welcher sieh schoii fur eine der bei- 
den Riehtungen, au Iclieu der gnnze Hetriel) der ]Vissensi/in/t 
zu hängen se/iien, entschieden hatte; denn es sollten von Anfang 
an beide Richtungen, und beide in gleicher ZaJil der Lehrstühle 
in Tübingen vertreten sein^ szvei vom alten und swei vom 
neuen IVig^ wofiir die Bezeichnungen Realisten und No^ 
inina/lsf 'n ed/rrdings nic/tt mehr zutreffend ivaren, da der 
ILntpfditJeri n rpunkt nicht so fast in der AnnaJime oder \ er- 
iverfuiig der Realität der Allgemeinbegriffe {Ideen, species), als 
vielmehr in der Frage lag, auf welche Weise die Erkenntniss 
von den Ideen der Dinge geivonncn werde. 

Siunuienhart gehörte dem alten Weg an, den auch Johan- 
nes a I.ai:>ic!c /// Paris, Pasel und Tu/fingen 7'ertreten hatte, 
während Gabriel Biel und Paul Seriptoris aus Weil der Stadt 
SU den »modcrni« zählten; die letztem hiessen aticA Occami- 
steUf denn nnidern in dein Sinn einer eigenen Lehre wollte auch 
von ihnen keiner sein; die Auktorität eines grossen luhrcrs galt 
Alles. Aber auch die Realisten waren diess keineswegs in der 
Richtung der thomistischen Theologie^ welche heutzutage 
wieder als die Norm der realistischen Doktrin gilt, softdem sie 
wareil Shotisten und Jiatleu damit in der Ej'kenntnisslehre 
li'ie in der Lehre vom Willen im ] 'erhalt niss zum Intellekt 
schon starke Schritte von derelassischen Scholastik himveg nach der 
Richtung Occams gethan Eine wesentliche Fortentivicklung 
und Fördenm^ der Philosophie und speeulaHven Tkeokgie war 
auf diesem Hege nicht mehr zu hoffen. 



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— 9 - 



Schon waren die Blicke der einsichtsvolleren Männer auch 
aus der alten Schule nach einer gans andern Seite hin gewen- 
det j denn (in frischer Lnftzng kam vom Humanismus Jicr. 

Man ist in nnscrn 'Hrj^cn gavohnt^ eine tiefe Kluft zu be- 
festigen zwischen den Vertretern der alten Lehre und Methode^ 
und dem Geiste der Renaissance des klassischen Alterthums mit 
seinem Gefolge, dem sog. Humanismus; und es ttmrde be fremd- 
lieh gt fuuden, dass der erlauelite (iriaider der Uniiu rsitat nieltt 
eine ihizahL von I.- hrern humanistischer UiUiung und Richtung 
zu ge%vinnen gesucht^ anstatt einer absterbetuien Bildung noch 
einmal ein Heiligthum zu bauen. 

Allein in Tübiui^en ßnden tvir von Anfang an durchaus 
keine feindliche S/annuug zieisehen der seholastischcn Theologie 
und der humanistischen Richtung^ %*ieimehr sehen wir gerade 
unsere hervorragenden Theologen nicht blas in persönlich freund- 
lichen Beziehun'^en, sondern im geistigen Verkehr mit humani- 
stisehen Kreisen. 7 ohanne s a l.apidc, dir eds slivm^er J'ir- 
treter tles ^^alf,>i llegs« von Paris nach Tiibingen gekommen 
war^ bildete bald darauf in Basel geradezu den Mittelpunkt 
elftes FretmdeskreiseSf welcher die hervorragendsten Manner der 
neueren ivisscnschaftlichcn Richtung damaliger Zeit umfasste, 
icie Joh. Mathias von Geni';eu!^(ieh , Vlrieh Surgant, jtoh. 
Geiler -von Kaisersberg, Sebastian Brant^ Christoph von 
Utenheim, Joh, Amerbach*), Ja man hat bemerkt, dass 
gerade die Realisten y tvelche im Ganzen die Wissenschaft- 
liehercn Köpfe unter die Ihrigen Zidilten, vorzugsiveise das er- 
icaehende Studium der Alten gepflegt Aber aueh Gabriel 
Biel, der Occamist, stand in Briefwechsel und vertrautem Ver- 
kehr mit den berühmten Strassburgem, dem Patricier und Ka- 
noniais Peter Schott und mit Geiler. Mit Reuchlin theilte 
er sieh in die Gunst des Grafen J-dnrhard: If. Hebel feiert 
ihn in GedieJiten j. Xeben ihnen hat aueh Summenhart sich 
das Lob und die Freundschaft der Humanisten erworben; er 



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war ilitten ein freisimtger Memn^ der sich mit Widerwillen van 

dem scholastischen Genänke abgewendet und dagegen auf ein 
gründliches Studiuni der heil. Schrift' gedrungen Jiabe. Wenn 
Retuhlin nach Tubingen kaniy zvar er Siwimcnkarts Gast. Strass- 
burger Freunde liaben nach seinem Tod sein grosses Werk über 
PJiysik zum Druck gebracht. 

Dennoch steht Summenhart, und besonders in seiner ersten 
Periode^ noch vollständig auf dem Boden der alten Lehneeise; 
ihm war in der Philosophie Aristoteles der Meister^ und das 
Princip der Schulauktoritäten war noch ungebrochen. Aber man 
verkennt den Gang der theologischen Wissenschaft doch voll' 
stiindig, 7eenii man sich die llieohgoi gegen linde des J 'j. Jahr- 
hunderts ganz uidhiithrt von den grossen Ideen vorstellt^ ivclche 
seit hundert Jahren schon Welt und Kirche in Anfreguf^g ver^ 
setzt hatten; und man überscliätzt ungelieuer die Bedeutung des 
sog. HumanistnuSf wenn man auf seinen Eiftfluss jene ganze 
geistige Deieegung zurückführen teill, :eelche die neue Zeit mit 
ihren Umwälzungen in der religiösen und Rcchtsordming her- 
beigeführt. 

Innerhalb der Kirche selbst liatte die Erkenntniss grosser 
Übelstände und der Ruf nach einer Reformation an Haupt und 

Gliedernvi schon vorlängst zu den grossen Refonnafioiisconcilien 
SU Constanz u. s. 7L'. geführt; die 7>e:eegung hani niemals mehr 
zur Rulie^ und kein Theologe konnte sich der Aufgabe entziehen^ 
den grossen Freien Ober Kirchenuerfassung und Kirchenreform 
seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Was man zfon scholastischen 
Streitigheiten und S/yitzftndigheiten erzählt ^ das waren doch 
eigentlich nur Schulübungen und Disputationen innerhalb der 
Artistenfacultät, welche einen Oliidichen Zweck hatten wie etwa 
an uftsem humanistischen Mittelschulen der Betrieb der mathe- 
matischen Wissenschaften, neinlicJi eine Art von geistige in /.iuht- 
mittel zu sein^ wodurch die Schiller erst für die hohem geistigen 
Au/gaben vorbereitet werden sollten. 



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II — 



Sodam mttsstc der unleugbar gewaltige Aufschwung des 
geistigen Tabens und der literarischen Produktion seit Erfindung 

des BiicJicrdnicks doch vor allem in den tJtcoloi^iscJicn Kirison l^o- 
mcrkbar werden^ wie er ja meist auch von ihnen ausii'ej^angen war. 
Sorgfältiger leitet man nicJU im FriÜUitig die IVasserbäche auf 
die Matten^ um sie zu brfruchtett; etnsiger xverden nicht in der 
Überschwemmmtgsseit die Finthen des Nil in die Kanäle j^^e- 
fasst und landeinwärts (geleitet, als man die durch die Ihich- 
dnickerkiinst erschlossenen Geistesschiit je nach allen Seiten hm 
sich anzueignen und auszuwerthen bemüht xvar* Vor solcher 
Regsandieit konnten die scholastischen Tlieologen nicht mit ver- 
schränkten Armen zuschauend stehen bleiben. Mit der leichteren 

Verbreitung der literarischen Erzeugnisse und lirrungenschaften 
erwachte von selbst ein gewisser Sinn für geschichtliche Behand- 
lung der wissenschaftlichen Probleme; in viel höherem Masse 
jedoch erhielt das theologische Studium Impulse zu eim*r auf 
Sprachkenntniss fundirten J'ertiefuni^ in die heilii^en Schriften^ 
sowie zu den u/n/assendsten Untersuchungen iiber die politischen 
und mch mehr die socialen Zustände* In ivelcher Weise Sunt- 
menhart an diesen Bestrebungen sich betheiligtCf wird aus elfter 
Analyse seiner Hanptschriften zu erörtern sein, um auch auf 
diesem JVege nachzuweisen, dass von einem Stillestehen der 

Wissenschaft bei alten scholastischen Formeln vor dem FJugrei- 
fen der Humanisten in die öffefitlichen Tagesfragen durchaus 
nicht geredet werden kann. Nicht die Humanisten haben die 
neue Zeit gemac/it ; sie sind vielmehr nur das Produkt einer 
geistigen Evolution^ welche ihren Ursprung an den Hauptsitzen 
der gelehrten Zeitbildung überhaupt hatte. 

Die äussere Form des Unterrichts und der gelehrten Dar- 
stellung war aber noch die alte, stehen gebliebene, scholastische. 
Als akademische Lehrer stellte matt sich nur solche Männer vor, 
welche selbst die strenge Systematik und Zucht der Schule durch- 
gemacht. Mit dem Begriff der Schule verknüpft sich von selbst 



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12 — 



die VorsU'lbmg von Auktoritätsglauben^ Halten an der Übcrlie- 
femng, auch wohl etwas Pedanterie, Diess hat seine gtUcn 
Gründe. Der Bestand einer Corporation, wie die Unrversität 

istj erfordert, dass ihre }fiti:^licdcr sicJi rinrin i^rsc/ilossiiicii Or- 
gan ismus cinfih^cn und unterordnen, sich ihre Au/gaben nicht 
willkürlich seibst zutheilen, sondern sich ztmeisen lassen^ und 
mit einem edeln Chorgeist uftd mit dem JSewnsstsein der Ver- 
antivortlichkeit auch Sinn und Takt JHr Äufrcchthaltuvg der 
r<>r/u>nrfi:'rn Vhcrlicfcrungcn verbinden. Das Interesse des Un- 
terrichts aber vcrlaw^tt dass diejenigen^ welche junge Mänfwr 
in die Strenge geistiger Arbeit einfiihren sollen^ die Strenge der 
Selbstsucht auch an sich erfahren. Viele unter den begabtesten 
I Iiiuiiinisten fiaben soUJie Unterordnuu.'- unter den Zieanec einer 
festen .In Stellung vcrschnia/it und sich vor Annahme eines öf- 
fentlichen Amtes gesch.'ut, haben ein Uftstetes Leben und Wan- 
dern vorgesogen ^), haben %*iel eher wie die Sophisten undEncyklo- 
pädisten zerstörende Keime in das geistige Leben, in Religion 
und Sitt(; hinrini^etrai^en, als dass sie leissensehaftliehe Systeme 
gebaut hätten. Was einzelne ans ihnen für die Organisation 
des Unterrichts an den Mittelschulen geleistet haben, Mättficr 
wie Alexafiderlfegius, Rudolf i»on I^angen, Dringenberg, 
soll ihnen unvergessen sein. Aber fitr die systematischen Wis- 
sens haften ko)uite man der Scholastiker noch lange nicht ent- 
behren. yhviiJ'.e S'-Jiiiler lamcu fast noch in den Knabeu jähren 
an die Universität utul sollten, zvie Wimpheling klagt, die Jir- 
klärung des Aristoteles verstehen, wdhrend sie kaum die Gram- 
matik kannten 

Aus der ersten Periode Snmmenharts haben loir nur ein 
Werk, welches uns einen Jiinblich in den damaligen Stand der 
philosophischen Studien in der Richtung der Naturphilosophie ge- 
währt; es ist sein Commentar sn der Physik des Albertus Mag- 
nus im Anschlnss an desseti Schrift: »TMiilosophia ]^aiipcrum«. 
Es ivird in dem gcminntcn Conunentar überall das traditionelle 



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I 



Material so ersciiöpfend als nioglkh mitgetheilt und über den 
aristoielisch-albcrttnischen Standpunkt wird nicht wesentlich hin- | 

ausi^Ygaw^cn ; doch fehlt es auch nicht an cinzebtcn eigenen Be- 
übacklungcn von Naturerscheinungen und nencn F.rJdäruw^srer- \ 
suchen; es war noch kein Paracelsus in die alten Schulstuben 
gefahren^ um ihren Apparat über den Haufen su werfen; und 
es mnthet uns vom Standpunkt der heutigen Forsch uuy^smethode 
unj^eniein naiv aii^ mit iCilcJuin lernst auf der einen Seite die un- 
glauhlicJisten l Ih-rlieferungen und PJiänomene glaul)ig auiu-nonunen^ 
und mit welcher Sicherlieit auf der andern Seite für jede Er- 
scheinung eine Erklärung gegeben wurde. Aber um wie vieles 
ist die heutii^e Wissenschaft leeiter^ ulnr leie viele IVicinonienc 
stimmen die Erklärungen der licutigcn l'orscJier zusammen? j 

Mit Stolz aber liebt es Sumtnetüiart hervor^ dass seinen I 
GewäJtrsmanny Albert d. Gr^ unser schwäbisches Vaterland | 
geboren hat, dessen Ruhm er gezaorden ist. Ja mit den Schrif- 
ten AlbertSy fügt er l>eiy Jiabe sich ereignet^ dass gleichsam der 
Jordan ruck-zcarts geflossen zu seiner Quelle, Denn währetui 
ehemals die Philosophie von den Griechen zu den Lateinern ge- 
flossen, sei später ein Theil der Philosophie Alberts durch einen 
griechischen Ifiterpreten aus dem Lateinischoi in das Griechi- 
sche idh i't ragen ivorden ^). 

Die zweite Epoche für die wissenscliafiliche Entwicklung 
Summenliarts dürfen wir wohl von seinem Übertritt in die theo- 
logische Fandtät datiren. Hauptaufgabe der theologischen Fa- 
cidtiit lear die lirhlarung der heil. Schrift, das J>il>elstiidium ; 
uiui ziuar hatte sich um diese Zeit eine auf das Studium der 
Grundsprachen gestützte wissenschaftliclte Behatuilung der Schrift- 
erklärung schon ziemlich Bahn gebrocJien; der Typus hiefür i 
war Nikolaus von Lyra (\ 1S40 zu Paris). Auch ivurde es j 
ttm diese Zeit leoJil erkannt und ausgesprochen, dass das scho- | 
lastischc Studium nicht um seiner selbst ivillen, sondern als 
Zucht und Übung für das tiefere theologische Verständniss der 

1 

1 



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— 14 — 



Quellen unsers Glaubens^ der heiL 6chriß vor allem und sodann 
der Väter ^ betrieben werden solle. Um die Anfänger^ sagt 

Gabriel Biel *^), zur Erkcnntniss und zur Liebe Gottes, dem 
Ziel aller lirkeiDttniss^ zu führe u^ ist es schzvieri^ und unzi^'eck- 
mässig^ sie unmittelbar an die heil, Schrift zu verzoeisen, dieses 
so grosse und weite Meer^ das nur von Erfahrenen ohne 
Gefahr durchschifft werden kamt; darum hat man seit langem 
beiiti / 'ortrage der Theologie das Werk des Lombarden, in wel- 
chem die kircJUichcn Lyhren zusanimctigestellt und begründet 
sind, zur Vorlage genommen. Auch an die Kirchenväter^ be- 
merkt einmal Geiler von Kaisersberg soüen die ungebil- 
deten Anfänger in der Theologie nicht gleich verwiesen werden, 
sondern an die Scholastiker und Neueren, und sollen sich mit 
jenen Quästionen abgeben^ loelclie zum Disputiren ^ zur Wider- 
legung der Häretiker^ zur Scliärfung des Verstandes und zur 
Verständigung über scheinbare Widersprüche in der heil, Schrift 
besonders geeignet sind. 

SummenJiart spricht sich iibcr doi hohen Werth und die 
Nothwendigkeit des lUbclstudiums bei zwei besonderen Gelegen- 
heiten aus. Als er bei dem akademischen Act, welcher nach 
dem Ableben des Herzogs Eberhard veranstaltet wurde ^ die 
Trauerrede auf den Verstorbenen hielt, rechnete er es unter die 
höchsten l'orzitge des Regenten^ 7i.'as er persönlich in der Bibel 
geforscht und für die Förderung des Bibelstudiums gethirn. In- 
dem er auf den Herzog die Worte Sir, 39^ 1 — 5 anwendet^ ruft 
er aus: »Hat er nicht in Wirklichkeit die Weisheit der Alten, 
erforscht, er, der den Kanon des alten und neuen Testamentes 
in welchem allein schon ivie in einem Brunnen alle Weisheit 
der Wissenschaften leohut, so oft las und sich vorlesen liess^ja 
mehrmals vollständig durchlas und das Gelesene seinem treuen 
Gedächtnisse derart einprägte, dass man ihn fast für einen 
Professor der Bibel hätte halten können; er, der zuieeilen eher 
seine Vorleser ermüden und überdrüssig werden sah, als er selbst 



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— IS - 



I 

I 



in si'inc)' Prq^irr nach Weisheit gesättigt wurde, Solche Fort- 
schritte machte er hierin^ dass er in der Kctuttniss der heil, 
Schriften — mit grossem Schmerze sei es gesagt — gar man- 
chem Geistlichen und Mmtch überlegen war. Und civar be- 
gnügte er sich nicht mit den geschichtlichen Biichern^ mit leelchen 
sich anch sonst wohl Laien beschäftigen^ sondern^ was den wah- 
ren Liebhaber der Weisheit zeigte er widmete sich mit Vorliebe 
den lehrhaften Schriften, den Sprüchwörtern Salomons, dem Pre- 
(iige/'y dem Jü c/isids/ii us niul dem nach Philonben annten Buche; 
und er bcgmigtc sich nicht ctiva mit einer Ulh'rset,z!ing^ 
sondern nahm eine nach der andern zur Hand^ gleich als ob 
jeder spätere Übersetzer und Drucker weniger %»on dem rechten 
Geschmack der Sache vermissen lasse; er beruhigte sich nicht 
bei einer einzigen Übersetzung des alten Testamentes ^ sondern 
Hess deren sechs in sechs Columiien nebeneinander schreiben^ 
welche er Exapla nannte,^ Diese Stelle^ die wir mit geringer 
Abkürztmg wiedergegeben, lässt im Znsammefthang deutlich er- 
kennen, dass Siimmenhart selbst bei diesen Studien Jiberhards 
als gelehrter Rathgeber und Übersetzer betheiligt war, 7eie er 
auch, nach eigener At^abe^ die Meditationen und Selbstgespräche 
des h. Augustinus fiir dm Herzog verdeutschte. 

Noch viel eindringlicher redet Summenhart über das Bibel- 
stndinm und beklagt dessen Vernachlässigung mit den beieeg- 
tcsten Worten in einem längeren Vortrags den er im Kloster 
Hirsau auf Ansuchen eines Abtes vor versammeltefti Proinnzial- 
eapitel im % 1493 gehalten liat. Den hier versammelten Ver- 
tretern 7'on Klostern der Mainzer Benediktinerordenspnn^ins le^ 
Summenhart in tief cinschneidentier Rede seine BeobacJitungcn 
und Warnungen über die im Mönchsivcscn eingerissenen Miss- 
stände ansHerz^ deren er besonders zehn eitilässl icher besprechett 
7villy unter ihwn nicht der geringste die Unkentüniss und Ver- 
nacJdässigung der heil. Schri/l. Xachdem er bei Eneahnung 
der üppigen mit weltlichem rruiik geschmückten Bauten dariiber 



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— i6 — 

geklagt^ dass deren Bewohner mehr am Marmor als an den 
Büc/tem die Augen weiden^ und lieber bei Bewunderung der 

Kunsij^i'i^cnsiände als bei der Betrachtung dt s Li ottlichen Gesetses 
vcnccilcn^ begegnet er der P'inrede, dass ja gerade die KiDist- 
gcgcnstdndc^ besonders die Gemälde^ die lliielier der Laien seien. 
Mag Solomon^ sagt Summetüiart^ den Tempel des alten Bmules 
in dieser Art bauen; ja man kann es noch ertragen ^ wenn in 
Städten itnd Dörfern so gebaut wird^ ^vohin die Leute strömen^ 
deren liinfalt sieh an den Malereien ergötzt^ weil iJnien die Texte 
der heiligen Schriften unbekannt sind. Die Mönche aber sollten 
die Geschichte der heil, Schrift mehr in den Büchern lesen^ als 
an i^e malten Wänden oder Bettbedachun<ren. Wer sich an die Bücher 
der Laien^ d. h. an die Gemälde hidt, eneeist sieh ebendaniit 
als unkundig der Sehrift^cisscnschaft. Wenn die M'önehe so 
viele Mittel für Gemälde und geschnitzte Bilder zu vcnvcnäcn 
haben^ warum verwendet man sie nicht vieltnehr für die Bücher 
der Gelehrten und für diejenigen^ welche nach Gottes Bilde ge- 
schaffen sind.- Vor den leeltlichen /teschaßigungen , sagt er 
weiter^ wo hört mau das siisse GeJ/iister der heiligen Schrift^ 
das wie die Wasser Siloes leise dahin fliesst? Vielnuhr lidrt 
fnan den Lärm roJur Bauern utid Zinsleute, ya^ filrwahr^ 
gleichwie in nicht wenigen Thcologenschulen viel lauter Aristoteles 
uuii sein Couiiueniaior Ai'crrocs das Wort fithroi^ als Christus 
und der Apostel^ so hört nian in niancJien Klöstern mehr die 
Landwirthe und Jäger^ als die Lehrer der heil, Schrift! 

Von Sumtfunfiarts eigenen Leistungen in der Schriftfor- 
schnng liegt uns ein sehr bemerketiswerthes Denkmal vor, eben- 
falls in Ju^rm eines Vortrags, wie solche nach akademischer 
Sitte der Zeit an geieissen Festtagen des Jahres s, B. am Tag 
des h, Augustitij des //. Jvo^ der h, Katharina^ am //. Christ- 
abend^ vor ttersammelter Akademie gehalten wurden. Der Vor* 
tragy der auf zwei Tage, nemlichdie Christabende d. J. lff)4 und 
93, vertheilt und später in erweiterter Gestalt herausgegeben 



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* 



- 17 - , 

wurdi'f bcfasst sich mit dem Nac/nveiSy dass nacli den /rnj^'- 
nissen des alten Testamettts^ ja selbst nach ßidischcn uttd heid- 
nischen Traditionen^ der im Gesetz und in den Propheten %*er- 
heissene Messias nicht blosser Mensch sondern Gott sein musste. 

Dirscr Jh'ici'is nicht blos fitr die Mcssianität sondern fitr dir 
Gottheit Jesn ans dem alten Testament ist mm freilich mit 
einer Kültnlieit gefiihrt, fitr welche uttsere heutige nüchtern ver- 
ständige Exegese keinen Sinn mehr hat. Aber die wissenschaft- 
licJien (J nind/üLTen sind die richtigen. Iis ist ihm danini zn 
thnn^ den dlanben an die Gottheit Christi^ den zeir vor aller 
Wissenschaft besitzen^ cmch wissenschaftlich su bewähren^ denn, 
sagt er mit Ambrositis, wer Glauben verlangt^ imiss den Glau- 
ben /'Ci^riinden. Zur wissenschaftlichen Begriinduvg des Glau- 
bens aber 'genügt es nichts einz(i;- bei (fer lateinischen L bersetzn}tg 
und bei den mittelalterlichen theologischen Jir klärern stehen su 
bleiben, Summenliart weiss vielmehr die überlieforte Übersetzung 
* an dem Urtext su phtfen und diesen selbst an einseinen Orten 
ilurch UerbeiziehHUi:; der cluildaisclien Targnni und jiidiseher 
lixegese zu erläutern Er folgt freilich vornelnnlich den 
Fusstapfen des Nicolaus vonLyra^ utid seine selbständigen Ver- 
Stühe in der TexWergleichung und Textkritik auf Grund seiner 
Sprachkenntnisse sind dilettantisch und nicht frei von einer ge- 
ivissen Ostentat ion mit aussergeieohnl icher fremdartiger Gelehr- 
samkeit Aber für die damalige Zeit ist seine Kenntniss 
des Griechischen und Hebräischen schon sehr ansehnlich ^ ob- 
gleich er unter seiticn damaligen Collegcn einen hatte^ dem er 
hierin leolil tiie Pahne abtreten ninsste, Ptini Seriptoris. 

Snnimenharts H'ie Seriptoris" Verdienste um J ordernng der 
hebräischen Studien sind durch einen daiikbaren Schüler der 
Nachwelt kuttdgegeben worden, durch Konrad Pellican, wel- 
cher ersählty une er, ein Jimgling von 20 Jahren^ durch die 
J>ekanntseheiß mit den Se/iriften des Xicolaiis i'on Lyra zum 
Studium des Hebräischen angefeuert umi von Paul Seriptoris in 

Llasenni«nii, Sammenltart. 2 



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— i8 

seinem Vcrlaue:cn bestärkt und zu Sununen/iart i:e/u/trt worden 
seif der ihn mit literarischen Hilfsmitteln versehen und noch 
kurz vor seinem Tode nachdrückliek ennahnt habe^ seinen Eifer^ 
hebräisch su lernen^ nicht aufsugeben; denn wahre Theoloj^ie 
könne auf nichts f^eluiul leerden als auf die Pnielier des alten 
Testaments in Verbindung mit den evangelischen Schriften 

Katm demnach Sumtnenliart zu denjenigen Männern gezäliU 
werden^ welche in Datischland dem wissenschaftlichen Stu- 
dium der heil. Schrift Bahn gebrochen und damit einen we- 
sentliehen Sehritt über das Mittelalter hinaus j^rtl/an haben, so 
lie<^t doeh der Sehieerpuiüct seines Wirkens auf einem - andern 
Gebiet^ dessen Aidfau zu seifUT Zeit ebenfalls kaum erst in An- 
griff genommen war^ um wenigstens von Deutschland zu reden; 
es ist die (?esellseliafts:eissensehaft, oder im modernen Aus- 
druck die sociale trage im umfassendsten Sinne des 
Wortes, Wie er zu den Studien über die socialen Fragen ge- 
kommen^ erklärt er selbst mit einer Art von schalklmflein Hu- 
mor: »So lange die Welt im Aufei-air.;e be^^riffen war^ da wuchs 
die Wollust heran, die der fuj^end mehr befreundet ist; )iun 
aber die Welt altert und dem Untere;ang entgegen geht — und 
es ist ja das Ende der Jalirhwiderte bei uns angekomtnen — 
so ist es, auf dem Standptmkt der verehr benen Menschennatur, 
natürlich, dass jetzt die Habsucht überhand nimmt, welche, wie 
man sagt^ mehr bei den Alten zu Hause ist.» So in der J'or- 
rede zu seiftem grosseren Werk über die Verträge; an demsel- 
ben Orte spricht er sich ctber überhaupt über die Nothwendig- 
k'eit aus, dass man von unfruchtbaren logischen und metaphysi- 
schen Untersuchungen fortschreite zu jenen praktischen In-agcn 
des Lebens, welche für die Sicherstellung des Gewissens und 
des Seelenlieiles in den mannigfaeJun Verwicklungen der gesell- 
schaftlichen Rechte und Pflichten von grosser Wichtigkeit seien. 
Man dürfe sich nicht datfor scheiten, und die Gelehrten sollen es nicht 
unter ihrer Wurde halten, leas man einstens dem Schrates zum 



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— 19 — 



Lobe anrechnete^ dass er die Philosophie zum Leben und zur 
Sittenlehre in Beziehung brachte. Noch lassen es sich freilich 
die meisten seiner Zeit^^enossen nicht verdriessen, an Fragen 

und Materien^ die nur deui Xauien nacJi zur 'J7ito!oj;ie i^elioretij 
in Wirklichkeit aber mit der Theologie entfernt nichts zu thun 
haben^ ihre Zeit und ihre geistige Kraft zu setzen; sie wissen 
nur Fragen aufzuwerfen^ aber nicht aufzubauen. Warum denn^ 
so fragt er mit den Worten des Kanzlers Gerson, Ii rissen die 
Theologen unserer Zeit wortreiche So/>histen, die blasen Schatten 
nachjagen (phantastici), als weil sie das Nützliche und Erkenn- 
bare bei Seite lassen^ und sich mit bioser Logik und Metaphy^ 
sik abgeben oder auch mit der Mathematik^ wann und wo es 
sich nicht gehört ! Der Minen'a, die man sich als Göttin der 
Weisheit deidtj sind die S/> innen zu:.'!il, r tmd verhasst. Nie- 
mand möge einreden, er wolle lieber mit den scholastischen Sub* 
tilitäten und Zänkereien, welche Mühe und Kopf erfordern, sich 
be/ass. u, :^'cil man die Moralfragen^ n'elche sich auf Ge^vissens- 
cntscheidungen beziehen und leicht und einfach seien, ohne Mühe 
erfassen könne sobald man nur wollet — Die verschiedenen 
Zeiten haben ihre verschiedenen Bedürfnisse, Wenn die Häresie 
an der Materie des Glaubens rüttelt ^ wendet man Kraft und 
Sclrii'ciss auf fiir die Lehren des Claubeus ; nun aber die Kirche 
vor den Häretikern Ruhe hat^ ivende man die Aufmerksamkeit 
den sittlichen Fragen des Lebens zu; die Krankheit der 
Zleit ist nun eben die aus der Habsucht entspringende Unge- 
rechtigkeit, dir sich in den •ungerechten Verträgen«, im Besitz 
und Austausch der Gitter vollzieht. 

Summenhart hat^ wie sein College Biel, an eine der hoch' 
sten wissenscliaftlichen Aufgaben Hand angelegt, lange ehe die 
sociale Krisis wirklich zum Ausbruch kam, die in der Refor- 
mationszeit besonders durch die J>auerukrie<i'e Deutschland er- 
schütterte. Aber Sutnmenharts Arbeit kam iiber die scholastische 
Form Ufui über^den Doktrinarismus der Schulstube nicht hinaus 

2» 



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— 20 — 



Diejenigen^ welche später die sociale Frage in Fluss brachten^ 
hatten weit ivcniorr Kenntnisse und Verständniss von ihr^ als 

der Tübinger Ct Ii hrtc \ aber sie wnssU n zum \ 'olk zu spn clu u^ 
Schlagwörter auszugcbcti^ das \^olk über sciiw Lage zu belehren^ 
— wenn man es so heissen darf^ was besser irre fiUiren genannt 
würde. 

Charakteristisch aber ist, wie Smnmenhart ßir theologische 

Untersuihuugen den strengen seholastisehen StU^ den autli er 
beibehalten^ in Schutz nimmt gegen die, leelclie auf die schonen 
Worte achtenundgewölint sind, durch solche sich einsuschnuichcln; 
ihm seif sagt er am Schlüsse seiner Einleitung in die Schrift 

von den Verträgen, meJir daran gelegen, dass seine iH ieeisfuhr" 
Hilgen und Lehren solid und vorsichtig, als dass sie im Aus- 
dnick polirt und gesclimück-t seien; es sei k<rinn möglich^ dunkle 

und schwierige Fragen in sicherer und solider Weise su lösen und 
zugleich eine gefeilte und elegante Sprache mi fiUtren, besonders in 

einer Disciplin, urlchees mit praktischen und geschäftlichen Fragen 
zu thun hat. Der Pomp der Worte verdunkle den InJialt, und dann 
gelte Sir, 20^ 82: » Verborgene Weisheit und ein versteckter Schatz, 
welcher Nutzen ist mit beiden?* Schon dem Moses habe der Herr 
befohlen, seinen Altar aus rohem und unbehauenem Steine su er- 
bauen i V. Mos. 27, 6" \ Suiinneidiavt kenn! ein n noch kein 
j^Iittleres ziuischen dem rhetorischen Stil der Ilmnauistenschulen 
und der streng geschlossenen Fortn der scholastisclten Dialektik, 
Auch hat er in seinen grossem Werken dem Leser in der That 
nichts von der Masse subtiler Untersuchungen und Distinktionen 
erspart, leelche nun einmal der gelehrten Uberlieferung angehör- 
tcHf ob sie schon sutn grossen Theil für die jüngeren Genera- 
tionen ihr Interesse verloren hatten. Auch Summenltart kann 
nicht kurz sein und kann keinen Stein auf seinem Wege zur 
Seite schieben, er muss ihn auflieben, um ihn wieder ivegzu- 
iverfen. Wo er aber nicht an eine bestimmte Scliulaufgai>e ge- 
bunden ist, sondern aus seinem Eigenen redet und in sein Wort 



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seine Seele kuieinlegt^ wie in seiner Ansprache an die Mönche 
in Hirsau und noch mehr in seiner Trauerrede auf Hersog 
Eberhard, da wird nicht nur sein Stil gewandt itnd blühend 

und Si lin- Sprnc/ir fi-urii^-, soik/i rii er tritt als Münh i'or nnSy 
dessen BcgcisUituig Jur ^calirkaft wiss( nsc/iaft/ic/ics Sireben 
ebenso echt ist, als sein Verlangen nach einer Verbesserung 
der kirchlichen Zustände, Er spricht seine eigenen Gedanken 
und Wunsche aus^ ivenn er vom Herzog sagt, derselbe habe j^^e- 
gliilit vor Verlangen^ er möchte es erleben , dass ein a/hi ineities 
Concil versammelt würde zu einer Refortnation der Kirclie in 
Haupt und Gliedern 



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— 22 



I 
I 

HL 

Über Stmmcft/tarts Schriften shtd die A^g^aben der Bio- ' 
graphcn intd Bibltoi^mphen vielfach schwankend und theihveise 
iinric/ii.[^. /J7V j^rlh u im Fol^cndcu ^ ivas sich mit t iuii^cr 
SicJicrJicit feststellen lässtf imiem icir die citizcbu n Werke in der 
Reihenfolge^ in ivclchcr sie gedruckt wurden^ aufsäJtlen, 

L TraetatnliM lipartitiu de deelmis defensivus opinionis 
theologonnn adversns communiter cm&nistas de qnotta decima- 
riim si debita sit jure diviuo vel liuuiauo per Conrndlim Suni- 
mcnli<irt de Calw Artium atque sacne theol(\<^!ir professorein in 
alma universitaie Tuwingensi ordinarie in 'ilieolcgia legeniem 
editus et ibidem lecttis solenniterqtte Afino Dni MCCCCXCVII 
per euudem disputatus. — Imprcssns quoque in imperiali oppido 
Ilagenaie per Ilenricum Gran. J-init feUciter Anno salutis 
nostrae post millesinium qiiaterque centesiniuui uonagesimunt scp" \ 
timim ipso die Briccii (IS, Novemb,),FoL — Hain^ Repertor, 
bibliogr, ;/. ini76 flihrt nach Cave- Wharton (fol 317) und 
Panzer^ Anuales I p. I.'i ;/. einen frihiatiis de dei iinis, Ar- \ 
gentince li'iO^ unter den H'erken Sununenharts auf, eine An- 
gabe die durch nichts begründet ist und durch die Überschrift ! 
der Altsgabe von 1497 widerlegt wird, 

IT. Oratio fnnebris et hctnosa: per magistrum GonradlliR I 
Siiininciiliart de ("ahv sacne tlieoloj^^ice professoreni habita ad 
univcrsitatem Ttewingenseni in officio cxequiarum: qiiod eadeui 
univcrsitas pro Ulustri principe domino EberJiardo priino dtue 



uiyiu^-Cü Ly Google 



— 23 — 

in Wirteinberg' et Deck: tanquavi pro stto patrotto et fimdatore: 

Vff. ydiis Marlii. Auuo MCCCCXC]'!: pic piit ^^it. tjiti pva'cla- 
riis priiicips paiUo ante in fcsto bcati Jlfathicc aposloli hom i*cs' 
pcrarttm: codem anno diem clauserat extremuin .... Imprcssa 
in oppido Tihvingeni per Magistrtimjohanncnt Othmar: Anno 
MCCCCXCVI I f. /'*. Beigedruckt sind drei kleinere Gedichte 
in Distichen von II. Bebel auf das Gedächtniss des Herzogs. 

ViclUicht das erste in Tübingen gedruckte Buch Das- 
selbe ist eine nicht unbedaitende Geschichtsquelle fiir das Leben 
und den Charakter Eberhards im Bart^\ 

III. D'detdfnhts exhortatorius ad attendendion sil|M'r «lerem 

defectibiis viroriim iiioii.isticonnn .per Magistmm ('oiu'a<liim 
SnmmeBhArt de Calw: sacra theologia professorcini Anno Dni 
MCCCCXCII in studio Tüwingensi: ad cujnsdam abbatis pe» 

titionem editns et ad monasteriiun hirsaui^iense : tempore pro- 
vineialis eapituli: qitod ibidem eodem anno instahat cclcbrandnm: 
ut perlectorem wensce pronuntiaretur: prcedicti patris mandato de- 
stinattts, S. l, a, et typ, i^ — Ein beigeftigtes »Elcgidium pancncti- 
cum« von H. Bebel ist' datirt: Ex Thubiugen. MCCCCXVIII^ 
leomit oJine Zweifel auch JaJir und Dnickort des Buches be- 
zeichnet ist. Dasselbe ist nach Lettern und Format der oratio 
funcbris conform^ mir dass Scitemiberschriften angebracht sind, 

IV, Tractatns bipartitus in quo qnod dens bomo fleri 

voliierit: quodqne messias in lege et prophetis promissus: non 
solnm homo sed etiam deus esse d ebner it et debeat: qninqnaginta 
duobus et ultra: veter is testamcnti et infidclium hebreorum si- 
mulqne gentilium ex scriptttra testimoniis: adjectis sparsim ad 
idipsum rationibns congrncnti(C phirlmis: in bipartiti sermonis 
forma comprobatnr: per Mv^istrum Cunradinii Suimneiiliarl <le 
Cahv sacne theolog iic professorein in e^enerali studio Tiiivingensi 
editus et Anno dni MCCCCXCIIII et V ad cetnm ejusdem 
universitatis in vigilia ttatitntatis christi per eundcm pro magna 
parte declamatus, S, l, a, et, typ, 4\ 



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— 24 — 



Atich hier ist der Druck den beiden letztgenannten Schrif- 
ten ganz conform, das Format ttm eine Linie hoher und breiter. 

Jf(7/i darf für alle drei dasselbe Druckjahr annehmen Von drei 
beigi'druck tcn Gcd 'u Jitcn //. l'chcls lassdi i.-ir (•/;ii s unten folgen •*). 

V, SeptijMurtitniii opus de couU'actiLttfi pro foro eonsciai- 
ties et theologico per magistnm Conradnm SvnnneDhart de Calw 

sacrcB theoic'^-iu' profcssorem in ahia^ nniversitate Tubingcnsi 
ordinarie lixenfeni eenipilafnni: ae per ce)ituni qucrstiones di<^es- 
tum, ibidem quoqne per eundcm qnoad multarnm prcegnantium 
qucBstiomtni artictdos iiberiores solcnnüer disputatunt, Iinpres- 
snmqne in imperiali oppido Hagenenv per industrium (sie!) 
Heinricnm Gran: impcnsis et suniptibns prm'idi Johannis 
Kynma nn : Anno salnds nostrw millcsimo quingcnUsimo XIII 
die mcnsis Octohris. J'ol. ••) 

Eine Ausgabe in 4^ von 1497, weiche Hain n, 1Ö17S an- 
flihrty iässt sich nicht finden. Stintsing wird wohl Recht 
/laben mit der ]\ rnint/i?inj^ , die Angabe Ji97 rUhrc daJier^ 
dass der aus diesem JaJir stammende » Traktat über den Zehn- 
tenvL dem grösseren Werk ^Uber die Verträge von löOO bis- 
weilen angebunden ist^). 

Von späteren Außaj^en, welche Moser p. 40 aufführt, kotm- 
ten leir nur eine aujjnideii mit dem Titel: 

De coiitiMctibus Ileitis atque illicitis, traetatus Couradi 
Snmmenliart de Calw^ art, ae, s, theoL doct. In Academia 
olim Tubingen, publice profitentis. In quo etc, Venctiis MDLXXX. * 
Apud Francis cum Zilettnm. Fol 

T.ine Selirift »Dcusiira, nc;4(Uialionibu.s incrcatoruin. Vcnct. 
1580«, die Moser p. 41 auJfiiJirt^ ist von der Venediger Ansgabe 
des op. septip, nicht verschieden. Moser lässt sich durch eine 
abweichende Citationsweise täuschen, 

VI. Coiiradi Sumuuiiliart Coiinnentaria in Snmiiiam phy- 
siccAUu'i'ti iiia*;;iii. . . . Literis exeiis. a solerti Henrico Gran 
Calcographo in Hagenaiv Attno 1007 VII CaL fnaias, Fol, 



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- 25 — 



An der Ausgabe dieses Werkes, die nach dem Tode des Ver- 
fassers veranstaltet 7C7/;v/r, hcthcil igten sich ausser dem Drttcker 

Ili 'niriih (trau Jacob \V i Jit p Jic l i iit^ ^ wclclirr dasselbe mit l'.pi- 
grammcn ausstattet 'j, sodann Thomas Wolf der Jiiu'^nr von 
Strassburgy welcher unter dem Datttm VII CaL Martiis 1607 
eine Dedication an den I^ser schreibt ^\ und Johannes Cäsar , 
welcher nach der Atii^abe Wolfs das eigentliche Geschäft Ri- 
daktion besonnt haben mnss •'). 

Während Moser das liier verseichtwte Werk als ungedruckt 
aufführt y lässt er einen Commetttar »in univcrsam Physicam« 
1'!}17 SU Basel gedruckt sein, ein Irrthum den Cave^Wharton 
Vi^rschnldet hat. 

Von weiteren Schriften Stimmciüiarts^ die da umi dort er- 
wähnt werden, ist Allem nach keittc gedruckt i^'orden. Er selbst 
erwähnt in seiner Rede über die Missstände im Mönchthum 
einen von ihm verfassten »tractatus de j^atribiis et sanctis vetc- 
ris ( t no\ i tcstamenti ctiam in sccularibus literis cvascruiit 
cruditi«; derselbe ist ebenso wenig aufzufinden als eine Schrift 
»De Sangutnc Christi«, welche der anonyme Chronist %fom Klo- 
ster Schuttern envähnt *^). Von einem Werk »In sententias 
Tctri Lonibardi conciusioncs« bezweifelt schon Cave-Wharton^ 
ob es gedruckt tuorden sei. Endlich von szvei Traktaten^ 
»De sttnonia« und »De sufTragiis dcfunctorum« fand Moser mtr 
handschriftliche Auszu^i-, die Wendelin Steinbach y\ macht. 
Aber anch dieser Codex, der in der Itibliotheh des .lAn/ius- 
stifts in 'Jnbini^en sich befunden und demnach in die dortige 
Universitätsbibliothek übergegangen sein miisste^ fiiuiet sich 
nicht vor. 

Was aber von Summenharts Schriften auf uns gekommen 

ist, witrde nach der heutigen Dnichoeise wohl l't ansehnliche 
Oktavbande ansfiillen. Wierde man da zu die ebenso bedeutende 
literarische Thätigkeit seines Zeit- und Amtsgenossen Gabriel 
Biel iKhmen^ so würde aus diesen beiden Gelehrten allein schon 



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— 26 — 

■ 

der Stand der Ttieologie dainaliger Zeit fast in aUen wichtigen 

Fragen zu ciif nehmen sein. 

Unsre Aufgabe ist für diessmal eine bcschrättktere. Die 
folgenden Blätter können wohl MiUliciUuigen ans der Lehre 
Summenharts geben^ sie können aber auch nicht einmal annähernd 
aber alle interessanten Lehr punkte wiedergeben^ was Summen- 
hart geleJirt und ivie er es gelehrt Jiat. Wir miissen uns selbst in 
den Tcxtcitaten grosse Bcschrättkung auferlegen^ wenn wir nicht 
diese unsere Schrift in einer Weise beschweren wollten^ welche 
in keinem Verhältniss su ihretn Zwecke steht 



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- 27 - 



I 



IV. 

Die Naturlehre Smnmenharts gibt uns ein Bild von der 

da}niilii.u n pJiysiknliscJu u ]\'( l!lu tnu/itnui^ ^ lalc/ii' nun freilich 
i'uu r // //< // ]\ \ Itanschauun^ hat weichen müssen, aber in ihrer 
Art nicht weitiger grossartig zu nennen war. Die Voraussetz- 
ungen der mittelalterlichen Weltbetrachtung waren von denen 
der niodi'rncn zwrscliifdt u zcic t'in Po/ vom andern. Die crstcrc 
war ::ucrst auf das Grosse und Gan::ie^ auf den Gesammtplan 
des Weitgebäudes gerichtet ujid stieg erst von da stufenweise 
zum Einzelnen und Kleinen herab. Das Ganze, aberdes Welt- 
planes war nicht mit den Mitteln der sinnlichen Beobach- 
tnni^ f.u iilu r seilen und zu erj^ninden^ dazu bedurfte es der Spr- 
culation; die Natur l^Jiilosoplüe ivar die Voraussetzung der Welt- 
betrachtungy aber nicht die Naturphilosophie, wie sie der Ein- 
zelne voraussetzun/^s/os aufbaut^ sondern die Philosophie wie sie 
als Genieimrut der Gesaninid>ildun<'- der Zeit i--e<'eben TiV^/', 
AristoteleSy zeie er ans dem Christianisiruni^sproeess der 
Scholastik, durch die Speculation eines Albertus M,, Thomas 
von - Aquin, Duns Skotus, Occam hindurchgegangen war. 
Neben der wissenschaftlichen Auktorität^ besonders Alberts d, 
G. gieng aber noeJi eine andere etnJier ^ die der geseJiieht- 
lichen Überlieferung. Thatsachen und Beobae/dnni:^en^ Mitlhei- 
lungen aus fernen Ländern nahm fnan mit ehrlicher Zuver- 
sicht in die Treue der Gewährsmänner hin. Summenhart glaubt 
noch mit derselben Nawetat^ wie tausend Jahre früher Au c^usti- 
nus, an eine Reihe von Erscheinungen, luelche in durchaus fa- 



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buhser Fonn überliefert* waren nttd nur tfieihveise auf Beobacht- 
ungen ziiriiiksc/ilifssni /dssru, iccIcJic erst in der neuesten Na- 
turbeobaeJiturig vcri fielet worden sind. Wir wundern ntis jetzt 
nicht mchr^ wie es komme^ dass die Sprcti so kalt sciy um das 
Eis SU coftsennreuj und doch so hitsigy nm unreifes Obst reif 
SU machen; iiwhl aber noeh über den Salamander^ der tut 
Feuer lebt, ttber den Diamant^ der nur im Blut eines Boekcs 
auflösbar ist^ über jenen Bntnnen bei den Garamantcn^ der am 
Tage vor Kalte nicht getrunken und bei Nacht vor Hitse nicht 
berührt tvcrdcn kann^ über den persischen Fetierstein, der die 
Hand dessen, der ihn hält, verbreiint] iiber die eappadoeischeii 
Pferde, leelcJie vom blasen \Vi)id tröcJitig iverden -). 

Echt scholastisch-aristotelisch ist nun hiebei das »0(t>^ea6ai 
Tdb 9aiv6|i6V9(« , der Grundsats^ dass man an Thatsacheft der 
Erscheinung nicht vorübergehen und sie nicht leugnen, sondern 
sie stellen lassen und erklären müsse. Die reell fe l'hilosiphie 
muss Alles erklären können, Mein die Erklärung ist nur 
nidglich bezüglich des Grossen und Gänsen; je mehr man, 
sagt Summenharty in den Natttrdingen herabsteigt su den Ein- 
scldingcn, welche Geheimnisse der Natur sind , desto mehr 
nimmt unsere Erkenntniss und Ge'visslieit ab; um sie zu er- 
kldrcuy könne man ohne die Zuflucht su einer unbekannten Ur- 
sache d, h, SU Gott nicht auskommen; das sei aber auch nicht 
unphilosophisch f ja wissenschaftlicher^ als wenn die Arste über 
uncrkldrUche Wirkungen i'on Ileihnitleln sagen, dieselben ge- 
schehen itaus einer verborgenen J'igenschaft.vi Solche Antwort 
nenne man Asyl oder Schutsgott (wir zvürden jetst sagen 
De US ex machina^ der Arste, 

Versichtet so der Philosoph auf die Erklärung alles Ein- 
zelnen und Kit inen Singuliiren so trachtet er nm so mehr 
darnach y die TJuilc zu einem System su ßigen, das Ganze 
als einen gross angelegten Plan zu erfassen. Und swar soll 
der Gesammtplan inoglich plastisch vorgestellt werden können; 



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- 29 — 



dazu bedient man sich der siiinlicJien Vorstcllungefi^ und das 
WcUgcbäudc erscheint als grosser Mechanismus. Es lässt sich 
in dem Bestreben^ die sinnliche Erscheinung festzuhalten selbst 
auf die Gefahr-^ ein System des Schcimv. aufzurichten^ von 
den voearistoteHsclien P/ii/osop/ien Ids in die Se/iohistik herein 
eine in iee^^ iiiig beobachte n^ ivclchc wie ein doppelter Kiu /i Seh ritt 
erscheint; der erste geschah^ gegenüber den früheren Ansichten 
der Philosophen von der Bewegung der Erde^ durch Ptolomäus 
selbst^ welcher die Erde int Mittelpunkt <ies i'niversimis iinbe- 
leei^iich fest stehen /iisst, imJireiid um sie her die Sphären der 
Plaiwten und der Fixsterne sich bewegen; der zweite Rückschritt 
besteht darin^ dass man diese SpMren nicht mehr blos als geometri- 
sche Kreise j sojidem als materielle Sphären dachte^ an welche 
die Sterne be/esti^i^'-t und durch deren Uniivedzung sie mit her- 
umgefiiJirt zcerdcn ^ \ 

Allein diese Weltanschauung ist nicht einseitig mechanisch; 
nur für unser Auge besteht dieses äusserliche Awinander- 
hangen und huiiiajuiirgreifin der Theilc des Ganzen, dieses 
Be^ce^twerden des einen Kreises i'ont andern; die Bewegung 
wid die Ordnung selbst ruht auf geistigen Potenzen; man soll 
die sichtbare Welt nicht erklären wollen ohne die unsichtbare^ die 
Engel und die Damoneti; sie beleben die sichtbare Schöpf nni:; ; der 
Rinfluss namentlich di r Däinoiuii wird ganz entsprci hi /id di ii 
mittelalterlichen Glaubensvorstellnngoi ditrc/ums festgehalten; ihr 
Sitz ist besotuiers die Luft^ innerltalb welcher sie auf meteoroUh 
gisehe Vorgänge wie Gewitter zu wirken vermögen, Dennach 
liisst sich auf der andern Seiie :.-u ,/i r nachiecisen , dass atteh 
nach dieser mittelalterlichen Philosophie die Beziehungen der 
Geisterwelt zum Kosmos nur secuftdäre sind; man kann sich 
die ganze Geisterwelt aus ihm herausgemmmen denken^ das 
M'eltgebäude bleibt doch fier sich bestehen , sein Bestand Mngt 
alle 1)1 an der dasselbe tragenden ntid be'-ah-i^enden Hand Gottes 
selbst, füf was man meist sehr ungerechter Weise verschn^eigt^ 



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— 30 — 



gerade die aristotelische Scholastik schliesst aus der U'elthe- 
trachtiiHi^ jene grandiosen Verirrutigcn der Astrologie^ Alehcmie 
und Cabbalistik aus, welche von ganz anderer als streng aristo- 
telisch'Scholastisclier Seite in den mittelalterlickm Gedankenkreis 
hereingeführt zcorden sind. Leichtgläubig können Männer 7^'ie 
Summenhart vielleicht gcmxnnt werden^ abergläubisch sind sie 
nicht i dein Streben nach eitter Geheimwissenschaft ^ utid dem 
damit verbundenen Weüm und Betrtig^ haben sie keine Naliruvg 
gegeben •»). 

Dagegen gehört Sumnienhart als Skotist einer Richtung an 
welche den alten Doden sich selbst nach und nach utitergrabcn^ 
die Sicherheit der Erkenntniss skeptisch zerbröckelt hat. Denn 
die Skepsis beginnt mit Duns Skotus. 

Es sind mtr einzelne ^ fast nebensächliche Züge, in denen 
Suniuienharts Neigung zur skotistischen Lehre hervortritt; den- 
ttoch sind sie bezeichnend. In der scholastischen J-rage, ob eine 
Materie ohneFonn denkbar sei^ oder ob es eine körperlic/ie Sub- 
stans geben könne, welche ihrem Wesen nach einfach, nicht 
aus Stoff und Form susammcngcsetzt sei, nimmt er gegen Tho- 
mas vonA(]uin mit Skotus au, dass eine Materie ohne alle Form 
existiren könnte »pro potentia Dei absoluta«, weil ja i>on keiner 
einzelnen Form gesagt werden könne, sie sei von der Materie 
unzertrennlich ^). Dass zwei Körper gleichzeitig in demselben 
Raum sein können^ nimmt Summenhart unbedenklich schon aus 
dem Grunde an, weil Ja sonst Christus nicht zu lu rschlossenen 
Tftüren luitte eingehen und nicht von Maria ohne l erlctzung der 
Jungfrauscltaft hätte geboren werden können; gilt aber einmal 
dieser Beweis, so ist es attch der göttlichen Macht nicht unmög- 
lich zu beioirkeii, dass die ganze Welt i)i einem Nadelöhr steckte. 
Um so viel i^'cniger lasse sich die Möglichkeit bestreiten, dass 
mehrere Engel, obgleich sie nickt ohne jedes Substrat von Ma- 
terie zu denken sind, sich an einem Orte befinden, wie ja nach 
dem Evangelium in dem Besessenen eine Legion von Engeln 



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— 31 — 



gciirsi'n '). Ferne)' hält zicixr SinmncnJiart die Aiimxitmc ciiws 
leeren Ranines ßir nnzulässig^ wie aus daii »horror vacui« rr- 
sichtlich sei; demioch sei »per potentiam divinam« ein leerer 
Raum möxiieh ; Göll kdpmte alle imtcrhalb der äussersten Sphäre 
befind iulii'n und vor ilir uiiischli\^se)un Korper vernieliten^ so 
dass ein icirk Hohes vacuum entstünde ''). Im Widerspruch mit 
seinettt Meister Albertus nimmt endlich Summefüiart an, dass 
Gott mehrere Welten Mite schaffen können 

Was an diesen Anf Stellungen • bemerkenswerth ist^ das ist 
der ]\-rrdiht auf die Jirkenntniss eines nothwend igen Zu- 
sd )n nienhangs und einer Vernnnftordnuttg^ eim^r idealen Ein- 
heit der Schöpfung, Dieser Versieht liegt in dem unschuldigen 
Wort: »pro potentta divina«; das bedeutet^ dass nichts in der 
Ordnung der Geschöpfe so sehr in den Ideen Gottes begiuiuiet 
ist imd für unsre Erkenntniss feststellt^ dass es nicht auch gan:: 
anders sein könnte. Wenn Gott alle die Gesetze in seiner WeÜ 
ebensogut attch hätte verkehren köimen^ wer bürgt mir dafür^ 
dass dasjenige^ ivas mir ein Gesetz der Weltschöpfung zu sein 
scheint y auch ivirklieh dieses ist: Und 10 ie gibt es dann noch 
elfte Erkenntniss der Ursachen und Zusammenliät^e überhaupt? 
So führt der Skotismus sum Skepticismus und sur Auflösung 
der alten Weltanschauung; die Skotisten wie Summenhart haben 
es aber freilich nicht so gewollt. 

Das Wcltgcbäude lourde nun auf folgende Weise con- 
strttirt. Die gesammte Schöpfung theilt sich in eine geistige 
und in eitw körperliche; das Weltgebäude^ x6o|io;y gehört gans 
der letsteren an^ es ist ein »corpus naturale«, theilt sich aber in 
die Jinninlischcn- und in die viatcricllen Körper, oder in eine 
ütherische und eine Elemeiitarweit. Die hinimlischcn Körper sind 
immateriell und unterliegen tveder der Zatgung noch der Ver- 
wesung oder Vergänglichkeit; ihre Gestalt ist die Sphäre^ tvekhe * 
die vornehmste körperliche Form ist. Einige denken sich diese 
himmlischen Körper beseelt^ ims Summenhart nicht annimmt; 



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— 32 — 

sie seien aber van einer sie bewegenden Intelligenz regiert^ so 
dass der Anschein einer Beseelung leicht erklärlich sei. 

Die ätherische Welt theilt sich in 11 Sphären (cotuen- 

irisch um die lirdc als Mitlclpunkt gereihte KugelseJialen oder 
HimuuL Diese Zahl der Sphären geht über die friihere An- 
nahme von 8 bis 10 Himmeln hinaus wid wird so begrü/tdet: 
Die empirische Betrachtung^ welche aber bei Summenltart 
die der Philosophen heisst^ kennt ausser den sieben Planctcn- 
sphärm nur noch die des Firnianients oder des Fixsternhim- 
fnelSf welcher als unbeweglich, aber selbst alle Sphären bewegend 
und das Weltgebäude abschliessend, erscheittt. Allein die astro- 
nomische Betrachtung^ tvelche eine sweifache und noch später 
eine dreifache In ieegung der l luuiiirl herausgestelll hat^ musste 
zur F.rklarung dieser In wegung einen tu unten und später eitwn 
zehnten Kreis zu Hilfe nehmen, von deneti jeder seine eigene 
Bewegung /tat und sie den iwn ihm eitigeschlossenen Kreisen 
mittheilt. Über diese Sphäreft hinaus reicht nun die Beobach- 
tung des Astronomen nicht ^ leohl aber das Auge des Theologen; 
der Theologie gehört die elfte Sphäre aUy das ist der Himmel^ 
der alles umschliesst und alles bewegt, selbst aber unbeweglich 
ist; es ist dieser Hitnmel die Wohnung des dreieinigen Gottes 
und seiner Eftgel und Seligen. Aber über ihttt erst ist der un- 
gesehaffene geistige Himmel^ die Gottheit selbst und allein ^). 

Die oberste 1 lunmclssphäre heisst das F.m pyreum ^ die Rc- 
gioft des Lichtes, in welchettt Gott wohftt. Gleichwie die side- 
rischen Hitnmel zu ihretn Schmucke die Stertie haben, so das 
Empyretm die Engeld die ja auch Morgcttsternc gettaftnt wer- 
den, die verklärten Seelen uiul Christum selbst^ der gleichsam die 
Sonne dieses Himmels ist , Offeub, ^1, 23). Die rsweite Sphäre 
(primum mobile) heisst Olymp, die ganz durchleuchtete; die 
dritte (secundum mobile) der Crystallhittttnel, auch coelum 
aqucum ,<,''<7//7;//// von den Wassern^ welche nach biblischer l'or- 
siellung aber dem Firmament siiui {Ps. Hill, .7; üs', i; Dan. 



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— 33 — 



t?, 60), jedoch nicht gleicher Art mit dein cleineHtaren IVasscr, 

So Jiat auch die vierte Sphäre^ der Steruenliiuiuiel^ i^elcliem 
die rixsteriu* und nach ror/irrrse/irud. r ^Insie/it die Milchstl'assc 
angeliörcn^ xvohl eine Ahtüichkeit mit dem elementaren Feuer, 
aber nicht die Natur dieses selbst. Die mm noch folgendat 
Sphären sind fünftens die des Saturn, scchstens des Jupiter, 
siebentens des Mars, achtens der Sonne, iieunfois der l'enus, 
cehntcns des Alercur und elftem des Mondes, welche allesammt 
specißsch %*on einander verschieden sind und einander zvohl an- 
grensend (contigui berühren, aber nicht susammenJtänoeud mit 
einander verlninden coni'nm'x sind. Die verschiedenen P>ezeegun' 
gen aller dieser Sphären bedingen alles vegetabilische und ani- 
male Leben auf der Erde, 

In absteigender Reihe der ereatürliehen Dinge, und swar 
abstcigefid in der Oriiitung der si)in!ichen ]'orsteIIii/ig , leie in 
der ^ibstufuug vom AI Ige meinen zum Einzelnen^ vni Bekannten 
sum Gesuchten, vom Edleren zum Unedleren und Gröberen, folgen 
nun die Sphären der vier Elemente, deren entfernteste die des 
Feuers ist, worauf die der Luft, dann die des IVassersund 
endlich die der llrde folgt. Diese Sphären theilen sieh wie- 
der in Kegionen oder Zonen. 

Die Elemente sittd einfache oder Grundstoffe, in welche 
alle Körper zerlegt werden können, tvelche aber selbst nicht mehr 
in leeilere Arten i'on Stoffen tJieilbar sind. Sie Jiaben lixistenz 
für sich in ihren eigenen Sphären, welche sie erßillen^ und sie 
existiren in gegenseitiger Verbindung und Durchdringung; ja 
sie haben die Tendenz sich su verändern, ihre Jjtge zu wech- 
seln, eine gewisse innere Entsweihung antii)aristasis — avti- 
7C£p{aT7.T.c. Arist. '"j herbeizußtJiren , sich mit andern zu ver- 
bimlen um die Gegensätze auszugleichen, ja selbst ineinander 
übersugehett, Ihre specifischen Eigenschaften, Feuchtigkeit uttd 
Trockenlteit, IVanne und Kälte sind je su azveieti einem Ele- 
ment zuf^eeii^net und lassen demnach vier Combimtiown zu. Das 

I.i IIS« um an II, Sunimcntiurt. *^ 



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— 34 - 



Fever ist wann und trocken^ die Luft warm und feucJit, 

das Wasser fcucJit und kalt^ die Erde kalt und trocken. Die 
iveitcrcu Eigi'nsihaßt'n dt r Dingt- sind ans diesen ersten liigcn- 
scliaften abzuleiten ; die Schwere fo^gt aus der Kälte ivie die 
Leichtigkeit aus der Wärme ^ die Härte aus der TrockenJteit. 
Aus dem huinanderwirken der Elementareigenschaften entstehen 
dann die den Sinnen leaJirnelimbaren Eigenschaften^ die 
Sichtbarkeit^ Hörbarkeit^ Farbe u. s. lo. Jedem Element kommt 
aber eine Eigenscliaft als Grundbestimmung vor allen anderen 
sm; Wärme kommt in erster Linie dem Fetter^ dagegen der 
Luft nur in zweiter su; die primäre Eigenschaft kann ein Ele- 
ment nicht verlieren^ leohl aber die .. leeite. 

Aus der Verbindung der Grundstoffe vermittelst der Zeugung 
^eneratio) und Verwesung (comiptio)| aber unter der steten 
Einwirkung der pkmetarischen Mächte^ entstehen nun alle Er^ 
scheinn Ilgen des physischen (chemischen) Werdens und des or- 
ganiscJicn Lebens. Durch ]\rbindung der Elrniente entstehen 
die Elenientargebilde (elementata) in fiitiffac/ier und sivar jetzt 
aufsteigender Ordmmg^ angefangen vom niedrigem unbelebten 
mm lioJtem^ belebten wtd beseelten Gebilde, Die Etementarge^ 
bilde der ersten Verbindung (mixta imperfecta) sind die 
I\feteore iniprcssioncs mctcorologic.x', 7V0uiit im aligemeinen die 
Phänomene der obern Regionen des Feuers^ der Luft und des 
Wassers bezeichttet werden. 

Die Erklärung der meteorologischen Erscheimngen geht aus 
von der Natur der Dünste, vapores, 7velche unmittelbar aus den 
Grundstoffen entstehen; von den Dünsten bleiben die eiiwn im 
Innern der Erde^ in Gängen nnd Höhlungen eingeschlossen^ an* 
dere werden sur Höhe in die Luftregionen getragen. Dieselben 
werden wieder nach den drei Luftregionen, der höchsten^ mittle- 
reu und niedersten unterscJiieden. Diese Diinste erzengen die 
Lufterscheinnngen und ziear die Kometen , nach Einigen die 
Milchstrasse^ den Kranz (Mond-^ Sonnenliof halo), Dontur^ Blits 



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— 35 — 



und Wetterleuchten, Wolken, Reif, Hagel^ Schnee j Rtgt-n, TkaU 
u. s. w. Dagegen i'on den Diinstrn iujicrhalb der ]\rde ent- 
sUhen das Erdbeben, der Schwefel^ sodann die Mineralien wie 
die Metalle, Aus dem Schwefel^ wenn er sur Verbrennung 
kommt, entstehen die Thermen oder warmen Bäder, 

BczeicJiniiid für den daniaLgen Stand der Xa/i/r/'e- 
obaehtung sind folgende drei fragen, ivelche SuninienJiart sich 
vorlegt: Warum sind die Brunnen und die Keller im Winter 
wärmer als im Somtner? Wie wird aus dem in die Erde ein- 
geschlossetien Dunst der Schwefel erzeugt? Wie entstehen durch 
den Schieefel die warmen Quellen.- Die Antivort auf die erste 
Frage lautet gexvöhnlich so: An der Erde, da ivo die JSruntwn 
ihren Ausgang haben, entsteht durch die Kraft der Sonne^ die 
mit ihrer Wärme in die Poren der Erde eindringt, ein Dunst, 
icelcher ivarni ist. Wenn nun itn Winter lecii-en der Kalte die 
Poren sieh sch/iessen, finden die J)iinste keinen Ausgang, ver- 
dichten sieh ufui werden dadurch noch wärmer; so erwärmen 
sie das Wasser, das seinen Ausgang nimmt, und ebenso die 
Keller. Weil dagegen im Sommer die Sonne die Erde ste 
stark erJiitzt, nehmen die in der Jlrde In find liehen kalten Kör- 
per durch die Kraß des Gegendrucks (per antiparistasim) in 
der Kälte zu, um der äusseren Wärme Widerstand bieten ^su 
können; daher kühlen diese Körper die Brunnen und Keller ab, 
iveit eine eonecntrirte odi r geei}ite Kraft stärker ist als eine ser- 
tkeilte. Allein diese lirklarung gefällt SummeuJtart nicht; denn 
wenn die besagten Dünste in der Erde von der Sonne cnvärmt 
wären, so hätte die Sonne doch zuvor die Oberfläche der Erde 
erwännen, mithin die Poren enveitem müssen, so dass die 
Dunste freieu Ausgang Jiätteti und siJi niuit verdic Ilten und 
folglich crJiitsen könnten. Er meint vielmehr, die Ursache der 
besagten Ersclieinung liege darin, dass im Winter nicht hin- 
längliche Wänne um die Erde her sei, um die Kälte derselben 
zu zerstören; demgemäss verdichtet sich nicht etwa die Kälte 

3* 



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- 36 - 



tiach dem Gesetz des Gegendrucks^ sondern sie zertkeilt oder 
verdünnt sich^ wird also geringer und schwächer, weil eine scr- 
thcilte Kraft schwächer ist als eine geeinte. Daher im Winter 
nicht — grössere Wärme, sondern geringere Kälte in Brunnen 
und Kellern, als im Somtner, — Zu untersuchen, ob der empi- 
rischen Beobachtung des Scheins die Realität wirklich entspreche, 
föllt noch Niemand ein. Womit hätte man die Temperatur- 
grade messen sollen. - ■ — ^bif die ziK^iite Frage leird geantieor- 
tet: Der Schwe/cl wird erzengt ans seinem feudi ten zähen Dunst 
und einem wandten und trockenen Dampf (exhalatio), die sich 
ineinander mischen und durch die Kraft der Sonne ineinander 
verkocht (verschmolzen) werden; wenn nun bei dieser Verkochung 
der J)ampf cxhalatio vorherrscht ^ so entsteht der Schieefel, 
herrscht aber dor Dunst vapor} w/', so entsteht das Quecksilber; 
aus diesen beiden aber entstellen alle Metalle. Endlich die Ant- 
wort (Ulf die dritte Frage, In gewissen Bergen ist sehr heis- 
ser Schwefeldunst eingeschlossen, welcher im Gegendruck gegen 
die ihn umgehende Külte sich noch stärker erhitzt; zvenn nun 
in den Erdgängen Wasser entsteht, so wird es nicht nur er- 
wärmt sondern nimmt auch den Schwefelgeruch an, und so ent- 
stellen die Thertnen, — Man sieht auch hier^ wie genügsam 
die wissbegierige Welt immer noch war, — 

Die Gebilde der ziaeiten l'erbindung setzen einen zivei- 
fachen Gestaltungsprocess^ den die Grundstoffe erleiden, voraus^ 
die Erzeugung des Dunstes und die Verkochung (decoctio) des- 
selben. Aus einer Verkochung des (feuchten) Dunstes mit dem 
( trockenen) Dampf entstehen , ivenn der Dampf die Oberhand 
hat, die Steine, so leie das 1-cuer im Ofen den Lehm verkocht 
und hart macht. Aus dem Selnvefel aber und dem Queck- 
silber entstellen^ wie wir oben gehört^ die Metalle^ und stwar 
so dass, wenn beider Verkochung beider miteinander der Schwefel 
die Oberhand hat, die schiccr sc/niicizbarcn Metalle entstehen; 
dominirt aber das Quecksilber^ so entstehen die leicht schmelz- 



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barcn^ rc/r (ins B/rl, darnaclt das /Jini^ das Silber^ das Kupfer, 
das Messing, Allein um die Entstehung der Metalle im Be- 
sondern sti erklären^ viuss noch die Jümvirkung der Planeten 
in Betracht gezogen werden; jedes Metall entsteht unter der 
Herrschaft eines Planeten und ttnrd dämm diesem zugeeignet, 
dem Saturn das ldei\ dem Jupiter das Zinn, dem Mars das 
JSisen, der Sonne das Gold^ der W uus das Jlrz oder Kupfer^ 
dem Mercur das Messinge dem Mond das Silber, 

Die Gebilde der dritten Verbindung sind die Pflanzen; 
auch sie 7verden aus Dünsten erzeugt ^ 7vas man sie Ii in der 
Weise vorstellen kann^ dass aus Dünsten Thaii und Reif ent- 
stehen^ ans welchen dann Kräuter und Bäume wachsai^ oder 
auch in der Weise ^ dass fette utid sähe Dünste stmcilen durch 
die Sonnetnvärme in den Poren der Erde bis su dem Punkt ge- 
koeht "a'erdeUy leo aus ihnen uniiiittellnir Pflanzen entstehen. Die 
Pflanzen aber sind beseelt dureh die »anima vcf^ctativa« ; damit 
ist, wenn es auch nicht ausdrücklich hervorgehoben wird, die 
scheinbar rein mechanische Entstehung der Pflanzen aus den 
Dünsten doeh leiedcr auf ein höheres im Ganzen waltendes Le- 
bcusprincip zurückgeführt. Denn damit aus Dunst eine Pflanze 
entstehen könne, muss su der Materie eine Form, eine Seele vor- 
handen sein, welche den Stoff erst su diesem bestimmten Ge- 
bilde macht. Nicht weil die Materie bereitet isty die Form auf- 
zuuehjuen, eiif steht das Gebilde, und nie hl Tceil ei//e Materie 
besser bereitet ist, ivird eine vornehmere J'orm (Seele) in sie 
eingeflUirtt sondern die Natur bereitet die Materie wegen der 
Form, welelu der Endsiceck einer jeglichen Bildung und Ver- 
änderung in der Materie ist. 

Die FJementari^ebUde der vierten W' rb i )idit n sind die 
vemunftlosen Thiere, welche das Produkt aus einer Verbindung 
der ersten und einer der dritten Ordmmg sind; sie etitstehen aus 
Dünsten and aus Pflansen und haben eine vörsüglichere Seele als 
diesej nemlichdie »anima scnsitiva«, denn in ihnen ist die Jllaterie 



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- 38 



für eine vorttehincre Form vorbereitet, — Endlich der fünften 
Verbindung gclidrt der mit der vernünftigen Seele be- 
gabte MoiscJi an. Damit ist die Höhe der Eutivickluiig der 
ScJi'dpfuugsgchildc crrcicJit^ denn der Menscli ist das Ziel und 
Ende der Schöpfung; das Ziel mtd Ende des Menschen aber ist 
Christus. — 

Ein bemerkenswerther und wohl ßir die heutige Tendenz 

in der XaturhetraeJitung doppelt interessanter Zug ist in der 
aristoteliseJi-seholastischen Natur! ehre ein Ansatz zu der Ent- 
wicklungslehre^ womach die höher organisirlen Gebilde aus 
den niedriger organisirten und diese aus den anorganischen 
unter der Miticirkung victcorischcr und siderischcr Einflüsse 
JiervorgeJuii. Dieser Zug steht im engsten Zusammenhang mit 
dem Drangt der schon Aristoteles beseelte^ die Natur als Gan- 
zes in geschlossener Einheit aufssufassen und sie demnach in 
ihrem wmnterbrochen fortschreitenden Eniwicklungsgattge von dem 
Unbelebten (den Elementen) durch die Pflanzen zu den Thie- 
rcn und den vernuiiftbegabten Geschöpfen zu verfolgen^ icie diess 
schon A, V. Humboldt rühmend hcn^orgehohen hat Der Schwer' 
punkt alles Werdens und Vergehens liegt nach dieser Lehre 
nicht in der Materie^ sondern in der Form ( Seele )y im Leben^ 
in der Beieegung. Die Materie^ an sich formlos^ fügt sich je- 
der Form; werden auch den Elementarstoffen verschiedene Ei- 
genschaften zugctheiltf so kommt doch weniger die Stoffverschic' 
denheit in Betracht ^ als die Bewegung und die Möglichkeit^ 
dass die Stoffe ineinander übergehen. Ein Element kann das 
andere erzeugen; aus einer I laiidvoll I-lrde entstehen zeJiulIaud- 
voU Wasser und aus einer Hau droit Wasser zeit n Handvoll Luft und 
hieraus wieder sehn Handvoll Feuer. Die Möglichkeit der Ver- 
Wandlung der Metalle^ worauf die Goldmetclterkunst aufgebcmt 
wurdcj ergibt sich daratts ohnehin leicht, obwohl, wte Summen- 
hart an einer andern Stelle sagty nicht anzunehmen ist, dass 
das künstlich gemachte Gold ganz die Eigenschaften des tMtiir- 



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39 — 



lic/uH ftabe^ da die Einflüsse der Himmelskörper (influentia 
coelestia) ufUer denen das natiirlicJie Gold fntstehU den jUehimi" 

Sien nicht sn Gebot stehen Sehon auffälliger ist auf den 
ersten Blick die LeicJitigkeitt zcoinit man orginiisches PJlan::ien' 
leheu aus blasen elementaren nnd meteorisehen Processen etit" 
. stehen liess^ also eine Art Urscngnng^ generatio aequivoca, 
suliess. Aber anch dem Thierleben tvird ein ähnlicher Ursprung 
zngeschrii lh ii ; Ichoide. Orgauismeu der niedersten Stufe leenii^- 
stens können ohne alle Zeugung und ohne Samen durch ein be- 
stimmtes Znsamme fitoirken von Dunst und Wärme in Folge 
eines FäulnisS' oder Cormptionsprocesses entstehen* Der Frosch- 
regen^ den man tm Volksmmd kennty ist nicht mwi'dglich^ da 
solche unvollkommene 'i liiere leie der Frosch aus Fäulniss in 
Folge von Vermischung und / 'erkoe/tung 7'on Dünsten entstehen 
körnten; von xwllkommenen Thier en ist diess weniger leicht an- 
zunehmen. Wenn Araicenna erzählt^ dass einmal der Körper eiius 
Kallis aus den Wolken gefallen sei^ so leiire diess insofern mög- 
lich ^ als ein: h -sondere Consleilation oder ein I-'inJluss des ge- 
rade herrsclienden Planeten ans dem Stoff der Wolken einen 
solchen Körper hätte bilden k'ömwn; doch habe Avicenna die 
einfachere Erklärung^ das Thier sei durch einen Windstoss in 
die Höhe gehoben leorden und todt zur Erde gefallen '^j. AueJi bei 
der Erscheinung des Mchlthaus^ welcher selbst cinProdnctaits drei 
FJementen^ Erde^ Wasser nnd Luft isf^ die zu elftem ftuchte/i, 
verdichteten, sähen und fettigen Dunst zusammengekocht werden^ 
beobaehtet man das Entstehen von Würmern und Miieken^ leelelie 
die Blätter und Stengel zerfressen y zeas so zu erk/'fre'/ ist, 
dass zwischen dem Erdenbcstandtheil und dem feuciUen Über- 
zug Luft eingeschlossen wird, welche sich in ein lebendes mit 
Empfittdnng begabtes Wesen (spiritum animalem et sensi- 
bilcni :'er:eandelf ^^). Allein diese Entslekungsieeise bezieht sich 
nur auf die niedrigeren Thicre (scniianimalia}, ivelcJie zivisclien 
den Pflanzen und den eigetitlicheti Thieren mitten inne stehen; 



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- 40 — 



die letzte ren setzen zu ihrem Werden Gebilde der dritten Ver- 
bindung^ PflanscH, voraus. 

Auf die Untcrsuchmtg iibcr das VcrlMniss der Thicre 
zu den Pflanzen ivird jedoch erst ivieder näher einj^rj^tjn^en in 
der LcJire von der Seele. Da jede höhere Stufe der Ent- 
wicklung die tvescntlichen Momente der niedrigenn in sic/t auf 
nimmty so nimmt die Thierscele das Wesen (die Funktionen) der 
Pflansetisecle und die Menscfienseele die Punktionen der Thier'- 
sccli in sich auf. Di r Mcusr/i im embryonischen Zustand stellt 
auf der Stufe des PflanzcnlcbcnSy sein Leben ist die »anima 
vegetativa«, welche früher ist als die anima sensitivii (Thier- 
seclc)y wie diese früher ist als die i'emün/tige Seele (a. intellec- 
tiva). Nachdem die vegetative Seele den Embryo genährt 
und r:-ii ciurr ^<^r:L'isscj! Grösse und Lehensfähigkeit gebracht hat, 
tritt sie zurück und ivird verdorben (^eht eine ]'criiu<Icrungy 
Venvcsung ein^ corrumpitur), wenn die empfindende Seele dasu- 
liommt; wenn aber diese den Korper gehörig bereitet hat, 
wird sie abgetvorfeuy und es tritt an ihre- Stelle die Vermmft- 
sec/r ein, leelche nun allein vom Körper Besitz Jiimnil '''j. Da Zur 
sind im MenscJicit iiicJit drei Seelen, sondern nur eine, 
welche in die Funktionen der niedrigeren Seelen eintritt^ aber 
ihrer Art nach von ihnen verschieden ist Hier thut sich nun 
freilieh die Kluft auf welche vom Standpunkt der blasen Na- 
turbetrachtung nur durch einen salto mortale id)ersprungen und 
allein vom Glauben überbrückt wird^ die Kluft zwisclicn dem 
Natur leben und dem Geistesleben, 

Mcrkioiirdig genug ist das liebevolle Hingegebensein dieser 
Philosophie an die Erscheinungen der Natur. Dass die Meifi- 
ungcn auch der gross fen Gelehrten täuschen können, daran 
wird nicht gezweifelt^ und Summenhart weicht oft gemtg von 
seinem Meister Albertus ab; aber eUtss die Natur täusche^ 
konnte man nicht glauben ; und die Sprache der Natur erkannte 
man in der gemeinen J 'olksansehauung und Überlieferung iiber 



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— 41 — 

die Katurcrschcimnigcn ; an ihrer Realität wird nicht gerüttelt ; 
Aufgabe der Wissensehaft war nur, entgegen der Votksmeinungt 
welche auffaltende Phänovtene fiir mirakutös hielt und aber- 

gläubisi/i rv/TiVV'/Z/i A', (lirsilhcn auf ihre uat'urliclicn l^rsacJuii 
zurückzu fahren. Allerd'nn^s leirkt über Jeu iiatürlieJieu Ur- 
sachen eine übernatürliche, Gott; aber Gott leitet die geschaffe- 
nen Dinge sOy dass er sie ihre eigenen Bewegungen vollziehen 
' lässf; diese sind uns naher und unmittelbarer erkennbar ^ von 
ihnen hal/eii 7i'ir aiisrui^eheN und ihre natürlichen Ursachen 
aufzusuchen Was bedeutet s. /». das Rr scheinen eines Ko- 
meten,^ Die Antwort ist, dass er viererlei bedeute; fürs erste 
^ivsse Hitze und Trockenheit; fürs siveite viele und heßi^i^e 
]\'iii({e^ und Jiici'ou lie^i^t die l'rsache in der In-scJuiffenheit der 
Diitisfe^ ans denen er entsteht; fiirs dritte bedeutet er Krie^ und 
Aufruhr, und endlich viertens grosses Sterben unter den Fürsten; 
der Grund dieser szvci letztem Erscheinungen liegt aber in den 
beiden ersten; in F(>/i;e der ^i^rossen Hitze und Dürre wird die 
Natur des Mensclien ins Cholerische verändert ^ so dass sie 
schnell bereit ist zu Zorn und Krici^-; im Krie^ aber sterben 
die Herren, und ihr Tod wird mehr als der ge%voh}ilicher I^ute 
bemerkt; oder auch ist zur Zeit eines Kometen die fjift nicht 
zuträglich ßir üppi'^er Lebende wie die Fürsten sind ^^). Je- 
doch, sagt Suninienhart in demselben Kapitel, man kann nicht 
in allen Theilen der Naturphilosophie Beweise haben, sondern 
muss sich zuweilen mit Wahrscheinlichkeiten begnügen. 

Als Summeidiart an seiner Naturlehre arbeitete, war schon 
die .l.vt an die Wurzel der mittelalterlic/ien WeltbetracJituui^y 
an das System des Scheins, angelegt. Schon lear Xikolans 
von Cues (Cusa) gestorben, der grosse Vorläufer des Ko- 
pernikus. Schon hatten Peucrbach umi Regiomontanus 
die Astronomie auf eine neue Bahn gelenkt und den Weg einer 
selbständii^en und untniNelbaren Vn-obacJituive; iler Xatnr gezeigt. 
Aber die Schulen ivaren von den Wellen dieser Bewegung iwch 



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— 42 — 

nicht hcriiJirt. Der Frciburgcr Karthäuscrnwtuh und Professor 
der PJiilosophie Georg Reisck kennt den Cusancr und rühmt 
die Verdienste von Petterbach und Regiontontan^ aber sein Sy- 
stein der gcsammten Wissenschaften (Mar^rita philosophiac) 
Ti'/Vv/ darum nicht crscliiiitcrt. SiiuDnciiiiart bi'n'ihrt die Leist- 
ungen des Reisch, ist aber durch neue Ideen noch vollständig 
unbeirrt. Man könnte sich darüber verwundern. Aber wenn 
fnan wa/irnimmt^ wie noch in den ersten Jaitren des IC, ya/ir-' 
hnnderts ein Cfironist und Welttnann ivie der Tübinger Kanzler 
Joh. Nauclcrus ( l'ergenhans) von den Seereisen der Por- 
tugiesen und der Entdeckung Aniericas nichts zu erzeähnen 
hat so tverden wir es auch erklärlich finden^ dass der wis- 
senschaftliche Gedankenattstausch sich damals langsamer^ als 
wir wünschen nCdchtcHy muss vollzogen haben. 



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— 43 — 



V. 

SiiunnciiJiart rch'örl rii den i rsfrii Dciifsr/irn. an 
(irr JiVgriindimi^ und . hishilduni:^ der ]'oIk a- Tl • / r fJi s c // n fts- 
lehre mitgearbeitet haben. Sein Werk über die J ^ertrage, 
welches in sieben Abtheiluitgcn die wichtigsten Punkte aus der 
Gcscllschaftslchre behandelt^ scnvic seine kleinere Schrift über 
den Zehnten entstanden in einer Zcit^ in welcher nicht etica 
uiir ein a/lnr'rh/ii^er I 'nischn'uni^ , sondern eine acute Krisis, 
eiw S'drmlichc und blutige Revolution^ vorbereitet wurde , von 
welcher der Bauernkrieg vom y, JiiJ^it nur ein einselner^ frei' 
lieh schijiieriic/^er, Akt lear. 

Der Umschwung auf allen Gebieleii des gesellschaftlichen 
I^bens war von S7vei Vorgängen betcirkt, 7velc/ie, einmal in 
Fluss gebracht^ keine rückläufige Bewegung ungestraft mehr 
suliessen^ welche aber zugleich aufs engste miteinander znsam- 
iue)ihiengen ; der eine ist der l'bergang des ui i tt e la 1 1 e r- 
liehen Feu ,1 ,i l syst e ms in Bezug auf die Besitzi'erlia/tnisse in 
das freiere Merkantilsystem mit vorherrschender Kapital- 
wirthschaft; der andere ist deis Hereindrängen des römi- 
schen Rech/s und sein Kampf mil den Rechtsansehauungen 
der deuf sehen ]\>/ksjnassen '\ 

Es gibt auch in der WissenscJiafi vom l'olkslebeUy wie in 
der von der Natur, ein System des Scheins, welches sieh 
auf der oberflächlichen , volksmdssig empirischen Beobachtung 
an/bau/, l 'er möge dieser Detrachlnngsweise scheint das Steige /i 



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— 44 — 

der Lebensmittelpreise Verarmung eines Landes ansttseigen, 
während es doch nur eine Vertnehrung und Entwerthung des 
Geldes bedeutet; scheint ferner der Handel mit fremden Län- 

di in ] 'traniiiiiii:; JicrbciziißlJiroi^ i^wil Ge ld hinaus und frcvide 
Waarcn Inirif/jrijnlirt ^Verden; ebenso scJicint das Gcldy ivel' 
ches als Kapital auf Zinsen angelegt wird^ einen Ertrag absn- 
werfen ohne Arbeit^ eine Ernte ohne Saat, Man hat bisher 
wollt in der Nainrlchre erkannt^ 'ivas es heissen wollte ^ das 
System des Sc/ieins endlich iibenuunden und durch ein System 
exakter Rechnung und Messung ersetzt zu haben; auf dem Ge- 
biet der Socialwissetischaft ist man immer noch ungerecht ge- 
genüber den stetiy; fortschreitenden Untersuchungen^ die stvar 
vom alten System des Scheins noch ausgien\^en^ aber Schritt fii r 
Seh ritt sieh von demselben mehr entfernten ''). /.u diesen ge- 
hört Summcnliart nicht weniger als sein .l'/jfsj^enosse Gabriel 
Biely und sein Schüler Dr. j^oh. Eck in Ingolstadt ^). 

Es wird in neuester Zeit noch fast mit der Sicherheit des 
Axioms ausy^esprochen ^ dass die mittelalterliche Kirche einer 
fortschreitenden Erkenntniss der wirthschaftlichcn Gesetze und 
Bedürfnisse hinderlich gewesen ^ weil sie sich mit dein mittel- 
alterlichen feudalen Rechtssystem sozusagen identißcirt und der- 
selbe durch ihr Zinsenverbot dogmatisirt habe. Was hieran 
Wahles ist, leerden leir noch sehen. Aber gam: anders lautet 
der l'orzeurf. leelcher von Seiten der Reformatoren und der 
gleichzeitigen Socialisten der kirchlichen Theologie gemacht 
wurde; darnach %var gerade diese auch in Fragen des Mein 
und Dein venveltticht, den materiellen Interessen dienstbar ge- 
leorden , hatte si'. Ji um I.t^hn den grossen ffandelsgesellschaften 
und -a Fuggere ien*k verkauft und die sittliche Strenge der evan- 
gelischen Lehre in Bezug auf Kauf und Verkauf auf Luxus^ 
auf Kapitalanlehen aufgegeben ; hier also galtefi die kirch- 
lichen Theologen als die liberalen und als Vertheidiger 
ein er s it t e n v e r d e rbe n d e n l Fe Itmo ra l. 



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— 45 — 

/// der Thal befanden sich die Theologen in dem Kampf 
um das alte Recht und um das herkömmliche System der Volks- 
wirthschaft in einer bänglichen Stellung. Das mittelalterliche 

Kiri/hiiicfSLii war mit dtn I\.i\/ilaiisc/idiituigLJi iLs grrfnani' 
sehen Mitttlaltcrs nacJi iDid nacJi auf das Engste vcricacltst )i ; 
und den gebundenen Bcsitsvcrhältnissen der l'cudaUicit ent" 
sprach eine Wucherlehre ^ toelche einen umfassenden kapiteUi- 
stischen Geschäftsbetrieb ausschliesst. Es ist nicht Aufgabe der 
k'irc/i/ii/ii'ii Doktrin gciCL-soiy dcui Wirthscliaftslibni Gcsttzc zu 
geben sie ciit nimmt ihre (besetze vielmehr dem jciccil igen Stand 
des geltenden Rechts und Rechtsbewusstseins^ uftd stellt sie unter 
die Saftktion der Religion, Mer auch in der Gestaltuftg des 
Rechts geht die Doktrin der J Entwicklung der realen VerJiält- 
nisse nicJu voraus^ sondern folgt ihr nach und tliut im allge- 
vieincn gcm^<, wenn sie mir richtig nachzufolgen und das Ge- 
gebene aufzufassen und zu verste/ien vermag. 

Nun war aber auf dem politischen wie auf dem 7virth- 
schajtliehen Gebiete Italien den iil>rigen_ Ländern vorangeeilt^ 
und das classisehe Land der kanonistisclun Wissenschaft hat 
auch zuerst die Theologen genöthigt^ sich mit den itcugesclutffe- 
furft Formen des Verkehrs^ des Handels, Geldwesens, Wechsel- 
geschäfts ^ Staatsanlehens u. s, w. auseinanderzusetzen, 

Deutsehland war nachgefolgt^ befand sich aber gegen Hude 

> 

des 1'). Jahrhunderts auf einer Höhe materieller Entwicklung 
ntid Cultur, und erfreute sieh einer solchen Blüthe des Haftdels, 
der Iftdustrie, Kunst und Wissenschaft, dass auch hier die neue 

Zeit nicht erst kommen musste^ sondern schon angebrochen war; 
aber der Ubergang loar doch nicht ohne empfindliche Einschnitte 
in das Volksleben vor sieh gegangen. Wo viel Licht, da ist 
auch viel Schatten; man lernte über die Misstände im öffent- 
lichen Leben reflektiren und suchte die Ursachen dort, wo sie 
die l'o/Ässti/njJie geio'ohnlich zu finden meint, im neuen Recht 
und im Verlassen der alten Sitte, 



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9 



- Aß - 

Am ersten hatte sich der Handel aus der KUUikrämerei^ 

die sich mit der Zunftindustric auf gleicher Linie hielte mim 
Gi'ossJtandt l onporgcJiobcn und ciucu i)iU ruatio)uilcu und iibcr- 
si'cisc/irn VcrkcJir geschaffen; der Handel aber , leelclur Jer- 
hehrsmittel und Kapitalien braucht ^ gesteUtet mit Folgerichtig- 
keit das Geld" und Creditwesen um ; und fiir die neuen Fonnen 
des Verkehrs und Welthandels^ die bis in die kleinsten bürgcr- 
liehen Kreise fiaehwirkten y war das Recht der Feudaheit 
unsulänglich^ und man musste zu dem einer höher entwickelten 
Zeit angehörigen römischen (kaiserlichen) Rechte, surück- 
greifen. 

Der J Linde/ brachte niiht nur reichen Gcieinn, sondern 
auch eine J erschiebung der gesellschaftlichen l erhaltnisscy eine 
Überwucht der reichen Handelsstädte und Handelsgesellschaften 
über den grundbesitsenden Adel und die Rittersc/tafl und in den 
Städten selbst die Erhebung der reichen Handelsherren über das 
Patriziat. Männer leie II rieh von Hutten konnten es nicht 
vcrieiiidcuy dass die »J-uggem im Exiche mächtig geworden 
Ufid der arme Lcutdadel nichts mehr gelten sollte. 

War aber eiiwial die KapitcUwirtJischafl über den Feudalis» 
mus Meister geivorden^ so hatte diesseine mehrfache Rückwirkung 
auf die nesitz:verhältnisse und das gesanunte Volksleben. Der 
Rcichthuni lear fortan nicht mehr allein an den Grundbesitz 
geknüpft. In den Händen der grossen Handelsgesellschaften 
stauten sich in Folge von gümtigen Canjunkturen^ Monopol ien 
u. s. w. die Reichthümer an^ und die Unterschiede zwischen 
arm und reich leurden fühlbarer. Die raschere Geldcirculation 
driickte auf den Preis des Metallgeldes^ das Geld ivurde ent- 
wertliety was dann als Vertheurung der Lebensmittel empfunden 
wurde. Und endlich ist der Reicht/tum vom Luxus begleitet^ 
beide sind von einander unsertremdich. Aber wie der Reich- 
thum, so ivechselt auch der Luxus seinen Sit;;. Deutschland 
war um jene Zeit das reichste Land der Welt; es war aber 



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- 47 — 



der RcicIitJiUiii :'oii den I'ursU'iiIwffH und Rittt-rom-j^u-ii in du- 
Städte und Märkte siezo^vtif draiigtc sich jetzt viel nielir als 
früher den Andren des gancincn Mamtcs auf; und da doch am 
Ende immer der Rhu mir auf Kosten der Andern reich wer- 
dest und sich die Genüsse des Luxus vcrsehnffen kann^ so häti^s^te 
sie/i doppelt die Seheelsucht und der Neid an den Reichthuni 
derer^ wele/ie von schlicht bürgerlichen Anfängen zn fürstlicher 
Pracht und Macht aufgestiegen waren , und man konnte sich 
den Gang der Dinge aus richtigen ufid erlaubten Mitteln nicht 
erklären. 

In der gemeinen Volksanschauung reßektiren sich die 
t Vorgdf^c des öffentlichm Lebens in folgender Weise, Das 
Reichwerdcn durch blosen Handelsbetrieb erscheint ssum vor- 
aus als unredlicher Gercinn; man fnulct im Handelsgeschäß 
keine produktive Arbeit und ßilirt jeden GeiK.'inn auf Aus- 
beutung dureli Betrug oder Wucher zurück; man findet^ 
dass der Reichthum ^ da wo er einmal errungen worden^ ohne 
Arbeit erhalten tvird und sich vermehrt^ wid es regt sich dets 
sittlicJie Cejiihl i:;e^en den Miissiggang und gegen alles leas 
nicht handgreißiehe Arbeit ist. Der Reichthuni eignet sich die 
politische Macht an und beherrscht die bürgerlichen und 
socialen Institidionen^ und er missbraucht seifte Macht in selbst- 
süchtiger Weise stt monopolistischer Unterdrückung der Kleineren^ 
Ausbeutung der Xoth der Armen, künstlicher Vertheurung der 
Lebensmittel. Der Luxus aber, welcher nach und nach auch 
die unteren ikhichten des Volkes ergreif t^ luU nicht blos die 
schlimmsten sittlichen Folgen^ sondern indem er ausländischen 

Waarcn und Gcnussmitteln Eingang vi das Land verschafft^ be- 
leirkt er Geldausfulir und damit Sinken des allgemei nen 

Wohlstandes, Und um all diesen verderblichen lihchinationen 
cifun Bestand und Halt zu geben ^ flihrt man ein fremdes 
Recht eiUf welches vom gemeinen Mann nicht verstanden wird, 
neue Kosten verursacht und nur den Reichen und Herrschenden 



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- 4» - 



zu gut kommt Wo immer man ein nctus Recht schafft oder 
einfuhrt, da fangen die Leute an, sich daran zu erinnern, dass 

das alti' RicJit das bessere war^ wie ein a/tes Kleid sieh be- 
quemer trägt als ein neues ^). . bis der Reaktion gigen den 
Ltixus aber erwäcJist eine Anfeindiutg jeder Art %>on iioherem 
Lebensgenüsse^ besonders aber der Kunst, Die Bilderstürmerei 
hat nicht so fast religiöse, als sociale Motive gehabt; wir werden 
auiJi bei Siunmenhart eimn der Kunst feindlichen Zug leahr- 
nehiueiL 

Die wissenschaftliche Untersuchung aber über die 
hier eittschliigigen Probleme rückte einige wenige Hauptgesichts- 

punkte in den Vordergrund, und unter ihnen stand die Wue her- 
frage obenan. Jedes Geschäfte als Funktion des Verkehrs- 
lebens wurde darauf geprüft, ob nicht mit demselben ein leiicher- 
ischer und somit durch göttliches und menschliclies Recht ver- 
botener Gewinn ersielt werde. Es war deimuuh fiir die Moral 
wie für die Reehtsp/lege nothwendig, den Begriff des zeuch er- 
i sehen Geieinns streng umschreiben und jedes Rechtsge- 
schäft auf Wucher su untersuchen. Darnach wurden genaue 
Untersuchwtgen über das Wesen und den sittlic/ien wie recht- 
lichen Cliarakter der Vertrüge angestellt, und die Lehre »de 
COntractibus« besehiißigte Juristen, Kaiionislen und Moralisten. 

Nu/i iK'ar aber die mittelalterliche Doktrin von eitwnt 
Wucherbegriff detertninirtf welcher mtr auf einem niedrigeren 
Stadium des Volkswirthschaftslebens voll berechtigt ist. Die 
Theologie hat fortnell recht gehandelt, da sie den Wucherbe- 
griff )iie/il selbst erzeugt, souilern aus der Gesellsehaßslehre eiit- 
mmnien hat; aber sie hat in ihrer consereativen Weise den 
juristisch-volkswirthschaftlichen Begriff des Wuchers mit einer 
Auktorität umkleidet^ welche demselben cUts Ansehen eittes Dog- 
mas gab. Man hat nicht immer streng unterschieden zwischen 
demjenigen lilement i/i der WueherleJire, leelehes ein zeesent- 
liches ßestandtheil der Moral und des Katechismus 



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I 



— . 49 — 1 

1 

bleibe?/ v/i/sSj nmi zzviscJioi der ici ss e Ji sc ha ft liehen Be- \ 
gründung dieser Lehre vermittelst Begriffen und jiiridiscJien \ 
Voraussetzungen y welche dem christlichen Glaubensgebiet eben- 
sowenig angehören^ als die Lehre von der Bewegting der Erde 
um die Sonne oder von der Entstehuji-^ der Arten. 

Siiinuiciiliart stellt auf de in Sfandpunkt der Doktrin seiner 
Zeit; es ivar nicht seine Aufgabe, nationaidkononiische twii ju- 
ridische Begriffe zu corrigiren; er würde mit einem solchen 
Unternehmen y viel mehr als von den Theologen j von den Ju' 
risten und von der öffentlichen J/cinun^, richtij^er i'on den 
socialistischen WoriJUJircni der Zeit, W iderstand erJahren Jiaben. 
Als zwei Decennien später Dr, Eck einen Versuch machte, den 
Wucherbegriff zu revidiren und die Erlaubtheit des Zinsen- 
nehmens aus dem Kapital aufzustellen^ da hiess es, er habe 
sich an die nl-'ih^xcru verkauft und er hatte keinen ]'.rfoJ(^. Aber 
soieeit es innerhalb der niui einmal nicJit zu durchbrechenden 
Position möglich war, hat SummenJiart ein klares Verstand- 
niss für die unabweisbaren Forderungen des Lebens gewonnen. 

Er legt, wie er im einleitenden Vorwort bemerkt, keines- 
ivei:;s seine Sichel an eine fremde h.rjite , leeun er iiber die 
Verträge schreibt; denn nej>en den RecJitsgelehrtcn , vor deren 
Richterstuhl die Verträge gekoren, haben die Moralphilosophen 
als Vertreter des Naturrechts und die Gottesgelehrten als die 
Richter über die (leieissensfraj^en mitzusprechen, ja die juris- 
prudenz niuss sich der Moralphilosophie u?iterordtuiL Die 
Richter selbst würden, wenn sie iiber die Erlaubtheit eines Ver- 
trags urtheilen sollen, gut thun, nicht gar zu sel^r bei ihren 
Sckrifttexten stehen zu bleiben und ihre Augen Mos niederwärts 
auf die JVrj^anioite 'von Thierfellen zu lüften, um zu erfaJiren, 
was die Doktoren sagen; sondern sie sollten luieli den (i runden 
forschen, warum ein Vertrag verwerflich oder recht^nässig sei; 
denn eine Sache ist nicht vernünftig weil sie Gesetz ist, son- 
dern sie ist Gesetz^ weil sie vernünftig ist. Das Kriterium 

Linse II III an II, StiniincuUart. 4 



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50 — 



aber über die »ratio« eines ' Gesetstes ist das ewige göttliche Ge" 
setz. Man /tat demnach su untersuchen, ob ein Vertrßg dem 

göttlichen Gesetz underspreche oder nichts und ztvar nicht nach 
dem Buchstaben^ sondern nach dem Sinn umi nach der Absicht 
des VertragsgescJiäfts, Juridisch werden manche Verträge be^ 
anstandet, nickt weil sie in sich selbst schlecht sind, sondern 
weil sie den Schein eines Unrechts cm sich tragen oder Ge^ 
legenhcit zum Unrecht oebe/f, oder sch/echte und boshafte Ge- 
schäfte verdecken, bemänteln sollen. Der Moralist hat aber ein 
bestimmtes Interesse daran, solche Verträge welche in sich ge- 
reclit sind, auch wirklich zu rechtfertigen, dcanit nicht durch 
eine irrige Anschauung die Gewissen beunruhigt werden. 

Sununenhart führt in einem al(i^emei)ien Theil eine Unter- 
suchung über die Natur des Eigc )tiJi u ui s und beginnt mit 
der theoretischen Frage über das Eigenthumsrecht im idealen 
(paradiesischen) Zustand des Menschengeschlechts, Im Para^ 
diese hatte der Mensch ein Eigenthumsrecht auf alle Dinge 
ausser dem Baum der Erkenntniss ; aber dieses Recht bestand 
für den Einen nur so, dass alle Andern das gleiche Recht hat- 
ten; Adam war der erste Besitzer, aber unbeschadet der Hechte 
. der Späteren; sein Recht bestand nicht im Eigenthumsbesitg^ 
sondern nur in einer Vorstandschaft und in der Venvaltnng; 
in diesem idealen Zustand zviirde der Mensch keine Thiernahr- 
ung genossen und die Thiere selbst einander nicht aufgezehrt 
haben. Aus diesen Voremssetzungen wird nun aber das natür- 
liche Gesetz, das ^ Naturrecht*, entwickelt, welchem vollständige 
Gütergemeinschaft entspricht: » Waren leir im Zustand der 
Unschuld geblieben, so ivAre Privateigenthum (doniiniura di- 
stinctum, civile) nicht eingefulirt worden, weil dann Alles ge- 
meinsam gewesen wäre* ^). Ein solcher Zustand wäre zur 
Erhaltung der Natur und zum friedlichen Verkehr der zuträg- 
lichste ge-ucsen; es icürde Jeder sich nur angeeignet haben, 
was er zum Leben brauchte, und es wäre für die Andern keine 



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- 51 — 

EnthcJirung und also aiiili kein Streit cntstnfiden Das Pri- 
vate ige ntkum ist also erst in Folge der Sünde entstanden ; aber 
unter dieser Varaussetmng md wegen ihr besteht es zu Recht 
und ist zweckmässig und darum notkwendig. Es lässt sich 
zwar auch so noch das Privateigenthnm nicht als Natnrrecht 

bezeichnen ; es ist auch nicht durch göttliches Recht eingeführt. 
Als Gott den Israeliten das Land Kanaan zu eigen gab^ machte 
er nickt die Einzelnen sondern das ganze Volk mm Eigen- 
thümer des Grundes und Bodens, Aber gleichwie der Wein 
den Gesunden zuträglich , den Kranken alu r schädlich 
istf so wäre die GütergenieinseJiaft im Zustand der gefal- 
lenen Natur verderblich. Denn ohne das Recht auf Privat- 
aneignung würde dcu Land unbebaut bleiben und zur Wüste 
werden. Im Paradiesesziistand iväre diese Rücksicht hinweg- 
gefallen^ weil es dort zur Cultnr der lirdc nicht einer miih- 
samen Arbeit bedurft liätte; wenn je Arbeit nothivendig gewe- 
sen, so wäre die Arbeit eine Lust gewesen^ weil der Mensch in 
ihr mir sein < .\i^, nes Wollen hätte üben und erproben können. 
Jetzt dagegen würde die (littergemeinscha/t nur allem Betrug 
und aller Scklechtigkeil den Zugang öffnen, die Guten würden 
das schlimmere und die Schlechten das bessere Theil haben^ ' 
und nie würde der Friede unier den Menschen hersusteüen 
sein. Auch diess wäre im Stand der Unschuld anders iiezec- 
sen; aucJi hier würde zivar i.\-ine vollständige Gleich/uHt ge- 
herrscht haben^ aber die Ungleichheit wäre vernünftig geregelt 
gewesen ; dem wo beide Theile unschuldig sind^ gibt es keinen 
Streit, Da aber doch Privateigenthum nicht dem Nalurrecht 
und nicht dem idealen A/enschheits.::ustand entspricJit ^ und da^ 
wie der Augenschein lehrt ^ das Privateigenthum die socialen 
Missstände^ Uncultur^ Ungerechtigkeit und Unfrieden nicht ver^ 
hindert, so wären zwei Fragen zu stellen^ von denen aber Sumr 
vienhart die eine ganz umgeht und nur die andere behandelt, 
nemlich wie das positive Recht, durch welches Privateigcn- 



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— 52 — 

iJium in die Welt eiugcfiihrt 7vorde>i, von der Moralphilosophie 
gerechtfertigt werden könne. Die andere nicht weniger wichtige 
Frage ist die der Sacialisten — sei es religiöser oder polUu 

scher Färbinif^ — ntmlich: soll es nicht für die menschliche Ge- 
sellschaft einen Zustand der \ ervollkonunnung und des sitt- 
lichen oder socialen Fortschritts geben , in welchem man 8um 
idealen Zustand der Gütergemeinschaft mriickkehren kam? Ist 
nicht die christliche Cultur bestimmt^ der Menschheit das Na- 
iurrecJit leiedcr zurückzu^^ebcn: Diese Fraise stellt sieh Snuufien- 
hart nicht; denn sie könnte nur vom Standpunkt derer mit ja 
beantwortet werden^ welche an chüiastischen Hoffnungen hängen; 
hiefür war die Zeit noch nicht gekommen. 

Das Entstehen des positiven Rechts wird aus zwei Quel' 
len a/>j^rlcit(i, ans der auch im Naturrecht begründeten Au ktori- 
tut luie sie in der väterlichen Gewalt repräsentirt ist, und aus 
freiem Vertrag; es ist keineswegs gegen das Naturrecht und 
gegen die Gereclitigkeit ^ dass die Einen sich freiwUUg einem 
Andern unterordnen, welcher sie besser regieren und beschützen 
kau?! als sie es selbst können ; so gibt es auch eine Eigenthums- 
übertragung aus freiem Übereinkommen^ womit Keinem ein Un^ 
recht geschieht. 

Unter den irdischen Gewalten wird auch die Kirchen- 
und Papstgewalt besprochen. Der Papst , wird hier gesagt, 
hat eine vierfache Geiijalt, von dawn ihm die eine durch das 
rein evangelische, die andere durch das kanonische, die dritte 
durch das bürgerliche und die vierte durch das natürliche Recht 
zukommt. Die erste ist die Fülle der Gewalt über die ganse 
Kirciic in den Dingen, welche das geistliche Kc^i^aHi-Nt im eigent- 
lichen Sinne des Wortes betreffen. Dazu gehört das Recht, all- 
gemeine Kirclienuersammlungen zu berufen und in Verbitidtaig 
mit dem Concil Glaubensfiragen in einer die ganze Kirclie ver^ 
pflichtenden Weise zu entscheiden; sodann das Recht, die unter 
Htm stehenden Vorstände (praclatos infcriorcsj der Kirchen zu- 



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— 53 — 



rcchtsuwciscn^ auch dieselben ganz abzusetzen, wemi sie untaug- 
lich gcivorden sind, und endlich überhaupt Verfügungen zfi tref- 
fen , liU'lchr den In-stand der Gcsauiuitkirchc bcrnJircu. Die 
zweite Geivalt, auf Grund des kanonischen Rechts, enthält die 
Vollmeuht, gcivisse kirchliche Ämter zu verleihen und in deren 
Verfn'dgensivigcligrttlieiten, welche mit geistlichen Rechten 
in W'rb 'uidiDig stehen, W-rfiigung zu Irrffen. Diese Gewalt ist 
nicht Ausßuss des evangelisc/ien Gesetzes, iceil Petrus und meh- 
rere seiner Nachfolger sie nicht besassen. Die dritte ist die 
weltliche Getvalt über einige iMnder, welche er durch llimvil- 
ligung scnvo/tl der Fürsten, besonders der Kaiser als aueJi der 
UntertJianen erlangt hat] hieher gehörten die Länder der Kon- 
statttinischen Schenkung. Auch diese Gewalt ist nicht aus dem 
evangelischen Gesetz, Ja da die Päpste diese Gewalt erhalten 
wollten vermittelst der ersten im rtuingelischen Gesetz ihnen ver- 
liehenen, vermöge deren sie den Blitz der lixeommuuieation 
schlendern, daniiii ist grosse Veneirrung und eine Härte ent- 
standen, die der Kirche nur allzusehr schadet Endlich die 
inerte Gewalt ist natürlich gegeben in seiner Stellung als Ober- 
haupt alh-r Christglänhigen; hieher gehört das Recht auf Eliren- 
be Zeugung und Unter stüzung von Seiten der Gläubigen, 

Geht man den^on atts, dass der regelmässige Erwerb von 
Eigenthum durch Vertrag zu Stande kommt, so sind die Ee- 
dingungen festzustellen , unter denen der Vertrag gerecht und 
sitllicJi ist, und die HauptseJneierigkeit liegt in der Bestimmung 
des Wuehcrbegriffs. Der Gang, den die Untersuchung bei 
Summenhart nimmt, beginnt von der empirisch primitivsten 
Form des Darlehensvertrags (mutuum). Darnach kann man 
sich ein Entlehnen nur vorstellen, zum Zwecke des augenblick- 
liehen l'erhraueJis (consiimtio) einer Saehe; Par/ehen ist Hilfe 
in der Noth. Wird anstatt eines der Consunition dienenden 
Gegenstatuies (res consumptibilis) Geld dargeliehen, so ist das 
Geld doch mtr ein Symbol elfter verzehrbaren Sache, der Clia- 



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— 54 — 



rakter des Darlehens wird dadurch nicht geändert^ das Geld 

ist sachlich identisch mit dem consuviptiheln Gegenstand ( Lebens- 
mittel \ und gilt folglich selbst als »res primo usu consumpti- 
bilis«. Ist damit der J^cgriff des Darlehens abgeschlossen , so 
ergibt sicli daraus der Wudierbegrijf. Das Darlelien ist Hin- 
gabe einer Sache , deren Eigenthum sich vom Gebrauch nicht 
trennen lasst; folglich leivit lias liigenthuni aui Gegenstand des 
Darlehens an den Mutnatar übertragen. Wenn der Darleiher 
mm einen Gewinn ersielt aus einer Saclte^ deren Eigenthum 
er abgetreten hat, so nimmt er was nicht sein ist^ schneidet auf 
einem fremden Acker ^ und dtess ist Wucher, ungerechte 
Ausbeutung der aue^enblickl ichen Noth des N ehe innen- 
sehen. Hier ist der Crystallisationspunkt für den Begriff des 
Wuchers; Wucher ist gleichsam die Nutsniessu^g (usura — usus) 
von einer fremden Sache; Zinsetmehmen ist aber = usura, 
folglich ist Zinsennehmen identisch mit Wucher ^ der Wucher 
also gehört speci fisch dem Darlchensvcrtrag an^ und jeder andere 
Vertrag^ in welcliem ein Gewinn stipulirt ist, kommt itt dem- 
selben Grade dem Wuchervertrag naJte, als er sich dem Cha- 
rakter elftes Darlehens auf Zinsen nähert. Der Wucher selbst 
aber ist ebenso durch das natiirliche leie durch das positiv gött- 
liche Gesetz verboten^ und es ist nur der Gerechtigkeit und der 
Wohlfaltrt der menschlichen GesellscJtaft entsprechend, wenn so- 
wohl das kanonische als das bürgerliche Reclit auf den Wtuher 
(das Zinsennehtnen aus einem Darlehen) schwere Strafen ge- 
set::t hat. In der Begrihiduiig dieser Lehre sind zwei Momente 
zu unterscheiden ^ ein sittliches und ein juridisches. Die sitt- 
Helte Verwerflicltkeit des Wuchers als Aiisbeutung der Noth des 
ArmeUj sowie die socialen Nachtheile wuclierischer Bedrückung 
werden vorgeführt als Beweise aus dem Naturrecht; die Gleich- 
Stellung aber des Wuchers mit dem Zinsentiehmen aus einem 
Darlehen ist dem positiven Recht entnommen ^ netnlich dem 
mosaischen Gesetn (vgL V Mos. 23^ 19. 20). Indem tnan die 



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mosaische Gesetzgebung in diesem Punkt fiir einen Ausdruck 

und i'i)ic In kräftig! (Hg des Xa/uiiwhts na/nn, z'crschtoss man 
sich den Weg zu einer sacJdich genauem Begriff sin- st iuininng^ 
die doch im mosaischen Gesetz selbst angedeutet liegt; denn 
dieses verbietet den Israeliten das Zinsennehmen von Volks' 
genossen^ erlaubt es aber gegenüber den Fremden. Anstatt 
da SS nun hieraus der SeJiIuss gezogen worden iväre^ das Zinsen- 
nehmen könne nicht schlechthin gegen das Naturrecht sein, xveil 
es den Ausländem gegenüber^ also im auswärtigen Handel und 
Geschäftsverkehr, erlaubt wurde, gelangte man gu merkwürd/g( n 
Aus/egunge;/ der ScJirift stelle. Was die Schrift^ sagt Sunt- 
Vienlmrt^ den Fremden gegomber erlaubt, hat mit dem /iitsen- 
nehmen nur einige Ähnlichkeit. In Wirklichkeit hätten die Fremden 
in Judäa gar keinen Besitz haben sollen; was sie besassen, 
hatten sie mit Cnrecht; man durfte ihnen Alles nehmen; leenn 
man ihnen also in Form von Zinsen etwas abnahm ^ so mihm 
man sogar weniger als man durfte; man könnte ilinen viel mehr^ 
sogar das Leben selbst^ nehmen^ wie man im Krieg den Feinden 
gegenüber dazu berechtigt ist. Auch heute noch dürften die 
Christen in ähnliehem Falle ebenso verfattren. llenn aber heut- 
zutage die Juden glaube ti ein Reeht zum Wucher als Wieder- 
Vergeltung gegenüber den Unterthanen des römischen Reiches 
zu haben , iveil die Römer ihnen Land und Reich genommen, 
so gilt diess nieht, ^eeil die judeii mit ReeJit ihr Keieh ver- 
loren^ nachdem sie ihren König gekreuzigt ^). 

Nun konnte sich den llieologen wie den Legisten^ so sehr 
sie durch die hergebrachten Begriffe gebunden waren, nicht ver- 
bergen, dass das Wirthschaftsleben über die primitiven Anfänge 
h inausgesih ritten , .und dass mau (icldaulagen nieht mehr blas 
für die augenblickliche Consumtion , sondern aueJi zu /produk- 
tiven Zwecken machen könne, ebenso dass das Geld nicht bloses 
Symbol einer verzehrbaren Sache, sondern auch Waare sein 
köntu:, einen eigenen Werth repräsentire und gleich andern 



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I 



- 56 - 



Gcgiiistäudcn des Kaufs durch Combination mit Arhi'it i iiulus- 
tria) fruchtbar gemacht werden könne. Anstatt aber den WucJicr^ 
begriff su revidircn und denselben gemäss der bessern Erkennt- 
niss volksivirthschaftlicher Zustände neu su bestimmen, schlug 
Vinn den Weg ciUj von W'uchcrvcrtrag in der alten l'as- 

sung des I*e<^riffs alle jene iy.'irtJischaJtlicJie J)niktionen zu un- 
terscheiden ^ in loekhen das Geld in Wirkliclikeit fruktificirt; 
fiir jede Art von Geldatdage^ Rente ^ Kauffnannsgewinn, Wechsel- 
gcschäfty war der doppelte Beweis zu erbringen^ fürs erste, dass 
dieselbe sich formell vom Darlehensvertrag unterscheide, und 
fürs siveite^ dass sie kein natürliches oder positives Gesetz 
verletze, also keine Obervortheilung^ keine Ausbeutung der Noth^ 
keine Vertheurtmg der Waare enthalte oder mit sich führe. 
Jl'ar dieser Jnweis geliefert^ so war der Gewinn Zins) aus 
einer solchen Geldanlage nicht mehr zu beanstanden. 

Es xmr aber den kirchlichen Theologen nalte gelegt, in 
solchen Angelegenlieiten möglichst liberal zu urtheilen^ nicht 
ettva darum weil auch die Kirche mit tJtren Anstalten auf 
Geldanlagen^ anf lu iiien nnd Zinsen^ angewiesen 7var, sondern 
weil die BeieJitpraxis die Gewissen nicJit über Gebühr be- 
schweren durfti\ Es gekört wenig Geist und Einsicht dasu^ 
Strafpredigten wider Kaufleute und Wucherer su kalten \ aber 
es ist grosse Besonnenheit und Sachkenntniss nothwetidig, wenn 
man einem In-ichtkiud im Namen der strikten Moral nnd Ge- 
rechtigkeit befehlen soll, einen für rechtmässig erachteten Ge- 
witm aus dem gewöhnlichen Gescluiftsbetrieb au verfluchen mid 
zurückzuerstatten. 

Die Sclrwierigkeit für den Theologen begann aber erst da, 
wo es sich um Kapitalanlagen handelte, ivelclie ihrer Art nach 
unter den Begriff des Darlelicnsifertrags fielen, aber doch dem 
sittlichen Bcwusstsein und dem soliden Gescltäftsbetrieb sich 
als stilässig, ja nothwendig, erwiesen. In dieser Besiehung war 
die ll'issenschaft in einem Dilemtna. Die Wuchergeset::e haben 



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— 57 - 

ncmiich ihren Zivcck zu allen Zeiten nur unvollständig erreicht; 
sie haben die Annen nieht vor wuclunrischer Bedrücktittg ge- 
schützt^ nicht einmal den Zinsfnss hercdf gedrückt; iftan will 
das Gegentheil bemerkt haben. Zudem aber konnten die 

W'uilu'Vi^^cSi'tZi' doch nicht i'crhindcru^ ddss nitin :\>// der Na- 
tural- zur Cfdilwirtlischaft und von dem gebundenen Be- 
sitz der Feudalzeit zur kapitalistischen Geschä/tsfonn fort- 
schritt. Hätte man nun die Wucherdoktrin fallen gelassen, 
so hätte man sich in Widerspruch mit der l'ergangenheit 
gesetzt, 7i.'äre n^'olutionär geivorden. Man hat ja in der 
Reformationszeit viel strengere Wuchergesetze und besonders 
strengeres Zinsenverbot verlangt. Wenn ittan aber die Wucher- 
lehre in aller Form beibehielt^ so trtig man die Verantwort- 
lichkeit für die gesellschaftlichen und sittlichen Xachtheile^ 
leelchi der l'ollzng unzieeck massiger Gesetze nach sich zieht. 
Dahin gehört z. B. die Erscheinung, dass ein Gesetz^ welches 
den Ge7visseuhaften das Gelddarlehen venvehrt, dm Geldge- 
schäft in die Hände der (jCiCissenlosen oder derer die das 
kanonische Gesetz nicht achten, der Juden, ausgeliefert hat. 

Summenhart schlägt einen doppelten Weg ein, deren erster 
ihm mit allen gleichzeitigen Theologen gemein ist, Damach 
wird nur derjenige Ge^vinn aus einem Gelddarlehen als 
Wuchergewinn betrachtet^ leelcher ohne alle andenceitige Unter- 
lage aliein auf Grund des Darlehensvertrags Vationc mutui} 
gezogen wird und als solcher beabsichtigt und stipulirt war. 
Im Unterschied hien'on gibt es einen Entgelt aus einem dar-* 
geliehenen Kapital, leelchcr durch eine andere Art von Ver- 
! bindlichkeit hegriindel ist. F.s entstand aus der Praxis nach 
' und nach die Lehre von den Zinstiteln, deren es allmählig bis 
zu zwölf wurden, die auch SummeiUiart einzeln erläutert^). 
Damach war nicht nur jede Art von Rente im mittelalterlichen 
I Sinn, sowie jede J-J!tschädignng für entgehenden eigenen (icieinn 
oder envachsenden Schaden zulässig, somiern es war Zins aus 

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- 58 - 



einem Kapital zu nehmen erlaubt^ welches man in einer Ge* 
seüschafi angelegt (dans sociis) oder dem Nebenmensdtcn blas 
zur Repräsentatimodier PrunkentfaUung pompa) geliehen hatte. 

Der zweite Weg aher^ den Snimuenhaii^ so iveit ich sehe, 
selbstämiig geht, geht tiefer in die Untersuchung itber das 

Wesen der Verträge ein. Es kommt, sagt er, bei eitietn Ver^ 
trag nicht auf den Namen sondern auf den Innern Charakter 
au; es kann ein Rentenvertrag ivucheriscJi sein, d. h. er hat 
den Namen Rtiilcirucrtrag , ist aber in Wirklichkeit ein Dar- 
lehen; und umgekehrt kann ein Vertrag Darlehen heissen, er 
ist aber doch kein solches, weil ihm das Wesen eines solchen 
abgeht: sum Wesen aber gehört die Absicht, in welcher 
der Vertrair (^esch Zossen ist. Gleich:eie es einen Jl'ncher 
Gedanken (usura mcntalisj gibt, d. h. eine wucherische Ab- 
sicht, welche sündltaß ist, wenn auch der materielle Wucher* 
gewinn nicht ersielt wird, so gibt es wohl auch ein Zins-Dar* 
lekcHy dem die wucherische Absicht fehlt; also mich der Cha- 
rakter des Verbotenen nicht zukommt. IVen/i diese Absicht, 
eitlen wucherischen Vertrag nicht sn sch/iesseUf in irgend einer 
Form documentirt sei, so dürfe man auf die Erlaubtheit des- 
selben erkennen; documentirt aber werde sie durch irgend elften 
Zu s a t ZV er trag. Wenn man s. Ä zti einem Darlehensvertrag h in- 
zufüge, das Darlehen sei unwiderruflich gegeben, so liege in 

Wirklichkeit kein Darlehen, sondern ein ] 'ertrag von der Art 
des Rentenkaufs vor; hier entscheide nicht der Name, sondern 
die Natur des VertrtBgs; ja der Beisats '»unwiderrufliche, 
brauche nicht so gemeint su sein, dass man niemals zu kün- 
digen beabsichtige oder dass man nicht von .^bifang an die 
Möglichkeit der Kündigung voraussetze. 

Es könnte auf den ersten Blick scheifien, als ob es Summen' 
hart uftd den Theologen seiner Zeit nur darauf angekommen 
uäre, mit dialektischen Kunsttnitteln am kirchlichen Verbot i'or- 
beisukommen. Die 6achc hat aber ihre ernste Kehrseite, Es 



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wird nemlich erkannt und ausgesprochen^ dass Wucher auch in 
der Form anderer Verträge getrieben werde; denn auch hier 

hivv:;t es nicht vom BcVuhcu des Einzelnen ab, seinem Vertrag 
den Namen zu geben; sondern ein W rtragj wessen Auimens er 
immer sei, ist wucherisch und unsittlich^ wenn er nach Praktik 
und Intention die innere Natur des Wuchervertrags annimmt* 
Hier gewinnt der Theologe wieder die s^cinse sittliche Strenge^ 
um jyj^rn den Wucher sein Verddjj/muffgsurtheil zu schleudern. 
Man m'o'^c nicht glauben^ es könnte eine Stadt oder ciiw Repu- 
blik ohne Wucher nicht bestehen. Ein Gemeinwesen hat immer 
am besten geblüht, wenn darin Gottes Gebote geachtet wurden. 
Auch Kirchen und Klöster sind zu Besitz und Kraft gekommen^ 
so lange sie nicht im Verlangen nach dem Zeitlichen vom Ge- 
setz Gottes gewichen *°). 

Der Abschnitt Ober Kauf und Verkauf behandelt die 
gegen die Handelschaft im Geiste der Zeit erhobenen sittlichen 
ludcnkcn nach :'crschicdcncn Seiten ?nit grosst'r Unbefangenheit. 
Dieselben concentriri ii sich auf drei Ilauptfifuk 'e. Si/'//rh be- 
denklich ist nemlich der Handelsgewinn aus dem Monopol, dessen 
sich damals schon die grossen Handelsgenossenschaften in ver- 
schiedenen Zweigen zu bemäcJitigen drohten ; ferner der Handel 
mit Luxusgegens'ii iiden ^ und cudlicJi ein Handelsgewinn ^ dem 
nicht eine Arbeit oder Industrie entspricht^ wodurch eine Weuxre 
umgewandelt und ilir Preis erhöht worden ist In letsterer 
Besiehung gilt namentlich noch das Axiom, dass die Zeit nicht 
käuflich sei, tlass also nblos -leegen der Zeitdi/ferenz« eine 
H aare nichf im Preise gesteigert werden diirfe; jedoch wird der 
abstrakten Doktrin in der Anwendung auf das Leben leicht wie- 
der ihre Strenge genommen^ weil ein anderweitiger Grund sur 
Preissteigerung Affektionspreis u. s.f) ja leicht gefunden wird. 
Jn-ziiglich der Luxns:eaaren und Schmuckgegenstände weltlicher 
j-lj-t unterscheidet Sunimeui:<'' solch..:, -erlche blos zur Zierde dienen 
und solche^ welche mit der Annehmlichkeit auch einen Nutzen 



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— 60 — 

oder Vortheil (commoditas) verbinden. Von crsteren werden^ 
als zur Zeit noch im Gchrmtch^ namhaft gemacht: Wcrksetige 
Stirn Kränsein der Ifaare; Ketten, die um dett Hals j^r//en und 

vorn au der Ihiist^ wo die Kleider aitsgeseJinitten sind ^ Jierab- 
häiigcn; PerUiischmre^ ivoinit die Kleider i(ber der Urust zu- 
sammengehalten werden; Edelsteine^ wie sie die yungf rotten 
von ihren Kronen an der Stime niederhängend tragest; Ohrge- 
seluuuek, Arnispa)i<e;eu^ ScJileppkleider; Nctt^gc^ieebe nni den ffn/s, 
genannt y* Jh-issi^ollcr«^; buntfarbige Kleider mit eingeivirkicn 
Figuren; Pelswerh^ wofnit die Kleider am Hals verbrämt wer- 
den; lange Schnabelschnhe ; goldene und silberne Knopfe an den 
Kleidern, wo sie nicht hing e höre n; Kleider mit vielen Schiitceft; 
Se/iuiinke aus einer Fueustinktur^ womit das A/igesiel/f ret/i ge- 
färbt wird; falseJies Haar, ScJimuckgcgcnstiinde der zweiten 
Art sind verschiedene Fortnen des Kopfschmucks zur Befestigung 
der Haare i Kronen, Birctte, feine seidnte Tücher, Riechfläschchen 
mit Moschus oder andern Wohigcrüchen, Fingerringe ; Agraffen 
(spintcria ) , wo)nit die Frauen ihre Obergeieänder befestigen. 
Jedoch darf nicht über jede Art solchen Luxus der Stab ge- 
brochen werden; man kann solchen Schmuck liarmlos tragen wie 
einst Joseph den bunten Rock, oder um der vaterläftdischen Sitte 
nacJizukommen^ da und dort auch um die Jungfrauen von den 
Frauen zu unterscheiden; und auch 7eo ein Se/mniek nieJit ganz 
ohne SüneU getragen wird, muss man doch noch nicht eine Todsünde 
daraus maclien; denn es entscheidet doch schliesslich über den 
sittlichen Charakter die Absicht und Gesinnung^ womit man sich 
scliniuckt. Per Handel mit solchen Gei^enstanden ist darum auch 
noch nicJit an sieh unsittlich und der Verkauf derselben ist mir 
dann positiv sündhaft, tcenn manamwhmen muss^ dass ein un^ 
sittlicher Gebrauch davon gemacht wird. Bedenklicher ist der 
Handel mit Würfeln^ Karten u. s. w., die zum Glücksspiel ge- 
braueJit werden; denn bei soleJien Dingen muss die schlimme 
Absicht vcrmuthet werden. In der Lehre von der Preisbestim- 



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— 6i — 



viufig kommt aber der Unterschied swischen niitcUchen und 
immtzen Waaren tvieder zu einer Bedeutitng. Der Maler von 

Ifii/fi^i-iibiliii-ni iiarf n'iiiti 7'rr//ii//niss///(fssii^'- liohcriU Preis 
foriLrii, als der l'erjertigi'r von M'iirßhi. In der /-nj^i^t ., ob 
bei der Preisbestimmung auch die Person des Verkäufers eimm 
Einfluss haben dürfe ^ antivortet Summetdiart mit ja; sofern es 
sich mit einen Gc^i^nistaiid handle^ der nur von einem Hö/ier- 
gestellten geliefert iccrdcn konue ^ diirfe man ihn aus diesem 
Grunde iheurer bezahlen, wie man auch die Kriegsdienste des 
Ritters besser lohne als des Bauers, 

Etfur specifische Geschäftsform der mittelalterlichen Feudal- 
zeit leeir der Rente ii kauf . Aber gleielneie starre Theoretiker 
noch heutzutage die sittliche Berechtigung eiius Darichenszinscs 
beanstanden, weil sie der ganzen vioderwn Entwicklung des 
Wirthschaftslebens kcitu: Berechtigung zugestehen, so wurde auch 
in der Feudalzeit im Rentenkauf mehrfaches sittliches Bede^iken 
gefunden. Die iiincn stellten sich auf den Standpunkt des Scheins 
und stiessen sich daran, dass yemand, ohiu: zu arbeiten, von 
einer Rente soll leben können, da doch das Geld mit rechten 
Dini^en nicht wieder Geld erzeugen könne; Andere aber blickten 
tiefer und fanden, dass die J'unktion des Rentenkaufs sieh kaum 
formal^ sachlich aber j^-ar nicht vom Wuehervertrag (Zinsdar- 
lehen) unterscheide also dieselben moralischen und gesellschaft" 
Hellen Nachtheile haben müsse. Den Erstercn nun erwiedcrt 
Summenhart dass es allerdings ein ungenügender Endzweck 
eines Rentenkaufs sei, leenn man durch ihn Mos reich leerden 
und sich vom allgemeinen Gesetz der Adamssoluie, im Schweisse 
des Angesichtes das Brod zu essen, befreien tvolle; ja wenn 
Viele von Renten leben wollten, so würden bald nicht mehr 
Leute rej/UiS sei/i , um das Land zu bebauen und es miisste 
Theuruug erfolgen ; aber doch müsse es zulässij^ st in, dass die- 
jenigen von Renten leben, die etUweder gar nicht arbeiten können 
oder die im Dienst des Staates oder der Kirche statt der körpcr- 



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— 62 — 

liehen geistige Arbeit übernehmen. Daran aber denkt Summen^ 
hart nichts wer denn die Rente zahlen solle ^ wenn Viele von 
ihren Renten leben und Wenige arbeiten wollen, 

Gt'gcnubcr dem Eimcaud aber, dass der Rente fi kauf am 
Charakter des Wuchers theilnehme^ wird betont, dass ja nicht 
einmal jeder Friichtebesug atis einem dargeliehenen Kapital un» 
erlaubt sei; was aber su Gunsten eines Zinsenbezugs aus einem 
DarleJien iresairt zeerden könne. ' < /Vr /// :'ersi({rku m Masse vom 
Rentenkauf, welcher sich vom Darlehen formell und wesentlich 
unterscheidet^ dagegen eigentlich nur eine Combitiation von Mictli- 
und Kaufvertrag ist und also unter beiden Gesichtspunkten den 
Bcrjni^ eines Emoluments aus elfter dahins^eo-ebenen Sache recht- 
fertigt. Denn der Gegenstand des Kentoivertrags ist ja dem 
Begriff gemäss nicht das Geld^ sofern es unfruchtbar und also 
Eigenihum und Verbrauch von einander nicht su trennen sind, 
sondern der Gegenstand des Rentenvertrags ist seiner Art tuuh 
fruchtbar wie Grund und Boden oder menschliche Arbeil; auch 
das Geld ist unter diesem Gesichtspunkt nicht schlechthin un- 
fruchtbar, sondern es kann, sofern es einen Mctallwerth etitltält, 
Waare werden, kann demnach gekauft oder gemietltet werden» 
Die Goldarbeiter kaufen s. B. gern ungarische Dukaten, weil 
sie brauchbarer si//d als rheij/isches Gold. 

Ist aber einmal die Natur des Rentenvertrags dahin be- 
stimmt, dass derselbe auf der gleichen Linie mit der Miethe 
und dem Kauf steJU, so gibt es für die Erlaubtlieit der Rente 
keine Beschränkung, sofern nur die Gerechtigkeit accjuitas, AttS' 
gleichung der Rec/ite beider Parteien) nicht verletzt wird. .Suni- 
tnenliart erlaubt darum unbedenklich die Pcrsonalrente, die ihm 
von der Mietlie persönliclier Arbeitskräfte nicht wesentlich ver- 
schieden ist; selbst die Sklaverei ist, unter der Voraussetsung 
des Standes der Sünde, nicht der Gerechtigkeit smuider; dabei 
ist jedoch die Sklaverei lediglich als Dienstbarkeitsverhidtniss 
(servitus) gedacht ohne den Nebenbegriff, den wir damit su ver- 



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- 63 - 



binden gewohnt sind, » Wäre es ufterlaudi, seine Dienste zu 
vennicthcn oder sich sunt stäiulignt Dienste eittem Andern su 

vcrpflicJitcu^ so icurdcn die Doktoren an nnsrcr Universität ' 
suu(iij;i n^ indem sie ständig angestellt sein luollen und sieh ver- \ 
pflichtent an dieser Uniroersität zu lesen und nicht an eine 
andere überzutreten^ Dass eine Rente nicht eine ewige 
softdem kündbar ist, ihut ihrer Natur keinen Eintrni^y so wenig 
ein Kauf diircJi die r>ediihning eines m'([i^liilien Kitckkoiifes auf- 
hört ein Kauf zu sein. Ja es entspricht der GcrecJitigkcit 
(xquitas) mehr^ wenn eine Rente von beiden Seiten kmtdbar ist; 
eine unkündbare Rente köwite sonst drückaider werden als ein 
Darlehen^ wenn es dem Schuldner unmöglich wäre^ sich seiwr 
Verhijidlichkeit zu entledigen. Was speziell die Lebens reute 
betrifft, so können Einige sie sich flicht ohne unsittliclie Beweg- 
griinde. Misstrauen gegen die göttliche Vorsehung, Sorge um 
Zeitliches, fleischliche Klw^Jieit^ n. s. w. denken. AHein, sagt 
Suiujuenhart , es ist nicJit jede l-'nrcJit und Sorge j auch nicht 
jede Jkisch/iehe Klugheit Sünde, Dass aber bei ciiur Lebens- 
rente gleichsam um eine m^ewisse Zukunft gespielt werde, 
darin dürfe man nicht das Wesen des Vertrags erkennen, und 
zudem sei auch nicht jede . Irt von Spiel an sich unerlaubt. 
Ein uiathematisch genaues VerJialtniss voii H aare und Preis 
lasse sieh Ja auch nicht einmal beim Kaufvertrag erzielen, weil 
der Preis sich nach dem Bedürfniss (commoditas hominum) 
richte. — Hierin liegen schon die richtigen Anfänge ßir die 
JirL-ciDilniss von der Jn'di Uiuug des l 'crsichcni//^s:ecsens , die 
aber ihre IVeiterentzeick/uni^ nicht direkt hier, sondern in der 
Lehre von dem Gesellschaftsi'ertrag gefunden haben. 

Der Gesellschaftsvertrag bildete den Übergang vom 
Geschäftsbetrieb auf Grund des Zinsenroerbots zum modernen 
kapitalistischen Gl schäftsverkeJir ; in iJun neinlich kauics zu deut- 
licher Jirsc/ieinung , wie das Kapital in Verbindung mit der 
Arbeit fruchtbar wird und wie es Sache der Billigkeit ist, den 



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- 64 - 

Gewinn mch dem Verkältniss des evt^nuor/enen Kapitals und 

der aiifyi-wcndiUii Arbrit zu VirtJuiloi. Dir Sc/iirirrii^krit lira^t 
vonirhmliih in zwei Putikirn^ in der l'ragr^ in ivckhan Vcr- 
hältniss des Ertrags das Kapital zur Arbeit stehe^ und in der 
gerechten Vertheilutig der Gefahr oder des Risico* Im allge- 
meinen gehört es zum Wesen des GescUscJiaftsi^ertrags^ dass die 
TlieUiU'kmer gemeinsames EigenthumsrrcJit (condominiiinv mtf 
das eingeworfene Kapital erwerben; iässt man diese Jkstitn- 
mimg fallen^ so ändert der Vertrag seine Natur und wird ent- 
weder Miethe oder Darlehen^ im ietsteren Falle folglich un- 
erlaubt. 

Die primitivste Art eitws solelien l'ertrags ist die Thier- 
genossenschaft (socida), in welcher Schaafe^ Ritidvieh //. dgL 
zum Gebrauch überlassen werden in der IVeise, dass Miteigen- 
thum entsteht und die Proroenienz i^erhältnissmässii!^ vertheilt 
wird '^). Ausser diesem \ 'erlraj^ behandelt Siiiinueiüiart aus- 
ßihrlick die Geldsoe ietät und die I'rage, ob entgegen dem 
Princip des gleic/ien Risicds ein Garafttievertrag siäässig sei, 
wodurch die Gefahr gans oder theilweise von dem einen - Theil- 
nehmer auf den andern gewälat werde; er halt sich aber in 
der Anticort reservirt nnd hält einen Garanfieih'rtrtHT nur unter 
der Bedingung für zulässig, dass er nicht formell ein Wueher- 
vertrag (mutuum) werde» Die Ansicht, dass eine Zinse/Garantie, 
welche ein Tluiltuhmer dem anderft leisten soll (contractus 
trinus), wucherisch sei, schläft aber vor; und es ist dieses 
vielleicht der einzige Pnnkt, in leelehem Summenhart hinter der 
freieren Auffassung des mass^cbemisten Theologen seiner Zeit, 
T/iotnas de Vio, gen, Cajetan, surückgeblicben ist ^*), 

Der letste Traktat erhält seipur Bedeutiim: durch die Unter- 
SUchunj^' über den Wechsel canibiuni . Das U'tehse(^esehäfl 
muss, um sittlich im anfechtbar zu sein, unter den Ihi^riff des 
Tausches (pcrmutatio) gebracht und von andern l ertragsarten 
unterschieden werden. Wenn nachgewiesen ist, dass der Tausch 



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- 65 - 



eine selbständige Vertragsari und dass der Wechsel ein wirk- 
Heltes Tanschgescltäfl ist^ wenn ferner das Wechselgeschiift eine 
volkswirthschaftliche Berechtigung hat, so mtess auch die das 

Geschäft comtituircndc l crtragsfonn^ bczichiDigsiccisc eine I-nic- 
tificirung des Geldes in demselben^ unbeanstandet sein, sofern 
fmr die Gerechtigkeit nicht verletzt wird. Die Nützlichkeit des 
Wechselgeschäfts fiir das Gemeitnvesen erhellt aus einem %*ier- 
fachen /leeeke des Verkehrs mit iLin Aushimir; der erste ist 
der Handels^'erkehr, der rsiceite die Wallfahrt zu den Gräbern 
der Heiligen in fernen Ländern^ der dritte die Aneignung von 
Kenntnissen und Wissenschaften^ die für Seele und Leib mitZ" 
lieh und für die Leitung des Gemeinzeesens von Werth sind; 
der vierte endlich die Abordnung :\>n Gesandtschaften, um iiber 
Frieden unter den Reichen oder Froi»insen zu verhandeln. Na- 
türlich hat es aber auch im inländischen und Kleimerkehr 
IVerth, wenn elfte leichte Gelei^enhelt zum Auswecliseln von 
Gi ldsuunnen gegeben ist. Hin Geieinn aus dem Wcchsche^e- 
scUäft als solchem rechtfertigt sich einestheils aus dem Aufu'and, 
von Arbeitf der damit verbunden ist^ andemtlieils aus dem lU' 
teresse. Das Wechselgeschäft ist nemlich etitweder reines AuS' 
tauschen einer Geldsorte gegen eine andere (cambium purum), 
oder es ist von einen/ Püjii'/icns'eertrag begleitet, sofern die 
Realisirung des Wechsels oder die RiUkbczahlung des ausge- 
legten Betrags erst muh Verfiiiss einer gewissen Zeit erfolgt^ 
es ist also ein Zinsenbeziig unter denselben Bedingungen wie 
beim Darlehen gestattet^ iwmlich zur W rgütung des Interesses, 
nicht aber leegen der hlosen Zeitfrist zivischen Ahsehluss und 
Realisirung des Geschäfts ^ iveil die Zeit nicht käußich und 
kein Reclitstitel auf einen Gewinn ist, Bitten Art-Unterschied 
swischen verschiedenen Formen des Wechselgeschäfts, zwischen 
troJ.euem Weeiisel und WeeJiselbriefen u. s. u. nimmt Sum- 
vicnhart nicht an. Auch jenes Geschäft^ welches s/äter unter 
dem Namen Ämtersocietät (socictas sacri officü) anfgefülirt 

LInsentnanti, Snmmoiiliart. 



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— 66 — 

und von Papst Leo X, sanktionirt wurde ^•'*), kennt SniumenJiart 
noch unter der einfacJuren Fonn eines blasen WecJiselgescJiäfts, 
Ein Kleriker y der zu Rom eine Pfründe oder die Amvartsehaft 

auf i iih' solche (gratia cxspcctativa) erlangt hat und an die 
apostolische Camera die übliclie Taxe baar erlegen soll^ nimmt 
vom WecJisler die Summe auf^ welclte er dann später in der 
Währung seines Aufenthaltsorts — natürlich gegen Provision — 
2nrücksubesahlen Itat. Indem Summenhart alle die verschie- 
denen Praktiken des Geldgeschäfts unter die angegebenen cin- 
facJien Gesichtspunkte bringt y ist er der Midie idh-rhobeUj leeiter 
auf das WecliselreclU einsugeimt^ weiclies ihm doch wolU noch 
freunder gewesen ist als den italienisclien Recittsgelehrten seiner 
Zeit Seinen Standpnnkt als Moralist aber glanbt er, trotz- 
dem er sich in Streitfragen stets auf die mildere Seite^ auch 
citum Antonin von Florenz und JJernhardin von Sicna 
gegenüber^ stellt^ durch die Benurkung wahren zu müssen^ dass 
ein Geschäft swar streng sclwlastisch gerechtfertigt werden 
kSime, aber vor unerfahrenen und übelwollenden Leuten doch 
nicht gutgehe issen iverden solU\ iveil luicJi dem Worte des 
Psalmisten die Bosheit zn ihren eigenen Gunsten liigt utui weil 
unter solc/iem Deckmantel leiclit Wucher getrieben wird. — 

Es erübrigt noch^ an dieser Stelle von Summenltarts Ab- 
hajidlung über den Zehnten mit wenigen Worten zu berichten. 
Auch dieser Traktat lässt uns in die Anfänge einer i'olksieirth' 
scha ftlichen Bewegung hineinschauen^ ivciche bald darauf in den 
Bauerttkriegen^ grosse Dimensionen ansunehmcn drohte und mir 
darum nicht im eittem bedeutenden Erfolge zu Ablösung des Zehn- 
tens, führte, weil man gewaltsam mit Vcrkennung der volkswirth- 
schaflliehen "dne der sittlichen Gesetze vorgegangm war. Auch 
Snmmcnhart findet nicht das befreiende Wort für den Zugang 
der Situation; er erörtert wohl die MöglicJüieit^ dass die Rei- 
chung des Zehntens aufhöre; aber er denkt sich das Aufhören 
nur vermittelst einer GeieoJinJieit , aus leelcher nach und nach 



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- 6; - 



ein Verjähmngsreckt entstünde; von wem und wie aber ohne > 

Kci/itsvt'rlctziifig tili' Aiifaui^ :.u macJicn ivdri\ loitcrlasst er rM ! 
sagen y an eine rechtlich und volksi<:irt}ischaftlieJi 11 lö gliche Ab- \ 
Usung denkt er nichts (^gleich der Gedanke der Kündbar keit 
von Renten anderer Art schon nach allen Seiten hin envogen war. \ 
Den voIksicirtliscJiaf lliehen StiDidpiinkt veriu rt SunmioiJiart \ 
zunächst ^anz wieder aus dem u iuge; dagegen unterscJieidet er \ 
an der Sache eine religiöse und eine positiv rechtliche Seite; 1 
ihn geht aber nur die erstere an. Vom religiösen oder natura \ 
rechtlichen Standpunkt aus gibt es swar schlechthin eine Pflicht \ 
des J/e/ische/ij von seinem Kinkommen bestimmte Tlieile hin. zu- 
geben j denn er ist diess Gott und den Dienern der Religion ^ 
schuldig. Dass aber diese Reichung gerade den zehnten Theil \ 
der Früchte tt. s, w, ausmachen müssen ist schoft im A, T, nur 1 
ei// ReehtSgesetZy ist darum nieJ/t leie ein ^loralgesetz fiir alle \ 
Zelte// bi//de//d , ja es ist iui Christe/zthum aufgehoben leorden 1 
Ufui die Apostel haben wohl milde Beisteuern fiir die nothleiden- 
den Glaubensbrüder^ aber keinett Zehnten gefordert. Hat später 
das kirchliche und bii/'gerliche Gesetz den Zehnten wieder ein- 
geßihrt, so hatte es dazu Reeht u//d (i/i/)/d, aber das gilt /zieht 
unabä/zderlieh für alle Zeiten, Die Reiehung des Zehntens ist \ 
kein Glaubenssatz; ja wenn von zwei Behauptungen eine der \ 
Irrlehre bezichtigt werden konnte^ so wäre es die Lehre ^ wor- 
naeJi die ReieJiung des Zeh nie as Dog//ia leare ^ /licJit aber die 1 
aiuierOy dass der '/.cJu/te a/if^eJiobe/i luerden könne. Ohnehin 
sei faktisch in Italien der Zehnte schon aufgehoben ^ und man « 
erfahre nichts dass die Italiener desswegen im Zustand der 1 
Verdammniss sein sollen^ was doch der Fall wärc^ wenn der 
Zeh/ite V0//1 Natiirreelit festgestellt i<ai\-; de/in da/i/i ko///itc 
selbst der Papst nieJil davon dispensiren. Den Klerikern aber 
wird vorgehalten: sollte das Gesetz des A, T, auch für die 
Christen noch gelten ^ so würden die Kleriker selbst in die 
Pflichten der Levitett einrücken und hätten nach IK Mos, 18^ J^6 

5» 

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— 68 — 



auch ihrerseits den Zehnten zu gehen, und zwar zu dem doppelten 
Zweck, nemlich der Verherrlichung Gottes und der Unterstützung 

dir AyiHiii. Allein das tJiiiti die KUrikcr )iiclit^ Iialnn sie doch 
im Ja/ir 1487 dem Papst Innoccuz VIII den Zehnkn von 
ihrem Zehnten in manchen Diöcesen Aletnanniens verweigert* 
Und doch sei es im Munde der Geistlichen seihst, man miisse, 
wo es sich um seitliche Leistungen an Geistliche handle, im 
Zivcifclfallc das Rcciit zum NacJitJicil derselben auslegen, damit 
sie ja nicht der Habsucht bezichtigt iverdcn können. Es sei 
unrecht^ wenn sie vom alttestamentlichen Gesetz annehmen^ was 
für sie sei^ aber für aufgehoben und ahrogirt erklären was 
gi'gen sie sei. Die Leviten besassen niehts als den Zehnten 
und gaben doch ihrerseits iviedcr den Zehnten, die Geistlichen 
aber haben ausser dem Zffnitm bewegliches und unbetvegliches 
Eigenthum^ ja ga$iu Städte^ Villen, Provinzen und Königreiche/ 
Vergehens ruft der die Hilfe des Gesetzes an, der seihst gegen 
das Gesetz handelt! 

Jedoch erklart Sutntneidiart, dass er nichts festhalten wolle 
was gegen den orthodoxen Glauben und gegen die Enlsclieidung 
der heiligen Mutter, der Kirche, sei 



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^ 69 - 



VI. 

Bin SUtctt' tuid CiUturbild aus der Zcit^ in welclie uns die 
bislicrige Darstellung versetzt Itat^ ist unvollständig, wenn ihm 
nicht einige Züge aus dem Monchwesen heigtgtben werden. 

Der geistige und sittlicJie Zu stand der Klöstrr spiigclt die Cid- 
tur und Moral des Zeitalters am deutliclisten ivicder. Nack 
dem Mdnclie bildet sich der Weltgeistliclic und nach beiden das 
gläitbige Volk, Aber auch das Monchtlmm war um diese Zeit 
schon bcriüirt von den geistigen Strömungen^ die eine neue ] Veit- 
epoche anbahnten; die Beriihniiig war aber im (Jansen von 
mehr ufterfreulic/ien als tröstlichen Wirkungen begleitet, nament- 
lich tfon einem Streben nach Aufiosimg der alten Zucht und 
Lebcnsordmmg ohtte gleichzeitige Aufnahme neuer Bildungsele- 
vtente und ohne Vertiefung des iunerlic/ien Lebens, lunsichts- 
volle Männer luie namentlich der ebenso ernste als gelehrte 
Johannes Trithemius erkannten und verkündeten mit Nach- 
druck die Notlnvendigkeü einer Reform und legten auch kräftig 
die Hand an. Aber diese Bestrebungen blieben auf halbem 
Wei^e stehen; sie nahmen ihre Ideale aus einer vertra}! (reuen 
Zeit^ aus den lunrichtuugen und Lehren der Altväter; dagegen 
fehlten die befruchtenden Ideen m Neubildungen^ die dem 
Cltarakter und den Bedürfnissen einer fortgeschrittenen Zeit 
angepasst worden wären. 

Auch Summenhart, in seiner Rede über die zehn Miss- 
Stände unter den Mönchen^ dringt vor allem ganz im Geiste 



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— 70 — 

des Trithemius auf die Rückhehr zur Vollkommenheit der 
heiligen Väter. Er erkennt in erster Linie einen Verstoss gegen 
den Geist des MöneJitJninis in dem Pninky Luxus und weltlicJien 
' Treiben^ welclics in den Klöstern um sich gegriffen, *Hiitet 
euch^, ruft er den versammelten Vätern in Hirsau zu, nvorgar 
r:n sorgfältigem ßini eurer Ge zelte. Die M'o/inuugen der Brü- 
der sollen Zellen sein, nicht Soldatencastelle; Gefängnisse^ weil 
Kloster^ sollen sie sein^ niclU Paläste; nicht üppig sondern be- 
sclieideUf nicht wolliistig sondern ehrbar! Was sollen Jene lächer- 
lichen Missgestalten *), was jene schmutzigen Affen , wilden 
LÄnveUy ni issgestaltete Centliaiireu^ Halbniensehen^ geßeckte Tiger, 
kämpf e)hie Soldaten^ pfeifende Jäger. ^ Da kann man sehen 
unter einem Kopfe mehrere Leiber utid dann wieder über einem 
Leib mehrere Kopfe; ein vierfüssiges Thier hat den Schwans 
eines Fisches; eine andere Bestie bildet vom ein Pferd und 
hinten eine halbe Ziege, i berall bnnte Alnvechslnng, man kann 
sich den ganzen Tag damit abgeben^ jedes Ein&elne zu bcicnn- 
dcm — lieber als im Gesetze Gottes zu forschen. Wenn ihr 
euch der Unschicklichkeit niclit scltämt^ reuen euch nicht wenig- 
stens die Ausgaben. ^ft Die Türken vene lindern sich, dass bei 
uns die Weltleute sieh prachtvolle Wohnungen bauen, als hofften 
sie ewig zu leben; was ivürden sie erst über die Marmorpaläste 
unsrer Religiösen, welche der Welt abgestorben und arm sein 
wollen, sagen ! Selbst wenn es zutreffend wäre, was Einige eiu' 
wenden^ dass ja Kunst und Prunk nur auf das Haus Gottes 
verwendet Heerde, so zuäre dies^ ztvar zccnigcr tadelnsiverth, aber 
dennoch niclU von Vorwurf frei. Schon St. .Bernhard tadelt 
in den Kirclten die feinen Gemälde, welche den Blick der Be- 
tenden auf sich zielten, ihre Andacht ablenken ntul gewisser- 
inassen den alten jiuli sehen Gottesdienst repräsentircn. Solche 
HerrlicIdicU mag sich für Salomons Tempel ziemen; ja sie 
mag noch gestattet sein in Städten und Dörfern wo die Volks- 
menge hinströmt und sich in ilirer Einfalt an Malereien er- 



gdtstf weil sie die liciligen Schriften nicht lesen kofinctu Die 
Mönche aber in ihrer Abgeschiedenheit sollten lieber in den 

BitcJicni als an gemalten Wauden lesen! Oder sollen die 
Sehmuckgegcnstände etwa als Sehaugepränge dienen ^ um die 
Leute attsulocken, mehr damit sie opfern als damit sie beten? 
Mit goldgefassten Reliqnien xvcrden die Augen geblendet^ damit 
die Ju utel sieh auß/iiin; ein Heiliger oder eine IL iliy^e leinl 
in glänzender Gestalt gezeigt und man hall sie Jur um so 
heiliger^ je bunter gefärbt sie sindl — Es folgt sodann eim 
bemerkenswerthe Mafurnng mit Hinweis auf den fiidisclun 
Tempel^ an dem sich die Weissagung erfüllt^ dass kein Stein 
auf dem andern bleiben zoerde. 

Die Gitter der Motuhc^ wird weiter betont^ sind Eigen" 
tlmm der Armen; was auf Lnxtts verwendet wird, wird den 
Annen geraubt und ist Gottesratdf. Nun sieht man aber wie 
die Religiösen nieht bloss Häuser^ an Grösse Kirchen gleich^ 
sondern Schlösser besitzen und sich an gemalten Zimmern er- 
gdtzcn, während die Armen ohne Kleider gehen und mit leerem 
Magen an der Pforte jammern, ^Merkiviirdige Liebe ruft 
Hugo von Folicto aus, '•die Wand trägt trojanische Männer mit 
Purpur !;e!nall und mit Gold bekleidet; den Christen aber 
lucrdcn a /getragene Kleider versagt; dem Hektor gibt man 
einen goldglänzenden Schild^ dem Armen an der Thüre ivird 
kein Brod gereicht; die Arenen beraubt man^ um Steine im be- 
kleiden: an der Wand bekleidet man die Eva^ der Arme liegt 
naekt au der ^^auer!« — Man leende nieht ein: leir lassen 
die . Irnien nieht verhuny->:rn 1 Ja die a/genagten Knoehen vom 
Tische umi das Spiihlicht aus der Küche erhalten die Bettler, 
Anstatt der kämpfenden Löwen und Tiger an den Wän- 
den m'oge man Schafe und Rtruier auf der Weide gehen las- 
se//, deren Felle den . Innen Kleider und deren Milch ilnien 
Nahrung geben könnte. Ilaben die Klöster ein Übriges ^ so 
sollen sie ihre gedrückten Untertitanen nicht mit weiteren 



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I 



— 72 — 

Lasten beschweren y dass sie nicht ihr und ihrer Kinder Erbe 
auf sehreil müssen; armen Student cn sollen sie Stipendien gc- 

tvdhrcii^ um ^ii Giunaluh Iüsslii das Gcsclz des iknn ::,u 
studinn. 

Auch in der Trauerrede auf Hersog Eberliard macht 
Summenhart ähnliche Bemerkungen über Luxus und Kunst- 
pßi 'ge der geistlichen und weltlichen Grossen, denen er das Bei- 

spii'l libcrJiards^ ivclcJicr aller solcher Eitelkeit fremd, vielviehr 
ein Beförderer der Wissaischaft gewesen seiy entgegenstellt, — 
MöclUe man dcsswegen Summenhart des Mangels an Sinn für 
Kuttst seilten^ so wäre doch ein doppeltes su erwägen; seit der 

Erfindung des BücJierdrucks wandte sich das Interesse der Ge- 
bildeten wie i'on seilest mehr den eigentlich gelehrten Studien, 
als der traditionellen Kunst su; in der l 'erbreitnng literarischer 

Scltätse und Kenntnisse schien allein der rechte Fortschritt der 
Zeit su bestehen. Und sodann was war diess für eine Kumt, 

gegen ivclehc er eifert? Sichtlich eine vcrJiältnissmässig rohe 
Kunst- und GescJimacksrichtung, welche erst wieder durch einen 
neuen Aufschwung geistigen Lebens geläutert werden inussle; 
eine neue Blütlte deutscher Kunst musste erst wieder anbrechen* 
So betont er mm auch in seinen Ratlischlägen an die Mönche 
mit dem grossten Nachdruck die Pßege der Wissenschaft, die 
in so beklagenswert her Weise vernachlässigt werde, ganz im 
Widerspruch mit dem Geiste des Ordens von Anfang an, dessen 
grosstc Mämier die grössten Gelehrten gewesen. Die das Studium 
der Theologie erachten, nennt er Schüler des Antichrist, ^Schaiiet 
aufwärts», ruft er, »und blickt r.iiritck in die i'cigangenen Jahr- 
hunderte ^ und schlaget nicht aus der Art eurer durch Studien 
gross gewordenen Väter^ welche die Kirclu nicht allein durch 
ihre guten Werke und nicht allein durch ihren PscUmengesang^ 
sondern durch ihre heiligen Lehren verherrlicht haben!* 
Wohl wende man ei)!, dass die Wissenschaft aufblähe. Also 
waren Moses und Daniel^ war ein Gregor d, Gr* und so viele 



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— 73 — 



grosse Weise aufgehlasen ? Und war Christus selbst aufgeblasen^ 
von dem es heisst ^ dass auf Htm der Geist der Weisheit und 

di r Jirkrnntuiss nihcii wcrilc^ und dass in ihm alle Sc/iätzr dt r 
IVcis/iiit iDid drr IVissc/ischnft verborgen learcn? Zu allen 
Zeiten habe, ivie Mars il ins Ficinus so sc/ton hentorhebe^ eine 
Verbindung bestanden swischat dem Priesterthum mtd dem 
Studium der ]V('is/tcit^ bei den Persern^ Tndicrn^ Acgyptcm 
u. s. Ti'. /// di // K/östcni aber Jiorc man den liinieand^ je ge- 
lehrter die Mönche werden ^ desto rebellischer und scltzuerer zu 
behandeln werden siel Auch diess wird at(s der Geschichte 
widerlegt. Wahre Wissettsehaft ist 7»iehnehr ein Stück jener 
Froiiij)! igki'i!, leehiie nacJi dein Apostel zu allen Dingen nützlich 
ist, wie sollte gerade sie Anlass zur VnsittlieJikeit geben r 

Aber freilich geht der gute Geist den Ktostern verloren, 
weil sie su viel mit zeitlichen Geschäften, Giitern uttd Sorgen 
belastet sind. Die Abte selbst widmen sich su ausschliesslich der 
1 ene(7ltu//g und der Ökonomie, so dass sie nicht mehr geistliehe 
l ater sein können. Sonst vergleicht man die Religiösen mit den 
Tauben nach dem Psalmisten: » Wer wird mir Flügel geben 
gleich der Taube, dass ich dahin fliege utui Ruhe finden (54, 7); 
solche Abte aber brauchten statt der Flügel besser Beinschienen^ 
da sie eher im Sehmutz der Tiefe ^eandehi, afs in der Jn trach- 
tiing des I limudischen venceilen. J^er Freund im Fvangelium 
wird getadelt, iveil er um des Jochs Ochsens willen nicht zum 
Mahle kommen komUe; die Äbte aber, die doch mch Art der Apostel 
Alles verlassen haben, um dem Herrn nachzufolgen, siftd nicht 
nur jenem geladenen (iaste ähnlieh gezeorden, sondern leenn Thiere 
reden könnten, so wiirden sie sprechen: siehe Ada in ist gauorden 
wie unser eitwr, *Se/iet suv, ruft endlich Summenhart aus, 
»dass in eure Schweinherde nicht die Legion der Dämonen ein- 
breche und sie kopfüber in das tiefste Meer stürze! Hat nicht 
Fdisdus. nachdem Fdias seinen Mantel i(ber ihn ge'oorfen, sein 
Ochsengespann verlassen und ist ihm nachgefolgt; du also, der 



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— 74 — 



du das MönchsgcTvaitd und die Insignim des Prälaten trägst^ 
verlasse die tveltlichen Geschäfte und wolle nicht pßügcn mit dem 
Stier und dem I:Si-/.'n Kein Wunder, (fass in den AHeien nnd 
Kloster schulen die fromme Lehre und die Wlssense/Kjft der 
heil. Schrift verstummt. Allerdings Itat der Abt aiuh die Pflicht^ 
seinem Hause giU vonmstehen und für den äussern Bestand des 
Klosters besorgt su sein; aber er soll nicht das Geringere dem 
Grösseren vorsieJten und sieh nicht so dem Gedeihen der Andern 
widmen^ dass er sich selbst und seine eigciu: Seele darüber ver- 
liert. ^Einige Dinge sollst du allein besorgen^ einige zugleich 
mit Anderen^ und einige ohne dich nur durch Andere, Der Abt 
braucht nicht auch der Midi er zu sein. In den alten Ztiten, 
da die Mönche zeeltlichcs Vermögen nicht suchten, ist es ihnen 
von selbst zu Theil geworden ; jetzt da sie verblendet vom Zeit- 
lichen und mit offenem Mwui vor den irdisclwn Abgriimlcn 
stehen^ verlieren sie stm Theil ihr Vermögen und ihre Rechts- 
Ansprüche und sie zeerden geplündert leerden von diUL)!^ 
deren Väter einstens ihre Kirche mit reichen (itdu n beschenkt 
Itaben; sie werden diese eben nun wie ein hinter legtes . Gut 
zurückfordern l 

Nehmt euch in Acht — so beginnt SummenJiart eine weitere 
F.rniahnung — 7'or ausgesuchten Arten eon Tafel-Geric/iten und 
Getränken! Wenn Jonathan gesiindigi mit einem Tropfen Honigs 
den er genossen, wird es wohl ungefäJirlich sein, an so mamlier» 
lei Fischen wid abivechselnden Bretten sich zu erlustigcn? Wenn 
man den Bauch zum Gott machte so ist sein Tempel die Küche, 
sein Altar der Tisch, sein Triester der Koch^ die Opferthierc 
das Pleisch, der Weihrauch der Duft der Leckerbissen, Aber 
solche Tempel werden nicht in Jerusalem gebaut, sondern in 
Babylon. Wer dem Mare dient, soll x*om Altare leben, ja, aber 
zufrieden mit Nahrung und Getvand^ ohne nach Reizmitteln des 
Gaumens und der ITollusl zu suchen. Sie aber^ die Mönche, 
leben vom feinsten Weisenmehl und trinken das ungemischte 



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— 75 — 



Blut der Trauben; sie begnügen sieh nieht mit einer oder vaoei 
Arten von IVein^ sondern naek dem Mahasier fordern sie El- 

sässcr und auf dcu ItaliLiui' foii^l SallK iicciu sah iaticum), /V/- 
dcm SIC ihre Pocalc mit di Ui Geruch frcuidcr KruutiT zviirzcii; 
und weniger enthaltsam als die Rcchabiten, die dem Wein aber 
nieht dem Fleiseh abgesagt, bemühen sie sieh, dasjenige weis 
ihnen etTva an Fleiseh ahgcJit ^ dureh mehrerlei Weine su er- 
sctrSi U. Miiiiucr in Armut in bäuerlicher Iliitfe y;chore}i^ die 
kaum mit Hirse und rauJieni Ihod den kmirrenden Magen 
sättigen konnten , achten jetst schon Semmel und Honig für su 
gering, ^^önehe trinken, dass sie selnvitsen, und schwelgen in 
Genitssen, die aus der sauren Arbeit der Bauern erivorben iver- 
dcn. Manchmal aber trifft es sic/i^ dass gerade die Prälaten in 
ihren besonderen Häusern splendid leben, getrennt von den Ge- 
nossen, lüelche des Tages iMst wtd Hitsc su tragen haben, so 
dass das Wort des Apostels zii trifft: ^Der eine hungert, der 
andere aber ist berause/it.v Der i'bersc//uss iu der Abtei könnte 
oftmals dem Mangel im Refektoriuui abhelfen. 

Kürzer als die bisher berührten Punkte bespricht Summen^ 
hart, rasch zum Schlüsse eilend, noch einige weitere Missstände, 
bezieh nngS7ceise IVünsc/ie. Die Mönche sollen 71 ich t von den 
Gittern der Kirche ihre lilutsvericandten bereichern und ihre 
Nichten aussteuern. Die Mönche sollen, 7i'ie einst Papst Bette' 
dikf XJI mit Beziehung auf die Verwattdtschaß des Papstes 
gesagly keine Venvandfen haben, oder wie Benedikt XI, der 
seine iu Seide gekleidete Mutter nicht erkennen wollte, dieselben 
nieht über ihren Stand emporheben. Ebensowenig soll das eigene 
Pleisch und Blut bestimmend sein, ivcnn No%*izen aufzunehmen 
oder Bene fielen zu besetzen sind; denn Fleisch utid Blut wird 
das Himmelreich nieht besitzen. Ungehörig ist ferner, wenn 
Mouche mit der llofj'art von lidelleuteu eine uililreiche Diener- 
schaft, vornehme Jii/irichtungen, aufgepulUe Pferde, Falke fi 
unterhalten und Spiele treiben, so dass ihre Sporen glänzender 



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- 76 - 

sind als ihre Altäre! — Nachdem dann noch daran gemahnt 
worden, dass fnan nicht su strenge und lieblos verfahren solle 

^fgcii die Xoi'irjcn und die jiin^crcn Lcntc^ damit sie )iicJit 
unter dem Zwang verkümmern, zvie Pflanzen die im engen 
Raum Hire Zweige niclU ausstrecken können^ warnt Summen- 
hart noch davor ^ dass Mönche mit Privateigenthum geduldet 
werden, "»Ein Religiöse mit Privatbesitz sündigt schwerer^ als 
nrr das Ordeasgeieand ahieirft.v. Und er seJiliesst mit der 
DroJiung: » Wehe den Hirten IsractSf dir sich selber weiden! 
Die Milch Juibt ihr gegessen und in die Wolle euch gekleidet 
ufid was fett war habt ihr geschlachtet; aber meine Herde habt 
ihr nicht getwidet; was scinvach war habt ihr nicht gestärkt 
und was krank zear in'eht geJieilt und was verloren lear habt 
ihr nicht r:itriickgefiiltrt, sondern mit Härte habt ihr über sie 
geherrscht und mit Gczualt,* (Nach Ezech, 34, 2 — 4J 

Man siehty SnmmenJiart scltont die Mönche nicht und er- 
spart ihneft nicht manch hartes Wort; aber tvährend er die 
Gebrechen der liinzelnen geiselt^ verlet'J er nie die Pietät gegen 
die Institution selbst. Was er ilinen sagt, muss wahr sein, 
denn er sagt es ihnen frei in das Gesicht; aber eine Ver- 
sammlung, welcltc eine solche Mahn- und Strafpredigt erträgt, 
ist anrh noch nicht anf jenen Stand der sittlichen Fänlniss und 
F.titartitng Jierabgesunkeii, wie Um kurze Zeit später die Satiren 
eines Erasmus u, A, gezeichnet haben. 



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Aiimerkungci\. 



Zu I. 

]) i'lh'y Johmnics a Lapide s, F, Fischer, Johannes I/iyn.'hi, i^nuinnt 
a Lapidi. Aktnümisilur IWtrai^. Basel — /K P'ist Ju r, Gcsihiilite der 

Vnh't'rsitlU Kiscl von der Gründung l^Oo fis zur Ktfortnat'wn I'>2:k /»'.?.»,/ J800 
S. J-IH. IÖ7 ff. — Jins/er Chroniken I. JJerausgegcben von ll\ Vischer und 
Alfred SUrn. S. :i4-2 jf. u- a. 

i'l'ir (i abriet J^iel s. 1 .i n s e n ina n n , Cuihrle! l^lel iinJ die An/iini^e der 
l'nhersiiiii zu 'Jui'iir^ei:. 'Jluol. Qiiiirtii/seJirift. '/'/i/'ii/^e/: ISi',.'} S. I'J.'t ff". — 
Cahriel liiclf der letzte Scholastiker und der Nominalismus. 'Iheol. Quartalsehrift 
ms S. ff. 601 ff. 

Die Bedttttung Biels für dii Volksmrthsehafl^ehn ist gewOrdi^ bei G, 
Sehmoiler, Zur Geschichte der national-ökonomischen Aitsichten in Deutschland 
während der Heformations^rcriode. Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaff. 7uö, 
1800 S. 600 ff. — ly. Koscher, Geschichte der Nationatökonomik in Deutsch/and. 
München 1874 S, 31 ff,, sowie in einer Ahhandhtng Roschers in den historisch' 
fhiloso/'hi sehen Ikriehlen der K. säehsischen Cesellseha/t 12. Dez, 1871 S. 163 ff. 
— y, Janssen, Geschichte des deutschen Folkes seit dem Ausgang da Mittel- 
alters I. S. lon f 

2) II'. Maurenhreeher, Studien und Skh-.in zur Gesehiehte der Keforma- 
lionszeit. Leipzig 187 1 S. 221: »J^ ist giinz unei'lä s/ieh , duss der Zustand der 
Tlieo/ope e/i.'a um 14'JiJ ~ IMO genau untersueht '«'erde. Von dem Zerrldlde , das 
7oir aus den Sehri/ien der A'e/ormatorcn herauslesen, zvn den Missi'erstdniinissen, die 
durch sie veranlasst sind, gilt es sich loszusagen und das, mis die Theologen jener 
Zeit tMÜch dachten und lehrten, trd mtder aus ihren cigeiten Schrißen heraup> 
suziehen.* 

8) Ii. F. Eisenbach, Beschreibung und Geschichte der Stadt und Universität 
Tübingen. Tüb. 1823 S. III. 

4) Zur Quellenliteratur» Ausser den gedruckten Werken Sunmenharts, 

die besonders ztt //<v/; , ' ;/ //; ,'. / ' / < . // authentisehen und gleichzeitigen Quellen- 
angahen fast gänzlich. Martin Crusius hat in seiner schwäbischen Chrmili 
fdeutsehe .h/'r: von Joh. Jac. Moser, Frankfurt IT.'l'i) heiiüt'.t, r.:w sich an ("her" 
icfenmgen und handschri/tüehen Nolizen, Matrikeibiuh u. s» to. duHtot. Eiiuge 



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- 78 - 

A'ottwn .find enthalten in einem dhi. Miimiscr., enthaltend die Statuta Faeultatis 
f heo/o<^ieae und das Veruichttiss der att dieser factätät vargettotnmefun Promotuwen 
{^Doktorhti ch). 

Von altern Liierarhisloi ikern sind zu tunncii: 

C. Gesner, BibiiotJuca univcrsaRs» Tiguri 1545. s. v. Summenhard. 
Gut/, Ey Singrein, Caiabgitt iisHum verUaiis. DiStigai 1596 178, 
M, Adam, Vitae Gemummm Üuob^eontm, Hddt&irgat 1630 pag, 12, 
GuiL Cavi, Stri/Umm ue&siasütorum hisfyfr, Hürar, Apptmd, aut, Htnr, 

Wkarton, Getiev, 1604 foL 317, 

Eime esmHge ÄHsaumhii^ aller wSigReJun terdre$am No^Mm eiMU: 
yoanuis yacobi Moseri vitae ^fessorum Tkbiitgemiitm ordhns theologici, 

Decas I. Cum f>rae/aticme D. ChristopJiori Matthaei Pfaffii S. Th. D. afque 
Prof, P. O. Tiädn^ae 17 IS. — Dieses Schriftehen, -welehes sofort a/s Ilanpi- 
ijuelle fi'tr die Ce.^ehii htssiltreiber der ['nirersitäi }^edient hat, ist a/>er in z-vei 
j;anz icesent/ichen Punkten mangelhaft . Moser, der dassedw in seinem 19. T.e- 
t'cnsjahre rerfasste. hat fürs erste die Deeade von P rofessoren der theolo-^isehen 
Faetiltiit fai'scJi zu atni/ien^^este/Ii, da er Männer, rve/eehe nah dem Matriked ueh 
zu den ersten 1 heoio^en gehören, gar nicht tunnt, dagegen andere dazu tähJt, 
welche nieJU 4er theolt^ehen sondern der Aristenfacuäät angehörten, Sieker 
missen wir diese von dem rewmmrten Paul Seriptoris aus WeU dtr Stadt, 
MistoriUn^Mardian in T^Oitigen, dem hervorragenden Mathematiker utsd Senten- 
Harier, Vieäeieht hat auch ^oh, a Lapide nieht Theologii, sondern philo- 
sephisehe DiseipSnen gelehrt. Man konsUe fast vermuthen, dass eSe e^gentHehe 

CompUHrung der theohgi sehen Facuäät erst um das Jähr 1484 erfo^, als 
Mel und Summenkart in sie eintraten, nachdem a LapieU schon 1480 7i>ieder 
abgegangen war. Dass schon 1480 die Statuten der theologischen Faculidt 
erstmals erfassen wrden sind, 'uüirde unsrer Vermuthun^^ nieht nottni>endii^ 
entgegenstehen. — Fürs zweite ist Moser sehr ungenau in den t>i/'i'iographisi hen 

.■Ingahen, in 7,'e/ehcn er die sehr feliUrhaften Notizen bei Cave- H'Aarlon ohne 

nähere Prüfung iviederholt. 

Von Moser sind mehr oder weniger ahhängig: 
A, Ch, Zeller f AsssführHchi Merkumrdigkeiten der Unhersiiät und Stadt Tübingen, 

TOhingen 1743, 

A, F, B»h, Geselmhte der Eberhard-CarU^UmversitSt m Tübingen, TÜh, 1774, 
H, F, Eisenbaeh u o, 

K, Klüpfel, Gesehiehte und Beschrtihtng der UniversitSt TOhingen. Tüh, 1849, 

D, F. Cless, Versuch einer iirchlich-politisehen Landes- und Cuäurgeschichte von 
IVürtenberg Ms tut Reformation, Gmünd 1800—8. IL Thl. 2. .11/':. S. < .'2 ff. 

Die l'niversität Tübingen zur Zeit ihres Stifters, des Grafen Eberhard im Bart, 

Katholik. N. F. 18. Jahrgang. 3.> //. Mainz \R7C, S. 040 ff. 

.'i) Fei M. Adam a. a. O. 'oird als Gefairtsjahr Su/iimetdiarts 14<t7 , bei 
Cave- Jt'/iar/,'/! I Hl') angeget>en, und letzteres noch neuerdings bei Stintzing. Ge- 
schichte der fo/utären JAteraiur des römisch- Icanoniselwn Fcehts in DcnisclUtuui 



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— 79 — 



Leipa^ 1S67 S. 04ö festgehalten, DUss Tiv/n/t' ergeben, 7iuis scJn'n Moser (fag. 35) 
riclüix; beuwrhty ilis.f S. im .1/fer zum I'} ytibirn JWf.yf. und m'ü l'.i Kchlof der 

l 'iil:'irs!'ii/ .'Vr. '(•.(•! 7/. /•'///• ein so/rhes /n'is/^ie/ i'on Friutiiij'e iiiüfitc man JH"ii'tisf 
//<//■.;/, itm iS ;/.?///v;/. Jl'(!n' di,- Aii'^<d-e hei M. Adam, li.ns S. It Jahre alt 
geicorden, aus einer hesiiiu'uUn riier'iefenmi^ uiui n'.nit Idos ans der Ziihiiin^^' :'on | 
einem falschen Termin zum andern (denn auch das Todesjahr ist falsch angegeben) ^ 
gesciwpft, so wurde seine Gektrt etwa auf 1457 fallen; dost er mU %1 Jakren • | 
Magister und Professor geworden, wäre wenigst cns nicht wimH^Jic h. Es it^de sich ' 
hieraus auch die VerzSgemng des theologischen Doktorats, fmr welches geuüJmlich ei» , ' 
Alter von 30 Jahren erfordert wurde {vgl. Kink, Gesch. der Univers. Wien L 
Wien 1854 S. 40 Anm.) unschwer erklären. 

Dagegen sind zwei J^mkte festmstelle», beiXtglith derer die Angaben bisher ver^ * 
schieden lautenj nemlich der Notne rtnd die Heimat u/tsres S. Sämmt/iehe .^i inukte 
Schriften, die mit einer einsigen Ausnahme ttoch tu seine» Lebseiten erschienen, haben die ; 
SehrLit^:,\'ise S inii m e n J; a rf : aiirh der auf t/n-rer Vntz'ersitätsbibi'iolJu'k hfindüihe 
Coiii.v: Ldwr donilnorntii (onJuitoruvi ordUuuic iCi;entium atqne eotlc;^iatornm foi, 3 '• 
se/irei/'/ Snatcnhart ; unriehti ' deuinaJi se/ireiben Einii/e S u t/t m e r Ii a rt , Sommer- 
hart, Sil m me n!ia rd. Selion das Dohtorbueh der theo!. l-\un-tä( sth reibt ührii^ens \ 
Suiiimerharl , die Einlril^e sind jethh h nieht mit der Promotion >^leii]iU'ili'^ i:;ematlit. \ 
Auch Heinrich Bebel schreibt in einem in ungebundener Rede verjassten Lob- \ 
Spruch und in einem fyrisehen Ceamtn aus dem J. 1496 Summerhati, und macht 
die [Anspielung auf den Sommer: De estivo capiens nomtna tempore. Gedruckt: 
i» RdOtlingn per Miehaäem Greif Anno domini 1496. Später schreibt Be^l den I 
Namen richtiger. 

Als Geburtsort sodann war man vielfach geneigt, nicht täe Stadt Calw, sondern 
das in deren Nahe gelegene Dorf Summathard — auch Sommenhardt — anzunehmen. 
Allein es steht dafür heitt Crund. ::\'; 'irend S. sed'st a'ie /n zeit linuni^ de Ca/ro ret^ehnäsu:^ 
seinem Namen beifügt und eine Familie Summenhart in Caho selbst um diese Zeit ' 
i'/fers in Crhmden vorkommt. Stalin, ll'irtemb. Gesehiehte III S. 77'). Dem- \ 
ttach Jiabe ich selbst meine frühere Meinung- (Quarfa'sehrijt l'>'''i,'t S. 212) zu beriehti^^en. , 

Ci) .1. /i II ü' i n s zky , Die l 'nirers:/,'// Dai is und iiie Fremden an derselben. \ 
Berlin 187 G .S'. 1^5. Hiemach S. 1 17C, Daeea'arius. A. 1'. A'. IX. fol. 1f(ff. 

Line 7ifeitere Angabe R. X. f. 12 über Enoerb der Licentia ist nicht recht verstand' | 
Heh. In Tübingen ivurde S. als Magister inscribirt. Auch Crusius (II S. 110) 
nennt ihn Parisisehen Magister. 

7) CommeiUar. in Summ. I^ysic. Alb, M. treut. IV cap. 11* 

8) Doktorbuch s. v. Summerhart und S/einbaeh. Damach sind die ab- 
weichenden Angaben bei Moser zu berichtigen. Die Notiz über die Tragutig der 
Promotionskosten durch den Gr. Eberhard hat auch Sattler, Geschichte des Herzog- 
thums niirtemberg unter den Grafen. IV S. 0. — J. C. Pf ister, Eberhard im 
Bart. Tüb. ts22 S. 79. 

!>) Die Angalien i'il'Cr fahr und Tag des Todes Swnmenh.jrfs r. vi -heu manJi^- 
fach von citumder ab. Die eindge Notiz lüerüber, xoelcJu tnan als geschichtlich bC' 



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— 8o — 



glaubigt ansehen iwutUe, wurde erst von Siäiin III S. 773 ans Lkht gezogen. Ein 
Chronicon Co enobix Schutte rani, mitgetheiil bei Sc ha n nat , Vindemiae iilcra- 
riae. FttJdae et I.i/<si<ie 1723 I fol. 22 meldet: »Ciinradus Sumehardt doetor TuhtHi^ensis 
hic apud ms sepu/tus ante Chorwn Anno MDII 13 AW. Xovb.u Did<ei bleiht aller- 
dings auj/udend , dass nicht nur C. Eysen grein l. c. pa\^. 17^ und Cesner, 
I.e. s. V. S. den Tod 5.s ein j\ihr früher anset-Jen, scndon auih Martin Gerbert, 
sicherlich gestutzt miJ tlie L'lierliejerungcn des Klosters Sehuttern, angibt: »lutcwn hic 
detmm meräur ConnAis Susnmtrkart Caimms N^rnhHimmm aaubmhe TiMnigm- 
sis frmaritu institutor mortims an, 1601, ä stpuäm in mnuuttrio Sehnttmmo»* 
Hidor, mgr* Hh, im. Ilfßg* B40. Ddrfie mm alt9 an eUr jingaöe det mige» 
nannttn CMtviusten aus Sehttttem swetfeM und etwa einen taptus calami virmuiken, 
so könnte nur 1501 das Tode^ahr eän, Dass m diesem Jahre eisu Ast in BaeUn 
(Mbutg) gcifiithet, etUnehme iehR. Sfintzin-, Ulrich Zasius. Basel 18Ö7 S, 40. 

KeineufaJls ist S. erst 1511 gestorben, ei/$e Annahme, 7uelche seit Adam l. c, 
und Ca VC- Wharton l. c. fast überall recipirt wurde ^ aber posit'n' zu 7c'tderlegen 
ist. Ä'ae/i dem Liber domin. eonduetor. fol ^ 3 xoird dem faeoh I.emp a. 1. '»<>'.> zu 
der I.eb rauf gäbe, welche er schon früher als XacJifolger S u m m e n h <! r ' s 
erhaitcn ttattc, noch ein '.-ciicrcr Lchrauftrag erllic'u't. — Dass aber um diese '/..il S. 
nicht etwa b/os sieh in die Idnsamkeit des Klosters zurüelgezogen hatte, sondern todt 
war, geht daraus hervor, dass die Ausgabe Sii/ws Werks Uder Physik von fremder 
Hand veranstalte vmrde und deutHch das schon vor Jahren erfolgte AU^en des 
Autors erkennen iasst. 

Damit wird auch iBi Vermuthnng von Hehle hinfSllig, dass a, 1508 der 
Humaidst und Professor m IngolsfatU Jacob Locher emen Versuch gemacht habe, 
den ihm he frtmdet en Summenhart für tße Universität IngolstaM tu gewinnen, (Vgl. 
Der sehii'äbische Humanist yacob Locher Ehilomusos (1471— h'rjS), eine Cultur^ 
und literarhistorische Shtmc, Zweiter TAei/. Von Professor Dr, Hehle, Ehingen 
1874 S. :Vy.) 

10) Si steteris paulum hocque jeges cpi^ramma, riatori 

Nosces, quis gelida hae contumuletur humo. 
Suet'orum Summnhart jaeet hic laus, glori<i, fama: 

Gtattde Tubingcnsis gymnasiiqtu: decHS* 
Cujus nom smdlem uovä Germania tetat 

lUe Theo/egiae namque Monarcha /sät. 
Phoenix Doetorum; scderig ftiogue furus Mqui: 

Et vitae et morum cum proHtaU sacer. 
Quem quomam tantum poiuit mors hnproba hue 

Exarmare virum, vel rapere ante £em: 
Vivere %'irtutes cujus meniere perenne; 

DHus est sedes certa profeeto poli: 
Solamentpie Ulis, qui nunc moriuntur ubique: 

Mortem esse o^iandmi, ppraeci^tum^pu öonum. 



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— «1 — 



I 

( 

Zu II. 

1) Quis me miserwH tanUein iibirMt ab ista rixosa t/uo/o^ial Aiiatn l. c, 
pag. IS. 

2) Es 'u-ii ii von CT. v7 /utrsfn ti-zählt, von denen die (in: die der »Adier« Jtiess 
tmä von den Wnkdvipfern des »tu'ten IVfgs* (A'eadsten) hcwohnl war, dii andere 
dagegettt die der % Pfauen* , die * Modemen* (Xomina^isten) behtrher^e. In diesm 
Bursen sei et Mi Gelegmhtit vtm IMsputatimen srnseken Sehälern tmä Pro/essorea 
bis SU hatuigreißiehen At^rikken des Eif.rs gekommen* Nm mrd aber solekem 
Iddemekafiikken DisfutaHmen und Fehden aeisekeu den l'trCreiem des «dien und 
des netten IVegs «m diese Zeit aus atident CniviTsitä/en ebenso berickfet g. B, aus 
Penis, IIeide*berg, fVien, Base/, Erfurt* Aueh gewisse symbotisehe Xamen für Me 
Bttrsen enter Cmtubermen /nden sieh an astdem l'niversitSlen wie Base/, J^-tirg, 
später /<'7i\')i. Gerade die «.Iddr« und die *Pfauetf be<^e^ncn ttns auch in Frei- 
burj^' {TU. Wiedtmann, Dr, Joh, Eek. Kegensb. Jso.'t S. S-l. Ä'. Sn'nfzinj:^, 
l'oiih Zasins S. 't'J). von tco sie vie.'leicht nur dar eh spätere Sa^^enbi/diitt-; nach 
Tuliin^en itberlragen 'vorden sind. U'enii^stens fehd fs diesen L'i>ertief'eritn^en an 

Jeder K-'^/aubigun^^ aus den Queden fiir die Cesehiehte 'J'i'd in^^ens. Die Transioeadony 
wie sie ja aueh sonst mit Saiden und .ln'/ed>'en stattfindet, ist aber leieh! erhdir/irh. 
7. v/V a.'/erdinj^s in 7'idini^en sti/'tuir^-^etiuiss 7u<>i .In/anj^^ an beide A'iihtani^e/t 
nebeneinander bes/atiden und sieh in den obii^aten Disputationen miteinander ut 
meuen hatten* . ■ 

3) Doeh war statuienmSssig der Tojg eks k, Thmieu vm Apnn ein Festtag 
der theologischen FaeuHSt. . ht ihm erkannten beide Jiiehtungen den Meister der 
Seho/astik, 

4) fV. Viseher, Geseh* der ütuvers. Basel S. 165. — Janssen, Gesek 
des deusteh. Vb/ku I S. 98. 

5) PK Viseher a. a* 0. S. 170. 

r,) Linsen mann, a. a. O. .S*. i> iS /. Janssen S* 105 ff* — Cf. E. 
Dacheux, Jean Geiier de Kaysersbcrg. Paris et Strassbnrg 1ST(t 4')7—ii PJ* 

7) ..Die "»fahrenden S>eh:<!ero des ausstehenden Mittebu'ters sin.i iiekinnt", sagt 
D. F. Strauss mit An-wendun^ auf L'.'rieh :\ Hu'ten (l\'neh :\>!i Ilu'ten. 2. Aufl. 
1)^7 1 S. 4JJ. Strauss nennt unter lien deutsehen Humanisten ausser Hutten beis/ie/s- 
7C'eise Ce/tis, Ä'h.ij^ius, fktseh »li^entiiehe U'ana'er.ehrer.« — Ig/, y. Aschbach, 
die Wiener i'niversität und ihre Humanisten. Wien 1^77 .S. 4J (}'. 

8) Dacheux , Jean Geiler pag. 4öS. — Auch J'lck und Mc/anchthon 
waren in so frühem Atter Sttidenten in Idingen geworden. l\*iedemann, yoh. 
Eeh S. 6 ff* ~. Heyd, Me/anchthm und TOlnngen* 7^. 1830 S. 17. 

9) Hirne autem praeseittis /ibe/ii atdorem suevomnt nostrorum (qucrum g/oria 
exstat) fatria genttit* Cujus /aus non tanlum ex epitheto, cum non ex corporis sed 

I«tntenm'«nii, Sonniralufft. 6 



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I 



— 82 — 

scietUku magmtuditu Mi^uus dkaiur, sed etiam eo apfaret^ quod tum dm phüosoflua 
a graecis m iatmos derimm foefit, tandtm Alberti ^Hlosofkia m forte ex graefo 
in lotinum quodam gnueo interfr^ Hradueta exstilU; ita factum est, ut 

yordamu retrwmm tcmterau t^rtsnu im tut fn^ exorSum. CommetU, h$ 
Sum* Fkys, fromm, f>an die Werl» •ex graeco im latimm* verUeiH nnd und 
mex iatim in grüuum*' Meissen mässen, ergibt der Zusammeml^mg, 

V ) C. Biet, Ceüectmr, she efiihomo in Magistri senlent, Hb, IV, TuMtg, 
1501. /Vf 

]J) Rudi Ouolo^^iiie ty/vni censtda/ nm mox friscos iäos et auHqms exceltentis' 
simosquc hitre.t (sse amp/ectauios. .wd u hidasticos et neotcncos . tpuustimthus utnttff. 
t/UiW tili disfuftitii'His, ad tiidcndof luiircthoi. ad i.xacucnda iu^i^cnt'a, ad cotuordandai 
sacnic /ai^inac Si n/cn/ias /aci.'c <juadrant et af'/rimc ccndttcunt. R i c <^ c r , Antocni- 
fatcs litcranac Fyi/>iiiL;<ns. l\mac 177 't fasc. I. /■ai^. lO'.K — (h'crkcr) (ici/cr 
vi'ti A'aisersinr^ und seht I cr/iiijuiss zur Kirc/u ; histor. f-ihit. JS.ätter Bd. 4H S. 'JS'}. 
Atts sokhen Aussfrüchtn^ die den Geist der Zeit ieneithnen^ erhellt e^ dienende Stet- 
hmg, weleke «kr Sehotastik gegenttber der positiven Tluologie zugewiesen war, 

12) S, gibt an, dass er selbst nebst ehugtn Andern m Tübingen von einem 
IVilheAn Ke^fmieiuH, einem l&mer und der TUoißgie jypfessor, entern der lateimscb*n, 
grieckiseken, ekaldSisehen und arabiulUn Sfraeke kuneSgen und im IfebrSiseken sehr 
bewa$tderten Mann, Unterriekt in der hebräischett Grammatik erhalten habe. 
Schnurr er, Neuhrichten von ehemaligen Lehrern der hebr. Literatur in Tübingen, 
t 'tm 1703 S, 9, — Wie in ähnlicher Weise A'cuchtin sich die ersten A - n>ifnisse des 
Hebräischen ancrxne/<% crzä/i/t f.. C,ci;^er, Joh. A'iuch.'in. Lcipzii^ IH7 1 S. ß". 

1-1) L.s trifft (Ui,h auf S. zu. -ras A'ichard .Simon zur Charakteristik des 
Xico/aus 7'on Lyra bctncrkt: »1/ scroit ncan>iii>ins a dr.urcr, qu'i/ neust pas taut m'ic 
de choscs inutiies prises de Kahhins, et quil neust rapporte de Iturs t'n'res, que ce 
ijui (ontribuoit U f ei /aireisscmcnt de ia idbb'.t II id. critique du vieux Testament. 
Rotterd, lß86 p. 4JÖ. 

14) Af, Adam, Vitae Cerm.theoi, vita PelHeam pa^. 2(\7 seqq. — Schnurr er 
a. a, O, S, $ ff, 

15) Kaehdem S, in der Oratio /unebris die VereHenste des Jferufgs um Forde- 
rung und Verbesserut^ des JtirehSehen Lebens erwähnt, fügt er als Züge von ferOn- 
Heher /hfmmigheit $md ernster Cesinum^ desselben bei: »Divini o/ficii hie erat 
indefessus auditor et bonorum vtrbi Dei fraeeonum sagacissimus ex- 
plorator, A/ud cum frequens pe c c atorum confessio et vivi/icae com- 
munionis non rara pe r c e ptio. A'ehus in ambi^n's, conscientia: discrimen f<m- • 
/inj;cnttbus. ut in bencfh iorum ad sc attineulium distributione ac a^iis. tnuitorum etiam 
scriptis e.xactis requish'it consiiia. scicns quonitim ibi sa/us ubi inuita eousi.ia. l-'cstos 
dies, quos nundinarum strepitus et aruiri/iae tuera in sui> prophanabant distrittu le- 
fortnabat itt meiius. Incomparabiii arsit dcsiderio ut eo viveret. quo 
ad usque universale eoneilium ad re/ormationem eeclesiae fieret 
in membris atque eafite,* 



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Zu III. 



7) yoh. Othluar hotte l in KeiitlUtf^fn rinr Dmikrrri i rri, ft(t-t un,t 
ätJ.u'.i'st NxS Cdi'nc/ A'it'/s » /.ritttrn sn/^tr niiiom .)fifuie f^cdnukt: JV.fS 7V);'t'i^^tc 
er seitw Ojßan nach 7'ii/'i>i<^c'n, jedoch schon löO'J -uicJer von hier weg. C tu- 
st' us, Schwab. Cht an. // S. öUO. — S/äim III S. 7 HO. 

i) DU 0rat, fimebr, ist abgedruckt bei Beso/ä, Jurid, poiit, Dissert, de Jure 
nrum, fatmSarum, eidle^iaeum academiarum ete, Argent, 1624 S. 6ä —81. 

8) Panzer, Gmspeetm MmumeiUor. typograßh. NMmb. 1797 pag. 418, 
Hain n. 15180-^15182. — Moser p. 40. — Schnurrer S, 2. 

4) - Ad Conradum Sumet$hart theoi^iae atitistitem peonice ffamriatt BAdius 
Jusiit^aisis Sapkifon cum adomco. 

SitC7'i\' laude s Sumenhart hcatts 
Jngeni donis cumulalds amplas 
Pergc museus tinus et futurus 
Tetäkmas 

Cudis et hcuple renn 

* Qtte ne/os sertts meditatf hudet 
Que le^ent sercs f^optuiqtu tractu 
Sotis in omni 

Nostra gemuuus nitido iapUh 
Sec/a signaba quia turba mutta 
Vinäkai de barbarie doemdo 
Teutanas agros 

Tttrba do clor um varios iihellos 
Scriptitat passim petulans atnorcs 
Pin^ hic aäer Atbricive mu/Net 
Gautßa m$mdi 

Dh'iti et plures inhiant tnetali,^ 
yiini voh'entes ^!:^etidis su/> astris 
« Aäer et ijuerit studio caducos 
Laudis honores 

Tu tarnen naius meSore fato 
Scripütas soium tibi pu suAttem 
Comparant verum tua scr^a pergunt 
'Quaerere ßnem 



- 84 - 

Qiiii/ prccor mundo stalmc est futurum^ 

l^Kh! /(', .'.(• (Y/r^j.r f'i-tiniiis ter url>csf 
Cutu /ii ///// '//. r. Mtiti/ iatcöras 
Si lit us i}/>si(. 

Telos €x TMnömge». 

5) Jliczu Jas nl/exastichoH I/einrid Bcbeiii ^ustingensis»* 

Ad ledores. 

Vos quibus iucuttMt Christi fastevia mra 

JU vas custodes (athoiidque f^re^^s 
Dveitt €onlra, !tis 7'ar!<>s di(/'( rdm' jiistn 

Lance ijuiant plchis ncsi ia corda rci^i 
Quoi/ si /-(js/or (K-t's dtncs per da'ia tesi/na 

CuPH peeore in/ernos exj*triere lupos. 
i'eios. 

ß) Cfuhkkie der palliaren Literatur des röm. kanotu Hechts S. 040 Anm. 
Aui h in einem wir • or.'icgentlen Jixemf/ar sind Mdc Werte msammeMgebuttden und 

der Irrthuvi nahi\^e!t\J. 

Chcr Joh. Rynmnun. auf dcssnt Kosten das of-iis septipartitutn ^cdruekt 
wurde s. A. KirchhoJJ\ Beiträge zur deschiehte des deutsehen J>UihluiHiic!> I S. 1 1 J/. 

7) a. In Conradum Smntncnhardum 'ntco'orum sendartm AiberH rne^i inter- 
preteni lixasthyem Jaeotn Vuymphelin^i. 

.•Uhertus maputs i^erntanae f^loria terrae 

Xatnrae et sop/tiae nohi/e seripsit opus. 
Qiiod fiits interpres SunivtcithiVl disiudt: äuget 

Iiinstrat: reserat: perßeil ,ii,jiie po, jt. 
Jlaee si seripta leides cupide ^ermaniea fubts 
Ilaud duhie fnictus ex/eriere novos, 

fi. E/^grammn so 'u tum in eundetn. 
/V. Quia te deus erudii-it <.' stta 

XCIII dottiit: i'cnrtuie su^r i • unie. tu'iitum 

V, X/I. te dii!>itet nenio. Xoii enirii /iiiesi- 

sti iitcris ad pontpavi vei adopes 

famtdantibus : red dmnae sa- I 
fietUMt: sid jeienHae /f> 
efatis fMeordiae 
et eharkatis 
gua solo 
b€ 
a 



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- 85 - 

S) 'rhemas Wolf d. J. '^chort zu d<:m Cti'ucr-\\"im['hi\'ui^' .uhni i-rcundcskrth 
in StrasshiVi^. i'f. Ch. ^ < h in i J t , Xotict' .ittr l'homas W'oiJ ic jainc. Kcl'Ut 
tf.Usaii' l'^'i'i. — /> ti ' /i r I/ X . y "I U ii.tr f><i-^. ö 17 i/ //xf. 

',') nKs ;•///... ,n» redet Jltontiis W'oij die Leser an, »diihischc luui ^c:vissetuose 
iMttey 7i>euhe die Bücher gelehrter Mämur mekt lüeniger verhcim.iehm ais schleckte 
Mütter wUerseh^eue KiHäer oder Bastarde. K ^ü't aber atuk Andere, vm den 
Vorigen sehr verschieden , toelcke entweder se&st etwas hervoi^ringen oder die gßkck- 
Hcken und geUkrten Erzeugnisse Anderer an das Licht ticken. Diese sind atten Lobes 
und aller Verekrung xoertk; zu iknm säktt yokannes Cäsar, ein Mann von nickt 
gewäknlicker Gelehrsamkeit, welcher die feklerlosen ErifrierungeH des Kimrad Stmimen- 
kturt, des tweifellos herükmtesten Thi-oA\-,-n und Phi'osopken seiner Zeit, über die Physik 
Mterts des Grossen nicht länger in l \ r/>otgenheii lassen mochte.* 

10) $ckannat /. c. J foi. 22, 



Zu IV. 

J) Die Sckri/t Aiberts d. Gr., welcke Swnmenkart gleicksam als den Text 
oder Settel seines Werks Ober Physik m Grunde legt, ist betitelt: PhLosophia faupe- 
rum sive.isagoge in tib. ArisMcis pkysicorum, de coelo et mundo, de gentraUone et 
corrupthni, meteororum et de anima. In der Aukube vm Petr. Jemmy, Lt^d, 1631 
tom. XX/ fol. 1 seqq. S. hat stvar einigt kritisch: B:denkm beziig/ich det Au^r- 
schaff Adh'rts an dieser Sehriff, doeh hält er dieselbe noch für mo^.ieh. Di- ii uere 
Kritik (Qiietif et Kelmrd. Script. Ord. Dom. / pag. ITH wui J. Sighart, 
^hberfus Mir^niis S. 'J''-J\ tItisJ diese Kdenhen nicht. 

i />(/>■ /;.)//,• .liisclui! . -cc'clics Ail'crt d. lir. nnf dem tie'>iete der Xaiurü'hrc als 
r/iiü>st'/li und sed'!fan,.'i-^er l\^r<ilier genoss ii)id dtis /,<'/', -.i'CuIfs ihm auch t:'ie 
neuere Zeit durch Männer t.vV .Uex. von H u m i' o I d t u)id Oskar reschei :n- 
gesf rochen, wurde seither -.on J'i unt/, Geschichte der Lo^ik III S. ö'J J. bedeutend 
restringirt. Ob JVantls Uriheil biltig sei, mögett Andere entscheiden. Schon toieder 
anerkennender urtkeilt über Albert jfl. v. Liliencron, über den Inhaä der, a.'lgC' 
meinen ^dung in der Zeit der Scholastik. Festredf. MOncken 1876 S, 9, 

2) Physic. tract, 4F c. IS. Augustinus De crvit. Dei XXI c, 4 -5 benStti 
solcke Ersekeinut^en in der Natur gerade als unerkiarÜcke m dem Btweise, dass 
auch die unerklärten Vorgänge in der ^Mtikken J^ihning des Mensckengescklecktes 
(d. k. die Wunder) mit der IVeltordnung nicht im Widerspruch stehen. 

Das Land der i>Garamanfen* kennt cntch Danfe. Con-i'h'io 3 e. ö. l'gl. 
II'. Schmidt. [\'r Dantes Stellung in der Geschichte der Kosmographie* Ilster 
IhcU. Graz isrr, .s'. i>.>. 

:») f];/. Schanz. Die a<trcncm. .Inschauun^^en des .Mcu'int- iiut i'usa und 
seiner Ziit. A'ottrr. />,"."> 'J. — Jul. Zeller, Die Philosophie der Griechen. 
2. Aujl. II, 2 S. J^ö J. 



— 86 — 



■}) Wir nuicn hier 7'ott der n/icn^/ätiMsihcn und (i/HHft'ui'ni( hcn .ts/ro'o;^!t- 
uttii . l/th(fni<. };s pht ahcr a.'/ciiiiiii^s cim S/irnrn!:'ni(ic und eine A't he/nie {spci icli 
Lehre -'on den Metn'len). 'ih'Iehe mit der -e^nnzin kosiiiiselien Wedansrlidunnj^ des 
M itie.'a!lers zu.ujnimenhiinj^/ und auf p/i wdkii iseh: l'cniussetzunL^en und J^eohneh- 
iun^en au/geiujui und zur Theorie erhoben iveträen ist. Wir erwähnen /n-is/ie/s-avise die 
nuyklofädiscke Schrift eines Z^tgenösseH SummeHharts, die *A/argarita phihsophka^ 
des Freiburger Kärfhäusers und Pn/essors Gregor Heisch, geb. in Baiingen; 
erstmals herausgegeben ///. KcU, Jasu l-KfO (//ain n. Ich benutze die 

Ausgahe Basei /.5/". — Al^n über Jieisch M Prantf, Geschieht der IjtgUt 
IV S, 

5) Physic. tratt. / r«*. H difßcuH, 0. — Cber die Sfreit/ntge bei den Scha.'O' 
stihcni s. y. A'/eutf^en. rhi:osof>hie der loneif IL Minister ISCl S. 242. tlßt/. 
— A. Stöckit .Geschichte der Ihiiosofhie des Mittelaiters //. AImm JSOS 

700 f. 

i\ I^ie Moi:;iiehkeit des Zusan/fnenseins mehrerer Ä\'r/>er an einem (>r/e 
/y/v.'/V. /;,/./. / .s' di/jie. -1. — Juzi.^/ie/t t/er Ln^e/ ■:oird ;y.>v/;'/.' /;/ f/;/;'.-.V» 

non est nniteriii tntis t/un.is est niatersa rerum eorporaiinm. Quia adiis esu-nt e<'r- 
ftira. Sed in i/>sis est aliijuti re<uitas , hiit>eHS moduin materiiu. Xtvn an^e.us non 
est suhsiantia summe simplex. Qtm Söhts deus est summe simf/ex» l» c* diffic» 7, 
Stech/ S. 7UJ f. mi ff. 

7) Am est fossHiie uatura/iter aiiquoti esse varimm simpäeiter, qtda quod 
natura cAhorret, non admittit; sed natura abhorret vaeuum, igitur mn admittü. Der 
fotentiam divinam p^est esse aliqmd vtuuttm simpiiciter, Probatur, ptia mdiatn 
ctmtradictionem implieat, quin deus fossit omnia corpcra aHnihi,'are infra uMmam 
spheram etc, Tract, I eap. 8 diffic. 7. 

ff) Simpiiciter possibi/e est, i. e. non imMicat ceatradictiomm phires esse mun- 
dos sueeessiTe et eiiam simul tarn concentricos quam ecentricos, Tract, II cap, '1 
dist. 5 diet. 2. 

U) />ie .In/'ünxe dieser Wel/iuisehauun:^ theo/o^^iseherseits führt S. auf Heda 
d. K h r^c ii r d i i; e n und Kahant/s Maurus zurück. 7'raet. 11 eaP. 7 diffic. B. 
l'j;/. A\ Werner. Jieda d. und seine Zeit. Wien liTÖ. .S. KtT ff. 

S. tiegt daran f das coeUtm emftyreum vom ncoehtm irmitatis quod idem est 
qujJ deitasm su unterscheiden und a.'s den Sitz der Kngei und der Setigen zu be- 
haupten. Der Xmni empyreum bedeutet nicht das Lichtt we/ches als Elementar' 
iichty SU uns h:rab lettchtet, 

S. steht im Garnen auf dem StandputüU des Greg, Heisch^ Margarita phil,, 
toHeht aber in Eimj/hjiien, auch bezüglich der Tenninolegie, von ihm ab, 

10) Di: ontiparistatis (arist. ivTtnsp{7t«it;) ist ein Ililfshegriff, nHh/ureh eine 
gncisse .i':tion ufui A'eaktion in den F.!emcnten erklärt -werden soll, nach Jlumhotdty 
Kosmos. Stutfi^art IS.'ti) /// .V. J.', eine Art innere I'.itfz:('ciuw^ , '.i'odureh die Ver- 
iinderiini^en in den Korpern hervor^^ehraeht Coerde n ; naeh Zetter, JVtil, d, Cr, 
Ii 2. .S. •'>'»'•'» die Tendenz der Korper, den Ort zu 7oeehse>'n. 

Jl) Kosmos /// 6'. 14 f. — A'eiscAf Margar. phii. Hb. LK, cap. 20 be- 



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- «7 



iiiiti Ki afti n der Xattir mit Ju rufioi;^ auf A ii '^u < ( i n , //<• Irinil. III. S: Omniutn 
rerutn t^uin iorfoniiitcr i isii iiiiti quc /uut tuitiir , oanJa quindinn sciuina in is/is cor- 
foreis mundi hujus ekmentis laient. Am itint mim ßiaec jatn tompicua octuis 
nostris ex fructihus et eatimanHbus, AHa vero Uia cccuita istomm semimm semina, 

32) De contract. iract, fJI qu. 54, 

23) Fhys. 'Jraet. IV 

U) Traft,, IV cap, 4. 

lo) Dicendum est, fmd anima vegetativa est ht embrione ante animam setui- 
tivam et sensitiva ante 'iuteiieäkfem, Traet, IV cap, 3 difßc. 4. 

IG) Dieo qwd anima v^etattva, fostquam mttrivit embrionem ei auxii ad cer- 
tatn gueuUitatent et disfositionem recedit et corrtim/ifnr advcniatte anima sensith^a; 
et anima sensitiva abjicitur pastquam sufficicntcr disfösuerit corpus; et ea ahjcfta 
subintrat anima rn!iona/is . tptat' si\'n>ti /<".>/./c / t or^us. Tnu t. l' mp. .'} diffic. -/. 

17) In as.si\^nando can.-as fi-acdiihuntn tjß'itluiDit dif'imus assii narr ransas 
natural s. Prolotnr, iptiii ijnnndo ti/ii/ni.< i'jj't < /ns //<//'< / <////></< <•.* Kiusar, sc. natuiaas 
et ü.lijnafn mu tint 'ntirnutnra.if/i sc. ucum, tum ninsa nu/nraJs. (/niinn-is sif tninus 
JrimiJaJs , fantcn i'si noöis notior et immediativr. Jdec cum ^roicdcndum nt a nvlds 
notioribuSf tunc tatis causa nqturcuis est assignanda. Tract. IV cap. 8 conc/. 1, 

la) Tract, IV cap, U, 

l'J) Erich Joachim, Johannes Nasu^erus und uhu Chronik, Göttingen 
1874 S, 15, 



Zu V. 

/) Aus der hier einsc/t.di^ii^en neueren I.iteriitnr, aitf 7< '<•/( //<• /;/ der j\>.'i:;enden 
Auseinanderselztin'^ mehr oder ■:oen!ji^vr A'i'n hsicht ^^enominen ist. so/i'en hier ausser dc/t 
schon früher •genannten Arl'Citen 7on II'. A' o s c h e r . (/'. Schmoller, I\. Slintzini:;, 
D, F. Strauss (C. t'. Hutten) tun h joli^endc ^enantii 'oerden , 7oe/che thei.'s 7 om 
nationa/ökonomischen, tkeUs vom juristischen y thdls vom ciuturgcschichtticlun Statui- 
punkt Ober die vodkswirthscha/hiche Bewegtmg am Ende des Mitie/aUers tmd in der 
Reformationsferiode Licht verbreiten, 

Max Neumann, Geschichte ^des Wuchers in DeMschCand bis zur EegrUu' 
dung der heutigen Zinsgesätgehu$$g, Halte 1865, ' Vgl. Itecennon von Funk, 
Theolog, Quartaischrift, Tübingen 1867 S. 112 ff, 

R X. Funk, Zins utul Wucher. 7u/i/ij;cn 1S6S. 

F. .V. Funk, über die ohmomischen Anschauungen der mitieia.'teriichen Theo» 
Zogen. '/.eitsehrift fi'ir StaalriO. Tühini^en ISti'J S. li.j ß'. 

h. X. I ti II /: . (leschii hte des kirch.ii hen Zins'.'crliotes. rüh. \s7Ct. 
//'. I: N d c ni a n it , ."Studien in der romanisch-kanouistisclten WirthsehaflS' und 
Kechtslehre I. Berlin 1874. ^ 



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— 88 — 



// IViskemannf DarHelhmg der in DeHistk^anJ sur Zeit dtr Rifmrmatwu 
kerrschimden »otknal-Siummisehm Aimchten, Ld/dg IHOt, 

Tk, Mut her, Aus dm l'uhtrsitätS' uud GekkrUniebm im Zeitaäer der 
Hif&rmaiwn, EHangtn ISOC, Die AufOiu Über Petrus Ravennas und 
Ckristpph Kuppen er. 

7' i'- Jörg, Deutschland in der Kefo/uHonsperiode 1523 Ais 1620, Frei- 
bürg isrji. 

A'. Köhler, Luther und die Juristen. Gotha IST 3. 
/>. A' ii;;genba(k, Johann Ebenin 7vu Günshurg und sein Reformprogramm* 
Tübingen l!<74. 

IV. K. II. f.icky, Gi'schuhti lies L'rsprtm^:^!! umi Einflusses der Aufkiiimng 
in Kurofa. Deutsch vi>n IL Jou>:ciiZ. Lei/z. u. IleuleJi. isT:'. II S. lUs ß\ 

'J) Die A'iihiun^, li'e.'iher S. u/ii^i/h'/t. iiez7i>eekt Jas ^eruiie (.je^eiUheii 7vu dem, 
7vas man ihr zusehreibt; sie 7inll nichts im z, Ji, Xeumann a. a. 0. S. 4ii f. es 
darstellt y die neuen Reehtsgesta. fünften des Verkehrs als verwer/Ueh ertefisen mt Be- 
rufung auf die kanonischen llucherbestimmungeu, sondern sie rtfiff denselben gerecht 
toerden durck eine wdse, man kannte oft sagen spitsfin^pe App,ication der Wucker- 
lekre auf dieselben. Die Ifeiferenttcfcklung der /Mktrim wurde vvrnekfnliek durch 
den IViderspruckf loelcken /Mther, Melancktkon, Ztoingli, Seb, Frank, Eberlin von 
Gümburg u. A. gegen das Zinsetmchtuen erhoben, verhindert. 

.'}) Die Stellung Eeks zti der 'Uhlw-i'irt/isi /ui/'/.ithen Brwei^-un.; meiner Zeit ist 
npth nicht s^enüi^end aut':{h.ärt. //'</> er zur A'ichtii^stc/ii/n:^ der ll'ut hry.'chrc ///<// 
oder thun 'ioolite, hat u/cr seineu s/dtcreti Katnpfcn ;^e:^eu die A'e/crf/.'u.'t /ru 7 er- 

messen. A'eineii/ti/is ainr sc Iii in/ es tiiir f'i.a^^ zu sein, '•^'cnn tntin sein .Inf treten zu 
AWo^na und Wien in Sachen der iruc/ier/ra:^e {'[i;!. Wiedentanu, Joh. Eck 
S. ö^i ff.) auf Streitsucht oder besak,ten Jlerrendienst zurückfuhrt; s. A'. AU>ert, 
Aus wlckem Grunde disptitiHe Eck etc.f Zeitschrift für kistariscke Theologie 1H78 
S. S82 ff, — Exk nuig als Sckäler Summenkarts für seine Zeit zu viel grwagt 
koken: aber die ktutige Wissinsckaft sollte ikm aus einer freieren Auffassung einen 
Vorwurf nickt macken, 

4) über cHe versckiedenen Motive der Opposition gegen das röm. Reckt in den 
Kreisen des Volkes s. Stintsing, popul, Literatur des röm.-kan, Reckts S. XXIII ff, 
— über den Einßuss des rom. A'echts auf die J'erdrängmtg des »Renten kauf s» 
dureh das Zinsdar.ehctt vgl. Funk, Zins und llueher S. Üher das Verhält' 
tüss des rom. A'echts zur europdi chen Staats^i'irthsehaft des JC. u. 17. Jahrhtmderts 
s. Jh: Ilillenhrand . Xationiuokouotnie der Cegeinoart und Zukunft. Frankfurt 
1H4S S. .S 2.>.V. — Historisch-politische Jiiätter TU Jid. 7 lieft: »Über 
die A'eception des römischen A'echts«. 2. S. -/.'/" ff. 

5) JJe contraU. (raet. I ipi. 2; cf. tract. i iju. S cone/. -t. 

6) Tract. I qu. 10. 

7) Tertia patestas est potesteu terrena in fmbusdam terris, quam kerbet ex con* 
sensu tarn principumf praeurtim imperutorum, quam aHomm subiHtorum, quaHs est 
potesteu terrena super illas terras, guas impemtor Constantiuus dedit Si>vestro et 



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'>■'• rhu fdeslas tcnvt^ M: ^ ■ 



et 

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f.' ./../,-. „irauäa CM. \- ' 

10) Trm t. // ,/„. <8. 



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— 90 — 



von r.udcm 
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, . C S» 144 AnfrhcfV'<">^s .ü r Kauf- 

17) Ks isl stkr «AnitAduh, . - ,.■„,„■ j .-hn- vom Zdmtm öom 

Ukn S. m Ol, Virm^g «»'9^'*'. • :,. ,7,.r ..,•,«.<» C..«^*««« >>* 



Zu VL 



5i,v V«"- c""3-' /"Tr - ^ «'«ri* 



Fomi, sondern 



2 i't fr9% 

2) S. dmkt in dUser Sacke strmger «^V , i/,^ r«;; . « d.-s Chrmstm so 
5L wä sie nickt mmol gemaU sehen. 



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Zur 



1 





der 



Universität Tul)iiigeii 

im Sommer IB77. 



der 



juristiscHeu Päcult&t 



Druck von 



Ludwig FriedricliFues. 




uiyiii^Cü Ly Google 



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Die 



strafrecitücta, coasilia Tufci„geHsia 



m ist ffrümiBM der Mmmi 



bis 



2uin Jahre 1600. 



Von 



Dr. Hermann Seeger, 

o. 6. Professor der 'Wehte. 



Vi OF 



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I 



1. 

dfffiV Leistungen der deutschen Juristenfacultäten lagen in 

der Zeit von der Gründung der Hochschulen bis in die zweite 

Halfii des achtsehntcii J'a/ir/innJi'rts im SlrafricJiic zcic in den 
anderen Tlieilen der Rechtsn'issenscJiaft weit mehr auf dem 
praktischen Gebiet als auf dem Felde theoretischer Forschung, 
Seit der Reception der römischen und kanonischen Gesetebücher 
boten die Rechtspflege und die allgemeinen Staatsange le-^en- 
/leiten eine J'ii/le von Aufgaben dar, zu deren Lösung bei der 
deutselien Gerichts- und Reiehs- ] 'erfassung die Mitwirkung der 
bedeutendsten wissenschaftlichen Kräfte höchst willkommen^ ja 
vielfach unentbehrlich sein musste; und diese Kräfte befanden 
sich naiiuiitluh in den mittleren und kleineren Ländern vor- 
zugsweise unter den- Universitätslehrern , zee/e/ie ivescntlich mit 
Rücksicht auf die Befähigung eu praktisclten Geschäften für 
ihre Aemter ausgewählt zu werden pflegten ^). 

Aus diesen äusseren Verhältnissen^ nicht aus Niedrigkeit 
der geistige// Stufe, worauf die deutselien Ree htskund igen sieh 
befunden hätten, muss es erklärt werden, dass die deutseJie 
Rechtswissenschaft als solclie im sechszelmten und siebenzehnten 
Jahrhunderte ttach dem schonen Aufschwünge bei Ulrich Zasius 
und seinem Schüler Sichardt hinter den Leistungen der Fron* 
s. 1 

« 



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cosctt^ spater der Nicdcrlättder entschieden surückblieb. Praktische 
Arbeiten ivaren so bcf^ehrt und so lofincttd, der Andrani^ der 

Geschäfte so stark ^ dass ]iicn^i\i!^cn das icisst iisi liaj tliclic Be- 
dürfnis^ den Jnhalt der fduiischen und deutschen Rechtsquellen 

in seinem eigenUiümlichcn Geist und seiner geschuhtlichen Ent- 
wicklung SU ergründeWy in den Hintergrund trat und gerade 
von den befähigtsten Kräften schon aus Mangel an Zeit und 
Äfussr /licht hätte befriediget leerdeu können *\ Hierzu hauiy 
dass man in jenen praktischen Arbeiten, um sie wirksam und 
den Zeitgenossen mundgerecht su machen, sich %fon der her- 
gebrachten Methode nicht alten weit entfernen wollte und wohl 
auch durfte. So scJireibt der humanistisch gebildete Martin 

Uranius Preuninger seine Consilien in den letzten Jahrzehnten 
des fünfzehnten Jahrhunderts zwar mit redlichem Bestreben 
quellenmässiger Begründung und in ungleich besserem Latein, 
aber doch mit der ganzen Weitschweifigkeit und dem ermüden- 
den Citatenscliieall der mittelalterlichen Italiener. So hat Jo- 
hannes Sichardt in den Consilien bei klarer und gedrängterer 
Schreibart und bei voller Selbstständigkeit des Urtheils in der 
Art und Weise der Begründung, tlieilweise auch in der for- 
mellen Behandln 71g ein gutes Stück scholastischer Methode, 
freilicli iui Wesc'/tlichen nur als iiberßilssiges Beiiverk, beibe- 
halten, Venselben Charakter haben die Consilien Ludivig 
Gremps vom IG, Juli lituli und in der besoldischen Sammlung 
L 4, die der Juristenfacultät su Tübingen in der Sammlung 
der Consilien Fichards T7T. 4S, von 166 und III. 47 ^ tvo- 
gegen allerdings die fiir inlaiulische Behörden und den Herzog 
bestimmten strafreclitliclien Consilien desselben Collegiums aus dem 
sechssehnten Jalirhundcrte, nach den wenigen erhaltenen Proben 
SU urt heilen, sich im Wesentlichen auf die Begründuf^ der 
Entscheidung ans den Gesetzen und auf die Darlegung des 
Thatbestandes beschrankt haben mOi^en. 

Jette in den Consilien vorherrschende Methode musste aus 



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— 3 — 



ähnlichen Gründen^ wie sie heut sh T<ri^r in ]'.no;hind und 
ISiordauu rika (i< t f>rok!isi /i-cns!iist'isc/ii u iU /iü/KÜiiiii^'siCi '/sr di v* 
Rechtswissenschaft das entschiedene UebergeivicJit über die phi- 
losophische und geschichtliche geben^ auch auf die theoretischen 
Arbeiten wirken — zumal da die deutschen Juristen schon 
durch das In-ispicl ihrer italienischen ]'or!^ii)!i^cr dazu veran- 
lasst ivaren vorgekommeru: Rechtsjiillcy deren rwi^ntachtungen 
und Entscheidungen zur Erläuterung und Bekräftigung der ' 
wissenschaftlichen Sätze zu verwenden. 

Die {^rosstcnthcils ärmliche theoretische Rechtsliteratur 
Deutschlands aus dem sechszehnten Jahrhundert ist bekaiud nnd 
Vieh rf ach besprochett. Die praktischen Arbeiten , in weichen 
die damaligen Juristen ihre Stärke hatten und durch welche 
sie im Grossen und Gänsen namentlich im Strafrecht unswei- 
felhaft einen lei'Jilt/ieitii^en Jiinjhtss itldeu^ der l eri^essenheit zu 
entreissen^ ihre Bedentunt^- fitr die Reehtsentwicklnng darzide^i^en^ 
ist eine Pflicht nationaler Dankbarkeit^ woran die Gedettktage 
umerer Hochschulen besonders mahnen Möge es der gegen- 
wärtii^^en Schrift i:^elini^en innerhalb des ihr vorgezeichneten 
Kahmens zur Erjullung dieser Aufgabe beizutragen. 



II. 

Die Cansilien der Tübinger Rechtslehrer sind ohne Zweifel 
so alt wie die Hochschule selbst. 

Das friiheste auf uns i^ekonnnene lujcnltäts^ntachlen zeigt 
in seinem Iiin^i^air^ eine unverkennbare Beziehung zu der ge- 
feierten Wirksamkeit ihres Stifters, des Graben und nachtftaligen 
Herzogs Eberhard^ für die Beilegung von Streitigkeiten und 
Wahrung des Landfriedens in den Angelegenlteiten seiner Mit- 

1* 



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siäiuü^). Es betrifft einen verwickelten Rcchtshmidel zwischen 
den Hersogen Heinrich dem Aitern und dein yOngem^ sowie 
Herzoo' Erich voft Braunschweig und Lüneburg einerseits, der 

Stii(iti^( uiriiidi' Brauusc/iiceig auf di r iifuiin n Seite. Z^ei sehen 
diesen Parteien war darüber Streit entstanden dass der eine 
der Herzoge den Bürgern die Versteuerm^ ihrer ausserliaUf 
der Stadt liegenden Güter und die Einfithrung einer Abgabe 
von den eingehenden Waaren angesonnen hatte. Auf die Wei- 
gerung der Bürger Jiin hatte der Iferzcg gegen sie Fehde er- 
hoben, einige der Stadt geliörigc Burgen weggenommen und 1402 
die Stadt selbst belagert. Der Miserfolg der letzteren Kriegs- 
massrege l führte zu der Vereinbaruttg dass ein Schiedsgerieht, 
zu drssen Mitg/iedeß'u der Markgraf und Kurfiirst Johann i'on 
Brandenburg und der Erzbisckof Ernst von Magdeburg ge- 
ivählt wurden^ über eleti erwähnten Anspruch und alle sonstigen 
Streitigkeiten f welc/te zwisclien den Parteien sclewebten^ ent- 
scheiden sollte % Für dieses Schiedsgericht wurde das genannte 
Consiiimn auf Ersuehen des Markgrafen Johann erstattet, (rraf 
JUh rhard von Württemberg hatte den IVunseh desselben der 
Eacultät angelegentlich empfohlen^ wie sie selbst mit den Worten 
berichtet: Cum .... accessisset non vulgaris, sed diligentis- 
sima commendatio cxcelsi domini, domini Eberhardi Comitfs 
Wirttcinbcrgcnsis ac Montispcligardi, etc. scnioris, domini 
nostri gratiosi, ad hanc ipsam rem summo studio capescendam 
nos vehementissime adhortantis . . . Diss legt die Vermu- 
thmig iiahe^ dass Markgraf Johann sich zuerst an Eberhard^ 
der als Wrniittler und Schiidsriihter in Reehtssachen das 
IwclirSte Ansehen genoss^ gacendet hatte und von ihm veranlasst 
worden war das Gutachten der Facultät einzuJwlen. Denn 
Eber/tard pflegte^ wenn er selbst in einer solchen Angelegevdieit 
zu der Entsclteidung oder Vornahme von Vergleichsverlland- 
lungt ii berufen lear, sic h i'on Sc iUi ii Raihen und Ree ntskujui igen 
belehren zu lassen; mtd Prennuiger^ der das FacuUätsgutaclUen 



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— 5 — 



in der braunsckweigischen Sacke verfasst stt haben scheint^ hc- 
sass das Vertrauen des Grafen in solchem Mäasse, dass der- 
selbe i/ifiy (i/s er sich noch in einem aiisiV(irtii:;cn Amte befand^ 
über ebu: hochioichtigc fraj^e^ welche sich auf den Eintritt des 
Grafen in den schzväbischen Bund besog^ um sein Gutachten 
angegangen hatte \ Daraus dass der württembergische Landes- 
herr in unserem Consilium noch als Graf bezeichnet ist geht 
]iereoi\ liass es vor dem :it. Jnli 7/.'A"> verfasst worden sein 
viusSy an welchem Eberhard die Herzogswiirde erhielt. Es be- 
schäftigt sich mit der civilprocessualischen Frage ob die beiden 
Parteien durch die von jeder i^ egen die Klagen der anderen 
vorgebrachten liinreden von der Liliseontestation befreit Stien^ 
li'as hinsichtlich der meisten Klagepunkte verneint wird. Die 
Entscheidung ist gemäss dem Wunsc/te des Markgrafen Johann 
in die Form zweier Interhcute gefasst. Sie lautet in ihrem 
ersten Theile: 

Postcacjuam tlebite fiicrit Ici^itiniatio pcrsonarum 

fact^i tunc ccnscmus interlocutoriam per exccllentissimos do- 
miiios, in hunc vel similis effectus modum ferendam esse, 
videlicet : 

l^xccptioncs pro parte rcoruni, utpotc inagistroruni civinm, 
consulum et communitatis oppidi Brunsvicensis oppositas non 
esse neque fuisse tales, quae eos tueantur vel iure tueri po- 
tuerint quo minus- omnibus et singulis actionibus, praeter ulti- 
mani, contra ipsos per domtnos agentes, videlicet excelsos 
j)rincij)cs, dominos Diiccs Brunsviccnscs institutis. rcspoiulcrc, 
ac lilem desupcr pure contestari tcncrcntur, intcrlotjucndo 
pronuntiamus easdem exceptiones (prima tamen et ulttmis dua- 
bus demtis) tanquam obscuriores, prolixiorem tractatum altio- 
remque indaginem requirentes, ipsis reis, si et in quantum eas 
prosecjui volucrint et iure jiossint, priii.s litis contcstationcm, 
quam quidem in huiusmodi caussis expresse per partes facien- 
dam, ac de calumnia utrinque iurandum esse decemimus; sal- 



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— 6 — 



vas una cum facultatc opponcndi, itcrum pcremtoriam prius 
oppositam, cx])cnsanmi quoquc condcmnationem ad finem 

litis rcscrvantcs. ,\'/' /. 

Ganz ri'tsp reche nä ist das tswcitc Intcrlocut^ ivclchcs die 
Einreden der Herzoge gegen die Klagen der Stadt betrifft^ in 
Nr 9 4 ge/asst 

Die bcis;rfü{rtcii Hntscheidutts^sgründe werden mit dem auf 
Noi\ Ifi cap. i'i gesliitzten Brocardon crubcsciinu.-; nuoticns sine 
lege loquimur und d^m in 1. 2 ,S* 43 de. O. J. (I. 2) be- 
riehteten Anssßmehe des Quintiis Mucitis eingeleitet und sind 
ungemein iwitsclnveifii^ ausgeßilirty so dass das Cansilium ^3 
Spalten I-olio füllt. 

Am Schlüsse giebt die FaciUtät den Schiedsrichtern den 
Rath die Parteien xum Absehluss einer fteuen Vereinbarung su 
veranlassen, tvodureh die Art und Weise des sckicdsgerieht- 
liehen Verfahrens deutlieher bestimmt werden sollte. 

Der i^anzc Streit lunrde hierauf durch einen VergleieJi 
beigelegt. 

Das siveite bekannte Consilium der yuristenfacultät ist votn 
11, December 1 datirt und betrifft eine gleichfalls vor Schieds" 

richtern anhängige Streitsache zwischen dem oben envähnten 
lirzbiscJiof lirnst von Mn^i^dchiirg iiU'l der dortigen Stadtge- 
ineinde^'). Dieser Streit betraf tiach dem IiüieUte des Consi' 
lium selbst theils Civilansprüche aus strafbaren Handlungen^ 
vielleicht Injurien in dem unten zu erzvähfteruien weifeti Sinne, 
Ar ••'•'> //'., /'/, theils IcJicureclitlichc l'cr/iältnisscy Xr /•>, theils 
kirchliches l'i rm.>i;\ n , Xr f s ; der einz ige in dem Consilium 
näher bezeichnete Klagepunkt bezog sich auf die Anlegung eines 
Wasserleitungsgrabens am Neuenmarkte smi Magdeburg, Nr (i^. 
Eine klarere Uebersicht der Streitigkeiten, welche sivischen 
beiden Parteien bestanden^ L^czeahi-t die \ 'crj^lcichsiirkundc -eont 
21. Januar //'/;, deren Inhalt von RatJimann, Geschichte der 
Stadt Magdeburg, Theil III, S, 230— 2M mitgetlteilt wird. 



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Auch in diesem Falle war die Facultät um ihr Gutachten von 
den Sckiedsrichtem ersucht xvorden; ihrem Wunsche gemäss 
ist di Ui ( oiisiliiiiii ( in.' in (f.-n/si'/irr S/^rar/ir ansgc/t r/ii^h i/itt i'- 
locutorisciu J'.nlsi/u'iiiiing in der Form von vier Urt heilen mit 
dem Mich gebliebenen Beisatse^ xvelclier die geschehene Acten- 
ver Sendung anzeigt •nach gehabtem Rath der Hochweisen und 
der Rei/iti'erstiiiiiiiL'en» b:'irefif'f. Im F.infdni^ utid in der 
Unterschrift ist ansdhicklich gesagt dass die l'aeultät das ton- 
silium auf Grund eines von Prenninger erstatteten Referates 
in collegialer Berathung beschlossen habe (s. unten). 

Das Ersuchen der Schiedsrichter um die Ertheilung des 
Gntac Iltens war in hridrn I'allen der Facultät brieflicJi und 
überdiss durch mmdiicJie Botschaft vorgetragen tvorden. 

Ungleich sahlreicher als solche Collegial-Gutacläen der 
Facultät wareUf wie anderwärtSj so ohne Zweifel auch in Tti- 
bi)ige)i bis um die Mitte des sechszeknten JalirJumdertes die Con- 
silien einzelner Rccktslchrcr, 

Ein solches besitzen wir schon von dem ersten Rector und 
zweiten Kanzler der Universität^Johannes Vergenhans {Nauclerus). 
Es betrifft die beiden kanonistisehen Fragen an clerici possint 
diöponerc de fructibus intuilu ccclcsiac [)crccptis in vita et in 
morte wui quis succedat cierico ab intcstato \ Ob die Be- 
merkung y, J, Mosers dass Vergenhans consilia iuridica hin- 
terlassen habe^) nur auf dieses eine geht oder ob noch weitere 
vorhanden waren, Itisst sieh z}ir Zeit nicht ermitteln. 

Eine fruchtbare und hochgeschätzte Consulententhätigkcit 
übte der oben erwähnte Martinus Uranius Prenninger^ Professor 
SU Tubingen von 1490 — 1501, zuvor bischöflicher Kanzler und 
Advocat in Konstant. Eine Sammlung seiner Consilien ist 
unter dem Titel consiliorum sivc rcsiion.sorum D. Martini 
Uranii, cognominati Prenninger, iuris utriusque doctoris exi- 
mü . . . tomt duo . . . Francofurtt ex offictna Paltheniana, Sumtibus 
Nicolai Bassaei anno Christi MDXCVII., tomus tertius .... 



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Francofurti cx ofÜicina 'r\'pof;raj)liica Joannis Saurii, impcnsis 

Tctri Kopfii, MDCVII.'' roii srificm Vrinkil l-^ricdricJi Proinuiircr^ 
Advocatcn der Stadt Kotlicnburg an der Jaubcr, herausgegeben 
worden, Sic enthält mit Inbegriff der oben besprochettcn stuei 
Facultätsgutachtcn ^3Cp Consilien: im ersten Bande 30, im 

S7veiten 84y im dritten, wo sie nach Rechtslehren de dccimis, 

de iiiiuriis //. s. 7i'. (j^eorduet sind ^ 11.'>. Ein llicily vicUcicJit der 
grössere Theil dieser jlrbeiten gehört der Zeit vor der liibinger 
Wirksamkeit Prenningers an. Mit dem Titel seines akademi- 
scheti Tj'hramtes als Ordinarius mattUinns pontificii iuris in 
praeclaro l'ubingensi Gynuiasio bezeieJinet er sieh am Seh/usse 
der Consilien i .V, //, 14 — 10 im ersten, der Consilien 
1 — 3, 39 im stveiten, sodann im Eingattge des Cofisilium 27 im 
ersten Bande, In die Xeit dieses Lehratntes fallen übcrdiss 
folgende Consilien des ersten Bandes: 

/.V, da liier i\iiiser Friedrieh ///., gest. mit dem 

Beisätze fclicis rccordationis , demnach als bereits gestorben 

envähnt ist, 

cottsil, 20, da in Nr, 31 desselben eine im Jahre 1497 
geschehene Thatsache als vergangen erwähnt ist, 

eonsil. da hier eine erst in den Kammergeriehtsord- 
nungen seit 1 ffh"» enthaltcfic Ijcstiminung ausdriicklieli der 
orditiatio Consistorii Camerae regalis zugeschrieben ist ( Nr 2), 

consil, 82 itach der Orts- und Zeit- Angabe 9 Ex Tubit^a 
22 Augttsti Anno 1499*, 

■ consil. .7.7, da hier mit den Worten ideni M. Geort^ius 
sua culpa contraxit gravcm indignationcm lUustris atquc 
Hxcclsi Principis et domini, domini Ulrici Ducis Wirtem- 
bcrgcnsis domini tcmporalis villae Entringen Herzog Ulrich 
offeidhir als l. inilesherr bezeiehnet ist, leas erst fiir die /.eit 
von IdUö an zutrifft. 
Dasselbe gilt mutlimasslich von dem einunddreissigsten 
Consilium des ersten Bandes, Demi der Bischof von Konstans 



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— 9 — 



ist hier in verhäUnismässig so einfacher Form erwähnt dass 
nicht anzunehmen ist der in den Titulaturen auf seit-übliche 

Weise cJircrbictijrr Verfasser habe daiiials uoeJi in seinem Dienste 
gestanden. Xr 26^ 2G zu rergleiehcn mit Bd. IIL consiL 4 
de iniuriis Eingangs wo der Bischof derselben Dtocese reveren- 
dissimus in Oiristo pater et Dominus, Dominus Otto Con- 
stanticnsis ICpiscopiis genannt ist. 

Ausdriteklick als adrocatus curiae Constantiensis bezeichnet 
sich der Verfasser in den Consilien des zweiten Bandes 52 vom 
U Mai 1488, 54 (ohne Jahreszahl J und in Band IIL consil, 4 
de iniuriis y als advocatus curiae Constantiensis ac episcopalis 
cancellarins in Jiand II. consil. 17 vom 11. Jannar J f<SS^ co/isiL 7.) 
vom 4. Jul. 1400 f consil. 79 vom 23. Sept. J4S7 nnd consil. 72 
(ohne Zeitangabe^ Aus Konstanz datirt sind consiL 59 von 
1489, consil. 60 vom 21. Februar desselben Jahres, consiL 77 
vom 10. Septemhrr 1 fOO in dem nämlichen ßande. 

In den zvciians meisten Gutachten nennt sich Brenninger 
einfach utriusque iuris doctor und iurisconsultus. Hieraus für 
sich allein kann aber nicht gegen die Abfassung in der Tübinger 
Zeit geschlossen werden, da ?tach dem Obigen mehrere dieser 
angeJiöretide Arbeiten ^ Bnind f. eonsil. 12, 20^ 2'J, 32, o.'J nur 
jene einfache Bn-zeichnung enthalten. 

Die Consilien der prenningerisclien Sammlung beziehen 
sich auf eine grosse Zahl der ma$migfaltigsten privalrechtlichen, 
ii-eil/Toc i Ssntj/ise/ien und kirchenrechtlichen (ic>^i nstdndr. Das 
öffentliche Straf recht berühren sie nur tubenbei in einzelnen 
Punkten, 

Von allen Verbrechen ist aus dem Gesichtspunkte des welt- 
lichen Strafrechtes nur die Injurie und diese fast durchweg als 

Privat delict brhandt ll. \ \>ii ihrer criminellen W'rfo/i^nnj^ räth 
Prenninger eitum Prälaten und Reichsfür sten^ ivelcher durch 
Verläumdungen und Schtnähungen schwer beleidigt worden war^ 
in dem H consilium des ersten Bandes entschieden ab — theils 



I 

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weil den Geistlichen nach cofist. Ii) C\ de episc^ L 3j Ver- 
schonuiio mit Crimifmlklagc gcsicnie, theils mit Rücksicht auf 

die srrossii'c St/izvii riL'-krit (/<s Bi-zc isc s, wobei unter Anderem 
die const, idt, C, de probat.^ IV. VJ^ angeführt ivird^ theils 
wegen der im kanonischen Rechte beibehaltenen Verpflichtung 
des Crifuinaiattklägers sich in der subscriptio der Anklage für 
den Fall des Uttterliegens der Strafe des Verbrechens ^ ivorauf 
die All kluge lautete^ l^vena talionis^ zu nnteriverfen^^). iYrö'7., -Vv. 
Dabei ist in Nr 10 erwü/in/ dass das Klagen auf Privatbnsse 
dem gemeinen Gebranclic . des schwäbischen /Idcls snzvider 
seiy dieses Bedenken aber theils mit allgemeinen Erwiignngen^ 
welche mit l 'Ipians drei praecepta iuris und einem Satrj aus 
Aristoteles Ethik belegt sind, theils mit dem l organge des 
cap, 7 X, de iniur^ l \ >'iO\ bekämpft, 7vo » /ntwcefititts; vielmehr 
Homrius der Dritte dem auf Privatstrafe klagenden Biscltofe 
von Fäsulä durch sein Strafurtheil Recht gegeben habe, Zur 
Beseitigung der etieaigen J^urcJit vor übler Xaehrede ist beige- 
fügt, der Beleidigte koniu: ja die Straf summe zu einem from- 
men oder milden Werke, s, B, siir Stiftung eines Stipendiums 
für unbemittelte Stude9tten oder zu einer Heiratgut-Stiftung für 
arme Mädchen anwenden, 

.Iis Strafe der Inleidii^nng erscheint hiernach überall Pri- 
vatbusse in Geld neben infamia, Widerruf zur Siihiu: eiiwr 
Beleidigung wird in dem so eben angeführten consilium sehr 
entschieden auf das fortim conscietitiae beschränkt. Eine Klage 

m 

auf Widerruf tvird daselbst unter Bezugnahme auf die Praxis 
des bischößichen Gericliles zu Konstan: als inepta bezeichnet, 
weil sie nicht in einem Gesetze begriimiet und uberdiss von 
keitu^m der angesehenen Doctorcn anerkannt, namentlich auch in 
die Klagfonnulare des Durantis uftd Anderer nicht aufge- 
nommen sei. Nr SO — //. FAwnso wird in Band /. consil. i 
am Ende von einer Klage auf Widerruf abgerathen Da- 
gegen ist in Band III. de iniuriis consil. 7 gegenüber einem 



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— II 



Wciöcy das einen Manch widernatürlicher Unisucht besüchtigt 

hatU\, der Widerruf der Wr/ännidimg i'or den Xeii^^eii der- 
selben als gerieJidkhc Stra fe bezeielinei. Ein Erklarungsgnuui 
für diesen Widerspruch ist nicht ersichtlich. 

Die Beträge der Geldbussen sind im Verhältnis zu dem 
damaligen Geldwerthe und verglichen mit den heut m Tag 
itbliehen AnsilffTtn sehr betraeJitlieJi : nach con.^HiHiii f. 20 Nr .V.7 
seeJiszehiL naeh eonsiliuni III. :J de iniuriis Nr i) fiir eine wört- 
liche und eilte Real-Injurie mindestens fünfzig Gulden^ nach 
consilfum 111, 12 Eingawj^ für öffentliche Beleidii^ung eines 
Prälaten in einer KireJie und nach eonsiliuni II f. 11 ani 
Ende für Verläunidimg und Schniiihung des Abtes und der 
Mönche von Bebenhausen je einhundert aurei Rhenenses, In 
dem oben angeführten Gutachten I. 14 ist dem beleidigten Prä- 
laten angerathen die Klai^e wegen mehrerer in einem Schreiben 
enthaltener In/eitfijntni^en auf eintausend so/elie aurei zu richten 
(Nr .'.7 Unter den Miuizen niiissen hierbei vielleicht überall 
Goldgulden = ungefähr 6 M, 40 Pf, ßieutiger Wälirung ver- 
standen werden, da der zur Bezeichnung der Silbergulden da- 
mals übliche Zusatz in moneta überall fehlt ^-). 

Die In inessunj^ der Strafen ist in riuii^en für j^eistliche 
Richter abgegebeneu Cönsilien mit peinlicher Sorgfalt und fast 
mechanisch wie ein Rechenexempel behandelt. So in Band III, 
de iniuriis consilium 14. Wären die Beleidigungen, wird hier ge- 
.sv/i,'/, fleischen Laien uii<l/-(!^en Staudes vorgefallen^ so nüisste 
der Thäter fiir jede einzelne weiiigstens zu 15, mithin für die 
ihm zur ImsI gelegten drei Beleidigungen zusammen zu 4ö aurei 
verurtheilt werden. Hierzu kommen acht Straf erhÖhungsgründe : 
1) die edle Abstammung des beleidigten Abtes^ 2) sein und der 
anderen In lcidigten geistlicher Stand, .">) die besonders hohe 
Würde des Abtes, -V das amtliche Verhidtnis des Schuldigen 
zu demselben, 5) und 0) der Ort der VerÜbung, da dieselbe in 
dem geweihten Räume des Klosters (5) und in dem eigenen 



12 — 



Wohngebäude der Beleidigten (G) stattgefunden itatte^ 7) der 
geistlicfie Stand des Thäters, 8) die Oeffentlickkeit der Bc 

Icidii^unf!;. Die unter 1 — i genannten Umstände bewirken eine 
Erhöhung dir Strafe um je ein Viertl/eil "eon zusniinnen 
also um 36 aurei^ die vier anderen einen Zusatz von je ö aurei, 
woraus ztisammen die obigen 100 sich ergeben (Nr 31, 32), 
Auf (gleiche Weise rechnet Prenniftger in Bd, III, consiL 2 de 
iniurüs Xr 'J. 

In Band :^ consilium Gl Nr 9 gicbt er die Bestimmung 
der Strafe dem Ermessen des RiclUers mit der Bemerkung an- 
heim dass ihm selbst mit Rücksicht auf die Schwere des Be- 
suchtes und die Person des Beleidigten eine Busse von mindc' 
stens PiO Gulden als angemessen ersel/eine. 

In dem Gutachten Band I. eonsilium 7/, ivelehes auf Er- 
suclien des Beleidigten erstattet ist, beschränkt sich Prenninger 
auf eitle allgemeine Hervorhebung der Straf erhbhungsgründe 
und die Mahnung an den Kläger sein Bezvusstsein in Bezug 
auf die Schätzung der ihm widerfahrenen Kränkung sorgfältig 
gu prüfen, da diese Schätzung eidlich geschehen müsse. 
Nr 45, 46. 

Die Strafen mehrerer concurriretider Beleidigungen werden 

gemäss der Regel cjuot tlclicta tot i)ocnac einfach zusammen- 
gereelinet. Die VerÜbung der Beleidigungen in fortgesetzter 
Handlung, s. Ä in einem und demselben Schriftstück, ändert 
hieran Nichts; der Begriff des fortgesetzten Delictes wird über^ 
haupt nickt ertvähnf^^). 

Der Kläger macht seinen Anspruch auf die Geldl'usse in 
der Jahrhunderte hindurch üblich gebliebenen Form geltend: 
er wollte lieber den eingeklagten Betrag von seinem Vermögen 
verloren als die Beleidigung erlitten haben. S. besonders die 
Klageformcl in Band I. consil. 14 Nr 55: Cum . . , praemfssa 
.... omnia et siiv^ula fucriiit ac sint rcvcrcndo domino ai^cnti 
iniuriosa et contumeliosa, et ad graviter lacdendunii obscuran- 



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•—13 — 

dum et diminuendum honorem et famam ilHus tendentia et 

accomodata : Ideo idcm rcvcrendus dominus agens ea tanquam 
talia, statini, ut ad eius notitiani pcrvcnerunt, gravissimc tulit, 
ad animumque revocavit, prout etiam gravissime fert, et ad 
animum revocata habet de praesenti, aestimatque ad summam 
mille aureorum Rhenensium (plurt salvo) cjuani summam potius 
voluissct de bonis suis pcrderc, quam talcs et tantas iniurias 
sustinuissc 

In mehreren Consilten, so in Band IIL de iniuriis cmsiL 3 
Nr 4 und consiL 8 Nr 1 ff ^ Nr 15 werden die verschiedenen 
Bedeutungen des Wortes iniuria nach den Pandekten mit Uber- 
ßiissigtr Gelehrsamkeit leiillaiifig ausgefUJtrt. AucJi der Unter- 
schied zwiscium der prätorischen Jnjurienklage und der civil- ^ 
rechtlichen nach der lex Cctmelia wird wiederholt erwähnt und 
hierbei namentlich mit den Glossatoren Martinus^ Placentinus 
un(t der Mehrzahl der spateren Seh rift steiler gegen die adzc'ei- 
cJuiuie Aiisiclit anderer die Verschiedenheit ihrer Verjälirmtgs- 
fristen anerkannt. Band HL de iniuriis consilium 2 Eingang 
bis Nr 6, consilium 6 Nr 1. 

Der Thatbestand der Injtirie wird im Anschluss an den 
röniisehen Begriff leeit ge/asst. So wird bei Scliwertziieicen in 
der Absicht einer Tödtung oder Korpereerletzimg dem Be- 
drohten unter Berufung auf L 15 ^ 1 de, iniuriis^ XLVIL 10^ 
eine actio utilis wegen Realinjurie zugesprochen. Band IIL 
de iniuriis consil. :J Nr 0. Der Coniuhiühur eines Deutseh- 
vrdens/iauses leird für bereclUigt erklärt gegen einen Ritter^ 
welcher mit Verletsung einer ausdrücklichen dem Commenthur 
gegebenen Zusage einen Leibeigenen dieses Hauses eingesperrt 
und hierdurch eine Geldsumme von ihm erpresst hatte^ die In^ 
junenklage a)izustellen. Band I. eonsiliuni S. So mag der Be- 
griff der Injurie vielfach^ namentlich in der Rechtspflege zwi- 
schen Geistlichen^ dagu verwendet worden sein die grausamen 
öffentlichen Strafen der Zeit zu vertneiden und die altdeutsche 



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— 14 - 

SüJtnung der Missethatcn durch Geldbusse in dem Gciuande 
des recipirten römischen Rechtes dem Erfolge nach beizube- 
halten. 

W'ahrJicit einer objcctii' beleidigenden Aeitssernnj^ ist nicht 
als sdbstständiger Schuldausschliessungsgrnnd anerkannt^ son- 
dern soll nur^ wenn der anitnus iniuriandi fehle^ von der Strafe 
befreien Band IIL de iniuriis consilium 4 Nr 33 f. 

Bei Gelegenheit der Injuriensachen berührt Prenninger 
sclbstverständl icJi aneh allgemeine J-mgen des S/nr/ree/ites und 
Proccsses. Doch bieten die Benurkungcn über dieselben grössteu- 
theils kein besonderes Interesse, Erwähnt werden mag die un- 
richtige Behatiptungj dass Eideszuschiebung auch bei Civilklagen 
aus strafbaren Handlungen loislattliaft sei (Juvid III. de in- 
iuriis consilium ö Nr OJ, sodann die Ausführung über die Be- 
weislast für Schuldausschliessuftgsgrimdc, Solche müssen, wird 
in Band IL consiL 61 Nr 2 — 6* mit Berufung auf Petnts de 
Anchorano gesagt, von deftt Beschuld igte n, wenn er sie in Ver- 
bindung mit dem (Jestüniinis einer prima fuic als l^clict 
crsclu'imnden That vorbringe ^ bewiesen werden, /.war dürfen 
qualißcirte Gestätidnisse nach Pamrmitanus und den Doctoren 
SU cap, 1 VL de confessis, IL i/i der Regel nicht ge- 
trennt werden^ wohl aber alsdann wemi gegen die Einschränke 
ung eine l'ermuthung streite, z. II nach const. J C. ad leg. 
CorneL de sicariiSy IX. 10', und den Commentatoren zu dieser 
Stelle^ wenn bei dem Bekenntnis einer Tödtung Notlewehr und 
ebenso nach const, 5 C, de iniuriis^ IX, 3oy Bartolus und An- 
deren^ wenn mit dem Zugeständnis eines ehrenrührigen Be- 
ziichtes die Absicht berechtigter Riige oder, wie in dem gegebenen 
Falle, einer rechtmässigen Zurückf orderung behauptet werde. 
Dabei wird dem Beklagten^ welclier einem Pfarrer eine Ent- 
wendung vorgeworfen hatte^ der Beweis dieser Entwendung selbst 
auferlegt, weil bei ehreftrührii^en Worten nach der cflusf. ft cit., 
der Glosse und den Docloren die Absuhl der Beleidigung i'er- 



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— 15 — 



muthct werde. Die MißgliciikeU eines thatsächlichen Irrthums 
bleibt hierbei unberücksichtigt — uiui swar anscheinend nicht 
bloss desshalb weil ein solcher nach den Umständen des Falles 

nicht in I'nij^r kam. Dicsclhc Aitjjassuu^ t/i S ijualißcirtL H Ge- 
ständnisses kehrt in Band IIL de iniuriis consilium 7 Nr, 1, 
>8 wieder. 

Aus anderen Consilien Prenningers mag nach Folgendes 

aNi^efKliii iccrditi. ]'on der \\ra}itieor!lu liLeit piristischer Per- 
sonen handelt das 4(J consilium des rjieei/en luvides. Zwei 
Dorfgemeinden waren ^ weil ein Theil ihrer Einwohner in eine 
Burg widerrechtlich eingedrungen war, also muthmasslich wegen 
Landfriedensbruches y verttrtheilt worden — ob zu öffentlicher 
Strafe, ist niclit ersichtlich. Prennin^i^er erklärt diese lintschei- 
dnnj^ für unrichtig und führt hierbei nnter Anderem aus: eitte 
Universitas könne nur wegen solcher Delicte belangt und ver- 
urtheilt werden ^ welclte sie als solche, d. h. nach vorheriger 
Berat huug und Beschlussfiissun;^ in der i niversitas selbst, he- 
gan^i^en habe, und auch dann müssen diejenigen Mitglieder 
welche nicht zugestimmt und sumal die weiche widersprochen 
haben von Strafe Jrei bleiben, Nr 8, 9, 5, Diese Auffassung 
enthält i^e^i^enilber dem mittelalterlichen deutschen Rechte jeden' 
falls einen Portschritt: dass bei juristischoi Personen die straf- 
rechtliche Zurechnung nicht gänzlich ausgeschlossen wird^ er* 
klärt sich aus der von Prenninger angeführten communis 
opinio der Italiener seit Bartolus und wohl auch aus der ( nicht 
envähnten) Pestimnmng des kanonischen Rechtes itber Ver- 
hänj^iinf^ des InterdicteSy cap. 1 IV. de censibus, II/. leomit 
freilich die über JLveommnnicationy cap. .7 / 7. de sent, excomm,^ 
V, 11, namentlich in ihrer ratio nicht übereinstimmt. 

Ein Fall überschrittener Nothwehr ist in Band IT, con- 
siliunt ans dem (iesich/s/uuikte rein kirchlicher Bestraf um.^^ 
nämlich der lixcommunication, besprochen. Konrad Beck aus 
Scltera Jtatte einem Kleriker einen Streich mit entblösstem 



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•~ i6 — 

Schwerte versetzt und berief sich cu seiner Vertheidigmg darauf 
dass er von dem Verletzten suuor tnit einetn in der Scheide 
geborgenen Schwerte geschlagen worden sei, Prenninger ent- 
scheidet für die VcnirtheiliDig ^ indem er zu dem vwderamen 
inculpatae tutelae mit Bai du s und anderen älteren Italienern 
unter Anderem Gleichheit der VertJieidigungsmittel mit den zum 
Angriffe gebrauchten verkmgt und überdiss geltend macht: 
Excomuumication könne wegen der durch sie (dicuieeudeuden 
Gifakr für das Seelenheil ebenso wie Irregularität leichter als 
eine weltliche Strafe ausgesprochen werden, 

DoppeleJie bei thatsächlichem Irrthum ist in Band L con- 
silium 10 als Grund dispensabler Irregularität aufgefasst. Von 
Ehebrucli handelt Prenninger in mehreren Consilien^ von zvelehen 
drei utiier der Wberschrift de adulteriis /'/// dritten Bande 
susammengestellt situi^ aus dem Gesichtspunkte der separatio 
a thoro et mensa^ ebenso von Deflor^ion aus dem der Priz^at- 
genugthuung in einer längeren Reihe von Consilien^ die in dem» 
selben Bande den Abschnitt de dejiorationibus bilden. 



In den Begründungen geht Prenninger allettthalben auf die 

Texte der römischen und kanonischen Geset-ze zurück^ ohne 
freilich den Inhalt derselben näher darzulegen. In der wich- 
tigen Frage über die Stattliaftigkeit einer Klage auf Widerruf 
stützt er sich in erster Linie auf die beiden Sätze quod lex 
non dicit, nequc nos dicere debemus und crubescimus quo- 
ticns süic Ic^^c loquimur und Diss ist bei ihm nicht blosse 
Form. Selbstverständlich schliesst er sich an die Doctrin und 
Praxis der italienischen Juristen an. Doch verfährt er gegen" 
über von ihmn nicht ohfte Selbstständigkeit In Band III, de 
iniuriis consiliwn 10 Nr 5 s. B. erklärt er sich auf den Grund 
des (\reset^estextes gegen t ine einsieht des hoch gehaltenen I\a- 
mnisten Nicolaus de Tuäeschis (raiwnnitaims). Das höchste 



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— 17 — 



Ansehen legt er mit Berufmtg auf Baldus der Glosse bei — 
s. s. Ii. Band I. eonsil. 12 Xr (i — ; daeli ver^vir/t er in 

Band III. consii. :J Xr .? r/;ir Mfinuiii^ dcrsclbm ^ indem er 
sich aus sachlichen Ghhidcn für die cnti^ri^^nii^^csctztc des Ja- 
cobns de Arena und Bartolus entsclteidct. Auf Uebereinstim- 
mung mit der communis opinio wird nanmUlich atis der Rück- 
sieht auf die durch sie i^^cdccktc 1 crantivortlichkcH des Richters 
grosser Werth gelegt: Band I. consii. J20 Ar /, Band II. con- 
Sil. 40 Nr 11. 

Für das Verhallen der damaligen Juristen su dem deut- 
schen Rechte bezeichnend ist neben der oben erwähnten Begrün- 
dung der .bisielit :;>;/ der l'ustatthaftigkeit einer Klage auf 
Widerruf die Ausführung in den Rutsche idungsgriindcn der 
FcKultät Band I. consii. 11 Nr 55 — 6^ gegen die von den 
Beklagten aus dem Sachsenspiegel II. 15, III. 14 u. s. w. ab- 
geleitete Verbindlichkeit des Klägers Ge^vere su leisten. Ent- 
weder — sa^t die laeultät — sei diese Gewere^ wie sie Diss 
von einigen in Sachsen persönlich bekannten Männern als ihre 
Ansieht erkundet Itabe, gleichbedeutend mit der in Nov. 112 
eap. 2 (Auth. Generaliter C. de episc.^ I. 3) und in Nov. 96 
cap. 1 'AutJi. LibcIIiini C. dy Ulis coutest., III. 9} i^enannten 
satisdatio und dann sei sie mich der Glosse .zu ^ jf. de satiS' 
dationibiiSf Joannes Bassianus, Odofredus und anderen italieni- 
schen Schriftstellern (!) durch den Gerichtsgebrauch langst 
abgeschafft oder sie sei ein ei<^enthümliches Institut des säeh- 
sischen Rt c/ites und loiler dieser l'oi-aiiss,i::inii^- sei sie darum 
nicht anivendhar leeil der eine Schiedsrichter und eine Partei 
Geistliche seien und desshalb der vorliegende Process nach ge- 
meinem^ nicht nach sächsischem Rechte geregelt werden müsse. 

Andererseits behandelt Prenninger mehrfach deutsches Ge- 
woliulieitsreelit als giiltig — so in Band III. de iniuriis con- 
sii. i Nr lh\ und in dem Facultätsgutacliten Band II. consii. 38 
Nr 67 — 70 — ; auch erwähnt er^ wie oben S. 8 bemerkt, einen 
8. 2 



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— i8 — 



— allcrduigs mit der italieuiscJten Doctrin übereinstimmenden 

— Satz der gleichseitigen Kammergerichtsordnungen. 

Die Schreibart Prenningers in den Consilien ist sehr bn it, 
ahrr Jlit sst nd und von den barbarischen Satzbildungen der Post- 
glossatoren frei. Sehr viele Consilien begitmt er, vcrmuthlicii 
in dem Bestreben antike Muster nachzuahmen^ mit kürzeren oder 
längeren Einleitungen^ welche sachlich ohne Werth sind. Citate 
aus der Bibel und den Classikern, namentlich Aristoteles^ Cicero^ 
SaliustiuSy 1 'irgilius, Terentius sind hiiußg eingestreut. 

Die grosse ZaJil der Consilien, welche in dieser Sammlung 
entlialten sind, beruht ohne Zweifel darauf dass viele von 
Prenniftger in seiftem früheren Amt als Advocaten und Kanzler 
der bischößicJien Curie zu Konstanz abgegeben worden sind, 
und dass in der Folgezeit die Erinnerung an seine dortige 
Wirksamkeit und das Vertrauen auf die in ihr erworbene Be- 
kanntschaft mit der geistlichen Rechtspflege ^ namentlich der 
Didcesej welcher Tubingen angehorte y vielfach zur Einholung 
seines Rathes Anlass geben ntussten. Doch begründet jene Zahl 
immer Ii in die Verniuthung ^ dass auch seine Collegen in der 
Faadtät niclU ohw ahnliche Desclüiftigteng mit praktischen 
Arbeiten gewesen sein indgen. Eine Andeutung davon dass die 
oben eneähnten Collegial-Gutachten der Faadtät weit nicht die 
einzigen dieser Art learen lässt sich darin finden dass die 
Zutheilung der Geschäfte an Referenten in 'dem Consilium vom 
11 December 1493 ^ Band 1. consü. 11 der Sammlung^ als ein 
auf vielfiiltiger Erfahnmg des Collegiums beruhendes Verfaltren 
bezeichnet ist. 

Vidimus itaquc, sagt die facultät hier^ diligcntcr [iroces- 
sum huiusmodi. Verum cum reipsa experiremur (prout antea 
quoquc saepcnumero experti fuimus), verum esse quod scripsit 
gl. verb. fadlfus in 1. 3 a])paret fT. de admin. tut, dum tnqutt: 

Se^iiiiis cxpcdiuiit coinmissa iuj.j()tia plurcs itlcoqiic 

tutelani melius faciliusque adniinistrari per unum quam per 



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— 19 — 



plures , duximus provinciani pondcraiuli proccssuni huius- 

modi maturiuSy ac desuper, ut res postulabat, exactissima dili- 
gentia scribendi, et deinde ad no^ referendi, uni ex nobis 
committendam esse; et potissimum praeclarissimo viro, utrius- 
quc iuris doctori spcctatissimo. domino Martino \'ranio lingua 

vernacula Prcnninger cogaominato Is itaquc 

praedictum processum examinans , super eo subtiliter, scite, 
fundamentaliterque scripsit, ac scripta huiusmodi nobis coUe- 
pfialiter con^egatis examinanda exhibuit. Et qiiia per maturam 
et diligcntissimam cxaminatioiicm nostram invcnimus, ea quae 
scripstt, non solum esse in iure optime fundata, et rationi 
consentanea, verum etiam ad hoc potissimum accomodata, ne 
Processus coram dominis arbitris fiat elusorius et ruinosus, 

frustraciuc gravcntur partes lahoriljus et cxpcnsis 

Nos collct^ialitcr proptcrca congrcgati , nemine discrepante 
omnia et singula scripta huiusmodi approbavimus atque nostram 
eis auctoritatem impertientes nostra fedmus et assumsimus» in 
Omnibus et per omnia scntientes ac consulcntcs, prout in eis - 
continetur. A> 1 — 3. 

Wäre die collegiale Bcrathung und Bcschlussfassung über 
ein Consilium etwas Neues oder Ufigewknliches gewesen^ 
so wäre Diss in der überaus weitschweifig fassten Arbeit 
gt z,.'iss auf iri;cii(/ eine Weise zum Ausdrucke gebracht. Es 
findet sich aber keine lletuerkung der ^irt^ und der Schlusssatz 
ntacht im GegetUheile den Eindruck^ dass er eine schon damals 
übliche Formel enthält. Er lautet: 

Quemadmodum supra continetur, ita sentimus, consultmus, 
ac iuris esse dicinuis nos Ludovicus de Hölingen, decrelorum 
decanus: Martinus Vranius, lingua vernacula Prcnninger cog- 
nominatus, utriusque, et in praeclaro Tübingens! Gymnasio 
pontificii iuris Ordinarius matutinus: Conradus (SHttgcr, utrius- 
que, et in eodem Gymnasio no\oruni iurium Ordinarius: . 
Hieronymus de Croaria, utriusque, et in eodem Gymnasio iuris 

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— 20 — 



civilis Ordinarius: Mangoidus äü^ibeiunanu , et Conradus ^äfieier, 
iuris canonici doctores, et canonici Ecclesiae coUegriatae S. 
Georgii Tiibingensis, rejjentes ac repraesentantes celebrem fa- 

cultatcm iiiridiciun [)racdicti insignis Gyninasii collc^ialitcr 
conj^regati. In quoruni fidem ac tcstinionium pracmissorum 
sigiilum eiusdem facultatis appendi fecimus, ad laudem ac 
gloriam omnipotentts Dei. Actum Tübingae, ii die Decem- 
bris, Anno a nativHate Christtana 1495. 

Die im Bislurigen besprochcttm Consilien aus den ersten 
yaltrzehnten der Universität Tübini^^cn bestätigen die Bemerkung 

Sfoht'Is , (iass die Actinvcrscndaui^ an iiirispcnti und seit der 
Griindung der IlochseJiulen an die Kec/itsie/irer derselben zuerst 
bei den geistlichen Gerichten und bei den seit dem zwölften 
JeUtrhundert hänßg gewordenen Schiedsgerichten^ an weicheti 
sehr oft Geistliche betheiligt waren , aufgekommen ist *'). Die 
Consi/ien der Facultat suid^ zvie oben bemerkt, für Schieds- 
^s^erie/ite tibj^egeben , in ivelchen beide Male ein GeistlicJier sich 
als Richter befand und in dem eitun Fall überdiss der Kläger 
ein Kirchenfürst war. Die persönlichen Consilien Prctmingers 
sind weitaus sum grösseren Theile ßtr - i istliche Richter er- 
stattet, an leele/ie er meistens im Eingair^e die e inrede richtet. 
In Band IL eonsil. 27 ist Diss mit den Worten .... con- 
sultus per paternitatem vestram ausdrücklich gesagt, und bei 
den meisten übrigen lässt sich aus ihrer Fassung schliessen, 
dass sie von den Ofßcialen, delegirten Richtern n, s, w., welche 
der l 'erfasser nennt, erbeten learen. Das erste und -eierzelinte 
Consilimn des ersten ^ das ai /it. zehnte des .iweiten Bandes waren 
für Processe vor geistliclien GericlUen von Partieen eingeholt 
das siebenufidviereigsti des gweiten Bandes betrifft überhaupt nicht 
einen Rechtsstreit^ sondern Gewissensbedenken einer Partei ans 
Anlass eifws Rentenkaufgeschäftes und ivar von dieser veranlasst. 



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— 21 



HU'niiit klingt es zusammen elass die Verfasser der ältesten 
auf uns gekommeneH Tubinger Consilien Kanmisten warett^ 
wie Diss SiS^lsel van den frühesten Comilien der detitschen 
Rechtslehrer überhaupt annimmt. 

Das Consiiiiun der l-acitltat votn Ii Dcconbcr IV.t't bietet 
in der oben enväJuUen AusfuJmifig iibrr die VnanwendbavLcit 
sächsischen Processrechtes ein Beispiel für die von Franklin 
hervorgehobene Wichtigkeit der Austräge für die Reception des 
rdniisi/i-k(Jiiotnsi/ien Rechtes *•'). 

Bei den o?'denf liehen wclt/ie/n-n (nrieliien sclieint der Ge- 
brauch , das Gutachten RechtsgeUhrter einzuholen und dessen 
Inh&lt als Urtheil zu verkündigen ^ in den drei ersten Jahr" 
sehnten des sechssehnten Jahrhunderts noch nickt bestanden zu 
haben Der Sieg der freuideji Rechte iniisste -'oliständii^ 

entschieden und das Bedürfnis der Unterstützung durch seine 
gelehrten Kenner ein unabweisliches geworden sein, bevor Ge- 
richtsherren, Richter und Schöffen die mit der Actem>ersendung 
verbundene J'ercogenfffg und (grössere A'osfs/>ie/ij^heit der Pro- 
cesse auf sieh nehmen mochten. Welcli entschiedene Abneigung 
in Württemberg, ebenso wie in den anderen deutsclien Lätulem, 
gegen die Mitwirkung der Doctoren in der Rechtspflege bestand, 
crgiebt sich aus Punkt 11 ^ 15 — 17 der Beschwerden^ welche bei 
den dem 'J'hbin^i^ei- l'ertrai^e -ecraui^ehenden W rhaiidlitngeii auf 
dem Landta<(e von 1'tlf von den Stuften erhoben zvurden '^' ). 
(Freilich beschränken sich diese Beschwerdepunkte cuif die Be^ 
Itandlung der Rechtssachen, welche Vnterthanen, Personen von 
der Landschaft beträfen^ im Gegensätze zu Sachen des Adels, 
der Klöster und fremder Personen. ' 

Mitivirkung zu peinlichen Urtheilen ivar auch der J 'acuUät 
lange Zeit hindurch Nichts weniger als erwünscht. Licet hac- 
tenus, sagt sie in einem von Sichardt verfassten Consilium für 
den Rath zu Nürnberg von 7.>i.'>, ciuaiitum honeste fieri potuit, 
rcruni criminalium cognitioni üupcrsederimus: Attamcn vobis 



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gratificandi studio, nuiltisquc aliis tic caiisis luinc l.iborcni 
siiscepinius '-'-). JUass Diss nicht Zii irrci luar^ bestätigt ein sechs 
Jahre früher vorgekommcmr Fall^ von welchem Gerstlacher^ 
SatHndung württembcrgischer Gesetze ^ TL Btuh^ S, 42^ 43 be- 
richtet: 9ft/s 1543 Hersog' Ulrich Hansen und Sebastian Bäurlin 
ivcgiii 1'inis iiii dem ]'or<itk)ucJitc zu Botnani:; bci:;aiigc}hn Mi'iuirs 
zu Böblingen peinlich beklagen licss^ "ii'ussten sieh die Richtcre 
in der Sache nicht su helfen^ und schickten daher die sween 
Fiirsprecher des Vogts und derer Beklagten nach TUbingett su 
der yuristenfaenltäf, begcrcnd^ ihnen gegen gcbiirliche Belohnung 
zu ralhe/ty dessen aber die yuristcn/acultät sich geweigert^ daher 
sicy Richtcre^ selbst ein Urtel abgefasset und die Beklagten ssum 
Scltwerdt condemniret haben.* 

Einer bedeutenden Wirksamkeit der Facultät in peinliclten 
Sachen stand vor der Reformation auch der Umstand entgegen, 
da SS viele Rechtslehrer , namentlich die meisten Kanon islen^ 
Kleriker und als soklte dem kanonischen Verbote der Bvtliei" 
ligung an Bluturllteilen unterworfen waren. So berief sich die 
Unwersität gegettiiber dem Verlangen der 'österretckischen Re* 
giernng tun Abordnung .z:eeier Doctoreu zu der Besetzung eines 
Ketzergerichtes in Rottenburg 15:^7 iviederholt auf den id)cr- 
wiegend geistliclicn Charakter der Universität uftd den /riestere 
liehen Statid ihrer meisten Mitglieder Aus dem hierauf 
bezüglichen Schreiben des Rcctors und der Regenten der Uni- 
versität vom J. April l^t '^T geht zugleich hervor dass die J/it- 
glieder der Jur/slenfacultät bei dem leitrttembcrgischen Hof 
gerichte stark beschäftigt waren utul dass Konig Ferdinands 
'österreichische Regierung zu Innsbruck sie schon zuvor auch 
mit aus7värtigen Rechtshändeln hatte beladen wollen. Das 
Letztere erklärt sich daraus dass Jlurttemberg von — i.>.V/ 
thatsächlich unter österreichischer Herrschaft stand. Aber noch 
im Jahre 1546 mac/tt Hersog Ulrich in einem Erlass, welcheir 
4er Universität und den eimeinen Facultäten mancherlei Ge- 



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— 23 — 



brechen und Vcrfcliluni^icn vorhält^ den Juristen zum Vorwurfe^ 
dass etliche von ihnen sich der TUcilnahme an seinem Hof- 
gerichty welches doch nicht das geringste Kleimd des Fürsten- 
thums sei, entziehen tvollen, und dass sie doch, wenn Hofgericht 
zu Rottenburg geJialtcn werde oder sonst Handinngen ausserhalb 
.zu verrichten seien , geßissen seien und die Sachen mit allem 
FUiss SU fordern wissen -^). Es wag dahingestellt bleiben, 
inwieweit dieser Tadel des in seinen späteren Jahren ver- 
bitterten und argwöhnischen Herzogs begründet war; eine ziem- 
lich starke r>eschäftigufig der Tidunger Rechtslehrer mit aus- 
li'irtigen Sachen, muthmaasslich vorzugsioeise Creilprocesscn 
giebt er jedenfalls zu erkennen. Einen bedeutenden Anreiz zur 
Annahme auswärtiger Aufträge mochten heben der immer au' 
regenden Mannigfalligki n di r Rechtsverhältnisse und Arbeiten 
die für solche Geschäfte iddichen besonderen Belohnungen aus- 
üben, auf deren nach dem damaligen Geldwerthe beträchtliche 
Hohe die aus einzelnen Fällen bekannten Ansätze und die Ver- 
mögens- Verhältnisse geachteter Juristen ^ wie Sichardts und 
Gretnps, schliessen lassen --'*). 



III. 

Die ältesten bekannten Consilien der Tübinger Juristen- 

facultat als Collegiunis iiber (iegenstiinde des öffentlichen Straf- 
rechtes und Straf proccsses sind aus dem Jahre l'uiCt, 

Das eine derselben betrifft eine allgemeine Rechtsfrage, 
welche Herzog Ulrich auf Veranlassung der Reformatoren 
Sehne Pf und Rlaurer JUarer) der Facultät hatte vorlegen lassen: 
ivie die Wiedertäufer zu bestrafen seien. Es befindet sich in 
Originalhandschrift in dem königlichen Archiv zu Stuttgart und 



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— 24 — 



lautet: vermöge kaiserlicher Rechte sollen und nidgeUj d. h* 
können solche Personen die sieh des Wiedertaufens untersogen 
mit dem Schwerte gerichtet werden^ %vie Diss. /. 2 C, ne 

saiictuin baptisma itcrctur (I. 6) klariuli ansivcisc — es 
würde denn solche Schürfe der Fdu aus bewegenden Ur- 
sachen gemildert^ wie sich Dessen der Hersog als ein milder 
hochverständiger Fürst mch GelegenJieit der Sachen toohl su 
ver/inite/i weisse. 

Dieses CutaeJiten steht augeiise/ieinlic/i in BezieJiiiiig zu 
Herzog Ulrichs Ordmmg^ betreffend die Bestrafung der Wieder- 
täufer ^ von dem unmittelbar vorangegangenen Jahre U}35 (Eisen- 
lohr, Sniiiffilufig der u*Hrttembergischen Kirchengesetee Theil /., in 
Reyschers SatiiDiInng der zciirtieiiilTergisc/ien Gesetze Band l'lff. 
Sritr :is f * . Hier war den Rädelsführern und Lehrern 
arbiträre I^eibesstrafe^ den sonstigen Mitgliedern der Seete, üb- 
rigens nur bei Verweigerung des Widerrufes, Landesverweisung 
undy ivenn sie nicht Weib und Kinder hätten^ Vervwgettsein- 
ziehungy für den lui/l unbefugter Riickkehr I.eil)es- und Lebens- 
strafc gedroht. Bei der Anivendung dieses Landesgesetzes seheinen 
sich Zweifel oder Bedenken ergeben su haben^ welche die Frage 
nach der gemeinrech fliehen Strafe und hiermit die Einholung 
des FaculditSi^utacJitens veranlassd n. 

Bemcrkensiuerth ist an demselben die kurze Ikgriindung 
ans dem römisc/ten Gesetz ohne Anführw^ von Auctoritäteptf 
sodann die Art und Weise wie der gesetzlichen Str,afe die 
Milderung sgnifide gegenübergestellt sind. Unter den letzteren 
können nae/i dem fnJialte der eonst. :J eit. nur die allgemeinen 
verstanden sein^ deren Beniit.iung zur \ \ rmeidung harter Strafen 
seit dieser Zeit in der Strafrechtsgeschichte eine so bedaitsame 
Stelle einnimmt, 

Ueber das andere Consiliuin aus dem Jahre loSß liegt 
uns das eingehend begriindete l 'otuni Sichardts und eitw Xaeh- 
richt über den Beschluss der Facultät vor. Es nimmt in der 



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25 



Sammlung seittcr Comilien als crimbiale co9tsilium primum du 
vorderste Stelle ein und ist m den Rath der Stadt Lauingen an 

der PoiidK im jctziij^cn k'onij^rrich luiycni, A'/r/'s Si/iwiiin-n, i^r- 
riclitct. Dir L 'i'bcrsc/irifl lautet: snidtiii Laiigingoisi^ Anno 
Mens. Julia, Sein Inhalt ist folgender: ein Alamt Namens 
Himkovery angeblich Ritter und Doctor^ hatte aus dem Archive 
z*on Laningen eine von dem Grafen Montfort hinterlegte Ver- 
gleiclisurkunde nebst allen AbseJiriften ivegne/inien lasse/i und 
war de SS halb von dem Käthe der Stadt verhaftet und der 
peifdichen Frage unterworfen worden, Sichardts Votum geht 
dahin: der Rath sei zur Verhaftung von Amts wegen y ohne vor* 
aui^ec'ani'ene Anklai'e naeh neuesten roniiselieni Recht und der 
Praxis befugt gewesen^ und ebenso zur J ^ rhängnng der Folter\ 
denn die Regele dass ohne Anklage kein Straf i^er fahren und 
keine Vcrurtheilung su Strafe eintrete^ gelte nicht^ quando in- 
dex per inquisitioncm procedit f ^///(.^^-r;/^ und Nr 1 — 36). Da- 
gegen sei\ leeil die Absieht des ßesehiildigten bei jener li 'eg- 
nahmc sich aus dem Verhandlungsprotokolle nicht ergebe^ weder 
die Strafe des falsum^ noch die des furtum verwirkt — zumal 
da der Beschuldigte nicht angeklagt sei. Nr 26 — 55. Am 
Sehluss ist bemerkt: die I-'aeultut habe sieh für die härtere 
Auffassung entschieden^ indem sie scnvoJil furtum als faisum an- 
genommen habe, Sic/iardt aber^ welcher bei der Berathung zum 
Gebrauch einer Badekur abwesend gewesen Sei^ habe sein Votum 
schriftlich zurückgelassen. 

Wie dieses consiliuiii in erster Idnie, so beschäftigen sieh 
auch die anderen Cr imimlgu tackten Sichardts 7'orzitgsiveise mit 
processualischen Fragen. Sie erörtern die Erfordernisse des 
Untersuchungsverfahrens und sein Verhältniss zum Anklage- 
proccss^ die Ikdingungen gidtiger Geständnisse^ den Inhalt und 
die Bedeutung bescinvorencr Urfehde , die Voraussetzungen und 
die Wirksamkeit des sicheren Geleites u, s, w. Diss hatte 
seinen Grund ohne Zweifel darin dass auf dem Gebiete des 



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— 26 — 

Proccsscs den Gcrichtslicrrcn und Parteiefi durch die ZcUrocr- 
hältnisse twd den Zustami der Rechtsquellen das Bedürfnis des 

Rathholcns bei unabhäus^igcn Gelehrten^ welche auf der Höhe 
der damaligen Wissenschaft standen^ am Dringendsten nahe ge- 
legt war. 

Das Untersuchungsverfahreti^ welches seit dem dreischnten 
Jahrhundert nach dem Vorbihie des kanonischen Processes durch 

die italti'iiiSihf Doctriii und Praxis ausgebildet -^'orden ri'<?/', 
hatte gegen das Ende des Mittelalters in Deutschland Eingang 
gefmtdeuy ohm tiass für seine nälure Gestaltung ausreichende 
gesetzliche Bestimmungen bestattden. Die Sättie des römischen 
Rechtes über das Verfahren bei Untersuchung von Amts wegen 
rivareii dürftig und litckoiJiaft; die Decrctaleu^ welche die /»V- 
dingnngen und geivisse Grundziige der kanonischen inquisitio 
ordneten^ hatten für die weltlichen Gerichte niclU unmittelbare 
Geltung und enthielten keineswegs eine umfassende Regelung 
der Fragen y welche in der deutschen Straf rechtspflegc snr 
Sprache kouunen niussten. Die Eambergoisis und Carolina 
widmeten ' den grosseren Theil ihres processualischen Ifdialtes 
dem Anklagcverfahren und behandelten den UtUersuchungspro» 
ccss mir in wenigen und kurzen Artikeln, Dagegen hatte man 
für die Beantivortnng jener Fragen eine bereite Hülfe an den 
italienischen Uerkenj welche in enger Wechselwirkung mit der 
Rcehtsübung von drei Jahrhunderten eine systematiscii snsam- 
inenJiangende Theorie des Untersuchnngsvcrfalirens ausgebildet 
hattat. ^ 

/// dem J h r::ogthum Württemberg freilich bestand dieser 
besondere Anlass ::ur I'.inholum^ reclitsivisscnschaftlichcn Ratlws 
gerade in der wichtigsten Ikzichung nicht, da hier das alt- 
deutsclie ^htklagevcrfahren in den scliweren Strafsachen die 
Alleinlterrschaft behauptete und die durch die Zeitverhaltnisse 
gebotene Mitwirkung der Staatsgewalt bei der 1 'erfolgung der 
Missetkatcn sich — sogar bis sum Ende des alten deutschen 



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— 27 



Ktic/iiS — /// di'r diHtscJi-rcditliclicn Form des Klagens von 
Amtsivcgen (des fiscalischcn Aiiklagcvcrfahrcm) bcUiätigtc ^\ 
Hieraus und aus den oben erwähnten Gründen erklärt es sich 
dass von den elf strafrechtlichen Gutachten der sichardtischen 
Satiiuilioig nur eines eine inländisehe Sache betrifft^ welche übcr- 
diss anseheinend in der Form des Civilproccsscs behandelt wurde. 

Anderwärts tnogen die Schöffengerichte^ soweit sie über- 
haupt ein Bedürfnis correcter Geschäftsbehandlung im Sinne 
des recipirten Processrechtes empfanden^ sich im Untersuchung s- 
ver fahre 1? jaJirzehnte hindureh mit Hülfsmitteln leie dem rieh (er- 
liehen Klagspiegel und LI rieh Tenglers La iensp iegel lugfiiigt haben. 
Auch boten ihnen die Bamber^ensis, welche als Codißcation des 
neuesten gemeinen Rechtes ausserhalb des bambergischen Gebietes 
'^leieh einem Lehrbuehe ii'ebraneht :eorden zu sein sthenit '■' , und 
später die peinlielie Geriehtsordnung Karls des Fimften wenig- 
stetts in beschränktem Umfange gesetzliche Anhaltspunkte dar^ 
deren Unzulänglichkeit vielfach erst in der zweiten Hälfte des 
sechszehnfen Jahrhunderts Richtern und Schöffen zum vollen 
Bewusstsein gekomnwn sein mag. 

In den Kreisen aber, in welchen Kenner des römisch- 
kanonisclten Rechtes den maassgebenden Einßuss übten, also in 
dem Reichskammergericht und defn kaiserlichen Hofrath^ in den 
höheren landesherrliehen C 'clle'^ien, in den Rathen und Cr e rieht s- 
behörden der bedeutenderen, namentlich reichsunmittelbarer Städte 
musste die Anschliessung an die Ergebnisse der italienischen 
Rechtslehre, selbst abgesehen von der allzu grossen Verehrung, 
welche viele Juristen vor ihr hegte Uy aus der geschichtlichen Ent* 
Wicklung und dein liedürfnis leissenselia ftlieher Reehtsanieen- 
dung mit Notlneemiigkeit hervorge. en. June allgemeine Be- 
kanntschaft mit den wichtigeren italienischen Werken war, wie 
schon die bedeutende Zahl ihrer alten Ausgaben xeigt, unter den 
Juristen dieses Zeitalters weitverbreitet; auch fehlte ihnen keines- 
wegs die Fähigkeit zu selbstständiger Anwendung der recipirten 



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— 28 — 



Richte. Es ist ivoJil mehr als blosse Höflichkeit wenn der 
charaktervolle Sichardt und mit ihm die Juristenfacultät 1644 
das achte consilium testamentarium mit den Worten beginnt: 

Habita dilii^enli inspectione actorum iudicialium de- 

prehendiaius Dominum Joanncm Spölin Jurium Doctorem, 
amicum nostnim, pro suis clientibus magna cum dexteritate 
iura adduxisse, adeo ut nostra informattone non valde opus 
esse videatur, praeserttm apud Dominos iudices curiae No- 
rinibcrL^ciisis. (]uos iura per sc c.illcrc non dubitanius 
Dass gehörige Kenntnis des Untersuchiingsvcrfahrens in 
den Fortnen der italienischen Doctrin und Praxis auch den Ju- 
risten einer kleineren Reichsstadt zugetraut werden kannte zeigt 
das siebente consilium criminale^ welches Sichardt 1550 dem 
Knt/it- von Hcilhronn ersfuftrfr. Xack cini'^en d/li^eineinen In'- 
mcrknngen Uber die J'orutf in welc/wr die inquisitio zu eroff/un 
seif fährt er fori: 

Et potest tali casu Senatus legitime ex consilio suorum 
iurispcritorum , et rite, processiim inquistttonis continuare. 
De quibiis omnibus rcmitto mc ad ea quae abundc de inqui- 
sitionc formanda tradit Angelus Aretinus in suo nobili trac* 
tatu maleBc. in princ, Canonistae in . . . cap. Qualiter et 
quando (cap. 17 X. de accusat, V. i\ II ] p lN tus de Mar- 
siliis cons. 81 in 2 col., Carolus Ruiniis in cons. 6 in 6 colum.-') 
J)ie Consilieu damaliger Praktiker, z. B. des frank für tisclien 
Stadtschreibers Fichard thun dar dass ihre Befäliigung zur 
Rechtsanwendung nicla nach dem niedrigen Stande der gleich- 
seitigen theoretischen Rechtslitteratur beurtheilt werdett darf, 
Vm so geu'issrr ab. r kamen auch ScJiwierigkeiten nnd 
Misstände bei der Amvemiung der recipirten Rechte zum Be- 
wusstsein. 

In erster Linie stand hier die Unsicherheit des Rechtes, 
Mit der fremden Wissenschaft hatte man alten den verschiedenen 

Meinungen^ icelclie sich in vier Jahrhunderten regen geistigen 



I 

— 29 — 

• Lebens von den ersten Glossatoren an entfaltet hatten^ den Zu' 

tritt i^i'oß'net; und da man die W'ivki dirsrs Zcitvauincs ohne 
lirkcntUnis der dogmengeschichtlichcn Entivicklitng als ein gleich- 
förmiges Ganses behandelte^ musste neben den wirklichen Streit- 
fragen der blosse Schein solcher vielfach und gerade in den 
7cichtigsten drufidsätzen durch die Xclh-iu-iiianderslclliDig älterer 
und neuerer Ansichten hervorgebracht iK'crden. Ein ivichtiges 
Beispiel hiervon wird sick unten bei Sichardts Erörterung über 
die civilrechtliche Zulässigkeit der inquisitio ergeben. Unter 
solchen Utriständen wendet sich die Praxis bei der Unmöglichkeit 
im Drange der täglichen Geschäfte für jeden einzelnen Fall die 
Rechtsfrage von Grund aus neu zu untersuchen gerne und regel- 
fnässig zu der Entscheidung nach Auctoritäten. Wir sehen im 
sechssehnten Jahrhunderte, wie bei den Italienern des späteren 
Mittelnlter.s selbst, Citate ans den Werken geachteter Reehts- 
lehrer im W'ese/itlichen dieselbe Rolle spielen ivie hcnt zn Tag 
in Englaftd und nicht bloss dort die Präjudicien der Gerichte. 
Glücklicht wenn man die Entscheidungsnorm auf eine communis 
opinio dociornm zu stützen vermochte. Aber der Nachweis einer 
solchen war bei der Un:nverlässigkeit der meisten Schriftsteller 
in ihrer Antuihtne häufig nicht leiclU^ und wenn er auf Grund 
einer Reihe von Auctoritäten gehingen zu sein schien, konnte 
. man sieh plötslich einer anderen gegenüber finden^ welche die 
entirciroisresetzle Ansicht als maij-is communis bezeichnete. So 
war man in vielen Punkten und namentlich in den ^cichtigsten 
Grundfragen des Processes auf das Gutachten seitgenössischer 
Juristen angewiesen, welche durch ihr Ansehen, ihre Gelehrsam- 
keit und die erprobte Sicherheit ihres Urthciles in dem endlosen 
Streite der Meinungen die überhaupt erreichbaren Bürgschaften 
richtiger Entscheidung oder des zwcckmässigsten Rothes zu 
bieten schienen. 

Ein zweites Uebel, das mit eben diesen Verhältnissen eng 
zitsammenhicng, ivar die ScJiwerfalligkcii der juristischen Lit- 



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— 30 — 

terahir aus der Zeit nach BartoluSy die Anflillung der Bücher 

mit kritikloser Wicdi rgubc Dessen^ icas von den \'orgä}igern oft 
besser und klarer gesagt njar, die en/iiidende Masse nJiaJtigkcit 
geistlosen^ oft kaum zu bewältigenden Stoffes, Selbst der schein" 
bar handliclie tractatus de tnaUficiis des Angelus Aretinus ist 
mit weitschweifigen Wiederholungen namentlich aus Bartolus^ 
die Zusätze des August uius Ariuiiueiisis siiui mit Auszügen aus 
ßaläus, Angelus de Ubaldis utid Anderen überladen ^^). Diesen 
Auswüchsen der Rechtslehre war Sichardts Lehrer^ Ulrich Za- 
siusj mit kräftigen Worten und theilweise mit seinem Beispiel 
entgegengetreten j ohne übrigens seine eigenen Werke von der 
lierrschenden Methode durchaus frei halten zu können Für 
Tübingen wurde sie sogar in der unter humanistischem Einfluss 
verfassten zweiten Universitätsordnung Herzog Ulrichs vom 
3, November 1536, Artikel Zum Vierdten inso ferne gesetzlich 
vorgeschrieben als die Lehrer des römischen Rechtes angnvicscn 
wurden in ihren Vorlesungen neben dem Text auch den ge- 
wöhnlichen Apparattis und die Scribenten zu behandeln ^-). Si- 
clutrdt selbst las in dieser Weise, wie die nach seinem Tode 
gedruckten Dictate über den Codex darlegen ••). Mit dieser 
formell Ol In-riieksichtigung der italienischen JJerke :ear aber 
Selbstständigkeit des Urtheiles gegenüber den Aue toritaten durch- 
aus vereinbar, und diese zeigt sich in den strafrechtlichen con- 
silia Tubingensia unseres Zeitraufnes überall namentlich in den 
GesammtergebnisseUy zu welchen die Verfasser^ allerdings biS' 
weilen mit /.uhiilfenahme scholastisch erkünstelter Begründungen, 
gelangen. In dem oben S. f. angeführten Consilium für den 
Herzog über Bestrafung der Wiedertäufer von lö3G ist, wie 
dort bemerkt wurde, die Recläsansicht der Facultät einzig 
mit einer römischen Gesetzes stelle begründet; ebenso in den Ent' 
Scheidungsgrit /ideii zu dem unten S. o2 envähnien Urth eile von 1500 
mit l. Ii D. de officio praesidis, L IS, woneben freilich sehr 
überflüssiger Weise tufch ein ovidischer Vers angeführt ist. 



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— 31 — 



RechtsivissenschaftUchc Anctorimcn sind in diesen beiden Consi- 

licn überhaupt nicJit j^rna/nit. Jdy rs /asst sich vcrviuthcn dass, 
wo in aiidi ii H Arbeiten eine Vcbcrladung mit Citatcn und An- 
wendttftg der scholastischen Methode vorkommt^ Diss nicht sowohl 
auf einer Obennässigen VWehrung der Italiener und ihrer 
Schreibart^ als auf äusseren Gründen^ namentlich auf der Rück- 
sicht beruh tCy die M'irksiviikeit der (intuc/iteu, besonders hei 
ausiL'drt(<^e// Hehörden^ durch Anbequcmuug an den herrschctidcn 
Geschmack zu sichern und zu verstärken, 

Ueberau aber sehen wir die gelehrten Kenntnisse in den 
Dienst der Gerechtiij^keit Ufid der bürgerlichen Ordnung gestellt^ 
deren Vertheid igung gegen die nianigf altigsten Gefalinn und 
Ueöelstätide zu den wichtigsten Aufgaben des Zeitalters gelidrte, 

Sichardt und seine Zeitgenossen wahren in ihren Consilien 
der Obrigkeit das Recht zur Verfolgung der Missethaten von 
Amts 7iugen ; sie vertheidigen das Recht der Xot/iwehr; sie 
treten misbräuchlicher ErtJieilnng des sicheren Geleites entgegen^ 
wie sie andererseits vor Verletsung eines solchen warnen; sie 
weisen die Wirkungen des Geleites und der beschworenen Ut' 
fe/ide, die Aiijcjiegung des Reinigiingseides in rerstdndige 
Schranken ; ciiu r übereifrigen Stadtbehördc gegeuübcr werden 
die Gränzen der Strafgerichtsbarkeit zur Geltung gebrächt^ 
eine andere an das Recht der Bürgerschaft auf eine Vertre* 
tung bei wichtigen Geschäften erinnert; einen von seinem Fürsten 
inis/iande/i'en IhuinUen vertheidie:;t Sicliardt mit allen Mitteln 
damaliger Gekhrsavikeity aber auch mit der vollen Macht sitt- 
Hellen Ernstes gegen die Willkürmaassregeln des von Neidern 
und Strebern misleiteten mächtigen Herrn, Vor dem entsetZ" 
liehen Ünfuge der Hcxem^erfolgungcn schützt die Facultät zwei 
Franca^ ebenso leie später die Mutter Kepplers^ in einem Ur- 
theil vom 6. Merz 1000 und einem Gutachten ^ das in der 
Safumlußig der fichardischen Consilien^ Band IIL als consiL 
47 auflewahrt ist — wobei sie in dem letzteren der berüchtigten 



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— 32 — 



Lehre vofn delictum exceptum die richtigen Grundsätze der 
Wissenschaft und die Bestimmungen der peinlichefi Gerichts- 

ordiiuuf^ nacJidnickru'h t iifi^rL^rnstrl/t. Die Ziirichiunii^s fiiJüs^kiil 
eitles zeitweilig gcmiitJiskrankcn Mannes in dem Augenblick 
einer van ihm verübten Tödtuug wird in den Entscheidungs- 
gründen eines Erkennhiisses vom 28 Märs 1590 unter Zu- 
gntndelegung des römischen Rechtes mit sorgfältigster Zer- 
gliederung des Tliatbestandes beurtheilt. 

Diese Beispiele zeigen wie segensreich die auf das römisclie 
Recht gegründete Wissenscliaft sclton datnals m wirken, welch* 
wichtige Schutswehr namentlich gegen Misbrauch ufid Ver- 
kümmerung der offen/lii/ien Gii.ui/t der iieiie (ii-ii-Iuienstand 
mittels seines Ansehens und seiiu r Unabhängigkeit zu bilden 
vermochte. Hierdurch wurden die NachtlieilCf welche mit der 
Reception der römischen Gesetzbücher ifcrbunden waren, ohne 
Zweifel weit überwogen — zumal solange das Recht gegen die 
unsinnigen AiisiL iu/ise des J e/idt wesens^ gegen oligdrc/nse/ie J/is- 
bräuclie in den Städten und gegen iciUkürlicJie Ausübung der er- 
starkten laudes/ierrlichen Gewalt nicht sicher gestellt war"*), 

Uebrigens zeigen sich die Consilien in den fremdm Rechten 
und ihrer Doctrin keines^vegs so befangen, dass eine Berück^ 
sichligung des deutSi ki ii Ree/ili s ausgesehlossen wäre. 

Deutsche Statuten und Gewohnheiten werden von Sichardt 
in dem elften consilium criminale und sonst, wie schon von 
Prenniger und seinen Collegen (s, oben S, 17), als gültig uftd ver- 
bindend anerkannt. In dem siebenten jener Consilien glaubt 
Sichardt die Besorgnis dass der Kaiser eijien scliweren l'er- 
brecher begfutdigen möchte (quod .... Reum taliter condeninatum 
contra sententtam in integrum restituturus sit) damit beseitigen 
zu können dass Diss dem Criminalprocesse , selbstverständlich 
ttach deutseJt-rechtlieJier Aujjassutig, entgegen und im ganzen 
Reich unerhört wäre (Nr 36) ^•''). Ja sogar ein aus dem maass' 
los gesteigerten Ehrbegriffe der Ritterschaft liervorgegangener 



— — 

Gebrauch des damaligen dciifst/irn A<h'ls n'ird in einem Pa- 
cultiitsgutachten von 1546 f das für die l WtJwidigung Ange- 
schuldigter dienen sollte, wenigstens in siueiter Linie sur Be- 

grüttdiifig (irr Straßosii^krit :.uxr// NotJiivcJir i^cm^cndct. 

Um so nitiii' uiuss es auffallen da ss die peinliche Gerichts- 
ordnung Karls des Fünften in der sicliardtischen Sammlung nur 
in einem consilium, dem sehnten, angeführt ist. Derselbe war 
sur Benützuui^- in einem Proeess vor dem Gerichte des rötnischen 
Kd/iiii's Fi-rdniaiid hrstirunit und niuss kurze Zeit uacli ITt/tß 
7't'r/(7ss/ icordrn sriu. Sicliai-dl beruft sich hier auf den Ar- 
tikel 26 der P, G, 0, neben einigen Stellen des römischen und 
kanonischen Rechtes für den Sats, . 

wer Jiinterlisti;^ nach dem l 'erm'oi^eu eines Andern traeJite^ 
werde im rechtlichen Sinne Seid er oder 1-eind desselben ij;e- 
nannt; denn grosse oder tödtliclte Feindschaften seien solc/ie 
welche den Status eines Menschen oder sein Vermögen betreffen; 
sodann auf die Vorschrift (in Artikel 6) dass der Richter be- 
vor er zur peinlieJien J'raiie sc /i reite nae/iforse/ien solle oh die 
Alisset hat überhaupt /teji^anj^rn sei, i/idem der lerf asser hieraus 
die Folgerung sieht ^ das Geständnis einer That^ deren Per- 
übung nicht durch die Umstände bestätigt sei^ dürfe dem Be- 
schuldigten keinerlei Nachtheil i)rins^en^ Nr 49 Und itO ; 

endlich am Schluss auf den Artikel :^(f für die Unwirk- 
samkeit eines rechtswidrig erpressten Geständnisses und die 
Verbindlichkeit sum Schadensersatse für rechtswidrige Ver- 
Juiftung und Erswini^imj^ des Geständnisses mit den Worten: 
Ttn . . . lo(|uitur pracdictii Carolina ( "onstitutio , articiilo 
20. Sine indiciis praeccclcntibus neminem quaestioni sub- 
iiciendum, Item habita confessione nec tarnen delicti cor- 
pore probato, ad condemnationem non procedendum: Ju- 
dicem talia negli^enter observantem, i)arti in expensas et 
cmcndationcni clainiu>ruiu et i<^nominiac obstrictum; NuUa- 
que confessione aut renunciatione iurata tutum fore. 
8- 3 



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— 34 — 



Mrrkwiiniig und wo/il nur aus einer AnbcqucnuDig an die 
^ilti' der Xi'it erklärlich ist dass Sichardl in diesem consiliiim 
den Satc, 

betfor sur VWItafttmg oder peinlichen Frage geschritten 
werden dürfe ^ müssey mindestens durch redliche Anzeigen^ 
festgestellt sciuy dass die Missethat begangen sei, 
an der Hauptstelle ^ Nr 0—11, nur mit l. 1 % iiA D, ad Se- 
natusconsttltnm Siianiamtm^ XXIX, 5, mit der Glosse su /. pen- 
////. D. de quaesty XfA^IFF. IS, saivie einer Reihe italienischer 
Aue toritäten von Gandinus an /ngriindet und die Ihrnfioig auf 
die so bestimmt lautenden Artikel G und 20 der I\ C. 0. erst 
in anderem ZusamtnenJuinge ftachfoigen lässt, während er 
andererseits die Citate aus dem Reiclisgesetze mit den voll- 
fönenden Worten "»Fdqne in ordiitatione criminalium causarttm 
Sacri Roniani Iniptrii deelaratnrv^ uiul »luinique ob causam 
invictissimiis uoster Imperator Carolas hiscc temporibus voto et 
consensu otnnium Imperii statuum constitutionefu edidit inter 
criminales corruscantem , Qua iudici iniunxit* etc, hervorhebt 
(Xr 4!) /, O'ÜJ. 

In einigen anderen Consilien der sichardtischen Sammlung 
kann die NichterwäJmung der P, G, O. um so mehr auffallen 
als durchaus die mit ihrem Inliolt übereifistimmettden Rechts^ 
ansichten aufgestellt und nur viel umständlicher^ theilweise auch 
wenia^er sicher als es durch ihre . lufuhrumr hatte (geschehen 
können aus dem romischen oder kanonischen Recht und der 
italienischen Doctrin begründet sind. So in dem consil, crim, 1 
von in36 nr 1—5, cofisiL crim, 7 von 1550 nr 1—3, 33 — 43 
die Statthaftigkeit einer Untersuchung 7W/ Amts tvegen^ in 
consil. crim. 3 die ylnioendum;^ des ßegrijfes Ehebruck auf 
Unsuclit eines verheirateten Aleumes mit eimr nicht verheira" 
teten Frauensperson, in cottsiL crim, 8 die Sätse über Erfordere 
nisse, Wirkung und Betveis der Nothivchr, Die Übereinstim* 
viung mit dem Itüialte der 1\ G. O. kann hier Jreiluh auf 



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— 35 — 

der Gt'incinsaiiikcit di r Quelle bcniJicn. lu i der . l!>fassi(iii^ 
des consiL crim. S liatte die Facultät den Text des KeUiisgc- 
setzes nicht oder nicht gehörig vor Augen, Dem wiUirend 
dieses in Artikel 142 mit den Worten: 

jl /<•/', so fitn^i ici iidt leirdt .... — beweisen 
die Beweislast für die Afoglie/ikeit des gefahrlosen und insbe- 
sondere des unschimpflichen Entweichens gans bestimmt dem 
Ankläger auferlegte , beschäftigt sich das Gutachten in Nr 84 ff. 
ausfiihrlich damit, eine Eimceudung, welche ans dem entgegen' 
gesetzten AussprucJie des Bartolus^ Conuneiitar zu /. 4j ^ / D. 
ad leg. AquiL abgeleitet werden könnte^ durch Berufung auf die 
besonderen Umstände des Falles zu widerlegen. (Übrigens war 
die in der P, G. 0. getroffene Entscheidung , wie in meinen 
Abhandlungen Ihind f. S. Isl f. An merk. ^ nailigewiesen ist, 
schon von der Mehrsahl der italienisc/ien Schriftsteller ange- 
nommen.) 

Eine Abtveichung von dem Inhalte der P. G. 0. zeigt sich 

in den Consi/ien dieser Sa/nm/nng nur bei der In uandlung des 
sicheren Geleites. Die Verletzung des Reichsgesetus fällt aber 
hier nicht den Verfassern der Gutachten^ sondern den kaiser- 
lichen und landesherrlichen Behörden^ welche die Geleitsbriefe 
erthdlt hatten^ mir Last. Nach der P. G. 0. Art. 76 und 156 
sollte das sieliere Geleite nur zum Schutze gegen widerrechtliche 
Gewalt zulässig sein^ dagegen eine Vergeleitung für Rechte vor 
peinliclier Rechtfertigung^ d. h. gegenüber der UntersuchungS" 
und Strafgewalt des Gerichtes nicht gewährt werden. In den 
zwei l'ällen nun^ welche in dem fünften Consilium criminale 
7'on l.'ti'J durch die J-'acnltät, in dem sechsten :'on durch 
Sichardt begutachtet sind^ Jiatten das eine Med der Bischof von 
Bambergs das andere Mal der Kaiser das Geleite in sohlten 
Ausdrücken ertheiltj dass es eine zeitweilige Sicherung gegen 
/:eangs man SS regeln des Gerichtes, namentlich l erhaftung und 
Eottening enthalten sollte. In dem ersten dieser fälle spricht 

3» 



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- 36 - 



die Faadtät dein Geleite die von dem Beschuldigten behauptete 
Wirksamkeit desshalb ab weil unter den besonderen thatsäch- 

Iii Ii f II rnistiindrii iiic W'rlinftuii^^ utiii die sonst in Ri df slrlirn- 
(Ii- II l nli rsiiiiiiin^siiiiuissri i^i In insbesondere die Folterung di iii 
Inhalte des Geleitsbriefes nicht zuwider seien. Da dieser Ent- 
scheidungsgrund hinreichte^ hatte die Facultät keine swingende 

Veranlassnni^ auf die imnierJiin etwas zarte Frage Uber das 

Verhältnis des Gelcitsbricjvs zu dem \ 'erböte der P. (>. O. 
einzugehen uttd aus diesem Gesiclitspunkte sei/u: Gültigkeit oder 

Ungültigkeit zu prüfen. In dem sToeiten Falle begnügt sich 
Sichardt das Geleite unter Hinweis ni/g anf die Gefahr des 
kaiserliclu n I nieilleiis , der Midien und Kosten als ein tliat- 
siiclUiches Hindernis der Verhaftung darzustellen. Die Art und 

Weise der Ausführung lässt allerdittgs erkennen^ dass die Ver- 
fasser das Verbot der P, G, 0,, wenn sie es vor Augen hatten, 
nicht als Vngid/igkeitsgrund ßir die ihm snwiiler erheilten 
Geleitsbriefe behandelten, liine Misaehtung des Reiehsgesetzes 
liälte aber hierin nieht gelegen ^ da das l erbot als ein bloss 
reglefnentäres betrachtet werden kotmte^ und war um so gewisser 
nicht beabsichtigt als in consil, Ii Nr 48 eine andere Ein^ 
sehränkuiig des Geleites eben auf reichsgesetzUelie Bestimmung 

— des Worniser Landfriedens und Reielisabsehiedes von L'tSl 

— gegrüiuiet ist. J eilen falls zeigen die beiden Fälle dass die 
P, G, O. mit dem Verbote der Vergeleittmg vor Recht nicht durch- 
zudringen vermochtCy wie ja auch die spätere Praxis uftd die 
neueste Gesetzgebung es leenigste/is als Sehut:.iuittel gegen Ver- 
haftung beibehalten hat. 

Entsclieidend für das l erhalten su der P, G, 0, und in 
Folge daifon zugleich für die Wirksamkeit der Facultät in 
Strafsachen überaus wichtig waren einige von den frühesten 
Keglern ngshandliuigen Herzog Christophs. Seine Hestätignng 
des damaligen Landesgrundgesetzes . des lubinger Vertrages, 
begleitete er mit einer ausdrückliehen Anerkennung jenes Keichs- 



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■t — __ 



Strafgesetzbuches und in demselben yahre wies er die yinr/- 

gcrulitc an diusclbc :.u kaufm und in rcirfailciidcn .y'aliß:^- 
sailun zu hco/hii/i/t n . /// dcni I Aiinitagsabscliicdc von /lUi 
ist dieser Befehl iviederholt und sngleich — neben der Zusage 
einer von der Juristcnfacultät abzufassenden Gesetsesvorlage 
zur Erläuterung der P. G. 0. — den Gerichten eingeschärft 
bei z-.'eifelJuiften Fragen in Maleßzsaclien den liatJi der yii- 
ristcnfacultät einzuholen^ ivelehe von dem Herzog Befehl habe 
den Gerickten in dergleichen Sachen zu rathen •*). Diese Ver» 
Weisung an die Facultät entsprach^ da die Crimimlprocessc 
auf Anklage des herzogHehi ii Aniealtes eingeleitet wurden 
(s.oben S. jitO f j, icörtlieh der Vorschrift der P, G» 0, dass in 
den Fällen wo die Obrigkeit von Amts wegen ivider Missethätcr 
mit peinlicher Anklage oder Handlung verfahre^ bei de9i nächsten 
hohen Sehu/en, Städten, Communeu oder anderen Rechtster- 
ständigen Rath gesucht icerden sol/e f. lrt. :JI!f zweiter Satz\ 
Durch eben diese Vorschrift^ auf welche das Gesetz so häufig 
Bezug nimmty sahen die Richter sich bei der Anweitdung des- 
selben schon um ihrer eigenen VeranHvortliclikeit willeUj die 
das Gesetz am Sc/i/uss des Artikels noch besonders Jier- 

vorhebt, in einer Menge von Fällen zur Wrsendung der Acten 
an die Facultät gezwungen. In einem Jjandtagsprotokolle von 
1565 wird der Kosten wegen über diese Nothwctidigkeit ge- 
klagt und a/s Grund derselben angegeben^ dass des Reiches 
Halsger iehtsordnung in vielen i^unkten nicht lauter sei, soiulern 
den Richtern jene Maassregel auferlege. Hieran wird der An- 
trag geknüpft^ der Herzog möge der yuristenfacultiit auftragen, 
eine Erläuterung der Halsgerichtsordnung in solchen unlauteren 
runkten mit m \:dii bs( i'o//stan /iger /l. stiuiinung der s^ebiiliren- 
den Strafen ab:// fassen und möge diese Frklärung den Ge- 
richten behufs der Rechtsamvendung überschicken. Aus dicsan 
Vorschlag ergiebt sich dass man bei der Klage über den Mangel 
der P, G. 0. an Lauterkeit namenilick die vielen ganz und 



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- 38 - 



relativ unbestimmten Straf drokwigen des Gesetzes im Auge 
hatte. Für die Fälle wo eine vollständige Erläuterung nicht 
mdglich sei, ist beigefügt, werden die Gerichte sich nicht de- 
sch^vercn sich Raths sn erholen ^ damit in diesen wichtigen 
S(u /ien Niemand verkiirzt^ vernaehtlieiligt oder beschwert werde^^. 
Die erbetene Erläuterung^ die nach dem hierauf erfolgten Land- 
tagsabschied von demselben Jedir in der Form eines Gesetzes 
geschehen solltCy kam ebensowenig su Stande wie das 1554 in 
^ lii>sh /it gefioinniene (iesetz; die Xot/iieen</igkeit der Actenver- 
sendnng umi die Rechtsjfrechufig der Facultiit in Strafsachen 
blieben in weitem Umfange beste/ien. Für die Gerechtigkeit 
und eine verhältnismässige Milde der Entscheidungen war Diss 
ohne Zweifel ein grosser Gewinn. Die damaligen yuristen- 
faeultiiten 7varen zur RecJilsprecJning hesser eds zu Geset.Tge" 
bu//gs(irbeiteu befähigt^ und bei den Stadtgerichten, ivelchen in 
Württemberg die peinliche Gerichtsbarkeit sustand, hätte die 
klarste Erläuterung des Reichsgesetses für den Mangel der 
rechfs^vissenschaftliehen Bildung keinen hinreichenden Ersatz 
geben können. Auch auf die Griindliehkeit und Gesetzmässig- 
keit des dem Urtheil vorangehenden processualisclien Verfahrens 
mnsste jene Betheiligung der Facultät an der Strafrechtspflege 
allen den günstigen Einfluss äussern welchen die vollständige 
Trennumr der urt/ieilendeu von der iiiitersui/ieiiden In'/törde und 
eine hervorragende wissenschaftliche Tüchtigkeit der erstercn 
zu üben vennag, 

Dass die P, G, 0. von der Facultät als unmittelbar gel' 
tendes Gesetz behandelt vmrde^ ergiebt sich aus dem Bisherigen 
für die 7^'itrftemhergischen Strafsnc/ien 7'on selbst und leird, 
ivie Wa'e/iter hervorgehoben hat, durch ein Consiliuin Gremps 
von lööü bestätigt (Fichardi consilia Band III. consiL .V5). 
Dagegen spricht die Facultät in einer auswärtigen Sache, näm- 
lich in einem Urihcilc für ein ötingisches Gericht von irt66 
die Ansicht aus, dass die P. G, 0, nur diejenigen Keichsstände 



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— 39 — 



bimü\ welche sich ihr wissentlich untcnvorfen haben und dass 
daher die Anwettdbarkett ihrer Bestimmungen in den einseiften 
Ländern davon abhanfre ob sie in denselben eivgcführt sei und 

in l lumg stehe. Das Cewii lit dieses S(if.:es, iveleliev über die 
wirkliche In'deutnni:; der saliuitoriscium Clausel %ueit huuxusgeht^ 
wird thatsäcIUich dadurch sehr vermindert dass er mir als 
Entscheidungsgrund neben anderen su dem schon im Iß. Jahr- 
hunderte sehr bes^nnstigtcn /7veck eine harte gesetzliche Strafe 
vermeiden zu können vericendet ist. S. unten^ VI. 



lY.") 

Das älteste C\'l/egi(i/-Giit(h litcfi der Facultät über einen 
C 'rinnnalprocess und Siehardts l otum in derselben Sache von 
J.Ö36 sind bereits oben besprochen. 

Am Nächsten schliesst sich hieran dem Gegenstande nach 
das %fon Sichardt allein abgegebene (hitachten^ eonsiliuui criuii- 
nale 7 seiner Sannnlung. Der Inhalt desselben^ ist im We- 
sentlichen folgender. 

Hieronymus Schnabel war beschuldigt, seinen Bruder ge^ 
todtety evefittielly seinem, des Hieronymus Sohne, eur Todtung 
Jenes Jhudrrs JH-thulfe geleistet zu haben. 

Durch ein kaiserliches Reseripl aus Uritssel vom ö No- 
vafiber 1549 war dem Rathe der Reichsstadt Heilbronn der 
Auftrag ertheilt, die Parteien in dieser Sache su persönlichem 
Erscheinen vorzuladen ^ mit ihnen den Versuch eines gütlichen 
l'ergleiehes rju uiailuu und zur Ilerbeifidirung eines solchen, 
wenn die Sachlage es zulasse, alle Muhe auzuzcenden (ut liti- 
gatores praesentis causae coram se comparere faciat, mmincqtte 



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— 40 — 



ipsius Cai san ai- Mtrirsfiitis oviicahiL iii couipositioucui ti Utct^ 
et pro ca obtincnda^ siquuUm res patiattir^ omncm lapidcm 
m€veat}. 

Das GutachtcHy um welches Sichardty wie es scheint^ durch 

eint- 11 Lii^tUiU Ab^^c Saud tili von dem st ädti scheu Rath ersmJit 
tüordcn war^ hcscJiäftigt sich mit den drei Fragen: 

1) was der wahre und wirkliche Sinn desgenamden kaiser- 
lichen Schreibens sei, nämlich ob tler Rath durch dasselbe 
an der Ausübung seiner öffentlichen Sti af];crichtsbarkeit 
gehindert werde ^ o ier oh er ohne Rücksicht auf einen 

ischeu den Parte ii u etwa erfolgten oder zu envartemien 
Vergleich gegen den Beschuldigten iwn Amts wegen mit 
einer Untersuchuttg einschreiten köntte; 

2) ol^ der Rath nach ^i^euieiuem Ri chte, d. h. iiier iiacli all- 
gemeine u Rechtsnormen^ oder Icraft des geiuinuten Rc- 
scriptes verpflichtet sei, ei/wni etzcaigen Vergleiche die 
obervormuttdschaftliche Getwhmiguttg su ertheilen, falls 
die Parteien an sich sn dem Vergleiche getteigt seien^ 
alnr die l'ornüiuder der kiäi^erischen Partei ihn nicht 
ohne Genehini'^uni^- a/'sch/iessen 7i'o//en; 

3) wie flir den Fall, dass der Vergleich tvegen Nichter- 
theilung jener obervormundschaftlichen Genehmigung oder 
aus einem andern Grunde nicht su Stande komme^ der 
Process geilen den Jn schuldi^i^ten we^t^eu der ihm zur Last 
gelegten Missethat den Rechten i^eniass und ohne Gefahr 
künftiger Verlegenheiten für den Rath eingeleitet werden 
müsse. 

Auf die erste Frage antwortet der Verfasser: durch das 
Verbrechen Iiabe der Ikschuldigte sich sowohl der Stadt als 
dem Verlet::iten gegenüber verantwortlich gemacht. Die SteuÜ 
könne den Beschtddigtett vermöge des der Obrigkeit in L 13 
pr. D. de officio pracs.^ L IS, und l. 51 D. ad leg. Aquil., 
IX. 2 vcrb, neque unpuniia etc. vorgezeichneten Berufes durch 



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— 41 — 



Inquisition verfolgen. Der Verletzte oder durch die Verletzung' 
mit Betroffene körnte ihn nach seiner Willkür criminell auf 
öffentliche Bestrafung oder hiirgi vlich auf T^istung des Inter^ 

i ssi s /h-/(rf/i^(7/ und mit Rui ksii lit darauf i/ass der In sc/iu/dii^tr 
lu'ilh's straf - vi ricirkt hatte können soicoJil der Verletzte als 
seine Verwandten mit ihm mch const, 18 C, de transaet^ II, 4 
besiiglieh ihres Interesses gültig einen Vergleich sehliessen. Aber 
ein solcher Vergleich über ein capitales und öffentliches Ver- 
brecJicn binde die Obrii^keit nie fit ^ könne ihr das Ree/it y die 

Verhdngung öffentlicher Strafe zu betreiben und su diesem Zwecke 
gegen den Beschuldigten mit Untersuchung %*orsitgeltenf nicht 
nehmett. Das kaiserliche Schreiben dürfe daher nur auf elf um 

]'ergleie/i über das Interesse und Ree/it der PrivatbetheiligteUy 
nämlieh der Verivandten des Getödteten bezogen werden //. s. tu, 
Nr 1-^10, 

Die zweite Frage wird von Sichardt verneint. Nr 11 — 17, 

Zn der dritten sihläi^^t er als beste Lösnng die vor ^ dass 
die Ixiiuier^ J-jike/ und sonstij^en nächsten Verieandten des Ge- 
tödteten veranlasst werden sollten, gegen den Schuldigen auf 
die gesetsliche Strafe zu klagen. Er empfiehlt daher dem städti- 
schen Rath e fohlendes Verfahren: er möge die streitemien Theile 
xwrladen lassen und befragen, ob i/ire \ erhandluugen bezitglieh 
der Tödtnng zu einer Verständigung geführt haben oder nicht. 
Würden sie hierauf erklären, dass sie su eim'r solchen nicht 
gelangt, aber mit einander noch in gütlicher Verhandlung seien, 
so möge ihnen der Senat eine Frist von etiva Ii 'Jagen zur 
I>e:eirkung des l 'ergleiehes n/i/ der AndroJiutig bestimmen dass 
sie spater nicht mehr gehört werden wiirden. Wenn in dieser 
Frist ein gütlicher Vergleich su Stande käme, stümle es auch 
dem Rathe frei, sein Recht auf öffetitliche Strafe mittels In- 
quisitionsrerfaJirens geltend zu machen. Wenn aber die Parteien 
auf die oben genannte h^rage erklären würden, dass ein Ver- 
gleich nicht SU Stande gekommen sei und dass sie eeuch nicht 



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— 42 — 

weiter über ehten solchen mit einander verhandeln wollen ^ so 
könne der Rath etitweder den Venvandtcn des Entleibten die 
Erhebung- der Criminaianklagv bintten einer knrsen Frist auf- 

geben oder von Anitsivegcn hiqnisition verhängen. Im letzteren 
Falle sollte jedoch ::nvor den Anklägern durch einen inter- 
loeutorischen Beselieid freigestellt werden^ die Criminalanklage 
SU erheben. Die erstere Verfahretts%veise würde sich auf Ge* 
setz:, näniluJi das römische Ree Ii t, die letztere theils auf Gesetz, 
d. h. hier das ka noiiiscJie Rcchl, theils auf Geivohnhcit griinden. 
Hierbei eförterl Sichardt ausführlich die zu seiner Zeit be- 
strittenen Fragen^ ob die weltiiclte Obrigkeit bei allen Misse' 
thaten %*on Amts liegen Untersuchung cinsuleiten berechtigt sci^ 
und ob die Privatbetheiligten zur Erhebuna^ einer .hdx/agi- ge- 
sicungen tvcrdat kumu n. Die Ju-anticorinng der zweiten FragCy 
sagt er^ hange von der Ansicht über die Entscheidung der 
ersten ab. Dem gegenüber der Rechtsregel, dass Niemand 
gegen seinen Willen zur Anstellung einer Civil- oder Criminal- 
Klage genothigt icerden diirfe, konnte ein solcher Zwang nur 
als Nothmittel zur Verhütung der Straflosigkeit von Misse- 
thaten gerechtfertigt werden. Die Mehrsahl der Doctoren nehme 
aUy dasSy obivohl der Richter nach kanonischem Rechte wegen 
jeder Missethat auf öffentliches GeriicJit liin l'utersucJiung ein- 
leiten könne y Diss im Civilrechte , d.h. dem auf die römischen 
Gesetze gegründeten weltlichen Rechte nicht gelte und in dem 
letztem die Regel bestehe^ dass abgesehen von einigen wenigen 
Verbrechensarten f unter welchen Tddtnng nicht begriffen sei, 
ohne Ankläger Xieniand verurtheilt werden könne. Hieraus 
xvcrde nun a Ige leitet: erstens ^ dass die Inquisition eine ausser- 
ordentliche Verfahrensweise sei, su welcher man solange eine 
ordentliche offen stehe nicht schreiten dürfe — so Innocentius IV, 
zu cap. 20 X. de rescriptis, I. .V, Guiliclmus Durantis, speculum 
lib. III. tit. de inquisitione i nuiu- videndum vers. -s ultimo 
quaeritur und Baldus in seimn Zusätzen su dieser Stelle — ^ 



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— 43 — 



sodanfif dass die Vcnvamiten eines GeMieten ans dem oben 
angegebetten Grunde sur Anklage gezwungen tverden können: 

Guido de Sucarin, Rolatidinns de Romanciis ^ Guiliehmts Du- 
rantis lib. f. til. de aniistüorc / lurs. .V Qitcd si im Uns aiidct 
accusare^ GaudinuSy tractatus de maleficiis tit* 1 Nr 4 ^*). Die 
aptderen Doctoren aber seien der Meinung^ dass sowohl nach 
neuestem Ctvil- als nach kanonischem Rechte der Richter von 
Auifs wt'gi ft über ji'dc Missi t/idt riiti rsin/iioi^- cifilcitcn könne. 
So Joannes Andn ä zu cap, ö X. de pocnls^ l '. .v, uri^ni Nov. l^S 
cap, JSJf Nov, 17 cap. 4 % 2 in f.^ cap. 5, /. ult. D. de quaest.^ 
XL VI IL 18, Joannes Faber su pr. J. de pubL iudiciis, IV. 18, 
mit der von Antonius de Ihitrio zu cap. 7 .V. de ojj. iud. ord., 
1. .Vi, wiederholten Henierkuni^- , dass Jiierviit die GewoJinheit 
übereinstimme. Nach der letzteren Meinung wäre die Inqui- 
sition jetzt eine ordentliche Verfahrensweise und miisste daher 
die oben i;e nannte Nothi^tng drr Venvandten sum Klagen mit 
ihrem Ree/d/ertij^nnj^s^runde nugfallen. A> .7.7, .78. 

Sicliardt unter Uisst es^ sich vom rechtUclien Standpunkte 
für die eine oder die andere dieser Ansichten und die ihr ent- 
sprechende Verfahrensweise zu entscheiden; ja er erklärt beide 
für rechtlieJi gleich statthaft und unani^reiß^ar ivas, reenn 
man nicht eitten Widerspruch mit der vorangestellten Erör- 
terung annehmen willy nur den Sinn haben kann: es stehe dem 
Rathe frei, sich je nach seiner eigenen rechtlichen Auffassung 
fiir die eine oder die andere zu entscheiden und jedenfalls setze 
er sich durch diese Jintsclieiduui^ ^ sie mö^^c ausfallen ivie sie 
wolle ^ keinem rechtlichen l'oneurf ans. Dock giebt Sichardt 
theils mit Rücksicht auf die Auctorität der Glosse zu den Pan- 
dekten (Nr 39 )f theils und vomämlich aus Gründen der Zweck- 
mässii^keit der / 'eranlassuui;- einer Privatanklage den \ 'orzns^. 
Solche \ erfolgung des Schuldigen durch die Verletzten sei, sagt 
er, die ordentliche Form des Strajverfa/trens ufui könne sowohl 
bei kaiserlicher Majestät als bei dem Publicum weniger Mis" 



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billigung oder Argwohn erregen; dagegen würde hei VerMngung 
einer Untersttchnn^ von Amtswegen die ganse Last ihrer forw- 

gci'ccJiicn Einlcitiiw^ umi gcsctzmässi^i n l uhrung, soivic die 
Bewcislast von den streitenden Theilen auf den Rath allein 
übergewäist, Nr AS, 

Die Bevorzugung des Anklagei^erfahrens seigt sich mich 
in (h'ui obc}i cn^'ähnti ii J 'orsc/i/agc niiudcstuts vor der /•'.inlei/uiii^ 
einer l ntersue/inng von Amts wegen den l erieand/en des Gc- 
tbdteien die Anstellung einer Criminalanklage unter Bestiiniftung 
elfter Frist für solche attheimsugeben, Dlss erklärt Sichardt 
sogar fi'tr mthwendig ^ indem er mit Bentfung auf die Glosse 
zu can. J-> (\ ou. .> und Baldus zu const. o C. qui aeeusare 
non possunty JX. i, sowie auf das nicht Ii irr Ii er gehörige cap, 
nlt, X. de clandcst. despons,, IV, .7, die Statthaß igkeit des 
Unterstichmgsvcrfahrens nur in siibsidium^ für den Fall an- 
nimmt dass der Verletzte auf Befragen die Ans fei hing der 
Privatanklage ablehne oder verzögere 7eas mit BartoluSy 
Cäpolla mul Hippolytus de Marsiliis darauf gegründet wird, 
dass bei der Anklage Demjemgen, welcher das stärkere Recht 
habe, der Vorrang zukommen müsse und Diss bei dem Ver- 
letzten in JVrg/ei( //n//g mit dem Rie/iter zutreffe. Sie/iardt fugt 
bei: 7cenn der Rath ohne jene ^ Inf rage oder Aufforderung an 
die Partei Untersuchung einleitete und hernach der Verletzte 
mit der Erklärung Atiklage erlieben su wollen als Intervenient 
aufträte , müsste der Richter in der Untersuchung inne halten 
und dem Ankläger freie /ya/m ge7C(i/iren. \r // /.>, 

Auffallend ist, dass Sichardt eine dritte Möglie/ikeit , die 
des Klagens von Amts wegen, nicht erwähnt, währetid doch diese 
in Deutschland längst übliclic Verfahrensiueise nicht bloss in 
der P. G. 0. anerkannt loar ^ sondern namentlich in Württem- 
berg in lebhaftester Anwendung stand. S. oben S. ^0 f, Piener^ 
Beiträge su der Geschichte des Inquisitionsproccsscs S. 140 ff^ 
Savigny in Goltdammers Archiv für preussisches Strafrecht, 



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— 45 — 



Band VII^ fnS, Die Ilcilbronncr StatiUai von 1541 aUhaltcn 
keifte Bes/immuf^f xoodurch das Riit/iscl gettist würde. 

Am Schluss berührt das Gutachten noch die szvei weiteren 

/•'nr^t /i , ob i tica doii Bcschu/i/i^ii ii ein Ki iiiii^uji^^srid auft'r- 
Icgt iK'i r</(-/i solle ^und in icclclur Form die i'nti rsuchun^ gtgen 
deft Ikscliuldigten wegen Beihülfe zu einer Tödtung eUigeleitet 
werden müsste. 

In erster Hinsieht stellt sieh der ]\-rfasser oanz an f den 
Standpunkt des kanonischen Rechtes, lir behandelt den Rei- 
nignngseid^ den er purgeUio canonica nennt ^ mit Berufung auf 
cap. 3 und 5 X, de purg, can^ V. 34, und I/enrieus de Segusio 
(Ostiensis) zu demselben Titel ^ Summa S quando, in princ, § 
pennlt. vers. quod si iudex und ^ fin. vcrs. is ergo est ordo als 
ausser Sic s Auskunftsmittel fiir Jallcy wo es an einem Ankläger 
und am Beiveise fehle und verneint seine Atmendbarkeit in der 
vorgelegten Rechtssache ^ weil aus einem Schreiben des Rathes 
an den Kaiser und anderen Kenidnisquellen zu entnehmen sei 
da SS der /nsehuldigte durch glaubiviirdigc Zeugnisse und sonstige 
rechtlich genügende Beweismittel werde übenviesm werden. 

In Bezug auf die Form der Untersuchung beschränkt sich 
Sichardt auf die Bemerkung, dass die schriftlich abzufassefide 
Ansehuldigung^ der libellus inqnisitionis^ da die inquisitio einer 
Ankiageschrifl ähnlieh sei und an die Stelle elfter solchen 
trete dem Beschuldigten, ebenso wie die Klage im Civil^ 
processe ^ zur Erniögliehnng seiner Vertlieidigtmg mitgetheilt 
werden müsse y leoraiif sodann der Kat/i uaeh Anleitung seiner 
eigetwn Rech tsverstäud igen das Untersuchungsverfahren geset.-:- 
t/tässig und formgereciU fortsetzen könne. Hierüber wird auf 
den Eingang des ^nobilis tractatus maleficiorum* von Angelus 
Aretinnsj auf die Ausßehmngen der Kanonisten zu cap. 17 X. 
de aeeusat.^ V. 1 und auf liippolytus de Alarsiliis^ eous. Sl 
uttil G venviesen. 

Die Unterschrift lautet: Ut supra per singulas quaestioncs 



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est decisum , ita ego Joannes Stchardus J. V. Doctor et Ordi- 

nariiis l'rofcssor Scholac 1 ubin<^eiisis , dico esse iuris, salvo 
tarnen cuiusquc rcctius senticntis iudicio. In cuius (xdcm manu 
mea propria subscripsi et Sigillum meum apprimt curavi, Anno 
post Christum natum MDL. die VIII. Julü. 

Dtts consilium cri)nuMlc (i der siclianilischcn Samuilnns^ 
betrifft gleichfalls das Verhältnis des UtitersuchufigS' und An- 
klageprocesses ^ sodann die Wirkung eines kaiserlichen Geleits- 
briefes. 

Der Rath von lleilbronn halte ditreh Commissärc wegen 
einer Verwandtcntodiung Criminaluntersuchung von Amts wegcfi 
vornehmen lassen^ und hierbei waren in der Generaluntersuchung 
Zeugen verhört^ deren Aussagen aber tu>ch nicht eröffnet worden. 
Über dieselbe Strafsaehe leiirde mal im Ankliv^everjahren ver- 
liandcli. Der Angeklagte hatte vom Kaiser auf drei Monate 
sicheres Geleite tnit dem Rechte freier Bewegung im gansen 
Gebiete Deutschlands erhalten^ wobei ihm jedoch auferlegt war 
sich binnen dieser Zeit mit den Verwandten des Getodteten güt- 
lich zu vergleichen oder die Sache rechtlich tins.jn/i/hrefi. 
Das Cutachten beschäftigt sich mit den drei Fragen: 
1) ob und in welclier Weise die im Untcrsuchufigstvrfahren 
venwmmenen Zeugen mm im Anklageverfaliren für den 
Be^veis bemitst werden dürfen? 
Ü) ob die dem RatJie selbst angeJiorenden Richter^ icelche die 
Unter SHchungsgc schufte vorgenommen hatten^ d esskalb ver- 
hindert seien im Atiklageverfahren das Richleramt aus- 
suübefi? 

S) ob der Angeklagte nach der liröjj'nnng der /.eugeiiuns- 
sagcn zur Vcrhiiuicning der Flucht verhaftet werden 
dürfe r 

Hierauf antwortet der Verfasser su 1: die Aussageti der 



— 47 - 



Zeugen im Untersuchutigsii*erfahren begründen nicht sofort Be- 
weis im Anklageverfahren, theils weil sie nicht eröffnet sind 
theils weil der JuSi/ni/dii^tc zu der Vernehmung der Zeugen 
nicht vorgeladen und ihm also nicht Gelegenheit gegeben u'ar 
ihrer Beeidigung anzuwohnen und in eigener Person oder durch 
seinen Vertheidiger ihnen Fragstücke vorzulegen. Denn auch im 
Untersttchungsverfahren wären sie nur dann beweiskräftige wenn 
jene l ot laduui^ crfo/i;/ i^'äre^ und k'ouuteit sie im gefreut heiligen 
Falle nur als zur Erkundigung {pro injormatione, pro haben- 
dis itidiciis) dienend angesehen werden, 

Angelus Aretinus, traci, de malef in verb, quod fama 
publica praecedenie^ vcrs. Quaero qualiter '*^} probetur imiiciuni^ 
Nr 10, //. 

Baldus eu l. A % A D, de condicL ob turpem causam^ vers. 
Sed numquid isti iestes recepti, woraus namentlich die Be» 
merkungen über InformationsTferfahren^ General- und Special- 
Untersuchung wortlicJi jniti^etheilt Ui-rden, 

Rirtholomcus de 6aliceto zu /. lät. in f D. de quaestionibus^ 
XL Vi IL 18, 

Daher müssen zum Zweck des Beweises die Zeugenvemeh- 

inungrn wiederJioll iccrden. Hierfür nith der l'erfisser fol- 
gendeSf auf die Analogie der const, ull, C\ de testibus^ J i\ ^0^ 
gegründetes Verfahren an: 

Der Ankläger solle sich auf die von Amts wegen gepflogene 
Untersuchung und die bei derselben al\q;ei;ebenen^ dem Rathe 
"eoriiegenden /cugnisse berufen, bezüglich der leLJeren aber er- 
klären dass er dem .Ingeklagten die freie Ji^ah/ lasse ob er sie 
als beweiskräftig anerkennen wolle, Würde der Angeklagte 
Diss beja/ien, so wäre die Sache einfach und könnten die Zeu- 
genaussagen sofort vorgelegt iverden. Im enfgegengcsetzlen 
Falle miisste der Anklager der nochmaligen VerneJiuiung der 
Zeugen zustimmen — und zivar^ loenn alle ttoch am Leben seien^ 
einfach^ wenn aber einer oder mehrere von ihnen inzwischen 



- 48 - 



gestorben seht sollten^ mit dan l 'orbchalte dass er sich bezüg- 
lich dieser alle seine Rechte gewahrt haben wolle. Diesen Vor^ 
behalt solle er eu den Acten beurkunden su lassen bittett. Zu- 

g/i'ii/i solle vr die früher abgegebe)ien /eugenaussagen dem Rieliter 
vorlegen luid hieran die Bitte knüpfen dass den wiederholt 
vorgeschlagenen Zetigen ihre friUieren Angabeti^ die sie etwa 
wegen der Länge der Zwischenzeit bis dahin vergessen haben 
konnten,, auf ihr Verlangen vor der neuen Vernehmung vorge- 
lesen werden uiochtcn^ ivie Diss die Rechte offenkundig zulassen, 
Jette Venvahrtmg werde bewirken dass den Aussagen der über- 
lebenden Zeugen bei ihrer erneuten Ventehmung^ wenn sie nicht ' 
sum vollen Beweise hinreichen solltest, doch so viele Beweiskraft 
beigelegt :eerdeii mifsste dass durch sie die bereits vorliegenden 
Zeugnisse der l erstorbenen ergänzt ivürden. 

Die wiederholt zu x^ernehmemlen Zettgen sollen nochmals 
beeidigt werdett. Hierfür beruft sich der Verfasser auf die 
Glosse SU l. 13 ^ D. de damno infecto, XXXIX. 2, obtvoltl 
hier ohne besondere liriealunDii^ des Zeiii^eneides im Alli^emeinen 
für Eide über die Wahrheit von Tliatsachen das Gcgentheil 
gesagt istf sodcttm auf Baldus uttd ß. de Saltceto zu const. ttlt 
C. de Ustibtts, IV, 20. 

Dem Rath oder an seiner Stelle dem Ankläger solle es ge- 
stattet sein noch weitere Zeugen^ welche im Untersuchungsver- 
fahren nicht vernommen warett^ su producirett, Dentt hieran 
sei der Richter durch die gescltehene Erdffmtng der Zettgnisse 
ungeaelttet des bekattttten gesetslichen Verbotes nicht gehittdert^ 
da bei dem Richter die Rite k sieht auf mögliche Subornation 
nicht zutreffe. 

InnocetUius IV. zu cap. liB X. de testibus^ IL 20^ 

Baldus zu l. i S. 4 cit. 

Dem Angeklagten^ fugt Sichardt beiy sei es gestattet su den 

Probatorialartikeln des Ankhh'ers seij/e I rui' stücke, worüber er 
eitte Venu'hmung der Zeugen icitnseJw^ vorzulegen und nach 



L.yu,^uu Ly Google 



- 49 — 

der Eroffmmg der Zeugnisse seine Hhnoendungen gegen die 

Personen und Ani^aben der Zeugen vor;;ntrairen^ voransgesetst 
ddss <•/• sit- sich vor der liroffiuoii^ y^rliorii^ vorbclialti ii habe. 

Zu 2 atUwartet der Verfasser mit nein. J^ -m ein Richter^ 
welcher kraft Gesetzes von Amts wegen eine Untersuchung ge- 
führt habe, müsse zwar, wenn ein Ankläger auftrete, mit der 
Untrrsnchiin^List/iiitii^krit iiDir halten und dem Aiiklät^er freie 
Bahn gewähren, iveil das AnJciageverfahren als ordentliches 
vor dem Unter suchungstter fahren als ausserordentlichem den 
Vorrang habe^ 

Cinus und Bartolus su l, 4 J2 D. de adult.^ XL VI IL .7, 

Inildiis zu l. 3 1 P. de jniiior., f]^. f; 
er bleibe aber auch im Anklageverfahren Richter^ wie zuvor, 
so dass nun das Anklageverfahren vor demselben wie das Un- 
tersuehnngsT*erfakren vorgenommen werde. 

( tandinits , /rai'/a///s de lualefieiis n'eerbo fudex<i ~ soll 
vielleicht /wisse//: //'/. q/wmodo de maleßciis cognoscatur per in- 
quisitionem Nr 19, 20, 

Augustinus Ariminensis zu Angelus Aretinus in verb. Haec 
est quaedam inquisit/o, »eo/. 1!t,« Xr 71 ff. 

Um so gewisser koiD/eii der Kidh oder seine Mitglieder in 
dem vorliegenden Falle das Kichteramt neuh der Gewohnlteit 
und dem Herkommen mit Fug und Recht ausüben. 

Zu S räth Sichardt entschieden derifon ab den Ange- 

hhtiJife// W(iJire//d der drein/oi/atlicJien Iris/ y n/tf loelehe ihm 
der Kaiser das Geleite ertheilt hatte, su verhaften. Aur wenn 
er ein neues Verbrechen begienge, wäre binnen jener Zeit ein 
geimltsämes Einschreiten gegen seine Person gestattet; dagegen 
fniissfe ein solches, wenn er sieh geleitlich benehme, d. h. Frieden 
halte und sieh //ieht ei/ic /le/ie Missethat zu Schulden ko/n//ien 
lasse, bei dem Kaiser grossen Urrufillen erregen — von der 
Aliihe und den Kosten nicht zu reden. Folgt, eine Begriffsbe- 
stimmung der Freiheit nach Durantis speculum^ Tit, de treug, 
a. 4 



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— so - 

et pact. in /, cap. S in VT. de tesiibus^ II. lOy nebst der Glosse 

lind licr Inincrkuui^ des ArcJüdiakouus^ d. //. LiUidos de Baisio 
und den AusfüJiruttgcn der Comincntatoreu zu L D» de 
I. S, Nr J^-Sl. 

Verworfen wird das Bedenken^ der Angeklagte werde wahr» 
seht- in Iii Ii das Endurthcil nicht abicartcu^ soudiin uacJi der 
liröffnuug der '/eugCiMUSsn ';, u und der Erkenntnis ihres schwer 
beiastenden Inhaltes sein Heil in der Flucht suchen und so das 
Urtlieil vereiteln. Denn Diss sei eine blosse^ in der Zukunft 
liegende Möglichkeit. Nr S2 — Si. Sollte der Angeklagte vor 
dem Urthcii, aber nocJi leiihrend der di-i inionatlicfien Frist ent- 
fliehen — was zur Zeit nicht verhindert iverdcn köime — , so 
müsse er durch öffentlichen Aufruf oder öffentliches Ausschreiben 
nach der Ortsgewohnheit vorgeladen und das gerichtliche Ver- 
fahren his zum Vrtheile dureJigefuhrt wenlen. Dieses l'er- 
faliren und Vrtlieil werde die günstige W irkung haben, dass 
kaiserliclic Majestät dem Angeklagten^ nachdetn er verurtJieilt 
und hiertnit für einen Missetliäter und der Verwandtentödtung 
Schuldigen erklärt sein werde, inskünftige keine Sic/ierheit mehr 
icerde gewdJiren können. Xr .V7, .V.>. 

Xie/it leicht zu furchten sei dass der Kaiser vermöge seiner 
MachtvoUkommeniieit eitum so Verurtlieilten gegen das Erketmt- 
nis Begnadiguttg ge%vähren werde; denn Diss widerstritte dem 
Criminalprocess und sei im Reiche deutscher Nation unerhört. 
Keinesfalls aber würde Diss bei dem Kaiser ohne Wissen 
uiui vorherige Berieliterstattung des Rath es ausgewirkt icerden^ 
so dass derselbe durch Übcrsemlmig der Criminalacten bei kaiser- 
Heller Majestät die Aufrechterhalhing des Urtheils leicht werde 
erreichen können. Xr .76*. Vergl. oben S. ,7;?. 

Die UnterscJirift Inutet : 

jfoh, Sichardus J. V\ Doctor m, p, scrips, et sbsp, 
Coftsului semtui Haylpronnensi Anno MDLI. mense Junio* 



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I 



— 51 — 

Vm der Wirkung eines Im nie sherr liehen Geleitsbriefes und 
iibcrdiss von den rechtlichen Erfordernissen der peinlichen Frage 
hofidelt ein für den Rath von Nürnberg 1549 ahi^r '^ebenes' Gut" 

ac/iti H der Facultät: in der Saiuudung der sicJiardtisikcn Con- 
silien das fünfte consiliidii er im male. 

Ein Mann von schlechtem Rufe, Johannes Proschel^ war \ 
von Rathen des Bischofs zu Bamberg angeklagt, Drohungen 
wider das Capitel der dortigen Kathedralkirche^ Brandstiftungen ^ , 

und tiiehrfaehen Strassen raub verübt zu Jiaheii. F. ingang und 
Nr 5Ö, üü, Zur Verhandlung über diese Beschuldigungen war 
er durch bischöfliches Schreiben auf Dienstag nach dwisio 
apostolorum ^547 su einem Rechtstage nach Hochstatt unter 
dem ]'ers/>reelieii sielieren (/eleites für Um selbst and seine 
Begleiter zu der Hin- /"/7 /\//ikreise vorgeladen^ vor diesem 
Tag aber auf Ersuclien der bambergischen Behörde in Nüm^ 
herg, wohin er, angeblich um einen rechtskundigen Beistand zu 
siie/ien, i^ekommi U lear, verJiaftet worden, lungan^:; und Xr 
41 — tö. Jii)i Mitbesehnldiiiter, Konrad Pn/iler, hatte auf der 
Folter ein Geständnis abgelegt^ wodurch Proschel mit belastet 
war, Nr 57 — 5^. Der Facultät war nun von dem Rathe der 
Stadt Nürnberg die Fra^i^e vori^e/ei^-t, ob Proschel auf den Grund 
des ihm ertheilten Geleites der Haft entlassen werden müsse 
oder ob das Strafverfahren iiber die gemeinten Anklagepunktc 
fortgesetzt und zu Ende geführt werden dürfe. Das Gutachten 
lautet in beiden Beziehungen zu Ungunsten des Angeklagten 
und enthält ein denij^eniäss ahj^efasstes Interloeut in deutscher 
uiul lateinischer Spraehe. Xostro iudieio, s>!L^-t die Facultät^ 
in hunc fere modum pronunciandum foret : Voss man nach Ge- 
legenheit aller Sach den beklagten Proscitel auf dissmal dess 
Gefängnüss nicht weiss zu ledigen, sondern so der Bamberg isch 
Anwaidt etlieh gel'iirliehe indieia^ die er zur hegerten peinlieheii 
Frag dienstlieJi achtet, hetl, die möclit er Geriehtlieh eynbringen^ 
und solle alsdann auff dess Beklagten Proschels Bedacht, und 

4» 

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— 52 — 



seift Zu- ufid Eynredc^ weiter f^eschehen^ was recht were. Hoc 

cst^ Ou(>i/ pro (jitalitatc et condilio)U' causa i\ /u /ts hac vice 
relaxandits non cssvt u. s. iv. Der Grund dieser Entscheidung 
. tffic oben S, 36 benierkt ist, in dem besonderen Inlmlte des 
GeleitsbriefcSy fiir dessen ivortgetrene Auslegung von der Facnltät 
seine Vbereinstininiung mit dem Wormser Laudfriedoi von 
1C»21 (VII. .S. i/, VIIL ,S.i / Jnid dem daselbst in dem 
tiänilichen Jakr erlassenen Reicksabschiede (jg^ 22, 23) als 
unterstützender Grund geltend getttacht wird. Die Wtrksatnkeit 
des von einem Reicksfursten ertheilten Geleites wird im Allge- 
meinen (raren die von lacobus de Belvisio, A//ice/us Are/inus 
U9td Anderen ( Nr 3 ff.) behaupteten Einschränkungen unter ße- 
rtifiing auf die communis opinio^ mit welclur das deutsclte Ge^ 
wohnlteitsrecht übereinstimme^ vertluidigt, Nr 2L Der Ein- 
Wendung^ dass Proschcl im Vertrauen auf das Geleite in eine 
Ealle geratlien sei ^ wird entgegengehalten^ dass er Diss sich 
selbst zuschreiben müsse^ da er das Geleite mit der Beschrän- 
kung erhalten und ßiabe wissen müssen^ dass ein solcites eine 
ausdehnende Anwendung nicht zulasse; Rechtsirrthum dürfe 
rAifolge der const. fiii. C. de niris et facti ignorantuiy /. 7^, 
um so weniger eijient Manne, zumal bei offctikundigcn Misse- 
t/taten, su Statten kommen, Nr 45, 40. Gegen die Ausflucht 
des Beschuldigten, dass er su dm in der Anklage bezeichneten 
Handlungen durch eine Rechtsverweigerung veranlasst worden 
sei, wird, obwohl dieser J\inkt nicht schon in dem dennaligen 
Sttuiium des Verfalirens .:u erorlern sei, der Vollstämligkeit 
wegen darauf hif^ewiesen dass bei Verweigerung der gericht- 
liclien Hülfe das Reichskammergericht, eventuell königliche 
oder kaiserliche Majestät selbst angegangen werden müsse, und 
dass ersty wenn auch von iluien jene Hülfe verweigert "werde, 
Selbstlmlfe gestattet sei. In den Nummern l»! — rt9 werden die 
Bedingungen der Polierung erörtert. Als solche werden das 
Vorliegen genitgender Anseigen und die Gestattung der Ver- 



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— 53 



thcidiguug g'gt^^i (lit'Si'llh'n hrzriiliiui ; CrstiifKinissr Mithiscliul- 
digtcr sollen zur Verhängung »ier t'oltcr nicht genüge n^ da es 
nur in gewissen bestimmten Fällen gestattet sei den auf der 
Folter Bekennenden nach Mitschuldigen su befragen. Die Unter- 
scJirift laufet: Cousiiliii uoviiiic l\uultalis Semitiii Norimber' 
gensi Anno 164^. Alense Junio Tuöingae. 



Ptrs .:■(■// ;//e consiliuiii inniinalc Sii/iardts Juindclt ansjii/ir- 
lieh namentlich von den JSrfordcruisseu eines gültigen Geständ- 
nisses, Die Erklärung^ welche den Gegenstand der Erörterung 
bildet, betraf die Verbindlichkeit aus einer Amtsführung zur 
Zahlung einer Geldsumme^ ivar aber nach der Darstellung 
Sichard ts mittels eines Criniiualver/ahrens erzivungen ivorden. 
Der Saclrverhalt war folgettder. 

Ein mächtiger Fürst entbot seinen vieljähirigen Kammerer 
oder Kammermeister {cameralisy praefectus) sur Rechnungsab- 
IccuuiS nit ciihii von der Uciuiat iveit ciitfcrntcu Ort und 
Hess iinn daselbst^ statt ilun zur Jirledigung dieses Geschäftes 
Gelegenheit zu geben, sämmtliche auf seine Verwaltung bezüg- 
lichen Schriftstücke durch Bewaffnete wegnehmen. Dem Be- 
raubten ivurdcn dreiss/i' ii'rössliutlieils durch frühere l:nt- 
lastung bereinigte Artikel vorgelegt ^ 700 ruber er sich verant- 
worten sollte, und als er hierzu Frist und Einsicht seiner Re- 
gister nachsuchte im Namen des Fürsten ohne Weiteres eröffnet: 
er schulde demselben an zweinnddreissigtausend Gulden und 
habe diesen Hi-troc binnen vierzehn ]\'ochen zu erleiden: sauinit- 
liehe Wurden, HerrschafteUy Schlosser und Hurgen, welche er 
von dem Fürsten, zum Theile durch Emphyteusevertrag oder 
Kauf, erhalten hatte, seien verwirkt, und alF Dieses solle er 
durch Schrift und Siegel feierlich anerkennen^ widrigenfalls er 
in dem bisher für todes^eürdice Verbrecher i^ebrauchten Kerker 
gefangen gehalten werden würde. Die IJrhel^er ^ie^es ^ecrete^ 



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— 54 — 



bemächtigten sich sofort mit Genehmigung des Fürsten seiner 
Besitzungen und Rhrenstellen mui wussten dieselben sum gros- 
seren Theil durch flirstUche Verleihung an ihre Freunde und 
Verwandten bringen. Der Beschuldigte wurde in strenge 
Haft rersetzt und fitgte sic/i nun der erivähnten Drohung: er 
unterzciclinete den Bescheid und stellte das verlangte Schuld- 
bekentUniss aus. Gleichwohl gelang es ihm nach einiger Zeit 
durch eine bei dem Fürsten eingereichte Bittschrift eine erneute 
DurcJisiiht der Rechnuu^^en unter Zuziehung ivctti-rer ^ uube- 
theiligter Küthe, die Anerkeujiuug dass er dem lursten nicht 
einen Pfennig schulde und Jlntlasstutg aus der Haft zu er- 
wirkcft. Als aber auf seifw Bitte die bis dahin noch nicht 
abgehörte Rechnung des letatvergnngenen Zeitraumes ein nicht 
un/h'tntiht/ic/tes (iiif/inben an den Fürsten ergabt wurden dem 
Kannnerer (djernials alle sciiw Rechnungsacten^ dissmal mittels 
Einbruches in sein Zimmer^ weggenommen und sodann ein 
neuer Beseheid des fnlialtes erofftiety dass er den Fürsten viel- 
fach betrogen habe und ihm fitnfzehntausend Gulden schulde, 
%vori(ber im ordentlichen Wege Ivechtens verhandelt werden 
solle. Hierauf wurde ihm eine Flrklärung über nette Artikel^ 
ivelche ivieder den langst geprüften und anerkamiten Rechnun- 
gen etttnommen waren^ a'tfgegefu uy aber sein Gesuch um ordettt- 
liebes Processver/afiren ^ abschrifi/icbe Mittheilung der Artikel 
und unparteiisches (Bericht oder t In riveisuug der ganzen Sache 
an den römischen König als /Mftdesherm des seitlichen Aufent- 
haltsortes abgeschlagen. Fr ivurde von neuem verhaftet und 
in Ketten vor einen der fürstlichen Räthe, welche nach seinen 
entern trachteten, als Richter gestellt. Zum Fürsprecher er- 
hielt er statt des eih tenen Advocaten einen ihm gleichfalls 
verfeimieten Mann, der jene Artikel selbst x*erfasst hatte und 
seiwn Bruder mit Bewilligung des Fürsten in den Besits van 
Gütern des /u schuldii'ten einsetzte. Die wiederholte P^itte des 
Letstcren die Sache entivcder an den römischen König als den 



i 

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::.usfäiidii^cn RickUr oder an das Geric ht der iJeiiuat^ die 
Verwaltung geflihrt worden xiutr^ su bringen^ wurde in eitum 
eigenhändig unterseiehncten Deerete des Fürsten mit der Droh- 
ung abgelehnt^ er solle seine Hrklänttig zeitig abgebeUy nwiin er 
sieh nicht ScJiliniiucron als er zu ertragen vermöge aussetzen 
wolle. Zugleich aber wurde er durch einige ^geheime Gönner^ 
unter der Hand zur Einräumung alles Dessen, worüber er be- 
fragt war^ als einsigem Mittel der Rettn/fj^- vor den angedrohten 
Gifalircu ninf diis der Grßvfj^cnsi/ifr/r ivifyi fordcrt. fn drr 
Jn'drängnt^f tu weh/ier er sieh hcjivui^ Hess er sich su der 
Ablegitng der verlangten Geständnisse lierbei, nachdem er zuvor 
im Kerker itor Zeugen seine Nothlage aus einander gesetzt und 
erklärt hatti\ dass er mit Gewalt su vmvahren Bekenntnissen 
über Dinge welc/ic er nicht gct/inn und an welcJic er nicht ge- 
dacht habe gezwungen sei, aber nach seiner Befreiung der 
ganzen Welt seine Unschuld kmui geben werde. Endlich entkam 
er durch Selbstbefrei nni; aus dem Grßingnis. Er stuhle hier- 
auf bei dem röniisc/irn Konii^ als I .aiidesherrn »nnih ein sicher 
Geleyt zinn Rechtem^ nach, indem er sich erbot allen utui jeden 
Anklägern in ordentlichem Gerichtsverfahren Rede zu sielten. 

Das Gutachten verbreitet sich über die Frage, welche Mittel 
der unschuldig Verfolgte nach der i:;e hofften Erlany^nir^ des 
Geleites und /ulassum^ rjuni Reehtsieei^e »loann das Recht 
jhni darauf/ eroßnet UH)rden^^ anieenden müsse, um für die 
erlittetien Schäden und Bedrückungen Vergütung zu erhalten. 

Für den Fall dass der Fürst zfor dem königlichen Gerichte 
nicht als K/dj^er auftreten sollte, räth Sichardt ihn mit einer 
Provocationshiage ex /(;;'<• diffanidri zu belatii^en. l berdiss^ 
fügt er bei, könne der Besc/iädigte die Zurückgabe der ihm ab- 
genommenen Güter fordern, indem er sich erbiete die Unwahr- 
heit des ersivungenen Geständnisses darziUkun, 

Sollte der J'/nst .luerst Klat^e erheben, so könne der Be- 
schädigte mit der Einrede des spolium die Zuriickgabe dieser 



uiyui<.Cü 



— Sö — 

Güter oder doch l'berantwortung derselben au einen Sequester 
Sil chistwciligcr Ikivahrttng auswirken. Auch sei er kraft 
des sicheren Geleites^ da dieses einer Appellation, in Allein 
gleich geachtet werde, befugt zu verlangen dass solange es gelte 
mit jenen Gütern keine l enindernng vorgenommen werde. So- 
dann habe er die Bestellung tüchtiger mtd unparieiliclui' Sach- 
verständiger zttr Prüfung der Rechnungen su beantragen. Dieses 
Gesuch müsse ihm unter allen Umständen erflillt werden. 

Einer Berufung auf das Geständnis /cöiine er entgegenhalten 
dass es ungeseizniässiger \l\ise eneirkt und desshalb nngidtig 
sei, Di SS ivird mit folgenden Grümlen ausgeführt: 

I) Bevor sur Verhaftung oder peiiüichen Frage geschritten 
werden dürfcy miisse^ mindestens durch redliche Anseigen, fest- 
<j;estellt sein dtiss die Missitha/ btxani'-e// sei. J)iss loird mit 
l. I i - / (fd Si funi Silan.y XXIX. sodann niit der (rlosse 
SU l. penult, D, de quaeslionibus^ XL VIII, IS^ und einer Reihe 
italienischer Auctoritäten von Ga/tditius an delegt. — Redliche 
Anzeigen seien nur solche, welche von unparteiischen Ij^uten, 
nicht auch die loelchc von Feinden des Beschuldigten herkommen. 
Die letztere ßescichnujig treffe im rechtlichen Sinne bei Den- 
jenigen XU welche hinterlistig nach dem Vermögen eines Andern 
trachten ; grosse oder tödtliche Feindschaften seien solche welche 
den Status eines Menschen oder sein Vermögen betreffen. Diss 
sei in cap. fin. X. de donat.y FT f. 24, const. fui. C\ </>■ /-i-r'oe. 
doiioL, l'III, l, 21 (pr,J D. de excusat., XXl'll. 7, und in 
des heiligen römischen Reiches peinlicher Gerichtsordmutg Art, 
^6 anerkannt. Jene Voraussetsung sei bei den Angebern des 
Kämmerers durch ihr J erhalten dargethan. 

( berd/ss :::eigr dir nachherige Befreiung von Schnldver- 
hindlichkeit uiui Haft dass es an gemigetiden Anseigen gefehlt 
habe. 

Wenn aber auch solche vorgelegen hätten^ so hätten sie 

dem Beschuldigten f bevor ein Geständnis von ihm gefordert 



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- 57 — 



vjurdcy mit Anbcrmmung einer Frist für die Widerlegung des 
Verdachtes ntita^cthcilt 7vrrden miissen, so dass er beim Gelingen 

der \\rt/it i,{ignfig nnssir Wrfo/gniig zu sctscti grw.sin ivarc. 
Jene Widerlegung ludh' aber nicht Hbcrzcugender geliefert 
werden können als durch die zweite Jinischeidung, wodurch er 
von Haft und Ersatz frei erklärt worden sei, 

Iis könne nicht eingewendet werden dass der oben Ziffer 1 
am Anfang erwähnte Rechtssat:: mir fiir die (rcstiindnissc gelte 
welche mittels der Folter bewirkt seien. Denn einem solclien 
stehe das aus Furcht vor der Folter abgelegte und beiden das 
Geständnis eines Gefangenen gleich. I^ir die letztere Behaup- 
tung beruft sich der Verfasser auf den Ausspruch des Baldus, 
der Kerker sei gewissermaassett eittc Art von Tortur (quae* 

dam Speeles torturae\ 
auf den von Demselben, sodann von Bartolus und Hippolytus 
de Marsi/iis aufgestellten Sat.Vy 

dass zu der Aussage, Jemand sei gefoltert worden, der 

Beweis der Gefangenhaltung hinreiche^ 
und auf die Begriffsbestimmung der peinliehen Frage in 1. 15 Jj 41 
D. de iniuriisj XIA'U. UK Uberdiss, fügt er bei, genüge die 
/n'sorgnis der (tcfangenhaltung und loUcrung ebenso 7vie gemäss 
L H $ 6', vielmehr 5, D, de vi et vi ann.^ XLIIL 16 ^ die Furcht 
vor Waffengewalt^ zur Begründung eines solchen Schreckem^ wel- 
cher nach natürlichetn Rechte, wie nach dem pfätorischen Edicte 
die Gültigkeit der Handlung, hier des (rcstandnisses, anssch Hesse. 
Zum Jii'^ceise dieses Mirakens reichen l'eminthungen u tut Anzei- 
gen soivolil wegen seiner arglistigen Herbeiführung nach const, 0 

C, de dolo malo^ //. 4^/, als desshalb aus %veil der Beweis schtver 
SU erbringen sei und in solchen Fällen die Gesetze sich mit jenem 
Beweisniitlei begnügen: l. .'1 0 D. de re niil, XL IX. 76', /. 0" 

D, de his qui sui, I, 6*, cap, 47 X, de test., IL 20^ nebst den 
Bemerkungen der Doctoren su /. ////. D, quod met, c,y IV, 2 ^ 
Baldus m const, 10 C* de episc, I. 3, u, s, w, Anseigen und 



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- 58 - 

Vennuthungen für den Schrecken liegen sehr viele und betveis* 

kniftii^c vor. Das Litztcrc ivird in Ar — /.V ans den that- 
säcJdicJwn Uuisländt n naher dargctiian und hierbei nanu utlick 
geltend gemacht^ der Beschuldigte habe bei allen den Zeichen des 
Hasses und der Ungerechtigkeit gegen ihn die oben erwähnte 
Drohung in detn eigenhändigen fürstlichen Erlass nicht anders 
als auf peinliche I-'rai^^' denten kömuii. Ih'igefi^^t 7i*ird: wenn 
auch weder wirkliclw hollertuig noch ausdrückliche Drohungen 
vorangegattgen seien^ werde bei Geständnissen eines Gefangenen 
immer vermuthet dass sie aus Besorgnis der Folterung abge- 
legt leorden seien. 

Bahlus SU const, 10 in f, C. de furt.^ J '/. nnd sti const» 2 
C, de his quae vi metttsve causa, IL Nr 12, 

Fratuiscus Brunus tract. de indic, et tortura *fol. II*, tvo 
i^esaa^^t sei: su der Annahme dass ein Bekenntnis aus jener 
In sovi^nis hen'or^,xani^en seij geniige der Xachiveis dass der 
Bekennende sieh in Kerkerhaft befand 

Hiernach habe das Gestättdnis mir die Wirkung dass dem Be- 
schuldigten der Gegenbeweis gegen seinen Ifiltalt obliege. Dieser 
Gegenhcwcis müsse ihm um so gnoisser frei stehen als ja auch 
gegeniiber einem ivirklie/ien, d. h. hier einem formell giiltige/i Ju - 
kenntnis der llei^'eis des Irrthnms zugelassen locrde. L. D. de 
confessis, XL IL 2, Der lkschuldigte sei bereit vor einem des Rech- 
nungswesens kundigeft utul unparteilichen Richter die Uwwalir- 
heit des Geständnisses darznthun und das Gcgcntheil des Einbe' 
kannten zu beiveisen. Hin ( i es tUndnis, dessen InJialt sich nicht be- 
zvalirlu'ite, s. B, das Gestätuinis einen Ring entwendet su liabeu, 
der nach dem Ergebnis der Untersuchung überliaupt nicht 
etitwendet worden war, schade dem Bek^ttnefuien nicht. Hier- 
für beruft sieh der l'erfasser nicht b/os auf Inddiis nnd Hip- 
polytus de Marsiliis^ sotuicrn auch auf den In fehl der 1\ G. 
0, {Art. 6) an den Richter er solle suvor^ d. h. ehe er sur 
peinliciten Frage schreite^ ttachforschen ob die Missetltat über' 



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— 59 — 



Jiaupt bcgaui^iH sr/) iiidtui /licnnis (icr Sc/i/kss i^i-::oi^fu winiy 
(/<rs (r( Sf<in<inis ciii. r Tliaty di rcn l \ nibung iiic/it diircli die 
UmsUUuic bestätigt seif bringe dem Ikschuldigten keiften NachtheiL 

2) Zu der Beweiskraft des Geständnisses werde gefordert 
ddss der In kennendc auf demselben ausserhalb der Folterkammer 
und des Gefängnisses beliarre. 

Qlosse zu L 22 D, quod metus Il\ 2^ ttebst den da- 
selbst angeführten GesetzessteUen^ 

Bartolus zu eonst 2 in f. C. quor, appelL nmi reeip.^ VIT.ßB^ 
caf^. la X. de off. et f>oL lud. de/eg.j /. 21) , mit den Be- 
merkungen I njioeentius IV. 

Joannes Andrea zu cap. 1 X, de his quae vi tnetusve 
L 40, Hippolytus de Marsiliis cons. 13, 
Di SS könne zwar im Allgemeinen bezweifelt werden ^ igelte 
aber jedenfalls bei einem Solclien der mit inrecht im Kerker 
gehalten werde, • 
Angelus de Ubaldis zu const, 2 C. de his quae vi me- 
tus7fe e,, //. 20, 

und bei ( > esttVhi )iisseu icelcJie zuui l 'or//iei/e des defangenJial- 
tenden laulen und nie/it in ßgnra indieii <ibgeiegt seien, 
Baldus zu coftsl, 1 C, de confess,, VIL ö9, 

3) Das Geständnis sei durch das trügliche Versprechen 
der Freilassung erschlichen worden und vermöge desshalb nicht 
l 'eruvtJteilung zu begriauien. 

loamus de Imola^ eons. 1(>0 mit In-rufnng auf cap. 7 X- 
de renuncy 1. 9, und Gl, zu L 22 % ult, D, loc,, XIX, 2, 

Arg. cap, 28 X. de iureiur., II. 24, und cap. 2 VI, de pactis, 
L l.s; /. .V,l> /). /rg. Aijni/., fX. .v ) 

4) Das Gesttill J Iiis laute unbestimmt und enthalte keine An- 
gabe der causa. Der civilrechtUche Satz, dass aussergericht- 
liehe Bekenntnisse, 

GL zu l. 1 D. de intcrrog. in iure fae., XI, 1, nach L 25 
5 fm. D. de probat. XXII. o, 



— 6o — 



und Vcrsprci Ju'ii oJnic In zcichmut^ der causa nicJit gültig scieu^ 

L 2 1 D. de doli except^ XLIV. 4, 

GL und die Kamnisten su cap, tUL X, de confess^ IL 18, 

miissc für Criminalsachen bei der hier in Betracht kommenden 

grösseren Gefahr um so j^^ewisser igelten. Daher saj^-e Aui^elus 
AretimSj tract. de male f. Ruhr. Etiam vesUm coelcstem Nr 26, 
das Geständnis eines Beschuldigten mehrere Entivendungen 
SU verschiedenen Zeiten begangen ssu haben sei wegen seiner 
Alliremeinheit nmvirksam ivenn über die entwendeten Sachen 
nUht Geicissheit bestehe. 

Sogar der Ausspruch des Baldus su csl, (i C\ de lib. causa, 
VIL 16, 

wenn der Kaiser oder Papst eine ihm nicht angehörende 

SladlO'ifieinde das Inkeinituis dass sie iJnii a>/<reh'öre ab- 
legen und Treue schwören lasse, seien Bekenntnis uiui liid 
\tnwirksam, 
wird hierher bezogen, 

Gegentiber dieser Ausfiihrung könne das Geständnis nicht 
etwa mit der lieliauptung aufrecht erhalten iverdeu dass es in 
gerichtlicher Form vor eifwm fürstlichen Käthe nach Vorladung 
und iforangeganger Überweistmg des Beschtädigten abgelegt 
%üorden sei. Denn was gegen ihn geschehen sei, könne ange- 
sichts der vorangegangenen Vernichtung der ersten Verur- 
tlu ilung, bei der offenbaren l 'erdachtigkeit der Richter, bei der 
Verkümfnerung der Vertheidigung und des rechtlichen Gehöres 
gar nicht ein Gerichtsverfahren genannt werden, Nr 02— €i. 
Hierbei wird namentlich die Gestaltung der Vertheidigung mit 
Berufung auf l. .V D. de f. et /., t. I, I. 1 S :J7 D. de vi et 
de vi armatUy XLIIL iO", als -iCcscntlicher Bestandtlieil des 
Processes bezeichnet, weil die Vertlieidigung im Naturrechte 
begründet sei und desshalb fuzch § 11 1, de iure nat,, 1, 2, nickt 
einmal von defn Fürsten entzigen werden dürfe. 

Endlich beruft sich das Gutachten noch auf den Artikel 



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— 6i — 

J20 der P, G. 0. Der oben S. 33 mitgethciUc Wortlaut des 

Schlusssatzcs zcifiit dass der Attsdnick corpus delicti knnrsrcrifs^ 
Tf'/V />/t//t'j; Inifrüi^Y zur iicscliichtc des Inquisitioiisproiesses 
Ifi Anmcrk. .'W, .V. 7/7 sagt, erst in der anderen Hälfte des 
scchsschnten Jahrhunderts (nach der Meinung Gciös^ Lehrbuch 
des Strafrechtes Band IL 5. 193 zuerst von dem Compilator^Fa' 
rindiiiis , t>dt leii' I lälsc/iner, System Hand f. S. /.V.V vennuthet^ 
erst von den sächsischen Criminalistvn gebraucht worden ist. 



Die Wirkung einer beschzvorenen Urfehde ^ näher die ße- 
grenrjnni^- dieser Wlrkioig auf einen verständigen l'infang bildet 
den Hauptgegenstand des neunten » consilium criminale^ das von 
Sichardt persönlich an einen ungenannten Freund gerielUet und 
zur Berathung eines in Österreich^ mnthmaasslich Vorderdster- 
reich nnsässii^en oder ansässig geieesenen Edelmannes^ Subspur- 
gety Ih'stiiNDil lear. 

Der Thatbestand, welcher diesem consilium su Grunde liegt^ 
ist folgender. Subspurger war von einer Gerlchtsbeli&rde auf 
die lieschnldigKiiii' einer nicht i^cnannten Missetlint gefangen 
gehalten^ es war ihm jedoch Befreiung i'on der Haft gegen 
Ablegung des übliclien eidlichen Versprechens sich nicht rächen zu 
wollen^ der sogenannten urpheda de non ulciscendo^ gewährt 
oder zugesagt worden. 

Dem ] \ rf asser war nun eine Reihe von J-raj^en theils id^er 
die Wirkung dieser Urfehde theils Uber das fernere l erhalten 
Subspurgers vorgelegt. 

Die erste Frage lautete: ob die Urfehde nur Ober die Un- 
terlassung gerichtlicher oder aussergeriehtlicher Schritte zur 
lirlangung einer Genugthuung für die \ \-rhaftung und ihre 
Folgen auferlegt oder dahin erstreckt werden dürfe dass der 
Schwörende auf alle sonstigen^ dem Veranlassungsgrunde der 
Haft fremden Ansprüche uiui Klagen versicltte. Der Verfasser 



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"1 



— 62 — 

cntscJu idi't für das Jirstrir und beruft sic/i auf die iiblicJie Formel 
der I rfeJide (consiielus teiior talis iurauicnti)^ sodann auf die 
Kechtssätse vom Vergleich mtd Geständnis, Der tu Rede sie- 
hende Eid sei eine Art Vergleich mit der Obrigkeit Uber ihren 
Anspruch auf Bestraf un(r und dürfe dahcr^ wie ein Vergleich 
überhaupt nur auf den (iegenstand des vorani^egangenen oder 
befürchteten Rechtsstreites^ so nur auf die Haft und ihre lu idcn 
bezogen werden^ tnoge er auch in allgemeine Ausdrücke gefasst sein. 

Die Einweftdufig, dass der Regent Rechte entsichert dürfe^ 
(greife nieht l^latz^ weil Diss nur aus Gründen der oj/'entlu/ien 
Wühlfahrt f nicht zu seinem eigenen Vortheil oder zu Gunsten 
einer Privatperson gestattet sei, Überdiss dürfe nicht einmal 
der Kaiser yetnanden ein Reclü anders als gegen gehörige Ent- 
schädijrufiil- nehmen. Im vorliegenden Fall aber wäre die Ent- 
cie/iuuj^ der K/aj^en uwi^en anden^'ed/j^'er Bele/d/x'uuxeu der 
üffeutlielien Wohlfahrt keinesicej^s gemäss y da diese im Gegen- 
t/ieile Vertheidigu^g der Beleidigten und Geschmäliten gegen 
Verläumder und Beleidiger und die hierauf beruliende Erhal- 
tung der menschlichen Ehre gebiete. Eine EntscfUidi^s^unj^ für 
die F.ntziehung jener KlaiJi;en sei nieJit Jud^lieJi y weil die l '.lire 
und der gute Name eine Se/idt-jun^i^' nieht zulassen. Dem l er- 
liafteten würde also sein Recht ohne Grund entsogen^ mtd Diss 
sei nichts Anderes als eine yustisverweigertmg. Eine solche 
aber dürfe und könne y weil sie dem Naturrecht entgegen sei, 
nieht einmal dureh Gesetz oder irgend eine fürstliehe l 'er- 
fügung gesehehen. Wenn die J erfi^lounx" einer Beleidigung 
behufs gerichtlicher Genugthuung durch den Fürsten gehindert 
wurde, so wäre Diss ein bei der Unwandelbarkeit des Natur- 
rechtes unzeirksanier l'.ingrijj in du- Wrtheidii^iinL^isbefugniSy 
ivelche nacJi dem Anerkenntnis der römischen Gesetze — /. .? D. 
de I, et /. 1, 1,1 i 27 D, de vi et de vi arm,, XLIJI, 10, 
— und mch der gemeinen Lehre dem Naturrecht angehöre, 

Hiertutch wäre ein solches eidliches Verspreclun, wenn der 



Gefangene zur Ablegung desselben vor seiner Befreiung that- 

sächlich gemvungen würde^ nmvirksam und *flir den Gefangenen 
uiii'erhinillicJi. J)iss bci^^riindet der \ \ i fasser ^ indem er die in 
Rede steluiide Urfehde i:; er ad Iii n als confessio et renuneiatio he- 
haftdeltf noch weiter mit den Bedingungen gültiger Geständnisse^ 
insbesondere mit dem von den Italienern aus l. 1 % 24 D. ad 
Sei. Si/an.f XX/ X. .7, nnd /. pcnult. D. de quaestionibus^ XL J III. 18, 
abgeleiteten und in der P, G. 0. Art. 6 anerkannten lirfordernis 
der peinlichen frage^ dass das Geschehen-sein der Missethat 
Uberhaupt mindestens verntoge redlicher Vermuthungen, indicia 
snfficientia, j^ewiss sein müsse ^ wofür er sich übriti^cns nur 
auf Gaudums^ BartoLus u. s. w.y nicht auf das deutsche Gesetz 
beruft. 

Die mveite Frage war, ob der Verhaftete nach seiner Ent- 
lassung behufs des Unschuldbeweises eine Zeui^emfemehmung 

zum ewigen GedHeJitnis l>e:eirle>i könne ^ uui ihr Ilrj^ehniSy falls 
er liegen der gegenwärtigen Sache in Aukunft idde Xaeh reden 
SU erleiden haben sollte^ vor Gericht zu seiner Rechtsvertlui- 
digung geltend machen zu können, Sichardt widerräth einen 

Versuch hierzu theils vom Standpunkte der Zweckmässigkeit 
theils mit Rücksieht auj die rechtlichen lirfordcrnisse dieser 
Art von In weiseinsug, Dagegen macht er von sich aus den 

Vorschlag, Subspurger möge bei dem landesherrlichen Gerichte 
von Ensisheim gemäss der auf lex Diffamari gegründeten Praxis 
eine Pro:-oiafi(>i/sl-l<ve-e :ee<ren der üblen Xaehreden erheben nnd 
nach Eneirkung des zu envartenden Vr theils auf Stillschweigen 
die erwähnten Klagen gegen die Beleidiger — wenn er seinen 

Wohnsitz nicht etwa noch auf österreichischem Gebiet habe, bei 
dem Reichskamtnerge rieht — anstellen. Doch giebt Diss der 

l erjasser^ da ihm die Landesgeieohnheit nicht genau bekannt 
seif de/// I'r/// essen und ttälwrer I:/-7etfgu//g des h'ragstellers anheim. 
Dem Vorwurfe des Urfehdebruches — wird in Beant" 
. wortung einer weiteren Frage beigefügt — setze der Beleidigte 



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- 64 - 



sich durch gerichtliche V€rfoli:;u}i^^- der ßcii idii^rr mit Sic/iir- 
keit nicht aus; denn der eidlich at^elobte VersiclU dürfe auf 
seine Privatangelegenheiten mit anderen Prituitpersonen nicht 
bezogen Heerde u. J)iss wird unter Berufung auf das eine ähn- 
liche Sache betreffende consiliuni 1H3 des Lndovicus Komanus, 
sodann auf l, 12 D. de cxc, rei iudicatcu^ XU V. 2^ const. 31 C. 
de transact^ IL 4, Bartolus su L IG, i2D,de poenis^ XL VI IL 19, 
Baldus SU L 26 D. S. XXIV. 3, l. 16 D. de transact., 
//. und die Kanon isten zu cap. 7 X. de poenis^ V. 37 j 
weiter begründet. Xr is — 52. 

Der sonstige Itüialt des GutaclUens bietet, so wie er in dem 
Abdrucke lautet, kein erhebliches strafrechtliches Interesse. In 
Nr 58 — 54 ist die Frage ^ ob der Gefangene von dem König 
Ersatz des erlittenen Schadens 7'erhingen honne, Xr '»2, anscheinend 
in verneinendem Simw beantwortet ; zum vollen nnd sicheren 
Verständnis dieser E^üscluidung felUen die erforderlichen that- 
sächlichen Anhaltspunkte. In Nr 55 ist es für uäässig erklärt 
dass der Gefangene als ehrenhafter Edelmann durch ein offenes 
Schreiben, programnia f^nblieum^ seine Unschuld darlege, hieran 
aber der Rath geknüpft Diss erst nach der erfolgreichen Durch- 
führung des Provocationsprocesses zu thun. 

Der Eini^ang giebt Bu erkennen dass Sichardt das Gutachten 
auf ein diingliches Gesuch mit einer ihm ungeioohnten Eile 
verfasst habe. 

Die Unterschrift best cid mr aus den Worten: in causa 
Subspurgeri. 



Mit den Grenzen der Strafgerichtsbarke it öcscltäftigt sich 
in der Anwendung auf die Befugnisse einer bestimmten Stadt' 
gerne indi das vierte consilium criminale, welcfies von Sichardt 

' mit dem Beisatze '^tAi'a; £vexa an einen Doctor Basilius ge- 
richtet ist. 



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- 65 - 

• 

Der Rath der Siadt N. hatte auf seine Angabc hin dass 

er f^lcich den Behdrdcti der anderen Reichsstädte seit langer 
(unvordenkUcJier :) Zeit eine Straf rechtspßfi^e z^'ider Riiiiöer, 
Brandstifter^ Diebe und ähtUiclu: Missetkäter durch \ 'erhaftmig 
und Bestrafung ausgeübt habe, die Rechtmässigkeit dieser Übung 
durch ein kaiserliches Privilegium anerkannt erhalten und eine 
Bestätigung tiesse/th ii von Kaiser J riedrich, ohiw Zi<}eifel dem 
Dritten, ausgewirkt. 

Den Gegenstand des Consilium bildet die Frage ob dieses 
Privilegium dem Ruthe das Recht einräume alle in irgcfid einem 
Tkeile des Reichsgebietes ^ sei es auf frischer Thai oder sonst 
betreteiwn Misse thäter festnehmen und nacli Jcr Stadl N, ver- 
bringen zu lassen, oder ob er auf Grund des Privilegiums nur 
gegen Diejenigen, welche auf dem Gebiete dieser Stadt gefrevelt 
haben oder hier betreten worden seien, einschreiten dürfe, 

l'iir die weitere Auslegung konnten die a/igemein lautenden 
Worte des Privilegiums angefiihrt werden: »wir setzen^ dass 
die von N, und ihre Nachkommen, alle und jegliche Übel- 
thäter und Strassenräuber, auch die so dieselben Strassenräuber 
und Übelthäter wissentlich hausen ^ hcrbcrgen und \:j nider- 
werffen nngem', adass die von X. in oder ausserhalb der Stadt, 
und alletülialb in dem heiligen Reich, wo sie die Übeltiiäter 
mögen betreten oder ankommen, es sei zu frischer That oder 
sonst ^ mögen niederwerfen, annehmen, die gen N. in die Statt 
faJiren « 

Sichardt erklärt sieh aber — ohne Ziveifel mit Recht — 
für die einschränketule Auslegung, 



Das zweite consiliuni ernninale Siehardts, von J.'>J.[\ ist 
für den J/arkgra/en Emst von Baden abgefasst und betrifft 
den Beweis einer Kärperverletsutig, über welche in einem Civil- 
processe (s. Nr 6) i^erhandelt wurde. Die That war durch 
s. 5 

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mehrere Zeugen unmittelbar bewiesen ^ utui überäiss lag eine 

Reihe von Anzciircu «'v w;/ den Thiiter vor. Sichardt bemerkt 
dass zum Ueweis eines l 'erbrec/iens Anzeigen liinreicJien^ icetm 
Uber dasselbe nicht im Criininalprocess verhandelt werde ^ und 
beruft sich flir diese Einschrätikung niclä etwa auf den Ar- 
tikel 22 der P. G, O., sondern auf das Erfordertüs der pr<h 
hationes lucc jjicy'uiiana clnriores utu/i lonsf. u/l. C. de pro- 
bationibus umi auf Joannes Amireä consil. V.K Der Aussage 
eines Entleisttmgsaeugen wird^ da er erst in der Appellations- 
instam venwmmen worden war^ gemäss Clem, 2 de testibus 
die Berücksichtigung versagt^ indem diese Stelle gemäss der 
Kegel nquando aliquid est decisuni in iure Canonico^ quod 
non sit decisum in iure civili et e divcrso^ quod illud haheat 
locum in utroque foro* gegen Paulus de Castro als für den 
weltlichen Process geltend anerkannt wird. Nr 12 — 19. Vergl. 
dagegen oben S. iSy zconach Sichardt im Crimifialprocess auf 
die vom Richter best i nun ten oder vom Ankläger benanuten 
Zeilen das Verbot der Clem. 2 tüclU angewendet loissen wollte. 

fragen des luatiiitlLn Straf rechtes bilden^ abgcsrhcn von 
dem oben erioähnten ersten consilium criminalr , nur noch in 
swei Consilien der sicltardtischen Sammlung den Hauptgegen- 
stand der Erörterung. 

Das eine derselben^ consilium criminale 5, betrifft die Er- 
fordi rnissc und den Jii-ahis der Xothnrhr. Sichardt erstattete 
es im Namen der Facultät thüringischen Jidelleuten^ von TettaUy 
welclie sich wegen Tödtung bei einem kursächsischen Gericht 
in Untersuchung befattden. Der Hergang ^ welcher su diesem 
Strafverfahren Anlass gegeben hatte, :ear folgender. 

Die Beschuldigten wurden in der Stadt Plauen auf dem 
li ege zu ihrer Herberge von einer Schaar Gegner aus dem 
Geschleclite Trutschler verfolgt. Einer der letzteren ^ Georg 



L^iy -i^uu Ly GüOgl 



- 07 - 



TnitscJilcr y '^'^'iX''i(f ^^*^^^ tJüUiuJi an dtui ZiU^y/i jui^ciuHicJicn 
Alters uocJi nicht waffenfähigen von Zeiioitz^ welcher der 
Gcscilschaß der Tettau gehörte. Beiden Theilen wurde wegen 
des hieraus entstandenen Streites von dem BUrgenneister uttd 
Rathsherren der Stadt Friede geboten^ xvic Diss seit dem Mittel- 
alter nach manchen Sfatnteii üblich ivar \S. Uacl/ler im neuen 
Archiv des Criminairechts Bd. Xfl. S. :iöO). Die Tetiau folgten 
diesem Befehle; sie Begaben sich in ihre Herberge und ver- 
hielten sich dort riihit^. Die Trntschler aber^ an^^e feuert von 
dem oben erieiihnten Mann ihrer Partei ^ zogen vor dieses 
Hans, forderten die Tettau mit Geschrei ^ Schmähungen wui 
Bedrohungen *auf Ehr und Herkommen* heraus ihnen zu folgen^ 
ritten sodann mit schussfertigen Waffen vor die Stadt ufid 
stellten sich an einer Anhöhe sn beiden Seiten der iMndstrasse^ 
welche die Tettan für ihre Ritckreise zu beniitzoi pflegten^ 
kampfbereit auf Die letzteren verweilten ttoch eine Stunde in 
ihrem Gasthaus und begaben sich sodann auf den Heimritt^ 
verliessen aber^ als sie die Trutschler in ihrer drohenden Hal^ 
tnng bemerkten, die Landstrasse und leanduii sich auf einem 
I'usspfaäe nach rechts. Die TrntsJiler sprengten gleichiuohl 
gegen sie an und ' tödteten sofort durch Schüsse einen von Zel- 
wilSf der sich bei den Tettau befand, und einen Volkmar Rader 
mit seinem Knappen, welche letztere zufällig des Weges kom- 
mend den Kampf hatten gittlieh beilej^en leolien. Xr 10 — .?/, 70. 
Was leeiter foli^te , ist nicht ausdriicklich gesagt; der gauZC 
Inlialt und die Unterschrift des Gutachtens zeigt aber, dass 
die Tettau sich zur Wehre setzten und hierbei Verzuunduf^en, 
vielleicht Tddtungen v.^riibten. Tn der Unterschrift ist als 
Gegenstand des Gutachtens cansa Ictiis Corneliae de sicariis 
et legis Aquiliae bezcichmt; die Beschuldigung muss also min- 
destens auf Versuch der Tödtung gerichtet gcweseit sein. 

Das umfangreiche Gutachten ^ in 9sj Mummem eingethcilt^ 
im Druck acht Diatier in foliu^ beschäftigt sich neben einer 

5» 



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— 6S 



lii}ih'itu)!i^ ^ zcrh/ir 7'on diu Erfonfmiissru des IJntcrsucliuiii^s- 
vcrjalinns und Stiniiu Wihaltitis zum .liiklai^iproccss handelt^ 
prhic, bis nr 19, mit der frage der NotJtwehr und gelangt 
Sil dem Ergebnis dass die Angeklagten freigesprochen werden 
müssen. 

Dabei folgt die FacultHt ganz dtii römischen Oue/len loid 
der von den itaHenisclh u ScJiriJtstellern des Mittelalters ent- 
wickelten Lehre^ bezüglich welcher auf die Darstellung in meinen 
Abhandlungen Band L 5. SüQ — 422 verwiesen werden mag. 

Die P. G. 0. ist nicht envähnt. Mit ihrem Inhalte stimmt 
die Ausführung iiberein; so nameutlu Ji Nr 90 , 91 mit dem 
in Art, 140 genannten negativen Erfordernis der ßJothwehr 
*und der benöttigt kan fOglich on ferlichkeyt oder Verletzung 
. . , ehr und guten leumuts nichts entweichend^ die Sätse Uber 
den Ju ieeis der Xothzeehr in A'r /.V^.s/ ;;/// di jji Artikel 14 
in leelchcm das KeicJisgesetz ^ leie an so vielen Orten ^ durch 
. die Verweisung auf den Rath der Rechtsverständigen der Ein- 
führung des gelehrten Apparates den Weg selbst bereitet hatte, 
S, oben S. S4, 3o. 

Deutsihe Ge2c'oh//h( it isl nur in einem l^unkt und eben liier 
auf eine keineswegs unanfechtbare Weise in Bezug genommen: 
nämlich bei der mir eventuell erörtertat Frage^ ob die Be^ 
sclmldigten verpflichtet gewesen seien sich dem drohenden An- 
griffe etwa durch längeres Venueilen in ihrer Herberge ^ durch 
Wahl eines anderen ]l\ges u. s. w. zu entziehen oder ob sie 
nach den Gesetzen der ritterlichen Ehre befugt getvesen wären 
den angebotenen Kampf ansunehtnen wul gu diesem Zweck Utren 
Feinden entgegen sn gehen. Ober die hier in Betracht gC" 
zoirene Sitte des deutSiheu Adels hatte ein umständlicher Bc- 
wciseinzug durch Zeugen oder vielmehr Sachverständige Statt 
gefunden, ivoraus das Gutachten Folge tuics mittlieilt: 

Joseph von Reitsenstein und Eberhard Roder sagten aus, 
sie haben immer gesehen dass wer auf eitte Herausforderung 



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- 69 - 

nic/U erscheine für ehrlos gelte uiid nicht unter den Rittern 
oder Vasallen geduldet wsrde, DasselÖJ bezeugten Ernst wki 
Erasmus von BeubvifSy Eberhard Dorff cl^ Nickel Rttdern, Georg 

i'on I Iirui (VI s^i^ }■]■(• n , ll.iiitz Rodcrtt^ Hans Ju-trii, l-.lnrJiard 
von Fcilitsch^ Hans lidclsack ^ besonders aber Hans von Neun- 
dorff. Es seif gab der Letztere an^ unter den Rittern immer 
so geltalten worden ^ und er glatte daher ^ ein solcher nicht 
Erscheinender werde ehrlos^ so dass kein Ehrenhafter mit ihm 
ciutii lisch tJicilcn tnochfe; er scibsf tivV/A-, ti'/v/// er cimn 
solchen in der eigeiwn Schlachtlinie xc/üsste, nicht hei ihm 
halten (stationem mm ipso observare nolle)^ auch habe er in 
Friesland gesehen wie Jemand auf diesen Vorwurf hin von 
Sti/icii ciifcncn Genossen mitten aus der Sehiaeht/inie vertrieben 
worden sei und habe aus dem Feld ent reiten müssen. Hans 
Edelsack gab als seine eigene und aller Julelleute Meifutfig an^ 
es sei eben als unehrlich im Feldt fliehen als nicht gefolgt 
haben; Ostvald von Dobeneck, ein sehr alfer Herr: 7ver einer 
Hcrausfordernm^ nicht fol^i^e oder im Felde ßirhe, 'iOerde ehenso' 
angesehen wie ein Vasall ^ der in der Schlacht nicht :va<^e bei 
seinem Herrn Stand zu halten; Kaspar Rab: wjr, mit Bedrohung 
auf Ehr und Herkommen herausgefordert^ nicht erscheine^ werde 
als ehrlos angesehen und vom Tisch und Gelat^e ehrenhafter 
Männer ansj^eschlossen, und zum /eichen dieser Kntchrun<^ pflege 
man das TiscJituch auf der Seite und in der Breite seines Plalses 
durchzuschneiden ; Jobst von Zetwits: er habe es so von friiltester 
Jugend an wahrgenommen und an sich selbst erfahren^ da er mehr 
als einmal sich genoth igt gesehen habe an/ eine J [erausfordernng 
zu erscheinen. Jenes Durchschneiden des Tischtuches loerde^fügt 
die Facultät bei^ von Rudolf Agricola in seinem Schreiben (xnel- 
mehr in seiner Paraphrase des Schreibens t^on A, de Lalaing) *') 
über die Zusammenkunft Kaiser Friedrichs des Dritten mit Hersog 
Karl dem Kiiluien von Burgund ' 1 'Fi '■> o!s dentsi lier l>rauch er- 
wäJtnt^ weicher besonders starke Entehrung bezeichne» Schade 



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— 70 — 

dass den Tubinger Gelehrten die ErzälUmig von Eberhard dem 
Greincr^ dem ylhn ihres /ferstfgs, »ichi gegenwärtig' war. 

Offi iihar x'r^it das Cutachten in der yimueftdung , welche 
CS von dicsi H Ausiia;^cn inacJit^ zu weit. Denn es liandelte sie/i 
ja hier nicht um die Herausforderung zu einem geregelten 
Kampf Cy wie er als de$n Brauche des Ritterstandes entspreclicnd 
von Kaisern und iMftdcsherrcn gestattet sn werden pflegte und 
selbst in der Reieksgesetsgrhnng anerkannt war, sondern ttm 
ein nSc/i/a/ien und Rumorenv^^ das nur etiea durch den Sc/tiinnier 
ritkrUcher Riistungcn sich von einer gewöhnliclicn Schlägerei 
äusserlich unterscJwiden. mochte. Die Ausartung aber^ bis zu 
welcher die Rittersc/taft ebett in jener Zeit den Begriffe die 
Pflichten und die Ansprüche ihrer Standcschre getrieben hatte^ 
7var in der itcsetzgcbung und RccIUspJicgc niemals aner- 
kannt 

Bei dem eventuell in Betracht gesogenen Hntscheidungsgrunde 
hätte es sich alsa /////• um die Beantivortu9tg der bis auf die 

Gegcjiiearl nii/it ganz ausgetragenen I rage handeln können oh 
und inivieweit ein rechtsividrig Bedrohter verpflichtet sei der 
Ausfülirung der Drohung auszuweichen^ oder ob er unbeschränkt 
das Recht habe es auf ihre Verwirklichung ankommen sn lassen, 
der Möglichkeit des gedrohten Angriffes su trotzen, 

Fjitsehi ideud aber war die lieant^cortung dieser I-'rage nieht^ 
da nach dein von der J-aeuItät angcnoinuienen Sachverhalte die 
Beschuldigten Alles gethan hatten um den Atigr^ su vermeiden. 

I )as dritte consi/iuni eriniinale Sichardts hehande/i aus Afi- 
lass eines vor dem Rathc von Strasshurg anhängigen Erbschaf is- 
processes die Frage ob der Beischlaf eines Eliemannes mit elfter 
umcrheiratheten Frauensperson Ehebruch sei und fo^eiveise 
als coitus dampMttis ErbunfdJiigkeit der durch ihn erseitgten 
Kinder begrimde. Beides ivar von der einen Partei auf Grund 



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— 71 - 

des mnUclten RecMcs bestritten worden; Stchardt erklärt sieh 
aber gemäss dem kattonischen Rechte, der allgefueinen detitschen 

Gru'o/nt/irit und dnu S/i-irsshittxrr SfcTdliw litt- für die In jaliung. 
Als coitus dixmnatus hczcichnct er hierbei unter Berufung auf 
Citms und Angelus Aretimts jeden geschlechtlichen ümgang^welclier 
nach einem bürgerlichen oder weltlichen Gesetze durch Straf- 
klage Zf erfolgt und bestraft iv.i'deu könne ; insbesondere soll hiezn 
die Strafbarkeit nach Stadtreeht genügen, da ein solches für 
das Stadtgebiet gleiche Geltung habe wie die im corpus iuris 
eftthaltenen Gesetze für den Bereich des gemeinen Rechtes. Die 
P. G. 0. (Art, 120 Satz :i) ist nicht erwähnt; s. oben S. 34. 



Das letzte, elfte consilium criminale Sichardts betrifft die 
Anwendung einer eigenthümlichen Finanzstrafe, welche in der 

u'iirtteuibergiselien Landstadt ] Winsberg und einigen anderen 
Städten derselben Gegend bestand. Die Bürger von Weinsberg 
waren nach einem alten Herkommen verpflichtet auf eine von 
Zeit SU Zeit, gewöhnlich vor oder kurz nach Weihnachten, er- 
gehende Aufforderung den Werth ihres gesammten Vermögens 
zu)n /wecke der J>estenerung eidlich anzugeben. Über die 
Richtigkeit dieser Fassion stellte der Rath unter Zuziehung von 
vier Männern aus der Gemeinde eine Untersuchung an, und 
Diejenigen, welche nach dem hierauf ergehenden Beschluss ihr 

\'er mögen zu niedrig einge schäl zt hatten, konnten ausgelöst, d.h. 
dazu geza'ungen werden ihr ganzes l er mögen für den von 
ihnen selbst in der Fassion bezeicltfieten Betrag der Stadtge- 
meinde zu überlassen^'*). 

Im yahre 1543 nun hatte der Rath gegen einen Mann 
Xamens Melchior eine solche Auslosung verfügt; Dieser hatte 
einen von seiner lihefrau in seiner Abwesenheit geschlossenen 

Vertrag Ober die WiedereittHosung seiner Güter (reluitio) um 
sechszig Gulden genehmigt, sich eidlich sur Erfüllung desselben 



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— 72 — 



verpflichtet^ eine schriftliche Schuldurkunde darüber ausgestellt^ 
in eigener Person und durch Andere eine Verlängerung der 

ZahlungsfnstiU meirkt und Aminrs dergleichen gethan. Nr 33. 
GJeicJiwohl entstand über die Gültigkeit der Auslösnng ein 
Rechtsstreit. Als derselbe in der sweiten Instam schwebte^ im 
Dccember loiß, erstattete Sichardt, wie aus Nr, 30 imd der 
Unterschrift hervorgeht^ dem Rathe sein Gutachten, Er gelangt 
in demselben z:( dem /irgebn/s , dtiss Jene Maassregel gegen 
Melchior nicht als gültig angesehen werden könne. Nr oO- .'J^l. 
Zii'ar nimmt er an, dass das unvordenkliche Alter des Gc" 
brauches durch die erwähnte Zeugeitaussage dargethan sei, Nr 3, 
Dagegen betraehtet er denselben als dadurch aufgehoben^ dass 
dem Hath und der Gemeinde von Weinsberg zur Zeit des 
grossen JhtneriikrirgcSf in welchem dort die Aufstand i selten an 
dem Grafen Ludwig von Hclfenstein und anderen Edelleuten 
den bekannten gransamen Mord tterübt hatten j fl5JS5) alle 
stätltischen rrivilegien , Statute, Geieohnheiten und 1' reilleiten 
entxoi^en worden zcaren ^ '). Eine Wiederherstellung dieser Rechte^ 
fügt er beif sei nicht beiviesen^ namentlich nicht etwa dadurch 
dass Hersog Virich bei seiner Wiederkehr in das Land^ 1534^ 
dem Rathe dieserhalb zu Neckarsulm elfte Vertröstung gemacht, 
noch dadurch, dass er der Genieinde die ihr abgesprochen ge- 
zeesrnen Thorflügel der Stadtthore leieder aufzurichten gestattet 
habe. Vielmehr folge das Gegentheil daraus^ dass seit jener 
Zeit ein herzoglicher Beamter su Weimberg jährlich viele Ein' 
künfte bezogen habe, 7velche vor dem Battemkrieg unbestrittener 
Maasseu zum Sta itvermogen gehört hat>rii. Sodann bezeugen 
die iUirigen landi slu rrUehen Beamten von Weinsberg bestimmt, 
dass es dem Rathe nicht gestattet worden sei, Befreiung von 
der Ij^ibcigenschaft zu getviUiren, von Wegziehatden Nach- 
steuer zu erheben oder auf solche zu verzichtcHy während vor 
dem luiuernkriege die lirtheilung dieser Befreiungen an die 
Ausgelosten üblich gewesen sei 



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— 73 



Würden auch jene Privilegien xväkrend des atüiängigen 
Pracesses wieder hergestellt^ so wäre Diss ohne Einflnss^ weil 

rrii'ilt i^ii u j^/r/i /i sf^ccicllcn GiSctzcii bi iirt heilt iccnii n inussi n^ 
Kill. .7 J)ist. o, 

und desslialb nach const, 7 C» de legibus keine rückwirkende 
Kraft haben. Nr 10, 11, 

Wi tin aber auch die Wiedcrhi rstcUiiny^ aller Privilegien 
als geschehen aii:juii< huieii 7\.'äre, so wäre die gegen Melchior 
getroffene Maassregel demioch ungültig, weil sie ohne die er- 
forderliche Zusiehung der vier Männer aus dem Volke von 
Rathsherren allein vorgenommen worden war. Denn jene Wie- 
derhersU llung konnte nur so verstanden werdeti dass der Rath 
die Privilegien und Gexvohnheiten in der Beschaffenheit und 
näheren Bestimmtheit wieder erlangt habe wie sie vor dem 
Bauernkriege bestatiden hatten. Hiemach müsse die Regel, 
dass Nichtbcobachtnng der gehörigen rechtlichen Form Un- 
gültigkeit der Handlungen bewirke, zur Attwemiung kommen. 

Überdiss, fügt Sichardt bei, treffe die weitere, von Bar- 
tolus und Anderen aufgestellte Regel zu, dass Vorschriften, 
' deren Verletzung grosse Nachtheile brächte^ als wesentlich be- 
tracJitet leerden n/nssen ; denn wenn die Auslosung von den 
Rathsherren allein o/iiw jene \'er treter der Bürgerschaft ver- 
hängt loürde, so entstünde der schädliche Erfolg dass jene 
Maassregel auf Mitglieder des Rathes nur selten angewendet 
werden würde^ wie Diss nicht wenige Zeugen deutlich zu ver- 
stehen gehe)!. 

Dasselbe wie hiernach von den auf Gesetz oder Statut bC" 
ruhenden Formen gelte von gewohnlieitsrechtlichen. 

Das Obige müsse um so gewisser gellen^ weil es sich in 
dem gegebenen /'all um Bestrafung handle. Denn in Straf- 
sachen haben Formfehler so grosse Bedeutung dass man nur 
nacJi Erfüllung der Formen von Jemand sagen könne er sei 
der Strafe verfallen., 



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— 74 — 



Zu allem Diesem komme fUfch ätc Rrgel der l, 10 D, de 
7. XLIX, Ii — /lier oAfte Bedenketi auf den vertHogenS' 
rechtlichen Anspruch einer Gemeinde bezogen. 

Dil' /.ustimmung des iH Schiildigtcii xu diin l 't-rtmi^ Uber 
die Wiedereitdösung und seine nachgefolgten Handlungen können 
dem Verlangen des Rathes nicht su statten kotntnen. Denn auf 
solche Reihtsbestivnnnngen, welche um der öffentlichen Wohl- 
fahrt zvillen getroffen seieii^ könne der Eiu:^el)ic nacJi /. :is Jl. 
de pactisy IL ii, cap, X, de foro compet^y IL 2^ weder still- 
schweigaid noch ausdrücklich verzicfiteiu Sodann sei der Ver- 
sieht auf die wesentliche gesetzliche Form einer Handlung 
gleich falls uiniHrksam. 



Der Vollständigkeit wegen mag noch an die Thätigkeit 
Sichardts für die Herzoge Ulrich und Christoph von Württem- 

Ih ig in i/ir( ifi Process i'-ece/i hCz/ii'' l^rdiuaiui erinnert leerden 
da die Klage des Königs auf lkschiddigung des Majestä tsver' 
brechens und der Felonie gegrtindet war. S, Matidry^ Johannes 
Sichardt Anmerk. 83--li4, Utder den im königlichen Archive 
Stuttgart beßudliclieii Actenstiicken^ welche sich auf diesen 
JVocess beziehen^ ist ein ohiu: '/leeifel von Sichardt verfasstes 
gutachtliches Schreiben vom o, Oktober JöHO^ worin die Juristen- 
factUtät dem Herzog auf seinen Wunsch ihre Ansicht über den 
gesammten Stoff dieses Processes au ss/^ rieht uftd die rechtzeitige 
J ertignng eines ausfidirliehen (rutoi Iltens mit leeiterer Kec/its- 
ausführum;, auch gebiihrlieheu eonfinnationes und refutatioties 
zusagt. Dieses grössere Gutachten^ dessen Abfassung die Fa- 
cultät Sichardt aufgetragen hatte^ scheint nicht vollendet worden 
zu sein, da weder in den Hafidschriften der Tubinger Biblio- 
thek noch iu dem Archiv' zu Stntti^art die Spur eines solchen 
ActenstUckes aufziifiiuien war^ und eine alle Aufzeichnung des 



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- 75 — 



Stuttgarlcr Arcliivs die Xuinnicr des Schreibens voui .7. Octohcr 
lüiiO ah die des Tübinger Consilium in dieser 6ac/u' bcscictmct, 
Diss erklärt sich daraus^ dass Herzog Ulrich am 6 N<nfcmbcr 
ioftO starb und sein Nachfol^^fv, Hersog Chris top /ly die Sistir- 
itfii^ di S rroi'i ssc s und die /iiiili ifmij^ von W-ri^Icii hsiu r/idfid- 
liuigrn i fwirktc. Das envähtUe i^iitin/itlii fu- Sc/iiribi ii enthält 
abgesehen von einer Bemerkung über das Jirfordemis des Dolus 
bei der Felonie keine strafrechtlichen Ausführungen, 



V. 

Das Verhältnis der unter IV, besprochenen Gutachten zu 
den Rechtsquelleti und der loissenschaftlichen Litterntnr ist im 

AI li^eni eilten bereits inil den oben S. — .76' geniaiJiten Be- 
merkungen bezeieliui /. 

Dem römischen und kanonischen Rechte gegenüber bemüht 
sich Sicltardt an den meisten Stellen auf die Gesetse selbst 
suriickzni^ehen. Seine Quelle neitnte leiden aber hiiiifii:^ an den- 
selben Mängeln 7vie die der J^oslglosstitoren ; n'vnenflielt ist es 
nielit ganz selten^ dass die von ihm angefüJirten Stellen keine 
sachliche Beziehung auf den Satz welchen er mit ihnen dar- 
tlum will sondern nur etwa ein Wort mit ihm gemein haben. 

So begritmlet er mit l. 'l D. de I. et /., /. 7, /. pr. ad 
leg. Aqnil., IX. 2^ die ReclitnUissigkeit einer in Notliwehr gC' 
schehenen Handlung, 

consiL crim. S, Faatltätsgutachten, nr 78, 88, 
aber mit der ersteren Stelle und l 1 ^ 27 D. de vi et de vi 
armata^ Xl.IU. Ui^ auch die Xotkicendigkeit der Vertlieidigung 
im Straf processy 

consil, crim, 10 nr 63, 



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1 



- 76 - 



Die Ausfiihniir^ Uber die Hcfttgnis zur Untersuchung twi 
Amts wegen beginnt in consil. crim* 7 von ItiiiO nr 2^ S mit einer 

/u\;rnn(fi/ffg aus dem römischen Rechte^ 'nämlich mit der Be- 
rn fniiL^- (Ulf dfii itt l. jI <^ 2 D. IX. ,V freilich in ganz iDuli rcr 
Amvcudiing ausi^csproclwncn Satz^ dass Straflosigkeit der Missc- 
t/iaten verhütet werden müsse^ wid auf die Vorschriften über 
die Amtspflicht der Obrigkeit in /. 13 pr. D. de off, pracs^ L 18: 

it/fn ftt AFagistrahis pro sno interesse fiossit illutn detin- 
ijucntcin ii>n:\-nii\- l rinunaliter^ nc ma/ifu ia rcmaiuant impu- 
nita et purgeiitiir proviiu iae malis ttominibus ...,/. Ita vul- 
neratus in fin, priiu»* (in unseren Ausgaben ^2) *ct L Congruit 
in princ, D. de off. praes.n 

Das consil iiini criniinalc 7, icrlc/ics für die l 'aculliit aus- 
gearbeitet wtir^ erörtert die Reehtmiissigkeit einer Vnt<'rsuchung 
von Amts wegen suniichst von eben diesem Standpunkt, indem 
gegen das aus l. 6 ^ 2 D, de mnncr^ L, 4, abgeleitete Be- 
denken f dass ohne Ankläger Niemand 7vegen elftes Verbrechern 
verfolgt oder mit Strafe belegt zverden diirf\ die angeführte 
L 13 pr., sodann Xov. J^6' ^ ^i, ferner die specielle Bestim- 
mung über Untersuchung der Tergixfersation, cotist, 2 C, de 
abolit., i2y und eine Stelle des Codex- Titels de custodia 
rcorum, fX, gellend gemacht wird: 

». ... an Senatns f.angingensis , iure Magist ratns seu 
superioris, potucrit dictum Hinikouerum captivare, et de eo 

criminalem quaestioncm habere quem nemo acaisavit, 

El ... . tametsi forsan praeteudi posset, adverstis praedictitm 
Riuni non licuisse vobis ali<fiiid tentaie, qiiia sine acciisatore 

non procedat criminis cognitio vel poaiac impositio 

utpote quem nemo accusat»erit, Eo tarnen non attento, Ma- 
gistratus iMugingensis nostro quidem ittdicio in hoc nihil pcr- 
perain fecit. Est enim officii cniuslibet Magistratus diligenter 

dispicere, ui iiialitiosis hominibns purgetur provincia 

Et hodic de iure Civil i iudices potcstalem habcnt^ de 



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— 77 — 



quolibct maleficio cogttosccttdi ex suo officio per tptquisitio- 
nem ...... 

Ans dt i)i Titi l de custodia rconon isl in dem Alninnkc 
1. 2 wr^i'fidirt; oJinc Zweifel hatte aber der W rfasser statt 
dieser nicht zur Sache gehörigen Stelle vielmehr die const. 1 
desselben Titels im Attge. Die zuvor genannte Nov. 138 cap. 21 
ist noch von Geib, Geschichte des römischen Criminalprocesscs 
Seite f. zu Anmerkung öd auf eine Ausdehnung des Ein- 
schreitens von Amts wegen gedeutet worden^ wälircnd sie in 
Wirklichkeit den höheren Beamteft eigenes Handeln in den 
ihnen obliegenden Untersuchtingsi^eschäften im Gegensatze zu 
deren Abi^abe an niedrii^ere l>edienstete vorschreibt venrl. Bin- 
ding^ de natura inqutsitionis Processus crimiiialis Romanorum 
Seite 33), 

Freilich folgt in den beiden genannten Consilien der ent" 

scheidende Grund, die Berufung auf die italienische Doctrin 
und Prcixis nach: in consil. er im. 1 Nr 3 mit kurzer Anjiihr- 
ung des von Gandinus, tractatus de maleficiis^ Tit, de inquu 
sitione bezeugten Gerichtsgebrauches, in cons. crim, 7 Nr 27 — 4:3 
mit weitläufiger Angabe der Auctoritäten und Gründe für und 
loider. 

Aitch in dem Gutachten über einen Ball der XotJiivchr^ 
consil, crim. 6, ist, wie oben bemerkt, der Stoff der Ausführung 
wesentlich der italienischen Rechtslehre entnommen, wobei aber 

Sichardt und mit ihm die Facultät in der Beweisfrage gegen 
einen unrichtigen Satz des Inirtolus ihre eigene Kechtsansicht 
zur Geltung bringen und unter minderem aus den romischen Ge- 
setzen, mmentlich durch Auslegung der l, 45 % 4 D, ad leg. 
Aquil., IX. begründen. 

In consil. crim. i len-d die einschränkende Auslegung des 
kaiserlichen Brivi/egiumSf wodurch die Befugnis der städtischen 
Behörde zu strafrechtlicher Verfolgung naller und jeder Übel- 
thäter und Strassenräuber«, sowie ihrer Beherberger bestätigt 



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- 78 - 



worden war, damit begründet dass nach const. 1 C, de dw, 
rescr., I. Baldus, Innocentius IV. uftd Joannes Andrea 

Jiu'stliclic (lUadenheiciUii^ungcn^ Rrscripti- und Prii^ili-gicn i/irr 
Auslegung, Einschränkung und A/ts/ci^^nug je nach dein In/ialte 
der vorangegangenen Gesuche erhalten, was unter Beifügung 
von Citaten aus den Pandekten, Bartobts und Philipp Corheus 
weiter aiisi^i'fii/irt zuinl. Bei der Aiiz^^endiini^ dieser Rej^e/ auf 
den besonderen lall iiiaclit Sic/iardt i^eltend dass die Slrafgc- 
richtsbarkeit der anderen Reichsstädte auf die in dem gemeinen 
Rechte, nämlich const, 1 $ibi de crim, agi oporteat, IIL IS, wui 
Auth. Qua in provincia (Nov. 69 cap. 1) anerkannten Gerichts- 
stände der Ihxannenen That und der Betretuuer öese/iränkt sei. 
und hieraus zieht er den Schluss dass die in Rede stehende 
kaiserliclie Bewilligung Dem etUsprec/iettd ausgelegt werden 
müsse. Dieses Ergebnis, wird gesagt, stimme su Demjenigen 
was bei Vergleieheft, 

const. 31 C. de transact., [ \ i, Albericus de Rosciate ad h. l^ 
und bei Stipulationen <^elle. 

L 1^ 3 D. de V, ö., XLV. 1, 

Cintts, Bartolus, Angelus de Vbaldis, Paulus de Castro su 

const. C. de tninsaet., / /. 

Sodann könnten unter den Worten des Reseriptes keinen- 
falls die Person und das Gebiet Dessen welclier es ertheilt 
Jiabe, also des Kaisers selbst verstaptden und müssten dalier von 
der Verfol^uui:; Diejenigen ausgenommen werden welche sich 
in den eigenen (Stannn-) Landen des Kaisers befänden. Denn 
auch das / 'erspree/ie/i Jesu and gegen Mle, loer sie sein mdgcn% 
ZU vertheidigen, dürfe sicherlich nicht von Vertlieidigung gegen 
den Versprechenden selbst und seifw Angehörigen oder Leute 
verstanden werden. 

Wäre aber das Privileg in ni beziiglicJi des Ort es allgemein 
zu verstehen, so dürfte es doch na eh seinem Wortlaute nicht auf 
alle Übelthaten oder auf alle Übelthäter, sondern nur auf Stras- 



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~ 79 — 



scnräuber bcscgen werdot^ da die Copuia swischen Gattuf^ und 
Art eine Eifischräfikung der ersteren auf die letztere bedeute. 

Alle diese Sätze sind vtii Citaten aus den Pandekten und 
dein Code.\\ aus der Glossey Inirtolus und llaldus weiter aus- 
gesponnen. Das consilium schliesst mit dem Satze dass nach 
yason^ consil, 8 (Ausgabe von 1581 consii, 184) in einem Pri- 
vilegium nicht zwei specialia zusammentreffen können^ was hier 
(bei streng ivörtlicher Ausiei^inig der Fall leiire. 

Der zweite 'Jlieil dieser Ausführung ist^ wie man sieht, 
in seiner weit ausholenden Herbeiziehung nicht zutreffender Ana- 
logicen und in ihrer Aufputzung mit unfruchtbarer Gelehrsam- 
keit durchaus von der scholastischen Methode beherrscht. Die 
vorangesteilteHf unmittelbar zutreffenden Gründe hätten für sich 
allein genügt. 

Die seltsamste Vennischung richtiger und verfehlter Be- 
gründung enthält das cons. crim. 11 von 1546. Die Vngül- 

ligkeit des /iesehlusses^ leodiircli der Rath des Städtchens llei/is- 
berg die . luslosung verhängt hatte ^ zvird hier, wie oben eneahnl 
ist, unter Anderem darauf gestützt dass dieser Beschluss ohne die 
nach Herkommen erforderliche Zuziehung von Vertretern der 
Bürgerschaft gefasst worden sei. Hiernach , fährt der Verfasser 
fort, greife die Regel Platz dass Aicht-beobachtung der gehöri- 
gen rechtlicJien Form^ möge sie absiclUlich oder aus Irrthum 
gescltehen^ nwge die ganze Form oder ein Theil derselben ver- 
säutnt seiUf die Handlung ungnllig mache^ weil die Form der 
Saehe Wesen und l'ollenduiig gebe. Diss belegt der l'eifassei' 
mit cap. X. de off. et pot. iud. deleg.^ J. :^!\ mit civilistischen 
und kanonistischen Auctorittiten, aber auch seltsamer H eise mit 

l 9 $ 3 D.ad exhib. X 4, 

l. 6 D. de auro arg., XXXIV 2, 

can. 1 dist. 1 de consecr., 

l. HO l D. ad leg. lalcid., XXX l\ 2, 

can. 26 dist. 2 de consecr.. 



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— 80 — 



i^'ä/tirnd ditsi' Shilcu ttur zwi der Form körperlicher Sachen 
/lattdeln. Der als cottwiunis opiuio bexeichnetm AiisiclU des 
BeUdtis und Anderer^ dass zu jener Wirkung der Gesets- 
oder Sfi7ft(femc'idnj^l'eii ausdrückliche Androhung der Nichtig- 
keit im Gesetz oder Statut erfordert werde, stellt Sichardt 
mit Felinus Sandeus, Petrus de Atuharano und Franc iscus 
AccoUns •Aretinus* den Satz gegenüber dass Bestimmungen, 
welche ßir jfeiaisse Handlungen in Statuten oder Rechtsgeschäften 
uiit Ahieeii Innig vom i^euiciihn KeeJite i^rtriijjeii seien, zur 
ivescntlicJien I-orm geziihil leerden miissen. Die Gleic/islellung 
der gewohnJieiisrechtlichen Fornun mit den gesetsliclien in 
Bezug auf die Wirkung ihrer Verabsäumung wird, wieder 
nach dem blossen Wortlaufey mit l. H4 D. ad municip.^ L. 1, 
1. 't 7 D. de adm. et perie., XXX'I. /, und j^ar mit cap. 7 X, 
de ürl}itrisy I. i.V, can. <S.V dist, 4 de conseer. begriuuivt. 

Diese Beispiele zeigen wie m'ben richtigen Citaten solche 
Itcrgehcn welche nur einen lioclist oberflächlichen Sc/iein quellen* 
massiger Begründung zu geben vermochten. Gleichwohl ist bei 
einem Manne von Sie/urrdts Geist und Geieissen/iaftigkeit nicht 
anzunehmen dnss er idtsie/i flieh sich mit diesem Sehei/ie Ingnii^t 
oder der schlechten Methode der späteren Juristischen Schola- 
stiker anbequemt habe. Viel notier liegt die Vermuthun^ dass 
er als viel beschäftigter Geschäftsmann im Drange der Arbeit 
manche Begrüiuiung nebst den Belegstellen aus ColU ctanecn oder 
Repcrtorien, wie sie den damaligen Werken beigegeben su wer- 
den pflegten, ettttwmiuen Jiäben mag, ohne fiir den^ gerade xwr" 
liegendefi Zweck den wirklichen hduilt der citirten Stelle zu 
prüfen. So mag sich das oben eriealinte sinnieidrige Spiel mit 
dem Worte forma in consil. crim. 11 aus der Benützung 
eines Repertorium zu Baldus oder su dem corpus iuris ghssatum 
erklären. In der Lyoner Folio-Ausgabe des letsteren van 1586 
findet sich zu l. 9 D. ad exhib.^ X. i, vor B als Amnerkung 
des Jialdus und hieraus in dem index materiarum Digesti ve- 



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^ - 8i - 

tii is das Sätschen an^^eführt, i^u'lchrs Sicharth in Nr t? jenes 
Consilium verwendet, forma est quae dat esse rci, und dieselbe 
Ausgabe cüirt in dem index materiarum Digesti infortiaü m 
dem Satze fortnam quod non habet non dici factum L SO % t 
D. ad leg. I'ain'd., XXX \\ ;,\ Ehen diese Ausgabe gieht den 
SafCy ivelchen Sickardt in seittcvt consiL crim. ^0 nr. GS 
auf die strafprocessualische VertheidigUfig anwendet defensio 
est de iure natural! in dem index materiantm Digesti veteris 
mit Bezugnahme auf l. 4 D. ad leg. Aquil.^ wosu in der Glosse 
unter Anderem l. S D. de 1. et I. angeführt ist. 

Indessen zeigen sich diese nicht ztUreffetiden Citate^ wie 
die da und dort vorkommende Häufung voti Auctoritäten, als 
eine unschädliche Form, welche das Urtheil des Verfassers ««- 
getridH Hess und in keiner Heise nachtheiligcn Einßuss auf die 
Entscheidung selbst ausübte. 

Welch* untergeordneten Werth die wissenschaftlichen Juri- 
sten der datnaligen Zeit auf das Beiwerk ihrer Arbeiten legten^ 
zeigt die Äusserung Gremps in dem unten Seite 80, 87 anzuführen'' 
den Gutachlen für den TrueJisessen von Waldburg: er luisse dem 
von Dr jfohann Rudolf Jütinger verfassten Bedenken in der Sub- 
stanz nichts Sonderliches zu addiren — ausser dass es mit alU" 
^ationibus iuris und etlich wenig responsionibus ad quaedam^ 
guae obiiei posse videu/nr, lee/ehes doch bei l 'erstand ij^en i'iel- 
leicht für ein vberßuss geachtcty confirmirt und gemehrt werden 
inöchte, VergL oben S, 31. 

Die italienischen Schriftsteller aus der Zeit nach den Glos- 
satoren sind in den sickardtischen Consilien mit guter Auswahl 
benü/-:/: loiter den C onnnoitatoren des corpus iuris civilis vor- 
zugsweise BartoluSy dessen Werke nach Form und InJuUt einem 
humanistisch gebildeten Rechtsgelehrten des secliscehnten Jahr* 
hundertes noch am Eltesten zusagen konnten^ und mindestens 
ebenso häufg Baldus, sodann seitoter Cinus und Aui^elus de 
Ubald iSf bisweilen der selbststämiig denkende JÜbericus de Ros- 
8. 6 



I 

I 



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ciaU^ Bartholomäus de Salketo und Andere; unter den Crimi" 
nalpraktikem der alte Meister Albertus de Gandino, sodann 

jhiL^rlits ArctinuSj Augustinus Ariinininsis und in'S(>utiiTs häufig 
liippolytus de Marsiliis^ der letztere wohl mehr mit Rücksicht 
auf die zeiüiche Neuheit als auf den Inhalt seiner Leistungen, 
Die Bearbeiter des kirchlichen Rechtes sind häufig in ihrer 
Gcsammthcit^ als canonistac augcfiiJirt; doch sind besonders 
DurantiSf loannes Andrea^ den Sichardt Andrelimis tunnt^ 
Innocentius IV. wul wieder Baldus^ sodann auch Henricus de 
Segusio (•Bbstiensis*) und Andere an vielen Stellen namentlich 
erwähnt. Sehr viele Citate beziehen sich auf Consilien italie- 
tu scher Juristen: Baldus^ Paulus de Castro u. s. w. bis au/ 
Jason uiid Hippolytus de Marsiliis herab. 

An einer Stelle, consil, crim. 7 nr, 30y ist auf die Ansicht 
der Glosse besonders grosses Gewicht gelegt, indem Sichardt 
dem Satee des Augustinus Arimmensis beipfliclitet dass man 
von dieser Auctorität nicht leicht abieeichen dürfe. 

». . . . sequetuio sent enttarn glossae iuris civilis a quibus 
non est facHe recedendum, per multa quae culducit ad hoc 
August, de Arim « 

Diese Worte erinnern an den oben S. 17 angeführten Satz 
Prennin^ers. Ganz wie der Letztere sagt noch Hang in einem 
Referate zu dem Lattdrechtstitcl IL 5: »propter authoritatem 
glossae (cui in dubio adhaerendum tanquam carrotio VeritatiSf 
ut inquit Baldus in L fiti, % necessitate Nro, 9 C, de bonis 
qiiae liberis^ . . . .« 

Die Schreibart Sichardts ist des hervorragenden llumani' 
sten würdig: durclums klar^ wohl abgerundet wul den Gegen- 
ständen abgemessen. Da und dort 'zeigt er gemäss der Sitte 
der Zeit Vorliebe für seltenere Ausdrücke und Wendungen, 
namentlich solche ivelche bei römischen Classikern vereinzelt oder 
in der Dichtersprache vorkommen; s. B, y^dicam impingere ca- 
lumniatoribus* und •ejcamussim cognovisse* in consil. crim. 9 



nr 48f das r^operae pretium faccrc^i aus der Vorrede des Livins 
in comiL crim, 7 nr 46, •oßerae preHum criH in consiL crim, 6 
nr 18 f 9omnem lapidem movere^ in consil, crim, 7 Eingang. 

Wie hoch sciiw praktische TJiätigkeit von der Facultät 
selbst geschätzt zvurdc, zeigt ihr Urtheil in dem Vorworte zu 
der 3 Ausgabe seiner Vorlesungen über den Codex: admirabiUs 
in caussis decidendis et diiudicandis dexteritas ntagis magis- 
que inclaresccre coepit. fustitiam certe . . . , in omni deliheraiione 
vnice ob ocidos habuit .... /// ijualibet quoque caussa expedicnda^ 
protinus animadvertit acute , in quo potissimum Iis verteretur: 
nec mudtum in -eictionis genere inveniendo, etiamsi res intricata 
admodum ei perplexa videretur, laboravit, Atque in id Semper 
totis iucuhuit viribus: ut singitla ratioiinui uionienta acciirate 
ponderaraUur : ut omnes uudiquaqiie arcuaistantiae diiigenter 
examinarentur: ut, quod Legibus sancüum, quod consueiudine 
Msta receptum, quod aequitate st^ulium esset^ iudicaretur. Vergi» 
Mam/rj', Johannes Sichardt Anmerk. 31. 



YL 

Von der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts an icar unter 
dem Einpuss der oben, III,, bezeichneten Verkältnisse die 
praktische Thätigkeü der Juristenfaculmt in Strafsachen eine 
sehr ausgebreitete. Johannes Harpprecht sagt in der Gedacht" 
nisrede für Xiko/mis \ 'ui\]ibitLi\ der Vt't^ die W^rlesuugen itber 
den Codex übernahm, von dieser und der folgenden Zeit: ICrat 
tum, sicut etiamnum hodie per Dei iavorem: absit invidia, 
absit arrogantta verbts: Erat tum, inquam, Juridicae Facul- 
tatis Tubingcnsis tanta, ob cxccllentissimos Juris ibidem Ante- 
ccssorcs, pracscrtim practicos, in locis etiam cxteris celebritas, 
et fama per totam ferme Eurbpam longe lateque sparsa-; ut 

• • ♦ 

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— 84 — 



ad cani non tantum hoc c Ducatu, non tantum finitiniis e 
Trovinciis; sed varüs c Gcrmaniae partibus, aliisque regionibus 
et locis, omnlum ordinum hominesy non secus ac olim ad 
Theroidls in Boeotia templum,* aut altquod Germaniae ora- 
culum certatim, densim afBuerent; et causis in diüficillimis 
consilia flagitarcnt. 

■ 

Oratio de ortUy vitac cursu et obiiu Nicolai Faren- 

büieri die 20 Augusti anno 1604 . . . defuncii^ habita 

1 Nevemhr, eiusdem ami^ in Jok. Harppreckti oratimtes^ Tu- 

bittgae 1619, S. 6^1. 

Mit dieser in der Weise der Zeit und des Red/irrs aus- 
' malenden Beschreibung stimmen bezüglich der hier in Betracht 
kammenden wesentlichen Tliatsachen die sonstigen Nachrichten 
Uherein. Neben dem oben Aiii^cfiihrten mag erwähnt werden 
dass die Faciiltät in iincm iinti-n zu bcspriLhcndcn strafrecht' 
licJicn Gutachten vom 30 December lödO ^gelegentlich und ojjcnbar 
absichtslos bemerkt^ sie spreche sich über die Strafe , welche 
beim Vorhandensein mildemder Umstünde an die Stelle der 
Todesstrafe mu treten hahe^ in einem bestimmten Sinne beinahe 
täglich in ihren Consilien aus. 

Gleiclnvohl sind ^ so:>it'l bekannt^ aus der zweiten Hälfte 
des secJissehnten yakrhunderts nur wenige Tübinger Consilien 
über Strafrechtsfälle auf uns gekommen. Die im Besitze der 
Facultät befindliche snsammenltangende handschriftliche Samm- 
lunj^ ihrer Consilien bt[i^/nut erst uiit dem jähre IHO.-^ ; von 
eitlem Bande ^ welcJur friiliere enthalten zu haben scheißil , zcar 
in unseren Tagen nur nocJi die leere Decke vorJutnden. Ein 
öffentliches Ersuchen an die ^aatS' und Gemeindebelidrden um 
Mittheilung der etwa in ihren Registraturen oder Bibliotheken 
befindlichen strafrechtlichen Co)isHien aus dem sechszehnten 
Jahrhundert ist erfoli^los geblieben. So beschränkt sich der bis 
jetzt SU Gebote stehende Stoff aus der Zeit von 1551^—1600 auf 
das Folgende, 



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- 85 - 

Ein Cons iiitun Ludwig Gremps von Freud ctisUin vom 
16 yul, 1553 f sodann owei Consilicn der l'ocuUät^ das eine vom 
30 Decemher 1566^ das andere ohne Zeitangabe befinden sich 
in der Sammlung »Johannis Fickardi cmsilta^ Dartnstadii 

et Gisae, suntptihus Albert i Ottonis Fahrt, MDCLXXVIf.«^ in 
dem dritten Bande ^ welcher Gutachten noch anderer Juristen* 
mit enthält. Ein weiteres Guiachten Gremps ist in der von 
Besold herausgegebenen Sammlung nconsitiorum Ti^iftgensium 
Volumina VI., l'ubingae^ suniptibus JoJiann-Georgii Cottae, 
MDCLXlA*f im ersten Bande S, 176 ff. gedruckt. Zwei Vrtheile 
der Facultät in Strafsachen von 1590 und 1600, sodann Acten- 
stäche von 1563 über einen Auftrag Herzog Christophs sur 
Erstattung eines Gutachtens Uber die Strafbarkeit des Meineides 
befinden sich in dem königlichen Archive zu Stuttgart und sind 
dem Verfasser durch freundliche Vertnittlung des Herrn Archiv* 
rathes Dr von Stalin zugänglich geworden. 

Das Consilium Gremps von 1553 ^ in der fichardischen 
Sa^ninlung Batid III. cons. betrifft eine Tödtung in N'oth- 
wehr. Der Verfasser erklärt sich in erster Linie unter Be- 
ruf ung auf Bartokis^ Aibericus de Rosciate und andere Italiener^ 
sowie auf die Artikel 139, 140, 143 der P. G, 0. für Freisprechung, 
stellt aber^ da der Vertheidigimgsbeweis nicht volle Gewissheit 
ergebe, dem Ermessen des Gerichtes an/ieim dem . Ingeklagten 
den Reinigungseid aufzuerlegen. Demgemäss enthält das con- 
silium zweierlei Urtheilsformeln: 

Die erste ist unter ausdrücklicher Berufung auf P, O, 0. 
Art. so gefasst: 

Audita accusatione, quam N. fiscalis Illustrissimi Comitis 
ac Domini, Dn. Friderici, Comitis F. etc. adversus Johannem 
Rhumannum de Rinckenbach, coram hoc iudicio stantem» in- 
stituit, praesumtionibus quoquc pro reo pufjnantibus , item 
rcsponsionibus atcjuc tcstimoniis percci)tis, considcratis singulis 
facti circumstantiisi habito insuper consilio, omnibus secundum 



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— 86 - 

tenorem ordinationis Carolinae factis, metnoratus Rhumannus, 
tanquam reus, sententta definittva ab omni accusatione atque 

pocna über pronuiili.itur, (iu.ilibcl turnen parte certis de causis 
impeiisas |)ro rata fcrrc iussa. 

Für den Fall dass das GcriclU die AuferUgung des Eides 
als angemessen erachten würde ist die Formel eines öedifigten 
und die des pnrificirten Urtheiles bcigcßigt. 

Die crstt' lau Iii: 

In causa criminali Fiscalis lilustrissinii Comitis Friderici, 
Comitis F. etc. actoris, cx una, et Johannis Rhumanni de 
Rinckenbach, rci, ex altera parte, audita accusatione et respon* 
sionc, pcrccptis tcstibus, (iiÜLjcntcr examinatis singuHs circum- 
stantiis, habitoquc ca de re consilio, iudicatur, ut reus data 
fide praestitoque insupcr corporali iuramcnto asserat, rem 
omncm atque intcrfcctionem co modo accidisse, quo in rcspon- 
sionc dictum erat, scquc ncccssariam defensionem sustinuisse, 
quibus pracstitis, porro quod iustum est pronuntiabitur; 

die ziveitc: 

Praestitis Ulis, quae antecedcnte sententia requirebantur, 
porro iudicatur, Rhumannum, rcum, ab accusatione, quam , 

Fiscalis Illiistrissimi Comitis nostri ei intentaverat , liberum 
pronuntiandum esse, si( nt 1mc ipso liberum cum pronuntiamus, 
ita tarnen, ut, ccrtis de causis, impensas pro rata quaelibet 
pars sustineat 

Das andere Consilium Gremps von Frettdenstein ist ein 

Gutachten für ciiicii TntcJiscsscn von Waldburg über die Frage 
ob die Crimimlgerichtsbarkcit in den Städten Riedlingen^ Saud- 
gau, Mctigcn und Mmukrkingcn dein Truchscssen als ^Iiüiaber 
der Herrschaft^ oder den Stadtgetfteinden selbst zustehe. Der 
Verfasser entscheidet sich für die erstere Ansicht. In seinen 
(i runden sagt er unter Anderem: nach gemeinem, d. h. römischem 
Rechte stelle die Gerichtsbarkeit dem Obcrlierrn (dominus^ su- 
perior) m und dürfen wichtige und schwere Criminalsachen 



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- .87 - 



I 



nicht solchen Ricliterii wie dctien der genannten Städte, zunuU 
nicht niederen und ttngelchrten (pedaneis et Idiotis) überlassen 
werdefL Das Letstere bcmJte nur auf deutscher GewohnJieit^ 

und diese müsse als . Ihiceiihufi^ vom (^emeiiie)i Rechte der 
engsten yh/s/e^t/n^ uuteneorfen iverden^ zumal da es sich dabei 
um eine bedeutende Gefahr Jiandle. In letzterer HinsiciU rügt 
Grcmp an der Straf rechtspfiege jener Städte die überwiegende 
Häufi'^kett der Begnadii:;it)r^eit ^ die Verurtheilunc!; eines Ab' 
ivesenden ohne ordentlichen Process und die ] 'erhängung blosser 
Geldstrafen für schwere Verbrechen^ wie ( vorsätzliche) Tödtungen. 
^Darauss dannv, fältrt er fort^ '^auch erscheinet das nicht wenig 
gefährlich solchen Leuten die Cognition in Malefissacften ab' 
solute, und ohne zuthun des Obherrns zuzulassen, sondern dass 
derselb auch, ob talem tiegligentiani et iniperitiam, luol Vrsach 
habf sich dämm ansunefumen^ wie jhme die Rec/ite zugeben: 
dann auch der ander jhr Gebrauch^ ^ einen abwesenden also su 
condemnieren, de jtire aut ratione nicht mag verthädigt werden. 
Bossi. de requir. Rei. u. 1 in fin. Inild. in l. 1 C. de Adnlt. 
etc, licet de consuetudinc Galliac et ItalicLe controveriatur y sed 
ex statutis plerumqtte singularibus, ubi cotttumaces pro convictis 
habentur etc. quod aliud est^\ 

Die oben ericahuten Actenstiicke von IMVl stehen in Be- 
ziehung zn der Gesetzgebung Wrzog Christophs über IVilderei. 
Sie bestehen aus einem lierzoglichen Erlass an den Rath 
Dr Sechell vom 27 Februar mit dem BefeJU über drei Punkte 
das Gutachten der Facultät einsuholen, einer Auffordertmg des 
Herzogs an die Facultät zur Erstattung dieses (Gutachtens vom 
1 Merz und eiuein eiiizelueu lUattr, loelches Heeder Datum und 
Unterschrift hat utui seittem Iniialte nach sich als Bruchstück 
einer rechtlichen Ausfiihrung darstellt. Ans dem letzteren Schrift- 
stücke lässt sich der Schluss zieJieu dass eine d, r Fragen, 
worüber die Facultät sich äussern sollte, die Bestrafung des 
Meineides und zwar walirscheinlich die Abfassung eines Landes^ 



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88 — 



gesetzes über denselben betraf. _ Als Anktss su der SteUung 
dieser Frage ergieht sich aus dem Actcnstücke selbst die Wei- 
gemng der Gerichte einen herzoglichen Befehl^ wonach saklufi^s- 

iinfäJiigc Wilderer r.uui eidlichi ii W rsprechcn sich der Wilderet 
künftig zu enthalten ^ gc not Ii igt und Verletzung dieser Zusage 
als Meifteid gestraft werden sollte^ in ihretn zweiten Theil auf 
rilckfällige Wilderer anzuwenden. Diese Weigemng hatten die 
Gerichte damit begründet dass der Inhalt des Befehles der 
mit der Laiulseltaft getroffenen Vereiubaning ^ d. h. wohl dem 
Gesetze vom 15 April lööl (Rieckes Sammlutig der Gerichts- 
gesetze Tlt, L S. 81^83) zuwider sei — muthmaasslich dess- 
halb weil in diesem Gesetze nur fUr die eines ersten Rückfalles 
schuldigen W'lderer die Wrpßichtung zur Beschwörung der 
Urfehde ausgesprochen war. Das der Facultät aufgetragene 
Gutachten befindet sich nicht bei den Acten. Namentlich kamt 
das so eben erwähnte Schriftstück muh seiner ganzen Fassung 
nicht als Stück eines Factdtätsgtttachtens angesehen werden, Tn 
dem Gesetze vom Ui August liiGu fand die envähnic Schwierigkeit 
ihre Erledigung dadurch dass zur Auferlegung des Eides zwar 
mehrfaltige Verübu^g des Jagdfrevels^ aber nicht Rückfall 
erfordert wurde (Rieckes angeflihrtc Sammlung S. 166 f). 

Das consiliuni der Facuitat vom HO Deccmher ir>G6 betrifft 
eine bei dem Gerichte zu Ötingen (Öltingcn) anhängige Straf 
klage der Vögte und FisccUe zu Lauda^ Theobald und Georg E,E^ 
wegen bdsliclier Befehdung, Die Beschuldigten^ Valentin JEl, 
Martin M, und Philipp F. hatten sich zu Gewaltliandlungen 
wider einen der Straf kläger vereinigt (Nr / ), Valentin E. und 
Martin M. hatten mit nachfolgender Zustimmung Philipp Fj 
einen Felidebrief am Thore van Lauda angeheftet, und in Aus- 
führung der in demselben enthaltenen Drohung hatten die Be- 
schuldigten vier Pferde weggenommen, von welchen zwei jenem 
Straflc läger, die anderen dem Bürgermeister von Lauda gc- 
liörten, Nr 2 — Die Facultät erörtert ausfülirlich ob durch 



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89 - 



diese Handlungen nach Art. 1:3^^, 73 der P. G. 0. und dem 
Landfriedcttsgesetze (van 1548) Todesstrafe verwirkt sei und 
gelangt stt dem Ergebnis 'dass eine mildere Strafe ^ nämlich 
Gebietsvenveisimg in Verbindung mit körperlicher Züchtii;uir^ 
und AnfcrL-^uni^ l idlicJtrr VrfeJtde ihi'liängt "«.'erdtii inifsse. 
Begründet wird diese Jini sehe idutig tJ teils mit den alli^enieinen 
Sätzen^ welche man in dieser und der folgenden Zeit für eine 
höchst aus^^hnte Befugnis des Richters zur Strafmilderung 
anzufiihreti pflegte^ theils damit dass das Verbrechen , ivclchcs 
den Hanptgegenstand der Anklage bildete^ als blosser Versuch 
dargestellt wird. In letzti-rcr Bezielmng wird ausgefülirt: 

Die Absicht der Angeklagten sei in der Hauptsache die 
gewesen, den genannten Straf kläger zum Ersatz eines Schadens, 
den sie von ihm crUttcn zu haben glaubten^ zu nothigen, nicht 
aber, ihn an der Person zu verletzen oder zu tödten; jene Ab^ 
sieht liaben sie aber nicht erreicht, da es ihnen nicht gelungen 
sei ihm Etwas abzudringen, und daher falle ihnen bezitglich 
des Manphferbrechens ^ der Gervalttkätigkrit (violentia)^ nicht 
Vollendung, sondern nur ein Versuch zur Last. Die spccielle 
Bestimmung der F, G. 0. in Artikel 12ö finde keine Anwend" 
ung. Denn erstlich fehle zu solcher' das Merkmal des böslichen 
Austretens (Art, 37 — 39); sodann müsste der Artikel, da er 
den Jers//i h der Vollendung gleichstelle^ nach der allgemeinen 
Kegel auf n<iehsfen Versuch eingeschräni't iverden^'^) ; ferner 
wäre der Richter jedenfalls befugt^ nach seinem^Ermessen aus 
besonderen Gründen für den Versuch statt der im Gesetz an- 
gedrohten auf eine mildere Strafe zti erkennen **) ; endlich zeige 
der Schliiss des Arlikels durch die Ven(u-isnng auf den Rath der 
Rechtsverständigen dass das (resefz die nianigfaltig (Hisfuhr- 
liehen und einander widerstreitenden Erörterungen der Rechtsge- 
lehrten über die Strafen des Versuches berücksichtigt wissen wolle. 

Überdiss, fährt die Facultät fort, sei es ihr nicht bekannt^ 
ob die P. G. 0. an den Orten, wo die in Rede stehenden Vcr- 



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— 90 — 

brechen begangen seien^ euigejidirt und in Anwendung sei 

— /o(gt der oben S. 38, 39 atigeführte Sats. 

Der Artikel 129 der P. G, 0, besiehe sich nicht auf blosse 
Absagebriefe, sondern auf wirkliche Ausübmg feindlicher Ge' 
walt, Nr iO—lS. 

In Bessug auf die Wegnalmu der Pferde komnte es den 
Beschuldigten su Statten dass sie detn Bürgermeister die seini- 
gen freiwillig zurückgegeben und dass oftch der Straf k läger 
die ihn/ gehörigen ohne alle Kosten wiedererlangt habe. Denn 
die (ordentliche) Strafe der Gavaltthätigkeit erfordere mich 
Hippolyius de Marsiliis nicht bloss einen vollendeten, sondern 
auch einen dauernden Erfolg. Die in der Anklageschrift wie' 
d erholt vorkommende Berufung auf Artikel 15ff der P. G. 0. 
sei der Faenltät un:\-rst!i)idlieh^ da die Wegnahme der Pferde 
offetd)ar nicht als Diebstahl, sondern als gewaltsamer Kaub 
aufzufassen sei, Nr 49 — 

Weiterhin wird für Amvendung einer milderen Strafe 
geltend geintnhl, dass solche erfolglos gebliebenen Drohungen 
wie die ihrige in der Gegend Frankens, luo diese begangen 
war, nicht mit dem Tode, sondern mit langer Kerkerhaft oder 
Landesverweisung in Verbindung mit Auferlegung strengster 
Urfehde oder sonstiger gemgender Sitherheitsleistung gestraft 
zu iverden pflegen. Nr 

Endlich wird zu Gunsten der Angeklagten darauf hinge- 
wiesen, dass sie sich beinahe ein ganzes Jalir hindurch in 
Itarter Untersuchungshaft befwtden haben, was gemäss der von 
Tiraquellus begründeten analogen Amvendbarkeit der const. 
^3 C. de poenisy fX. 17, füglieh als Grund zur Herabsetzung 
der Strafe berücksichtigt luerden dürfe. Dabei wird detn Ge- 
rieht anlieimgegeben, falls ihm die erstandene Haft als ge» 
nügender Ersats für Leibesstrafe erscheine, das Urtfml unter 
Weglassuiig der körperlichen ZiiJiligiing auf Gebietsvenveisung 
und Urfehde allein su richten, Nr. 04, Od, 



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I 



— 91 — 

DafUry dass Philipp F. gleiche Strafe ivie die Mitaitgc- 
klagten verdiene^ obwohl er bei der AjüufUmg des Fehdebriefes 
nicht mitgewirkt habe, wird neben seiner Betheiligung an der 
verbrecherischen Verabredung der Sats angeführt^ dass auch 
bei l'erbree/ieii die naclifolgetide GeneJimigung einem Auftrage 
{niandattimf seit dem Mittelalter technisch für Anstiftung) gleich 
SU achten sei, Nr 4, 5, 6J^, 

Auch auf das Landfriedensgesets lasse sich die Todes- 
strafe nicht gründen. Denn die in demselben angedrohte 
Reichsacht trete nur ein, wenn sie beantragt und erklärt 
sei; überdiss sei, da das Gesetz nur den romischen Kaiser 
wid KSmig und das Reichskammergericht als sur Acht-erklämng 
befugt nenne, nngewiss ob solche von einem niedrigeren Gericht 
ausgesprochen leerdcn Ico)ine. Nr .^n vergleielien mit S - 10. 

Die Behauptung des Vertlicidigers , dass, wenn von der 
Todesstrafe abgegangen werde ^ auch keine Leibe S" - oder ent- 
ehrende Strafe verhängt werden dürfe, wird mit Berufung auf 
die Landesgewohnlieit und die beinahe täglich uiigriiwndcte 
Übung der Facultät (s. oben S. Si) rMruckgewiesen, obwohl .zu- 
gegeben wird, dass jener Sats sich bei den Doctoren vielfach, 
aufgesteüt finde, Nr 69. 

Dieser Ausführung^ wird mit den einleitenden Worten 
» Unde si Judicio Otingensi ita visum fuerit^ tieque Reoruin con- 
stitutio corporum aliud postnlet^ in haue fere formulam scntefUia 
adomari posset^ das Urtheil in folgender Fassung beigefugt. 

In causa criminali, Theöbaldi E. et Georgi E., Patris 
et filii. Pracftcti Laiuicnsis, ihiciuc constitiiti Fiscalis, tanqtiam 
Accusatorum, cx unä; et Valcntini IC, Martini M. et Philippi 
F. Reprum, ex altera parte, Judicium hoc, audita accusatione, 
rcsponsione, testium depositione, habita deliberationc, Consilio 
Jurisperitorum, aliisque judicialiter requtsitis observatis, decemit, 
Rcos attcnlata clitTidationc at(iuc procctlcndi modo iititjuc de- 
liquisse, adeoquc ctiam, praeter perpessam hactenus captivi- 



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— 92 - 

tatem, ulteriore poena, fustigationis nünirum atque relcgationis 
in duodecim milliaria ab urbe atque Praefcdtura Laudens! 
circumcircitcr dissita, afflciendos esse, addita sancttonc capt- 
talf, st qiiis coruni, al)s<iuc speciali conccssionc 1^'piscopi aut 
Principis Laudcnsis conlravencrit; et ut haec servarent, singulos 
in propositam Urphedam jurarc debere. 

Hicrsu banerkt die Facultät^ dass statt der Verwei- 
sung auf eine Entfernung über sw'ölf Meilen das Verbot 
gcivissc hckauiiU ri' l'lit^sc zu idu rsi firrift'U nusgrsproc/icn ivcrtiru. 
könne (in solclicr Weise ivird die I Landesverweisung in späleren 
Tübinger FactUtätsurÜteilen sehr iumfig atugedrückt)^ und dass 
die Angeklagten^ falls mch ihrer Persönliclikeü die Beschwo- 
rum^ der Urfehde nicht genügende Sicherheit zu bieten schei)ie, 
nach Artikel 170 der P. G. O. zu weiterer Kerkerhaft vcrur- 
theilt werden können. Benierkenswerth ist dass das oben er- 
wähnte Bedefiken über die Anwendbarkeit der P, G, O, hier 
nicht erhoben ist. 

Die zwei Jiandschriftlich erhaltenen (ofisi/ien i'on li')90 
und 1000 enthalten UrtJieilc in Strafsacjuni^ die bei ivitrUem- 
bergischen Gerichten atüiät^gig waren» 

Das ältere derselben verhängt die Strafe der Entlumptung 
über Konrad Hortmnn, Bürger und Färber von Lauffen am 
Neckar wegen Todtuug seiner RJiefrau. Tn den Rutsche idungs- 
ghinden^ welche dem UrtJicile voraftgeschickt sind, wird ge- 
sagt: da der Angeklagte in der Zeit vor der T/iat vielfältig 
Melancholie ereeigt und seHsame^ wigereitiUe Sacheti und Händel 
geübt habe, sei Anfangs das Bedenken entstanden^ ob er bei 
der BcL^e/ntuj^ des Mordes niclit recht bei sich gewesen und 
denselben also ohne bösen Willen noch l'orsatz begangen habe, 
wie die Verlheidiger behaupten; Diss /labe auch die Facultät 
selbst in ihrer Decision etivas sweifelhaft gemacht und aufge" 
halten, sie habe sich aber bei sorgfältiger Enuägung des 
Geisteszustandes, welciten der Angeklagte vor und nach der 



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- 93 — 

Thii geseigt liabc, Ühcrzcugty dass dieselbe van ihm in einem 
dilucidim intcrvalhm verübt worden sei. Diss wird an seinem 

Ikiichmcn li.u'iJircnd des TagiS, an ivclchcni er den j[ford Aöends 
neun Uhr begieng^ und an seinem Verhaken nach der That 
näher dargelegt. Doch wird die vorangegangene GetnOthS' 
krankheit (*Hauptbtödigkeitv) da sie sti dem Mord auch nicht 
jl'eriiniY Ursaehe i^t'^eben liaben mdi:;e, insoioeit n/s M :/((( iinij^s- 
grund berücksichtigt^ dass nicht auf die i'on dem fürstlichen 
Anwälte beantragte Strafe des Rädems und Reissens mit glüh- 
enden Zangen^ sondern auf die genannte einfache Todesstrafe 
erkannt wird. Das Urthetl ist folgendermaassen gefasst: 

In der Peinlichen Rechtvcrtigun^^ zwischen Vnnscrs Gnä- 
digen Fürsten vnd Herrn Anwaldt, K legem, Aines wider Con- 
raten Hörman, Ferbem von LaufTen, Beclagten, Anderes theiles, 
Erkhent ein Ersam Gericht, Vf Qag, Antwurth, Reden Wi- 
derreden, <;efüerte Kundtschaftt vnd alles i^rcriclulich furbringcn, 
nach gethanem Bcschluss genommenem Hedacht vnd gehabtem 
rath, mit Urtheil zuo Recht dass der Beclagt vonn wegen seiner 
schweren misshandlung durch den nachrichter ann sein handt 
vnnd band genommen, vf gewonliche Richtstatt gefüert, vnnd 
mit dem Schwerdt vom J.eben /um Todt gerichtet, nachmals 
auch sein Körpel \h Kadt gelegt vnd erhöht werde. 

Die Unterschrift des Consilium lautet: Datum den 28 
Martii Anno 1590. Decanus vnd Doctores der Juristen Facultet 
hoher Schnolen zuo Tid^ingen. 

fhis ganie Consilium ivurde mit dem Urt/ieil dem Stadt- 
gerichte Bietigheim^ bei welchem der Process anhängig war^ 
und von diesem dem herzoglichen Oberrath eu Stuttgart Über" 
sandte wobei dem letzteren Zugleich ein von den Kindern des 
VerurlJu illen eingereichtes Ingnadigu/igsgesuch vorgelegt wurde. 
Der Oberrath verfügte am 3 April 1~>I^0 die Vollstrcckm^ 
des UrtheiUs, •inmaassen es von der Juristenfacultet gefasst 
worden sei.* 



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— 94 — 



Besüglich des Vcrfahnus viag crwliluit ivcrdcii^ dass das 
GericJit zur Erbittiing des Consiliiim den Stadt sehr eiber per- 
sönlich mit den Acten an die Facultät gesandt und dass 
dieselbe v&n ihm nach weiteren mündlichen Bericht über die 
iache entgegengenommen hatte. Diss war am 13 Merz ge» 
sc/iehen. Die Ausarlh-itKHg des Consiliuui hatte also nur fiiii f- 
zehn Tage in Anspruch genommen. Hierbei entschuldigt sich 
die Facultät noch darüber dass es ihr wegen Mangels an Zeit 
nicht möglich gewesen sei die weitläufigen Acten in Gegenwart 
des Siad /Schreibers collegialiter abzulesen. 

An den Schluss des Zeitraumes, mit welchem die gegen- 
wärtige Abhandlung sich bescIUiftigt^ fällt ein Consilium über 
einen Hexenßrocess^ dessen vollständige Acten sich mit der 
Beseichmwg » Württemberg insgemein ad fasc. Hexen-Processe^ 
Kasten 7'} Juich 1 Juise. //.« in dem königlichen Archiv zu 
Stuttgart befinden. Anna Murschier su ßalitigen^ Wittwe eines 
dortigen vieljährigen Bürgermeisters^ war von dem Untervogte 
eu Balingen als fiirstlichefn Anwalt am 9 September 1598 
bei dem Stadtgerichte ssu Balingen wegen Zauberei und be- 
ziehungsweise ] \'rgiftu}b^ peinlich angeklagt und nach gericht- 
licJiem UrtJieil vom 20 desselben Monates der peinlichen Frage 
unterworfen worden^ ohne dass ihr Gesuch^ hierüber etevor auf 
ihre Kosten gemäss P, G, 0. Art, 28 und 219 ^der ganzen 
Juris lenfacnltät bei nächster hoher Schul zu Tübingen Rath zu 
gebrauchen*^ bezcilligt leorden zvar. Die Folterung war zweimal, 
das zweite Mal vielleicht oh)ie neuen CrrichtsbeschlusSy vollzogen 
worden^ aber erfolglos geblieben. Nach der Angabe des fürst- 
lichen Anwaltes in der Duplik vom 20 October 1599, womit 
zzeei Berichte der Vögte, des Bürgermeisters und Gerichtes zu 
Balingen an den OberraÜi übereinstimmen, hatte sie zwar auf 
die captiöse Frage^ wer sie sur Zauberei gebracht oder wie 
ihr (teuflischer) Buhle heisse, geantwortet, sie heisse ihren Buhlen 
BcätJtas und Jimmte ihn auf Begehren wohl suwegen bringen; 



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- 9S — 



auch hatte sie wäJircnd der Folterung vielmals gesagt, sie wolle 
Alles erzählen^ was sie gcthan. Sobald aber der Gericktsschreiber 
sich niedersetste und schreiben wollte, hatte sie jedesmal wieder 
ngeschbtckt^ ; auch ivar sie in der Marter eingeschlafen, d. h. 
wohl in Folge der Erschöpfung ohnmächtig geioorden. iVach- 
dem die Angeklagte lUerauf ohne Fortsetzung des Processver- 
fahrens ungefältr ein weiteres Jalir gefangen gehalten worden 
war, beantragte der fürstliche Anwalt nochmalige Wiederlwlung 
der Folterung, wobei er, wie früher, nanioitlicli darauf Geioiclit 
legte dass die Angeklagte von einigen hinger iclUeten II exen als 
ihre Genossin angegeben worden sei. Hierüber wurde durch 
den Stadtschreiber, der eigens nach Tubingen reiste, das Consi' 
lium dt)- I'acultat cingcJiolt. Dasselbe fiel einhellig ablehnend 
aus. Das Urtheil der Facultat lautet: 

In der Peinlichen Rechtvörtigung zwischen Vnnsers gnä- 
digen Fürsten vnnd Herrn Anwaldt, Klägern, Ains, wider 
Anna Murschlerin, Rekla^in Anders Theils, erkhennt ein Ersam 
Gericht, vf Clag, Andtw ordt, Red, Widerredt, gcfücrtc Kund- 
schaiften nnd Alles Gerichtlich furbringen, nach gethanem Be- 
schluss, genommenem Bedacht und gehabtem Rath, in puncto 
reiterandae Torturae mit Urthel zu Recht, Dass Beclagtin dem 
fürstliclieii Anwaldt Vmb sein de novo Angcstelte Clag begertcr 
Tortur halben niclits zu thun schuldig, Sondern von solcher 
Newen begerten Tortur zu absolviren vnnd Ledig Zue sprechen, 
auch hiemit absolviert vnnd Ledig gesprochen sein soll. 

Auf den Wunsch des Stadtgerichtes wird noch beigefügt, dass 
die Angeklagte in der Hauptsache, soferne niclUs Neues euikonnne, 
ab instantia zu absolviren sei. Die Kosten werden verglichen. 

Die Unterschrift lautet: Aetum in Consilio nostro, den € 
Martii Anno 1600. Decanus vnnd Doctores der yuristenfacuUät 
hoher Schui lL n zu Tübingen. 

Entscheid ungsgründe sind diesem Consilium, wohl desshalb 
weil es kein definitives Urtheil enthielt, nicht beigegeben. 



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- 96 - 



Gleiche Uncd)Iiäiigigkeit gegeitübcr den processiuUischen Mis- 
bräuchen und Irrlehren^ welcJte zu den Gräueln der Hexenverfol- 
gungen das Meiste beigetragen haben ^ bewahrte die Faaütät 

in einer Sache dieser Art durcJi das GutacJiteii^ leelchcs in der 
^mmlung der fichardiscJien Consilien Band II f. S. 73 — 81 
als amsil, 47 mitgetlieiU ist Namentlich verwirft sie hier mit 
aller Entschiedenkeit die falsche Ansicht, weldte die maasslose 
Vendclfältigiing jener Processe hauptsächlich verschuldet haty 
dass bei der Zauberei als delictunt exccptum die Angeklagten 
auf der Folter nach Mitschuldigen befragt und die so erlangten 
Angabengegen die in ihnen beseichueten Personen als Anseigenf 
welche zur Folterung hinreichen^ benätst werden dürfen^ Nr2A — 55, 
vcrglicJien mit Nr 2 — 12^ sodann den aherglänbischen Wahn 
dass J hräiwnlosigkeit eine lugenschafi der Hexen und desshalb 
Unterlassung des Weinens bei den Processverhandbtngen eine 
Anzeige für die Zauberei sei, Nr HG f vergliclten mit Nr 13 
(die letztere Anzeige war auch in dem Baliriger Process in 
der Diiplik des Anklägers und in Beriditeu des Anklägers und 
des Gerichtes an den Oberrath betont lecrden). Die Aussagen 
über angebliclu Beschädigungen^ welche die A»igeklagte verübt^ 
und verdächtige Äusserungen^ welche sie getlian haben sollte^ wer-^ 
den ebenso wie bei dem Urthcilc wider die Mutter Kcpplers von 
1621 •'"'} theils iveil sie testinionia siugularia seieUj tlieils wegen 
ilirer sachlichen Bedeutungslosigkeit als ungenügend behandelt. 
Nr 59 ff. So gelangt die Facultat zu dem Ergebnis dass die An- 
geklagte^ die Witiwe eines ehrbaren Bürgers aus Pforzheim, mit 
Folttniug und C rnninalstrafe r.u l erschonen sei. Doch zeinl es 
für angemessen erklärt zeegen des ihr zur Last fallenden Ver- 
haltens elfte aussergericlitliclie Strafe über sie zu verhängen^ 
worunter nach den Scläussworten muthmaasslichf wie in P, G. 0. 
Art. 176, nur eine Sicherungsmaassregel verstanden ist. Eine 
Vrtheilsforniel enthalt dieses Consiliuvi nicht — ohne Zzceifel 
desshalb "aieil in der Markgrafschaft Baden die Ertluilung 



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— 97 — 

einer »seHkntia seu interhcutorian über die Verhäfijgung der 
Folter (oder Verschotua^ mit derselben) damals nicht üblich 

war; s. Nr 75. 

Ebenso ganässigt und besonnen bewies die laculUU sich 
bei der Beurtheilung der oben erwähnten Anjseigen^ welche 
anderwärts für so viele unschuldig Angeklagte verltängnis^ 
voll wurden^ in den von Lau (er hoch verfnssten Consilun vom 
27 August lnaOf vom 2o Februar 1001 und vom lä September 
1663f (collectio nova consiliarum iuridicorum Tubingensium, vo» 
lumen IV^ MDCCXXXIII^ consüium 94, 161). 



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Anmerkungeii 



1) S. 3. die AWkmisff weleke von Mmuhy m dtr ahtdemukm Rede 
äier Jekamus Skhardt, wSriUiHiergiscke JakrUiekir, Jokrgat^ S. 36» 80 
wttete, SO unten {Separatansgahe 5. ii, 16, Sü) und m Anmerk, 37 gegeben muU 

2) Ebenso urtheiH Maudry a, a, O. S. 20, 27 (Sefaratausgalu S. 11, 12). 

3) Dieses Gutachten dir FaailtÖt ist in der unten ansuf ührenden Sammlung 
der prenttitiß'risrficn Comi/u-n Band //. als cousilimn SS gedruckt. Über die im 
Text enoiilutie IMrksiDukäl J-Jurhards s. Satt/er, (iisc/n'r/i/,' des I fei^oi^thums 
Wiirteuhcr-^ nnfcr d,r /ui^iiiiiiig der (Jra-'cn Tfu'i/ III. S. lUfi—I'JS fiiit lüi- 
/rtr_;v / /.'' (S. in * — hU'i). Pf'<iff, Geschifhtc des Landes und Fi'irstenliauscs ll iiiaU' 
berg 'J'Iicil //. S. .'ioU, Statin, -.oirtemher^istlic Gcschiihlc Thcil III. S. (!37. 

4) S. Krantz, Saxonia Üb. 13 cap. IS, 10, Spangenberg, mamts/eldiscke 
Chronik Cap. 345, Ä'a/Atnann, GesekieA/i der S/adt Magdeburg Band III, S, 335 
und das Consißum selbst in Ä'r. 84, 23, 33, 41 wo die ßkkdi und insbesondere 
die IVi^nakme der Burgen erwähnt ist, Neuh Ar. 41 f, xsar in dem Faffe dass 
der Streit durch das sehied^geriehtffehe Verfahren nieht rasch tum Ende käme Wie- 
derau^rueh der ßkhde su befürchten, 

r,) S. Sadkr a. n. O. S. 197 /., rfa// 0.0. 0,8, 839, 818, StäSn 
0,0,0. .S". HS? Anmerk. .'i. 

(i) . Uii h dieses Cottsiäum ist in der pre ntun gerisehen Sammlung gedruekt 
{Band I. comU. Ii). 

7) Dieses Consi/inm befindet sieh, an einen Cotnmcntar über den Jlebnierbrief 
und ein miiieres theo/o'^isehes Sehrtf tstüek ant^ebtniden, in einem alten 1 Lindsehri/len- 
bandc der L'niversi/atsbi/diothek zu Tübin^^en, M. h. 2iil /id., und nimmt in t/em- 
M&em die euht MsUn Mitter eitt. Vtrgl. J. J. Moser, vitae pro/essmmn Titbin- 
gensium S. 59, ClMsius m Eisenbachs Besehreibusig utiä GeseMehte der Stadl und 
Universität Tübingen S. 238, 339 Anmerh, 13, Die daselbst S, 330 ermähnte Be- 
uiekmtng, T, T, 433, hatte eSeser Band in der vormaHgen BüBothdk des MarOns- 
Stiftes m TUUtigen. 

8) UnparteUiche Urtheile von jusnSseh' und Mstoritehen BBehem, drittes 
Stäeh, 1723, 5. 20.9. Vergl Clossius n. n. O. S. 2 9.9 unten. 

9) Hiermit stimmt der aus de tu Verzeichnis der Unhn'rsiläfsbib/iothek zu 
TWiigen gesthöp/te abgekärtte Titel bä Clossius a, o, 0, S, 2^ Anmerk, 33 



— 99 — 



Hierein', desgleichev der von Chr^iit; J,n,-/!>sf unrichtig angegebene in Lipmitts 

6ih/ii>(Jh\-<i )ta/is iuridicay Frankfurter Ausgabe von 1679 S, 105, Leipmger Atisgabt » 

vom Ii -Iii S, 110, von 1757 Band I. S. HSG. 

JO) y^rgL ftiener, Beiträge zur Ces(//i</ite des /;i./i/h.'f!, fis/'>vre.><e- S. 7'». •//. 

//' l't'rg/. ll'(d/eitn>dt iit der Zeitschrift für h'eehtsgesehiehle /üntd III. 
S. 2:iH inil,ehuer im Geruhtssaal , Jahtgang A7 7. .S'. .52/ System des 

f'reussisehen StrafreeJttes Jnind II. S. 'J'JÜ — 2:i0. Liegenidier der dase/ösl S. 220 
auf gestcU teil Aitsii/it, der Grundsatz des römischen Rechtes, dass der Be/eiäigte nach 
stiner WeAi civWUr oder crimmaSier klagen Mhme, sei der TüH 4er Caro&ia mek 
wAektamt geweun, te^ die AmfUkmng IVenningers dass es andere Gründe waren 
aus taekhen «Be erimineäe Verfo/gttng der" gewöhnA'chen It^urien h$ Deutschland melU 
sofort nut der Recef^An des frischen Rechtes Eatmmg fc^d. \ 

IS) S, SehreOer, Ceuhichte der AOert-Ludwigs-Unkfersitat m JMurg 
Tkeil A 1857, 5. 309, Stini$ing, Ulrich Zasius S. 91 AmnerL 1, ' 

18) Band III, de iniurüs consi/. 2 Nr. 9, consil. 14 Nr. 31, 32 (s. oben), 

U) Vergi. fCvsi/in in Goltdavwurs Arehiv Band III. S. 811 /, Mälschner, 
System des freussischen Strafrechtes l^heil II. S. 20^ ^ 

15) S. meine Af-bond/uugen aus dein Stnf rechte Junid I. S. 383—38'). . . 

1f')) Für den ersteren Satz beruft sich J-roniinger auf Baldus, für den vweiten, 
H'ie in dem Faeu/ttitsgutachten Jid. II, coiisil. .'i.s Xr. s (s. o/ieii S. Ii), auf die 
IVorte fustinians in Xi>-;<. IS .'> i/uür ih'u //<>< tum /ege i/i^imus, enibeseiinus 
foTt jATj a3Tx vvxov TOÜTo ivJiy.'o'iiv Sc'/ehe Sprüche hatten sich in '< 

Itaiien als Chtrbieii>sei der Mten Legal methode erhalten, wahrend dort in If'irMeh- 
keit seit dem 14 Jahrhunderte die entgegengesetsOe ߣsunm *malo p» me fotitis glos- 
sabnrem quam textum^ Se thatsaehliche Herrschest hatte, S. £iener MV neuen 
Archiv des Criminalrechts Bund X. S. 490, 491 Anmerh. 84, SHntupig, Ühieh 
Zasius S, 79» 

17) Du Entwiehhmg des ^lehrten Richierthtans in deutschen Territoriet$, 
Stuälgurt 1872, ' Band L S, 190—196, 338—341, Die daseüst S. 195 mAnmtrh, 

38a. gemachte Bemet^kung, dass noch am Sch/usse des fünfzehnten Jahrhunderts die 
Consi/ien der Doetoren zu den Se/lenheiien gekoren und uns deren nicht viele erhalten 
seien, -wird durch das Obige berichtigt. 

Js'i Zu dem ersten Consiliiim des er len Bandes ''crgl. Stintzing. Ulrich 
/Msius S. IX — '2H, Schreiber, Geschichte a'cr l 'ni'.'Crsitat zu I'rcibiirg Theil I, 
S, VJ3, Crhindenbuc/i der Stadt Frciburi^ Ilnid II. S. 'iS.'t — ßSS, '.'.iC—Hol. 

VJ) Beiträge zur Geschichte der Kecepiion des romischen A'echis in DeutscIUand, 
Hautuwer ist;:',, S. 171) jl. 

20) Vergl. Sfölzel, die FMtvnckhiMg des gelehrten Richtertimms S. 198, 300, * 
foo uhr^ens der Sat* dass die ErtheOung von ConsiSen 'durch' cHe deutsehen JuriOet^ 
faeuäaien erst in der weiten Hälfte des sechsuhnten Jahrhunderts übäch geworden, 
ekfuo wie die S. 301 gemachte Bemerh$tt^, dass Us etwa 1530 aussehSeesSch Italien 
die Heimat der ConsiUen gewesen sei, nach S^&els eigenen Naekweisteitgen S. 195—198 
nicht toIhlSeh verstanden werden darf. 



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I 



— 100 — 

SIJ SatHer, GescJachie dts Ihrzogthums Würitnbtri^ unter der Kegkrttng 
♦ der Herzogen Tkdl /. S. 161 f. Die Erhlarung des Herzogs U/ruh hurattf 

lautet In Bezug auf die Zuziehung der Docioren üher/uiupt attgenscheinlich attS' 
weichend. Tübkn^ciur Mschiid d, d, H, jfuä 1614 öd Satticr a, a, O. Sei/i^gm 

Ar. 08 S. 103. 

22) Sichardt , consil. it. criminalc, F.ingting. 

23) Roth, Urkunden der Universität JiUnngai, isjy^ S. Wt'l — l.'t'», Sattler 
a. a, 0. ;nuU IL S. 109-^174 meist Btilage 133 in ThtU III. S. 22 Gerst- 
laeker, Sammha^ wirtemÖo'gUektr GetOat Aeek II, S, T0^7i, 

24) Xdk, ürkimdm der Ukher^ Tiegen S. %S0. 

26) AtimiHger hätte ßir ein oder twei GnteuhUn iiier die Abfdstmg der 
frd iwffscke» Ren te m scku l d awtm»^ Guiden erkaäen, und Zasinx, der als dor^ 
%r Siadtsehr^ (pr U pmlarim) mit ikm verkamdUte, sekreOt am 3U Jamiar 1495 
an den Sekn i dhei ts en und Rath dost er ihm noch Äiehr gAen mäste. Die Aitth» 
mmgen för peränRche Thcilnahme an Gerichtssitzungen mögen Idnner pweun sein; 
wemgstens werden sie in den Verhandlungen aus Aniass des Ketzerprocesses von 1527 
von Seite der Universität als »gering zimlieh« lu-zeichnei : doch verlangten die beiden 
nicht der yurisienfaciUtät angehörenden Doctonn, wiche sich in dieser freilich höchst 
inisliebigen Sache schliesslich öei dem Gerichtstage zu A'ottcnlurg vemu-nden Hessen, je 
fünfzehn Gulden, 'womit sie übrigens von der österreichischen Behörde längere Zeit 
»aufgezogen» 7intrden, Sattler a. a. O. S. 170, ITH, 174. Zur Vergleichung 
nuig dienert, Tvas von Stintmig, ülrieh Zeuim S. 314 Anmtrk» tu S. 44 
über damalige Gehaäsverhääniue in TUbingeut FHUmrg, Basel und Leipzig, von 
Memdry, Johannes Siehaedl & 95 (10) und Ansnerh, 2S, 94 Sher die BeMjge 
der TWngtr Besddm^gen und Wbhnung sentsehde^gusigen mifgetheilt vnnL 

Oker Siehardts VermS^ensverhSänisse s. Mandry dase&st Ammrh. 49, 49, 
Ludwig Gremp vm ßi^eudensiein sagt in seinem Testamente vom 11, Mm 158S, 
der aUmäehtige gütige Gott habe ihm in Zeit seines Lehnt s durch seinen gottlicJien 
Segen eine reichliche seitliche A'ahntng verliehen (Origipuilurkunde bei den Acten der 
mm ihm hegriindetett freihern'ich grem fischen Familitnstiftung in Tidnngen). 

2*S) /h'ss ist allenlhiuicn in </'■;/ I rthcilsfoniieln zum Ausdrucke gebracht; z. J>. in 
dem auf 7odesstrafe lau/enden l\y Kenntnis der funstcnfacultät 7'om 2S. Merz lüOO 
mit den Worten: «/n der J\inluhcn Aechtverttigung z'oischctt Unsers Gnädigen 
J'ursten und J lernt Atnuaidt, Clegent Aims, Wider Conraten Ilömian Ferbern von 
Lauffen, Beclagten Anders theiü erhhent ein Ersam Gerieht* u. s. w. (Acten des 
hSn^Hehen Arehins mt Stuttgart Kasten 75 Buh 1 J^. IL), VergL R vm 
MÜnehingmp fnusidt W, A, Lowterhaeh, eSffertniiai iuris e m n mu u i s et Würteae" 
heegiei in eatuis criminaiiitts^ 1669, nr, IL in den ieuis emnmums et prmtissemßs 
JVOrümiergiei d^firtntiae sub praunSo Wotfgaug-Adami Lauteriaeh exMiUae, 
Tnbmgae 1699, Gent/äeher, Sammlung wirtemiergischer Gestirn S, 76'^5, 
Seheurlen in der Tübinger hitischen Zeitschrift Band V/. S, 474, 

27) Bietter, Beiträge m der Geschichte des Inqttisitionsprocesses S. 1-19. 

2ö) In IVeittUngers CmeuHen hatten wiche Allheiten den Richtern gegenüber 



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— 101 



emm stefumien Eht/cUungsschmuck gtbUdei, der Juer bei sauer gUuhförmgm Amoem^ 
dung mcht viel bedeutet kabm kamt, 

29) Ar. 4U, r,(K 

30) Die ohii^en aus der Sttit/rei htsiitteratitr des itaJienistheii Mitte.'aiters i;e- 
Schöpftfn Henurktiiii^iU stininirn. scT'it'/ iih /'cmerken l'avn, mit der zforzu^i^-nviise dem 
Ctvi/rechte j;e/teftden S< /li/deniir^' Sli)itziiii^s , U/rieh Zositts S. 74 — ^0 duvih- 
aus überehu S. auch lVäihtt'>-f Jkiuigen zu VwUstmgm über das deutsthe Straf- 
recht, ersU Ue/ermtgf SttOtgart 1877, S. m. 

3t) Säntzing, UMch Zasms S. 108, 112-146, 

82) Jtath, Urkunden der UmverttieU TüUngen S, 188 / Vergl, Mandry, 
yokmmes Skkardi 5. 48 (28) Ammrk. 28. 
3$) Mandry a. a, 0, S, 25 f. (10 /,), 

34) Auch hierin sHmmi der Eindruck, toeUktn ihr Verfasser durch seine 
strcrfrechtlichen Untcrsuchw^^ erhalten kat, mit dem Urthale Stintwtgs, Uhrieh 
Zasms S. HO -99 überein. 

3öJ Ferg/, hierm üälsckner, Syrern da preussischen Strctfrecktes Band L 
S. 646-548. 

30) Key scher, Sammhiri}^ der Stdatsgnuidgesetze, in seiiur Sasnmlung der 
württetnbergischen Gesetze lumd II. S. Ul. 

37) Angeführte Samm/ung der Staat sgnindgesetze Hand 11. S. Iii). 

38) Angeführte Sammlung an der so elun genantUen Ste//e. 

89) Gerstlaeher, Samm/ung der wirtembergischen Gesetze II. Buch S. 43 f, 
Vefgi, den Zandfa^gsahukied tßon 1666 in Reysckm Semmhu^ dir tourttmberpsehm 
Gesetu, IL Band S. 133 /. & iOerkaupt Wiekter, gemeines Bukt Desdseh- 
iands S, 60^62. 

40) Die im Texte iesprockenen stre^ktSehen ConsiSen^ Skkardu hUden 
den ersten Tkeii einer Samm&tng, weleke nahem ein haiies Jakrhendert nath seinem 

Tod erschienen ist, Sie führt den Titel: loannis Sichardi, magtii quondam Ger- 
maniae I. C. res/onsa iuris .... opera ei studio loannis Georgii Gödelmamü . . . . 
publicata. MDXCIX. Franeofurti ad Moenum, Excudebai loannes Spiesius, sumßt&us 
loannis Theobai di Schömvetteri. Die meisten Consilien dieser Sammlung, ivelche 
übrigens kcine.üoegs alle von Siehardt verfassten Gutaehien enthält (s. Mandry, 
Johannes Siehardt. .Inmerk. :U>), sind von Sithardf //ir .>:ih allein, das elfte am- 
siiium viatrinu'iiiale und das zxdolfte in »lateria eontractuum in Llemeinsehaft mit 
Frofessor Kaspar l'ollattä abgegeben, für die Facuität verfasst sind (onsil. crim. 
1 von 1636, 5 von 1649, 8 tm 1648, emsH, testament, 1 von 1643, 2 und 8 
von 1644, consiL feudtde 2 von 1643 und 8 ohne JakressM, eansiL in materia 
eontraduum 1 von 1632, 2 von 1640, 4 von 1642, 7 von 1546. Ilierdureh er- 
hält eSe Bemerkung StS&els, Eniwiekhu^ des gelehrten Biekterthums S. 200, dass 
die BriheiAmg von Cousinen durth die deutsehen JmisUitfaeul&ten erst in der mueken 
Hiilfte des sechszehnUn Jtderkunderts it&Ueh gtttsorden sei (s, oben Aumerk, 20) eine 
weitere Einschränl'ung. 

41) Durantis sagt nur: dicuni quidam quod iudex bene feuut si c^gat, et ei 



I 



I 



— 102 — 

seeuriMm frmHtt *i Amtt (sr, fotentiam rei). C. Je hü gm ad eecL I. dimmtlamm, 
LXXXIX. ilisL c, a, GamßnHs beruft sich /3h- tbm dim Amifhi UreUs auf 
Dwnmiis. 

V2 Wie IVtaur, lidträge zur GeschUhlt' des Inquisition sfroc es sc s S. H2 
o/>en bemerkt, hatten die italienischen Ck'i/isten s^ei^cn die Attsi^hi des kanonischen 
A'ech/s an^enomtnen , dass intpiisitio succc</lt in locutn accnsati(>nis , wrans unter 
Anderetn die Mi/dum^ eines y fi nt/ichen lii<clius ittqtmilionis sich cr^ab^ der an die 
Stelle der capituia des kanonischen KeehUs trat. 

43) In dem Drucke steht Qttare generaiiteTf was offetdutr unrichtig ist, 

44) Jk dem ieidem vor mir Hegenttem Au^guhm des fraetedus de imSciis ei 
torturu, Medkdatd 1505, und m Bernd X, des HraeteUus tractatmm steUt Jhmeiseus 
Bruuus i» der ucundet guaesth frmei/edis des AhsthsuUes de iortura (iraetatHS 
treutedmm a. a. O. BhH 05 guae^ seeunda munde farüs nr t Jf.) nicht ein- 
fache, spndem nur eine mä Eiebkhung der Nahrung veriundme Mitfi der FfHerung 
gleich. Datieben erwähnt er dass nach der Ansicht Mancher Derselbe tfon einer 
solchen Haft gelte welche für den Gefangnen -tvci^en Ä'(>r/>ersch7,\l h ■ <',icr TtT-m der 
Örti'ichkeit gefährlich oder rcegeit seiner persön-lichen Verhältnisse beschimpf emi sei 
mui dass Baldns zu omst. 1 C. de custodia reorum die Fesselung mit I/andeisen 
der Folterung gleichgeachtet U'issen 7iWle. An der 7'on Sichardt angeführten Stelle 
handelt /ia/iins nach dem l\ >gijnge </< < Ciniis :// comt. 2 ('. de his i/nae 7'i 7vn 
IJnsperrung als Mittel der Xothi^ung zu einem Zahlungs^'ersprechen oder einer 
ZeüUung; doch ni/funt er in dem unmittelbar vorangehenden Satz aus der const, 2 
dt, Veranlassung eine andere eatf die Fslter bezügliche Frage m er&riem, 

45) Nach dene WortUuit enthieä dieses Mileghem mg&ich die Ermächtigung 
wider Obel beiüchti^e Leute von Amts wegen Unterstichung einsuleiten, was im sfäterm 
MUteUdter vielen kdehsst&Üem eben durch hedserSche PrivH^en gestaUet vmrde. 
S, Malblancy GescHchU der P, G. O, S, 65, Biener, Beiträge au der Geschichte 

des Inquisition spr. e e S. 139. NO. 

4(i) Diese /'araphrase ist in Rodolphi Agricolae huubrationes, Coloniae s. a., 
S. 222 ff., sodann in Frehers rerum Germeaucarum scrif4eres Theil II, S. JJJ jf, 
gedruckt. 

47) S. I/äischner. System des prenssischen Straf rechtes ImI. II. S. 207, 'J 12 f. 

•IX) S. dtn iiingting und Xr. 2 it'es GutacJitcns. Xiiliere An kunft td>er die 
Auslösung ertJuilt eine i 'rkunde des königlichen .Irchivcs zit .Stuttgart » I cruiihnus 
derer von fVeutsperg gei>rauch und alHen herhomens, der Bethschwerung vnd 
Vsslasu^g halbm. Die MittheUung derselben, wie überhäuft der meisten in dieser Ab- 
handlung benOtUen handsehr^tSchen Aetenstäche verdanht der Verfasser der Güte 
des Herrn Archiuratha Dr von StäHn, 

49) Sattler, Geschichte des Ilersegthums Würtenierg unter der Regierung 
der Hertogen Th, IL S, 190 f,, 187, 

r,0) Die in Anmerkung 48 genatuite Urhmde sagt im vorletzten Satte: da 
der I/er-zog denntden der Stadt die Xachstetier entzogen hohe, sei und n'crde man 
heiium Ausgelosten, der aus der Stadl und himoeg sieheu wolle oder werde, der Nach- 



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stmett Leibdgmschqft oder des Ahttgs halb EiwS^t ^clmi oder nacJnulassen schtäSg, 
Dkser Sai» u$tJ der hn Text mu dem dUaektem emg^ukrte dietien emoHder gegen- 
seitig mir ErlaiUenti^, 

ÖJ) JSs ist o6eH erwäha das» Skhardt in dem für de» Redh vom HeU" 
hrome aigegebenem eomißum eritiAude 6 die Vermrtkei&tmg Hnes AkwesemkH für nt- 
lässig erk&rt und ßir den Faü dose der Bescknldigjte eiUmeichen soäte segar anem' 
p/ekä» Der Gigensai* wt^ehen diesem Ausspruch und dem Gremps erinnert an 
eUe ZeriespäÜigluit, welche dnmn!<; in der deutschen Rechtspflege^ Wissenschaft und 
GeHhgAm^ in Bezug auf das Ungehorsatnsverfahren in Strafsachen bestand. Siehe 
Hugo Afeyer^ das Strafverfahren gegen Ahioesende, Berlin isr,'j, Seite 128—154. 
Doch ist es nicht nofh'vcn<iig , M Sichan/t unter der scntentia , condemnatio die 
Auss/'rechiiHg der Sfm/c zu -i'crsfehen, 7ce/cke das (ieuiz für das dein Beschuldigten 
zur Last .C("/r;;7(' I'er/'>rcehc/i selbst drohte, sie kann auch ein anderes l'rtheil, irelehes 
eine Schu/di-^s/^rei /mag enthielt, etwa eine Aeht-erkldrnng, liedeuten. Das /praktische 
Ergelmis , nh'lches Sichardt bei seinem Vorschlag im Auge hatte, Verhinderung 
einer Begnoiligung, sollte nach dem für . eSe Ansichten jenes Zeitalters bezeichnenden 
Entwurf einer wiirttemhergisehen Crimtnedordnung vm 1609 überhaupt einfreten, 
wenn der Beschnitte auf drei je nach Verfinss vm vierzehn Tagen attgeschlagene 
^ßmOiehe Vinrbubmgen unentschuldigt audß^, Gessl& in der Zeitschrift für 
deutsches Hecht Band 20 Seite 947. 

63) VergL Baldus, consiUa Theil /. cons. 856, meine Abhandlung über die 
Au^dung der Lehre vom Verstuh der Verbrechen in der WisHnschaft des MUUl' 
aäers, in d-n Tübinger Vnn'crsität 'sschriften von 18G0 A>. .% S. 31 Anmerh. 84. 

53) Vergl. die Xachrichi des Bartholomäus de Saliceto, comm. su const. 
7 C. ad Ag. Cornt'l. de sicar.. /X. V>, über einen Ausspruch des Baldus in seinen 
Vorlesungen zu cnsf. ö ('. de <•// (r'/.'.i oder 7'ielleictit zu const. 7 ad legem Comel. 
de sicar., sodann Bartohis zu l. Iii ,^ S P. de foeniSf der sich auf lacobus de 
Arena beruft. Meine angeführte . llhand.'un.:; Seite 'J4. 

f>-i) Das consilium der Bacultät in der . Inklas^esache 'wider Knihai Dia Kefplery 
tUe Mutter des .eisironomen, wegen Zauberei ist in J 'rischs Ausgabe der keppleri- 
schen Werhe Band VIIL TheU 1 SeUe 548 f. algedrucht. 



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I 



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Zur 




der 



Uuiversität Tübingen 



im Sommer 1877. 



F e s t p r 0 g r u m lu 



der 



pkilosopliisclien Facultät 



Tübingen, 

Druck von Ludwig Friedrich Fues. 

iö77. 




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1 

I 



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Die 



Jubiläen 



der 



Universität Tübingen 



11 ii c Ii Ii Ji 11 (1 s c h r i f 1 1 i c h e n O u e 1 1 e ii 



dargestellt 



von 



Dr. Bernhard Kugler, 

o. ö. Professor der Gesell iclite. 




1578. 



tJpTff die Universität Tubittgcn voll Stols imd Freude sich 

rustctc\ (h'ti Abschluss des ersten und den Begimi des STveiten 
Jahrhunderts ihres Jk-staudes feierlicJi zu het^^e/ie/i, ".ear die 
Lage des deutschen Gcsammtvatcrlandcs und der protestanti- 
schen Kirche trotz des gegentheiligen äusseren Anscheim in 
Wahrheit keine erfreuliche. Der grimmige^ noch ufienisgetragene 
Ilass ziei seilen den A)ih Ungern der alten und der neiie}i Kir- 
chenlehrer in DeutseJdand dureJi den Augsluirger Religionsfricdcn 
mr nothdUrftig gczügclty hatte ivährend der letztvergangenen 
Jcdtre in Frankreich und in den spanisclien Niederlandai eftt- 
setsliche Ausbrüche von Kriegswuth und Mordlust heri'orge- 
rufen. Hugenotten und (iensen mngefi seitdem in JiöeJister 
Spaniiung ihrer Kräfte mit itbernidclit igen Gegnern: ihr Hiilfc 
ruf sclioll unoMsgesetzt zu den deutsclien Glaubensgenossen her- 
über uftd Jaftr um Jahr luurde die Sorge lautf dass die Flam- 
men des Kriegsbrandes mich über dem deutschen Reiche von 
Neuem zusdnunensc/ilngen loiwden. Wenn dies aber geseha/ij 
so mochte leicht noch Schlimmeres folgen. Denn wie sollte das 
hundertfach zerspalten , sich selber zerfleiscltende Reich dann 
mir seinen Bestand gegenüber den beutelustigen Nachbartnächten 
wahren f und wie sollte die höchste ErrungenscJuift der bis- 



Jierigcn Mü]u*n utid Kämpfe^ der zarte Keim der Giaubefis/rei" 
hcit, künftigm GeschlechUm erhalten bleiben? Zumal da in so 
bedrohter Lage die deutschen Protestanten selber in bitteren 

Zicii spult ^rritt/uiij cbm in dh snn ^ hi^tubliLk die l.utJu rancr 
von den Rcforniirtcn sich in schroffster Weise abschlössen und 
hierdurch nicJU allein die eigene Partei in swei feindliche 
Heerlager theiUen sondern durch so leidenschaftliches Hervor^ 
dr(inq;en kirchlicher Streitfragen auch veranlassten^ dass ihren 
Staatsmännern im diehten und lähmenden Nebel des eonfessio- 
nellen Haders alle Klarheit und Thatkraß für Erfiälutjg ihres 
Berufes zu Grunde ging. 

Indessen so Obel die Lage Dattschlands mns Jahr 1577 
allerdings ivar, so macht dieselbe doch nur den Eindruck wie 
Jieisse Sc/nviile vor dem Losbnich des Sturmes ^ sogar wie be- 
sonders leuchtende sonnige Helle ^ ehe droliende Wettenvolken 
vollcfids sich smsammenballen. Von den schweren Gefaliren^ 
welche dem Reiche und allen seinen Theilen drohten^ wussten 
die \ 'olksmassen leeniiT und selbst die l iiJirer der Xation lies- 
sen sich zumeist nicht tief von denselben anfechten sondern 
lebten sorglos und frohinuthig fast nur der genussreichen Gegen' 
wart. Wie hatte man es doch so herrlich weit gebracht l Der 
Aufschtvimg aller Geisteskräfte j den man den humanistischen 
Studien und der Kireke)ireformatio)i dankte, hatte die sclionsten 
Früchte gezeitigt. Die Studien bliUiten, die bildenden Künste 
schnuUkten^ reichliclier als je bislicr^ Städte und Schlösser von 
den Alpen bis sum Meer, der Anbau des Landes dehnte sich 
ans, das deutsche Handwerk war dem der meisten Nachbar- 
xwlker nocJi immer iiberlegen und der Handel der Nation, ob- 
woJil schon hie und da aus dem einst von ihm beherrschten 
Gebiet verdrängt^ erfüllte doch noch einen grossen Tlieil der 
europäischen Märkte, 

Wirtemberf^ nahm an diesem jlnfsthieuni^- lebhaften An- 
tlieil U7id zwar um so lebJiafteren^ als es seit dem Ende des 



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Mittelalters eine besonders ereignissrcicltc^ alle Kräfte des Volkes 
spannende und steigernde Zeit durchmessen hatte. Noch vor 

ein paar MenscJicnaltern eine unter zivei Herrscherlinicn ge- 
theilte und desJialb vergleichsweise unbedeutende und ohnmächtige 
Grafschaft war es jetzt ein stattlicJies ^ eihlieitlich durchgebil- 
detes^ untheilbares Herzogthum. Noch zfor einem Menschen- 
altei'y als die angestainiiite Dynastie ans dein Lajide ih'rlrii hen 
ivar^ den politischen und lirchlicheii ^hwrdnuftgcn des Hauses 
Habsburg in drückender Weise preisgegeben ^ erfreute es sich 
jetzt seiner vollen staatlichen Selbständigkeit, seiner hochent- 
wickelten ständischen Verfassung^ seiner fest gegrändLUn prole- 
stantisclien Kirche. Die Einieohner des Landes trugen zur 
ßlüt/ie desselben in allen Schichten bei. Fort uttd fort wurden 
Strecken bisher ungebauten Bodens zu Wiesen^ Ackern^ Wein- 
bergen umgeivandelt ; jede Art bäuerlichen wie bürgerlichen Ge- 
leerhes wurde ßeissig geübt und gebessert; Rcichthum und 
Wohllehcu stiegen in scJineller Progression. 

Die Universität Tübingen hatte inzwischen einen ähnlichen 
Entwicklungsgang gehabt wie das ganze wirtembergische Land. 
K/ein bn^innend hatte sie doch nach kurzer Zeit einen eliren- 
vollen Platz unter den Pflegestätten der Wissenschaft geieonnen 
und es war ihr die Ehre zu Thcil geworden^ Reuchlin uttd 
Melanchthon eine Zeit lang unter die Ihrigen zählen zu dürfen. 
Die Jahre der 'österreichischen Herrschaft über Wirtemberg 
und mehr nocJi die Seliieierigkeiten ^ die mit der lunfiiJintng 
der KireJienreforuiation verbunden learen^ hatten dann freilich 
die holte Schule in grosse Noth^ beinahe in einen Zustand der 
Auflösung gebrcuht^ aber seit der Mitte des Jahrhunderts^ seit- 
dem die religiösen Wirren in Deutschland sich zum Frieden 
geiu'igt und seitdem Herzog Christophs PAnsicJit und Thatkraft 
über Tübingen geiealtet halten^ waren die Studien zu neuer und 
Überraschend reicher Blüthe gekommen. In allen Facultäten 
fanden sich jetzt Lehrer^ deren Ruf sich über die bescheidenen 



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— 6 — 



Grensen des Herzogthums ^ mm Theü sogar Über Deutschland 

hinaus rrstrccktc. Tlu-ologiii wie dm viclgcscJiäf tilgen und er- 
folgrcii'Jicn Reformator Jakob Atulreä und leie Jakob Heet' 
brandy den Verfasser eines sehr beliebten Lehrbuchs der Dc^- 
fnatihf Juristen wie den geschäfts- und redegewandten Vorth 
/m/er, :eie die eifrigen Lelirer Dem/er^ Cappelbeck und Hoch' 
nianUf Mcdiciner wie Leonliard Fuchs und seinen Kac/ifo/ger 
Johannes Vischer^ welche das Studium der HcilkutuU von dem 
Autoritätsglauben des Mittelalters su befreien und ssu selbstän- 
diger Naturbeobachtung hinsufuhren begannen ^ Mathematiker 
"tvie Apianus, IVii/o/ogen zeie den etieas pedantisc/ien Po/y/iisfor 
Martin Crusius^ der aber die Sehnsuc/it nach der Kenntniss 
der griecliisclien Sprache und des griechisclten Altert/iutfts in 
vielen Hunderten von SchOlem erweckte^ und wie den geniali- 
schen Humanisten Nikodemus Frischlin — so hervor ra^rende 
Män)ier besassen dania/s nieJit vieie deutsche L nieersilaten und 
in so grosser Anzahl viel/eicht keine eins ige. Auch für Tü- 
bingen ist hiertnit die liocliste Blütlie bezeichnet^ welche diese hohe 
Schule wäJirend der ersten Jaiirhunderte ihres Bestehens erreicJten 
sollte. Ums Jahr 15T7 aber strömten von allen Seiten Schüler 
in die Ilörsä/e dieser Lehrer, i'er/angten :'ie/e deutsclie Fürsten 
Gutachten von den Tübinger Rechtsgclekrten^ träumten die Grä- 
cisten Juhingens von einer Vereinigung der protestantisclien und 
der griechischen Kirclie gegen Rom und beherrschten die Tübinger 
Theologen das gcsainmtc Luthcrt/inm des deutschen Reiches. 

Der iet.ztere l'Uistam/ erinnert frei/ich 7i'ieder an jetie Ge- 
fahren, von denen die Zukunft Deutsch/ands und des Protestan- 
tismus bedroht waruftd die endlich in den Schrecken des dreissig' 
jährigen Krieges die entsetslichste Venvirklichung finden sollten. 
War doch gerade im Kreise der Tiibinger Theo/ogen die 
sc/iroffcy den Rcformirten feindliclie Ausbiidung des lutherischen 
Wesens zu schärfstem Ausdruck gekommen, und vollendete doch 
eben im Jaiire 1577 yakob Andrea durch die Schöpfung der 



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— f - 



Cancordienfarmel den Zwiespalt des protestantiscken Deutsch- 
lands. Macht CS nun aber schon einen scJnncrzlicJicn Eindiuck,, 
gleichsam beim Aujbrcchen jener reichen BlUthe sofort auch den 
Wurtn zu erblicken^ der an derselben nagt^ so erscheint dies 
noch viel trauriger, wenn ein näheres Eingehen auf das Treiben 
jener Menschen seigt^ wie jttgcnd frisch und lebensfreudig dieses 
Geschlecht noch lear, leclche heiteren Kräfte inithin durch den 
beklemmenden Druck trostloser politisch-kirchlicher VcrJialtnisse 
erst Zug um Zug verkümtnem und endlich in bitterer Kriegs- 
noth beinahe vemichlet werden sollten. 

Der erste Oktober li)77 war der Tag^ an welchem hundert 
Jahre zuvor die \ 'o riesungen der neui^ej^ritndeten Universität 
Tübingen eröffnet worden waren, Aclit Tage darauf luUte im 
yaJire 1477 der akademische Senat seine erste Sitzung gehalten. 
Daher mochte es den Tubinger Professoren im Jahre 1577 an- 
gemessen erscheinen, das Jubiläuin erst im Spätherbste, nachdem 
das erste Jahrhundert auch wirklich vollständii; abgelaufen, zu 
feiern. Wir finden wenigstens nicht früher als in der Mitte 
des Oktobers 1577 Nachricht von einer SencUssitsung^ in welcher 
über die Veranstaltung der Jubiläumsfeier berathen tuorden ist. 
Und luenn hieran auffällii^ erscheint, dass für ein grosses Fest, 
welcltes dann doch wohl in den allertiäclisten Wochen steUtfiiulen 
sollte, so spät mit Vorbereitungen begonnen wurde, so war dem 
academischen Senate damals genugsam bekannt, dass eine lange 
Frist für die 1 'orarbeitcn zu icurdiger Begehung des Jubiläums 
Niemand bedii rfte. 

Das Fest war nach der Anschauung jener Zeit gleichsam 
eine FamiliefMngelegenheit , ein freudiges Ereigniss allein für 
die Universität Tübingen und flir das Land Wirtemberg, Es 
fiel Xiemandem ein, obgleich der Ruhm der sclncäbischen Ge- 
lehrten einen weiten Länderkreis erfiillte, andere Universitäten 
zum Jubiläum einladen oder sonst irgend welche Fretnden zu 
diesem wirtembergischen Ehrentage heranziehen zu wollen. Man 



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— 8 — 



sprach nur den Wunsch aus^ dass der Ixiiidesflirst sur Ver- 

/irrr/if/n///''- des lustcs nach Tnbiw^cn kommen jnö<zi\ und man 
bcsc/llüssy die höheren J>eamtcn des Landes sanuut allen Kloster- 
prälaten, den Vorständen der ei^angclisclun Schulen, aus denen 
die Universität die Hauptmasse ihrer Studenten erhielt, eilten 
Jeden in besonderem Schreiben zur Tlieilnahine am Jubiläuin 
aufzufordern. Hierzu aber bedürfe man um so wcnij^er Zeit, 
als der Verkehr zwischen Hohen und Niedern, zwischen dem 
Fürsten und den Uftterthanen selber, ein lierslicher, narwcr- 
traulicher war, frei von ängstlicher Wahrung- ceremonicller 
Juirmen. Und ivofiir mau sonst noch sorj^en luusste, wie aca- 
dcmische Reden, Predigten und etwaige Festspiele, alles Dieses 
erforderte in jenen Tagen, denen die umständliche Weitschwei' 
figkeit der nächstfolgenden Jahrhunderte ttoch völlig fremd 
war, ebenfalls nur eine kurze Vorbereitung. 

Per Landes fiirst, auf dessen />esuch man in Tübiuq-en hofft»', 
war Iferzoi;- Ludieii^, der einzige Sohn des trefflichen Christoph, 
der den J ater überlebt hatte. Er war damals vier und zzvanzig 
Jahre alt, seit zzvei Jahren schon mit der sechs Jahre ßingeren 
badischen Marlcgräfin Dorothea Ursula vermählt, aber noch 
ohne Aussicht auf einen Erben ^ den die Unferthanen, damit 
Christophs Stamm nicht auss/er/\-, sehnlich, jedoch, wie die 
Zukunft zeigen sollte, vergeblich herbeiwünschtat. Im Übrigen 
war er in seiner frischen Jugendzeit ein Mann recht nach dem 
Herzen des Volkes. Die Regierungsgr Schäfte machten ihm frei- 
lich wenig Sorge, dafiir aber Hess er bewäJirte Rat he aus 
Christophs Schule ungestört schalten. Theologisch war er, dem 
Geist der Zeit entsprecltend, xvohl durchgebildet, dazu ein Frettnd 
der Studien und der freien Künste, und vor Allem stets bereit, 
bei festlicJuii Ciclegeuheiten in heiterer Geselligkeit sich seines 
jutigen Lebens zu freuen. Das UniversitätsjubiliUtm hatte daher 
eine starke Aiiziehuitgskraft flir Hin. Er versprach ohtw Zau- 
dern, selber zu kommen; wenn er aber daran verhindert xverden 



sollte i so werde er doch ^itte stattliche anschnliclte Botschaft^* 
schicken; auch war sogleich die Rede davon, dass er der Uni- 

vcrsität auf dem Schloss zu Tübingen ein Festmahl geben 

werde. 

Kaum waren jedoch die Vorbereitungen zum Jubiläum so- 
weit gediehen, so stellte ein schmerzliches Hemmniss alles Weitere 

in Frage. Denn schon im Anfang des Herbstes Ovaren in dem 
benachbarten Reutlingen einige beunruhigende Todesfälle vor- 
gekommen; nach kurzer Zeit konnte man nicht mehr zweifeln^ 
dass die Reichsstadt von einer epidemischen Krankheity elfter 
„Pest^ ergriffen 7var, die denn auch nach den Berichten der 
Zeitgenossen im Beginn des Winters dort gi'osse Verheerungen 
angerichtet hat. Der academische Senat liatte von vornherein 
mit lebhafter Sorge nach Reutlingen hinubergeblickt ^ weil es 
,^ein grosser Schimpft gewesen wäre^ wenn mm etwa die Feier 
des Jubiläums einen idn^ln Verlauf genommen hatte. Doch hatte 
man voll muthigen Snuies die Vorln vcitimgen noch eine Zeit- 
lang fortgeführt^ von Woche zu Woclie auf bessere Nachrichten 
aus Reutlingen hoffend^ bis endlich dort die Krankheit so sehr 
überhand nahm^ dass nicht bloss Angesichts so grossen öffent- 
lichen Unglücks die Veranstaltung eines geräuschvollen Festes 
ungeziemend erschien^ sondern auch Tübingen selber^ aus Furcht 
vor Ansieckungf sich bedroht fühlte und die Frage aufgeworfen 
wurde^ oh nicht Professoren und Studenten nach Esslingen^ wo 
die ganze Uni:'ersität schon öfter in Pestzeiten freundliche Auf- 
nahme gefunden hatte, auszuatuiern sollten. 

Unter solchen Ufuständen musste die Feier des yubiläums 
verschoben werden. Sowie man aber — in den ersten Wocheti 
des yahres 1578 — aus Reutlingen körte, dass die Krankheit 
nachlasse, eine leeitere Aiisbreitiing nicht mehr zu fiircJiten sei, 
da suchte man scJdeunigst das Versäumte nachzuholen. Man 
Hess sich nicht anfechten ^ dass man nun mitten im Winter 
stand f in einer wenig günstigen yahreszeit für Reisen von 



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— 10 — 

Ehrengästen und fcstlicJic Aufzuge in den Strassen Tu/>ingens 
— solchem Bedenken ergaben sieh die lebeiisfrolicn Manner des 
scdtsschntcn Jahrhtmdcrts nickt leicht — ; fttan sclUug viel- 
mehr dem Hersog Ludwig einen nahen Termin vor, und nach- 
dem derselbe bezvilligt war^ trat der academischc Senat am 
zwölf tcn Februar zu einer Sitzung zusammen ^ um die Einla- 
dungen schon ßir den sivanzigsten desselben Monats zu erlas- 
sen» Unter die Gäste ^ die das Fest zieren soUen^ wird jetzig 
nachdem die Rcutlinger Pest alte Dankespflicht in Erinnerung 
gerufen hatte, auch eine i'on dem befremuieten Esslingen zn 
erbittende Deputation aufgenommen. 

In aller Eile werden nunmehr die letzten Vorbereitungen 
getroffen. Der Theologe Dietrich Schnepff soll die academische 
Hauptredc in der netten Aula (der hcntigm alten Aula) halten; 
jfakoh Jleerhrand leird zum Festprediger ernannt; die Juristen 
Varnbüler und Demier bilden mit dein Medieiner ViscJier eine 
Commission^ das Ccremoniel des Festes zu regeln und für Küche 
und Keller zu sorgm: sie sollen wirtembergische und fremde 
Weine^ Wildbret und Neckarfische, die damals also noch von 
herz'orragender ('ritte gewesen sein mi/ssen , zum festliehen 
Schviatise ankaufen; die BitrgerseJiaft Tübingens trifft aus der 
eignen Mitte eine yhisivalil stattliclier Manner ^ die mit blank 
geputzten Waffen und Hamisclien bei festlichen Aufzügen , be- 
sonders heim Empfang des Herz(gs, mit^eirheii :eerden. 

Am neunzehnten Februar gegen Abend naht der junge 
Landesfürst der Stadl. Es begleiten ihn die Herzogin Doro- 
thea Ursula^ zwei badische Markgrafen^ Brüder der Letzteren^ 
die Edelleute des Hofes und die Rät/te der Regiertmg — ein 
präcJttiger^ in Festgeieändern und GoldscJnnuck glänzender Zug 
von flieht weniger als zweihundert Berittenen. Am Stadtthor 
bilden dreissig Bürger in Wehr mid Waffen Spalier; die 
Gassen wogen voti freudig erregtai Menschen; unter dem Don- 
ner der Geschütze Hoheniübingcns und dem Schmettern der 



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II — 



Trompeten reiten die Gäste zum Schlosse Jiiuauf. Dorthin 
folgen ihnen Deputationen der Universität, Die vier Decane 
bitten die Fürsten, dass dieselben die academischen Festlich- 
keiten der nächsten Tai^e mit ihrer Gei^ettwart beehren mögen. 
Zwei (iiiilre Prof es so reu laden das adlicke Gefolge mit ent- 
sprechenden Worten ein. 

Der nächste Morgen belohnte das dreiste Unternehmen der 
winterlichen Festesfeier. In strahlendem Sonnenschein konnten 
sich die Uuii'orsifiit ititd i/ire Guste i'ersdmmelii. Der Plat:^ 
vor der neuen Aula wurde durch eine Sehaar sehioer In^oa ff neter 
Bürger mit Mühe von dem andrängenden Volk frei gehalten, 
so dass sich dort allmählich etuf stellen konnten die Studenten und 
die Professoren^ der Magistrat von Tübingen und die Esslinger 
Deputation , die I\losterf>rälaten ^ die Mitglieder des Tütunger 
Hofgerichts und mancherlei Beamte des Landes, Herzog Jaid- 
wig kam mit seinen markgräflichen Schwägern und seinen 
Edelleuten auf glänzend geschirrten Rossen vom Schlosse herab. 
Nachdem er sieh unter Trompetenfanfaren der harrenden Menge 
angeschlossen hatte^ bot der enge Raum j^u'isehen der Aula und 
der Stiftskirche einen bunten und ansiehenden Anblick dar. Es 
war dort wohl nahem Alles versammelt ^ was in Wirtemberg 
vornehm, hochbeamtet oder geistig hervorragend war Von den 
schlichten Kleidungen der Geistlichen und (ielehrten hohen sich 
die färben- und schmnelv-reiehen Ce:ednder des Adels und die 
Helme und Harnische der Bürger leuchtend ab. 

Die Versammlung begab sich sodann in die Aula^ um die 
lateinische Festrede Dietrich Schnepffs ansuh'ören. Der Redner 
gedachte mit -.eanuen Horten der damaligen Pdiithe der Uni- 
versität und des guten l\ufes, den dieselin- in einem grossen 
Theile Europas genoss. Vornehmlich aber richtete er die Auf 
merksamkeit seines Auditoriums auf die Geschichte des Haush 
Wirtemberg und auf die ungemeinen Verdienste^ welche sith das- 
selbe um die hohe Schule encorbeu — ein dankbares Tliema^ da 



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gu cnmiem war an Eberhards im Barte selbstlose Hingebung^ der 

mit geringen Mitteln die stolze Anstalt ins Leben gerufen^ und 

an. CJiristopJis uncrmiuilicJic TJiätigkcit ^ die fast allein nach 
den stiirniiscJien Jahren Ulrichs den jetzigen erfreulichen Zu- 
stand begrüfidet luUte. Wir dürfen dem Worte eines Mit- 
gliedes jetter Versammlut^ wohl Glauben sclienken^ dass mandus 
Auge feucht ivurde, bewegt von der Erinnerung an solche Ver^ 
gangenheit umi voll froher Hoffnung auf reiches zukünftiges 
Glück. 

Avffedkn aber muss es^ dass die Festlichkeiten mit dieser 
Rede uttd nicht mit einem gottesdienstlichen Acte begamten. 

Lag der Grund hien'on in dem Gefuiil^ dass die acadeniische 
Rede als Kern des Festes allem Übrigen voranzugehen habe: 
Oder war dies dadurch veranlasst^ dass die lateinische Fest- 

m 

rede nur von den Männern^ nicht aber von dem weiblichen 
7%eile des Publikmns, besonders also anch von der jungen Her- 
zogin /licht ^'erstanden wurde und deshalb vor der langst beab- 
sichtigten deutschen Predigt und den übrigen festliehen Acten 
abgelialten werden sollte.^ Aber wenn atich etwa dies Letztere 
der Gnmd solclus Verfahrens war, so bleibt immerhin be- 
merkenswerth die Leichtigkeit, mit welcher nach suf all igen äus- 
seren Rücksichten über den Cang der Jubiläumsfeier entschie- 
den zifurde, fern von formalen Bedenken^ an dcium eine spätere 
Zeit mit Zähigkeit festgelialien haben würde. 

Aus der Aula begab sich die Versammlutig unier Glocken- 
geUhite in die nahe Stiftskirche, während die Herzogin mm 
auch das Schloss verliess. Sie fuhr die steile Ihtrgsleige in 
scJwneui Viergespann herab y empfangen vom Jubel des Volks, 
das sich der Jugendlichen Fürstin erfreute, die *wie Rosen und 
Lilienil strahlte, das blonde Haupt mit Gold und Edelsteinen 
geschmückt Die kirchliche Feier begann mit einem Gesang 
der fürstlichen Kapelle. Dann erhob sich jakob Jleerbrand 
und forderte in seitwr Predigt auf zum Dank für Gottes 



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— 13 — 



Gitade, welche die hohe Schule an ynhrhttndcrt kmg so reich" 

iich t;-faliirit; ci' dankte auch dem ivirttinh ergischen Fürsten- 
hause für die Wolilihaten^ die dasselbe der An stall erwiese iiy 
und ermahnte die Anwesenden^ dass sie, ein Jeder an seiner 
Stelle y darnach streben mochten , dass die Universität j dieser 
nBmnnefi des Lebens^ nie versiege^ sondern immerdar erhalten 
bleibe als ein starkes Ritstzeiig i^'ider falscJie Lehren und alles 
Böse in der Welt. Unter Gesang und GlockenschalL nahm so- 
dann die Feier ihr Ende, 

Inawischen war die Mittagssiutide naJie herangekominen. 
Der Hof, zu Ross und Watten, nebst der stanzen Festifersamm- 
hing eilte nunmehr rMtti Seh los se hinauf. Herzog Ludwig führte 
dort seine Gäste zunächst in den runden Thunn gegen den 
Neckar — vermuthlich derselbe Thurm, der am Ende des dreis- 
sigjahrigen Krieges von den Franzosen in die Luft ges/^rengt 
worden ist — und Hess rjii i'-rossen/ J'jgötr.en besonders si'iner 
Jungen Selnvägcr einen alten Stndententn-aueh , eine Deposition 
vollziehen. Man verstand darunter die Aufnahme eines jtmgen 
Studenten in die Gemeinschaft der älteren Genossen, Es er- 
Sellien ein ^Fuchsfi^ verunstaltet durch eine Maske mit Hörnern 
auf dem Kopf mit einem Halsband von Knoehen^ belastet mit 
Ketten, mit langen Ohren, Haaren und Nägeln — eine Schö- 
Pfimg studentischer Laune, um die ungelenke Rohheit des Un- 
gelehrten sn versinnlichen. Der Depositor, ohne Ztveifel ein 
Tübeuioos'es Ilanpt'i^ trat mit seinen Myrhren^^en vor den Un- 
glücklieheji hin, riss ilnn die Hörner vom Kopf, kürzte Ohren 
und Nägel, strählte das Haar^ schnitzte und zwickte und glät- 
tele so lange, bis er aus dem Monstrum einen jungen Menschen 
herausgeschält hatte, der singen, sprechen, verstände antworten, 
kurz vollo-iiltii^e Inioeise eines neu.n lUldun-^sstandes ceben 
konnte. Die ganze Versammlung bot heil igte sieh durch derbe 
Scherze an der Operation und versetzte sich in die vergnügteste 
Stimmung für den Fortgang des Festes* 



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— 14 — 



Dam mm gittg es sum Mittagsmahl im Rittersaal des 
Schlosses» Die Tafeln prangten von mannigfachster Beute der 
yagd und des FiscJifaiigs ; die grossen goldenen und silbernen 

Btchi r aus dvjii fürstlichen Scliatr; gini^i-n ßcissig in die Kn/nle; 
Herzog Ludwig und seine junge Gattin sprachen leutselig den 
Gästen stt. Nach der MalUseit brachte Nikodemus Frischlin 
eine Koniödie sur Attffiilmmg , den ^geschlagenen Prisciams^^ 
einen röniisclicn Granunaliker darstellend^ der durch die argen 
Sprachfehler der Kiichenlateiner des Zeitalters krank gemaclU 
und misshandelt wird^ bis £rasmus und Mclaiuhthon sich seitur 
awtehmeny ihn heilen und retten. Das Schauspiel geisselte mit 
geistvollem Sehers die barbarische Latinität, die im Mittelalter 
geherrscht hatte und noch immer nicht ganz übericnndcn ivar^ 
traf unter diesem \''r:,-oiuic auch ernstere Schäden der Zeit, 

wie medicinische Charlatancrie und juristische Kabulisterei^ und 
befriedigte die Schaulust durch die drastische Komik einscltwr 
Seenen» So bildete diese Auffiihrting, wenn sie auch etwas 

lang sich ausdehnte^ doch einen zugleich anregenden und heiteren 
Schluss des festlichen Tages ^ und als die frithe Winternach l 
begann^ trennte sich die Versammlung ^ sehr befriedigt durch 
den bisltcrigen Verlauf der Feier, 

Der folgende Tag brachte neue Genüsse. Die Stadt Tü- 
bingen hatte vorlivigsl beschlossen, der Universität ein Festge- 
schenk zu bieten, und hatte hierzu einen besonders schönen und 
grossen Ochsen sorgfältig mästai lassen, der nun zur festlichen 
Übergabe geschmückt wurde. Ein Horn wurde vergoldet, das 
atidre zinnoberroth gefärbt^ auf der Stirn wurde das Tübinger 
Wappen befestigt^ auf der rechten- Seite das herzogliche Wap- 
pen, auf der linken Seite das der Universität, So übergab der 
Magistrat das stattliche Thier dem gcsammtcn academischen 
Senat unter feicrliclier Glückwunschrede des Stadtschreibers 
Isaak Schwartz. Der Senat hat das nahrhafte Geschenk mit 
vielem Dank angenommen uiui in seiner nächsten Sitzung be- 



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— 15 



schlössen^ den Ochsen su schlachten md—ohne Zweifel unter die 
Mitglieder der Universität — su verüieilen. In anderer und 

doch Vi rwaudtcr Weise haben einige Zeit nachher die Klosterprä- 
laten aus Da-ilharkeit für die ihnen rsiiin fubiläuvi gewordene 
Einladung die Universität beschettkt^ indem sie gemeinsam der- 
selben ein grosses und kostbares Trinkgeschirr verehrt haben. 

Nachdem der Senat die Gabe der Stadt in Empfang ge- 
nonin/en Juitte ^ Hess er dnrcJi den Schall fröhlicher Mnsih zu 
dem J'es/schnianse laden^ den er nun selber den Gästen zu bie- 
ten dachte. Die fürstlichen Personen fanden sich diesmal^ ob- 
gleich sie es zugesagt hatten, nicht ein, sei es, weil Hersog 
Lndivig politische Geschäfte erledigen viusste ^ da gerade am 
Abend zuvor pfalzgräfliche Gesandte in Tübingen eingetroffen 
waren, sei es wegen eines andern daswisclun getretenen Hinder- 
nisses, Im Übrigen aber war die Versammhing xfoUsählig und 
so sahireich, dass die dreisehn Tische, die in der Aula aufge* 
stellt waren., nicht hinreichtiii, sondern noch an sechs leeiteren 
Tischen in dem benachbarten Hanse rizum Schieana gespeist 
werden musste. In der Aula dankte der Jurist Hochmann den 
Gästen für ihre Theilnahme am Freudenfest der Universität, 
im Schttfan erfüllte der jnnge Professor der Beredtsamkeit und 
Dichtkunst l-.rJiard Cell die gleiche Aufgabe. Hei der Mahl- 
zeit wurden Neckarree in., Rheinieein und Alalvasicr gereicht 
und unter Klängen der Musik und fröhlicltem Gespräch blieben 
die Gäste bis su später Nachmittagsstunde beisammen. 

Am nächsten Morgen verliessen die fürstlichen Personen in 
ähnlichem Zuge, 7i'ie sie gehonnne/i, und geleitel von herzlichem 
Zuruf des l olhes die Stadt, Die übrigen Gäste folgten ihnen, 
und der academische Senat trat su einer Sitsuftg susammen, 
theils um mehrere kleine Angelegenheiten sti erledigen, e. B, 
dass den Jfusihern, die man beschäftigt hatte., zehn Gulden ge- 
schenkt werden sollten; Iheils aber auch um festzusetzen dass 
nunmehr^ naclnkm das officielle lest beendet war, die üniver^ 



— i6 — 



sitid erst recht für sich allein in tranlicJicr Freude ziisannnen- 
komnun solle. Diese Anordmiig wurde dann auch mit solchen 
Nachdruck ausgcfiUirt^ dass am andern Tßge alle Lehrer der 
jhtstalt mit iliren Frauen sn einem gemeinschafliichen Mittags' 
mahl sich verein i^ten nnd nach demselben hei Mttsik^ Sehers 
und Spiel so Innige zusaniuienbUeheu, dass auch ein fröhliches 
Nachtessen noch folgte. Damit endlich fand die Reihe der Fest- 
lichkeiten ihren Abschluss, 

Nachdefn nun aber das Leben der Unii»ersität im alltag" 
liehe Geleise .zurückgekehrt zear^ griff jener Professor der Dicht- 
kunst Erhard Cell zur Feder und verewigte das Andenken des 
Festes in einem Icdeinisclicn Carmen voll vergnüglich dahin 
rollender Verse, In rascium Zuge zeigt er, wie sehr sich ein 
Tübinger Säatlarfcst von dem ynbilänm des heidnisehcn wie 
des katJioliscJieu Rom unterscheidet. Dann bezeeist er, von 
Moses beginnend y dass alle grossen Fürsten und Volks führ er 
fllr Hebung der Studien gesorgt haben , und hierbei kommt er 
endlich auf Eberhard im Bart^ Ulrich^ Christoph und Herzog 
Ludwig, Dem Letstgetutnnten nnd seiner Gattin spendet er 
einen dichten Strauss von schiueicheluden Kedeblujnen und alle 
Thcilnehnicr des Festes^ auch die geringsten , erz<.uihnt er mit 
sorgfältig abgewogenen ehrenden Bciivorten, Aber unter diesen 
barocken Wendungeti finden wir ein warmes Herc^ einen mun- 
teren naiven Sinn und hie und da sogar die Producte einer 
dreisten überniidJiic^en Laune. ZieiscJien der Stadt Tübini:;en 
und der Universität waren mancherlei Reibungen, besonders in 
Sac/un der academisc/ten Diseiplin^ vorgekommat, Erhard Cell 
kann sich da nicht enilialtcn^ nach hohem Lob der Tubinger 
Magistratspersoium feierlich Gott anzuflehen, 

Ut placidis ipsis hat com ivanms in ttrbe 

A/tJh'i/{is: cl CfiSi'anl hac res in niasinui [ai~'ac 
Commoda: Iis quare^ rlxoiqiu rcadiic trislcs. ^ 

Andrerseits ceigte der Dicliter sich von frohem Stols auf 



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— 17 — 



srhit acadt-iiiisc/ii Ihunat erfüllt. Nach seiner MeiiiitNj^ hat 
Eberliard im Barte Tiiiniii^en zum Sitz der Universität erwälilt, 
nicht etwa weil dies die bedeutendste Stadt in seinem Lande 
war, sondern wegen des gesunden Klimas, wegen der kom- 

reichen Gefilde riugsu))iher ^ leegen der Wälder, 'rnJU ii und 

Oll eilen am schönen Österberj^ und schliesslich wegen jenes edlen 

Getränkes f das an der tfalshalde wäclist^ 

— — Rhmtmu etmuta vimt. 

Und welch* eine, wenn auch gemäthUch gudri^gliehe aber 
aufrichtig liebevolle Sorge hegt dieser Professor der Dichtkunst 

für das ]\'ohl seines Herrscherhauses ! Es ist ihm nicht genug, 
doji Herzog Ludiuig schon in der Widmung seines Festcarmens 
Nachkommenschaft ssu wünschen, er wiederlioU diesen Wunsch im 
Fortgang der Dichtung sfu mehreren Malen und er verbindet 

mit dein Mlmsehe iu r.utraulic/ier Weise eine Mitlheihuig aus 
seinen eigenen hamilieiiangelegenlieiten, indem er seittem Fürsten 
ans Hers legt: 

Opto tm videani redewtHa saepe nefoks 
Seela suae, tt cet^rent iu vthä ipu, scJiolae, 
TUm fuoque /nie md spectaimU ista mpttes, 
Seclaris gemmos nam doBt atmus: Ame$t. 

So feierte und vollendete ein frohmüthiges Geschlecht 

unter drohenden politischen Verhältnissen das erste Jubiläum 
der Universität, 



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1677 



Dns CLicitli'r , 7,'c!c/irs sich nacJi und nach über gans 
Deutschland zusajiunciigczogcn hatte, lear endlich au verheeren- 
dem Ausbruch gekotmncn. Der drcissigjährige Krieg hatte 
Zahl und Vermögen des deutsctiat Volkes in beispielloser Weise 
vermindert. Wirtemberg war von dem allgemeinen Unheil in 
voller Schwere uiitbetrojjen leordeu. Nicht hlos die meisten 
Dörfer sondern selbst ansehnliche Städte lagen ^ i'dllig verlas- 
sen^ tn Trümmern; wildaufgeschossene Waldung deckte die 
Statte ehemaliger Kornfelder und Weinberge; die ZaJil der 
Einwohner sank in der schlimmsten Zeit bis auf ein Zehntel 
des fritJiercn Bestandes herab^ und dieser kleine Rest lebte zu- 
meist^ von Noth und Gefalir vcnvildert^ in wüster Zuchtlosig- 
fceit. Der Unruersität war es nicht besser ergangen als dem 
übrigen Lande. Das Gut der Anstedt war tlieils vom Feinde 
geraubt, thcils auch voji den verarmten Professoren zu eignem 
Nutzen verwendet worden. Viele Lehrstuhle standen verieaist, 
da ihre Inliaber schnell weggestorben oder ausser Landes ge- 
flolien waren; die ZaJWder Studenten schmolz kläglich zusam- 
men, und was sieh von Lehrenden wie Lemendcfi noch auf 
der Hochschule behauptete, gH^'^^ ci^icm Haufen von Zech- 
brüdern und Landsknechten, als Jungern der Wissenschaft, 



— 19 — 

Nach dem fimhH>aren Kriege rang Deutschland noch 

JalirzilLiitc lang mit tödtlicJicr J'j'St/iöpfiu/g ^ während joiscit 
des Reiches die jugouiUcJic Maclit des bourbonischcii l-rank- 
reicfis sich in straiiUnder Weise erhob. Der schmerzliche Gegen- 
satz zwischen der kläglichen Altersschwäche hüben und der 
üppigen jugcndkraft drüben hat ivohl r;u der Anschaumtg ge- 
fükrty dass diese yahrze/iiite die sehuiachvollste Zeit deutseJier 
Geschichte umfcissen^ eittc Anschauung jedoch, die auf eitur 
oberflächlichen und ungerechten Beurtlieilmig -der betreffenden 

Verhältnisse beruht. Denn nicht die Schwäche Deutschlands, 
nie/tt die Sieglosigkeit deittseJier Waffen gi'gcii fratrJösiselie 
Übermacht ist es, die Jenem Zeitalter sein eigentliches Gepräge 
giebt, sondern im Gegentheil erscheint es staunenerregend und 
bewundemswerth , dass die Nation trotz so beispielloser Er^ 
schöpf ung sich doch noch leidlich behauptete und nach und nach 
zu ehrenvoller Abwehr französischer i bergriffe sieh wieder auf- 
raffte. /:s zcar das nur möglich , indem das tiefste Elend sU' 
gleich den Weg zur Rettung zeigte. Die deutschen Fürsten 
i^iui^^en zumeist mit gutem Beispiel voran. Rastlos wurde ge- 
arbeitet^ deeretirt und rei^Ienientirt., um in den ai-inselii^en L (>er- 
rest des l olh'S wieder sittliche Haltung utui stetige Arbeitslust 
zu bringen y um den Bauer zur Pflege seiner Felder ^ den 
Bürger zum Betrieb des Gewerbes ^ den Soldaten, zu tapfrer 
Zucht, den Gelehrten zu emster Forschung aufs Neue zu ge- 
wöhnen. Dem Antriebe vo/i oben herab fol^^te bald in verstand- 
nissi'ollein Cehorsani die ^khrzahl der Nation, und so erlebte 
DeutscJiland eine Wiedergeburt^ schwieriger und mühsamer aber 
vielleicht noch Höherer Ehre werth, als irgend einen der ähn- 
liehen Vorgänge der ruhmreichen neueren Geschichte unseres 

Volkes. 

Wirte mberg nahm an dieser Entwickelung vollkräftigen 
Antheil, Herzog Eberhard Uly der — freilich in unreifer 
Jugend — während der schwersten Kriegszeiten keine glän- 

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— 20 — 

zendc Rolle gespielt haite^ verstand die Aufgabe der folgenden 
Jahrzehnte tfptd bewirkte ^ unterstützt von dem Talent hervor- 
ragender Beamten^ eine vergleichsweise schnelle Erhebung des 

Landes aus den TriiDuneni der Ver^^amrenlieit. Die Universität 
erfreute sieh der lebhaften Fürsorge der Regierung und zeigte 
sich allmäiUich^ wenn sie auch die gleichtnässige BUUlte des 
secliszehnten Jahrhunderts niclä wieder erreichte^ doch ihres 
alten Rufes würdig. Die theologische Facultät umfasstc jctst 
tuehtige Canzelredner und dialectisch grü'andte l'ertheidiger 
der alten luthcrisclicn Orthodoxie wie Balthasar Raith^ Johann 
Adam Oslander und besonders den Canzler der Universität 
Tobias Wagner, Die Juristen Burkhard Bardiii und Johann 
Andreas Froniniann zeiLh)ieten sich als geübte Praetiker^ Wolf- 
gang Adam iMuterback als ein vortrefflicher Fehrer der PaU" 
decten aus. Unter den Medicincm Georg Baltliasar Mezger 
und Elias Rudolph Cammerer machte die Forderung ihrer 
Wissenschaft durch Beobachtung wtd Erforschung der Natur 
regere Fortschritte als seit geraumer Zeit. Die Zahl der Stu- 
denten stiege obwohl die fortdauernde Unsicherheit der Zeit 
lummaul auf den Besuch der Universität wirkte^ beträchtlich 
in Folge der Pflege^ welche auf die mit der Hochschule ver- 
bundenen grossen Alumnate venoendet wurde. Das Collegunn 
illustre das heutige Convict)^ zur leissenschaftlichen F.rzieliung 
junger Ilirstcn umi Edellcute bestimmt^ beJierbergte häufig wir- 
tembergische und attdere deutsche Prinzen nebst ganzen 
Schaaren von Grafen und Freiherren ; und wem auch die ernste 
Arbeit in dieser Anstalt gelegentlich sn wünschen übrig Hess 
und das flottere Leben des jungen Adels die Haltung der 
übrigen Studentenschaft manchmal bedenklich beeinfiusste ^ so 
wirkte doch auch der starke Besuch dieses histituts mit zur 
Wiedererhebung der Unittcrsität aus den vorausgegangenen 
armseligen Verhiiltnisscn. Von höchstem Wertlie zear aber fitr 
Tübingen damals vornemlicli das fiirstlichc Stipendium ^ das 



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— 21 — 



Stffiy welches nach dem drcissigjährigcft Kriege reorganisirt^ er- 

ICC Iii rt imd so rric/ilic/i mit Scliulcni aiigcfulll i.nrdr^ dass 
s. ß. iiti Ja/in 'l(j(i7 sic/i Iss Studiniide in demselben befanden. 

Das AiifbliUien des lumdes tuid der Universität wurde je^ 
dochf wie bemerkt ^ grossentheils durch Anregungen von oben 
herab hcrvorgentfen. Die Folge liienwn ^vur, dass das. ehe- 
malige naive l'er/iältniss zii'isc/ieii JiocJi und nieder^ zivischen 
Fürst und Volk verschwand , und feierliches Ceranonicl nebst 
schmeichelnd demüthiger Gesinnung des Untergebenen an die 
Stelle trat. In der gleichen Richtung wirkte überdies der 
offentlielie Geist, der sic/i i^üihrcnd der Regierung Ludi^'igs Xf]"" 
idh'r J'riiiik' reich und liiiropa niisde/in/(\, und so kann es nicht 
IVufider ttehmeti^ dass Herzog Eberhard III häufig der • Grosse; 
der » Vater des Vaterlandes* genannt wird, dass die jungen 
Prinzen^ die in Tübingen studiren^ mit iiJinliehen ehrenden Bei- 
icorten iilierschitttrt y dass sie zu Rectoren der l 'ni^'ersitat ge- 
leiihlt und ihre ReitoratsredeUf ernsten ^taatsacten gleich^ mit 
der höchsten Wichtigkeit beJtandelt werden. Auch der Verkehr 
der Unterthanen unter einander hüllt sich in schfteller Steinte- 
rung in immer ceremonielii re ^ grossentJieils von französischer 
6itie beherrschte Formen ^ untcrioiirfige Worte dem kleiiuii Manne 
vorschreibend^ gnädige Herablassung dem Vomehfuett. 

Man würde indessen irren ^ wenn man hierin nur elften 
hässlichen Auswtichs damaliger Zustände banerken wollte. Es 
le/)te in dem Ceremaniel jener Voj^'c anf deutschem J>odcn ctieas 
e ige nt hilmlich Berechtigtes. I^ic A fiatte sich aus schwer- 
ster Gefahr^ gleichsam vom Ramie des Abgrundes fort^ wiederum 
anf sicheren Boden gerettet; es war das aber nur durch höchste 
Spannung der schwachen Kräfte^ durch unablässige Fürsorge 
fiir alles Grosse u)id Kleine moi^lich geworden^ und so hatte 
dieses Geschlecht gleichsam ein Recht eneorben, hohen Werth 
in jede seiner Handlungen legen su dürfen. Denn mr indetn 
selbst das Umvichtige als wichtig behandelt wird^ indem die 

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— 22 — 

Akuschm jcitcr Tage mit allen Organen sich an das Leben 
klammern^ jeder Stunde und jeder Regung desselben besonderen 

Wi-rt/i hcilcf^cn , nur dadurch gelingt es , die fast schon er- 
storbene Xation zu neuem und scliöneveni Leben zu cnvcckcn. 

Diese Bemerkutig ist ausserdem unentbehrlich^ um die sonst 
kaum verständliche Stimtnuttg su erklären^ mit welclter Profes- 
soren und Studenten, Regierende und Regierte an die Feier des 
zweiten jnbiliiuuis der ( '///: u /s i/(d lUbingen herantraten. Die 
koke Sehule ivar damals noeh tief verschuldet und in der 
gleichen Lage befatulen sich die meisten Körperschaften und 
Anstalten des Landes, Dasu drolUe neues grosses Un/ieil^ weil 
Ludteig XIV in schwerem Krieg mit dem deutschen Reiche 
lag und seine Regimenter und die Reil Iistruppen sie/i se/ion 
auf 2eirten//?ergise//eni /Joden begegneten. Das I lerzogthum stöhtite 
unter der iMst der Steuern und der Brandscliatsungen^ der Re- 
cmtirungen und EinquartierungeUy der landfremden FUkhtlinge 
sogar y die man nicht umhin konnte aufzunehmen und su er- 
nähre);, /»e/and sieh doeli in Titbingen selber ein grosser 
Haufen armer Elsässer^ die vor franzosisclur Gewalttita t aus 
der Heimat entwiclien waren! Und unter so traurigen Um- 
ständen wird nun das yubiläum sehr frOhzeitig und überaus 
pompös vorbereitet und sehliessliehy trotz noeh hinzukounnender 
Landestrauer^ mit lang dauernden Festlichkeifen gefeiert. Ein 
solches Verfaliren köimte grotesk^ abgeschmackt und tlwricht er» 
sclieitten; der Gegensatz swischen ernster Noth und festlichem 
Jubel j zwischen geringen Mitteln uwl prunkvollen Ansprüclten 
l^onnte Tadel und Spott Iiei eorrufen ^ wenn wir nieht ^ei/ssten, 
dass das 'Jnbilauni fiir den Sinn jener Tage ein Jireigniss von 
ausserordentlich lioher Bedeutung war^ dem die gebühretuie JiJire 
gegeben zverden musste^ so nachdrücklich dies nur immer ge- 
schehen konnte. In Emst und Sehers, in Arbeit und Genuss, 
in hohen Schöpfungen und in uuisteindlicJier lirfitllung der For- 
men sc igt sich stets das Zeitalter ^ dem tuir des l ater lande s 



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— 23 — 

sciwnste Wicdergebtirt verdanken; und %\,'€nn Erltabenes mit Ge- 
rtngem verglichen werden darf, so erkennen wir in dem fast 

ubcrsdh'zcudoi Juf r, mit tiiin die arhcit^diiini und bcsonnciini 
Männer des siebzehnten Jahrhunderts die Feier des ziveiten 
Universitätsßäfiläums vorbereiteten^ dieselbe Lebenskraft, welche 
einen Leibniz und einen Friedrich Willielm von Brandaiburg 
schuf. 

Herzog Eberhard /II, der drei Jahre vor dem Termin 
des Festes^ im Sommer 1074, gestorben ist, soll dennoch schon 
mit seinen Rüthen die Begehung desselben erwogen ufid umfas- 
settde Nachforschungen in dieser Besiehung angestellt haben. 
Am 13. Oktober 1G7(i /tat sodann der aeadeinisehe Senat sie/i 
emstlich mit dem Jubiläum zu besehäftigcn begonnen. Fr /tat 
ein Paar seiner Mitglieder beauftragt, einen Plan sur Abhal- 
tung desselben zu entwerfen, und alle übrigen Professoren er- 
mahnt, *nachsndenken und in den Bibliotheken aufzusuchen, 
"u'ie es beim vorigen Jubiläum und sonst an andern Orten i^e- 
haltcn sein möchte.fL Hierbei wurde eine BeschreibunL^ des 
Säcularfestes vorgebracht, welches die braunschweigischc Uni- 
versität Helmstedt vor Kurzem gefeiert hatte, und man konnte 
mit Infriedigung ersehen, i^'ele/ie Hille von Fredii^ten, aeade- 
mi sehen Reden, Fromotionen und Depositione)} — und zwar 
trotz zweier kurz vorher in der landeslierrliclie7i Familie ein- 
getretenen Todesfälle — dort stattgehabt hatte. An Glocken- 
gelmd, Trompeten- und Paukcngetön, an Vocal- und Instmmen- 
tahiuisik hatte es bei keinem Theil der I'eier gefehlt; die Stu- 
denten hatten den festliehen Lärm ^mit Freudensehässen aus 
ihren Stuben^ vermehrt, und zum Abschluss hatte man eine 
MalUzeit gehalten, ^bei welclter auch das Frauenzimmer von 
der Uni7fersität Venvandten mit tractirt wtd nach ß^endigung 
derselben Abe/itls zum Fanz geführt i^'orden ^can^. 

Gcstiitzt auf solches Beispiel fing man in Bübingen an, die 
eigenai Wünsclu gegen einander aussttspreehen. Man schlug 



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— 24 — 



vor^ die Kiuladitugcn dieses Mal ctwixs weiter atiszudeJinen als 
vor hundert Jahren^ nämlich auf die Laitdcsbekordcn^ die Resi* 
detts Sttittgart^ die iMndstädtc Calu\ Balingctty Herrenherg^ bei 
denen die Unittersität sf< Pestzeiten Aufnahme gefunden, die 
Reii/isstädte Iissli)}ge)i ^ Reiitlingeiiy [Im uiui Hibernc/i y^evan- 
gclischcn Tlieilsvi^ nebst einigen Nachbarunivcrsitätcii^ besonders 
Strassburg, Die Feier ^ meinte man sodann^ tnüsse eine ganze 
Woclie fltllen^ von einem Sowiabend bis sum andern. Am 
ersten Tag sei die Anhutft des T.andesfiirsteft — Wilhelm 
Ludwigs, liberkanis III iioeh jungen, kräftigen und tkätigen 
Sohnes — zu envarten. Demselben könne ^eine wolä ausmun- 
dirte Compagnie von der Stadtbürgerschaft über Lustnau hinaus 
entgegenreiten^. Wenn der Hersog der Stadt nahe komme, solle 
mit allen Li locken geläutet leerden. . /;// I7ior mögt- sich der 
Stadt mag ist nU aufstellen, in den Gassen die Biirgersehaft nniit 
ihren Getvehren^ Spalier bilden^ in der Gegend der Kirche uiui 
der Aula sich anreihen der Rector — Prins lAidwig, des Her- 
:;ogs Bruder — , der Prorector, Cansler, Senat und ganze Stu- 
dentensehaft. l Unter den I ni'eersitätsangehdrigen leerde sich 
Ihre hochfiirstlichen Durchlaucht zu schuldigsten Ehren eine 
•mit in Mnsenliabit bekleideten Musikanten besetzte Ehrenpforten 
erheben. Der Rector möge den Hersog mit einem kurzeti Compli- 
ment beneventiren^ und durch die Ehrenpforte geleitett. Die 
r»in Musenhabit verkleidetoi Musikanten leürden sich alsdann 
hören lasse na und die Glocken leiirden läuten^ bis Ihro Durch' 
taucht hittauf in den Schlosshof gekommen. 

Am Sonntag tviirden der Rector U9td das ganze Corptts 
acadcmicnm den Herzog feierlich vom Schlosse su den Predigten 
abholen und loiedrr hinaufbegleiten, l 'nd zu'ar sollten nicht leeniger 
als drei Predigten nach einander gehalten uerden^ eitu Jhiss- 
predigt sur Vergebui^ der Sünden^ die im verflossenen Jahr- 
hundert begangen seien, eine Dankpredigt für die in derselben 
Zeit empfangenen Bn^>eise göttlicher Gfiade und eine Bittpre- 



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— 2S — 

digt für glücklichen Beginn uiui Verlauf des dritten Jahr- 
hunderts. 

Am Montag sollten^ eingeleitet ufiä geschlossen von mtisi- 
kaliseken Aufführttngcii ^ die academischen Festreden gehalten 

ivcrdcH und daniacJi^ li'ie man cricartoi durfte^ die J^rofcssori n 
bei ihrem Landesherrn zu Gast sein. Dienstags zvürdcn 
die drei obem Faaätäten Promotionen vornehmen und sodann 
die Ehrengäste zum Festmaid der Unrversited zusammen kom- 
men. Mittwochs u*ürde die philo sop Iii sehe Faatltät Bacca- 
laurecn und Magister creircu. Donnerstags konnten die Stiftler^ 
wie schon im vorigen Jahrhundert geschehen (%vo7wn wir 
übrigens sonst keine Kunde haben) ^ ilire Gelehrsatnkeit durch 
eine Ansaht vielsprachiger Reden seigen, Freitags durfte^ 
ebenfalls von den Stiß/ern^ zu aui^^eUi Jimer f* Recreation^ der 
holten Gäste neitw zu diesem Vorhaben dienliche Comod 'n' auf- 
geführt werden^ und Sonnabends möge der Absug des Her- 
zogs und ganzen Hofstaats unter denselben Feierlicfikeiten wie 
bei der Ankunft erfolgen. 

Zu weiterer Verherrlichung des lü stes sei aber en<ninscht, 
dass hierbei f wie auch auf anderen Universitäten üblich , für 
den Rector und die Decane der vier FacuUäten »ein in den 
Tnauguralacten anzuziehender^ su mehreren dieser Officiat 
^hitorität zielender absondi rlic/irr Ilabit oder 'lalar*^ gestaltet 
und eingeführt werde. Sodann niitsse man dafür sorgen^ dass 
die Ankündigungsprogramme und Festearmina auf weissen Atlas 
gedruckt und mit dem in diesem Jahrhundert bräuchlichen 
Ornat geziert wurden. Auch dürften sowohl der Herzoj^ wie 
die l 'niversität ])t nkninnzen ^ und ziear eine Anzahl in Hold 
und Silber zu Gesehenken y prägen lassen.. Beim Festmahl 
der Universität könnten ^ingeniöse Scliauessen^ die Tafeln 
schmücken und ^Etliche von Adel sowie etliche Anderem^ ohne 
Zweifel lauter Studirende, an den einseinen Tafeln aufwarten, 
auch von Zeit zu Zeit abi^elöst luerden, damit r»Alle der Reihe 



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— 26 — 



iiacJi an allen Orten sicJi srlirn lassin, sick iwouunaiuiircn und 
Discurs uiid Anderes den Gästen annehmlich verändern möchten^.. 

Wenn aber das officiellc Fest beendet und Tübingen von 
Fremden leer sein werde ^ dann möge »nach tnelen gehabten 
Sorgen^ Aufwartungen und Midie folgender Tage einem zu Er- 
neuerung wahrer collegialer Zuneigung ein Conviviuni sämuU- 
licher Jxhrcr und Beamten der Universität nebst deren Frauen 
gehalten werden; Wahrend desselben könne muh den Söhnen 
und Töehtern der Professoren von sieben Jahren an ein Freu- 
dcninahl gegeben leerden^ das nur »etlieh Gebratenes^ Gebacke- 
nes y ctlick Mandeln y Rosinen und Dutzend Lebkuchen nebst 
wenig mittelmässigem Wein* erfordern werde. Auch solle doch 
jedem Kind von den geringsten Denkmiinsen eine zu inehrerem 
Andenken geschenkt ^verdcn^ sninal -»solches Kindes Sohn oder 
Tochter gar leolil das folgende jfubiläKJn erleben und dann 
sagen könne: diesen Pfennig hat uwin Vater oder Mutter auf 
solche Weise bekommen,* 

Nachdem auch diese Freuden genossen seien ^ möge etwa 
der Professor der In redtsanikeit Caldenbach nstylo florido^ pO' 
litico aut pragmaticü ^ n'ie er genannt zu werden pflegt^ das 
Fest von Anfang bis su Ende beschreiben mit Inserirung 
aller literaria momtmcnta^ orationes^ sermones und ei^gekomtne- 
nen cannina: 

Mit diesem Plan zur AbJialtioig des jfubiläunis beschäftigte 
sich der acadeniischc Senat in den ersten Monaten des Jahres 
1677 und entschied^ soweit in seiner MachtvoUkotnmenlteit lag 
und überhaupt schon jetst eine bestimmte Anordnung zu treffen 
gut schien, dahin, dass das Fest in der eben attgedettteten Weise 
ausgeführt werden solle. Wir hören dabei kaum eine tadelnde 
Bemerkung iiber die grosse Ausdehnung und kostspielige Aus- 
stattung der Feierlichkeiteft. Dem erst etwas später fragt mit 
bescheidener Wendung der Cansler Wagner den Senate ob bei 
den jetzigen sehr bcschiverlichen utid gefährlichen Zeütitufen 



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— 27 — 

nicht wenigstem »die Ehrenpforte und der Professoren neuer 
Habite, wegfallefi solle, aber er dringt damit nicht durch, 

Xdi Ji /'rs/s/t //////c f/iS PliJiii's ii'inischt dw l iiiiwrsitnt l iiii- 
Deputation nach Stuttgart zu sc kicken. Dort hält man schriff- 
lichen Verkehr flir attsreichend. In Tübingen aber fürchtet 
man offenbar^ dass alsdann Manches, was den J^fessoren be- 
sonders am /fersen /i(X^ nicht mr Ausfiihruns^ kommen indchte, 
und so so/Iiciiiri man, his :'on Stuttj^art die Erlauhnis<> zur Ah' 
Sendung der Deputation erfolgt. An fangs März treten der Pro- 
rector Oslander und die Juristen Bardiii und Prommann mit 
einigen hohen Beamten in der Residens sur Berathnhg susam- 
men und bestimmen dieselben ohne Mühe zur Billigung des vor- 
gelegten Planes, so dass die Reise der ] >eputirten ultra vota 
abgelaufen: Nicht lange hierauf tuerden die r> feierlichen Solen- 
nitäten^^ mit denen die »cetttenaria revolutio«^ der l/ntversitäts- 
griitidunc^ gebührend begaitgen iverden könnte^ dem jungen Her- 
zog Wilhelm Ludieig in schriftlicher Darstellung nutcrhreitet 
und auch von diesem ohiw Zaudern und in vollem Umfange 
gut geheissen. 

Hiemach soll nun das yttbiläum mit all ' dem Pomp und 
Ceremoniel, wie der Senat vorgeschlagen hattCy eine Woche lang 
gefeiert leerden, und der Herzog fügt sogar noch hinzu, dass 
an dem betreffe )i den Mittiuoch nach den Promotionen der philo- 
sophischen Pacultät eiw Deposition %*orgenommen werden möge. 
Denn die Professoren hatten einen derartigen Act nicht in ihr 
Festprogramm aufgenommen^ vielleicht weil die offene Zurschau- 
stellung studentischen l'berunithes im jähre l.'>7s uachlröglich 
doch von der einen oder andern Seite herbe Kritik erfahren 
hatte; bei Hof aber wünschte fnan sich solchen Sehers nicht 
entgehen su lassen. Andererseits ist für die gesammte Lage 
hdchst charakteristisch^ dass der Herzog erklärt, nicht eher 
»einen eigentlichen Tennin fitr Abhaltung des Festes bestimmen 
MU können^ als bis die Kriegsvölker aus den Quartieren und aus 



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28 — 



dem Land hinweg sein werden*. Ausserdem ist er — mit 
vollem Recht — etwets bedenklich über die Zeitdauer^ welche 
die einzelnen Acte der Feier beanspruchen werden. ^Da drei 
Pn digtcn al^^rligt ivcrdcit sollen^ so nwrdcn sicha^ wie er 7'er- 
fügt^ ^die Doctorcs inöglic Ilster Kürze beflcissigeft^ gestalten mit 
dreimalige^' solennem Kirchgang ttnd dabei vor und nach den 
Predigten sn machender Musik siemliche Zeit hingehet; wie 
tcir auch erinnern, dnss bei den acadeniischen Reden die Musik 
voVy darrr.eise/ien und Jiernach kurz gemacht und die Ausreichung 
der Zeit wohl beobachtet werde; 

Sowie aber der Senat bemerkte, dass sein Festprogramm in 
Stuttgart günstigen Bodett fand^ arbeitete er an der Ausföhmng 
desselben rüstig fort. Kr Hess eine Ankündigung des bestes 
drucken und zahlreich versenden ^ namentlich in der Absicht, 
dass diejenigen, die ettva bei Gelegcnlicit des Jubiläums acade- 
misclte Grade erwerben mochten, sich bei Zeiten dastt rüsten 
k&nnteny ivobei ihnen freilich nur die Abhalttmg der Promotions- 
Si huiiiuse auf Universitäts/.-oste/i ^ nicht aber der Nachlass der 
übrigen Sportcln in Aussicht gestellt ^eurde. Dann wurde den 
Stiftlern an die Hand gegeben, über das Thema ^de vita 
studiosortumi eine Comödie sn entiverfen. Mit einem MUns- 
Schneider und, wegen Erbauung der Ehrenpforte , mit einem 
Seil reiner i^nirde verJiaudelt ; und als der Letztere zu>ei Abrisse 
vorlegte, wurde ^dcr grössere derselben beliebte, auch der Wuttsch 
ausgcsproclien, "itdie vier %*ordem Säulen, falls es nicht zu viel 
kosten sollte, nicht von gemalten Brettern sondern von rwtdan 
Jlolz zu machen. Vi 

Endlich aber schoss den Herren Professoren das Jdatt. 
Sie liatten ein grossartiges Säcularfest in Angriff genommen, 
ohtte die genügenden Mittel zur Aitsfültrnng desselben sn besitsen. 
Freilieh hatten sie gleich Anfattgs versnclU, die Universität *des 
Kostens möglichst .::u eutheben«j indem sie den Herzog gebeten 
halten, dass er doch ein 9 erkleckliches ^llmoscn^, welches bei 



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- 29 - 

dieser Gchgailwit den Jubinger llausanncn und zumal den 
vielen hmtdert ja tausettd aus der Nachbarschaft durch den 
leidigen Krieg von Haus und Hof Vertriebettat nicht vorent- 
halten tverden könne ^ gleichsam als ein Dankopfer für Er- 
lialtung der hohen Sehule m allen l'äJirliehkeiten der l 'ergangen- 
heil gewähren möge; und Wilhehn Ludwig hatte hierfür atuh 
sogleich hundert Reicltsthaler »aus dein fürstlichen Kirchen- 
kästen* bestimmt. Auch hatten sie schon damals daran erin- 
nt r/, das »d/e /.an/lseha/tu di r Jiohcu Schuir über Kiaa Gulden 
an Zinsen schulde^ von denen man Jetzt sur Aiirielituug des 
Jtdfiläums wenigstens 1000 Gulden erhalten müsse. Der Her- 
zog war hiermit einroerstanden gewesen und hatte erklärt, er 
werde ^ sobald ndie Quartiere zu End und die Kriegsv'vlker hin- 
weg sein iverdenv., der Landschaft desieegen beiueglich zu- 
sprechen lassen. Aber nun verging Woche um Woche ^ ahne 
dass die Landschaft su zahlen Miene machte, tvdhrend die Aus- 
gaben der Universität sich allmählich als ganz uwrschwinglich 
herausstellten. 

Da bcschloss man, den Professor J-rommann^ der für solehe 
Angelegenheiten besonders ^^gute, Discretion und Dexterität* be- 
sessen zu haben scheint, abermals nach Stuttgart su schicken, 

]ir sollt} dahin laboriren^ dass der Kirehenkasten noch ein Er- 
giebiges und sxvar 7i'enigstens Gulden beisehiesse , son'ie 
dass die Landschaft, deren Scliulden an die hohe Schule 
— niedrig berechnet — sich nun sogar auf 1800 Gulden be- 
laufen sollten, mindestens 1000 Reicltsthaler zahle. Der De- 
putirte erhielt tl iin aueli naeh grosser Miihe HOO Gulden vom 
Kirehenkasten und hinsiehtlieh der landsehaftliehcn Schuld die 
Vertröstut^ baldiger Entscheidung, Aber die Noth wuchs dem 
Senat trotzdem über den Kopf und nun suchte er, xväkrend bis- 
her beschlossen war, dass sowohl der Herzog wie die Untver" 
s/tot eigene Penkniiiiizen /nfgen lassen sollten^ die hierfi(r 
HötJiigcn Ausgaben von sich abzuxvenden. Frommann musstc 



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— 30 — 



deshalb nach Stuttgart schreiben^ *ob nicht hochflirstlichc Dttrch- 
taucht, welche einevt Vater gleich, der elfter lieben Tochter die 

Hochzeit aiistcliii ^ der i^^ehorsau/en ['ini-risitiit </as julhlfcst 
Juxltcu und dabei den li'öclisten Kachruhin fiir sich einig und 
allein haben werdCf die Denkmiinsen in Dero Namen selbst graben 
und schlagen lassen und alsdann gnädigst erlauben wolle^ dass 
die hohe Schule von solchen gegrabenen Denkmiinzcn nachschlagen 
diirfe^ gehöriger Orten damit einige sehnldij^e Ju sehenLnng zu 
thucn. Der Universität könne es zudem sonst ungleich ausge- 
daitet werden, da das Münsen unter die Regalia gehöre und 
der Landesfiirst hierin auch eifte Glorie swhc^i 

Indessen der aeadeuiiseJie Senat sollte in kurzer Irist 
durch ein schmerzliches Iirrigniss von seinen Sorgen befreit 
werden. Hersag Wilhelm Lndzifig wurde, obgleich erst dreissig 
Jahre alt, am ÄV. Juni 1077 plötzlich durch einen Schlagan- 
fall dahingerafft. Er hinterliess als Nachfolger ein unmün- 
di\;es Kiiidy liberhard Ludwig; sein Ihndcr J'riedrieli Karl 
ji her na hm die vormundschaftliche Regierung. Das jfuöiläuin 
durfte natürlich jetzt nur in eingezognerer }Veise gefeiert werden. 

Als l'ermin des Festes war mch bei Lebzeiten Wilhelm 
Ludwigs eine Woche in der aioeiten Hälfte des Augusts auser» 
sehen. Nun zi'ird der Inj^iiin der I'eier bis in den Herbst und 
zivar bis naeh Ju-endigu/ii^ der Weinlese verscJioben, so dass 
die Gäste erst am SoMUibaui, dem 20. Oktober, sich in Tübingen 
zu sammeln braiulien. Am folgenden Sonntag sollen sodann 
statt der bisher geplanten drei nur S7vei Predigten gehalten 
leerdeti. In i denselben und bei den aeademischen Aeten der 
}}äi listen Tage uinl nur riue »direute, stille und andächtige^ 
Musik stattfinden. Der Redeact im Stift, der den Donnerstag 
ausfällen sollte, tvird schon am Mittivoch tuuh den Promotionen 
der philosophischen Facultät abgehalten werden ^ und die Co- 
modie^ die am Freifag das l\st zu seh Hessen bestimmt warj 
wird ganz ivcgf allen. Auch sollen gar keine Denkmünzen ge- 



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— 31 — 



priii^t werden und Rector und Decane müssen auf das ersehnte 

nabsondcrru Ju' purpurne l-.liri uklridv^ lu rzichtoi. 

Zu solchi-r Hrsc/iniiilii/r^ t/is J\s/rs rcrcinigtoi sich Re- 
gierung wtd UnwersUäL Als aber die Ersterc atuh die Zahl 
der Gäste soweit verringern wolHe^ dass Niemand »von Hof 
und Canz/i'iv rju Stutti^urt eingeladen Heerde, Ju/ilte der Senat 
die Wurde der I-eier bedroht. leurdc icicdenim I'rom- 

fnaftu flach Stuttgart entsendet mtd wiederum hatte seifte Reise 
den besten Erfolg %ultra votum^.. Denn es wurde gestattet^ da 
der HerzoiT-Voi^nund Friedrich Karl nicht selber anwesetul 
sein konnte, als l'ertreter der LandesJierrseJiaft Dcputirte aus 
den höchsten In anitenkreisen zu hideHy und ebenso Deputationen 
der benacMarten Reichsritterschaft, der wirtetnbergischen Stäftde, 
des Tübinger Hofgeirichts^.der Reichsstädte Esslifigen uftd Reut- 
lingen^ der Residenz Stuttii^art und der Unitfersitätsstadt Tü- 
bingen zu erbitten, Spaterliin besch/oss der Senat auch noch^ 
wenigstens su defn von der Hochschule zu gebenden Festtnahl 
viele einzelne Beamte, wie die »Speciales uftd Amtleut im Land, 
hinget^en nicht die Pfarrer , zt^eil der Numerus gar zu gross 
sein 1^'iirde, und ebenso keinen Papistenv. aufzufordern. 

Professor J'rouunann hatte aber in Stuttgart noch ein 
aftdres Geschäft zu erledigen. Die ^fürstliche Kärntnern hatte 
dem Sefutt inzwischen Lieferuftgen für Küche und Keller ver- 
hcisscuj und Frommann cnvirkt nun die Zusendung von sechs 
Stücken J\oth:ci/d^ vier furchen, einem halben Centner Karpfen, 
einem halben Centner Hecht, vier JLitner besten weissen und zieei 
Eimer besten femdigen rotlien Ehrenweifis: Da auch die Lafut- 
Schaft endlich wenigstens 500 Gulden von ihren rückständigen 
Zinsen j^ezahit hat, so erscheitit die Ausrichtung des J 'estes für 
die Universität jetzt nicht mein- allzu schwierig. 

Aber tuich euht Tagen finden wir Frommann schon wieder 
in Stuttgart. Diesfttal hat er andere Sorgen, Das umstättdliche 
'Ceretnoniel^ an dem die Universität festhielt ^ war tticht 



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- 32 — 

nach dem Wunsch der Regiermig^ die dem auch einen Strich 
durch manchen aus^cdifteltcn Vorschlaft des Senats macht. Am 
Montag z. />., vor Beginn des acadeviisclun llaKptaitrs^ sollU n 
nach der Meinung der Professoren vom frühen Morgen an 
Zeichen mit den Glocken gegeben werden ^ um den i^genteincn 
Mann und sodann die Studiosi ad cultum et solennitatetn auf- 
Siununtcrn^^. Die Regie ntui^ enLscliieil jedoeli, es sei geniig^ 
wenn die r>Doctorgloekei wie vor Fromotio/wn so auch kurs vor 
diesem Act geläutet werde. 

Nun etuilich war man so weit^ die Veraftstaltung des 
Festes seider unmittelbar in die Hattd nehmest su können. Und 
trotz der noch leaJirenden Landestrnner, trotz der geringen Mit' 
tel der Universität und der Beschiuidung des Programms durch 
die Regierung blieb in dem ganzen Arrangenunt twch so xnel 
Pomp und Etiquette^ dass das Zeitalter der Alongeperriicken 
sich durchweg manifestirte. 

Die Universität ersuchte in ihren Einladungsschreiben die 
EliretigästCy ivegen der von J)enense/!h 'n jederzeit erfahrenen Gunst- 
gewcgenlicit und guten nachbarlichen Affection bei solch bevor- 
stehendem Festin su erscheinen^ um dem Allerhöchsten für bis- 
herige Conservation der hohen Schule^ dieses so edlen Kleinods^ 
mit helfen zu danken, den fiirgehenden Festivitäten beizuwohnen 
und selbige durch Dero liebwertlie Präsenz zu beziehen, welches 
sie, die Ünizfersität , wie es ihr zu sotulerbarcr hoher Faroeur 
und Freundschaft gereiche^ zu demeriren sich äusserstem Ver- 
mögen mich angelegen sein lassen werde. 

Die eilige lade lun Würdenträger danken wohl für so hohe 
Affection oder für das so höfliche utui obligeante Schreiben, 
werden sich, wie ihre Det*otion erfordert, submissest einfinden 
und werden es ßir eine neue Obligation haltefty wenn ihre hoch- 
geehrten /It rj-. n und Patroiw, die Professoren, ihnen nächstens 
favorable Occasion an die Hand geben, zur Bethätigung ihres 
dankbaren Gemkthes der gesammten löblichen Universität utui 



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— 33 — 



deren membris indwiduis atigenehtne DknstgefalUgkeiten ssu 
erweisen. 

Der Stid/j^diirr llofri'gistrator, der JwvzoglicJic Archivar^ 
der ^leiblich dieser Festivität nicht beiwohnen leird, will doch 
seine getreuen Herzensseufser um dieselbe Zeit vor Gottes 
Thron darbringenv^ und schickt ausserdem der Universität ein 
Gedicht, yic/Iicher Massen auf die Art ei)igeric/itcl wie das er- 
toste Jerusalem Gottfrieds von Bouillon, als ein geringes Füll- 
Steinelein zu dem aufzubauenden Jubelfestesdatikaltar.^ Die 
Stanzen des dichtenden Registrators zeugen von hocitstrebender 
Begeisterung, ^veniger wohl von Befähigung fiir poetische Arbeit^ 
wie aus folgenden l ersen hervorgehen diirfte: 

Du Utuveratäi krühmt ist an Gdekrtm^ 
Von dettm grosu Nirm oft wagt iegehrtm* 

Oder: 

Der Tiiiiin Irisch Piinuiss ttas ^i^tniw Lanä /n'i^iissi/, 
Der S/ronic dui/tuis äui tli alk Stände fl'u'ssct. 

Wätirend die Antwortschreiben der Eingeladenen anlangen^ 
trifft die Universität ihre letzten Vorbereitungen, Auf dem 
Universitätshof wird eine grosse Garküche errichtet , aus der 

die Jihrengästt; so oft sie nichl durch ein J'estniahl in Anspruch 
genoiiiiiini sind^ gespeist werden sollett. Fitr das Küchenpersonal^ 
welches das von der Regierung zu gebende Festessen herrichten 
wirdy wird eine Verehrung von zwölf Gulden beschlossen. Die 
Bedienten , welche der l^niversitti/ jubelgescheidxe überbringen 
zeerdeny sollen einen Botenlohn von zwei bis fünf Gulden er- 
halten; später liat man sich jedoch begnügt ^ jedes Mal einen 
Reichsthaler zu geben. Zur Bedienung beim Festtnahl der 
Universität^ bei der Garküche und wo es sonst nöthig sein wird, 
besiclli der Senat: erstens acht Professoroifrauen, so auf KiicJien 
und Speiskannnern Achtung geben , ob Alles sauber , ordentlich 
und ohm Abtrag hergelie; sodann zwölf Studiosi^ zunteist Pro» 
fessorensöhnSf zur Aufwartung bei den Festtafeln; ferner sechs» 



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— 34 — 

zehn Aiifwärter von Handwerker knien ^ einen Fourier j awei 
SiWerkämmerlinge^ zwei TliorhOter, vier Mantelbeobachter^ einen 
Küchenmeister^ swei Vorschtieidcr^ fünf Tranchierer, vier Köche, 

vier BrattiiWiiidrr , szvci Küfer, zicei Weinträger, vier Mund- 
schenken, swei \ \ 'asserträge rinnen, zehn Spülerinnen und Hand- 
langeritmen^ in Summa 61 Persoften. Vor dem Universitäts- 
festessen soll den Vertretern der Landesherrschaft das Lavoir 

präsent irt luerden: ased si nolent aceeptare , abstinendum 
dcccnter^i. 

Am 18. Oktober wird ein strenges Friedensgebot öffentlich 
verkündigt wtd angeschlagen, und in der Morgenfrühe des 
nächsten Sonntags, des Ul, Oktobers, wird auch das Programm, 

in welclieni eine Ubersieht iibcr alle beabsiclitigten festlieJien 
Acte gegeben luird, auf iveissctn Atlas gcdruekt und mit gül- 
denen Spitzen schön geziert, an das usclexarze Brette, geheftet. 
Zugleich werden dort auch die Programme der einzebien Fa- 
cultHten angeheftet, zjclche die Namen der Candidaten enthalten, 
die in den nächsten Tagen promo^nrt leerden sollen. 

Inzivisehcn luaren die Ehrengäste schon in Tidiingcn ein- 
getroffen und bei den Professoren oder vornehmen Bürgern der 
Stadt einquartirt worden. Die Vertreter der LandesherrscJtaft 
waren nicht auf dem Schloss sondern im CoUcginm illustre 
abgestiegen. An der Spitze der Landsehaflsdeputirten stand 
Johann Conrad Zeller, Abi zu Bebenliansen, uiui voniehmlich 
wohl nach seinen Anweisungen oder Aeufzeichmmgen ist späterhin 
ein handschriftlicher Bericht über den Hergang des Festes ver' 
fasst worden, lue le her die ivähreiid desselben herrschenden 
Stimmungen in eharakteristiseher Weise zum Aiisdruek bringt. 

Friih Morgens am Oktober leurde zur Kirehc geläutet. 
Der academische Setiat begab sich in feierlichem Zuge von der 
Aula aus zum Gottesdienst, desgleiclien der Tübinger Stadt" 
magistrat vom Rathhause aus. l\-n Gästen itberliess man es, 
sich einzeln und ungefiUirt in die Kirche su begeben, was als 



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— 35 — 



eine grosse Nach lässigheit Uhel vermerkt witrde. Der Gottes» 
dienst begann mit dein Gesang: Ifrrr Gott^ Dich hüien z^^ir. 
Hierauf musicirten die Stiftler^ nweiches gar lang gewährt, 
bis endlich der Cansler Wagner auf die Cansel gestiegen: 
Die Predigt forderte in ihrem ^ersten TheiU mit weit- 
sc/i7i'cißgen und iiiii^c-Icnkoi Worten a:if^ Göll dafiir zu danken^ 
dass die Universität noch mitten im stockfuistcm Papsttlium als 
ein wahrer Lebensbrunnai und Prodrtnmts der evangelischen 
Reformation gestiftet ^ seitdem auch anstatt der ebettso stock- 
finster n trostlosen scholastischen Lehrer mit AnJiängern des 
reinen Wortes Gottes versehen und während vieler crschreci:- 
licher Kriege und Pestilenzen gnädig bewahrt worden sei. Da- 
für fnUssten billig Dank sagen der Landesfürst und die Unter- 
thanen, die Professoren^ Studenten und auch die Bürger Tübingens, 
die von der Universität besonderen RuJuii und Nutzen haheUy 
da ohne dieselbe mancher iiinwohner dieser Stadt schlechl stehen 
und mit guten Zähnen übel essen ^vürde, während er jetzt mit 
seiner Handarbeit sich wohl ernähre. Nach dieser Dcmkpredigt 
leurde leieder ein Choral gesungen ; darauf aber leendete sich 
Cansler Wagtier zu dem n andern Tlu il^y seines Vortrags und 
gabf wenn auch nicht der Form so doch dem Wesen nach^ eine 
scharfe Busspredigt gegen das epicureische Leben an der Um- 
versitätf mit dem man fünoahr nicht Seiden gesponnen sondern 
Gott mehrfach erzi/rnf und verursacht habe, die Sunder 
beim Kopf zu nclnuen und )nit l'vrr und Schzvert zu 
strafen. Es hcU daher den Anschein^ als ob Wagner zum Ent- 
gelt dafür ^ dctss die Regierung statt dreier Festpredigten nur 
zwei gewünscht hatte y die früher getrennt beabsichtigten Bnss- 
und Dankpredigten in seinen Worte/! zu verei//en und zusam- 
menzufassen versucht habe. Doch dürfte er hiermit keinen 
grossen Erfolg bei seinen Zuhörern erreicht Itaben, Denn 
voll offenbarer Ermüdung erwähnt jener Bericht des Abtes 
ZelleVy dass dieser ganze kirchliche Actj nachdem zum Schluss 



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- 36 - 

noch ein *gar langes* Gebet gesprochen und ein dritter Choral 

gesungen luonifn sviy bis niji dritthalb Slundtii»^ gr^vahrt habe. 

Von der Kirche kehrten die Gäste in ütre ^Logamenter«. 
zurück und wurden dort mit ihren Wirthen aus der üniuersi' 
tätsgarkUche gespeist Nackmittags versammelte man sich^ 
ebenso wie am J/orgen, zur zieeitoi Predigt^ in ictUher Pro- 
fessor Kait/iy gewandter als sein Vorgängery mit vergleichsweise 
wenigen Worten die Gnade Gottes für die Zukunft der Uni* 
versität erflehte. Der AbtZeüer^ freilich der »Gegenschwäher* 
Raitlis, zeigt sich tief ergriffen^ wie derselbe 9 angefangen, die 
Predigt .zu beseh/iessen mit vielfaltigen herrlichen schönen J 7ftis 
und AnieiinschungeHy mit pathetischen nachdenklichen herz- 
brechenden beweglichen Worten; und wie endlich der hoc/ibe" 
redte und eifrigste Prediger seine offenen und dann wieder 
zusammengeschlagenen Hände gen Himmel aufgehoben zu dein 
allmächtigen allbarmlierzigcn und allgetreuen Gott, und mit gebo- 
genen Knieen in herzinbrilnstigem Eifer einen Beschlnss an die 
Predigt gemacltt^ mit lierzUchen Seufsem^ die er mit dem PrO' 
pheten Daniel gethan und wiederholet: Ach Herr hdrel Ach 
Herr sei gnädig! Ach Herr merke auf und tJuic es um Dein 
selbst willen, mein Gott! Amenla 

Nctch dieser Predigt und naclidem ein Jeder in seine Be- 
hausung cutückgekehrt war, wanderte der Professor der Beredt- 
samkeit Caldenbach, geführt von scepiertragenden Pedellen und 
begleitet von swei Promotionscandidaten der nächsten Tage, durch 
die Geissen Tübingens, um Haus bei Haus die Ehrengäste im 
Namen der Universität isu beneventiren, sie zu allen actibus et con- 
viviis des Festes mit sehr höflichen Reden su invitiren und . 
sich selber su möglichsten Diensten su offeriren. Für solche 
nJihr der grossgünstigen Einladungv. haben dann leohl alle 
Gäste gleich dem Abt Zcller »die curialia atick gebraucht und 
den Deputirten der hohen Schule mit Begleitung für das Haus 
hinaus höflich dmittirt^. Am Abctul dieses Tages hat Profes- 



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— 37 — 



sor Raith überdies »in seinem Haus eine grosse Malilaeit ange- 
steliet^ au einer langen Tafel allerhand Gäste opipare gesf eiset 
und dabei wie auch während des ganzen Jubiläums im Geist 

sclir fröJdicJi sich rnx'iesrn, drssglfir/n-n auch hei Herrn CanzUr 
Wiiinier und allen professoribiis gespüret worden^ indem sie 
allen Fleiss anwendeten^ dass keinem Gaste etwas fuangle; wie 
denn auch mitten m des Herrn Ratthen Mahlzeit Herr Pro- 
fessor llardili iDii'erseJiens gekonniL ii ^ um zu sehen ^ 7uie die 
Geiste accommodirt seien ^ zu denen er sich niedergesetzt , eine 
Stund bei ihnen verharret und ihnen bester Massen zugesprochen^. 

Am Morgen des 22, Oktober^ des eigentlichen JubiläuinS' 
tages versammelten sich der Prorector^ Canzler^ Professoren 
und Studenten nebst einem Theil der Gäste unter Glockengeläut 
in der Universität und begaben sich in feierliclicm Zuge nach 
dem Collegium illustre. Voran schritten die Pedelle y hinter 
diesen vier bürgerliche Studenten^ welche auf reich geschmückten 
Kissen die Privilegien und Insignien der HochscJiule trugen^ 
zum Beweise dass dieselben ^nunmehr in das dritte saeculum 
ohnverloren und ohnverleizt custodiret worden seien; Im Col- 
legium illustre wurden zierliche Begrüssungen gewecliselt mit 
den dort wohnenden vornehmen Herren ^ besonders mit dem 
jungen Rector, dem Prinzen Ludwige und den eben dort beher- 
bergten Vertretern der LmuLesherrschaft^ die sich dann sämmt- 
lieh zum Rückmarsch nach der Aula dem Zuge einreihten. 
Hierbei kam jedoch die ganze Masse 9um etwas in Confusionm, 
vielleicht wegen der J'^nge des 7\(iu/nes, jedeufalls aber zum 
Missfallen manc/ies formenstrengen Beobachters. Die FrivHe- 
gien und Insignien wurden auf dem RückmarscJi von vier jun- 
gen Edelleuten getragen. 

Als der Zug die festlich geschmilckte Aida erreichte^ f ändert 
die Gäste alle Sitze bedeckt mit 'gedruckten ProQ-raninien und 
Festgesängen. Eine » schone Jlusiha stimmte die Gemüt her zur 
Feierlichkeit^ während Prinz Ludwig auf dem obem^ der Pro* 

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rcctor Oslander auf de%n untern Katheder Platz itaJimen, Der 

Pri)ir: lüill zuerst norc plusquain Nestoreon eine la)i<;c lateini- 
sche Rede, in ijclchcr die Verdienste des herzoglichen Hauses 
um die Universität^ der Sitte der Zeit getttäss^ überaus blumen- 
reich •m't pathetischen und beweglichen Worten* geschildert 
wurden. Dann folj^te Oslander mit einem ähnlich stilisirten Vor- 
trag, der den Xu/wrern aus Herz legte, welcher Menge 7'on 
fürstlichen Reetcreii die hohe Schule sich schon erfreut, wie 
viele treffliclie Lehrer sie besessen^ wie viele berühmt gewordene 
Scltüler sie erzogen habe^ und wie sie trots Zeiten grauser Noth 
zu neuem Glück und Glanz empor gedielten sei und unter Gottes 
gnädigem Schutz in aller Zukunft fort und fort gedeihen möge. 
N'aehdem diese Reden und die daran sich knilpfenden musika- 
lischen Aufführungen beendigt waren ^ begab sich die Festver- 
Sammlung, ebenso wie sie gekommen, zum sweiien Male in das 
Colleg 'iuui illustre, um dort noch eine Rede Pregitzers, des Pro- 
fessors der Redekunst und Geschichte , anzuhören, in tu elcher 
die Gründung dieser Anstalt und die ErJtaltung derselben durch 
die eifrige MiUiwcdtung der Landesfürsten mit übersclvwäng" 
Hellen Worten gepriesen wurde. 

Die drei Reden dieses Tages uuijassen enggedruckt neun- 
zehn Folioseiten (jene einzige Fredigt des Canzlers Wagner dehnt 
sich allerdings sogar über sechszehn solcher Seiten aus) und 
wir begreifen dalter den Stossseufzer des guten Abtes Zeller^ 
dass er nach so vielgestaltigem Festacte i^n&ch ziemlich habe 
zuarten müssen, bis die Mahlzeit angegangen^. EndlicJi aber 
war auch die Stunde fitr das Mittagsessen gekommen, itulchcs 
der Universität und den Gästen von Seiten der Landesherr- 
scltaft im Collvgium illustre gegeben wurde^ und ^köstlich war 
das Tractament und geschähe ein Umtrunk über den andern, 
da sonderlich Herr Magnifieentissimus {Prinz Ludwig) ciiuin 
Jeden an der Tafel einen Trunk zugebraclU; Jedermann war 
fröhlich und gutes Mutlis; der Zuspnuh war gut und wurde 



— 39 - 

» 

doch Niemand zum Trinken gciiöthigt; und nachdem nuin von 
der Tafel aufgestanden^ Jiat man noch ein Stünderling gehalten 
und getrunken^ bis Einer nach dem Andern sich dai^otigefnacht; 
Wahrend der Mahheit wurden '»von wegen gnädigster jnn^^^er 
IlevrseJiafl vor dem NeckartJior an die Ilausarmen TuiNniieiis 
und an die vielen von den Franzosen leider ins EUnd l'er- 
triebenen 100 Reichsthaler und. ein Namhaftes an Brod tmd 
Wein nach Proportion reichlich dusgetheilt; 

Am nächsten Morgen, am Dienstag dem <33. Oktober^ ver- 
einigt sich die i^anzc Fcsti'ersammlung im UniversitätsJianse^ 
um einer Anzahl von Doctorpromotionen beisuwohncn. Die 
Candidaten — es waren swei Theologen, sechs Juristen und 
sechs Mediziner — empfangen Glückwünsche von Seiten der 
(räste, ?/nd sämn/t/ic/ie Aßncesende rüsten sieh hei eineui Ghise 
Malvasier zn dem hochcercmonieU u nnd amtrciigcmicn J-'estaet. 
In feierlicliem Zuge wird die Aula betreten: iwran fackeln- 
tretende Knaben ^die Kerzenbüblen^y dann Paar um Paar der 
prinzlielie Rector mit dem ersten thcoloi^ischen Doctoranden und 
je ein weiterer Doctoraiui nnd ein vornehmes Mitglied der Ver- 
sammlung, Die Decane der theologischen^ der juristischen und 
der medicinischen Facultät halten ausgiebige Reden, in detien 
sie den Cantler um Erlaubniss mr Vornahme der Promotionen 
bitten. Der Ca n z/er erfüllt die Bitte in einem leeihevollen Vor- 
trag» Die Decane wenden sich , Einer naeJi dem Andern , an 
ihre Candidaten, vereidigen dieselben, bedecken ihr Haupt mit 
dem purpurfarbenen Doctorhut, stecken ihnen den goldeiuni Ring 
an den hlne^er^ iibene;ehen ihnen das offene und das j^esehlossefie 
BneJi — die ehnvurdigen Insi^nien der einsti^i^en Promotion — 
und proclamiren endlich die hiermit creirten Doctorcn. Einer 
derselben hält sodann im Namen Aller die Doctorrede über ein 
ihm anf o^e^i^ebenes Thema und zwar: de termino intae Immanae 
no'i'-antitjiio, rarins ad intej^rnm secnlum f^ereen ienfe ; leoranf 
ein Anderer die gemeinsame Pßicht der Danksagung in wart- 



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40 — 



reichen Wendutigcn erfüllt. lu'sfllchr J/z/sil', die den acadcnii- 
sehen Act schon eingeleitet Jiatte^ scIUicsst auch denselben^ und 
darnach begiebt sich die Versammlung, wieder processümsweise 
geordnet, in die müte Kirche zu getneinschafUichem Gebet und 

Gesang. 

Ittswischen ist die Stunde herangekommen, in ivclcher sich , 
der gastliche Sinn der Universität am Glänzendsten bewähren 
soll,' Die vornehmen Gäste fi$ulen sich sämmtlich zum Fest- 
mahl in der Aula ein. Wer dort nicht Platz hat, namentlich 

eine grosse Zahl von Pfarrern^ die ans der Umgegend znsam- 
mengestromt ivaren^ ivird in dem benachbarten nContuberniumvi 
(dem heutigen Cliniam) gespeist. In den »Stißendienm wird 
für reichlicheres Essen gesorgt. Die Professoren bemühen sich 
um den Fluss der Unterhaltung an jeglicher Tafel und regen 
mit den goldenen ]-Ji renbechern der Universität zu frohem 
Trünke an. Auf dem » Wörths, wird inztvischen wid zwar sOy 
dass die Gäste^ vom Unitfersitätshause herabschauend^ sich an 
dem Schauspiel »ergötsen* konnten^ die Summe von 75 Gulden 
neb st Jh'od und ]]\'in im Namen der Hochschule an die Armen 
und Elenden vertheilt. 

Der Mittwoch begann mit ahnlicJien Feierlichkeiten wie der 
Dienstag. Die . philosophisclie Facultät hatte sich vorbereitet^ 
31 Magister und .9/7 Baecalanreen su promoviren. Die Untver- 
sität und ihre Gäste versammelten sich vollzählig in der Aula. 
Der Decan der philosophischen Facultät erbat in langer Rede 
die Erlaubniss nur Promotion vom Cansler. Dieser gewährte 
sie. Die Candidaien wurden vereidigt und proclamirt^ und die 
Magister empfingen die Insignicn ihrer neuen Würde — das 
violette Barett, den Ring, das offene und das geschlossene Buch. 
Darnach rev.rde das Thema der Promotionsrede -ȟber den 
WertJi oder U/nuerth der academischen Grade* von je zwei 
Magistern und ewei Baecalanreen in polemischen Vorträgen be" 
handelt. Ein Repetent des Stifts gab in einer fünften Rede 



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— 41 — 



die Entscheidung zi^'iscJien den vier St reif cm, und der erste 
von allen neu crcirten Magistern sprach endlich die gemein- 
same Danksagung. 

. Die Mittagsstunde vereinigte die ganze Festversammlung 
im Speisesaale des Stifts. Der Superattendent dieser Anstalt, 
Professor Raith , bewillkommnete die nhochfiirstlichen und an- 
deren Gäste mit -einer schotten und zierlichen ieutschen Reden^ 
und während man alsdann nach der ermüdenden PromotionS' 
ceremonie des Vormittags in frohem Behagen tafelte^ »sind 
sieben::ehn Studiosi und ^Uuiiini des fürstlichen Stipendii, je 
einer tiacJi dem andren , auf die Canzel getreten und haben mit 
sonderm Ruhm, auch Jedermänniglichs Verwunderung, in sy* 
rischer, arabischer, hebräischer, böhmischer, lateinischer, griechi' 
scher (und zwar diese beide so in gebundener als ungebundener 
Rede), persischer, ttaliänise/ier, eJialdäiscJier, äthiopisc/ier, un- 
garischer, hispanischer und polnischer Sprach sowohl insgemein 
von der Academie und deren Nutzen als insonderheit auch von 
des fürstlichen Stipendii Anfang, Reformation, Gebrauch und da^ 
raus dejfi lieben Vaterland zugezogenem Vortheil, ufid zzear Alle 
memoritcr, treffenliche orationes gehalten, welche der Repetent 
M. Esenweinmit einer sehr zierlichen Danksagung, carmine vema- 
culo, beschlossen*^, Damach hat auch die Mahlzeit im Stift und 
hiermit mgleich die officielle Feier des Jubiläums »in aller Froh" 
lichkeit und unter Anhörung einer herrlieh sehönen Musilc<! geendet. 

Aber die Lebev.slust der Universität war von der Fülle 
geistiger und leiblicher Freuden, die fnan genossen hatte, noch 
nicht befriedigt. Der fönende Donnerstttg brachte zunächst eine 
Dankpredigt des Canzlers wegen der friedlichen und glück- 
liehen V^ollendum^ des ^-rossert Festes. Dann lourdr ttrr itber- 
nmtliige Sehers der Deposit ion an einigen vornehmen nFHeh- 
sen* vollzogen, die gerade in diesen lagen zum Beginn ilirer 
Studien nach Tübingen gekommen waren; und am Abend veir^ 
einigten sich alle Professoren mit ihren Frauen und Kindern 



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— 42 — 



und mit einigen Gästen, die noch nicht abgereist und mit jenen 
näher bcfrciDuict i^uvrn^ um heim Bcclwrklang »ihre collcgialen 
Gefühlt zu pflegen und zu stärken^. 

In Übereinstimmuf^ mit dem ganzen Charakter des Festes 
erscheiticn mm endlich auch die Ehrengeschenke ^ welche die 
Universität noch während der Jubiläumsfeierlichkeiten oder 
doch gleich darnach sozvohl im Adamen des Jungen Landes- 
fih'steu, Eberhard Ludzcigs, 7cie aucJi vom Prinzen Ludivigy von 
der benachbarten Reic/isritterschaft^ der wirtembergisclien Land- 
schaft^ den Städten Esslingen, Reutlingen, Stuttgart, TÜbins^en und 
einige)! . UiilereJi erhielt. Es sind, mit alleiniger Ausnahme eines Ca- 
pitals von Hxj Gulden zur Unterstützung armer Studenten, lauter 
kostbare Trinkgeschirre, zumeist in höclist barocken Formen, mit 
^patlictischen undnaclidenklichen^ Bildernund Inschriften geziert. 
Diese Geschirre sind jedoch leider nicht mehr vorhanden und die 
einzig von iluien übrig gebliebenen BescJireibungen lassen die 
Gestalt derselben nicht mehr deutlich erkennen. Fritis Ludwig 
5. Ä schenkte einen grossen vergoldeten Becher »von sonder- 
barer Invenfion seines Herrn Hofmeisters, Johann EberJtard 
^ Vambiilcr^s von Heimningen; In der obem Hälfte dieses 

Bechers befand sich »eine kleine Schale», in 7veleher, :eie es 
scheint, eine Statue Eberhards im Bart, des Stifters der Uni- 
versität, aufrecht Statut, auf dessen Schild ein mltender Mann 
mit einem Wassergefäss eingrceoirt war, aus welchem vier 
Bäche ditrch verborgene Canäle in die grössere untere Schale 
herab flössen und .ziear in drei in derselben stehende, die theo- 
logische, die juristische und die medicinische Factdtiit darstcl- 
letuie iveibiiche Statuen, natis deren Brüsten der Wein in die 
Luft sprang*. Den Fuss des Bechers bildete eine, die philoso- 
phischc Fandtät als Gnindlagc und Stütze der obem Eacultäten 
veranschaulichende , vierte weibliche Figur, Alle Flächen des 
Bechers waren überdies mit zierlich eiitgravirten allegorischen 
Bildern und Sinnsprücften überdeckt. 



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— 43 — 



Von aJinlicJi seltsamer Erfindung ivar der Inr/ier^ den die 
Land sc haß der Universität verehrte. nZn oberst sah man die 
Farhina, mit einem Fuss auf der geflügelten Erdkugel stehend^ 
nebst einem Knaben so eine Posaune blaset; Der eigentliche 
Becher hatte die Gestalt einer künstlichen n Bronnen-Schalev^ an 
den Seiten mit fnsehriften und allegorischen Gemälden geschmückt, 
z, B. mit dem Bilde Eberhards im Barty der an einer ihm vom 
Himfnel herabgereichten »grossen Öllampe die vier Öldächte 
anzündet, wodurch die anno 1477 beschehene Fundatum der 
hoheft Sehnte da nj-es teilet 7eird«. Diese Sehale unirde r^von einer 
Stalne der Pallas auf dem Kopf getragen^ die in der rechten 
Hand ihren Spiess, in der linken aber einen Schild Mit und zu 
Füssen ihre Eul sitzen hat; Auf dem Schilde der Pallas war 
unter Anderm abgebildet nlfercnles^ reelelier seinen Streit-Steck en 
in der Hatid^ die Lihvenhaut auf der Achsel^ unten aber zu 
Füssen die vielköpfige lemäisc/te Schlange liegen hat, ,die stu- 
direfule fugend dadurch anzeigend, welche durch übuttg der 
Tugend wider vielerhand monstra und ungeheure Laster kämp* 
fen und solche uberivinden mussv,. 

Dieses •nna^^chnliche Trinkgeschirr ^ das ohne den Stecher" 
lohn 2S0 Gulden gekostet hatten, traf in Tübingen ein, als 
Ehrengäste und Professoren bei jenem Mittagstnahl im Stift 
vereinigt waren. Die Latidschaftsdeputirten überreichten das > 
Geschenk sogleich unter vielen curialduts dem Proreetor; der 
gab es an Prinz Ludivig. Es wurde Iwchlich bewmidcrty und- 
der Prinz brachte mit demselben^ nachdem er drei grosse Tisch- 
gläser voll Wein hineingegossen, stehenden Fusses eine Gesund- 
Jteit aus. 

' Die Universität fühlte sich aber ihrerseits verpfiichtet^ 
auch ein Geschenk zu machen^ und zwar dem prinzlichen Ree- 
tor, der so tapfer bei all den langen Reden und Schmäusen aus- 
gehalten hatte. Sie wählte dazu sivei Bücher^ die ztir Fort- 

bildung eines jungen Mannes fiirstlichen Standes in Jenen Tagen 



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— 44 — 

besonders erspriesslick schienen^ nämlicJi: Walter ScJiultzcn Ost- 
Ittdianischc Reise oder Beschreibung der voritchmsUn Ost- In- 
dianischen Landscltaften^ und Johann 6anison Strausscn Reise- 
Beschreibung durch Teutschland^ Moscau^ Tartarey^ Ostindien 
u, s. f. 

Nachdem die letzte Verehrung getlian^ jegliche Danksagung 
abgestattet und aller Fcsteslänn vcr/iallt war, fing man schliesS'- 
lieh fiir die mstylo floridom. absufassende Beschreibung der 
yubääutnsfeier zu sorgen an. Und hieraus erwuchs mm ein 
slalUicher Folitiiit, der ausser der lirziihluiig vom Hergang des 
Festes selber den ganzen Schivall der academischcn Reden bis 
ZU den Vorträgen der Baccalaureen hinab entlUUt, dasu die An- 
kündigungsfrogramttte ^ die Jubelpredigten, die lateinischen und 
deutsehen Carmina^ die von nah und fern eingegangen waren; 
sogar die Geschichte der prinzliehen Reetora te in dem Jahr- 
sehent vor dem Jubiläum nebst den dabei gehaltenen Reden und 
den zu Ehren der jungen Rcctoren gedichteten Lieder. Dafür 
dauerte es aber auch vier Jahre, bis endlich dieses umfang' 
reiche Werk das Licht der Welt erblickte^ und die ganze Ge- 
fühls- ufid Ausdruckszveise des Zeitalters tritt uns noch einmal 
entgegen^ zcenn wir in diesem Buc/u: lesen ^ wie Eberhard im 
Barte die Universität an einetn Orte, lieblicher als das tltessa" 
lisclte Tempe^ gegründet imd sein Tübingen^ einem Augustus 
gleich^ e lateritia marmorenui gemacht habe. Herzog Ulrich 
wird der luirtembergisclie Trajan genannt, weil er durch Er^ 
ricldung des Stifts wie dieser römische Kaiser für Erssielmng 
von Jiü^lingen auf Staatskosten gesorgt habe. Der treffliche 
Christoph heisst mir sanctissimus heros, Titus, ^atnor et deli" 
dum nostri generisu. Herzog Ludwins Haupt wird mit dem 
Jupiters verglichen, zueily zuie aus diesem Pallas Atlwtw, 
so aus jenem das ritterliclie CoUegium illustre emporge- 
wacitsen sei; und nachdetn im Jahre 1666 die ältesten 
S^hne JSberhards III sum Studium nach TUbingen geschickt 



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— 45 — 



worden waren ^ da habe dort ein begeisterter Sänger aus 
gerufen: 

Sc^ata die Bnmnqutll H^fokretm^ 
Mit heSdUrm Zt^uss geh». 
Und das Teekiseki Atkm 
Noten Flor und Anmmth kr^nml 



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- 46 



1777. 



Das dritte Jahrhundert der Universität war ein müh" 
scligi-r iin i un iankbari r T\(inipf mit ividcrstrclwndrn Wn'hält- 
nisscn. Die Riiul)A:rir^L' Ludwigs XIV sowie die Kriege um 
die spanische^ polniscite und österreichisdis Erbfolge beunruhigten- 
und schädigten das ganze deutsche Reich und besonders den 
Süden desselben so empfindlich und in so schneller Polge^ dass 
auch die l^'requenz der Universität darunter schzver leiden 
musste. Dazu kam^ dass nach und nach in fast allen gros- 
sem deutsc/ten Territorien Hocliscßmlen gegründet worden waren, 
die vermöge ihrer Überzahl einander erdrückende Concurrem 

vnicJitcn. 1)1 'nUüti'^LH empfand man. mit Schmers, wie der Besuch 
der L^ui:'iTsit(it von ausujiirts Jier allmahlicJi tihuaJint^ so dass na- 
mentlich das Collegium illustre zeitcnweis fast leer stand; man 
meinte wohl, man liege •in einem Winkel Deutschlands; der 
von dem rechten Strom des academisclten Lebens nicht mehr 
berührt werde: der Senat verliandelte in schmerzlichen und 
fruchtlosen Erörterungen mit der Regierung, wie die Ausländer 
dazu gebracht werden könnten, iltr Auge wieder mehr atif 
Wirtefnberg zu riclttcn. 

Seit 1744 stand nun freilich an der Spitse des Her- 
zogthiunSf nachdem einige fahre lang eine vormundschaft- 



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— 47 — 

lidu Regierur^ gewaltet Itatte, der geistvolle untemeh- 

vtende und prächtige Herzog Karlj der geraume Zeit hindurch 
di r hohen Scitulc ein lei)haftes Interesse suicandte. Der Lehr- 
plan derselben wurde geprüft uud gebessert^ der Fleiss und die 
sittliche FiUtrung der Professoren und Studenten wurden unter 
scharfe Aufsicht genommen^ die Sternwarte und das chemisclte 
Laboratoriuni leui'deji eiliger ich tel, J>ibIioihek und Anato})iie ver- 
mehrt und cn^'citert. Wenn der Herzoge was nicht selten der 
Fall war, nach Tübingen kam, so eilte er sogleich in die Vor- 
lesungen der Professoren, oder liess Prüfungen und Disputationen 
abhalten^ oder hielt selber Anreden an Lehrer und Schüler^ in 
denen er sie zur tl^uiii^^ der Tni'-end und l-"orderuncc d^'^' 
Wissen schaß ernialuite. Daneben gab seine Hof kap eile Conzcrte 
und Opern ; im Collegium illustre wurden glänzende Bälle ver- 
anstaltet, im benachbarten Sch'önbuch grossartige Jagden ge* 
halten und die Professoren und Sttide?iten, namentlich die 
Stiftlcry in j\Lcnge zur Theiliiakuic an diesen festliclun Ge- 
nüssen eingeladen. 

Aber der Vortheil, den die Universität aus Alledem zog, 
wurde reichlich aufgncogen theils durch die Theilnalime Her- 
zog Karls am siebenjährigen Krieg, theils durch die geiealt- 
same Art seiner Regierung, indem er in seinen j^mgern fahren 
voll üppigen Eigenwillens zahllose Rechte und Interessen ver- 
letzte und mit den Ständen des Landes einen hitzigen und lang 
dauernden Kampf begann. Und nachdem endlich der äussere 
li'ie der innere frieden zeieder hergestellt war, da gründete der 
Herzog joic Karlsschidr, die, urspriinglich ein Militärivaisen' 
haus, in wenigen Jahren über die Gebiete der philosophischen, 
der juristischen und der medicinischen Faatltät sich ausdehnte 
und eben als das dritte Säcularfest der Universität iierannahtc, 
derselben schon eine sehr drohende Concurrenz zu machen begann. 

Die Professoren Tübingens behaupteten in ehrenvoller Weise 
ihre schwierige Teilung während des ganzen dritten Jahrhun- 



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- 48 - 



derts. In allen Facultäten findet man wäJirend dieser Zeit viele 
Ukhtige und einigt- ganz hervorragende Männer, Um 1777 

sta)idcn in hohem Ansehen die greisen Theohgen Johann Fried- 
rich Cotta und Christoph Friedrich Sartorius^ freilich noch Ver- 
treter der alten Orthodoxie aber weithin bekannt durch ihre 
schriftstellerischen Leistunjg^en, Unter den yuristen zeichneten 
sich aus Gottfried Daniel Hoffmann durch literarische Frucht- 
barkeit^ Karl Christoph Ho facker und Johann Daniel Hoff- 
mann als vortreffliche Lehrer y Sixl Jakob Kapff cUs ein ge- 
suchter Practiker. Georg Friedrich Sigwart war ein guter 
Anatom, Christian Friedrich Jäger ein berühmter Arzt Gott- 
fried PloHcqutl Ithrle, naJi llilfingers Vorgang, mit Jirfolg 
leibnizische Philosophie. Johann Kies fand Anerkeiinung in 
Mathematik und Physik^ Christian Friedrich Rosler durch 
historische Forschungen ^ Christian Friedrick Schnurr er durch 
die Pflege der orientalischen Philologie. 

Diese tiichtigen Miiinur lebten damals in einer eigenthüni- 
liehen socialen Atmosphäre. Sie waren Zeitgenossen Lessings^ 
des jungen Goetlie^ bald auch des jungen Schiller; und nur noch 
zwölf Jahre sollten bis sum Ausbruch der franjsdsischen Revo- 
lution vergehen. Der Gesichtskreis der Menschen war weiter 
U7id freier geworden. Ein Univers i/älsjubiläum konnte flieht 
tnehr als ein ausschliesslich engprovineielles Fest gefeiert wer- 
den; man musste die Schwesteranstalten Deutschlands^ vielleicht 
sogar des Auslandes an dem freudigen Ereigniss Theil nehmen 
lassen. Dazu hatten die Formen des Verkehrs den Schwulst 
und die Unterwürfigkeit^ die ein und zivei JSknscJienalter friiJier 
noch unbedingt geherrscht hatten^ zum Titeil schon abgestreift^ 
waren im Begriff leichter und beweglicher eu werden. Man 
beachtete wohl noch sorgfältig den Austausch der Complimente, 
man dankte einander noch gelegentlich für eine nbe.wndere 
marque höchstschätzbarer Gunstgavogenheitn oder für »gra- 
cieuses Angedenken und venerirliclu Zuschrift^; aber in der 



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— 49 — 



ehemaligen Breite und AU^emeinheit ßnden sich solche getinm- 
denen Redensarten find die entsprechenden personlichen Ergeben- 

/ifitsbrr;i-i<o^]uiL;Y/i^ Aiificarhtugt'n und Vcrbcugiiugcit ivenigstciis 
im Verkehr der U)iicrtJi(uicn nicht mehr. Anders steht es da- 
gegen noch in den Beziehungen der BelterrscJtten ssum Herrscher. 
Hier wallet noch durchaus die sklavischste Devotion auf der 
cincn^ die wie voi iibermcnschlichey lIöJic iiicd ersteigende Herab- 
lassung auf der andern Seite, Oder vichneJir dieser TJieil der 

Verkehrsformen ist seit dem siebsehnten Jahrhundert erst recht 
SU voller Entwicklung gekommen; erst jetzt weilt der Inhaber 
des Thrones in völlig unermesslicher Erhabetüieit über allen 
^chiehten und Ständen seines Volkes. 

Beim Tübinger Universitätsjubiläum mussie gerade dieser 
letstgenamUe Charaktersug der Zeit su besonderem Ausdruck 
gelangen. Denn der Landesherr hatte sich Ja bisher um die 
hohe Schule unleugbare Verdienste eri^'orben ; er hatte sogar den 

Titel eifU'S Rectors derselben angenommen und die alma inater, 
die früher nur nach üirem Stifter genannt worden war^ aiuh 
mit seinem Namen geschmückt. Es konnte nicht fehlen^ dass 
edlein schon hierfür beim Säcularfeste ihm iiberschwängliche 
Dankesbe^eugungen gewidmet wurden. Hiersu kam nun aber 
noch, dass Herzog Karl in ganz hervorragender Weise ein Fürst 
notch dem Hersen des Zeitalters war. Die durchgreifende Art^ 
die ihm auch nach den Tagen Obermüthiger Jugend eigen bliebe 
entsprach zugleich der mächtigsten politischen Tendenz des 
JahrJiundertSy die l ollgeiealt des HerrscJiers wie einen roeher 
dr bronze zu Stabiliren, Die Gabe der Repräsentation^ die er 
in hohem Grade besass, gestattete ihm, in Emst und Sehers 
zwanglos mit allen Kreisen des Volkes zu verkehren: er war 
sieher, augeiddicklich, falls er es bedürfen sollte^ mit der ganzen 

Wucht seiner Würde imponiren zu können. Ausserdem war er 
aufgeklärt^ voll humanitärer Bestrebungen^ in dem Verlangen 
nach voller Ausbildung seiner Individualität , nach ufüfcdingter 



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Befiriedigung seiner Hersenswünsdie — wan erinnere sich nur 

an sein Verhältniss zu Franziska von Hohenheim — sos;ar 
schon vom Geist der Stiinii- und Drangperiode berührt ^ in 
all seiner stolzen Fürstiiciikcit eine fesselnde ErscJietming unter 
den genialisch erregten Menschen jener Tc^c. 

Solch ein Herrscher — im untertliäni^sten Jcdirhundert^ 
als Rector selber seine Universität zu hohem Feste führend — 
musste Huldigungen und Schmeicheleien bis zu fast abgöttischer 
Verehrung Jiervorrtifen, Es kontUe niclU fehlen^ dass er' an 
den Vorbereitungen cum Jubiläum eifrig Theil nahm, dass 
er mehr als der Mittelpunkt,, dass er die Soime desselben 
wurde ^ die Altes erleuchtete und er:edrmte^ um die sich 
Alles drehte, ausserhalb deren Kreisen es keine selbst- 
ständige Regung gab. Auf moderne Mensclten macht dies 
leicht einen peinlichen und beklemtnenden Eindruck, aber so 
war nun eimnal der Gang der geschichtlichen Entwickeln ng: 
im sechszeJuiti u Jahrhundert hatten hoch und nieder noch in 
naiv-vertriUiUcher Weise mit einander verkehrt; im sieb- 
zehnten Jaiirlmndert war die Kluft zwischen dem Herrn und 
dein Unierthanen erweitert worden und pompöses Ceremoniel 
siir Ausbildung gekommen^ dock hatte neben dem Regenten der 
vorneJune wie der geringe ManUj ein 'Jeder nocJi in seiner eigen- 
thümlichen Würde und Bedeutung sich voll und breit gefiiJUt; 
im achtsehntat Jaltrhundert stand über allen fast nivellirt cr^ 
scheinenden Schichten des Volkes in einsamer Höhe allein der 
Herrscher; und das begabte emporstrebende und zukunftreiche 
Geschlecht lag vor ihm unwürdig im Staube. 

Herscg Karl ertliciUe sclion mehrere JaJire vor Eintritt 
des yiäfiläums dem Professor der Philosophie Bok, einem nicht 
gerade bedeutenden Gelehrten aber gewandten Schriftsteller und 
Gesehäftsmaini , den Befehl, »die ältere (ieschichte der Univer^ 
sität in Ordnung zu bringen und bis auf die neueste Zeit fort- 

susetscn^. Bök cntkdigle sich des ihm gewordenen Auftrages 



— 51 — 



in einer Darstellung^ die wohl eine Asusa/U brauchbarer Fersa- 
nalnoHzcn enthält^ im Übrigen jedoch ein tieferes Eittdringen 

in den reichen Stoff sehr vermissen lässt und dem fürstlichen 
Rcctor der hohen Schule , ttdcm ruhuivollcn und grossniiitfiig' 
sten Beförderer der Wissenschaften und Kütistev.^ iibcrre ichliche 
Huldigungen spendet. 

Am 4. Mars 1777 wendeten sich sodann ^Prorector, Cansler 
und Deedf/eii au den Herzoge inn dessen vorläufige (^uäd/'j^^e 
Willensjnciuuug und Befehle für Abhaltuug des Jubiläums zu 
erfahren, Karl antwortete mit der Einforderung von Vorschlägen 
zu Veranstaltung des. Festes j und in Tübingen trat darauf 
zuerst der ganze Senaf^ bald jedoch nur noch eine Covimission 
zusammen^ welche die Jubtläuuisacten i'om Jalire lOii prüfte 
und nach ziemlich kurzen und einmüthig geführten Verhand- 
lungen zu dem Ende kam^ feist genau dasselbe Programfn, nach 
' welchem vor hundert Jahren die Feier verlaufen war, in Vor- 
schlag zu bringen. Iis sollten also j'ubelpredigteu^ acadeniische 
Festreden, Doctqrs- und andere Promotionen^ Redeacte im Stift 
und ein Dankgottesdienst in langer Reilie einander folgen. 
Das weihevollste Ceremoniel sollte den herzoglichen Rector um- 
geben, auch eine Ehrenpforte m seinem jedesmaligen Eintritt 
in die Aula erbaut leerden und ehie Jh iikniüinje die Erinnerung 
an das seltene J'cst :eaeh erhalten. Einzuladen uninscJite man 
zahlreiche wirtembergische Städte und Körper scJtaften^ die be- 
neuhbarte Reichsritterschaft, die Reichsstädte Esslingen, Reut- 
lingen, Hcilbronn^ Biberach und sämmtlichc deutsche nebst ei- 
nigen befreundeten ausscrdeutscJien Universitäten. Die EJire, 
welche man hierdurch zum ersten Male einem weiten Kreise 
von hohen Schulen erwies , war jedoch rnclU so getneifit^ dass 
man nun auch Deputationen von der ganzen Zahl derselben em- 
pfangen leollte. Iis leäre fitr die noch innner sehr beschei- 
denen Mittel der Utiiversitüt allzu icostspielig geworden^ so viele 
Gäste zu beherbergen und zu bewirthen; auch war das Reisen 

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— 52 — 



mch so umständlich und tJieticr^ dass man die Absendung van 
Deputationen aus einiger Ferne gar nicht erwarten konnte. 
Immerhin aber bezeichnete es einen Fortschritt des academischen 

Ocistis und des Vcrkr/irsiKU'scns, so viele Universitäten zu einer 
wenn aueJi nur in abscntia stattfindenden Theilnahme am Freu- 
denfest der Tübifiger Schwesteranstalt auf guf ordern; und über- 
dies hegte man den Wunsch f dass wenigstens die -»nächstgeses- 
sencn und in meister Conncxion stchcndcn% Hochschtden durch 
DeJ^ntationen vertreten luerden niöehten, • 

Uber alle diese Punkte cinii^te sie Ii die Contniission des 
Senats olme Mü/te, Der greise Cansler Cotta maclUe aber noch 
weitere Vorschläge. Er kam auf das besondere Eltrenkleid der 
academischen Würdenträger ^ welclies die Universität schon im 
yahrc 1G77 geioiinseJit y damals aber icegen der plötzlich einge- 
tretenen Lamlcstraiur nicht erlialtcn hattCy jetzt zurück und hielt 
für gut, Serenissimum darauf atifinerksam zu inaclten^ dass 
auf manclicn älteren, namentlich aber den netieren Universitäten 
■leie I falle, (i'ottingen und Jirlangen die vier Decaue bei holten 
Solennitäicn durch ein besonderes Pallium von Sammt von ihren 
Collegen uftterschiedeu seien und der Prorector überdies einselir 
kostbares rotlies ^ reich mit Gold gesticktes und mit goldenen 
Fransen geziertes Pallium trage. Auch sei zu wünschen, dass 
neben den sonstigen Promotionen die "^gewöhnliche Krönung eines 
oder des amicrn Poeten mit den dabei üblichen Cercmonicn vor- 
genommen werden imge^ wie solches bei der Inangurcdiofi der 
Universität Göttingen gesclielien sei, da der Promotus seine Rede 
mit einem schotten Lorbeerkranz auf dem Haupte zum grössten 
Vergnügen aller Anieesenden abgelegt Jiabev.. 

Von einer solchen Poctenkröimng in Tübingen Jioren iK.Hr 
nun swar weiter nichts , dagegen hinsichtlich des Elirenkleides 
der academischen Würdenträger tliat der Senat seinem Cansler 
anfangs den Gefallen, dasselbe vom Hersog zu erbitten. Die- 
ser hat es auch bcnjilligt. Aber nach kurwr Zeit hat sich 



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53 — 



im Senat eine Partei gebildet^ welche die Einführung der kost- 
baren Pallien nicht wünschte und die Sache abermals uin den 

J/c/rj(\i^' brachte, llitraiif ist von Stuttgart mit l^urzLii Worten 
rcscrihirt leordcn^ r>dass davon gänzlich abstraliirt werden solle«.. 
Und da bei dieser Gelegenlieit vom Senat oder vielleicht nur 
von einem Theile desselben der Wunsch nach andenveitigem 
academischcm Pomp^ der dem Herzog missfiel ^ ausgesprochen 
worden ^var^ so antieortete dieser, ebenso kurz augebujiden 7vie 
im vorigen Falle ^ dass er f>auf die in / 'erschlag gebrachten 
Gnadenketten oder sonstigen Gnadenseichen keine Reflexion zn 
machen wisse, auch die früher bei Promotionen üblichai Fackeln 
und Kerzeiibiiblein als eine zur Sache nicht taugliche l eiej lich- 
keit nicht wieder eingeführt haben ti^ollctt. 

Der Entwurf des Festprogramms war inzwischen schon 
nach Stuttgart geschickt worden, und im Lauf des Mais erging 
von dort die Aufforderung an den Senat, eine Deputation zur 
Einzelberathum^ der n7n.:en AuL^elei^en/ieit nach der Resident 
zu schicken. Im siebzehnien Jahrhundert hatte die Lnivcrsitiit 
ihrerseits dringend gewünscht, eine solche Abscndung machen 
m dürfen, damit nur ja das SäCularfest mit all dem Prunk, 
den die Professoren sich ausgedacht hatten^ gefeiert werden 
mochte ; Jetzt dagegen verla/igte der Ihr zog die Deputation, ob- 
gleich die Angelegenheit mit geringer Mühe y ivie es scheint, ■ 
schriftlich hätte erledigt werden können. Die Deputation fuhr 
in mehreren ^Kutschen* nach Stuttgart und wurde dort eine 
Reihe von 'Jagen aujgehalte n, so dass sie trot.: Uniladungen so- 
wohl beim Hof tnarsc hall , der sie im Namen des Herzogs be- 
wirtltete, wie auch bei anderen hohen Beamtai dem Unrversi- 
tätssäckel die verhältnissinässig sehr beträchtliche Summe von 
164 Gulden und 57 Kreuzern kostete. 

Im Übrigen fanden die ]'ertreter der hohen Schule in der 
Residenz nicht allein gastliche Aufnahme, sondern auch bereit- 
williges Entgegenkommen in den Berathungen ^ weil Utr Pro- 

4* 

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— 54 — 

grammentwurf den Wünschen Herzog Karls von vornherein 
efitsprack. Das Cerenwniel wurde freilich^ wo es allzu ge- 

schuiacklos illh'rhidcn crscIiicHy tJwih jetzt tJicih auch später 
nocht ctzvas cnnässiii^t, so dass z. B. die Ehrenpforte , welche 
Serenissimus bei Beginn jedes festliciten Actes passiren sollte^ 
in Wegfall kam; dagegen wurde die lange Reihe der Predigten 
und Rjdcii von dem sttidicncifrif^cn Herzog besonders gut gc- 
Jieissen und hinsic/itlich der Vorträge der Stiftler sogar aus- 
drücklich hinzugefügt^ dass dieselben nichts wie vor einem Jeütr- 
hundert geschehen^ itwährend der TafeU gehalten werden sollten. 
Die cigentliclie Jubiläumsfeier werde Serenissimtts überdies 
] lochst Selbst mit einer Kcdc beginnen^ wosu in der Aula nein 
besonderes höheres Katheder»^ errichtet iverden möge. Für die 
Dauer des Festes wurde die Zeit vom elften bis zum sieb- 
zehnten Oktober bestimfntf und sollte die Herbstvacanz diestnal 
nach Ahlauf derseWen anfangen. Die Einladungen endlich 
iK.'urden bis auf geringe liinschrä)ikungen in dem Umfange, wie 
sie zuerst vorgeschlagen ivaren^ gi'^^HHj^l l (^och fällt bei dieser 
Gelegenlieit einmal wieder ein grelles Schlaglicht auf die ängst^ 
liehe DeferenZf mit welclier die Unterthanen Alles ^ was nur 
irgendwie auf die Person des Herrschers Bezug hatte ^ behan^ 
delten. Denn als die Univcrsitätsdeputation gefragt wurde y ob 
sie unter die einzuladenden inlundischen Körperschaften und In- 
stitute nicht auch die Karlsschule aufnehtnen wolle ^ wurde ge- 
antwortet ^ man •sei nicht so keck* ; und die Karlsschule ist 
denn auch erst eingeladen worden, nachdem man bemerkt hatte, 
dass der Herzog hohen Werth darauf legCy seine neue zur Uni- 
versität emporstrebende Aiistalt - beim Fest der alten Hochsclmle 
stattlich vertreten zu selten. 

Nicht lange nach der Rückkehr der Deputation wurde das 
yubiläum durch ein gedrucktes Programm von Seiten des aca- 
de mischen Senats öffentlicJi verkündigt. Dann wurden zunächst 
die holten RathS', Gerichts- und Verwaltinigscollegien des Lan- 



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— 55 — 

des feierlich eingeladen^ dazu von gelehrten wirtembergischen 
Instituten die Karlssctmle, das Gymnasium iUustre su Stuttgart 
und das benachbarte Kloster Behenhausen , femer die beiden 

Rcsidi'ii.istiuitc Stuttgart und Ludicigsbun::;, die gute Stadt Tü- 
bingen und die Landstädte Urae/iy Alirtini^eii, llerrenbergy Calw 
und Balingen^ in denen die Universität bei Pestäeiten gelegent^ 
lieh Aufnahme gefunden hatte. Unter den Reichsstädten be^ 
ehrte man se/iliesslie/i leiederuni nur Esslingen und Jxeutlingen 
mit einer Einladung. Jindlie/i bat man noeli die Reieksrittcr- 
schaft des Cantons Neckar, Schwarzwald und Ortenau^ am 
Feste Theil zu nehmen. 

Alle diese Eingeladenen dankten in den verbindlichsten 
Ausdritcken und versprachen^ Deputationen zum Jubiläum zu 
entsenden. 

Etwas anders stand es mit den Universitäten, Man fühlte 
da mit einem Male Zweifel^ welche Anstalten man su bitten habe, 

sieh der liibinj^er Sa'euhirfeier freundlich gencif^t zu erweisen. 
Zwar über ein grosses Bedenken war man se/ion langst hinweg- 
gekommen^ dass man nämlich nctch dem Beispiele des vorigen 
Jahrhunderts •keinen Papistenn. und also auch keine katholische 
Hochschule einladen dürfe. Denn da Herzot^ Karl selber Ka^ 
iJiolik war und sehr fnilir^eitis^^ wie es seheint^ j^eäifssert hatte, 
dass die Confcssion bei Einladung der Universitäten keinen 
Unterschied machen solle , so war diese Frage entschieden. 
Aber bei dem noch immer so langsamen Verkehr jener Tage 
und bei den mancherlei Scliieksatswcchschiy die im aeademischen 
Leben damals vorkaiiieiii lear man im I nklaren^ weklie Ifoeh- 
schulen denn augenblicklich existirtcn. Man zweifelte^ ob Ro^ 
stock noch bestehe oder von Bützow ganz absorbirt sei, und man 
7tmsste selbst nicht sieher, ob das nahe Dillingen nach der Auf- 
hebuni^ des jesititenordi ns noch eine Universität genannt werden 
könne. Endlich aber entschloss man sich^ die Liste der Einzu- 
ladenden in möglichster Ausdehnung festsustellcn^ und fuan wen- 



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- 56 - 

dctc sich nun an eine Reihe von Hochschulen^ deren Atifsäldung 
allein schon die seit jenen Ta^cn geschehene ungemeine WaU' 

dclitng aller deutschen VcrJiältnisse in die Erinnerung ruft. 
Man schrieb iianilicJi nnn die Acadeniien zu Altdorf^ iHvnherg^ 
J'asely ßiUsow, Cöln^ Viiiingcn, Duis/'u/^, l\rfurt^ Erlangen^ 
Frankfurt an der Oder^ Freiburg^ Fulda^ Glessen^ Göttingen^ 
Greif STivald ^ Halle ^ Heidelbergs Helmstedt ^ Jena^ Ingolstadt^ 
Jinisbnick, Kiel^ Königsber^^ Leipzigs Marburgs Maiur.^ Osna- 
brück ^ Paderborn^ ^^''^^g^ Rinteln^ Rostock^ Salzburgs Strassburg, 
Trier j Wien^ Wittenberg und Wiirsburg^* 

Die meisten dieser Scßtulanstalten antworteten mit glück- 
wünschenden geschriebenen oder gedruckten Briefen^ einige auch 
mit uiu fangrcicJieren gedruckfeu Fesfprograunucn \ nur von C'öln^ 
Paderborn y Prag und Wien findet sich keine Envidenmg bei 
den Acten, In Tübingen hatte man aber^ wie erwiUmty aiuh 
Deputationen von einigen nahen und befreundeten Universitäten 
SU empfangen ge^vünscht und hatte dies nun bei den Einladun- 
gen an /i'i iburg, (iöttingoi , I\r langen ^ Altdorf und auch 
Mainzy ^eril ' dortige Hochschule ihr drittes Jubiläum r/h-n- 
falls im Jahre 1777 feierte^ besonders ansgesproclien, Heidel- 
bergs welches man anfangs mit in diese Liste aufgemmmen 
hatte y 7C'ar, ^vir wissen nicht weshalb ^ später von derselben 
wieder gestrichen n'orden. Von den in solcher Weise vorneJun- 
l ich geladenen fünf Hochschulen hat jedoch schliesslich nur eine^ 
Freiburgy die Mutterunwersität Tübingens^ eine Deputation zum 
Feste entsendet. 

Während der acadcinischc Senat sieh mit diesen Eitila- 
dungen beschiiftigtc ^ sorgte er auch für die Herstellung einer 
Jubiläums-Dcnkmiinzey da Herzog Karly wie es scheint^ ihn hier- 
mit beauftragt hatte. Das Modell der J^Iutisey welches vom 
Herweg gebilligt wurde y zeigt auf der einen Seite das Brtist- 
bild KarlSy dem Geschmack der Zeit nach in Lockenfrisur und 
Brustharnisch f aber nicht oh/w künstlerischen Schwung gcar- 



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— S7 — 



batet, nebst der Cmschrifl CJK OL IS II G. DVX WVRT. 
RECTOR MAGNIFICENTJSSIMVS, auf der andern Seite 
die von einein Lorbeerkranz umgebenen Worte EBERHARDI^ 
NAH CAROLIN AR TllRTIO IVBILAEO C. ALTERO 
FELICIORLS. Das i,ravircn dieser Münze soi/te achtzig 
Gulden kosten und jedes eitiselne Stück im Werth von vier 
Gulden ausgeprägt werden. 

Als der Herbst herannahte, trat eine Delegation von Pro- 
fi'ssorm mit dcui Olh-raiiihjUDUi und Moiiistiuit vin litbingen 
zKsniiinii ii y um noch ßtr i-inii;c l'erschöiurung der Stadt , für 
Sichcrheitsmassregeln und Älmliches su sorgen. Man beschlösse 
die *Thorliäuslen* su renoviren^ das Strassenpflaster su repa- 
riren nttd vor allen Dingen die Emporen in der KircJie durch 
rtSäuieru zu stützen. Demi dd ein j^'-rosser ^Indnmg- zu den 
als baufällig vcrdäe/iti^Lien Emporen befürchtet i^nirdc ^ so icar 
schon vorher uttter den Professoren der Wuttsch laut ge^vordcn^ ihre 
Kirchenstühle^ die von jefien bedroht erschienen^ während der 
Festpredigten mit anderen Plätzen nn vertausehejt. Für Auf- 
rcchthaltung der polizeilicJien Ordnung verliess man sich zu- 
meist auf die Truppen^ die den LLerzog begleiten und theils auf 
dem Tübinger Schloss theils in den benachbarten Dörfern cinquar- 
tirt werden sollten. Man %viinschte dabei aber s. B, auch, dass die 
JiinL^tuii^e in die J\ireheustiiJile iler Stiftier durch Jierzogliche 

WacJitposten und beigegebene Famuli besetzt leürden^ damit 
nicht Stadtstudcntettf die mit jenen häufig in Fehde lagen^ *in 
diese Stühle eittdringen und unanständige Verdriesslichkeiten 
stmschen beiden Tlieilen hervorrufen mochten^,. Dann verord- 
nete jnauy dass eine Peuerse/iau alles 1-euergc fährliche i»in denen 
Kuchen und so/istenu 'H'cgspreche ^ jeder ScJiüdn'irth Nachts in 
seinem Stalle wachen lasse ^ jede Nacht eitw Ansalil von Bür- 
gern patrouillire und das Löschgeräth in sorgfältiger Bereit- 
schaft gehalten werde. Aller Mist und l'nrath sollte i'on den 

Gassen entfernt ^ das Vieh nicht mehr durch die vornehmsten 



58 - 



Strassen gcf rieben, den Stndiosis und deren Pferdehuhett das 
starke Reiten untersagt, denselben auch ernstlich verboten werdm^ 
irgend Etivas ans IVassersteinen und Geschirren auf die Strasse 
SU schütten oder Nachts die Hunde auf der Gasse zu lassen, 
ansonsten der Scharfrichter dieselben todtschlagen würde, 
SäninitlieJie Oheravitsorte endlich soll/en aufgefordert icerdeUj 
ihre J 'ictiialien an Butter, Eier, Gefliigel u. s. w. vor und iväh- 
rend der Jubelwoclic in die Stadt su schicken; auch soÜten aus- 
ländische Victnalien über die nahen Landesgrensen in dieser 
Zeit zollfrei eingeführt werden; und Bäckern und Metzgern 
solle freistehen, zu baehen und zu seh/achten, so viel sie wollten, 
wie zu Jahrniarktszeiten und ohne Rücksicht auf Back- und 
Fleisclüagc, da es hierin diesmal — ausgenommen nur Gewicht 
und Taxe — nicht so genau gerechnet werden würde. 

So sorgte und arbeitete man in Tü bißigen nach Massgabe 
der engen J 'erhaltnisse, in deiuii man noch immer lebte. Der 
Hersog unterstützte die Universität, indem er derselben zuerst 
aits dem Kirchenkasten 500 Gulden und schliesslich auch — frei- 
lich nur anstatt eitur sonstigen Naturallieferung von 9 Wein 
und Wildbret Vi — aus der Rentkaunner noeh einmal !)00 Gul- 
den uberwies. Am achten Oktober zeurde ein Burgfrieden für 
Stadt und Ami Tübingen öffentlich verkündigt und nun war 
fnan bereit, das Fest selber mit Freuden su begelten* 

Am zehnten und elften Oktober trafett nach und nach ein- 
zelne Abtheilungen der herzoglichen Truppe^i, der IJofdiener- 
schaft und die Ehrengäste der Universität y die Deputationen 
der eingeladenen Städte und Körperschaften, in Tübingen ein. 
Die letzteren wurden, soweit mtr möglich itvon den Prof essoren 
ufui anderen Honoratioren^ beherbergt. Am Nackmittag des 
elften Oktober, ritten die Stadtstudoiten nin Sivei Corps von 
gniner und blauer Uniform gen Lustnau hinaus^ dem Herzog 
dort schon uttterthänigst aufsuwartcn, während sich die Stiftler 
beim Collegium ilhtstre, Karls gewöhnlichem Absteigequartier 



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- 59 — 



in Tiihingcn^ in Reih und Glied stellten und die Professoren 
sammt den Ehrengästen und dem Stadtmagistrat im Innern 
dieses Gebäudes sich versammelten. Unter rauschendem Jubel 
und dem Geläut aller Glocken der Herzog j;ej^'-"n Abend in 
Tiibingcn ein. hn Collegium illustre veranstaltete er naeli den 
ersten Begrüssungen sofort eine itAssemblee*^ wclelier sämmt- 
liche Gäste und Professoren anwohnen durften^ und behielt auch 
einen Theil der Ersteren nebst detn aeademischen Senate zur 
Naihltafel bei sieh. Am Schlnss dieses J'ages wurde i/im^ 
leie an jedem folgenden Abend der Jubckvochc ^ eine n Liste 
aller in öffentlichen Wirthshäusem logirenden Fremden^ über* 
reicht. 

Die 9 Suiten Hersog Karls war glänsend und sahireich. 

Er Jiatte seine Franziska nebst ncht anderen vorneJimen Panien 
mifgenommeu. Unter den Cavalieren standen obenan die beiden 
Diplomaten, die für das damalige Wirtemberg am Wichtigsten 
waren, der 'österreichische und der französische Gesandte; dann 
folgten mehrere geheime Räthe, Etatsminister und GeneralOy 
viele KamnicrherreUy Kammcrjuuker und Edelknaben ^ etidlieh 
ganze Schaaren von Dienern und Dienerinnen. Die Truppen 
bestanden aus kleinen Abtheilungen der Noblegarde, des Leib- 
Corps, der Leibtrabanten, der Husaren, der Garde- und der Li' 
nieninfanferie, nnsamnien -Kn) bis f(tO Jfan/i, darunter sehr viele 
Offiziere. Die iibrige Suite ivar 17s Köpfe starke und die später 
gedruckte Beschreibung des Jubelfestes führt nicht blos jeden 
Herrn vom Hof mit Namen an, sondern erspart dem I^eser 
auch nicht die volle Aufzählung der ^Officenn bis zum letzten 
Eiehterjnngen^ Kellerkneeht n)ul Ueubinder. 

Am zicolfteu Oktober Vormittags zog der aeademisehe 
Senat in feierlicher Procession von der Aula in die Kirc/ie. 
In gleicher Weise begab sich der Stadtmagistrat vom Rath- 
hause aus dorthin. Die Hoßterren und Ehrengäste nahmen all- 
mählich die für sie bestimmten Plätze ein. Die Kirche füllte 



— 60 — 

sich schliesslich durch die Studenten utid die Massen der Bürger- 
schaft bis zum letzten Wittkel; ^nichts destaweniger hatte nian 
dan herzoglichen Militärkommando die schönste Ordnuiii; und 

den ungcstortiSUii Gottesdienst ,:// :\yda)ikin<^^. 

» Um zcJin l lir crJiobcn sich Seine UeiTAgliehe Durchlaucht 
ans dem Collegio illustri in einem mit ac/U P/erden bespamden 
prächtigen Sfaatsivagen, uttter Vortretung der Hofdienerscliofi^ 
lind SU beiden Seite^t von einem Kommando der her. ^({q; liehen 
NoHei^^anie, des Leib- und Tndujnteueorps^ den Leihedell^iiaben^ 
Kaininerhusaren, Ka)nnterportiers und KammatUrkcn begleitet^ 
in die Kirche und tvurden beim Eingatig vom Cansler Cotta^ 
dem das gesammte geistliche Ministerium sur Seite war , mit 
elfter kurseft Rede unterthänigst empfaugenv.. Der Gottesdienst 
begann mit dem Gesang des Te Deum und eines leeiteren 
Kirchenliedes^ dann bestieg Cotta die Canzel und hielt eine an- 
sprechende warmhersige Dank' tmi Jubelpredigt mit einge- 
streuten kurzen und schlichten Banerkungen über die Geschichte 
der Universität und mit verehrungsvollen Aussenrngen über deti 
gcgcmvärtigen Regenten^ die der Zeit und dem Gegenstande an- 
gemessen 7vnren, ohtte sich schon in alhn devote Huldigung zu 
verlieren. Nach diesem Vormittags-Gottesdienst sog Karl den 
gesammten academisclten Senat zur Tafel. 

Um drei Uhr Xaehmittags begaben sieh der Herzog und 
alle Tlu'ilnchmcr des Festes in der gleichen II eise ivie in der 
Frühe zur Kirche. Vicecanzler Sartorius hielte älmlich wie 
sein Vorgänger^ eine Dank- und Freudenpredigt ^ mit kurzen 
geschichtlichen Rückblicken untermischt y um daran zu erinnern^ 
leojitr man zu danken und :eeshalb man sieh zu freuen habe. 
Aber daneben macht sich in sciiwn W orten der Ton submisscr 
Adoration des iMmiesherrn schon stärker geltend. Sartorius 
ist von innigster Rühru/tg erfüllt^ dass Seifte Herzogliche Durch- 
laucht sich so besonders beeifert haben, dem grossen Gott ein 
feierliches Dankopfer dar::iubringen^ und diese un^liicklichc 



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— 6i — 



Waiifiiuo-^ die Brivundcnmg des Herrschers allein schon wegen 
seiner ThcilnaJimc am Gottesdienst^ kehrt hierauf luährend der 
Übrigen Acte des Festes noch mehrfach und in immer gröberer 
Weise wieder. Die Gemeinde hat aber an jenen Worten ihres 
Predigers schwerlich Anstoss genommen^ vielmehr diesem Gottes- 
diitistCy zi'ie aiicli di-m am Voniiittagc^ oh ne Zweifel — mich dem 
Ausdruck eines damals Aiiivcscuden — «///// dcu lebhaftesten 
Empfindungen der Andachtv. beigewohnt. Am Abend dieses Tages 
^wurden die Gäste und Professoren abermals mrAssemblee mi' 
gelassen, verschiedene von ihnen auch zur hersogliclien Nacht' 
lafel gezoge/n<. 

Am iIrci-:cJiii!iU Oktober begann die eigentliche academische 
Jubelfeierlichkeit. Vonnittags nach acht Uhr versammelten sich 
im Collcgio illustri die Herren vom Hof die Ehrengäste, der 
academische Senat, dem unter Vortritt seeptertragender Pedelle 
vier bürgerliche Studenten mit den Privilegien und Insignien 
der Unixwrsität auf rothsammteticn und goldbeseizten Kissen 
vorangingen, der Stadtmagistrat und alle Studenten des Stiftes 
wie der Stadt^ um Seiner Herzoglichen Durchlenuht ihre unter- 
thänigstcn (i !i(ckiciiiiscJie ab-justatteii. l ui neun Uhr fand unter 
Gloekenläuten^ Trompeten- und J'aukoisc/iall der feierliche 
Zug zur Aula statt. Voran schritt der Pcchtmcister im Mantel 
und mit einem Marschallsstab. Es folgten die Stiftler, die 
Stadtstudenfen, der Stadtmagistrat, die Geistlicheft Tübingens, 
dir l'lJirengäste mit AusrniJune der Peputirteu der Kar/sschule 
und der Fre iburger Universität ; sodann der Ballnwister im 
Alaniel und mit einem Marscltallsstab, die eben erwiUinten De- 
putirten, die Professoren Tübingens, vier adliclte Studenten mit 
den academischen Privilegien und Insignien, zuwi seeptertragende 
Pedelle, lIer.:og Karl im Staatsioagen und mit demselben Ge- 
leit leie am Tage zuvor, endlieh die Gesandten, Minister 
und Herren J^;;/ Hofe, Die Anordnung des Zuges stammte 
vom Hersoge selber,'^ war geschmackvoll entworfen, und 



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62 — 



inuss der gansc Zug cimn sehr stattlichen Eindruck gemacht 
haben. 

In der Aula attgclangt begleitete der academische Senat 

seinen Jiohcn Rector bis zu dein für denselben r> besonders er- 
richteten und auf alle der hikhsten Person geziemende Art aus- 
gesierten Sitc^, und nachdem die Musik gespielt hatte, hielt 
Herzog Karl eine längere wtd feurige Rede »über Eberhards 
im Barte erhabene Gedanken und Absichten^.. Der heutige Leser 
wird ziear i'on dem empJiatiscJien und sententiösen Charakter 
dieser Rede fremdartig berührt^ aber es war nicht blos Karls 
Gewohnlteitf in solcher Weise su sprechen, sondern eben so sehr 
eine weit z'erbreitete Sitte seiner Zeitgenossen; und ausserdem 
tnthält dieselbe doch auch treffliche Gedanken in glücklicher 
und leirksainer Formulirung. »Der edle^ also zealire I lerrseliervy 
so sagt der fürstliche Redner^ »denkt nicht allein an seine Re- 
gierungsjahre; die /Aikunft^ seine Nachkommenschaft macht den 
grossten Theil seiner Beschäftigungen aus. Auf dem gegen- 
wärtigen guten /ustatid seiner Staaten baut er den Grund der 

zukünftigen Wohlfahrt Der grosse Geist liberhards 

hatte einen erhabenen Gedanken^ da er sich vornahm^ eine holte 
Schule SU stiften. Es war ihm nicht gefiug, in de/n Schooss 
seiner Unterthancn ungestört und sicher ruhen su können: er 
7i'ollte diese auch aufgeklärt wissen; er ergriff nach dein 
ihm eigenen Scharfsinn den ächten Uegi der ihn zu seinem 
Z\eeck fiihren musste . . . sein Eifer iibenvand alle Schwierig- 
keiten ^ die dem Fortgatig seiner erhabenen Gesinmtngen in 
Menge entgegen gingen . . . seine Werkseuge ivaren gut; denn 
er prüfte sie und belohnte die Bemühungen^ die doch ein fedcr^ 
aus Überzeugung von liberJiards grossen und nützlichen Ab- 
sichten, von selbst mit Willen und Fr aide Uber sich nahm . . 
. . . Ihr Väter dieser hohen Schule! Ich bin es versichert, Ihr 
gelobet Eberharden bei dieser seltenen Jubelfeier ^ alle Eure 
Kräfte anzuieendeUj als die llerkzeuge seiner grossen ^Ibs Ickten 



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- 63 - 

Euren wichtigen Ämtern ein vollkommenes Genüge zu leisten, 
Ihr gelobet^ Karls Aufmunterungen als Eberhards Willen und 

Gcsituiuui^cn aninnchuioi Ihr jcdocJi^ liebste Jugend^ 

gellet durch Euren Flciss^ durch Eure guten Sitten allem Dem- 
jenigen entgegen^ was Eu(Jt seiner Zeit su brattchbaren Mit- 
gliedern des Staats und der menschlichen Gesellscltaft machen 
kann . . . Die Jahre bleiben nicht aus, i^/nubet es Eurem Lan- 
desherren, dem Obcrliaupt dieser hohen Schule, und glaubet es 
ihm sicherlich, wo LeicJUsinn und Fehler bereuet iverden; er- 
sparet Euch dieses Bittere ufid denkt jetzt an die Zukunft^ so 
werdet Ihr mit getrostem Hergen in Zuktmft an die Vergangen- 
heit denken din'fen ]'or AlLui aber Ihr, dem künf- 
tigen Dienst der wirtenibergischen Kirche gewidmete ji^nglinge, 
Ihr habt elften doppelt wichtigen Beruf: durch Eure künftige 
Lehre ^ durch Euer eigenes Beispiel sollen gute Christen ge- 
Zigen, mithin rechtschaffene Unterthancn gebildet werden . . . 
Leitet Faich die erhabenen Absichten Eberhards an das Herz 
und antivortct mir, ob Ihr jemals Werkzeuge seines grossen 
Stiftungsgeistes abgeben könnte wenn Ihr niclU ftach seinen Ab- 
sichten Itandcln werdet . . . mit einem Wort, werdet Diener 

der Kirche nach dem Gesetz der Kirche Schliesslich 

aber als Nachfolger desjenigen grossen Geistes, dem leir an 
dem heutigen Jubeltag Alles schuldig sind, erfordert meine mir 
heilige Pflicht, auch für die Zukunft zu reden . . . Ein Weg 
isty und der ist allein , der nach Eberhards Absichten Carln 
leiten kaiui. RechfschaJjcnJicit ist er, dieser lieg d:r Tugend 
. . . Mit dieser Tugend werdet Ihr, Väter dieses Muscnsitscs, 
seiner Zeit Eure Jugeiui der Welt mit Ehren übergeben^ und 
mit eben dieser edeln Gesinnung iQcrdet Ihr, Jilnglinge, in der 
Welt mit Ehren beharren . . . Ich aber, der den Trieb der 
Kcchtschaffenheit leeit kostbarer schütze als alles Irdische, als 
allen Glans der mich umgiebt, iverde Tuch, so lange mir (rott 
noch Leben und Kräfte geben wird, mit landesväterlichcr Kecht- 



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- 64 - 



schaff enheit belohnen . . . Kann es alsdann fehlen, dass nicht 
der gepflanste Baum des unsterblichen Eberliard immerhin 
wachse und blühe und^ um mich seines selbstigen Ausdrucks su 

bi-Jicfit ii , der gegrabene Brunn der Weisheit hestdtidig ström- 
weis ßiesse ? . . . Ja^ Geliebtestc^ verbinden zuir uns dazu auf 
das Kräftigste^ auf das Heiligste^ so werden nach unserm Wutisch 
unsrc Nachfolger^ unsre Kindeskinder^ bei einer vierten yubel- 
feier die Früchte davon erst in vollem Mass gemessen und 
untrer AscJie die Gerechtigkeit iciderfahren lassen, rechtschaffen 
gehandelt zn habendi. 

Diese Rede rief eine tiefe Bewegung hervor und machte 
nach den Worten eines Berichterstatters nauf die Gemüther der 
Anwesenden einen unauslöschlichen Eindruckt, Der Geist des 
Zeitalters und die besonderen Umstände, nntcr denen der fitrst- 
liche Redner sprach, würden uns überdies, auch wenn hinsicht- 
lich der Wirkung seiner Worte nichts überliefert wäre, zn dem 
Schlüsse berechtigen, dass dieselbe cif$e ungewöhnlich stärke ge- 
wesen ist. 

Die Wirkung war sogar alhn stark. Denn nun erhoben 
sich zuerst der Prorector und nach diesem die Decane der vier 
Facultäten zu einer Rcilic academischer Reden, Sie hatten ihre 
Vortrüge wohl im Ganseft fertii^; aus^ i arbeitet viiti^ebracJit, aber 
es finden sich in denSi ilu n di luioeh schon Ausdrucke devotester 
Bcivnnderung Uber die eben gehörten fürstlichen } Torte. Der Pro- 
rector Gottfried Daniel Hoff mann gab einen allgemeinen Abniss %*on 
den Schicksalen der Unrversität währemi ihres dritten Jaltrhun' 
derts. Er schilderte den Nothstand derselben wahrend früherer 
Kriegszeiten nnd das Glück, welcJies man jetzt geniesse in tiefem 
Frieden uiui unter der thätigen FUrsorge eines weisen und gü- 
tigen Fürsten, Er verstieg sich dabei m der Geschmacklosig- 
keit, das glückliche Omett su preisen, dass Karl gerade der 
snvdlfte in der Reihe der wirtembergischen Herzoge lear, und 
er hob rühmend hervor, dass W 'irtemberg in dem Zeitraum von 



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- 6s - 



1G77 bis 1777 imr drei Ilcrrschcv — Eberhard Ludivig^ Karl 
Alexander und Karl — besessen und so$nit weniger Regierungs- 
wechsel erlebt habe als andere Länder ^ xvährend dies sum 
Thcil doch nur durch den une^lücklichen Zufall des unerwartet 
f rühzcitigiii Todes Willulin Liidzcigs iui Juni U'»77 Jicn'orgc- 
rufcn war. Und trotz Alledem konnte er seliliesslieh nicht ver- 
hehlen^ dass sieh die Unrversität augenblicklieh keineswegs in 
einer völlig befriedigenden Lage befinde. Deptn wenn er auch 
mit j^eioaiidteii W'endiifii^en die Frequenz der Iloe/ise/iule als 
eine giiustii;;;c darzustellen suchte ^ so gestand er e ml lieh eiii^ dass 
eine Aötuüune su bemerken sei, und kam su dem Stossseufzcr, 
den früJier schon Andere gcthan hatteti, dass Tübingen dertnalen^ 
vom breiten Strom des nationalen Lebens etttfernt, tn einem 
J Vinkel Deutse/ihrnds liege. 

Die Decaiw berichteten einer nach dem (indem ^ ivas die' 
GeschielUe der einzelnen Faeultäten währettd des letztverflossc- 
nen JaStrhunderts Betnerkenswerthes bot, und erwähnten dabei 
die Verdienste der Lehrer ^ die wältrend dieser Zeit an der 
Universität ge:eirkt liatleti. yede dieser Reden sefi nieie/ielte 
dem hohen Fürsten in der Mitte der festlichen W rsannnlmig 
in feinerer oder gröberer Weise; am Ärgsten jedoch trieb es 
Professor Bök, der Deean der philosophischen Facultät, der 
seinen Vortrag m einem Hymnus ausarten Hess auf Herzog 
Karlj »unsem viildeslen Ernährer^ nnsern Schulz und süsseste 
Zier, den Ruhm des vollendeten, den Ruhm des beginnenden 
und aller folgenden yahrhufulerte^. Der Prorector und die 
Decane sprachen freilieh lateinisch, u/ui das Gewatui der frem- 
de )i Spraelie mag die Wirknuo- ihrer Worte gemildert haben, 
trotzdem aber ist es schiver, sich in die Gefühle von Rednern 
und Hörern su versetzen, denen solche Wauiinigcn angefnessen 
. erschieneii. 

Dieser aeademische Hauptfestaet dauerte die überlange Zeit 

von neun Uhr Morgens bis zwei Uhr Nachmittags, Nach dem- 



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66 — 



selöen erwiesen »Seifte Hcrsogliclie Durchlaucht dan acadcmi- 
sehen Senat die ausnehmende Gttade^ mit demselben in Gefolge 
verschiedener fremder mid einheimischer Dameft, Ministers und 

Cava/ii rs auf dem V iiivcrsitätsliausi das Mittagsmahl einzu- 
nehmen; da inzwischen die Herren Dcputirtc (die Gäste der 
Universität)^ für welche softst itntfier in ebett diesaft Saal die 
Mittagstafel bereitet war, auf dcfit sogettattfiten Facultätshause 
(heute ATiinzgasse 22) bewirthct wurdenm, — Die Tubiniirr 
Stadtarmen empfuigiU diesmal »aus dein acadcinischen l'iscus 
und anderen vermöglichen Stiftungen*!, die vcrkältnissmässig 
beträclitliche Sufttttte von »iiber 600 Guldett: 

Nach vier Uhr begab sich der unermüdliche Herzog Karl aber- 
mals in die Aula ^ um einer Doctordispiitation bcizuivohncn, welche 
die Einleitung zu dem Jitr den nächsten Ta^ festgesetzten grosse Ji 
Promotionsact bilden sollte. Der junge Extraordinarius der Uico^ 
logie Gottlob Christiatt Storr — derselbe, der zuerst gegcfiüber der 
in Tubiftgen bisher allein herrschefiden Ofihodoxie elften frisclieren 
GeiSi in das Studium der Theologie gebracht hat — legte eine 
Iiiauguraldissertalion zur Erlangung der theologischen Doctor- 
würde vor und vertheidigtc dieselbe gegen die Eiftwürfe des 
Prorectors, des Vicecattslers und siQCier Professoren der Tlteo- 
logie. — Nach Beeftdigung der Disputatioft wurde dett Gästen 
und Pivfessoren agleiche Gnade leie bisher in jlusehung des 
Ziitritts zur Assemblee bei Hof und Verschiedenen auch durch 
Zuziehung zur herzoglichen Aachttafel zu TheiU, 

Atn vierzehftten Oktober solltett einige Theologeft, Juristeft 
urtd Medicifter su Doctorett profftovirt werdett. Die Uftitfersität 
war eine Zeit lang in Sorgen gewesen, ob sich hierzu eine {^e- 
flügejtde Anzahl von Camiidaten melden werde, und hatte, nach- 
defn eftdlich wefiigstefis bei der theologischen und bei der ju- 
ristischen Facfätät eiftige *subjecta bekattitt geworden warett, ' 
welche bei Gelegenheit des yubilämtts den graduvi doctoris nn- 
7iehmeu wollk'u^f den Herzog gebeten^ eiiw Verordnung aus dem 



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- 67 - 

yahre 1728 ^su recentiren und hierdurch die Stadt- iUidAtnts- 
physici nebst anderen tnedichtac practicis wid licentiatis su exciti- 

roi^ den gmdtun doctoris mchrcrs aiizuncJimcn und den schönen 
Anlass des Jubiläums hierzu zu ergreifen.^ Dies hatte denn 
auch geholfen y und an dem genannten Tage kannte nun die 
feierliche Ertheiluttg der Dochnvürde an sivei Theologen^ 
darunter Professor Storr^ drei Juristen und acht Medi- 
einer y>mit den Symbolen des Al/erf/iuuis^ dem Iliit^ ^ifi^j 
öffneten und geschlossenen Hucli^ auch beigefügten Denkt pntcJieu*i 
voÜMogen werden, ^Die höchste Gegcmvart SeiiUT Durchlaucht 
belebte abermals edle diese Handlungen^ ^ welche mit den Ein- 
führungsreden der Promotoren begannen. Und tnvar sprach 
der Dekan der Theologen^ Pnfessjr Utlande daridhi^ *>:c'/e Gott 
vom Ursprung des menschlichen Geschlechtes an für den Unter- 
richt der Memchen in der geoffenbarten Heilslehre Sorge ge- 
tragen*; der yurist G. D, Hoffmann redete »von einigen Merk- 
würdigkeiten des Stijtuni;sjdhres der l ')ii:'ersit{ft<i , und der 
Mediciner Sigwart erörterte adas gesetz massige Ansehen der 
Doctorswürden., Cansler Cotta gab hierauf und nachdem er 
die Frage behandelt hafte, i^ob es den Christen und besoftders 
den Kirchendietiern gesieme^ die Doctorsxmirde anzunehmen*, 
die lirlaub)üss zur Creation. Die Proniotoren vollzogen dieselbe 
lind die kurzen Danksagungsreden des ersten von den neuen 
Doctoren jeder Facultät machten endlich den Besclduss. 

%Zur herzoglichen Mittagstafel wurden diesnud sämmtliche * 
ausserordentliche Professoren gezogen^ da Seine Durchlaucht 
dem aeadeniisehen Senat gnädigst gestattet hatten^ den Herren 
Dcputirten und andern angesehenen Fremden zvie auch den 
neuen Doctoren durch ein feierliches Mittagsmahl auf dem Uni- 
versitätshause die gebührende Ehre und Achttn^ su bezeugen.* 

Nachmittags um vier l/hr begcd> sieh I lerzog Karl vinlernin 
in die Aula, um eine Disputation über gedruckte Thesen mit- 
ansufioren. An dem Redekampf betheiligten sich ausser einigen 

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— 68 — 



Studenten der Unwersität auch f Hehrere » Clievaliers und Eleven 
der Karlsschnle^ die sich mit besonderem Beifall als Opponenten 
Jwren Hessen.* — Gleiche Gnadetibczcugungcn in Ansehung der 

Asscvtbhe bei Hof wie der herzoglichen Nackttafvl endigten • 
auch diesen Tag.m, 

AfH fünfzehnten Oktober wurde eine grosse Zahl von Ma- 
gistern und Baccalaureen creirt. Vormittags um sehn Uhr hielt 
der PJiilosoph rioitcqutt »in höchster (jtXiiiicart St iner Piirch' 
taucht Vi eine Rede nvom Licht und J'insteniiss in der J/eta- 
physik.9, Darauf sprach der l 'icecansler Sartorius •vom LiclU 
und Finsterniss in der geojfenbarten Theologie* und gab die 
Erlaubnisse die Magisterpromotion an nicht weniger als 38 
Ca)ididate)i zu volhieJieu. Xachdcui dies »uiit den i^cw'ohu- 
lichcn Ccrenionicn* geschehen war^ machte der erste der nenen 
Magister im Namen Aller »das Danksagungs-Compliment,^ 

Nachmittags sprach der Mat/iematiker Jolmnn Kies Ober 
•den Urspruui^ der Haupt- und Nebenplaneten^y wobei er »haupt- 
sächlich auf die Widerlegung der ßnffon sehen Hypothese sein 
Augennurk richtetet^ und erhob darauf ;?6' junge ^tiftlcr zu 
Baccaltmreen, Zum Bescläuss stellten drei der neuen Jiacca- 
laureen eine kurse Redeübung darüber an, »ob die Verschieden- 
heit der Genies mehr von innerlichen oder i'ou äusserlichen 
Ursachen herzuleiten sei.a Her Erste war für die innerlichen 
Ursachen, der Zweite für die äusserliclien, der Dritte x*erglich 
die Meinungen und endete mit der gemeinsamen Datd:sagung, 
•Der Rest des Tages tvurde in gemeinschaftlichem Vergnügen 
unter den bisherigen Merkmalen der herzoglichen Gnade zu- 
gebracht. ^ 

Alle diese Promotionen unlerscluideu sich von denen des 
Jalires 1077 sunäcltst dadurch, dass das Ceremonicl thcils er- 
mässii^t ist. theils nicht mehr in dem früheren Ansehen steht, 

sodanu aber durcJi den Charakter der bei dies:n acadrmischen 
Acten gchaltciu n Reden. Im siebzehnten Jahrhundert war die 



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^lcIirzaJil derselben uocJi von i^anz schoIastiscJier Hi^ltJt}!^^, im 
achtzehnten dagegen iv:ird;:n vjrschiedenartigc tvissenschaf tlichc 
Fragen %*ofi den dazu berufenen Autoritäten ernstlich behandelt. 
Insofern übrii^^ens scheinen die yubiläumspromotionen in den 
beiden Jahr/innderten sie// <^e^lie/ien zu Jiaben^ als die Candi- 
datcn nur rtdie Convivia frei hattenu^ die sonstigen Gebühren 
aber bezahlen mussten. 

Am sechszehnten Oktober verweilte Herzog Karl mit groS' 
sem Gefolge sowohl Vormittags wie Nachmittags im Stift. Es 
hatten sieh uieht weniger als .Vs' Insassen desselben, thcils Re- 
petenten thcils Stndenleii, i^e rüstet^ dem Landesherren Beweise 
ihrer Kemttnisse und Fälligkeiten m geben, mtd es wttrdcn nun 
Vorträge gehalten über die mannichfaltigsten theologischen^ phi^ 
losophiseJicn, gesehiehtliehen und selbst natnrieissenseliaftliehen 
Gegenstände, in Prosa wie aiieh in l 'ersen, in dentseher, latei- 
nischer, griechischer, englischer, italienischer, dänischer, ungari- 
scher, siebenbürgischer, hebräisclier, arabischer, chaldäischer, syri- 
scher und samarita nischer Sprache. Der Her: (n; brachte es fertig, 
am J 'onnittaj^e seehsz eh// soleher l 'ort rage anzuhören und am 
Nachmittage HO eh i'ierzehn, so dass dieiss ig Redner zum Worte ka- 
men und nur acht *durch die Kürze der ZiCit ausgeschlossene, ivurden. 

Der erste dieser Vorträge bestand in einer scltwuttgvollen 
aber auch ungemein übersclnvänglichen Anrede des Repetenten 
Weiheumaier aii Herzog ICrrl, d u »Statthalter der Gottheit^, 
einen der naiisscroydcntlich grossen uiui ausserordentlieh guten* 
Menschen, die von Gott in gewissen seiner Weislieit gefalligen 
Zeitpunkten erweckt tviirden, in seinem Namen sein Werk auf ' 
dieser Erde zu erhalten oder wieder herzustellen. Der letzte 
der l 'orträgc war ein • /Poetische Danksagun<^ des Repetenten 
Plank, li'eicher in derselben eine nicht unbedeutende dichterische 
Begabung aber auch ebenso viele Fälligkeit zu unterthänigster 
Schmeichelei gezeigt hat. Denn nachdem sich der junge Dichter 
in den ersten \ 'crscn dankend an Gott gewendet hat^ falirt er fort: 

5* 



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— 70 — 

Ih'hl Euren Blick! — Hier, 7w <//<• IVtishcit jtht 
Den hohen Thrm ßtr Kann und sich gesetzt. 
Hier, w ringmm ihr offner SckeMphH iacki. 
Hier lag eimt AlUtemacht. 

Aber Jiöcr/iard im Barte sertheiUe das nächtliche Dunkel 
und führte den lichten Tag über sein Land fterauf^ indem er 
die WeisheitsqucUe aufdeckte^ die mn seit drei 3^ahrhunderten 

in reichem Strome fliesst: 

L ud noch strömt sie. — ^i»:e;t es. ynbeltönef 
Wie sie Karl in seiner I/errlic/tkeit 
In der Mitte seiner Söhne 
Jetzt zum sweiteii Mal geweiht! 
Sißi^t's, 'itne unser Busen brannte. 
Da er selbst mit DatMarkdt 
Seines Ahnherrn Kamen nannte. 
Der sie erstmals einst s^civeihf; 
^•iher singt s nidU, loie er In-annte, 
Da, er Jäst sein ^httlits toandte, 
Cnä mit uns voll Gnade sfraek. 
Denn kein Jubel sSng es nach! 

Aber (Uesen Bt 'iek voll Gnade, 
Kehre noeh, Durehlawktigster, 
yetst tiaeh einmal au/ uns her. 
Wenn der Dank ßtr Deine Gnade, 
Der dies Jfaus mit Stoh sieh rUkmf, 
Vnserm I/erzen Jetzt entstr9mt. 

Nun folgt die Erinnenittg an die Fülle der Wohlthaten^ 
die Karl gespendet hahe^ und daran knüpft sich zuletzt die 
Frage: 

Aber welcher Dank ist seiner verth? 
Kur, toenn dieser Tag einst wiederkehrt, 
Und dann Rberhard hernieder 
Mit ihm zu der Lrde steigt, 



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— 71 — 



Und dm gtvfsem FMiel wiedtr 
• Satter Werke Fortgang mgt. 

Dann era toirä em Dank ihm» seitier wetih. 
Dann erst ihn sein votier Snhm gewährt, 

li'(tm der Knhd unsrcr Söhne 

Dinn vor sei nein Bilde staunend steht, 

l 'nd in jedem Jl iek und Jeder Miene 

Seine j^rcsse See/e spiiht ; 

Wenn der Fürst des Unkels unsrer Sohne 

Ihuiii hcrah von seinem Throne steigt, 

l ud sieh» feiernd vor dem Jhlde neis:;t, 

f>tinn erst Piink ihm, 'cie er lUh'rhard 

JetU durch ihn, und Kuhm, wie er ihm ward! 

Die grosse Zahl dieser vielsprachigen prosaisdien wtd 
poetischen Vorträge ermüdete Hersog Karl so tvenig^ dass er 
sttletsi selber noch dos Wort ergriff und in einer kleinen Rede 

den Stiftlcrn uiciti rhcd für ihren Fieiss und J.ifer dankte, 
sondern sie unter drohenden Worten gegen die iVac/dässigen, 
aber auch voll Hersliclikeit gegen die Folgsamen zu immer 
erttsterem Streben ^ su immer sorgfältigerer RrfUlbtng ihres 
schieeroi In-nifes erniaJude. Wenn sie auf Hin liören ivürden, 
»ifanUf aber <^e:eiss nicht eher, werdet Ihr Fiich selbst zuliUnftige 
Diener der Kirclie nemten dürfen, und alsdann werdet Ihr 
Alle mit ReclU Ansprache an mir, an dem guten Vater haben. 
Das hoffet Karl, der gewiss gute Vetter scifies Vaterlandes uttd 
dieses sei/tes Stifts.» 

nAuch dieser Tag, mit tuelchem die aeadeniiscJien fitbel' 
. handlungen su Finde gingen, wurde durch sahireiche Assetnblec 
bei Hof untl hersogliclu* Nachttafel unter gleichen Beweisen 
der hersoglichen Huld wie die vorigen vollbracht. ^s 

Der siebzehttte Oktober lear cnnifc/ist zn einem Dank- 
gottesdienst für den glückiicJien Verlauf des Säcularfestes be- 
stimmt, Gäste, Professoren, Magistratspers&ncn, Studenten und 



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« 



— 72 — 



Bürger versammelten sich um zehn Uhr in der Kirche; Hersog 
Karl kam in demselben prächtigen Äufsnge wie früher dorthin 
und wurde von Cansler Cotta mit einer kurzen Anrede em- 

pfangcn. Divm prcdigli Professor I/rj^y/nidii r und dankte Crott 
mit einigen Worten für die schirmende Hand^ die er idwr 
Tübingen gehalten^ strömte aber auch über vom Preis der 
gnädigsten Herablassung^ der unerschöpflichen Güte des Durch- 
' taucht igsten Hersogs und der unzählbaren Wohlthaten^ die in 
den letzten Ttri^en :'oii dessen J/irone ansiiei^ani^en seien. »Xiin 
sehetv, so fügte er hinzu, r^ein i^uter i'iirst ist ein Bild des 
guten Gottes: o dass wir doch Alle voll des lebhaftesten Gefühls 
dieser unendlichen Güte würden^ die ohne Mass und ohne 
Sclirnnken in der Zeit und in der Pwigke/t glücklich machen 
will Alle, die ihr Herz nicht vor ihr verschliessen I 0 so 
danket dem Hlirrn^ Geliebte^ der so gut^ der so freundlich ist.'« 
Mich dem Gottesdienste empfing Hersog Karl im Collegio 
illustri die Ehrengäste der Universität und ilie Mitglieder des 
academiselien Senats und nnahni den ehrerbietigsten Dank der- 
selben fiir so i'iele redende Jkiceise höchster Huld und Gnade 
entgegcn^i. Darnach aber begab er sieh, xi*älirend die Diener- 
schaft sur Abreise rüstete, ptötslich und unenvarteter Weise 
ins Sfifty um noch einmal eine gelehrte ('bung su veranstalten. 
Kr Hess n Locus halte n^^y d. h. er liess »eine theologische J Prü- 
fung auf diejenige Art anstellen ^ 7cie sie sonst in der Woche 
einmal über einen Religionsartikcl durch die Repetenten vor- 
geupmmen su iverden Pflegt, wobei sugleich die amvesenden 
Chevaliers uiui Klex^en der Karlsschule die gnädigste Rrlaubniss 
hatten^ auch in diesem Stiick ihre Kenntnisse und l'erligkeit 
durch verschiedene Hinwürfe darzuthu/m Hierauf endlich 
•verliess der verehrungswürdigste Purst unter allgemeinen Se- 
gcnsxvünschen die hohe Schule und die Stadt Ttibingen.« 

Mit dem von dannen fahrenden Herzog ging die Sonne 
unter, die den langen lag des hohen Pesics erleuchtet hatte. 



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— 73 — 



Der acadatüsche Scmt dachte nicht daran, wie doch im scclis- 
sehnten uftd siedsehnten Jahrhundert geschehen war^ nun etwa 

in s^Kuni^ii/os collcgiatcm Hchas^cn, in traulichem Verein mit 
Frauen loui Kindriii zu y^iifcr Letzt zu^ninuiiiiizukoiinnoi und 
bei vollen Ikckem die Erinnerung an die so eben durchlebte 
Xeit SU pflegen, obgleich sogar noch ein l'ässchen ynbiläums- 
wein, gleic/isam hierzu verlockend, übrig geblieben war. Man 
beschloss vielmehr nur, diesen Wein unter die Mitglieder des 
Senats gle/\7/u//isy/^- zu vertJieilen. 

Die Universität erhielt iibrigens auch diesmal loertlroolle 
Jubelgeschenke, Ztvar wurde kein fetler Ochs mehr darge- 
bracht wie im Jahre 15T8 und kein prunkendes Trinkgeschirr 
wie beim zuzeiten Jubiläum , dafür aber richtete sich der bil- 
dunj^sdurstige Sinn des acJitzehiilcn Jahrhunderts auf eine Reihe 
kostbarer Bücher, die von den eingeladenen Instituten und 
Körperschaften der hohen Schule sur Vennehrimg ihrer Biblio- 
thek überreicht wurden. 

Andrerseits iK auf/rao^te der Senat den Professor Juyk, eine 
Jieschreibung des Juöiläunis zu verfassen. Dieser stellte darauf 
die gehaltenen Predigten und Reden susammen und schrieb stt 
denselben ei/w verhältnissmässig kurse Einleitung, in welclier 
er den Gang der Dinge sttrar so seichnete, dass er uden Nach- 
kommen ein Denkmal liinterliess von den glänzenden Auftritten^ 
wcdurcJi der DurcJilauchtigstc Herzog und Herr Karl den Jubel 
der hohen Schule vollkomtnen gemacht hatten, im Übrigen aber 
so surückhaltend verfuhr, dass unter seitwn glatt und schnell 
dahineilenden Worte ?/ das cis^enthüm liehe Leben und Weben 
Jener Jage nur sch:eer :// erkennen ist. Sein Werk wurde von 
Seiten der Unhersität allen hohen und niederen Gästen^ die 
beim, Jubiläum sugegen getvesen 7varen, utui ausserdem noch 
sehr sahireichen andern Würdenträgern , namenflieh wirtem- 
bergischeii Inanileii^ Lehrern und Geistlichen ^ gehorsamst ver- 
ehrt; und der Kegieruugs-Kathssecretär l ischer, der im Auf- 



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— 74 — 



trage des acadeuiischen Senats viele Exemplare dieses Biiehes 
vertheilt hatte ^ erhielt hierfür *als ein geringes Zeichen der 
Erkenntlichkeit und unter Versickerung ^ äass dem Senat jede 
Gelegenheit besonders a^genekm sein werde ^ Seiner Hochcdel' 
geboren gefällige Dienste erzeigen zu könnenv, — zwei Ducatcn, 
für zvelehe agenerense Remunerationv^ er dann uieder den er- 
gebensten Dank aussprach. 

Unter den Empfängern der ynbiläutnsbesckreibung befand 
sich endlich auch der Freiherr yoliann Heinrich von Harppvechty 
kaiserlicJier Rath und ylssessor am kanuniigerieht zn Wetzlar^ 
ein Mitglied der hauiilic IJa rpp recht ^ die der Universität Bü- 
bingen sciion fnehrere namhafte Lehrer geschenkt hatte. Mit 
tiefer Rührung las der hochverdiente Mann in diesem Buche 
den Rulim der Professoren, die in den vergangeneft Jahrsehnten 
an der Universität gewirkt hatten nnd znni Theil seine f.ehrer^ 
zum Theil auch seine nahen J^erzea/idten gezeesen zcaren. xUis 
Erkemittichkeit für die Zuscndwtg der Jubilätimsbeschreibung 
schenkte auch er tMchträglich noch der Universitätsbibliothek 
swei kostbare Werke ^ nämlich: 

Marti ur et Durand ret. seript. et monunient. etc. anipl. 
coliectio T. 1 — 0, Paris 17 Üi. — und: Haurisii script. historiac 
romanae latini veteres qui extant otnties, 1\ 1 — 3, Heidelberg 
1743. 



' Die yubiiänmsbeschreibung des Professors Bok schliesst mit 
folgenden / 1 'orten : 

» ]Venn ein heiterer Morgen einen schonen Tag anldtndet^ 
wenn der Ablauf des vierten academischen Jahrhumlerts eine 
Folge von dem ist, womit Karl, im Geiste Eberhards, den An- 
fang desscllu n wie den Ausgang des dritte:^ gekrönt hat, so 



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— 75 — 

werden sich unsere Nachkommen der sch'dnsten Früchte freuen 
und einst het dem vterfeti ynbelfest der etvigen Vorsehung 

danken^ die von ciniii Ja'irJiimdsrt zum aiuicrn dos Reich 
der WahrJu it und der Tui^i iid mveitcrt.« 

Der heitere Morgen des Jahres 1777 hat su einem schönen 
Tage ge führt^ tocnn auch nicht ganz in der Weise, weiche die 
schmeichelnde Feder B'öl: s im Sinuc Jiatte. Denn zunächsl sind 
dem Jubiläum des vorigen Jalirliunderts scJilimma Zeiten gC' 
folgt. Die Concurrens der Karlsschule hat sich immer drohen- 
der entwickelt; die Frequens der Universität ist kläglich sh- 
sammengescltwmtdcn bis himb su der geringen Zahl von 188 
' Studenten im Jahre 17!il; die Universität 7eäre in Gefahr völ- 
liger AußösHug gewesen^ wenn nicht das Stift, dem die Stutt- 
garter Schule nicht schaden konnte, einen geschlossenen Kern von 
Studirefiden für Tiibitigen bewahrt hätte. Nachdem dann end- 
lich die Karlsschule Wieder aufgehoben war, sind die Wogen der 
franzdsiscJien Revolution über Deutschland und iiuropa herein- 
gebrochen und haben das neue Aufblähen der Universität noch 
für lange Jahre gehemmt. Aber mit der Besiegung Kaiser Na- 
poleons I hat eine bessere Zeit begonnen. Der wiederhergestellte 
und dauerndere l'neden in den deutsehen Landen^ der rege 
Verkehr^ der allmälilicl! alle Tlieile des deutschen j\cic/u's innig 
mit einander verbunden hat, dazu die thatkräftige Fürsorge der 
Regierung wtd die Liberalität der I^ndstände^ alles Dieses su- 
sammen hat die Universität Tübingen während der stveiten 
Hälfte ihres vierten Jahrhunderts in eine vielfacJi beneidenS" 
werthe Lage gebracht. Die Frequenz derselben hat sich in. dem 
genannten Zeitraum von ungefähr 600 Studirenden langsam, 
stetig und dartun Vertrauen auch fiir künftige Erfolge er- 
weckend auf ungefähr 1000 gehoben. Die alte Klage ^ dass 
Tiibingcn in einem Winkel Deutschlands verkitmmere^ leährend 
der Strom des nationalen Lebens fast nur die in der Mitte des 
Reichs gelegenen sächsischen Universitäten berühre, ist völlig 

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— 76 — 



verstimmt. Der Strom des nationalen Txbens flikrt im Geget»- 
theil den Norddeutschen mehr nnd iiuhr in den sehdften Süden 

herab \ und die Universität Tiibiiii^eu steht luieh AUedeiii heute 
in so frischer Bliithe^ leie etiva nur in jenen rührigen yugetid- 

jahren^ als nach den Wirrett der Reformationsseit Herzog 
Christophs einsichtige Verwalttmg den Grund legte für den 

glncklichen '/ustami der hohen Schule^ den wir beim Säatiar- 

feste des Jahres lö7ö kennen gelernt haben. 



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