ZEITSCHRIFT FÜR BÜCHERFREUNDE.
ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegebc n
von
FEDOR VON ZOBELTITZ.
Dritter Jahrgang. — 1899/1900.
Zweiter Band.
Bielefeld und Leipzig.
Verlag von Velhagen & Klasing.
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3
N
N
5
Inhaltsverzeichnis
DL Jahrgang 1899/1900. — Zweiter Band.
Die iUuimctteo Beiträge liwJ Bit * bezeichne!.
Grössere Aufsätze.
Mm
Beer, Rudolf: Die Zimmernschc Bibliothek 401
*Borov8ky, F. A: Die dritte Ausgabe des Psalteriums vom Jahre 1457 343
*D äschner, Richard: Die grossen deutschen Antiquariate. Das Baersche Antiquariat
in Frankfurt am Main 348
Ebart, Egon: Von der Münchener Buchausstellung 277
*Forrer, Robert: Alte und moderne Neujahrs wünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt 369
*Franke, Willibald: Deutsche Stammbücher des XVI. bis XVTII. Jahrhunderts .... 329
*Genee, Rudolph: Schillers „Räuber" in den ersten Drucken nebst den wichtigsten
Theaterzetteln 289
Karpcles, Gustav: Der Ackermann aus Böhmen 387
Kellen, Tony: Über welche Frauen ist am meisten geschrieben worden? 338
"Meisner, Heinrich, und Johannes Luther: Die Anfänge der Buchdruckerkunst. Zur
Fünfhundertjahrfeier des Geburtstages Gutenbergs 409
Norden, J.: Die Anfänge des Buchdrucks in Russland 344
*von Schleinitz, Otto: Die Bibliophilen. Bemard Quaritch 454
*Schlosaar, Anton: Taschenbücher und Almanache zu Anfang unseres Jahrhunderts. II.
Österreich und die Schweiz 298
'Schnorrenberg, Jakob: Heinrich Lempertz sen. und seine Goethe -Sammlung .... 394
Schwetschke, Eugen: Novae epistolae obscurorum virorum. Eine klassische Spottschrift
aus der Zeit der Frankfurter Nationalversammlung 273, 315
Stephens, J. GL: Gladstone als Bibliophile 351
*von Zobeltitz, Fedor: Zur Reform der Buchausstattung 456
*von Zur Westen, Walter: Der künstlerische Buchumschlag. DX Österreich — Schweiz —
Italien — Holland — Belgien — Skandinavien — Russland — England . . 249
561887
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VI
Inhaltsverzeichnis.
Bauer, Katechismus der Buchbinderei ( — m) . . .
Bonnana. Edwin: Bacon- Shakespeares Venus und
Adonit (Fedor v. Zobeltitz)
Branstwerter. Emst: Knecht Ruprecht f — «.) . . .
Brockhan», Rudolf : Zum 28. August 1899 (Dr. Carl
Schüddekopf)
Bndie. E. A. Wallis: The Book of the Dead: The
Papyrii of Huncfcr, Nechmet, Anhai, Nu and
the Hook of Breathings (O. v. Schleinitz; . .
Catalojne, The English, of Book». Vol. 5. January
1S90 to December 1897 (P. E. Richter) . . .
Dar, Lewis F. : Alte und neue Alphabete (— b.) . .
Fettichrift au Goethes 15a Geburtstage, dargebracht
Tom Freien deutschen Hochstift zu Frank-
furt a. M. (F. v. Z.) .
Forke, A : Blüten chinesischer Dichtung aus der Zeit
der Han- und Sechs-Dynastie (M. Seelen) . .
Oanz, Dr. Paul: Geschichte der heraldischen Kunst
in der Schweiz im XII. und XIII. Jahrhundert
(K. K. Graf zu Leiningen-Westerburg) ~ ~
Oaraett, Richard: Essays on Librianship andBiblio-
graphy (O. v. S.)
Ooedekei Grandrisa der Geschichte der deutschen
Dichtung, neu bearbeitet v. Edmund Goetze( 14.)
Corte, A: Der Ehrenbrief des Jakob Puterich von
Reichertshausen an die Erzherzogin Mecht-
hild (Dr. R. Petsch)
Orlr.fi ii. Warner: 1 5 Illuminationen aus Manuskripten
der Bibliothek des British Museum (O. v. S.)
Orowoll, A.. Veröffentlichungen des Dibdin-Clnb in
New York. Heft 2—4- Friedrich Levpoldt und
Henry Ilarisse [E. Oettke) .
— — : Book-Trade Bibliography in the United
States in the XIX. Century (E. Oettke). . .
Hedln, Swen: Durch Alien*. Wüsten. Drei Jahre
auf neuen Wegen in Pamir. Lop-nor. Tibet
und China (Z.'l
Haar, J. C: Die Schweiz (Klans t. Rheden) . . .
Heltz, Paul: Originalabdruck von Formschneider-
Arbeilen des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Dr.
O. Zarctzky) .
Kritik.
469 Holtmann» Siegelmarken (— m.) 470
Hoffmaa*, E. T. A : sämtliche Werke hersg. von
378 Eduard Grisebach (F. v. Z.) 406
36z *Hoelscher. G. : Heinrich Lempertz. Ein Lebensbild.
(Jakob Schnorrenberg) 394
32I Koennecke: Biographie Goethes in Bildnissen (F. v. Z.) 322
Landor, Henry S.: Auf verbotenen Wegen. Reisen
und Abenteuer in Tibet (2.) . ...... ~ 356
359 Lorenz, Max: Die Litteratur am Jahrhundert-Ende
(F. v. Z.) 463
40 Ct. Utiow, Francis: A History of Bohemian Lite-
406 rature (O. v. Schleinitz) 283
Modern, Dr. Heinrich, und Dr. Alfred Ooelaila tob
Tiefenau: Die Zimmemschen Handschriften
323 der K. K. Hofbibliothek (Dr. Rudolf Beer) . 401
323 „hl." Fünfter Jahrgang, zweites Heft 469
Penneil, Mr. and Mrs. : Lithography and Lithographers
(O. v. S.) TT 368
357 Praetor, Robert: Index to the early printed books
at the British-Musenm with notes of those in
324 the Bodleian Library (O. v. S.) 471
Saloawn, Ludwig: Geschichte des deutschen Zei-
3 2 4 tnngs wesens ( — g.l 466
Schleifer, Emil: Die Frau in der venezianischen
Malerei (J. Hagen) 4*5
464 Selpnel, Paul: Die Schweiz im neunzehnten Jahr-
hundert. Band I (Klaus v. Rheden) .... 281
Steinhaus*«, Georg: Deutsche Privatbriefe desMittel-
alters (' — ob — ) 465
Stflmcke, Heinrich: /.wischen den Garben ( — 7.) . 406
Tsoeny, Ed.: Der Leutnant (F. v. Z.) 470
qj 2 Voll. Karl: Velasquez ( — m.) 406
de Vrles, A. G. L. : Ncdcrlandschc EmblemaU, ihre
Geschichte und Bibliographie bis zum XVTfl.
356 Jahrhundert (Dr. J. Hagen) 358
28t Wmtmann, G. : Aus Leipzigs Vergangenheit. Neue
Folge (Dr. Johannes Luther) 7 3^4
— — Das 1/cipziger Stadtwappen (Dr. Joh.
_3J1 Lutter) ...... 3SS
Chronik.
Zur Frage des Zeordruckes. (S.)
Meinungsaustausch.
404
Buchausstattung.
Sülle
Adam, Paul: Der neue Stil in der deutschen Buch-
binderei. ( — na.) 361
Beskow, Elisa: Bilderbuch. fr. Z. W.) 466
Brausewetter, Ernst: Knecht Ruprecht. (— r.) ■ ■ 362
Gase, Jules: Die Sklavin. ( — n.) 3»j
Hamsun, Knnt: Die Königin von Saba. (— n.) . . 325
Kertten, Paul: Neue moderne Einbände. ( — m.) . 361
Kurth, Ferdinand Max: Dichtungen. ( — m) ■ ■ . 325
Marni, Jeanne, Pariser Droschken. ( — n.) .... 325
Musterbuch der Aktien-Gesellschaft für Buntpapier-
und Leimfabrikation in Aschaffenburg. ( — g.)
Müller -Bonn, H.: Kaiser Friedrich der Gütige.
(VY. v. z. W.)
Münchener Kalender 1900. f — g/
3*5
J«2
Triniu», August: Thüringer Geschichten, (w — .) .
Uitovering van Liederen nit het Licderboek van
Groot-Nederland. (v. Z. W.) 466
Villiera de I^sle-Adam:
(W. v. Zar Westen)
Histoircs soaveraines.
ed by Google
Inhaltiveroeichnii. VII
in Bonn :
Autographenschätze. L Die
Dichter, Schriftsteller
klassischen Periode. (R v. F.) ...
Quaritch in London: Enter Teil
364
neuen Katalogs, der die Litteratur und Ge-
schichte der Britischen Inseln behandelt(Th.G.) 363
Jacques Rosenthal in München: Sammlung von
Miniatur-Handschriften des Verlagsbaehhund-
lers Dr. Trubner in Strassburg. (— g.) ... 363
Von den Auktionen
Seile
Am »ler & Rathardt in Berlin: Sammlung Robert von
Pommer-Esche, Abteilung I (— bl— ) .... 366
Auktionen in Frankreich. Bihliothek Sarcey (— g.) 405
Gilhofer 4 Ranschburg in Wien: Sammlung altkolo-
rierter Originalkupferstiche (— bl— ) .... 366
Seil.
Leo Liepmannssohn in Berlin: Autogmphen —
Dreisiigjähriger Krieg und Anderes ( — m.) . 404
H.Hclbingin München : Simmig. Dr.M.Schubart( — g.) 365
Sotheby in London: Tixall-Bibliothek (O. v. S-). . 406
Sotheby in London: Bibliothek Lord Rendieaham*
und einige kleinere Sammlungen (O. v. S.) . 467
Seite Seit»
471 Praakrele* 3»7
3»« Itoll*« 367
Dentschlaad 384, 326, 366, 406, 468 Österrelch-Ungara 2S4, 326, 366, 406, 468
EntUuid 285, 327. 3«. W, 47» Staate« a «7. 3*
Kunstbeilagen.
Facalmlle des ersten Theaterzettels von Schillers „Rlnber" (zw. 292 und 293).
Facslnfte des Titelblattes und lalttete D am Schlfiers Psattoriu von ISIS (zw. & 344 m»d 345).
Facstatte elae* Doppelblattes aas der Ars aorieadl. Nach dem Exemplar der Bibliotheque nationale zu Paris, (tw.
S. 412 und 413).
Facaioille eines Doppel Mattes aas der Ars atemoraadi. Das 8.— 12. Kapitel des Evangelium Matthäi umfassend. Nach
dem Exemplar der Bibliotheque nationale tu Paris. Verkleinert. (Zw. S. 420 und 42t.)
FacsImUe aas Ortenbergs ZI selHtem Donat (sw. S. 424 und 42 5 >
Calenberg. Nach dem Holzschnitte eines unbekannten Meisters vom Jahre 1578 (tw. S. 4*8 und 429).
Unscblarielcbnuag voa Walter Craae (zw. S. 452 und 453).
Zwei PactUaOes aach Origlaalielchnuntea voa Goethe «ad J. S. Bach (zw. S. 398 und 399)-
Beiblatt
Zu Heft 7— 12: Gesellschaft der Bibliophilen — Rundschau der Presse von Arthur L. Jelünek — Kataloge — Brief-
kasten — Anzeigen.
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ZEITSCHRIFT
KÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
3. Jahrgang 1899/1900. Heft 7: Oktober 1899.
Der künstlerische Buchumschlag.
Österreich —
Von
Walter von Zur Westen in Herlin.
HL
Schweiz — Italien — Holland — Belgien — Skandinavien —
Russland — England.
loch vor Jahresfrist wäre es
unmöglich gewesen, über Um-
schlagszeichnungen österreichi-
scher Künstler mehr als einige
Zeilen zu schreiben. Selbst
dann hätte man sich nicht auf
österreichische Druckwerke beschränken dürfen,
sondern auch die Umschläge zweier deutscher
Zeitschriften in den Rahmen der Betrachtung
ziehen müssen. In beiden bildet eine der be-
kannten allegorischen Damen in antiker Toilette,
die hier anscheinend die Poesie versinnbild-
lichen soll, den Mittelpunkt der Kompositionen,
von denen die auf der halbmonatlichen Aus-
gabe von „Ober Land und Meer" (1897 und
1898) von A. H. .SV///v/w/- Wien in einer süss-
lichen Illustrationsmanier ä la Thumann aus-
geführt ist, wahrend die andre, die V. Hynais-
Prag fiir die „Illustrierte Welt entworfen hat,
in einem pompösen Klassicismus ä la Baudry
gehalten ist, den der Künstler sich in Paris an-
geeignet hat und den auf dem Gebiete des
franzosischen Buchumschlages L. Olivier Merson
vertritt. — Von Hyn.iis rührt auch der bis
September 189S angewandte, recht vernn-
Z. f. B. 1899/1900.
glückte Umschlag der „Kunst für Alle" her. —
Unter den älteren österreichischen Umschlägen
müssen wir den des Lieferungswerkes: „Hand-
zeichnungen alter Meister", herausgegeben von
J. Schönbrunner und J. Meder (Gerlach und
Schenk) von Koloman Moser -Wien lobend
hervorheben und mit besondrer Auszeichnung
der Arbeiten Heinrich Le/lers-\\icn gedenken,
unter denen der Umschlag des „Hausschats
moderner Kunst' (Gesellschaft für vervielfälti-
gende Kunst in Wien) obenan steht (Abb. 1).
Er ist der einzige österreichische Umschlag,
den Uzanne kennt, und mit Recht lobt er seinen
„decor tres bellement presente, tres stylisc."
Das Blatt ist die Glanzleistung Leflers auf
diesem Gebiete geblieben, in der sein vor-
nehmes stylistisches Talent und sein hoher
Schönheitssinn am vollständigsten zur Geltung
kommen. Zu seinen älteren Arbeiten gehören
ferner die Umschläge des Katalogs der X. Aus-
stellung des Wiener Aquarellistenklubs , die im
Januar 1896 stattfand, und von P. von Schön-
thans: „Wiener Lujt" (E. Pierson). Das letzt-
genannte Blatt ist nur in schwarz und gelb
gedruckt und zeigt eine junge Dame in
32
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250
von Zur Westen. l>er künstlerische Bnchumschlag etc.
C.'Sfilsrfcf.ft für vnmr\te\\i&rn}r }';jr.:.'>
Abb. I. Unjchlagicicrtniuig roa Heinrich Lefler.
vollständig flächenhafter Darstellung ohne jede
Modellierung, teilweise sogar ohne eigentliche
Konturierung , indem eine Anzahl schwarzer
Flecken ohne Verbindungslinien auf den gelben
Grund gesetzt sind; Gesicht, Schirm und Rock
sind vermittelst des Papiergrundes weiss aus
der gelben Fläche ausgespart. Trotz der Ein-
fachheit der Darstellungsmittcl wirkt das Blatt
ausserordentlich lebendig. Es beweist ein ver-
ständnisvolles Studium der englischen Affichcn,
vor allen der M. Greiffcnhagens und der
Hrothers BeggarsteflT, und erinnert uns daran,
dass Lefler unter den Flakatistcn Österreichs
an erster Stelle steht. Aber auch unter den
Umschlagkünstlcrn gebührt ihm nocli immer
der höchste Platz, obwohl ihm in letzter Zeit,
seit dem Eindringen der kunstgewerblichen Be-
wegung, zahlreiche Rivalen erstanden sind. Kr
hat für die Zeitschrift „Der Architekt*, Monats-
hefte für Bauwesen und Dekorations - Kunst,
einen ausgezeichneten Titclkopf ent-
worfen; er hat auf dem Umschlag
von „Kunst und Kunsthandwerk",
dem von A. von Scala, Direktor
des österreichischen Museums Tür
Kunst und Industrie, herausgegebenen
Hauptorgan der Bewegung, das
Kunsthandwerk dargestellt, dem der
Genius der Kunst einen Lorbeerkranz
aufs 1 laupt drückt, und hat in seiner
Geschäftskarte für die Berndorfcr
Metallwarenfabrik von A. Krupp
ebenfalls die Vereinigung von Kunst
und Kunsthandwerk gefeiert Der
Umschlag des XV. Jahrgangs von
^/a/«j„i/>/«'/rww'Virdleiderdurch
einen als Mittelpunkt eingeflickten,
in Couleurschnitt reproducierten Kin-
derkopf des bekannten Familienblatt-
genres in seiner Wirkung beeinträch-
tigt. Ob der, drei charakteristische
Kriegerköpfe darstellende Prospekt
der illustrierten Prachtausgabe des
Musäusschcn Märchens „Rolands
Knappen" (Gesellschaft für verviel-
fältigende Kunst in Wien) und der
ausgezeichnete heraldische Umschlag
des „Österreichischen Kalender iStjg"
(Artaria & Co.) wie ich annehme,
von Lefler oder ob diese Arbeiten
von seinem Mitarbeiter J. Urban
entworfen worden sind, entzieht sich meiner
Kenntnis.
Bekanntlich ist die Kirchhofsstille, die lange
Zeit im Österreichischen Kunstleben herrschte,
seit kurzem lautem Kampfgetösc gewichen.
Eine starke Gruppe hat sich von der Wiener
Künstlergcnosscnschaft losgelöst, hat sich als
„Vereinigung bildender Künstler Österreichs"
zu einem neuen Verbände konstituiert und sich
in der Monatsschrift „ Ver sacrnm'% die seit
i. Januar 1898 in ungewöhnlich guter Aus-
stattung erscheint, ein
Kunst- und
Kampfblatt geschaffen, das das Publikum für
die Secession interessieren und gewinnen soll.
Den Umschlag der ersten Nummer hat Koller,
dessen Affiche für die Sievogt -Ausstellung im
Winter 1S97 eine lebhafte Zeitungserörterung
hervorrief, mit einer Darstellung geschmückt,
die, wie einige bereits Iwsprochcne Arbeiten
Eckmanns, einen programmatischen Charakter
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von Zur Westen, Der künstlerische Bucliumschlag etc.
trägt. Der in reicher Blütenfüllc prangende
Baum der Kunst hat die Haiken des Kübels
gesprengt, in den er gepflanzt ist, und hat im
Erdboden Wurzel geschlagen. Leider hat aber
das Gros der Secessionisten den hier gepredigten
Anschluss an die Natur bisher nicht gefunden.
In „Ver sacrum" treibt vielmehr ein tollgc-
wordener Stilismus sein Wesen, der mit Natur-
schilderung nicht das geringste gemein hat.
Die Künstler haben die Lehre, die Herrmann
Bahr ihnen im ersten Hefte gegeben: wer in
Wien etwas erreichen wollte, dürfe sich nicht
fürchten, lächerlich zu werden, nur allzutreu be-
folgt. Originalität um jeden Preis, lautet die
Losung. Derselbe Kolo
Moser, der erst kürzlich
in seinem vorzüglichen
Umschlage zum „Kunst-
Schate" (Gerlach und
Schenk) einen Jüngling
dargestellt hat (Abb. 2),
der sich einen erquicken
den Trunk aus dem
ewig frisch sprudelnden
Quell klassischer Kunst
schöpft, hat in seinem
Umschlag zu Heft II.
des „Ver sacrum" eine
ganz tolle Leistung ge-
liefert, die zwar in den
Farben an griechische
Vasenbilder erinnert, im
übrigen aber der edlen
Kinfalt und stillen Grösse
derantiken Kunst mcilen-
fem steht. Das Blatt
stellt drei vollständig
gleiche Serpentintanzer-
innen dar und steht
an künstlerischem Wert
weit hinter der bekann-
ten Darstellung Stucks
zurück, die dieser als
Relief, als Gemälde und
zuletzt als Titelblatt der
Jugend (II., 38) behan-
delt hat und in der sich
Keminiscenzen an antike
Wandgemälde mit den
Eindrücken des moder-
nen Serpentintanzes selt-
sam mischen. Zu der Excentricität der Zeichnung
gesellt sich in Mosers Umschlag zu E. Potsls
„Bummelei" (R. Mohr) eine kaum leserliche
Schrift. Es wäre sehr zu bedauern, wenn der
talentvolle Künstler nicht bald wieder den
Rückweg aus diesen Verirrungen zu gesundem
Schaffen fände. Leider zeigen der neue Um-
schlag der „Kunst für Aür" und der für H.
Bahr „Die schöne Frau" (S. Fischer), dass dies
bisher noch nicht der Fall ist.
Für den Katalog der ersten Kunstausstellung
der Wiener Secession hat E. Klint t die übliche
Athene geschaffen, in demselben strengen archa-
istischen Stil, den Stuck in seinem Athenekopf
KVNSTöCriATZ
~ wicts ~
GE.RL.nOl "7SCMLNK
vc klag
rvr\
KVM5T ^'UVIS&TGCv^ f$SL
Abb. I, Umtchlagieichnung von Kol um au Motcr.
352 von Zur Wc&len, Der künstlerische Buchumschlag c»c.
für die Münchener Secessionisten-Ausstellung
und in seinem Plakat der „Internationalen Kunst-
ausstellung in München 1897" angewendet hat.
Dieselbe Athene kehrt auch in dem Klimt-
schcr Umschlag des Ausstellungsheftes von
„Ver sacrum" wieder, der zugleich als Plakat
gedient hat; hier schaut sie zu, wie Heracles
irgend ein Ungeheuer bezwingt. Derartige
natürlich symbolisch gemeinte Kompositionen
finden sich noch auf mehreren Heften des „Ver
sacrum". So hat Rotlen/eld einen Jüngling dar-
überaus noble und geschmackvolle Färbung.
— Das tollste, was der Wiener Kunstfrühling
auf unserem Gebiete bisher hervorgebracht,
dürfte der Frauenkopf von R. Kirchner auf
dem Umschlag der Zeitschrift „Walhalla" sein.
In erfreulichem Gegensatz zu der Fxcentricität
und Originalitätshascherei dieses Blattes steht
der ornamentale Umschlag der „Gesammelten
Aufsätze Uber Hugo Wolf (S. Fischer), den
ßamberger-Wicn entworfen hat. Zum Schluss
sei noch erwähnt, dass auch der durch seine
Abb. y Umichla£(cicbiiun); von T. Co Icnb r ander.
gestellt, der auf einen Schild mit dem Künstler-
wappen gestützt, am Kiel eines Schiffes steht,
das mit schwellenden Segeln das brausende
Meer durcheilt. Auf dem unsignierten Umschlag
von Heft 9 schwebt die Frühlingsgöttin über
die Lande, und wo sie hinkommt, bedecken sich
die Baume mit reichem Blütenschmuck. Unter
den sonstigen Umschlägen des „Ver sacrum"
finden wir einen von Klimt und eine kraftige
ornamentale Komposition von H. Schwaiger
auf den den beiden genannten Künstlern ge-
widmeten Heften, ferner eine landschaftliche
Darstellung von C. Moll auf Heft X. — Lin
gemeinsamer Vorzug aller dieser Blätter ist ihre
Plakate und besonders durch seine geistreichen
und koloristisch überaus reizvollen Fx-I.ibris
bekannte ZT. OÄfc-Prag mehrere Umschlage
entworfen hat, für //. Henzmann, „Sommer-
sonnengluck" (Schuster & Löffler) für eine kleine
Schrift R. M. Rilkes und für ein bei II. Storm
erschienenes Buch „Üraussen im Leben" (letz-
terer Originallithographie). Keins dieser Blätter
giebt eine Vorstellung von der Bedeutung des
Künstlers. — Von österreichischen Künstlern
polnischer Nationalitat liegen mir nur zwei
Umschlage der in Krakau erscheinenden Zeit-
schrift „Zycie" von J. Mehofftr und Th. Axen-
tozvicz vor.
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S* - «
Abb. 4. Uinichlagieichnuog von Walter Cime
Zfittfkrilt /.r Äfc. ktr/rnnj, III
Zm rvm Zur U'ttttm: Orr kwutlrrittkt tlu.kHm ickUg III. — , t
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254
In der Sdaveit erscheint seit 1897 eine
illustrierte Familienzeitschrift: „Die Sc/iweiz"
(Polygraphisches Institut, Zürich), deren einzelne
Nummern mit farbigen Titelbildern versehen
werden. Die künstlerisch bedeutendsten sind
fraglos die von H. R. C. ///'/^/-Berlin (II. Jahrg.
No. 5 u. 17), der zwar geborener Schweizer
ist, aber mit Fug und Recht als deutscher
Künstler angesehen wird und dessen Arbeiten
daher auch bereits bei der Besprechung der
deutschen Umschläge gewürdigt worden sind *
Von den übrigen Umschlägen der „Schweiz"
rühren verschiedene von //. Pfendsack her, der
seine Landschaftsbilder mit naturalistischen
Blumenarrangements umgiebt, die zu wenig
stylisiert sind, um als Ornamente gelten zu
können. Neben ihm sind u. A. Babler und
Meyer- Cassel für das genannte Blatt thätig.
•X<4v
üb es in Spanien künstlerisch dekorierte
Buchumschläge giebt, vermag ich nicht zu
sagen; in Italien ist ihre Zahl keinesfalls gross;
wenigstens habe ich in venezianischen Buch-
handlungen nur wenig ausfindig machen kön-
nen, was sich über den Durchschnitt erhob.
Das relativ Beste ist bei verschiedenen Mai-
länder Verlegern erschienen; hier sind die Um-
schläge zum Teil signiert, am häufigsten fand
ich den Namen Gloriano. Zu dem Hervor-
ragendsten, was Italien auf unserem Gebiete
hervorgebracht hat, dürfte der von A. Maroni
entworfene Umschlag der seit 1893 bei A. Mal-
cotti e figlio in Rom erschienenen, inzwischen
aber wieder eingegangenen Kunstzeitschrift
„L'Italia artistica e industriale" gehören. — Er-
wähnt sei noch der Umschlag von „Le Arti
graficlte" (Berger und Wirth) von dem durch
seine Affichen für Auerlicht bekannten Matabni
(1898). Der im Juliheft des Studio 1899 re-
producierte und als „a good piece of purely
decorative work" bezeichnete Umschlag A. Rizzis
für die Zeitschrift „Primavera" ist mir nicht be-
kannt geworden.
Unter den Musikalien stehen die Ausgaben
des Verlages G. Ricordi e Co. in Mailand oben-
an. Freilich beschränkt sich — wie leider auch
in Deutschland — die Thätigkeit des Künstlers
fast durchweg auf die bildlichen Darstellungen ;
« Vergl. Zeitschrift ßr Bücherfreunde Jahrgang 1898/99 S. 401, sowie den laufenden Jahrgang S. 1.
Abb. 6. UmtchUi'eichnung ron Liuu Cachei
von Zur Westen, Der künstlerische Buchum*chlag etc.
255
die Schrift wird in der Druckerei hinzugefügt
und so kommt es, dass nur wenige Blätter
einen einheitlichen, geschlossenen Kindruck
hervorbringen; die weitaus meisten werden
durch die konventionellen, in den verschieden-
sten Grössen, Farben und Formen auf der
Fläche zerstreuten Buchstaben um jede vor-
nehme Wirkung gebracht. Verhältnismässig
am wenigsten tritt dieser Ubelstand bei den
graziösen, leicht hingeworfenen Arbeiten
Mentas für eine Reihe von Kompositionen
Alfred Sassernos (Text von Sophie Sasscrnö)
hervor, wo die Schrift ganz klein gehalten ist.
Die Musikstücke sind sämtlich der Königin
Margarete gewidmet. Uber den Durch-
schnitt erheben sich ferner die Arbeiten
R. PeUegrinis, Montaltis und P. Scoppettas.
Dekorative Qualitäten gehen ihnen freilich
ebenso ab, wie der in überaus zarten Farben
gehaltenen landschaftlichen Darstellung Micltet-
tis Tür eine Komposition Tostis und merk-
würdigerweise auch den von den bekannten
Mailänder Plakatisten ATora da Hohenstein, A.
Villa und Alfredo Edel herrührendenUmschlägen.
Unter den zahlreichen Arbeiten des Letzteren,
die abgesehen von diesem Mangel, manches
Interessante bieten, stelle ich P. M. Costas
„Amore e Neve" am höchsten. Der künstle-
risch bedeutendste unter den mir bekannten
italienischen Notenumschlägen ist aber jeden-
falls der von G. A. Sartorio-Rom entworfene
für ,'a Rumanella" von A. Rotoli, die Dar-
stellung einer schönen Römerin, die sich träume-
risch an eine antike Säule lehnt. Die im Kata-
log der Ausstellung neuzeitiger Buchausstattung
im Kaiser Wilhelms-Museum zu Krefeld auf-
geführten Umschläge von ff. Beta und Martini
Orasio habe ich nicht gesehen.
>'*, <*a & i«b c«b 4Bj
5<Z PUL" DEKINDUSTRIE BRUXELLES '
)tß\^TIUVUI\ ADMINISTRATIV |
M Ol A R\cr.S Dt UiX£4k PUf -
SSLlSLILATIONS II.LUMRCESÖ^
Abb. 7. Geschäfukarte der Druckerei V* Monnom in
1 von Th. van R vtielberghc.
Der kühle, objektive Realismus, der die Itol-
lämlisc/te Malerei beherrscht, hat im Buchum-
schlag in Vaarzon Morel einen tüchtigen Ver-
treter, von dem mir zwei lithographierte Um-
schläge grossen Formates vorliegen. Der eine
für „Hat Hollandscltc Kermis" giebt eine lebens-
volle Darstellung einer wandernden Kunstrcitcr-
gesellschaft und ihres Publikums. Der andre,
der den „Bloemencorso am 12. April ityti"
schildert, scheint mir dagegen weniger gelungen.
Mögen sich derartige gesellschaftliche Veran-
staltungen der oberen Zehntausend Hollands
auch nicht gerade durch besonders viel Chic
und Hicganz auszeichnen, so werden ihnen doch
diese Eigenschaften jedenfalls nicht so voll-
ständig fehlen, wie man es nach Morels Um-
schlag annehmen könnte. Auf dem Januar-
heft 1898 der Zeitschrift „Word en Beeld" fin-
den wir ein ausserordentlich charakteristisches,
in Strichmanier ausgeführtes und durch den
Holzschnitt reproduziertes Porträt N. G. Pier-
sons, gezeichnet von H. J. Havemtan, gewiss
kein geeigneter Schmuck für diesen Zweck,
aber wegen seiner künstlerischen Qualitäten be-
merkenswert. Der anonyme Umschlag von
„Amsterdam in Stukken en Brokken" (Erven F.
Bohn) sei beiläufig erwähnt.
Wer die internationalen Kunstausstellungen
der letzten Jahre besucht hat, wird aus den
holländischen Sälen den Eindruck mitgenom-
men haben , dass die Künstlerschaft keines
andern Landes einen so gleichförmigen, so
wenig individuell verschiedenen Charakter hat,
wie die Hollands. Um so erstaunlicher wirkten
im Münchener Glaspalast inmitten der meist
vorzüglich gemalten, verstandesklaren und in
Sujet und Auffassung so verwandten Bilder
der Mesdag, Maris u. s. w. die symbolistischen
Malereien Jan Toorops mit ihren seltsamen
Farben, ihren emporgereckten, ganz unnatura-
listischen Gestalten, den hieratisch steifen Be-
wegungen und den mystischen Titeln, mit denen
sich der Inhalt der Darstellungen so garnicht
in Einklang bringen lassen wollte. Der erste
Eindruck, den diese Bilder auf den Beschauer
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von Zur Westen, Der künstlerische Huchumschlag etc.
256
machten, war wohl in den meisten Fällen ein
lediglich unerfreulicher. Wenn man sich aber
nicht damit begnügte, die Bilder als Excentri-
citäten einfach 7.11 verwerfen, sondern sie ge-
nauer betrachtete, so fand man manches scharf
beobachtete und charakteristisch wiederge-
gebene Gesicht, fand man Augen, in denen
sich eine ungewöhnliche Fülle tiefer Empfindung
und seelischen Lebens konzentrierte; schliess-
lich spürte man auch wohl einen Hauch der
mystischen Sagen- und Ideenwelt des Buddhis-
Graefe der einzige, der in seinem geistvollen
und instruktiven Aufsatz: „Das neue Ornament
— die jungen Holländer" im Aprilheft 1898 der
„Dekorativen Kunst" ihre Leistungen gewür-
digt hat. Wenn ich im Folgenden die haupt-
sächlichsten Persönlichkeiten mit ein paar
Worten zu charakterisieren versuche, so thue
ich dies unter der ausdrücklichen Reserve, dass
mein Urteil, abgesehen von den mir durch
Reproduktionen bekannt gewordenen Arbeiten,
lediglich auf den im Folgenden namhaft ge-
Abb. R. irmuhlagjtithnurig ron Lion Cachet,
Ullis, in der Toorop lebt und die ihm die An-
regung zu seinen meisten Arbeiten giebt. Vor
allem aber entdeckte man Linien von edlem
Fluss und dekorativer Grösse, Linienkomplexe,
die Ornamente von eigenartiger, phantastischer
Schönheit bilden. In dieser schöpferischen
Thätigkcit auf ornamentalen» Gebiete beruht
Toorops Bedeutung, durch sie reiht er sich
einer Gruppe junger holländischer Künstler ein,
die seit einigen Jahren rüstig an der Arbeit sind,
um der Welt einen neuen Ornamentalst)! stu
schaffen. Leider sind die reichen Früchte ihrer
bisherigen Thätigkeit ausserhalb Hollands so
gut wie unbekannt ; meines Wissens ist Meyer-
machten Buchunischlägen, Prospekten etc. be-
ruht , die zwar zu dem Eigenartigsten und
Bedeutendsten gehören, was auf diesem Gebiete
irgendwo geschaffen ist, die aber in dem Werke
dieserUniversalkunstlerdoch nureinen verhältnis-
mässig geringen Platz beanspruchen können.
Meyer-Gracfe betont besonders stark den
Einfluss, den die asiatische Kunst, mit der
die 1 lollander durch ihre indischen Kolonien
und ihren Welthandel vielfach in Berührung
kommen , auf die Bewegung gewonnen hat.
Toorop stein der asiatischen Kultur schon
durch seine Herkunft nahe: er stammt von
Mischlingen und ist in Java geboren. 1 )och
von Zur Weiten, Der künstlerische Huchuiuschla^ elc.
257
I50C PETER NANSEN O«
MARIA
Abb. 9. UmtchliKicichoung \oa Gerhard Heilmana.
erinnern die Gestalten seiner Pilder, wie seines
mir in 5 verschiedenen Farben vorliegenden
Umschlags für die Delfter Studentenzeitschrift
„Indennevel", mehr an ägyptische Malereien, als
an die Kunst seines Geburtslandes. —
Th. van Hoytcma-V oorburg.der neben Toorop
wohl der einzige der Gruppe ist, der in weiteren
Kreisen ausserhalb Hollands bekannt und ge-
schätzt ist, hat von der japanischen Kunst An-
regungen empfangen, Er stellt besonders gern
Vögel dar, Pfauen, Eulen, Störche. Perlhühner,
die er sehr geschickt stilistisch umzuformen ver-
steht. Auf seinem prächtigen, in rot und gelb
ausgeführten Umschlag für das September-
Oktoberheft 1896 der „Maandschrift vor Ver-
enringsiunsr' bilden zwei fliegende Reiher das
Hauptmotiv der Dekoration (Abb. 5). Ausser
diesen» meisterhaften Platte hat Hoytema noch
Umschläge für mehrere von ihm gezeichnete
Piicher, wie „UtUngelut' und „Tzvee Hauen 11 ,
entworfen.
Pei Toorop und Th. van Hoytema tritt der
orientalische Einfluss stärker hervor als in den
Umschlagzeichnungcn der andern holländischen
Ornamentalkünstler. Ganz unberührt davon
ist der Kindt rens Zeichnung für die in Liefe-
rungen erschienene, von ihm illustrierte Pracht-
ausgabe des holländischen Nationalschauspiels
Z. f. B. 1899; 1900.
„Gy sprecht van Amstet' von J. van den Vondel
(Erven F. Röhn), die in einigen Motiven an
gotische Miniaturen erinnert. Der Umschlag
ist in einem stumpfen Grüngelb auf graugrüner
Pap|ie gedruckt und erscheint mir zu diskret
in der Farbe.
Auch Johann Thorn - /V/Mrr- Haag hat
der orientalischen Kunst nichts zu verdanken.
Er ist eine der eigenartigsten, bedeutendsten,
aber auch am schwersten zugänglichen Er-
scheinungen der Gruppe. Für die Zeitschrift
„L'Art appliqtie" hat er ein Plakat geschaffen,
das so charakteristisch ist, dass ich mir nicht
versagen kann, mit einigen Worten darauf
einzugehen. Wirft man nur einen flüchtigen
Plick auf die rein lineare Arbeit, so gewahrt
man nichts als ein scheinbar unentwirrbares
Chaos von Linien; erst allmählich erkennt man
eine Darstellung Christi am Kreuz. Das Ge-
sicht ist von fast brutaler Hässlichkeit, der
Abb. lo. Um« •„.• . !> >•■ • ; vonCrrhard Möllmann
33
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258
NORDISKK FÜRLAG BOG PO KLAGET ERNST «WESEN
Abb. Ii. UmichLagzeichnung von H. Tcgncr.
Körperbau ganz unmöglich; die Arme sind un-
natürlich kurz, die Hände von riesiger Grösse.
Die Darstellung geht an vielen Stellen ganz
ins Ornamentale über, so die Haare, die Enden
des Kreuzes, die Dornen, die des Heilands
Arme umschlingen. Aber so sehr sich unser
Gefühl auch gegen eine solche Auffassung des
erhabenen Gegenstandes sträuben mag — aus
Thorn-Prikkcrs Linien, die mit einander zu ringen,
die sich wie im Krämpfe zusammen zu ballen
und in einander zu bohren scheinen, spricht
eine solche Gewalt physischen Schmerzes und
seelischen Leidens, dass wir uns dem Ein-
druck des Blattei nicht zu entziehen vermögen.
In viel höherem Maasse als Toorop vermag
Thorn-Prikker durch Linienkomplexe bestimmte
Gefühle in uns zu wecken, uns in gewisse
Stimmungen zu versetzen. Er ist eine willens-
starke, kraftvolle, künstlerische Persönlichkeit,
die zwar dem flüchtigen Auge nichts sagt, aber
den ernsten Peschauer unwiderstehlich in ihren
Hann zieht — Während bei dem Plakate für
„L'Art applique" der figürliche Charakter über-
wiegt, wirkt der Umschlag für „Meesterstukken
der XIX. Eetewsche Schilderkunst" (H. Klein-
mann) zunächst rein ornamental, aber bei ge-
nauerem Hinschauen entdeckt man auch hier
eine Reihe von Tiergestalten, die freilich ganz
flächenhaft gehalten und ganz unnaturalistisch
ausgeführt sind, die aber beweisen, wie schwer
sich Thorn-Prikkers Phantasie von den Natur-
dingen loslösen kann, die ihn zu seinen orna-
mentalen Schöpfungen anregen. Doch auch,
wo ihm dies gelingt, wie in dem rein linearen
Umschlag zu „Souvenir de La Haye et Sche-
veningue" (H. Kleinmann), schafft er keine Or-
namente im eigentlichen Sinne. Wie bei allen
Arbeiten des Künstlers folgt man auch auf dem
letztgenannten Platte gern dem geistvollen Spiel
seiner Linien, bemerkt bewundernd zahlreiche
originelle ornamentale Einfälle, aber das Ganze
hat etwas Zufälliges, Launenhaftes, ihm fehlt
die Geschlossenheit, der einheitliche Charakter,
den z. B. Bremmers ausgezeichnetes Titelblatt
eines mir inhaltlich unbekannten Lieferungs-
werkes (H. Kleinmann) besitzt, in dem ich den
Einfluss der Arbeiten Thorn-Prikkers zu er-
kennen glaube. Dieser weiss sich eben nicht
genug zu beschränken; er lässt seiner reichen
Phantasie nur zu gern die Zügel schiessen, und
daher wirken seine ornamentalen Bildungen zu
kompliziert, zu wenig einfach und gesetzmässig.
In dieser Beziehung sind ihm selbst die-
jenigen Künstler Jung- Hollands überlegen, deren
Arbeiten ich sonst keinen rechten Geschmack
abgewinnen kann, so Veld/ieer, der für das
von ihm und Nieuwenkamp illustrierte Pracht-
werk „Oude Hollandsche Steden aan de Zuidcr-
see" (Erven F. Bohn) einen Umschlag ent-
worfen hat, der mehr originell und seltsam als
schön ist, und K. de Dazcl und M. Lauweriks
(Amsterdam), die gewöhnlich zusammenarbeiten
und deren Ornamente ich etwas kleinlich und
spitzig finde. Sie haben einen „Prospectus" für
die „Tijdschrift voor Vcrcieringskunst' 1 und
Umschläge für eine Baugeschichte der Haar-
lemer Kathedrale St. litwo, für einen Genoot-
sehaps Kaiendtr für 1898 und eine andere
Publikationen des Amsterdamer Vereins „Archi-
tektura et Amicitia", und für die von ihnen
herausgegebene neue Zeitschrift „Hoinv-ai Sier-
k/o/st" gezeichnet, die seit 1898 bei Kleinmann
in 1 laarlcm erscheint.
Durch Klarheit und vornehme Einfachheit
259
zeichnet sich der von dem Architekten H. P.
Z>Yr/tf£Y-Amsterdam in dunkelblau auf grünem
Grunde ausgeführte Umschlag des November-
Dezemberheftes 1896 der „Maandsehrift voor
Vercieringskuust' aus. Die Ornamente erinnern
an die freilich ganz anders geformten Metall-
beschläge alter kostbarer Folianten. Unter den
von Herlage gezeichneten Kalendern ist der
der Feuervcrsichcrungsgesellschaft „Die Nieder-
lande für 1897 ornamental am eigenartigsten;
die farbige Wirkung — er ist in rot, hellgrün
und blau auf kanariengelbem Grunde aus-
geführt — ist nach meinem Geschmack eine
zu laute. Für dieselbe Gesellschaft hat er noch
einen zweiten 1898 und 1899 angewendeten
Kalender gezeichnet und einen dritten für die
Buch- und Handelsdruckerei von Kleytunberg.
G. W. DySStikof'AxDSXttdxCÜ hat für die von
J. Veth besorgte hollandische Ausgabe von
IV. Cranes „Claims of Decorative Art", die
unter dem Titel „Kunst cn Satnenlaing" bei
Scheltcma und Hulkema erschienen ist, einen
sehr originellen Umschlag entworfen, der aus
zahllosen feinen, spitzen Linien besteht, die in
bewunderungswürdiger Weise zusammengehal-
ten und zu einem etwas komplizierten, aber
durchaus einheitlichen und logisch gedachten
Ornament vereinigt sind.
Während Dysselhof lediglich mit Linien ope-
riert, setzen sich die Ornamente der beiden Um-
schläge, die der universellste Künstler der
Gruppe, T. Colenbrander- Haag, für zwei Hefte
der „Maandsehrift voor Veräeringskunst" ge-
schaffen hat, aus scharf umrissenen Farben-
flecken zusammen. Colenbranders Ornamentik
erinnert in ihrem graziösen Fluss, ihrem heiteren
spielenden Charakter an den Rokokostil, mit
dessen Zierformen sie im übrigen freilich nichts
gemein hat Colenbrander liebt leuchtende
Farben und erstrebt eine möglichst reiche,
farbige Wirkung. Der eine der beiden Um-
schläge ist daher in gelb auf hellblau (Abb. 3),
der andere in hellbraun, blau, rot, weiss und
grün auf kanariengelbem Grunde ausgeführt.
In dem ersten Hefte der bereits erwähnten
neuen Zeitschrift „Bouiv- en Sierkunsf sind auf
fünf Lichtdrucktafeln der Einband und die ein-
zelnen Blätter eines Erinnerungsalbums repro-
duziert, das dem Chemiker Professor J. Forster
bei seinem Scheiden aus den Niederlanden dar-
gebracht ist. Es ist von Lion Cadut und
T/t. Xieuiuenhuis gefertigt und lässt bei aller
Einheitlichkeit des Gesamteindrucks doch auch
deutlich die Verschiedenheit der Kunstweise
beider Meister erkennen. Nieuwenhuis erweist
sich hier, wie in dem Umschlag für das Album
„Souvenir de Schcveningue" (H. Kleinmann Co.),
auf dem Fische, Mecrespflanzen, Muscheln etc.
die ornamentalen Anregungen gegeben haben,
und besonders in den zum weitaus grössten
Teile von ihm gezeichneten Blättern der von
Scheltema und Holkema herausgegebenen
Kalender für 1896, 97, 98, 99 als ein sehr viel-
seitiger, feinsinniger und geschmackvoller Ver-
treter des naturalistischen Tier- und Pflanzen-
ornaments. Dennoch erscheint Lion Cachct
als der viel bedeutendere. Seine Dekorations-
weise hat etwas Machtvolleres und seine Natur-
auffassung ist freier und kühner. Auch seine
Ornamentik lehnt sich oft an die Gebilde der
Natur, insbesondere der Pflanzenwelt an, so in
seiner Ankündigung der „Revue bimestriclle
pour l'Art applique", in seinem Umschlag des
Albums von Marken (H. Kleinmann) und vor
allem in seinem Umschlag des Mai -Juniheftes
der „Maandsehrift voor Vercieringskunsf, einem
in seiner Art vielleicht unübertrefflichen Blatte
(Abb. 6). Hier bildet eine ähnliche Moosart das
Motiv der Dekoration, wie sie HL Obrist als
HOLGER DRACHMANN
MELODF^ER
Abb. II. Umicbligieichmias von Cerhard Heil mann.
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2ÖO
von Zur We^en, Per künstlerische ItuchumschUg etc.
AW>, lj- Anguyroc Umschtagzeicbouog ciuc» SlutLhalmcr Kuustlot.
Vorbild für eiae seiner
^ bekannten Stickereien ge-
dient hat (reproduziert in»
„Studio". lid. IX.. S. 105). und
doch ist der Eindruck beider Arbeiten
ein ganz verschiedener. II. Obrists Kissen
zeigen stilisierte Pflanzen, L. Cachets Um-
schlag wirkt dagegen zunächst als lineares
Ornament, und erst allmählich kommt uns zum
Bewusstsein, dass eine Pflanze die Anregung zu
demselben gegeben und als Vorwurf für eine
ganz freie stilistische Umformung gedient hat.
Einen Höhepunkt erreicht Lion Cachets Kunst
in dem Umschlag von „Dordrechf (uitgave van
Morks en Geuzc Dord), dem ich eine weit über
seine eigentliche Bestimmung hinaus reichende
Bedeutung beilegen möchte (Abb. 8). Er ist in
lichtem Grün auf weissem Grunde ausgeführt;
der Titel und das Stadtwappen auf der Rück-
seite sind in hellroter Farbe gedruckt. Das
Ornament ist rein linear, von jeder Beziehung
zu den Naturdingen vollständig gelöst, dabei
von edelsten) Linienfluss, phantasievoll erfunden
und doch so klar, so einfach, so logisch und
gesetzmässig, dass es in seiner Art klassisch
genannt werden kann. Diese Arbeit weist L.
Cachet einen Ehrenplatz unter den Ornamental -
kunstlern der Gegenwart an.
mich hier etwas kürzer fassen, als es die
Wichtigkeit des Gegenstandes an sich er-
fordern würde, weil Meyer- Graefe bereits in
zwei Aufsätzen in der „Zeitschrift für Bucher-
freunde" ilns belgische Buchgewerbe behandelt
und bei dieser Gelegenheit auch einen Teil
der bedeutendsten Umschlagzeichnungen mitbe-
spruchen hat. Wie in Holland, ist auch in
Belgien die Schaffung eines neuen abstrakten
Ornainentalstils das Ziel der Bewegung, deren
Charakter sonst in beiden Ländern ganz ver-
schieden ist. Der einzige Berührungspunkt, den
die jungen Holländer mit einander haben, ist
der exotische Einfluss, der sich in den Arbeiten
der meisten von ihnen manifestiert. Im übrigen
ist ihr künstlerisches Naturell so verschieden,
dass man sich kaum einen grosseren Gegensatz
Wenn ich mich jetzt zur Besprechung der
belgischen Umschlage wetide, so kann ich
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26l
auf ornamentalem Gebiete denken kann als
den, der zwischen den Einzelnen bestellt. Wir
können daher vielleicht von dem Stil Colen-
branders oder Lion Cachets, aber noch nicht
von einem niederländischen Ornatnentalstil
reden. Dagegen sind die Arbeiten der belgi-
schen Ornamentalkünstler so völlig aus einem
einheitlichen Geiste heraus geschaffen, bei aller
Verschiedenheit im Einzelnen so gleichartig in
ihrem Grundcharakter, dass Meyer - Graefe in
diesem Sinne mit Recht von einer belgischen
Renaissance spricht, weil hier wie in der Re-
Begriff geben. Viel bedeutender und für die
Ornamentik des Künstlers charakteristischer
erscheinen mir der Umschlag für Art deco-
rati/", die französische Ausgabe der „Dekora-
tiven Kunst" (Bmckmann) und die Einladungs-
karte für die Ausstellung „Constantin Meunier"
bei Keller und Reiner in Berlin, die in stumpfem
Grün und Violett auf grauem Grunde ausgeführt
ist. — Unter den Umschlagzeichnungen des
grossen Ruch- und Teppichkünstlcrs I.emmen,
die sich durch einen wundervoll weichen Linien-
fluss auszeichnen, stelle ich die für Kahns „Limbcs
%
1fr
Abli. i|. 1'nMchUf/eichauug von H. Tcgncr.
naissaneezeit „ein und derselbe künstlerische
Impuls gleichzeitig alle Gebiete durchdringt."
Die Schöpfer des neuen belgischen Orna-
mentalste sind Th. von Rysselberghe, H. van
de Velde und G. Leinmen. II. van de Velde,
dessen grosses ornamentales Talent zuerst in
dem Eries der auf der internationalen Kunst-
ausstellung in Dresden 1897 ausgestellten „Salle
de repos" dem deutschen Publikum in einem
glänzenden Beispiel vorgeführt und seitdem
durch die Einrichtung und die Ausstellungen
der neuen Berliner Kunstsalons allbekannt gewor-
den ist, hat die Umschläge zweier Bücher von
M. Elskamp ,.Salttt<itw)i±" und „En Symbole vers
l'Apostolat (beide Lei l\ Lacomblcz in Brüssel)
entworfen, die von seiner Grösse keinen rechten
de Lumieres" am höchsten (Brüssel, E. Deman
1897). Die Schrift ist in zartem Maigrün,
das Ornament in einem bronzefarbenen Ton
auf hellbraunem Grunde ausgeführt. Weniger
glücklich in der Earbenzusammenstellung wirkt
der Umschlag zu einem Programm für „Les
Concerts populäres de ßruxelles", bei dem
die Schrift rot, das Ornament grün gedruckt
ist. Eine der neuesten Arbeiten Lemmens
auf unserem Gebiet dürfte die in diesen Heften
bereits reproduzierte schöne Ankündigung der
„Notizen über Mexico" vom Grafen II. Kessler
(F. Fontane & Co.) sein. Von I.emmens Hand
rührt auch der, meines Wissens einzige künst-
lerisch wertvolle Titelkopf einer deutschen Tages-
zeitung her, der der Krefelder Verkehrszeitung.
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262
von Zur Westen, Der künstlerische Ituchumschlag etc.
In einer Abhandlung in der „Dekurativen
Kunst" (I. Jahrgang, Seite ioo) über moderne
Teppiche hat George Lemmen das Prinzip auf-
gestellt, dass das Motiv der Ornamentation
von der Natur angeregt sein, sich aus stili-
sierten Tier- oder Pflanzenformen zusammen-
setzen dürfe. Habe man aber z. B. Fische
als Motiv gewählt, so dürfe man nicht etwa
wirkliche Fische darstellen, sondern müsse
eine Arabeske finden, in der das in Frage
stehende Tier nur den Vorwurf für eine deko-
rative Umformung liefere. Lemmens Arbeiten
beweisen, wie streng er sich an dies Programm
gehalten. Nur selten kann man den Natur-
gegenstand erraten, der ihn zu seinen ornamen-
talen Bildungen, seinen Linienschwingungen
angeregt hat; sie wirken ganz abstrakt, rein
; PeRC0CK'€Dm0NfflT5^
[ÄCMILLflN'S
, v . ILLÜSTRHTeD
v uv\ STÄNDKRP
>V^N0V€LS
•i
CLOTH-.ÜNCüTeDGeS'^ö
Abb. 15. Uni»chl:i£jei<.hntiii{ von A. Turb.iync.
linear. In den älteren Arbeiten 77/. van Ryssel-
berghes ist die Auflösung der Naturmotive in
rein lineare Bildungen weniger vollständig durch-
geführt, so in den reizenden Windenranken auf
dem von ihm dekorierten Almanach Verhaeren
(Dietrich & Co.), in seinem alljährlich wieder-
kehrenden Umschlag des Katalogs der Jahres-
ausstellungen der „Libre Esthetiquc" in Brüssel
mit den Alpenveilchen und vor allem in dem
überaus zarten Umschlage mit den Schmetter-
lingen zu Verhaerens „Les heures claircs' 1
(E. Deman), den Octave Uzanne in einem
Aufsatz der Zeitschrift Art et Decoration (III,
S. 42) mit Recht als „simplement exquis"
rühmt. Fast rein ornamental wirken dagegen
die Umschläge zu 3 anderen Werken Verhaerens.
zu „Les Campagnes //aducinees", zu „Les Villes
tentaculaires" und zu „Les Aubes" (E. Deman).
In noch höherem Grade gilt dies von den
Umschlägen der neuesten Publikationen des
Demanschen Verlages, den „Histoires sou-
veraines" des Comte de Villiers de LIsL -
Adam, den „Poisies de St. Ma/Zanne 1 ' und
den „Modidations sur la mer et la nuit' von
Robert de Souca ; ferner von den Umschlägen
einiger im Verlage von Schuster und Löffler
erschienener Novellen J. Meyer-Graefes (ge-
druckt in schwarz und grün auf braunem
Grunde und in rot und schwarz auf blauem
Grunde) und der Zeitschrift „Dekorative
Kunst" und endlich von der reizenden, in drei
verschiedenen Farbenzusammenstellungen
ausgeführten Geschäftskartc der „hnprimerie
Veuve Monnom" in Brüssel (Abb. 7), in der
ein grosser Teil der Arbeiten der neuen
belgischen Ornamentalkunst gedruckt ist.
Viel näher als Rysselbcrghes Arbeiten
stehen dem naturalistischen Pflanzenornament
die Umschläge von A. Lynen- Brüssel für den
Katalog der Kolonialausstellung zu Tervueren
1897 und von F. Coppe/ts-limsscl für den
Katalog der IV. Ausstellung der Vereinigung
Pour l'Art 1896.
Ein interessantes Blatt, dessen Schöpfer
ich leider nicht kenne, ist der Umschlag des
von M. Maeterlinck bevorworteten Katalogs
der Werke des vlämischen Malers Franz
Melcliers. Über die Mitte des dunkelgrünen
Umschlags ist ein schwa17.es Band gelegt,
über das sich seltsam verschlungene gelbe
Linien ziehen. —
von Zur Westen, Der künstlerische iiuchumschlag etc.
THF. ENDYMION SERIES
Abb. 16. Uin<ihU(<eichnunä; »on K. Anaing Hell.
Merkwürdig selten sind mir Umschlags-
zeichnungen von der Hand der besseren bel-
gischen Plakatkiinstler begegnet. Die einzigen,
die mir bekannt geworden, sind ein Frauen-
kopf Privat- Livemonts der bekannten, von Mucha
stark becinflusstcn Art auf einer Nummer der
englischen Zeitschrift „The Poster" und der
Umschlag von G. Combaz für „L'Art appliqui"
Ein anderer Umschlag des Letztgenannten für
ein Buch „Amurs" ist in „Art et Decoration"
reproduziert (III, S. 41). Die dort Seite 42 er-
wähnten Umschlage von //. Aleunter, Rassen-
fosse und Berchmans sind mir unbekannt.
Die sonstigen figürlichen Umschläge Belgiens
kommen den ornamentalen an Bedeutung nicht
gleich, so geistvoll auch Fe Heien Kofis' Kompo-
sition für „La Vie elegante" (G. Decaux) er-
funden ist und so stimmungsvoll und würdig
auch Th. van Rysselberghes Darstellung eines
harfespielenden Mädchens auf „Poesies niises
en tnusique" von G. Fle (Ed. du Mercurc de
France) wirkt. Nicht ganz auf der Höhe dieser
Blätter stehen die allegorischen Umschlags-
Zeichnungen von ff. Ottevaere- Brüssel auf dem
Katalog der Ausstellung „Pour l'Art 1894", von
A. Ciamberlani auf dem Katalog der V. Aus-
stellung „Pour l'Art 1897" und von einem
Künstler, dessen Namen ich nicht entziffern
kann, auf „Les Parias de l'Art" von L. Dehur.
— Eine reizende Glyptographie des Bildhauers
Paul Dubois schmückt den Katalog der „Ex-
position de l'Art photographique anglais", Brüssel
1892. Ein höchst eindrucksvolles Blatt grossen
Formates ist der Umschlag, den Karl Meunier
für eine Sammlung von neun Arbeiten Con-
stantin Meunicrs ausgeführt hat, die unter
dem Titel „Au Pays noir" bei E. Dcman er-
schienen ist. Das Blatt stellt eine Scenerie
aus der Bergwerksgegend Belgiens dar und be-
ruht wohl ebenso, wie der Inhalt des Albums,
auf einer Zeichnung des grossen Maler -Bild-
hauers. Den belgischen Symbolismus vertritt
F. Khnoppf mit einer seltsamen Zierleiste auf
den ihm gewidmeten lieft der Wiener Zeit-
schrift „Ver sacrum", die archaisierende Richtung
K. Doudelet mit seinen Umschlägen zu dem
von Pol de Munt herausgegebenen Blatte „De
Y'laawse School" —
y Google
264
von Zur Westen, Her künstlerische Buchum schlag etc.
r
TP
Abb. 17. Umschlafficichniiiig Ton C. (i. Wennerberif
Unter den skandinavischen Landern steht
Dänemark auf dem Gebiete des Buchumschlags
an erster Stelle ■ — sehr begreiflicher Weise,
denn neben der Keramik ist das Buchgewerbe
der einzige Zweig der angewandten Kunst,
auf dem sich Danemark bisher in umfassenderer
Weise bethatigt hat. Selbst ein grosser Teil
derjenigen Umschlage, die keinen oder nur ganz
bescheidenen zeichnerischen Schmuck tragen,
fallt dadurch angenehm auf, dass er aus schön-
gefärbter Tappe von ausdrucksvoller Struktur
hergestellt ist und die kräftigen, einfach ge-
formten Typen so geschmackvoll auf der Fläche
angeordnet sind, wie man es bei uns leider nur
ausnahmsweise findet. Besonders hervorzuheben
sind in dieser Beziehung einige neue Publika-
tionen des „Nordiske Forlag", teils grosse Werke,
wie J. Schovelins „Fra den danske Handels
Empire", I. T., teils kleine Buchlein, wie „Den
danske Skoles Sangbog" I. H. —
Durch die in ihrer Art unübertrefflichen
Erzeugnisse der Kgl. Porzellanmanufaktur und
der Firma Bing und Grondahl in Kopenhagen
mit ihren wundervoll zarten, lichtblauen Unter-
glasurmalereien ist der Charakter der modernen
dänischen Dekorationsweise weltbekannt ge-
worden. Es ist zweifellos, dass die Kunst der
Japaner für sie vorbildlich
gewesen ist. In der däni-
schen Malerei manifestiert
sich ein frischer, kraftvoller
Realismus und ein starkes
I Icimatsgefühl. Leistete
jener dem Eindringen des
naturalistischen Dekora-
tionsprinzips der Japaner
Vorschub, so bewahrte
dieses die dänischen Kera-
miker vor der Gefahr, blosse
Nachahmer zu werden. Wir
können wohl sagen, dass die
japanischen Anregungen
nirgendwo selbständiger
verarbeitet sind, wie in
Dänemark. Die Kopen-
hagener Porzellane haben
nichts Japanisches, sie er-
streben nicht den piquanten
Effekt des Fremdartigen,
Exotischen, sie wirken viel-
mehr ganz dänisch, ganz
germanisch. Dasselbe gilt auch von den Buch-
umschlägen Gerhard Heilmanns, der einer
der geschicktesten Maler der Kopenhagener
Porzellanmanufaktur und zugleich einer der
Hauptmeistcr des dänisches Buchgewerbes ist.
Heiiniann ist in seinem künstlerischen Na-
turell unserm Otto Eckmann verwandt; freilich
hat er nicht dessen Zartheit, dessen graziöse,
schlanke Linienführung; er wirkt derber, ur-
sprünglicher. Er sucht seine Dekorations-
motive fast nur in der heimischen Landschaft,
ihrer Tier- und Pflanzenwelt, die er so geschickt
und unmerklich stilistisch umzuformen und zu
vereinfachen weiss, dass die Frische und Un-
mittelbarkeit des Natureindrucks darunter nicht
leidet. Hin possierlicher Vogel schmückt K.
A. Taz'aststjemas „Kvindertgimente" (Gylden-
dalskc Boghandels Forlag), ein geschmackvolles
Blumenarrangement in violett Nyrops „Kysset og
dets Historie" (Det nordiske Forlag). Häufig
enthalten seine Dekorationen offenbar An-
spielungen auf den Inhalt des Buches. So
zeigt der Umschlag von K. Larsens „Dr. Zr."
(Det nordiske Forlag) eine riesige Spinne, welche
ihr Netz über ein Beet von Lilien ges[>onnen
hat, die traurig die Kopfe hängen lassen, und auf
//. l y oHtoppidanns: ,,iXaftei>agt' (P. G. Philipsens
C)
26S
Forlag) erblicken wir einen Schmetterling,
der mit seinen Flügeln in Disteln hängen ge-
blieben ist; im Hintergrunde ist Rom mit der
Peterskirche sichtbar. Mit ganz besonderem
Geschick weiss Heilmann landschaftliche Scene-
rien zur Dekoration seiner Umschläge zu ver-
wenden. Die Darstellungen des Vorplatzes
eines antiken Tempels am Meere auf P. Nan-
sens „Mari^ (P. G. Philipsens Forlag) und
der einsamen Mühle auf blumigem Hügel auf
P. Nansens „Guds Fred" (Gyldendalske Bog-
handcls Forlag; auch auf der bei S. Fischer
erschienenen deutschen Ausgabe) wirken ganz
dekorativ und dabei doch sehr stimmungsvoll
(Abb. 9 und io). Ein schönes Blatt ist der
Umschlag von Holger Drachmanns „Melo-
dramer" (Gyldendalske Boghandels Forlag):
Herbststürme schütteln die Bäume; welke
Kastanienblätter fallen auf ein Beet von Herbst-
zeitlosen ; im Toben des Sturmes braust grausen-
erregend der wilde Jäger mit seinem Gefolge
und seiner Meute durch die Lüfte (Abb. 12). Auf
der y,Illustreret Kultur Historie" (Gyldendalske
Boghandels Forlag) ist ein pflügender ägyp-
tischer Fellache dargellt, vor dessen erstaunten
Blicken eine Fata morgana, ein mittelalterliches
Schloss, auftaucht Auf dem Umschlag von „ Vort
Folk" (Gyldendalske Boghandels Forlag) ist
das Medaillonbild eines pflügenden Bauern auf
seinem Acker sehr gelungen; die Hauptdar-
stellung eines Schlosses am See ist zu bild-
mässig gehalten, und die aus Buchenzweigen
gebildete Umrahmung wirkt ziemlich nüchtern.
Überhaupt gelingen Hcilmann figürliche Kom-
positionen nicht immer, wie z. B. das schaukelnde
Mädchen auf der Zeitschrift „Tilshueren" und
der seltsame Umschlag der Kollektion „Populäre
Smaaskrifter" (Det Schubotheske Forlag) be-
weisen, wo ein unbekleideter Mann die Thüren
weit öffnet, damit der Lufthauch des neuen
Zeitgeistes oder der modernen Bildung in breiten
Wellen zu den Ochsen im Stall strömen kann,
eine Allegorie, die nicht grade sehr schmeichel-
haft für die Leser der Sammlung ist. Auf den
Umschlägen von A. D. Sorgensen „Ifistoriske
Afhandlinger" (Det nordiske Forlag) und von
„Kopenhagen" ', einem reizenden, vom dänischen
Touristenklub herausgegebenen Führer, hat der
Künstler sehr geschickt heraldische Wappen-
tiere und Embleme verwendet; auch Motive
der altnordischen Ornamentik weiss er gelegent-
Z. f. B. 1899/1900.
Uch geschmackvoll zu verwerten, so auf dem
Umschlag von „Vor Oldüd" von Sophus
Midier (Det nordiske Forlag). Lehnt er sich
dagegen an fremde Stile, die Antike (P. la
Cour, „Historisk Matematik" und G. Brandes
„7. Lange" [Det nordiske Forlag]) oder die
Renaissance (R. Browning „Granatadler") an,
so ist das Resultat wenig erfreulich.
Heilmanns bedeutendster Rivale auf dem
Gebiet des Buchumschlages ist H. Tegner. Die
kluge Beschränkung und vornehme Einfachheit,
die seine Einbanddecken zu gewerblichen Meister-
stücken machen, bilden auch den Hauptreiz
seiner Umschlagszeichnungen. Nur selten wählt
er landschaftliche Scenerien zur Dekoration, so
auf H. Pontoppidans „Minder« (P. G. Philip-
sens Forlag), wo zwei Störche über eine ein-
same Flachlandschaft fliegen, und auf M. Gold-
schmidts „Poetiske Skrifter" (Gyldendalske
Boghandels Forlag), wo eine Palme und ein
Lorbeerbaum ihre Kronen vereinigen. In diesen
Blättern wirkt Tegner nicht so frisch, so ur-
sprünglich wie Heilmann.
In seinen omamentalen Arbeiten bedient
sich Tegner meist überkommener, allerdings in
sehr freier und persönliche Weise behandelter
Stilformen, am liebsten des Rokoko, in dessen
Geschmack die reizenden Umschläge zu Hol-
bergs „Komedier" (Nordiske Forlag), zu Svend
Leopolds „Prinsessc C/iarlotte" (Abb. 1 1 und 14)
und „HyggeUge Tider" (Det Schubotheske
Forlag) und zu J. Henningsens „Under Pun-
kahen" (Gyldendalske Boghandcls Forlag) ge-
halten sind. Zu dem Umschlag von V. Vedels
„Fra Italien" (P. G. Philipsens Forlag) haben die
Altäre der Robbias als Vorbild gedient ,Julies
Dagiog" von P. Namen (P. G. Philipsens Foriag)
und Jule- Album, VII. Jahrg. 1898 (A. Jacobsens
Forlag) sind im Zopfstil, P. Mariagers „Dron-
ningen af Kyrene" (P. G. Philipsens Forlag)
ist in dem etwas trockenen Klassicismus aus-
geführt, der seit Thorwaldsen bis in die neueste
Zeit hinein in Dänemark die Alleinherrschaft
besessen hat H. Drachmanns „Ungdoms
Digte" endlich sind mit einem Umschlag
versehen, der deutlich den Einfluss einer Arbeit
Anning Beils verrät
Indessen hat Tegner, besonders in neuester
Zeit auch eine Reihe ganz selbständiger und
von überkommenen Stilformen unbeeinflusster
Arbeiten geschaffen, in denen er meist pflanzliche
34
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266
von Zur Westen, Oer künstlerische Ilucbumschlag etc.
Motive zur Dekoration verwendet, so auf
lt A. öhlenschläger et ZJvs Poes?' von V. Ander-
sen, Weinlaub und Trauben (Det nordiske
Forlag), so auf Mohr og Nissen „Tysk-dansk
Ordbog" (Schubotheske Forlag) graziös ver-
schlungene Brombeerzweige. Auf Shakespeares
„Dramatisie Vcerker" (Schubotheske Forlag)
bildet ein phantastischer Schmetterling den
Mittelpunkt der Dekoration. Schlichte Linien-
ornamente, die in rot auf weissem Grunde aus-
geführt sind, schmücken einige Dichtungen
H. Pontoppidans : „Afuld", „Domnuns Dag" und
„Det forjeettede Land 1 ' (P. G. Philipsens Forlag).
Neben Heilmann und Tegner, deren Ar-
beiten ich nicht annähernd vollständig aufge-
zählt habe, treten die gelegentlichen Leistungen
anderer dänischer Künstler auf unserem Gebiete
sowohl an Zahl wie auch meist an künstleri-
scher Bedeutung sehr zurück, indessen finden
sich auch unter ihnen eine Reihe trefflicher
Arbeiten. Als besonders bemerkenswert ver-
dient die schöne Landschaft von Agnes Slott-
Möller auf dem Hefte „Sommer" hervorgehoben
zu werden, das zum grossen Teil Arbeiten der
jungdänischen Künstlergruppe vereinigt, über
die der „Pan" kürzlich eine längere Besprechung
aus der Feder N. V. Dorphs brachte. —
Interessant sind ferner der Umschlag Norre-
tranders zu „Hönsegaarden" (Det Schubotheske
Forlag) mit zwei prächtig dargestellten Hühnern,
die in der Art der Stilisierung etwas an Th.
van Hoytema erinnern, und der Kongstad Ras-
mussens zu Henrik Pontoppidans „Natur" (Det
Schubotheske Forlag) mit einem Arrangement
naturalistisch stilisierter Blumen und Zweige.
Die hübsche Landschaft auf H. Bangs „Vcd
Vejcn" (Det Schubotheske Forlag) rührt von
Knud Larsen her, der jedenfalls wohl auch der
Verfertiger des Umschlags von A. Nielsens
„Fra Landet 1 (Gyldendalske Boghandels For-
lag) ist, die Signatur K. L. tragend. Eine
Mondscheinlandschaft mit interessanter orna-
mentaler Umrahmung auf K. G. Brönsteds
„Borretaarn" (Det nordiske Forlag) hat R.
Christiansen zum Verfertiger, dessen junger
Radfahrerin vor der Notrcdamekirchc auf H.
Cavüngs „Paris" (Gyldendalske Boghandels
Forlag) nur etwas mehr französische Eleganz
zu wünschen wäre.
Lorenz Fröhlich hat den Umschlag von
„Den arldre Edda", Viggo Pedersen den von
y. Jörgensens „Stenntinger" gezeichnet (beide
P. G. Philipsens Forlag). Ein schönes Blatt ist
der grosse Umschlag der Arbeiten der dänischen
Radierervereinigung von Niels Skovgaard. Da-
gegen ist der bekannte Radierer H. N. Hansen
nur mit einer Vignette auf E. Skrams „Agnes
Vittrup" und dem meines Erachtens wenig
glücklichen Umschlag von „1001 Nat" vertreten
(beide det Schubotheske Forlag). Schliesslich
seien noch die Umschläge von Aug. Jerndorff
zu Franzoi „Sandhedssögeren" (Det Schubo-
theske Forlag) und von einem Anonymus zu
„Kunstltislorien" (Det Nordiske Forlag) erwähnt.
Von Musikalien verdienen die Umschläge
der in W. Hansens Verlag erschienenen Noten-
hefte eine lobende Hervorhebung. Aner-
kennenswerter Weise sind es fast alles wirk-
liche Umschläge, nicht blosse Titel, die mit
dem Hefte zusammenhängen und womöglich
auf der Rückseite bedruckt sind, wie es in
Deutschland meist der Fall ist. Als Material
verwendet der Verleger meist dunkelfarbige
Pappe von kräftiger, ausdrucksvoller Struktur,
die sich sehr angenehm anfasst Die zeichne-
rischen Darstellungen sind freilich nicht alle
Meisterwerke, aber sie erheben sich doch be-
deutend über das Niveau der bei uns in Deutsch-
land leider noch immer üblichen. Besonders
erfreulich berührt das Fehlen alles Sentimental-
Süsslichen in Sujet und Ausführung, was um
so bemerkenswerter ist, als der grössere Teil
der Umschläge von zwei Damen entworfen
ist. Die bedeutendere von beiden ist Eva
Kaikau, deren weibliche Köpfe auf „Viserne
a/H. Drachmanns Brav- Karl" und aufF.Haagen-
sen- Hansen „La petite Cosaque" respektable
dekorative Leistungen sind. Frau A. M. Carl-
Nielsen hat 6 Umschläge für verscliiedene Ton-
werke Carl Nielsens, ihres Gatten, entworfen,
unter denen mir der mit den Engelsköpfen für
„Opus IV und VI" am gelungensten erscheint.
Auf zwei andern huldigt sie archaistischen Nei-
gungen, welche sie auch auf die Schrift über-
trägt, die infolgedessen teilweise geradezu un-
leserlich ist. Mir ist es wenigstens nicht gelungen,
den Titel der einen Komposition zu entziffern.
Unter den drei Umschlagszeichnungen EHs
Aslunds gefällt mir das Stiefmütterchen- Arran-
gement auf A. Meinigs „Mazourque melancolique"
(op. 6) am besten. Zum Schluss seien noch
Th. Petersen phantastische Landschaft auf
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von Zur Werten, Der künstlerische Buchumschlag etc.
A. Toffts Oper „Vifandaka" und der kräftig
wirkende Lorbeerkranz Hammersköjs auf
„Völund Smed" angeführt.
In Schweden hat der künstlerische Buchum-
schlag bisher nicht die gleiche Bedeutung er-
langt als in Dänemark. Trotzdem ist aber
das Gesamtbild mannigfaltiger, weil es Spezia-
listen des Buchumschlages, wie Tegner und
Heilmann, in Schweden nicht giebt, vielmehr
die verschiedensten Künstler sich gelegentlich
auf unserem Gebiete versucht haben. In Folge
dessen herrschen auch nicht die strengen kunst-
gewerblichen Prinzipien wie in Dänemark, viel-
mehr sind die meisten schwedischen Umschläge
den französischen darin verwandt, dass sie einen
freieren, rein malerischen Charakter haben, was
ich allerdings nicht als einen Vorzug ansehe.
Der glänzendste Name, den wir unter den
schwedischen Umschlagkünstlern finden, ist der
Carl Larssons, der bekanntlich eines der her-
vorragendsten dekorativen Talente nicht nur
Schwedens, sondern Europas ist. Seine be-
deutendste Umschlagszcichnung schmückt die
1896 erschienene Nummer der prächtigen Weih-
nachtsfestschrift „¥td", die der Stockholmer
Künstlerklub alljährlich herausgiebt und zu der
die erlesensten Kräfte der schwedischen Kunst
und Litteratur Beiträge liefern. Das Blatt ist in
Silber auf dunkelblau unter Benutzung des weissen
Papiergrundes und massiger Anwendung von
Gold ausgeführt und zeigt eine grosse Anzahl
reizender Engelsköpfc. Ob auch der lose
äussere Umschlag des Heftes, der in seiner vor-
nehmen Einfachheit klassisch genannt zu werden
verdient, von Larsson herrührt, entzieht sich
meiner Kenntnis (Abb. 13). Auf dem Um-
schlag der von Dr. Otto Sjögren heraus-
gegebenen „Taflor ur Sveriges Historie? 1 , einer
Sammmlung autotypischcr Reproduktionen
künstlerischer Darstellungen aus der schwe-
dischen Geschichte (A. Bonnier), hat Larsson
in Erinnerung an die frühere Grossmachtstellung
seines Vaterlandes den schwedischen Löwen
dargestellt, der mit der Weltkugel spielt. Des
Künstlers wenig würdig ist der Umschlag der
Julnummcr 1898 der Frauenzeitung „Idun",
reizend dagegen die nur C. signierte, aber
sicher von Larsson herrührende Kinderscene
267
auf ,Jul" 1891, die lebhaft an die flotten Aqua-
rellen aus seinem Familienleben erinnert, die
1896 auf der Berliner Kunstausstellung allseitige
Bewunderung fanden. Den gleichen Stoff wie
diese behandeln die in dem Büchlein „De Mina"
zusammengefassten humorvollen Zeichnungen
in der Art unseres Wilhelm Busch, an dessen
Manier auch der Umschlag erinnert. Der Zu-
satz zu der Signatur C. L. „inte Claes" enthält
eine Anspielung auf den schwedischen Kritiker
Claes Lundin, der der neuen Richtung wenig
freundlich gegenübersteht und mit dem Larsson
daher nicht verwechselt zu werden wünscht. Der
frische Humor, der aus diesem Blatte Larssons
spricht, bildet einen hervorstechenden Zug der
ganzen schwedischen Malerei und kommt natür-
lich auch sonst im Plakat, wie im Buchumschlag
zur Geltung. So ist z. B. E. Westmanns reizendes
Kinderbild auf „W 1897 von schalkhafter
Drolerie erfüllt Albert Engstrom hat in seinem
Umschlag zu „Ibsen i västficksfortnat' (Loos-
ström & Co.) eine geistvolle Karrikatur des be-
kannten Schriftstellers gegeben, dessen Kopf
eine riesige Löwenmähne umwallt, deren ein-
zelne Strähnen sich zu zahllosen der bekannten
Fragezeichen verschlingen, in die Ibsens Dramen
auszuklingen pflegen. Die famose Karikatur
eines frontmachenden Soldaten &ü(„OUei Grinn,
E. Dccktan te" (Wahlström & Widstrand) ist
ebenfalls von Engström gezeichnet In der
allerliebsten Darstellung von A. Forsberg auf
E. A. Karlsfeldts, „Fridolins Visor" (Wahlström
& Widstrand) sind die uns so gravitätisch
erscheinenden Kostüme der Biedermeierzeit in
der Art Th. Th. Heines zur Erhöhung der
drolligen Wirkung benutzt worden.
Der von Niels Kreuger entworfene Umschlag
zu G. af Gejerstams „ Vilse i lifvet" (Gcrnandt)
ist eine ziemlich belanglose Arbeit An Kreugers
Art erinnert auch die Landschaft auf M. Sterns
„Slätten" (Wahlström und Widstrand); ob sie
thatsächlich von ihm herrührt, weiss ich nicht
Wohl aber findet sich seine Signatur auf dem
ausgezeichneten ornamentalen Umschlag des
VE. und VUI. Jahrgangs der vielseitigen und
trefflich illustrierten Monatsschrift „ Ord och Bild 1 .
Die in matten Gobelintönen gehaltenen Um-
schläge Nords tröms zu „NyaDiktera/O.Lrvertin"
und „Dikter af V. von Heidenstam" (A. Bonnier)
wirken sehr vornehm. Auf dem ersteren, der
mit seinen hellen gelblichen und rosa Farben
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einen heiteren, sonnigen Eindruck macht, bilden
Feldblumen und Ähren, auf dem andern, in
dunkelgrün und violett gehaltenen, düster-phan-
tastisch wirkenden Umschlag geben vom Sturm
geschüttelte Kiefern das Motiv der Dekoration.
Ob hierdurch der litterarische Charakter der
Dichtungen richtig zum Ausdruck gebracht ist,
vermag ich nicht zu beurteilen. Weniger ge-
lungen ist Nordstroms Umschlag zu 0. Lever-
tins „Legender och Visor" (A. Bonnier), der in
der Gesamtanordnung nicht glücklich, in der
Darstellung zu bildmassig ist und zudem durch
die konventionelle Schrift in seiner Wirkung
beeinträchtigt wird.
Die undekorative bildmässige Richtung
scheint im schwedischen Buchumschlag über-
haupt ziemlich verbreitet zu sein. Ihr gehören
z.B. die Umschläge Dornbergers für drei Schriften
von J. Hilditch (Wahlström & Widstrand) und
die des berühmten Tiermalers Br. Liljefors für
Jagdskizzen und Ähnliches von E. Hemberg
(meist bei A. Bonnier) an. Besonders von Zeit-
schriften werden derartige bildmässige Um-
schläge bevorzugt, wie z. B. die Weihnachts-
nummer ,3ulquäUen" 1896 beweist. Das Blatt,
das eine elegante junge Dame mit Schlitt-
schuhen zeigt, ist in Auffassung und Aus-
führung ganz französisch und erinnert in seinem
Gesamteindruck an die allbekannten Umschläge
des „Figaro illuströ". Es ist eine Arbeit G. Gison
Wennerbergs, desselben, der sich in dem hübschen
Umschlag zu „Lifvets lek" von Ivar Dal (Wahl-
ström & Widstrand) als ein tüchtiger Vertreter
des naturalistischen Blumcnomaments auf dem
Gebiete des Buchumschlages erweist (Abb. 17).
Diese Dekorationsweise erfreut sich übrigens
einer geringeren Verbreitung, als man es nach
Wallanders Poterien und Hedbcrgs Einbänden
annehmen sollte. Faute de mieux erwähne ich
die ziemlich dilettantische Arbeit Elsa Beskows
für M. Sterns „Elise" (Wahlström & Widstrand).
Zum Schluss seien noch der anonyme Um-
schlag eines Kochbuchs, auf dem das ziemlich
abgenutzte Motiv, den Titel durch die aus
einer Kasserolle aufsteigenden Rauchwolken
bilden zu lassen, nicht ungeschickt benutzt ist,
und die originellen typographischen Titel zu
Forslunds „Jungfru Jan" (Wahlström & Wid-
strand) und zu der Komposition: „Hätunaleken"
von A. Körting (Musikaliska Konstföreningen,
Stockholm) genannt
Einen ganz anderen Charakter als der schwe-
dische zeigt der norwegische Buchumschlag.
Auch hier manifestiert sich die tiefgehende Ver-
schiedenheit, die auf dem Gebiete der Politik
wie des Geisteslebens zwischen den Bruder-
völkern besteht und die auf allen internatio-
nalen Kunstausstellungen so stark hervortritt
Auf den mir vorliegenden norwegischen Um-
schlägen finden sich die Signaturen einer ganzen
Reihe von Künstlern, deren Namen weit über
die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus rühmlich
bekannt sind Selbst Erik Werenskiold, der
uns in seinen Bildern die Gestalten des nordi-
schen Märchens in unvergleichlicher Weise
lebendig gemacht hat, ist mit einem Umschlag
zu „Eventyr for Born" vertreten, dessen be-
sonders gelungene Vorderseite, eine Mondnacht
im Gebirgswald, ein vorzügliches Beispiel für
die zart poetische Naturauffassung des Künst-
lers bietet. Noch bekannter als Werenskiold
dürfte in Deutschland Otto Sinding sein, der
einen effektvollen Umschlag für die Weihnachts-
nummer „Juleaften" 1898 geliefert hat in dem
er in seiner äusserlich vollendeten, aber wenig
persönlichen Art einen mondbeglänzten Fjord
zur Darstellung gebracht hat. Von Edvard
Münch, dessen Zwist mit dem Verein Berliner
Künstler vor einigen Jahren unliebsames Auf-
sehen machte, rührt der Umschlag zu dem
Strindbergheft des „Quickborn" her, ein uner-
quickliches und mir in seiner symbolischen Be-
deutung nicht verständliches Blatt. Die Um-
schläge zur „Henrik Ibsen-Festskrift 1 (Bergen, J.
Griegs Forlag) und zu „Sttorre Sturlasson,
Norges Kongesagaer" , einem Prachtwerk, an
dessen Illustration sichKrogh, Munthe, Peterssen
und Werenskiold beteiligt haben (Christiania,
J. M. Stenersen Co. Forlag), sind zwar originelle
Leistungen, bringen aber das hervorragende
dekorative Talent ihres Schöpfers Gerhard
Munthe nicht vollkommen zur Geltung. Während
die genannten Künstler ebenso wie Olaf Gul-
branson („Eventyr og Forta:llinger for Born",
A. Cammermeyers Forlag; ,J Taage af Th.
Klavenaes", Biglers Forlag) Ewind Nielsen (Ivar
Aasens „Udvalgte Skrifter", P.T. Mallings Bog-
handel), A. Hagstedt (,-Ung Hans" von A. Paul,
Bonnier, Stockholm) und Olaf Krolm (Tyrihans,
Julenummer; 86° 14', Marsch zu Ehren Nansens,
komponiert von Eivind Hansen) sich nur ge-
legentlich im Buchumschlage versucht haben,
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ron Tau Wetten, Der IcfliutlerUctte Bachumschltg etc.
269
besitzt Norwegen einen Spezialisten auf diesem
Gebiete in der Person Thorolf Holmboes. Die
Zahl der Umschläge, die dieser talentvolle und
fruchtbare Künstler entworfen hat, ist bereits
so gross, dass ich nur einen kleinen TeÜ der-
selben erwähnen kann. Holmboe ist ein trefflicher
Landschaftsmaler und als solcher vielleicht noch
einigen Lesern von der Berliner internationalen
Kunstausstellung 1897 bekannt Begreiflicher-
weise kehren daher landschaftliche Scenerien
häufig in seinen Buchumschlägen wieder. In dem
1894 gezeichneten Umschlage von „Sorte Orn\
af Bern/ Lie" (H. Aschehoug & Co.) ist die
Darstellung noch eine rein bildmässige, in seinen
neueren Arbeiten ist der Künstler zu einer
dekorativen Behandlung der Landschaft über-
gegangen. Besondere Hervorhebung verdient
der Umschlag zu V. Krags „Fra de Uwe
Stuer" (H. Aschehoug & Co.), wo man zwischen
hohen Bäumen hindurch auf ein Landhaus blickt,
das der Mond bescheint. Dekorative Wirkung
verbindet sich hier mit echtem Stimmungsgehalt.
Ausgezeichnete Blätter dieser Art sind ferner
J. Bojers „Paa Kirkevei" und „Et Folkttog"
(P. T. Mailing) und Peter Egges „Jomfru NeUy
Martens". Zu dieser Gruppe kann man auch
den Umschlag von Fridtjof Nansen (Stockholm,
P. A Norstedt u. Söners) zahlen, wo ein Adler
zum Nordpol herabschwebt Von den ähnlichen
Arbeiten Heilmanns unterscheiden sich diese
Blätter Holmboes besonders durch ihre grossere
Farbenfreudigkeit und durch die graziösen
Pflanzenornamcnte , die die landschaftlichen
Darstellungen meist umrahmen und in deren
geschickter Stilisierung Holmboe unserem Eck-
mann gleich kommt Meisterhaft ist z. B. in
mehreren Blättern die schwierige stilistische
Umformung der Rose gelungen, so in dem
erwähnten Umschlag zu „Paa Kirkevei" und in
dem schönen Widmungsblatt einer Universität
an den König, wo man zwischen antiken rosen-
umkränzten Säulen hindurch das Meer erblickt,
das ein griechisches Schiff mit schwellenden
Segeln durchfliegt. In einer Reihe von Um-
schlägen verwendet Holmboe ganz oder fast
ausschliesslich pflanzliche Motive zur Dekoration,
so in denen zu V. Krags „Nye Digte", zu der
Monatsschrift „Naturen", zu „Smaastef' von Ah>.
Prydt (A. Cammermeyer), zu JVorshe Digtere"
(J. Dybwad, Kristiania), zu „Af Norges Friheds-
saga" von J. B. Bull (A. Cammermeyer), zu
C. Collen „Amtmandens Döfre" (ebenda) und zu
einer Weihnachtsnummer „Tu/'. Dagegen zeigt
sich Holmboe in den Umschlägen zu seinem
Buche „Sjofugt' (John Fredriksons Forlag, Ber-
gen) und zu einem Heft „JuUroser" als frischer,
Heilmann ebenbürtiger Darsteller der heimischen
Tierwelt — Ich persönlich halte Holmboe für
einen der originellsten und phantasievollsten
Künstler, die gegenwärtig auf dekorativem Ge-
biete thätig sind, für viel bedeutender und
eigenartiger als manche anerkannte und viel
gepriesene Grössen- Jedenfalls ist er eine sehr
bemerkenswerte, ausserhalb Skandinaviens noch
viel zu wenig beachtete Erscheinung.
Als Arbeiten finnischer Künstler kann ich
nur einen von A. Edelfelt gezeichneten Um-
schlag für Jahrgang VI der Zeitschrift „Ord
och Bild* (Wahlström & Widstrand) und den
seltsamen Umschlag von Axel Gallen für A.
Paul „Der gefallene Profiher' (A. Langen) an-
führen. Wir haben im Jahre 1898 Gelegenheit
gehabt, in der in mehreren deutschen Städten
gezeigten Ausstellung von Gemälden moderner
russischer Künstler Gallen als ein ungewöhn-
liches Talent kennen zu lernen, der sowohl
reizende Genrebilder zu malen, wie hochromanti-
sche Scenen mit wilder Phantastik und deko-
rativer Grösse darzustellen versteht Den er-
wähnten Umschlag kann ich aber beim besten
Willen nur humoristisch auffassen.
Die meisten der im eigentlichen Russland
entstandenen illustrierten Umschläge sollen in
den hergebrachten byzantinischen Stilformen
ausgeführt sein. Einige mir vorliegende Pro-
spekte und Notentitel scheinen die Richtigkeit
dieser Angabe zu bestätigen. Immerhin giebt
es aber doch schon einige in moderner Art
dekorierte Umschläge. So beweist der Um-
schlag der diesjährigen Osternummer einer
Wochenschrift den Einfluss Muchas; er ist von
Frau Samokisch-Sudkowshaja gezeichnet. Weit-
aus die beste russische Leistung auf unserem
Gebiete, die mir zu Gesicht gekommen, ist das
Programm der russischen Privatoper in Moskau,
von A. Wrubcl, eine koloristisch recht interessante
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270
▼on Zur Westen, Der künstlerische Huchumschtag etc.
und in dekorativer Beziehung vortreffliche
Arbeit. Die Symbolik des Blattes ist mir nicht
verständlich; die Darstellung ist von etwas bar-
barischer Phantastik. Der von Frau Jakuniscki-
koff gezeichnete Umschlag einer Extranummer
der Kunstzeitschrift „Mir Isskushva" zeigt in
der Zeichnung einen etwas gesuchten Primi-
tivismus, kann aber vom rein dekorativen Stand-
punkt ab tüchtige Leistung gelten. Schliesslich
kann ich noch zwei Konzertprogramme von
Jagajinsky und Pasternak anführen. Der Letzt-
genannte wird mir ab guter Illustrator be-
zeichnet Die in Krefeld ausgestellt gewesenen
Blätter von Blumstedt, Miljutbt, Santokisch und
Simoff kenne ich nicht.
In England hat der Buchumschlag aus Pa-
pier bei weitem nicht die Verbreitung als in
den Ländern des Kontinents. Dem ordnungs-
liebenden und praktischen Engländer sind un-
gebundene Bücher ein Greuel, und da die
Kosten eines Einbandes selbstverständlich viel
geringer sind, wenn er im Grossen hergestellt
wird, so werden fast alle Bücher, die auf irgend
welchen dauernden Wert Anspruch machen,
in festen und eleganten Leinewandbänden aus-
gegeben, die meist ausser dem Titel noch
zeichnerischen Schmuck tragen. Daher blüht
in England neben dem nur wenigen, sehr
reichen Leuten zugänglichen Kunstband, dessen
I lauptvertreter Cobden-Sanderson ist, vor allem
die industrielle Reliure, der zahlreiche tüchtige
Künstler gelegentlich oder berufsmässig ihre
Kräfte leihen. Was auf diesem Gebiete von
MacmiUan & Co., von G. Bell & Sons, von
G. Allen und anderen grossen Verlagshäusern
für verhältnismässig sehr geringe Preise ge-
leistet wird, verdient die höchste Bewunderung
und hat nur in Amerika seines Gleichen. In-
folge dieses Vorwiegens des industriellen Ein-
bands beschränkt sich der künstlerisch deko-
rierte Umschlag aus Papier im wesentlichen
auf Zeitschriften, Lieferungswerke, Bilderbücher,
Kalcndaricn, Kataloge und andre Druckwerke
geringeren Umfangs. Übrigens werden die
papiemen Umschläge häufig noch auf Pappe
geklebt, so dass sie sich von einem festen Ein-
band nur unwesentlich unterscheiden. So er-
schienen z. B. die Hefte der Vierteljahrschrift,, The
Savoy" in dieser Ausstattung. Neben diesen
eigentlichen Umschlägen, von denen bisher aus-
schliesslich die Rede gewesen ist, giebt es aber
in England noch eine andre, sehr verbreitete
Kategorie von Umschlägen, die häufig einen
glänzenden künstlerischen Schmuck tragen.
Viele Verleger lassen nämlich die meist in
Gold oder in schwarzer Farbe auf die Leine-
wand gedruckte Dekoration des Einbands auf
den ihn umhüllenden Schutzpapieren farbig re-
produzieren. — Der Gedanke liegt sehr nahe,
nach dem Vorbild Frankreichs diese Um-
schläge plakatmässig zu gestalten. Wenn nun
die praktischen englischen Verleger, trotz des
grossen Wertes, den man in England auf Re-
klame zu legen pflegt, grundsätzlich die Um-
schläge ihrer Bücher in leisen Farbentönen
oder in schlichtem Schwarz-Weiss ausführen
lassen, so sollte das ihren Kollegen in Frank-
reich und Deutschland zu denken geben, die
das Äussere ihrer Bücher zu einer Reklame
missbrauchen, die ich für wenig wirksam und
vor allem für wenig geschmackvoll halte. Auch
die englischen Zeitschriften haben nur selten
plakatmässige Umschläge. Eine Ausnahme
und zwar eine durch ihren Inhalt gerechtfertigte
macht die Plakatzeitschrift „T/te Pas/er". Meh-
rere ihrer nur teilweise gelungenen Umsclüage
rühren von True her; No. 5 und 12 seien be-
sonders genannt.
In stilbtischcr Beziehung können wir im
Buchumschlag deutlich den Einfluss der beiden
Strömungen erkennen, die in dem englischen
Kunstleben der Gegenwart von besonderer Be-
deutung sind: des Präraphaelitentums und des
Japonismus. Dies gilt nicht nur von dem figür-
lichen Umschlage, in dem die retrograde Rich-
tung ihren hervorragendsten Vertreter in Walter
Crane, die japonisierende in Aubrey Beardsley
hat, sondern auch von dem ornamentalen Um-
schlage. Die englische Ornamentik ist nicht
so originell, so ursprünglich wie die belgische;
man bemerkt fast in allen Arbeiten den Ein-
fluss der Gotik, der italienischen Frührenais-
sance oder des naturalistischen Pflanzenoma-
ments Japans. Auch in andrer Beziehung ist
die Ornamentik Belgiens und Englands sehr
verschieden. Die Grösse der belgischen Schmuck-
künstler liegt in ihrer grandiosen Einfachheit,
in der Beschränkung auf wenige grosse Linien.
Die englische Ornamentik ist weit komplizierter;
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von Zur Wetten, Der künstlerische Buchum»ci)lag etc.
ihr Reiz liegt in der gcsclückten Verteilung der
Formen und Farben auf der Fläche und in
der graziösen Führung ihrer zarten schlanken
Linien.
Wenden wir uns nun zu den einzelnen Um-
schlagskünstlern, so gebührt W. Crane der Vor-
tritt, nicht nur wegen seiner allgemeinen künst-
lerischen Bedeutung, sondern auch, weil er spe-
ziell auf dem Gebiete des Buchumschlages eine
ziemlich umfassende Thätigkeit entwickelt hat.
Sein Meisterstück auf diesem Gebiete ist der
Umschlag für die Lieferungsausgabe der von ihm
iüiistnerten„FaerieQueene"vonSpenser(G.A\lcn),
ein Blatt von wahrhaft klassischer Linienschön-
heit (Abb. 4). Die Komposition ist in einem
schönen gedämpften Rot auf hellrotem Grunde
ausgeführt und kommt in dieser Form viel mehr
zur Geltung, als auf dem festen Einband des
Werkes, wo sie in Gold auf die weisse Leine-
wand gepresst ist. — Unter den übrigen Um-
schlagszeichnungen W. Cranes verdienen die
seiner allbekannten Bilderbücher und die seiner
Festgaben für die Maifeiern der Sozialdemo-
kratie, für die „Ckants of Labour* 1 (Swan Sonnen-
schein & Co.) und andre sozialistische Schriften
besondere Hervorhebung. Sehr vornehm wirken
die in gedämpften Gobelintönen ausgeführten
allegorischen Kompositionen auf den Prospekten
zweier Versicherungsgesellschaften, der „Law
Union and Crown Insurance Company 1 und der
„Scottish WidowsFund Life Assurance Society."
— Der Umschlag von „The Shepheards Ca-
lender i8g8" (Harper Brothers) zeigt den Ein-
fluss der von Morris herausgegebenen Bücher.
Von den übrigen Umschlägen W. Cranes' seien
der des Katalogs der „/. Arts and Crafts Ex-
hibition 1888", der des von dem Künstler ver-
fassten Werkes „The Bases of Design" (G.
Bell & Sons), der des „English IUustrated
Magazine", der der Jugendzeitschrift „Harper s
Round Table" und der der diesjährigen Sommer-
nummer des Studio ,ßeautys Awakening" ge-
nannt
R. AnmngBell, Walter Cranes bedeutendster
Schüler, hat für die Gedichte von John Keats
(G. Bell & Sons) einen sehr geschmackvollen
ornamentalen Umschlag in Dunkelgrün und
Rot auf gelbgrünem Grunde ausgeführt, bei
dem Weinlaub und Trauben das Motiv bilden
(Abb. 16). Auch der gegenwärtige Umschlag
des „Studio", dessen Mittelvignette die Ver-
einigung von Kunst und Handwerk symbolisiert,
dürfte von Anning Bell herrüliren, da er ganz
in der Art des Künstlers gehalten und zudem
„B" signiert ist.
Kay Womrath, der Grassetschüler, hat einen
Notenumschlag für „Trinklieder", komponiert
von y. B. Schlesinger (J. Weinberger), gezeichnet.
Von den sonstigen zahlreichen, im Stil-
charakter der Präraphaelitenschule ausgeführten
Umschlagzeichnungen seien nur die für „The
Art of W. Morris of L. F. Day" von J. H. Dearle
(London, S. Virtue Co. Lim.), für „Art at the
Paris Salons 1897" (G. W. R sign.) und für
„The Architectural Review" hervorgehoben.
Von den Umschlägen der übrigen Kunst-
zeitschriften erinnert der des „Artist' an die
Manier der Schottischen Liniensymbolisten, der
Mackintosh, Macdonald u. s. w., während die
schönen von L. F. Day entworfenen Ornamente
auf „ The Magazine of Art 1 und „ The Art Jour-
nal" an Motive der italienischen Renaissance
anklingen. Day hat übrigens ausser den ge-
nannten noch eine Reihe von Umschlägen für
„The Womans World", für „The Worlds Great
Explorers" (G. Philipp & Son) und für mehrere
Kataloge etc. entworfen.
Das frühere Titelblatt des „Studio" war ein
Werk des leider so früh verstorbenen Aubrey
Beadsley, des englischen Th. Th. Heine, bei
dem sich, wie bei dem Münchener Künstler,
groteske Satire mit glänzendem dekorativem Ge-
schick vereinte und in dessen Stil Elemente
des Japonismus und des Empire zu einem
völlig einheitlich wirkenden Ganzen verschmolzen
waren. Sein Umschlag zu „ The Savoy" Januar
1896, zum „YelloW'Book" (1894) und zu einem
Katalog seltener Bücher (L Smithers), welch
letzteren ich allerdings nur aus der Reproduk-
tion bei Uzanne (Decor. exter. S. 104) kenne,
sind vollgültige Proben seines hervorragenden
Talents.
Uberhaupt verwenden verschiedene eng-
lische Verleger auf die Ausstattung der Um-
schläge ihrer Kataloge ausserordentliche Sorg-
falt; selbst ein Künstler wie W. Crane ist wieder-
holt mit ihrer Dekoration beauftragt worden.
Besonders reizend sind zwei von MacmillanSr Co.
1896 und 1897 herausgegebene Kataloge, die
mit graziösen Blumenornamenten geschmückt
sind. Weniger glücklich, weil zu grell wirkend,
ist der Katalog der genannten Firma für 1898.
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Die Kataloge von Dent, Fisher Umvin und
Methuen <&* Co. verzichten auf grössere zeich-
nerische Kompositionen und farbige Wirkung;
dafür zeichnen sie sich durch vorzügliche typo-
graphische Anordnung und geschmackvolle
Randleisten aus.
Aubrey Beardsley hat in seinen Affichcn
die äussersten Konsequenzen des Plakatstils ge-
zogen und die stärksten Wirkungen erstrebt
und erzielt Ähnliche Tendenzen verfolgen
zwei junge Künstler, Pryde und Nicholson, die
ihre Affichen unter dem Pseudonym „Brothers
Beggarsteff' veröffentlicht haben. Nicholson
hat auch für drei von ihm gezeichnete Bücher
„London Tyßes" „An Alphabet" und „An Almanac
of twehe Sports" Umschläge ausgeführt, die
für seine primitive, an Vallottons Holzschnitte
erinnernde Manier charakteristisch sind. Die
Figuren setzen sich lediglich aus schwarzen
und weissen Flächen zusammen, die ohne jede
Vermittlung durch Halbtöne nebeneinander ge-
stellt sind. — Von Pryde ist mir nur ein Um-
schlag von „The Poster" (No. 8) bekannt.
Unter den Spezialisten des englischen Buch-
umschlags sind A. Turbayne und Gleeson White
die bedeutendsten. Während Turbaynes meist
für Macmillan & Co. ausgeführte Arbeiten, unter
denen ich den Umschlag für die Peacock-Col-
lektion (Abb. 15) für die bedeutendste halte, sich
durch ausserordentlich reiche und phantasievolle
Ornamentik auszeichnen, bestechen die, fast
alle für Bell & Sons entworfenen Umschläge
des kürzlich verstorbenen Gleeson Withe durch
ihre Klarheit, ihre vornehme Schlichtheit und
durch ihre ungewöhnlich geschmackvoll ge-
wählten Farben. Ein Musterbeispiel in letzterer
Hinsicht ist der Umschlag von E. Rentons
„Intaglio Engraving of Gents" in dem ausser-
ordentlich feiner Farbensinn zu Tage tritt. Ein
näheres Eingehen auf die grösstenteils sehr
interessanten Arbeiten muss ich mir an dieser
Stelle leider versagen, da sie sich fast alle
nicht auf eigentlichen Umschlägen, sondern auf
Schutzhüllen finden, und von den Künstlern
nicht für diese, sondern zur Dekoration der
festen Einbanddecken entworfen sind. Ihre
Besprechung würde daher über den Rahmen
unseres Themas hinausgehen und zu einer
Schilderung des englischen industriellen Ein-
bandes werden, dessen Hauptmeister Turbayne
und Gleeson White sind. Ich beschränke mich
also darauf, unter den Arbeiten Turbaynes die
für die Schriften Captain Marryats und Th.
Love Peacocks, für „Sense und SensibUity" von
Jane Austen, für „Populär Tales? von M.
Edgeworth, für „The History of Mankind" von
F. Ratsei (alle bei Macmillan & Co.) und für das
Lieferungswerk „ The Queens Empire 11 (Cassel &
Co.) hervorzuheben, während ich unter den sehr
zahlreichen Deckelzeichnungen Gleeson Whites,
die auf E. Burne-Jones „A Record and Re-
view?, auf Beils „Modern Translations", auf A.
Moores „His life and works", auf „Ladies Book-
Plates" von Noma Labouchere, auf „Legends
and Lyrics" von A. A. Prokter, auf „Masterpieces
of the Great Artists", auf „Shahsfieares Hero-
ines", auf „Thomas Gainsborough", auf A. Val-
lance „William Mooris" und auf F. Wedmores
„Etching in England" als besonders bemerkens-
wert und auch hervorragend erwähne.
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Novae epistolae obscurorum virorum.
Eine klassische Spottschrift aus der Zeit der Frankfurter Nationalversammlung.
Von
Dr. Eugen Schwetschke in Heidelberg.
war um die Mitte des Fasching-
I mondes 1849. Das Frankfurter Reichs-
ministcrium hatte vollauf mit den
Diplomaten der Regierungen zu thun, die sich
wieder der Fäden des Zeitgewebes bemäch-
tigten, um die vorhandenen Wirren zu lösen.
Die Nationalversammlung aber befand sich nach
neunmonatlicher Tagung endlich am Schluss
der ersten Beratung der Reichsverfassung, einer
Verfassung, welche nach der Hoffnung edler
Männer dem deutschen Vaterlandc die ersehnte
Einigkeit in dauernder Gestalt geben sollte. Je
näher die Entscheidung kam, um so grössere
Erbitterung, ja Vergiftung der Gemüter war in
die Versammlung gedrungen, mit um so ge-
steigerterer Schroffheit standen sich die beiden
grossen Parteigruppen gegenüber: die der Ge-
mässigten, als verfassungsfreundliche Monar-
chianer, und die bedeutend kleinere, aber wort-
reiche der Demokraten, die sich mehr oder
weniger offen als Republikaner bekannten.
In diese schwüle und trübe Stimmung, die
selbstverständlich im Volke ebenso vorhanden
war als in seinen Vertretern, fiel wie ein die
Wolken durchbrechender Sonnenblick, wie ein
die Gemüter allerorten erfrischender und er-
freuender Luftzug ein Schriftchen, bei dessen
Erwähnung noch heute ein heiter zustimmendes
Lächeln das Antlitz nicht ganz junger Männer
überfliegt, als ob sie selbst sich daran so recht
von Grund aus einmal ergötzt hätten.
Dies anonyme Schriftchen, zuerst in einem
Privatkreise der preussischen Kasino-Partei auf-
getaucht, war betitelt: Novae epistolae obscurorum
virorum ex Francofurto Moenano ad D. Ar-
notdum Rugium philosophum rubrum nec non
abstractissimum datae. Editio altera in commo-
dum Classis Teutonicae exstruendae. (Neue
Briefe von Dunkelmännern aus Frankfurt a. M.
an D. Arnold Rüge, den roten und ganz un-
verständlichen Philosophen. Zweite Ausgabe
zum Besten der deutschen Flotte.) 8. 16 Seiten.
Seinen Inhalt bildeten sechs kurze lateinische
Briefe leicht zu erkennender Führer und Redner
Z. f. B. 1899/1900.
der äussersten demokratischen Linken an ihren
nach Berlin übergesiedelten ehemaligen Parla-
mentsgenossen Dr. Arnold Rüge. „Wir sassen
eben wieder mit unserer Politik gewaltig auf
dem Trockenen", so schrieb 1850 das ehemalige
Mitglied der Erbkaiserpartei, der heut noch
als Bismarckverehrer des Daseins sich er-
freuende Prof. Haym in Halle, „und waren desto
empfanglicher für die übersprudelnde Laune
dieser aristophanischen Briefe", die vor allem
„gegen die Krassheitcn und Schwächlichkeiten
der Linken gerichtet waren" (vgl. „Die Litteratur
des ersten deutschen Parlamentes" in: Ross
und Schwetschke, Allg. Monatsschrift für
Litteratur, Halle). Die so wirksam gewesenen
Briefe sind trotz ihres geringen Umfanges —
die beiden Bande der alten Epistolae obscurorum
virorum enthalten deren über hundert — eine
würdige selbständige Nachbildung jener, nach
Binders Vorwort zu seiner Übersetzung „unter
den Erzeugnissen deutschen Witzes und deut-
scher Satire den ersten Rang behauptenden"
humanistischen Briefsammlung aus dem Anfange
des XVI. Jahrhunderts. Aber während diese
gegen das entsittlichte Priester- und Mönchtum
und den verknöcherten Scholastizismus der
Gclehrtenwelt sich in nachgeahmtem barbari-
schem (Küchen-)Latein richtete, wendete sich
die neue Sammlung gegen den politischen
Demokratismus der Frankfurter Linken in
klassischer Sprache, von der sich einzelne
Barbarismen nur um so wirkungsvoller abheben.
Dieses Sprachgewand entspricht auch glück-
lich dem Bildungsgrade der Briefschreiber, von
denen fünf, wie auch der Briefempfänger, den
gelehrten Ständen angehören, während einer
ein schlichter Volksmann ist. Die Briefschreiber
und der Briefempfänger sind in den Augen
des Verfassers viri obscuri, „Dunkelmänner",
aber nicht als religiös-sittliche Finsterlinge und
Schmutzfinken, sondern als blinde Politiker, die
in ihrem „dunkeln Drange" nach deutscher
Freiheit und Einheit den irreführenden Weg
hohler deraokratischerBegriffe und abgestandener
35
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274
Schwetschke, Novae epistoUe obtrcronim vironim etc.
allgemeiner Redensarten einhertappen. Der
Verfasser der neuen lässt in dichterischer Ge-
staltungskraft mit dem Kunstgriffe der Verfasser
der alten Episteln seine Briefschreiber in gleich
ernster, würdevoller Ausdrucksweise erfreut,
klagend und ratheischend die Wirkliclikeit und
köstlich erdichtete Einbildungen abhandeln,
und durch diesen Gegensatz zwischen Inhalt
und Form wirkt die feine Komik des Ganzen
noch unwiderstehlicher.
Wie die alten Briefe meist an einen Ma-
gister Ortuinus Gratius, Professor der scholasti-
schen Philosophie an der Universität Köln,
einen der hartnäckigsten Gegner des Humanis-
mus, gerichtet waren, so sind die neuen, und
zwar allein, an Dr. Arnold Rüge geschrieben,
den „humanistischen" Philosophen, wie er sich
selbst nennt; „den roten und ganz abstrakten"
— oder unverständlichen — wie ihn der
Dichter bezeichnet. Rüge war als eine hervor-
ragend „polemisch-kritisch-humoristische" Natur
zum geistigen Mittelpunkt dieser Spottschrift
gleichen Charakters als deren Empfänger vor-
züglich geeignet Schon im Sommer 1848
hatte er nach einigen hitzigen, aber erfolglosen
Tribünengefechten zornwütig Frankfurts Staub
von seinen Sohlen geschüttelt und war nach
Berlin gegangen. Von dort aus hoffte er durch
seine Zeitschrift „Die Reform" viel besser für
die demokratische Sache wirken zu können.
Früher Docent der Philosophie an der Universität
Halle, hatte er mit Echtermeyer die „Hallischen
Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft"
(spater „Deutsche Jahrbücher") herausgegeben,
die als das bedeutendste litterarisch-kritische
und philosophische Organ der Zeit in Hegel-
scher Richtung galten. War er so „als Publizist
eine Autorität, eine Macht für sich gewesen",
wie es in einem Briefe heisst in Nerrlich
Ruges Briefwechsel II, S. 64, — : „der Politiker
hatte sie zerbrochen zum Triumph seiner alten
Widersacher." Die Regierungen hatten ihn
schon ab früheren Burschenschafter mitFestungs-
haft, dann seiner litterarischen Unternehmungen
wegen andauernd mit Verboten verfolgt. So
war er immer radikaler geworden, hatte aber
ebensowenig wie seinen regen Kampfesmut seinen
kecken Humor verloren. Zur Kennzeichnung
seiner Denk- und Redeweise im Parlament
seien hier aus den stenographischen Berichten
nur diese wenigen Sätze herausgehoben: „Da-
mals" (d. h. zur Zeit seiner Verfolgungen, „weil
wir für die Philosophie und für das Prinzip der
Freiheit sprachen") „damals habe ich gesagt:
die Nation, die dies erträgt, ist niederträchtig.
Jetzt sage ich: Die Nation hat dieses Joch ge-
brochen. Das Volk steht jetzt über den Thronen"
(Wer steht über den Thronen?), „diese hohe
Versammlung, die hier versammelt ist, steht
über ihnen, diese Versammlung, die sich nicht
durch Landjunker aus Westphalen und Schlesien
mit brüsken Redensarten ihre Souveränetät wird
nehmen lassen. — Diese Versammlung ist die
deutsche Republik, wenn auch wider Willen . . .
Die heitere Verteidigung des Royalismus —
darauf haben wir hier nicht zu antworten! Wenn
jemand mit Heiterkeit eine Leichenrede hält,
das soll ihm erlaubt sein . . . Die Königin von
England ist mit der Funktion betraut, ihren
Nachfolger zu erzeugen . . . Hier in diesem Saal
ist die deutsche Nation! Wenn wir hinaus-
greifen, so wird aus der deutschen Nation hin-
ausgegriffen . . . Wir wollen uns nicht darüber
entzweien, ob wir die demokratische Monarchie,
die demokratisierte Monarchie oder die reine
Demokratie meinen, im ganzen wollen wir alle
dasselbe: die Freiheit die Volksfreiheit, die
Herrschaft des Volkes etc. etc." Dass solche
Ergüsse mehr mit stürmischer Heiterkeit
als mit zustimmenden Bravos aufgenommen
wurden, ist erklärlich. Rüge ist denn auch,
ebenso wie die meisten der Briefschreiber, von
mehreren der zahlreichen, oft derben Spott-
bilder betroffen worden, die besonders in der
ersten Zeit des Parlamentes erschienen. Zur
Ergänzung der in den Briefen enthaltenen
Charakterzeichnungen ihrer Schreiber nehme
ich auf mehrere dieser Spottbilder Bezug, wie
es mitunter die Briefe selbst unmittelbar oder
mittelbar thun.
Diese Zeitkarikaturen sind in grosser Zahl
nachgebildet in dem im vorigen Jahre erschie-
nenen Buche „Die deutsche Revolution von
184^49" von Dr. Hans Blum, der auch in ihm
(S. 302) die Novae epistolae rühmend erwähnt,
nachdem er ihnen bereits zu ihrem silbernen
Jubiläum 1874 in den „Grenzboten" eine fein-
sinnige Betrachtung gewidmet hatte.
Rüge nun steht in dem noch öfter zu er-
wähnenden Gesamtbilde „Das Ministerium der
Zukunft" im Vordergrunde als „Minister des
Äusseren" — aber wie! Im Gclehrten-Schlaf-
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Schwrtschke, Novae epütoUe
275
rock mit Zipfelmütze, Zopf und Brille, unterm
rechten Arm ein Aktenbündel, tritt er auf ein
Schriftstück und hält mit der Linken eine grosse
Handlaterne hoch. Ein andermal ist er, mit
Bezug auf seine zum geflügelten Wort gewor-
denen „besonderen Anschauungen", dargestellt
von hinten, wie er mit gesenktem Kopf zwischen
den gespreizten Beinen nach vorn hindurch-
schaut, und mit der Unterschrift: „Auch eine
Weltanschauung. "
An ihn, den urwüchsigen Rügener, werden
nun nach Berlin sechs heitere Brieflcin gesendet
von FrankfurterGcsinnungsgenossen aus Hessen,
Schwaben, Schlesien, Deutsch-Österreich, Rhein-
land und Sachsen; es scheint fasst, als hätte
der Dichter mit dieser, wenn auch nicht hervor-
gehobenen, landsmannschaftlichen Zusammen-
stellung die gesamte deutsche Demokratie
treffen wollen.
Den Lesern aber, von denen wohl nur
wenige das vielgenannte Schriftchen in den
Händen gehabt haben mögen, glauben wir
heute einen Dienst zu erweisen, wenn wir kurz
zusammenfassend auf dasselbe hier eingehen.
Mehr als eine flüchtige Andeutung des Inhaltes
der einzelnen Briefe ist hier nicht möglich und
auch die Formfeinheiten zu besprechen würde
zu weit führen. Die Datierung ist: Dez. 1848. —
Als erster der Briefschreiber tritt mit Recht
der häufigste Redner der Linken auf, der
Professor der Naturwissenschaften Karl Vogt
aus Giessen, dem als geistigen Materialisten in
dem Spottbilde vom Ministerium der Zukunft
die Rolle als „Minister des Kultus" zugeteilt
war. Der Scherzreiche, dem es trotz aller
Verstellungskünste auf der Rednertribüne nie
gelang, seine Natur, „die lüsterne Frivolität des
verneinenden Schalkes" zu verleugnen, der sich
also geistig immer in puris naturalibus zeigte,
überschreibt deshalb in altrömischer Weise
seinen Brief mit dem für Jedermann sofort
kenntlichen Decknamen: Carolus Jocosus pro-
fessor in naturalibus Arnoldo Rugio philosopho
S. P. Er beginnt mit der Klage, dass seit
Ruges Fortgang die Sache der Unken immer
bedenklicher in Verfall geraten sei und schliesst
mit der Mitteilung, dass er, um dem Elend
des jetzigen Zustandes in Deutschland abzu-
helfen, sich mit mehreren Freunden zur Gründung
einer neuen und unerhörten Staatsform zu-
sammengethan habe, welche durch ihre Vor-
trefflichkeit alle Monokratieen, Aristokratieen,
Demokratieen und Ochlokratieen radikal ver-
nichten und ersetzen werde : nämlich zur Gründung
einer „Lumpaziokratia". Diese geniale Er-
findung weist auf ein Spottbild, auf dem Vogt
als zerlumpter flotter Handwerksbursche „ohne
Standpunkt", in freier Luft schwebend darge-
stellt ist, ein Bild, mit dem wiederum der Ver-
fasser der Briefe die Anspielung auf Nestroys
bekannte Wiener Handwerksburschenpos.se :
„Der böse Geist Lumpacivagabundus oder das
liederliche Kleeblatt" verbindet Ausserdem
aber dürften vorzüglich die Frankfurter Sep-
temberunruhen mit der Ermordung der Ab-
geordneten Auerswald und Lichnowski durch
den Pöbel den Dichter mit zur Erfindung der
edlen Lumpaziocratia veranlasst haben, zu deren
Präsidenten Carolus Jocosus selbst, in naivster
menschenfreundlicher Theorie, von seinen Freun-
den erwählt zu werden hofft —
Hatte Karl Vogt in einer neuen Staatsordnung
das Heil gesucht so sieht es Prof. Wilhelm
Zimmermann aus Stuttgart, der Geschichts-
schreiber der Bauernkriege, hervorgehen aus
einer von ihm verlangten Besserung der Ruge-
schen Philosophie, die die Besitzenden nicht
anziehe, und seiner philosophischen Kunstaus-
drucke, die für den gemeinen Mann nicht ver-
ständlich seien. Mit diesem Tadel hatte Zimmer-
mann Ruges nicht volkstumliche Gelehrsamkeit
in feiner Weise getroffen, was das Spottbild
„Ein gelehrter Hanswurst" in gröberer Weise
thut wo er auf der Rednertribüne in ähnlicher
Weise dargestellt ist, wie im Ministerium der
Zukunft. Zimmermann selbst Guilelmus Ligni-
faber, seiner innem Natur nach einen durchaus
edlen Eindruck machend, erschien auf der
Rednerbühne wie ein kleiner wilder Faun mit
seltener, von ihm selbst wohl kaum geahnter
Hässlichkeit des Antlitzes und kreischender
Stimme; daher der spöttische Zusatz des Dich-
ters zu seinem Namen: cognominatus „amor
et deliciae generis humani." Auch im Zukunfts-
ministerium trägt seine Gestalt in lebhafter
Stellung seiner Hässlichkeit wegen die Unter-
schrift: „Oberster der Mohren und Verschnitte-
nen." Er schliesst seinen Brief mit der Bitte
um herzliche Grüsse an die Berliner Gesinnungs-
genossen, von denen er als volksfreundlicher
Mann vor allen nennt Molitorem tiliae et
Karbium venerabillimum, d. h. den Kaufmann
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276
Schwetschke, Novae eputotae obscurorum virorum etc.
Müller, genannt „Lindenmüller", und den Kon-
ditor „Vater Karbe", zwei bekannte Volksredner
des sog. Lindenklubs, der allabendlich an der
Kranzlerecke zusammenkam. — Ein schlichter
Volks mann, Friedrich Scktöffel aus Schlesien,
Fridericus Loeffelius vir communis, bittet im
dritten Briefe, höchst besorgt um das öffentliche
Wohl, d. h. hier zunächst um die nur „4 thaleros
3 grossos et 9 penningos" enthaltende Kasse der
demokratischen Partei, den Doktor Rüge darum,
in einigen Artikeln seiner Zeitung „Reform"
den vom Briefschreiber beabsichtigten „höchst
dringlichen" Antrag an die Frankfurter Ver-
sammlung aufs wärmste zu befürworten, den
Antrag: Von Reichswegen wird ein Preis von
1000 Gulden ausgesetzt für die beste Kompo-
sition einer grossen — Katzenmusik: pro optima
compositione magnae musicae felinae! Katzen-
musiken waren damals „eine sehr beliebte
musikalische Abendunterhaltung vor den Woh-
nungen missliebiger Persönlichkeiten." Die von
Loeffelius mitgeteilte Begründung seines An-
trages in ausgedehntester logisch-parlamenta-
rischer Weise, ganz als ob es sich um die
wichtigste Angelegenheit der Welt handle,
wirkt durch diesen Gegensatz zwischen Inhalt
und Form ganz besonders humorvoll! Still-
schweigend nimmt natürlich der Antragsteller
an, dass nur ein ganz selbstloser Demokrat den
Preis erringen und ihn der Parteikasse zuführen
werde. Nach weiter unten zu erwähnenden
Aufzeichnungen Wesendoncks war Schlöffe],
dessen Sohn im badischen Aufstande erschossen
wurde, „ein Exfabrikant und Gutsbesitzer, aber
der radikalste Mann im Parlamente. Auch er
hat seinen Frieden später mit der Regierung
gemacht und sein konfisziertes Vermögen wieder
erhalten. Zur Zeit des Parlaments war er der
einzige Sozialdemokrat". Im Ministerium der
Zukunft ist er mit dem Dreschflegel über der
Schulter „Minister der Gerechtigkeit". — Kommt
der ganzen Sammlung Prachtstück in derber
Komik: es ist der hierin an den oft angeschla-
genen Ton der alten Episteln erinnernde Brief
des Adolphus Pratensis, publicista incompara-
bilis (Dr. Adolf Wiesner aus Österreich). Dieser
war ein gemütvoller eifriger Mann, der aber
durch seine langweilige, lehrhafte Redeweise
zum Reichshaus-lcerer zu werden pflegte. Mit
Bezug auf die Qualen, die seine langatmigen
Reden den Hörem bereiteten, ist ihm im
Ministerium der Zukunft die Rolle als „Ober-
Interpellationsrat im peinlichen Höramt" zuge-
teilt. Bei Beurteilung dieses Briefes, wie auch
einer Stelle im Briefe des Lignifaber über die
durchschlagende körperliche Folge eines Wut-
ausbruchs bei ihm, muss man sich erinnern,
wie der bekannte Kirchenhistoriker Hausrath
über Luther sagt, dass „der Ton der Polemik
im XVI. Jahrhundert ein anderer war als heute.
Etwas Unappetitliches, Unanständiges gab es
für dies Geschlecht überhaupt nicht, nichts,
worüber man nicht geredet hätte." Und so
haben unsere neuen Episteln mit diesen An-
wendungen des Grundsatzes naturalia non sunt
turpia einen vorherrschenden Charakterzug der
alten glücklich, wenn auch mit Recht nur
massvoll, nachgeahmt. Der Inhalt des Briefes
ist nämlich folgender. Erfüllt von Entzücken
— Magnum tibi gaudium annuncio, amice
cordialissime! ingens gaudium! Res nostra
floret, floret casu mirifico. Audi historiam fere
incredibilem — erzählt Pratensis im ernstesten
Ton des Ausführlichsten, wie er als personifi-
ziertes „Wiener Tränkchen" durch einen auf
Wunsch gehaltenen Vortrag über die Finanz-
lage Europas dem an bedenklicher, von den
Ärzten nicht zu beseitigender Verstopfung er-
krankten Frankfurter Finanzbaron Rothschild
nach 1 5 Minuten geheilt und dadurch zu „seinem
ewigen Schuldner" gemacht habe. Mit einem
Rothschild als „ewigen Schuldner" aber könne
es der Demokratie naturlich gar nicht mehr
fehlen, und Rüge solle nur schleunigst melden,
wie viel Geld er pro fratris nostris Bcrolinen-
sibus nötig habe. Bei den Göttern der Unter-
welt!, Wiesner werde es dem Rothschild, dem
alle Fürsten Europas unterthan seien, schon
abzapfen, ut oculi ei transeant! Keine aus dem
Zusammenhange gerissene Probe dieses Briefes,
dessen komischste Stelle übrigens an eine Scene
in Molieres „Eingebildeten Kranken" erinnert,
vermag eine entsprechende Vorstellung von
ihm zu geben. Man muss vor allem hier den
Leser auf die eigne Kenntnisnahme des Ori-
ginals verweisen. — ischi«. folgt m H«rt vm.j
-5^
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Von der Münchener Buchausstellung.
Von
Egon Ebart in München.
B P9fw en Beispielen von Berlin, Brünn und Kre-
jfl EBB fcld folgend hat der Ausschuss für Kunst
TO UVM ' m H an<iwark ^ München im Raum 25
KJSSfl der Jahresausstellung im Glaspalast eine
Buthkunstausstcllung eingerichtet, die von den
Herren Hofrat Rolfs, Oberbibliothekar Dr. Schnorr
von Karoisfeld und Architekt Bertsch besorgt wurde.
Der helle, wohnlich und modern eingerichtete
Raum zerfiel in zwei Katalogabteilungeu :
A. Raumausstattung, aus der ich nur die treff-
lichen Keramiken von Elise Schmidt - Pecht -
Konstanz, einen originellen Wandteppich von O.
Schwindrazheim - Hamburg und einen eigenartig
schönen Kometlüster von Bernhard Wenig-Berchtes-
gaden hervorhebe; und
B. Die Buchausstellung selbst
Was alles unter die Bezeichnung „Buchschmuck"
gehört, ist hier zur Schau gebracht; Einbände,
Vorsatzpapiere, Illustrationen, seltenere und auf-
fallendere Drucke, Titelblätter, Umschlagblätter,
Bibliothelczeichen, Lesezeichen, Zeitschriften, Ka-
taloge, Flugblätter u. s. w. sind übersichtlich an-
geordnet und geben, erfreulicherweise in nicht er-
drückender Zahl, ein gutes Bild der modernen
Buchkunst unserer Tage. Wo es anging, ist alles
archaistische möglichst vermieden und ausge-
schlossen worden, und, — sieht man auch man-
ches Überschwängliche, Phantastische, so ist doch
auch sehr viel Gutes und ästhetisch Schönes vor-
handen, uns zeigend, dass wir auf dem richtigen
Wege zu einem eigenen, charakteristischen Stile
unserer Tage sind und die alte, köstliche Buch-
kunst wieder zu Ehren gebracht haben. Vor
5 — 8 Jahren wäre diese Sonderausstellung mit ihrer
entschieden ausgeprägten Eigenart noch nicht mög-
lich gewesen.
Infolge der Auswahl fällt Nachstehendes als
geschlossenes Ganze besonders auf:
I. Die einheitliche Gruppe der ganz ausge-
zeichneten dänischen Sachen eines Bindesböll-
Kopenhagen, Einbandentwürfe (z. B. für Madsens
J. Th, Lundbye; ältere Edda), CÄfWKwZ-Kopenha-
gen fEinband zu Verdens Storbyer), Fred llend-
riiton-Kopenhagen, G. //«/««««-Kopenhagen (Ein-
band zu Slaegten Heilmann), Anker Kyster-Kopen-
hagen (sehr gute Einbände), H. 7<p«/r-Kopenhagen,
Einbandentwürfe (z. B. zu Ny Carlsberg); der Verein
für Buchhandwerk, der Buchhändlergehilfenverein
und das Kunstindustrie-Museum, sämtlich zu Ko-
penhagen, haben sich durch Überlassung der dä-
nischen Buchschmucke, die mit zum Besten der
Neuzeit zählen, ein grosses Verdienst erworben.
II. Die englischen Sachen, die sich namentlich
durch die Buchillustration und durch schönen
Letterndruck auszeichnen. Hier sind zu erwähnen:
A. Beardsley (f; Le Morte Darthur, Salome),
besonders R A. Äv7-London (Midsumroeroights
dream), W-£r<M&y- London (Sleepy Hollav), W. Crane-
London (Shepherds Calendar), A. Gashin (Good
King Wenceslas), Guild of women-binders-London
(Song of Salomon, Einband), Wm. Morris (f.),
Keimscott -Press (Shepherds Calendar), Wm. Ni-
cholson (Sportalmanach), Chs. Ricketts, the Bal-
lantyne Press, London (Einbände, z. B. Sonnets von
Sir Ph. Sidney, und gute Drucke).
III. a) Unter Glas und Rahmen eine Auswahl
von 89 nur modernen Bibliothehxeichen aus der
Ex-Libris-Sammlung (der grössten des Kontinents)
des Grafen K. E. zu Leiningen- Westerburg in
Neupasing-München (16 000 Stück von 1470 — 1899
aller Länder), die Prachtblätter (Stiche, Radierun-
gen, Hobschnitte, Zinkätzungen) von Barloesing,
Diez, Döpler, Eckmann, Am Ende, Erler, von
Foelkersam, Greiner, Hirzel, Klinger, Lechter,
Orlik, Sattler, von Schennis, Thema, Ubbelohde,
Vogeler, Wenig; Bell, Crane, Ospovat, Sherborn,
Simpson, West; van Hoytema; Rassen/osse; Cheret
etc. aufweist und wohl imstande ist, zu weiteren,
derartigen Kleinmeisterarbeiten oder zur erneuten
Bethäb'gung der 400 Jahre alten Ex -Libris- Sitte
anzuregen, b) 16 Bibliothelczeichen, reizende
Original -Zeichnungen von Maximilian Dasio-
München.
An der deutsehen Abteilung beteiligten sich das
Buchgewerbemuseum Leipzig, Bruckmanns und
Oldenburgs Verlagsanstalten-MUnchen, Commeter-
Hamburg, E. Arnold - Dresden, Breitkopf und
Härtel-Leipzig (z. B. Frau L. Burger: Zoologie für
Buchdrucker), Schuster und Löffler-Berlin (Der
bunte Vogel) P. Behrens-München, E. Diederichs-
Leipzig, W. Drugulin- Leipzig (mit persischen,
hebräischen und anderen vorzüglichen Drucken),
L. Eschenbach-München (Einband: naturfarbenes
Leder mit patiniertem Metallbeschlag), Verlag der
Jugend-München, deutscher Verein der Bücher-
freunde , Meier - Graefe - Paris, Kaiser- Wilhelm-
Museum- Krefeld (u. a. Menüs et programmes L.
Maillards, Einband von W. Peiler).
Von bekannten deutschen Künstlern sind ausser
den schon Genannten vertreten: W. Caspari-
MUnchen, J. V. Cissarz-Leipzig, J. Diez (dieser
auch mit seiner Spielkartcnserie), die Worpswe-
der H. Am Ende, Fr. Mackensen, Fr. Overbeck
und H. Vogeler (u. a. : Hauptmanns Versunkene
Glocke), dann Fidus(Hoeppener) - Berlin (u. a.
mit „Das festliche Jahr der germanischen Völker")i
M. I<echter-Berlin (Maeterlincks Schatz der Armen),
MUUer-Schönefeld-Berlin (Jacobsens Niels Lyhne),
B. Pankok-MUnchen, J. Sattler-Strassburg i. Eis.,
Frz. Stuck (das hervorragende Bismarckblatt der
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278
Kritik.
Jugend), H. r-to^-Frankfurt-Karlsruhe (Thodes
Federspiele), W. ^-München (Mopsus, Fauns-
komödie) u. a. m.
Als besonders schöner Druck ist die in unge-
wöhnlich grossen, roten und schwarzen Buchstaben
ausgeführte, riesige „Denkschrift des deutschen
Buchgewerbevereins Leipzig" zu nennen, die sogar
eine besonders fllr diesen Fall gedruckte Widmung
an den „Ausschuss für Kunst im Handwerk, Mün-
chen" enthält
Zu allgemeiner Besichtigung waren auf einem
Tische aufgelegt: Zeitschrift für Bücherfreunde, Patt,
Dekorative Kunst, Kunst und Handwerk, Ex-Librit-
Zeitschrift, Formenschatz, Das deutsche Zimmer,
Kunstwart, Federspiele, Jugend, Simplicissimus.
E. Gabelsberger-Miinchen hatte Vorsatzpapiere,
Notizbücher, Fidus Lese- (Buch- oder Merkzeichen
für Velhagen und Klasing- Leipzig und Henckell-
ZUrich ausgestellt
Da es der Raum verbietet, alles autzuzählen,
seien nur noch vom schwacher vertretenen Ausland
erwähnt Amerika: Emilie Delafield-New York (Alice
in wonderland), T. B. Meteyard-Boston. Belgien:
K Daudela-Brüssd (u. a. Pol de Monts Van Je-
sus, Dat Liedecken v. h. Halevynes, Binus, —
höchst eigenartige Illustrationen), G. Minne-Brüssel,
H. v. d. Velde, Uccle-Brüssel. Holland: Th. van
Hoytema- Amsterdam (Twee Hanen). Frankreich:
Jossot-Paris,L. Lebegue-Paris, Peintres-Lithographes-
Paris u. a; die Mehrzahl dieser letztgenannten
ausländischen Gegenstände war vom Buchgewerbe-
museum-Leipzig, Meier-Graefe-Paris und Commeter-
Hamburg ausgestellt worden.
Im Raum 22, der neben der Buchausstellung
liegt, hatte Herr Kunstmaler Rieh. Riemerschmid,
Neupasing-München, ein eigenes, modern ausge-
stattetes Zimmer eingerichtet, in dem unter vielen
anderem auch noch moderner Buchschmuck aus-
gestellt war, so HA. ÄrÄ'-London (Keats Poems),
W. Bradley-London (Irvings Rip van Winkle), H.
M Brock-London (Handy Andy), einige dänische
Einbände vom Kunstindustriemuseum Kopenhagen,
E. Diederichs- Leipzig (Novalis und Spitteier),
Meier-Graefe-Paris (Einband zu Chansons de Beran-
ger und Baron Münchhausen); Einbände der Guild
01 women binders-London; Karlslake & Co., Lon-
don; L. Moe -Kopenhagen (Konvolute); Bücher
aus den Buchgewerbe- und Kunstgewerbemuseen-
Leipzig, englische illustrierte Werke u. s. w.
Diese ganze Buch-Sonderausstellung bietet eine
Fülle von interessantem Material und wird un-
seren strebsamen Jüngern der modernen Richtung
in München sowie fremden Gasten viele neue An-
regungen geben; sie wird von den Besuchern des
Glaspalastes ebenso fleissig besichtigt und studiert
wie die Säle mit Gemälden und Skulpturen. Prinz-
regent Luitpold erwies unsrer Buchkunstausstellung
und ihren Veranstaltern die Ehre, zur Eröffnung
am 15. Juli selbst zu erscheinen und seine hohe
Anerkennung auszusprechen.
Kritik.
Racon Shakespeares Venus und Adonis. Ein buch-
stäblich genauer Wiederabdruck der ältesten Original-
ausgabc vom Jahre 1593, verbunden mit der ersten
wort- und sinngetreuen Übersetzung und Erläuterung.
Nebst mehr als 100 Büdcrtafcln. Leipzig, Edwin Bor-
manns Selbstverlag. 1899. Lex., XIII, 277 S. (M. 20;
in Halbfranz M. 22,50).
Ich möchte von vorn herein betonen, dass ich kein
Anhänger der Bacon-Hypothese bin und dass mich
auch Edwin Bormanns neuerliche Beweise nicht haben
überzeugen können. Trotzdem hat mich das vorliegende
Werk auf das allerhöchste interessiert, das Werk eines
geistreichen und eminent schartsinnigen Forschers,
dem ich schon deshalb die weiteste Verbreitung
wünsche, weU es auch abgesehen von den vielfach
anfechtbaren Argumentationen des Verfassers zahl-
reiches Neue und Wissenswerte erbringt
Das Buch beginnt mit einer wortgetreuen Ver-
deutschung von „Venus und Adonis", jenem glutvollen
Liebesgedicht, das 1 593 zum ersten Male gedruckt und
auf dessen Widmungsseite gleichfalls zum ersten Male
der Schriftstellername Shakespeares genannt wurde.
„Venus und Adonis" ist nicht oft in das Deutsche über-
tragen worden und fehlt in den meisten Shakespearc-
ausgaben (auch in der letzten, von Prof A. Brandl
herausgegebenen). 1783 übersetzte H. C. Albrccht das
Gedicht 1791 J- J. Eschenburg ein Bruchstück, 1827
A. Schumacher, 1849 Freiligrath und 1894 A. von
Maunlz. Eschenburgs Übertragung ist in Prosa, die
drei letzten sind, wie das Original selbst in funfiussigen
Jamben gehalten. Freiligraths Verdeutschung ist in
poetischem Sinne die gelungenste, aber durchaus nicht
wortgetreueste. Bormann hat sich dagegen bemüht,
dem Original möglichst Wort um Wort zu folgen;
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Kritik.
279
trotzdem dies geschehen und er infolgedessen auch
auf den Reim verzichten musste, stehe ich nicht an,
seine Übersetzung als eine ganz ausgezeichnete, wahr
haft mustergültige zu bezeichnen. Bei aller seiner
Sprachgewandtheit mag es ihm nicht leicht geworden
sein, sich ängstlich genau an das Original zu halten;
dass ihm dies möglich gewesen und dass dennoch
von den dichterischen Reizen des Urbilds nichts ver-
loren gegangen, ist ein nicht hoch genug anzuschla
gendes Verdienst
Originaltext und Obersetzung werden von erläu-
ternden Glossen begleitet. Bonnann versucht nach-
zuweisen, die Parabolik der Dichtung solle besagen,
dass Francis Bacon, der Rechtsgclehrte, Naturforscher
und Philosoph, der wahre Dichter, William Shake-
speare, der Schauspieler, aber nur die vorgeschobene
Maske sei. Das ganze Gedicht sei gewissermassen eine
Allegorie auf das Wappen Bacons. Adonis sei die Per-
sonifikation des Wappenschildes: Bacon selbst — der
Eber die des Wappentieres: Shakespeare — und
Venus die Verkörperung der Poesie. Und nun belegt
Bormann Zeile um Zeile der Dichtung mit seinen Be-
weisen. Man folgt ihm anfänglich willig und gern, denn
Vieles von dem, was er sagt, scheint den Nagel auf
den Kopf zu treffen, erscheint in der Auslegung
sehr plausibel. Aber diese Beweisführung
wird immer mehr zu ausgeklügelter Tüftelei.
Er begnügt sich nicht damit, auf alle die An-
spielungen hinzuweisen, die in dem Poem auf
Heraldik und Jurisprudenz enthalten sind oder
die man so deuten könnte, sondern geht noch
erheblich weiter. Des Ausdruck „sweaüng
palme" in der V. Strophe erklärt er durch
Bacons wissenschaftliche Anschauung, eine
feuchte Hand sei ein sicheres Zeichen der
Jugend; die Silben „back" und,,bac" sind ihm
in der Verbindung mit der Präposition ,,on"
Anspielungen auf den Namen Bacon; in der
Zeile „beake on feathers, flesh, and hone"
sieht er eine doppelte Alliteration auf die
Buchstaben F. B.; der Vergleich des Adonis
mit der Sonne dünkt ihm zugleich eine An-
deutung auf den Namen Bacon als Leuchte
(„Beacon") u. s. w. Mit welchem Scharfsinn
Bormann vorgeht, wie weit er aber auch seine
Beweise herholt, mag Folgendes darthun: die
Dichtung hat in der Originalausgabe 199 Stro-
phen, die genau 50 Seiten füllen. Die Mitte
des Buchs, am Schlüsse von S. 25, enthält
auch den dramatischen (iipfelpunkt der Hand-
lung. Strophe 99 schliesst: „He on herbelly
fall's, she on her backe'', ßormann argumen-
tiert nun : „Dadurch, dass der Dichter erst des
Adonis Fall, dann den der Venus schildert, wo
man doch das umgekehrte erwarten müsste,
erreicht er, dass die Worte „on her backe"
(Bacon) in den Keim, an das Ende der Zeile,
an das Ende der Strophe, an das Ende der
Seite und somit in die mittelste Mitte der
Dichtung und des Buches zu stehen kommen.
Da überdies die Seite den fünften Bogen des
Buches beginnt, so musste sie selbst dem, der das noch
unaufgeschnittene Buch im Jahre 1593 im Buchladen
in die Hand nahm und mitten aufklappte, vor allen
anderen zuerst in die Augen fallen". . . Geistreich
herausgeklugelt hat Bonnann auch die Bedeutung der
Klammem. Als Beispiel höre man: „die drei Worte
der ersten Klammer, in Strophe 2: 'Thrisc fairer then
my seife, (thus she heg an)' enthalten ein doppeltes
Wortspiel. Denn 'thus' heisst nicht nur 'so', sondern
auch 'Weihrauch'. Es giebt somit ein Wortspiel mit
dem gleichfalls Weihrauch bedeutenden englischen
Worte 'Irankim cnse', während 'began' ein Wortspiel auf
'Bacon' giebt. 'Thus she began' gleich 'frankinecnse she
began 1 . . . wir haben in der Klammer nun fast alle Buch-
staben, welche den Namen Francis Bacon zusammen-
setzen. Mit Franc (Verkleinerung von Franzchen) beginnt
der Inhalt, mit began (Bacon) sclüiesst er . . ." In ähn-
licher Weise erläutert Bormann auch den Inhalt der
übrigen Klammern. Auch hier sucht er alle möglichen
Deutungen hervor und vcrschliesst sich dem nahe-
liegendsten : dass in der alten englischen Schriftsprache
genau so wie in der deutschen vielfach Klammem an
Stelle von Kommas oder von Gedankenstrichen, deren
Anwendung man gar nicht kannte, gesetzt wurden.
Neue Ex-Libri» »on E. M. Li Ii er
Ex-Libris Richard Schütter.
Kritik.
Ebenso verhält es sich mit den grossen Buch-
staben bei Beginn von Wörtern, die man beute nicht
gross zu schreiben pflegt. Geistrekher Spürsinn lässt
Bormann u. a. folgendes entdecken: gross gedruckt
ist auf Seite I das Wort „Nimphs", auf Seite 3 „Eagle",
auf Seite 5 „Altars". In den drei Strophen, in denen
diese Worte vorkommen, ist die Wappensymbolik, die
Hinweise auf die Sterne (Sternblumen) und das weiss
und rot im Wappenschilde Bacons, am stärksten be-
tont. „Nimphs" steht in der Strophe mit „white and
red" — „Eagle" mit „beake on" — „Altars" mit
„shield" zusammen („weiss und rot Bacons Schild").
Der „Adler in Greifengestalt", d. h. der Greif, war das
Wappen von Gray's Inn, dem Londoner Gerichtshofe,
an dem Bacon wie der Graf Soulhampton, dem „Venus
und Adonis" gewidmet, thärig waren, und über dem
„Altare" im Ostfenster der Kapelle von Gray's Inn
hing das in Glas gemalte Wappen des Vaters Bacons.
Die Gesamtsymbolik dieser Verse wäre nach Bormann
also: Bacons weiss-rother Schild über dem Altare von
Gray's Inn, dem Gerichtshofe mit dem „Adler-Greifen"
im Wappen, dem Greifenhause . . . Abgesehen davon,
dass es für Greif und Adler im Altenglischen verschie-
dene Ausdrücke giebt und sie auch heraldisch ganz
verschieden dargestellt wurden, scheint mir die ein-
fachste Erklärung für die grossen Buchstaben an un-
erwarteten Stellen im Originaldruck von „Venus und
Adonis" die Thatsache, dass man Ende des XVI. Jahr-
hunderts sehr wenig gewissenhaft in der Schreibweise
zu sein pflegte. In den deutschen Büchern jener Periode
findet man auch oft genug ganz ungehörig Worte gross
und klein gedruckt
Merkwürdig berühren dagegen zweifellos die zahl-
losen heraldischen und juristischen Anspielungen in
der Dichtung. Sie liegen oft auf der Hand. Die häu-
fige Wiederkehr der Worte rot und weiss ist auffallend.
Nach der parabolischen Lösung Bormanns tötet der
vorgeschobene Shakespeare (der Eber) den wahren
Dichter Bacon (Adonis). Ich meine, wenn man auch
annimmt, dass es Bacon schmerzlich gewesen sein
muss, unter dem Druck der sozialen und politischen
Verhältnisse den eigenen Genius nur maskiert der
Öffentlichkeit vorführen zu dürfen, so kann es doch
andererseits nicht recht begreiflich erscheinen, dass
Bacon den Shakespeare so grimmig charakterisiert;
denn der Schauspieler Shakespeare fügte sich schliess-
lich nur den Bitten und Wünschen seines Gönners
Bacon und versteckte ihn hinter seinen Namen. Selbst
zugegeben, dass in „Venus und Adonis" auch ohne
künstlich konstruierte und weit hergeholte Argumen-
tationen vielerlei auf die Verfasserschaft oder Mitarbeit
Bacons hindeutet: das wütende Aufbäumen einer fein-
sinnigen Poetennatur gegen den freiwillig gewählten
Deckmann ist nicht erklärlich. Und erklärt es sich
wirklich aus komplizierten psychologischen Gründen,
so bezweifle ich, dass Bacon seinem Ärger in dem
ersten Werke, das — doch jedenfalls nicht gegen
seinen Wunsch und Willen — den Automamen Shake-
speare trägt, Ausdruck gegeben haben würde.
Der zweite Teil bringt 1 1 facsirnilierte Seiten aus
der Originalausgabe von 1593, von der nur noch ein
Exemplar (in der Bodleian Library in Oxford) vor-
handen ist 1886 liess Mr. William Griggs diese Aus-
gabe photolithographisch vervielfältigen. Ebenso wurde
von der zweiten Quartausgabe, die 1 594 erschien, ein
in 3 t Exemplaren abgezogenes Facsimile durch Mr.
Ashbee hergestellt. Francis Meres erwähnt 1598 die
Dichtung in seiner „Palladis Tamia": „Wie man dachte,
dass die Seele des Euphorbus im Pythagoras lebe,
so lebt die süsse witzige Seele des Ovid in dem glatt-
fliessenden und honigsüssen Shakespeare ; Zeugnis sein
Venus und Adonis, seine Lucretia, seine Sonette" ■ ■ ■
Die Forschung stützte bisher ihre Ansicht, dass Sha-
kespeare der thatsächliche Verlasser der Dichtung
gewesen, gerade auf diese Worte Meres'. Bormann
dagegen meint, zweifellos wieder sehr geistreich ge-
dacht, die Erwähnung des Euphorbus-Pythagoras —
die Seele des Pythagoras im Körper des trojanischen
Speerwerfers Euphorbus lebend (Uias, Vers 806) —
beweise, es sei Meres bekannt gewesen, dass die Seele
Bacons in der seines litterarischen Speerschwingers
Shakespeare gelebt habe: umgedeutet also, dass Bacon
der Dichter, Shakespeare nur der Namengeber ge-
wesen sei. Entschieden hat diese Deutung viel für
sich, zumal Meres ein juristischer Kollege Bacons
und Southamptons war und die Annahme, dass Bacon
selbst an der „Palladis Tamia" beteiligt gewesen, nicht
ohne weiteres zu verwerfen ist. In dem Beginn des
Mottos „Vüia miretur vulgus: mihi flauus Apollo —
Pocuta Castalia plena ministret aqua" sieht Bormann
eine Anspielung auf den Namen William: „William
möge verehren das Volk: doch mir reiche Apollo den
Becher" . . . statt „Gemeines (vilia) möge verehren" . . .
Die nächsten Seiten beschäftigen sich mit dem
Wappen Bacons und seines Vaters und bringen dazu
eine Reihe von Abbildungen. Dann folgen eine syste-
matische Zusammenstellung des Parabolischen in
„Venus und Adonis", eine summarische Übersicht der
Beweise und eine kurze Betrachtung über die 1594
entstandene Schwesterdichtung „Lucrece". Auch „Lu
cretia" ist für Bormann ein ähnlich parabolisches
Gedicht wie „Venus und Adonis"; auch hier findet er
überall Wortspiele und Hindeutungen auf den als
Autor gemieteten Shakespeare und ein geheimnisvolles
Versteckspiel mit juristischen und heraldischen Finger-
zeigen wie gleichfalls wieder mit den Silben „back"
und „on".
Die Reihe der nun folgenden Bildertafeln ist gross.
Sie sollen zur Erklärung der Sach-, Ort- und Zeit-
verhältnisse dienen. Besonders interessant sind die
Briotscben Kupfer zu dem Parabelwerk Bacons „De
Sapientia Veterum", die Bormann in J. Boudoins
„Rccueild'Emblemes divers" (Paris 1638/39) eingestreut
fand, ferner die Facsimiletitcl einer Anzahl anonym
erschienener Shakespearescher Werke, handschriftliche
Facsimiles Bacons und die Wiedergabc des Umschlags
des sogen. Northumberland-Manuskripts, das bisher
als eine der stärksten Stützen des Baconismus galt
Zu den Untersuchungen der Mr. Spedding und Holmes
fugt Bormann mancherlei neues und auch thatsächlich
Uberraschendes, wie die Korrektur bei„By mr. Franncis"
der in derselben Zeile der Name William Shakespeare,
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Krit.k
folgt, und wie die Anknüpfung an des Citat aus der
„Lucretia".
Den Schluss des Werks bilden Porträts, Pläne und
Ansichten; unter ihnen finden sich auch drei wenig
bekannte Southampton- Porträts und eine Abbildung
von Racons Grabdenkmal in St Albans.
Das Buch ist glänzend ausgestattet, von Hesse
& Becker in Leipzig auf Kupferdruckpapier gedruckt
und solide gebunden. Fedor v. Zobeltit*.
m
Die Schweis im neunseknten Jahrkundert. Heraus-
gegeben von schweizerischen Schriftsteilem unter
Leitung von Paul Seippel, Professor am eidgenöss.
Polytechnikum in Zürich. Mit zahlreichen Illustrationen.
Erster Band. Lex., $98 S. (Verlag von Schmid&Francke
in Bern und F. Payot in Lausanne). M. 18.
Schwei t. Von /. C. Heer. Mit 181 Abbildungen
nach photographischen Aufnahmen, einer Bunttafel
und einer farbigen Karte. Band V von Land und Leute.
Monographien zur Erdkunde, in Verbindung mit her-
vorragenden Fachgelehrten herausgegeben von A.
Scoöel. Gr.-8°, 192 S. (Velhagen & Kissing in Bielefeld
und Leipzig). M. 3.
Das erstgenannte Werk ist auf drei Bände geplant
und dürfte mit Abschluss des ersten Jahres im neuen
Jahrhunden beendet vorhegen. Der Eröffnungsband
gliedert sich in fünf grosse Hauptabschnitte. Der ein-
leitende Ted, von Dr. Theodor von Liebenau verfasse,
beschäftigt sich mit der Geschichte der Schweiz am
Ausgange des XVIII. Jahrhunderts. Als um die Mitte
des XIII. Säculums ghibellinisch gesinnte Edelleute
am Vierwaldstättersee den Grund zu der Vereinigung
der Urkantone legten, aus der die Eidgenossenschaft
hervorwuchs, da ähnelten Land und Leute noch der
Beschreibung des Sankt Galler Mönches Notker: dura
viris, dura fide, durissima gleba. Aber zu Voltaires
Zeiten haue der Aufschwung der gewerblichen Ver-
hältnisse selbst der Natur ihre ursprüngliche Rauheit
abgerungen und das Klima gemildert: die Schweiz war
bereits das Reiseziel der Fremden geworden. In poli-
tischer Beziehung gährte es seit 1712. Es fehlte an
einer systematischen Verwaltung; das Land zerfiel
gewissermaßen in eine evangelische und eine katho-
lische Republik. So war es erklärlich, dass die Ge-
schicke der Schweiz in diesem Zeitraum lediglich durch
äussere Einflüsse bestimmt wurden. Numa Droz schil-
dert die Entwicklungsgeschichte des Landes von 1798
ab in dem zweiten, umfangreichsten Abschnitte des
Werkes. Die Periode von 1798 — 1815 zeigt den wieder-
holten Überfall der Schweiz durch ihre Nachbarn im
Westen und Osten; die weitere, bis zum Jahre 1848
reichende Periode kennzeichnet sich durch das ener-
gische Bestreben der Nation, ihre Selbständigkeit zu-
rückzugewinnen, und die dritte (bis 1874) umfasst die
Geschichte der Wiedergeburt des Landes, während
die bis zur Gegenwart reichende Schlussperiode end-
lich die Schweiz in der ganzen Fülle ihres demokra-
tischen Machtbewusstseins zeigt Auf der Basis dieser
Viergliederung entrollt Droz in grossen Zügen ein aus-
gezeichnetes Bild der politischen Geschichte der Re-
Z. f. B. 1899/1900.
publik in unserem Jahrhundert. Er beginnt mit der
französischen Invasion, die den Grund zu der Einheits-
verfassung von 1803 legte und der die Mediationsakte
und die Wiener Verträge folgten. Nach der Restau-
ration brechen die ersten Kämpfe um die Verfassungs-
änderung aus, fast zugleich mit neuen ernsthaften Ver-
wicklungen mit dem Auslande. Aber die kantonalen
Revolutionen stärken unbewusst den liberal- demo-
kratisch-nationalen Gedanken, der im Jahre 1848 in
der Bundesverfassung versöhnenden Ausdruck findet.
Auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten
wird fester und energischer; neben mancherlei Schatten
zeigen sich glänzende Lichter, wie die Lösung der
Neuenburgfrage und die glücklich durchgeführte Neu-
tralitat während des deutsch-französischen Krieges.
In allen diesen Schilderungen zeigt sich Droz ab ein
Historiker grossen Stils und, wie beispielsweise
das Kapitel über Neuenbürg beweist, als ein gerechter
Beurteiler. Wie wenig befangen er ist, geht auch aus
seiner Schlussbetrachtung in dem resümierenden all-
gemeinen Überblick und seinen Warnungen vor über-
triebenen Demokratismus und Individualismus hervor.
Dr. Karl Hilter berichtet über die Gründe und die
Entwickelung des schweizerischen Staatsrechts in einer
funfiig Seiten langen Abhandlung, die auch in inter-
essanter Weise die Frage des Sozialismus streift. Das
Kapitel über die Armee hat den Obersten Ed. Secretan
zum Verfasser. Die Katastrophen von 1803, 1813 und
181 S hatten die Schweiz das Einsehen gelehrt, dass
eine „Neutralitat", die sich nicht zu verteidigen weiss,
nutzlos ist Noch immer ist das schweizerische Heer
kein vollkommenes; aber eine Armee von 150000 Mann
Stärke wird immerhin die Neutralität ihres Landes mit
Nachdruck zu verteidigen verstehen. Im letzten Ab-
schnitt des Bandes schildert Prof. Ernst Röthlisberger
die internationale Bedeutung der Schweiz, die von den
Zeiten der philhellenischen Bewegung ab bis zur Be-
gründung der Genfer Konvention ständig gewachsen
ist Das Schlusskapitel behandelt kurz den Schweizer
in der Fremde und die Ursachen der Auswanderungs-
bewegung.
Ein grosses Gesamtwerk lässt sich nicht immer
leicht nach dem Eröffnungsbande beurteilen. Aber das
Eine kann man schon nach dem vorliegenden Bande
behaupten : dass Plan, Anlage und Einteilung vorzüglich
sind. Dem Schweizervolke ohne Unterschied der
Sprachen, Parteien und religiösen Überzeugungen soll
das Buch gewidmet sein; gewissermassen ein schwei-
zerisches Gegenstück, wenn auch kein so umfang-
reiches, zu dem österreichischen Kronprinzenwerke.
Es ist natürlich, dass sich ein derartiges Werk, das ein
Bild des ganzen nationalen Lebens eines Landes ent-
rollen soll, aus verschiedenen Beiträgen zusammen-
setzen muss. Dass trotzdem ein einheitlicher Zug erzielt
worden, ist vielleicht das Verdienst des Herausgebers,
vielleicht auch den Bemühungen aller Mitarbeiter zu
verdanken, die bei völliger Freiheit ihrer Meinungs-
äusserung doch nie das Ziel aus dem Auge verloren: ein
im besten Sinne volkstümliches Werk schaffen zu w ollen.
Eine grosse Fülle von Abbildungen nach Original-
zeichnungen schweizerischer Meister, von Stichen und
36
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Kritik.
Dokumenten schmückt das Buch und gestaltet es auch
illustrativ sehr ansehend aus.
Während hier die Wiedergabe von Landschaften
und Städtebildern fast gänzlich fehlt, bringen die Ab-
bildungen in der Heerschen Monographie lediglich
solche und zwar, wie wir gleich vorausschicken wollen,
in ausgezeichneter Reproduktion nach Photographien
aus rühmlichst bekannten Ateliers. Das Heersche Buch
ist der fünfte Band einer Serie ethno- und geographi-
scher Schilderungen nach dem Muster der bekannten
kunst- und welthistorischen Monographien der Firma
Schweiz führt, weiss ich, dass ich ausser dem Bädecker
dies prächtige Heersche Buch mit mir nehme.
Klaus v. Rheden.
Die Anfängt des Johanniter ordens in Deutschland,
besonders in der Mark Brandenburg und in Mecklenburg.
Von Julius von Pflugk - Harttung. Berlin, J. M. Spaeths
Verlag, 1899. 4°, 178 S. M. 5.
Eine Geschichte der niederdeutschen Balai des Jo
hanniterordens ist noch nicht geschrieben worden. Die
Herausgeber der märkischen, pommerschen,
mecklenburgischen und einiger anderer Ur-
kundenwerke, ferner Delaville Le Roulx in seinem
Chartulaire Gentfral, haben zwar vereinzeltes
Material erbracht, aber das Meiste ruht noch un-
berührt und ungehoben in den Archiven. Pro-
fessor v. Pflugk-Harttung hat nun den Versuch
unternommen, in dem vorliegenden Werke einige
der dunkelsten Punkte in den Anfängen der
Ordensgeschichte aufzuhellen. Der alte Diene-
mann hat in seinen 1767 erschienenen „Nach-
richten vom Johanniterorden" ein mit Heinrich
von Toggenburg 1251 beginnendes Verzeichnis
der Grossprioren gebracht, auf das sich spätere
Forscher vielfach stützten, da es auf einigen im
Berliner Geheimen Staatsarchive liegenden Listen
beruht. Nichtsdestoweniger sind Dienemanns
Angaben im Wesentlichen irrig. Pflugk Hart tun gs
Untersuchungen über das Grosspriorat stellen
vieles richtig; zahlreiche Lücken verbleiben aber
noch immer. Der Titel des Grosspriors wechselt
häufig in den Urkunden; Prior, Präceptor und
Magister finden sich; vom XIII. Jahrhundert ab
wird die Bezeichnung Meister allgemeiner, auch
Obermeisterund Herrenmeister treten auf. Pflugk-
Harttung ist der Ansicht, dass unter dem Ober-
meister der Vorstand der deutschen Zunge zu
verstehen sei. Wir glauben, dass dies nur eine
veränderteBezeichnung für Grossmeister, den Vor-
stand des Gesamtordens, gewesen ist, dass unter
dem „obrosten Meister" dieser verstanden wurde
und Friedrich von Zollern 1392 (Mon. Zollerana
l> P- 3°4) nur als dessen Vertreter galt („stathalter
dez Obrosten Meisters in t titschen Landen"). In
der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts ge-
staltete mi n aie tierrcnmcisterwurac aer israriuen-
burger Balai, welch letztere sich im Haimbacher Ver-
trage völlig vom Konvente im Orient trennte, energischer
aus, und damit begann die glänzende Geschichte dieses
nordischen Ordenszweigs.
Das zweite Kapitel des Werks behandelt die Lokal
würden: die Pflegerschaften, die Komthure oder
Kommendatoren. Nach Pflugk kommt die Bezeichnung
Kommend ator zuerst 1244 in Werben vor; daneben
giebt es für die Vorstände der Johannitemiederlassungen
auch noch längere Zeit die Benennungen Bruder,
Prokurator, Magister, Prior. Würdenanhäufungen sind
in jener Epoche des Werdens und Anwachsens des
Ordens im Norden nichts seltenes.
Schildert der ganze erste Teil des Buches die An-
Neue Ex-Ubru von E. M Lilien.
Ex-Libris Anselm Haitog.
Velhagen & Klasing. Die geschichtliche Übersicht ist
knapp gefasst und bildet nur die Einleitung zu einer
Reihe überaus reizvoller Einzeldarstellungen, die den
Leser vom Bodensee bis zum Montblanc durch alle
Landschaften der Schweiz führen. Von Haller ab bis zu
dem oben besprochenen Werke ist über das schöne
Alpenland unendlich v iel geschrieben worden ; auch an
sogenannten Führern und Reisebüchern fehlt es nicht.
Selten aber habe ich so anschauliche Schilderungen ge-
funden wie hier. Der Verfasser ist nicht nur ein guter
Kenner der Schweiz, sondern auch ein glänzender
Stilist, der leuchtende Farben aufzutragen und fesselnd
darzustellen versteht Und dazu dieser Reichtum an
Bildern I Wenn mich mein Weg wieder einmal in die
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Kritik.
283
fange des Ordens in Deutschland, so giebt der zweite
einen ziemlich genauen Überblick über die weit ver-
streuten historischen Bestände und eine Untersuchung
der inneren Verhältnisse der Balai. Albrecht der Bär
führte den Orden durch die Schenkung der Kirche zu
Werben 1160 in Brandenburg ein. Über die Person
des ersten Herrenmeisters waren bisher die Ansichten
sehr verschieden. Aber es ist nicht zweifelhaft, dass
Pflugk-Harttung recht hat, wenn er Gebhard von Bort-
felde als diesen bezeichnet; auch die politischen Motive,
die zur Erhebung Gebhards geführt haben mögen,
sind anschaulich geschildert.
Der umfangreiche Urkundenteil enthalt u. a.
eine vortreffliche Nachweisung des vorhandenen
geschichtlichen Materials. In älterer Zeit gab es
kein Ordensarchiv. Auch als Sonnenburg Resi-
denz wurde, lebten die Herrenmeister nicht dau-
ernd daselbst, sondern vielfach auf ihren Kommen-
den, wohin auch die Akten verschleppt wurden.
Erst 16 10 erging der Befehl, dass alle Originalakten
in Sonnenburg verbleiben sollten. Die Aufhebung
des Ordens hatte schliesslich eine allgemeine
/.erst reuungdes schon durch die Kriegszeiten stark
gelichteten Materials zur Folge. Professor Pflugk
zählt auf, was er an folgenden Stellen noch an
Akten über den Orden vorgefunden hat: im ge-
heimen Staatsarchiv, dem der Verfasser als Archi-
var angehört, im landwirtschaftlichen Ministerium,
im Königlichen Hausarchiv undin derHofkammer
zu Charlottenburg ; ferner in den Staats- resp. Stadt-
archiven zu Breslau, Braunschweig, Collin, Dres-
den, Frankfurt a.O., Hannover(wcnig), Karlsruhe,
Königsberg, Lietzen, Magdeburg, Prag, Schwerin,
Stettin, Wolfenbüttel.
An neuen Ergebnissen ist das PflugkscheWerk
reich. Es ist ein Fundament, auf dem sich weiter-
bauen lässt In der Darstellung hätten wir uns hin
und wieder einen weniger trockenen Ton ge-
wünscht E. H.
AB
A History of ftohtmian Literature by Francis
Count Lützow. London, William Heinemann.
Dies in England aus verschiedenen Gründen
berechtigtes Aufsehen erregende Werk bildet in
der That eine wesentliche Bereicherung unserer
Kenntnisse über die böhmische Litteratur. Das
Buch gehört zu einer Serie von Arbeiten, betitelt: „Short
Histories of the Literatures of the World", die von E.
Gosse herausgegeben und sämtlich von der Firma W.
1 leinemann verlegt worden sind. Graf Lützow, Diplomat
und Grossgrundbesitzer auf Zampach in Böhmen, hat
schon vor etwa drei Jahren ein vortreffliches Werk über
die Geschichte Böhmens verfasst Da gerade in diesem
Lande die Geschichte mit der Litteratur auf das innigste
verknüpft ist, so war der Autor auf Grund seiner histo-
rischen Studien ausserordentlich befähigt, die beider-
seitige Wechselwirkung anschaulich darzustellen. Seine
ruhige, objektive und vornehme Art, Licht und Schatten
zu verteilen, die Quellenangabe, sowie die Unparteilich-
keit in der Behandlung schwieriger Religions- und
Sprachenfragen, verleihen der Arbeit ein allgemeines
Interesse, ganz abgesehen davon, dass viele berührte
Punkte die Situation Böhmens zu dem Gesamtstaat er-
klärlich machen.
In seiner Vorrede sagt Graf Lützow, dass die
böhmische Litteratur im westlichen Europa so gut wie
unbekannt sei Hierzu kommt, dass geradezu ein Ver-
nichtungskrieg, und zwar im grossen, gegen die Erzeug-
nisse der Landeslitteratur stattgefunden hat Kein dra*
matischesWerk von einigem Wert ist erhalten worden,
dagegen hat der Jesuit Konias sich gerühmt allein 60000
böhmische Werke vernichtet zu haben. Nach der Vor-
Neue Kx-Libris von F. M. Lilien.
Ex-Librii Martin Ure»Uu«r.
rede und Einleitung, aus der wir erfahren, dass der
böhmische Dialekt der slavischen Sprache von ca. 8
Millionen Menschen gesprochen wird, gelangen wir zu
dem ersten Kapitel mit der Überschrift „Die früheste
böhmische Poesie". Hierher gehören zwei richtige
Manuskripte. Das eine derselben, das „Grüneberg-
Manuskript", erklärt der Verfasser „offen, wenn auch
mit schmerzlichen Gefühlen, als eine Fälschung". Das
andere vielumstrittene Dokument aus dem XIII. Jahr-
hundert, das sogenannte „Manuskript von Königinhof',
hält Graf Lützow trotz vielfacher Anzweiflungen für
echt Der Inhalt des ersten Teils besteht aus 6 Balladen,
der zweite Teil aus 8 kürzeren Gesängen. Diese Hand-
schrift, für die auch Goethe sich lebhaft interessierte.
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284
wurde bekanntlich 1817 durch O. Hanka, späteren
Bibliothekar des böhmischen Museums, entdeckt. Im
zweiten Kapitel werden die Vorläufer von Johann Hus,
so namentlich Stftuy, gewürdigt Dieser bediente sich
zuerst der böhmischen statt der lateinischen Sprache
in Werken, in denen sonst die letztere üblich war.
1468 wurde das erste böhmische Werk „The Chronicle
of Troy" in Pilsen gedruckt. Der Verfasser weist
nach, dass ganz unabhängig von Wyclifte das Be-
dürfnis für eineKirchenreform in Böhmen vorlag. Zu den
bemerkenswertesten Vorläufern von Hus werden ge-
zählt: Konrad Waldhauser, Milic, Janow und Stftuy.
Im dritten Kapitel giebt der Autor ein meisterhaft
gezeichnetes Bild von Hus und den Hussiten-Kricgern.
Er erkennt alle Vorzüge dieser gewaltigen historischen
Figur an, aber er nennt ihn unvorsichtig und auch
halsstarrig. Selbstverständlich fehlt Johann Zizka nicht,
der sehr anziehend mit CromweD verglichen wird Die
Briefe des ersteren atmen ganz den puritanischen
Geist, das Vertrauen auf seine gerechte Sache und
das mitunter etwas phrasenhafte Anrufen des Gottes der
Schlachten, das für Cromwell so kennzeichnend war.
Einer näheren Betrachtung wird ferner in den Hussiten-
kriegen die Person und Schriften des christlichsocialen
Chelacky unterzogen, der als einer der grössten Denker
des XV. Jahrhunderts gepriesen wird. Graf Lützow
weist mit Geschick nach, dass viele Ansichten Leo
Tolstois ihren Ursprung aus den Schriften Chelackys
herleiten. Gleichzeitig wird wiederholt darauf hin-
gewiesen, dass zu jener Zeit böhmisch und prote-
stantisch, im Gegensatz zu deutsch und katholisch, jedes
in sich identisch war, beides aber auf Leben und Tod
sich feindlich gegenüberstand. Der Verfasser erklärt
die Bibliographie über Hus als sehr unsicher, im all-
gemeinen aber könne gesagt werden, dass seine besten
Werke in böhmischer Sprache, die seinen lateinischen
Schriften vorzuziehen, in den Jahren 1406 — 1410 ent-
standen seien und von 1 4 1 2— 1 5 immer mehr an innerem
Werte zunehmen. Besonders eindrucksvoll sind die
teils vollständig, teils im Auszuge wiedergegebenen
Briefe des Reformators. Noch kurz vor seinem Tode
sandte er einen Brief in sein Vaterland, überschrieben
„An die gesamte böhmische Nation", der kernig, klar
und eindringlich sich an den Verstand und das Gemüt
seiner Leser wendet
Im fünften Kapitel wird die Litteratur der böhmi-
schen Humanisten kritisch beleuchtet Erasmus, Me-
lanchthon, Luther und die grossen Theologen dieser Zeit
werden, soweit es zur Klarlegung in Bezug auf die Titel-
überschrift des Buches gerechtfertigt erscheint, einer
objektiven Kritik unterzogen. Nach der Schlacht am
weissen Berge wurden der Protestantismus und die böhmi-
sche Sprache vollkommen im Lande unterdrückt —
Eine für damalige Verhältnisse ausserordentliche
Bibliothek, die nach dem 30jährigen Kriege nach
Stockholm wanderte, besassen die Herrn von Rosen-
berg auf Wittingau. Palacky hat diese Sammlung
genau geprüft und sie als eine litterarische Fundgrube
von hohem Wert zur Beurteilung damaliger Zeitverhalt
risse anerkannt.
Kapitel VII beschäftigt sich mit der Wieder-
belebung der böhmischen Litteratur. Nach der Schlacht
am weissen Berge bis zum XVIII. Jahrhundert und so-
gar bis tief hinein in diese Periode beginnt die Massen-
vernichtung böhmischer Litteratur. Graf Lützow sagt
über diesen Punkt: „Katholische Priester, in der Regel
Jesuiten, untersuchten die Häuser der Böhmen in Be-
gleitung von Soldaten; hiervon waren sogar die Bauern
nicht ausgeschlossen. Da diese Geistlichen meistens
nicht böhmisch verstanden, so hielten sie es für das
geratenste, jedes in dieser Sprache geschriebene Buch
zu zerstören." Dort wo die Kenntnis der neuern und
neuesten böhmischen Litteratur noch weniger bekannt
sein sollte, wird das Werk des Grafen Lützow zur
Übersicht der betreffenden Verhältnisse eine bedeu-
tende Erleichterung gewahren. O. v. Schleimt*.
Chronik.
Kleine Notizen.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Die vier neuen Ex-Libris, die wir in diesem
Hefte veröffentlichen, sind von E. M. Lilien entwor-
fen und ausgeführt, jenem jungen Künstler, auf dessen
glänzende zeichnerische Begabung, speziell für den
modernen Buchschmuck, wir schon früher aufmerksam
gemacht haben. Die Bücherzeichen sprechen für sich
selbst und erfordern keine weitere Erläuterung.
Die Zeitschrift der Vereinigung bildender Künstler
Österreichs „Ver sacrun" hat ihren zweiten Jahrgang
begonnen. Das erste Heft interessiert besonders durch
Olbrichs Ausstellungsgebäude des Vereins: antiker
Emst ohne stilistische Schwere zeichnet die Facade
mit ihrem Motto : „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre
Freiheit" aus. Beim Hauptsaal und der Halle wirken
in erster Linie die Dimensionen mit, die man auf den
vom malerischen Standpunkt aufgenommenen An-
sichten absolut beurteilen kann. Ferner rinden wir
zwei Privatinterieurs des Künsders, sowie die Faqade
eines Privathauses in St. Pölten. Die überaus unregel
massige Verteilung der Fenster ermöglicht abwechs-
lungsreich geformte Innenräumcj von aussen kann ich
sie nicht sehr bewundern, auch sind die Bemalungs-
scherze — wie Baumeister Sehring sie einst in Berlin
in Mode brachte — meiner Ansicht nach zu spielerisch.
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28 5
Hier bandelt es sich um eine Rautendelein- Hygieia,
welche eine Schlange tränkt Wer würde es heute
hübsch finden, wenn unsere ernsten Männer sich Schön-
heitspflästerchen auf das Gesicht kleben wollten?
Eine Facade aber ist das Gesicht des Hauses.
Friedrich Königs Zeichnungen und Holzschnitten
gehört das zweite Heft. Im wesentlichen handelt es
sich um Märchendarstellungen von volkstümlicher
Derbheit. In einem Originalhobschnitt „Die Nacht" ist
besonders der kraftige tiefe ultramarine Ton zu loben,
der auch bei anderen Bildern seine belebende Wirkung
zeigt. Auffällig japanisierend ist der dreifarbige Hob-
schnitt „Der Winter", bei dem selbst das Hervorheben
der Kontur durch Farbauslassung nicht europäisch
wirkt
Vom platten Lande holt sich Alois Haenisch im
dritten Hefte seine schlichten Vorwürfe; Bauernhaus und
Hühnerhof hefern ihm unendliche Motive. Die schmeich-
lerischen, beinah frauenhaften Konturen der Kaue
bei ihrer Toilette reizen ihn in stillen Stunden, aber
wenn Wind und Wolken sich aufmachen, ist er draussen
und beobachtet das Spiel der Laubballen an den
Bäumen, die grossen Linien des Geästs der Wipfel
oder die Kurven des fern verdämmernden Waldes.
Inhaltlich möchte ich Schäfers „Kunstenthusiasmus"
(I S. 15) erwähnen. — m.
Die älteste deutsche Übersetttung von Corneille*
„Cid" befindet sich, wie W. Creizenach in der „Zehschr.
für vergleichende Litteraturgesch." mitteilt, in der Ber-
liner Königlichen Bibliothek, wohin sie neben vielen
andern Handschriften aus der Starhembergschen Bi-
bliothek einst gekommen ist Die Übersetzung stammt
aus dem Jahre 1641 und umfasst 69 Blätter. Prof.
Dr. Johannes Bolte beabsichtigt demnächst die ganze
Handschrift in „Sauers Bibliothek deutscher Übersetzun-
gen" herauszugeben.
Im August-Heft der „Deutschen Rundschau" ver-
öffentlicht Ellen Mayer neues aus den Tagebüchern
des Englanders Henry Crabb Robinson, der bei wieder-
holten Aufenthalten in Weimar zu verschiedenen Zeiten
mit Goethe in Berührung gekommen ist Zweierlei
macht diese Mitteilungen besonders wertvoll; wir
empfangen wieder, diesmal aus dem Munde eines Aus-
länders, ein Zeugnis von dem übermächtigen Eindruck
von Goethes Persönlichkeit, und dann erhalten wir
manchen direkten Aufschluss über Goethes Verhältnis
zur englischen Litteratur.
Zu den seltensten deutschen Büchern politischen
Inhalts, die dem Sammler nur ein glücklicher Zufall
in die Hände spielt gehört, wie die Voss. Ztg. schreibt
das zweibändige Werk, das im Auftrage der Polizei-
behörden aller deutschen Bundesstaaten der hanno-
versche Polizeidirektor Dr. Wermuth und der preussi-
sehe Polizeidirektor Dr. Wilhelm Stieber in den Jahren
1853 und 54 über „Die Kommunistenverschwörungen
im XIX. Jahrhundert" veröffentlicht haben. Unter
anderem ist darin den Weberunruhen in Schlesien vom
Jahre 1844 ein besonderer Abschnitt gewidmet und
auch das Weberlied abgedruckt. Einige weitere Kapitel
kommen besonders für die Geschichte Berlins in Be
Dr. Hans Schult veröffentlicht in Band 33 der
„Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum
Schlesiens" einen interessanten Aufsatz über rcuei
schlesische Stammbücher: das des Herzogs Karl Fried-
rich von MUnsterberg-Oels (1 593— 1647) und das des
Breslauer Bürgers Georg Hansel (um 1604).
lm Septemberheft des „Centralblatts für Bibuo-
theksw." erlässt Otto Hupp eine Erklärung gegen die
Kritik dtsDr. Adolf Schmidt isber das interessante Rosen-
t halse he Missale speciale, der sich eine Duplik des Dr.
Schmidt anschliesst Beide Herren verbleiben auf ihrem
alten Standpunkt; Hupp führt noch einige weitere Be-
weise für die Priorität des Missale gegenüber dem Psalter
von 1457 an, die Schmidt zu widerlegen sucht Fest
steht jedenfalls, dass die Kosen thalsche Inkunabel von
grosser Wichtigkeit für die Geschichte des ältesten
Buchdrucks ist, selbst wenn die Huppsche Annahme
sich nicht bewahrheiten sollte.
England
Bei Longmans in London ist die zweibändige Bio-
graphie William Morris' von Mr. Mackail erschienen,
dem Schwiegersohne Sir Burne Jones'. Interessant
darin ist folgende Thatsache. Als Lord Tennyson, der
letzte Poet Laureate, gestorben war, wurde bei Morris
mit Billigung des Ministerpräsidenten angefragt ob er
Tennysons Nachfolger zu werden wünsche? Morris
lehnte ab und machte einigen seiner Freunde die scherz-
hafte Mitteilung, dass dem Marquis of Lome, dem
Schwiegersohn der Königin Viktoria, diese Ehre zuge-
dacht werden solle, weil die eigentliche Amtstätigkeit
eines Poet Laureate in der Abfassung von zeremoniellen
Versen bestehe. Dass der sozialistische Dichter sich
von den ihm gemachten Antrag geschmeichelt fühlte,
hat er nie verhehlt Die Stelle blieb bekanntlich drei
Jahre unbesetzt, bis Lord SaUsbury sie an Alfred Austin
vergab.
DU Ausstellung von Papyrus-Schriften in der
Londoner antiquarischen Gesellschaft. Die in der
Königlichen Akademie in Burlington House von der
genannten Gesellschaft veranstaltete interessante Aus-
stellung bietet die Resultate der von Mr. Grenfell
und Hunt sowohl in Oxyrhynchus und in der Fayünv
Provinz Ägyptens entdeckten Papyri, als auch der in
Naucraris gefundenen Antiquitäten. Letztere wurden
im Auftrage des englischen archäologischen Instituts
in Athen von Mr. Hogarth, dem Direktor dieser An-
stalt im Laufe der vorangegangenen Jahre ausge-
graben. Naucratis liegt an der westlichen Grenze des
Nildeltas, nicht weit von Alexandrien entfernt Oxyr-
hynchus befindet sich etwa 120 englische Meilen süd-
lich von Kairo und ist derjenige Ort in dem Mr.
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286
Chronik.
Crenfcll und Mr. Hunt den sogenannten „Logia Pa-
pyrus" entdeckten. Über letztgenanntes Manuskript
wurde bereits von mir in Heft Nr. 7. Jahrgang I der
Zeitschrift für Bücherfreunde berichtet Dieser Pa-
pyrus, der acht Aussprüche Jesu enthält, ist der ein-
zige schon früher öffentlich ausgestellte, während die
übrigen hier gesammelten Schriftstücke bisher noch
nicht ausgestellt worden sind.
Im Jahre 1896 begannen Mr. Hogarth und Gren-
fell, sowie Mr. Hunt die Ausgrabungen und For-
schungen nach Papyrus-Schriften im Nordosten von
Kay um in zwei Orten, die später durch die dort auf-
gefundenen Dokumente als Karaais und Bacchias iden-
tifiziert wurden und sich als
besonders gute Fundgruben
erwiesen. Im allgemeinen,
ganz abgesehen von dem be-
deutenden antiquarischen
und litterarischen Wert der
aufgefundenenManuskripte,
sind diese Ortschaften na-
mentlich wichtig gewesen
furStädtebestimmungen und
zur Erkenntnis der alten
Geographie Ägyptens. Wir
erhalten auf der hiesigen
Ausstellung Gelegenheit, die
Werke von bekannten oder
uns bisher unbekannten Au-
toren zu studieren, so vor-
nehmlich Fragmentcausder
Zeit vom I. bis V. Jahr-
hundert n. Chr., welche
mehrfach vollständig neue
Materien und divergierende
Lesarten enthalten.
Im Dezember 1898 be-
gannen die Forschungen
nach Papyrus-Schriften in
Kasr el Banat (Jungfrauen-
schloss), das bald als das
alte Euhemeria erkannt
wurde. Der weitere histo-
rische Verlauf der Expedi-
tionsarbeiten und die hier-
durch gelungenen Feststellungen von Ortschaftsnamen
gestalteten sich wie folgt 1 n derUmgebung vonEuhemeria
enthielt eins der Häuser, welches unter der Regierung
Domitians undTrajans einem reichen römischen Bürger,
Namens Marcus Sempronius Gemcllus, gehört haben
musste, über 100 Dokumente, die wohl zur Correspon-
denz des letzteren gezählt werden können. Als die Thür-
schwclle aufgerissen wurde, fand sich auf deren Rück-
seite als Inschrift eine Petition an die Ptolemäcr für das
Asylrecht in den Tempeln. Die dem Sebak und der Isis
geweihten Tempel erwiesen sich als geplündert, aber in
einigen noch nicht geöffneten Kammern wurde eine
Anzahl Papyri in demotischer Schrift, Bronzen, Sta-
tuetten und Ornamente entdeckt In Wadfa wurden
Papyrus-Dokumente gefunden, aus denen hervorgeht,
dass dieser Ort identisch mit dem alten Philoteris ist
Neue Ex-Librii von E. M. Lilien.
Ex-tibrU Richard Fischer.
Kasr Kurfim enthielt Tempel, die bisher noch nicht
nach Papyrus-Schriften durchforscht gewesen zu sein
schienen, denn die Ausbeute war gut und es konnte
mit annähernder Gewissheit festgestellt werden, dass
es sich hier um das alte Dionysias handelt Aus den
betreffenden Dokumenten wurde ersichtlich, dass dieser
Ort als eine Art Grenzposten mit Zolleinrichtungen
errichtet worden war für Karawanen, die aus FayGm
nach den kleineren Oasen zogen. Gerade über die
Lage der Städte Dionysias und Bacchias, und nament-
lich ob sie unmittelbar an den Endpunkten des Sees
Moeris lagen, ist viel gestritten worden.
Unter den biblischen neuentdeckten Fragmenten
stammen die erwähnens-
wertesten griechischen Pa
pyri aus deml 1 1 . J ahrhundert
n. Chr. Sic enthalten Bruch-
stücke aus den Evangelien
Matthäus und Johannes und
Teile der Epistel Pauli an
die Kömer.
Die Papyri in griechischer
Schrift, welche klassische
Gegenstände behandeln, ver-
teilen sich auf die Zeit vom
I. bis VII. Jahrhundert n.
Chr. Die wichtigsten unter
ihnen sind nachstehende:
Fragmente von Herodot,
Sappho, 5. Buch der Iliade
(eine der längsten Rollen),
eine Seite mit 40 Hexa-
metern, j edenf alls aus einem
grösseren Epos stammend,
das aber von hervorragen-
den Kennern als eine Fort-
setzung der Uias angesehen
wird; ferner Fragmente aus
den Schriften des Aristoxe-
nos, eines Zeitgenossen des
Aristoteles, ein Teil des 9.
Buchesvon Piatos Gesetzen,
ein Auszug des verloren ge-
gangenen Schauspiels Me-
nanders „Die verlassene
Frau"; ein Abschnitt des Euclid mit einer Figur, eine
Abhandlung über Maasse, die bisher nicht bekannt war,
und vor allem die wahrscheinlich älteste Lesart des
Buches XXI der Iliade.
Von den zivilrechtlichen und privaten Dokumenten
sind die interessantesten Papyri: drei Quittungen von
der Königlichen Bank in Crocodilopolis (Arsinoe) über
entrichtete Steuern von Bürgern in Theadelphia (aus
der Zeit Eucrgctes II.), eine Verteidigungsrede vor
Gericht, Einladungen zu Festlichkeiten, der Brief eines
Schulknaben an seinen Vater, der Kontrakt eines Lehr-
lings mit seinem Meister (66 v. Chr.), die Ermahnung
eines Vaters an seinen Sohn (I. Jahrhundert v. Chr.),
Rechtsstreitigkeiten u. s. w. Die an einen römischen
Konsul gerichtete Klage eines Ehemanns gegen seine
Frau ist nicht ohne Humor und entspricht so ziemlich
Google
Chronik.
unsen modernen Scheidungsklagen. Auf die Be-
schwerde eines Mäusefingers wird diesem erwidert
(I. Jahrh. nach Chr.), dass er Zahlung nur für „Mäuse
mit Jungen" zu beanspruchen habe. O. v. S.
Über ein gewaltsam expatriiertes Buch lesen wir
in der „R. B.-J.": In London kam kürzlich ein Buch
zum Verkauf, das weder durch seine Seltenheit, noch
durch sein Äusseres irgend welches Interesse verdiente;
es handelte sich um einen zerles enen Band der „Histoire
de Pierre Tevail, dit le Chevalier Bayard sans Peur et
sans Reproche" von Guyard de Merville (Paris, Hansy
jeune M.DCC.LXX11). Interessant an dem Buch ist
nur eine Bemerkung auf dem Schmutzblatt, deren
Anfang wörtlich also lautet: „This Book was given
to me by Col. sir Henry Harding, who took it from
the Library at St Cloud, where he was quartered in
july 1815 . . ." Der französische Erzähler entschuldigt
derartige Übergriffe wohlwollend und fügt hinzu: „Wir
(d. h. die Bibliophilen) hätten uns nur etwas Besseres
ausgesucht!"
Spanien.
In dem Leitartikel eines grossen Pariser Blattes war
vor kurzem ausführlich dargetban worden, dass Spanien
seit zwei Dezennien nicht mehr das Land der pronun-
ciamentos sei, ebensowenig wie Frankreich das Land
der Barrikaden. Man sei auf der pyrenäischen Halb-
insel zur Erkenntnis gelangt, dass gewissenhafte Samm-
lung der Kräfte und tüchtige Arbeit des Einzelnen im
Interesse des Gemeinwesens jetzt mehr not thue denn
je, und daraus erkläre sich die auffällige Apathie des
spanischen Volkes angesichts der furchtbaren Kau-
strophe, von der es im verflossenen Jahre heimgesucht
worden war. Thatsache ist, dass die für Spaniens Macht-
stellung verhängnisvollen Ereignisse des abgelaufenen
Jahres an jenem Gebiete, das den Forscher, den Litte-
raten, den Bücherfreund interessiert, fast spurlos vorüber-
gegangen sind. Die wissenschaftliche, speziell die litte-
rarische Produktion hat im Jahre 1898 nicht nur keine
Herabminderung erfahren, sondern ist vielmehr in er-
heblicher Weise gesteigert worden. Das liesse sich
durch Aufzahl ung bedeutender, erst kürzlich erschienener
Werke leicht darthun, ein solcher Nachweis kann aber
hier mit Rücksicht auf den Rahmen der Zeitschrift für
Bücherfreunde nicht geführt werden. Dagegen dürfte es
den Lesern der Zeitschrift willkommen sein, näheres über
den Inhalt gewisser periodischer Publikationen, die den
Interessen der Handschriften und Bücherkunde dienen,
zu erfahren; auch hier machte sich im verflossenen
Jahre eine fast fieberhaft zu nennende Thätigkeit be-
merkbar. Die bereits seit Jahren bestehenden und auch
ausserhalb Spaniens bekannten Revuen, so das Holetin
der Akademie der Geschichte zu Madrid, die Memorias
der Akademie zu Barcelona, die Espana modern a, das
Boletfn der Sociedad Arquelögica Luliana, des Centre
Excursionista de Catalunya, der Sociedad Espanola de
Excursiones, der Institucion libre de Ensenanza u. s. w.
wurden eifrig fortgesetzt und auf gleicher Höhe erhalten;
noch bemerkenswerter ist der Umstand, dass in letzter
Zeit eine stattliche Zahl ernster historisch-litterarischer
Revuen ganz neu gegründet wurden, so die Revista der
sehr rührigen AsociaciAn artistico-arijucolrigica Harcclo
nesa, das Boleiin der Denkmalkommission zu Orense,
ferner 'La Alhambra, revista quincenal de Art es y
Letras', die Revista deExtremadura u.a. m. Bleibt die
Leistungsfähigkeit der letztgenannten Zeitschriften auch
noch abzuwarten, so darf jetzt schon mh Befriedigung
festgestellt werden, dass namentlich zwei Revuen, deren
Neugriindung in früheren Berichten (Zeitschrift für
Bücherfreunde S. 1 76 u. S. 343 f.) kurz gemeldet wurde, den
Hoffhungen vollkommen entsprachen, die wir an ihr Er-
scheinen knüpften. Es sind dies die Revista de Ar-
chivos, Bibbotecas y Museos, seit 1897 als wettere Folge
der alten gleichnamigen Zeitschrift, aber in wesentlich
erweiterter Form erstanden, und die Revista erftica de
Historia y Literatura Espanolas, Portuguesas 6 Htspano-
Americanas. Namentlich die Revista de Archivos, das
offizielle Organ des Korps der in einer Art von Koo-
krerual Status vereinigten Archivare, Bibliothekare und
Musealbeamten Spaniens darf sich in seinen Dar-
bietungen mit den besten einschlägigen Fachzeitschrif-
ten Europas messen. Nicht zum geringsten Teil ver-
dankt sie dies der Mitarbeit Antonio Paz y Melias, des
Chefs des Handschriftendepartements der National-
bibliothek zu Madrid. Auf die Wichtigkeit des von
diesem Gelehrten veröffentlichten Katalogs der Biblio-
thek 'Haro", d. h. der von Pedro Fernindez de Velasco,
Grafen von Haro im Jahre 145; angelegten, gegenwärtig
in der Madrider Nationalbibliothek aufbewahrten Samm-
lung von Handschriften wurde schon in den erwähnten
Referaten kurz hingewiesen. Herr Paz hat nunmehr
seine umfangreiche und mit peinlicher Genauigkeit
durchgeführte Katalogisierung vollständig veröffentlicht,
und es ist ein abschliessendes Urteil über dieselbe ge-
stattet Die Kollektion Haro, von welcher man früher
nicht einmal eine unbestimmte Kunde hatte, stellt sich
nunmehr der berühmten Handschriftensammlung des
Markgrafen von Santillana würdig zur Seite — auch
mit Rücksicht auf die Werke nationalen Schrifttums,
die in ihr vertreten sind. Man darf unbedenklich
sagen, dass niemand, der sich mit der mittelalterlichen
Litteratur Spaniens beschäftigen will, die in Rede
stehende Arbeit die geradezu neue Horizonte eröffnet,
unberücksichtigt lassen kann. Man vergleiche z. B. die
Mitteilungen des Herr Paz über den codex, der den tra-
tado sobre la jusdeia de la vida espiritual de los hom-
bres des Erzbischors von Sevilla Don Pedro Gomez
Albornoz (wie auch ein Veneichnis spanischer Hand-
schriften der erzbischöflichen Bibliothek aus dem
XV. Jahrhundert) enthält oder über die Handschrift
der spanischen Version: Libro de Lucio Anneo Seneca
que se llaraa de la providencia de Dios, ä Lucüo, die
zum Schluss auch sehr merkwürdige Daten über die
vom Grafen Haro gegründete Orden de Vera Cruz
bietet Auch alte französische Texte sowie xylographi
sehe Drucke finden sich in der Kollektion Haro. —
Ein weiteres sehr wesentliches Verdienst hat sich Herr
Paz dadurch erworben, dass er sein Versprechen, die
wertvollsten Handschriften der Nationalbibliothek nach
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und nach in der Revista ausführlich zu beschreiben, be-
reits eingelöst hat An erster Stelle nennen wir hier
seinen Aufsatz; El libro de ho ras de Carlos VIII. de
Franda (1483—1498). Von der reich mit Bildern gc
schmückten Handschrift werden drei Miniaturen repro-
duziert: Die eine, Ludwig XII. darstellend, und zwei
andere „Triumph des Lebens" und „Triumph des Todes"
mit den Legenden: „Plaisir fait vivre" beziehungs-
weise „Tous a la mort" an den Seiten, ferner mit
achtteiligen französischen Gedichten am unteren Ende.
Dem eigentlichen lateinischen Text der Handschrift
gebt ein Kalender voran. Jeder Monat wird durch
charakteristische Symbolik dargestellt und hat (ebenso
wie die meisten folgenden Miniaturen) eine Legende in
Versen. So z. B. der Januar:
Je me fais ianuier appeler
le plus froit de toute l'anee
mais si me puis je bien venter
que ma saison es approuvee.
Zu dem Ergebnis, dass die an erster Stelle abgebildete
Miniatur Ludwig XII., und nicht, wie zunächst zu er-
warten, Carl VIII. darstelle, ist Paz durch Hinweise
Mazerolles und besonders Durieus, welche die Hand-
schrift studierten, gelangt. Es ergab sich nämlich, dass
die Gestalt des auf Seite 1 12 r. abgebildeten Acteur keine
andere sei, als die des bekannten Buchhändlers Antobe
de Verard, welcher den Meister, von dem, wie Durieu
aus schlagenden Analogien schliesst, die Miniaturen
stammen, Jacques de Besancon vielfach beschäftigte.
Das Bild des Königs, das ganz andere Zeichnung und
Technik aufweist, summt aber von Jean Bourdichon,
der offenbar das früher vorhandene Bild Carl VIII.
durch das Ludwig XII. ersetzte. Das ist der Haupt-
sache nach das gewiss bemerkenswerte Resultat der
Forschungen Paz y Mdias; bezüglich der Einzelheiten
wie auch bezüglich der mitgeteilten französischen
Legenden sei auf den Aufsatz selbst verwiesen. Die
Beiträge: Trotula del Maestra Joan, d. h. eine Art von
Liber de remediis mulieribus eines hochbegabten bis-
lang nur dem Namen nach bekannten catalanischen
Dichters sowie Aelii Antonii Nebrissensis introduetionum
latinarum secunaa eaitio setzen nie .vntteuungen uDer
die Codices notables in erfreulicher Weise fort und
bringen reiches neues Material für die Literaturge-
schichte. — Man kann den übrigen, in Band I und II
der Revista enthaltenen Aufsätzen kein grösseres Lob
spenden, als wenn man feststellt, dass sie ihrem Werte
nach von den Musterarbeiten Paz y Melias nicht weit
abstehen. Eine kleine Revolution dürften unter den
Kennern der alten spanischen Litteraturdenkrn äl ern die
Mitteilungen Pedro Rocasüber die einzige uns erhaltene
Handschrift des ehrwürdigen spanischen Epos, des
Poema del Cid, erregen. Roca weist, bei aller Aner-
kennung der trefflichen Ausgabe VollmöDers nach, dass
ausser dem ersten Kopisten noch einige Korrektoren
bei der Handschrift thätig waren ; die Eintragungen der
letzteren sind durch andere Färbung der Tinte und
kleineren Buchstabencharaktcr kenntlich. Durch die ge-
naue Feststellung des ursprünglichen Textes gelingt es
Roca in der That, eine Reihe von Versen, die bisher
grosse Schwierigkeiten dargeboten haben, in über-
raschend einfacher Weise zu emendieren. Auch die
vielbehandelten Schlussverse werden von Roca in ganz
anderer Form mitgeteilt als bisher; aus allem scheint
aber hervorzugehen, dass wir — im Gegensatz zu der
vielfach und auch noch von Roca vertretenen Ansicht
— kein Diktat eines Jogiars, sondern eine regelrechte
Kopistenarbeit vor uns haben. Es hiesse wahrhaftig
ganze Abschnitte der spanischen Literaturgeschichte
neu darstellen, wollten wir auf den überreichen Inhalt
der beiden Revistabände näher eingehen. Mit Rück-
sicht auf die hier gebotene Kürze seien nur als beson-
ders bemerkenswert noch folgende Aufsätze hervorge-
hoben: Spanische Buchdruckerkontrakte aus dem XV.,
XVI. und XVII. Jahrhundert, mitgeteilt und besprochen
von Cristöbal Perez Pastor; die Sammlung von Porträts
aus dem XV.-XVII. Jahrhundert in der Naöonalbiblio-
thek von A. M. de Barcia; eine scharfsinnige Studie
über den eigentlichen Titel des merkwürdigen „Buches"
des Erzpriesters von Hita, bezüglich dessen Menendez
Pidal feststellt, dass er Jibro de buen amor* gelautet
habe; ferner eine gründliche und umfangreiche Unter-
suchung über Lope de Rueda und das Theater zu seiner
Zeit von Emilio Cotarelo. Endlich sind noch zwei ge-
diegene Biographien berühmter, erst kürzlich ver-
storbener Spanier zu erwähnen: die des iberischen
Polyhistors Pascual de Gayangos von Pedro Roca und
des Bühnendichters Manuel Tamayo y Baus, von Emilio
Cotarelo. Der weite Rahmen, den sich die Revista de
Archivos gesteckt hat — in der von uns gebotenen
knappen Inhaltsangabe der zwei letzten Bände sind ja
nur die Aufsätze aus dem Gebiet der Litteratur- und
Kunstgeschichte berücksichtigt worden — dürfte in Hin-
kunft noch erweitert werden. Die letzterschienenen Hefte
bringen die Mitteilung, dassMarcelino Menendez Pelayo,
der erste zeitgenössische Literaturhistoriker Spaniens,
die Leitung der Revue übernommen habe und dass
unter seinen Auspizien in derselben die Kataloge der
Bestände spanischer Archive und Bibliotheken publiziert
werden sollen. Dass hiermit Schatzkammern von unver-
gleichlicher Bedeutung zum ersten Mal der bibliographi-
schen, literarischen und historischen Forschung eröffnet
werden können, unterliegt keinem Zweifel. Auch darf man,
nach den bisher veröffentlichten Leistungen zu schliessen,
auf den guten Willen und den Eifer der spanischen
Archivare und Bibliothekare mit Zuversicht bauen, wenn
auch wegen der Masse des Materials genug Schwierig-
keiten zu überwinden sein werden. — rb.
Ntuhdruck vertaten. — Alte Reehu vorbehalten.
Ffir die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin.
Alle Sevillas« rcdekCMacDcr Nettr u deuca Adreis«: Berlin W. Ai^iburgeraraitc 61 erben«.
Ccdnickt tob W. Drugatia ia Leipiig für Vclhagtn & Kluing ia Bielefeld «ad Lcipsig. - Papier der
Menufeklur ia Sirauburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilic und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
3. Jahrgang 1899/1900. Heft 8: November 1899.
Schillers „Räuber"
in den ersten Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
Von
Professor Dr. Rudolph Gcnee in Berlin.
:hillersTrauerspiel„Üie Räuber"
hat seine Bedeutung nicht allein
darin, dass es das erste drama-
tische Produkt unsers volks-
tümlichsten Dichters und Dra-
I matikers ist. Die geschichtliche
Bedeutung liegt auch in der Art seiner Ent-
stehung, sowie in seiner Beziehung zu der ganzen
stürmischen Genie -Periode.
Wie Goethes „Götz von Ber-
lichingen", als eine Frucht der
Shakespeare- Begeisterung in
den Köpfen der jugendlichen
Dichter, das erste und grösste
Drama in dieser Sturm- und
Drangperiode war, so be-
zeichnen Schillers „Räuber"
am eindringlichsten den aus-
klingenden I Iöhepunkt und
den wild austobenden Drang
dieser Dichter, sowohl in ihren
grossen Anläufen, wie in ihren
Verirrungen. Wir haben uns
aller, in dieser Richtung für
die Entwickelung unsers Dra-
mas mitwirkenden und be-
stimmenden Umstände zu cr-
z. f. B. 189911900.
Abb. 1. Portrat Schillert
aus der Zeit de« ersten KauberdrucVs.
Nach der Miniaturmalerei auf tllfenbein eines
unbekannt gebliebenen Künstlers.
innem, wenn wir die ganze Tonart in Schillers
„Räubern" — namentlich in den ersten Formen
des Dramas — verstehen wollen.
In die allgemein verbreitete Gesamt- Ausgabe
der Schillerschen Werke ist das Stück bekanntlich
nach dem ziveitcn Originaldruck desselben, vom
Jahre 1782, aufgenommen worden. Aber der sehr
seltene erste Druck von 1781 enthält viele, von der
zweiten Ausgabe erheblich ab-
weichende Dialogstellen, die
für die Litteraturgcschichtc
ihre Wichtigkeit behalten, auch
wo sie abstossend und für
unser Gefühl zum Teil wieder-
wärtig sind.
Von zwei ganz verschiede-
nen Seiten hatte das Geistes-
und Gefühlsleben der Dichter
jener Epoche die starken An-
regungen erhalten: einerseits
von Shakespeare , nachdem
dessen Werke erst seit kurzem
in die deutsche Litteratur ein-
geführt waren; anderseits von
Jean Jacques Rousseau. Wäh-
rend bei dem jungen Goethe
und in der ihn umgebenden
37
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290
Genie, Schillew „Räuber" in den ertten Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
Gruppe der Sturm- und Drangdichter, — Rein-
hold Lenz, Klinger, Leopold Wagner und Maler
Müller, — ganz besonders Shakespeare sowohl
für die ungebundene und den „Regeln" sich
entziehende dramatische Form, wie auch für
den Ausdruck wahren menschlichen Empfindens
und echter Leidenschaft als Offenbarung be-
wundert wurde, hatte für Schillers mehr social-
revolutionäre Richtung Jean Jacques Rousseau
den Katechismus der allgemeinmenschlichen
Freiheit und der Naturrechte gegeben. Mehr
als einer der genannten Vorgänger hatte der
jugendliche Schiller dabei alles auf die äusserste
Spitze getrieben, sowohl in dem sprachlichen
Bombast und den ungeheuerlichen Übertrei-
bungen, wie auch in jenen Dialogstellen, in
denen er die gemeinen Naturen eines Spiegel-
berg u. s. w. zu charakterisieren meinte. Auf
diesen letzteren Punkt kommen wir später noch
zurück.
Zu dem Stoffe der „Räuber" hatte eine im
„Schwäbischen Museum" 1775 abgedruckte Er-
zählung von Fr. D. Schubart unter der Über-
schrift „Zur Geschichte des menschlichen Her-
zens" die Anregung gegeben. Es war die
Geschichte zweier sehr ungleich gearteten
Brüder, von denen der bessere, aber leicht-
sinnige Karl von dem anscheinend ehrbaren
und frommen, in Wahrheit aber nichtswürdigen
Wilhelm (Schillers Franz) durch berechnete
Tücke und Verleumdungen ins Verderben ge-
stürzt wird. Schon Reinhold Lenz hatte sich
mit der Dramatisierung dieses Stoffes beschäf-
tigt, wie wir aus den in seinem Nachlass vor-
gefundenen Entwürfen erfahren haben. Schiller
aber hat in seiner feurigen Phantasie den Stoff
selbständiger und kühner erfasst, und was an
Übereinstimmungen mit den Lenzschen Ent-
würfen auffällt, ist auf die gemeinsame Quelle,
eben jene Erzählung Schubarts, zurückzuführen.
Die ältesten gedruckten Ausgaben des Schil-
lerschen Dramas bieten in bibliographischer Hin-
sicht mancherlei Schwierigkeiten. Ehe wir diese
erörtern, mögen hier die ersten Drucke mit
ihren Titeln und sonstigen äusseren Merkmalen
verzeichnet sein.
» Ausgabe A, noch ohne den Namen des
Dichters (Abb. 2):
Die Häuber. | ctin Sdiaufpiel | ((Titclbilb) |
fraticffurt unb £eip3ig | \7S\.
Der Kupferstich auf dem Titelblatt bezieht
sich auf die Scene des Schauspiels, da Karl
Moor vor seinem, aus dem Turm befreiten
Vater Rache gelobt Karl ist in antik- römi-
scher Gewandung, das Schwert in der Rechten,
den Kopf wie auch den linken Arm nach oben
gerichtet. Vor ihm liegt der alte Moor be-
wusstlos am Boden, neben ihm Hermann. Auf
der Rückseite des Titelblattes:
1 1 ippoerates.
Quae medicamenta non sanant, ferrutn
Sanat, quae femim non sanat, igois sanat.
Unter dem Personenverzeichnis:
(Der Ort ber «Befchidite ijt Ceuifdjlanb, bie
Seit ofjngefäbr jtoei 3<*f?r«.)
Die „Vorrede" (Blatt 3 — 8) ist die bekannte,
die auch in der Gesamtausgabe der Werke dem
Stücke vorgedruckt ist (beginnend: „Man nehme
dieses Schauspiel" u. s. w.) und ist unterzeichnet:
«ßefcfcrieben in ber (Dftcrmeffe
\78{ Der fjerausgeber.
Ausser dem Titelbogen (mit Vorwort 8
Blätter) hat das Bändchen 222 Seiten. Die
letzte Seite enthält nur noch die Schlussworte
aus dem letzten Satze des Karl Moor. Dann
folgt ein Kupferstich: Charon im Nachen, in
welchem zwei Römer stehend sich begrüssen
oder verabschieden. (Jedenfalls Caesar und
Brutus darstellend, mit Bezug auf die von Karl
Moor gesungenen Strophen in der 5. Scene
des 4. Aktes.)
Ausgabe B:
Die Räuber. | £in Sdiaufpicl | von fünf Elften
| £}erausgegebcn j 001t | 5ri&erid} Schiller. | (Da-
runter das Bild eines nach rechts aufsteigenden
Löwen, mit der im Kupferstich selbst enthal-
tenen Schrift: In Tirannos | ^roote 2luflcige. |
5rcmffurt unb Ceipjtg | b«i (Cobias Cöffler | \782.
Auf der Rückseite des Titelblattes, wie im
ersten Drucke, das Motto aus Hippocrates.
Unter dem Personenverzeichnis auf dem zweiten
Blatte steht:
(Der Ö)rt ber ««fliehte ifi (Eeutfchlanb, bie
Seit ber <5efcr<id?tc um bie Iftitte bes ad^ebenben
3ar;rr;nnberts. Die &eit bes Schauspiels obngcfäljr
juxi 3ah.re).
Die wiederholte „Vorrede zur ersten Auflage"
ist wie dort unterzeichnet: (Bcfdjricben in ber
©fternteffe \7S\; D. Schiller.
Daran schliesst sich (auf dem 8. Blatt) die
Porrebe
3ur jtcoten Auflage,
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291
welche beginnt: „Die achthundert Exemplarien
der ersten Auflage meiner Räuber sind bälder
zerstreut worden", u. s. w. Diese zweite Vor-
rede von nur i'/, Seiten ist unterzeichnet:
Stuttgarts öen 5. 3an. 1,782.
D. Schiller.
Ausser den 8 Blättern des Titelbogens hat
das Bändchen 208 Seiten, also gerade 13 Bogen,
infolge dessen die letzten I'/, Seiten gedräng-
teren Satz haben.
Ausgabe C (Abb. 3):
"Die 2?dubcr | €in Sdbaufpicl von fünf Jfften \
fjerausgegeben | von \ iriöcridi Schiller. (Darunter
als Titel Vignette: Der Löwe, aber nach links
aufsteigend und in anderm Stich, mit dem
Motto: In Tirannos.) 3«»ote 2Iuflagc ! 5ranf.
furt uuö Ceipjig | bei lobias Cöffler | \782.
Hat auf dem Titelbogen (Blatt 3 — 8) wie
in B die beiden Vorreden (ebenso unterzeichnet),
aber in etwas grössern Lettern, infolge dessen
der Schluss der ersten Vorrede tiefer hinunter
reicht. Danach in gleicher Schrifteinteilung
die „üorre&c jur jn>otcii Auflage" (Abb. 4), wie
in B unterzeichnet.
Die Einteilung des Schriftsatzes ist Seite
für Seite genau dieselbe wie in B, so dass
auch hier von den 208 Seiten die beiden
Schlussseiten einen gedrängteren Schriftsatz
haben. Trotz dieser Übereinstimmung sind in
dem Drucke Abweichungen. Während in B
die sämtlichen in Parenthesen stehenden An-
merkungen, sowie auch die Strophengesänge
Petitschrift haben, sind hier die Parenthesen
wie die Gesangstexte in den gleichen Lettern
wie das ganze Schauspiel gehalten.
Ob nun die noch zu erwähnende Mann-
heimer Theatcrbcarbeitung von 1782 zwischen
A und B liegt, ist nicht festzustellen, zumal
Schiller in den Vorworten keinen Bezug darauf
nimmt. Da aber diese Mannheimer Bearbeitung
mit den von uns reproduzierten Theaterzetteln
in Zusammenhang steht, lassen wir die Angaben
darüber erst später folgen, und zwar umso
mehr, als auch der Druck von 1781 noch be-
sondere Erörterungen nötig macht.
Schon für die zweite Auflage (B und C)
hatte Schiller zahlreiche Stellen aus dem ersten
Drucke (namentlich in den Reden des Franz,
des Spiegelberg u. s. w.) weggelassen. Er
spricht sich selbst darüber in der zweiten Vor-
rede aus, indem er bemerkt: dass diese Aus-
Sie
Sfftfltfttft ««» ««»PI**»
J78 *.
Abb. «. Titelblatt nir enteo AufUg« der ,.R»ub«r".
gäbe sich von der ersten „an Pünktlichkeit
des Druckes" unterscheide, wie auch in der
„Vermeidung derjenigen Zweideutigkeiten, die
dem feinern Teil des Publikums auffallend ge-
wesen waren". — Mit solchen Worten hat
Schiller die weggelassenen Stellen allerdings
sehr milde bezeichnet, denn von „Zweideutig-
keiten" kann bei diesen abscheulich eindeutigen
Redensarten, die er den Libertincrn (namentlich
Spiegelberg) in den Mund legt, kaum die Rede
sein, und da ausserdem auch in dieser zweiten
Redaktion noch genug ähnliche Stellen ge-
blieben sind, so erhalten wir daraus eine Vor-
stellung von dem Tone, der die stürmische
Jugend jener Zeit beherrschte. Schillers Vor-
gänger in der Sturm- und Drangzeit wurden
in dieser Beziehung von ihm weit übertroffen;
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Gene"e, Schiller* „Rluber" In den ersten Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
selbst Lenz, dessen Streben es war, der Em-
pfindsamkeit und dem zimperlichen Umgehen
alles dessen, was als anstössig galt, sich mit
freudiger Rücksichtslosigkeit entgegen zu stellen.
In Schillers Vorrede von 1781, die auch —
wie schon bemerkt — in den beiden folgenden
Ausgaben beibehalten ist, hatte er selbst sich
veranlasst gesehn, derartige cynische Äusse-
rungen, namentlich auch solche, die die Reli-
gion betreffen, zu rechtfertigen, und diese Be-
gründung seiner stark realistischen Auffassung
ist so interessant, dass wir hier den betreffenden
Satz buchstabengetreu wiedergeben. Er sagt
darüber:
2lud} ift es tjo ber große <ßefchmaef, feinen
W'\s auf Koften t>er Seligion fptelen 511 (äffen, baß
man betnahe für fein <Senie mehr pa ffiert, wenn
man nicht feinen gottlofen Satyr auf ihren heilig,
jten tt>ahrbeiten fich. benuntummeln läßt. Die eble
Cinfaft ber Schrift mitg fich. in alltäglichen 3ljfem.
bleen von ben fogenannten wi&igeu Köpfen miß«
banbeln unb ins Cächerltcbe »erjerren laffen ; benn
roas ift fo heilig unb ernflbaft, bas, wenn man es
falfd) »erbretjt, nicht belacht werben fann? — 3<h
fann hoffen, baß ich ber Sei ig ton unb ber wahren
ZTToral feine gemeine Sache oerfcfiafft hohe, roenn
ich *>»«f« mutbwillige Scbriftoerächter in ber perfou
meiner fcbänblichften Säuber bem 2tbfdjeu ber iüelt
überliefere. — 2lber noch mehr. Die unmoralifcbcn
<£h«rflftere, »on benen oorljin gefprochen tourbe,
mußten »on gewiffen Seiten gläujen, ja oft »on
Seiten bes (Seifles gewinnen, was fie »on Seiten
bes fjersens »erlieren.
Dieser letzte Satz bezieht sich auf eine
frühere Äusserung in derselben Vorrede, die
auch für den Dramatiker Schiller von Interesse
ist. Er meint dort, dass sein Schauspiel nicht
für die Bühne sei, weil die „Ökonomie" des
Stückes es notwendig machte,
baß mancher Charaftcr auftreten mußte, ber bas
feinere (Befühl ber (Eugenb beleiöigt unb bte &8ixi-
lichfeit unferer Sitten empört. 3eber IlTenfcben«
maier ift in biefe Sothwenbigfcit gefefyi, wenn er
anbers eine Kopie ber wirf lieben HMt, unb feine
ibealifeben Bffeftationen, feine (fJompenbienmeufchen,
»in geliefert haben.
Hier haben wir das stolze Bekenntnis des
Realisten, der aber sehr bald danach (in der
Selbstkritik über die Räuber) bekennen musste:
er habe Menschen schildern wollen, bevor er
die Menschen kannte.
Wenn er nun auch von den anstössigsten
Dialogstellen, die sich in der ersten Ausgabe
finden, für den Druck von 1782 mehrere weg-
gelassen hat, so enthielt doch auch schon der
erste Druck von 1781 nicht alles, was ursprüng-
lich dafür bestimmt war. Denn erst während
des Druckes, den er in Ermangelung eines da-
für bereitwilligen Verlegers auf eigene Kosten
unternahm, hatte er bei Durchsicht der Druck-
bogen mehreres umgestaltet, indem er einzelne
Bogen herausnahm und sie durch andere er-
setzte. Die verworfenen Bogen waren lange
Zeit verschwunden und sind es zum Teil noch.
Erst in neuerer Zeit ist einer dieser Bogen
wieder zum Vorschein gekommen und zwar in
einem Exemplar der ersten Ausgabe. Von
den in dem Drucke mit 21 bis <D bezeichneten
Bogen ist es der Bogen 23. Karl Goedeke
hatte von der Existenz dieses Exemplars Kennt-
nis, ohne aber etwas daraus mitteilen zu können.
Nachdem VV. v. Malzahn in der Hempelschen
Ausgabe Fragmente daraus veröffentlicht, ist
erst im Jahr 1880 der ganze Bogen bekannt
geworden und zwar durch den um biblio-
graphische Forschungen hochverdienten Buch-
händler Albert Cohn in Berlin, in dessen Besitz
jenes eine Exemplar gekommen war, und der
in dem Schnorrschen .Archiv für Litteratur-
geschichte" (1880, 3. Heft) den ganzen Bogen
23 mitgeteilt hat Danach sind in der zweiten
Scenc des 1. Aktes — in der langen Unter-
redung mit Spiegelberg die Änderungen sehr
bedeutend, und es mag hier zur Charakteristik
nur hervorgehoben werden, dass nach diesem
Texte Karl Moor schon im Anfang tiefer ge-
sunken erscheint, als ersieh in der Umarbeitung
zeigt. Abgesehen von den sonstigen vielen
Abweichungen in diesem Bogen lässt aber der
Schriftsatz auch noch in anderen Bogen er-
kennen, dass diese ursprünglich einen andern
Text hatten. Denn wie in dem Bogen 23, so
enthalten auch die Bogen XI und <D auffallend
breite Zwischenräume in den Zeilenreihen, aus
denen wir schlicssen müssen, dass die ausge-
schiedenen Bogen mehr enthielten, und dass
der Schriftsetzer sich daher bemühen musste,
dem Minus des Inhalts grössere Ausdehnung
zu geben. Albert Cohn in seiner Veröffent-
lichung des Bogens 23 teilte mit, dass von der
Ausgabe 1781 zwei Exemplare vor ihm lägen,
von denen das eine den später ausgeschiedenen
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Genie. Schiller» „R&ubcr" in den er«1en Drucken nebst den wichtigsten Thentertetteln.
293
Bogen 29 enthielte, das andere aber den aus-
geschiedenen Titelbogen mit der früheren, von
Schiller selbst verworfenen Vorrede. Diese
Vorrede, welche beginnt: „Es mag beim ersten
in die Hand nehmen auffallen, dass dieses
Schauspiel niemals das Bürgerrecht auf dem
Schauplatz bekommen wird" — wurde schon
in dem 4. Bande der „Supplemente" zu Schillers
Werken mitgeteilt, deren Herausgeber K. Hoff-
meister den Originaldruck dieser ersten Vorrede
aus dem Nachlasse Petersens erhalten hatte.
Mit Ausnahme von einigen längeren Sätzen, die
auch für die neue in A enthaltene und bekannte
Vorrede beibehalten wurden, ist sie von dieser
gänzlich abweichend.
Indem darin (wie in der Vorrede von A) her-
vorgehoben wird, dass die mancherlei Reden
im Stücke, die „das zärtliche Gefühl unserer
Sitte empören", zur Charakteristik der Personen
erforderlich waren, richtet sich der Dichter mit
scharfem Spotte gegen das Theaterpublikum,
um auch damit zu begründen, dass sein Schau-
spiel nicht für die Bühne sei. Bemerkenswert
ist ferner, dass Schiller in dieser Vorrede zwei-
mal auf Shakespeare hinweist, einmal auf eine
Stelle in „Macbeth", ein andermal auf Prospero
in „Sturm." — Wir haben also drei verschiedene
Vorreden zu den Räubern: diese erste, von
Schiller selbst wieder beseitigte, dann die be-
kannte längere für die Ausgabe A und endlich
die Vorrede „zur zwoten Auflage", die die beiden
Drucke von 1782 enthalten.
Da Schiller wiederholt es aussprach dass
das Schauspiel nicht für die Bühne sei, erscheint
es umso erklärlicher, dass er auf den Vorschlag
des Mannheimer Theaterintendanten Freiherrn
von Dalberg sich bestimmen Hess, eine gründ-
liche Umarbeitung zum Zwecke der Aufführung
vorzunehmen. Diese Arbeit fallt in den Spät-
sommer 1781, nachdem die gedruckte erste
Auflage schnell Verbreitung gefunden und Auf-
sehn gemacht hatte. Nachdem Schiller auf
Dalbergs Vorschlag freudig eingegangen war,
konnte er ihm die Bearbeitung, unter dem Titel
„Der verlorne Sohn", im Oktober zuschicken.
(„Schillers Briefe an den Freiherrn von Dal-
berg". Karlsruhe und Baden, 1824). Schiller
selbst war mit seiner Arbeit zufrieden, indem
er an Dalberg schrieb: „Die Verbesserungen
sind wichtig, verschiedene Scenen ganz neu
und, meiner Meinung nach, das ganze Stück
wert." Dalberg erklärte sich mit den Ver-
änderungen einverstanden, besonders auch mit
der „Verdammung Franzens", während er es
für ratsam fand, Amalie nicht erstechen, sondern
erschicssen zu lassen. „Dieser Vorschlag",
schrieb darauf Schiller, „gefällt mir ungemein
und ich willige mit Vergnügen in diese Ver-
änderung. Der Effekt muss erstaunlich sein, und
kömmt mir auch räubermässiger vor." Dennoch
licss man es bei dem Erstechen, und auch in der
veränderten Mannheimer Theaterausgabe heisst
es: „Er stürzt auf Amalie zu und wirft sie mit
einem Degenstoss nieder."
Gegen einen andern Vorschlag Dalbergs:
die Handlung des Stückes in eine frühere Zeit
(nicht in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts)
zu verlegen, machte Schiller die eifrigsten Ein-
wendungen. „Alterdings", schrieb er am 12.
Dezember an Dalberg, „ist der Einwurf, dass
schwerlich in unserm hellen Jahrhundert, bei
unserer abgeschliffenen Polizei und Bestimmt-
heit der Gesetze eine solche meisterlose Rotte
gleichsam im Schoss der Gesetze entstehen,
noch viel weniger einwurzeln und einige Jahre
aufrecht stehen konnte, — allerdings ist dieser
Vorwurf gegründet und ich wüsste nichts da-
gegen zu sagen, als die Freiheit der Dichtkunst"
— etc. Aber der Widerspruch mit der Zeit
Kaiser Maximilians würde ein schwererer Fehler
sein; alle Personen würden für die damalige
Zeit zu aufgeklärt, zu modern sprechen. Viele
Tiraden, grosse und kleine Züge seien „aus dem
Schosse unserer gegenwärtigen Welt heraus-
gehoben" und würden in das Maximilianische
Alter nicht passen. Freilich, fahrt er dann
resignierter fort, könne „jedwedes Theater mit
dem Schauspiele anfangen, was es will, und
es ist ein Glück für den Verfasser der Räuber,
dass er in die besten Hände gefallen ist." Hier-
nach wird sich also Schiller wegen Zurück-
verlegung in die frühere Zeit mit Dalberg
verständigt haben, denn sowohl auf dem Mann-
heimer Theaterzettel wie auch in der von
Schwan in Mannheim gedruckten Ausgabe
des Buches ist als Zeit die der Verkündung
des „ewigen I-andfriedens" angegeben.
Die erste Aufführung der „Räuber", zu der
bekanntlich Schiller sich heimlich nach Mann-
heim begeben hatte, fand daselbst am 13. Ja-
nuar 1782 statt. Da der Dichter bereits mit
dem Buchhändler Schwan in Mannheim die
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294
Genee, Schillers „Räuber" in den ersten Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
Buchausgabe dieser Thcaterbcarbeitung vor-
bereitet hatte, konnte dieselbe nach wenigen
Monaten erscheinen. Auf dem letzten Blatte
des Bändchens sind unter den „zur Jubilatmesse"
erschienenen Vcrlagswcrken der Schwanischen
Buchhandlung auch die „Räuber" angezeigt.
Im Buche selbst lautet der Titel der
Ausgabe D:
Die | Räuber j ein (Erotterfpicl | oon | 5rict>ridi
Sd}iller. | JTcuc | für &ie IHamibetmcr 23ühne per-
beffertc | 2luflage | (Dignette) | ZTIannrietm, J in t»er
Svrjipaiiifdicu 23ud?r;an&lung | \782.
Die dritte Seite enthält das Personenver-
zeichnis, und auf der fünften Seite beginnt der
Text des Stückes selbst. Das ganze Bändchen
hat 166 Seiten.
0
©n ©dboufpict
von fünf Zftcn,
ton
g r i t> c r i d> @ cl> 1 1 ( c r.
3n>ete toerbeflerte Auflage.
CT. V. V) Vi 'S. V9 -X. CA 6/i '^5
granffnrt unb Seipjia.
bei e b i a ö ? off ler.
1782-
Abb. j. Titelblatt «ur rwcittn Auflage der „Kaub er".
Die Veränderungen, die Schiller mit dem
Stücke für die Theateraufführung vorgenommen
hat, sind längst durch verschiedene Drucke be-
kannt geworden. Die bedeutendste Veränderung
ist die im fünften Aufzug, in dem Franz sich
nicht erdrosselt, sondern — da er „in die Flammen
springt" — von den eindringenden Räubern er-
griffen und danach in der letzten Scene des
Stückes vor seinen Bruder Karl geschleppt
wird. Dieser überlässt das Gericht über ihn
den Räubern, die ihn in denselben Turm werfen,
in welchem er seinen Vater schmachten liess.
Für die theatralische Wirkung ist dies Ende
jedenfalls eine Verbesserung. Dass dann Karl
Moor am Schlüsse seine beiden Lieblinge
Schweitzer und Kosinsky ermahnt, „gute Bür-
ger" zu werden, war nur eine Verstärkung
der ohnedies schon in den vorausge-
gangenen Reden Karls ausgesprochenen
moralischen Tendenz.
Auffallend ist es, dass Schiller dieser
Bühnenbearbeitung, die sich übrigens sehr
lange auf den deutschen Bühnen erhalten
hat und noch häufig beibehalten wird, kein
Vorwort gegeben hat und auch in den
andern Ausgaben von 1782 ihrer nicht
erwähnt.
Dem Personenverzeichnis ist auch die
Mannheimer Besetzung aller Rollen beige-
fügt; es ist dies genau dieselbe wie auf dem
uns erhalten gebliebenen Theaterzettel.
Dieser erste Theaterzettel der Mann-
heimer Auffiihrung ist vermutlich in zweier-
lei Form gedruckt worden: erstens für die
Zuschauer im Theater, für die die Ansprache
an das Publikum auf der Rückseite des
Zettels stand, und zweitens als Anschlage-
zettel in der Form, in der wir ihn hier
(siehe Beilage) wiedergeben, und zwar
nach dem in meinem Besitze befindlichen
und vermutlich einzig noch vorhandenen
Exemplar.' Das vorher erwähnte, von
Schiller an Dalberg eingesandte „Aver-
tissement" steht hier, mit der Überschrift
„Der Verfasser an das Publikum" auf
» Bei der grossen Musik- und Theater-Aus-
stellung in Wien 1S92 hatte ich meinen Zettel in
die Mannheimer Ausstcllungsabtcilung gegeben,
während Mannheim selbst nur über einen Theater-
zettel zur mreiltn Aufführung der „Räuber" verfügen
konnte.
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Genec, Schiltcrs „Räuber" in den
Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
295
demselben Bogen neben dem gewöhnlichen
Theaterzettel. Eine Vergteichung dieser An-
sprache mit dem uns gleichfalls überlieferten
Schillerschen Entwurf ergiebt, dass Dalberg
darin ein paar Änderungen gemacht hatte.
Ausser einigen geringfügigen Abweichungen
findet sich in dem erwähnten Schillerschen Ent-
wurf nach den Worten: . . . „Reue, Verzweif-
lung hart hinter seinen Fersen her 4 ' noch der
folgende, in unserer Ansprache fehlende Satz:
„Der Zuschauer weine heute vor unsrer Bühne
— und schaudre — und lerne seine Leiden-
schaften unter die Gesetze der Religion und
des Verstandes beugen." Schiller ist hier in
seinem Eifer, den Wünschen des ausgezeich-
neten Intendanten entgegenzukommen, über
diese Wünsche hinausgegangen, und Dalberg
hat gewiss das richtige gefühlt, wenn er diesen
Satz als überflüssig fortgelassen hat. Auch in
einigen andern und unwesentlicheren Ände-
rungen ist die Dalbergsche Fassung vorzuziehn.
Dalberg war zwar kein dichterisches Genie,
aber dem zweiundzwanzigj ährigen Schillcrgegcn-
über doch der Mann von Erfahrung und Welt-
kenntnis. '
Jedenfalls ist die ganze Ansprache mit ihren
pathetischen Uberschwänglichkeiten charakte-
ristich für den Schiller jener stürmischen
Jugendepoche. Solche erläuternde oder lob-
preisende Ankündigungen auf den Theater-
zetteln waren bei neuen Stücken in damaliger
Zeit sehr gebräuchlich. Auch in Berlin, zu
Döbbelins Zeiten, wurden sie häufig bei neuen
Stücken angewendet, wie z. B. bei der ersten
Aufführung von Goethes „Götz von Berlichin-
gen" 1774. Aber derartige Ankündigungen
gingen sonst von den Theaterdirektoren aus,
während bei der Aufführung der „Räuber" der
Dichter selbst es war, der zum Publikum sprach.
Gerade zwei Jahre später, bei der ersten Auf-
führung des umgearbeiteten „Fiesco" in Mann-
heim, gab Schiller dem Stücke einen ähnlichen
Gelcitsbrief mit. In dieser „Erinnerung an das
Publikum" war es freilich sein Hauptzweck, sich
wegen den grossen Veränderungen zu recht-
fertigen, die er mit dem ursprünglichen Drama
äSorrebe
pr jwoten Auflage.
rÄic adjthunbert (Jremplarien ber erften
^2fuflage mein« Oiauber finb baiber
jerftreut werben, als alle ftebfjaber ju bem
&tut Formten befriebigt werben, ^an utv
ternafym bat>er eine jwote, bie ficf) öon ber
erflen an Qtomflic&feit be$ £>ruFe<, unb 05er/
metbung betjenigen Sweibeutigfeiten autk
nimmt, bie bem feinem ^beil bes ^>ublt#
fums auffadenb gewefen waren, ©ne 33er*
befierung in bem XVefcn beä (Stucfö bie ben
^Bünfctyen meiner ftreunbe unb Äririfer ent*
fpradje, burfte bie 5(bfid)t biefer Auflage
nid)t feyn. ©
Abb. 4. Vorrtd« xur iweiien AufUjt der ..Riuber".
(wie wir es kennen) vorgenommen hatte.
Auf demjenigen Teile unsere Räuberzettels,
der die Personen des Stückes aufführt, wird
dem Leser zunächst die unter dem Titel ge-
machte Angabe „in sieben Handlungen" auf-
fallend sein; denn nicht nur in der Original-
Ausgabe, sondern auch in dem gedruckten
Buche der Mannheimer Theaterbearbeitung hat
das Stück fünf Akte. Eine interessante Notiz
darüber erhalten wir von Schiller selbst in einem
Berichte, den er am 15. Januar seiner Selbst-
kritik in dem „Wirtembergischen Repertorium
der Literatur" beifügte. Um über den Verfasser
dieses von der Aufführung handelnden und mit
« Weniger lobenswert sind Dalbergs Bearbeitungen Shakespearescher Dramen — Macbeth, Coriolan, Timon.
Julius Caesar — indem er nach dem damaligen allgemeinen Brauche allzu frei mit den Originalen schaltete. Im
Julius Caesar ging er so weit, im fünften Akte eine ganze Scenc aus Coriolan einzuschalten, indem er die Rolle der
um Schonung Roms flehende Volumnia der Gemahlin des Brutus zuerteüte. (Vgl. meine „Geschichte der Shakespeare-
in Deutschland." Leipzig 1870.)
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29 6
Gene* Schillers „Räuber" in den
Drucken nebst den wichtigsten Theitenctteln.
£cutt «Wontoß*, ton »i. Wo»«*« 1796.
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Kaub«. SBrticntt.
Jütrtincr/ naiW« S3<mbirm
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5. Verkl. Faciirailc de» Herliner Theaterzettels Her
auf dein d»j en
N. unterzeichneten Berichtes zu täuschen, hatte
er ihn aus Worms datiert. Darin heisst es:
„Unmöglich wars, bei den fünf Akten zu bleiben ;
der Vorhang fiel zweimal zwischen den Scenen,
damit Maschinisten und Schauspieler Zeit ge-
wännen. Man spielte Zwischenakte und so
entstanden sieben Aufzüge." Auch die zu lange
Dauer der Vorstellung wird in diesem ano-
nymen Berichte Schillers erwähnt, indem er
schreibt: „Das Stück spielte ganze vier Stunden,
und mich däucht, die Schau-
spieler hatten sich noch beeilt"
Und mit dieser Länge des
Stückes ist es auch auf dem
Theaterzettel motiviert, dass
man den Anfang der Vor-
stellung schon auf 5 Uhr an-
gesetzt hatte. Nach Schillers
Angabe von vier Stunden wür-
de die Vorstellung also nur bis
9 Uhr gedauert haben. Was
die Namen derauf dem Theater-
zettel angeführten Schauspieler
betrifft, so ist es bekannt, dass
der damals erst zweiund-
zwanzigjährige Iffland nicht nur
als Schauspieler, sondern auch
als fruchtbarer Schauspiel -
Dichter zu grossem Ruhm kam.
Aber auch noch zwei andere
in dem Stück beschäftigt ge-
wesene Schauspieler, die Dar-
steller des Schweizer und des
Kosinsky : Beil und Beck haben
sich später als Verfasser meh-
rerer Theaterstücke hervorge-
than. Man ersieht ferner aus
dem Personenverzeichnis, dass
in der Mannheimer Theater-
bcarbeitung der Pastor Moser
ganz weg blieb, und dass die
etwas lächerliche Rolle des
Paters in eine „Magistrats-
person" umgewandelt worden
war, jedenfalls mit Rücksicht
auf die Geistlichkeit. Der Dar-
. steller dieser Rolle, Herr Gern,
war der Vater des später in
Berlin so beliebt gewordenen
Komikers.
In dem erwähnten anonymen
Wirtembergischen Repertorium"
hatte Schiller über die Darsteller der einzelnen
Rollen unter anderm bemerkt: „Herr Iffland,
der den Franz vorstellte, hat mir (doch ent-
scheidend soll meine Meinung nicht sein) am
vorzüglichsten gefallen. Ihnen gestehe ich es,
diese Rolle, die gar nicht für die Bühne ist,
hatte ich schon für verloren gehalten, und nie
bin ich noch so angenehm betrogen worden.
Iffland hat sich in der letzteren Scene als
Ar. Orrfbf.
Ar. Sie*.
?>r. 3fflant>.
ib. Uninmann.
r. jfr"^-
r. Saffig*.
r.£ri»(l.
r. 9iefe.
'. 55ftftnann
. €cr>n>a6ff.
: 93trq.tr.
r. ?abrt.
r.HSft|.
Rauber",
wird.
Berichte im
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Genie, Schillers „Räuber" in den ersten Drucken nebst den wichtigsten Theaterzetteln.
297-
Meister gezeigt. Noch höre ich ihn in der
ausdrucksvollen Stellung, die der ganzen laut
bejahenden Natur entgegenstand, das ruchlose
Nein sagen, und dann wiederum, wie von einer
unsichtbaren Hand gerührt ohnmachtig um-
sinken: „Ja! Ja! — droben einer über den
Sternen!" „Deutschland wird in
diesem jungen Mann noch einen Meister finden."
seinem Auftreten als Franz Mx>r entgegen
mit welcher Rolle er in Mannheim seinen Ruf
begründet hatte. Am 21. November zeigte
ihn der Theaterzettel an, mit der höflichen
Bemerkung: „Herr Iffland wird die Ehre haben,
als Franz Moor aufzutreten". Das Stück selbst
war schon seit 1783 viel gegeben worden, an-
fanglich aber nicht in der Mannheimer Ein-
Diese Voraussagung ist denn auch, wie man richtung, sondern in einer Bearbeitung des
weiss, in Erfüllung gegangen. Wir fügen des-
halb als Ergänzung dem Mannheimer Theater-
zettel auch noch denjenigen hinzu, auf welchem
der um vierzehn Jahre ältere Iffland bei seinem
Auftreten in Berlin in der nämlichen Rolle an-
gekündet war (Abb. 5).
Während Iffland noch in Mannheim als
Schauspieler und Regisseur unter Dalberg an-
gestellt war und auch als Theaterdichter bereits
grosse Erfolge errungen hatte, — namentlich
in den .Jägern" und im „Spieler" — hatte er schon
wiederholt mit Berlin in Unterhandlungen ge-
standen, da dem Könige, Friedrich Wilhelm II.,
besonders daran gelegen war, ihn als Direktor
des Königl. Nationaltheaters zu gewinnen. Seit
Ende Oktober 1796 war er in Potsdam und
Berlin bereits in mehreren seiner bedeutendsten
Rollen aufgetreten, und nachdem am 14. No-
vember seine Anstellung erfolgt war, sah das
Berliner Publikum mit ganz besonderer Spannung
Berliner Dramaturgen Plümicke. Aus dem Zettel
der Irf landschen Vorstellung ist zu ersehen, dass
man die „Magistratsperson" der Mannheimer
Bearbeitung wieder zum „Pater" gemacht hatte.
Der Darsteller des Karl Moor war der grosse
Heldenspicler Fleck, und Amalie war die ge-
feierte Unzelmann, spätere Mad. Bethmann.
Aus den hier gegebenen Mitteilungen ersieht
man, dass nicht nur Bücher, sondern auch
Theaterzettel ihren Wert in der Litteraturge-
schichte haben können. Sie geben uns, wie
die Bücher, in ihrer ursprünglichen Erscheinung
auch die Stimmung der Zeit getreu wieder —
als „klassische Zeugen." Es wird aber nur
wenige Theaterzettel geben, die für uns eine
gleiche Wichtigkeit haben, wie der erste Räuber-
zettel, durch den unser grösstcr dramatischer
Dichter in seinem Erstlingswerk mit so gewich-
tigen Vorsichtsmassregeln auf die Bretter, die
die Welt bedeuten, geleitet wurde.
Abb. 6. ScliltLMrignette der ersten Auflage der „Kauber".
Z. f. B. 18^1900.
38
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Taschenbücher und Almanache zu Anfang unseres Jahrhunderts.
Von
Dr. Anton Schlossar in Graz,
II.
Österreich und die Schweiz.
lass sich auf dem gegen Ende des
XVIII. Jahrhunderts stets dem Felde
deutscher Bildung und Gesittung zu-
gezahlten Boden der österreichischen Kron-
länder im östlichen und nördlichen Gebiete
des Kaisertumes auch in litterarischer und poe-
tischer Beziehung die Strömung geltend machte,
welche das Erstehen der beginnenden klassischen
Dichtung im reichsdeutschen Norden hervor-
gebracht hatte, ist schon aus dem Zusammen-
hange erklärlich, in welchem zu jener Zeit
Üsterreich und die deutschen Reichsländer
standen. Wenn auch manches feindliche Ele-
ment in der Politik Tren-
nungen hervorzubringen
suchte, so hatten ja doch
schliesslich die I^ebens-
und Existenzbedingungen
alle diese Staaten aufein-
anderangcwiesen.nament-
lich in jenen berühmten
Kampfjahren, welche wir
bezeichnend genug die
Zeit der Befreiungskriege
nennen, die freilich erst in
den Anfang des zweiten
Jahrzehntes unseres Jahr-
hunderts fallen. Der Lit-
teraturkundige weiss aber,
dass schon lange Jahre
zuvor geistige Kämpfer
gegen französische Ge-
schmacklosigkeiten auf-
getreten waren und das
grosse deutsche Geistes-
leben eingeleitet hatten,
welches dem Ende des
vorigen Jahrhunderts sei-
nen klassischen Stem-
pel aufdrückte. Dieser
Al.MANACIl Hi
Abb.
Titelblatt tu „Sellin
Etwas verkleinert.
geistige Strom drang auch über das Gebiet
der schwarz-gelben Grenzpfähle ein, und wie wir
in den neunziger Jahren, wenn auch in unbe-
rechtigten Nachdrucken aus Offizinen zu Prag,
Troppau, Triest und namentlich Wien zahlreiche
Ausgaben unserer klassischen Dichter hervor-
gehen sehen, so war auch schon lange vor-
her, bald nach den Leipziger, Göttinger und
Hamburger Musenalmanachen, ein ähnliches
Unternehmen in Österreich begründet worden.
Es ist dies der „Wienerische" später „Wiener
Musenalmanach", welcher, von J. F. Ratschky
geleitet, zuerst für 1777 in Wien bei Josef Edlen
von Kurzböck herausge-
geben wurde und im Laufe
der Jahre in die Hände
verschiedener Herausge-
ber gelangte, von denen
der bekannte Satyrikcr
Alois Blumaucr und der
feiner angelegte Göttlich
Leon als besonders be-
merkenswert genannt
werden können. Der
„WienerMuscnalmanach"
erschien ununterbrochen
bis 1796, und mit Unter-
brechungen wurde er oder
wurden dem Titel und
Inhalte nach ähnliche rein
der gebundenen Poesie
gewidmete Almanache in
Wien bis 1814 herausge-
geben.' Die Residenzstadt
bildete damals, wie ja auch
heute noch, den Centrai-
punkt des deutschen
literarischen Lebens in
Österreich, und wenn von
besonders hervorragen-
- ^/rtZ/ttt-At ////// ttn //rr/ave- r*^
lu v All toll- Stl Huff
"r
von 1S15.
1 Ausführliches über diesen „Wiener Musenalmanach" habe ich in dem Aufsätze darüber berichtet, der sich in
meinem Buche: „Österreichische Kultur- und Litteraturbilder" (Wien, 1879.) S. I — 64 findet.
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Schlossar, Taschenbücher und Almannehe zu Anfang unseres Jahrhunderts.
den Geistesprodukten der damaligen schön-
geistigen Litteratur die Rede ist, so sind deren
Verfasser meistens in Wien zu suchen oder
standen doch mit dem Dichterkreise der
österreichischen Residenz in der innigsten Ver-
bindung. Auch was die verschiedenen Alma-
nache und Taschenbücher betrifft, so wurden
die für uns in Frage kommenden, welche eine
längere Reihe von Jahrgängen aufzuweisen
haben, alle in Wiener Verlagsbuchhandlungen
und von Wiener Schriftstellern herausgegeben.
Es sind daher vereinzelte solcher Almanachc,
die allenfalls in der Provinz, z. B. in Prag, Graz,
Laibach, Lemberg, Pressburg, erschienen, hier
nicht weiter zu beachten, abgesehen davon, dass
auch diese Provinzalmanache nur wieder Nach-
ahmungen des „Wiener Musenalmanachs" bilden
und ohnehin ihr Erscheinen in die Zeit vor 1800
fällt Auch sie enthalten nur Sammlungen von
Gedichten, namentlich scherzhafter Gattung und
geringeren Umfanges. Infolge der Aufmerk-
samkeit, welche man den hübschen und auch dem
Geschmacke der Zeit entsprechenden Prosa-
erzählungen in den Taschenbüchern von Becker,
dem Damenkalender Cottas und ähnlichen
ausserhalb Österreichs erschienenen Büchelchen
dieser Gattung zuwandte, ging man nun auch
in der Residenzstadt Wien daran, in Taschen-
büchern erzählende Prosa zu bieten. Das
„Idealische Taschenbuch fiir Damen auf das
Jahr 1800" (Wien, Schuender) brachte sogar
ausschliesslich Erzählungen in Prosa, denen
die Namen der Verfasser gar nicht beigefügt
waren. Dass dieses Taschenbuch ausserdem
fast nur das Gebiet der Ritter- und Geister-
geschichten mnfaj ste, mögen die Titel der Er-
zählungen: „Rulf Langbart oder Schicksale des
Ritters von Donsenberg", „Landulf von Starken-
see oder die natürliche Erscheinung", „Die Wun-
derquelle", „DieZaubernüsse"erwciscn; auch alle
übrigen Stücke des Bändchens gehören dieser
damals allerdings recht beliebten Richtung an.
Grössere Beachtung verdient schon der
„östereichische Taschcnkalender" , welcher bei
Anton Pichler in Wien zuerst für 1801 und so-
dann bis 1806 alljährlich herausgegeben wurde.
Gedichte und andere Aufsätze sind in diesem
Taschenkalender abwechselnd vertreten, wenn
auch die Poesie in Versen meist vorwiegt.
Unter den Namen der hervorragenden Mit-
arbeiter finden sich so manche, die noch in
299
Abb. 2. Titelkupfer aus ..Sellin" für 1B15,
Fr. Slüber tc. Etwas »trkkiucrt.
dem alten „Wiener Musenalmanach" vertreten
waren, so Karolinc Pichler, J. F. Ratschky,
Gottlieb Leon, Freiherr v. Retzer, L. Haschka,
Gabriele von Baumberg, dazu kommen aber
noch andere der neueren Generation Angehörige,
von denen als auch später bedeutend Alcib.
Meissner und M. v. Collin genannt seien. In
Bezug auf Ausstattung und künstlerischen
Schmuck, dem wir ja an dieser Stelle be-
sondere Aufmerksamkeit zuwenden wollen,
bot dieser Taschenkalender allerdings nahezu
gar nichts; er war äusserlich ebenso unbe-
deutend, wie die auf rauhem Papier schlecht
gedruckten Jahrgänge der einstigen „Wiener
Musenalmanache". Dasselbe gilt von dem
„Wiener Hof-Theater Almanack", der zu-
erst für 1804 und 16 Jahre lang alljährlich
herausgegeben wurde. Er erschien anfangs bei
Ph. J. Schalbacher, sodann bei J. B. Wallis-
hauser in Wien, später unter dem Titel „Wiener
I Iof-Theater-Taschenbuch", wendete sich fast
nur dem Thcaterleben und der Theaterchronik
zu und lieferte in dieser Beziehung allerdings
recht wertvolle Beiträge. Obgleich er aber auch
3oo
Fchlosiar, TaschenbDcher und Almanache rn Anfang unseres Jahrhunderts.
Arbeiten von Collin und Castelli — letzterer gab
sogar einige der späteren Jahrgänge ( 1 8 1 3 und
18 14) selbst heraus — enthält, ist er doch noch
immer nicht den eigentlichen, ausschliesslich
belletristischen Taschenbüchern beizuzählen, die
sich überdies durch Kunstbeilagen auszeichne-
ten. Kupferstiche in sauberer Ausführung, und
zwar lediglich Landschaften, bot das bei J. V.
Degen in Wien von 1803 bis 1809 erschienene
„Wiener Taschenbuch" 1 , dessen Text in allen
Jahrgängen aber nur Reiseberichte und Reisebe-
schreibungen enthielt, und das man deshalb hier
ebenfalls nur erwähnen, nicht aber weiter in
den Hauptbereich dieser Darstellung einbeziehen
kann. Ahnliches gilt von dem für historische
Kreise heute noch sehr wertvollen „Taschen-
buch für die vaterländische Geschichte" (Wien,
A. Doli, 181 1 ff.), welches der berühmte Patriot
und Historiker Joseph Freiherr v. Hormayr eine
lange Reihe von Jahren ohne Unterbrechung
herausgab. Es enthält historische Aufsätze,
zumeist mit Rücksicht auf die Geschichte
Österreichs, wohl auch topographische Schilde-
rungen bemerkenswerter Gegenden und daneben
ÄrtlcJiciiftttcK
K.K. priv. Thonlrr
JjBO 1*0 LT* STAUT
\er/ /r '< > ^//i / 'tJet/M
aal h'tijjfci-j)
Abb. J. Titelblatt zum Taschenbuch
vom K. K. priv. Theater in der Leopotditadt für 1817.
Etwa» verkleinert.
Abb. 4. Titelblatt zum Taschenbuch
vom K. K. priv. Theater in der Leop old •ladt,
IV. Jahrgang, Wien 1B17. Etwas verkleinert.
Sagen und Gedichte, allerdings nur solche, die
ebenfalls österreichische GeschichtsstofTe be-
handelten. Karoline Pichler ist in vielen Jahr-
gängen durch Balladen und ähnliche Stücke
vertreten; auch Joseph von Hammer, der her-
vorragende Orientalist und spätere Freiherr von
Hammer - Purgstall, hat öfters Poesien bei-
getragen. Hormayr wusstei vielfach auf die
im Lande weilenden Talente anregend und
befruchtend zu wirken, wie seine ausführ-
liche (bisher ungedruckte) Correspondenz mit
Ant. Alex. Graf von Aucrsperg, dem später als
Anastasius Grün berühmt gewordenen Poeten,
nachweist In dem gleichzeitig in Wien von
ihm herausgegebenen „Archiv" hat Hormayr
manchen jungen Poeten, welcher sich in der
Folge einen bedeutenden Namen errungen, zu-
erst mit seinen dichterischen Schöpfungen an
die Öffentlichkeit gebracht. Das „Taschenbuch"
Hormayrs enthielt auch Porträts, Landschaften
« Vgl. im Jahrgange 189S/99 II dieser Zeitschrift
meinen Aufsatz über die Verlagsthätigkeit V. Degens in
Wien, namentlich S. 469 f. daselbst.
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3 oi
und historische Scenen von den tüchtigen
Stechern J. Blaschke, Krepp, Fr. Stober, Joh.
Passini, Axmann u. Anderen. Da es aber
doch vorwiegend für den Geschichtsfreund be-
rechnet ist, so möge das hier darüber Mit-
geteilte genügen.
Ausschliesslich dem schöngeistigen Gebiete
zugehörig erscheint dagegen: „Apollonion. Ein
Taschenbuch zum Vergnügen und Unterricht",
welches für die Jahre 1807 bis 1809 ebenfalls
Degen, für die Jahre 1810 und 181 1 Anton
Strauss in Wien verlegte. Unter den Heraus-
gebern der ersten Jahrgänge sind die für
das Gebiet der schönen Litteratur in den An-
fangsjahren unseres Jahrhunderts bedeutungs-
vollen Namen Gottlieb Leons und des Freiherrn
v. Ketzer zu nennen. Die fünf Jahrgänge von
„Apollonion" bieten Gedichte, Erzählungen und
andere Prosastücke; unter den Mitarbeitern fin-
den wir Cornelius v. Ayrcnhoff, Josef v. Hammer,
J. F. Ratschky, Josef Sonnleithner, Pezzl (den
bekannten Wiener Chronisten) und andere
Schriftsteller, die in der Residenzstadt Wien zu
jener Zeit eine hervorragende Rolle spielten.
Es sind auch häufig Übersetzungen französischer
Dichter und Prosaisten der neueren Zeit und
sogar Übertragungen von Liedern der Minne-
sänger, so insbesondere Walthers von der
Vogel weide, darin enthalten. Von grösseren
deutschen Dichtern findet sich im Jahrgange 18 IO
ein Gelegenheitsgedicht Wielands, und auch
allemannischc Gedichte J. P. Hebbels erscheinen
% in^alYIienluit l)
IDAS JjSM II
w 1 e y,
gtiiniill umj im Irr/ag
■ >■ ><ii n.w v m m i.tMiiAt «sr.K
Abb. 5. Titelblatt ni „Aglaja'
Etwas verkleinert.
für lim.
darin schon 1807, wohl zum ersten Male in
einem österreichischen Verlagswerke gedruckt.
Ein besonderer äusserer Schmuck zeigt sich in
diesen schlichten Bändchen des „Apollonion"
allerdings auch nicht, doch sind sie von dem,
durch Sorgsamkeit beim Druck
seiner Verlagswerke sich auszeich-
nenden Verleger immerhin recht
gut ausgestattet und neigen sich
ihrem Inhalte und ihrem ganzen
Charakter nach schon den eigent-
lichen „Taschenbüchern" zu, wie
wir den Begriff derselben nach den
bald folgenden Unternehmungen ,
die diesen Titel führten, bestimmen
können, und die sich wesentlich von
den öfter erwähnten alten Musen-
almanachen unterscheiden.
Abb. 6. Nymphe im Bade nach Lud«. Caracci, »c. F.
Tür i8jo.
John, aus .. Aglaja'
Mit Übergehung vereinzelter un-
bedeutender Bändchen, die kein
besonderes Interesse für die öster-
reichische Almanach - Litteratur
302
Schlott«, Taschenbücher und Almanaehe m Anfang
Jahrhunderts.
bieten, möge nur das erste, scht>n mit Rücksicht
auf den Herausgeber bemerkenswerte Taschen-
buch hier Besprechung finden, welches noch
zum Teil der Ubergangszeit angehört, aber doch
bereits einen moderneren Anstrich aufweist. Es
ist dies: „St/am. Ein Almanach für Freunde
des Mannigfaltigen von J. F. Castelli" (Wien,
Anton Strauss), welcher zuerst für 1812 und
sodann für jedes folgende Jahr, zuletzt für 1817
herausgegeben wurde (Abb. 1). Des Dichters
Castclli (geb. 178 1, f 1862) Name ist so untrenn-
bar mit der Geschichte des geistigen Lebens
von Wien in der ganzen ersten Hälfte des
XIX. Jahrhunderts verbunden, seine Persönlich-
keit eine so bezeichnende, dass die Heraus*
gäbe seines Taschenbuches „Selam" gewisser-
massen eine neue Periode für die Wiener
Taschenbuchlitteratur eröffnete. Castelli selbst
berichtet in den „Memoiren meines Lebens"
(Wien und Prag, 1861.) Bd. I. S. 286f. — einem
Werke, das für die Geschichte des kulturellen
Lebens von Wien heute noch die höchste
Bedeutung hat — über die Entstehung des
„Selam" und dessen Mitarbeiter in ausführ-
licherer Weise.
Es sei hier nur aus diesem eigenen Berichte
Castellis eine Bemerkung mitgeteilt, welche die
noch immer mehr als bescheidene Ausstattung
auch dieses Büchleins betrifft. Der Verfasser
sagt: „Man suchte damals noch nicht in Taschen-
büchern nur schöne Bildchen und einen glänzen-
den Einband, man sah die Taschenbücher nicht
bloss an und legte sie dann auf den Tisch im
Sitzzimmer, um sie auch von Andern ansehen
zu lassen. Man las sie wirklich und forderte
daher auch einen interessanten Inhalt." In der
That war Castclli die geeignete Persönlichkeit,
um sein Taschenbuch abwechslungsreich und
mannigfaltig zu gestalten. Schon der erste
Jahrgang bietet nicht weniger als 1 8 verschiedene
Abteilungen, welche Fabeln, Märchen, lyrische
Gedichte, Epigramme, Anekdoten, Charaden
Prosaerzählungen, selbst dramatische Sccnen
und anderes mehr enthalten. Jedem der Jahr-
gänge sind die noch lange üblichen Kalcndcr-
daten beigefügt, dem ersten derselben sogar
„theatralische Memorabilicn", welche sich aus
der besondern Vorliebe Castellis für das Theater
erklären. Unter den Mitarbeitern finden sich
Namen von bestem Klange, welche schon da-
mals, namentlich aber später in der Lite-
ratur Deutsch Österreichs eine hervorragende
Stelle einnahmen. Es seien genannt: Therese
v. Artner, Dcinhardstein, Joh. R. v. Kalchberg,
Karoline Pichler, Retzer, Sonnleithner, Steigen-
tesch, Alois Wcissenbach, Emanuel Vcith, ins-
besondere der damals in Wien lebende, zu
Castellis Freunden zählende Theodor Körner,
welcher noch in den Jahrgängen 1814 und 1815
durch einige Balladen und Gedichte vertreten
ist. Antonie Adamberger aber, der unglück-
lichen Braut des unvergeßlichen Dichters, „der
allgemein geschätzten Künstlerin", hat Castelli
den Jahrgang 18 16 seines Taschenbuches ge-
widmet. Es dürfte bei den Beziehungen, welche
der Herausgeber zu allen schriftstellernden Per-
sönlichkeiten Österreichs pflegte, wohl kaum ein
besserer Name derselben fehlen. Doch auch in
künstlerischer Beziehung boten die späteren Jahr-
gänge des „Selam" schon manches bemerkens-
werte. Ein etwas marktschreierisches Bild von
dem zwei Jahre später verstorbenen Kupfer-
stecher Gerstner befindet sich in dem ersten
Jahrgange für 18 12; die Folgejahrgänge ent-
halten bessere Stiche von Blaschke, Gerstner,
Fr. Stöber (Abb. 2), Rahl, J. G. Mansfeld, nach
Zeichnungen von Loder, K. Russ und Anderen,
die zu den besten Künstlern der Residenz
zählten. Manchen Liedern und Gedichten sind
auch Kompositionen in Notendruck beigegeben,
und im Jahrgange 18 16 ist Rupprcchts Gedicht
„Markenstein" sogar von Beethoven vertont
worden, dessen Komposition in Noten dem
Bändchen als besonders wertvolle musikalische
Gabe eingefügt wurde. Das hübsche und
kräftig im Stich ausgeführte Titelkupfer von
Fr. Stöber, welches von 18 14 an jedem Jahr-
gange des „Selam" vorangesetzt ist, findet der
Leser hier reproduziert (Abb 2).
Man kann die eigentümliche Beobachtung
machen, dass in dem letzten Bändchen von
Castellis „Selam" Prosaarbeiten ganz ver-
schwinden und nur versifizierte Beiträge auf-
genommen erscheinen. Dieser Umstand hat
wohl seinen Grund weniger in dem Ge-
schmacke der Leser, vielmehr in der Ängst-
lichkeit, mit welcher jeder Schriftsteller und
jeder Redakteur zu jener Zeit wegen der be-
stehenden Zensurvorschriften in Österreich vor-
gehen musste. Wir kommen damit auf ein
recht trauriges Kapitel; heute noch kann man
sich der damals bestandenen, litterarische
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Schlossar, Taschenbücher und Almanache tu Anfang unsere» Jahrhunderts.
303
Dinge betreffenden polizeilichen Verhältnisse
schämen, die manche unserer besten Talente
in so beispielloser Weise zu Boden drückten
oder selbst aus dem Lande vertrieben. Die
Zensur musste jedes Druckwerk passieren;
Verse wurden noch leichter genommen, aber
bei Prosastücken fand der Zensor häufig Be-
ziehungen und Anspielungen heraus, welche,
wenn auch oft ganz harm- und beziehungslos
verfasst, den» unerbittlichen Rotstifte des Prüfers
zum Opfer fielen. Gut
war es noch, wenn nur
einzelne Stellen dieses
Schicksal erlebten; oft
aber gab sich der Be-
amte der Bücherrevision
gar nicht die Mühe,
lediglich jene zu unter-
drücken , sondern es
wurde der ganze Aufsatz
gestrichen und mit dem
berüchtigten „Non ad-
mittitur" versehen.
Da hier von der Zen-
sur und deren Einfluss
auf die, wie man meinen
sollte, doch ziemlich
harmlose schönwissen-
schaftliche Taschen-
bücherlitteraturdie Rede
ist, so möge über das
merkwürdige Verbot des
vortrefflichen Taschen-
buches „ Urania" 1 in
Österreich Eingehende-
res mitgeteilt sein. Von
Seite derRegierung, d. h.
durch den K. K. Polizeipräsidenten und Präsi-
denten der obersten Zensurhofstelle Grafen
Sedlnitzky in Wien, wurde dem Verleger F. A.
Brockhaus — neben einer Reihe anderer seiner
Verlagswerke — die Einführung des Taschen-
buches „Urania" für 1822 in Österreich verboten.
Das Verbot war angeblich wegen der darin
von Brockhaus selbst nach dem Französischen
bearbeiteten Novelle „Die Nebenbuhlerin ihrer
selbst" erfolgt, weil man in Wien einige der
fingierten Personen darin auf eine vornehme
Abb. 7. Tittlkupfer ru „Huldigung den Frauen" für 1829.
Etw« verkleinert.
österreichische Familie bezog. Auch soll der
Zensor Schreyvogel an einer Stelle in dem Auf-
satze W. Müllers über Lord Byron Anstoss
genommen haben. Brockhaus wandte sich an
den bekannten sächsischen Geschäftsträger und
österreichischen Hofrat Adam Müller, der ihm
befreundet und wohl gewogen war, und richtete
auch eine Eingabe direkt an den Polizei-
minister; er überschickte ihm das französische
Original der Novelle, um zu beweisen, dass die
Anschauung, man habe
etwa bestimmte Per-
sönlichkeiten aus Wien
darin ins Auge gefasst
und diese blossstellen
wollen, eine irrige sei.
Alles war aber ver-
gebens; vom Polizei-
minister erhielt Brock-
haus gar keine Antwort,
und Müller teilte ihm
am 21. Oktober 1822
mit, die „Urania" sei
auch wegen einiger, die
Sittlichkeit verletzen-
den Stellen verboten
worden, was bei dem
ehrenhaften Charakter
des Herausgebers ein-
fach lächerlich schien.
Dieser erklärte sich zu-
dem bereit, die Exem-
plare abzuändern und
die beanstandeten Stel-
len auszulassen. Aber
auch dies wurde nicht
zugegeben. „Die Re-
gierung",schreibt Müller, „nimmt Beschlüsse nicht
zurück; zumal bereits viele Exemplare in ihrer
ursprünglichen Gestalt schon in anderen Län-
dern zirkulieren, so würde die vorgeschlagene
Abänderung mit Recht Aufsehen erregen
und zu unanständigen Glossen Gelegenheit
geben." Nochmals wandte sich Brockhaus in
einem Promemoria an Graf Sedlnitzky, das
von hohem Interesse erscheint, da es die
vornehme Gesinnungsweise des Verlagsbuch-
händlers in das schönste Licht stellt. Er pro-
• Über dieses Taschenbach rergl. Teil I dieses Aufsatzes S. 58, III. Jahrg. der vorliegenden Zeitschrift, wo-
selbst der Angelegenheit nicht Erwähnung geschah, die aber hier tu besprechen passend erscheint.
304 Schlossar, Taschenbücher und Almanache zu Anfang unteres Jahrhunderts.
testiert darin vor allem gegen die ausge- Wenden wir uns nun einem anderen Taschen-
sprochene Beschuldigung, dass in der „Urania" buche Wiens zu, das Bedeutung und später grosse
auch mehrere die Sittlichkeit verletzende Stellen Verbreitung erlangt hat Es hängt dessen Be-
vorkämen, und sagt u. a. gegen Schluss des griindung mit dem ausserordentlichen Interesse
ausführlichen Schriftstückes: „Sind die Grund- zusammen, das in der „Theaterstadt" Wien
sätze, welche die K K Zensur zu befolgen stets der dramatischen Kunst und Allem, was
hat, von der Art, dass von ihr Schriften als: mit ihr in Verbindung stand, entgegengebracht
von Hügels „Spanien und die Revolution", wurde. Die Bühnen Wiens, namentlich die
v. Raumers „Vorlesungen über alte Geschichte" Hofbühnen, galten damals als die besten auf
und Okens „Naturgeschichte für Schulen" ver- deutschem Boden, und besonders das Theater
in der Leopoldstadt,
welches vorzüglich das
Volksstück pflegte, war
bei den Bewohnern der
Residenz als ein der
heiteren Muse gewid-
meter Kunsttempel be-
liebt Dieses Theater
hatte sich auch weit über
die Grenzen Österreichs
hinaus einen Ruf ver-
schafft, so dass z. B. zur
Zeit des Wiener Kon-
gresses Kaiser, Könige
und andere Fürstlichkei-
ten es nicht verschmäh-
ten, die lustigen Komö-
dien der von dem Direk-
tor Marinelli geleiteten
Leopoldstädter - Bühne
zu besuchen. Von einem
Mitgliede dieses Thea-
ters, dem auch dichte-
risch nicht unbegabten
Komiker Gottfried Zie-
gelhauser (geboren 1770,
starb schon 1820) wurde
so sei diese Ausführung, welche ein so bezeich- für 18 14 ein „Tlieatraüsches Taschenbuch zur
nendes Licht auf die Bedrückung des dama- geselligen Unterhaltung vom k. k. priv. Tlteater
ligen litterarischen Lebens in Österreich durch in der Leopoldstadt Wien" zunächst im Selbst-
die Zensur- und Polizeihofstelle wirft, hier ab- vertage herausgegeben. Der Titel wurde bald
geschlossen.» Wenn solche Plackereien und in „Taschenbuch vom K. K. priv. Theater in
Schädigungen eines anerkannt hervorragenden der Leopoldstadt" geändert (Abb. 3). Dieses
und damals schon berühmten Geschäftsmannes Taschenbuch hatte anfangs eine schlichte
und Schriftstellers im Auslande möglich waren, Ausstattung, enthielt in den ersten Jahrgängen
wie vorsichtig mussten Autoren und Verleger ziemlich schlechte Kupferstiche, zumeist Thcater-
erst im österreichischen Inlande vorgehen, um figuren darstellend, und im Texte Scenen und
nicht durch ihre Veröffentlichungen bei der Gesänge aus beliebten Opern oder Singspielen.
Regierung Anstoss zu erregen! — Ausserdem erschien jedesmal das Theater-
' Ganz ausführlich mit Wiedergabe des Wortlautes der Schriftstücke schildert diese Angelegenheit H. C Brockhaus
in seiner grossen biographischen Arbeit: „Friedrich Arnold Brockhaus", I^eipzig 1881- Bd. 11L S. 367 ff.
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boten werden müssen,
wie dies kürzlich statt-
gefunden, so thue ich
freilich lieber auf allen
buchhändlerischen Ver-
kehr überhaupt oder mit
Österreich Verzicht." Da
auch gleichzeitig der 9.
und 10. Band des von
Brockhaus begründeten
„Konversations - Lexi-
kons" für Österreich ver-
boten worden war, so
erklärt sich die ener-
gische Sprache des ge-
kränkten Buchhändlers.
Übrigens blieb auf diese
wie auf die früheren
Eingaben die Antwort
von der massgebenden
Stelle aus, und die Ver-
bote wurden aufrecht
erhalten. Da die weiteren
Bemühungen undSchrift-
stücke Brockhaus' sich
nicht mehr auf das
Taschenbuch beziehen,
Abb. 8. Sophia Friederica Dorothea
Eriherzogin Ton Österreich, am ,. Huldigung den Krauen'
für lBj.j. '/• Originaltöne.
Schlossar, Taschenbücher und Atinanache zu Anfang untere« Jahrhunderts.
305
Abb. 9. Titelblatt zu
Der Freund des schonen Geschlechtes" für 1(17.
Originalgrösse.
Personal in dem Bändchen genau verzeichnet,
ebenso wurden die Stücke angeführt, welche
im verflossenen Theaterjahre über die Bühne
gegangen waren. Daneben finden wir aber in
den ersten Jahrgängen schon Gedichte, Fabeln,
Charaden, Anekdoten und sonstige kleine, meist
heitere Beiträge; auch dramatische Kleinig-
keiten von Perinct, Karl Meisl, Schikaneder u. a.
kamen darin zur Veröffentlichung. Die Kupfer-
stiche wurden übrigens bald besser; man wählte
gern die Porträts beliebter Künstler des Theaters
in der Leopoldstadt als Darstellungsobjekte, nur
der Jahrgang 1 817 brachte als Titclkupfer eine
allegorische Darstellung, nach Pergers Zeich-
nung von Stober gestochen (Abb. 4). Von
den Porträts sei jenes Ferdinand Raimunds,
gestochen von Passini, und das von Katharina
Ennökl, gestochen von Hyrtl, erwähnt. In
einigen Jahrgängen waren die Bildnisse litho-
graphiert; derartige Lithographien finden sich
seit dem Jahre 1825 und stellen Therese Krones,
Karl Meisl, A. Bäuerle, Korntheuer, den Kom-
ponisten Wenzel Müller und andere Persön-
lichkeiten dar, welche zu dem Theater als
Z. i. B. 1899/1900.
Künstler oder Dichter in naher Beziehung
standen. Aber auch in Bezug auf die litterari-
schen Beiträge erhielt das Taschenbuch bald
einen anderen Charakter. Zunächst sei er-
wähnt, dass nach Ziegelhausers Tode für 182 1
das Taschenbuch von J. S. Ebersberg (dem
späteren I lerausgebcr des „Österreichischen Zu-
schauer", f 1854) und zwar mit dem zweiten
Titel „Erato", von 1822 an aber von dem da-
mals als Theaterdichter angestellten beliebten
Dramatiker Karl Meisl und zwar „zum Besten
der hinterlassenen Familie Zicgelhausers" her-
ausgegeben wurde; den Jahrgang 1828 redigierte
der erprobte und unermüdliche Sekretär von
Bäuerles „Theater-Zeitung", C.J. Metzger (f 1 865)
die späteren Jahrgänge Max Carl Baldamus und
dann wieder Karl Meisl im Verein mit August
Schmidt Von 1843 an übernahm der Dichter
jf. N. Vogl die Herausgabe des Taschenbuches,
das mit geändertem Titel als „Thalia" noch
Jahre lang erschien, so dass dieser Almanach
einen Bestand von mehr als 50 Jahren auf-
weisen kann. Vogl selbst führte die Redaktion
bis 1857. Sehen wir von den ersten, noch
Abb. iol Koloriertet Modebild MI
„Der Freund des schonen Geschlechts" für 1817.
Original grosse.
39
3 o6
Schlotsar, Taschenbücher und Almanache la Anfang unseres Jahrhunderts.
dürftigen Inhalt aufweisenden Jahrgängen ab,
so werden die späteren bald einem weiteren
Leserkreise gerecht Neben den kleineren Lust-
spielen finden wir Novellen und Erzählungen
der besten österreichischen Schriftsteller, so
von Chr. Kuffner, Frz. Gräffer, Emil Gleich,
Lembert, Eyb, Castelli, E. Duller. Durch poe-
tische Stücke sind vertreten: A. Schumacher,
Deinhardstein, L. Haiirsch, J. F. Schneller,
J. G. Seidl, Saphir, E. Frhr. v. Feuchtcrsleben,
J. N. Vogl, L. A. Frankl und Andere. Grill-
parzer hat zu dem Jahrgange 1828 das Ge-
dicht „Rechtfertigung als Antwort auf ein Ge-
dicht, das mir meine Unthätigkeit zum Vor-
wurf machte" beigetragen, das uns einen tiefen
Blick in das Gemüt des grollenden Poeten ge-
stattet und sich gegen eine poetische Apo-
strophe Bauernfelds wendet. Es sei hier noch
angeführt — obgleich diese Bemerkung eine
Periode betrifft, welche weit über den von uns
ins Auge gefassten Zeitraum hinausgeht — dass
Grillparzer selbst in seiner späteren stillsten
Zeit in diesem Taschenbuche durch Gedichte
vertreten ist, so in den Jahrgängen 1852, 1853,
1854 u. s. f. Die Beziehungen, welche den be-
rühmten Dramatiker mit seinem Freunde Vogl,
den späteren Herausgeber, schon von der Jugend
an verknüpften, sind wohl die Veranlassung, dass
der schweigsame Grillparzer doch diesem noch
das eine oder andere Poem für solchen Zweck
überliess. Als einen ganz besonders bemerkens-
werten Mitarbeiter in den vierziger Jahrgängen
finden wir den berühmten „Landsknecht" Fürst
Friedrich v. Schwarzenberg; der Schauspieler
E. Anschütz, der sich auch als Dichter bemerk-
bar gemacht, fehlt in vielen Jahrgängen gleich-
falls nicht Es braucht wohl kaum bemerkt zu
werden, dass dieses „Leopoldstädter Taschen-
buch", welches bis zur Redaktion Vogls stets
ganz genaue Mitteilungen über das Theater und
dessen Personal erteilte, dadurch auch eine
wichtige Quelle für die Theatergeschichte ge-
nannt werden kann; jedenfalls spiegelt es in
der langen Reihe der erschienenen Jahrgänge
auf dramatischem wie auf litterarischem Gebiete
den wechselnden Zeitgeschmack in sehr be-
achtenswerter Weise wieder.
Das nachfolgend zur Besprechung gelangende
Taschenbuch „Aglaja" verdient ganz besondere
Aufmerksamkeit sowohl seiner wertvollen litte-
rarischen Beiträge als auch der prächtigen
Kupferstiche wegen, welche in allen erschienenen
Jahrgängen, von demselben Meister des Stichs
herrührend, enthalten sind. Dieses Taschenbuch
war es auch, in dem Grillparzer häufig die
schönsten und bedeutendsten seiner Gedichte
zuerst veröffentlichte. Es erschien bei Johann
Bapt Wallishauscr in Wien in seinem ersten
Jahrgange mit dem Titel „Aglaja. Ein Taschen-
buch für das Jahr 181 5 herausgegeben von
Joseph Sonnleithner" und wurde bis 1832 un-
unterbrochen fortgeführt (Abb. 5). Schon nach
den ersten Jahrgängen nahm an Stelle des auch
durch seine musikalischen Bestrebungen bekann-
ten Theatersekretärs Sonnleithner der Dramaturg
und eigentliche Leiter des Burgtheaters in Wien
Joseph Schreyvogel, der unter dem Pseudo-
nym K. A. und Th. West heute noch durch
seine Bearbeitungen von Calderons „Leben
ein Traum" und Moretos „Donna Diana" be-
kannt ist, auch die Redaktion der „Aglaja" in
die Hand und führte dieselbe vom Jahrgange
1819, unterstützt von dem Hofschauspieler
Lembert, bis zu seinem 1832 erfolgten Tode.
Dieser merkwürdige, kunstverständige, vielbe-
schäftigte Mann, dem Grillparzer eine Grab-
schrift gewidmet und dem das Burgtheater
seine eigenüichc Blüte verdankt, hat auch dem
Taschenbuche „Aglaja" zu glänzendem Auf-
schwünge verholfen; in bezug auf Ausstattung
stand ihm der geschmackvolle Verleger Wallis-
hauser wacker zur Seite. Wenden wir uns zu-
nächst den künstlerischen Beigaben zu, welche
in jedem Jahrgange erschienen. Diese feinen
Stiche rühren sämtlich von dem Kupferstecher
Friedrich John (1769 — 1843) her, jenem aus-
gezeichneten Künstler, der durch die grossen
Kunstblätter für die Göschenschen Ausgaben
der Werke Wielands und Klopstocks sich schon
früher bestens bekannt gemacht hatte. Alle
Kupferstiche Johns sind in der von ihm selbst
erfundenen eigenartigen Manier durchgeführt,
welche von der gewöhnlichen Punktiermanier
abweicht und sich durch besondere Weichheit
und Feinheit auszeichnet, wie sie nach ihm kein
zweiter durchzuführen im Stande war. Jedem
Jahrgange der „Aglaja" waren sechs der schönen
Stiche Johns beigegeben, ausschliesslich nach
klassischen Originalen in den Wiener Gallericn,
namentlich in der Belvederegallcrie gestochen.
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Sehlogsar, Taschenbücher und Almanache tu Anfang unseres Jahrhunderts.
Es liegen in. den 1 6 Jahrgängen der „Aglaja"
nicht weniger als 105 von John gestochene
Blätter nach Bildern von Corcggio, van Dyk,
Andrea del Sarto, Caracci (Abb. 6), Rubens,
Guido Reni, Rcmbrandt, Carlo Dolcc, Albani,
Franceschini, Bassano, Murillo, I.ionardo da
Vinci und anderen vor, in ihrer vortrefflich
feinen Ausführung ein wahrer Schmuck jedes
Bandes, der uns nicht nur die ausserordentliche
Fertigkeit, sondern auch den Fleiss dieses aus-
gezeichneten Künstlers bewundern lässt.' Schon
diese Blätter allein verleihen jedem Jahrgange der
„Aglaja" einen besondern künstlerischen Wert.
Wenn wir den Inhalt des Textes an Er-
zählungen und Gedichten ins Auge fassen, so
zieht ein Stück Geschichte der deutsch-öster-
reichischen Littcratur aus ihrer besten Zeit an
unserem Auge vorüber. In den ersten Jahr-
gängen begegnen wir noch den aus der früheren
Periode bekannten Namen der Dichterinnen
Gabriele Bacsany und Karolinc Pichler, welch
letztere eine Reihe von Jahren durch ihre da-
mals allbeliebtcn, heute langst vergessene No-
vellen darin vertreten ist, ferner den Dichtern
J. R. v. Kalchberg, Friedrich Schlegel, A.
Weisscnbach, J. F. Castelli und Deinhardstcin.
Bald folgen Beiträge jüngerer begabter Autoren
wie L. Jeitteles, Ludwig Haiirsch, J. G. Seidl,
und in dem Jahrgange 1 819, mit welchem Schrey-
vogel-Wests redaktionelle Thätigkeit begann,
erschienen schon die ersten zwei Gedichte Grill-
parzers („An einen Freund" und „Des Kindes
Scheiden") ; daneben taucht J. Chr. Frh. v. Zed-
litz auf, der nunmehr selten fehlt. Eine reiche
Lese von Gedichten hat Grillparzer in dem
Jahrgange 1820 veröffentlicht. Dieser Jahrgang
hatte für den grossen Dramatiker aber eine
besondere Unannehmlichkeit zur Folge, da in
dem der Königin von Baiern gewidmeten Bänd-
chen das berühmte Gedicht „Auf die Ruinen
des Campo Vaccino" enthalten war, das durch
seinen gegen das päpstliche Italien gerich-
teten Inhalt den Unwillen der streng katho-
lischen Königin erweckte und rasch aus allen
Exemplaren entfernt werden musste. Infolge
307
der deshalb nötigen Intervention der Zensur
und eines dem Dichter erteilten kaiserlichen
Verweises war Grillparzer viele Jahre hindurch
allen möglichen Zcnsurchikanen ausgesetzt*
Dennoch hat ihn Schreyvogel veranlasst, ihm
noch für die Jahrgänge 1821, 1822, 1825, 1827,
1828 und 1829 Gedichte zu überlassen; indem
Jahrgange 1828 findet sich ausserdem von ihm
„Das Kloster bei Sendomir", jenes Rabincts-
stück einer Erzählung, das so hoch über die
anderen novellistischen Schöpfungen der Zeit
hervorragt In demselben Bändchen gelangt
eine ebenfalls für die österreichisch-deutsche
Littcratur bedeutend gewordene Dichtung zur
ersten Veröffentlichung: die „Totenkränze" von
Zedlitz, welche so ungeheuren Beifall fanden,
dass noch im gleichen Jahre der Vcrieger des
Taschenbuches von diesen eine schöne Sepa-
ratausgabc veranstaltete. Schreyvogel selbst
unter seinem Pseudonym West hatte ebenfalls
zu mehreren Jahrgängen seine charakteristischen
Skizzen und Erzählungen beigetragen. Aber
auch nicht österreichische, damals beliebte
Dichter und Schriftsteller wusstc der Heraus-
geber für die „Aglaja" zu gewinnen : so findet
sich der nach Wien gekommene Zacharias
Werner und neben ihm Michael Beer und
Rückert mit seinen „Neuen östlichen Rosen"
ein; der beliebte Friedrich Kind und Hclmine
von Chezy, Luise Brachmann, Theodor Hell,
E. Rochlitz, Leopold Schefer, zuletzt noch
L. Kruse, wie man sieht, Namen von Schrift-
stellern, welche damals zu den am meisten
gelesenen gehörten, fehlten nicht. Von den
Österreichern blieben J. G. Seidl, Jos. v. Ham-
mer, der Orientalist, und Castelli getreue poe-
tische Mitarbeiter Schrcyvogels bis zu dem letz-
ten Jahrgange, der noch Gedichte enthielt.
Es war dies jener für 1830. Der Sinn für
Vers und Reim war bei dem grossen Publikum
durch die Vorliebe für erzählende und novel-
listische Dichtung herabgedrückt worden; die
letzten Bändchen der „Aglaja", für 1831 und
1832, enthielten nur noch ausschliesslich No-
vellen und das Trauerspiel „Herr und Sklave"
• Die Kupfcrplattcn ru diesen Blättern dürften sich noch in den Händen des Verlags- Nachfolgers Wallishauters
befinden. Noch vor etwa 2$ Jahren waren Separatabrüge aller Blätter, welche Wallishauser später veranstaltet hatte,
käuflich, und viele derselben sind heute noch erhältlich.
1 Aug. Sauer in der trefflichen Einleitung zur 5. Ausgabe von Grillparzers sämtlichen Werken (Stuttgart, Cotta)
Bd. I. S. »3 berichtet eingehend über diese für Grillparzer so misslich gewordene Angelegenheit.
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308
Schlossar, Taschenbücher nnd Almanache zo Anfang unsere» Jahrhunderts.
von Zedlitz. Im Jahre 1832 starb Schreyvogel,
und das Taschenbuch „Aglaja" hörte zu er-
scheinen auf. Es hatte sich bis zuletzt seinen,
man möchte sagen: klassischen Charakter be-
wahrt. Inzwischen war durch die Zeitströ-
mung das Bedürfnis nach dem kleinen Bänd-
chen grösser geworden, und verschiedene
Konkurrenzunternehmungen tauchten auf dem
Wiener Platze empor, welche, in modernerem
Geiste geleitet, der „Aglaja" den Rang streitig
zu machen suchten, und von denen manche von
Schriftstellern herausgegeben wurden, welche
wir als langjährige Mitarbeiter der „Aglaja"
kennen gelernt haben, wie die Folge dieser
Darstellung zeigen wird. An litterarischem und
künstlerischem Wert aber haben selbst die besten
dieser Nachfolger ihr Vorbild nicht erreicht.
Zunächst seien zwei solcher Taschenbücher
angeführt, die zwar keinen besonderen künstle-
rischen, auch minderen litterarischen Wert, wenig-
stens in dem hier betrachteten Zeitraum haben,
k
1 IrniH.'vrvjJ«'!»'!» viui
I ' II \ N X (»H.Xl'FKU.
'.iwmWt -Villi. \.uki
brvJr,». Riedl» lt-<-t:
Abb. 11. TilclbUtl der „Aurora" von l*JJ.
Originalgroll«.
die aber doch für das Wiener Leben und dessen
Äusserungen charakteristisch zu nennen sind
und überdies einen Bestand von mehreren Jahr-
zehnten aufweisen können. Es sind dies die
Almanache „Das Veilchen" und „Iduna". „Das
Veilchen. Ein Taschenbuch für Freunde einer
gemütlichen und erheiternden Lektüre" erschien
bei Josef Riedl in Wien zuerst 1819 und wurde
bis 1851 ununterbrochen fortgesetzt' 1823
wurde es von dem einstigen Lehrer am There-
sianum J. C. Unger, später von Franz Gräffer,
seit 1828 von J. G. Seidl herausgegeben; es
hatte ein ganz kleines Format (65 : 105 mm)
und enthielt neben den Kalenderdaten eine
Anzahl von Gedichten und kleinen Erzäh-
lungen von wenig hervorragenden Verfassern,
unter denen die genannten Herausgeber selbst,
dann F. v. I Iermannsthal , Franz Rittler, Frei-
herr v. Schlechta, später E. Fitzinger, J. A.
Kaltenbrunner, Aug. Schmidt, E. Straube und
J. N. Vogl etwa als die bedeutenderen her-
vorgehoben werden können. Es wurden auch
kleine Kupferstiche beigegeben, von denen
die älteren nur geringen Wert besitzen, ob-
gleich auch Josef Stöbcr als Stecher genannt
ist; die späteren Jahrgänge in den dreissiger
Jahren wiesen schon besser gestochene Blätter
auf, zumeist von Ign. Krepp und S. Langer
ausgeführt. Kein Jahrgang aber entbehrt die
kolorierten kleinen Modekupfer, welche in Ver-
bindung mit dem zierlichen Einband und der
ganzen zarten Ausstattung — selbst ein Spiegel,
welcher dem Bändchen stets eingefügt er-
scheint, fehlt nicht — es deutlich zeigen, dass
dieses Buch doch mehr als Toilettengeschenk
und Neujahrsgabe für Damen bestimmt gewesen
ist und die Herausgeber gar keinen Anspruch auf
besonderen litterarischen Wert desselben legten.
Als Verleger dieses Taschenbüchlcins finden
wir lange Jahre hindurch keinen Buchhändler,
sondern die Buchbindcrfirma Riedl in Wien
genannt.
< Leid« gelang es mir nicht, die ersten Jahrgänge
des „Veilchen" (1819—1822) trotz allcrUmfragc bei vielen
grossen österreichischen Bibliotheken aufzufinden, ebenso-
wenig war es mir möglich, von der „Iduna" die ersten
10 Jahrgänge (1821 — 30) zu erlangen. Über diese kann
ich daher nur nach zeitgenössischen Mitteilungen berichten.
Den Herren Ilibliothekaren und Privalsammlern wäre ich
aber sehr dankbar, wenn sie die Güte hätten, mir, falls
sie diese Jahrgänge besitzen, davon Mittheilung zu machen.
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Schlosiar, Taschenbücher nnd
Der Almanach „fduna" erschien 7.uerst bei
Pfautsch in Wien für 182 r und wurde bis
1858 fortgesetzt. Für ihn gilt Ähnliches wie
für das „Veilchen". Er hatte dasselbe kleine
Format, zuerst auch ziemlich bedeutungslose
Kupferstiche und enthielt neben dem Kalenda-
rium stets Modebildcr. Wer der Herausgeber
der ersten Jahrgänge war, ist mir nicht bekannt
geworden, vielleicht ebenfalls Franz Gräffer, der
ja, wie es bei mehreren Schriftstellern jener
Zeit der Fall gewesen, gleichzeitig einige sol-
cher kleiner Taschenbücher redigierte. Spater,
aber erst von 1840 ab, übernahm J. G. Scidl
die Redaktion. Auch der Inhalt der „Iduna"
bestand in kleinen Erzählungen, Skizzen, Sagen
und Gedichten österreichischer Schriftsteller.
Weiter ist über dies Taschenbuch nichts be-
sonderes zu bemerken.
Dagegen verdient ein von Castelli her-
ausgegebenes Büchlein dieser Litteraturgattung
mehr Aufmerksamkeit, nämlich der zuerst in
Leipzig im Industrie - Komptoir erschienene
Almanach „Huldigung den Frauen. Ein neues
Taschenbuch von J. F. Castelli für das Jahr
1823". Des Herausgebers Galanterie geht
schon aus dem Titel hervor, wenn man auch
nicht aus seinen, Ende seines Lebens ge-
schriebenen „Memoiren" wüsste, dass er dem
weiblichen Geschlechte stets eine ganz besondere
Verehrung geweiht. Das Büchlein erschien zu-
erst in kleinem, von 1827 an aber in etwas
grosserem Format (Abb. 7) und ging vom ge-
nannten Jahre ab in den Verlag von Tendier und
Manstein in Wien über. Es wurde von seinem
Gründer bis 1848 fortgerührt. Die Stürme des
genannten Jahres, welche so vieles mit sich
rissen, haben auch diesem littcrarischen Unter-
nehmen ein Ende bereitet. Den Widmungen
der einzelnen Jahrgänge des Taschenbuchs an
verschiedene fürstliche Damen verdankt der
Herausgeber, wie er in den mehrfach erwähnten
„Memoiren" (IIL S. 108) sehr selbstgefällig be-
merkt, „die schönsten Geschenke in Ringen,
Medaillen" und anderen Schmuckgegenständen;
„an Honorar hat es mir wenig eingetragen",
fährt Castelli daselbst fort, „da eines Teils die
Ausstattung dem Verleger grosse Kosten verur-
sachte, andernteils ich auch selbst Tür die darin ent-
haltenen Erzählungen Honorar bezahlen musste".
Man kann aber dem Herausgeber die Aner-
kennung widerfahren lassen, dass, wie sich dies
ra Anfang unseres Jahrhunderts. 3°9
Abb. 12. Titcllcupfcr der „Aurora" von 11*25.
Origtnalg-rosae.
schon früher bei „Selam" zeigte, er auch nach
dem geänderten Zeitgeschmacke die Redaktion
mit grossem Geschicke führte, so dass seine „1 Iul-
digung" bald zu einem der beliebtesten öster-
reichischen Almanache wurde und selbst weit über
Wien hinaus grosse Verbreitung erlangte. Die
ersten vier Jahrgänge, welche aus Baumgartners
Industrie -Komptoir in Leipzig hervorgingen,
waren allerdings noch etwas dürftig ausgestattet,
aber schon in diesen wusste Castelli durch seine
persönlichen Beziehungen eine reiche Zahl von
bedeutenden Schriftstellern zu versammeln.
So hat im ersten Jahrgange Grillparzcr das
Gedicht „Incubus" beigetragen ; neben ihm
erscheinen in den Jahrgängen für 1823 bis
1826 Kuffner, Karolinc Pichler, J. G. Prätzel,
Deinhardstein, Friedrich Rückert, Zedlitz, Jos.
v. Hammer, C. G. v. Leitner, Helmine v.
Chczy, J. G. Scidl, Clauren, K. E. Ebcrt,
L. Jeitteles, Tromlitz, F. Haug, L. Reilstab als
Mitarbeiter in Vers und Prosa. Man sieht, dass
dies Namen von bestem Klange geworden oder
auch damals schon gewesen sind und nicht
nur Namen von Österreichern. Aber auch die
Kupferstiche verdienen Beachtung. Kein Ge-
ringerer als der noch junge Schnorr v. Carolsfeld
Schlo«s»r, Taschenbücher und Almnnaehe »u Anfang unsere» Jahrhunderts.
hat für die ersten Jahrgänge die Zeichnungen
entworfen, welche von Joh. Passini, dem
Schüler G. Mansfelds, und von L. Beyer, dem
Schüler J. Schmutzers, gestochen worden sind.
Die seit 1827 in Wien erschienenen Jahrgänge
waren viel reichhaltiger und boten oft ganz
vortreffliche Kunstblätter in Kupferstich, von
denen die zahlreichen schönen Frauenbilder,
beispielsweise jene von Mezlcr gezeichneten und
von Krepp in Wien gestochenen des Jahrganges
1833, hier namentlich angerührt seien (Abb. 8).
Von österreichischen Kupferstechern dieser Zeit
mögen als solche, die in der „Huldigung" durch
Kunstblätter vertreten waren, die bestbekannten
Namen Blasius Höfel, Kotterba, Kovatsch
und Jung genannt werden. Von den littera-
rischen und poetischen Mitarbeitern, auch der
späteren Jahrgänge, zählen viele in der Folge
zu den berühmtesten österreichischen Dichtern.
So hat in den Jahrgängen 1827 — 1830 Alex.
Graf v. Auersperg noch unter diesem Namen
seine Lieder veröffentlicht, bevor das Pseudo-
nym Anastasius Grün geschaffen und berühmt
geworden war; neben ihm finden wir häufig
Zedlitz und ausser den schon oben Genannten,
die dem Herausgeber treu geblieben waren,
noch Bauernfeld, J. N. Vogl, Gustav Schwab,
J. Mayrhofen Tschabuschnigg, Dräxler-Manfrcd,
L. A. Frankl, A. Frhr. v. Prokesch-Osten und
viele andere hervorragende Namen. Seit 183 1
erscheint fast regelmässig Anastasius Grün,
dessen flammende Strophen der „Spaziergänge
eines Wiener Poeten" schon erschienen waren,
der sich aber in Österreich hütete zu bekennen,
dass er mit dem früheren Grafen Auersperg
identisch sei; denn die Zensur fahndete eifrig nach
dem „Spaziergänger", welcher in einer seiner
Strophen dem Volke Österreichs die ironisch be-
scheidenen Worte in den Mund legte: „Dürfte
ich wohl so frei sein, frei zu sein?" — eine Cur die
damaligen Machthaber geradezu erschütternde
Frage und Forderung. Das Taschenbuch „Hul-
digung den Frauen" ist eine der bezeichnendsten
litterarischen Erscheinungen des alten Wien, wie
der I Ierausgeber desselben wohl die bekannteste
und beliebteste Schriftstellcrgestalt der öster-
reichischen Residenzstadt genannt werden kann
und auch namentlich durch seine Beziehungen
zu dem Schrifttum des Auslandes für die Hebung
des geistigen Lebens in Österreich sich grosse
Verdienste erworben hat.
Von unbedeutenden Anfängen ausgehend
hat sich der Almanach: „Der Freund des
schönen Geschlechtes' 1 , welcher zuerst für 1823
von Joseph Ritter von Seyfried herausgegeben
bei Riedl in Wien erschien, bald auch einen
bedeutenden Leserkreis erworben und in Öster-
reich wenigstens weite Verbreitung erlangt.
Seyfried, der Bruder des einst vielgenannten
Komponisten Ignaz Ritter von Seyfried war
Theaterdichter und Sekretär im Theater an
der Wien und hatte schon als Redakteur
des „Sammler" Geschick für die redaktionelle
Führung bewiesen. Die ersten Jahrgänge des
„Freund des schönen Geschlechtes" schienen
in die Bahnen der „Veilchen", „Iduna" und
ähnlicher Damennippes-Litteratur einlenken zu
wollen; kolorierte Modekupfer, Kupferstiche
zu dem Texte in mässiger Ausführung zierten
das ebenfalls zuerst in kleinstem Format er-
scheinende Büchlein (Abb. 9), welches einige
kurze Erzählungen (z. B. von J. A. Gleich) und
wenige Gedichte neben dem Kalendarium bot.
Von 1825— 1827 tritt der vielseitig thätige
Franz Gräffer als Herausgeber auf, und wir
finden als Mitarbeiter unter anderen Johann
Langer, Dräxler-Manfrcd, Carl v. Holtei, Emst
Frhrn. v. Feuchtersieben, auch Seidl, Leitner
und Graf Auersperg. Die Stiche von Langer,
Jung und anderen Wiener Künstlern sind
zumeist nach Originalen des zu jener Zeit für
Taschenbücher vielbeschäftigten Perger herge-
stellt. Von 1828 an übernahm die Redak-
tion der beliebte Johann Gabriel Seidl, dem
wir schon öfter als Herausgeber ähnlicher
Taschenbücher begegnet sind und noch be-
gegnen werden. Nächst Castelli erfreute sich
Seidl — nebenbei bemerkt der Textdichter der
heutigen österreichischen Volkshymne — in
den Kreisen der Residenz, die sich mit Litteratur
beschäftigten, schon zu jener Zeit der grössten
Beliebtheit; er besass ebensoviel Gewandtheit
der Form als Geschicklichkeit in der Erfindung ;
das Jahre lang von ihm herausgegebene Taschen-
buch „Der Freund des schönen Geschlechtes"
enthält viele Beiträge aus seiner eigenen Feder
in Vers und Prosa. Auch nachdem er eine
Profcssur zu Cilli in Steiermark 1829 antrat
und Wien für 1 1 Jahre verlassen musste, führte
er den Almanach fort, als dessen Mitarbeiter
sich auch später fast ausschliesslich Öster-
reicher finden, wie Tschabuschnigg, A. Schurz
Schlosw, Taichenboeher und Alraanache ru Anfang unteres Jahrhunderts.
3» »
(der Schwager Lenaus), L. A. Frankl, A. Kalten-
brunner, M. Rappaport, J. N. Vogl, G. Fitzinger
u. a. Die Kupferstiche der ersten von Scidl
redigierten Jahrgange, zumeist nach Zeichnungen
vonCleraentineRuss, rühren von Leybold, Krepp,
Langer und anderen österreichischen Künstlern
her, welche hier schon Öfter genannt wurden
und die recht gute, wenn auch mitunter scha-
blonenhafte Arbeiten lieferten (Abb. 10).
Viel bedeutender in litterarischer und künst-
lerischer Beziehung gestaltete sich ein anderes
Taschenbuch, das unter dem Titel: „Aurora.
Taschenbuch für das Jahr 1824. Schönen
Empfindungen geweiht" gleichfalls bei Joh.
Riedl in Wien erschien. Die Redaktion hatte
bis 1827 wieder Frans; Gräffer inne, dem
ebenfalls J. G. Seidl folgte. Letzterer leitete
die Herausgabe von 1828 ab noch 25 Jahre lang
mit Geschmack und Geschick. Als Verleger
finden wir später Heinrich Buchholz in Wien.
Das zuerst in kleinem Format auftretende
Büchlein (Abb. 11) nimmt im Laufe der Zeit an
Grösse und Reichtum des Inhalts zu, und ins-
besondere war der novellistische Teil jedes Jahr-
ganges unter Seidls Leitung sehr gut bestellt,
überhaupt ist die „Aurora" jenes unter den
verschiedenen von diesem Poeten redigierten
Taschenbüchern, welchem er besondere Liebe
und Aufmerksamkeit zuwandte, selbst noch in
seinem spätem Alter, als die Zeit dieser Littc-
raturgattung lange nicht mehr hold war.'
Als Mitarbeiter in Vers und Prosa standen den
Herausgebern die besten österreichischen Kräfte
zur Seite: L. Haiirsch, F. X. Toldt, Graf Aucrs-
perg, Castelli, C. E. Ebcrt, Ernst Frhr. v. Feuch-
terslebcn; Scidl und Gräffer selbst sind schon
in den ersten Jahrgängen vertreten. Von den
Mitarbeitern der späteren Jahre findet sich im
Jahrgange 1828 ein Gedicht „Jugendträume" von
N. Nicmbsch, jenem Verfasser, der wenige
Jahre später weltberühmt wurde unter dem
Dichternamen Nikolaus Lenau. Ausserdem
begegnet man den Namen aller irgendwie be-
merkenswerten Österreicher auf schöngeistigem
• Man vergleiche z. B. die Äusserungen Seidls über
von mir mitgeteilt in der „Zeitschrift Tür Österreich. (Jymnasi
Gabriel Seidl und Carl Gottfried R. v. Leitner".
Gebiete: Leitncr, Tschabuschnigg, Bauemfeld,
Vogl, Jeitteles, A. Schumacher, Braun v. Braun-
thal, Erich v. Eyb, Frankl, Carlopago, Aug.
Schmidt, denen sich auch mancher heute schon
Vergessene anschliesst. Jüngere Talente tau-
chen daneben immer wieder auf, und so ge-
währt dieses Taschenbuch ähnlich wie die früher
eingegangene „Aglaja" einen guten überblick
des österreichischen poetischen Lebens durch
etwa 30 Jahre. Seidl hat auch manche seiner
dramatischen Dichtungen den Lesern darin
geboten, so z. B. im Jahrgang 1833 das im
Burgtheater seinerzeit vielgenannte dramatische
Gedicht „Das erste Veilchen" und anderes.
Die den Jahrgängen nach 1828 beigegebenen
Kunstblätter sind zumeist gut, mitunter sogar
vortrefflich ausgeführt; von den bekannten und
hier schon öfter erwähnten Wiener Stechern
beteiligten sich daran S. Langer, Krepp, Ko-
vatsch, später auch der durch seine feine Art
der Behandlung sich auszeichnende J. Ax-
mann. Eine hübsche Idee wird von 1828 an
in den Kupferstichen jedes Jahrganges durch-
geführt: illustrierte Szenen aus dramatischen
Werken österreichischer Dichter, namentlich
Grillparzers; die von Perger gezeichneten Blätter
sind trefflich komponiert und ausgeführt Auch
einige Frauenköpfe von Enderzeigen die feinere
Ausführung dieses bald bedeutend gewordenen
Künstlers.
Gleichzeitig mit der besprochenen „Aurora"
erschien, von F. X. Toldt herausgegeben, ein
Taschenbuch „Fortuna'' für 1824. Toldt, selbst
ein überaus fruchtbarer Novellist und drama-
tischer Schriftsteller, hat sich durch sein 1842
im Josephstädtcr Theater zu Wien aufgeführtes
Zauberspiel „Der Zauberschleier'' mit Musik
von Titl, bekannt und populär gemacht; sein
Name ist uns auch schon in anderen Alma-
nachen begegnet. Der erste Jahrgang der
„Fortuna" enthält auf dem zweiten Titel den
Beisatz „Taschenbuch des K. K. priv. Joseph-
städter Theaters" und als Inhalt neben Erzäh-
lungen und Gedichten das Verzeichnis des
Personalstandes jener Bühne und andere dieselbe
die „Aurora" in dessen Briefen an C. G. R. v. I.citner,
a", Jahrg. 1893 Wien, Gerold) in dem Auftaue: „Johann
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312 Schlossar, Taschenbücher un<l Almanache iu Anfang unseres Jahrhundertl.
Abb. ij. Cupido nach Ii. Sirani, gcM. Ton C Kolterba.
Au» dem Tatchenbuch „Gedenke mein" für I0J7-
Fatt Originalgrotte.
betreffenden Angaben. Schon im 3. Jahr-
gang fehlen diese Mitteilungen, und die „For-
tuna" tritt als selbständiges Unternehmen
(Verlag von Tendier & Manstein in Wien) auf.
Was den Charakter dieses Taschenbuches in
der Folge betrifft, so nahm der Herausgeber
auf Novellen besondere Rücksicht; aber auch
lyrische Gedichte, Balladen, Romanzen und ähn-
liche Beiträge fehlen nicht. Gräffer, Seidl, Leitner,
Graf Auerspcrg, Ilalirsch, Castelli, Deinhard-
stein und andere der damals bestgenannten
Österreicher sind unter den Mitarbeitern ver-
treten, denen sich von auswärts 1 lelmine v.
Chezy, Rückcrt und la Motte Fouqu6 zuge-
sellen. Die den späteren Jahrgängen beige-
gebenen Stiche von einigen recht hübschen
Zeichnungen Deckers beziehen sich meist
auf Sccncn aus den Erzählungen in diesem
Taschenbuche, und treten uns als Stecher
derselben die Namen Beyer, Winkler, M. Hof-
mann, auch noch Blaschke entgegen. Toldt
führte das Taschenbuch bis zu seinem 1844
erfolgten Tode, also eine lange Reihe von
Jahren hindurch fort und hat in ihm eine
Ubersicht der österreichischen Erzähler ge-
boten, die für den Literarhistoriker jener Zeit
von nicht zu unterschätzendem Werte ist.
Noch ist einiger anderer Taschenbuchunter-
nchmungen zu gedenken, deren anfängliches Er-
scheinen in das Ende des dritten Decenniums
unseres Jahrhunderts oder wenig darüber hinaus
fällt Dieselben haben sich durch jahrelanges
Bestehen oder auch durch ihre besonders
schöne Ausstattung das Recht erworben, hier
nicht übergangen zu werden. Freilich hatte
nach den dreissiger Jahren das eigentliche
Taschenbuchwesen im Sinne des früheren Zeit-
geschmackes so ziemlich sein Ende erreicht.
Die Fortschritte der Technik auf dem Gebiete
des Buchdrucks, der Buchausstattung und des
Stiches lassen diese späteren Almanachc ab
ganz elegante Verlagsunternehmungen hervor-
treten, zu denen sich so manche der bisher be-
sprochenen Almanache im Laufe der Zeit
erst mühsam gestalten mussten.
Eines dieser Taschenbücher ist das „Gedenke
Mein", dessen erster Jahrgang für 1832 in Wien
bei Pfautsch erschien. In diesem Verlage
wurde das Buch 26 Jahre herausgegeben.
Wer der eigentliche Redakteur des „Gedenke
Mein" war, ist mir nicht bekannt ; vielleicht war
es auch diesmal J. G. Seidl, (der bis in die fünf-
ziger Jahre mit Beiträgen darin erscheint), doch
wage ich dies nicht bestimmt zu entscheiden.
Es können für unsere Darstellung nur die ersten
Jahrgänge dieses in littcrarischcr wie in künst-
lerischer Hinsicht überaus bemerkenswerten
Taschenbuches in Frage kommen, aber diese
verdienen dafür auch volle Beachtung. Die
meisten Kupferstiche sind nach Zeichnungen
Weigls von C. Kotterba gestochen (Abb. 13),
dessen ideale Frauenköpfe „voll Leben und
Wahrheit" ganz besondre Aufmerksamkeit ver-
dienen, so namentlich die Frauenbilder im Jahr-
gange 1833. Sehr zierlich erscheinen auch die
gestochenen Widmungsblättcr, nicht selten mit
ebenfalls im Stich ausgeführten Gedichten (Abb.
14). In späteren Jahrgängen finden sich —
wie hier beiläufig bemerkt sei — auch wolü-
getrotTenc Porträts österreichischer Dichter
(Bauernfeld, Ebcrt, Vogl, Zedlitz, Castelli etc.)
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3'3
und von Erzählern neben vielen
anderen Tschabuschnigg, A. Schu-
macher, Braunthal, Kuffner, Castelli,
von lyrischen und epischen Dichtern
ausser diesen die Namen Dräxler-
Manfredt, J. v. Hammer, Carlopago,
L. A. Frankl; später sind auch
ausserösterreichische Poeten wie K.
v. Holtci, GusL Pfizer, Rückert, Hoff-
mann v. Fallersleben durch Beiträge
vertreten. Der geschmackvollen
Auswahl in Text und Bild verdankt
dieser Alm. mach die grosse Beliebt-
heit, welche ihm durch so lange
Jahre zu Teil geworden ist.
Das nächste, ebenfalls in ein
schönes Gewand gekleidete und
vortrefflich geleitete Taschenbuch
dieser späteren Periode ist „Vesta.
Kleine Halle für deutsche Kunst unJ
Litteratur", von dem für 1831 bis
1 836 sechs Jahrgänge durch August
Rodert herausgegeben wurden. Als
Verleger zeichnet Franz Ludwig in
Wien ; es dürfte aber Rockert selbst
die Hauptkosten getragen haben.
Rockert (geb. 1775, f 1855) war
nicht nur poetisch thätig, sondern
auch ein feiner Kunstkenner und so
manche in der „Vesta" gut gestochen
wiedergegebenen Originalgemäldc
befanden sich in seinem Besitz.
Die Originale dieser Stiche rühren
meist von modernen österreichischen
Malern her, wie Knder, Rieder,
Feudi, Gauermann, Waldmüller u. a. m. Als
Stecher treten uns neben andern J. Passini und
der mit besonderem Kunstgefuhl begabte J.
Axmann entgegen. Von litterarischen Beiträgen
sind Gedichte, Erzählungen und auch kleinere
dramatische Stücke in der „Vesta" enthalten.
So insbesondere einige der ersten Lustspiele von
Bauernfeld, Novellen von Leitner, L. Haiirsch,
A. Schumacher, ausserdem Gedichte von Her-
mannsthal, Vogl, Seidl. Namentlich aber finden
wir seit dem Beginne auch Grillparzer wieder
unter den Poeten dieses Taschenbuchs, welcher
im Jahrgange 1835 seinen Cyclus „Tristia ex
Ponto" abdrucken liess, eine Veröffentlichung,
die gewissermassen einen Wendepunkt in seinem
Leben und in seiner trüben Weltanschauung
z. f. B. 1899/1900.
Abb. I). Gexotticnc» W.drau»£tb!att am dem T»t:hcubui.h
für OriginalgTöss«.
.Gedenke mein"
bedeutete. Noch sei angeführt, dass für den
Jahrgang 1834 Platens Epos „Die Abassiden"
vom Herausgeber gewonnen wurde, und es
dürfte auch die Mitteilung nicht ohne Interesse
erscheinen, dass der Dichter für diesen Beitrag
ein Honorar von 100 Dukaten erhielt.
Zuletzt sei das von % N. Vogl herausgege-
bene Taschenbuch „Frauenlob'' erwähnt, das
von 1836 ab einige Jahre hindurch erschienen
ist und, da der erste Jahrgang die Bezeichnung:
„Auf Kosten des Herausgebers der Vesta"
(Rockert?) auf dem Titel trägt, wohl als eine
Fortsetzung der „Vesta" gelten kann. Gedruckt
wurde auch dieser Almanach bei Franz Ludwig
in Wien. Er bot neben hübschen Stichen,
nach Zeichnungen von Stcinrukcr, Mezler und
45
314
Schlosiar, Taschenbucher und Almanache iu Anfang
Jahrhunderts.
Heicke, gestochen von Beyer, Jung, Passini u. a.,
einen schätzenswerten litterarischen Inhalt; No-
vellen, Sagen und ähnliche Prosastücke von
Vogl selbst, von Seidl, K. G. Leitner, Aug. v.
Schmidt und manchen andern Schriftstellern,
denen wir schon öfter begegnet sind. Die
eigentliche Zeit der Almanache ist damit für
Österreich und Wien vorüber; kein nennens-
wertes Unternehmen wurde mehr neu begrün-
det, nur die älteren eingelebten wurden noch
eine Reihe von Jahren hindurch fortgeführt,
wohl hauptsächlich der geschätzten Namen
ihrer Herausgeber wegen und weil die frühere
Beliebtheit derselben nachhielt.
Wir wenden uns zum Schlüsse noch dem
Gebiete der Schweiz zu, welche ja in so
mannigfaltige Beziehungen zum litterarischen
Leben Deutschlands schon seit der Mitte
des XVIII. Jahrhunderts getreten war. Dass
auf dem Schweizer Boden, soweit er deutsch
war, sich keine grosse Entfaltung der Alma-
nachlitteratur bilden konnte, ist leicht er-
klärlich Von 1800 an erschien ein „Helve-
tischer Almanaclr in Zürich bei Orell und
brachte es auf 23 Jahrgänge. Dieser enthielt
aber, einige Gedichte in späterer Zeit aus-
genommen, keine belletristischen Beiträge; er
wandte sich vielmehr der Geschichte, Volks-
und Landeskunde der Schweiz zu und bringt
in dieser Beziehung ein reiches, durch gute
Kupferstiche illustriertes Material. Dagegen gab
Joh. Rud. Uyss, genannt der Jüngere, welcher
als Professor und Oberbibliothekar an der Aka-
demie zu Bern wirkte und 1830 starb, im
Verein mit G. J. Kuhn, Meisner und andern
die „Alpenrosen, ein Schweizer Almanach auf
das Jahr 1811" heraus (Bern, Burgdorfer, und
von 1831 ab bei J. J. Christen in Aarau), der
bis in die fünfziger Jahre erschien und eine
hübsche Übersicht der Schweizer Dichtung in
Vers und Prosa, aber auch so manches über
Land und Leute, Sage, Volkslied und Dialekt
bietet. Schon in der Vorrede zum ersten Jahr-
gang sagen die Herausgeber: „Wir haben uns
vorgenommen, alles was wir geben, auf die
Schweiz zu beziehen, entweder durch seinen
Inhalt oder durch seinen Urheber. Unsre Ge-
hilfen sind vorzugsweise Schweizer in Poesie
und Prosa, in Zeichnung und Kupferstich". In
diesem Sinne sind auch thatsächlich alle Jahr-
gänge des hübsch ausgestatteten Almanachs
durchgeführt worden und machen daher einen
einheitlichen Eindruck. Neben Wyss erscheinen
als Herausgeber der „Alpenrosen" auch der 1825
in Bern als Professor der Naturgeschichte ver-
storbene K. F. A. Meisner und der durch seine
volkstümlichen Dialektdichtungen bekannte G.
J. Kuhn (f 1849). Alle drei boten in den
ersten Jahrgängen schöne Beiträge, namentlich
Kuhn zahlreiche Volkslieder und Dialektstücke.
Wyss, der Verfasser des „schweizerischen
Robinson" (der 181 2 und 1813 erschienen ist),
liefert gleich im ersten Jahrgange ein Fragment
seiner „schweizerischen Robinsonade" und ist
weiterhin durch zahlreiche Gedichte vertreten.
A. W. Schlegel veröffentlicht in den Jahrgängen
1812 und 1813 „Umrisse" seiner Reise durch
die Schweiz; in der Folge erscheinen J. Ch.
v. Salis-Seewis, sowie auch dessen weniger
bekannter jüngster Bruder Joh. Ulrich Diet.
v. Salis, der 1817 starb, als poetische Mit-
arbeiter; 1821 finden wir Beiträge von Matthisson,
später von C. Baggesen, Ferd. Huber, J. M.
Usteri, G. Schütz, A. E. Fröhlich und auch aus
den angrenzenden Landesgebieten von Gustav
Schwab, W.Waiblinger, sowie von andern, nicht
der Schweiz angehörigen Dichtern, z. B. La
Motte Fouquc - und Dräxler-Manfred. Einige
Bände enthalten litterarische Reliquien, na-
mentlich an Briefen von Schiller, Stolberg,
Lavater und Jean Paul.
Was den bildlichen Schmuck der „Alpen-
rosen" betrifft, der auch nicht fehlte, so wurden
in den beigegebenen Stichen, getreu dem Pro-
gramm der Herausgeber, die besten zeitgenös-
sischen Schweizer Künstler vorgeführt; nament-
lich verdient hervorgehoben zu werden der
sowohl als Dichter wie als Maler gleich aus-
gezeichnete Verfasser des bekannten Liedes
„Freut Euch des Lebens": J. M. Usteri, nach
dessen hübschen Landschafts- und andern
Gemätden mancher gute Stich von Franz Hegi
ausgeführt erscheint. Der erste Jahrgang 181 1
enthält in Umrissen gestochen das grosse
Historienbild „Der Abschied des Bruders
Nikiaus von der Flüe" des berühmten Berner
Künstlers G.Volmar (1770— 183 1), von welchem
Maler auch in der Folge sich Gemälde in dem
Almanache wiedergegeben finden; für die
ersten Jahrgänge hat häufig Franz König hüb-
sche Stiche geliefert; Öfter finden wir Schweizer
Landschaftsbilder oder solche aus der Schweizer
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SchweUchlce, Novae epistolae obscurorum virorum etc.
315
Geschichte. Später treffen wir unter den Kupfer-
stechern die Namen J. Lips, dem Goethe be-
kanntlich besondere Aufmerksamkeit zuwendete,
ferner Esslingcr, Burgdorfer, Gcissler, Erhard,
Rahn, Buser u. a, von Zeichnern: Freuden-
berger, Fegeli, J. Meyer, Disteli, L. Vogel etc.
Kurz, auch in künstlerischer Beziehung werden
die „Alpenrosen" ihrem Vaterlandc und den
heimischen Talenten in jeder Beziehung ge-
recht. Der Almanach erhielt später ein mehr
modernes Gewand, namentlich seit 1836, von
welcher Zeit an A. E. Fröhlich, H. W.
Wackernagel und K. R. Hagenbach die weitere
Herausgabe besorgten. Diese Andeutung,
welche ja auch schon eine Zeitperiode be-
trifft, die eigentlich ausserhalb unserer Be-
trachtung liegt, möge den Abschluss unserer
Darstellung über die Almanache und Taschen-
bücher bilden.
Es drängt den Verfasser dieser Zeilen, noch
darauf hinzuweisen, dass in dem sonst so schätz-
baren „Grundrisse zur Geschichte der deutschen
Dichtung von Karl Gocdcke", III. Bd., in wel-
chem die Almanachlitteratur behandelt ist, ins-
besondere über jene Taschenbücher, welche
der Schweiz oder Österreich angehören, manche
unveriasslichc und ungenaue Angaben enthalten
sind, was freilich mit der schweren Erreich-
barkeit dieser oft unendlich seltenen Bändchen
zusammenhangt. Die Neuauflage des „Grund-
risses" von Goedeke, welche in so vortrefflichen
Händen ruht, wird hoffentlich auch in dieser
Beziehung unsere bibliographische Kenntnis
der Taschenbücher zu bereichern suchen.
Novae epistolae obscurorum virorum.
Eine klassische Spottschrift aus der Zeit der Frankfurter Nationalversammlung.
Von
Dr. Eugen Schwetschke in Heidelberg.
«u HeSt VII.)
(ach der humoristischen Drastik dieses
Briefes versetzen uns die letzten beiden
vom Boden des „allgemein Mensch-
lichen" wieder auf den der Frankfurter Partei-
kämpfe zurück. Hugo WesenJonck, Advokat
aus Düsseldorf (Hugo Schnickschnackius JCtus
Rhenanus), klagt in tragikomischer Weise über
den unerwarteten Abfall des Abgeordneten
„Piepmeyer" von der heiligen demokratischen
Sache. War es doch Piepmeyer, den die Partei
schon als würdigen Ersatzmann des teuern Rüge
im Geiste an ihrer Spitze gesehen hatte! Nun
mussten sie ihm ein Coenotaphium errichten,
und sie sangen vor diesem das Trauerlied, das
der berühmte Dichter der Partei, illc Apollo
barbatus (Moritz Hartmann), vertagst hatte, mit
dem Schluss:
Decessit <|uondam Rugius,
Nunc sequitur Piepmeyerus.
Hodie tibi, mihi cras.
O vanitatum vanitas!
Piepmeyer aber war keine bestimmte Persön-
lichkeit, sondern der durch eine Reihe ge-
lungener Bilder von Ad. Schrödter verspottete
Typus eines sogen, gesinnungstüchtigen, aber
eitlen und beschränkten Abgeordneten. Wesen-
donck ging bald nach Amerika, wo er die
Germania - Lebensversicherungsgesellschaft in
New- York mit ihrer Zweiganstalt in Berlin be-
gründete. Er ist wohl der einzige noch lebende
Briefschreiber der Epistolae. Im vorigen Jahre
gab er vom demokratischen Standpunkt aus
interessante und massvolle persönliche „Er-
innerungen aus dem Jahre 1848" mit dem
Druckorte New- York heraus. Er nennt darin
sich und „all die anderen Rheinufer-Advokaten
doch im Grunde nur ephemere Agitatoren."
Uber Rüge schreibt er nichts, als nach Er-
wähnung Fröbels die Worte: „Er war ein Ge-
lehrter und ein Radikaler, wie Arnold Rüge,
der auch zum Donnersberg" (radikalster Klub)
„hielt." Diese seine „Erinnerungen" schliesst
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3i6
Schwetschke, Novae epistoUe obscurorum virorura etc.
W. (olim Schnickschnackius) mit dem grossen,
auf das Misslingen auch anderer Sachen an-
wendbaren Wort: „Niemand wird leugnen, dass
das erste deutsche Parlament . . . nur deshalb
elend zu Grunde ging, weil es entweder zu
weit oder nicht weit genug ging." Schnick-
schnackius ist sich offenbar als ,.ein demokra-
tischer Wortheld vom reinsten, aber wohl eben
nicht sehr tiefen Wasser" treu geblieben. —
Der letzte der Briefe wird dem Sammelbegriff
Saxo Dialecticus, dem sprecligewandten oder
raisonnierlustigen Sachsen, untergeschoben,
deren mehrere als eifrige Demokraten mit ent-
sprechender Beredsamkeit in Frankfurt erschie-
nen waren. Unter ihnen hervorragend der
Advokat Schaffrat/i, spater Präsident der säch-
sischen Zweiten Kammer, der ..sich häufig nur
in Formalien, namentlich der Geschäftsordnung
bewegte." Er bietet Rüge, der Selbstverleger
war, den Verlag seiner Schrift an. gewisser-
massen des Kraftauszuges des demokratischen
Geistes: gemma gemmarum demoeratica oder
die Kunst, in vienmdzwanzig Stunden demo-
kratischer Redner zu werden. Als Probe seines
Leitfadens, der ein Hauptgewicht auf die rich-
tigen demokratischen Kraftausdrückc lege, nam
minus sensu, quam sonitu verborum animi
populi capiuntur et tenentur, teilt er einige in
jeder Normalrcde mit sicherer Wirkung anzu-
bringende Wendungen mit, wie: Polizeistaat,
ruhige Bürger, wehrlose Frauen und Kinder,
vertierte Söldlinge, nicdcrkartätschcn, Feuer-
schlünde, Säbelregiment, unter dem Schutze
der Bajonette beraten u. s. w., und seine köst-
lichen Übersetzungen ins Latein: cives quieti.
inermes feminac et infantes, mercenarii bestiati,
globulis ferreis e tormentis ejectis prosterncre
aliquem, regimen gladii curvi etc. etc. Hierin
sieht er die excelsitudo et suavitas demoeratiae
und endet mit dem feierlichen Anruf an Rüge :
Tu, vir magne, hoc intelligis, tu eris fidelis
semper socius labonim malorumque nostrorum.
— So schliesst diese Sammlung heiterer huma-
nistischer Fchdebriefe gegen eine vielfach sehr
wüste, das deutsche Verfassungs- und Einigungs-
werk hartnäckig bekämpfende Phantastenpolitik,
wenn auch nicht zu leugnen ist, dass die Real-
politik der andern Seite vielfach ebenfalls sehr
schwer m verdauen war.
Fast alle jetzt noch lebenden alten Frank-
furter, Johannes Proelss zählt sie in tler Garten-
laube 1898, Nr. 19 auf, bewahren noch heute
dem Schriftchen ein mehr oder weniger
lebhaftes Gedächtnis. Dies beweisen folgende
von mir, als einem Sohn des Verfassers,
besonders dankbar empfangene Äusserungen,
die jene auf meine Frage nach ihren et-
waigen Erinnerungen als zeitgeschichtliche
Zeugnisse mir freundlichst zukommen Hessen.
Der Abdruck derselben möge zugleich als
Zeichen der Achtung vor den Veteranen der
deutschen Sache gelten. Der Geschichtschreiber
Prof. Karl Biedermann in Leipzig, der alte
Vorkämpfer der preussischen Führung in
Deutschland, in verschiedenen Stellungen um
das Parlament, wie um seine Geschichte hoch-
verdient, auch Mitglied der Kaiserdeputation
an Friedrich Wilhelm IV., spricht von dem
„lebhaften Interesse, welches in der ganzen ge-
mässigten Partei des Parlaments die prächtigen
N. e. o. v. erregten, dieses so bedeutende
humoristische Dichtwerk, das so wuchtige
Keulenschläge gegen die Linke führte." Der
Dichter der Nibelungen und damalige Reichs-
ministerialrat Dr. Wilh. Jordan in Frankfurt
schreibt von den „berühmten Episteln" und
dem „köstlichen Latein- Humor" ihres Verfassers,
Prof. Dr. H. D. Backhaus, Geh. Reg.-Rat in
Görlitz „erquickte sich s. Z. herzlich an dem
packenden Humor" und Ad. Schultze, Wirkl.
Geh. Finanzrat a. D. in Freiburg i. B. „bewahrt
das Andenken an eine Lektüre, welche in den
1848—49 sehr ernsten Tagen auf verhältnis-
mässig längere Dauer allgemeine Heiterkeit
hervorrief." Prof. Dr. Sepp in München, der
trefTliche deutsche Patriot, dem wir 1870 die
schnelle Zustimmung der bayrischen Kammer
zu dem Kriege gegen Frankreich verdankten,
schreibt u. a. : „Ich danke Ihnen für Ihre freund-
liche Zuschrift. Sie erweckt mir neuerdings die
Erinnerung an die Zeit vor fünfzig Jahren, wo
ich mit den ersten Männern der Nation zu-
sammen zu tagen die Ehre hatte. Darunter
nahm Ihr I lerr Vater eine eigentümliche Stellung
ein. Er brachte nicht bloss Humor in die
leidenschaftlichen Verhandlungen, sondern hat
mit seinem Sarkasmus und ncuklassischem Latein
der äussersten Linken mehr geschadet als mit
ernsthaften Reden, denn er hatte die Lacher
auf seiner Seite, ja, einen Wiesner aus Wien
(Pratensis) hat er förmlich zu Grunde gerichtet."
Auch der Kammer- Präsident a. D. Schorn in
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SchweUchke, Novae qiutolac obuororum viromm rtc.
3»7
Bonn erinnert sich „sehr wohl des Aufsehens,
was die Nov. epp. damals machten." Ähnlich
der Geh. Kommerzienrat G. v. Mcvissen in
Köln (f 13. 8. 1899). Mein liebenswürdiger und
geistesfrischer Lehrer und Freund, Prof. Rudolf
Haym in Halle, als einer der Jüngsten ein
Schriftführer, dann auch ein Geschichtschreiber
des Parlamentes, fügt seinem gleich anfangs
angerührten Urteil brieflich noch die scherz-
hafte Erinnerung hinzu, dass „das so meister-
haft vom Verfasser gehandhabte Latein an-
steckend wirkte. In einem Kegelklub, in dem
sich unter anderen auch Schräder" (jetzt Kurator
der Universität Halle), „Marine-Jordan und der
Journalist Robert Heller befanden, wurden wir
nicht müde, uns in dem Dialekt zu üben und
den Humor desselben zu erproben." Leider
bedauerte der 88jährige Nestor der Frankfurter
Veteranen, v. Simson in Berlin (seitdem f ), „auf-
richtig, den ausgesprochenen Wunsch nach
Mitteilung genauerer Erinnerungen" nicht er-
füllen zu können, „da sein Gedächtnis bei seinen
hohen Jahren dazu nicht mehr ausreicht." Ebenso
der Zweitälteste, der 87jährige Dcutsch-Öst-
reicher Dr. August Prinzinger in Salzburg, der
sich nur „noch recht wohl der liebenswürdigen
Eigenschaften" des „von allen Parlamcntsgc-
nossen hochgeachteten" Verfassers erinnert.
Der ebenerwähnte Geh. Rat Schräder in Halle
„entsinnt sich des Momentes, wo der Verfasser
ihm in der Sitzung eines der eben fertig ge-
wordenen Exemplare" der erwähnten ersten
kleinen Privatausgabe „in die Hand gedrückt."
Soviel hier von der Wirkung der Episteln auf
ihre Freunde im Parlament.
Über das litterarischc Verhalten der durch
sie betroffenen Linken schreibt Haym a.a.O.:
„Diese fühlte die Stacheln tiefer als ein paar
Bassermannsche Reden; aber sich zu rächen,
ist ihr nur unvollkommen geglückt. Abgesehen
von einigen gelungenen Poesien in der Reichs-
tagszeitung ist uns von dieser Seite nur die
,Reimchronik des Pfaffen Mauritius' (Moritz
Hartmann) zu Gesichte gekommen. Aber deren
Humor lag hauptsächlich nur in den Reimen."
Doch schweiften als bestes Zeugnis für die
souveräne Wirkung der vis comica auch von
gegnerischer Seite lächelnd verständnisvolle
Blicke zu dem bekannt gewordenen Dichter
hinüber.
Zur Kennzeichnung der nach aussen hin
ebenfalb gewaltigen Wirkung der neuen Dunkcl-
männerbriefe sei erwähnt, dass in wenigen
Monaten acht Auflagen nötig wurden und eine
Menge Beifallsschreibcn dem Verfasser zu-
gingen, von denen die eigenartigsten sein möch-
ten: der wärmste Dank der Gattin eines hohen
bayerischen Staatsbeamten, der durch die 48 er
Märzereignisse in die bedenklichste hypochon-
drische Stimmung geraten, durch das Lesen
der Briefe in seiner- Gesundheit jedoch voll-
kommen wiederhergestellt war, — und ferner
die Kunde von der Huldigung, die wiederum
dem Briefe von Adolphus Pratensis zu Teil
geworden war, indem ihn ein des Latein kun-
diger Zögling Rothschilds in dessen Abwesen-
heit im Kontor dem versammelten Geschäfts-
pcrsonal verdeutscht und dadurch die geheiligte
ernste Finanzstatte auf einen ganzen Vormittag
in einen tumultarischen Heiterkeitsaufruhr ver-
setzt hatte.—
Alsbald erschienen als auf die Episteln be-
zügliche Veröffentlichungen eine deutsche
Wiedergabe in der Reimweise der Jobsiadc von
einem jungen Frankfurter Juristen. Dr. F. Lucae,
und als indirekte Gegenschrift eine lateinische
Briefsammlung hauptsächlich gegen die Rechte
der preussischen Nationalversammlung von
Prof. Jacob in Lübeck (in 3. Aufl. 1849). Ferner
wurden dem Verfasser handschriftliche Epistolae
responsoriae Arnoldi Rugii zugeschickt, beide
abgedruckt in dem Sammclwerkchen: Novae
Epistolae virorum obscurorum saec. XIX. con-
scriptae 1860 (Herausgeber G. Schwctschke).
Doch nachdem wir andeutend uns an dem
goldenen Humor des Werkchens erfreut, das
für Kenner in fast unverminderter Frische in
diesem Jahre sein goldnes Jubiläums- und
Ehrenfest feierte, so ist es nun wohl an der
Zeit, auch dankbar seines Meisters zu gedenken.
Es war der Abgeordnete für Sangerhausen-
Querfurt, Dr. Gustav Schwctschke in Halle, der
gelehrte Dichter und Schriftsteller, Buchhändler
und Buchdruckereibesitzer aus älterer ange-
sehener Familie, der schon in der Vereinigung
dieser verschiedenen Eigenschaften an Er-
scheinungen des humanistischen Zeitalters er-
innert. Schwetschke war, als er an die Schöpfung
seines lateinischen Mcisterwerkchens herantrat,
den alten Dunkelmännerbriefen gegenüber kein
Neuling. Zu Ehren des würdigen theologischen
Rationalisten Prof. Wegscheider in Halle hatte
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3i8
Schwetschke, Novae epistolae obscurorum virorum etc.
er 1846 als einer der „Protestantischen (Licht-)
Freunde", nachdem Stahl in Preussen die Um-
kehr der Wissenschaft, d. h. die Beugung der
Vernunft unter den Glauben forderte, ein la-
teinisches satirisches Gedicht verfasst: Carmen
de Ratione malefica (d. i. von der Hexe Ver-
nunft), in dem er den Magister Ortuinus Gratius
von Köln, eben der Hauptempfänger der alten
Dunkelmänner- Episteln, Wiederaufleben liess;
und aus der Zeit der Gefangensetzung des
Kölner Erzbischofs Clemens August und der
Verfassungsaufhebung des hannoverschen
Königs Ernst August stammte schon seine
Epistola lamentatoria Clementis Augusti ad
Sevcrum Augustum (beides in seinen „Gedichte
eines protestantischen Freundes" 1847 erschie-
nen). Wie er in Frankfurt wieder auf die alten
Dunkelmännerbriefe kam und sie nachahmte,
um durch Versenkung in andere Geistesgenüsse
seine „Seele von dem Jammer" zu befreien, „mit
dem sie namentlich die stets wiederkehrende
demokratische Phraseologie erfüllte", erzählt er in
seiner wertvollen fünfundzwanzigjährigen .Jubi-
läums-Ausgabe der Novae Epistolae obscurorum
virorum. Zum ersten Male mit Erläuterungen
versehen.'" Erst durch die geschichtlichen
Erläuterungen dieser Ausgabe, die im Vorher-
gehenden öfter benutzt worden sind, wurde es
uns NichtZeitgenossen ermöglicht, die Briefe
mit vollem Genuss und Verständnis zu lesen.
Aus der zugleich mitgeteilten Entstehungs-
geschichte des Werkchcns ist zu ersehen, dass
die im Anfang Februar 1849 hergestellte erste
und vom Verfasser an Freunde und Parlaments-
genossen verteilte Privat- Ausgabe auf der
Rückseite des Titelblattes den bibliophilen
Vermerk trug: 'XXXVIII EXEMPLA SUNT
EXCUSA' — , eine Anspielung auf die damalige
Zahl der deutschen Bundesstaaten. Auch die
Empfänger jener ersten 38 Exemplare werden
vom Verfasser fast vollzählig genannt. —
Zwischen den 1849er Episteln und dieser
ihrer Jubiläums-Ausgabc liegt aber noch eine
Anzahl weiterer Lateinbriefe Gustav Schwetsch-
kes, die hier erwähnt seien, um diese eigen-
artige Seite seines Schaltens im Zusammenhange
zu überblicken. Da darf zuerst als Nachklang
zu seinen Frankfurter Episteln der allerliebste
gemütvolle Trostbrief nicht vergessen werden:
' Neue mit einem Anhange vermehrte Ausgabe
Epistola consolatoria ad Ottonem Nasemannum,
den er als „Lucilius ab Uva" d. h. vom Gast-
haus zur „Weintraube" in Giebichenstein-Halle,
damals beliebt für patriotische Versammlungen,
jetzt Villa des Kommerzienrats Bethcke — an
den in mutigem Kampfe für Schleswig-Holstein
durch den Verlust eines Beines schwer ver-
wundeten wackeren Gymnasiallehrer Dr. Otto
Nasemann, spätem Direktor des Hallischen
Stadtgymnasiums, im Januar 185 1 von Halle
aus richtete. Er verficht darin echt humoristisch
den Satz: „neque necessarium esse, neque
honestum, duos habere pedes." Darauf hatte
ihn der Beifall, den seine Novae epistolae ob-
scurorum virorum gefunden, zur Abfassung
eines Seitenstückes zu diesen veranlasst, das im
März 1855 ebenfalls namenlos gegen die re-
aktionäre Rechte des preussischen Landtages
erschien: Novae Epistolae clarorum virorum
(Titel Nachahmung von ReuchlinsBricfsammlung
von 15 14) ad dominum de Mixta-Colanda in
cathedram dulcc desipientem et in loco missae.
Doch war das dreimal aufgelegte Schriftchen,
wie Schwetschke selbst schreibt, von ungleich
geringerer Bedeutung und Wirkung, als das
Frankfurter. Nur ein Brief ist von besonderem
geschichtlichen und psychologischen Interesse für
den späteren begeisterten Bismarck- Dichter
Gustav Schwetschke: es ist der, den er damals
dem „feudalen" Abgeordneten Pisguarkius eques
in die Feder legte. — Im gleichen Jahre schrieb
er den Aufsatz: „Über das Alter des volumen
tertium der Epistolae obscurorum virorum."
Selbstschöpferisch auf diesem Gebiet trat er
dann zum letzten Male im Dezember 1859 hervor
mit: Antonioli viri ementis e^pistola ad dominum
Laquerimoniarium virum et scriptorem ob-
scurum de papa et congressu, einem brieflichen
Erguss des päpstlichen Sekretärs Kardinal
Antonelli an den kaiserlich französischen Bro-
chürenschreiber Lagueronniere, den Verfasser
der Schrift „Du Pape et du Congres." Ausser
den bisher genannten lateinischen Briefen hat
Schwetschke keine weiteren veröffentlicht oder
sich an solchen beteiligt, obgleich man dies
vielfach von ihm als Klassiker dieser Litteratur-
gattung annahm. Möglicherweise hat sein lange
nachwirkendes Beispiel den Anstoss zu der
Überschrift der bis heute fortgesetzten Rubrik
!. Halle, G. Schwetschkescher Vertag. Preis i Mark.
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Schwetschke, Novae epistolae obscurorara virorum etc.
319
Novae epistolae obscurorum virorum des
„Kladderadastch" gegeben. Gewisses lässt sich
jedoch nicht mehr ermitteln.
Kehren wir noch einmal zu den Schwetschke-
schen Novae epistolae ad D. Amoldum Rugium
zurück. Hatte seine übermütige Spottdichtung
selbst, nach ihres Verfassers Bezeichnung, am
Ende und hinter der Frankfurter Tragödie wie
ein Satyrspiel gewirkt, den Ernst der Zeit in
verhältnismässig langwährende Heiterkeit lösend,
so hinterlässt die spätere Geschichte der an
diesem Satyrdrama handelnd und leidend be-
teiligten beiden Hauptpersonen teils vom per-
sönlichen, teils vom nationalen Gesichtspunkte
aus gleichfalls sehr erfreuliche Eindrucke. Es
sei gestattet, diese Geschichte noch zu be-
rühren.
Wenn auch in Frankfurt das persönlich freund-
schaftliche Verhältnis zwischen Schwetschke
und Rüge nicht gelitten hat, das zwischen
Beiden gewaltet, seit sie gleichzeitig der All-
gemeinen deutschen Burschenschaft angehörten,
— ein „Verbrechen", wofür übrigens auch
Schwetschke s. Z. mit Relegation „bestraff*
wurde — , so war doch damals ihre grund-
sätzliche politische Gegnerschaft die denkbar
schärfste: der Eine bei der Erbkaiserpartei, der
Andere Republikaner. Diese Gegnerschaft
sprach sich wohl am stärksten bereits ein halbes
Jahr vor Erscheinen der Episteln bei der Ver-
handlung über die polnische Frage am 27. Juli
1848 aus. Während Rüge als Apostel des
weltbürgerlichen Freiheitgedankens in langer
Rede seinen Antrag begründet hatte, keinen
Teil des Grossherzogtums Posen in den Deut-
schen Bund aufzunehmen, sondern „mit Eng-
land und Frankreich einen Kongress zur Wieder-
herstellung eines freien und unabhängigen
Polens" einzuleiten, so gab Schwetschke da-
gegen seinem deutschen Nationalgefühle den
kräftigsten und unzweideutigsten Ausdruck (nach
dem stenographischen Bericht): „dass ein Auf-
geben unserer deutschen Brüder in Posen und
die Btossstellung der Grenzen gegen Russland
als ein Brudermord und ein schimpflicher
Landesverrat anzusehen sei!" Diese politische
Gegnerschaft aber beeinträchtigte, wie gesagt,
nicht die Grundlage ihrer studentischen Freund-
schaft, so dass Rüge „bei seiner Vorliebe für
humoristische Sachen" an den ihn verspotten-
den Episteln „sich sehr ergötzte" und durch
seinen Schwager, den Professor Roediger in
Halle, an den ein Exemplar für Rüge gegangen
war, „dem Verfasser seinen Dank entbieten
Hess." Nach dem Scheitern des Parlamentes,
einer Versammlung, der u. a. auch Sybcl das
Zeugnis ausstellt, dass sie „von keiner früheren
oder späteren in Deutschland an Geist und
Talent, an Wissen und Beredsamkeit, an idealem
Streben und edler Vaterlandsliebe übertreffen
wurden" sei, Hess Rüge dann nach mehreren
kurzen Irrfahrten in Deutschland, Frankreich,
der Schweiz und England — auch an Amerika
hatte er einmal „europasatt und für ein nutz-
loses Martyrium nicht schwärmend", gedacht —
bereits 1850 sich in Brighton in England nieder
als visiting tutor an verschiedenen Schulen.
Schwetschke leitete in Halle sein Geschäft,
dessen Hauptbestandteil die „Hallische Zeitung"
war, und suchte sowohl durch die erwähnten
lateinischen Briefe, auch einige lateinische Ge-
dichte, wie durch deutsche dichterische und
wissenschaftliche Schriften (dort Eigenes und
Übersetzungen von Scarron, Spenser. Trissino
u. s. w. und hier durch sein grundlegendes
Werk „Messjahrbücher des deutschen Buch-
handels u.s.w. 1564 — 1764" u. a.) die preussischc
Reaktion zu bekämpfen und sich selbst über
ihren geistig und gemütlich niederdrückenden
Einfluss zu erheben. Die meisten Früchte
seines Schaffens bis dahin sind im Bande „Aus-
gewählte Schriften. Deutsch und lateinisch"
enthalten (vermehrte Ausgabe 1866). Treitschke
empfahl „das feine geistvolle Buch vornehm-
lich fein gebildeten Gelehrten." Gleich im
Anfange seiner Besprechung findet sich, als
ob dies selbstverständlich mit dem Namen
Schwetschkes zusammenhinge, der Ausruf:
„Wer kennt nicht die Novae epistolae obscu-
rorum virorum und die Novae epistolae clarorum
virorum u. s. w." — lüer, wie so oft, eine dem
Publikum gegenüber gebrauchte Höflichkeits-
wendung. (Vgl. Historische und politische
Aufsätze Bd. 4, S. 628 f.)
Da vollzog das Jahr 1866 bei den beiden
Frankfurter Gegnern die nationale Einigung in
ihrem Eintreten für Bismarck, den gewaltigen
Erfüller ihrer innersten deutschen Hoffnungen
und Wünsche. Die Bekriegung Frankreichs
und die Gründung des neuen Deutschen Reiches
festigten selbstredend nur noch der Beiden Ver-
ehrung für den grossen Mann. Sie bewiesen
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320
Schwetschke, Novae epistolae obscurorum virorum etc.
durch dieses Eintreten für den früheren Gegner
ihrer Anschauungen klärlich, dass sie nichts
weniger als politische viri obscuri, Männer mit
verdunkeltem politischem Blick, sondern viri
clari im beste Sinne, Männer mit hellem Auge
und reinem vaterländischem Herzen waren. Rüge
hat sich öffentlich als Schriftsteller schnell und
vielfach für Bismarck und sein Werk ausge-
sprochen. Schrieb er doch schon in einem
Briefe vor Beginn des Krieges von 1866 am
7. Juni in seiner burschikosen Weise: „Die
Revolutionairs, die sich jetzt nicht mit der
Revolution verbünden wollen, weil Bismarck es
thut, sind Philister und Narren."' „Seinem alten
Freunde Dr. Gustav Schwetschke" widmete er
1869 seine „Reden über Religion, dieses licht-
freundliche Büchelchen", obgleich jener den
Verlag ausgeschlagen hatte. Im Jahre 1878
wurde ihm vom Reiche ein jährlicher Ehrensold
überwiesen („aus Bismarcks eigener Ent-
scheidung", wie Rüge mit Befriedigung hervor-
hebt) wohl zugleich als Anerkennung seiner
Thätigkeit für das neue Reich, wie als eine
Art Ersatz Tür früher durch seine Verfolgungen
erlittene Geldverluste. Schwetschke aber schuf,
zeitlich als erster der deutschen Bismarckdichter
von Ruf, nach 1866 seine beiden an Umfang
ebenfalls kleinen deutschen Meisterwerke (ich
betone: deutsch, weil man vielfach der Meinung
ist, auch sie seien lateinisch geschrieben):
„Bismarckias. Didaktisches Epos", im Novem-
ber 1867 erschienen, und „Varzinias oder Die
kleine Bismarckias. Ein didaktisches Idyll" im
November 1869; und nach 1870 seine lyrisch-
epigrammatischen Gedichte an Bismarck zu
Geburtstagen und anderen Veranlassungen,
deutsch und lateinisch, fast alle von seinem
eigenartigen freimütigen, echt deutschen Humor
getragen. Die meisten seiner nach den „Aus-
gewählten Schriften" erschienenen Sachen hat
er vereinigt in dem Bändchen „Neue ausge-
wählte Schriften", (mit einem Anhange 1878),
dem er Bismarcks herzlichen „Dank mit auf
den Weg geben konnte für so manches Wort
der Ermutigung, welches mir im Verlaufe harter
Kampfe in heiterer und emster, stets aber
klassischer und geistreicher Form aus Ihrer
befreundeten Feder zugegangen ist." In einem
und demselben Jahre 1881 wurden Rüge und
mein teurer Vater von dem Felde ihres vater-
ländischen Wirkens abberufen.
Die vorstehenden heiteren Erinnerungen
an die Frankfurter Parlamentszeit aber möchte
ich bcschliessen mit den Worten meines Vaters
über Arnold Rüge in der Bismarckias, Worte,
die sich zugleich auf Ruges erwähnte beifällige
Aufnahme der Episteln beziehen. Der Dichter
ruft im Schlussgesange da der Muse zu:
. . . Von dem Lob verkünde,
Das dem Helden unsres Liedes
Dichterisch ist zubereitet
Aus dem Mund der Kinder Deutschlands,
Die auf ferner Erde freudig
Jetzt ein mächtig Deutschland preisen;
Aus dem Mund der Demokraten
Höhern Styls wie Arnold Rüge,
Mein Epistelfreund von Frankfurt,
Der, wie von dem alten Hofrath
Schütz die Xcnien einst sangen,
„Nicht den Spass nur liebt" — der Weise! —
,.Nein, der auch den Spass versteht"
So möge denn dem Dichter von ebenso
gesundem Humor, wie kraftigem Nationalgefühl,
und mit ihm dem einstigen „roten und gänz-
lich unverständlichen Philosophen" der Pauls-
kirchc, den beiden späteren Bismarckkämpfern,
gemeinsam ein vaterländisches und ein heiteres
Angedenken in Ehren beschieden sein.
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Kritik.
Unter den vielen Festschriften, die der 150.
Geburtstag Goethes zu Tage gefördert hat, nimmt
für den Biicherliebhaber neben der vornehmen Publi-
kation des Freien Deutschen Hochstifts in Frank-
furt die erste Stelle unstreitig eine Gabe ein, die
ein deutscher Sammler dem Kreise von Goethe-
freunden dargebracht hat Die stille Gemeinde
zwar, flir die Salomon Hirzel lange Jahre hindurch
am 28. August seine Privatdrucke ausgehen Hess,
die jetzt schon von Sammlern mit Gold aufge-
wogen werden, hat sich aufgelöst, als der letzte
Enkel Goethes den lange verschlossenen Schatz
am Frauenplan in Weimar der Grossherzugin Sophie
von Sachsen vermachte und am 20. Juni 1885 die
grosse deutsche Goethe - Gesellschaft sich konsti-
tuierte. Aber auch neben der fast unerschöpflichen
Fülle von Urkunden, die nun im Goethe- und
Schiller-Archiv der wissenschaftlichen Ausbeute frei-
gegeben und für jede eindringende Beschäftigung
mit dem Dichter unentbehrlich geworden sind,
bleibt für private Bethätigung Raum genug übrig ;
keine grössere Autographensammlung ist ohne eine
Goethesche Handschrift, und so sind die Heraus-
geber der Weimarischen Goetheausgabe immer
wieder auf fremde Unterstützung angewiesen. Es
ist ein schöner Beweis von der Gesinnung, welche
die deutschen Sammler erfüllt, dass sie fast aus-
nahmslos die Forschung in freigebigster Weise
fördern, durch eigene Publikationen wie durch
liberale Darreichung ihrer Schätze ; und in beider-
lei Rücksicht ist hier an erster Stelle der Heraus-
geber der Festschrift „Zum 28. August 1899" zu
nennen, Rudolf Brockhaus , der über das Grab
hinaus seine vornehme Natur bezeigt hat
Am 28. Januar des vorigen Jahres wurde dieser
Erbe eines grossen Verlegernamens den Seinen
und zahlreichen Freunden zu früh entrissen. Jetzt
tritt er zur Gedächtnisfeier seines Lieblingsdichters,
bei dessen „Faust" er in stillen Stunden, um seine
eigenen Worte zu gebrauchen, „eine Art von inner-
lichem Gottesdienst feierte", nochmals in ihre Mitte.
Ungemein bezeichnend ist es für diese weitaus-
schauende, konsequent wirksame Persönlichkeit,
dass er bereits im Winter 1897 die Herausgabe
einer Jubiläumsschrift zu Goethes 1 50. Geburtstage
nicht nur vorbereitete, sondern fast druckfertig ab-
schloss. Seine Söhne, die Herren Rudolf und Max
Brockhaus, die die reiche väterliche Sammlung pietät-
voll hüten, haben das posthume Werk in gleichem
Sinne vollendet und so dem teuren Verstorbenen
das schönste Denkmal gestiftet.
Die nur in einer kleinen Auflage hergestellte
und nicht für den Handel bestimmte Festschrift
gleicht in Format und Ausstattung völlig dem
Prachtwerk „Theodor Körner", mit dem Brockhaus
am 23. September 1891 seine Freunde überraschte.
Nur dass hier durchgängig das Facsimile zur Wieder-
gabe der kostbaren Handschriften verwandt und die
Z. f. U. 1899/1900.
einzelnen Blätter von erklärenden Beigaben des
Herausgebers begleitet sind, in denen ein Haupt-
reiz der ganzen Publikation liegt Denn sie ver-
setzen uns durch ihr liebevolles, behagliches Ver-
senken in den Gegenstand und durch die Wärme
der Gesinnung, die aus jeder Zeile spricht, sofort
in einen ganz persönlichen Bezug zu den behan-
delten Fragen, und es war sehr wohlgethan von
den Herausgebern, dass sie diesen intimen Cha-
rakter der Erläuterungen, wie er in erster Nieder-
schrift vorlag, nicht durch eine nachträgliche Re-
daktion verwischten. So ist das Buch zugleich
eine persönliche Erinnerung an den Autor; als
hätte er es geahnt, dass es sein Letztes sein werde,
sind eigene Erlebnisse und Anschauungen darin
niedergelegt. Und wie ein Vermächtnis erklingen
die schönen Worte, die der Herausgeber allen
Sammlern zuruft (Seite 69): „Fördern wir jeder,
der es vermag und wie er es vermag, Bildung und
Fortschritt!"
Aber auch rein stofflich ist das Werk durch
die hervorragend ausgeführten Reproduktionen der
kostbaren Handschriften, die Brockhaus seit seinen
Primanerjahren zusammenbrachte, von grossem
Wert Sind auch ganz neue, bisher vollständig un-
bekannte Stücke nicht darunter, so doch mehrere
noch nie wieder abgedruckte Blätter und Fassungen
einzelner Gedichte, die in dem weitläuftigen Appa-
rat der Weimarischen Ausgabe so gut wie ver-
steckt lagen. Gleich als erstes Facsimile giebt
Brockhaus Goethes gedrucktes Verzeichnis seiner
eigenen Autographensammlung, ein noch nie re-
produziertes Quartblatt, das im Winter 181 1 ge-
druckt und „mit Bitte um gefällige Beiträge" an
die Freunde versandt wurde. Die folgenden Num-
mern sind chronologisch geordnet und reichen von
1775 bis 1832, von dem dritten der an die Gräfin
Auguste Stolberg gerichteten herrlichen Briefe
Goethes bis zu der gedruckten Anzeige von Goethes
Tode, von der Brockhaus zwei verschiedene Fas-
sungen nachweist Charakteristisch für die konse-
quente Sammlerthätigkeit des Besitzers ist der erst-
genannte Brief Goethes an „Gustchen" Stolberg.
Dieser enthält auf der unteren Hälfte der dritten
Seite die berühmte Zeichnung des „Frankfurter
Dachstübchens", in dem so viele unsterbliche
Dichterwerke, Götz, Werther, Clavigo und die ersten
Scenen des Faust, geschrieben wurden. Als Brockhaus
Mitte der siebziger Jahre den Brief erwarb, fehlte die
Zeichnung, die von August von Binzer, dem Dichter
des Burschenschaftsliedes: „Wir hatten gebauet ein
stattliches Haus", zur Herstellung eines früheren,
überaus seltenen Facsimile abgeschnitten war; erst
im Spätherbst 1889 fand sich bei Frau von Binzer
das Original der Zeichnung vor, und Brockhaus,
der es sofort erwarb, hatte das Glück, Brief und
Zeichnung wieder vereinigen und nun zum ersten
Mal in der Gestalt, wie sie vor 124 Jahren aus
4i
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322
Kritik.
Goethes Hand gekommen sind, der Goethegemeinde
darbieten zu können. — Auch die weiteren Facsi-
mile bieten des Interessanten genug, so einen in
der Weimarischen Ausgabe fehlenden Brief Goethes
an Elise von der Recke, den G. Weisstein zuerst
veröffentlichte, eine in derselben Ausgabe noch
nicht benutete Fassung des Gedichts „Sehnsucht"
(Was zieht mir das Herz so? was zieht mich hinaus),
Briefe an Eichstädt mit herrlichen Worten über
Schillers Tod und das berühmte Antwortschreiben
an die Gräfin Auguste von Bernstorff, die alte
Jugendfreundin, in dem Goethe sich über die höchsten
Fragen der Menschheit so würdig ausspricht Das
Prachtstück der ganzen Sammlung aber ist die letzte
Handschrift, das Bleistiftkonzept der Schlussscene
des zweiten Teils vom Faust Der Herausgeber
des Faust in der Weimarischen Ausgabe, Erich
Schmidt, hat sie in dem Apparat beschrieben und
verwertet; die photographische Wiedergabe des
ganzen Mattes aber zeigt aufs deutlichste, wie viel
anschaulicher die Abweichungen einer früheren
Fassung hervortreten, wenn sie als Ganzes ver-
öffentlicht werden. Hier ist die Stelle, wo die
Besitzer von Handschriften aufs Wirksamste ein-
setzen können! Das Facsimile von Brockhaus zeigt
eine andere Anordnung der letzten Scene als der
gedruckte Text und ist schon dadurch von be-
sonderem Interesse; noch wertvoller wird es dem
Forscher sein, die zweifelhaften, fast unleserlichen
Schlusszeilen des Entwurfs nun im Facsimile selbst
enträtseln zu können. Die fraglichen letzten beiden
Verse scheinen zu lauten:
„Von Sternen umkränzet
Zum Sternall entsteigst du"
und im Schlussverse scheint Goethe zuerst „Zu
Sternen entsteigst du" geschrieben zu haben.
So dient das von der Brockhausschen Ofhzin
aufs Vornehmste ausgestattete Prachtwerk in gleicher
Weise den Interessen der Wissenschaft und des
Bücherliebhabers wie dem Andenken eines der
idealsten Sammler und wird unter den festlichen
Gaben, die das scheidende Jahrhundert dem grössten
deutschen Dichter dargebracht hat, stets an erster
Stelle genannt werden.
Weimar. Dr. Carl Schüddekopf.
Aus der Hochflut der Veröffentlichungen zum
Goethe- Jubiläum ist noch einiges zur Besprechung
übrig geblieben. Die N. G. Elwertsche Verlagsbuch-
handlung in Marburg hat als Sonderabdruck aus der
zweiten Auflage von Koenneckes bekanntem und ge-
schätztem Bilderatlas zur Geschichte der deutschen
NationaUittcratur eine Biographie Goethes in Bildnissen
erscheinen lassen. Das, nur 3 Mk. kostende Grossfolio-
album enthält nicht weniger als 166 Abbildungen : zahl-
reiche Porträts Goethes — darunter eine Photogravüre
nach dem ölbüde J. K. Stielers aus dem Jahre 1828 —
Silhouetten, Handzeichnungen, Autogramme, die faesi-
milierten Titelblätter seiner hauptsächlichsten Werke,
Darstellungen aus diesen u. A. m.
Bedeutungsvoller ist die Fesischriß su Goethes
rjo. Geburtstag, dargebracht vom Freien deutschen
Hochstift zu Frankfurt a. M. (Lex., 300 S., Velinpapier,
21 Lichtdrucktafeln : M. 15.), die bei den Gebr. Knauer
ebenda erschienen ist Als Titelbild schmückt den
stattlichen Band eine Reproduktion jenes Gemäldes
des Professors Otto Donner von Richter, das dieser
auf Grund vorhandener Skizzen und mit Hilfe der Er-
innerung nach dem verloren gegangenen Transparent
Moritz von Schwinds schuf, welches 1844 das ganze Hof-
thor des Pfuhlhofes in Frankfurt einnahm. Der text-
liche Inhalt setzt sich aus sieben Bciö-ägen zusammen.
Prof. Dr. V. Valentin berichtet über Goethes Bezie-
hungen zu Wilhelm von Diede auf Grund einer Reihe
bisher unveröffenüichter Briefe, die vor zwei Jahren in
dem ehemaligen Diedeschen Schlosse Ziegenberg
in der Wetterau aufgefunden wurden, Briefe, die sich
auf Parkverschönerungen, Monumente und deren In-
schriften bezichen und durch beigegebene Abbildungen
illustriert werden. Da Goethe selbst kurze Zeit in Zie-
genberg verweilte, so hat Prof. Valentin die Topo-
graphie des Orts mit den landschaftlichen Schilderungen
in Goethes Schriften verglichen und hält einen realen,
mindestens aber idealen Zusammenhang zwischen dem
Schauplatz der „Wahlverwandtschaften" und der Be-
sitzung des Barons Diede für sehr wahrscheinlich. Über
die Familien Goethe und Bethmann giebt Dr. Heinrich
Paümann ein kurzes Essai, einen Abriss aus seiner hier
schon gewürdigten vortrefflichen Familiengeschichte der
Bethmanns, die indessen nicht im Handel erschienen ist
Sehr interessant ist E. Mendels Beitrag.- Der junge
Goethe und das Frankfurter Theater. Mentzel erzählt
von den Marionettentheatern auf den alten Frankfurter
Messen, auf denen mit Vorliebe das Drama vom Erz-
tauberer Faust zur Aufführung gebracht wurde— und
als Goethe sich später in Strassburg mit der geheimnis-
vollen Gestalt des Titanen näher zu beschäftigen be-
gann, da mögen die Erinnerungen aus seinen Kinder-
tagen wieder doppelt lebendig in ihm geworden sein.
Erzählt er doch selbst in „Wahrheit und Dichtung",
wie sehr das alte Puppenspiel von Doktor Faust ihn
umsummt und umklungen habe, als er in einsamen
Stunden den Plan zu seiner Tragödie gefasst Nach-
klänge seiner theatralischen Jugenderinnerungen finden
sich überall bei Goethe : im „Jahrmarktsfest", in „Scherz,
List und Rache", im „Wilhelm Meister", in „Wahrheit
und Dichtung", „Faust", „Claudinc von Villa Bella",
„Mitschuldigen" — und es ist sehr interessant, mit
Mentzel den viclvcrschlungenen Fäden nachzuspüren,
die vom Arbeitstische des Dichters zurückführen auf
die Marionettenbuden des Liebfrauenberges und Ross-
markts, die französische Komödie im Junghofe und die
Aufführungen im Olenschlagerschen Hause.
Alexander Frhr. von Bernus nimmt als Vierter in
der Festschrift das Wort Er erzählt von zwei Junker-
sehen Blumenstücken, die in Goethes Lebensbe-
schreibung erwähnt werden und die Baron Bemus
auf Stift Neuburg aufgefunden hat, jenem schönen
Landsitze oberhalb Heidelbergs am Neckar, den Goethes
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323
Freund, der Rat Friedrich Schlosser, erworben hatte
und der später dem Hause Bernus vererbt wurde.
Lichtbilder der beiden Blumenstiicke, die freilich auf
Leinewand, nicht wie Goethe anfuhrt auf f loh gemalt,
sind beigegeben. Dr. Robert Hering giebt Unter-
suchungen zum Erdgeist im „Faust", eine feinsinnige
und geistreiche Analyse mit mannigfachen Beispielen
verschiedener Lösungsvorschläge des Problems. Den
Grossvater des Dichters, den früheren Schneidermeister
und späteren Gastwirt mm Weidenhof Friedrich Georg
Goethe, behandelt Dr. R.Jung in einer auf mancherlei
authentischen Dokumenten fussenden kleinen Studie,
während Dr. Oskar Heuer im Schlussartikel der Fest-
schrift eine wundervoll geschriebene Arbeit über das
Verhältnis Goethes zu seiner Vaterstadt liefert
Die Festschrift ist ausser mit den Lichtdrucktafeln
auch noch mit zahlreichen, fein und anmutig ausge-
führten Kopfleisten und Schlussstücken geschmückt.
Der Druck (von Gebr. Knauer in Frankfurt) ist ausge-
zeichnet, die ganze Ausstattung eine würdevolle und
vornehme. Die Liebhaberausgabe auf Bütten in Origi-
nal-Kalbledereinband, von der 200 Exemplare herge-
stellt sind, kommt zu M. 2$ zum Verkauf.
F. v. Z.
Übersetzungen beherrschen stark den Litterat ur-
markt; wir stehen nicht nur in Bezug auf Eisenbahnen
im Zeichen des Verkehrs. Herr A. Forke hat sich
wenigstens ein bisher nur gering beackertes Feld ge-
sucht, indem er uns eine Sammlung von Blüten chine-
sischer Dichtung aus der Zeit der Han- und Sechs-
Dynastie, also dem IL Jahrhundert v. Chr. bis zum VI.
Jahrhundert n. Chr., durch metrische Übersetzung zu-
gänglich macht. Das mit farbigem chinesischem Um-
schlag gezierte Grossoktavbändchen ist im Komis&ions-
der Faberschen Buchdruckerei zu Magdeburg
Aus der Einleitung des Verfassers ent-
nehmen wir, dass in die oben erwähnte Periode die Blüte
der chinesischen Lyrik fällt, zwischen die Zeiten des
Volksliedes und der klassischen Dichtung, die vom VII.
bis zum X. Jahrhundert n. Chr. florierte und noch 1
das Hauptstudium der Examinanden bildet. Die
sowohl, als die dritte und ebenso die moderne Periode
haben in Rückert, d'Hervey St Denis und englischen
Poeten ihre europäischen Übersetzer gefunden. Die
zweite, lyrische Periode uns näher zu bringen ist Herrn
Forkcs Verdienst, der die zahllosen Gedichtchen seiner-
zeit zuerst im „Ostasiatischen Lloyd" veröffentlichte.
Unter den angeführten Dichternamen finden sich
viele chinesischer Kaiser, doch klingen sie allesamt so
fremdartig, dass ich die Leser nicht verwirren will, son-
dern lieber hie und da eine kleine Probe ihrer Kunst
herausgreife, die mir charakteristisch scheint. Freilich,
auch dies ist schwer, denn einmal war es auch schon
im alten China sehr beliebt, sich möglichst genau an
berühmte Vorbilder anzulehnen, so dass sich so man-
ches Originelle zum Typischen verflacht bat Dann
dichteten die Chinesen in einer «äisilbigen Sprache;
das zwang natürlich den Übertrager in vielsilbiges
Deutsch ein ganz freies und doppelt so langes Vers- und
Strophenmass zu wählen, wodurch das Ursprüngliche
ebenfalls leidet
Zunächst möchte ich ein Liedchen erwähnen, das
gleichsam das zweitausendjährige Motto zu Süder-
nauens „Reiherfedern" bildet:
„Ein wunderbares Weib im Norden wohnt,
Die einsam dort in ihrer Schönheit thront;
Blickt sie ein Fürst nur an ein einzig" Mal,
Kommt eine »einer Stadt' im Reich zu FalL
Doch schaut er sie zum zweiten Male an,
So ist es um sein ganzes Reich gethaa.
Und fallt die Stadt und stürzet selbst sein Thron,
Das schöne Weib wird nimmer ihm zum Lohn ..."
Ein chinesischer Zeichner hat uns auch das Abbild
der verhängnisvollen Schönen überliefert: für uns Rund-
augen sieht sie aus wie eine ganz gewöhnliche Chinesin.
Am zahlreichsten sind — tout comme chez nous — die
Klagen verratner und verhinderter Liebe. Die besten
der Gedichte muten uns denn auch ziemlich europäisch
an, bis uns chinesische Details eines Bessern belehren.
Verse wie: „Was ich geliebt, muss ich verloren w.ihnen
— Wie Scidcnfäden messen meine Thränen I" oder
„Zwei Fisch' in einem Teich wir waren beide . .
oder
„Bietet Reis man ans zum Mahle
Muss von einem Halm er sein,
Und nnr in der Doppeltchale
Schenket man den Trank ans ein.
Unser beider Kleid ist Seide,
Poppelfadiger Rrokat
Und des Nachts umhüllt ans Beide
Eine Decke ohne Saht! . . ."
klingen schon fremdartiger.
Interessanter noch als die Verse ist ihr kulturhisto-
rischer Inhalt Besonders oft kehrt das Klagewort
„AVr ein Weib!" wieder, und die sclavische Stellung
der jungen Frau im Hause ihrer Schwiegereltern kommt
ergreifend zum Ausdruck. Pflanzen, Tiere, Wind und
Wolken finden wir oft, aber meist als Metaphern an-
gewandt, oder auch symbolisch, selten als reine Natur-
schilderung' wie :
,jÜber'n Fluss der Wind hinstreift —
Kaller Herbst ist wieder . . .'«
„Es versank der Sonne Glut
Hinterm Bergesrücken;
Süll im Tann die Windsbraut ruht . . ."
Natürlich sind auch Kampfes- und Trinklieder, so-
wie Sagen und dergl. unter den Gedichten. Eigentlich
patriotische Lieder fehlen ganz; das Persönliche mit
seinem engen Kreis, das kleine Leid und die kleine
Freude überwiegen. Wir machen, alles in allem, eine
interessante Bekanntschaft mit den chinesischen Dich-
tem vergangener Zeiten: eine enge Freundschaft wird
es freilich kaum werden.
Die original • chinesischen Tuschillustrationen
bringen so manches feine Detail; sie sind ganz chine-
sisch in der Durchfuhrung auch des Unwesentlichen
und dennoch ein wenig modernisiert in der Vermeidung
allzu gezwungener Bewegungen und gar zu primitiver
Perspektive,wie man sie früher liebte. Geradezu auf-
fallend ist es, wie oft die Frisur der Frauen wechselt,
die sich bei anderen Illustrationen an das feststehende
Schema der Schmetterlingsflügel zu halten pflegt; auch
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Kritik.
ist die Eiform des Antlitzes dem Charakteristischen
zuliebe oft unterbrochen. M. Seilen.
m
Von Goedecka Grundriss der Geschichte der deut-
schen Dichtung in der Neubearbeitung von Edmund
Goetse liegt der sechste Band fertig vor (Dresden, L.
Ehlermann). Damit ist das grosse Werk ein beträcht-
liches Stück weiter fortgeschritten. Das Vor« ort nennt
eine ganze Reihe von Mitarbeitern, aber von Be-
arbeitern der einzelnen Artikel nur wenige. Die Nach-
träge und Berichtigungen umfassen 19 Seiten; weitere
sollen dem siebenten Band angehängt werden. Es ist
begreiflich, dass eine absolute Vollständigkeit nur im
Laufe der Zeit erfolgen kann; neue Funde tauchen
allerorten auf; auch der gewissenhafteste Bearbeiter
wird manches von dem in den Bibliotheken verstreuten
Material übersehen, das erst später ergänzt werden
kann. Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der
Platz; in den litterarischen Spczialorgancn, so im „Eu-
phorion", ist bereits auf Fehlendes und Irriges hinge-
wiesen worden. Wer die erste Auflage des Goedecke
neben sich hat, wird erstaunt sein über die enorme Ver-
mehrung des Materials in der zweiten, die mit einer
übersichtlicheren Gliederung Hand in Hand geht. Aber
wenn schon nach einer möglichst weitgehenden Voll-
ständigkeit gestrebt wird, sollte auch nicht am unrechten
Plaue gespart werden. Bei den Schriften Jacob und
Wilhelm Grimms heisst es einfach: „Siehe die voll-
ständige Liste Kleinere Schriften 4 und 5". Das ist
fehlerhaft; im Grundriss darf nicht schlichtweg auf
anderweitige Bibliographien verwiesen werden; er soll
eine Zusammenfassung der Bibliographien sein und die
einzelnen unnötig machen. Besonders ausführlich wurde
im sechsten Bande Österreich behandelt (von August
Sauer bearbeitet). Der Herausgeber erklärt dies An-
schwellen des % 298 im Vorwort. Auch bei diesem
Kapitel handelt es sich nicht um Wertung und Ab-
schätzung, sondern um eine reine Titelaufzählung. Da
aber bei der fast ausschliesslichen Benützung nord-
deutscher Bibliotheken Österreich schon in den vorher-
gehenden Bänden etwas stiefmütterlich behandelt wor-
den war, so mussten im % 298 notgedrungen diejenigen
Nachträge erfolgen, die als Verbindungsbrücke zwischen
dem Neunzigerjahr und der Josephinisch-Theresianischcn
Epoche gelten konnten. Lücken sind trotzdem ge-
blieben und sollen in einer dritten Auflage an rechter
Stelle ausgefüllt werden.
Auch die inzwischen verausgabten Bogen des sie-
benten Bandes beweisen die Fortschritte der Biblio-
graphie seit dem Erscheinen der ersten Auflage. Wir
können als Deutsche wahrlich stolz auf dies Standard-
werk sein. 14.
«
Essays on Librianship and Bibliography. By
Richard Garnett. London, George Allen. 6 Shilling.
Dieser Band bildet einen Teil der Library Series,
herausgegeben von Dr. R. Gamett, früheren Vorstehers
der Abteilung für gedruckte Bücher im British-Muscum.
Der im vorliegenden Werke behandelte Stoff ist ein
vielseitigerer als in den vorangegangenen Bänden der
betreffenden Serie, und hinsichtlich des litterarischen
Wertes gehört es zu den besten.
Viele der Aufsäue beziehen sich unmittelbar auf
die Bibliothek des British- Museum. Die beiden wert-
vollsten Verbesserungen in diesem Institut sind die
Errungenschaften Dr. Gametts: der gedruckte Katalog,
dessen Einführung unter den verschiedensten Kontro-
versen ein halbes Jahrhundert lang angegriffen wurde,
und die Einfuhrung der Sliding Press, der Schiebege-
stellc zur Aufbewahrung der Bücher. Fünf Minuten ge-
nügten Dr. Gamett, um ihn von der Richtigkeit und von
den praktischen Vorzügen dieser Idee zu überzeugen.
Zwei bemerkenswerte Essais sind der Anwendung
von Telegraphic und Photographic gewidmet, die der
Verfasser für grössere Bibliotheken, namentlich aber
für das British-Museum befürwortet. Er will ein eige-
nes Kabinet für diesen Zweck haben, und die Photo-
graphen sollen Beamteneigenschaft besiuen. Für die
Herstellung von Facsimile-Reprodukdonen sei dies in
jeder Beziehung wünschenswert.
Ein Teil der keltischen Manuskripte wurde von der
Bibliothek des Museums der irischen Akademie über-
wiesen, so namentlich alle Handschriften, welche das
Londoner Institut aus der Ashbumham-Sammlung er-
worben hatte. Dr. Gamett behauptet, falls die gedachten
Manuskripte durch Facsimile auf photogTaphischcm
Wege hätten ersetzt werden können, so wäre die Zer-
streuung der genannten Dokumente unterblieben.
Unter andern interessanten Aufsätzen sollen folgende
mit ihren Titelüberschriftcn bezeichnet werden: „Para-
guays and Argentine Bibliography", „The Early Italian
Book Trade", „Some Book Hunters of the Seventeenth
Century", „SomeColophons of the Early Printers" und
die Vorrede zu Blades „Ennemies of Books".
Ausser einem interessanten Artikel über das Thema :
„The Manufacture of fine Paper in England in the
eighteenth Century" finden wir endlich noch biographi-
sche Notizen über die berühmtesten Vorgänger und
Kollegen des Dr. Gamett im British-Museum. Unter
diesen sind wiederum besonders hervorzuheben : Winter
Jones, Stevens, Bond und vor altem Panizzi, von dem der
Verfasser sagt: „Sir Anthony Panizzi war eine reiche und
in sich geschlossene Natur, deshalb kann sein Charakter
nicht durch eine einzige Phrase skizziert werden. Soll
es aber durch zwei Stichworte geschehen, so sind dies:
Scelengrösse und Hochherzigkeit. Er verband die guten
Eigenschaften seines eigenen Volkes mit denen seines
adoptierten Vaterlands. Gefühlswärme war der Schlüssel
zu seiner Existenz. Er war zwar stob auf seinen wohl-
begründeten und berechtigten Ruhm, indessen machte
ihn derselbe nicht blind. Seine Willenskraft war unbe-
zähmbar, ein Förderer des Guten, ein starker Hasser
alles Bösen und finster Schleichenden. Seine Arbeiten
für das Museum und die Litteratur seines Landes bilden
ein unvergängliches Monument für ihn selbst. . ."
Panizzi, der Oberbibliothekar des British-Museums,
wird allen Fachleuten hinlänglich bekannt sein; es er-
übrigt nur noch, darauf hinzuweisen, dass zur Kenntnis
von Dante in England niemand so viel beigetragen hat
wie gerade er. O. v. S,
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Chronik.
Buchausstattung.
Drei neue Buchumsc AAj^t schliessen sich den früheren
Exemplaren aus dem Alb. Langensrhcn Verlag in
München an und zwar dienen alle drei fremden Geistes-
produkten zum Schutz. Reznicek hat die „Sklar^in"' 1
von Jules Case porträtiert: eine dunkel gekleidete mo-
derne Dame, deren Hände hinter dem tiefgebeugten
Kücken zusammengebunden sind und deren Haupt von
der Wucht ihres Elends niedergezogen werden soll.
Ich schreibe „soll", denn man gewinnt eigentlich den
Eindruck, als sei ihr lediglich der Hut viel zu schwer.
Die grosse schwarze Hutsilhouette, die vielleicht bei
erhobenem Haupte recht flott wirken würde, ist häss-
lieh und lenkt überdies das Auge vom Gesichtsausdruck
der Heldin ab. Eduard Thöny ist die Raum Verteilung
bei den „Pariser Droschken" der Frau Mami weit
glücklicher gelungen. Er hat überdies seinem Titel-
bilde noch eine Reihe entzückender Innenillusirationcn
folgen lassen. Erstcres selbst zeigt im Hintergrunde
die stumpfblauen vierkantigen Umrisse von Nötrc-Dame
und, dem Beschauer entgegenkommend, das schmucke
Wägelchen eines der weisslackbchutetcn Mitglieder der
„Urbaine" Droschken Gesellschaft: die besten Kutscher
von Paris. Sie unterscheiden sich von unsera Taxa-
metern durch den Mangel eines Wegmessers und die
dadurch unbenommene Fähigkeit, ihre Fahrgäste übers
Ohr zu hauen. Im Wagen selbst — stark verkürzt ge-
sehen — sitzt eine Dame. Von den, jeder der kleinen
Novclettcn beigegebenen Tusch-Skizzen — so chic auch
die „espeecs de type" getroffen sind — beanspruchen
doch diejenigen das grösste Interesse, die ein Stück-
chen Paris mitgeben, so z, B. die eiserne Brücke bei
der St. Trinke", die die Geschichte von der „Frommen
Pflicht" einleitet Als Cul de lampe sind die bekannten
kleinen Motive von Th. Th. Heine verwandt; sie ver-
lieren nichts durch diese mehr handwerksmässige Be-
handlung an ihrer Originalität. Th. Th. Heine hat auch
den dritten der Bände ausgestattet, eine Novellen-
sammlung von Kunt Hamsun, die nach der ersten
Novelle : „Die Königin von Saba" benannt ist. Es ist
schwer, die Zeichnung des Künstlers zu schildern; ihr
Reiz liegt in der geschickten Mischung von Kontur und
grenzenloser Fläche, und selbst der Anachronismus,
eine biblische Fürstin stark japanisiert zu geben, ist
eine Pikantcrie mehr. Auf strohgelbem Grund stehen
ganz unvermittelt das Schwarz und Veronesergrün der
Figuren. Sehr sorgfältig ist auch die Schrift be-
handelt; wir können nicht oft genug darauf hinweisen,
welch integrierenden Teil des Ganzen die Aufschrift
bildet Sie ist wohl der Pflege wert — n.
*B
Die Aktien-Gesellschaft für Buntpapier- und Leim-
fabrikation in Aschaffenburg sendet ihre neuen viel-
farbigen Musterbüchlein in die Welt, die vieles Reiz-
volle enthalten. Neben den schlichten Ton- auf Ton-
Mustern eines starken Damastpapiers zu Broschüren-
umschlagszweckcn und den üblichen lithographierten
Vorsatzpapieren finden wir als Neuheit eine Imitation
des sog. Art- Linnen in zahlreichen Tönen , von denen
man die grünlichen wohl am gelungensten nennen kann.
Weitere Stoff- und Lederimitationen folgen; Celluloid,
Holz und Porzellan — letzteres ganz entzückend — ist
nachgemacht worden. Alles derartige mag für Bon-
bonnieren, Puppenstuben, Kästchen und Rähmchen
reizend sein: für Bücher sollte man aber nicht Surrogate
wählen. Das Papier an und für sich, rauh, glatt,
stumpf und glänzend, bietet in seiner eignen Technik
so viel des Schönen, lässt sich so frei dekorieren, dass
man es aufgeben könnte, es für ein andres, für unsre
moderne Bibliothekseinrichtung ungeeignetes Material
auszugeben. Weder hölzeme , noch Celluloiddeckel
passen für unsere Regale, deren Holz wir ja auch nicht
a la Brocard schmücken lassen. Das hindert freilich
die Muster nicht, aussergewöhnlich hübsch zu sein.
Helle Freude hat man an den köstlich sattgetönten
marmorierten Proben der „Aschaffenburger", die sie
satiniert und matt — für Deckel und Vorsatz — liefert.
Eine besondere Neuheit auf diesem Gebiete bildet eine
Serie Bogen, die an der Falz und dem Rücken eine
algenartigc, andersfarbig in den Marmor gewischte
Zeichnung aufweisen, je nach der Buchgrösse sorgsam
ausgepasst. Diese Algen geben dem Band eine gewisse
Intimität, wie man sie sonst nur bei speziell für das
Buch entworfenen Vorsaümustern findet. — g.
m
Ein sehr begabter jüngerer Dichter, Ferdinand
Max Kurth, veröffentlicht den ersten Cyklus seiner
Dichtungen in eigenem Verlag (Berlin SW, Wilhelm-
strasse2i) und zwar in zwanglos erscheinenden kleinen
Heften (6 Hefte auf dem Wege der Subskription M. 3),
die sorgfältig auf deutschem Büttenpapier gedruckt und
mit höchst reizvollen Vignetten, Leisten und Skizzen
geschmückt sind. Diesen Buchschmuck, der sich der
ganzen Ausstattung der Hefte in voller Harmonie an-
passt, entwarfen Hans Kurth, Otto Scitzund Fidus. Die
Publikation tritt nicht anspruchsvoll auf; in ihrer Ein-
heitlichkeit aber kommt sie den Zielen nahe, die Ernst
Schur in diesen Blättern als die wünschenswertesten
Ergebnisse der modernen buchgcwcrblich.cn Bewegung
bezeichnet hat — m.
Frans S fassen hat zu den Thüringer Geschichten
von August Trinius (Berlin, Fischer Sc Franke) eine
Reihe von Kapitelstücken und Randleisten geschaffen,
die von Neuem von dieses Künstlers eminenter zeich-
nerischer Begabung Zeugnis ablegen. Dass einzelne
dieser ganz reizenden Bildcrchcn an den Stimmungs-
zauber Vogclerscher Schöpfung erinnern, ist sicher
kein Fehler; denn Stasscn besitzt und giebt zu viel
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326
eigenes, um ein Nachahmer zu sein. Er ist ein Poet
gleich Vogeler : das ist beider Ähnlichkeit und Starke.
Kleine Notizen.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Das vielbesprochene Rosenthalsche Missale speciale
ist nun auch nach seiner liturgischen Seite hin unter-
sucht worden. Abbe* E. Misset, wohl einer der besten
Missalekenner, ancien Professeur ä l'ecole des Cannes,
Dirccteur de l'ecole Lhomond, Paris, veröffentlicht als
Auszug aus dem „Bibliographie moderne" eine Broschüre
unter dem Titel : UnMissel spt'cial de Constance, anrvre
de Gutenberg /450 (Paris, Librairie Hon. Champion).
In diesem 41 Seiten starken Schriftchen weist Abbe"
Misset nach, dass der Text des Werkes mit jenem des
Missale speciale der Diözese Constanz übereinstimmt
und kommt aus liturgischen Gründen zu ähnlichen
Schlüssen wie Hupp durch seine typographischen Unter-
suchungen. Er sagt am Beginn der Broschüre, die Be-
hauptung, dass dieses Missale das erste bisher bekannte
Druckerzeugnis sei, habe ihm anfänglich ein Lächeln
abgenötigt und nicht ohne Skeptizismus sei er an das
Studium des Werks gegangen. Seine sehr interessanten
Darlegungen, an denen die Gclehrtenwelt nicht wird
vorübergehen können, schliesst er mit folgenden Wor-
ten : „Das Missale Roscnthal ist ein Auszug aus einem
Constanzer Missale, nach der Absicht des Herausgebers
zunächst für die rheinischen Diözesen und wohl auch
für die meisten Diözesen des deutschen Reiches be-
stimmt. Es kann Schöffers Werk nicht sein. Es ist ein
Werk Gutenbergs, entstanden vor der zweiundvierzig-
zeiligen Bibel, das heisst vor 1450." — z.
Von den Bilderbogen für Schule und Haus, die im
Verlage der Gesellschaft für vervielfältigende Künste
in Wien erscheinen, ist kürzlich das III. Heft, ent-
haltend Bogen 51—75, verausgabt worden. Wir haben
schon früher unserer aufrichtigen Freude über dieses
Unternehmen Ausdruck gegeben, das hoffentlich die
hässlichen Karrikaturen, die man noch immer im deut-
schen Hauseden Kindern zur Weckung des Anschauungs-
vermögens vorlegt, bald völlig vertreiben wird. Indessen
sind diese Bogen, so reformierend sie auch auf das
Unterrichtswesen einzuwirken geeignet sind, nicht le-
diglich für die Kleinen bestimmt; auch die Erwachsenen
werden ihre Freude an ihnen haben. Es würde zu
weit führen, wollten wir jeden der Bogen des III. Heftes
näher beschreiben, obwohl jeder einzelne eine künst-
lerische Schöpfung ist. Erwähnung verdienen vor allem
Leder-Urbans Bilder aus dem dreissigjährigen Kriege,
denen sich O. Friedrichs Zeichnungen gleichwertig zu-
gesellen; Lefler hat sich auch nieder auf sein ur-
eigenstes Gebiet begeben, das der Märchenillustra-
tion, und Schneewittchen mit köstlicher Poesie verkör-
pert Vortreffliche Blätter lieferten ferner Hassmann
und Schwaiger (mittelalterliches Volks-, Lager- und
Strassenleben), Russ, Berat, Nadler, Lichtenfels und
Wik (geographische Bilder), Pock und Simony (Dar-
stellungen aus dem Tierleben) und Suppantschitsch
mit seinem prächtigen „Bauernleben der Gegenwart".
Die technische Ausführung ist überall eine gleich vor-
zügliche; die Farbenzinkätzung des Märchenbildes
könnte man als mustergültig bezeichnen. Ausser der
Volksausgabe (Heft M. 3, Bogen 10 Pf) erscheinen
noch zwei Liebhaber-Ausgaben: die eine, ungemein
luxuriös ausgestattet, auf Japan, montiert auf Kupfer-
dmckpapier, mit eigenhändiger Namensfertigung der
Künsder (Serie M. 100), die zweite auf Velin (SerieM. 10).
— z.
Vom Katalog der Frhrl. von Lipptr heideschen
Büchersammlung in Berlin erschien jüngst Lieferung
8/9. Das Doppelheft enthalt die Abteilung „Deutsche
Volkstrachten", im allgemeinen und in den einzelnen
Landesteilen und Städten; dann „Oesterrcich-Ungam":
Allgemeines, Bildnisse von Fürsten der Monarchie,
Böhmen und Mähren, Dalmaticn und Illyricn, Kära-
then und Krain, Steiermark, Tyrol, Ungarn, Wien;
ferner „die Schweiz" mit den Unterrubriken Basel und
Zürich, „Die Niederlande und Belgien" und ein Teil
von „Grossbritannien". — Wie die Zeitungen berichten,
ist die Lipperheidesche Kostümbibliothek schon jetzt
dem Berliner Kunstgewerbemuseum von dem hoch-
herzigen Besitzer dieser einzig dastehenden Sammlung
überwiesen und damit der Öffentlichkeit zugänglich ge-
macht worden. — m.
Eine interessante kleine Broschüre hat Staatsrat
F. Sintenis in Dorpat über die Pseudonyme der neuen
deutschen Litteratur veröffentlicht (Hamburg, Verlags-
anstalt und Druckerei A.-G. vorm. J. F. Richter, 1899).
Während das Pseudonym im Altertum nur vereinzelt
erscheint, wird es seit dem XVI. Jahrhundert eine Art
von Tarnkappe, welche vor Verfolgungen schützen soll
Erst die Manie Fischarts, der Dichterorden des XVII.
Jahrhunderts und Grimmelshausens hat den Gebrauch
des Pseudonyms allgemein gemacht Im XIX. Jahr-
hundert hat es überhand genommen, ohne wesentlich
zu nützen. Merkwürdigerweise haben einige Männer
weibliche Pseudonyme gewählt, während das Gegenteil
weitaus vorherrscht Zahlreichen Euphemismen stehen
auch manche absichtliche Entstellungen gegenüber.
Von den Romantikem stammt die grosse Vorliebe für
einzelne Vornamen. Einige Liebhaber des modernen
Unfugs bringen es auf acht bis zehn, eine Dame gar
auf dreizehn Pseudonyme. Dies soll die 1877 ver-
storbene Katarina Zitz gewesen sein. Regierungsrat
Meding schreibt ausser unter Gregor Samarow noch
unter Paul von Weilen, Detlev von Geyern, Leo Warren,
Kurt von Wallfried und einen halben Dutzend weiterer
Pseudonyme. Warum übrigens die Gallmeyer nicht
ihren entschieden hübscheren Familiennamen Torna-
selli beibehalten hat, ist unverständlich. — m.
Der Hersiog Victor von Rivoli hat sich kurzlich
längere Zeit in Wien aufgehalten, um in der K. K. Hof-
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327
bibliothek interessante Stu dien zu betreiben. Der Herzog
ist in gelehrten Kreisen nicht nur als Bibliophile, son-
dern auch als selbständiger Forscher bekannt. Er ist
Besitzer einer Bibliothek von 20000 Bänden, durch-
wegs erlesenen Erzeugnissen der Buchdruckerkunst,
und hat über ein eigenartiges Spezialfach, nämlich
über venezianische Frühdrucke mit Holzschnitten, meh-
rere luxuriös ausgestattete Prachtwerke veröffentlicht
Der Anklang, den diese für die Kunst- und Kultur-
geschichte wichtigen Publikationen fanden, hat den
Forscher bewogen, seine Studien fortzusetzen und zu
ergänzen. Der Herzog von Rivoli gedenkt in Wien eine
der weitestreichenden Arbeiten ausfuhren zu lassen,
die je in der Bibliothek in Angriff genommen wurden:
sämtliche Katalogzettel der Bibliothek, deren Zahl sich
rund auf eine Million belauft, sollen geprüft und die
alten Venezianer-Drucke genau beschrieben werden.
Der Abschluss der „Allgemeinen deutschem Bio-
graphie", die von der historischen Kommission bei der
Münchner Akademie herausgegeben wird, steht nahe
bevor. Der Schlussband wird binnen Kurzem er-
scheinen. Er ist der 4;. des Sammelwerkes. Alsbald
nach dem Erscheinen des 45. Bandes soll mit der Her-
ausgabe der Ergänzungsbände begonnen werden. In
Aussicht genommen sind deren vier. Vertagt wurde vor-
läufig von der historischen Kommission noch die Ent-
scheidung, ob die „Allgemeine deutsche Biographic"
von Neuem bearbeitet werden soll. Es ist dringend
zu wünschen, dass die Münchencr Akademie die Fort-
führung der „Biographie" zu ihrer Sache macht
England.
In der letzten Sitzung der Bibliographischen Ge-
sellschaft, der Lord Crawford präsidierte, hielt der
Oberbibliothekar des British-Museums, Sir. E. Maunde
Thompson, einen Vortrag über das Thema: Englische
Handschrift von $00 — 1400. Der Redner führte aus,
dass die Geschichte der englischen Handschrift be-
sonders interessant und lehrreich sei. Zu Beginn der
oben erwähnten Epoche gab es in England zur Füh-
rung in litterarischen Werken zwei rivalisierende Sy-
steme: das eine bediente sich der vaterländischen
Handschrift, wie er sie nennen wolle, und kam von
Irland; letztere stellt eine Entwickelungsform der alt-
römischen halb-uncial Schrift dar, wie sie namentlich
auch im Westen während des Mittelalters eine grosse
Rolle spielte. Die andere Schreibmethode hatten die
römischen Missionen in Form der Uncialschrift mit-
gebracht Diese wies in einigen Centren des Landes
Erfolg auf, verschwand aber in nicht allzulanger Frist.
Dann gewann die anglo-sächsische Hand als nationale
Schrift die Oberhand bis zur Periode der normannischen
Eroberung. Von diesem Zeitpunkt ab wird die eng-
lische Handschrift nur eine abgezweigte Unterabteilung
des westlichen Europas. England erreicht im XIII.
Jahrhundert den Höhepunkt der ausgebildeten
Schrift, deren Festigkeit und Sicherheit aber schon
im XIV. Jahrhundert durch einen weicheren, ge-
schwungenen und mehr fliessenden Stil ersetzt wird.
Sir E. Maunde Thompson erläuterte seinen Vortrag
durch Manuskripte aus dem British-Museum, die in
starker Vergrösserung reflektiert wurden.
Nach einer sorgfältigen Nachprüfung der im British-
Museum befindlichen Broschüren, Bücher und Doku-
mente, welche auf die französische Revolution Bezug
haben, stellte es sich schliesslich heraus, dass nicht
weniger als 30000 Duplikate vorhanden waren. Infolge
dieses ausserordentlichen Reichtums
Verwaltung des genannten Instituts,
französischen Nationalbibliothek als
lassen. Es bedarf wohl kaum der
diese Gabe mit Dank angenommen
zösische Nationalbibliothek will aber
plikate für sich behalten, welche sie
dagegen den Rest an di
Paris überweisen.
entschloss sich die
die Duplikate der
Geschenk zu über-
Erwähnung, dass
wurde. Die fran-
nur diejenigen Du-
noch nicht besitzt,
Bibliothek von
— sch.
Frankreich.
Von einem bemerkenswerten Versuch der Frauen-
emanzipation, der w ährend der französischen Revolution
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts unternommen
wurde, macht Marie Louise Neron auf Grund wieder-
aufgefundener Dokumente in der „Fronde" Mitteilung.
Es handelt sich um eine Buchdruckerei, die erste, in
der Frauen thatig waren. Nach der Aufhebung der
Privilegien versuchten die alten Korporationen, freilich
vergeblich, sich in einer neuen Form wieder aufzuthun;
vor allen anderen wollten die Buchdrucker ihr Gewerbe
abgeschlossen erhalten. Unter den Pariser Buch-
druckern widersetzte sich indessen der „Bürger Deltufo"
diesem Bestreben, er öffnete seine Werkstatt
jungen Leuten, die das Handwerk erlerne!
So bildete er bald eine grosse Zahl geschickter Arbeiter
heran. Aber er blieb dabei nicht stehen. Im Jahre
1794 richtete er eine originelle Petition an den National-
konvent, in der er die Errichtung einer Buchdrucker-
schule für Frauen vorschlug. Gegenüber der Behaup-
tung, die Setzerkunst sei zu schwierig, ab dass sie
Jünglinge und Frauen erlernen könnten, weist er auf
die Erfolge hin, die er mit seiner Buchdruckerschule
gehabt habe. Der Konvent schickte die Petition dem
Komitee des öffentlichen Unterrichts, und dieses be-
auftragte den Bischof von Blois, Grcgoire, mit der
weiteren Untersuchung. Der letztere erstattete einen
äusserst günstigen Bericht. Deltufo kam, dadurch
ermutigt, mit weiteren Bitten: der Prospekt sollte ge-
druckt und affichirt werden auf Kosten der Nation ; er
forderte Geldunterstützung und ein staatliches Gebäude
für seine Schule, staatliche Aufträge für die Druckerei
und anderes. Die Frauenbuchdruckerei wurde in der
Folge wirklich mit Unterstützung des Nationalkonvents
eingerichtet, und sie bestand auch mehrere Jahre hin-
durch. Es fehlt freilich an Dokumenten über ihre
Entwickelung, indessen hat sich eine Broschüre von
117 Seiten in Oktavformat mit dem Titel „Der Triumph
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328
Chronik.
der Philosophie oder die wahre Frauenpolitik" ge-
funden, die den Vermerk trägt: „In der Buchdruckerex
der Frauen, unter den Auspizien des Nationalkonvents".
Der Druck ist recht gut und sorgfältiger als die ent-
sprechenden Drucke jener Zeit
Die erste vollständige französische Ausgabe von
„ Tausend und eint Nacht" ist begonnen worden, Die
Übersetzung wurde einem jungen syrischen Arzte, S. C.
Mardrus, der lange Zeit in Paris studiert hat, an-
vertraut. Das Werk soll in 16 Oktav-Banden im Laufe
der nächsten fünf Jahre erscheinen.
Aus Viktor Hugos Nachlass will Paul Maurice
einen Band Memoiren und einen Band Briefe aus der
Brautzeit des Dichters erscheinen lassen. — m.
Der Herzog de la Tremoille hat bei der Sichtung
des Archivs seines Geschlechtes einen für die politische
und die Kirchengeschichtc Frankreichs äusserst wich-
tigen Fund gemacht und der Nationalbücherei ge-
schenkt: die amtlichen Protokolle der Sitzungen der
Pariser theologischen Fakultät von 1505—1533, die seit
der Regierung Ludwigs XIV. verschwunden waren.
Belgien.
Im 1 1. Heft der „Germania", Tijdschrift voor Vlaam-
sehe Beweging, Letterkunde Kunst, Wetenschap, On-
derwijs, Staathuishoudkunde, Handel, Nijverhcis cn
Verkehr in Brüssel (Drucken) „Gutenberg" veorhern
H. Diez Antwerpsche Steenweg) lesen wir folgenden
Notschrei:
„Die grosse Königliche Bibliothek su Brüssel lässt
in vlämischer Hinsicht alles zu wünschen übrig. Für
die Verwaltung derselben scheint es kein vlämisches
Gesetz zu geben. Französisch ist die Amtsprache, und
mit 2 oder 3 Ausnahmen versteht keiner der zahlreichen
dort angestellten Beamten vlämisch. Bestellzettel,
Briefwechsel u. s. w. sind nur französisch, die Vlamen
müssen vorlieb nehmen mit den Brosamen, die vom
reichen Budget übrig bleiben. Der Vlame, der ernsten
Studien obliegt, findet dort keine oder nur ungenügende
HülfsqueUen und entsagt daher dem Besuch dieser
grossen gemeinnützigen Anstalt, die besonders auch
den minder Bemittelten Bücherschätze zugänglich
machen soll. Was muss man empfinden, wenn dort
selbst das beste niederländische Wörterbuch, der Van
Dale, nicht zu haben ist? Damit dürfte wohl alles ge-
Natkdmck verboten. —
sagt sein. Was gar das Deutsche betrifft, so muss man
gestehen, die Königliche Bibliothek ist elend ausge-
rüstet. Von dem, was nach 1870 in der deutschen
Litteratur erschien, besitzt diese Anstalt spottwenig.
Auch hier lässt sich der Massstab anlegen, wenn man
vernimmt, dass ilir Brockhaus eine antiquarische Selten-
heit vom Jahre 1875 ist. Die vielbedeutcnden neuem
Forschungen auf dem Gebiete der germanischen Mytho-
logie u. s. w. sind so zu sagen gänzlich unbekannt". . .
Spanien.
Die „Revista critica de Historia y Literatura Espa-
nolas, portuguezas «5 Hispano-Americanas" enthält in
ihren letzten Nummern einige wertvolle Beitrage, wohl
als wertvollsten die Bibliographie der Reisen nach
Spanien, die Prof. Arturo Farinelli veröffendicht hat
Seine Apuntes sobre viajes y viajeros por Esparia
y Portugal, veranlasst durch FoulcW-Delboscs Biblio-
graphie des voyagcs cn Espagne et en Portugal
(Revue Hispanique III, 1896) bieten eine so reiche
Nachlese, dass sie geradewegs als zweiter Teil der
Sammlung Foulch&Delboscs angesehen werden können.
Die von erstaunlicher Bücherkenntnis zeugende Arbeit
Farinellis wird wohl noch an anderer Stelle gewürdigt
werden. Hier sei, um die Rundschau auf dem Ge-
biet der historisch • litterarischen Zeitschriften Spaniens
zu schliesscn, noch bemerkt, dass die Autos sacra-
mentals del sigle XIV, welche Joan Pie in den letzten
Heften der „Revista de la Asociacidn arti'stica-arqueo-
lögica" zu Barcelona mitteilt, eine merkwürdige Probe
geistlicher Bühnenstücke in katalanischer Sprache bieten
und die nicht allzu zahlreichen Daten über dieselben
(vgl. Otto Denk, Einführung in die Geschichte der alt-
katalanischen Litteratur S. 424) in erwünschter Weise
vervollständigen. Die neugegründete „Revista de Ex-
tremadura" endlich, an deren Leitung Herr Manuel
Castillo, der Übersetzer des Deweyschen Klassifikaiions-
systems, eifrig beteiligt ist, bringt in ihrer ersten Nummer
u. a. einen Aufsatz über den bekannten Humanisten
Francisco Sanchcz de las Brocas unter Heranziehung
neuer handschriftlich er Quellen. Parallel mit den periodi-
schen Publikationen lief in den letzten zwei Jahren die
Förderung grösserer Fortsetzungswerke, so der von den
Mitgliedern der Akademie der Geschichte publizierten
Historial gcneral de Espana, der von Marcelin o Me-
nendez Pelayo besorgten Ausgabe der Werke Lope de
Vegas (vol. VIII: Crönicas y leyendas dramäticas de
Expana, 1898) der von demselben Gelehrten veran-
stalteten Antologia de poctas llricos Castellanos (vol.VI I,
1898) der Biblioteca venatoria von Guticrrcz de la Vcga
(vol. IV, 1899) u. a. m. -rb.
Alle Rechte vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitt in Berlin.
All« Sendungen redaktioneller Natur an denen Adresse: Berlin W. Augibutcerstraise «1 erbeten.
Gedruckt «mW. Drufulin io Leipiig lur Velhagen & (Claim« in Bielefeld und Leipng. - Papier der Neuen Papier-
Manufaktur in Strasburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
3. Jahrgang 1899/1900.
Heft 9: Dezember 1899.
Deutsche Stammbücher des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts.
Von
Willibald Franke in Berlin.
r Student mit dem Stamm-
juche ist seit Goethes Faust
eine allgemein bekannte Figur
geworden. Man erinnere sich,
uie das junge Blut verblufft
durch die cynische Weisheit des
vermummten Teufels nichts zu sagen weiss, als
dass es sich als besondere Gunst und Ehre von
dem berühmten Manne, den es vor sich zu sehen
wähnt, eine Zeile für sein Stammbuch ausbittet
„Fritis sicut deus, scientes bonum et malum", den
alten Spruch seiner Muhme, der Schlange, giebt
der Satan ihm auf den Lebensweg mit. Latein
war es, wie es dem Jünger der Wissenschaft ge-
ziemte, und lateinisch ist die grösste Zahl der
Gedenksprüche in den „libris (albis) amicorum"
aus der Zeit des Humanismus; auch griechische,
ja selbst hebräische gehören nicht zu den
Seltenheiten. Die deutschen Sprüche und Verse
nehmen in den ältesten uns erhaltenen Stamm-
büchern im Verhältnis dazu nur einen geringen
Raum ein, aber herzerquickender Humor und
kernige Volksweisheit leuchten uns aus ihnen so
reichlich entgegen, dass es sich wohl der Muhe
lohnt, der Spur deutschen Fühlens und Denkens
auch auf diesem Wege nachzugehen.
Öfter noch als in den Stammbüchern der
Studenten finden sich deutsche Sprüche und
Verse in denjenigen, welche aus dem Besitze
Z. f. 11. 1899,1900.
des Adels, des I Iandwcrks oder eines Künstlers
stammen, denen die klassischen Sprachen natur-
gemäss weniger geläufig waren.
Was den Inhalt der Eintragungen angeht,
so besteht derselbe im XVI. Jahrhundert meist
in einem Wahlspruch, einem Sprichwort oder
einem zwei- bis sechszeiligen Verse. Während
die Sprichwörter als Gemeingut des deutschen
Volkes betrachtet werden können, dürfen von
den Wahlsprüchen und Versen gewiss viele
den Anspruch auf eine geistige Vaterschaft
ihres Schreibers machen, was natürlich nicht
ausschlicsst, dass verschiedene besonders ge-
lungene von anderen usurpiert wurden und auf
diese Weise ihren Weg durch eine ganze Reihe
von Stammbüchern gern mmen haben. Wem
nun „von seinem Ältervater Hans Sachsen die
Kunst zu dichten gar war angewachsen", der
bestieg wohl auch den Pegasus und widmete
dem Freunde längere oder kürzere Poeme, von
denen wir in der hieranschliessenden Auswahl
deutscher Stammbuchblüten eine Anzahl origi-
neller Proben folgen lassen. Da diese Erzeug-
nisse meistens von Junggesellen und für Jung-
gesellen waren, ist es erklärlich, dass dabei gar
manches Spässlein mit untergelaufen, was für die
zarteren Ohren unserer Tage weniger geeignet
wäre. Unsere Altvordern liebten es ja, jedes
Ding beim rechten Namen zu nennen; daher
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33Q
Franke, Deutsche Stammbücher des XVL bit XVIU. Jahrhunderts.
kommt es denn auch, dass derartige Scherze aus
Quellen des XVI. Jahrhunderts meist einen mehr
naiven Charakter tragen, während am Ende des
XVII. und hauptsächlich im XVIII. Jahrhundert,
wo sich leider auf vielen Gebieten französischer
Einfluss bedenklich geltend machte, dieselben viel-
fach eine oberflächlich witzelnde, lüsterne und oft
sogar obseöne Richtung einsclilagen. Wenn man
von dem Bilde, welches die Poesie des Stamm-
buches giebt, auf das Ganze schliessen darf, war
die dichterische Begabung des Volkes vom XVI.
bis zur Mitte des XIX Jahrhunderts, auf welche
Periode sich meine Be-
obachtungen erstreck-
ten, in stetem Ab-
nehmen begriffen und
erhielt um die Wende
des XVIII. Jahrhun-
derts, stark becinflusst
durch die zeitgenössi-
sche Almanachpoesie,
einen so faden, weiner-
lichen, ewig beteuern-
den Ton, dass ich es
mir von vornherein ver-
sagte, auch noch das
Zeitalter unsererGross-
eltern für meine Bluten-
lese zu berücksichtigen.
Die Wahlsprüche,
deren ich erwähnte,
finden sich meist als
Beischriften zu den
Wappen, mit denen
die Mitglieder adeliger
Häuser einander die
Stammbücher zu schmücken pflegten. Da nur
wenige jedoch kunstfertig genug waren, um mit
eigener Hand ihr Wappen malen zu können,
so übertrug man meistens diese Arbeit einem
Mitgliede der noch bis zum Anfang des XVIII.
Jahrhunderts weit verbreiteten Zunft der Brief-
oder Kartenmaler. In Kreisen des hohen Adels,
denen die grössere Segnung mit irdischen
Gütern solchen Luxus gestattete, finden wir an
Stelle des Wappens mitunter sogar ein zierlich
gemaltes Miniaturporträt.
Die gemalten Stammbücher erfreuten sich
bald einer allgemeinen Vorliebe und fanden
demgemäss auch in bürgerlichen Kreisen schnell
Eingang und Nachahmung. Da diesen nun
Familienwappen zur Verfügung standen,
mussten sie sich nach anderen Gegenständen
umsehen, die Büchlein damit zu verzieren.
Dreierlei Art sind die Vorwürfe, deren man
sich zu diesem Zwecke bediente. In erster
Linie finden wir zahlreiche Darstellungen aus
dem Alltags- und Studentenleben, als da sind:
eine Mensur, eine Kneiperei, ein Gelage in
Gesellschaft fahrender Fräulein, eine lustige
Schlittenfahrt, ein Fackelzug, eine Schlägerei
mit den Stadtknechten, eine Katzenmusik, eine
„Depositur", durch welche der Bachant zum
Studenten oder, wie
die heutige Studenten-
sprache sagt, der Fuchs
zum Burschen wurde,
wobei der junge
Ankömmling auf der
Universität sich einer
Unzahl sehr phantasti-
scher und für ihn sehr
wenig angenehmer Ce-
remonien unterwerfen
musste, die alle darin
gipfelten, dass er reich-
lich geschunden und
zerbläut wurde und zum
Schluss noch tüchtig
dafür zu zahlen hatte.
Eine zweite Gruppe
bilden die historischen
Darstellungen, welche
vielfach aus gleich-
zeitigen illustrierten
Werken, z. B. dem
„Theatrum Europae-
um", „Gottfrieds historischer Chronik" u. a.
kopiert wurden. Endlich finden wir sehr zahl-
reich auch allegorische und Kostümbildchen.
Von ersteren war besonders beliebt die Dar-
stellung der Fortuna auf der Kugel — das Angeln
nach Liebe, welches ein oder mehrere Mädchen
zeigt, die bemüht sind mit Fischreusen, Netzen
und Angeln Männer im Wasser zu fangen — die
vier Menschenalter und ähnliches. Für die
Kostümbildchen bediente man sich als Vorlagen
der damals weit verbreiteten Trachtenbücher
der Vecellio, Jost Amman, Berteiii, de Bruyn
und anderer; besonderer Vorliebe erfreute sich
die Abbildung einer venetianischen Donna,
auch finden sich vielfach Zeichnungen von
Holiichuilt aus Jost Amman»
'■ '57'
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33»
weltlichen und Kirchenfürsten, Landsknechten,
Reitern, Mönchen, Reisewagen und dergleichen
mehr.
Meist waren diese Zeichnungen in Wasser-
farben ausgeführt, vielfach auf Pergamentblättern,
die zu diesem Zwecke von dem Buchbinder,
der die Stammbücher zum Verkauf herstellte,
von vornherein mit eingebunden waren. Einen
besonderen Reiz hin-
haltend: Viel artiger Figuren , betreffent das
Leben eines vermeynden Studenten, sampt andern
lehrhafften Vorbildungen. Jetzt auffs newe mit
vielen schönen Kupfferstucken , sampt der Be-
schreibung des Lebens Cornelii Relegati, vermehrt
und gebessert. An Tag geben durch Jacobum
von der Heyden, Chakographum. Strassburg
Anno l6l8. a Die „Beschreibung des Lebens
Cornelii Relegati", wel-
sichtlich des bildlichen
Schmuckes haben die
Künstlerstammbücher,
in welchen sich Skizzen
und ausgeführte Zeich-
nungen in allen Ma-
nieren zum Teil von
berühmter Hand vor-
finden.
Eine Sammlung
solcher amüsanter
Malprcien aus Studen-
tenstammbüchern ver-
anstaltete schon im
Anfang des XVII.
Jahrhunderts derStrass
burger Kupferstecher
Jakob von der Heyden
und gab dieselben in
Kupferstich heraus in
zwei Abteilungen unter
den Titeln „Pugillus
facetiarum konographi-
carum in studiosomm
potissimum gratiam ex
propriis eorundem albis
desumptarum; et iam
primum hac forma
editarum ihoS. —
Allerhand kurzweilige
Stücklein, allen Studen-
ten fürnemlich zu lieb auss Ihrem eigenen Slam-
büchern zusamen gelesen und in diese form
gebracht zu Strassburg' und „Stirpium insignium
nobilitatis, tum etiam Soladium memoriale sin-
s^ulari studio collectum Stambuch der
Jungen Gesellen, oder Handtbuch mit sonder-
lichen vleis zusammen gebracht, und mit schönen
Kupferstichen geziert. In Verlegung Ludwig
Kunings von Basel 1617." Beide Werke wurden
im Jahre 161 8 vereinigt nochmals herausgegeben
unter dem Titel „Speculum Cornelianum. In skh
INS1GN1A GEORG1I COR-
uini.Typographi Francofor-
ceniis*
che der Titel angiebt,
ist dem Werke in Ge-
stalt einer gereimten
Vorrede vorangestellt,
die eine interessante
Schilderung des Stu-
dentenlebens zu Anfang
desX VII. Jahrhunderts,
darin auch eine aus-
führliche Beschreibung
eines Studentenstamm-
buches giebt.
Ein Gegenstück
zu der Heydenschen
Sammlung von Stamm-
buchbildern finden wir
in dem Werkchen „Alk-
modisch Stambuch, das
ist, Von allerhand kurtz-
w eilige, lustige und
possierliche Inventionen
allen deroselben Lieb-
habern zu gefallen an
Tag gegeben durch
Cornelius Gramhart in
VerUgung Peter Rollos
Kupferstechern in Ber-
lin" (ohne Jahr, gegen
1650). Wie im Heyden-
schen Buche die Bilder
von kurzen Stamm-
buchversen begleitet sind, so ist es auch in
diesem der Fall; während in erstcrem aber
nur hin und wieder auch ein etwas gewagter
Scherz mit vorkommt, zeigen die Verse des
Gramhartschen Werkes fast durchweg einen
sehr schlüpfrigen Charakter.
Zweifellos ist die Sammlung von Jacob von
der Heyden bei der allgemeinen Beliebtheit, deren
sich der Gegenstand seiner Zeit erfreute, früher
viel verbreitet gewesen; auch die Veröffentli-
chung desselben Stoffes in verschieden betitelten
HotxschDiit au» Just Ammani
ld \V»ppenbuch!ein von 157*.
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332
Ausgaben lässt wohl darauf schliessen. Dass
trotzdem nur sehr wenige Exemplare des Buches
auf uns gekommen sind und dasselbe thatsach-
lich heute zu den grössten Seltenheiten gehört,
erklärt sich zur Genüge daraus, dass es von
den derzeitigen Besitzern, in den meisten Fallen,
mit weissem Papier durchschossen, direkt als
Stammbuch benutzt wurde, wie wir es denn
noch heute hin und wieder in dieser Gestalt vor-
finden. Die Stammbücher selbst wurden aber
tJemalte» Sununtmchblait aus dem Stammbuch dt» Julius und Stephau Hayr von Nürnberg, 1578.
tr reiherrlich von L<p|>cr)icidcs<.bc Bibliothek <u Berlin.)
in der Familie, nach dem Ableben ihres Eigen-
tümers wenig beachtet und waren meist als
Dinge rein persönlichen Interesses dem Unter-
gang geweiht. Es ist daher auch die Zahl der
Stammbücher überhaupt, die uns erhalten, nur
klein im Verhältnis zu ihrer früheren allgemeinen
Verbreitung.
Demselben Zwecke, der eben erwähnt —
nämlich mit leerem Papier durchschossen als
Stammbuch verwandt zu werden — diente auch
eine Kategorie von
W erken, die eigens
hierfür geschaffen
wurden; dieselben
enthielten meist in
Holzschnitt oder
Kupferstich eine
grosse Menge von
leeren Wappenschil-
dern, verziert mit
allerlei zierlichen Fi-
gürchen als Schild-
haltcr, wie Ritter
und Fräulein, Reiter,
wilde Männer u.
dergl., in welche als-
dann nur noch das
Wappen des je-
weiligen Schreibers
einzuzeichnen war.
Die schönsten und
berühmtesten Bü-
cher dieser Art
sind : „Jobst Ammans
Staut und Wapen-
buch hochs und nid er s
Staudts", welches
bei Siegmund Fever-
abend zu Frankfurt
a. M. im Jahre 1 579
und in einer zweiten
Auflage im Jahre
1589 erschien; das
gleichfalls im Jahre
1579 in Wien von
dem Formschneider
David de Necker
herausgegebene
W : crkchen „Ain
neues und künstlich
schönes Stutn- oder
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Kranke, Deutsche Stammbucher de» XVI. bis XVUI. Jahrhunderts.
333
Gesellen- ßüclilei/i"; „Virgil Solis' Wappai-
büchlein", welches 1584 zu Nürnberg er-
schien, und endlich das prächtige Werk
der Brüder Isaak und Theodor de Bry, das
1593 unter dem Titel: EmbLmata nobilitati
et vulgo sa tu digrta, Slam und Wapen-
bucltlem" in Frankfurt am Main im eigenen
Verlagsgeschäfte der Künstler herauskam. 1
Zu gleichem Zwecke wurden vielfach
die in früheren Jahrhunderten sehr ver-
breiteten Emblemenbücher (holländisch
Zinneprenten) benutzt, von denen besonders
diejenigen von Alciatus und Reusner sich
grösserer Beliebtheit erfreuten; doch waren
auch die gleichartigen Werke von Cats,
Camerarius, Boot, Boxhorn u. a. ziemlich
verbreitet. Falsch ist jedoch die Annahme,
dass diese Emblemensammlungen mit viel-
fach der Tierwelt entnommenen allegori-
schen Darstellungen den Stammbüchern
ihre Entstehung verdanken. Schon eine
oberflächliche Vergleichung beweist, dass
der Bilderkreis und der Charakter der Ab-
bildungen von den im Stammbuch üblichen
grundverschieden ist. Noch weit unver-
ständlicher ist die Behauptung, dass die
nach Form und Inhalt durchaus über einen
Kamm geschorenen Symbola (Sinnsprüche),
welche den Emblemen beigefügt, ausStamm-
büchern gesammelt sein sollen. Meist sind
dies bekannte Sprichwörter und Sentenzen,
vom Herausgeber in gleiche Form (zwei
oder vierzcilige Verse) gebracht, die wohl
mitunter von einem Denkfaulen für das Stamm-
buch benutzt und so ihren Weg aus den Em-
blemen in das Stammbuch gefunden haben
doch kaum umgekehrt.
Aber selbst Bilderwerke, die an sich mit dem
Stammbuch garnichts zu thun haben, finden
wir, mit leerem Papier durchschossen, als
solches verwendet. Mit Vorliebe gebrauchte
3*
SM
Gemall» StammbuchbUtt
au« dem Stammbuche de« Michael Loechel von Nürnberg um 1590.
{Freiherrlich von Lipperheideichc Bibliothek ni Berlin.)
man dazu die früher viel verbreiteten Bücher
mit Bildnissammlungen berühmter Männer aller
Zeiten; so fand ich mehrfach in dieser Art als
Stammbuch benutzt die kleine Ausgabe des be-
rühmten Bildniswerkes von Jovius und dasjenige
des Tobias Stimmer, beide dem XVI. Jahr-
hundert angehörend.
Das ist es, was ich in grossen Zügen über
• Ich erwähne hier noch zweier ähnlicher Werke, welche dem gleichen Zwecke dienen sollten, sich aber einer
weit geringeren Verbreitung erfreuten, als die oben genannten. Das erste erschien im Jahre 1574 und führt den
Titel: Fhrts Htsptridum pulcherritnae plcrorumque graeciae comicorum sententiae, cum duplici earutn versionc
I.atina, tum aliis, tum praeeipue literarum studiosis qui amicis petentibus scriptum aliquod memoriae causa (ut nunc
vulgo fit) relinnuerc cupiunt, profuturae. — Stamm- oder Gz-ftlUnhuch. Mit viel schönen Spruchen, auch allerlei offnen
und bürgerlichen Schildten und Helmen. Allen Studenten und sonst guten Gesellen, so entweder ihre Wappen,
Keimen oder Spruch zur Gedechnuss einander verlassen wollen, zu Dienst und Gefallen zusammen getragen.
Das zweite im Jahre 1600 veröffentlichte nennt sich:
Trachten oJer Stammbuch: darinnen alle fürnemste Nationen, Völkern, Manns nnd Weibs Personen in ihren
Kleyilern artlich abgemalt nach jedes Landes Sitten und Gebrauch, so jetziger Zeit getragen werden, und zuvor
niemals im Track ausgangen. Getruckt zu St. Gallen durch Georg Straub MDC
334
Franke, Deutsche Stammbücher des XVI. und XVIII. Jahrhundert*.
eigenem Gegensatze stand
zu dem oft schäumenden
Übermute der anderen
Blätter.
y£ huar Jmlcm. i*j*t fdyute. (pettjt,
Stukip Ijrtnjfiahr jttJu nunhj «j&f.
SctriMS AemJiun. Atriu Criia.v>tttlät^n
Fccia., tue Ojrjf r pari "/u in^tajrejc.
Studentenbeluitigung im XVII. Jahrhundert.
Nachbildung eines Kunfcratichei auti Allerhand kuriwcilige Stu..klem allen Studenten
ihren eigenen Stammbüchern rusammcngcleien von Jacob von der Heyden.
Sitte und Brauch der Stammbücher bei unseren
Altvorderen zu sagen hätte. Einen eigenen
Reiz hat es, diese Denkmale langst vergangener
Zeiten zu durchblättern, die uns Kunde geben
von fröhlicher Jugcndlust so manches deutschen
Mannes, von dem sonst der Strom der Zeit keine
Spur zurückgelassen hat. Soweit es, wie die
meisten der uns erhaltenen, Studentenstamm-
bücher sind, umfassen dieselben fast nur die
Studienzeit; zum ersten, was der zur Universität
ziehende junge Student sich anschaffte, gehörte
das Stammbuch. Vielfach finden wir darin als
erste Eintragungen die weisen I.ebensregeln der
Eltern und Anverwandten; daran schliessen sich
die oft kecken und übermütigen Verse und
Bilder der Komilitoncn, die von so mancher
lustigen Fahrt berichten, und den Beschluss
bilden nicht selten resignierte und wohlgemeinte
Ratschläge für den ins Philisterium Zurückziehen-
den. Eines klassischen Beispiels dieser Art
erinnere ich mich, welches den Beschluss eines
von wildem Studentenleben zeugenden Stamm-
buchs eines der Theologie Beflissenen bildete
und in einem in Bister gemalten Bilde bestand,
das den mit langer Pfeife vor seinem Hause
lustwandelnden Pfarrherren darstellte. Als Unter-
schrift war dem Bilde die Ode von Horaz bei-
gegeben „O tu beatus qui proeul tKgotUS . . ."
was mit seiner philiströsem Gemütlichkeit in
Nachstehend folgt nun
eine kleine Blütenlese aus
den mir vorliegenden deut-
schen Stammbüchern.
XVI. Jahrhundert.
Der Lieb sucht, da kein ist.
Es erfreut mich zu Zeiten
Ein' ripp aus Adams seiten,
Dass ich es muss meiden,
Bringt mir heimlich leiden.
Gottc* gab
Ist mein hab.
Sei wfojg,
Die Welt ist spitzig.
Wan sich das Glück zu dir thut wenden,
So hastu Freund' an allen Enden.
Wan aber das Glück verschwindt,
Derselben sich nicht einer findt.
Hoff, harr und leid
Ein kleine zeit,
Die falschen meid,
Veracht ihren ncid,
Es wird dir doch gelingen,
Du wirst sie überwinden,
Gott wird dein ungluric wenden.
Es steht in seinen Händen.
Geduld im Herzen
l'ebcrwindt alle Schmerzen.
Gut ist nicht besser,
Besser ist nicht gut.
Wer was weiss, der schweig,
Wer «ohl sitzt, der bleib,
Wer was hat, der halt,
Denn vnglück kommt bald.
Welche Früchte bald entstehen.
Dieselben auch balt vergehen,
Und welche balt thun aufkommen,
Die sind seiden gar vollkommen;
Aber was lang mit müh aufgeht,
Dasselbe auch lang ohne muh besteht,
Und was langsam hat zugenommen,
Das ist satter vnd mehr vollkommen.
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Franke, Deutsche Stammbücher de« XVL bis XVIII. Jahrhundert«.
335
Trink Wein,
Doch fein,
Er sei dein,
Nicht du sein.
Borgstu nicht, so hast du zorn,
Thustus dann, so ist's verlorn.
Doch besser ist der erste zom,
Als gcldt und freundt zugleich verlorn.
Mit Gott und mit Ehren
Soll sich mein Glück mehren,
Was mir mit Ehren nicht werden kann,
Da wendt mir Gott mein Herz davon.
Frisch, frey und geduldig,
Was ich nicht zu bezahlen hab,
Das bleib ich schuldig.
Wenn der Wolff das Maul leckht,
Vnd die Junckfrau sich im liett streckht,
So gelüst den Wolff nach dem lamb,
Vnd der Junckfrau nach einem Mann.
Von Adam her sind wir alle geboren.
Einer so edel, wie der ander woren.
Was du thust, das fahr weislich an,
ISedenk vor woll, wie es darnach ward gan.
Denn vor gethan vnd erst bedacht,
Hat manchen otTt zu schaden bracht.
Hoffnung emert Geduld.
Im glückh erhob Dich nicht,
Wer weiss was noch geschieht.
Ich wag's, Gott walt's,
Förster vnd Jäger,
Rentmeistcr und Pfleger,
Ampileut und Schösser
Regieren Land und Schlösser.
Sie haben wenig zu lohn
Vnd werden reich davon.
Rath wie das geschehen kann!
Ihr griffe weiss nicht jedermann.
Wer Gott traut.
Der hat wohl pautt.
Teutscher Glaub, Recht, Tugend vnndt Ehr
Ist kommen in Verachtung sehr.
Vertrauen bedarf Aufschauen.
Tuck dich vnd lass furüber gahn,
Das Gluck will stets sein' Willen han,
Hodie mihi, eras tibi
Heutt bin ich Jung, schön, Rott vnd weiss,
Morgen im grab der wurmer Speiss ;
Heust blüe ich, wie ein Rose Rott,
Morgen im sarge kalt vnd tott,
Heutt grün ich, wie ein junge Eich,
Morgen im grab ein faule Lcich.
O Mensch in Herz bildt feste dir
Das Heutemir vnd Morgen dir,
Studeiiienwohnung Je» XVII. Jahrhunderts.
(IfltlM Stammbuchblau aus dein Stammbuche des Michael Schmidt, Studenten io Altdorf, um ibjo.
(Frciherrlich von Lippcrheidesche llibtiotbek iu Ucrlin.)
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336
Franke, Deutsche Stammbücher des XVI. bis XVIII. Jahrhundert*.
deine Stund naht immerzu,
Da du sollst gahn zu deiner Ruh.
Derhalben o Herr Jesu Christ
üieb, dass ich all Zeit sei gerist.
Zu scheiden hier von dieser weit
Mit freuden herr, wenn dirs gefallt.
Unfrcy und gelt
Regirt in der Welt.
Warte Herz und brich nicht,
Die ich will, die will mich nicht.
Die ich aber garnicht mag,
Kann mir werden alle tag.
XVII. Jahrhundert.
(i. Hälfte.)
Wies Gott gefallt, so lauffs hinaus,
Ich lass die vögle in sorgen,
Kombt mir das Glück nicht heutt zu haus,
So kombts gewisslich morgen.
Was hilft Wahrheit vnd Kunst,
Wo gilt Falschheit vndt |
Es soll mir lieber sein, wenn mich ein Freund gebissen,
Als wenn ein Heuchler mir will meine Wange küssen.
Man hört nichts in jetziger Welt,
Jeder Man schreidt geldt geldt geldt.
Wer sich der bienen Stachel lässt schrecken,
Bekombt den Honig nicht zu lecken.
Die Feder geht über leder.
Es hat kein Harmony solch schön vnd lieblich klingen,
Als wenn das Hertz vnd Mündt aus einem Tone i
Selten ist der zu Hofe blieben,
Der einfältig war vnd nicht durchtrieben.
Zu hoff, in der hebe vnd auffder Jagt
Wirdt selten einem diss, darnach er tracht.
kupfenucli .Mi*. Theodor de bry» Summ- und Wappenbuch. 1593.
Die Eltern haben sich der
gülden Zeit gerühmet,
Vergebens ! Unsrer Zeit der
Titul bas geziemet:
Gold jetzt das Unheil spricht,
Gold bringet zu Gewalt,
Gold in der Kirch regirt, Gold
ändert die Gestalt.
Wo Soldaten sieden vndt
braten
Vndt Geistlich in weltlich
Handel raten
Und Weiber haben das Hauss
Regiment
Da nimmt es selten ein guth
endt.
Wags, Gott
Nichts Edlers hab ich auf
dieser Erden funden
Als bredt von Hertzen und
Stille von Munden.
Grossen Herren und schönen
Jungfrauwen
Muss man gerne dienen und
nicht alzeit trauwen.
Ich liebe, was fein ist,
Ob es schon nicht mein ist
Vnd mir nicht werden kan,
So hab ich doch mein I.ust
daran.
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337
t Studentenwohnung de» XVIII. Jahrhundert*.
Gemaltes SummbuchbUll aui einen Rottocker Studentenjtammbuche ron 1736.
(Freiherrlich Ton Lipperheideiche Bibliothek ia Berlin.)
Die Feder klug durch scharf Verstand
Wirft manchen starken held in sand.
Siehe, wie vngleich ist hie der lohn.
Der die Mül treibt hat nichts davon,
Ob man dan treu ist, was lülfts eim.
Der das glück hat fürt die braut heim.
Wer die Tochter haben will,
Der halt es mit der Mutter.
Auf menschen hoffen, das thut nichts,
Auf gott hoffen, das thuts und richts.
Lass dir kein Ungemach über die Knie zum Heruen
steigen.
Freunde in der nodt,
Freunde in dem todt,
Freunde hinter dem rücken
Das sind drei starke brücken.
Lieben ist leydens anfang,
Lieben ist leydens fordtgang,
Lieben ist ein herber trank,
Wer zu vill genisst den macheu krank.
Sag mir, soll es woll köstlich sein,
Wenn man aus goldt trinkt schlechten Wein.
Mich dünket aber, aus einem glass
Schmeckt mir de gute web viel bass.
Z. f. B. 1899.' 1900.
Disteln und Dornen stechen sehr,
Falsche Zungen noch viel mehr ,
Lieber in Dornen vndt Disteln baden,
Als mit falschen Zungen beladen.
Lust vndt Liebe mm Dinge
Macht alle arbeit geringe.
Cuth verlohren, nichts verlohren,
Muth verlohren, etwas verlohren,
Ehr verlohren, viel verlohren.
Gottes Wort verlohren, alles verlohren.
Frommb, redlich, weiss und mild
Gehöret in des Adels schild.
XVII. Jahrhundert.
(2te Hälfte.)
Tag und Nacht
Stürm vnd Schlacht,
Scharmützel vnd Streit
Macht gute Soldaten vnd Kriegsleut.
Wenn du vor hast ein wichtige sach,
So sehe dich vor vndt thue gemach.
Mit Eyl soll man nicht heben ahn,
Was man hernach nicht enden kann;
Aber im Unglück hab eines Löwen Muth,
Harr auf Gott, es ward baldt werden guth.
43
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338
Kellen. Ober welche Frauen ist am meisten geschrieben worden?
Der Wolff endert sein Peltz und Haar,
Aber nicht die Art und die Jahr.
Da die Treue war gebohm
Kroch sie in ein Jägerhorn,
Der Jäger blies sie in den Windt,
Daher man sie so selzam findt
Ein gesunden Bissen,
Ein guths Gewissen,
Ein reinen Trunk,
Ein seeligen Sprung
Aus diesem Leben
Woll mir mein Gott aus Gnade geben.
Tugend hat leider allzuviel neider o
aber indessen
Will ich sie dennoch allezeit lieben,
nimmer vergessen.
Willst du die Rosen unter den Dornen
völlig abbrechen,
Musst du nicht achten, oder betrachten,
dass sie dich stechen.
XVIII. Jahrhundert.
Wohlan I es soll zum Schmausen gehn,
Ihr Brüder lasst uns ohn Verweilen
Hin zu Orestes Stube eilen,
Wo schon die Gläser fertig stehn.
Ja ja, er kommet schon gegangen
Uns mit Vergnügen zu empfangen.
Er kommt, er sieht, er stutzt, er fragt,
Warum man Sporn und Stiefel trägt?
Mein Freund! es hat nichts zu bedeuten,
Wir wollen dich ein wenig reuten.
O Tübingen! du bist zu bedauern,
Du hegst in deinen schwarzen Mauern
Den Gott, der selbst dem Teufel gleicht,
Philister, die die Pursche prellen,
Ein Heer verfluchter : Gesellen,
Das schelmisch durch die Gassen schleicht
Piano, sprach mein Schatz,
Die Mutter steht dabey,
Wenn wir allcinc sind,
Steht dir ein mehres frey.
Der vermehrt die Zahl der Weisen,
Der als Jüngling scherzt und küsst
Was hilft die beste Welt,
Es ist doch alles eitel;
Bald hat der Pursche Geld,
Bald einen leeren Beutel.
Vivat der König, mein Mädchen und ich,
Der König vor alle, mein Mädchen für mich.
Trinket Brüder, trinkt den Punsch der Britten,
Schlürft ihn als freye Deutsche ein
Und lernt, durch Herz, Vernunft und Sitten
Noch freier, als der Britte sein.
Ein Mädchen voller Weishcits Gründe
Hält jeden Kuss für eine Sünde,
Bis ihm ein Freund gefällt
Hat dieser sie dann überwunden,
So sagt sie froh zu allen Stunden i
Dies ist der Lauf der Welt
Der Hauptmann von Capcmaum
Schlug alle Manichäer krumm,
Und wenn er dieses thut auf Erden,
Soll er zum Obrist-Lieutoant werden.
4t
Über welche Frauen ist am meisten geschrieben worden?
Von
Tony Kellen in Rüttenscheidt
liese Frage hat meines Wissens bis
| jetzt noch niemand zu beantworten
versucht, und wenn man sie in einem
Kreise von Gebildeten stellen wollte, würden
wohl sehr verschiedenartige Antworten er-
folgen. Es wäre natürlich auch dem eifrigsten
Forscher nicht möglich, über die Frage mit
völliger Sicherheit Aufschluss zu geben, wenn
man alles Gedruckte berücksichtigen wollte,
aber naturgemäss kommen hauptsächlich nur
Buchwerke in Betracht, und hier ermöglichen
es uns die modernen bibliographischen Hilfs-
mittel denn doch schon, mit einiger Sicherheit
eine solche Frage zu beantworten.
Digitized by Google
Kellen, Ober welche Frauen ist
meiiten geschrieben worden?
339
Seit Jahren habe ich eine besondere Auf-
merksamkeit der Frauenlitteratur zugewandt,
und dabei kam mir eine sehr wertvolle liiblio-
graphie zu statten, in der ein „alter Bibliophile"
eine ausserordentlich grosse Zahl von Werken
über berühmte Frauen aufführt Den näheren
Inhalt ersieht man aus dem ziemlich umfang-
reichen Titel, den ich hier vollständig wieder-
gebe:
Manuel de Bibliographie Biographique et d'lcono-
graphie des Femmes CeHebres contenant: Un diction-
naire des femmes qui sc sont fait remarquer ä un titre
quelconque dans tous les siecles et dans tous les pays;
les dates de leur naissance et de leur mort; la liste de
toutes Ics monographics biographiques relatives h cha-
que femme, avec la mention des traductions; l'indica-
tion des portraits joint* aux ouvrages cites et de ceux
gravis scparc'ment avec lcsnomsdcsgraveurs; les prix
auxquels les livres, les portraits et les autographes ont
ete portes dans les ventes ou dans les catalogues; suivi
d'un repertoirc de biographies gcncralcs, nationales et
locales et d'ouvrages concernant les portraits et Ics
autographes, par um vieux bibliophile. (1892, Turin,
L. Roux & Cic. Paris, Librairie Nilsson).
Das Werk, das 30 Fr. kostet, ist nur in
einer kleinen Zahl numerierter Exemplare er-
schienen. Auf unbedingte Vollständigkeit macht
es keinen Anspruch; es ist meines Wissens die
einzige derartige Bibliographie. Der Heraus-
geber hat sich aus einem mir unerfindlichen
Grunde nicht genannt; er scheint ein Italiener
zu sein, da er zahlreiche italienische Werke
anführt und sich in den deutschen und franzö-
sischen Titeln manche Fehler vorfinden. Am
reichhaltigsten ist die französische Frauen-
litteratur vertreten, aber auch die deutsche,
englische und italienische sind keineswegs arm.
Andere Sprachen sind nur in einer geringeren
Zald von Werken berücksichtigt worden.
Im ganzen fuhrt die Bibliographie 2584
Frauen auf, über die Bücher oder Abhandlungen
veröffentlicht worden sind. Ausserdem ver-
zeichnet sie die allgemeinen biographischen
Werke (Sammlungen von Frauen-Biographien)
und dann die nationalen und lokalen Frauen-
Biographien.
Ausser diesem Werke giebt es noch ver-
schiedene wertvolle Kataloge über Frauen-
litteratur, z. B. ein älterer Katalog von Tcchener
in Paris. Den neuesten Katalog auf diesem
Gebiete hat der Buchhändler Martinus Nijhoff
in Haag herausgegeben unter dem Titel: „La
Femme, Qualites-Travaux-Histoire". Dieses sehr
gediegen ausgestattete Werk ist eine Arbeit
des Frl. R. Visscher und erschien aus Anlass
der nationalen Frauenarbeit- Ausstellung im Haag.
Ich habe nun mit Hülfe der erwähnten
Bibliographie und zahlreicher Kataloge zu er-
mitteln versucht, über welche Frauen am meisten
geschrieben worden ist Natürlich kommen
nicht allein Bücher in Betracht; allein es ist
selbstverständlich nicht möglich, alle in Zei-
tungen und Zeitschriften erschienenen Artikel
zu ermitteln. Es giebt ja Frauen, wie z. B.
Sarah Bernhardt, über die in Tagesblättern
ungemein viel geschrieben worden ist, so dass
die Zusammenstellung dieser Artikel viele Bände
füllen würde, allein der wirkliche Inhalt jener
Aufsätze würde doch keinen allzugrossen Raum
einnehmen. Eine eigentliche Biographie der
Sarah Bernhardt ist mir nur von Sarccy be-
kannt Die übrigen Werke sind gegen sie
gerichtete Schriften. Es mag nun auch noch
einige andere kleine Biographien geben, jeden-
falls werden nicht viel selbständige Werke über
die grosse Sarah auf die Nachwelt kommen.
So verhält es sich auch mit vielen andern
Frauen, die in Zeitungen und Büchern wohl
oft als „berühmt" erwähnt werden, über die
aber in Wirklichkeit nur wenig Bücher und
längere selbständige Abhandlungen veröffent-
licht worden sind.
Ich glaube wohl behaupten zu dürfen, dass
die meisten Bücher und selbständigen Abhand-
lungen über Marie-Antoinet/e, Jeanne ä'Arc und
Maria Stuart geschrieben worden sind. Bei
den beiden unglücklichen Königinnen sind es
einerseits geschichtliche Forschungen und Streit-
schriften und anderseits gewöhnliche Biogra-
phien, bei Jeanne d'Arc hauptsächlich erzählende
Werke.
Die erwähnte Bibliographie führt 189 Werke
über Marie- Antoinette auf. Man könnte die-
selben jedoch leicht auf über 200 ergänzen.
Dabei sind die von einzelnen Schriften erschiene-
nen zahlreichen Neuauflagen nicht mit gerech-
net So ist z. B. die „Lettre ecritc de la Tour
du Temple par S. M. la reine de France, Maric-
Antoinette, ä madame Elisabeth, soeur de
Louis XVI", die auch unter dem Namen
„Testament de la Reine" bekannt ist, sehr häufig
neu gedruckt worden. Ferner sind die überaus
zahlreichen allgemeinen historischen Werke, in
denen auch das Leben und das Schicksal der
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Kellen, Ober welche Frauen i«t am meinen geschrieben worden?
340
unglücklichen Königin geschildert wird, natür-
lich nicht mit gerechnet. Zahlreiche Briefe,
Bekenntnisse, Testamente u. s. w. wurden der
Königin angedichtet. Schon 1790 erschien eine
erfundene „Correspondance de la reine avec
d'illustres personnages" (ohne Angabe des Orts
in Paris gedruckt), und 1793 ein erfundener
Brief „Lettre de Marie -Antoinctte, reine de
France, pour etre presentee aujourd'hui ä la
Convention" (derselbe Brief wurde auch unter
dem Titel „Vöritable lettre de Marie-Antoinette
d'Autriche" gedruckt). Ausserdem giebt es eine
ganze Anzahl gefälschter Schreiben, die von
Feinden der Königin veröffentlicht wurden.
Gefälscht sind auch die „Souvenirs de Leonard,
coiffeur de la reine Marie-Antoinette" (Paris
1838, 4 Bände), sowie die „Memoires", die Frl.
R Bertin, die Modistin der Königin, geschrieben
haben soll. Apokryph sind femer die angeb-
lich von der Princesse de Lamballe herrühren-
den „Memoires relatifs ä la famille royale pendant
la Revolution."
M me Simon -Viennot hat ein zweibändiges
Werk veröffentlicht: „Marie-Antoinette devant
le XIX. siecle" (Paris 1838), in welchem das
Interessanteste eine Unterredung ist, die die
Verfasserin mit Rosalie La Morliere, der Köchin
der Conciergerie, über den Aufenthalt der
Königin in diesem Gefängnis und die Augen-
blicke vor ihrer Hinrichtung gehabt hat. Übri-
gens haben verschiedene Personen, die mit der
Königin in Verbindung standen, selbst Werke
über sie geschrieben. So hat einer ihrer Sekre-
täre, J. M. Augeard, „Memoires secrets" hinter-
lassen, die Evariste Bavoux herausgegeben hat.
In mehrere Sprachen wurden die Memoiren
der M me Campan übersetzt. Grosses Auf-
sehen erregte das Werk: Journal de cc qui
s'cst passe ä la Tour du Templc pendant la
captivitc de Louis XVI. roi de France, avec
fac-simile de deux portraits, Tun de la main
de la Reine, et signe" de M. lc Dauphin, de
madame Royale et de mademoiselle Elisabeth ;
i'autre aussi de la main de la Reine et de
madame Elisabeth." Es erschien zuerst 1798
in London. Uber den Verfasser ist viel ge-
stritten worden. Clery, der Kammerdiener
Ludwigs XVI, wurde als solcher betrachtet; das
Buch soll aber nicht von ihm herrühren. Barbier
schreibt es der Gräfin de Schömberg zu, Hue
einem gewissen Muralia. Endlich hat der
Schriftsteller Gros (Sauveur), Sekretär des
Prince de Ligne, behauptet, der Verfasser zu
sein. Der Erfolg des Journal de Clery" war
so gross, dass da3 Direktorium ein anderes
Werk, „Memoires de Clery, valet de chambre
du roi Louis XVI" (1800) dagegen veröffent-
lichen Hess. Dasselbe ist von einem der
Kommissäre des Temple, Danjou, verfasst.
Ck-ry protestierte heftig gegen dieses ihm zu-
geschriebene Buch in einem im Februar 1801
in dem „Zuschauer aus dem Norden" (Ham-
burg) erschienenen Schreiben.
Sogar der Katalog der Bibliothek der Kö-
nigin in den Tuilerien wurde 1863 und 1884
veröffentlicht; ferner hat Lacour speziell den
„Catalogue de la bibliotheque du boudoir de
Marie-Antoinette" herausgegeben.
Über den Halsbandprozess allein giebt es
eine umfangreiche Litteratur.
Mehrere Streitschriften gegen die Königin
sind lediglich obseöne Pamphlete, so: „Lcs
amours de Charlot (-= Graf von Artois) et de
Toinette"; „Confession de Marie-Antoinette au
peuple francais sur ses amours et ses intrigues";
„Le cadran des plaisirs de la cour" u. s. w.
Das Gleiche gilt von dem Werk „Essai histo-
rique sur la vie de Marie-Antoinette, redige
sur plusieurs manuscrits de sa main". (Ver-
sailles 1789, chez la Montansicr).
Ein amtliches Protokoll über ihren Prozess
erschien unter dem Titel „Procds criminel de
Marie-Antoinette de Lorraine, archiduchesse
d'Autriche, suivi de son testament et de sa
confession derniere". (Paris, an XI).
Eine heftige Streitschrift gegen die Königin
sind die „Essais historiques sur la vie prive'e de
Marie-Antoinette d'Autriche, pour servir ä son
histoire" (London 1789 und andere Ausgaben);
dieses Werk erschien 1789—90 in Oldenburg
in deutscher Übersetzung. Abgesehen hiervon
sind die ersten, mir bekannten deutschen Bio-
graphien der Königin: Leben der Königin von
Frankreich, Maria Antoinette von Österreich.
(Hannover 1789) und (L. A. Schubart): Leben
der Königin Maria Antoinette von Frankreich.
(Cöln 1789—90. 2 Bände.)
Eine „Vie de Marie-Antoinette, reine de
France" erschien 1785 in Hamburg und Braun-
schweig (Brunnswich!).
Hier sei auch noch ein eigenartiges Werk
erwähnt, das einem früher sehr beliebten Genre
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Kellen, Ober welch« Fi
341
angehört: J. F. Gaurn, Marie Stuart und Marie«
Antoinettc in der Unterwelt (Ulm 1794.)
Eine merkwürdige Geschichte hat das Werk:
„Memoires concemant Marie-Antoinette, reine
de France, archiduchesse d'Autriche, et sur
plusieurs epoques importantes de la Revolution
francaise, depuis son origine jusqu'au 16 octobre
1793, jour de Martyre de sa Majeste\ suivis du
reeit historique du proecs et du martyre de
Madame Elisabeth, de l'empoisonnement (sie) de
Louis XVII. dans la Tour du Temple et de la
delivrance de Madame Royale, rille de Louis
XVI, et de quelques evehements ulterieurs,
par Joseph Weber, frere de lait de cette infor-
tunce sou veraine, ci-devant employö dans 1c
ministcre des finanecs de France, et aujourd*hui
pensionnaire de son Altes.se royale Mgr. le duc
Albert de Saxe-Teschen". (Londres 1 804 — 1 809).
Die Einfuhr dieses Werkes in Frankreich
wurde verboten und mit solcher Sorgfalt ver-
hütet, dass nur ein Exemplar der Beschlag-
nahme entging. Nach diesem Exemplar ver-
öffentlichten die Gebrüder Beaudouin 1822
einen Nachdruck in 2 Bänden in der Samm-
lung „Collection des Memoires rclatifs ä la
Revolution francaise." Der Neudruck wies
aber viele Veränderungen auf, und dies ver-
anlasste W£bcr, einen Prozess gegen die Ge-
brüder Beaudouin anzustrengen. Diese behaup-
teten, der wirkliche Verfasser des Werkes sei
der Marquis de Lally-Tollendal, Pair von Frank-
reich. Es scheint auch, als habe Weber nur
Notizen für die ersten Kapitel geliefert, wäh-
rend der erwähnte Marquis nach seinen Erinne-
rungen und denjenigen des Herzogs von Choiseul,
sowie andere Schriftsteller die folgenden Kapitel
geschrieben hätten; der Schluss ist wieder auf
Grund von Aufzeichnungen Webers abgefasst.
Wie dem auch sein mag: das Werk ist haupt-
sächlich für die politische Geschichte wichtig
und deshalb auch in der „Bibliothequc des
Memoires rclatifs ä l'histoire de France pendant
le i8e siede" (Paris, Didot) wieder abgedruckt
worden. Es wurde auch in das Englische über-
setzt (London 1805—6).
Nach Marie-Antoinette hat Jeanne d'Arc,
die Jungfrau van Orleans, wohl die meisten
Federn in Bewegung gesetzt Die oben er-
wähnte Bibliographie zählt über sie 148 Werke
auf. Dieses Verzeichnis ist übrigens bei weitem
noch nicht vollständig; hauptsächlich sind die
populären Werke nur zum Teil angegeben.
J. BartWlemy de Beauregard hat 1847 in seiner
„Histoire de Jeanne <TArc" nicht weniger als
1200 Artikel über die Jungfrau von Orleans
aufgezählt, die bis dahin über die Heldin ver-
öffentlicht worden waren.
Ihr zunächst kommt Maria Sluart, über die
die erwähnte Bibliographie 142 Werke aufzählt.
Die ältesten stammen zumeist aus dem Jahre
der Hinrichtung der Königin (1587), und noch
jetzt bringt jedes Jahr neue Maria-Stuart-Publi-
kationen in den verschiedenen Sprachen. Die
älteste Veröffentlichung ist meines Wissens:
„Carmen in Francisci, illustrissimi Franciae Del-
phini, et Mariac Scotorum reginae nuptias".
Paris 1560.
Dieses Gedicht rührt von M. l'Höpital her.
Von den folgenden Werken seien u. a. er-
wähnt: (F. de Belleforest), L'innocence de la
tres-illustre et tres-chaste princesse Marie Stuart
reine d'Ecosse, douairiere de France, oü sont
refutees les calomnics d'un Iivre secretement
divulgue en France Tan 1572, touchant la mort
du sieur d'Arley son epoux etc. Lyon 1572.
Ein Exemplar wurde 1878 für 350 M. in
London verkauft.
Ferner:
A discoverie of the treasons practised and
attempted against the Queene's Majestic and
the Rcalme, by Thomas Throckmorton, who
was for the same arraigned and condemned in
Guyld Hall, in the Citie of London, the 21*
May last past (London) 1584.
Dieses Werk ist gleichfalls sehr selten und
wird mit 100 Fr. bezahlt.
Seltenere Werke sind ausserdem:
Maria Stuartae supplicium et mors pro fide
catholica constantissima. Coloniae Agrippinae
1587.
Vera relazione della morte di Maria Stuarda,
regina di Scozia. Perugia 1587.
Deila morte della regina di Scotia, moglie
di Francesco II, re di Francia. Vicenza 1587.
Mort de la royne d'Ecosse, douairiere de
France, oü Ton voit la procedure de son ex6-
cution, ses funcraillcs etc. Paris 1589.
A. Blackwood, Histoire et martyre de la
royne d'Ecosse, Paris 1589.
Die beiden letzteren Werke wurden jüngst
von einem englischen Buchhändler für 450 M.
angeboten.
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Kellen, über welche Frauen ist am meisten Beschrieben wottlen?
342
Martyre de la roync d'Ecosse, douairiere
de France. Edimburg 1587. Anvers 1588.
Execution oder Todt Marien Stuart's Ko-
nigin aus Schottland, welche den 18. Februar
1 587 in Engelland enthauptet worden ist. Magde-
burg 1588.
O. Barnestaple, Maria Stuarta, Regina
Scotiae Dotaria Franciae, Haeres Angliac et
Hybcrniac, Martyr ecelesiae, Innocens a caede
Damleana: Vindice Oberto Bamestapolio, Ingol-
stadt 1588.
Diese Ausgabe wurde für 130 Fr. ange-
boten.
Was andere berühmte und berüchtigte
Frauen betrifft, so gebe ich hier nur von
einigen derselben die Zahl der Werke an, wie
die erwähnte Bibliographie sie verzeichnet:
Ninon de Lenclos
20
Werke
Charlotte Corday
25
»
Heloise
26
rt
Die Herzogin von Berry
27
»
Die Dubarry
28
Die Pompadour
28
»»
M— de Sevignc
31
'■
Katharina von Mcdici
32
••
Königin Luise
33
v
de Stael
35
I»
Christine von Schweden
49
>>
Marquise de Maintenon
49
»'
Maria von Mcdici
62
•'
Katharina II. von Russland 65
»
Elisabeth Tudor
6<S
!>
Maria Theresia
88
f»
Selbstverständlich sind auch diese Zahlen
nicht als vollständige anzusehen; die Reihen-
folge dürfte aber annähernd richtig sein.
Die Zahl der Werke über einzelne Frauen
aus der Geschichte ist sehr gering; so ver-
zeichnet die Bibliographie nur 9 Werke über
Katharina Bora, die Gemahlin Luthers.
Über die Papstin Johanna ist dagegen viel
mehr geschrieben worden; in 31 Werken wird
deren Existenz nachzuweisen gesucht, während
in 32 Werken dieselbe in das Reich der Fabel
verwiesen wird. Spanheim in seinem Buche
„De Papa Foemina" (Leyden 1691) citiertc
schon damals an 50x3 Quellen, die in hunderten
von Artikeln über die märchenhafte Päpstin
berichten. Eine ausführliche Bibliographie über
die Päpstin Johanna giebt Philomneste junior
(G. Brunet) in seinem nur in 54 Exemplaren
gedruckten Werke: „I-a papessc Jeanne"; eine
Vervollständigung der Brunetschcn Bibliographie
wurde in diesen Heften versucht (vergl. „Zeit-
schrift für Bücherfreunde" II. Jahrg. S. 279 fr.
und 437 ff).
Auch über Damen, die sich durch irgend
eine Absonderlichkeit auszeichneten, wie Frau
von Kriidencr durch ihre Mystik, sind viele
Schriften veröffentlicht worden. So wurde auch
über die unglückliche Caroline von Braunsckweig,
Gemahlin Königs Georg IV. von England (1768
bis 1821). viel geschrieben. Ausser 28 Werken
und Übersetzungen zählt die genannte Biblio-
graphie eine 1889 in I-ondon zur Versteigerung
gelangte umfangreiche Sammlung von Pam-
phleten und Bildern auf, die von 1817— 1821
über den Prozess der Konigin Caroline gedruckt
worden sind. Über die Königin Caroline Ma-
thilde von Dänemark (1751—1775) wurde aus
Anla-ss ihres Verhältnisses zu Strucnsee Zahl-
reiches veröffentlicht (29 Werke).
Viele Werke giebt es ferner über einzelne
heilig oder selig gesprochene Frauen, Gründe-
rinnen von Orden u. s. w., so über die Hl. Elisa-
beth (37, aber sehr unvollständig), über die
Hl. Theresa, über Jeanne-Fraucaise Fremyot
de Chantal, die Mitarbeiterin des HL Franz von
Sales (1572 — 1641) u. s. w. Ebenso reichhaltig
ist die Litteratur über wohlthätige Frauen
{Elisabeth Fry u. s. w.).
Dass es unter den Büchern über berühmte
Frauen auch höchst sonderbare giebt, braucht
wohl nicht weiter hervorgehoben zu werden.
Über Maria von Medici hat ein gewisser J. C.
Frey, der anscheinend nichts Nützlicheres zu
tliun hatte, eine Lobrede veröffentlicht, in der
alle Wörter mit der Initiale der Königin, M, an-
fangen: „Mariae Medicis augustac reginae elogia,
ex dictionibus, qtiac omnes ab initiali regii nominis
et cognominis litera M ineipiunt." Paris, 1628.
Auffällig ist, dass von so vielen berühmten
Frauen, besonders aber berüchtigten Frauen,
gefälschte Memoiren, Briefwechsel u. s. w. ver-
öffentlicht worden sind. Sehr viele Pamphlete
erschienen gegen die Kaiserin Eugenie, und da
die meisten derselben in Frankreich besclilag-
nahmt und vernichtet wurden, dürfte es schon
heute schwer sein, eine grössere Anzahl der-
selben aufzufinden.
Wenn wir zum Schluss eine Reihenfolge auf-
stellen wollen, so werden wir wohl das Richtige
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343
treffen, wenn wir sagen, dass am meisten kommen sodann andere Frauen, die aus irgend
geschrieben worden ist über Fürstinnen, die einem Grunde berüchtigt wurden und erst in
durch ihr Unglück berühmt wurden oder durch dritter Linie die Krauen aus gewöhnlichem
ihre guten oder schlechten Herrschercigen- Stande, die sich durch gute Eigenschaften
scharten sich hervorthaten. In zweiter Linie ausgezeichnet haben.
Die dritte Ausgabe des Psalteriums vom Jahre 1457.
Von
F. A. Borovsky in Prag.
as bekanntlich erste, mit der Jahreszahl
.ind dem Namen des Druckers be-
_J zeichnete Druckwerk ist das sogen.
Mainzer Psalterium (richtiger Breviarium) vom
Jahre 1457, zugleich das künstlerisch hervor-
ragendste Denkmal der ersten Erzeugnisse der
Buchdruckerpresse.
Die sämtlichen, zum grössten Teil mit den
Typen dieser ersten Ausgabe gedruckten und
mit denselben herrlichen Initialen ausgestatteten
Ausgaben dieses Psalteriums sind wiederholt,
am ausführlichsten von Antonius van der Linde',
beschrieben worden. Die Ausgabe vom Jahre
1 5 1 5 allein blieb bis heute nahezu unbekannt.
Sowohl Brunet als auch Graesse führen sie
zwar an, doch ist es aus ihrer überein-
stimmenden Beschreibung ersichtlich, dass
weder der eine noch der andere ein Exemplar
dieser Ausgabe gesehen hat Sie zitieren nur
die Beschreibung des Auktionskataloges der
Sammlung Tross (versteigert in Paris im No-
vember 1856). Dieses Exemplar muss jedoch
defekt gewesen sein, mindestens muss das Titel-
blatt gefehlt haben. Auch in anderer Richtung
stimmt die Beschreibung dieses Exemplars
weder mit dem Pariser, noch mit meinem Exem-
plare übercin, und es muss entweder die Be-
schreibung des Kataloges Tross ungenau, oder
das Exemplar eine andere, sonst unbekannte
Ausgabe des Psalteriums sein.
Das einzige bisher bekannt gewordene und
bibliographisch kollationierte Exemplar der Aus-
gabe von 1515 ist jenes der öffentlichen
Bibliothek zu Versailles; dasselbe ist im Kata-
loge von M. Pellechet 1 genau beschrieben
worden und stimmt mit meinem Exemplare
vollkommen überein.
Das Pariser Exemplar stammt aus dem
Besitze des bekannten Bibliographen J. P. A.
Madden, welcher es bereits im Jahre 1874J
flüchtig beschrieben und der Bibliothek zu
Versailles geschenkt hat. Diese Beschreibung
zitiert dann sowohl Linde« als auch F. W. E.
Roth», doch muss letzterem das Versailler
Exemplar in M. Pellechets Kataloge entgangen
sein, da er diese Ausgabe noch unter Johann
Schöffers „Unechte oder zweifelhafte Drucke"
einreiht.
M. Pellechets Kollation ist richtig, nur hat
sie zwei Fehler in der Paginierung übersehen,
und zwar folio CXIUI (statt XCIIII) und haupt-
sächlich auf dem letzten Blatte fo. CXIX (statt
XCIX); infolge dessen zählt sie 118 Blatt des
Psalteriums, wogegen dasselbe bloss 98 Blatt
enthält 6 Die verworrene Foliierung des Hym-
narius (in meinem Exemplar) ist nur durch
Unachtsamkeit des Buchbinders, welcher einen
Bogen schlecht gefaltet hat, verschuldet worden.
Der Text ist mit Missaltypen (Missale von
1483) gedruckt, die Versalbuchstaben sind rot,
1 A. van der Linde, Das Breviarium Moguntinum. Wiesbaden 1884. — » M. Pellechet, Bibliothcquc publique
de Versailles. Catologue de» ineunable» et des livre» imprimes de MD. ä MDXX. Paris 1S89. S. 255. — i J. V. A.
Madden. Lettre» d'un bibliographe. 6 scrics. Versailles 1868-86. IIL sene, p. 76. - 4 I. c. S. 49. - S V. W. E.
Roth, Die Mainicr Bucbdruckerfamilie Schoffer wahrend des XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1891. S. 104, So. 9.
_ 6 cf r . M. Pellechet, 1. c.
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344
Norden, Die Anfinge dei Buchdruck* in Russland.
die Rubriken des Psalteriums rot, die des
Hymnarius zum Teil rot; die Blatt-Titel (nur
auf den Rückseiten jedes Blattes) und die
Klammern im Texte sind rot, die Foliierung ist
schwarz. Die Überschriften der einzelnen Ab-
teilungen, besonders im Hymnarius, sind mit
grosser Psaltertypc (vom Jahre 1457) gedruckt.
Von den zierlichen Initialen des Psalteriums
von 1457 kommen (sämtlich rot) vor: grosses
2) auf foL XX., XXVH v» und LVI. (sieheBeilage),
grosses (£ auf fol. XLV.v°, kleineres (£ auf fol.
LIV und im Hymnarius fol. I., kleineres 9t auf
foL LXXIII. Überdies ein © schwarz auf fol.
XXXV., dem'© auf fol. LXX des Dresdener
Exemplars des Psalteriums von 1457 gleich
jedoch mit einer eingedruckten bildlichen Dar-
stellung in Holzschnitt.
Die übrigen Initialen, nahezu nur im Hymna-
rius, weiss in schwarzen Vierecken, sind in
Metall geschnitten, zumeist mit Pflanzen-Orna-
menten, und von zweierlei Grösse: 28x28 mm.
und 18x19 mm. — Soviel ich feststellen konnte,
kommen dieselben zum Teil bereits in Titus
Livius „Römische Historie" vom Jahre 1514
(Mainz, Joh. Schöffer) vor.
Die Notenlinien sind gedruckt und zwar
immer drei schwarz und eine rot. Die Noten
fehlen.
Wasserzeichen: goti-
sches p und die fünfblättrige
Rose. Im übrigen sei auf
M. Pellechets Beschreibung
hingewiesen.
Abgesehen von dem un-
richtig beschriebenen und
verschollenenExcmplar der
Sammlung Tross ist unser Exemplar das zweite
bekannt gewordene der Ausgabe von 1515- —
Da dieses Psaltcrium zum allgemeinen Gebrauch
bestimmt und auch als „ubique deserviens" be-
zeichnet ist, so ist es die dritte Ausgabe des
Psalters vom Jahre 1457', denn die Ausgaben
aus den Jahren 1459, 1490 und 1516 sind aus-
schliesslich Benediktiner-Psalter.
Unser Exemplar ist in jeder Hinsicht vor-
züglich erhalten und scheint gar nicht in Ge-
brauch gewesen zu sein. Der Holzeinband ist
mit rotem Saffianleder (jetzt ganz verschossen)
überzogen und mit getriebenen, durchbrochenen
Messing-Ecken und Mittelstücken beschlagen.
Die Anfänge des Buchdrucks in Russland.
Von
J. Norden in Berlin.
jüngst
durch die Tagespresse die
Notiz, dass demnächst, Ah. in i*/, — 2
Jahren, die beiden ältesten Zeitungen
Russlands, die russische „St Peter-
burgskija Wedomosti" und ihre einstige Schwester-
zeitung, die deutsche „St Petersburger Zeitung",
das Jubiläum ihres 175jährigen Erscheinens be-
gehen können.
Manchen Leser hat das vielleicht gewundert
Man hätte gewiss am wenigsten erwartet dass zwei
der ältesten Zeitungen der Welt gerade in Russ-
land zu rinden sind. Indessen sehr viel älter ist
dort auch Uberhaupt der Buchdruck nicht, insoweit
er in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt wurde.
Peter der Grosse, der geniale, weitsichtige Begrün-
der Neurusslands, war es, der, wie er filr die Ent-
wickelung des Buchdruckes Sorge trug, so auch
eine Tagespresse ins Leben rief. Und mit welchem
Interesse, geht daraus hervor, dass er seine erste
Zeitung, auf die ich später noch zu sprechen
komme, nicht nur thatkräftig selbst redigierte, son-
dern mitunter gar auch ihre Korrekturabzüge las.
Freilich hatte es in Moskau schon im XVII.
Jahrhundert eine ständige Druckerei gegeben, deren
Vorläufer uns sogar ins XVL Jahrhundert führen.
Aber diese dienten ausschliesslich kirchlichen
Zwecken.
Die Jahrhunderte hindurch geübte handschrift-
liche Verbreitung von Bibeln und religiösen Büchern
hatte es mit sich gebracht, dass diese von Fehlern
und wesentlichen Abänderungen wimmelten. Der
gelehrte und gottesfUrchtige Mönch Maxim Grek
« L Auigabc 1457, II. Ausgabe 150a und III. Ausgabe 1515.
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Sf cum' s eüm/as Chrifto depromere laucfcs»
QuecednüPlälres/ cantfcafaaacane.
Ducit ad aethereos m entern pfalmodu n-atfus j
E t uehu ad fuperas / pcclora noftra domos •
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OüsaDfjEtriöruiffironfrcgit in Dtrtrrßir
Xu&tabirunmtämtBimplebit [rege*-
tatoas: ninPaWt rapita in terra mttn&.
!*) fOKrmtftnoiabitrr^ffrfafftilrabii
rapur.ö (onapam'etaiur.
I. Schöffen Ptalteriom tob ljiy laiiiaU D.
d by VjOO^IC
Norden, Die Anfinge des Buchdrucks in Rum Und.
345
(•=• Grieche) vom Athos-Kloster, der viele grie-
chische kirchliche Bücher ins Slavonische übersetzt
hatte, war es, der bereits dem mosko wischen Gross -
fdrsten Wassili Joannowitsch geraten hatte, den
Buchdruck einzuführen, da „die Abschreiber so
unwissend und so faul wären". Unter dem Nach-
folger dieses Grossfürsten , dem Zaren Iwan dem
Schrecklichen, wurde denn auch im Jahre 1548
der Sachse Schmidt beauftragt, europäische Drucker
nach Moskau zu bringen, doch Hessen die Inlän-
dischen Ordensritter sie nicht passieren. Wenige
Jahre später sandte der dänische König Christian III.
den Hans Missenheim (alias Blockbinder) in einer
kirchlichen Mission zum Zaren (es handelte sich um
einen Unionsplan) und bezeichnete ihn gleichzeitig
als geeignet, eine Druckerei anzulegen. Wie dem
auch sei — die erste Druckerei, an deren Spitze
ein Russe stand, war die des Iwan Fedorow,
Diakons der Nikolski-Kathedrale. Er druckte im
Jahre 1564 das erste russische, d. h. kirchen-
slawonische Buch, eine Übersetzung der Apostel-
geschichte und der Paulinischen Epistel, die ein
Holzschnittbildnis des Evangelisten Lukas zierte.
Es befindet sich jetzt, in silbernem Einbände, in
der K. öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg
und bildet einen ihrer kostbarsten Schätze. Ein
Ilorenbuch folgte im nächsten Jahre; dann aber
mussten Fedorow und sein Gehilfe Peter Timofejew
Msttsslawez flüchten; das Volk verfolgte sie als
Ketzer und verbrannte die „verdammte" Druckerei,
die man ihnen eingerichtet hatte. Sie wandten
sich nach Litthauen, wo sie beim Hetman Chodke-
witsch ein Asyl fanden. In Salustewo, einem
Schlossgut des Hetmans in der Nahe von Belostok,
druckten sie dann noch ein „Evangelienbuch" und
trennten sich hierauf, da Mstisslawez einem Ruf
nach Wilna Folge leistete, wo er von 1574 — 76
ein „Altar-Evangelium" und einen „Psalter" druckte.
Spätere Nachrichten über ihn fehlen. Fedorow
ging nach der Vereinigung von Litthauen mit Polen
nach Lemberg und legte hier eine eigene Druckerei
an. Er führte ein gar mühseliges I -eben, voll Ent-
behrungen und Enttäuschungen, wie er das selbst
in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der „Apostel-
geschichte" erzählt, die er dort veranstaltete. Im
Jahre 1570 forderte ihn der Kiewsche Wojewoda
Konstantin Ostrohski auf, in Ostrog (Gouv. Wol-
hynien) eine Druckerei einzurichten, um für Süd-
russland kirchliche Bücher herzustellen. Fedorow ver-
pfändete seine Lemberger Druckerei und 140 Exem-
plare seiner Bücher einem Juden für 411 Dukaten
und zog nach Ostrog, wo er über 10 Jahre verblieb.
Hier erschienen 1580 ein „Neues Testament nebst
Psalter" und eine Bibelausgabe, von der bereits
im nächsten Jahre eine zweite Auflage notwendig
wurde. Das „Neue Testament" (in 8 U ) war in
kleinster Schrift gesetzt und mit dem Wappen des
Wojewoda geschmückt. Erstaunlich gut war die
Bibel gedruckt, zweispaltig, in sauberer Schrift.
Sie war mit einem Vorwort in griechischer und
slavonischer Sprache versehen. Später kehrte Fe-
dorow nach Lemberg zurück, wo er seine Druckerei
nicht auslösen konnte und 1 583 in grösster Armut
starb. Die Druckerei bestand aber dort noch lange
fort und wurde im ersten Viertel des XVII. Jahr-
hunderts nach Kiew in das Höhlenkloster überge-
führt'. Die Ostrogsche Druckerei erhielt sich bis
zur Mitte des XV1L Jahrhunderts.
« s. I. N. Bosherjanow „Istoritschcski Otscherk
rassischen Druckwesen*").
Z. f. B. 1899/1900.
Wie aber war es mit dem Buchdruck in Moskau
bestellt seit der Flucht des Fedorow? Nun — von
1566 — 1589 war nur ein einziges Buch gedruckt
worden, ein „Psalter", von einem Schüler des
Fedorow, namens Andronik Timofejew Newesha,
der sich dabei genau an die „Apostelgeschichte"
vom Jahre 1564 hielt Von 1589 ab hatte Moskau
eine ständige Druckerei, die von der Kirchen-
obrigkeit unterhalten wurde und insbesondere seit
1620 eine feste Organisation erhielt, sowie auch
ein eigenes Haus.
Aber das ganze XVII. Jahrhundert hindurch
wurden fast ausschliesslich slawonische kirchliche
Bücher und Schriften gedruckt, darunter auch eine
sehr schöne Bibelausgabe aus dem Jahre 1663.
An weltlichen Büchern sind nur zwei bekannt: ein
Exerzier-Reglement (mit Bildern) aus dem Jahre
1647, und das Strafgesetzbuch des Zaren Alexei
Michailowitsch von 1649. Als Kuriosum sei erwähnt,
dass das erste Abc-Buch (slawonisch natürlich) erst
im Jahre 1637 gedruckt wurde. Bis dahin waren
diese Bücher ausserhalb des moskowischen Reiches
hergestellt worden. Denn es ist nicht zu vergessen,
dass im westlichen und südwestlichen Russland
der Buchdruck viel rascher Verbreitung gefunden
hatte als im moskowischen, wo bis zum XVIII. Jahr-
hundert in Moskau allein Bücher gedruckt wurden.
Dabei war die Moskausche Druckerei schon lange
hinter den Anforderungen zurückgeblieben und be-
stand z. B. im Jahre 1681 nur aus drei Zimmern
mit je vier Setzertischen. Auch wurde sehr lang-
sam gearbeitet.
Unter solchen Umständen erscheint es nicht
verwunderlich, dass Peter der Grosse dem Amster-
damer Jan Tessing die Erlaubnis erteilte, dort eine
russische Druckerei einzurichten, wie er anderer-
seits von Amsterdam Drucker nach Russland
kommen liess. Auch die bürgerlichen russischen
Schriftzeichen, die er, unter starker Anlehnung
an die serbischen, aus slawonischen, lateinischen
und griechischen zusammensetzte, liess er dort
giessen. Bis dahin hatte man sich nur der alt-
kyrillischen Lettern bedient, wie sie auch heute
noch fast ausnahmslos in der kirchlichen Litteratur
üblich sind. Eigentlich sind sie nichts anderes
knigopetschatnawo dela" („Historischer Überblick
44
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346
Norden, Die Anfinge de» Buchdrucks in Rutsland.
als die sozusagen abgeschliffenen und etwas ver-
einfachten Buchstaben der einstigen Handschriften.
Das war im Jahre 1705. Inzwischen hatte der Zar
bereits vier Jahre früher in Moskau eine besondere
Druckerei-Behörde begründet, bei dem „Monastyrski
Prikas", der obersten Klosterverwaltungsstelle, an
deren Spitze der Bojar Iwan Alexejewitsch Mussin-
Puschkin gestellt wurde. Anton Demy war es, der
1707 aus Holland mit der neuen Schrift und
den erforderlichen Pressen nach Moskau herüber-
kam und mit zwei Gehilfen, Heinrich Silbach und
Jan Foskul, sofort an die Arbeit ging. 1 Bereits
im nächsten Jahre erschien das erste Buch in der
neuen Schrift Es war bezeichnenderweise ein Leit-
faden der Geometrie, d. h. die Übersetzung eines
1690 in Augsburg gedruckten Werkes, dessen
voller Titel hier mitgeteilt werden mag:
„Slavische Geometrie und Geodäsie im neuen
Druckverfahren herausgegeben auf Befehl des gottes-
filrchtigen Grossen Herrn unseres Zaren und Gross-
fürsten Peter Alexejewitsch, Selbstherrschers von
Gross- und Klein- und Weissrussland, und zur Zeit
des edlen Herrn unseres Zarewitsch Alexei Petro-
witsch in der grossen Residenz- und Hauptstadt
Moskau im 7216. Jahre seit Erschaffung der Welt,
seit der Geburt des Heisch gewordenen Wortes
Gottes aber im 1708., am ersten Tage des Monats
März."
Im selben Jahre erschien als zweites Weik
— ein Briefsteller und Komplimentierbuch.
Ausser den Genannten war bei der Moskauer
Druckerei noch ein anderer Holländer beschäftigt:
der später sehr bekannt gewordene Kupferstecher
Peter Picart, der Pläne, Risse, mathematische
Figuren, Illustrationen anzufertigen hatte, wobei
ihm zwei junge Russen zur Seite standen — Iwan
Subow und Wassili Tomilow.
Mittlerweile hatte der Zar seine neue Haupt-
stadt an der Newa zu bauen begonnen, der er
nunmehr seine volle Aufmerksamkeit zuwandte.
So befahl er denn auch 1710 Mussin-Puschkin,
einen Teil der Druckereigeräte und des Personals
der Moskauer Anstalt nach St. Petersburg zu sen-
den, und hier wurde die erste „Typographie", wie
die Druckanstalten in Russland bis auf den heu-
tigen Tag noch heissen, im Jahre 171 1 eröffnet.
Aus Riga und Reval berufene Setzer, Dnicker
u. s. w. vervollständigten das aus Moskau herüber-
gekommene Personal. Zum Direktor wurde M. P.
Awramow ernannt, eine interessante Persönlichkeit,
die unter Peter dem Grossen und Katharina I. in
der Entwicklung des geistigen Lebens der jungen
Kaiserstadt eine sehr hervorragende Rolle gespielt,
auch unter anderem den Plänen der Begrün-
dung einer Akademie der Künste und der Wissen-
schaften nahe gestanden hat. Von Hause aus war
er Unterbeamter im Moskauer Zeughause, aber ein
begabter, für alle Wissenschaften sehr empfäng-
licher Mann, der sich selbst emsig fortbildete. Der
scharfblickende Reformator Russlands hatte es stets
verstanden, aus der grossen Masse den rechten
Mann herauszufinden und ihn an den rechten Platz
zu stellen. So ward er auch auf Awramow auf-
merksam und ernannte ihn zum Leiter der ersten
Staatsdruckerei, bei der, nebenbei bemerkt, auch
gleich eine Klasse fllr Kupferstechkunst begründet
wurde und zwar mit einer Abteilung für Akt- und
Modellzeichnen. Dieser Klasse stand der erst-
erwähnte Picart vor.
Eine zweite Druckerei wurde 1720 beim Alexander -
Newski-Kloster angelegt Sie bestand aber nur bis
1736. Eines der bekanntesten Bücher, das aus ihr
hervorgegangen, ist die Prokopowitsche Lese-
fibel nebst Katechismus. Ausserdem entstanden
Druckereien noch beim Senat, der höchsten Ver-
waltungs- und Justizbehörde Peter des Grossen, und
bei der Marine-Akademie. Alle diese Anstalten wur-
den 1721 dem Heiligen Synod unterstellt Gleich
nach dem Tode des Zaren wurden Übrigens die
geistlichen Druckereien nach Moskau übergeführt,
dafür aber 1727 bei der neugegründeten Akademie
der Wissenschaften eine eigene Typographie er-
richtet.
Im Laufe der nächsten Jahrzehnte folgten diesen
ersten Druckereien noch eine ganze Reihe anderer
in St Petersburg sowohl, wie in Moskau, Kiew u. s. w.
Sie gehörten stets zum Bestände von allerlei Ober-
behörden, Akademien und Lehranstalten, waren
also staatliche Institute.
*****
Erst 60 Jahre nach der ersten von Peter dem
Grossen in der Newaresidenz eröffneten Typogra-
phie wurde eine private oder „freie" (d. h. privi-
legierte) Druckerei ins Leben gerufen, und zwar
von einem deutschen Schriftgiesser, Namens Jon.
Mich. Härtung. Das war also 1 77 1. Seinem Bei-
spiele folgte 1772 der Deutsche Weitbrecht, der
sich mit Schnoor zusammenthat Sie trennten sich
aber bald wieder, und 1785 sehen wir Schnoor an
der Spitze einer staatlichen Druckerei für tarta-
rische, arabische, tschuwaschische Schriftea U. a.
wurden in ihr drei Ausgaben des Korans her-
gestellt
Wiilirend nun auch späterhin die Privatdrucke-
reien, namentlich St Petersburgs, vornehmlich in
Händen von Deutschen waren, wie Breitkopf,
Gök, Meyer u. s. w. — gab es andererseits wieder-
holt russische Druckereien im Auslande. Ausser
der Tessingschen in Amsterdam, die sich nicht
lange hielt bestand eine kurze Zeit eine in Danzig.
Einer der Faktoren Tessings wollte nämlich mit
dem Inventar einer Druckerei nach Moskau gehen,
fiel aber (1708) in Danzig den Schweden in die
Hände, die ihn zwangen, verschiedene Flugschriften
» *. Pekarski „Nauka i I.iterature" („Wissenschaft und I.itteratur") «ind I. Karamyschcvr „Kratkija istoritsches-
kija Sswcdcnja 0 petersburgskich Tipografijach" („Kurie historische Daten über die Petersburger Typographien").
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Norden, Die Anfing« de« Buchdruck» in Russland.
347
für das russische Volk zu drucken. Dann bestand
im Jahre 1735 m Halle die Druckerei eines ge-
wissen Simon Todorski, der dort mehrere pie-
tistische Schriften in nissischer Übersetzung heraus-
gab. Ein Exemplar der „Vier Bücher vom wahren
Christentum" befindet sich inderK.öffenüichen Biblio-
thek. Es zeigt auf dem Titelblatt eine sehr devote
handschriftliche Widmung an einen Baron von Ende.
Ebenso wenig bekannt dürfte sein, dass die Russen
während des siebenjährigen Krieges längere Zeit hin-
durch in Königsberg zwei Zeitungen herausgaben,
eine in französischer Sprache : „Gazette de Königs-
berg", eine andere, die 1758 — 60 erschien, in
deutscher: „Königsbergische Staats-, Kriegs- und
Friedens-Zeitung". Es sind grösste bibliographische
Seltenheiten; nicht einmal die K. öffenüiche Biblio-
thek besitzt Exemplare. Sie zeigten beide das
russische Staatswappen mit dem Adler. Auch in
Paris gab es im letzten Jahrzehnt des vorigen
Jahrhunderts eine russische Druckerei; sie gehörte
einem gewissen Peter Dubrowski, der u. a. einen
„Russischen Plutarch" herausgab, d. h. Biographien
berühmter russischer Männer.
Die Erscheinung, dass russische Grandseig-
neurs zu ihrem Privatvergnügen eigene Druckereien
unterhielten, die nicht einmal immer einer staat-
lichen Aufsicht unterworfen waren, ist im vorigen
Jahrhundert gar nicht selten gewesen. Besonders
bekannt waren die Druckereien des Grafen Grigorji
Orlow, des so schwer geprüften Professors und
Journalisten N. I. Nowikow, des Brigadiers Rach-
maninow, vor allem die des Gutsbesitzers und
Gouverneurs von Wladimir, Nile. Jerem. Struiski,
der sich mit Luxusausgaben, u. a. auch von eignen
Gedichten, auf Seide und in kostbarsten Schrift-
zeichen geradezu ruinierte. Der Geist des Zeit-
alters der grossen Katharina brachte solche Lieb-
habereien mit sich. Nach ihrem Tode wurden nicht
nur alle derartigen, sondern auch die gewerblichen
Privatdruckereien geschlossen, und erst Alexander I.
gab sie wieder freu
Es würde zu weit führen, über die russischen
Drucke, die gebräuchlichsten Schriften — die latei-
nische Schrift führte ebenfalls schon Peter der
Grosse im Jahre 17 14 ein — , über illustrative
Ausstattung u. s. w. sich hier auszulassen. Für
dieses Mal sei nur noch kurz der Entwickelung
des Zeitungswesens gedacht, das, wie schon be-
merkt, abermals der Zar-Reformator eifrig förderte.
Im Moskauer Archiv des Ministeriums des Aus-
wärtigen ist unter anderen kostbaren Handschriften
ein Exemplar jener unter dem Namen „Kuranty"
(= „courants") auch am Zarenhof für den Fürsten
und die obersten Beamten hergestellten Neuigkeits-
Flugblätter zu sehen. Es stammt aus dem Jalire
1621. Und noch das ganze Jahrhundert hindurch
gab es in Moskowien keine andere Art „Zeitung"
als solche. Da war es, wie gesagt, Peter der Grosse,
der nach seiner Rückkehr aus dem Auslande be-
schloss, seinem Volke eine richtige, regelmässig er-
scheinende Zeitung zu bieten. Im Dezember 1702
erliess er die Verfügung, und bereits am 2. Januar
1 703 erschien die erste Nummer der „Nachrichten
über militärische und andere Ereignisse, die des
Wissens und der Erinnerung werth sind und sich
im Moskowischen Reich und den Nachbarländern
zugetragen haben" — wie der lange Titel dieses
ersten russischen periodischen Pressorgans lautete.
Der Zar nahm solches Interesse an der Sache,
dass er eigenhändig in holländischen Zeitungen
anstrich, was für die „Nachrichten" („Wedomosti")
benutzt werden sollte, und Korrekturabzüge las,
von denen einige Exemplare in der Moskauer
Synodalbibliothek aufbewahrt werden. Das Blatt
erschien in einer Auflage von 1000 Exemplaren,
und wie sehr es einem Bedürfnis entsprach, geht
daraus hervor, dass viele, die selber es nicht kaufen
konnten, sich Kopien davon anfertigten, soweit sie
die altkyrillischen Schriftzeichen kannten, in denen
die Zeitung anfänglich und zwar bis zum Jahre
17 10 gedruckt wurde. Der erste Jahrgang bestand
aus 39 Nummern und die beiden einzigen voll-
ständigen Exemplare dieses Jahrgangs gehören der
K. öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg. Durch-
gängig bürgerliche Schrift wurde erst seit 171 7
benutzt Interessant ist auch, d.iss von 1 7 1 1 an die
Zeitung abwechselnd in Moskau und St. Petersburg
erschien. Einige der Petersburger Nummern aus
dem Jahre 1 7 1 4 zeigen eine ziemlich rohe Vignette,
die Peterpaulsfestung an der Newa, darüber einen
fliegenden Merkur. Seit 1 7 1 9 wuchs der Umfang
einzelner Nummern auf 22 Seiten.
Mitte der zwanziger Jahre des XVIII. Jahrhun-
derts hörte diese Zeitung zu erscheinen auf. An
ihre Stelle trat eine zweisprachige (russisch-deutsche)
St Petersburger Zeitung, die zuerst von der Aka-
demie der Wissenschaften redigiert, dann aber von
ihr verpachtet wurde. Bald wurde übrigens in jeder
Sprache eine besondere Ausgabe veranstaltet Doch
rechnet die heutige deutsche „St. Petersburger Zei-
tung" ihre Existenz von jener Zeit ab, wo das da-
mals wöchentlich zweimal erscheinende kleine Qua-
dratblättchen von vier Seiten deutschen und russi-
schen Paralleltext hatte. Wenn ich nicht irre,
datiert aber das Schwesterblatt, die „St Peter-
burgskija Wedomosti", ihre Gründung bis in die
Anfänge jenes ersten Petrinischen Organs zurück.
Weit jünger sind die „Moskowskija Wedomosti",
die am 26. April 1756 zum ersten Mal erschienen.
Ausser diesen Zeitungen in den beiden Resi-
denzen gab es, wenn wir von einigen Flugblättern
und Revuen unter Katharina II. absehen, sowie
von den Organen, die im ersten Viertel unseres
Jahrhunderts die neugegründeten Ministerien für
eigene Zwecke herausgaben, bis zum Jahre 1825
keine weiteren; in diesem Jahre rief N. I. Gretsch
die seinerzeit so berühmte „Ssewemaja Ptschela"
(„Die nordische Biene") ins Leben.
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Die grossen deutschen Antiquariate.
Das Baersche Antiquariat in Frankfurt am Main.
Von
Richard Däschncr in Frankfurt a. M.
m
|eubauten und Umzüge von öffentlichen
Bibliotheken sind in unseren Tagen
keine Seltenheit mehr; wir besitzen in
Fachzeitschriften und Monographien eine statt-
liche Litteratur über dieses Thema. Dass aber
ein Antiquariat ein Gebäude für seine Zwecke
entwirft und errichtet, ist meines Wissens
noch nicht dagewesen; der Neubau, den die
Buchhandlung Joseph Baer & Co. in Frankfurt
a. Kl soeben ausgeführt hat, wird daher in
vielen Beziehungen vorbildlich werden und dürfte
über die Fachkreise hinaus die Bücherfreunde
interessieren. So sei es denn gestattet, einiges
darüber aus dem Material mitzuteilen, das
die Herren S. L. Baer und Architekt H. Bech-
told mir in freundlicher Weise zur Verfügung
gestellt haben.
Die Buchhandlung
Joseph Baer&Co.,deren
Gründung auf das Jahr
1785 zurückgeht, be-
wohnte seit 1860 das
Haus an dem Ross-
markt, das allen Biblio-
philen, die der Weg
nach Frankfurt führte,
wohl bekannt ist. Die
zwei grossen Säle
mit Holzgallerien und
Oberiicht und das ge-
räumige 1 linterhaus
mit den vielstöckigen
Magazinen schienen
wohl beim Einzüge für
die Ewigkeit auszu-
reichen; aber im Laufe
derZeit wuchsen Lager,
Betrieb und Personal
immer mehr an, und
wer die Herren Baer
in den letzten Jahren
besuchte, wird sich der
zwar malerischen, aber
immerhin unheimlichen
Antiquariate-Buchhandlung Joseph Baer & Co.
in Frankfurt a. M.
Wälle von Büchern erinnern, welche aus Mangel
an Raum auf Tischen, Stühlen und Fussböden
aufgestapelt waren und jedem die Frage ent-
lockten: „Wie finden Sie sich hier zurecht?"
Diese Frage mögen sich die Herren wohl selbst
zuweilen vorgelegt haben, und sie führte zu
dem Entschlüsse, das alte Haus zu verlassen
und einen Neubau zu errichten.
Als besonders geeignet wurde im Februar
1898 ein Grundstück in der Hochstrasse er-
worben, das in der Nähe der Senckenbergi-
schen Gesellschaft, wenige Schritte von Frank-
furts grösstem Klub, dem Bürgerverein, liegt
Der Bau wurde dem Architekten und Bau-
unternehmer Herrn H. Bechtold übertragen,
der die Pläne ausführte und die Arbeit so be-
förderte, dass schon im April 1899 der Umzug
beginnen konnte.
Die Büchervorräte,
welche zu transpor-
tieren waren, bildeten
in laufenden Metern
eine Reihe von rund 14
Kilometern und wurden
auf gegen 600000 Bän-
de geschätzt. Die Auf-
gabe bestand darin,
diese Büchermassen
binnen kürzester Zeit in
richtiger Ordnung auf
die ihnen bestimmten
Regale zu überführen,
und zwar ohne den Ge-
schäftsbetrieb zu stö-
ren, der bei dem Um-
züge nicht stocken
durfte. Dies wurde in
der Weise bewerk-
stelligt, dass die ein-
zelnen Fachabteilungen
nach laufenden Metern
abgemessen wurden
und auf den Plänen des
neuen Gebäudes ihren
Dischncr, Die grossen deutschen Antiquariate etc.
349
Platz angewiesen bekamen. Der Transport
geschah in zwei Möbelwagen, von welchen
der eine im alten Hause gefüllt, während der
andere im Neubau entleert wurde. Im Durch-
schnitt wurden täglich sechs Fuhren bewältigt,
im ganzen nahe an 200 Fuhren im Gesamt-
gewichte von gegen 12000 Zentnern. Die Ver-
packung geschah in flachen, offenen Kisten mit
starken Leisten als I landhabe : dieselben fassten
vier Oktav- oder zwei Quartreihen, wogen ge-
packt durchschnittlich I */i Zentner und konnten
bequem von geübten Lastträgern auf dem Nacken
in den Wagen hinunter und in den Neubau hin-
auf getragen werden. Je 30—40 solcher Kisten
wurden numeriert, der Reihe nach mit den von
den Regalen in Ordnung herabgenommenen
Büchern gefüllt und im Neubau in derselben
Ordnung wieder entleert, sodass jedes Buch
gleich an seinen Platz kam. Auf diese Weise
ging alles ohne nennenswerte Stockung von
statten, und die riesige Arbeit konnte in genau
zwei Monaten bewältigt werden.
Besuchen wir nun das neue Haus, so finden
& Co. in Fr.nkfun «. M.
wir einen Bau im Renaissancestil, dessen weisse
Sandstein-Facade weniger durch Ornamentik
als durch harmonische Maasse wirken will.
Die breiten Fensterreihen zeigen deutlich das
Bestreben, soviel Licht als möglich hineinfluten
zu lassen. Über der Thüre ist als Wahrzeichen
ein offenes Buch mit dem Merkurstab und der
Jahrzahl der Gründung 1785 in den Stein ge-
meisselt. Wenn wir die Schwelle überschreiten,
so befinden wir uns in einem Laden von gegen
168 Quadratmetern, der zum grössten Teil
dem Sortiment eingeräumt und durch eine
grosse Treppe mit dem Hauptgeschoss ver-
bunden ist Diese Treppe und der mittlere
Teil des Ladens werden durch ein riesiges
Oberfenster erleuchtet, das A. Lüthi meister-
haft gemalt hat, und das ein warmes, stim-
mungsvolles Licht auf die langen Bücherreihen
herabsendet. Wir steigen hinauf und gelangen
in einen Saal von 80 Quadratmetern, in dem
auf Mittelgeschosshöhe Gallerien angebracht
sind. Hier ist der Sammelplatz der Frank-
furter Bücherfreunde. In breiten Schaukästen
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Dischner, Die grossen deutschen Antiquariate etc.
liegen unter Glas die Cimelien des Hauses aus:
Manuskripte mit Miniaturen, Pergamentdrucke,
kostbare Einbände, Autographen und Stiche.
An den Wänden stehen die Holzschnittbücher,
die livres ä figures der Franzosen und die
Standard books der Engländer; die eine Seite
ist ganz mit Tafelwerken in Folio bedeckt. Es
fehlen nicht die notwendigsten Nachschlage-
bücher, Monogrammenlcxika und Kunstreper-
chitcktur und Kunstgewerbe eingerichtet und
mit hohen Regalen versehen, welche die grössten
Tafelwerke bequem aufnehmen können.
Das zweite Obergeschoss erwartet mehr
den Besuch des Gelehrten als den des Bücher-
liebhabcrs. Hier füllen die Regale in Magazin-
system den ganzen Raum aus, überall das von
drei Seiten und von oben einfallende Licht
durchlassend. Die Bücher sind. nach Materien
torien, und bequeme Sessel laden zum Verweilen
ein und zum Vertiefen in die dargebotenen
Schätze.
Auf den Gallericn, zu welchen eiserne Wen-
deltreppen führen, fällt uns eine lange Wand
von Inkunabeln auf, sowie eine Abteilung Ma-
nuskripte. Daneben stehen die Fächer, die
den Sammler am meisten interessieren: bildende
Kunst, Numismatik und Genealogie und — sehr
bezeichnender Weise — Americana. Ein ge-
schlossener Raum ist für die Werke über Ar-
geordnet und zur bequemen Durchsicht auf-
gestellt. Dasselbe Regalensystem herrscht im
Dachgeschoss, nur sind die Bücher dort nach
den Eingangsnummern geordnet und gelegt
Alle diese Räume sind für die Aufnahme
von Büchern bestimmt. Die Arbeitszimmer be-
finden sich im Erdgeschoss in unmittelbarem
Anschluss an den Laden: in der Mitte das
Kabinet des Chefs, links davon das Zimmer
für die Katalogarbeiten, in dem der Zettel-
katalog des Lagers eine ganze Wand einnimmt,
d by vj
Stephen*, Gladstone als Bibliophile.
35«
während die anderen Wände von der biblio-
graphischen Handbibliothek bedeckt werden;
rechts befinden sich die Korrespondenz, die
Buchhalterei und die Expedition. Für die Sen-
dungen an Bibliotheken ist noch ein besonderer
Raum im ersten Stock eingerichtet. Alle Stock-
werke sind durch eine feuersichere Treppe in
Monier- Konstruktion verbunden, ausserdem
durch einen Aufzug für Bücher, der in den Pack-
räumen im Souterrain mündet; in diesem sind
auch der Verlag und die vielbändigen Zeit-
schriften und Serienwerke untergebracht worden.
Auf Feuersicherheit musste bei einem sol-
chen Raum besonderer Wert gelegt werden.
Alle Decken, der Dachboden eingeschlossen,
sind in eisernen Trägern mit Betonkonstruktionen
ausgeführt und werden von eisernen Säulen
getragen, die mit Gipsmänteln feuersicher um-
hüllt sind. Sämtliche Räume werden elektrisch
beleuchtet und durch Niederdruck - Dampf-
heizung erwärmt, die aus dem Nebenhause
herübergeleitet wird. Dass Haustclephone die
Arbeit in dem grossen Gebäude vereinfachen,
braucht kaum erwähnt zu werden.
So sehen wir uns einem grossen, vorneh-
men, auf breiter Grundlage angelegten Getriebe
gegenüber, das aus dem Vollen in geregelter
Weise arbeitet und in dem uns ebenso sehr
wie die im Laufe der Jahre angehäuften Bücher-
massen der von Generation auf Generation
vererbte Schatz an Erfahrung und Wissen an-
zieht, der hier aufgespeichert liegt.
3fc
Gladstone als Bibliophile.
Von
J. G. Stephens in London.
P7"ög?B|cr alte Gladstone oder wie sogar viele
K RSr ö seiner Gegner in England ihn nennen
*4/M S ran d mat »" >n seinen
ff Bafel früheren Jahren als eifriger Büchersammler
allgemein bekannt Wenngleich in seiner letzten
Lebenszeit das eigentliche Sammeln so gut wie
aufhörte, so blieb er doch ein Blicherfreund und
Liebhaber bis zu seinem Ende. Nichts war ihm
schrecklicher als der Gedanke, dass seine Biblio-
thek dereinst aufgelöst werden könnte. Schon aus
diesem Grunde allein, aber vielleicht noch mehr,
um künftigen Generationen zu dienen, hatte Glad-
stone testamentarische Verfügungen Uber die Er-
haltung und Fortführung dieser Bibliothek getroffen.
Einen interessanten Einblick in seine An-
schauungsweise gewährt uns ein Schreiben, das
der gTeise Staatsmann kurze Zeit vor seinem Tode
an den bekannten Buchhändler und Antiquar
Bernhard Quaritch in London richtete. Der be-
sagte Brief befindet sich in Facsimile in dem von
Qu;iritch herausgegebenen Nachschlagewerk „Bei-
träge für ein Lexikon der englischen Büchersammler"
abgedruckt
Unter Beifügung von Kommentaren, die zur
Charakteristik eines so bedeutenden Mannes wie
Gladstone sicherlich willkommen sein dürften,
mögen einige Anführungen aus dem ziemlich langen
Briefe hier folgen. Gladstone schreibt:
„Mein lieber Herr Quaritch. Das Regiment der
Büchersammler bedarf keiner Rekruten; und selbst
wenn seine Reihen spärlich besetzt sein sollten,
so hege ich doch Zweifel, ob ich mich jetzt noch
zur Anwerbung eigne. Ich bin seiner Zeit Käufer
von 35000 Bänden gewesen und habe daher den
quantitativen Versuch erprobt; aber ich fürchte,
weiter nichts. Meiner Ansicht nach muss ein
Büchersammler folgende sechs Eigenschaften be-
sitzen: Appetit, Müsse, Reichtum, Kenntnisse, selb-
ständiges Fachurteil und Ausdauer. Hiervon be-
sitze ich nur zwei, und zwar die erste und letzte
Eigenschaft, welche aber zur Sache nicht die wich-
tigsten sind . . ."
Teils war der Verfasser der obigen Zuschrift zu
bescheiden, teils spannte er seine Ansprüche zu
hoch. Die nötigen Kenntnisse besass Gladstone
sicherlich, und ebenso war er wohl im Stande,
durch sein bedeutendes Vermögen sich dieser Spe-
zialliebhaberei widmen zu können. — In den nun
folgenden Zeilen beklagt sich der greise Gelelirte
und Forscher über sein immer mehr versagendes
Augenlicht und bezeichnet diesen Umstand als den
Hauptgrund, weshalb er sich fast vollständig vom
Bücherkaufe zurückgezogen habe. Im übrigen be-
absichtige er, seine Bücher einem in Hawarden zu
gründenden Institut (mit geistlichem Charakter) zur
Errichtung einer Bibliothek zu schenken. Die wenigen
Werke, die er als Privateigentum zurückbehalten
wolle, dürfte Herr Quaritch in seinem Lager kaum
eines Blickes würdigen, viel weniger noch sie der
Aufnahme für wert halten.
Digitized by Google
Stephen», Ghubtone als Bibliophile.
Diese Äusserung lässt darauf schliessen, dass
Quarilch sich erboten hatte, solche Werke aus
der Bibliothek Gladstones zu erwerben, welche
nicht für die neue Gründung bestimmt waren.
Der alte Gladstone war äusserst genau, ein Fuchs
und ein sehr guter praktischer Geschäftsmann. Zwei
gewiegte Kenner ersten Ranges traten sich hier
gegenüber.
Der Buchhändler James Stillie, der 1893 in
Edinburg verstarb und mit einer gewissen Berech-
tigung als das letzte Bindeglied zwischen Walter
Scott und der heutigen Generation galt, berichtete
häufig, wie scharf und schneidig Gladstone im
Buchhandel verfahre, wie er auf Heller und Pfennig
seinen Diskont verlange und wie schwer es über-
haupt sei, ihm ein Buch zu verkaufen. Ergänzend
erzählt Lord Roseberry, dass er stundenlang mit
Gladstone bei Stillie habe zubringen müssen, weil
die Passion des ersteren eine sehr heftige war.
Plötzlich aber — mitunter sogar ohne etwas zu
kaufen — raffte sich Gladstone mit dem Entschlüsse
auf: „Ich muss machen, dass ich fortkomme, oder
ich ruiniere mich "
Stillie hatte seine Lehrzeit bei der Firma Ballan-
tyne & Co. vollendet, deren Teilhaber zu seinem
Unglück bekanntlich Walter Scott geworden war.
Dieser behielt aber bis zu seinem Lebensende
eine grosse Zuneigung Air den jungen Stillie, der
sich alsdann als selbständiger Buchhändler in Edin-
burg etablierte.
Eine kleine Einschränkung des Ausspruchs,
dass Stillie das letzte lebende Bindeglied zwischen
Walter Scott und der Gegenwart darstellte, ist
übrigens bis vor kurzem vorhanden gewesen und
zwar in der Person der im Oktober d. J. ver-
storbenen Miss Skene. Sie genoss sowohl als
Schriftstellerin wie in jeder anderen Hinsicht einen
ausgezeichneten Ruf. Ausser mit Gladstone stand
sie auch mit vielen ersten Kapazitäten des Iandes
in regem Verkehr, so namentlich mit allen Schrift-
stellern von Bedeutung. Nach dem Verlust seines
Vermögens hatte der grosse Dichter Zuflucht in
dem Hause ihres Vaters gefunden, und hier war
es, wo Walter Scott mit Erheiterung den Märchen-
erzählungen der jungen Miss Skene zuhörte. In
den für seinen Enkel geschriebenen „Tales of a
grandfather" finden sich viele Anklänge an Miss
Skenes Erzählungen.
Eingangs ist bereits erwähnt worden, dass Glad-
stone eine grössere Bibliothek in Hawarden er-
richtet zu wissen wünschte. Dieser Wunsch ist
nunmehr einen bedeutenden Schritt näher gerückt,
denn am 5. Oktober wurde in Hawarden, dem
Landsitz der Familie Gladstone, durch den Herzog
von Westminster der Grundstein zu der Gladstone
Memorial Library gelegt Der Bau, für den 200000
Mark vorhanden sind, wird sich im gotischen Stil
erheben und unmittelbar neben der früheren Biblio-
thek aufgeführt werden, die den Grundstock
zu der neuen Sammlung bilden soll. Diese hat
durch freiwillige Zuwendungen schon recht erheb-
liche Vermehrungen erlangt. Selbstverständlich
wird der einheitliche Charakter der Bibliothek auch
fernerhin gewahrt bleiben. In der Hauptsache wird
demnach die Sammlung nur Werke klassischen,
archäologischen und geschichUichen, vor allem aber
überwiegend theologischen Inhalts aufweisen.
Bezeichnend genug trägt der aus grauem Granit
hergestellte Grundstein die nachstehende Inschrift:
„In diesem, von einer dankbaren Nation zur Er-
innerung an ihn errichteten Gebäude wird die
Bibliothek von William Ewart Gladstone aufbewahrt,
der, ebenso bedeutend als Theologe wie als Staats-
mann, diese Sammlung zum Fortschritt theologi-
scher Gelehrsamkeit begründete." Es bedarf kaum
der Erwähnung, dass die genannte Inschrift ganz
im Geiste und Sinne Gladstones abgefasst wurde.
Eine seltsame Fügung war es, dass einen Tag nach
dieser Grundsteinlegung, d. h. am 6. Oktober, die-
jenige Bibliothek thatsacblich eröffnet wurde, für
deren Zusammenhaltung — nächst seiner eignen —
Gladstone sich am meisten interessiert hatte. Es
ist dies die jetzige Rylands- Bibliothek (Biblio-
theca Spenceriana oder Althorp-Bibliothek). Diese
BUchersammlung war bekanntlich schon zur Ver-
steigerung angesetzt, aber im letzten Augenblicke
erstand sie Mrs. Ryland en bloc für 5 Millionen
Mark und schenkte sie der Stadt Manchester. Die
Zahl der Bände beträgt jetzt 80000, und wie alle
Kenner wissen, befinden sich darunter viele hundert
Werke allerersten Ranges.
In welcher Weise die Bibliothek Gladstones
zusammenkam, hören wir am besten von ihm
selbst in dem zweiten Teil des oben erwähnten
Schreibens :
„Das älteste Buch, das ich habe — d. h.
das am längsten in meinem Besitz ist — wurde
mir persönlich von Mrs. Hannah Moore geschenkt.
Es ist ein Exemplar ihrer Sacred Dramas, gedruckt
181 5 und mir als Kind vor 81 Jahren gegeben.
„Meine Einkäufe begannen einige Jahre später,
und habe ich cjann in Eton schon viel und allerlei
Bücher gesammelt. Zu jener Zeit erhielt ich von
Mr. Hallam die Constitulional History geschenkt,
die bekanntlich noch heute als mustergiltiges Werk
gilt Der junge Hallam war mein bester Freund.
Tennyson verehrte mir alsdann sein so berühmt
gewordenes Bach In Memoriam, das die Toten-
klage auf den jungen Hallam enthält..." Die im
vorigen Jahre erschienene Biographie „Alfred Ixird
Tennyson", von seinem Sohne herausgegeben, ent-
hält namhafte Beiträge aus der Feder Gladstones.
Dieser fährt dann weiter fort: „In den zwan-
ziger Jahren habe ich noch sehr theuer eingekauft,
aber die enorme Entwicklung des antiquarischen
Buchhandels hat mir das weitere Sammeln sehr
erleichtert. Nur in einem Punkt hat sich fiir den
Liebhaber ein Nachteil in England ausgebildet
Dies betrifft den Einband. Er ist nicht nur
theurer und schlechter geworden als er vor 70
bis 80 Jahren war, sondern er erschwert heute
auch das leichte Aufschlagen eines Buches. Meine
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3S3
französischen und italienischen Bücher bilden in
letzterer Hinsicht einen günstigen Kontrast gegen
die englischen Werke. Ich zeigte kürzlich einem
Freunde ein Exemplar der Original-Oktav-Ausgabe
von Walter Scotts Romanen (bis zu Quentin Dur-
ward) in halb Marokko gebunden mit Goldschnitt
Er taxierte den Einband auf vier Schilling, während
der Buchbinder mir zur Zeit, als ich in Oxford
war, hierfür nur zwei Schilling berechnete..." Man
ersieht aus diesen Äusserungen, dass Gladstone
sich für alle Bucherangelegenheiten ein frisches
Gedächtnis bewahrte und in seinen Aufzeichnungen
ausserdem die peinlichste Sorgfalt beobachtete.
Er fährt fort: „Da beim Sammeln die Quan-
tität meine stärkste Seite war, so kann ich wohl,
ohne andere Sammler zu beleidigen, einen Ver-
gleich zwischen Quantität, und Qualität ziehen. Ich
habe in London einen Freund, der sich zu seinem
wirklichen Gebrauch und Bedarf eine Bibliothek
von 20000 Bänden anschaffte. Diese Kollektion
sollte zum Verkauf kommen, und es wurde ihr Wert
von einem Fachmanne auf zwei Schillinge pro
Band im Durchschnitt taxiert Fast zu der näm-
lichen Zeit wurde eine Bibliothek verkauft, die an
Zahl nur sehr klein war, aber im Durchschnitt
brachte der Band 120 Mark . . .
„Obgleich ich nur ein ärmlicher Sammler bin,
so besitze ich doch einige Spezialitäten. Eine
hiervon will ich erwähnen. Ich häufte mehr als
dreissig verschiedene und seltene Bearbeitungen von
dem Book of Common Prayer auf Mehrere dieser
Werke hatten Vorreden, die etwa folgendermassen
lauteten: ,Das Prayer Book ist ausgezeichnet, aber
es besitzt einige Fehler. Sobald letztere entfernt
werden, erscheint eine allgemeine Anerkennung
unzweifelhaft; demgemäss übergebe ich nunmehr
der Welt das reformierte Gebetbuch...' An diesen
Ausspruch knüpft Gladstone die treffende Bemer-
kung an: „Niemals habe ich von diesen Werken
eine zweite Auflage gesehen oder erhalten können."
Nach einigen ähnlichen Belegen sagt der Brief-
schreiber: „Büchersammeln mag seine Kniffe und
Excentrizi täten haben, aber im ganzen bildet
es ein belebendes Element in einer Gesellschaft,
die durch verschiedene Quellen der Korruption
gallig geworden ist Zu meiner Entschuldigung,
dass ich nicht mehr gesammelt habe, dient der
Umstand, dass durch andere notwendige Beschäf-
tigungen mir nur die Ruhepausen fiir meine Lieb-
haberei vergönnt blieben..."
Gladstone war und blieb bis zu seinem Lebens-
ende ein viel beschäftigter Schriftsteller. Es ist
nur nötig, an folgende seiner Werke zu erinnern:
„Der Staat in seinen Beziehungen zur Kirche",
„Betrachtungen über kirchliche Grundsätze in Be-
ziehungen zu ihren Resultaten", „Geschichte des
römischen Staates", „Studien über Homer und sein
Zeitalter", „Inventus Mundi", „Homeric Synchro-
nism", „Die Vatikanischen Dekrete", „Rom und
die neueste religiöse Mode", „Die Orientfrage".
Schliemanns „Mycenae" führte Gladstone durch
eine Vorrede in England ein. Für Fachzeitschriften
lieferte der Altmeister unausgesetzt Aufsätze. Nächst
Tcnnyson bezog er das beste Honorar als Schrift-
steller, da er in der Regel für einen Artikel 2000
Mark erhielt, während Ersterer in seinen letzten
Jahren jedes geschriebene und aeeeptierte Wort
mit 20 Mark honoriert bekam.
Kritik.
Der in unserer Zeit wieder zur Gehung gekommene
Holzschnitt, der beinahe vergessen war, diente im XV.
und XVI. Jahrhundert fast ausschliesslich zur Illustra-
tion der Bücher. Der Kupferstich, obwohl durch Albrccht
Dürer zu hoher Blüte gelangt, ist als Bücherschmuck
im XV. und beginnenden XVI. Jahrhundert nicht üblich
geworden. Die Anfange der Holzschneidekunst gehen
über den Beginn des XV. Jahrhunderts zurück; sie
stehen wolü uüt der Papierfabrikation in Deutschland
im Zusammenhange. Die ältesten xylographischen
Blatter sind ohne jede textliche Beigabe. Bald entstand
dann eine den Bildern beigefügte Flugblätterlittcratur
und gegen Mitte des XV. Jahrhunderts das Blockbuch.
Als die ersten technischen Schwierigkeiten beim Druck
der Bücher mit gegossenen beweglichen Lettern über-
wunden waren, fand der Holzschnitt auch hier Eingang
und entwickelte sich nun für kurze Zeit zu einer hohen
Z. f. B. 1899/1900.
Blüte. Bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts blieb
der Holzschnitt das bevorzugte Illustrationsmittel der
Bücher; dann tritt der Kupferstich an seine Stelle,
und die Formschneidekunst verfallt rasch. Am läng-
sten hält sich der Holzschnitt auf Flugblättern,
Kalendern u. dgl-, von denen er ausgegangen war,
von künstlerischer Ausführung aber kann keine Rede
mehr sein. — Alte Original Holzstöcke gehören heute
zu den Seltenheiten. Eine schöne Sammlung, in wel-
cher die ältesten Stöcke bis zur Mitte des XV. Jahr-
hunderts zurückgehen, besitzt das Germanische Museum
in Nürnberg. Die Holzstöcke gehören zum grössten
Teil der Schwäbischen Schule an ; über dieselben ist in
den Jahren 1892—1896 ein vortrefflicher Katalog er-
schienen. Eine andere hervorragende Sammlung alter
Original-Holzstöcke süddeutschen Ursprungs besitzt die
Verlagsbuchhandlung und Druckerei J. H. Ed. Hcitz
45
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354
Kritik.
in Strassburg i. E. Die wichtigsten Stücke derselben
sind von dem zeitigen Inhaber der genannten Firma
Paul Heils neuerdings wieder zum Abdruck gebracht
indem Werke: Originalabdruck von Formsekneider- Ar-
beiten des XVI. und XVI I. Jahrhunderts. Strassburg,
J. II. Ed. Heitz (Heils &>Mundel)i 892— (M.2.:)
Das in 166 Tafeln vollständig vorliegende Werk
enthält eine Fülle von Formsclweidcr-Arbeitcn süd-
deutscher Künstler, zumeist au» der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts. Die Stöcke entstammen Strass-
burger Druckereien, zum Teil der Druckerei des Wen-
delin Kihel, der von 1535 an thätig war und eine grosse
Zahl reformationsfreundlicher, humanistischer, histori-
scher, juristischer and naturwissenschaftlicher Werke
druckte. Die Druckerei wurde von 1555 an von Wen-
delins Söhnen, Theodosius und Josias, zunächst gemein-
sam fortgeführt, später trennten sich dieselben. Des
Josias Druckmaterial kam dann an Lazarus Zetzner,
des Theodosius Druckerei erwarb Christoph von der
Heyden. Beide Druckereien sind später in der Heitz-
sehen Offizin aufgegangen. Johann Heinrich Heitz
wurde 1721 der Nachfolger der Witwe des Druckers
Johann Friedrich Spoor, 1723 wurde auch die Druckerei
des Josias Städcl und 1737 die des Johann Pastorius
mit der seinigen vereinigt. Von der grossen Zahl alter
Holzstöcke, die so auf die Heitzsche Druckerei uber-
gegangen sind, ist im Laufe der Zeit manches verloren
gegangen, manches auch verkauft worden. Der ge-
bliebene Bestand ist noch recht reichhaltig. Finden
sich auch Meisterwerke aus der Blütezeit des deutschen
Holzschnittes nicht unter demselben, so ist doch man-
ches Stück einer besonderen Beachtung wert. Wie bei
allen Kunstwerken zur richtigen Würdigung derselben
erstes Erfordernis ist, die Entstehungszeil festzustellen,
so musstc es sich auch darum handeln, die Holzstöcke
zu datieren, d. h. in Drucken nachzuweisen. In den
meisten Fällen ist das dem auf dem Gebiete des Form-
schneidewesens durch langjährige Arbeiten bewanderten
Herausgeberauch gelungen. Wo es sich um Illustrationen
verschollener Volksbücher oder Gelcgcnhcitsdrucke
handelt, wird man wohl dem Zufalle eine Ergänzung
der beigegebenen Erläuterungen überlassen müssen.
Die erste Folge, von der heute eine zweite Autlage
vorliegt (Taf. 1—83), erschien zuerst im Jahre 1890 zur
4$ojährigen(JedenkfcicrdcrErnndungdcr Buchdrucker-
kunst. Die Reihe der Holzstöcke, welche aus den
Strassburger Druckereien der Prüss, Mcsserschmid,
Kihel, Christoph von der Heyden, Bernhard Jobin,
Jost Martin, Nicolaus Wählt, Caspar Dietzel, Lazarus
Zetzner u. a. stammen, eröffnen Nachschnitte von Hol-
beins Totentanz für eine bis jetzt nur durch Neudruck
der Holzstöcke bekannte Strassburger Ausgabe aus
dem Jahre 1546. Es folgen dann Titelcinfassungen,
Kopfleisten, Initialen, Signete, Wappen und ganze
Bilder-Serien, fast sämtlich aus der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts. Taf. 8 und 9 enthalten vier reich
mit Flechtwcrk verzierte Initialen, wie sie ganz ahnlich
das Germanische Museum besitzt, und die wahrschein-
lich auf den Nürnberger Schreibmeister Johann Ncu-
dörfer (geb. 1467, f 1563) zurückzuführen sind. Die
Bildcrfolgen auf Taf. 18— 30 sind 34 Illustra-
tionen zu Ausgaben des Livius und Morus, die bei
Theodosius Rihel in Strassburg erschienen sind. Die
Schnitte sind von Christoph Stimmer, HansBockspergcr,
Christoph van Sichern, Christoph Maurer, Jean de Gour-
mont u. a. nach Zeichnungen von Tobias Stimmer her-
gestellt. Eine andere Folge von Livius- Illustrationen
findet sich auf den Tafeln 42 — 62, Zeichnungen von
dem durch seine Schlachtenbilder und Jagdszenen be-
kannten Maler und Formschncidcr Hans ßoeksperger,
welche er für die berühmte Buchdruckerei des Sigis-
mund Fcyerabcnd in Frankfurt a. M. ausführte. Die
Tafeln 31 — 37 enthalten Bibel -Illustrationen von Tobias
Stimmer, die sich in dem Neuen Testament von Eras-
mus von Rotterdam, in Strassburg bei Theodosius
Rihel 1576 erschienen, abgedruckt finden. Nicht un
interessant sind die Schreibvorschriften aus dem XVI.
Jahrhundert auf Taf. 64—67.
Die Neue Folge (Taf. 84 — 129} enthalt Holzschnitte,
welche zum grössten Teil zu heute nicht mehr vorhan-
denen Volksbüchern in den Strassburger Druckereien
der Jacob Cammerlander, Augustin Fries, Johannes
Knoblouch d. J., Crato Mylius, Thicbold Berger, Wen-
delin Rihel, Christian Müller, Johann l'astorius u.a. Ver-
wendung gefunden haben. Wir lernen hier u. a. inter-
essante Abbildungen zu einer unbekannten Strassburger
Ausgabe des Salomon und Marcolf kennen, aufweiche
wahrscheinlich die Schnitte in der 1580 bei Peter Schmid
in Mülhausen erschienenen zurückgehen, ferner Ab-
bildungen zu einer unbekannten Strassburger Ausgabe
des Till F.ulenspicgel, der schönen Melusine und des
Sicgfriedliedes. — Die um die Mitte dieses Jahres er-
schienene Schlussfolge (Taf. 130—166) bringt zu den
Erläuterungen der beiden ersten Folgen noch einige
Nachträge. An der Spitze der Abbildungen ist ein
ziemlich roher Holzschnitt abgedruckt, welcher nach
der Ansicht des Herausgebers der älteste der Heitz-
schen Sammlung ist. Das Alter desselben lässt sich in-
folge der eigentümlichen Beschaffenheit des Holzstockcs
mit Sicherheit schwerlich feststellen. Es folgen dann
eine grosse Zahl einfacher, kleinerer Schnitte aus ver-
schollenen Einblattdrucken, Katechismen, Gesang-
büchern, Volksbuchern, Kalendern, Practikcn, Heiligen-
bildern, Gebets- und Wallfahrtszetteln, die einstmals aus
Strassburger Druckereien hervorgegangen sind. Sind
die Holzscluiitte der beiden letzten Folgen auch fast
durchweg nicht mehr von künstlerischer Bedeutung, so
muss man dem Herausgeber doch Dank wissen, dass
er sie uns nicht vorenthalten hat. Sie lassen uns einen
Einblick thun in eine eigenartige Litteratur des XVI. und
XVI I. Jahrhunderts, von der heute nur noch recht wenig
erhalten ist und die doch in kulturhistorischer Beziehung
in hohem Grade interessant ist Es ist nur zu wünschen,
dass das Beispiel von Heitz Nachahmung fände und
die Besitzer alter Holzstöcke sich gleichfalls zur Ver-
öffentlichung derselben entschliessen möchten.
Köln a. Rh. Dr. O. Zaretsky.
G. Wustmann: Aus Leipzigs Vergangenheit. Ge-
sammelte Aufsätze. Neue Folge. Leipzig, Grunow 1898.
8. XVI, 488 S.
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355
G. Wustmann : Das Leipziger Stadtwappen. Seine
Geschichte, seine Gestalt, seine Bedeutung. Mit zwan-
zig Holzschnitten und zwei Kupferstichen. Leipzig,
Seemann 1897. gr. 8. 33 S.
Der bereits im Jahre 1885 als drittem Bande der
Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs er-
schienenen ersten Sammlung von Aufsätzen „Aus Leip-
zigs Vergangenheit" schliesst sich mit dem ersten der
beiden oben genannten Bücher eine neue Reihe an.
Wie in jenem ersten Bande, so geht Wustmann auch
hier auf den verschiedensten Gebieten der Geschichte
Leipzigs nach, sowohl auf der grossen Heerstrasse, wo
noch mancher Stein näherer Untersuchung sich wert
zeigt, als auf den weniger begangenen Seitenwegen.
Und überall finden wir ihn ortskundig, sei es in der
äusseren Geschichte der Stadt, sei es in ihrer inneren
Entwicklung, sei es in ihrer Bedeutung für Litteratur,
Kunst und Gewerbe, oder in besonderen Einzelheiten.
Obwohl alle Aufsätze auf rein örtlicher Grundlage auf-
gebaut sind, geht ihre Bedeutung in Inhalt und Dar-
stellung doch weit über diese hinaus. Die Aufsätze
„Zur Geschichte unserer Strasscnnamcn" und „Der
Baudirektor" können als vorbildlich gelten und zeigen,
dass in der geschichtlichen Betrachtung dieser an-
scheinend so trockenen Vorwürfe viel Wissenswertes,
ja auch ein gut Teil Poesie steckt. Die alten Strassen-
namen sind geworden, die neuen sind gemacht. Was
heute eine Beamtenschaft von etwa achtzig Personen
schafft, konnte im XV. und zu Anfang des XVI. Jahr-
hunderts noch ein einziger „Vogt" leisten, welcher
„Bauinspektor, Strassenmcister, Rechnungsführer, Bau-
schreiber. Baurev isor, ja zur Kot sein eigner Bote in
einer Person" war. Vieles hat die Durchforschung der
ältesten Ratsbeschlüsse und namentlich der ältesten
städtischen Rechnungsbücher ergeben, die bisher als
Quelle noch nicht genügend inbetracht gezogen sind.
Durch diese mühevolle Arbeit konnte Wustmann neue
Aufschlüsse über „Die Anfänge der Nikolaischule" ge-
ben, hat er den Künstler in seinem Fache „Seger Bom-
beck den Teppichweber" ermittelt, von dem noch im
Jahre 1R83 in den Mitteilungen der deutschen Gesell-
schaft nur als von dem Monogrammisten S. B. berich-
tet wurde, dass alle bisherigen Forschungen nach
Lebcnsnachrichtcn über ihn sich als fruchtlos erwiesen
hätten. Ein anmutiges Bild entwirft er von der „Volck-
mannie", jener reimfrohen, wenn auch unbedeutenden
Mitvertreterin der Litteratur in der ersten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts. Der Aufsatz „Friedrich der
Grosse und Gottsched" weist uns in die Vorbereitungs-
zeit der letzten klassischen Periode unserer Litteratur,
während die „Leipziger Pasquillanten des XVIII Jahr-
hunderts" uns die Kehrseite guter Litteratur zeigen.
„Bachs Grab und Bachs Bildnisse", „Aus Clara Schu-
manns Brautzeit", „Die Gewandhauskonzerte", „Die
Meininger in Leipzig" fuhren uns in das Musik- und
Thcaterlebcn Leipzigs in früherer und neuerer Zeit ein.
Wahrlich, Leipzig kann sich freuen, einen solchen Ge-
schichtsforscher zu besitzen, der nicht nur selbst in alle
Winkel der Vergangenheit seiner Stadt hineinleuchtet,
sondern auch in den bereits in zwei stattlichen Bänden
vorliegenden „Quellen zur Geschichte Leipzigs" Ande-
ren das Forschungsmaterial über eine unserer bedeu-
tendsten Städte zugänglich gemacht hat. Sind schon
alle hier gesammelten Aufsätze jedem Gebildeten lehr-
reich, so ist für die Leser dieser Zeitschrift der Aufsatz
über „Luthers ersten Bibeldruckcr" von besonderem
Werte. In ihm führt Wustmann die Verdienste Hans
I.uffis, der namentlich zur Zeit, als dieser Aufsau in
den , 1 Grenzboten"zum ersten Male veröffentlicht wurde,
mehr noch wie heute in weit verbreiteter Meinung als
einziger Drucker der lutherischen Bibel galt, auf das
entsprechende Mafs zurück, während er andererseits
die Verdienste Melchior Lotthers, der Luthers Bibel
von ihrem ersten Entstehen im Jahre 1521 an eine Reihe
von Jahren gedruckt hatte, in das gebührende Licht
setzt. Dabei giebt er in knappen, aber inhaltsvollen
L'mrissen eine Geschichte der Lottherischeft Druckerei.
Melchior Lotther der Altere heiratete in die älteste
und vornehmste Druckerei Leipzigs, die seit dem Jahre
1480 bestehende Druckerei des Kunz Kachelofen, hinein
und brachte sie weiter vorwärts. Die fast plötzlich her-
vortretende und ausserordentlich schöpferische schrift-
stellerische Kraft Martin Luthers, dessen Thesen nach
Wustmanns und meiner übereinstimmenden Ansicht
ebenfalls Lotther in Leipzig gedruckt hatte, veranlasste
Lotther, ein Zweiggeschäft in Wittenberg zu begrün-
den, w elchem seine Söhne Melchior, der Jüngere, und
später auch Michael vorstanden. Dieses Zweiggeschäft
hatte ungeheuer viel, namentlich auch an dem Bibcl-
druck, zu thun. Aber irgend ein Vorkommnis, welches
in dem Brotneid der Zunftgenossen allein keine völlige
Erklärung findet und über welches wir trotz aller Über-
lieferungen nicht genügend unterrichtet sind, brachte
die Inhaber in die Ungnade des Kurfürsten und brach
ihnen den Hals. Der jüngere Melchior Lotther ver-
schwindet anscheinend ganz, Michael ging später nach
Magdeburg, wo er bis 1554 druckte, der alte Melchior
führte das .Stammgeschäft in Leipzig bis in die dreissi-
ger Jahre fort. Dann scheint er sich von der Druckerei
ganz zurückgezogen zu haben, während er allerdings
als Bürger von Leipzig noch längere Zeit eine sehr
angesehene Stellung behauptete. Auch dieser Aufsatz
führt uns weit über das örtliche Gebiet Leipzigs hinaus,
hauptsächlich nach Wittenberg und hier im Besonde
ren in die Schreibstube Martin Luthers.
In einer besonderen Schrift behandelt Wustmann
das Stadtwappen Leipzigs. Das Buch ist reich aus-
gestattet mit zwanzig Holzschnitten und zwei Kupfer-
tafeln, jene nach Originalen aus den ältesten und
späteren Drucken von 1404 an bis in das XVII. Jahr-
hundert hinein, diese als Abdruck zweier noch vor-
handener Kupferplatten aus den Jahren 1575 und 1580.
Auf Grund dieser und anderer bildlicher Darstellungen
stellt Wustmann fest, dass die Beschreibung des
Wappens älterer Zeit nur dahin gehen kann, es ent-
halte in längsgetciltem Schilde auf dem einen Felde
einen aufrechten Löwen, auf dem anderen zwei oder
auch drei Pfähle, die „landsbergischen" Pfähle. Eine
feste Zuweisung der Figur, des Löwen, und des Bildes,
der Pfähle, an ein bestimmtes Feld ist für frühere Zeit
nicht nachweisbar; der Löwe steht bald im linken, bald
im rechten Felde, bald nach aussen, bald nach innen
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356
Kritik.
gekehrt. Erst allmählich hat sich die heutige Norm,
den Löwen in das linke Feld — ich beschreibe mit
Wustmann gegen meine Gewohnheit vom Standpunkte
des ßcschauers — und nach aussen gerichtet, die Pfahle
in das rechte Feld zu stellen, eingebürgert Die neuer-
dings hie und da dem Wappen eingefügte Mauerkrone
verwirft Wustmann als geschichtlich gänilich unberech-
tigt. Da die bildlichen Beigaben ausser den beiden
Kupferstichen sämtlich gedruckten Büchern entnommen
sind, wo die Druckeneichen, Titelcinfassungen oder
ähnlichen Schmuck darstellen, so ist die Schrift auch
für die Geschichte der Büchcrillustration von Wert.
Berlin. Dr. Johannes Luther.
m
Bei F. A. Brockhaus in Leipzig erschienen gleich-
zeitig zwei Kcisewerke, die sich, diametral entgegen-
gesetzte Routen beschreibend, mit dem gleichen Länder-
strich beschäftigen. Henry S. Landor: Auf verbotenen
Wegen. Reisen und Abenteuer in Tibet und Sven I ledin :
Durch Asiens Wüsten. Drei Jahre auf neuen Wegen in
Pamir, I^p-nor, Tibet und China nennen sich diese
Werke, derenTitcl schon ihre Charaktcrverschiedenhcit
ausdrücken.
Der Engländer Landor ist Maler von Beruf und
in erster Linie; der Schwede ! tedin Geograph und
Forscher, dem es nur um IUustrierungsmatcrial zu thun
ist. An Mut fehlt es beiden nicht, aber während Hedin
Einband aus der Fachschule für kunstgewerbliche Buchbinderei
in Düsseldorf.
Helloli» Capsalnan mit dunkelgrünen Blattern und weissen Bluten i llogen-
vcrgoldung j die Stcuipekben aus der Kc-chschcn Gruppe moderner Stempel.
umsichtig rüstet und nur durch schlechtes Menschen-
material Verluste erleidet, zeigt Landor eine gewisse
Tollkühnheit; man kann ihn, bei aller Sympathie für
seine Leiden, nicht ganz von dem Vorwurf freisprechen,
sich ohne genügende Vorbereitungen in tolle Abenteuer
gestürzt zu haben. Durch allerhand Zwischenfälle daran
verhindert, den geplanten Weg überRussisch-Turkcstan,
Buchara und Chinesisch Turkest an nachTibet zu nehmen,
begab sich Landor nach Indien und suchte von hier
aus über das „Dach der Welt" nach Lhassa, der Haupt-
stadt Tibets und dem Heiligtum der Lamas, vorzu-
dringen. Er schildert die Tibetaner als grausam, hinter-
listig und unendlich feige, in welch letzterer Eigenschaft
ihnen jedoch die Kulis des Reisenden wenig nach-
standen. Mit zuverlässigeren und kampfgeübteren
Männern wäre dem kühnen Engländer fraglos seine
Expedition voll gelungen, wenn ihm auch die Unbilden
der Witterung und die Schrecken der eisigen Einöde
nicht erspart geblieben wären. Aber die Männer, die
ihn schützen sollten, Hessen ihn im Stich; schliesslich
blieben ihm nur noch seine beiden Diener, und mit
diesen allein beschloss er weiter das ihm feindlich ge-
sinnte Land zu durchdringen. Diese Waghalsigkcit
musste er hart büssen. Dicht vor Lhassa wurde er
von den Tibetanern gefangen genommen und hatte
schreckliche Foltern zu erleiden, die ihm ein Auge
kosteten und den blühenden Mann in einen Krüppel
verwandelten. Bewunderungswert ist es, wie der
Forscherin Landorden Menschen überwog. Selbst
während seiner furchtbaren Gefangenschaft suchte
er Bekanntschaften mit seinen Peinigern und deren
Stammesangehörigen anzuknüpfen und sammelte
er Material und Abbildungen. Die in jeder Be-
ziehung interessanten Resultate Landors auf dieser,
immerhin als verunglückt zu bezeichnenden Expe-
dition lassen doppelt bedauern, dass er die Stadt
seiner Wünsche, Lhassa, und ihre Heiligtümer nicht
hat erreichen können. Neben den kulturellen,
historischen und landschaftlichen Untersuchungen
hat Landor auch so manche rein geographische
Resultate zu verzeichnen. So hat er die Frage von
der mutmasslichen Trennung des Mansarowar-Sees
und des Rakastal entschieden, hat mehrere grosse
Himaiaya-Gletscher Photographien, die ungeheure
Höhe von 6700 Metern erklommen und endlich
die noch von keinem Europäer besuchten beiden
Hauptquellen des Brahmaputra festgestellt Über
Taklukot, von dein aus Landor in das Inncrc von
Tibet drang, kam er auch wieder zurück; Iiier
endete seine Gefangenschaft, und hier fand er auch
einen befreundeten Arzt, der sich seiner und seines
Dieners annahm und gleichzeitig ihm die notwen-
digen Dokumente ausstellte, die den Beschwerden
an die indische Regierung beigefügt werden sollten.
Diese Beschwerden hatten einen Erfolg, der die
dortigen Zustände aufs deutlichste charakterisiert:
die indische Regierung hat den tibetanischen Be-
hörden zu verstehen gegeben, dass es ihnen infolge
der Schändlichkeiten nicht mehr gestattet sein
solle, von britischen Unterthanen Grundsteuer zu
erheben!! Von einer Bestrafung der Schuldigen —
Kritik.
357
deren Persönlichkeiten genau festgestellt wurden —
erwähnt Landor nichts in seinem Buche.
Während den tiefroten Leinenumschlag des Landor-
schen Werkes ein Aquarell der Veste Taklakot — dem
ganzen Charakter des Werkes entsprechend — als
Einseieindruck ziert, tragen die beiden Bände von Sven
Hcdin ein helles Gewand mit einer stilisierten Mongolin,
einer Art weiblichem Buddha, gleichsam der Schutz-
göttin des Typisch-Innerasiatischen.
1 ledin ist nicht schlankweg aufgebrochen; er hat
sich erst durch eine Eclaireursreise vergewissert, ob
Kaschgar, der auserschene Start, sich auch wirklich
zum Abfahrtspunkt für Inncrasicn eigne. Davon durch
Augenschein überzeugt, benutzte Hedin ein Jahr später
den von Landor zuerst beabsichtigten Weg über
Buchara und den Hindukusch und gelangte ebenfalls
zum „Dach der Welt". Wenn er auch, ebenso wie
Landor, durch Eis und Schnee litt, so hatte er doch in
Kaschgar bei seinen verschiedenen Zügen hin und her
stets Gelegenheil, mangelnden Proviant nachzuschafTcn
und sich von den ausgestandenen Strapazen zu erholen.
Der erste Ausflug galt, da es heisser Sommer wurde,
Vermessungsarbeiten auf dem Pamirplateau, inmitten
von Kirgisen-Auls, deren Sitten und Viehherden höchst
ungleich entwickelt scheinen, bis zu den Höhen-
gletschcm des Mustag-ata. Das höchste Lager wurde
6300 Meter hoch aufgeschlagen. Im Frühjahre darauf
begann Hedin wiederum von Kaschgar aus einen Zug
direkt nach Osten, der Wüste entgegen, in der ihn
durch die L'nzuvcrlässigkeit eines Begleiters der qual-
volle Tod des Verdursten« umlauerte. Er drang bis
zum Chotan Darja vor. Diese Kapitel „Die Heimat der
Grabesstille", „Kein Wasser" und „Gerettet" gehören
wohl zu dem Erschütterndsten, was die moderne Reisc-
litteratur uns vorführt, um so erschütternder, als sie in
ihrer Schlichtheit deutlich den Stempel der Wahrheit
tragen. Die dritte und letzte Abreise von Kaschgar,
gegen Schluss desselben Jahres, führte Hcdin bis Peking.
Diesmal marschierte er südöstlich bis zur Stadt Chotan,
unweit «leren er uralte vom Sande begrabene Stadt-
ruinen von grossem Umfange und kulturhistorischer
Bedeutung vorfand. Es würde zu weit fuhren, wollte
man all der bedeutsamen Qucrzügc Erwähnung thun,
die Hedin von Chotan am Tarim entlang nach dem
Lop-norscc und durch die Wüste Gobi ausführte. Von
Chotan aus nahm Hedin auch später die Durchquerung
des tibetanischen Hochplateaus in Angriff, dessen
Inneres so gut wie völlig unbekannt ist. Über die
Höhenzüge des Arka-tag führte der mühsame Weg
zu den Zaidammongolcn, den ersten Vorläufern des
äussersten Ostens. Zahlreiche Lamaistische Tempcl-
fahnen, Amulette, Gebetrader und Buddhas hat Hedin
zu erwerben Gelegenheit gehabt, wenn ihn auch sein
Weg weit ab von Lhassa in das chinesische Gebiet
führte. Ehe Hcdin jedoch Peking erreichte, blieb ihm
noch die Ala-schan Wüste zu durchmessen, die, so kurz
vor dem Ziel, ihm doppelt langwierig erschienen sein
mag. Die transsibirische Eisenbahn führte ihn dann
der Heimat wieder zu.
Beide Werke, sowohl Landors wie Hedins, ver-
dienten die gleiche Popularität, die einst Stanley und
KinbanJ au» der >'ach»thulc für kumlgcwtrli liehe ISuihbiuderei
in Düsseldorf.
Mudcrue Hjiid»cf^.,ldung na<h gothUchcn Mtrtivcn.
jetzt Nansen zuteil wurde. In einer Zeit, da Männer,
die solche Reisen machen, sie auch trefflich zu be-
schreiben verstehen, bedarf es wahrlich keiner erfun
denen Berichte mehr, um die Phantasie gleichzeitig
anzuregen und belehrend zu wirken. Z.
M
Bücherfreunde, Heraldiker und Kulturhisturikcr
seien auf eine literarische Neuheit ersten Ranges auf-
merksam gemacht, die kürzlich erschienen ist und in
Fachkreisen ebenso wie in denen der allgemeinen Kunst-
und Kulturgeschichte berechtigtes Aufsehen erregen
wird. Es ist dies die Geschickte der heraldischen Kunst in
der Schweiz im XII. und XI i '/. Jahrhundert von Dr.
Paul Ganz. Fraucnfcld, J. Huber. i8<j<); 200 Seiten, 101
Abbildungen im Text und 10 Volilafcln. 8 M. 50 Pfg.
Wer die Kunstgeschichte des Mittelalters kennt, hat
schon von der Züricher Wappcnrollc gehört; und nun
erscheint nach 500 Jahren wiederum aus Zürichs Mitte
ein Buch, das ebenfalls in späteren Zeiten noch ein Nach-
schlagewerk von hoher Bedeutung sein und bleiben wird.
„Die vorliegende Arbeit behandelt zum ersten
Male die Anfänge und die Kntwicklung der Heraldik
im Kähmen der Kunst- und Kulturgeschichte ; es wird
darin versucht, die Wappenkunst als eine durch die
Sitten und Gebräuche der Völker bedingte Erscheinung
in Verbindung mit der allgemeinen Formwandlung in
der Kunst zu schildern, frei von den Anhangsein einer
barocken Wissenschaft und ohne die den Leser hin-
dernde Terminologie der Neuzeit. Vermöge der engen
Beziehung des Wappens zum Individuum gewährt die
358
KntiL.
Heraldik einen «rundlichen Einblick in das alltägliche
Leben und Treiben der verschiedenen Stünde im
Mittelalter und eröffnet sowohl in sachlicher als in
formaler Hinsicht ein bisher wenig beachtetes Gebiet."
Zur Untersuchung ist der Kaum der heutigen
Schreis gewählt, weil sich hier die Entwicklung der
Heraldik früh und rasch vollzogen hat. und weil dieses
Gebiet überreich an alten heraldischen Denkmälern
ist. Doch sind auch ausscrschwcizerische Beispiele und
Quellen zur Vergleichung herangezogen.
Jeder Fachmann wird das Buch mit Eifer stu-
dieren; denn ausser manchem naturgemäss schon
Bekannten wird er eine Fülle neuverarbeiteten Mate-
rials finden, das ihm anderweitig noch nicht geboten
wurde. Dem Laien aber erschlicsst sich — ohne un-
nützen Ballast, ohne beängstigende Nomenklatur — eine
neue Welt voll anregend geschriebener, unbekannter
Dinge aus längstvergangener Zeit, aus der jedoch noch
zahlreiche und deutliche Spuren historischen oder deko-
rativen Charakters in unsere Tage hineinragen. Das
Resultat dieser Arbeit und deren Studium ergiebt nicht
als Schluss ödes Prunken hochmütigen Sinnes oder
langweiligen Ausdruck knechtender Kanzlcihcraldik,
sondern eine Darstellung mittelalterlicher Sitte und der
Lebensanschauung vor 7 und 600 Jahren, sowie „den
Gipfelpunkt der dekorativen Kunst des Mittelalters".
Aus der Menge des behandelten Stoffes greife ich
einzelnes heraus, ohne eine vollständige Inhaltsangabe
bringen zu wollen.
Nach einer Einleitung, die die Bedeutung der
Heraldik in der Kunstgeschichte sowie die Anfänge
bei Griechen und Römern etc. behandelt, folgt der
/. Teil mit der Geschichte und Entwicklung der He
raldik von den Uranfängen an. dann der //. Teil:
Geschichte der Heraldik in der Schweiz, XII. und
XIII. Jahrhundert; Aufkommen der Beinamen, Schild.
Helm. Fahne, sonstige kriegerische Ausrüstung;
///. Teil. Die dekorative Anwendung der Wappen-
kunst in Kunst und Gewerbe; das heraldische Deko-
rationsmotiv, Kleinkunst (Kostüme, Waffen, Schmuck,
Stoffe', Architektur, Malerei (Glas, Miniaturen), Plastik
(Grabdenkmäler), Siegel (Keitcr-, Standbild-, Frauen ,
Schildbild , Helm-, Schild- und Helm , Bürger . Städte-,
Geistlichkeitssiegd'; //'. Teil, die Heraldik in der
Dichtkunst; u. a. Wiedergabe des Clipearius Tctito-
nienrum (Wappengedicht, 1242— 49' des Konrad von
Mure in latein und deutsch.
Den Schluss bilden drei sehr genaue Register;
der Reichtum an vorhandenem und verarbeitetem
Material ist ungemein saehgetnriss angeordnet, folge-
richtig gegliedert und alles mit hauptsächlich, bisher
wenig oder gar nicht bekannten schweizerischen Bei-
spielen belegt. Der Text ist in flüssigem Stil und gutem
Deutsch geschrieben, der Dntck tadellos, die vielen
Tcxtillustrationen und Tafeln sind hervorragend klar und
deutlich, der Einband ist charakteristisch und originell.
Auf die ausserordentliche Menge von interessanten
Einzelforschungen des tüchtigen Heraldikers und Kunst-
historikers und deren Ergebnisse näher einzugehen,
verbietet leider der Raum.
A'. E. Graf zu Leiningen- Westerburg,
Unter den zahlreichen Doktor-Dissertationen, die
von jungen Promoventen alljährlich eingereicht werden,
finden sich nicht selten Arbeiten, die dem Verfasser
neben dem erhofften Titel auch Beachtung in weiteren
Kreisen eintragen. Die Arbeit A. G. C. de Vries' über
Nederlandsche Emblemata. ihre Geschichte und Biblio-
graphie bis zum X VI II. Jahrhundert (Amsterdam 1899.
bei Ten Brink & de Vries) kann man wohl zu diesen
rechnen. Der Verfasser leitet sein Buch mit einer
kurzen, reichlich durch Citate belegten Erklärung der
ehemaligen Bedeutung des Wortes „Emblem" ein.
Griechischer Abstammung, bedeutete es zunächst ein
von dem Hauptmaterial unabhängiges Zierrat t auf-
oder eingelegt, z. B. Silberauflagen auf Vasen oder
auch Intarsien, speziell Mosaiken, sei's aus Holz. Stein,
Preziosen u. dergl. m. In ähnlichem Sinne gebrauchten
es Lateiner, Gallier und Normannen, und selbst im
Altfranzosischen ist die Anwendung von Emblem für
Sinnbild noch nicht feststehend. Auch der Philosoph
Montaigne gebraucht noch 1580 m der ersten Ausgabe
seiner Essays (Paris, Ch. Lonandre'' das Wort, um eine
Art Supplement zu dem „Marquettericwcrk seines
Buches" zu bezeichnen. Der erste, der Emblem für
„Sinnbild" anwandte, ist auch zugleich der Herausgeber
des ersten Bandes über Emblemata, Andrea Alciato.
Aus der Vorrede zu Alciatos Buche geht hervor, dass
die Embleme nicht nur versinnbildlichen, sondern auch
erklären sollten, ähnlich den Hieroglyphen der alten
Ägypter. So waren denn die ältesten Emblcmesamm-
lungen eigentlich nur Vorlagebücher für Kunsthand-
werker und Graveure, sowie Bilderbücher für Er-
wachsene. Sehr merkwürdig ist auch J. Fischarts
,, Kurzer und wohldienlicher Vorbericht von Ursprung
Namen und Gebrauch der Emblematen oder Ein-
geblömeten Zierw erken", Strassburg 1 581, aus dem man
entnehmen kann, wie ungewohnt der Titel noch den
Deutschen war. Der Verfasser erklärt, jener sei „den
sinnreichen Erfindungen, poetischen Dichtungen. Ge-
mälmystcrien" u. s. w. „angew achsen", nach dem Muster
der Griechen, bei denen der „auswendige Zusatz" oft
mehr bedeutet habe als der „Prinzipalinhalt", und „ge-
mein viel hcn-lichcr als das Stück, darum er gemacht
worden,"' gewesen sei. Aus diesen „Anhängseln" sollten
sich später Wappen und Feldzeichen entwickeln, nach
Ansicht des Autors, der uns aber nicht verschweigt, dass
andere Gelehrte umgekehrt meinen, die Emblemen
seien aus den Wappen entstanden. Im XV11I. Jahr-
hundert war man sogar geneigt, den Emblemen gött-
lichen Ursprung zuzuschreiben, indem man die Gleich-
nisse als Sinnbilder ansah. So lehrt J. P. Broekhoff
in seiner „Dicht-en Zedckundigc Zinnebeeiden en Be-
spiegclingen", Amsterdam 1770. die Rückführung der
Sinnbilder auf die Chaldäer. Moses, die Ernäter, ja
auf das höchste Wesen, dessen Namen auch am
häufigsten durch Sinnbilder verherrlicht worden ist.
In der Emblematenlitteratur tritt naturgemäss der
Text nur an die zweite Stelle; de Vries ist sogar in
der Sichtung des Materialsso streng vorgegangen, dass
er Werke, bei denen die Abbildungen von Emblemen
nur dienten, um den Text zu illustrieren, von seiner
Bibliographie ausgeschlossen hat. Dagegen erwähnt er
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Kritik.
359
Blockbücher und Incunabeln, obwohl es sich da mehr
um mystisch-symbolische Abbildungen als um eigent-
liche Embleme handelt Wie schon gesagt, beginnt
die echte Emblcmenlittcratur erst mit Andrea Alciato,
dem berühmten Kcchtsgelehrten. Der Erstdruck seiner
Arbeit ist unbekannt; der älteste bekannte Druck er
schien 1531 bei Stegner in Augsburg; er enthalt 104
Emblemala in 97 Holzschnitten von Hans Schäufelein.
1534 erschien bei Wcchtcl in Paris eine neue Ausgabe
miti 13 Embleme in ebensovielen, Jollat zugeschriebenen
Holzschnitten. 1546 kam die dritte Ausgabe bei dem
Venezianer Aldus und 1551 die erste vollständige auf
2t 1 Embleme gebrachte in Lyon heraus. Nach Alciato
breitet sich die Emblcmenlitteratur schnell aus. Stamm-
und Wappenbücher, Werke religiöser, politischer, rein
künstlerischer, lehrhafter Tendenz folgen einander, von
de Vries in klare Rubriken geteilt
Das zweite Hauptstück des Buches gehört den
Herausgebern und Graveuren. Und zwar steht an
erster Stelle der Name einer Frau, der Maria Anext;
bei ihr erschien die erste holländische Ausgabe von
Sebastian Brandts Narrenschiff. Christoffel Plantin, J.
Cnobbacn, Cloppenburgh u. a. folgen. Das dritte
Hauptstück behandelt Stil, Richtung, Sujet der Em-
bleme, und das vierte beschäftigt sich mit ihren Er-
klärern und Dichtern; letzteres, mit seinen zahlreichen
Versproben und knappen Charakteristiken ist von ganz
besonderem Interesse, auch für den Litteraturfreund,
dem das Hauptthema etwas ferner liegt. Die stärkere
Hälfte des Buches nimmt die 245 Nummern umfassende
ausführliche Bibliographie ein, und den Schluss bildet
endlich eine Reihe von hervorragenden Emblcmata-
Wiedergaben, meist in Originalgrösse.
Berlin. Dr. f. Ziagen.
The Book of tht Demi: The Papyri of Ifunefer
Netchmet, Anhai, Nu and tke Book of Breathings.
Facsimiles with transcriptions, by E. A. Wallis Budge.
litt. D. Keeper of oriental antiquities at the British-
Museum. Folio. London. 18'». British. Museum.
Die vorliegende Publikation wird von der Ver-
waltung des British Museum als die wichtigste in ihrer
Art betrachtet, die überhaupt bisher erfolgte. Ausser-
dem ist das Institut der Ansicht, dass es durch die Er
Werbungen der letzten Jahre der Haupusammelplau für
Papyrus-Schriften geworden ist Die Wiedergabe der
vorliegenden fünfPapyriinFacsimilc wird noch besonders
interessant durch den Umstand, dass diese Schriften
teilweise illuminiert sind und künstlerisch ausgeführte
Vignetten enthalten. Wir finden hier demnach die ersten
Anzeichen der Buchillustration und Miniaturmalerei.
Der Nu-Papyrus ist eine der letzten Erwerbungen
des Museums. Das Schriftstück, welches 65 Fuss lang
ist, wurde zu Qurnah, in der Nähe von Theben ge-
funden. Es war entweder von Nu oder in seinem
Auftrage geschrieben. Nu nahm die Stelle eines
Crosssiegelbewahrers ein, die dem englischen „Lord
Chancellor" oder , .Keeper of the scal" entspricht. Der
Text enthält die vollständigste und sehr sorgsam zu
sammengestclltc Version des Totenbuches Es werden
darin 131 Kapitel aufgeführt, von denen 15 durch
Vignetten illusticrt sind. Letztere sind jedenfalls die
Arbeit eines Kunstlers und nicht die des Schreibers.
Wahrscheinlich wurde die Schrift während der Re-
gierungszeit von Amenhotep III. abgefasst (er. 1500),
indessen verlegen andere Autoritäten die Entstehung
derselben um 1650 v. Chr.
Der Hunefer- Papyrus stammt aus der Zeit der
Regierung von Scti I., 1370, dessen Oberaufseher des
Palastes und des Viehes Huncfer war. Das Schriftstück
misst 18 Fuss, seine Vignetten sind im besten Stile ge-
halten, und die in demselben befindlichen Hymnen an
Usiris und Ra waren bisher nicht bekannt Der Gesang
an letzteren beginnt mit den Worten: „Du bist der Ilerr
des Himmels, du bist der Herr der Erde, du bist der
Schöpfer derer, die in den Höhen und derer, die in den
Tiefen wohnen. Du bist der eine Gott, der in das Sein
kam am Anfang der Zeit Du schufest die Welt, du
schufest den Menschen, du trenntest den Wasserschlund
von dem Luftraum. Du liessest den Nil sich bilden. Du
hast beide, Menschen und Tiere, in das Sein gebracht."
Die Illustrationen und bildlichen Darstellungen geben
folgende Szenen wieder: Das Boot, in dem sich die
Mumie befindet, nähert sich dem Grabe. Bei der An-
kunft an die Grabesthür wird die Mumie aufrecht hin-
gesetzt, umgeben von Trauernden. Ein Priester, der in
der einen Hand ein Rauchcrgcfass, in der andern eine
Wasscrschale hält, besprengt den Körper des Toten,
während ein zweiter Priester das Totenritual spricht Die
Farben in der Malerei sind vorzuglich erhalten.
Der Papyrus der Königin Netchmet, 13 Fuss lang,
wurde bei den Ausgrabungen, die zu den Entdeckungen
des Tempels von Der el-Bahari führten, aufgefunden.
Er ist nicht in Hieroglyphen, sondern in hieratischer
Schrift abgefasst und weist mehrere sehr seltene Kapitel
des Totenbuches auf Die Königin Netchmet scheint
die Gemahlin desjenigen Priesterkönigs gewesen zu
sein, der die 21. Dynastie begründete und sich als
„Sohn des Amnion" auf den Thron setzte. Sein Name
wird als „Hcr hcru-sa- Amen" wiedergegeben. Um Irr-
tümern zu begegnen, will ich bemerken, dass sowohl in
populären als in streng wissenschaftlichen englischen
Werken grundsatzlich für „Ammon" stets „Amen" ge-
setzt wird. Die Königin war die Vorsteherin des weib-
lichen Ammon-Ordcns, und wenn die männlichen Mit-
glieder desselben häufig mit den Jesuiten vergüchen
werden, so fallt den letzteren die Rolle der heutigen
Sacre Coeur Damen zu. Aus dem Dokument geht ferner
hervor, dass Netchmet die 'Tochter des ersten Ammon-
Propheten war und die Mutter des äthiopischen Priester
königs Piankhi.
Besonderer Nachdruck w ird in dem obigen Begräb-
nis-Kitual darauf gelegt, dass niemand von dem Inhalt
des Manuskripts Kunde erhalten soll. In Bezug hier-
auf heisst es: „Dies Buch lehrt dich wissen, was das
Schicksal des Menschen nach dem Tode ist, deshalb
muss dasselbe ein Geheimnis bleiben. Kein mensch-
liches Auge möge es erblicken und kein Ohr es hören.
Lass es nicht die Menge wissen. Ich werde ihn ewig
lebend machen und nichts Böses soll die Herrschaft
über ihn gewinnen". Die zugehörigen Illuminationen
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Kritik.
Kinband aus der Fachschule für kunstgewerbliche
Buchbinderei in Düsseldorf.
Iii geudruck auf Saffian.
stammen nicht aus dem Totenbuch, sondern aus dem
Much des Wissens. Die Vignetten stellen Scenen von
dem Durchgang der Sonne durch die Unterwelt dar
und Prozessionen von Ungläubigen, die ohne Kopf ab-
gebildet sind.
Aus derselben Periode rührt der Anhai ■ Pa/>yrus
her. Anhai, die etwa 1100 v. Chr. lebte, gehörte
gleichfalls dem weiblichen Ammon-Orden an, und be-
kleidete zu Kemat das Amt als Vorsängerin im Tempel
des Gottes. In den Vignetten des Manuskripts findet
sich eine Darstellung der Erschaffung der Welt. Durch
eine Anmerkung des Herausgebers wird darin erinnert,
dass auf dem Sarkophag Sctis I, der im Londoner
Sloanc-Museum aufbewahrt wird, der ahnliche und
selten zur Anschauung gebrachte Gegenstand, dort
gleichfalls durch Eingravierung, wiedergegeben wurde.
Das letzte der Schriftstücke i The Hook of Rrea-
things, das Buch des Odems, Hauches, Seufzers, ge-
heimen Gebets, etwas länger als 6 Fuss, enthält ausser
Kitualvorschriften und Gebeten auch Lamentationen an
Isis und Ncphtys. Die kurz vor der christlichen Epoche
angefertigte Schrift ULsst erkennen, dass das alte Toten-
buch etwas aus der Mode gekommen war und jeden-
falls keine rechte Zugkraft beim Volke mehr hatte.
Das im übrigen palcographisch wichtige Dokument ist
gleichfalls ein mit Vignetten ausgestattetes Lcichen-
ritual aus dem I. Jahrhundert v. Chr. Die unter
griechischem und römischem Einfluss lebenden Ägypter
wandten sich mehr der Verehrung des Thoth und der
Schule von Heliopolis zu. Ja, man könnte wohl be-
haupten, dass dies Buch, esoterischen und magischen
Inhalts, ganz dem Gott Thoth oder Heimes gew eiht er-
scheint, denn es heisst gleich am Anfang: „Thoth, der
machtige Gott, kommt zu dir und schreibt für dich mit
eigener Hand dies Buch, damit die göttliche Seele für
immer atme und deine Gestalt von Neuem auf der Erde
lebe". In dem „Book of Brcathings", das sich, soviel
mir bekannt, auch im Bertiner Museum befindet, jeden-
falls schon 1851 von ßrugsch entziffert wurde, wird die
Wiederauferstehung auf Erden, die Wiederbelebung
des Körpers und materielle Wohlfahrt gelehrt und ver-
sprochen. Endlich enthält der Text des in hieratischer
Schrift abgefassten Buches die sogenannten negativen
und positiven Bekenntnisse des Toten.
In den vorliegenden Papyrus-Schriften, die wichtige
Keligionsepochen Ägyptens repräsentieren, ist es in-
teressant zu verfolgen, wie anfangs der Orden der
Ammon-Priestcr nur klein und unbedeutend ist, aber
mit den Siegen der Könige und den hierdurch in das
Land gebrachten Schätzen, deren Verwaltung der Orden
übernimmt, immer mehr an Macht gewinnt Unter der
zwölften Dynastie war Amnion eine noch verhältnis-
mässig kleine Gottheit, die nur in einer einzigen Kapelle
verehrt wurde. In demselben Masse, wie schliesslich
Ammon zur Alleinherrschaft gelangt, werden die übrigen
Brüderschaften durch die Ammonpricstcr verdrängt. In
dem ,, Nu-Papyrus" wird Amnion Ka nicht erwähnt, in
dem ,,Ani-" und „Huncfcr- Papyrus" (der „Ani-I'apyrus"
wurde 1893 in Facsimile veröffentlicht) finden sich Hym-
nen an Ka und Osiris; im „Netchmet- Papyrus" hat
Ammon bereits die Funktionen des Osiris in sich ver-
einigt und ausserdem noch Morus mit sich verbunden.
Es bedarf kaum der Erwähnung und Hinweisung,
welche bedeutenden Schwierigkeiten der Herausgeber
des Werkes, D. E. W. Budge, zu überwältigen hatte.
Gedruckt wurde das Buch von Harrison & Son in Lon-
don. Der Preis beträgt M. 52,50.
London. O. v. Schleimt:.
r A
s*
O t *
/V ' WS
, j .
•
1
M
II \l
1". S ^*
X
Kwil'.int! von P. Kenten, prämiiert mit dem ersten
Prent der Kumg Ludwig* • PrciMÜltung den Gewerbe-
tmitcumt xu Nürnberg 1898,
Orangefarbener SaifUn , Handvergoldung und Leder
inuwK, Hlatturnament olivgrün, die Uiulhcn hehutrupE .ub.g.
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Chronik.
Einband von P. Kernen.
Tcrraltottafarbiget Maroquin jcrase, Handvergoldung und
l.cdcrmoiaik ; auMcrct Ornament olivgrün, die Jflutcu
hellblau; inneres Ornament hellblau.
Buchausstattung.
Paul Adam, der Leiter der Fachschule für kunst-
gewerbliche Buchbinderei in Düsseldorf , ist einer der
wenigen Manner, die nicht nur mit theoretischen Ab-
handlungen pro und contra „neue
Richtung" kämpfen: er gehört viel-
mehr, im Praktischen selbst aufs
Kräftigste fassend, zu den Fuhrern in
seinem Fache. Den vorzüglichen, im
vorigen Jahre erschienenen ,, Prak-
tischen Arbeiten'' — Verfasser dieses
hat selbst mit Vergnügen danach ge-
arbeitet - lisM Adam zum Jubiläum
des 25 jährigen Bestehens seiner
Werkstatt ein neues schmuckes
Bündchen folgen, das den „Neuen
Stil in der deutschen Buchbinderei"
behandelt. „Vornehme Einfachheit
und Klarheit, weise Beschränkung in
Bezug auf die Füllung des Raumes,
wenige, aber sprechende und an-
sprechende Omamcntformcnl" —
also charakterisiert er die Kunst des
neuen Stils, die er pflegt und för-
dert, und beigefügte Abbildungen,
von denen wir eine Anzahl in die-
sem Hefte wiedergeben, zeigen aufs
Z. L B. 1899/1900.
Beste, dass der Meister seinen eignen Gesetzen auch
gehorcht. Zeichnen können nennt er das erste Erforder-
nis für den Buchbindekünstler und warnt vor den Ent-
würfen, die freie Künstler machen, ohne die Technik
zu kennen, der ihre Entwürfe gelten. Nur der, dem die
ausführenden Instrumente vertraut sind, wird auch mit
dem Stift in der Hand die Grenzen der in Frage
kommenden Technik respektieren. Es ist interessant
zu sehen, was für künstlerische Resultate Herr Adam
aus der Neugruppicrung alter Stempel, sowie auch
neuer aus der Fabrik von Koch & Co. in Magdeburg
erzielt; die Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit
Handvcrgoldungcn auf Leder.
Das mir zugegangene Exemplar des Schriftchens
steckt in einem koketten grünen Saffianröckchcn mit
I.orbccrmotiven (Handvcrgoldung). Als Vorsatz finden
wir das höchst originelle Algcnmarmorpapicr verwandt,
das die AschafTenburger Aktiengesellschaft liefert und
das ich bereits erwähnt habe; als Farbenstellung sind
Sienna und Indigo mit leichter sahncngclbcr Bei-
mischung gewählt
Ich kann Bücherfreunden aus eigenster Erfahrung
ein wenig Beschäftigung mit dem Praktischen nach
der Lehrmethode Adams nur empfehlen. — m.
Ausser den aus der Adamschen Fachschule in
Düsseldorf stammenden Einbänden veröffentlichen wir
in diesem Hefte eine kleine Reihe Abbildungen von
Einbänden Paul Kentens in Aschaffenburg, die auf
der letzten deutschen Kunstausstellung in Dresden den
lebhaften Beifall aller Kenner gefunden haben. Die
Einbände, die für sich selbst sprechen und keiner
weiteren Erläuterung bedürfen, sind sämtlich von Herrn
Einband aus der Fachschule für kunstgewerbliche Buchbinderet in Düsseldorf.
Halbfraaiband mit Punktitempetn der Spauenatssance in moderner Anwendung; die kleinen
Bluten sind farbig 'ausgelegt.
46
362
Chronik.
Kerstan eigenhändig entworfen und ausgeführt worden
und sind verkäuflich.
M
Im Historischen Verlage von Paul Kittel, Berlin,
erscheint seit November vorigen Jahres H. Muller-
Boftns vaterländisches Ehrenbuch: Kaiser Friedrich
der Gütige. Nach dem Prospekt soll das Werk 25
Lieferungen umfassen und bis November dieses Jahres
fertig vorliegen. Da aber jetzt — Anfangs Oktober —
erst die neunte Lieferung zur Ausgabe gelangt ist,
wird der Termin schwerlich innegehalten werden.
Der Verfasser beabsichtigt, unter Benutzung reich-
haltigen, bisher ungedruckten Quellenmaterials (ins-
besondere von handschriftlichen Aufzeichnungen, Briefen
und Tagebüchern des Kaisers Friedrich III.) bei „edler
volkstümlicher Darstellung in wissenschaftlich er-
schöpfender Weise das ereignisreiche Leben des Lieb-
lings der deutschen Nation dem Volke vor Augen zu
führen."
Eine grosse Anzahl trefflich durch Autotypie re-
producierter Abbildungen von zeitgenössischen Por-
träts, denkwürdigen Gebäuden etc. begleitet den Text.
Auf die ausserdem beigegebenen ganz- und doppel-
seitigen farbigen Nachbildungen von Schlachtenbildern
und andern Gemälden von teilweise sehr zweifelhaftem
Kunstwert wäre besser verzichtet worden. Sehr zu
loben ist dagegen, dass der Verleger sich nicht mit
Illustrationen im eigentlichen Sinne begnügt, sondern
dem Text auch eine Reihe von ornamentalen Kapitel-
anfangen, Schlussstückcn etc. eingefügt hat, die von
Sütterlin meist recht geschmackvoll entworfen worden
sind und die ebenso wie die für Collin ausgeführten
I.ederaxbeiten ein erfreuliches Fortschreiten des Künst-
lers beweisen. Sie besitzen einerseits die Vorzüge des
bekannten Hammerplakats für die Berliner Gcwerbc-
ausstcllung, das den Ruf dos Künstlers begründet hat:
dekoratives Geschick, kraftige Wirkung, eine nicht
sonderlich tiefe, aber klare und verständliche Symbolik,
andrerseits sind sie aber auch fixier, vornehmer und
zeigen, dass der Künstler das Steife, allzu Derbe, ich
möchte sagen Plebejische abzustreifen beginnt, das
man seinen früheren Leistungen mit Recht vorwerfen
konnte. Die dem Text eingefügten Zierstücke sind
selbstverständlich in rein linearer Manier ausgeführt.
Der Schutzstreifen, der sich bei vornehmeren Lieferungs-
werken mehr und mehr einzubürgern beginnt, ist in
massvollem Plakatstil gehalten. Der Umschlag zeich-
net sich durch Schlichtheil und Vermeidung des viel-
fach bei solchen Gelegenheiten üblichen Aufdringlich-
Rcklamchaftcn vor vielen seines Gleichen aus.
W. v. z. W.
Der erste Kunsthunger, der die Erwachsenen vor
etwa fünf Jahren ergriff, ist nun gestillt, und rings er-
heben sich Stimmen, die da rufen: „es ist noch genug
Kunst vorhanden, gebt sie unsern Kleinen!" . . . Die
Kinderstube soll nicht mehr die Rumpelkammer des
Hauses sein. Das mechanische und imitierende Spiel-
zeug ist heute zu einer Vollkommenheit, einem Luxus
gediehen, den wir uns in unsrer Jugend nicht hätten
träumen lassen; nur die Bilderbücher sind leider
seit dreissig Jahren auf der gleichen geschmacklosen
Stufe stehen geblieben, wenige, z. B. die von Vogel
oder der Kate Greenaway ausgenommen. Wenn nun
Herr Ernst Rrausewetter sich daran macht, Gutes
in Wort und Bild für die kleine Welt zu sammeln, so
muss man von vorn herein diesem Versuch mit den
grössten Sympathien entgegenkommen; es wirft kein
gutes Licht auf unsre Zeitgenossen in Apoll, dass Brause-
wetter in seiner Vorrede zum „Knecht Ruprecht' über
so viel Abw eisungen klagen muss. „Knecht Ruprecht",
bei Schaffstein & Co. in Köln erscheinend, ist solch'
ein Versuch zum Bessern.- ein Kinderweihnachtsblatt mit
Versen und Gcschichtchen und Bildern. Die Gedichte
von Paula und Richard Dehmcl treffen am glücklichsten
den halb singenden Ton der „auld nursery- rhymes",
wie Kinder sie so lieben; um kleine konkrete Dinge
sich drehend, sind sie sicher, gleich dem kleinen Hirn
eingeprägt zu w erden. Weniger geeignet scheint mir
t. B. eine Art Fabel mit Moral von B. Janssen, die mit
dem unkindlich -pessimistischen Satz endet: ,,in dieser
Welt geht es immer mit dem einen hinauf, mit dem
andern hernieder!" Sehr reizend ist auch ein längeres
Gedicht von Schmidt-Cabanis; wenn ich noch erwähne,
dass Namen wie I.ilicncron, Hamcrling, Trojan, Mia
Holm vertreten sind, so wird auch mancher der Kinder-
stube Entwachsene den . Knecht Ruprecht" — nicht
nur lesen, sondern auch laufen, denn das hat der
„Ruprecht" vor allem notwendig, um sein kostspieliges
illustriertes Dasein fristen zu können. Den Illustrationen
nämlich, besonders den farbigen, ist besondere Sorgfalt
gewidmet worden. Gtotemcycr hat in der Vogel-
sehen romantischen Märchenmanier reizendes geleistet;
Thomas Münzers „Maskenball" mit seiner derb zu-
greifenden Buntheit, }. B. Engl mit seinem Humor,
Fidus mit seinem poetischen Duft bieten den Kindern
viel Gutes und Unterhaltendes zugleich. Bei aller
Lustigkeil ganz ungeeignet für ein Kinderbuch scheint
mir Tit. Th. Heine zu sein, so sehr ich ihn sonst schätze;
Fratzen schneiden Kinder schon von selbst genug. Die
Sepiatuschen von P. Heidel wirken ziemlich nüchtern
und langweilig. Als ein besonders guter Einfall er-
scheint mir die Wiedergabe eines Genzmcrschcn Ge-
mäldes; es giebt ja so viele für Kinder geeignete
Sujets bei Knaus, Defrcgger. Max 11. a., und können
die Kleinen auch die Schönheiten nicht voll würdigen,
so nehmen sie doch schon eine kleine Galerie unsier
grössten Meister als gute Freunde mit in das spätere
Ktinstlebcn. D.iss auch das ("Ihr nicht zu kurz kommt,
dafür haben zwei hübsche, leicht sangbare Liedchen
von Hans Hermann und Humpcrdinck gesorgt. Die
Umsfhlagztichnung, Knecht Ruprecht durch den
Winterwald ziehend mit dem Sternensack auf dem
Rücken, in feinen stumpfen Tönen gehalten, stammt
ebenfalls von Fidus. Er versteht es wohl. Kinderaugen
anzulocken. Meine langjährige Erfahrung als Familien-
vater plädiert jedoch energisch für einen haltbareren
Deckel; soll das Buch ein Liebling der Kleinen werden,
so muss es auch etwas aushalten können; mindestens
ist ein Leinwandrucken nötig. — z.
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Chronik.
Der Jahrgang 1900 des Munchtner Kalenders bringt
eine weitere Serie der von Otto Hupp gezeichneten
Wappen deutscher Fürsten und deutschen Uradels.
Wappen und Stammbaum des Königs von Württemberg
leiten das Heft ein; erstcres vereinigt Hirsch und Lowe
sowohl auf dem Schilde — schwarzes Geweih und
schwarzer heraldischer Löwe mit roter Zunge und
roten Klauen, auf goldenem Grunde — als auch mehr
naturalistisch aufgefasst am Fusscder Seite. Lothringen.
Arco, Harrach, Moltke u. a. in. sdiliessen sich an.
Dreimal wechselnde Randleisten — Affen und Hunde,
Drachen und Löwenköpfe, irisches Hecht« erk grenzen
Wappen und Kalcndarijm nach den Außenseiten zu
ab. Besondere Aufmerksamkeit ist der Schrift gewid-
met, deren ungefähr im Stil des XII. Jahrhunderts ge-
haltene rote Buchstaben aul stets wechselndem, ge-
netztem, geblümtem oder geflochtenem, schwarz » eiss-
gclblichem (jrunde stehen. Da Kanzleirat Gust. A.
St'yler den erklärenden Text übernommen hat, kann
man von dessen Korrektheit überzeugt sein. Der Um-
schlag zeigt ein die Wellen durchschneidendes alter-
tümliches Schiff, dessen geschwellte Segel ein echt
münchncrischer Engel leitet. F.in frucht beschwerter
Baum ragt aus dem Fahrzeug auf, und Münchens Kahne
flattert an seinem Bug. Auch der sog. Kitine Münchener
Kalender von 1900 präsentiert sich sauber und zierlich
und giebt überdies Gelegenheit, die Wahrheiten des
hundertjährigen Kalenders nachzuprüfen. — g.
Antiquariatsmarkt
Die bekannte, äusserst kostbare Sammlung von
Miniatur - Handschriften des V'erlagsbuchhandlers
Dr. Trubner in Strasburg i / Eis., meist l'erlen der
weltberühmten Hamiltonkollektion, ging in den Besitz
des Münchener Antiquars Jacques Kosenthai über.
4ß
fiernard Quarifch, Londons bedeutendster An-
tiquar und unser berühmter Landsmann, versendet so-
eben den ersten Teil eines neuen Katalogs, welcher die
Literatur und Geschichte der britischen Inseln behan-
deln wird. Ouaritchs Kataloge und ihr hoher Wert
sind so bekannt, dass hier nichts Neues über dieselben
gesagt w erden kann ; gleichwohl verdient der vorliegende
erste Teil aus mehr als einem Grunde, 'dass auf ihn
besonders hingewiesen werde. Eine gedrängte Ab-
handlung über die Entwickclung der cnglischenSpi ache,
die, nach Quaritch, jetzt von 120 Millionen Menschen
gesprochen wird, eröffnet ihn; in dem Bucherverzeich-
nis selbst sind die Titel der wichtigeren Werke ausführ-
lich gegeben und höchst wertvolle bibliographische
Notizen begleiten die meisten derselben; was dem
Katalog aber einen ersten Rang unter der Menge der
antiquarischen Bücherverzeichnisse sichert, das ist die
gros.se Zahl kostbarer bibliographischer Seltenheiten
und — ihre I'reise. Er umfasst die Zeit vom Jahre 700
bis t6» und enthält naturgemäss viele Manuskripte
und Inkunabeln; sein Inhalt ist auf drei Abschnitte ver-
teilt: englische und britische Schriftsteller von 700 bis
1500, — die Kirche in England 1300 bis 1600, — englische
Philologie: Werke über .Sprachenkunde und Vermischtes,
unter denen sich auch neuere Bücher befinden.
Was die Preise der Bücher anbelangt, so durfte
sie wohl mancher deutsche Antiquar sehnsüchtig und
mit stiller Wehmut betrachten, denn wo fände er unter
dem „Volke der Denker" Kaufer zu denselben? Der
74 Seiten starke Katalog verzeichnet nur 309 Bücher,
von diesen aber repräsentieren 87 einen Gesamtwert
von 13 146 Pfund Sterling oder, das Pfund zu 20 M.
gerechnet, 262920 M., was für jedes der 87 Werke
einen Durchschnittspreis von über 3022 M, ergiebt.
Einbezogen in diese Aufstellung wurden nur die Werke
im Preise von 40 Pfund Sterling oder 800 M. an, und
der Merkwürdigkeit halber möge sie hier folgen, wobei
die erste Ziffer den Preis, die zweite die zu diesem
Preise vorhandene Zahl von Werken angiebt. Der
Katalog verzeichnet zu 40 Pfund Sterling 8 Werke, zu
42 = 4, 48-3. 5o = 8, 52 = 1, 55 - 3, 60 = 4, 63 = 4,
64 = 1, 7" = 4. "2 = ', 74=", 75 = 4, 80 = 4. 84 = 3.
9o=3. 95 = '. 0 = 3. 100 = 2, 105 = 3, no-i,
115—1, 120^3, 125=1, 135-^1, 150^3, 180=1,
200=2, 220=1, 240«= 2, 250=1, 300 = 1, 70:)= 1,
1050= 1, 1500= 1, 2500=1. Es ist selbstverständlich,
dass Werke im Preise von 20 bis 40 Pfund Sterling
noch in recht ansehnlicher Zahl vorhanden sind, doch
kommen auch Preise von 2"., Schilling vor, namentlich
unter den neueren Buchern.
Die vier höchsten Preise, von 700 bis 250a Pfund
Sterling sind für folgende Werke angesetzt: 1. North
English Miraile Plays about 1450. ein Pergament-
Manuskript von ungefähr 1450: 700 Pfund Sterling; —
2. eine erste, 1535 wahrscheinlich zu Zürich gedruckte
Ausgabe der berühmten Coverdale Bible, mit alleiniger
Ausnahme zweier das vollständigste aller bekannten
Exemplare dieser Bibel; nur ein fehlendes Blatt und
einige kleine Mangel sind in Facsimiles ergänzt worden;
1050 Pfund Sterling; — 3. Anthony Woodville, Lord
Rivers, 1442 bis 1483, Dictes of ihc Philosophers, das
erste 1477 England gedruckte Buch , ein schmales
Folio von 75 Blättern mit 29 Zeilen auf der Seite:
1500 Pfund Sterling; — 4. Chaucer, The Canterbury
Tales, — „tlrst edition of the first great English poet,
printed by the first of English printers", sagt Quaritch
in seinen bibliographischen Erläuterungen, — Drucker
war William Leaton um 1498: 2500 Pfund Sterling.
Diesen hochpreisigen Büchern ist wohl noch anzureihen
die Wyklyffite Bible, das eimige bekannte vollständige
Exemplar der kompletten englischen Bibel, wie solche
von Wyklyffcs Nachfolgern um 1425 niedergeschrieben
worden ist. Als Preis dieses Unikums erblicken wir
drei Nullen (für Pfund, Schilling und Pcnce), zu denen
man sich wohl noch einige Nullen mit voranstellenden,
nicht zu niedrigen Einem zu denken haben wird.
Bei all dem intellektuellen und materiellen Reich-
tum des Inhalts dieser Katalog-Abteilung wolle man
nicht übersehen, dass dieselbe nur einen geringen und
speziellen Teil der bibliographischen Schätze Quaritchs,
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364
Chronik.
deren voller Wert nach Millionen zu bemessen sein
dürfte, verzeichnet, dass aber auch ihre Ansammlung
nur auf einem Weltplatze wie London möglich und
durchführbar ist. — Für alle, welche den betreffenden
Katalog zu beziehen wünschen sollten, sei bemerkt,
dass derselbe die Nummer 193 tragt und sein Preis
1 Schilling beträgt Th. G.
m
Die von dem in Wien verstorbenen Sammler
Alexander Posonyi hinlerlassenen Aulographenschtitst,
welche zumeist auf den Versteigerungen, die im Laufe
des letzten Jahrzehnts in Deutschland und Österreich
abgehallen, zusammengebracht wurden, werden nicht
auf demselben Wege der Massenauktion wieder dem
Autographenmarkte zurückströmen, sondern es hat
sich der Erwerber, Herr Friedrick CoAen, Antiquar in
lionn, entschlossen, diese Autographc in Lagcrkata-
logcn mit fixen Preisen den Liebhabern anzubieten.
Der erste Katalog, welcher „Die deutschen Dichter,
Schriftsteller und Philosophen der klassischen Periode"
betitelt ist, wurde zu Anfang des Monates November
verschickt; ihm sollen zunächst folgen „Musik" und
„Neucrc deutsche Dichter". Ein ähnlicher Lagcrkatalng,
wie der uns vorliegende, ist wohl niemals ausgegeben
worden, weder in Deutschland, noch in England oder
Frankreich. In fast 600 Nummern werden Stücke
offeriert zu einem Gesamipreis von ca. 50COO Mark.
Diese hohe Ziffer resultiert daher, dass Goethe mit
über 70 Nummern, Schiller beinahe ebenso stark ver-
treten ist. Theodor Körner erscheint vicrzigmal, Geliert
zwölfmal, Kant fünfmal; Herder, Klopstock, Wicland
sind ebenso zahlreich vorhanden, auch I.cssing fehlt
nicht, wenn auch nur in Briefen, die von ihm als Sekre-
Einband aus der 1.1.!...-: für kunstgewerbliche
Buchbinderei in Düsseldorf.
Handvergoldung; Lederauflage dunkelbraun auf bellbraun.
' Einband von P. Ktriten.
(iranatfarbiger Saffian, HandveTgoldung und l.edermoaaik auuere«
Ornament hellrot, inneres olivgrün, die Blüten hellblau.
tar des Gener alsTauentzicn geschrieben und von diesem
unterzeichnet wurden. (Ein eigenhändiger Brief Lea-
sings und ein Hütet von ihm werden in dem Katalog
als bereits verkauft angeführt; das Zriny- Manuskript
Theodor Körners, welches Herr Cohen bekanntlich
dem Körner- Museum in Dresden für denselben Preis
abgetreten, den Herr Posonyi in Leipzig bezahlt
hat, wurde in den Katalog nicht mehr aufgenommen.)
Wahre Kabinettstücke dieser Abteilung der Posonyi-
se hen Sammlung sind zwei grössere Manuskripte, das
eine von Goethe, das andere von Schiller. Jenes ein
Aufsatz über Shakespeare, den der 22jährige Dichter
zu einer Shakespearefeier nach Strasburg schickte,
dieses der Entwurf zu einem Drama, über welchen
Goedccke bisher Abweichendes berichtet hat Der
Cohcnschc Katalog bietet viele Auszüge aus den zum
Kaufe angebotenen Briefen und Manuskripten und
sollte deshalb auch Nichtkauflustigcn auf dem Wege
des Buchhandels zu einem massigen Preise zur Ver-
fügung gestellt werden, denn kein Literaturhistoriker
wird ihn gern in seiner Hülfsbiblioihek vermissen
wollen.
De mortuis nil nisi benc! Posonyi hat durch seinen
unübertroffenen Übereifer bei Auktionen, an denen er
persönlich teilnahm, häufig Missfallen erregt Wenn
schon der Tod versöhnt, so stellt der dicke Band, zu
dem die Cohcnschcn Einzclkataloge anschwellen wer-
den, die glänzendste Ehrenrettung des Verstorbenen
dar. Eine solche nicht bloss ausgedehnte, sondern in
ihren einzelnen Teilen kostbare Sammlung bringt man
heutzutage, wo jedes Blättchen, das von einer ersten
Grösse stammt, teuer erkauft werden muss, nicht mehr
zusammen, wenn man nur einen in den Grenzen des
Chronik.
Einband von P. Kcutni,
Grüoei Maroquin ecrase; tinndvergotdiuif i die Bluten
hellblau.
Althergebrachten sich haltenden Eifer entwickelt. Das
l'osonyi Museum in der Kohlenessergasse in Wien ist
verschwunden, der in Nonn in Angriff genommene Band
wird aber das Andenken seines Bcsiticrs nicht nur in
den Sammlcrkreisen auf alle Zeiten erhalten. F. v. K.
Von den Auktionen.
Blieben alle Sammlungen auf ewig in fester Hand,
seis in privater, seis in öffentlicher, dann würde des
Sammeins bald ein Ende sein. Und so muss man den
Wcchsclfällen des Geschicks einen gewissen Dank
jollcn, wenn sie die hie und da aufgestauten Schätze
einmal wieder auf den öffentlichen Markt werfen. Da-
neben freilich regt sich inniges Bedauern , das« das in
alle W inde zerstiebt, was eint Kennerhand feinsinnig
vereinte, und nicht selten hört man auf Auktionen Aus-
rufe, wie: „wenn der einstige Besitzer das erlebt
hätte !" , . .
Als im April dieses Jahres der vornehme Sammler
Dr. Ii. Schubart in München starb, hatte er bereits
den grössten Teil seiner Schätze zum Verkauf be-
stimmt und die unerlässlichen Vorarbeiten begonnen.
Herr Dr. H. Pallmann hat den nunmehr im Sinne des
Verstorbenen beendeten beiden Katalogbanden je
einige kurz einführende Sätze vorgestellt, sowie ein
„Vorwort" aus der Feder des Verstorbenen. Dieses
Vorwort leitete schon den 1894 bei Bruckmann in
München erschienen Grossfolioband ein: „Sammlung
Schubart. Eine Auswahl von Werken alter Meister,
reproduziert in Heliogravüren und Phototypie. Mit er-
läuterndem Text von C. Hofstede de GrooL" Es giebt
ein so klares Bild von dem Geist, der Dr. Schubart bei
seinen Sammlungen erfüllte, dass Dr. l'aümann sehr
wohl gethan hat, es an dieser Stelle zu wiederholen.
Der erste der sauber in braunes Englischlcinen ge-
bundenen Bände bringt nur Gemälde, darunter zu-
nächst das Porträt des Verstorbenen von Lenbach: ein
Van-Dyk-Kopf mit flottem weissem Knebelbart, eigen-
sinnigem Haar und ernsten forschenden Augen. Es
ist im Jahr 1891 entstanden und erweckt sofort Sym-
pathie beim Beschauer. Ebenfalls von persönlichem
Interesse ist das Sammelzeichen, das die Gattin Dr.
Schubarts anfertigen Hess, um selbst der zersprengten
Sammlung eine gewisse Zusammengehörigkeit zu er-
halten. Es stellt ein Stillleben dar, in dem die bedeu-
tendsten Zweige der Sammlung vertreten sind: Bilder,
Vasen, Albums, Pergamente und Bücher. Eine Sig-
natur konnte ich nicht darauf entdecken.
Die 102 Gemälde sind alphabetisch nach den
Malern geordnet, so dass Albrecht Altdorfer den An-
fang macht Dem Namen folgen Schule und Daten,
dann die Bezeichnung des Bildes nebst kurzer Be-
schreibung des Sujets, der Material- und Formatan-
gaben, sowie bei Bildern mit einem Besitzerpedigree
die Namen der früheren Besitzer und Quellennach-
weise, wo die betr. Bilder erwähnt, besprochen, be-
Einband von P. Kenten.
Hellblauer Saffian, Handvergoldung und Ledermoiaik.
Ornament waxiergrun.
366
Chronik.
glaubigt werden. So wird diesem Kataloge ein be-
deutendes kunstgeschichtlichcs Leben beschieden sein,
lange nachdem die Auktion vorbei, für die er ursprüng-
lich entstand. Zahlreich sind die photogravierten Il-
lustrationen, die uns die Perlen der Schubartschen
Sammlung veranschaulichen. Cranach, Hoogh, Hob-
bema, Memling, Murillo, Rembrandt. Ruisdacl, Watteau,
Steen, Wouwcrman, kurz Alle, deren Namen das Herz
des Kunstlicbenden höher schlagen machen, sind durch
Werke ihrer besten Zeit vertreten.
Der zweite Band des Katalogcs, der Glas- und
Porzcllanraritäten, Bücher und Kunstblätter behandelt,
ist naturgemäss karger im Quellennachweis. Bei den
Glasgcmäldcn geben noch häufig Namen und Wappen
Aufschluss, bei den zierlichen Porzellanfigurchen die
Brandmarke, bei Waffen und Holzschnitzereien hat
man sich jedoch meist auf eine kurze Beschreibung
beschrankt. Kulturhistorisch interessant sind wiederum
die nicht zahlreichen Antiken und die prachtigen Möbel,
von denen man allerdings nur die reproducierten Stücke
beurteilen kann. In der Bibliothek der Kunstsammlcr
wird man den Katalog Schubart nicht gern entbehren
wollen. Über die Ergebnisse der bei Helbing in Mün-
chen abgehaltenen Auktion, die rund 800000 M. brachte,
haben die Zeitungen bereits ausfulirlif h berichtet. - g.
.*
In schöner Ausstattung erschienen die letzten
Auktionskataloge von Am s/er S* Ruthardt in Berlin
und Gilhofer «S-* Ranschburg in Wien. Ersterer enthält
die Abteilung I der Sammlung Kobert von Pommer-
Esche : wertvolle und seltene Kupferstiche, Radierungen,
Holzschnitte, Lithographiccn u. dergl. m., darunter Ar-
beiten von Boissieu, Chodow iecki , Dietrich, Klein,
Menzel, Strange, l'ngcr, Wille. Der letztgenannte eine
Sammlung altkolorierterOriginalkupfcrstiche von Schütz,
Zicglcr und Janscha, Wien vor hundert Jahren dar-
stellend, ferner viele historische und kulturgeschicht-
liche Blätter, Porträts und Miniaturen; die beigegebe-
nen Lichldruckbilder erhöhen das Interesse an dem
Katalog. bl-
Kleine Notizen.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Die erste Gabe der Gesellschaft der Bibliophilen -.
eine Faksimilewicdcrgabe der Handschrift von Goethes
„Mitschuldigen", ist im Laufe des November zur Ver-
sendung gelangt. Die Schwierigkeit der Herstellung
trug Schuld, dass sich die Versendung verzögerte; da-
für ist das durch die Offizin J. J. Weber in Leipzig her-
gestellte Faksimile auch eine Meisterleistung. Das
Quartheft trägt einen marmorierten Kartondcckel, der
genau nach dem Original fabruiert wurde; ein vier-
eckiges Stück Papier ist auf diesen geklebt, das die
Inschrift enthält: „Die Mitschuldigen, ein Lustspiel in
drey Auf/ugen. 1769". Die Innenseite des Deckels
trägt in einfacher Umrahmung das Ex Libris; Gesell
schaft der Bibliophilen I. No. . . . Gedruckt für-, . .
(folgt, ebenfalls gedruckt, der Name des Besitzers).
Die Handschrift, auf Papier faksimiliert, das dem Ori-
ginal gleichfalls getreu nachgeahmt wurde, umfasst 80
Blatt oder, da die leute Seite freigeblicben, 159 Seiten.
Daran schlicsst sich ein 19 Seiten langes, in gro»
Schwabacher vortrefflich gedrucktes literarhistorische!
Essay über das Lustspiel aus der Feder des Professor«
Dr. Georg Witkcnuski. Dieser Beglcitartikel enthält
noch ein besonderes Faksimile: die Handschrift Friede-
rike Urions, zur Vergleichung mit jener Stelle im dritten
Auftritt, Aufzug drei, wo Goethe irrtümlich statt der
Personenbezeichnung ,,Der Wirth" die Angabe „Der
Keller" geschrieben und Friederike hier mit eigener
Hand das Richtige eingesetzt hatte. Das Manuskript
der „Mitschuldigen" wurde lange als teurer Schatz in
der Familie Urion gehütet, bis es der Leipziger Buch-
händler Saiomon Hirzel erwarb, aus dessen Besitz es
mit seiner gesamten unvergleichlichen Goethesammlung
an die Leipziger UniveraitätsBibliothek kam. Den Biblio-
philen wird mit der Faksimilcausgabe eine eigenartig
interessante Reliquie geboten, für die man auch der
Wcberschcn Druckerei in Leipzig Dank wissen inuss.
Im Verlage von Franz Jäger in Goslar erscheint
in stattlichen Lieferungen zti je 2 M. eine Geschichte
der deutschen Illustration von T/t. Kutschmann, die
in erster Linie der modernen Kunst dienen wird. Die
Frühzeit ist infolgedessen nur knapp behandelt worden.
Eine wertvolle Beigabe soll das Verzeichnis lebender
deutscher Illustratoren bilden, sowie ein Rcgistersolcher
hervorragender Ulustrationswerke, die nicht in den
Katalogen des Buchhandels zu finden sind. Eine ein-
gehende Besprechung behalten wir uns vor, wollen
aber heute schon erwähnen, dass die äussere Aus-
stattung des in Grossquarl erscheinenden, auf 10 Liefe-
rungen berechneten und mit zahlreichen Textbildcrn
und Einzclblältern in Lichtdruck, Heliogravüre. Farben-
druck , Holzschnitt etc. geschmückten Werkes eine
ganz vortreffliche ist. — m.
Von der für alle Bibliotheken, Redaktionen, Ge-
lehrten und Schriftsteller überaus wichtigen Biblio-
graphie der deutschen Zeitschriften ■ Utteratur (vcrgl.
„Z. f. B." II. Jahrg. Heft 7) sind die ersten Lieferungen
des IV. Bandes (Januar — Juni 1899} im Verlage von
Felix Dietrich in Leipzig erschienen. Die Bibliographie
wild von nun ab nicht mehr in Jahresbänden, sondern
in erweiterter Form in Halbjahrskatalogen verausgabt.
Zu den bisherigen Herausgebern F. Dietrich, E. Roth,
M. Grolig u. a. ist noch Arthur L. Jellinek getreten.
— m.
Von Reclams ( 'nhersainibliothek ist kurzlich die
Nummer 4000 erschienen l Roseggcrs „Geschichten und
Gestalten"). Den Grund zu dieser vortrefflichen Biblio-
thek legte eine Ausgabe Shakespearescher Dramen in
guter deutscher Übertragung, die in Zweigroschen-
heften einzeln käuflich waren. Über die Firma Philipp
Rcclam und den Wcllruhm, den sie sich in erster
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Chronik.
367
Linie durch das genannte volkstümliche Unternehmen
erworben, veröffentlichte Anton Bettelheini im Januar-
heft 1897 der inzwischen eingegangenen Revue „Cosmo-
polis 1 einen grösseren Aufsatz Auch wir werden Ge-
legenheit finden, uns noch näher mit den Bestrebungen
der Firma zu beschäftigen. Gleichzeitig mit dir
40c». Nummer erschien ein Katalog der Universal-
Bibliothck in der Anordnung nach Litteraturen.
— m.
Die Photographic hat für die Buchausstattung eine
früher ungeahnte Wichtigkeit erlangt; nicht nur billige
Ausgaben bestreiten heute ihr gesamtes lllustrations-
matcrial mit Lichtbildern, der zahllosen, aus der Pho-
tographie hervorgegangenen Techniken ganz zu
schweigen. So bringt denn auch das von Dr. J. M.
Eder herausgegebene Jahrbuch für Photographie und
Reproduktionstechnik für das fahr /S<><) (Wilh. Knapp,
Halle a. S.) so manchen den Bücherfreund interessie-
renden Beitrag. Wir erwähnen von den Originalbci-
trägen: „Schwierigkeiten des Dreifarbenverfahrens für
den Buchdruck" von Dr. J. Husnik in Prag, und
„Positiv- und Negativ-Steindruck von einer Platte" von
Reg. Rat Georg Fritz in Wien. Dem Jahresbericht
über die Fortschritte der Photographie und Reproduk-
tionstechnik mit seinen zahlreichen kürzeren Artikeln
über Atzung, Farbendruck, Autotypie u. s. w. folgt ein
ausführliches Verzeichnis ncucrschiencncr einschlägiger
Litteratur und ein Autoren- und Sachregister. Den
Beschluss des starken Bandes bilden Rcproduktions-
proben, zum Teil wahre Kunstwerke, z. B. die Kupfer-
ätzung einer Aufnahme des Schlosses Rheinstein durch
Rud. Schuster; die Autotypie eines Kindcrkopfcs von
Meisenbach, Riffarth & Co. nach einer Wcissschen
Aufnahme; ein Lichtdruck nach Naturaufnahmen von
Junghaus und Koritzer, der einen kleinen Wasserfall
im Laubwald mit der ganzen Lieblichkeit eines Ge-
mäldes wiedergiebt. Eine weitere Autotypie von
Mciscnbach, Riffarth & Co., ein landschaftliches Motiv
mit Wasscrspicgclung und all' den reizvollen Zufällig-
keiten der Naturaufnahme, ist ein vollgültiger Beweis,
dass die Photographie berechtigt ist, bei gewissen
Druckwerken die Kunstlerarbeit zurückzudrängen.
Das Kaiser Franz Joseph' Museum in Troppau
sendet uns seinen letzten Katalog (Herbstausstellung* 1
zu. Es ist erfreulich, dass auch die mit verhältnis-
mässig geringen Mitteln arbeitenden Provinzialmuseen
sich Muhe geben, künstlerisch ausgestattete Kataloge
anstelle der althergebrachten, schlecht und auf dünnem
Papier gedruckten herzustellen. Ausser einigen hub
sehen Leisten bringt der vorliegende Katalog als Kopf-
und Schlussstück zwei kräftig wirkende landschaftliche
Skizzen nach Holzslöcken des heimischen Malers Adolf
Zdrasila : Ansicht Troppaus vom Dache des Museums
aus und Windmühle in der Nähe der Stadt. — bl—
Zwei hübsche Einladungen in Plakatform zu per-
manenten Ausstellungen gehen uns zu. Die Eine rührt
von den Herren Gilhofer cV» Ransehburg in Wien her
und verspricht seltne Bücher, kostbare Manuskripte,
Kupferstiche und Autographen. Das Blatt zeigt als
Kopfleiste die Oberkörper zweier Mädchen aus der
Zeit Dantes, die in einem Buche blättern, während
man in einem Nebenraum einen alten Forscher im
Wagnerbarett sich über ein Buch beugen sieht, das er
mit der Lupe untersucht Die Schrift in braun,
rot und blau erinnert an einige der L. F. Dayschen
Zierschriften, die bei Hicrsemann in Leipzig kürzlich
erschienen sind; sie ist sehr hübsch, aber schwer zu
lesen. Als Künstler zeichnet E. Ranzendorfer.
Ebenfalls seltne Bücher, Autographen etc. zeigt
die permanente Ausstellung bei Joseph Daer &* Co.,
Frankfurt a. M , an. Dieses Plakat kommt durch die
Klarheit seiner Schrift — gelb und schwarz auf weiss
- - seinem Zwecke viel näher, obwohl es malerisch
etwas nüchterner wirkt. Der grosse, flach ocker und
ledergelb getönte Frauenkopf auf kreisrundem
schwarzem Grunde scheint uns allerdings, so hübsch
er ist, recht wenig Zusammenhang mit den Büchern
und Autographen zu haben. —in.
Italien.
Der thattge und sachkundige Florentiner Antiquar
Ifo S. Otschki, übrigens ein Deutscher von Geburt,
hat in einem Exemplar der von Pannartz und Swcyn-
heim 147 1 '72 zu Rom gedruckten Bibel eine Reihe
von Ifandzehhnungen Mantegnas oder seiner Schule
entdeckt. In der Zeitschrift „La Bibliofila" (Heft 7/8)
erklärt Professor Romolo Artioli diese Skizzen als ein
bedeutendes Dokument für die Geschichte der Kunst-
wissenschaft und äussert den Wunsch, dass der italie-
nische Staat diesen wertvollen Kunstschatz für ein
Nationalmuseuni erwerbe, um zu verhüten, dass er wie
viele andere ins Ausland wandere. Er vergleicht die
Zeichnungen eingehend mit Mantegnaschen Bildern
aus den L'fiizicn von Florenz und kommt zu der Schluss-
folgcrung, dass sie entweder von der Hand des Man
tegna selbst oder eines seiner hervorragendsten Schüler
herrühren. Dem Artikel sind sechs Illustrationen bei-
gefügt, von denen die eine eine Druckseite der Bibcl-
ausgabe und die andern fünf die Zeichnungen repro-
duzieren.
Eine bisher unbekannte Florentiner Karikatur
aus dem XIV. Jahrhundert, eine Federzeichnung, die
einen Ritterkampf in karikierender Absicht darstellt,
ist von Dr. Robert Davitisohn in Florenz aufgefunden
worden. Sie befand sich in einem Aktenheft des
Florentiner Handels- und Repressalien-Tribunals aus
dem Jahre 1320. Ein philiströs aussehender Ritter
reitet mit seiner Lanze, die andenhalbnial so lang ist
als sein Ross, gegen einen anderen gepanzerten Ritter,
der, von zwei Knappen begleitet, gekrümmt in einer
eisernen Rüstung steckt, die für seine hagere Gestalt
viel zu weit ist. Es ist bezeichnend, dass die Zeichnung
aus den Kreisen der Schreiber des Handelstribunals
hervorging. Sie richtet sich gegen das verfallende
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368
Chronik.
städtische Rittertum, eine Auflassung, die bei Bojardo,
Ariost und Cervantes später zum litterarischen Aus-
druck kam.
England.
Fachmännern und Liebhabern der Lithographie
wird das prächtig illustrierte Werk „Lithograph) 1 and
Lithographers" , von Mr. and Afrs. Penneil heraus-
gegeben (London, Fisher Unwin), gleich willkommen
sein, da es eine vollständige
Geschichte der Steindruck-
kunst enthält. Mr. I'ennell
hat am meisten dazu bei-
getragen, die im South Ken-
sington Museum in diesem
Jahre beendete lithogTaphi-
schcAusstellung zur hundert-
jährigen Scncfcldcr- Feier
nicht nur ins Leben zu rufen,
sondern auch derart zu or-
ganisieren, dasswirdurchsic
einenausgezeichneten Über-
blick der Entwickelung die
ses Kunstzweiges gewinnen
konnten. Im Zusammen-
hange mit gedachter Feier
und Ausstellung scheint der
oben bezeichnete Folio-Band
mit seinen Reproduktionen
von 154 älteren Meisterar-
beiten entstanden zu sein.
Die praktische Ausübung
der lithographischen Kunst-
bethätigung und ihre lebens-
fähige Einführung in Eng
land verdankt diese unserm
Landsmann Georg Scharf.
Die National Art Library
hatte der oben genannten
Ausstellung zwei Hlättervon
der Hand Georg Scharfs
geliehen. Das eine, ein weib-
licher Studienkopf, bildet den primitiven Versuch des
Künstlers in derneucn Manier. Dasanderc „Die Kosaken
in l'aris 1815", ist einige Jahr«: spater wie erstercs, d.h.
etwa 1817 hergestellt worden. Scharf war hier der erste,
der Scncfcldcrs 1818 erschienenes Buch zur Geltung
brachte und seinen Schülern sowie anderen interessierten
Personen praktische Anleitung gab, die Methode des
Erfinders gründlich zu lernen und zu durchdringen.
Von diesem Zeitpunkt an wurde der Steindruck populär
in England. Georg Scharf sen. v 1 788 — 1860), ein aus
Bayern stammender Künstler, war der Vater des nach-
maligen Sir George Scharf, des Mitbegründers und
Entbind *on P. Kenten.
Saftgrüne* Maroquin sentit
movaik. Ornament abw
langjährigen Direktors der englischen National Portrait
Gallcry. Vater und Solin haben sich somit um die
englische Kunst erhebliche Verdienste erworben.
Von noch nicht veröffendichten lithographischen
Blättern moderner Meister werden in den» vorliegenden
Werke mehrere Arbeiten von Whistler, Lcgros, Shannon,
I.unois, Mac Lurc Hamilton und J. K. Way reprodu-
ziert. Wenn Mr. Pennell ältere Meister kritisiert, so
bleibt er stets gerecht und massvoll, sobald er aber
über die hiesigen akademischen Künstler mit klassischer
Richtung urteilt, wird er
merklich subjektiv. Es muss
allerdings zugegeben wer-
den, dass eine ganze Reihe
der Akademiker in Burling-
ton-House, die das Land
der Griechen mit der Seele
suchen, es bisher noch nicht
gefunden haben. Imgrossen
und ganzen hat Mr. I'ennell
ein ebenbürtiges Werk zu
seiner früheren Arl>eit: Pen
Drawingand Pen Draughts-
»ten geschaffen, die von
Zeichnern und allen denjeni-
gen, die mit reproduzieren-
der Kunst zu thun haben, mit
Recht geschätzt wird.
Wenn trotz ernstlicher
Bestrebungen und schöner
Erfolge die Lithographie
und ihre Ausübung sich hier
nie zu solcher Blute wie auf
dem Kontinent, namentlich
in Deutschland und Frank-
reich erhob, so liegt der
Grund zunächst mit darin,
dass es hier keine K unstlücke
auszufüllen gab. In keinem
Lande ist die Tradition in
der Kunst so beharrlich ge-
blieben als in England.
Nachdem durch die Erfin-
dung der Photographie schon die graphischen Künste
auf dem Kontinent in gewissem Sinne Einbusse er-
litten, wurde die Miniaturmalerei in den meisten
andern Ländern so gut wie vernichtet In England
dagegen haben wir viele bedeutende Meister, die ge-
legentlich sogar zur Buchmalerei im alten Sinne über-
gehen. Wenn Meisler wie W. Kichmond, E. Poynter,
J. Linton, Alma-Tadema und Herkomer mehr Interesse
für Miniaturmalerei als für Lithographie bekunden, so
kann eine solche Thatsachc nicht ohne Rückwirkung
auf letztere bleiben.
London. O. v. S.
HandvcriiuMunj! und I.edcr
cihaclad violett und weit*.
Xa<hdru<k vtib-'ltn. — Alle Kfchte :*rt>sA,il/,-n.
Für die Redaktion verantwortlich: l-'cdor von Zobeltitz in Berlin.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dcruen Ailrc»»-. Berl.n W. AMffAmtf*rMnttM 61 erriete«.
Gedruckt «an W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klatin« in lliclefeld und l.eipiig. — Papier der Neuen Papier-
Manufaktur in : . . t.urg i. E_
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I
ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
3. Jahrgang 18 99/1900. Heft 10: Januar 1900.
Alte und moderne
Neujahrswünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
Von
Dr. Robert Forrer in Strassburg L E.
Ein Esel trabte über Land —
Kostbares Gut war seine Bürde:
Brot brachte den Armen er —
Von der Braut Grüsse dem Bräutigam.
Da kam ein Weiser des Weges,
Der sprach zur horchenden Menge:
Sehet das arme Tier und den grausamen Treiber —
Fort mit Grüssen und Brot!
„Fort" kreischte der Papagei —
..Fort" riefen nachäffende Affen —
„Fort" riefen auch alle Jene,
Denen der Weise ein Amt zu-
gesagt.
Und man nahm dem Esel die
Bürde
Das Brot für ihn und die
Armen —
Die Grüsse der Braut und an-
dere Zeichen der Liebe . . .
Doch siehe, wieder trabet ein
Esel über Land
Des Weisen Wort ist ver-
hallt
Wieder trägtB rot er undGrüssc i
Freudig gegeben — freudig
getragen — mit Freuden er-
wartet:
Denn rückwärts drehen selbst
Weise die Welt nicht!
Z. f. lt. 1899/1900.
Lebhaft gemahnt dies „Gleichnis" an den
Kampf um die Ncujahrswunsche; Hier zahl-
lose Freunde, die nach Grüssen der Liebe, der
Freundschaft und des Gedenkens dürsten —
dort einige „Weise" und Nachäffer, die da rufen
„Fort mit Grüssen und Brot!" Denn Brot
schaffen diese „Grüsse" zahllosen Ständen, und
selbst der Bote (pardon, dass ich den Briefträger
mit dem Lastesel vergleiche) trägt weiter gern
Grüsse und Brot — auch ihm selbst blüht
hierbei ja beides . . . Was Zeit und Liebe
geschaffen, rollt weiter und
bleibt trotz mancherlei
Schreiern dauernd be-
stehen. In der That —
man eifere gegen die amt-
lichen„Neujahrsempfänge",
nicht aber gegen den brief-
lichen Neujahrsgruss, denn
dieser ist die neue Form
für einen uralten, fest ein-
gewursellen Brauch!
Neujahrjkarte des Kuoitnuteri K. I.aikowiki in Siriliburg
M Dr. K. Forrtr. Koloncricf PupicrauMthiutt.
Zu allen Zeiten ist die
Jahreswende gefeiert wor-
den; schon in überaus
•»7
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37o
Forrer, Alte und moderne Neujahrewünsche und ihre künsüerische Wiedergeburt.
LcUte mit Neu)»hr»wun«cb mm einem Kalender de» XV. Jahrhundert».
früher Zeit hat man mit der Feier auch das
Austeilen von Geschenken, die gegenseitige
Beschenkung verbunden. Mit der Beschenkung
war schon im Altertum eine Bcgrüssung, der
Neujahrswunsch, vergesellschaftet. Die alten
Egypter beschenkten sich beim Jahreswechsel
mit Gegenständen, auf denen sie ihre Glück-
wünsche in Hieroglyphen anbrachten:
„Die Blume erschlicsst sich
Und siehe da
Ein anderes Jahr"
steht auf, in altegyptischen Gräbern gefundenen,
blau glasierten Flacons, die jedenfalls einst wohl-
riechende Öle enthielten.
„Au — ab — nab" —
„Allen Glück"
liest man auf einer, wohl ebenfalls als Neujahrs-
geschenk vergebenen
Scarabae. Bei den Juden
hat sich die uralte Ncu-
jahrsfeier im „Sabbath
des Blasens" erhalten.
Sie verkündeten den
Neujahrstag durchTrom-
peten- und Posaunen-
schall und Hessen ihm
gegenseitige Begrüssung
folgen (Posaunenfest).
Ihr Neujahrstag fiel auf
den ersten Tischri, den
man für den Gerichts-
tag Gottes und zugleich
für den Tag der Er-
Schaffung des Adam
hielt. Besondere Beach-
tung verdient die bei
den/<7-.sr ///geübte Sitte,
sich am Neujahrstage
(Neu-rÜz) mit Eiern su
beschenken. Auch die
Römer feierten den Tag
durch gegenseitige Be-
von ttx ©,f«llfrfj«fi auf »nr. aKufiffad
(Jr|tm ttfujabritogr
Kr
Cinrn unt iintfc ciliaren
S)fi»rtif*<ii Srpunif.
1/99.
J u r 1 d> , grtfull in laute QütrK
Schenkung. Sie sahen im Neujahrstage einen
„dies faustus" — Tag der guten Vorbedeutung
— wie ja auch heute noch abergläubige Ge-
müter Zeichen und Vorkommnisse in der Syl-
vesternacht und am Neujahrstag als gute oder
schlimme Vorzeichen für den Verlauf des neuen
Jahres deuten. Man opferte an diesem Tage
dem Janus (Janusfest) und brachte den Be-
kannten, insbesondere den Magistratspersonen,
Glückwitnsche dar. Diese Wünsche begleitete
man, wie schon oben angedeutet, mit Geschen-
ken, die anfangs mehr symbolische Bedeutung
hatten, allmählich aber zu Wertgeschenken aus-
arteten. Die Sage verlegt den Ursprung dieser
Sitte in die Zeiten des Titus Tatius, Königs
der Sabiner, der zuerst am Janustage von einem
der Göttin der Stärke (Strenia) heiligen Baume
Eichenzweige erhalten
haben soll. Die Ge-
schenke bestanden an-
fangs in Lorbeerzweigen
oder, wenn man der
genannten Sage eine
gewisse Tradition zu
Grunde legen will, waren
es ursprünglich wohl
Eichenzweige. Den Lor-
beerzweigen schrieb ma n
reinigende und segnende
Kraft zu; sie sollten in
den der Göttin Strenia
geweihten heiligen Hai-
nen gebrochen werden.
Dann begann man, den
Zweigen auch essbare
Früchte. I lonig u. a bei-
zufügen, endlich das Ge-
schenk in Form von Mün-
zen und von Kunstgegen-
ständen aus Erz und
edlem Metalle darzubie-
ten. Die nebcnsäclüich
der Züricher Mutikgcscllichafi
vom J.hrc 1799.
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■, Alte
Neujahrswünsche und ihre
37«
ftfrB- Ofttrr-ico- fma rnS-fcora
Prof. Ferd. Vetter in
gewordenen Palmen-
zweige und Früchte
ersetzte man durch
in Goldblech herge-
stellte Zweige und
durch mit Blattgold
überzogene Nüsse
und Datteln, ähnlich
jenen, welche man
in egyptischen Grä-
bern als Mumienbei-
gaben findet und
ähnlich denen, wel-
che noch heute
unsere Weihnachts-
bäume zieren. Auch
diese Surrogate gingen schliess-
lich ein, und man begnügte sich,
sie auf Neujahrsgeschenken
als Symbole und Verzierungen
gelegentlich abzubilden. Nicht
selten verband man das Ge-
schenk mit einer den Glikk-
wunsch darbietenden Inschrift,
gewöhnlich:
„ANNVM . NOVVM .
FAVSTVM . FELICEM . TIBI .
Andere wünschen
„VIVAS.SINE.MALO.",
eine auf einem geschnittenen
Steine befindliche Inschrift:
„ZHCAIC . AKAKIN -
(Kraus, Realencycl. der christ-
lichen Altertümer, nach Caylus).
Ein Römer wünscht (auf einem
Fragmente gebrannter Erde)
sich selbst und seinem Sohne
ein glückliches neues Jahr mit
der Inschrift:
ANNVM . NOVVM .
FAVSTVM . FELICEM .
MIHI.ET.FILIO.
Eine dem Kaiser Commodus
dargebrachte„Neujahrswunsch-
karte" in Form einer in Krystall
geschnittenen Tessera trägt die
Inschrift:
„ANNVM. NOVVM.
FAVSTVM. FELICEM.
FELICI . IMPERATORI ."
Das Geschenk zeigt den oben
erwähnten traditionellen Lorbeer, eine Frucht
und ein Salbenfläschchen eingeschliffen, daneben
eine den Lorbeerkranz reichende Genie als
Münzbild, sowie Vorderseite und Revers einer
Münze des Commodus. Von der oben genannten
Göttin der Stärke übernommen, nannte man
diese Widmungen „Strenae". Eine aus Knochen
geschnitzte, runde Strena meiner Sammlung
zeigt einerseits eine ausgebreitete Hand — als
Zeichen der „Gabe" oder als Zeichen des „glück-
erflehenden Oranten"? — andererseits die ein-
gravierte Bezeichnung
COS
IX
was wohl auf die Datierung Bezug hat und das
Jahr bezeichnen sollte (bekanntlich wurde von
ap
Gericbukalender der Stadl Kottweil
mit Ncujahrtwvuch de» GerichuprcVurators Bonavenl
Schlech,
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372
Forrer, Alte und moderne Neujuhnwünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
1 53 vor Chr. ab der Amts-
antritt der Konsuln auf
den ersten Januar festge-
setzt und das betreffende
Jahr selbst nach dem
Namen dieses Konsuls
benannt).
Wertvolle Bronzen, ge-
schnittene Steine, Medail-
len,Schmucksachcn,Haus-
gcrätc.Schreibmaterialien,
Manuscripte und selbst
Kleider wurden als Neu-
jahrsgeschenke vergeben.
Je höher gestellt und je
reicher Geber und Em-
pfanger, desto kostbarer
waren natürlich die Ge-
schenke, desto übertrie-
bener wurde in der Kaiser-
zeit der damit zur Schau
getragene Luxus. „Die
Kaiser pflegten anfangs
diese Geschenke vierfach
zu ersetzen, aber, da das
Unwesen mit den Ge-
schenken oft den ganzen
Januar hindurch anhielt — und der Spass die
Kaiser wohl auch zu teuer kam — so be-
schränkte Uberius das Geben der Geschenke
auf den ersten Januar und gab in der Folge selbst
keine Geschenke mehr zurück" (Kraus nach
Sueton). Das war bequem und profitabel, konnte
aber, wie die Folge zeigen wird, die Sitte der
gegenseitigen Beschenkung nicht unterdrücken.
Neujahrskarte in Kapferarich
mit aufgeklebtem Seid e n<l ruck. Um 1790.
Die Bezeichnung „Strenae" hat sich mit der
Sitte der Neujahrsbeglückwünschung und Neu-
jahrsbeschenkung auch bei den alten Christen
forterhalten und durch das Mittelalter bis in die
Neuzeit bei den Franzosen im Namen „6trennes"
conserviert. Auch der
Charakter jener antiken
und frühchristlichen Neu-
jahrsgeschenke entsprach
dem unserer modernen
Etrennes. Die römische
Kaiserzeit hatte damit
einen solchen Luxus ge-
trieben, dass die in ihrer
ersten Zeit der Einfach-
heit zustrebende christ-
liche Kirche es zu ihren
Pflichten rechnete, die-
sem Unfuge zu steuern,
wenigstens ihn nach Mög-
lichkeit auf bescheidenere
Grenzen zu beschränken,
da an eine Abschaffung
einer uralten traditio-
nellen Sitte nicht zu den-
ken war. Beweise für die
Fortexistenz dieser Sitte
in frühchristlicher Zeit
sind gerade die von den
Kirchenlehrern gegen die
Strenae gerichtetenWorte
und Argumente. Hiero-
nymus (Ephes.) tadelt es, dass die Schüler
ihren Lehrern Strenae und ähnliche Geschenke,
die er als sordida scorta brandmarkt, darbringen.
Caesar Arelat. verdammt die Strenae als teuf-
lischen Ursprunges: „Sunt enim, qui Calendis
Januarii, augoria observant . . . diabolicas etiam
strenas et ab aliis aeeipiunt et ipsi aliis tra-
dut . . .". Der erste Kanon de Conc. Antissiodor
vom Jahre 613 besagt: „Non licet Calendis
Januarii . . . strenas diabolicas observare".
Augustinus giebt den Christen den guten Rat,
„statt der Neujahrsgeschenke Almosen zu geben,
statt der unzüchtigen Gesänge sich an der Lesung
der heiligen Schriften zu erquicken, statt in das
Theater in die Kirche zu eilen und statt sich
su berauschen zu fasten". Man sieht aus all'
Neujahriwunsch für dai Jahr 1837. auf rota Seide gedruckt
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373
dem, dass die vor 1000 und 1500 Jahren üb-
lichen Neujahrsgebräuche nicht sehr von den
heutigen abweichen, dass diese Sitte mit allen
ihren guten und schlechten Seiten durch das
ganze Mittelalter bis in unsere Tage in ziemlich
unveränderter Weise erhalten geblieben ist.
Der eine betrachtet den Jahreswechsel mehr von
der ernsten Seite, befolgt die Kirchenväter und
geht in die Kirche oder liest Erbauungsge-
schichten und verlebt den Tag als ernsten
Feiertag. Der andere nimmt den Neujahrstag
als einen Tag der Freude und lässt es in der
Neujahrsnacht an ungestümem Geschrei und
Unfug und gellenden Prositrufen nicht fehlen.
So ist es heute noch in Stadt und Land, so
war es in den letzten Jahrhunderten, so war
es im Mittelalter. Sebastian Frank bemerkt
zum Neujahrstagfeste: „Item in diesen Jahren
geen die knecht und ledigen gesellen auflf
dem land hcrumb durch die gantz nacht vor
den heüssern auch an ettlichen orten in den
Stetten und singen die leüt an mit grosser heu-
cheley, loben den haussvatter und sein gesind
von fuoss au(T und ersamlen mit yrem heuchlen
vilt gelts. Etlich diser ziehen hcrumb durch
das gantz land mit einem gtöcklin, leuten und
singen darein an ein gotteshauss samlend . . ."
O^ihV« 1 O** m^^i hl* 1*3
JäK Dir ant 0>Ut fy Ü rrfrtinr.
■a.-«n Driat 3«br» r<4 ntt BUffi^r
C«münV> f<4 *"• ** Drtac
ttak 9*f Kitt ta mm Jt{« uf/ion,
Neujahrtkane in Kupfcrtticb mit aufgeklebtem Setdcndruck.
Um 1790.
Neujahrskarte in Kupfer<tuh mit aufgeklebtem Seidendruck.
Um 1790.
Dass dabei auch viel getrunken wurde, ist selbst-
verständlich. Gottschalk Hollen gedenkt in einer
seiner Predigten auch der Neujahrsgeschenke
und Gratulationen und erwähnt, dass der Januar
als ein Mann dargestellt werde, „der isst und aus
einem Becher trinkt" (Schultz, Deutsches Leben,
275). Auch die Sitte der Neujahrsgeschenke ist bis
heute geblieben.. In Deutschland, in der Schweiz,
in Skandinavien etc. hat man sie im Laufe der
letzten Jahrhunderte vom Neujahrstage rück-
wärts auf die Weihnachtstage verlegt — das Fest
der Wiedergeburt der Sonne — das Fest der
Geburt Christi — ; in den romanischen Landern
dagegen findet die Bcschcnkung immer noch am
Neujahrstage statt.
Die uralte Neujahrsgratulation, d. h. die
bald mit Beschenkung verbundene, bald ohne
diese übliche Beglückivünschung, hat sich gleich-
falls in allen Ländern bis heute erhalten und
bestand von jeher in einer mündlichen oder
schriftlichen Begrüssung.
„Zum ersten Januar, zur Zeit, wo das Jahr
und alle unsere Zeitrechnung beginnt, besucht
374
Forrer, Alte und moderne Neujahrswün*che und Ihre künstlerische Wiedergeburt.
der Verwandte den Verwandten, der Freund
den Freund, reichen sich die Hände und wünschen
sich ein gluckliches Neujahr, und feiern dann
diesen Tag mit festlichen Glückwünschen und
Trinkgelagen. Nach althergebrachter Gewohn-
heit sendet man sich auch gegenseitig Geschenke."
So berichtet Johannes Boemus Aubanus in
seinem 1535 zu Lyon gedruckten Werke „Ora-
nium gentium mores . . ." (Alwin Schultz, Deut-
©npfinliuiip 11m 3fetMr 815.
ßro im ^cerrlirt nni becb irfttferonxn,
ftcumtt, alt t*t Qvfnmt |*ift«m gntrlbcftf! —
QBa« bif X^tavnto un» ctnfl ;r-i; -nr.if n.
Jortna« aOlitbcn» tu un« im Stimwpb lutuef; -
tt«utfa)e 8«»Smi, Ctr« itttf^n Bat«»««,
SsulfeSe etlUHrofr, foAfinu, $r«Sf«pbcil Üb Vitt),
«AI*«, **fterfi«pft im «ampf br. <R.«i»«m
a 5 Pfund 6 gül-
den", die Guhelin
Cordula „10 ein
grün sattin pro 10
Pfund". Die Ge-
schenke begleite-
te man statt der
mündlichen Be-
glückwünschung
nicht
selten
durch
Glück-
wunsch-
verse.
In dem
Lieder-
buch der
041 tt&aU' im* birft
tßtttx, »ort, b»4 utre piinroi
Hirt «rftr mit Srirtrn bie &tm
SDn t«oqar4«n, M »u b« rrfeMpfirn
Ctaatenglitf unt> ©üro.«»oblfaub 1
XX» im ?>«&«« wtfc ftirnt (HThhi 6««;
<Da| an Wo« *mrf tRan.cn« «b«
£«iU min'; uab t». Ml |M 3t«! -
©arai ttirt frbmAluii tm ©ufrn fuOrn,
Unb bU «"«foi »üb« b«r S«roantt.tnjrU,
SBcrt b<« bdfr« €karmwrt rrt&üBen
3« etn 6eJlrD«t rütfarftbrtn ae.Ni« 3«». —
®«r« fo, €kbi»rfrfn, »lirtHr, brp 0*m nnim 5«»«,
Jlnfrrl ^rjmd fflunf*. - «r ift Kr fflöunf<b t>« ffiMt. -
©cd <tbbr- - Dann im 3uM tum «tti* -
Unb — brf trifft" !Danft4 fiomwc Ibidt« (im. —
i -iJ r — m
BP
' » — .
SS
llllHPllläiKl
Neujahr*gru»»karte
Johann Catpar Lavatara
vom x. Januar 1796.
L Ofling« mb (üWitit Stoti*' unb SrUonj» • ttotrfftoaj
Otaiaaata «rtta*«« 6* arafttk» w» Nt «iralti traft 0t»
*W Kadaofta. <PUa (el 18iafH>><< »«• »*« »narff^am ftr^tora Jiotl.'k«
«rfl 5*0, (pilet iooo, ■ tr »00 fjU|lR apnft awta. •Widern *3<t»
Dur «axa»« a<*i efcli itfteili* ilNWi f»*»«» fag«r g>fpU#t. Di«
ao. est jo Oftbc narkta «Ida la 0tlira» 4' Btnkt aaf D<t g»
ftUi« ua »» e*»a a.»,.Pf«l Xaaaan« WataiWr. tmtf itaull
Neiijahnjedichl auf das Jahr t8i j
in „Zillautchcn monatlichen Tagebuch".
sches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert).
Anno 1507 schenkt Anton Tucher seiner
Schwiegertochter und seiner Tochter als Neu-
jahrsgeschenk j'e 4 Gulden, ebenso anno 1508
und 1509; 15 10 erhält die Schwiegertochter
„6 ein perpianisch tuch czu einem welinhen
rock pro 6 fl."; 151 1 schenkt er eine leder-
farbene Schaube; anno 15 14 erhalten die Lin-
hart Tucherin am Neujahrstage einen Stuben-
schrank für 10 fl., die Anton Tucherin „iOeln
halb atles gelb und praun czu einem untterrock
Folz
Clara Hätzlerin auf die Jahre 1441 — 1448
haben sich mehrere derartige Neujahrs-
wunschgedichtc erhalten. Ein solches
beginnt folgendermassen:
„<5ott grüfj &id? fra», 3U öifem
netven jar,
„(ßott grüfj öidi, fra», ufj aller enget fdjar,
^(Sott grüfj Sich, fdjönes lieb t>efunberbar,
„Das es btr triberfar,
„3Us t»ol unb ich Öirs gan,
„Dein ich. nie oergeffen
Andere solche Verse sind in grösserer
Zahl von Hans Folz, einem in der
zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts
zu Nürnberg wohnenden Barbier und
Meistersänger bekannt geblieben:
„Klopf an! got geb Dir ein gut jar,
„fytfiu anders ein fraufes bar.
„Uno fpicjig febu anb fanft fein tanejen
„Unb ruft ben meiben nichts am ganejen
„(Crcibeft mit frauen liplicfi fchercj."
Ein anderer Neuj'ahrsgruss des Hans
lautet (Schultz, a. A. p. 275):
Neujahntruii von G. Koch.
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Forrer, Alte und moderne Neujahrswunsche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
375
„K I o p f f an ! mein aller liebfte 3art,
„lüan mir fein clopfcn über roart,
„21U enget in oe* himels ttOR,
„Die fein ( oarum oein folt uno Ion."
Als dann im XV. Jahr-
hundert die Holzschneidekunst,
die Buchdruckerkunst und der
Kupferstich allgemeinere Auf-
nahme und Verbreitung fanden,
als man immer häufiger sich
dieser Techniken auch für das
Profanleben bediente, begann
man allmählich auch die bis-
hergeschriebenen und bemalten
Neujahrsivunschsettel durch
den Druck zu vervielfältigen.
Zahlreiche derartige Neujahrs-
wunschblätter sind erhalten
geblieben, die Mehrzahl als
Holztafeldrucke, manche mit
beigefügtem Ty|>endruck, we-
nige auch in Kupferstich. In-
dessen ist gerade die älteste
erhalten gebliebene gedruckte
Neujahrskarte ein Kupferstich
und zwar von keinem geringem gezeichnet, als
vom berühmten Meister E. S. — ein Beweis,
dass die Herstellung dieser Blätter damals noch
eine Arbeit wirklicher Künstler war. Der
Kupferstich wird in das Jahr 1466 datiert und
zeigt das segnende Christuskind auf einer
Blume stehend, dahinter ein
Schriftband mit dem Wunsche:
€3H * «GXDC »
Selig * ior •
Übereinstimmend mit die-
sem Kupferstiche ist ein Holz-
tafeldruck des Museums zu
Basel, der ersichtlich auf jenen
Kupferstich unter Vornahme
cinigergeringcnVeränderungen
im Blatt- und Blumenwerk co-
piert ist (vgl. P. Heitz, Neujahrs-
wünsche des XV. Jahrhunderts,
Strassburg 1898).
Die Mehrzahl der bekannten
Blätter ist in Holzschnitt her-
gestellt und zeigt gleichfalls
beinahe immer das segnende
Christuskind und die mehr oder
minder sich gleich bleibende
Inschrift „£in. gut. jor". So be-
zeichnet ist auch der berühmte,
in der Stadtbibliothek zu Colmar
befindliche Holztafeldruck vom
Jahre 1470.
Die meisten dieser Bilddrucke sind mit
Handkolorit versehen, gewissermassen als Nach-
klang der einst miniaturirten, d. Et gezeichneten
und gemalten Neujahrwunschbriefe der der
Buchdruckerkunst vorangegangenen Perioden.
Je mehr diese Tradition sich verlor, je mehr
»_« m mm . - * ■ E» .
Ncujohngruii von Ewald Thiel.
Ncujjbnlurtc vuo l>r. Alb. Figdor in Wien »n Df. R. Fjrrer. Anujrell von C Limbctie.
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376
Forrer, Alte und moderne Neujahrswünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt
man sich um die Wende des XV. ins XVI. Jahr-
hundert an die einfachen unkoloricrten Schwarz-
drucke gewöhnte, desto seltener wurden die
kolorierten Neujahrswünsche und desto häufiger
sieht man sie vergesellschaftet mit den immer
massenhafter auftretenden Aderlassbildcm und
KaUnderdrucken. Sei es, dass man sich diese
Kalender gegenseitig als Neujahrsgeschenke
sandte, sei es, dass schon damals manche Drucker
sich mit derartigen, am Neujahrstage ihren
Kunden gebrachten Kalendern für neue Arbeiten
empfahlen (gleiches thaten ja auch die Bäcker
mit dem „Neujahrskranz"oder „Neujahrs wecken"),
jedenfalls war die Verbindung des Neujahrs-
wunsches mit einem so nützlichen und in der
Zeit der Aderlasskuren so unerlässlichen Haus-
ratstücke, wie es Kalender und Aderlasstafeln
darstellten, ein gewisser Fortschritt.
Besonders interessant ist der Neujahrsgruss
auf einem Wandkalender des Jahres 1483, weil
dort der Drucker Hans Zainer von Ulm seinen
Kunden sich mit Namen als Gratulant vorstellt
und in Erinnerung bringt:
«3^fum vnb JHario fein mutter Mar, n>üiifchct
euch ijanns Rainer 31ml mtteit 3«-"
Gewöhnlich aber ist die auf diesen Kalendern
angebrachte Wunschformel einfach:
„ain . <5ot . faclig . 3 ar -"
- ;r
NeujahrH'nii» vua Prof. Gabriel Max id München
an Dr. R. forrer. Mit Sepia grundierte FcdcRcitiinung.
Neujahrsgnus dei Kunitmalen Walter Crane in London
an Dr. R. Forrer.
So auf einem Kalender von 1492, dessen Ori-
ginal sich im Britischen Museum befindet
Hans Boesch gebührt das Verdienst, in der
„Gartenlaube" 1894 zuerst auf diese „Vorläufer
unserer Neujahrskarten" aufmerksam gemacht
zu haben. Ich selbst gab in der „Antiquitäten-
zeitschrift" (Strassburg, 1896, No. 17) eine Zu-
sammenstellung der mir damals bekannten
alten Neujahrswunschblätter. Paul Heitz hat
diese Liste in seinem Tafelwerke „Neujahrs-
wünsche des XV. Jahrhunderts" erweitert und
durch Beigabe von Facsimiles illustriert (Vgl
auch „Stuttgarter Antiquitäten-Zeitung"; W.
Scheucrmann, Der deutsche Neujahrsglück-
wunsch im XV. Jahrhundert. Nr. I. 1899.)
Auch in anderer Form verband man den
schriftlichen Neujahrswunsch mit dem Neujahrs-
geschenk. Die runden, viereckigen und ovalen
Schindelschachteln, in denen man sich damals
gezuckerte Südfrüchte, Konfekt und andere Ess-
waaren, ferner Zinnteller und ähnlichen Hausrat
zu schenken liebte, verzierte man oben und
seitwärts durch Bekleben mit farbig kolorierten
Holzschnittblättern. Besonders im XVI. Jahr-
hundert waren derart verzierte Schachteln viel-
fach im Gebrauch. Heute sind sie zwar selten,
aber noch zahlreich haben sich Kupferstiche
und Holzschnitte erhalten, die teils jenem
Zwecke gedient haben, teils dienen sollten, aber
> -
Forrer, Alle und moilerne N'e«i»hrsw6ntche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
377
nicht zur Verwendung kamen, d. h. unbeschnitten
blieben. Ein solcher gothischer Schachtelbezug
ist in Ludwig Rosenthals „Incunabula xylo-
graphica" unter No.
63 abgebildet und
richtig als „vielleicht
Neu jähr su •unsch"be-
zeichnet Statt des
Christuskindes ist
hier das Lamm
Christi angebracht
— die Ueberschrift
lautet:
„Die « €uig *
SAIigfril • 5c y *
€uch « Httai * 8*>
rail. *
Eineanderederart
beklebte Ncujahrs-
gcschcnkschachtel
zeigt eine um ei-
nen Tisch sitzende
Gruppe von Musi-
kanten: ersichtlich
ein Schnitt Jost
Ammans. Dr. Hirth
hat in seinem kultur-
geschichtlichen Bil-
derbuche unter No.
1 1 20 einen Holz-
schnitt, gleichfalls
runder Anlage, ver-
öffentlicht, der zu
jenem das Pendant
bildet und ein Gast-
mahl im Freien, be-
zeichnet I. A , zeigt.
überhauptwird man
mehr, als bisher ge-
sc /u heu ist, der Frage
nähet treten müssen,
VO(lckfn Zwecken
manche aus dt in \ V,
XVI. und XVII.
Jahrhundert erhal-
tenen Holzschnitte
und Kupfirstiche dienten. Man wird dann
finden, dass, n ie das gegebene Beispiel zeigt,
die uns erhaltenen Abdrücke oft nur „Probe-
drucke" oder „Auustlerabzüge" waren, dass die
Platte aber realeren Zwecken zu dienen hatte
Z. f. Ii. 1899 1700
Neujahrjgnin dei Kuiuunaleri Car
Aquarellierte
— Zwecken allerdings, welchen das Kunstblatt
meist zum Opfer fiel — 1 als Zierbelag von
Schachte/n, als Vorlagen für CiseUure, als
Rcklamcbilder, als
„Haussegen 1 ', als
Vorlagen für Email-
lcure und Waffen-
schmiede, als Grüsse
bei Namenstag, Neu-
jahr u. dgl. m.
■Mi
Die späteren Jahr-
hunderte haben, wie
schon angedeutet, in
den germanischen
Landen die Sitte der
Beschcnkung von
der Beglückwün-
schung getrennt und
erstere auf die Weih-
nachtstage verlegt.
In England ge-
schieht dies auch
für die Begrüssung,
denn die Glück-
wunschkarten wer-
den dort nicht am
Neujahrstage, son-
dern auf Weihnach-
ten versandt — sie
heissen dort denn
auch christmascards,
und ihre Beischriften
wünschen kein fröh-
liches neues Jahr,
sondern eine „happy
Christmas". Aufdem
Festlande sind da-
gegen, und zwar in
Frankreich, Belgien
etc. sowohl Besehen-
kungalsBegriissung.
in den germanischen
Ländern wenigstens
die Begluckwünschung, dem Neujahre geblieben.
In den späteren Jahrhunderten häufen sich
die Neujahrsgrüsse immer mehr. Den Wünschen
48
1 Spärri(f)>° Zürich an Dr. R. Forrer,
Kcdertcichnung.
Googl
37»
Heraldische Neujahrskarte dei (Iiafen K, F.. tu Lciniogcn-Weitcrburf
in Nciipaiing-München an Dr. R. Forrcr.
in Stich und in Holzschnitt, auf Einzelblättcrn
und auf Kalendern, gesellen sich nun auch
jene der allmählich zahlreicher werdenden
Zeitungen bei. Es wird Sitte, dass die Redaktion
den Leser am Neujahrstage mit einem Neu-
jahrswunsche begrüsst Die Frankfurter „Post-
zeittungen" vom Jahre 1624 begrüssen ihre
Leser wie folgt:
„Demnach das 1624. Jahr hierbei nahet, Als
wünsch ich dem gutherzigen Leser durch das Neu-
geboren Christkindlcin unsern lieben Emanuel und
Frieden-Fürsten ein frölich antreffend und vielfolgen-
der glückselig fried- und freudenreicher Neues Jahr,
in welchem man Fried und Einigkeit im Heil. Rom.
Reich und unter des Adlers Flügeln geruhig und fried-
lich wohnen und leben mögen. Amen, Amen, Amen "
Eine andere Zeit spiegelt der Neujahrs-
wunsch vom Jahre 181 5 wieder, den das
„Königl. sächs.-privil. Zittausche Monatliche
Tage-Buch", herausgegeben von K. G. Groh-
mann, Amts-Advokat, als „Empfindungen am
Neujahr 1815" in gereimter Form veröffentlicht.
Zahlreich sind natürlich die Neujtt/trs-
grusstexte\ ihre Sammlung würde ein ganzes
Buch füllen, doch genügen typische Beispiele,
in denen sich die Zeit, die geschichtlichen Er-
eignisse und die verschiedenen Charaktere der
einzelnen Personen kennzeichnen. Den bereits
oben gegebenen Beispielen sei hier ein Neu-
jahrsbrief vom Jahre 1496 angereiht, den die
Klosterfrau Brigitta Holzschuherin an Michel
Beheim geschrieben :
„3«f«s <£brifhts ber neugeborn König mit allein
tCroft, 5renb unb Seligfcit, bie er uns mit feiner
tfvbnrt gebracht bat, befimber mit feiner Kraft
wirren ben heilfamen rtamen 3^f" am
achten (Tag ausgefegt in ber Zlivrrhen
Mitterreit feines yiittDcrgiejjen, in bem
(Sefchmacf 6er Sü§igfeit lies ED(Uj<
raud? unb (5olb feiner uuergriuibeten
Cieb, rrünfeh 11 beger ich. bir aus
<J5runb meines rjerjen, 311 einem guten
feligen gnabenreid>en neuen 3ab,r."
Hans Boesch verdanken wir
auch die Bekanntgabe des folgen-
den „Glückwunsches" der gegen
ihren Willen Klosterfrau geworde-
nen Anna Tucherin:
„ (Rot t geb ihm ein p c r b 0 r b « n3 a b. r,
der mid] macb.t ju einer Hunnen."
Charakteristisch für das XVII.
Jahrhundert ist ein gleichfalls von
Boesch aufgefundener Neujahrswunsch
Hans
jener Zeit:
„2ld\ laß bir audj fortbin öer ^eit
3n beinen Sdmfe imb (Süligfeit
Ulicb, unb bie ZTIein empfohlen fein,
(Eb.u u?ohI öem Ixat und ber <5cm*m,
Die Kird) unb priefterfd?aft erhalt,
3»n ßaus aud; mit fbleuten tt>alt,
Dil lianblung, ßanbroerf, i?ie^es3ud>t,
Den 5elbbau fegue mit ber Srudjt
Unb hab alfo bei allem Staub
Dein bimmelbreite <ßnabenbaitb.
iVljüt für Sünden, Sd;aub unb Spott,
5ür II>affer, Seur unb anbror 2tot,
ZEICHNER
Nei4j.ihr*kartc des Zeichners Georg Otto in Berlin.
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379
T>aß irtr oas 3abr
in fliuer Hub.
Uni 1 bir 311m Cobc
bringen 3U,
Unb iraiin t>cr 3abre
Dollcnbt
So hilf uns an ber
Gimmel €ui>. "
Wie man sieht,
ist im Laufe der
Zeit das treuherzige:
„liin guot selig Jor"
verloren gegangen
— schwülstige und
frömmelnde Texte
sind dafür Mode geworden. Dagegen macht
sich allmählich und besonders im XVIII. Jahr-
hundert eine andere Neuerscheinung angenehm
bemerkbar.
Damals begann man die gedruckten Neu-
jahrsgrüsse dahin zu erweitern, dass man ihnen
Gedichte und Musiknoten, endlich diesen Musik-
stücken oft noch Abbildungen und belehrende
oder gelehrte Abhandlungen beigab. Insbeson-
dere in Süddeutschland und in der Schweiz hat
diese Sitte dankbaren Boden gefunden und sich
bis heute erhalten. Noch jetzt geben dort die
verschiedenen Gesellschaften sogenannte „Neu-
Neiijahngniu von A. l.ewy an die Re.UV.tion de« „Uahe.m".
jahrsblätter", oft
reich illustrierte
undwissenschaftlich
wertvolle Schriften
aus; sie sind bald
Geschenke für die
Schuljugend, bald
reine Neujahrsgrüs-
se für die einzelnen
Mitglieder der be-
treffenden Gesell-
schaften. Hervor-
ragenden wissen-
schaftlichen Wert
haben beispielsweise
die Neujahrsblatter der „naturforschenden" und
der „antiquarischen" Gesellschaft Zürichs; ferner
die der Züricher Chorherrn- und der Musikgesell-
schaft, entere auf Neujahr 1782, letztere auf das
Jahr 1 799, dem „ersten Neujahrstage der Einen
und unteilbarst helvetischen Republik". Beiläufig
gesagt bezeichnet auch Schiller die erste Aus-
gabe seines Wilhelm Teil, die 1804 bei Cotta
erschien: „Zum Neujahrsgeschenk auf 1X05".
In der Schweiz war es ausserdem Sitte,
dass Verwandte und Bekannte, wenn besonders
eng befreundet, sich eigenhändig ausgesierte
Neujahrsgrusse sandten. Als Beispiele mögen
KeujahrsgniH von Carl Leonhard lleckcr
an die Redakliou Ton Velhagrn & Klauogi Moitatlhefte.
380
Forrcr. Alte und moderne Neujahrswunsche und ihre künstlerische Wiedergehurt.
zwei solche Neujahrswunschbildchen dienen,
die sich in meiner Familie erhalten haben.
Das eine, von Andreas Biedermann, Geschichts-
forscher zu Winterthur, meinem Urgrossvater
mütterlicherseits, ist um 1800 entstanden, in
leichten Farbtönen aquarelliert, und bezeichnet:
„Souvenir d'amitie! bonne anne'e Andreas Biedermann."
Das andere Neujahrsblatt ist von dem be-
rühmten Pfarrer und Physiognomiker Caspar
Lavater zu Zürich an den gleichfalls mütter-
licherseits mit meinen Urgrosseltern verwandten
Kupferstecher J. R. Schellenberg adressiert,
der Lavaters grosses physiognomisches Werk
illustriert und den bekannten Totentanz „Freund
Heins Erscheinungen" 1785 herausgegeben hat.
Lavater hat nach seiner Gewohnheit einen
frommen Spruch als Neujahrsgruss gesandt;
er datiert vom 1. Januar 1796 und dokumentiert
Lavaters grosses Gottvertrauen (in demselben
Neuj »hragni« de» Kumtm ilen Prof. A. Crejpiii in Brauel
Jci Di. R. Forfet. Aquarell.
Neiijxhrsjm» des Kunstmaler» C«rl Koch.
Jahre wurde er von der helvetischen Re-
gierung als verdächtig nach Basel de-
portiert). — Andere, denen dichterische
und künstlerische Gaben fehlten, begnügten
sich mit brieflichen Neujahrswünschen —
es hat diese schöne Sitte niemals gestockt
- stets haben sich Freunde beim Eintritt
ins neue Jahr ..unter Anwünschung alles
Schönen und Guten zum Neüen Jahre"
(lirief H. Horners an Rordorf- Zürich von
1827) freudig begrüsst . . .
«feto
Neben den besprochenen „Neujahrs-
blättern" und verwandten Erscheinungen
fehlte es dem letztvergangenen Jahrhundert
auch nicht an zahlreichen kleinen, mehr
oder weniger reich durch Druck ausge-
zierten Neujahrsgrüssen, die den Neujahrs-
wunsch lediglich in irgend einem Bilde
und einem kleinen Verse zum Ausdruck
brachten, und die unmittelbaren Vorlaufer
der Neujahrsivunschbildchen unseres Jahr-
hunderts sind. Das Christuskind ist aus
diesen Blättern in Bild und Wort ver-
schwunden; launige Verse, humoristische
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38.
Neujahrsgross des Kunstmalers Otto Hupp in Schieissheim
an Dr. R. Forrer. Aquarell mit dem Familien- und Orts-
wappen des Künstlers und des Adressaten.
oder symbolische Darstellungen in antikisieren-
dem Gewände, schlechte und gute Reime auf
Liebe und Freundschaft sind die Kennzeichen
der Neujahrskarten dieser Zeit. Überaus mannig-
faltig sind die den Bildern beigegebenen Texte;
wenige Beispiele genügen, denn ihre Zahl ist
Legion, und man würde nicht fertig, wollte man
alle die vielen Varianten durch Beispiele belegen.
Neben frommen Spruchen begegnet man jetzt
immer häufiger humoristischen, die sich bald an
Freunde, bald an Freundinnen wenden, bald auf
deren Tugenden und Fehler, bald auf ihre Be-
schäftigungen und Steckenpferde Bezug nehmen.
,,I)a Du des Bacchus Rebensaft
Und schone Mädchen liebest,
So gebe Dir das Kine Kraft,
Wenn Du das Andre übest;
Befinde Dich dabey stets wohl
Hast Du geleert, füll wieder voll"
„In diesem neuen Jahr
Wunsch ich Dir neues Glücke.
Gesund mit Haut und Haar
Leg viele noch zurücke."
„Das neue Jahr scy Dir, geliebte Schwester, schon,
Ü grüne, blühe stets im besten Wohlergehn!
Leb' immer hochbeglückt, des Himmels Segen sey
Bcy Dir, o Theucrstc! mit jedem Morgen neu."
Auch das in der ..Zeitschrift für Bücher-
freunde" 1898 No. 2 (Forrer, Mittelalter-
liche und neuere Lesezeichen) unter Fig. 4
abgebildete Lesezeichen mag ursprünglich
Neujahrswunsch gewesen sein. Sein Vers
lautet:
„Freund, Dir wünsch ich, dass bcy Deinem Amte
Dir's an Muth und Kräften niemals fehlt,
Nie an Gclde . . . aber das Vcrdamte!
Dass es sich, so baJd es kommt, verzählt."
Andere Beispiele bieten die hier gegebenen
Abbildungen solcher Neujahrskarten vom Ende
des vergangenen und vom Anfange des laufen-
den Jahrhunderts.
Es haben sich diese Blättchen zumeist in
Büchern erhalten, in die sie als Lesezeichen
gelegt oder als Andenken, besonders in Stamm-
bücher, eingeklebt wurden. Wohl die bedeu-
tendste Sammlung dieser Art besitzt Dr. Albert
Neujahrsgniss des Kunstmalers Georg Dieckmann
in Hannover an Dr. K. Forrer.
3^2
Forrer, Alte und moderne Neujahrswünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
Radierte Neujahrskarte J. Uiannet
von Leon Lebegue in Pana.
Figdor in Wien, dessen Kollektion kürzlich
ebendaselbst ausgestellt war.
Die verschiedensten Techniken sind bei diesen
Bildchen zur Anwendung gelangt: Döcoupure,
Spitzcneinlage, Kupferstich, Lithographie und
Blinddruck. Besonders häufig erscheinen Kupfer-
stich und Seidendruck vereinigt; man druckte
den Vers auf farbigen Seidentaffet und passte
diesen auf die freie Stelle der Unterlage ein.
Das Empire, die Restauration und die fol-
genden Jahre haben diese Neujahrswunsch-
bildchen beibehalten, ohne dass indessen künst-
lerisch irgendwelche Fortschritte zu verzeichnen
wären. Weit eher mochte man von einem Rück-
schritte sprechen, wenn man die grosse Aus-
wahl und die ganz verschwindend kleine An-
zahl auch nur einigermassen künstlerisch an-
nehmbarer Blätter sieht, wie sie die Geschäfte
in den letztvergangenen Jahrzehnten gegen
Ende Dezember in den Handel zu werfen
pflegen. Aber trotz der weitausgedehnten Be-
strebungen gewisser Kreise, „zur Entlastung der
Briefträger" diese Flut einzudämmen, wächst die
Nachfrage nach solchen Neujahrsgrüssen noch
immer und ist im Gegenteil ihre Popularität
immer noch im Steigen. Die „feinen" Kreise
haben sich von diesem Vergnügen allerdings
zurückgezogen — solche Bildchen zu verschicken
ist heute nicht mehr „chic" — das überlässt
man den Dienstmädchen und der Jugend. Und
das mit Recht — wenn man jene Fabrikkunst
nicht um der Bequemlichkeit, um der Briefträger
und um eigener Ersparnisse willen boykottiert,
sondern um der Kunst willen von sich weist —
dafür aber besseres zu schaffen trachtet l . . .
Der Rückschlag, den die künstlerische und
inhaltliche Geringtvertigkeit der oben erwähnten
Neujahrsgrüsse gezeitigt, machte sich vor einigen
Jahrzehnten darin bemerkbar, dass „bessere
Leute" zur einfachen Visitenkarte griffen und diese
als Zeichen des Neujahrsgrusses bald mit, bald
ohne schriftliche Zuthat an Verwandte, Freunde
und Bekannte verschickten. Die Visitenkarte
selbst hatte inzwischen ungefähr denselben Weg
Neujahrigruii von W. Zehme an du „Daheim".
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333
wie die Neujahrswunschkarten genommen,
d h. sie war erst mehr oder minder ge-
schmackvoll verziert, wurde dann aber
immer einfacher, bis sie heute, bei schmuck-
loser Schrift und schmucklosem Papier
angelangt, kaum noch einfacher werden
kann.
Bei dieser „glatten" Karte war auch die
Neujahrskarte angelangt, als vor einigen
Jahren sich zweierlei Bewegungen geltend
machten Die eine zielte dahin, die alte
Sitte der Neujahrswunsche ganzlich zu
ertöten — „Uberbürdung der armen Brief-
träger" war wieder das Losungswort —
„das verschwendete Geld den Armen zu
geben" das weitere Lockmittel für Jene,
bei denen das erstere nicht verfing. Die
Sache war dreifach angenehm, denn sie
ersparte eigene Arbeit, kam also der Be-
quemlichkeit zu Hülfe, sie machte die
ganze Sache billig — denn was die Leute
einzahlten, entsprach keineswegs den
wirklichen Kosten — und es ersparte das
Nachdenken, eine Arbeit, die bekannt-
lich sehr viele sich nach Möglichkeit
schenken. Diese lastige Arbeit war um
so lästiger, wenn man Diesen oder Jenen
aus Versehen vergass . . .
In Wirklichkeit ist in unserer raschlebigen
Zeit die Neujahrskarte in lausenden von Fallt n
das einzige Lebenszeichen, das Verwandte,
I . y
[
«jA r • s+QtJjn me*r f&j?«gw«g ijet j(§ nun Aiyrn jnJ^cC
Neujahragrtua in Form ein«
■MMlMi I.etil.K.<;imbeI in
Pergamratbriefct de« Kuntt-
Kaden-Baden an Dr. R. Forrer
Neujahrtffruis dei Kunacaammlcra Notar A. Ritleng in Straatburg
an Dr. R. F'orrar.
Freunde und Bekannte sieh jedes Jahr als
Zeichen senden, dass sie einander gedenken. Und
gerade unsere Zeit ist auf solch' einen rasch her-
zustellenden Kitt angewiesen, denn
die Zeit der „Tagebücher" und der
langatmigen Briefe ist längst vorbei
— zu zahlreicher Familienkorre-
spondenz reicht unsere fieberhaft
ausgenützte Zeitspanne nicht mehr
aus. Weit mehr als früher reissen
unsere modernen Verkehrsmittel
die Familien und die Freunde aus-
einander; weit mehr als früher geben
sie Gelegenheit, den Kreis lieber Be-
kannte und Freunde zu erweitern.
Wie sollte man da für Jeden einen
Brief und viele Worte finden? Da
greift man am Sylvester zur Neu-
jahrskarte und sendet seinen Lieben,
Verwandten und Freunden seinen
Neujahrsgruss als Zeichen, dass
man lebt und den Adressaten nicht
vergessen hat. Es ist ein Gruss
3«4
Forrer, Alte und moderne Neujahrswünsche und ihre künstlerische Wiedergeburt.
ohne viele Worte, aber er sagt dennoch viel.
Auch die „Briefträger" und die „Armen''
kommen in jener Zeit nicht zu kurz. Der
enorme Verbrauch solcher Neujahrskarten ge-
stattet der Post, ihr Beamtenmaterial in jenen
Zeiten zu verdoppeln. Den Armen aber gebe
man statt Almosen Arbeit und wohlverdienten
Lohn: statt eine Kunstindustrie zu unterdrücken,
trachte man sie zu heben. Unter diesen Gesichts-
punkten betrachte man die Tausenden von
Arbeitern Brot verschaffende Neujahrskarten-
industric! Hier kann ich nur das Wort aus
„Lady Tartuffe" der Madame de Girardin
wiederholen, wo es heisst:
C.s „Und diese Spitzen! Man könnte mit
den Kosten dafür ioo Arme ernähren"!
B.: „Und jetzt sind es ioo Arbeiter, die
daran verdienen! . ."
Wenn ich also weder jenen unrecht gebe, die
dicNcujahrswünsche eingeschränkt wissenwollen,
noch jenen, die sie beibehalten wissen möchten,
so rede ich doch wesentlich veränderten Neu-
jahrswünschen das Wort — jenen Neujahrswün-
schen, die ich die individuellen nennen und mit
denen ich eine Änderung und Besserung auch
nach der künstlerischen Seite anregen möchte.
Zwei Sturmkolonnen rücken der „Visiten-
karte als Neujahrsgruss" auf den Leib. Die
Ccdruckte Neujahnkanc de» Kunstmaler» l.eon l.ebcgue
in l'ani an Dr. R. Fotrcr.
Gedruckte Neujahrskarte de« Kunstmaler» l.eon l.ckcgiic
in Pari* an I >r. K. Korrcr.
eine geht von Beamten aus, denen es lästig ist,
Neujahrsempfänge zu halten und Neujahrs-
besuche bei den höheren Vorgesetzten zu
machen; denen c.s lästig Lst, diesen Neujahrs-
grüsse zu senden und von ihren Untergebenen
ebensolche zu empfangen. Die andere Be-
wegung geht aus von Künstlern und Kunst-
freunden, von Kunstverständigen, welche die
Ansicht vertreten, dass eine gesunkene Kunst
nicht zu unterdrücken ist, dass »tan sie heben
soll. Unter diesen Gesichtspunkten sind die
„individuellen" Neujahrskarten ausgereift, wie
ich sie im folgenden vorführe.
Was jene kunstlosen vielfarbigen fabriks-
mässig und in grossen Massen hergestellten
Neujahrswünsche dem Gebildeten nicht zubieten
vermögen, was der glatten Visitenkarte im Auge
eines Mannes mit Herz, Gemüt und Kunst-
empfinden fehlt — das finden wir in den Neu-
jahrswünschen vereinigt, wie sie neuerdings
„Mode werden", bei Künstlern bereits üblich ge-
worden sind und ebenso wie die modernen
Exlibris immer mehr in allen Kreisen der Ge-
bildeten Boden rinden. Alles künstlerisch aus-
zugestalten, diese künstlerische Ausgestaltung
individuell zu halten, ist das Prinzip der
modernen Ästhetiker. Die Bucheinbände sollen
— so verlangt der Bibliophile fin de siecle —
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Forrer, Alte and moderne Neuj»hr»wünschc and ihre künstlerische Wiedergebart.
38 S
Neujahrt karte dei Kunitnultr» C.
Spindler in SL Leonhard an Dr.
R. Forrer. Fedcneichnung.
in ihrer Dekoration
dem Inhalte des
Buches entsprechen
— ein Ex-Libris in
seiner Zeichnung
den Bibliotheksbe-
sitzer oder den Cha-
rakter der Bibliothek
kennzeichnen — ein
Neujahrswunsch den
Versender charakte-
risieren. Was Künst-
ler und Kunstge-
werbetreibende in
ihren Erzeugnissen
vermeiden müssen, was uns an Fabrikerzeug-
nissen oft so sehr abstösst — der Eindruck
des „Faörikmässigen" — das ist es, was man
auch bei den Neujahrswünschen vermieden
sehen will. Dieser Eindruck verliert sich, je
mehr man aus dem Bilde, aus dem Ganzen er-
sieht, dass es rein persönlichen Zwecken dient
dass die Zeichnung auf die Person des Ab-
senders Bezug nimmt
Den Anfang zur individuellen Neujahrs-
wunschkarte machten die Künstler. Ihnen lag
dies am nächsten, da sie es ja waren (oder
wenigstens sein sollten), denen die Anfertigung
künstlerischer Neujahrswünsche oblag. Bartsch,
Haller von Hallerstein, Klein u. A. haben
mehrere solcher Neujahrsgrüsse gestochen,
hie und da haben auch seither Künstler und
Kunstbeflissene sich am Neujahr gegenseitig
mit selbst gezeichneten, gemalten oder in
Kupfer gestochenen Grüssen erfreut. Erst in
den letzten Jahren aber hat sich diese Sitte
nicht nur unter den Künstlern allein ausgebreitet,
sondern auch bei Leuten Fuss gefasst, die nicht
selbst zeichnen, malen oder radieren, wohl aber
die Kunst zu verstehen, zu lieben und zu pflegen
wissen. So geht allmählich der von Hans Boesch
schon 1894 in der „Gartenlaube" geäusserte
Wunsch: „Es wäre sehr erfreulich, wenn diese
alte Sitte bei unseren Künstlern wieder in Auf-
nahme käme" in Erfüllung. Unsere modernen
Kunstzeitschriften beginnen auch diesen indivi-
duellen Neujahrskarten ihr Interesse zu schenke^
und bereits im Januar 1896 brachte „Die Kunst
für Alle" die Fascimiles einiger modemer
Neujahrskarten und die Nachricht, dass, dem
Beispiele einiger Düsseldorfer Künstler folgend,
Z. f. B. 1899/1900.
nun auch in München jene Sitte Eingang finde.
Karten von Prof. Franz Simm, Georg Diek-
mann, Adolf Beyer etc. fanden dort Abbildung
und — Beifall. Auch die französische Kunst-
zeitschrift „La Plumc" hat in ihrem Januarhefte
vom Jahre 1898 einige Neujahrswünsche von
De Feure, Leon Lebegue, Roedel, Toulouse-
Lautrec facsimilirt, die „Deutsche Kunst" in
ihrem Januarhefte 1898 eine Neujahrskarte
Liebermanns; „Daheim" und „Velhagen &
Klasings Monatshefte" veröffentlichten mehr-
fach die an sie gesandten Neujahrskarten be-
freundeter Künstler (vergl. auch C. Spindlers
„Illustrirte Elsässische Rundschau", Nr. 3:
A Seyboth, Cartes de nouvel an artistiques).
Man sieht: „'s liegt in der Luft" — allerwärts
beginnt das Interesse für individuelle Neujahrs-
grüsse sich zu regen.
Ich habe in der „Antiquitäten-Zeitschrift"
Januar 1896, dieser Sitte das Wort geredet
„Die Aufhebung der Neujahrswunschkarte ist
der Industrie ein Schlag ins Gesicht und eine
nicht zu entschuldigende Unhöflichkeit gegen-
HAFPV BEVV VTA*
WrSo ciitf no
ICC w/im fdt Jaj»
axe cold, mu»r
make hay whtn
tht S«n thiTiis.
HumorittUcher Neujahngrui»
det Zeichnen Sydney Prentict-Lawrenct an Dr. R. Forrer
Kederjeichnong.
3 86
Forrer, Alte und moderne Neujahrtwunsche und ihre künstlerische Wiedergebutt.
^..U «tri, Jt~4«*.^— J ( 5"
X
•V— i2~.
'Wil«l» n~rt*K-l «.m
f|„iiu *L*1 JmmXM f «» ' W»V**> Ii - W)u M^. Jt >
+rw*^~ <>«~»
fli. €---U~ /»»«*r U. »M O « . »-'3~— —
NnijiKngTtiu von Profeuor Gcorf Eb«ri |f) i« Milachto aa Dr. R. Forrer.
über Freunden und Bekannten. Nicht unter-
drücken, sondern heben sollen wir diese Sitte,
denn wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt
wird, kann sie für uns nur eine Quelle der viel-
fältigsten Freude, der Kunst und der Industrie
zum Segen werden. Dies Ziel zu erreichen,
werden im High life und in der Aristokratie un-
bewusst Anfänge gemacht, denn bereits wird es
bei kunstsinnigen Leuten jener Kreise üblich,
sich alljährlich eine künstlerisch ausgeführte spe-
zielle, ich möchte sagen individuelle Neujahrs-
wunschkarte herzustellen und diese an Ver-
wandte, Freunde und Bekannte zu versenden.
Man lässt sie durch hervorragende Zeichner ent-
werfen und in irgend einer Reproduktionsart ver-
vielfältigen, ja man lässt sogar jede einzelne
Karte mit irgend einer Originalhandzeichnung
versehen, um derart jedem Blatte noch einen
besonderen Wert zu geben. Man erhöht diesen
durch Anbringung von Symbolen oder anderen
Dmgen, welche den Versender speziell charak-
terisieren, und verleiht damit der Karte noch ein
ganz besonderes individuelles Interesse. Jeder
strebt nach etwas Passendem und Originellem,
und es wird dadurch ein wahrer Schatz von
kleinen Erinnerungsblättem
geschaffen, die dadurch nicht
bloss persönlichen, sondern
oft selbst allgemeinen Kunst-
wert beanspruchen können.
Städteansichten wechseln mit
Blättern, auf denen das Portrait
des Versenders Verwendung
findet Der Glückwunsch fliegt
dem Empfänger in den ver-
schiedensten Formen und Far-
ben zu: der „Altertümler"
verwendet je nach Geschmack
ein zierliches Rokoko oder
ein strenges gothisches Orna-
ment als Rahmen für den
Glückwunsch, und der Künst-
ler bringt diesen in Form
einer gehaltvollen Feder- oder
Tuschzeichnung oder in Ge-
stalt einer reizenden Aquarelle
zum Ausdruck. Allein die
derart geschmückten Neujahrswünsche, welche
mir am eben vergangenen Neujahrstage 1896
zugekommen sind, darunter einige wahrhaft
kostbare Kunstwerke in prächtigster Aus-
fuhrung, ergeben für sich eine Sammlung, die
sich sehen lassen darf und jedem Museum
zur Zierde gereichen würde. Und solch eine
Sitte sollte verschwinden? Im Gegenteil: sie
blühe höher und höher, sie verlasse die bana-
len Wege und nehme in der gedachten Richtung
ihren Flug nach oben!" . . .
Seither hat diese Sitte an Umfang gewonnen;
dem guten Beispiele sind andere gefolgt; meine
eigene „Sammlung" hat sich im Laufe der
Jahre gemehrt, und neue Freunde sind zu alten
getreten. So biete ich denn dem freundlichen
Leser hier eine Auswahl all der vielen „indi-
viduellen" Neujahrsgrüsse meiner Freunde, der
die Redaktion dieser Hefte noch eine Reihe
weiterer angefügt hat An Aufmunterung in den
Kreisen der mir befreundeten Künstler habe
ich es nicht fehlen lassen — mit Vergnügen
sah ich, wie sich Jahr für Jahr die Zahl
Derer mehrt, die Freude haben am Schaffen
und am Geniessen solcher Freunde sgrusse.
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Der Ackermann aus Böhmen.
Von
Gustav Karpeles in Berlin.
EJ fff^H 1 nenne ich ein Jubiläum, wert und
vurd 'ß' dass es g eft>iert werde' Ein
_5>y^| t jnfhundertjähriges Jubiläum in einer
Zeit, in der nicht nur der hundertste und der
fünfzigste Geburtstag, sondern auch vierzig- und
dreissig-, ja sogar zwanzigjährige Jubiläen mit
grossem Gepränge begangen zu werden pflegen.
Dieses fünfhundertjährige Jubiläum feiert
eine merkwürdige Prosaschrift aus dem letzten
Jahre des vierzehnten Jahrhunderts, die den
Titel führt: „Der Ackermann aus BoAeim."
Die älteren Literarhistoriker kannten sie nicht.
Erst Friedrich Heinrich von der Hagen hat
durch seine Ausgabe von 1824 die Aufmerk-
samkeit auf sie gelenkt; später ist sie, in der
Literaturgeschichte wenigstens, zu hohem An-
sehen gelangt. Aber bekannt ist sie darum
doch nicht geworden. Es lohnt also wohl die
Mühe, über dieses Buch anlässlich seines grossen
Jubiläums gerade an dieser Stelle ausführlicher
zu sprechen.
In einer merkwürdigen Zeit ist es entstanden
in einer Zeit der Vermischung widerstrebender
Elemente, eines Streites, der sich nicht nur
zwischen den Parteien, sondern oft auch in den
einzelnen vollzieht, schmerzlich, unabsehbar, wie
er ja auch volle zwei Jahrhunderte gewährt
hat „Die alten Ideale, die Einheit der christ-
lichen Völker, das Rittertum mit Heldenhaftig-
keit, Frauen- und Gottesdienst, sie leben noch
in den Gemütern: und doch wie widerstrebt
ihnen die Wirklichkeit, die Natur! Wie er-
heben sich die Nationen gegen jedes gemein-
same Band j wie kämpft das Laientum für sein
Recht gegenüber der Kirche; wie treten die
Städte den Rittern, wie treten innerhalb der
Städte die Zünfte den alten Geschlechtern ent-
gegen!" Auch die Litteratur spiegelt natürlich
diesen Zustand wieder. Die Poesie tritt vor
der, der Wirklichkeit zunächst stehenden Form
der Prosa tief in den Hintergrund; eine wich-
tige Rolle spielen nur die religiösen Traktate,
Predigten und Legenden in dieser von theolo-
gischen Streitigkeiten tief durchwühlten Periode,
und in den Denkmälern geistlicher Prosa ist
es immer und immer wieder der Tod, der
in allen Gestalten und Formen, in allen Unter-
haltungen und Belehrungen uns vor das Auge
tritt Der Tod ist in der That der rechte
Vertreter jener Stimmung, die der Untergang
so grosser Hoffnungen, so herrlicher Ideale,
der ewige Krieg, die schrecklich wütende
Pest hervorrufen musste. Die charakteristischen
Vertreter der Zeitrichtung empfinden eine wahre
Lust daran, ihrem Publikum den Vernichter
alles Irdischen immer wieder von neuem vor
Augen zu fuhren. Der würdigste Ausdruck
dieser Stimmung ist das Werk, das man den
„Ackermann aus Böhmen" nennt.
Sehen wir uns, ehe wir seine Schicksale be-
sprechen, das Werk selbst etwas näher an.
Es ist ein Streitgespräch zwischen dem Tod
und einem Ackersmann, dem er das Weib ge-
raubt, die seines Herzens Trost und seiner
Freuden Hort gewesen: „In dem buchlein ist
beschriben ein kneg, wie einer, dem sein weip
gestorben ist, schiltet den tot: so verantwort
sich der tot. Also setzt der clager ie ein
capitel und der tot das ander bis an das ende.
Der Capitel sind vierunddreissig, darinn man
hübsches sinnes getichtes behendigkeit wol
findet, und beginnet also der Ackermann mit
seiner clage anzuvahen."
Der unglückliche Witwer schilt den Tod
und erhebt die heftigsten Anklagen gegen den
„grimmigen Tilger aller Leute". Der Tod weist
natürlich die Anklage in seiner „Widerrede" zu-
rück, indem er die Vergänglichkeit aller irdischen
Dinge und die Notwendigkeit der Vernichtung
hervorhebt Seine Antwort ist erst mild und
ruhig, dann aber, je heftiger die Klagen des
Witwers werden, voll scharfer Ironie und
bitterem Spott Im dritten Kapitel stellt sich
der Verfasser vor: „Ich bins genant ein acker-
man, von vogelwait ist mein pfiug, ich wone
in Beheimer lande". Dann bricht er in neue
Klagen aus und zum Schlüsse verflucht er den
Tod. Die Widerrede des Todes ist sehr
treffend: ,Je grosser lieb zu bekennen, ie grosser
leit zu emperen lieb. Weib, kint, schätz und
alles irdisch gut muszt dann freude am anfang
und mer leides am ende bringen. Alles irdische
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3«8
Karpelet, Der Ackermann aus Böhmen.
lieb muszt zu leide werden: leit ist liebes ende,
der freuden ende ist trauren, nach lust unlust
muszt kommen, willens ist unwülen. Zu sollichen
ende laufen alle lebendige Ding." Damit ist
natürlich der Ackersmann nicht einverstanden.
Er wirft dem Tode vor, dass er ungerecht sei,
dass er die Guten vernichte und die Bösen be-
stehen lasse: „Nennt mir, mit dem finger weist
mir, wo sint die frommen achtperen Leut, als
vor Zeiten waren? Ich wen, ir hapt sie hin.
Mit in ist mein liep, die usel sint überblieben.
Wo sint sie hin, die auf erden wonten, mit gott
redten, an im hulde, genade und rechnung er-
würben? Wo sint sie hin, die auf erden sassent,
unter der Gestirne umbgenge, unde entschieden
die planeten? Wo sint sie hin, die sinnreichen,
die meisterhaften, die gerechten, die fruchtigen
Leute, von den die kroniken so verre sagen?
Ir hapt alle unde mein zarte ermordet, die sint
all tode". Aber der Tod weiss ihn schlagend
zu widerlegen. So dauert der Kampf noch
lange fort und keiner der Streitenden giebt
nach, bis Gott selbst ihre gegenseitigen An-
klagen schlichtet. Es geschieht dies im 33. Ka-
pitel: „Hie spricht Gott ausz das urteil des
kriegs zwischen dem Tod und dem clager".
Er erinnert die beiden daran, dass alles, was
hienieden entsteht, auf sein Geheiss entstanden
Neujahrskarte dea Kunsthistoriker» Prot Rud. Raho in Zürich
an Dr. R. Forrtr. Faderjeichaunf auf einer Poatkan«.
(Zu Forrer: Alte und moderne Ncujabrswilnsche.)
fltafj .ftob-|forrec- Stra&puxqK-
Neujahrskarte da» Dr. Rob. Forrer in StraaaWf.
Zu Forrer: Alte und moderne* Neujahrswunacue.)
sei, aber alles sei eitel und vergänglich wie der
Tag. Der Kläger beklage seinen Verlust, als
ob er sein Erbrecht gewesen sei, er denkt nicht,
dass sein Weib ihm von Gott verliehen worden
ist Der Tod dagegen rühme sich gewaltiger
Herrschaft, die er doch auch allein vom Schöpfer
zu Lehen empfangen habe. Beide haben Un-
recht. Der Schluss des Kapitels lautet: „Ir
hapt beide wol gefochten. Den zwang leit zu
klagen, diesen da anfertig ung des clagers die
Weiszheit zu sagen. Darum b, clager, la! her
Tod, sige! Jeder Mensch dem Tode das Leben,
den leip der erde, die sele uns pflichtig ist zu
geben".
Das ist der Weisheit letzter Schluss, und
diesem beugt sich der Ackersmann, indem er
mit einem innigen Gebet für das Seelenheil der
Dahingeschiedenen sein Büchlein abschliesst:
„Empfahe gutlichen die sele meiner allerliebsten
frauwen! die ewig ruwe gib ir, mit deinem
gnaden tawe labe sie, unter dem schatten deiner
flu gel behalte sie, nim sie, herre, in die vol-
komen genüge, do genügt — minsten als den
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Karpele«, Der Ackermann tot Böhmen.
389
grasten ; la sie. herre, von dannen sie kommen
ist, wonen in deinem reich bei den uberseligen
geisten V . . .
Schon aus diesem kurzen Auszug ist zu
ersehen, wess Geistes ^
Kind der Verfasser
dieses Büchleins ge-
wesen ist. Aber aus
dem Schluss, dessen
Nachsatz ein Akrosti-
chon bildet, erfahren
wir auch seinen Na-
men: Johannes; den
Namen seiner Gattin
und den seines Wohn-
orts hat er schon im
dritten Kapitel an-
gedeutet Die Frau
hiess Margarethe, und
er lebte zu Saaz in
Böhmen. Eis ist scha-
de, dass das ganze
Büchlein nicht von ei-
nem hervorragenden
Kenner des Zeitstils
im modernen Sinne
erneuert worden. Erst
dann würde man die
Bedeutung desselben
in weiteren Kreisen
würdigen und das
Urteil bestätigen kön-
nen, dass der grösste
neuere Literaturhis-
toriker, G. G.Gervinus,
darüber ausgespro-
chen: „Das kleine
Schriftstück zeugt
von Kenntnis der Al-
ten und ist in einer
eigenen Mischung von
Mystik und Huma-
nistik, man möchte
sagen in dem Geiste
eines Boethius ge-
schrieben, der Kampf der Empfindungen und
des Verstandes des ,Leides und der Weisheit 1
ist darin auf eine Weise voller Geist durch-
geführt. Der Ton der Ironie ist gleich gut
getroffen wie der Ton der tiefgehenden Em-
pfindsamkeit schon der späteren Zeit des XV.
Ntujnhnlurt« dt« Dr. Roh. Forrer in Stfnuburf.
(Zu forrer Alte und modern« N«uj»hnwutuche.)
Jahrhunderts ; der Schreibart nach ist es wohl
das vollkommenste Stück Prosa, das wir in
unserer älteren Litteratur besitzen". Auch
Wilhelm Scherer bestätigt dieses Urteil. Nach
>hm zeigt der Ver-
fasser eine sehr aus-
gebreitete Bildung
und eine sehr kunst-
mässig durchgearbei-
tete Prosazierlichkeit,
gehäufte Bilderfülle
und feierliche Pracht
des Vortrags, dass
wir sein Werk zwar
nicht unbedingt be-
wundern können, es
aber doch unter die
eigentümlichsten lit-
terarischen Erschei-
nungen des Mittelal-
ters rechnen müssen.
Karl Goedeke findet
in dem Dialog „eigen-
tümliche Kraft der
Darstellung undTüch-
tigkeit der Gesin-
nung", und Wilhelm
Wackemagel bezeich-
net es als „eine der
schönsten altdeut-
schenProsaschriften".
Diesen Urteilen ist
kaum etwas hinzuzu-
fügen. Es scheint,
als ob das Buch auch
zu seiner Zeit schon
in hohem Ansehen
gestanden. Der ge-
fei ertste Kanzelredner
des ausgehenden
Jahrhunderts, Johann
Geiler von Kaisers-
berg, nimmt es ein-
mal zum Grundtext
seiner Predigt; eine
Reihe von Handschriften und viele Drucke
vervielfältigen dasselbe und — was das in-
teressanteste ist — schon acht Jahre, nachdem
es entstanden, erscheint eine böhmische Nach-
bildung oder vielmehr Parodie dieses Dialogs,
die die czechischen Kritiker für das Original
393
Kaipele», Der
gehalten oder wenigstens auszugeben versucht
haben.
Mit einer Kühnheit sonder Gleichen haben
sie diese Behauptung selbst in Briefen an Jakob
Grimm und andere grosse deutsche Forscher
noch vor wenigen Jahren festgehalten, bis es
emsigem Gelehrtenfleiss gelungen ist, den
Nachweis zu führen, dass das czechische Gegen-
stück „Tkadlecek" (der Weber) eine Nach-
ahmung oder vielmehr eine Parodie des deut-
schen Werkes sei, und zwar eine recht schlechte
Parodie. Es handelt sich nämlich in dem
czechischen Gegenstück um ein Streitgespräch
zwischen dem Unglück und einem Liebhaber,
dem seine Geliebte, eine Ofenheizerin. untreu
geworden ist. Es kann aber wohl kaum etwas
wertloseres geben, als dieses Werk mit seinem
Anspruch auf Originalität gegenüber der deut-
schen Dichtung. Es schliesst sich zwar genau
dem Gange des Ackersmanns an, nur dass es
die kurzen Kapitel dieses Werkes erweitert und
verbosert, ohne auch nur in einem einzigen
Punkte das Original erreichen zu können, und
x T a St Kraft der Poesie versa & t . kehrt die
Nachbildung doch immer wieder zu dem Vor-
bild zurück. Schliesslich geht aber der Faden
aus, und so ist das Gespräch unvollendet über-
liefert, das die czechischen Litteraturhistoriker
für ein Muster des galanten Stils jener Zeit aus-
gaben und aus dem der grösste czechische
Historiker den seltsamen Schluss gezogen hat
dass schon damals das geistige Übergewicht
im Lande nicht auf Seite der Deutschen, son-
dern bei den eigentlichen Böhmen gewesen sei
Wie sinnlos die Nachbildung sich an das Origi-
nal gehalten hat und wie sehr diejenigen Recht
haben, welche sie eigentlich als eine Parodie
bezeichnen, mögen zwei Beispiele zeigen, welche
Ernst Martin in seinem ausgezeichneten Vortrag
„Uber die deutsche Litteratur in Böhmen im Mittel-
alter"' aus vielen anderen hervorgehoben hat-
„Im .Ackermann' sagt der Tod, er sei von Gott
eingesetzt worden, als dieser zu Adam und Eva
sprach: welches Tages ihr von der Frucht esset,
werdet ihr des Todes sterben. Im .Tkadlecek'
spricht das Unglück: Jhre erste Macht hat sich
gezeigt an dem ersten Menschen Adam darin
dass er durch das Gift des Apfels uns über-
liefert ward, damit er dem ewigen Tod über-
geben werde'. Wo steht nun an jener zitierten
Stelle ein Wort, das diese Behauptung recht-
fertigt? Und noch ein Beispiel, welches zu-
gleich den Charakter des czechischen Werkes
näher kennen lehrt; in einem rührenden und volks-
tumlichen Bild sagt der Ackermann, als er auf
die Kinder zu sprechen kommt: ,Todt ist die
Henne, die solche Hühner beschützt'. Das
wendet Tkadlecek auf seine geliebte Heizerin
folgendermassen an: .Ich bin das einzige Junge
dieser überaus edlen Henne, bei der Brut ver-
kühlt; aus mir wird schon nichts mehr'. Martin
hat Recht, wenn er zu dem Schlüsse gelangt,
dass so nur ein parodistischer Komiker spreche.
Doch wir haben uns schon zu lange bei
dieser armseligen Travestie aufgehalten und wir
kehren wieder zu unserem Werke zurück, das
durch seine humane Gesinnung, durch seine
innige Religiosität, durch den echten Herzens-
ton, der darausspricht, durch die oft hinreissende
Beredsamkeit, mit der es den uralten, echt
menschlichen Konflikt schildert und schlichtet,
durch die künstlerische Form, durch die leb-
hafte Darstellung, durch den Umfang der Kennt-
nisse und der Lektüre, die der Verfasser ver-
rät, in diesem einen Menschen von seltener Her-
zens- und Geistesbildung erkennen lässt Wir
versetzen uns in die Zeit zurück, in der das
Werk entstanden und in der italienischer Huma-
nismus, französische und italienische Kunst
freundliche Aufnahme im Böhmerlande fanden
und die Lehre Wiclifs zuerst weiteren Boden
gewann, „indem sie, neben waldensischen und
anderen Strömungen einhergehend und sich
mit ihnen vermischend, die hussitische Be-
wegung entfesselt, in der ausser dem Refor-
mationsgedanken zum erstenmal das Prinzip
der Nationalität mit der Kraft einer elementaren
Naturgewalt in die Weltgeschichte eintritt."
Einen wirkungsvollen Vorklang dieser Lehre
Wiclifs und die gleiche ethische Grundrichtung
enthält bekanntlich das grosse Gedicht des eng-
lischen Poeten William Langland „Piers Plow-
man", die Vision von Peter dem Pflüger.
Conrad Burdach hat zuerst nachgewiesen, was
bisher noch niemand erkannt hatte,* dass „der
Ackersraann aus Böhmen den Titel und die
' Centralblatt for Bibhothekswetcn. VIII. 152. ,. 3
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Kupeles, Der
391
l Km *
Fiction, dass ein Landenann über die grossen
Welträtsel seine Gedanken ausspricht, und dass
er der Gewissensangst und dem Schrecken vor
dem daherrasenden Todesengel der Pest, die
menschliche, die ewige Natur über die göttliche
Weltordnung gegenüber stellt" dem englischen
Gedicht Langlands, das 1362 entstanden, und
dessen Nachah-
mungen entlehnt
habe. Man kann
aber darum noch
nicht sagen, dass
das englische Ge-
dicht die Quelle
oder, im tieferen
Sinne, das Vorbild
des deutschen Pro-
sawerkes sei ; wohl
aber schwindet mit
dieser Entdeckung
Burdachs die bis-
herige Annahme,
dass der Verfasser
unseres Werkes
Johannes Acker-
mann geheissen
habe und ebenso
fehlt jeder begrün-
dete Anlass, ihn
für einen Lehrer
zu halten. Viel
plausibler ist die
Hypothese , die
Rudolf Wolkan '
aufstellt, dass die-
ser Johann Vogel-
weid oder von der
Vogelweid geheis-
sen habe, da er den
Worten „Ich bin
genannt ein Acker-
mann" hinzufügt „von Vogelwait ist mein Pflug".
So könnte man am Ende gar in dem Ver-
fasser des Ackermanns einen Nachkommen des
grossen Minnesängers vermuten.
Welcher grossen Beliebtheit das Buch in
seiner Zeit sich zu erfreuen hatte, davon zeugen
die verschiedenen Handschriften und die vielen
Neujahrtkune dei KwMUimmlera Dr. Alben Fifdor in
an Dr. R- ForrcT. Silbenriftzeichmmg von We i » e I y
(Zu Forrcri Alle und moderne Neu)*hriwun«cho.)
« Geschichte der deutschen Litteratur in
- Vergl. Ernst Coisminn:
Altertum. XXVHI. 25 tt
Drucke, die es uns überlieferten. Von den
Handschriften sind bis jetzt fünf bekannt.»
Diese Handschriften gehören aber alle der Mitte
des XV. Jahrhunderts an. Die älteste scheint
die in der Königlichen Bibliothek zu Stuttgart
zu sein. (Cod. phil. 23. fol.) Die Jahreszahl
am Schlüsse der Handschrift weist ziemlich deut-
lich auf das Jahr
— I 1449 als das der
Niederschrift hin.
Ausser unserem
Werke sind noch
mehrere andere
Stücke in diesen
Handschriften ver-
einigt. „Der Acker-
mann" umfasst 16
Blätter, von je zwei
Spalten auf der
Seite mit je 32
Zeilen. Diezweite
Handschrift ist die
aus Heidelberg, die
berühmteste von
allen (Cod. Pal.
Germ. 176 fol.). Sie
hat 31 Blätter mit
je 28 Zeilen, ist
aber ohne Jahres-
zahl; ihr Haupt-
schmuck sind die
35 prachtvoll ko-
lorirten Bilder. Auf
jedem dieser Bilder
befinden sich zwei
Figuren, ein Land-
mann mit den
Attributen seines
Standes versehen
und der Tod in
Gestalt eines Men-
schen mit vertrockneter Haut: eine Krone auf
dem Kopfe, ein Scepter oder einen Stab in der
Hand. Auf jedem Bilde ist eine andere Scene
dargestellt, die bald im Freien, bald in einem ab-
geschlossenen Räume sich abspielt Die Farben
sind noch vortrefflich erhalten. Auf dem ersten
Blatte sind zwei Wappen abgebildet: drei
Zeitichrift für
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392
Ktrpele*. Der Ackermann aus Böhmen.
schwarze Geweihe auf gelbem Felde und ein
weisses Kreuz auf rothem Felde, also die Wappen
von Württemberg und Savoyen. Mit Recht
ist daraus geschlossen worden, dass Graf Ulrich
von Württemberg, der Gemahl der Margarethe,
der Tochter Amadeus des VIII., Beschützer
der Handschrift gewesen sei.
Auch die der Zeit nach dritte Handschrift
des „Ackermann" befindet sich in der König-
lichen Handbibliothek zu Stuttgart (Cod. phil.
22). Sie datiert aus dem Jahre 1470; die
Kapitelüberschriften sind mit roter Tinte ge-
» schrieben, ebenso die Initialen, letztere in der
Grösse von drei Zeilen. Die vierte Handschrift
liegt in München (Ggm. 579). Ernst Martin hat
sie mit den übrigen verglichen und ihr eine be-
sondere Bedeutung für den richtigen Text und
für die Sprache des Werkes zugemessen; end-
lich die fünfte Handschrift ist in der grossen
Bibliothek zu Wolfenbüttel (75. ia Ang. foL).
Sie datiert aus dem Jahre 1468 und ist von
Conrad von öttingen geschrieben. Die Kapitel-
überschriften sind mit brauner Tinte geschrieben,
die Initialen haben verschiedene Grösse und
Farbe. Diese Handschrift wird auch von
Lessing erwähnt
Von den Drucken sind nur einige besonders
wichtig. „Der Ackermann aus Böhmen" ist in
einem Jahrhundert mehr als zwölfmal gedruckt
worden; noch im XVI. Jahrhundert wurde er
wiederholt gedruckt. Der älteste dieser Drucke
ist für die Bibliophilen auch der interessanteste
und wichtigste. Ein Exemplar davon befindet
sich im Königlichen Kupferstichkabinet zu Berlin
(D. X. 12) und ist aus dem Besitz des be-
kannten Überpostmeisters von Nagler in das
Königliche Museum gekommen. Andere Exem-
plare sind im British Museum, in der Bibliothek
zu Wolfenbüttel und in der Nationalbibliothek
zu Paris. Druckort und Jahreszahl sind auf dem
ersten Druck nicht angegeben, aber das Stück
ist mit dem Fabelbuch von Boner zusammen-
gebunden, welches bei Pfister zu Bamberg im
Jahre 1461 gedruckt ward. Es stammt aus der-
selben Bamberger Offizin, aus der das erste
deutsche Buch hervorgegangen ist, und auch
aus derselben Zeit Unter den Kunstfreunden ist
dieser Druck berühmt wegen seiner vortreff-
lichen kolorirten Holzschnitte. Schon auf dem
ersten Blatte sehen wir den Tod mit einer Krone
auf einem Throne sitzend, vor ihm ein einfacher
Mann von zwei Knaben begleitet, rechts eine
Frau im Leichentuche auf einem Grabstein.
Seite 3 sitzt der Tod wieder in einer Halle auf
dem Thron und vor ihm steht der Ackersmann;
vorn kniet der Papst und legt die dreifache
Krone nieder, neben ihm ebenso ein weltlicher
Herrscher, ein Mann mit einem Säckel und noch
ein vierter, dessen Bestimmung nicht klar ist
Der dritte Holzschnitt auf Seite 9 zeigt uns
oben den Tod zu Pferde mit Pfeil und Bogen,
zwei Rittern durch ein Burgthor nachjagend,
unten mäht er mit der Sense junge Leute nieder,
hinter ihm stehen Krüppel und Alte; es ist ein
rechter Zug des Todes. Auf dem vierten Holz-
schnitt (17 a) thront der Tod oben im Freien,
vor ihm steht wieder der Ackersmann, unten
links treten Menschen aus einer Klosterpforte,
rechts befindet sich ein Garten, in dem eine
Frau einen Jüngling bekränzt, während eine
zweite mit einem andern sich unterhält Der
letzte Holzschnitt (21b) führt uns eine merk-
würdige Scenerie vor. In der Höhe erscheint
Gott von Wolken getragen, von Engeln und
Sternen umgeben, die Hände erhebend, auf
denen wunde Male sichtbar sind, unten stehen
durch einen Baum getrennt der Tod und der
Ackersmann. Eine genaue Beschreibung dieser
Ausgabe befindet sich in der Bibliotheca spen-
ceriana von Dibdin L (London 18 14.)
Ausser diesem hat noch der zweite Druck
kritischen Wert Das, wie es scheint, einzig
noch vorhandene Exemplar desselben befindet
sich in der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfen-
büttel (19 Z. Eth.). Er ist darum wichtig, weil
aus demselben Gottsched seine Abschrift des
Werkes entnahm, durch die dasselbe in diesem
Jahrhundert erst bekannt wurde. Das Manu-
skript Gottscheds befindet sich auf der König-
lichen Bibliothek zu Dresden und führt den Titel:
„Abschrift eines Gesprächs zwischen einem
Weber und dem Tode, welches ohngefähr 1400
u. etl. sechzig zu Bamberg gedruckt wurde, auf
der Herzoglichen Wolfenbütteler Bibliothek be-
findlich." Der Druck der Abschrift stammt aber
aus einer späteren Handschrift Wertvoll er-
scheint ein Druck von Conrad Finer in Gerr-
hausen aus Esslingen 1574. Der Titel lautet:
nach folgend ettliche zu mole
kluoger und subtiler rede wissend —
Wie einer was genant der acker-
man von bohem dem gar ein schoe-
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393
ne lieb« frowe sin gemattet gestor-
ben was Beschiltet den dot vnd wie der dot
im wider antwurt und setnt also ie ein cappit-
tel vmb das ander der cappittel sind xxy vnd
rahet der ack ermann an also ru clagen.
Unter diesem Titel befindet sich ein Holzschnitt,
der den Bauern mit einem Dreschflegel und
den Tod, mit einer Leichenbinde und mit drei
Schlangen umwunden, darstellt Derselbe Holz-
schnitt findet sich auch noch später, nur dass
hier in der Höhe Gott Vater mit erhobenen
Händen erscheint. Ein dritter Holzschnitt zeigt
einen Kirchhof, wo ein Bauer auf einem Grab-
stein kniet, rechts vor ihm eine Frau im offenen
Grabe, in Leichentücher gehüllt; oben Gott
Vater mit segnend ausgebreiteten Händen.
Ein Druck von Sorg in Augsburg, der sich auf
der Herzoglichen Bibliothek zu Oldenburg be-
findet, scheint mit diesem übereinzustimmen; von
den folgenden Drucken befinden sich fünf auf
der Königlichen Bibliothek zu Berlin.
Der interessanteste ist der ohne Ort und
Jahreszahl und ohne jede Signatur. Er umfasst
36 Blätter und auf dem Titel ist ein kolorierter
Holzschnitt: Die Frau tot auf einem Bette, vor
ihr der Tod mit einem Bogen, hinter ihr der
Ackermann mit einem Dreschflegel; ein anderer
Druck, ebenfalls ohne Ort und Jahreszahl, hat
auf dem Titel mit Holzschnitt den Tod mit
einer Sense, hinter ihm einen Sarg und vom
den Bauer mit einem Dreschflegel Die übrigen
Ausgaben haben sämtlich das Druckjahr an-
gegeben. Zwei sind aus Augsburg und Heidel-
berg; der nächste ist von Johann Schott in
Strassburg x 509 gedruckt und führt zum ersten-
mal den Titel: „Schone red un widerred eins
ackermans und des todes mit scharpffer ent-
scheydung jrs krigs das ein iegklichen vast
nutzliche vnd kurtzweillig zu lesen ist Pax
legentibus." Unter diesem Titel befindet sich
folgender Holzschnitt : Ein Sämann spricht
mit demYTode, dahinter eine Egge, von zwei
Pferden gezogen, auf denen ein Reiter mit der
Peitsche sitzt; hinten ein Bauernhof. Denselben
Titel und dasselbe Bild haben auch die folgen-
den Ausgaben von Martin Flach in Strass-
burg 1520. Es bleibt noch eine Ausgabe, die
bei Rudolf Deck in Basel 1597 erschienen ist
Der Titel ist derselbe, der Holzschnitt aber
stellt den Tod mit einem Stundenglase und
einen Mann im Pelzrock dar. Auch im fol-
z. r. B. 1899,1900.
genden Jahrhundert wurde der Ackermann aus
Böhmen wiederholt gedruckt, aber die Aus-
gaben haben keinen bibliographischen oder
künstlerischen Wert mehr. Ja, es scheint dass
das Werk später sogar in Vergessenheit ge-
raten ist, da Gottsched erst die allgemeine
Aufmerksamkeit darauf lenken musste. In
unserem Jahrhundert hat Friedrich Heinrich von
der Hagen, wie ich schon oben bemerkte, das
Werk erneuert herausgegeben unter dem Titel:
„Der Ackermann ausBöheim, Gespräch zwischen
einem Weber und dem Tode." (Frankfurt a. M.
1824.) Vielleicht war es diese Erneuerung, die
die Aufmerksamkeit der Czechen auf unser
Werk gelenkt hat, denn am Ende desselben
Jahres erscheint das böhmische Gegenstück, der
„Tkadlecek« (Prag 1824), und zwar, wie der
Herausgeber Wenzel Hanka berichtet aus zwei
Papierhandschriften, von denen die eine in der
hov, die andere in der Bibliothek des böhmischen
Museums sich befindet Der Streit über die
Priorität begann aber erst in neuerer Zeit.
Ein tüchtiger deutsch-böhmischer Litteratur-
historiker, Dr. Johann Knuschek, hat den Acker-
mann aus Böhmen in einer guten Ausgabe nach
den besten vorhandenen Quellen als zweiten
Band der Bibliothek der mittelhochdeutschen
Litteratur in Böhmen (Prag 1877) herausgegeben
und mit dem czechischen Gegenstück genau
verglichen. Das Resultat habe ich bereits oben
mitgeteilt Durch die Ausgabe Kniescheks ist
die kleine, aber in vielen Beziehungen sehr
wichtige Schrift wieder zu ihrer vollen Geltung
gelangt. Wir können jetzt das bedeutsamste
Stück deutscher Prosa aus jener Zeit genau
studieren und uns an dem Inhalt dieses merk-
würdigen Prozesses zwischen dem Tode und
dem unglücklichen Wittwer sowie an der muster-
haften Darstellung erfreuen, wenn in diesem
traurigen Prozesse überhaupt von Freude die
Rede sein könnte. In jedem Falle aber ge-
winnen wir durch eine aufmerksame Lektüre
den Verfasser dieses Werkes zum Freunde.
Wir lernen ihn als einen Mann von Geist Ge-
müt und Geschick kennen, der sich zwar von
dem Tode wacker ausschimpfen lässt der aber
doch sich als ein weiser und edler Mensch im
Laufe des Prozesses erweist so dass der höchste
Richter ihn mit allen Ehren aus dem Kampfe
scheiden lässt Die Lektüre mahnt uns von
So
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394
Schnorrenberg, Heinrich LemperU sen. und »eine Goethe-Swnmlung.
an das alte wahre Wort des Mathias freudige Gläubigkeit des Ackermanns auch in
Claudius: „Der Tod ist ein eigener Mann und
ein guter Professor moralium, und es ist ein
grosser Gewinn, alles, was man thut, wie vor
seinem Katheder, wie vor seinen Augen zu thun."
Darüber hinaus erwecken die Zuversicht und die
uns den alten poetischen Trost:
Was wir bergen in den Särgen,
Es gehört der Zeitl
Was wir lieben, ist geblieben,
Bleibt in Ewigkeit I
Heinrich Lempertz sen. und seine Goethe-Sammlung.
Von
Jakob Schnorrenberg in Köln.
|m 7. Februar 1898 schied in Köln ein
Mann aus dem Leben, dessen Sammel-
thätigkeit es verdient, auch in diesen
Blättern ein Plätzchen der Besprechung
zu erhalten: Hänrtih Lempertt sen., der frühere
langjährige Besitzer der weitbekannten antiquari-
schen Buch- und Kunsthandlung J. M. Heberle
(H. Lempertz' Söhne). Da nach seinem Hinscheiden
eine ihn und seine Thätigkeit eingehend würdigende
Biographie erschienen ist (Heinrich Lempertz. Ein
I-ebensbild von G. Hölscher. Sonderabdruck aus
dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel,
1898, Nr. 57 und 58), so kann ich es an dieser
Stelle unterlassen, auf den äusseren Lebensgang
des hochbedeutenden Mannes einzugehen, dagegen
sei der Besprechung seiner Sammlungen ein grösserer
Raum gewidmet. H. Lempertz sen. war ein Sammler
„von peinlicher Gewissenhaftigkeit und hingebender
Treue, welche auch das Kleinste beachtete und
bewahrte, ohne das Grosse darüber zu vergessen,
und seine Thätigkeit hat sich zu einer vorbildlichen
und wahrhaft segensreichen gestaltet". Nimmt man
dazu, dass der verständnisvolle Sammler zugleich ein
„gelehrter Bibliograph" war und berücksichtigt man
die Stellung, welche er als Besitzer eines der be-
deutendsten Antiquar- und Bücherauktionsgeschäfte
Deutschlands einnahm, so wird man es wohl be-
greifen können, dass seine Sammlungen wahre
Schätze bergen, die zu heben nunmehr Aufgabe
der gelehrten Welt sein wird.
Einzelne Teile der Sammlung H. Lempertz
sen. sind bereits verkauft worden, so am 17. und
18. Oktober 1898 seine Gemälde, am 24. bis 26.
November desselben Jahres seine Kunstsammlung
(Arbeiten in Thon, Fayencen und Porzellane,
Arbeiten in Glas, Email und Elfenbein, Arbeiten
in Metall, Miniaturen, Textile, Waffen und
römische Antiquitäten), am 8. bis 15. November
1899 endlich seine numismatisch-sphragistischen
Sammlungen; ausführliche, mit Illustrationen ver-
sehene Kataloge liegen darüber vor. Unverkauft
und noch im Besitze der Erben sind folgende
Abteilungen der Sammlung: Albrecht Dürer,
Coloniensia, Americana, Russica und Polonica,
die Autographensammlung in einzelnen Unterab-
teilungen wie Reformation, Dreissigjähriger Krieg,
Fürsten, Gelehrte, Dichter etc., der Weimarer
Musenhof, die Holzschnitt-, Initialen- und Zier-
leisten-Sammlung, Topographica, das Rafael-Werk,
Kupferstiche und Radierungen mit Einschluss
von Porträts, Handzeichnungen, Typographica,
Urkunden, Wasserzeichen, Musik und Theater,
Klinstierhandschriften, illustriert durch Bildnisse etc.,
Anglicana, die Bibliothek und Arbeiten von Prof
Georg Osterwald als Illustration seines Schaffens
und Wirkens.
Von den hier genannten Abteilungen möge zu-
nächst diejenige eine Besprechung erfahren, welche
Goethe im Mittelpunkte seiner Zeit benannt ist;
stehen wir doch noch im Zeichen des Goethe-
Jubelsommers, der nun in diesen Blättern nach und
ausklingen soll.
Die ganze Sammlung umfasst ungefähr 1500
Einzelnummern und besteht aus Autographen, histo-
rischen Dokumenten, Portraits sowie sonstigen bild-
lichen Darstellungen, Medaillen und anderen Er-
innerungszeichen; sie liefert ein getreues Bild von
dem Leben, dem Wirken, den Leistungen und den
Einflüssen nicht nur des Dichterfürsten selbst, son-
dern fast sämtlicher Personen, welche in seinen
Kreis getreten sind.
In ganz hervorragender Weise schon führt sich
die Sammlung durch eine stattiiehe Reihe — es
sind 86 Stück - von Goethe-Bildnissen ein. Sie
führen den Dichter in allen Altersstufen vor, und
die Betrachtung derselben ist um so interessanter,
als man die Wahrnehmung macht, dass die Grund-
linien der Züge Goethes, so namendich im Bau
der Nase und des Kinns, derartige Verschiedenheiten
aufweisen, dass man, hält man einige Bilder neben-
einander, wirklich zuweilen im Zweifel sein kann, ob
man ein und dieselbe Person vor Augen hat Im
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395
Alter ergiebt sich zwar eine ziemliche Gleichmässig-
keit der Darstellung, in den jüngeren Jahren da-
gegen sind die Verschiedenheiten auffallend gross.
Besonderes Interesse nehmen die Bildnisse Goethes
aus Lavaters Physiognomik in Anspruch, Schatten-
risse, von denen einzelne in unveröffentlichten
Probedrucken vorliegen, die, bei Rollett und Zarncke
fehlend, handschriftliche
Goethes Mutter aufweisen.
In der Abteilung Goethes Kindheit und Knaben-
Jahre (1749 — 65) ziehen vor allem die Abbil-
dungen der Goethe-Stätten in Frankfurt a. M., sowie
diejenigen der Eltern, Verwandten und Bekannten
des Dichters den Blick auf sich, namentlich eine
fein in Tusche ausgeführte und handschriftlich be-
zeichnete Silhouette, welche Goethes Vater dar-
stellen soll, sowie das Brustbild von Goethes
Schwester Cornelia, nach einer eigenhändigen Zeich-
nung des Dichters in Lithographie ausgeführt Die
Mutter ist, ausser in verschiedenen Bildnissen, mit
einem schönen eigenhändigen (Gevatterin-) Brief
vertreten — man weiss ja, dass ihre Autographe
sehr selten in den Handel kommen (Abb. 1). Aus
dem Goetheschen Bekanntenkreise thun sich vor
allem die Künstler hervor, welche der Rat Goethe
und der in dessen Hause einquartierte Königs-
lieutenant Graf Thoranc beschäftigte, so der Maler
und Radierer Johann Andreas Benjamin Nothnagel,
der pfälzische Hofmaler Trautmann, Vater und
Sohn, sowie der Maler und Radierer Schütz sen.,
welchen der junge Wolfgang bei ihren Arbeiten oft
zusah und deren Umgang recht anregenden Einfluss
auf ihn ausübte. Auch der Dichter Friedrich Max
v. Klinger, der die „Sturm- und Drangperiode" er-
öffnete, zahlte zu Goethes Jugendbekanntschaften
in Frankfurt, wenn auch der gesellschaftliche Ab-
stand zwischen dem Sohne des „Kaiserlichen Re-
sidenten und Wirklichen Rats" und dem einer ge-
radezu ärmlichen Sphäre angehangen Knaben ein
grosser gewesen sein mag; von Klinger liegen
mehrere Porträts und zwei besonders interessante
Schreiben vor.
Die nunmehr folgenden Studentenjahre Goethes
in Leipzig und in Strasburg (1765 — 71) sind in
der Lempertzschen Sammlung ausserordentlich reich-
haltig und eingehend illustriert. Nicht nur, dass wir
Abbildungen von Leipzig zur Zeit Goethes sowie
der von ihm gern besuchten Stätten vorfinden —
alle Professoren, mit denen er in Berührung trat,
das Theater, das ihn so
sehr anzog, die Künsder-
familien Oeser und Stock,
die sonstigen geselligen
Kreise beim Wein wirt Schön-
kopf: sie alle treten uns in
Wort und Bild entgegen.
Das grösste Interesse in-
dessen nehmen für sich in
Anspruch vier Originalhand
Zeichnungen Goethes aus
seiner Leipziger Zeit: eine
1
bewachsene Landschaftspartie mit Baulichkeiten
und felsigen Anhöhen, sowie drei Vignetten, eben-
falls landschaftliche Scenerien darstellend, welche
er unter der Leitung des trefflichen Malers Oeser
in Sepia anfertigte. Jeder, der die in Weimar und
sonstwo befindlichen Handzeichnungen Goethes
kennt, wird schon aus dem Vergleiche dieser mit
den vorliegenden die Lempertzschen für unzweifel-
haft echt erklären mUssen, ganz abgesehen davon,
dass Lempertz selbst, Autorität in allem, was hier
in Betracht kommt, sie stets als Originale erklärt
und als bedeutsamen Schatz seiner Goethe-Samm-
lung gehütet hat (Abb. 8). Zwei von Goethe im
Jahre 1767 in Leipzig gefertigte Radierungen —
Landschaften mit Wasserfall, von Gebüsch umgeben
— nach Zeichnungen des Hofmalers A. Thiele,
stellen sich den vorhin besprochenen Handzeich-
nungen würdig zur Seite, zumal da sie in selten
schönen, alten Abdrücken vorliegen ; Goethe selbst
hatte später in seinen reichen Sammlungen nur
noch von der zweiten Platte einen Abdruck (vgL
Sehuehardt, Goethes Kunstsammlungen I, 142).
Noch eine andere Feder- und Sepiazeichnung, zwar
nicht von Goethe selbst angefertigt, ihn aber zur
Darstellung bringend und von einem aus seinem
Leipziger Bekanntenkreise ausgeführt, zieht den
Blick der Beschauer auf sich: ein von J. S. Bach,
dem Schüler und Freunde Oesers, Enkel des
grossen Seb. Bach, ausgearbeitetes Blatt „Opferung
dem Schlafe". Es stellt einen Gartenpark dar, in
welchem ein Jüngling, der Freund Goethes, Beh-
nisch, eine Dame, Wilhelmine Oeser, führt, die
einen Kranz auf ein Steinmonument niederlegt;
auf der Treppe vor einem Pavillon ruhen ermüdet
ein Herr und zwei Damen aus; ersterer ist Goethe,
die Damen sollen Friederike Oeser und deren
Freundin Käthchen Schönkopf darstellen. Das
reizend im Stile und in der Auffassung jener Zeit
gezeichnete Blatt ist um so interessanter, als es
uns gerade diejenigen Persönlichkeiten vorführt,
mit welchen der Leipziger Student in herzlicher,
andauernder Freundschaft verbunden war «Abb. 9).
Während Goethes Strassburger Studentenzeit ist
besonders wertvoll für ihn geworden die Bekannt-
schaft mit Herder und mit Johann Heinrich Jung
gen. Stilling; von beiden Männern weist unsere
Sammlung eine ganze Reihe von Bildnissen, eigen-
händigen, auch inhaltlich bemerkenswerten Briefen
und sonstigen Erinnerungszeichen auf. Die Be-
ziehungen Goethes zum
Pfarrhause in Sesenheim
sind durch einen Brief des
Bonner Professors Naeke
illustriert, der in diesem auf
seinen Aufsatz „Wallfahrt
nach Sesenheim" Bezug
nimmt und schreibt, dass
das Goethe eingesandte
Manuskript ,jiiesen höchlich
interessirt, ja bewegt habe 11
und dass der Dichter das
der Malier Go.thet.
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396
Schriftstück ,jnit einem schönen Biaüe, vom jr.
Januar aj. dotirt, zurückgesandt . . ."
Die nunmehr folgende Abteilung, Goethes Ein-
tritt in das /rahtische Leben und in die Litteratur
(i 771 — 75), hat hauptsächlich des Dichters Aufent-
halt in Wetzlar, am Rhein und in der Schweiz
zum Gegenstande der Darstellung. Am enteren
Platze ist es naturgemäss Charlotte K estner, geb.
Buff, das Urbild der Lotte in Goethes Werther,
welche das Hauptinteresse auf sich vereinigt Bild-
nisse und besonders ein eigenhändiges Schreiben
von ihr — ihre Autographe sind sehr selten —
liegen vor (Abb. a); auch ihre Tochter gleichen
Vornamens und ihr Sohn Georg Christian blicken
uns im Bilde entgegen; von letzterem ist das Eigen-
bildnis in Bleistiftzeichnung vorhanden, 1842 in
Rom charakteristisch in der Weise der damals
dort lebenden deutschen Künstler gezeichnet
In den Rheinlanden war Düsseldorf das Cen-
trum der niederrheinischen Schöngeister und da-
selbst besonders das Haus der Gebrüder Jacobi,
Johann Georgs und Friedrich Heinrichs, das Ziel
von Goethes Rheinreisen, und darum eröffnet der
Düsseldorfer Kreis mit den genannten und ihrem
Anhange denjenigen Teil der Lempertzschen Samm-
lung, der Goethes Beziehungen zu den Rheinlanden
AM». 1. HuxUchcift too Cbirlottc Iillt<r.
zum Ausdrucke bringen solL Ausser den Briefen
des deutschen Plato, Fr. Heinr. Jacobi, die inhalt-
lich höchst anregend sind und des öfteren sich
mit der Person Goethes befassen, interessiert be-
sonders ein Brief Goethes an v. Schlichtegroll
in München, worin er u. a. bittet, seinen Freund
Jacobi auf das allerbeste zu grüssen, dessen Werk —
gemeint ist wohl dasjenige „Von den göttlichen
Dingen und ihrer Offenbarung" — er mit vielem
Anteil, ja wiederholt gelesen habe. „Frey lieh tritt
er mir der lieben Natur*' — so fahrt Goethe fort —
„wie man tu sagen pflegt, etwas tu nahe; allein
das verarge ich ihm nicht. Nach seiner Natur
und dem Wege, dm er von jeher genommen, muss
sein Gott rieh immer mehr von der Welt abson-
dern, da der Meinige sich immer mehr in sie ver-
schlingt . .
In Köln hat „Goethes Herz warm geschlagen
und er hat hier einige seiner herrlichsten Augen-
blicke gelebt". Warum soll man es da Lempertz,
einem geborenen Kölner, verdenken,
dass er in seiner Goethe-Sammlung gerade
dem Aufenthalte des Dichterfürsten in
Rheinlands Metropole ein breites Kapitel
seiner Sammelthätigkeit gewidmet hat
Doch nur das Hauptsächlichste finde hier
Erwähnung. Eine Abbildung des Gast-
hofes Zum Geist in Köln, „sehr angenehm
gelegen am Ufer des Rheins", wo Goethe
am 24. Juli 1774 einkehrte, eröffnet den
Reigen (Abb. 3). Es folgen drei eigen-
händige Briefe des Altmeisters an den
Maler Jos. Hoffmann, von denen gerade
einer die Kölner sehr interessieren wird,
da Goethe in ihm den Maler ersucht,
„ihm ein Xästehen mit sechs Gläsern Bau
de Cologne tu überschicken ... Es ist
dieses wohlriechende Wasser seit den Ver-
wirrungen der Zeit schwer bey uns tu
haben . . ." Was hätten die Düsseldorfer
dafür gegeben, hätten sie mit einem
ähnlichen Wunsch des Dichterfürsten be-
züglich ihres weltberühmten Senfs auf ihrer
Goethe - Ausstellung paradieren können !
Der Staats minister von Stein, mit welchem
Goethe 1815 seine Fahrt zu den Kunst-
schätzen am Rhein unternahm, der Kölner
Gelehrte und Sammler Franz Ferd. Wallraf,
die Gebrüder Sulpiz und Melchior Boisseree,
ihr gleichgesinnter Freund Bertram, der
Kunstforscher und Priester Fochem, der
Domvikar Hardy, der besonders imWachs-
bossieren sich hervorthat und dessen Kunst-
arbeiten Goethe lebhaft anzogen — sie
alle treten uns in Bild und Wort entgegen
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Schnorrenberg, Heinrich Lempertz gen. and »eine Goethe-Sammlung.
397
Abb. 4. Hudtchrift von Christian« Vulpiui im SchluiM «inet Brlefct de* S«krttfr» Riemer.
und beweisen die engen Beziehungen des Altmeisters
zu Köln.
Was von Bonner gelehrten Persönlichkeiten in
des Dichters Kreis getreten ist, schliesst sich hier
an, vor allem der Kunstsammler und Kanonicus
Franz Pick, der berühmte Anatom, Archäolog und
Kupferstecher d' Alton, der Botaniker Max v. Esen-
beck, der Mineraloge Nose u. a.
Im Mittelpunkte der Schweizer Reisen steht
naturgemass Lavater, der Verfasser der Physiogno-
mischen Fragmente. Eine grosse Auswahl von
Porträts führt uns sein Bild lebendig vor Augen,
und viele eigenhändige Briefe von ihm und Sen-
tenzen unter Bildnissen charakterisieren ihn auf
das glücklichste, so dass man sich allein schon
aus dem, was die Sammlung Lempertz von ihm
bietet, ein völlig genügendes Bild des zu seiner Zeit
so hochgeschätzten Mannes machen kann. Aus
manchem seiner Briefe kann man auch Goethes
Anteil an den Physiognomischen Fragmenten er-
sehen. In dieser Abteilung haben zugleich Bildnisse
und Briefe der Gebrüder Grafen von Stolberg Platz
gefunden, mit welchen Goethe im Juni 1775 ' n
die Schweiz ging, femer des Grafen von Haugwitz,
den er bei den erstgenannten kennen lernte, und
selbstverständlich auch derjenigen, deren Bekannt-
schaft Goethe in der Schweiz machte. Vor allem
nimmt hier hohes Interesse in
Anspruch ein Brustbild des Bauern
Kleinjogg (Jakob Gujer) von
Wermetschweil im Kanton Zürich,
ein anonymer Kupferstich, im
Probedruck mit aufgeschriebener
Bezeichnung von der Hand der
Mutter Goethes. Der geistreich
wiedergegebene Kopf ist augen-
scheinlich Dilettantenarbeit und
ganz gewiss einer der Radier-
versuche Goethes in Frankfurt,
die ihm ja auch mehrfach durch das
Einatmen der scharfen Dämpfe
Halsentzündungen verursachten.
Das Blatt dürfte vor der ersten
Schweizerreise nach einer Zeich-
nung Schmolte entstanden sein.
Nun folgt in Goethes Lebens-
laufe die grosse Weimarer Periode ;
sie zeigt uns den Dichter auf der
Höhe seines Schaffens undWirkens,
und wenn schon die vorher-
gehenden Lebensabschnitte in der
Abb. 5. Silhouette WieUndl
von Gotlhel Hud aui dem Jahre 1776.
Sammlung Lempertz' so eingehend und hervorragend
illustriert sind, so ist dies jetzt in noch weit höherem
Masse als bisher der Fall; doch auch hier muss
ich mich darauf beschränken, nur das Allerbedeut-
samste und Hervorragendste kurz zu besprechen.
Die Herzogin Anna Amalia, die den Hof zu
Weimar zum Sitze der Musen machte, nimmt natu r -
gemäss an dieser Stelle den breitesten Raum ein.
Besonders interessieren hier einige Briefe von ihr
an den schon erwähnten Maler Oeser in Leipzig,
der ihr Lehrer im Zeichnen und Malen war, die
von dem herzlich freundlichen Verkehr der hohen
Dame mit ihrer Umgebung beredtes Zeugnis ab-
legen. An dieser Stelle liegt auch ein Brief Maria
Theresias vor, den sie zur Vermählung Anna Amalias
mit Herzog Ernst August Co ns tantin nach Weimar
gesandt und worin sie sich als „gutwillige Muhm"
unterzeichnet Auch von den zum Hofe gehörigen
Persönlichkeiten, wie vom Oberbaudirektor Coudray,
dem Oberhofmeister Einsiedel, der Hofdame v.Göch-
hausen, dem Hofmeister Knebel, dem Grafen Schlitz
gen. v. Görtz, dem Hofrat Soret, dem Staatsminister
v. Voigt und anderen liegen interessante Briefe
und Bilder vor. Von Goethe selbst stossen wir
hier auf ein Briefchen mit eigenhändiger Unter-
schrift vom 16. Januar 1826, in dem der Wunsch
enthalten, ,/fie kleinsten Carneol- oder C ha Icedon-
Steine, welche Herr Facius besitzt,
tu sehen oder tu erfahren, wo
dergleichen, tu Ringen geeignet,
auswärts wohl tu haben wären."
Ein grosser Goldring Goethes ist
beigegeben, mit einer ovalen
Carneol -Gemme, Philosoph mit
Schüler darstellend, ein trefflich
erhaltenes, kostbares Stück. Noch
mehrere eigenhändige Briefe
Goethes fügen sich an, so einer
an den Professor John gerichtet,
in dem er um Fischers Prodro-
mus Cranologiae Comparatae
bittet Goethes Gattin, Christiane
Vulpius, blickt uns im Bilde ent-
gegen; ihre Schriftzüge in einer
Zeüe Unterschrift finden wir auf
einem Briefe von der Hand des
Sekretärs Riemer; sie verraten,
dass die Schreiberin es nicht gut
verstand, mit der Feder umzu-
gehen, so eckig und unbeholfen
sehen sie aus (Abb. 4). Ein
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398
Schnorrenberg, Heinrich Lcmpertz sen. und seine Goethe-Sammlung.
0%- ^^^^
Abb. 6. Handichrift der Herwgin Anna Amnlia von Weimar.
Aui einem Briefe an Merck rom t$. Februar 17I7.
schöner Brief von Goethes Sohn August vom 12. Juli
1828 beschäftigt sich mit dem Aufenthalte seines
Vaters auf dem Herzoglichen Schlosse in Dornburg
a. d. Saale; er spricht seine Freude darüber aus,
dass es seinem Vater dort gefalle, der sich einen
ruhigen ländlichen Aufenthalt gewünscht habe.
Auch Briefe von Goethes Schwiegertochter sowie
von seinem Schwager Vulpius liegen hier vor und
handeln zum Teil von der Person des Dichters. An
seine Familie schliessen sich die Freundschafts-
beziehungen und vereinzelten Berührungen Goethes
mit Männern und Frauen seiner Zeit an. Es würde
den Rahmen der vorliegenden Skizze aber bei weitem
Uberschreiten, wollte ich ihnen allen hier auch nur
wenige Worte widmen. Summarisch sei gesagt,
dass fast alle Beziehungen, welche Goethe nunmehr
in Weimar und von Weimar aus anknüpfte, in aus-
giebigster Weise in der Lempertzschen Sammlung
ihren Ausdruck gefunden haben. Da interessiert
vor allem ein Brief des Dichters und Biographen
Heinr. Döring in Jena vom 18. April 1815 durch
die in ihm niedergelegte Charakteristik Goethes.
„Bei Goethe, der im Dezember des vorigen Jahres
sich hier in Jena au/hie/t, Hess ich mich meiden,
und wurde sehr höflich, ja zuvorkommend aufge-
nommen , obgleich man mir vorher seinen Stob, ja
seine Geringschätzung gegen Fremde mit den leb-
haftesten Farben schilderte... Goethe ist ein Mann
von mittlerer Grösse, stark und kräftig gebaut, von
blühender Farbe, schwanen Augen, tiner gebogenen
Nase; kurz er hat ein echt griechisches Ansehen,
wie wir es auf alten Gemälden oder Büsten tu er-
blicken geivohnt sind. Er unterhielt sich beinahe
eine Stunde mit mir von Dantigs Schicksalen,
mannigfachen wissenschaftlichen Fächern, und meinen
Studien, wobei er Gelegenheit nahm, mir die Natur-
wissenschaften zu empfehlen, indem uns, wie er
sagte, durch dies Studium allein die Schuppen vom
Auge fielen . . ." Von den Briefen Eckermanns
nimmt hervorragendes Interesse derjenige in An-
spruch, der, an den Staatsrat Schultze in Breslau
im Auftrage von Goethes Schwiegertochter gerichtet,
die letzten Tage der Krankheit des Dichters aus-
führlich schildert, seinen Tod und das Aussehen
der Leiche. Ein Brief des Malers Theobald v. Oer,
der dem Leichenbegängnisse beigewohnt hatte,
schildert dasselbe also: „Das Leichengefolge, das
sich in den Zimmern des ersten Stocks versammelt,
war nicht so zahlreich als ich gedacht, Vielleicht weil
über die Zeit der
Bey setxung vor-
aus gar nichts
bekannt gewor-
den war. Auch
wenige Ordnung und W ür-
de des Condukts. Selbst
das schwarz gekleidete Ge-
folge ging ohne Ordnung,
dann aber drängte sich
alles hinein, namentlich an
Haufen Jenaer Studenten, über die ich mich ärgerte,
da sie in lächerlichsten Renommistenhabitus mit
langen Bärten, ohne Halsbinden mit Farbmütten,
weissen, grünen pp. Flaussröeken u. Piqueschen, sogar
einige mit Knittän u. die Pfeifen aus der Tasche
stehend, sich dazwischen schoben, so dass die Wachen
am Eingang in das Mausoleum mit Gewalt die un-
anständig aufgezogene Schaar zurückweisen mussten,
worüber erbittert sie hinterher sehr unruhig gewesen
seyn sollen." Göschen, der Verleger der Werke
Goethes, Schillers und anderer Geistesheroen, fällt
in einem Briefe vom 12. Januar 1827 ein sehr
auffälliges Urteil über Goethe, Schiller undThümmeL
Es heisst da unter anderem: „Allerdings haben
Schiller u. Göthe manches auf ihrem Gewissen, das
den Gehorsam gegen die Gesetze lockergemacht hat. ..
Bei Schiller lag die Ursache in seiner Neigung,
Aufsehen zu machen, durch Originalität; bei Göthe
in seiner Verachtung der Menschheit und in der Wert-
schätzung seines fchs; bei Thümmel in der Nagung,
seinen sinnlichen Vergnügungen keine Sehranken zu
setzen . . . Schiller war etwas bequem und weichlich.
Er mochte nicht gerne viel thun, aber gern viel ge-
messen. Dabei standen seine Finanzen schlecht; die
Schriftstellern sollte diese verbessern, damit sie das
konnte, musste er originell und auffallend sein. So
sind seine ersten Schriften, doch führte ihn sein
guter Genius zu der Erhabenheit und Grösse, die
er in seinen späteren Schriften zeigt . . ." Wieland
ist ausser eigenen beachtenswerten Briefen durch
eine in Tusche gezeichnete Silhouette vertreten, die
von Goethe 1776 angefertigt worden (Abb. 5).
In diesem Jahre beschäftigte sich letzterer viel
mit Kunst, zeichnete, silhouettierte, malte u. s. w.
Am 24. Juni 1776 zeichnete er Wieland in seinem
Garten; er traf ihn besser, als es einem Maler ge-
lungen und doch wollte er ihn noch einmal malen.
„Der Hauptumstand ist", schreibt Wieland an Merck,
„dass es Goethe und con amore gemalt hat" Die
Silhouette der Lempertzschen Sammlung ist auf
Weimarer Hofpapier gezeichnet mit dem verzierten
Rande als Wassermarke, das von Goethe viellach
gebraucht wurde. Auch von Goethes langjährigem
Freunde Karl Fr. Zelter, dem bedeutenden Ge-
sangskomponisten und Stifter der ersten „Lieder-
tafel" in Berlin, liegen mehrere Briefe vor, von
denen besonders einer interessiert, den er aus Wies-
baden am 29. und 30. August 18 14 an den Staats-
rat Schultze in Breslau geschrieben hat und in
störte mich die
Abb. j. Handicbnlt der Anyeli g» Kauf f manu. Au« einem Uriefe an ihren Vater.
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Abb. 8. Faciimile «in« Or Igl o«lhandi e i chnu lg Goethe».
Abb. 9. ..Opferung dem Schlafe." Facsimile einer Sepiaieichnunj von J. S. Bach.
/.tiU<kr,Jl Jxr ßm, IttrjTrunJe IB.
Zm £ kmorrtnife : fMlHdk I^mfrrU m. und ttitu C<vtAt-^m>*l*n{.
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Schnorrenberg, Heinrich Lcmpertt sen. und «eine Goethe
399
Klopslockt. Am .
welchem viel von Goethe die Rede ist, den er
glücklich beredet habe, mit nach Wiesbaden zu
kommen, wo er gesund wie ein Fisch sei, obwohl
er gegenwärtig an einem verdorbenen Magen leide.
Am Geburtstage Goethes habe er alle Hände voll
zu thun gehabt, um zu verhindern, dass nicht
Aufruhr in Wiesbaden entstehe, indem er sagte,
Goethe gehe von dannen, wie er denn auch in
Biberich beim Herzoge von Nassau zur Tafel
gewesen sei.
Nunmehr treten uns die Frauengestalten aus
Goethes Leben hier im Bilde und im geschriebenen
Worte entgegen: Elisabeth von Arnim, die Freün
von Egloffstein mit ihren Töchtern, Minna Herz-
lieb, Charlotte v. Kalb, Ulrike v. Levetzow, die
erst vor kurzem im 96. Lebensjahre dem irdischen
Dasein entrückt wurde, Johanna Schopenhauer
nebst ihrer Tochter Adele, Charlotte v. Stein, Ma-
rianne v. Willemer und wie sie alle heissen mögen.
Manche dieser Briefe haben Goethe zum Gegen-
stande der Mitteilung, besonders aber ist dies von
2 1 ausführlichen Briefen der Schriftstellerin Johanna
Schopenhauer an ihren Sohn Arthur, den Philo-
sophen, zu sagen, die, wie Düntzer in den Abhand-
lungen zu Goethes Leben und Werken I, S. 115
sagt, für ihre erste Verbindung mit Weimar, ganz
besonders mit Goethe, höchst bedeutend sind und
eine empfindliche Lücke unserer Kenntnis von
Goethes Leben ausfüllen. Ich lasse zur Charakte-
risierung dieser höchst wertvollen Briefsammlung
nur einen Passus folgen, mit dem Bemerken, dass
alle übrigen Briefe in gleicher Art abgefasst sind
und die interessantesten Urteile über Goethes täg-
liche Gewohnheiten in Weimar zu unserer Kenntniss
bringen. Der in Frage stehende Brief Johanna
Schoppenhauers, vom 5. Januar 1807 datiert,
handelt von den Erlebnissen der verflossenen Feier-
tage (Weihnachten und Neujahr) und von einem
Besuche Goethes im Hause Schopenhauer an einem
dieser Tage. Im Verfolg des Schreibens heisst es
unter anderem: „Goethe ist ein unbeschreibliches
Warn., das höchste wie das kleinste ergreift er, so
rt, «.
sass er denn den ersten Feyertag im leisten meiner
drey Zimmer mit AdeUn und der jüngsten Conta,
einem hübschen, unbefangenen /6jährigen A fddchen,
wir sahen von weitem der lebhaften Conversation
zwischen den dreyen zu, ohne sie tu verstehen, zuletzt
gingen alle 3 hinaus und kamen lange nicht wieder.
Goähe war mit den Kindern in Sophiens Zimmer
gegangen, hatte sich dort hingesetzt und sich Adelens
Herrlichkeiten »eigen lassen, alles Stück vor Stück
besehen, die Puppen nach der Reihe tanzen lassen
und kam nun mit den frohen Kindern und einem
so lieben milden Gesicht zurück, wovon kein Mensch
einen Begriff hat, der nicht Gelegenheit hat ihn zu
sehen wie ich . . ." Marianne v. Willemer, die Freundin
Goethes, der sie im Westöstlichen Divan als „Suleika"
feierte, war die Gattin Joh. Jak. v. Willemers und
bewohnte oberhalb Frankfurts beim Dorfe Oberrad
die GerbermUhle. Goethe verlebte viele angenehme
und genussreiche Stunden dort an der Seite der
von ihm angebeteten Frau. Die Lempertzsche
Sammlung verwahrt eine Abbildung des Herrschafts-
sitzes, eine vortrefflich ausgeführte Kreide- und
Tuschzeichuung von Jon. Kaspar Zeheader aus
dem Jahre 1773, die neben dem allgemeinen künst-
lerischen Interesse ein noch erhöhteres dadurch
darbietet, dass sich das Landhaus gegenwärtig in
recht baufälligem Zustande befindet und sich wohl
nicht lange mehr wird behaupten können.
Von Goethes Karlsbader Bekanntschaften sind
in der Sammlung Lempertz die Gräfin Tina Brühl
vertreten, der Herzog Peter Biron von Kurland und
Sagan sowie seine Gattin Anna Charlotte Dorothea,
die Prinzessin Dorothea von Kurland und deren
Schwester Elise von der Recke, geb. v. Medem,
ferner der Dichter Christoph August v. Tiedge und
der Maler Carl Friedr. Katz (Kaaz), der in Karls-
bad Goethes landschaftliche Skizzen mit Wasser-
und Deckfarben zur Wirkung brachte. Auch liegt
hier das gedruckte Gedicht Goethes „Die Feier
des achtundzwanzigsten Augusts dankbar zu er-
wiedern" mit eigenhändiger Unterschrift und Adresse
Goethes vor. Dieser Gelegenheitsdruck ist ausser-
ordentlich selten, gerade so wie der gleichfalls der
Sammlung einverleibte Karlsbader Druck Goethes
„Beschreibung der Karlsbader Müllerischen
Steinsammlung" vom Jahre 1807.
Einen besonderen Absc
ut auch Goethes
Schilleri.
italienische Reise erfahren; ein Brief der Herzogin
Anna Amalie an Merck vom 25. Februar 1787
eröffnet ihn (Abb. 6). Es heisst darin mit Bezug
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40O
auf Goethes Aufenthalt in Italien: „Ich will bey
der Frau Aja ein gutes Wort einlegen, dass sie Ihnen
die extraete aus ihres Sohnes Briefe, die er von Rom
aus schreibt, communicirä; so riet kann ich Ihnen
sagen, dass er wohl ist und sich da wie einheimisch
findet; er gehet fast mit keinem andern Menschen
als mit dem jungen Tischbein um. Wenig Menschen
gibts und wird es geben, die Rom auf eine solche
Weise sehen und so Studieren wie er..." Von dem
genannten Tischbein hegen ein Brief und mehrere
Original-Handzeichnungen vor. von denen besonders
diejenige des berühmten „Tier-Laokoon" den Blick
des Beschauers auf sich zieht Auch Angelica
Kauffmann, die bedeutende Malerin, die kluge und
teilnehmende Beraterin aller Rompilger, die zu
Goethe in ein inniges Freundschaftsverhältnis trat,
tritt uns hier in vorzüglichen Bildnissen entgegen;
in einem Prachtstücke von Brief, den sie von
London aus zum ersten Male an ihren Vater
schreibt, lernen wir auch ihre dortige hausliche Ein-
richtung, ihr Leben und ihre Arbeiten, ihre Gönner
und Freunde und anderes mehr eingehend kennen
(Abb. 7). Auch verwahrt unsere Sammlung einen
interessanten und kostbaren Brief Klopstocks an
Angelica Kauffmann, in dem der Dichter die Malerin
bittet, ihm „in Edinburg oder auch weiter hinauf
gegen Norden . . . einen Musiker aufzutreiben, der
ihm die Melodieen solcher Stellen im Ossian, die
vorzüglich lyrisch seyen, in unsere Noten setzen
könne" (Abb. 1 o). Briefe und Bildnisse Reifensteins,
des Fürsten von Waldeck, des Landschaftsmalers
Hackert sowie ein Schreiben des Bildhauers Trippel,
des Schöpfers der berühmtesten Büste Goethes, das
durch die Naivität der Darstellung und die sonder-
bare Orthographie uns ein Lächeln abnötigt, illu-
strieren den Aufenthalt des Dichterfürsten in Italien.
Es ist wohl begreiflich, dass Lempertz in seiner
Sammlung den Beziehungen Goethes zu Schiller
ein besonderes und umfangreiches Kapitel gewidmet
hat So stossen wir denn nun auf eine Abteilung,
in deren Mittelpunkte Friedrich v. Schiller steht.
Bildnisse von ihm, Darstellungen von Stätten, wo
er geweilt, seine Eltern und Geschwister, der Hof
in Stuttgart und die SCärlsschulc , M unnhcirn und
das Theater daselbst, Schüler im Kreise seiner Fa-
milie, seine Freundschaftsbeziehungen und vereinzelte
Berührungen mit Mannern und Frauen seiner Zeit,
all das tritt uns in bunter Reihenfolge entgegen
und würde für eine halbwegs eingehende Darstellung
allein schon einen umfangreichen Raum beanspru-
chen. Hier sei nur mitgeteilt, dass von Schiller
allein ausser seiner Dissertation in der ersten Ori-
ginal-Ausgabe, die bekanntlich von hoher Selten-
heit ist, nicht weniger ab sieben eigenhändige
Schriftstücke vorliegen, die meist auch inhaltlich
das grösste Interesse in Anspruch nehmen müssen
(Abb. 11); besonders sind es die Briefe, die er an
seinen Freund Chr. Gottfr. Körner, den Vater
Theodors, gerichtet hat, wie andrerseits auch dessen
Briefe an Schiller — unsere Sammlung verwahrt
drei derselben — gleichfalls hochinteressant sind.
Zu Goethe zurückkehrend, ist noch ein Abschnitt
dem Theater in Weimar gewidmet, in welchem uns
viele der dort unter Goethes Leitung beschäftigten
Künstler begegnen, wie der Dekorationsmaler
Beuther, die Schauspieler und Schauspielerinnen
Brandes, Fleck, Hendel-Schütz, Jagemann, Itfland,
Koch, Kummerfeldt, Mecour, Mutter und Tochter
Neumann, Opitz, Reineke, Reinhold, Waeser, Witt-
hoeft, Pius Alexander Wolff und andere.
Illustrationen zu Goethes Werken sowie ein
letzter Abschnitt, der den Goethe-Forschem und
Sammlern, den Bearbeitern seiner Werke, den
Denkmälern, Medaillen und Gedächtsnisfeiern ge-
widmet ist, macht den Beschhiss der Goethe-Samm-
lung H. Lempertz sen., die, wie der Katalog der
Rheinischen Goethe-Ausstellung in Düsseldorf be-
sagt, „in ihrer Gesamtheit einzig und unerreichbar
dasteht — vor allem zur Kenntnis unserer Klassi-
cität, und im weiteren zur Geistesgeschichte des
Deutschtums, auf den das industriereiche Rhein-
land stolz sein darf . . ."
Die im vorstehenden besprochene Kollektion,
deren hohe Bedeutung schon aus dem Mitgeteilten
erhellt, soll demnächst zum Verkaufe gelangen.
Hoffen wir, dass sie vor Zersplitterung bewahrt
bleibe, dass sie vielmehr dort in ihrer Gesamtheit
eine bleibende Stätte finden möge, wo sie der
gelehrten Forschung, für die sie eine wahre Fund-
grube ist, am zugänglichsten sein wird.
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Die Zimmernsche Bibliothek.
Von
Dr. Rudolf Beer in Wien.
■BJKJJchon Bd. I (1897) der „Z. f. B." S. 286 f.
[^]flB wurde das Erscheinen einer Publikation
BfcmW angekündigt, die der Wiener Kunsthisto-
HSaSMlriker Dr. Heinrich Modem, unterstützt
von dem Vorstande der Handschriftenabteilung
der K. K. Hofbibliothek, Vice-Direktor Dr. Alfred
Goeldlin von Tiefenau, über die Zimmernschen
Handschriften der kaiserlichen Sammlung vor-
bereitete. Diese Publikation ist nunmehr unter
dem Titel: Die Zimmernschen Handschriften der
K. K. Hofbibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte
der Ambraser Sammlung und der K. K. Hof bibliothek
in dem soeben ausgegebenen 20. Bande des „Jahr-
buchs der kunsthistorischen Sammlungen des Aller-
höchsten Kaiserhauses" erschienen. Der 70 Seiten
in Folio umfassende Aufsatz ist in zweifacher
Weise von besonderer Wichtigkeit Modern hatte
es sich zur Aufgabe gemacht, die durch die
dUrftigen Angaben des von ihm zum ersten
Mal eingehend benutzten Katalogs einer BUcher-
schenkung des Grafen Wilhelm von Zimmern an
Erzherzog Ferdinand von Tirol (aus dessen Samm-
lung zu Ambras bei Innsbruck ein grosser Teil
der Bücher durch Peter Lambeck zufolge Geneh-
migung Kaiser Leopolds I. nach der Hofbibliothek
gebracht wurde) so vollständig zu ergänzen, dass
die Identifikation der Nummern des Zimmernkata-
logs mit den noch heute in der kaiserlichen
Sammlung befindlichen Mannskripten als gesichert
gelten durfte. Ferner wünschte er auch die Ge-
schichte der alten gräflichen Bücherei nach allen
Richtungen derart zu verfolgen, dass ihr Entstehen,
beziehungsweise ihre Bereicherung als planraässigen
Studien und thatsächlichen litterarischen Bedürfnissen
der Mitglieder des Geschlechtes entsprechend dar-
gestellt werden konnte. Die vorliegende Arbeit,
die sich weit Uber das Niveau der landläufigen
Handschnftenkataloge erhebt, bildet daher einen
der wertvollsten Beiträge zur Geschichte der kaiser-
lichen Büchersammlung, die nach Mosels bekanntem
Werke erschienen, andererseits auch ein Muster-
beispiel, wie der Bestand einer mittelalterlichen
Privatbibliothek bis zu seinen Anfängen zurück-
verfolgt werden kann und soll. Wenn wir gerade
hier Modems streng wissenschaftliche Untersuchungs-
methode als mustergültig rühmen, wollen wir nicht
vergessen hervorzuheben, dass ihm hierbei ein ganz
unvergleichlicher Forschungsbehelf, die berühmte
Zimmernsche Chronik, ausserordentliche Dienste
leistete. So ist denn fllr uns Abschnitt III der
Einleitung „Die Zimmernsche Bibliothek" (Kapitell
u. II handeln von der Überführung der Ambraser
Handschriften nach Wien und den Schicksalen
der alten Schenkungsurkunde) sowie der am
Schlüsse der Arbeit gebotene Rückblick auf die
Z. L B. 1899/1900.
Zusammensetzung der Bücherei von ganz besonde-
rem Interesse. Modern weist hier aus Stellen der
Chronik und anderen Quellen nach, dass die
Zimmern selbst schon frühzeitig vielfach schrift-
stellerisch thätig waren, wie denn ja auch das
Material zu der Hausgeschichte von zwei Mit-
gliedern des Geschlechts, Wilhelm Werner und
Frohen Christoph v. Zimmern, zusammengestellt
wurde. Diese selbst hat uns nun einige sehr
charakteristische Notizen Uber die Zimmern als
Schriftsteller und — Bibliophilen überliefert Sie
berichtet z. B. von Veit Werners von Zimmern
(f 1499, im Alter von 20 Jahren) „acten und
geschriftlichen handlungen, die er ainstails selbst
beschriben", klagt bei der Geschichte des Frei-
herrn Werner von Zimmern (f 1483), dass „mer-
thails alte handlungen die herr Wömherr und an-
dere seine vorfarn mit höchstem vleis zusamen-
gebracht und behalten, sein bis unseren reiten aus
sonderm unfal und haillösigkeit zerrissen, verbrennt
und ellendigdichen verfenteret worden". Ein Bücher-
liebhaber par excellence scheint Johannes Werner
(f 1495) gewesen zu sein, Uber den sich die
Chronik also vernehmen lässt: „Herr Johannes
Werner Freiherr zu Zimmern der elter hat zu
schönen bUechem ein grossen lust gehabt und vil
gelesen. Dieweil aber zu seinen zeiten der druck
ersüichs ufkommen und damals als ain neu in-
ventum ain schlechten fortgang, liess er im ain
schreiber, genannt Gabriel Lindennast, war burger
und s esshaft zu Pfullendorf, vil und mancherlei
büecher schreiben und zurusten also, dass er . . .
eine zimliche liberei zuwegenpracht Etliche auto-
res und historicos hat er selbs ausser latein ins
deutsch transferiert, wie dann die selbige büecher
sambt den rittern und taffelrundbüecher, die er ge-
habt noch mehrthails vorhanden". Hiezu bemerkt
Modem, dass dieser Schlusssatz noch heute seine
GilrJgkeit behalte. Thatsächlich finden sich neben
andern altdeutschen Handschriften sieben Exem-
plare, die von „Gabriel Lindenast - Sattler aus
Pfullendorf" im Auftrag Johann Werner des Älte-
ren geschrieben wurden, jetzt noch in der K. K.
Hofbibliothek und in der Fürstlich Fürstenbergschen
Bibliothek zu Donau - Eschingen. Nicht minder
eifrig im Sammeln von Büchern war Graf Wilhelm
Werner von Zimmern, dessen „lateinische und
deutsche liberei" im Schlosse Antian-Zimmern auf-
gestellt wurde. Neben diesen Lichtseiten in der
Geschichte der Zimmern als eifriger Litteratur-
freunde fehlen auch nicht die Schatten. Gleich
als ob alle Schicksale einer Renaissancebibliothek
in den Annalen der Zimmernschen Sammlung ver-
einigt werden sollten, hört man von den Vanda-
lismen des gegen sein Geschlecht wütenden Grafen
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4 02
, Die
Gottfried Werner, der die von seinen Ahnen ge-
sammelten handschriftlichen Schätze zerstören, das
Pergament zu Leim sieden liess; von dem Unfall,
der beim Transport der Bibliothek des Grafen
Wilhelm Werner von Strassburg nach Antian-Zira-
mern „die böste geschribne büecher und collec-
tanea die er von jugend uf hin und wider zu-
sammen mit grosser arbait gepracht" betraf, in-
dem ein Wagen mit zwei grossen büchergefÜUten
Fässern in die Kinzig fiel u. s. w. Diese und
ähnliche Nachrichten hat Modern aus den alten
Quellen sorgsam zusammengetragen. Womöglich
noch aufschlussreicher, jedenfalls noch mühsamer
ist eine andere Untersuchung, die er am Schluss
seiner Publikation — nach Beschreibung der als
Zimmernsches Gut erkannten Handschriften —
führt Die Studien und litterarischen Liebhabereien
einzelner Mitglieder des Geschlechts bilden hier
die Indicien, um die noch vorhandenen Manu-
skripte auf ihre Provenienz hin zu prüfen und
durch die Geschichte des Hauses die Zusammen-
setzung der Zimmern sehen Bibliothek zu erklären.
Durch diese Methode gelangt Modern zu sehr
Uberraschenden Resultaten. Auf Johann Werner
den Älteren, der in Freiburg i. B., Wien und
Bologna studiert hatte und, wie die Chronik mel-
det, „beider Rechte genugsam erfahren gewesen",
sowie auf seinen Sohn Wilhelm Werner, der durch
fast 45 Jahre (1509 — 1554) richterliche Funktionen
in Rottweil und am Reichskammergerichte zu Speyer
ausübte, ist die Erwerbung der juristischen Hand-
schriften (canonisches, römisches und deutsches
Recht) zurückzuführen. Die theologischen Manu-
skripte (Pastoraltheologie und Homiletik), dadurch
merkwürdig, dass bei mehr als der Hälfte der-
selben (und nur bei diesen) der Anschaffungspreis
auf dem Deckblatte verzeichnet ist, sind aller
Wahrscheinlichkeit nach von den geistlichen Mit-
gliedern der Familie, Johann Christoph und Gott-
fried Christoph, angeschafft worden; die historischen
Manuskripte wieder dienten bei der Abfassung der
Chronik den beiden oben genannten Sprossen des
Hauses als unentbehrliche Arbeitsbehelfe; sie sind
als solche von Modern einzeln namhaft gemacht
Die dreissig altdeutschen Codices (einschliesslich
der Rechtsbücher), die bedeutendsten der Samm-
lung, gehen ihrem Ursprung nach auf Werner VIII,
den Blatterer, und dessen Sohn Johann Werner
den Älteren, denselben, der den schon genannten
Schreiber Gabriel Lindenast beschäftigte, zurück.
Die eigentliche Arbeit, d. h. die Identifizierung
der in dem alten Zimmemschen Kataloge (cod.
1 2 595 der K. K Hofbibliothek) verzeichneten Manu-
skripte mit den aus der Schenkung in der kaiser-
lichen Sammlung heute noch erhaltenen Codices
gestaltete sich aus dem Grunde besonders schwierig,
weil die Angaben des Katalogs fast durchweg
höchst ungenügend, oft geradewegs falsch sind.
Auf Grund von Titeln, wie: „Von alten helden
reimenweis" „ein decretal" „eine chronik" oder
gar: „allerhand geistlich und weltlich", „von
mehrerlei dingen" in einer Masse von zwanzig-
tausend Manuskripten nachzuforschen, welche Codi-
ces diesen Angaben entsprechen, erscheint auf den
ersten Blick ein schlechterdings aussichtsloses Be-
mühn. Modern hat aber durch Handschriften-
vergleichung, Schreiberkonstatierung, durch die
Wasserzeichen, Notizen über Vorbesitzer, Schen-
kungen, Vermächtnisse, endlich durch die Ein-
bände äussere Indicien zusammenzubringen ge-
wusst, die seine Beweisrührung derart unterstützen,
dass die Resultate der Identifikation in der weit-
aus grössten Zahl der fraglichen Fälle als ge-
sichert betrachtet werden können. Das schla-
gendste Beweismittel hat Modern erst zum Schluss
seiner mühevollen Thätigkeit ausfindig gemacht
Auf einem der als Zimmernsche Handschrift sicher
erkannten Codices bemerkte er eine verblichene
Ziffer, die genau der betreffenden Nummer des
alten Katalogs entsprach. Das Fehlen ähnlicher
Zahlen bei den übrigen bereits als Zimmern-Reli-
quien erkannten Manuskripten schien unerklärlich,
bis es sich bei nochmaliger Prüfung des ganzen
einschlägigen Bestandes herausstellte, dass die
Original-Nummern von Lambeck mit grösseren
Zetteln überklebt worden waren, um auf diesen den
Inhalt der Codices zu verzeichnen. Dr. v. Goeldlin
unterzog sich der Mühe, die aufgeklebten Zettel
sorgfältigst abzulösen und so wurde für die Mehr-
zahl ein unumstösslicher Identitätsbeweis bloss-
gelegt Es erschien gerade an dieser Stelle an-
gemessen, auf die Behelfe des von Modern ge-
führten Indicienbeweises hinzuweisen, da seine
Arbeit unbedenklich als Muster für ähnliche Auf-
gaben hingestellt werden kann. Zu den inter-
essantesten der sicher als Zimmernsche Codices er-
kannten Stücken zählen folgende: Zimmernkatalog
No. s, jetzt cod. 3049. Papiercodex „von Gabrielo
Sattler von Pfullendorf" im Jahre 1479 geschrieben.
Blatt 1 — 114: Konrad von Ammenhusen, Schach-
zabel; 115 — 141: Jacobus von Cessolis, Das Buch
vom Schachspiel; 14a — 171: Ingold, Das guldine
SpieL Die Miniaturen (vorwiegend Schachspiel-
figuren) sind ohne künstlerischen Wert, aber vom
kulturhistorischen Standpunkt aus und mit Rück-
sicht auf Kostüme, Geräte und Sitten von Inter-
esse. Als Probe hat Modern ein Bildchen aus
Ammenhusens Schachzabel „Handwerker und
Schreiber" reproduziert: ein Jüngling mit wehen-
dem Haar und rundbäuchiger Kappe, in der
Rechten eine Scheere, in der Linken ein Messer
haltend. Der hinter dem rechten Ohr steckende
Federkiel und das an der linken Seite vom Gürtel
herabhängende Tintenfass mit der ypcufno^mj
(graphiarium) korrespondieren mit einander. Zwei
Wappen, das Zimmernsche und das öttingensche,
die als kolorierte Federzeichnungen das Buch
zieren, weisen zwingend darauf hin, dass Johann
Werner von Zimmern, der mit einer Gräfin von
Öttingen vermählt war, diese Handschrift bestellte.
Zimmernkatalog No. 13 jetzt cod. 2794, 98 Papier-
Blätter, s. XV (1482). Was der Verfasser des
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Beer, Die Zimtnernsche HibliotheV.
403
Kataloges „Ein geschriebes buch, reimenweis, von
Frau Venus berg" nennt, ist „Die Mörin" Her-
manns von Sachsenheim. Auch dieses Manuskript
ist von Gabriel Lindenast -Sattler geschrieben; in
ansprechender Weise vermutet Modern, dass die
neun Verse am Schluss des Gedichts, die in allen
andern Handschriften desselben fehlen —
JDisa vorgetchrtben dicht
als ich bin Unterricht
mit rechter untler»tiur
die fremde abenthur
als ich mich kan venton
ain Ritter hauz gethon
In alter gra doch wys
daromb ich inn och prys
Er haut gemacht mit rlysa. Amen"
— Johann Werner von Zimmern, der sich auch sonst
dichterisch bethätigte, zuzuschreiben seien. Zimmern-
katalog No. 16, jetzt cod. 2793, 117 Papierblätter
s. XV: „Historia, geschrieben von Keiser Otto
reimenweis". Es ist: „Der gute Gerhard" von
Rudolf von Ems. Diese und eine zweite Hand-
schrift der Hofbibliothek hat Moritz Haupt seiner
Ausgabe des Gedichtes zugrunde gelegt Modern
erkennt auch hier die Hand Gabriel Lindenast-
Sattlers, obwohl er weder Namenszeichnung noch
Datierung beifügte.
Zu den altern Manuskripten aus der Zimmern*
sehen Sammlung gehört No. 18 — cod. 2686 mit
Willtrams Auslegung und Übersetzung des Hohen
Liedes, s. XII sowie Nb. 20 — cod. 443, enthaltend
Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum, Pau-
lus Diaconus, Historia Langobardorum sowie —
nach einigen eingeschobenen Stücken des XV. Jahr-
hunderts — Plato, Timaeus interprete Chalcidio
s. XL Der alte Bestand dieses Sammelbandes gehörte
dem Augustinerkloster Frankenthal bei Worms.
Der Übergang des ganzen Manuskripts in Zimmera-
schen Besitz ist durch eine Note aus dem Jahre
1572 bezeugt Zimmernkatalog 21 — cod. 2914.
s. XV, den Parcival enthaltend, ist durch das
Monogramm auf dem Einbände: J(ohann) C(hri-
stoph) V(on) Z(immem) sofort ab Zimmemsches
Gut kenntlich. Für die Datierung der Handschrift
nützlich sind die Illustrationen, welche die so-
genannte Zatteltracht „von foL 1 angefangen fast
auf jedem Bilde" zeigen.
Zimmernkatalog 22 — cod. 2828, 412 Papier-
blätter s, XV ( 1 463). Diese — nachweisbar — älteste
Handschrift unter den Ziramemcodices, die von
Gabriel Sattler geschrieben worden sind, ist durch
die in ihr verzeichneten Preise, welche dem Schrei-
ber und dem Initialen-Maler Stephan Sesselschreiber
für die aufgewendete Mühe gezahlt wurden, von
Interesse. Sattler erhielt für 35 Sextemen ä 5 Batzen
im Ganzen 5 fl. 10 Batzen — eigentlich nur für
30 Sextemen berechnet da der Raum für die
Bilder abgezogen wurde. Der „mauler" bekam
für 116 Bilder 3 fl. 16 Batzen.
Zimmernkatalog 23 — cod. 2796, ab „ge-
schriebes teutsches buch, reimen- und gesangweis
von der Lieb" im alten Verzeichnis notiert, ent-
hält den „Laberer" (Liebesgeschichte in der Titurel-
Stro|>henform). Bemerkenswert ist, dass dies —
wieder von Gabriel Sattler abgeschriebene — Werk
in der Hauschronik der Zimmern ausdrücklich er-
wähnt wird.
Zimmernkatalog 41 — cod. 162 und Z. K. 64
— cod. 482 erwähne ich hier zusammen, weil sie
die ältesten Manuskripte der Zimroemsammlung —
natürlich soweit diese heute bekannt ist — dar-
stellen. Beide Codices stammen aus dem XI. Jahr-
hundert; die Identität von 64 — 482 ist allerdings
nicht absolut zweifellos.
Zimmernkatalog 42 -= cod. 2861, Papierhs.
s. XV, enthaltend u. a. Veldeckes Aeneis, ist durch
die für Kultur- und Sittengeschichte wichtigen Blu-
strationen merkwürdig. Modem verwebt auf „Aeneas
und die Sibylle" (letztere ab Teufelin), „Aenc-as
in der Unterwelt", auf die Akrobaten, Musikanten
und Wettspiele bei der Hochzeit und die schla-
fende Dido, die unbekleidet, nur mit der Krone
auf dem Haupte, im Bette liegt
Zimmernkatalog No. 48, heute cod 2694, 205
Perg. -Blätter s. XIV, verzeichnet ab „Ein schönes
altes geschrieben pergament buch, reimenweb,
theuthet von Christo und vielen gläubigen" bt
identisch mit dem unter dem Namen „das grosse
gereimte Passionale" bekannten Werk. Modem
hat die Handschrift bestimmt als Zimmernsche
agnosetert (zum Überfluss bt auch die alte Nummer
48 erhalten) und bt daher in der Lage, an der
Bemerkung Lambecks: Pertinuit olim praestantissi-
mus hic codex manuscriptus ad bibliothecam eubi-
cularem imperatorb Maxtmiliani I ipsique propter
antiquam Germanicum linguam et poesin fuit cha-
rbsimus" Kritik zu üben. Es sei bei dieser Ge-
legenheit bemerkt, dass eine ganze Reihe von
wertvollen, zum ersten Mal von Modem ab Zim-
memsches Gut erkannten Handschriften früher für
Manuskripte der Privatsammlung Maximilians ge-
halten wurden.
Zimmernkatalog 60, cod. 549, 92 Pergament-
blätter s. XIV enthält Jacobus Bertaldus, Con-
suetudines civitatis Venetorum. In dieser Hand-
schrift hat Modem die Indicien für eine Fälschung
entdeckt, die auf den Manuskriptenhandel zur
Renaissancezeit ein interessantes Licht wirft. Auf
dem Vorsetzblatt des Codex findet sich — aller
Wahrscheinlichkeit nach von einem Antiquitätenhänd-
ler des XV. Jahrhunderts eingezeichnet — folgende
Notiz: „Constitutiones de Veneria antique trovate
in uno cason grande vecchio scritte sotto questo
müesimo MCCXLV die V. Augusti spettante ü
prefazio". Die angezogene Stelle in der Vorrede
enthält allerdings dieses Datum, aber in einer Rasur.
Klar wird die Fälschung durch den Umstand, dass
Bertaldus, Dogenkanzler im Jahre 1300, Bbchof
von Veglia im Jahre 13 14 wurde, daher das Werk
unmöglich 1245 geschrieben sein kann. Der
Häodlerkniff, ein Manuskript in „einer alten Truhe"
auffinden zu lassen, um es dadurch wertvoll zu
machen, bt also ziemlich alt Johann Werner
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404
Chronik.
von Zimmern, der sich auf seiner Palästinareise
1483 zweimal in Venedig aufhielt, hat die Hand-
schrift wahrscheinlich dort gekauft. Unter No. 49
und 58 des Zimmemkataloges bergen sich zwei
Blockbücher der Apokalypse (Signatur der k. k.
Hofbibliothek: IL D. 33) und des Symbolum
Apostolicum (Sign. IL D. 42). Die Wiener Aus-
gabe der Apokalypse ist seit mehr als einem Jahr-
hundert in der Runstlitteratur bekannt und be-
sprochen; unter die Handschriften der Zimmern-
sehen Schenkung geriet sie durch den einge-
schossenen Text einer hochdeutschen Übersetzung
des nebenstehenden Tafeldrucks — auch Lambeck
führt das berühmte Blockbuch noch unter den
Handschriften an. Die Identifikation konnte auf
Grund der alten Katalogvermerke mit Bestimmt-
heit vorgenommen werden. Die ermittelte Pro-
venienz findet auch insofern ihre Bestätigung, als
die Illuminierung durch ihre Palette auf Schwaben,
speziell nach Ulm weist
Die zwölf Blätter des Symbolum Apostolicum
waren zur Zeit der Zimmernschen Schenkung
einem deutschen Psalter als Illustrationen bei-
gebunden. Um die Mitte unseres Jahrhunderts
wurden diese auf Pergament gedruckten, von einem
Miniaturmaler sorgfältig und zierlich bemalten Holz-
schnitte von der Direktion der Bibliothek dem
Psalter entnommen und sachgemäss zu einem
Bändchen zusammengestellt Bisher war dieses
Blockbuch in der Litteratur wenig beachtet, die
Münchener Ausgabe als Unikum angesehen worden.
Dr. Modern erbringt den Nachweis, dass das
Wiener Symbolum Apostolicum die erste Ausgabe
dieses Blockbuches repräsentiert, das Heidelberger
(unvollständige) Exemplar als ziemlich rohe Kopie
der Wiener Ausgabe zu betrachten und das Mün-
chener Exemplar thatsächlich nichts anderes ist,
als eine etwas veränderte Kopie des Heidelberger
Blockbuchs.
Sehr wichtig und interessant erscheint der Um-
stand, dass die 12 Blätter des Wiener Symbolum
schon vor dem Jahre 1468 einem deutschen Psalter
beigebunden waren. Dieser Psalter (cod. 2727)
trägt in Schriftztlgen des XV. Jahrhunderts zwei
Einzeichnungen, aus denen sich ergiebt, dass die
Blätter dieser Handschrift zweimal, zuletzt im
Jahre 1468, gezählt wurden. Damals war das
Blockbuch schon dem Psalter beigebunden, denn
nur mit diesen zwölf Blättern, die Überdies die
entsprechenden Folienzahlen tragen, ergiebt sich
die konstatierte Anzahl der Blätter der Hand-
schrift.
Auf dem datenarmen Gebiet unserer Block-
bücherforschung ist dieser Fixpunkt von Bedeu-
tung. Das Wiener Symbolum, die älteste Aus-
gabe, ist also vor 1468 entstanden; es scheint,
nach dem auf der Rückseite der Pergamentblätter
geschriebenen hochdeutschen Mariengebete zu
schliessen, auf einem süddeutschen Wallfahrtsorte
verkauft worden zu sein. Ausgezeichnet vor der
Heidelberger und MUnchener Ausgabe ist es durch
die Korrektheit und Schönheit der Linienführung
der Holzschnitte, durch die von kunstgeübter Hand
ausgeführte Illuminierung sowie durch den Um-
stand, dass es auf Pergament gedruckt ist. Das
Verhältnis der drei Ausgaben des Symbolum
Apostolicum erscheint nunmehr in einem durchaus
neuen Uchte.
Chronik.
Meinungsaustausch.
Zu meiner Besprechung des Forrerschen Buches
über den Zeugdruck (J ahr £- III . Heft 4, S. 170)
macht Herr Gustav UM, Friedenau-Berlin, darauf
aufmerksam, dass das Finestra impannata der
Zeugdrucker vielleicht in ähnlicher Weise wie die
alten Tuchmacher- Rahmen konstruiert war. Die
letzteren bestanden aus zwei horizontalen Balken, deren
oberer (feststehend) mit kleinen, etwa 1 cm. von ein-
ander entfernten, nach oben gebogenen spitzen Häkchen
versehen war, während der untere (beweglich) eben
solche Häkchen enthielt, die jedoch nach unten ge-
richtet waren. War das Tuch mit seinen Kanten (Eggen)
an beiden Balken befestigt, so wurde der untere ver-
mittels Bolzen, die durch in den Querarmen (Trag-
säulen) in geringen Entfernungen von einander befind-
liche Löcher gesteckt wurden, so stark angezogen, bis
die Tuchbahn völlig straff gespannt war. — Bedienten
sich die Drucker nun ähnlicher, nur leichterer und
kürzerer Rahmen mit gleichen Häkchen, so liess sich
das Befestigen und Ausspannen des Tuches an den be-
reits vorhandenen Löchern überaus schnell und leicht
bewirken. S.
Von den Auktionen.
Vom Autographtnmarkte. Den Reigen der Auk-
tionen eröffnete Herr Leo Ltepmannssohn in Berlin
mit einer Sammlung, welche wohl den besten zuge-
zählt werden darf, die jemals auf den deutschen Markt
gebracht wurden. Der Vorbesiuer derselben strebte
Vollständigkeit nur auf einem Gebiete an; auf diesem
hat er sie aber beinahe erreicht Seit Weigels Samm
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4Q5
long, die durch das bekannte „Autographen- Pracht-
album zur zweihundertjährigen Gedächtnisfeier des
westfälischen Friedensschlusses" gleichsam verewigt
worden ist, wurde der „Dreissigjährige Krieg" nicht so
vollständig beisammen gesehen, wie in den ersten No-
vembertagen in Berlin. Diese Rubrik, in der die Mörder
VVallensteins , femer Holck, Isolani, Thum, Niemann
und andere Seltenheiten nicht fehlten, umfasste nahe
an 600 Nummern. Da der ganze Katalog nur 1400 Num-
mern zählte, trotzdem die Sammlung sich über alle Ge-
biete verbreitete, erklärt es sich, dass in den übrigen
Rubriken beinahe nur Namen, die besonderes Interesse
erregen, vertreten waren. Nachfolgend einige Notie-
rungen, wie sie uns von der auktionierenden Firma mit-
geteilt wurden: Kaiser Ferdinand II. 31 M.; Konigin
Luise 35 M.; Wilhelm I. 55 M.j Wilhelm II. 21 M.j
Königin Viktoria 46 M. ; Marie Antoinctte 70 M.; Na-
poleon I. 46 M. ; Gustav Adolf 51 M.; Joh. Cochlavius,
Luthers Gegner, 71 M.; Hutten, Druckschrift mit Wid-
mung 210 M.; Melanchthon 76 M.j Zwingli 326 M.;
Fabricius, einer der Ratsherren, die 1618 in Prag aus
den Schlossfenstern geworfen wurden, 41 M.; Gordon,
einer der Mörder Wallensteins, 31 M.; Leslie, Verräter
Wallensteins, an Piccolomini, 64 M. ; Oxenstjerna 51 M. ;
Tertzky 70 M.j Wallenstein 110 M.; Wallensteins ab-
gekürzte Unterschrift 48 M.; Bismarck 146 M.; Prinz
Eugen 43 M.; Lothar Bucher, Bericht über die Ge-
fangennahme Napoleons III., 42 M.j Andreas Hofer
165 M. ; Speckbachcr 151 M.j Zieten 52 M.; Danton
77 M.; Marat 95 M.; Mirabeau 56M.; Robespierre 51 M.
und 70 M. : Cromweil 125 M.; Fiesco39 M. ; Alba 71 M.;
Fichte 45 M ; Kepler (höchste Seltenheit) 38$ M.; Si-
mon Dach 56 M.; Hölty 43,50 M.; Ewald von Kleist
121 M.j Körner 100, 46, 51, 24 M.; Lessing, Stammbuch-
blatt von 1748, 191 M.j Melchior Pfintting 55 M.; Schil-
ler 275 M.; Daniel Schubart 69 M.j Dubarry 22 M.i
Theroigne de Mencourt75 M.; Gesaroterlös ca. 10000M.
— ro.
Am 7. und 8. November verauktionierte Sotheby
in London die Tixali- Bibliothek mit ihren vielen be-
deutenden Manuskripten und Büchern. Die Sammlung
war zuletzt in dem Besitz des kürzlich verstorbenen Sir
C. Constable und ursprünglich von Sir Walter Aston,
englischen Gesandten in Spanien zur Zeit Jacob I., an-
gelegt worden. Unter den wertvolleren Nummern be-
fand sich ein bisher nicht verzeichnetes Folio- Exemplar
von Josephus „De la Bataille Judaique" aus der Drucke-
rei von VeVard, datiert Paris 1492. Ausser diesem Exem-
plar auf Velin registriert Brunet nur noch dasjenige,
welches in der Bibliotheque Nationale in Paris vor-
handen ist Das Exemplar der „Tixall-Bibliothek" war
für Thomas Bohier, General-Finanzsekretär Karl VII.,
angefertigt worden und obgleich einige Seiten jetzt
fehlen , so wurde trotzdem das schöne, mit zahlreichen
Miniaturen und dem Wappen des Kardinals von Bour-
bon versehene Werk zu dem Preise von 4500 M. ver-
kauft. 12 Bände diplomatischer Korrespondenz Lord
Astons, 1620—25, meistens unpubliziert, wurden mit
2260 M. bezahlt. Thomas Bewick „General History of
Quadrupedes", 1790, erste Ausgabe mit Holzschnitten,
grosses Exemplar, 1020 M.; „Heroica Eulogia Guiliel.
Bowyeri", vonB. Bowyer, 1567, das Originalmanuskript
auf Velin, mit 24 gemalten Wappen und symbolischen
Bildnissen englischer Könige, 1320 M.; Die Evangelien
und Epistel, Manuskript aus dem XIV. Jahrhundert, in
nordenglischem Dialekt, 810 M.; „Horae Beatae Mariae
Virginis", XIV. Jahrhundert, von einem englischen
Schreiber, mit 19 Vollseiten Miniaturen, nebst dem
Wappen von Ashmole, 1060 M. ; „Assisorum Liber
et Piacitorum Coronäe", Manuskript auf Pergament,
XIII. Jahrhundert, 550 M. Camdens autographische
Briefe über Antiquitäten und Wappen, ca. 1609 — 10,
kamen auf 660 M. Die Beschreibung der Trauerfeierlich-
keiten für Katharina von Arragonien, Handschrift, 1535
datiert, 600 M. ; „Historical Anecdotes of the Gencalogy
of the noble Family of the Constables," Manuskript auf
Velin, von Dr. Burton in York, 1761 datiert, 670 M.;
„Chronide of England," ein interessantes Manuskript,
verfasst von Matthäus von Westminster, XIV. Jahrhun-
dert, 400 M.
Unter den am zweiten Auktionstagc verkauften
Werken erreichten die besten Preise nachstehende .-
„Officia," Manuskript aus dem XVI. Jahrhundert, durch
einen italienischen Miniaturisten illuminiert, 1200 M. : ein
Gebetbuch aus dem Besitz Jacob II., 500 M. ; eine von
Pepys verfasste Instruktion für die Marine, Handschrift,
1661 datiert, 400 M. ; „TheStory ofOedipus," ein altes eng-
lisches Manuskript aus dem XI V.Jahrhundert, von John
Lydgate, einem Mönche in Bury herrührend 350 M. ; J.
E. Ridingers Abbildung der jagdbaren Tiere, 1740 her-
gestellt, 630 M.; Ridingers 1729 gedruckte „Edle Jagd-
barkeit", 610 M.; das Hauptbuch der St Agathas Ab-
tei von Richmond, die durch Roald Constable 115 t ge-
gründet worden war, 2400 M. ; die Handschrift wird
dem XIII. Jahrhundert zugewiesen. Die zweite Folio-
Ausgabe von Shakespeare, ein vollständiges Exemplar,
1632 datiert, brachte 2020 M. Frühere Preise für
dieselbe Ausgabe stellten sich u. a.: Im jähre 189$ auf
1080 M. : 1897 auf 1020 M.j 1898 auf 1800 M. Sir
Bevil Skeltons „Variation of the Arms and Badges of
the Kings of England", das Originalmanuskript auf
Velin, 1684—92, dekoriert durch viele gemalte Wappen,
800 M.j Skeltons „Catalogues of the Dukes, Marquesses
and Earls", 1678, die Originalhandschrift, 600 M.j T.
Hill „The profitable art of gardening", IS74. gotische
Buchstaben, 410 M.
Der Zudrang des Publikums und die in der Auktion
gezahlten Preise leiteten die Saison gut ein und be-
wiesen, dass der Krieg bisher keinen Einfluss auf den
Büchermarkt auszuüben vermochte. O. v. S.
Die letzten Bücherversteigerungen auf dem fran-
zösischen Antiquariatsmarkte lieferten unbedeutende
Resultate. Auch die Bibliothek des verstorbenen Kriti-
kers Sarcey enthielt nichts, was irgendwie bemerkens-
wert gewesen wäre ; nur einige Werke mit Widmungen
berühmter zeitgenössischer Schriftsteller erzielten Nach-
frage und höhere Preise. — g.
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406
Chronik.
Kleine Notizen.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
„Alte und neue Alphabite" nennt sich ein hand-
licher, in farbige Lebwand gebundener Band von 62
Seiten Text und 159 Seiten Abbildungen, der Uber
150 vollständige Alphabete, Ziffernreihen u. dergl. m.
enthält, zum Teil nach Vorlagen aus älterer Zeit, zum
Teil nach Entwürfen von Walter Crane, O. Hupp, Franz
Stuck u. A. Das im Verlage von Karl W. Hiersein arm
in Leipzig erschienene Werk (4 M.) ist ein vortreff-
licher Leitfaden für alle, die mit Schriften zu thun
haben. Der Verfasser, Lewis F. Day, hat den Abbil-
dungen eine kurze Übersicht der Entwicklung der
Schrift und beschreibende Bemerkungen zu den ein-
zelnen Schriftgattungen vorangestellt. Hie und da
mussten auch bei den nach alten Manuskripten her-
gestellten Alphabeten vereinzelte Buchstaben ergänzt
werden; doch auch hierbei wurde sehr geschickt der
Geist der Zeit bewahrt. Besondere Berücksichtigung
wurde der Sammlung alter Ziffern und Jahreszahlen
geschenkt. Das Buch ist nicht nur lehrreich, sondern
auch höchst interessant. Beherzigenswert für unsere
modernen Buchschmuck- und Plakaikünsüer ist das,
was der Verfasser im Allgemeinen von der Schrift
sagt: „Unter zwei Bedingungen mag es dem Künstler
erlaubt sein, sich am Alphabet zu versuchen. Was er
auch thut, es soll in erster Linie das Lesen leichter und
in zweiter die Schrift für das Auge angenehm machen ;
aber keins dieser beiden erstrebenswerten Ziele dürfte
auf Kosten des andern verfolgt werden". Ein wahres
Wort: gerade bei der Schriftmalerei sollte die Schön-
heit niemals den Gebrauchswert beeinträchtigen.
-b.
Eine würdige Feier des dreihundertslen Gtburts-
lagts des Vtlasquis hat die Verlagsanstalt F. Bruck-
mann A.-G. in München veranstaltet, indem sie aus dem
Ungeheuern Material des „Klassischen Bilderschatzes"
eine Anzahl Blätter löste , die Arbeiten des grossen
Spaniers wiedergaben, und sie in einer hübschen
braunleinenen Mappe vereinigte. Zumeist sind es
Einzelfiguren und Porträts, aber welche Abwechselung
herrscht in der Auffassung der Habsburgischen Physiog-
nomie mit ihrem grausamen Kinn und der starken
Nase, wie treten unter dem Aufputz spanischer Gran-
dezza die intimsten Scelenrcgungen dieser ehrgeizigen
Olivarez und Borgia, dieser von tyrannischem Cere-
moniell umschnürten Infantinnen und Kinder zutage 1
Die kurze Monographie von Karl Voll, die der Mappe
lose beigefügt ist, erleichtert dem kunsthistorisch min-
dergeschulten Publikum sehr das Verständnis der Eigen-
art des Meisters. Glücklich das Gclehrtengezänk um
Dies und Jenes, den weiteren Kreisen ganz Unwesent-
liches ausschliessend und ebenso geschickt die auf-
gepfropfte Anekdote vermeidend, versteht Voll es, den
Maler in seinem Leben und aus seinem Leben heraus
plastisch hinzustellen, und die Worte, die er von dem
„Meninas", einem der wenigen Mehr- Figurenbilder des
Velasquez, in Bezug auf Behandlung des Raumes und
Erfassen des Totalebdrucks sagt, dürften gering variiert,
auch auf ihn selbst vorzüglich passen. — m.
„Zwischen den Garten" betitelt Heinrich Stiimcie
ebe Anzahl Essays (Leipzig, P. Friesenhahn Nachf.),
die er einzeln b verschiedenen litterarischen Zeit-
schriften veröffentlicht hatte, die sich aber der Samm-
lung lohnen. Der erste Teil giebt ebe Reihe feiner
Charakteristiken bekannter Persönlichkeiten. Stümcke
ist nicht nur ein vielbelesener Mann, sondern auch ein
Kritiker von Geschmack und Verständnis; er begnügt
sich nicht mit der Quellenausschlachtung, sichtet viel-
mehr die vorhandenen Dokumente und weist häutig
der Forschung neue Wege. Ob er nun über die Frau
Rat, über Freytag und Cotta oder über Anette von
Droste-Hülshoff und Nietzsche spricht: er bleibt nie
auf der Oberfläche, er berührt stets Unbekanntes und
bisher Unerkanntes, frappiert gelegentlich durch eb
geistreiches Paradoxon, ist aber immer fesselnd und
bteressant Im zweiten Teile haben mir die Artikel
„Aristokratie und Nietzscheanismus", „Das junge Mäd-
chen b der modernen Litteratur" und „Der Roman
der Börse" am besten gefallen. Der Schlussabschnitt
enthält u. a. eben vortrefflichen Aufsatz Uber das
soziale Drama der Gegenwart, b dem Stümcke nach-
zuweisen versucht, dass der Realismus scheinbar konse-
quent realistischer Dramen häufig auf arg thönemen
Füssen steht Die Schreibweise Stümckes ist ausser-
ordentlich gewandt, leicht und flüssig; aber auch aus
dem Geplauder hört man den Uber eb gediegenes
Wissen verfügenden Forscher heraus. — z.
Die trefflichen Klassiker-Ausgaben Max Hesses in
Leipzig sbd kürzlich durch ebe von Eduard Griseback
besorgte funfzehnbändige Ausgabe der sämtlichen
Werkt E. T. A. Hoffmanns vermehrt worden. Grise-
bach hat ebe besondere Vorliebe für origbelle Er-
Behebungen b der Litteratur, wie Waiblbger, Scheffner,
Lichtenberg, Hebse. Auch Hoffmann, der allerdbgs
b höherem Grade als die Genannten der Weltlitteratur
angehört, zählt zu seinen Lieblingen; sein bteressanter
Bibliothekskatalog enthält fast alle Origbalausgabendes
Dichters. Nach dem Text der Originalausgaben ist
auch die vorliegende Sammlung redigiert worden, die
mit den „Fantasiestücken" begbnt, denen sodann streng
chronologisch die Reihe der übrigen Dichtungen folgt,
so dass sich an der Hand dieser Gesamtausgabe zum
ersten Male der litterarische Werdegang Hoffmanns
übersehen lässt. Von den früheren Gesamtausgaben
der Werke Hoffmanns ist die Hempelsche jammervoll,
besser die mit Hosemanns trefflichen Zeichnungen ge-
schmückte Reimcrsche. Aber auch in dieser fehlt
mancherlei, so dass die Grisebachsche Ausgabe als die
erste vollständige der Dichtungen Hoffmanns bezeich-
net werden muss. Sie enthält auch das patriotische
Fantasiestück „Der Dey von Elba b Paris", zu dem
Hoffmann durch die Rückkehr Bonapartes am 1. März
1815 angeregt wurde und das er b den „Freimütigen
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4 07
Blättern" von Duncker & Humblot veröffentlichte —
ebenso den Panegyrikus zu Spontinis „Lalla Rukh"
und die Anekdote „Naivetät", die der Berliner „Zu-
schauer" vom 13. Juni 1822 zuerst brachte und die das
Letzte war, was von Hoffmann zu seinen Lebzeiten ge-
druckt wurde. Gleichfalls zum ersten Male reproduziert
werden in der Grisebachschen Ausgabe verschiedene
Illustrationen der Originaleditionen, wie das Porträt
Murrs, Kreisle« Bild und die kleinen Wölfischen Zeich-
nungen zu der Erzählung „Die Geheimnisse". Der
„Prinzessin Brambilla" sind Kopien der acht Callotschen
Blätter angefügt, die Hoffmann von einem der Serapions-
brüder als Geschenk erhielt und auf die die Entstehung
des reizenden Capriccios zurückzuführen ist. Die bio-
graphische Einleitung Grisebachs ist glänzend. Er
trägt in ihr vielerlei zusammen, was bisher unbekannt
oder vergessen war, giebt u. a. auch den köstlichen
Brief Hoffmanns an den Grafen Pückler-Muskau vom
Januar 1819 wieder, in dem der „Klein-Zaches" erwähnt
wird, ferner Briefe an den Frankfurter Verleger WU-
mans, auch einiges aus dem Tagebuche Hoffmanns,
das sich, noch immer ein ungehobener Schatz, in Pro-
fessor Kürschners Besitz befindet. Das Einzige, was
ich an dieser sonst in jeder Beziehung ausgezeichneten
Ausgabe als Mangel empfinde, ist das Fehlen einer
ausführlichen Bibliographie. Grisebach verweist auf
seinen ,, Weltliteratur Katalog"; aber die Bibliographie
gehört zur Gesamtausgabe und hätte auf wenigen Druck-
seiten wiedergegeben werden können. F. v. Z.
Auf Anregung des Professors Dr. Karl Vollmöller
in Dresden ist eine Romanische Text-Gesellschaft ins
Leben gerufen worden. Dieselbe besteht aus Gründern
und Mitgliedern. Gründer sind solche, welche der Ge-
sellschaft mindestens 300 M. als einmaligen Mitglieds-
beitrag zur Gründung beisteuern und dafür die Publi-
kationen derselben auf Lebenszeit umsonst erhalten.
Der Jahresbeitrag der Mitglieder beträgt 20 M.
Zweck der Gesellschaft ist die Herausgabe wichtiger,
noch nicht oder nicht genügend edierter romanischer
Handschriften, bezw. seltener oder gar nur in einem
Exemplar vorhandener romanischer Druckwerke. Sie
bringt insbesondere Romane, Novellen, Theaterstücke
und andere interessante Litteraturwerke, auch solche,
die für die Kultur-, Literaturgeschichte, Volkskunde
und Dialektforschung der romanischen Länder wert-
voll sind.
Die Ausgaben sind je nach Bedürfnis kritische oder
Neudrucke. Im letzteren Falle erfolgt der Abdruck,
abgesehen von Format und Schrift, welche natürlich
für die Sammlung einheitlich sind, so getreu dem Ori-
ginal, dass der Neudruck dieses vollkommen ersetzt.
Einleitungen, Anmerkungen u. s. w. bringen, in deut-
scher, einer romanischen oder in englischer Sprache,
alles zum Verständnis des Textes Nötige. Nach Be-
dürfnis werden photographische Nachbildungen von
interessanten Titelblättern, Textseiten u. s. w. beige-
geben. Überhaupt soll die Ausstattung eine derartige
sein, dass sie den Ansprüchen der Bibliophilen genügen
wird. Auch sind Faksimilewiedergaben ganzer Werke
geplant.
Die Exemplare werden numeriert und mit dem
eingedruckten Namen des betr. Mitgliedes versehen,
p Laren zudem wird eine beschränkte Anzahl von Exem-
Aussererhöbtem Preis in den Handel gegeben.
Es ist bekannt, dass das British Museum seine
Werke nur in vier Farben einbinden lässt. Buchhänd-
ler Hans Ellissen in Leipzig macht nun, an diese That-
sacbe anknüpfend, im „Rathgeber für die gesamte
Druckindustrie" folgende Vorschläge für die Farben-
darstellung der Einbände wissenschaftlicher und schön-
wissenschaftlicher Werke:
Dunkelbraun: Encyklopädien, Sammelwerke, Litteratur-
wissenschaft, Bibliographie.
Hellbraun .- Mathematik, Technische Wissenschaften. —
Handelswissenschaften.
Dunkelblau: Orientatia. Alte Sprachen.
Hellblau: Neuere Sprachen. Sprachwissenschaft
Dunkelrot: Geschichte.
Ziegelrot: Geographie, Reisen.
Rosarot: Schöne Litteratur.
Gelb: Kunst, Musik.
Dunkelgrün: Naturwissenschaft.
Hellgrün: Land-, Haus- und Forstwirtschaft.
Orangegelb: Medizin.
Hellgrau: Philosophie, Pädagogik.
Dunkelgrau: Staats- und Rechtswissenschaft.
Schwärs: Theologie.
Vom praktischen Standpunkte aus hat dies viel für
sich, vom bibliophilen nur wenig.
Die erste Veröffentlichung der Gesellschaft der Biblio-
philen hat, wie wir hören, allseitig lebhaften Beifall ge-
fundeu. Von den Artikeln, die in der Presse über das
Facsimile der „Mitschuldigen" erschienen, sei Gotthilf
Weissteins vortreff lieber längerer Aufsatz im Sonntags-
blatt der „National-Zeitung" erwähnt.
England.
Das Novemberheft des englischen Exlibris- four-
nals enthält abermals, wie in der vorangegangenen
Nummer, eine Reihe interessanter Bibliothekszeichen,
in welchen die Urne entweder den Hauptgegenstand
oder die nebensächliche Dekoration bildet Da der
Verfasser des Artikels, der Bibliothekar Wright in
Plymouth, in den folgenden Heften eine Fortsetzung
bringen will, so bittet er die Besitzer von derartigen
Exlibris um event gefällige Mitteilungen. Wie selten
die genannte Spezialität vorhanden sein muss, gebt
wohl am besten aus der Erklärung Mr. Wrights hervor,
dass er bei Durchsicht von gegen 20000 Exlibris
nicht mehr als 28 passende Beispiele gefunden habe.
Von deutschen Liebhabern scheint bis jetzt allein der
Graf zu Leiningen -Westerburg den gewünschten Bei-
trag für das englische Fachblatt beschafft zu haben.
Der Herausgeber des letzteren teilt die Ansicht des
Mr. W. Bolton mit, nach der das Urnenmotiv sicher-
lich nicht früher als 1775 entstand und wahrscheinlich
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408
Chronik.
in England zuerst zur Anwendung gelängte. Für Frank-
reich erschien der Stil eines mit einer gewissen Strenge
ausgestatteten Entwürfe, der notgedrungen hiermit ver-
bunden sein musste, zu düster, und in Deutschland
wurde zu jener Zeit in den Exlibris das heraldische
und dekorative Element bevorzugt.
Einen ferneren Beleg, wie äusserst selten die Urne
im Bibliothcksieichcn vorkommt, gewährt der von
John W. Singer in derselben Nummer des Journals
enthaltene Aufsatz mit der Titel Überschrift „Mr. Daniel
Parsons, the pioneer Book-Plate collector". Der Autor
sagt: „Sehr wenig ist bis jetzt bekannt gewesen über
die Sammlung von Exlibris des Mr. D. Parsons, der
seit langer Zeit als der Vater dieses Studiums be-
trachtet wurde, denn er war der erste in unserm Lande,
welcher eine solche Sammlung systematisch zusammen-
brachte". Durch Vermächtnis des Begründers der
erwähnten sehr bedeutenden KoDektion, unter der sich
aber kein Urnenblatt befindet, gelangte dieselbe an
die Benediktiner-Abtei zu Downside.
O. v. S
Tht Englüh Caialogut o/Books . . . Vol. 5. January
1890 to December 1897. London, Sampson Low, Mar-
ston & Co. 1898. Lex 8. (84 Shilling.)
Dieses englische Bücherlexikon unterscheidet sich
wesentlich von den beiden noch bestehenden deutschen.
Während nämlich die unsrigen, das von Heinsius und
das Hinrichssche, in einen alphabetischen Verfasser-
Katalog und ein alphabetisches Sachregister zerfallen,
hat man mit diesem fünften Bande den bisher zum
English Catalogue erschienenen Indexband aufgegeben
und die Alphabete der Verfasser und der Stichworte in
ein einziges Alphabet verarbeitet, wie man das auch
schon mit dem jährlich erscheinenden kleineren Eng-
lish Catalogue seit einigen Jahren gethan hat Man
kann ja darüber verschiedene Ansichten haben, welche
der beiden Einrichtungen die zweckmässige« sei; es
rühren jedoch verschiedene Wege zu demselben Ziele,
und wenn man jenseits des Kanal es das Ein-Alphabet-
System vorzieht, so muss es uns recht sein oder müsste
es sein ; man hat aber genügenden Grund, mit der son-
stigen Einrichtung dieses achtjährigen English Catalo-
gue nicht ganz zufrieden zu sein. Er ist eigentlich in
höherem Masse als unsere Bücherlexika ein Nach-
schlagebuch für Bücherfreunde, weil er in seinen
Appendices A und B zusammenstellt, was die gelehrten
Gesellschaften, die Klubs, deren Aufgabe die Veröffent-
lichung alter und neuer Werke ist, und andere littera-
rische Vereinigungen herausgegeben haben, und ferner,
welche Schriften in Sammlungen, sogenannten Biblio-
theken, Serien und dgl., sei es von Gesellschaften , sei
es von Verlegern, sei es von Behörden, herausgegeben
worden sind. Diese Einrichtung bietet unleugbar für
den Bücherfreund und den Bibliothekar grosse Vor-
teile gegenüber der unsrigen, vorausgesetzt, dass der
Name der herausgebenden Stelle bekannt ist, aber man
sollte es nicht für möglich halten : weder kommen alle
diese auf 86 zweispaltigen Seiten enthaltenen etwa
1 2 000 Titel im grossen Alphabete des Katalogs vor,
noch hält man für nötig, ein wenn auch ganz kurz ge-
fasstes alphabetisches Register beizugeben. Das an-
gehängte alphabetische Verzeichnis der Gesellschaften
und Institute ist ja ganz nützlich, aber es kann doch
ein Sachregister nicht ersetzen. Erst durch Beigabe
eines solchen würde dem Benutzer wirklich ge-
dient Er kann sich nämlich auf die Angaben der
Appendices auch nicht ganz verlassen. Da kommt z. B.
Catalogue of Early Printed Book« in the British Museum
im grossen Alphabete vor, aber hinten, im Appendix
unter den Veröffentlichungen des British Museum nicht,
während an letzterer Stelle die Faksimiles of Early
Printed Books in the British Museum zu finden sind;
von den Faksimiles of Autographs ist im grossen Alpha-
bet nur Serie t aufgeführt, im Appendix A auch
Series 2—3, und so fort. Diesem Übelstande kann sehr
wohl durch Einverleiben der in den Appendices vor-
kommenden Titel in das grosse Alphabet oder durch
ein besonderes Register abgeholfen werden. Wahr-
scheinlich würde der Preis des Acht-Jahre-Bandes
ein wenig erhöht werden müssen, aber wer den English
Catalogue einmal braucht, zahlt auch den höheren
Preis, der mit Zunahme der Litt erat ur doch von Zeit
zu Zeit eintreten muss. Während der fünfte und vierte
Hand je 4 Pfund 4 Schilling kosteten, war der Preis
des dritten einschl. Index 3 Pfund, der des zweiten
beträgt nur 2 Pfund. Der vierte Band des Katalogs
enthielt mit dem Indexband zusammen 964 Seiten
und sein Erscheinen brauchte 2, bez. 3 Jahre nach dem
Schlüsse der Periode 1881—89; dagegen ist diesmal,
wo der Band 1180 Seiten füllt, nicht ein ganzes Jahr
bis zum Erscheinen desselben nach dem Schlüsse der
Periode 1890—97 vergangen. Das Alphabet der Ver-
fasser ist fast 60000 Namen stark, das der Stichworte
etwa 70 000, doch würde letzteres noch umfangreicher
geworden sein, wenn die Verweisungen von den Stich-
worten auf die Verfasser gewissenhafter gemacht wor-
den wären. So kommt Benthams British Flora nicht
unter British vor, während 100 andere Stichworte, wie
Birds, Boys etc. etc. auch unter British stehen; aber
merkwürdig, von den unter Birds aufgeführten 13 Bri-
tish Birds, findet man unter British nur 4, die andern
sonst nur unter den Verfassernamen. Von Hookers
Index Kewensis findet man unter Hooker sowohl
Part 2 apart, als an anderer Stelle das ganze Werk
u. s. w. u. s. w. Gewissenhaftigkeit ist eine der ersten
Bedingungen für die Bibliographie.
P. £. Richter.
Xachdruck verboten. — Alle Rechte vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von ZobeltitL in Berlin.
All« Sendungen redaktioneller Natur an denen Adreife: Berlin W. Augaburgerftraxe 6t erbeten.
Gedruckt »od W. Drufulln ,n Leipi.g fiir Velhagen 4 Klaaing m Bielefeld und L.ipiig. - Papier der Neuen Papier-
Manufaktur is Sir«. »bürg i. S.
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ZEITSCHRIFT
kCr
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobclütz.
3. Jahrgang 1899/1900. Heft 11/12: Febr./März 1900.
Die Anfänge der Buchdruckerkunst.
Zur Fünfhundertjahrfeier des Geburtstages Gutenbergs.
Von
Dr. Heinrich Meisner und Dr. Johannes Luther in Berlin.
n siebenhundert Werke und grössere
Aufsätze sind bis jetzt über die
Erfindung der Buchdruckerkunst,
die nun 450 Jahre zurückliegt,
und über ihre erste Verbreitung
geschrieben worden. Was alles
ist in ihnen enthalten? Da wird
das Lob der neuen Kunst in lateinischen Versen
besungen, da tritt der fromme Gottesstreiter in
begeisterter Predigt für sie ein, und ein anderer
hinwiederum hält sie für Teufelswerk und ihre Er-
finder für der Hölle verfallen. Das Blei der Buch-
staben, so meinen noch andere Lobredner, wirke
viel kräftiger, als das der Kartätschen; das Harz,
welches zur Buchdruckerschwärze gebraucht wird,
gleiche den arabischen Myrrhen, welche die Augen
erhellen, die Geister der Gelehrten aber würden
durch die Druckkunst gleich Mumien für die Nach-
welt einbalsamiert, und die Buchdrucker selbst, wie
die Schicksalsgöttinnen, pflegten ihre Lettern ver-
kehrt zu setzen, so dass wir die Abdrücke erst
jenseits sähen. Dann disputiert der Professor mit
seinen Studenten in einem Colloquium logicum
Uber das, was eigentlich Buchdruckerkunst sei,
und der historische Korscher steigt hinab in das
Dunkel sagenhafter Zeiten, um in ihnen die Spuren
der neuen Kunst wiederzufinden. Der Chronik-
schreiber stützt sich auf alte Traditionen, die von
Geschlecht zu Geschlecht Uber die ersten Drucke
sich fortgepflanzt haben, und stellt seinen Lokal-
patriotismus obenan; ihm entgegen tritt der findige
Archivar, welcher Originalurkunden veröffentlicht;
Z. f. n. 1899, 1900.
und Uber sie hinweg schreitet stolz der Kritiker,
der alles zu zersetzen vermag, um aus dem Nichts
seine eigene Meinung emporwachsen zu lassen.
Zu dieser Menge von Forschungen andere
Thatsachen, zu diesem Widerstreit der Meinungen
eine besondere hinzuzutragen, ist nicht der Zweck
dieser Zeilen. Allein es verlohnt sich wohl der
Mühe, jetzt, da ein Stillstand der litterarischen
Fehden eingetreten ist und ein Abschluss zu Gunsten
eines Mannes und einer bestimmten Zeit erfolgte,
aus der Menge des nicht jedem zugänglichen oder
nicht leicht lesbaren Materials dasjenige heraus-
zuheben, was wert ist, einem grösseren Leserkreis
der Gebüdeten erhalten zu bleiben.
Über die ersten Versuche, Schriftzeichen und
Bilder mechanisch zu vervielfältigen — die Kunst
des Stempel- und Zeugdrucks, die hölzernen und
elfenbeinernen Buchstaben der Römer, die Druck-
verfahren der alten Chinesen, die Produkte der
deutschen Briefmaler, die Metallschnitte, Schrot-
blätter und Teigdrucke — wollen wir an dieser
Stelle hinweggehen und verweisen dabei auf ein
umfangreicheres Werk, das in den nächsten Wochen
bei den Verlegern dieser Hefte aus der Feder der
oben genannten beiden Verfasser erscheinen wird.
Alle die ersten zeitraubenden und kostspieligen
Versuche der Zeit vor Gutenberg, Bilder und
Schriften zu reproduzieren, wurden durch den
Holztafeldruck in den Schatten gestellt. Er allein
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410
Meisner und Luther, Die Anfange der Buchdruckerkunst etc.
genügte dem Bedürfnis der Zeit, welche schnell und
billig Bilder und Bücher verlangte. Die ersten
Versuche fielen natürlich noch sehr schwach aus;
obgleich es keine lange und keine mühevolle
Arbeit erforderte, ein Blatt in Holz zu schneiden,
waren doch die Holzblöcke und die Messer zu-
nächst noch technisch sehr unvollkommen. Hatte
man aber einmal einen Holzblock eingeschnitten,
so war dadurch eine schnelle und leichte Verviel-
fältigung möglich gemacht, und Hunderte von Ab-
zügen konnten zugleich auf den Markt geworfen
werden. So entstanden aus den alten Briefmalern
(Abb. 2) handwerksmäßige Briefdrucker, die auch
Formschneider (Abb. 13), Printers oder schlechthin
Drucker (Abb. 15) genannt wurden und sich den
verwandten Zünften, wo es anging, anschlössen.
Die Zeit ihres Aufkommens in Mitteleuropa
fällt mit dem Beginn des XV. Jahrhunderts zu-
sammen. Herr Virich von Ulm geniesst die zu-
fällige Ehre, als erster urkundlich belegter Form-
schneider im Jahre 1398 nachgewiesen zu sein.
Ihm schliessen sich als älteste bekannte Berufs-
Abb. j. I>er Briefmaler. Nach Jotl Annan»
Abb. 1.
Kis> des Holuchnme« Maria nit dein Kinde mit der Jahreuahl 1418.
iconogTaphitiues et typ j jrjph.-me» de la
royale de Delgique.)
genossen Jan de prenter in Antwerpen
141 7, Wilhelm Kegel in Nürdlingen
1428, J/ans Pömer in Nürnberg 1428,
Henne Kruse von Mainz in Frankfurt
1440 an. In der St. Lucasgilde in Ant-
werpen, deren ältestes bekanntes Privileg
bis zum Jahre 1442 hinabreicht, finden
sich Maler, Bildschnitzer, Glasmacher,
Uluminierer und Drucker vereinigt; die
St Johannisgilde in Brügge umfasste im
Jahre 1454 alle Schreiber, Schulmeister,
Buchhändler, Holzdrucker, Blumina-
toren, Buchbinder und Bildermacher.
Je mehr man sich mit der neuen
Kunst beschäftigte, desto mehr ver-
suchte man auch, das Handwerkszeug
und das Material dafür zu verbessern.
In der Handhabung des sich verfeinern-
den Messers übten sich alle, die es
brauchten; die Druckerfarbe, die zu-
nächst von braunem Leim gewesen
war, stellte man nun durch Kuss und
Öl her, und an die Stelle des schweren
und teuren Pergamentes und des dicken
brüchigen Baumwollenpapiers trat das
Leinenpapier, dessen Fabrikation sich
in Mitteleuropa schnell verbreitete.
War der Schnitt einmal beendet, so
war das weitere Verfahren des Druckens
leicht Die Tafel wurde mit Farbe
Uberstrichen, darauf das angefeuchtete
Papier gelegt und dieses vermittelst
eines Reibers fest an die Tafel ange-
drückt Der Reiber selbst war ein mit
Pferdehaaren oder Tuchstücken stratf
gestopfter Lederballen (Abb. 17). Die
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Meisner und Luther, Die Anfinge der Bochdrecker kunst etc.
4M
Abb. j. l>tr Pifyier.
Jan Ammans HoUicbnitt.
Kunst, ihn richtig zu gebrauchen, garantierte
den Erfolg eines gelungenen Druckes; es
gehörte zu seiner Handhabung eine stets
gleichmassig verteilte Kraft Die Rückseite
des aufgelegten Blattes zeigte infolge des
öfteren Hin- und Herreibens die derben
Umrisse der Bilder und Buchstaben derart,
dass diese Rückseite für den Druck ungeeignet
war. Die ersten Holztafeldrucke sind also
alle anopistographisch.
Was von Holztafeldnicken vor dem ersten
Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts berichtet
wird, erwies sich als wenig glaubwürdig. Er-
wähnt ist oft in den Geschichten der Buch-
druckerkunst die Erzählung eines Franzosen
Papillon, welcher ein aus dem XIII. Jahr-
hundert stammendes Buch, in Holztafeldruck
hergestellt, in Bagneux bei Mont- Rouge ge-
sehen haben will. Der in Holz geschnittene
Titel dieses Buches sei mit Wappen und
gotischen Ornamenten verziert gewesen und
habe besagt, dass die adeligen Zwillings-
geschwister Cunio zu Ravenna in ihrem
sechzehnten Jahre die ritterlichen Thaten
Alexanders des Grossen nach ihren eigenen
grösseren Gemälden in acht Tafeln in Holz
geschnitten, mit Reimen versehen, abgedruckt
und dem Papste Honorius IV. gewidmet hätten.
Es hat sich Uber die Angaben Papillom ein
arger litterarischer Streit entsponnen, den sie
nicht verdienen; denn die Thatsache, dass
spätere Holzschnitte zu der oft gedruckten
Geschichte Alexanders des Grossen gar keine
Ähnlichkeit mit den von Papillon beschrie-
benen Bildern der Geschwister Cunio er-
geben, besonders aber, dass dieser Beider Ge-
schichte in Italien sagenhaft ausgeschmückt und
von Scotti zu einer Novelle benutzt wurde, lassen
darauf schliessen, dass Papillon selbst durch ein
viel später entstandenes Druckwerk, welches zur
Illustration jener Novelle gefertigt wurde, sich hat
täuschen lassen. Andere Versuche, Holztafeldrucke
vor dem XV. Jahrhundert nachzuweisen, haben
sich als ebenso erfolglos gezeigt
Durch den Abdruck eines einheitlichen Holz-
stockes allein ist aber noch nicht der letzte Schritt
zur Erfindung des Druckens mit beweglichen Typen
geschehen. Es musste noch ein anderes Erforder-
nis erfüllt werden; das war das Einsäten von
Schrißzügm. Denn die Herstellung etwa eines
Heiligenbildes in der Art des Holztafeldruckes,
aber ohne jede Inschrift, ohne jede Jahreszahl
konnte ihrem Wesen nach gar nicht zu der
weiteren Erfindung führen.
Diese einfachen inschriftlosen Abdrücke von
Holzschnitten wurden daher von älteren Beobachtern
gewissermassen als Vorläufer des mit Inschrift ver-
sehenen Holztafeldruckes bezeichnet, und es wurde
eine Reihenfolge : inschriftloses Bild, Bild mit Schrift-
einsatz, Schrift ohne Bild innerhalb der Zeit der
Holztafeldrucke und vor Beginn des Druckes mit
a-nftoOmfitotm m rraanraire torrta -t-
5(lnmw ftf Himer mm m mm$£
Abb. 4. Der Vcilije Christoph.
; mit der Jahrcuahl 1413.
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412
MeUner und Luther« Die Anfinge der ßuchdnickerkunst etc.
beweglichen Buchstaben konstruiert. Das ist aber,
wie mit Recht dagegen eingewendet worden ist,
mit den geschichtlichen Thatsachen nicht in Ein-
klang zu bringen. Denn zeitlich liegen, das ist
von der zeitlichen Trennung absehen und sie auf
das rein technische Gebiet Ubertragen. Rein tech-
nisch genommen steht das einfache Holzschnittbild
dem Drucke mit beweglichen Buchstaben am fem-
t~4 , ■ » l %-» - ■ «—
rteiyj fttnrnourtruBin -
fmTHb trn9 OßnbjiriViDit
übt v*nuD£irfra-i-öo-:r qiu
Irt'rt-'-vniitaxBT'rOx (Jübir-
roc? iKuti jibj_öi'e : firfep&tg
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1, * ■ "V
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jru m tnV öi rrr> 0 fv ft9 In
BuirfflrfjfliTütf PÜGUJ
■ j^T^ — !
Abb. 5. Ulalt
Nach <lcn> KxempUr in der
(A.
keine Frage, alle diese verschiedenen Stadien der
Vorbereitung zur Erfindung der Buchdruckerkunst
nebeneinander, ja sie gehen sogar noch weit in die
Zeit nach der Erfindung des eigentlichen Buch-
druckes hinein. Trotzdem ist diese Unterscheidung
möglich, ja sogar geboten; nur müssen wir dabei
Arracnbibtl. Vrrkloncrt.
Albrechuchen I
sten; der erste Annäherungsschritt ist das Einsetzen
Schriftzeichen innerhalb des Rahmens des
von
Bildes, sei es auf Spruchbändern oder ohne die
Umgrenzung eines solchen; ihm folgen Bilder mit
geschlossen darunter gesetztem Text, beides zwar
auf demselben Holzstock, aber Bild und Schrift
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5
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I
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"5 6
E
& .2
3
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M«-i*ncr und Luther, I>ie Anfänge der BuclidruckerkunM etc.
4' 3
6. BUtt »>.. Itr Jcui^h« Au.eal.e ,1er Art raorien«ii.
Nach dem F.«,n|.U» der Fur.ll. Fur.tei.betp.chtn Hcfb.bl.mhek
«u iJuiuuic.chinge». (Duuth: Ar» muncmJ..)
Zeit um das Jahr 1460. Die Karten, die aus
früherer Zeit \orhanden, sind durch den
Kupferdruck hergestellt, dessen Künstler und
Techniker sich frühzeitig des gewinnbringenden
Geschäftes bemächtigt hatten und Werke von
grossem künstlerischem Werte sowohl in Auf-
fassung als in Zeichnung schufen.
Den Spielkarten stehen an Alter zunächst
die Hiili;rnbiliier und andere Darstellungen
der Heiligen, Kirchen- und Wundergeschichte.
Auch sie waren viel begehrt und wurden
namentlich bei Wallfahrten und ähnlichen Ge-
legenheiten in grosser Zahl vertrieben, dienten
aber auch der häuslichen Andacht
Die Altersbestimmung dieser Holzschnitt-
abdrücke schien leichter zu sein als diejenige
der Karten. Ein Holztafeldruck mit einer
JahKSMhl, welche als MCCCCxviii (1 418) ge-
deutet wird, stellt die J/älige Jungfrau dar,
mit dem Jesuskind auf dem Arm, umgeben
von der hl. Katharina, der hl. Barbara, der
hl. Theorithea und der hl. Margarethe. Sie
sitzen in einem Garten, der vorn durch eine
Thür verschlossen ist. Vom Himmel kommen
drei Engel herabgeflogen, welche Kränze oder
Blumenkronen in den Händen tragen. Die
Jahreszahl steht auf dem obersten Querbalken
der in den Garten führenden Thür (Abb. 1).
Dieser Holzschnitt gelangte im Jahre 1844
in den Besitz der Bibliotlu-que royale As
räumlich von einander getrennt Dann kommt
der bildlose Text auf einheitlichem Holzstock;
und erst von diesem .ms führte der anscheinend
so einfache, aber doch so ausserordentlich weite
Sprung zur Erfindung de* Typendruckes.
So schön sich theoretisch eine solche
Reihenfolge ausnimmt, so ist sie geschichtlich,
wie schon bemerkt, nicht berechtigt, und wir
werden daher im folgenden, bei der Be-
sprechung der Einzelbauer des Holztafel-
druckes, uns den thatsächlichen Verhältnissen
anschliessen.
Der Wunsch, ein Verfahren zu erfinden,
welches eine schnellere und bequemere Her-
stellung von Bild- oder Schriftwerken gestattete,
als das mühevolle Schreiben und Zeichnen
mit der Hand es ermöglichte, traf natürlicher-
weise zunächst solche Darstellungen oder
Werke, die viel gebraucht und daher auch viel
begehrt wurden. In den Ruhm, hier an der
Spitze zu schreiten, teilen sich, es klingt fast
paradox, gewissermassen Himmel und Hölle,
Tugend und Laster, nämlich Heiligenbilder und
Sf>irlkart<n. Wem von diesen beiden der end
giltige zeitliche Vortritt zu lassen sei, ist zweifel-
haft; will man aber eine Entscheidung treffen,
so spricht die Wahrscheinlic hkeit für die Spiel-
karten.
Der heutigen Annahme nach stammen die
ältesten erhaltenen Holzschnitlkartcn aus der
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4M
Meisner und Luther, Die Anfänge der
etc.
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Abb. 8. Matt au» «lfm Liber Kegiim. Verkleinert.
Nachdem F«em s .l.u i« <lcr K K. l'nivctsiian-IJibliuihck tu I »»»brück. (R. Hochegger; Uber Refiiro.)
Belgique; allein es knüpftet) sich bald allerhand
hässliche Erzählungen Uber den Verkäufer daran. Ks
traten ziemlich unverhüllte Behauptungen auf, er
habe das ganze Bild gefälscht, zum wenigsten sei die
Jahreszahl irgendwie tiberzeichnet. Der wichtigste
Kinwand gegen die Echtheit der letzteren waren
die Ausführungen von Charles de Bruu, welcher
nachzuweisen suchte, dass die Kostüme auf dem
Holzschnitte keinesfalls aus der ersten Hälfte des
XV. Jahrhunderts stammen könnten, sondern
frühestens der zweiten Hälfte desselben angehör-
ten. Ks wurde daher ein fehlendes 1 in der
Jahreszahl vermutet, wonach diese eigentlich
MOCCQxvin (1468) heissen sollte, ja andere
Korscher meinten nach Kinsichtnahme des Origi-
nals sogar Spuren dieses 1 auf dem sehr schlecht
erhaltenen und ausgebesserten Holzschnitte noch
zu erkennen. Natürlich fanden sich auch Vertei-
diger der Unanfechtbarkeit des Druckes. Indessen
sind die Meinungen zu sehr geteilt, um dieses
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Meisner und Luther. Die Anfänge der Buchdruckerkunst etc.
415
Bild mit Sicherheit als eine zeitlich bestimmte Ur-
kunde für die Geschichte des Holwchnittes be-
zeichnen zu können.
Ein Bildnis des heiligen Christopherus trägt die
Unterschrift:
Christofori faciem die quacumque tueris,
lila nempe die morte mala non morieris.
Millesimo cccc°xx° tercio.
D. i. : „An dem Tage, an welchem du das Antlitz
des Christopherus ansiehst, wirst du eines bösen
Todes nicht sterben. 1423." Der Holzschnitt
wurde auf der Innenseite des Deckels einer aus
dem Jahre 141 7 stammenden Handschrift in der
Bibliothek der ehemaligen Karthause ihixheim bei
Memmingen um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts
aufgeklebt gefunden und gelangte mit der Hand-
schrift später in den Besitz des bekannten Bücher-
freundes und Büchersammlers Lord Spencer (Abb. 4).
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0«m««rt we|Hb*0«J bmltgmWvrt* ■
Abb. 9. Der heilige Sebastian.
Nach dem kolorierten Holmfeldnick des Münchaner Kuprerstiehkabinet». 147».
l\V. Schmidt: Intereisante l'ormschuitte, 18S6.
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4(6
Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdnickerkunst etc.
4
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Abb. m, Blau aus der Apokalypne. Verkleinert,
Nach dem KxcmpLar der Bibliothek Firmin-Didou (IMinski : Mvniuncau de La Xylugrapluc.)
Die Folgerung, das Jahr 1423 als das Fntstehungs-
jähr dieses Holzschnittes zu betrachten, lag nahe,
aber sie ist nicht gerechtfertigt. Wie sich beson-
ders bei den Blockbüchern, auf welche wir weiter
unten zu sprechen kommen, zeigt, wurden in jener
ersten Zeit des Holzschnittes die Zeichnungen für
diese im allgemeinen durchaus nicht erst fiir den
vorliegenden Kall angefertigt; vielmehr kopierten
die Holzschneider zumeist ältere, seit langer Zeit
bekannte handschriftliche oder handzeichnerische
Vorlagen und schlössen sich diesen sklavisch an.
Das brachte es mit sich, dass eine Jahreszahl in
den Holzschnitt hineinkommen konnte, die mit
dem Entstehungsjahr desselben in keinem Zu-
sammenhang stand, sondern nur in der, vielleicht
sehr viel älteren Vorlage enthalten war. Was sie
in dieser für eine Bedeutung hatte, ob sie die Zeit
der Herstellung des Bildes überliefern oder zur
Charakterisierung des Bildes selbst dienen sollte,
ist eine Sache für sich. Dass dieser Fall auch
bei dem lülde des heiligen Christopherus vorliegt,
ist anzunehmen. Er wird bestätigt durch die
Thatsache, dass ein zwar ähnliches, aber von
einem anderen Holzstocke abgezogenes Bildnis
des Christopherus, welches sich in Paris befindet,
gleichfalls die Jahreszahl 1423 trägt üb nun
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Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkunst etc.
417
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Abb. 11. Blatt aui der Apokalypse. Verkleinert. Geeenbtatt ru dem Bilde Seit« 416.
eine besondere Begebenheit, etwa von der Art,
„dass Jemand, der gewohnt war, dem Heiligen
täglich seine Verehrung zu bezeigen, dies nur ein-
mal unterlassen und gerade an diesem Tage ums
Leben kam" und dazu die Entdeckung, „dass die
Andacht zu St. Christoph an demselben Tage
vor gewaltsamem Tode schützt", so wichtig er-
schien, um „durch ein Bild mit der Jahrzahl der Ver-
anlassung erhalten zu werden", wie vermutet wor-
den ist, oder ob der Jahreszahl 1423 eine andere
Ursache zugrunde liegt, lassen wir dahingestellt
Jedenfalls sind wir nach den obigen Ausführungen
Z. f. B. 18991900.
nicht berechtigt, das Jahr 1423 als das Ent-
stehungsjahr des Holzschnittes vom heiligen Christo-
phorus zu betrachten. Ja es wird von berufener
Seite sogar in Abrede gestellt, dass dieser heilige
Christophorus in der Weise der älteren Holztafel-
drucke „mit dem Reiber und blasser Farbe" her-
gestellt, sondern behauptet, dass er vielmehr „mit
der Presse und dunkler Druckerschwärze gedruckt"
sei; eine solche Herstellung hätte aber im Jahre
1423 sicher noch nicht stattgefunden.
Ansprechender ist schon die Vermutung Uber
die Entstehungszeit des nicht datierten Holzschnittes
53
418
MeUner und Luther, Die Anfänge der Buchdntckerkunst etc.
mit den Reichskleinodien, der sich im Germanischen
Museum zu Nürnberg befindet, und dessen Ent-
stehung in die Jahre 1424 oder 1425 gesetzt
wird Denn da in dem ersteren dieser beiden
Jahre die Reichskleinodien aus Ungarn nach Nürn-
berg geschafft wurden, so ist es leicht möglich,
dass jenes Ereignis den Grund zur Anfertigung
des Bildes gegeben hat
Manche der noch erhaltenen Holzschnitte
mögen ja wirklich ein recht hohes Alter besitzen.
So setzt der grosse Kenner der ältesten Druck-
erzeugnisse, T. O. Weigel, einen inschriftlosen Holz-
schnitt seiner Sammlung, Christus unter der Kelter,
in die Jahre 1380— 1390, und Minzloff, der Con-
servateur en chef der Kaiserlichen Bibliothek zu
Abb. II. Der Sclinltg ic»«er.
Nach Jost Amman f Holtichuitt.
St Petersburg, einen heiligen Hieronymus mit dem
Löwen und ein jüngstes Gericht in die Zeit um
1400. Allein eine feste Zeitbestimmung, ob sie
der zweiten oder ersten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts oder gar einer noch früheren Zeit an-
gehören, ist für diese mit dem Reiber hergestellten
Holztafeldrucke, sofern nicht irgend ein besonderes
Merkmal vorliegt, „wegen ihrer fast durchgängigen
Rohheit" aus inneren Gründen nicht möglich.
Es kommt hinzu, dass die Heiligenbilder in
Holzschnitt mit unverdächtiger Zeitbestimmung
sämtlich erst der Zeit nach dem Jahre 1450 ent-
stammen. Von diesen möge ein Heiliger Sebastian
erwähnt werden, der sich im Königlichen Kupfer-
stichkabinett zu München befindet. Unmittelbar
unter dem Bilde steht ein Gebet zum heiligen
Sebastian als Beschützer vor der Pestilenz und ein
Gebet zu Gott Am Schlüsse befindet sich die
Ziffer 72, die zu 1472 zu ergänzen ist (Abb. 9).
Diesen religiösen Darstellungen, die in grosser
Menge erhalten sind, schliessen sich diejenigen
weltlichen Charakters an, unter welchen die Kalen-
der eine besondere Stellung einnehmen. Auch
diese sind nach älteren handschriftlichen Vorlagen
geschnitten. Der älteste bekannte ist für die Jahre
1455 — 1759 berechnet und wahrscheinlich 1465
oder 1466 geschnitten. Er befindet sich auf der
Kaiserlichen Bibliothek zu St Petersburg, ist aber
nicht vollständig erhalten. Er nennt sich selbst
den Thesaurus curatorum und bringt eine lange
Beschreibung zu seiner Benutzung. Der Zweit-
älteste ist der berühmte Kalender des Johannes de
Gamundia, der lange Zeit für den ältesten an-
gesehen, im Jahre 1439 berechnet und im Jahre
Abb. ly Der Formichneider.
Nach Jon Amman« HoLnchiutt.
1468 in Holz geschnitten worden ist Von ihm ist
sogar der Originalstock noch erhalten.
Alles das, was hier über Einzelblätter des
Holztafeldruckes gesagt ist, trifft in seiner Ge-
samtheit auf diejenigen Erzeugnisse dieser Art zu,
die mit dem Namen Blockbücher bezeichnet werden.
Rein äusserlich, ohne jeden Zusammenhang
mit der Zeit der Herstellung, lassen sich die Block-
bücher unterscheiden in solche, welche Bild und
Text auf dem gleichen Block führen, solche, in
denen Bild und Text getrennt auf verschiedenen
Blöcken und demgernäss auf verschiedenen Seiten
stehen, und schliesslich solche, die nur Text ent-
halten.
Folgen wir dieser äusserlichen Einteilung, so
stellen wir an die Spitze das in der Komposition
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419
der Bilder und im Figurenreichtum hervorragendste
Denkmal der Blockdruckkunst, die sogenannte
Armenbibel, die Biblia pauperum. Sie enthält die
ganze Heilsgeschichte von der Verkündigung Maria
und der Geburt Christi an, Christi F.rdenwallen
und Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt
und die Ausmessung des heiligen Geistes. Darauf
folgen in der vierzigblättrigen Ausgabe — es giebt
auch eine auf fünfzig Blättern — noch die Krönung
Maria, der jüngste Tag, die Hölle, das ewige Leben
und die Belohnung der Glückseligen. Die Dar-
stellung ist durchweg derart, dass das neutesta-
mentliche Bild sich auf der Mitte des Blattes be-
findet, rechts und links davon je ein Bild aus dem
Alten Testament, welches seinem Inhalt nach auf
Abb. 14. Der Rrift|ser (Zeichner).
Nach J att A m Ol 1 0 I HoUtchnitt.
das neutestatnentliche in Bezug gesetzt ist Über
und unter dem Mittelbilde befinden sich je zwei
Bildnisse biblischer Schriftsteller; auf Spruch-
bändern, die von dem unteren Rande dieser Bild-
nisse ausgehen, steht ein dem betreffenden Schrift-
steller entnommener Text Der beiderseitige freie
Raum neben den Bildnissen ist oben durch Bibel-
texte ausgefüllt, welche die darunter befindlichen
Darstellungen erklären sollen, unten durch einen
kürzeren, ebenfalls auf die Darstellungen bezüg-
lichen Text (Abb. 5). Eine Unterschrift in der
Mitte des unteren Randes schliesst das Ganze ab.
Zu beachten ist, dass die Blätter, ausser in einer
Ausgabe, welche deshalb für die älteste gehalten
wird, beziffert sind, und zwar durch die Buchstaben
des Alphabets, deren je einer sich unter der Mitte
der beiden oberen Bildnisse befindet.
Umfasst die Armenbibel in ihrem Inhalt in
gewissem Sinne den Ideenkreis der ganzen Bibel,
so behandeln andere Blockbücher einzelne Teile
derselben. Der Liber regum seu vita Davidis,
das Buch der Könige, stellt auf zwanzig Blättern
die Geschichte der Könige Saul und David dar,
vom Knaben Samuel im Tempel an bis zu Davids
Tod. Jedes Blatt ist in vier Felder geteilt, von
denen die beiden grösseren oberen je ein Bild
enthalten, wozu die kleineren unteren den Text
geben (Abb. 8). Die Historia seu Providentia b.
Virginis Mariae ex Cantico Canticorum, das Hohe-
lied, bringt auf sechzehn Blättern zweiunddreissig
Darstellungen. Die auf den Spruchbändern
stehenden Textstellen des Hohenliedes erklären die
Bilder aus dem Verhältnis Christi, des Bräutigams,
zur Braut, der als Sinnbild der christlichen Kirche
Abb. 15 Der Buchdrucker.
Nach Jon Amman» Holuchnitt.
dienenden Jungfrau. Die Historia Sancti Johannis
Evangelistae ejusque visiones apocalypticae oder
das Buch der heimlichen Offenbarung Sankt
Johannis, d. i. die Apokalypse, giebt auf fünfzig,
in einigen Ausgaben auf achtundvierzig Blättern
Illustrationen zu den Visionen St. Johannis auf
I'atmos und seiner I^eidensgeschichte (Über die
verschiedenen Ausgaben der Apokalypse vergl.
Z. f. B. 1897, Heft 1). Der Text ist in der Form
von Spruchzetteln sowohl über als unter und neben
den Figuren hinzugefügt (Abb. 10/11).
Der Armenbibel nahestehend ist das Speculum
humanae salvationis, der Jfeilsspiegel, oder, wie
der Titel in holländischer Sprache lautet, der
Spieghel der menscheliker Behoudenisse. Dieses
Buch bringt eine Anzahl von Bildern aus dem
Ideenkreis des Neuen Testamentes, vermehrt durch
Darstellungen aus der Erlösungsgeschichte der
Menschheit, mit dem Falle der Engel und der
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420
Meisner und Luther, Die
der
Vertreibung aus dem Paradiese beginnend. Das
Defensorium inviolatae virginitatis b. Mariae Vir-
ginis, die Verteidigung der unbefleckten Empfängnis
Marid, ein lateinisches Werk des Dominikaner-
mönchs Franciscus de Retza in Wien, welches aus
mythischen und naturgeschichtlichen Beispielen die
Möglichkeit einer unbefleckten Empfängnis zu er-
weisen sucht, zeigt auf jedem Blatt zwei Bilder
nebst darunterstehendem Text.
Andere hierher gehörige Blockbücher sind der
Entenrist, d. L die Legende des vom Satan ge-
sandten falschen Messias, des Antichrists, ein
Buch, welches von manchen Forschern als mit
demjenigen von den Jünjtehen Zacken des Jüngsten
Gerichts zusammengehörig betrachtet wird, ferner
das Exercitium super Paternoster, d. i. die Aus-
legung des Vaterunsers, das Symbol um apostolicum
oder das Apostolische Glaubensbeketintnis, sowie die
Zekn Bott für die ungelernte leüt. Dazu mögen
noch drei äusserlich kleine, in Oktavformat ge-
druckte Blockbücher, das Geist- und weltliche Rom,
eine Art Reisehandbuch und Legendenbuch für
die nach Rom ziehenden Pilger, sowie das Zeit-
glöcklein und die Sieben Todsünden gestellt werden.
In dem Totentanz, jener im Mittelalter und
auch später noch so beliebten Darstellung der
Vergänglichkeit des Menschen (vergl. Z. f. B. 1 898,
Heft 7/8), den Acht Sckatkkeiten, der Legende vom
ketligen Af einrat, der Fabel vom kranken IJhven,
der Chiromantie des Doktor Johann Hartlieb, Leib-
arztes Herzogs Albrechts des Frommen zu Bayern,
sowie in dem Kalemtcr des Johannes Regiomontanus
und der Folge der sieben Planeten sehen wir auch
andere als rein theologische Themata behandelt
Sogar ein, wohl in England angefertigtes kunst-
Abb. 17- Druck- 1 [ tressc des XVI. Jahrhunderts.
Abb. 16. Der Buchbinder.
Nuch Jost Amman* ]
volles Alphabet von Initialen, in welchem die Buch-
staben aus Darstellungen menschlicher Körper zu-
sammengesetzt und gelegentlich mit einer Inschrift
versehen sind, ist uns in Holzschnitten aus dem
XV Jahrhundert erhalten.
Schon von den in dieser ersten Abteilung auf-
gezählten BlockbUchern, welche Bild und Text auf
derselben Seite vereinigen, bilden einige, wie das
Liber regum, das Defensorium inviolatae virginitatis
b. Mariae virginis u. a. dadurch, dass sie den
Text in Kolumnenform unter und damit ausser-
halb des eigentlichen Bildes stellen, bereits ge-
wissermassen einen Übergang zu der zweiten Klasse
von Blockbüchern, welche Bild und Text derart
trennen, dass jedem ein besonderes Blatt ein-
geräumt wird.
Diese zweite Klasse von BlockbUchern wird
repräsentiert zunächst durch die Ars moriemli,
d. i. die Kunst tu sterben, auch unter den Titeln
De temptationibus morientium und Tentationes
daemonis geführt Sie ist ein Werk des Matthäus
von Krakau, späteren liischofs von Worms, und
umfasst 24 Blätter, von denen die zwei ersten
die VorTede bilden, während die folgenden elfmal
je ein Bild auf der einen und den dazu gehörigen
Text auf der gegenüber stehenden Seite enthalten
(Beilage). Die Ars moriendi ist sicherlich eines
der verbreiterten Blockbücher gewesen. Das be-
weisen sowohl die etwa dreissig bekannten Aus-
gaben, als auch der Umstand, dass sie nicht nur
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Meimer and Luther, Die Anfinge der Buchdrackeritunit etc. 42 1
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werden muss, so sind doch die auf uns
gekommenen Reste ausserordentlich gering,
wofür allerdings der starke Verbrauch,
grade wie für die geringen Überreste der
Holzdruckspiel karten, eine genügende Er-
klärung bietet Ähnlich ging es mit dem,
wenn auch nicht ganz so viel gebrauchten
Dcvtrinale des Alexander Gallus ,
( .rainmatik in Versen.
Abb 1». T>pe« der j6 reiligen Bibel Gillenberg».
in lateinischer, holländischer und deutscher (Abb.
6/7), sondern auch^in englischer und französischer
Sprache gedruckt ist, während andere Blockbikher
ausser einem französischen Calendaire nur in den
drei erstgenannten Sprachen bekannt sind. Die fran-
zösische Ausgabe stammt vermutlich aus Flandern.
Wegen ihres Inhaltes besonders hervorzuheben
ist ein zweiter Repräsentant dieser Klasse, die
Ars memorandi notabilis per figuras Evangelistarum,
die Kunst, die Erzählungen der Evangelisten dem
Gedächtnisse einzuprägen, gewöhnlich kurzweg die
Ars memorandi genannt. Jeden» der fünfzehn
Bilder (Sinnbilder der Evangelisten mit Attributen
und Spruchbändern) gegenüber steht eine Textseite
mit dem Inhalt der auf
der Abbildung durch
Attribut und Ziffer ge-
kennzeichneten Kapitel
(Beilage).
Die dritte Klasse
endlich , Blockbllcher
ohne jede bildliche Bei-
gabe, nur Text enthal-
tend, bilden die Donale
und ähnliche Unter-
richtsbücher. Die Do-
nate, so genannt nach
dem römischen Gram-
matiker Aelius Donatus,
dem Lehrer des heiligen
Hieronymus aus dem
TV. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung, waren
die bekanntesten Schul-
bücher des Mittelalters
zur elementaren Er-
lernung der lateinischen
Sprache. Infolgedessen
versuchte sich der Holz-
tafeldruck schon früh
und in verschiedenen
Ländern an ihnen.
Allein wenn auch eine
Das Aller der Bloekbücher hat man
ebenso wie das der Einzelblätter des Tafel-
druckes des öfteren bedeutend Überschätzt
Äusserlich anscheinend unterstützt wurde
diese Anschauung durch eine Erzählung Dibdins,
Bibliothekars des bereits erwähnten Lord Spencer.
Dibdin berichtet von einer Äusserung des Antiquars
AlexanderHorn, der zu Anfang des XIX. Jahrhunderts
in Frankfurt a. M. lebte. Horn, der ein bedeutender
Kenner und Sammler von Seltenheiten des Buch-
druckes war, habe nach seiner Erzählung einen
Sammelband besessen, in welchem die Armen-
bibel, die Apokalypse und die Kunst zu sterben
enthalten gewesen seien. Diesen Sammelband
habe er aufgelöst und jedes Werk einzeln binden
lassen. Der alte Deckel sei hierbei verloren ge-
gangen, aber, so hätte Horn weitererzählt, er er-
innere sich noch, dass auf diesem Deckel eine
*Jlmfttjtig Bönig m Ijnmis ttoit
0fr off rttriftj tin tornt rroneJBn
Cm fltiit bamr do blutcroir £>a& balgt
ttufit in flftbmö not £f tö bat getragt
2U Ö man grois JDn ix bitbrt rot nath r
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E)nönbof£frantuBmOtrnf)itff um
oorbas in all? ftutm toibti ontetfrnbr
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grosse Verbreitung der-
angenommen
Abb.
(Di«
t». Am der Ma ming derChriilenheit wi.ter die Türken.,
ie Initiale im Original ro(. ebenso der Strich durch die Übenchnft-i
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4 22 Meiiner und Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkunjt etc.
Abb. 1«. (Jutenberg.
(Nach 1 in..: Virs et ponrsiiu det horemet ilhiitrci. 1584.)
Inschrift folgenden Wortlautes gestanden habe: Hic
über relegatus fuit per Plebanum . . . Ecclesiae . . .
Anno Domino 142 . . Die letzte Ziffer der Jahres-
zahl hätte er zwar vergessen, wisse jedoch genau,
dass die Zahl älter als 1430 gewesen sei. Wenn
nun ein solcher Sammelband von BlockbUchern,
deren es viele gegeben hat und deren auch heute
noch einige vorhanden sind, auf dem Einbände
eine Jahreszahl aus den zwanziger Jahren des
XV. Jahrhunderts trägt, und Einband sowohl als
Zahl unverdächtig sind, dann wäre das ein
schlagender Beweis für das Alter der in dem
Bande enthaltenen Bücher. Allein der vorliegende
Bericht ist sehr verdächtig, denn von einem
Sammler derartiger Seltenheiten muss man die
Fähigkeit verlangen, dass er die Wichtigkeit eines
solchen Deckels zu schätzen wusste; versteht er
das aber nicht, dann ist auch auf die Aussage
Uber die Jahreszahl gar kein Gewicht zu legen.
Weit mehr Bedeutung hat die Thatsache, dass
ein Sammelband von Blockbüchem aus der
Bibliothek des Lord Spencer (der jetzigen Rylands-
bibliothek in Manchester), der einzige uns wirklich
erhaltene Sammelband, der mit einer Jahreszahl
auf dem Einbände versehen ist und in welchem
eine Ausgabe der Armenbibel und der Apokalypse
zusammengebunden sind, die Jahreszahl 1467 trägt,
also eine weit spätere als jene fabulose Zahl
Horns und Dibdins. Wollte man ferner den von
anderer Seite angestellten Schätzungen des Alters
einiger Blockbuchausgaben Glauben schenken und
diese neben den zeitlich fest bestimmten Angaben
□ by VjOOQlC
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«t ö> «tuibu amen comp.thuo et fupUnuo jöi,
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monfhtf.Ut minus (rulrut j> piuErrnor.t cni c
1 n cuniicrj.rtic nemo Ruit mimn ineprus 9 ptu
cmnor.öO amen qn pro non 4t)>ibio pom? .ut
minu* bonu« x> maliuj.COjept quoqt 40übiKi»
non fblä poHro Ti erum comparö lüajrur.qn ip '
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ps.C II qn compühuü 40 fl»nri4n4 tomp4rur.«t
minut pof»rö dgninar.ut m4i» pontioi oulout.
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comp4c6ne orioitvr.p4u 4liq0 oulfroinrt ö> ttf*
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Con fr tun' JUnrm fupoiljnuü ruj a^n ttmo püiuU
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woto m Toncq» pnnuü tenerur eonrotojre rü qc
wtiuo in quc} ptirur in qjcto.ScO ilte rtrü» bibi
utuqt numeu.ut 4Üquirbominü ninit.ur 4bqut
bommuj oarür.Si ueio Occlirunir antii in plu
nb numcttj.Oüt coaroiojie m qcncnr et m'io.ur
nuptijq 4be bone 4be mj(e.9| nupttju .'J a bo
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■trö finguUn nominn coUrcnui.tik: rt4bir" gano
4 ntbiit funpormt.« non 4 «tntro.Vii Ti fi4f pn
CO 9 «Mit enr moTrubni trcnmt.ur unuo iftiut
popub e pcetut.Si 4iitf ftjr fi ftmm. eunr ehr
rrminim cjencno.ur on4 iiViut popub c beim. Ii
4UIV fi4r ptiCÖ pro IC infim&rj. ruru onr ncu.crr.
ut ilHut aertui 4ttu0 i fr; r a jli 1 in i Upis.Oi 411
rem ponif phrm nomen rui nomine morUro Or
bet rri>icrrc jfnut quoO >b> i quij rompjcönc)
babet 40 rrt p mmitiuG ruppoutje.f m urnuTqö
ociiOtc ijtrnirö.ct tx c oirrnoü.vnut crioti.unj »
C«.«t non vnü celou «t vnü epuUtt.non tn
für vn ue rcli* ur vn4 epul4.qi ctenus plu
rjl» e roitiut finsttun.Oc bor inFia 004m Oiat
in tt» trrnt.ru m or nomimbut rtbrorUti« jtam
♦ß *ic noa qp pnnuü qunicg mooif re'ptat uf nj
ejft grmttuü.qir»« fmc »rciccCne jlirumr j T nri»
ut ubioi mnu-Qna ol Oirnrröne ojenent.ut v
nui u»oti.<4fio; cu OirmNrjno 301015 et numeri
firut in compleriuit.ur nuptuu 4b« liint vnum
«be funt plutj jlon «mm oonrrto rp bn Oiarur.
ntipeuu 4IU r bor.4b4 rIV ilUiO.fiöqt rijbit «
nue 4 i« ruppoßa.ut buiufpopub 4Üut e I am
4buTr pljtu.ur jb.« btta 4(14 nclena.ai fennnM
«ö uero non rubelt 4bquir(exH»,c*bt w» «eutro
funV-ur buiue 4erhii abuD eO Bojnü 4ttu0 «IV U
Abb. ji. Bl*llteit< 1» dem Kalhol.kon i«6o.
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424
Meiiner und Luther, Die Anfänge der Buchdruck erkunst etc.
gelten lassen, so ergäbe sich die
immerhin auffallende Thatsache, dass
in einer grossen Anzahl der erhaltenen
Blockbuchsammelbände Ausgaben
zusammengebunden wären, die bis
zu vierzig Jahren auseinander liegen.
Die wirklich datierten Blockbuch-
ausgaben tragen verhältnismässig späte
Zahlen. Von zwei Ausgaben der
Armenbibel ist die eine laut ihrer
eigenen Angabe durch Friedrich
Walther, Maler zu Nördlingen, und
Hans Hürning im Jahre 1470 her-
gestellt; die andere trägt die Wappen
Hans Sporers, des Nürnberger Brief-
malers, mit der Jahreszahl 1471; eine
italienische
Ausgabekann
sogar nicht
vor dem Jahre
1509 erschie-
nen sein, da
in ihr einige
Holzschnitte
aus Dürers Kleiner Passion
nachgebildet sind Eine
Ausgabe der Legende vom
Antichrist ist von dem Brief-
maler Junghannss in Nürn-
berg im Jahre 1472 ange-
fertigt. Zwei Ausgaben der
Verteidigung der unbefleck-
ten Empfängnis Mariä tra-
gen die Jahreszahlen 1470
und 1 47 1 ,die erstere mit dem
Monogramm F. W., das ist
jedenfalls Friedrich \ V alt her,
einer der oben genannten
Drucker der Armenbibel, die
spätere mit der Namens-
nennung des Druckers Jo-
hannes Eysenhut. Eine Aus-
gabe der Ars moriendi ist
von Hans Sporer 1473
hergestellt.
Einen weiteren Wahr-
scheinlichkeitsbeweis gegen
das überhohe Alter der
Blockbücher bietet folgen-
der Umstand In den Jahren
1488 und 1491 druckte
Feter van Os zu Zwolle
in Ober-Yssel Bücher, in
denen Teile derselben Holz-
stücke, von denen die
Originalausgabe der Armen-
bibel abgezogen war, Ver-
wendung fanden; ebenso iin
Jahre 1483 der Buchdrucker
Veldener zu Culenborg in
Geldern einen holländischen
Abb. lt.
Siegel Johann Gutenberg*.
Nach dem Origioat in der Boraca-
vereins - Bibliothek der lreutachen
Buchhändler iu Leipiig.
Abb. ty Wappen
der Familie Geniüeisch.
Abb. 14. Gillenberg.
Nach einer farbigen Minialure «in Veraot.
(Duvergex : Hiitoire de l'wvenfion de l\mpr>mene. 1840).
Heilsspiegel, in welchem die Holz-
stöcke des früheren Blockdruckes,
allerdings zerschnitten, wieder ge-
braucht wurden. Wenn es nun auch
Beispiele giebt, dass Holzstöcke sich
sehr lange erhalten haben — auch
heute noch existieren umfangreiche
Sammlungen alter Holzstöcke aus dem
XV. und folgenden Jahrhundert — so
ist doch eine Verwendung derselben
zu Druckzwecken nach vielen Jahr-
zehnten nur in äusserst seltenen Fällen
nachweisbar. Es ist daher zum min-
desten nicht wahrscheinlich, dass die
genannten Holzstöcke erstlich etwa in
den zwanziger Jahren des XV. Jahr-
hunderts, und dann erst wieder in den
achtziger Jahren verwendet sein sollten ;
vorsichtige Forscher halten vielmehr
höchstens einen
Zeitraum von
3° — 35 Jahren
für die Nichtbe-
nutzung dieser
Holzstöcke für annehmbar.
Alle übrigen Versuche, das
Alter der Blockbücher zu be-
stimmen , sind bedenklich.
Namenüich kann man aus
den Eigenheiten des Stiles,
der grösseren oder geringeren
Vollkommenheit der Zeich-
nung und des Schnittes, ja
auch aus der Art der Herstellung des Druckes
bestimmte Schlüsse kaum
ziehen. Denn ebensowenig
wie für die Einblattdrucke
wurden die Zeichnungen zu
den Blockbüchern erst be-
sonders entworfen, sondern
es wurden die grade vor-
handenen handschrifüichen
Vorlagen benutzt, welche
zum Teil um Jahrhunderte
früher entstanden waren.
So gut man nun innerhalb
der Bilderhandschriften ge-
wisse Schulen oder andere
zeitliche Charakteristika fest-
zustellen vermag, ebenso
kann man wohl ein Block-
buch als gedruckte Nach-
folge dieser oder jener
Schule nachweisen, nimmer-
mehr aber innerhalb der
Reihe der Blockbücher aus
diesen Eigenheiten nunmehr
eine selbständige Reihen-
folge konstruieren. Damach
würde man versucht sein,
gröberer Zeichnung oder
Abb. 15. Siegel
Johana Calenberg!.
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fisCfuIeütt fuit ^plr cücoä fim9 r futfm9 ffifef finecfc
Hütt fiiedt iWtaprffrpffotu maPmtffli f&oj
Mttceectf fuifTt ?p!aü incritctn^e fiitffem^£fdöf
toaecatf lulfRt JtifotüiO(t9crof kfaMpto&tm
tft iplt tu toctf infit 6ulm? citß C fiiciria tat ut fiwt
Infiuitä tfia tri numpöft tgt pnittönta ipftolQcei
prito pfco tpCtfrpftoiottö eKfitffftfttibtortumfoua
pwipia ttwf a ööo paffio priru uttottf üitue utiorctf
O£go legis legit-ssir legira? Itgite Itgüt priro ip
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mm legtte leg ant sfutueo icgito tu icguo tüe sp£ Itga
mualegitate itfluntout itfluntoteiOptoriuoraoöa ti
pott pnti i ptttta ipfnj ut legtrctn legtrcB legtest ttplt
ut Itgctcmns Itgecetm legerem pretito pfo uptTcppfö
ut ItgttTcm tcgiCTcö legiffct^ ut legiffemua bgiunfo
legifleut sfutua ut toalcgas legat 4£&ut legaraus It
tratfelcgant ifantömua rito tf ptpfiütü legara Itgas
legat ^pK cü legantf Icjotia legmn $cetfta ipffa tu Ic
gtee legtcee legetet aplc tü legeretnue legetetts legetatt
ftrerito pffo ai legmm Icgtcie legrat tü legmm?
Icgratiö Itgtriut ßteteato pMqmpfato cum Itgtffcm
»7 leiliger Conti Cutenbcrg».
Ztlt-xkrift/ir B Mufi t wA III Zu MfUntr u»4 l M *trl Di, A*finf, J,r
Meisner und Luther, Die Anfänge der Bnchdruckerkunst etc.
425
schlechterem Schnitte ein
höheres Alter zuzuweisen
als künstlerisch vollen-
detem, während in wieder-
holten Fällen grade das
Gegenteil sich beweisen
lässt So ist es eine
Thatsache, dass ältere
niederländische Block-
bücher wegen der im
XV. Jahrhundert in den
Niederlanden in hoher
Blüte stehenden Miniatur-
malerei, welche sich wür-
dig neben die italienische
stellen kann, in künst-
lerischer Beziehung weit
hoher stehen als spätere,
namentlich als deutsche
Drucke.
Ebensowenig darf
auch weder die schon
oben berührte äussere
Einteilung der Block-
bücher darnach, ob sie
den Text innerhalb oder
ausserhalb des Bildes,
im letzteren Falle ob auf
den gleichen oder auf
verschiedenen Stöcken
bringen, noch eine Ein-
teilung in dem Sinne,
ob Bild nebst Text in
Holz geschnitten oder ob
der letztere handschrift-
lich oder im Typensatz
hinzugefügt ist, als zeit-
bestimmender Grund be-
trachtet werden. Zwar
Lesse sich eine technische
Reihenfolge: Bild mit
handschriftlichem Text,
dann mit dem in den
Block geschnittenen und
endlich mit typogra-
phisch gedrucktem Text
vermuten, aber sie hält
derVergleichungmit den
Thatsachen nicht stand.
Für das Hinzufügen des Textes in Handschrift oder
in Holzschnitt ist im allgemeinen nur die Fähigkeit
des Holzschneiders massgebend, und die Wahl
zwischen Holzschnitttext und typographischem Text
bestimmt meist das Fehlen oder Vorhandensein
einer Buchdruckerpresse mit beweglichem Typen-
satz. Ein besonders charakteristischer Fall für das
letztere sind die Ausgaben des Heilsspiegels. Von
diesen Ausgaben, für welche sämtlich die gleichen
Bildholzstöcke zur Verwendung gekommen sind,
haben drei den Text unter den Bildern in Typen-
satz, eine dagegen auf einem Teile der Blätter in
Z. f. B. 1899/1900.
Abb. Hi. Fragment eine» jj zeitigen Donata ins der Gutenbergischea Preue.
Holzschnitt und auf dem anderen in Typensatz.
Es hat nahe gelegen und ist auch geschehen, diese
letztere Ausgabe infolge ihrer eigenartigen Zwitter-
stellung für die älteste der vier zu erklären und
weiterhin zu behaupten, der Drucker sei während
des Druckes dieser Ausgabe mit dem Typendruck
bekannt geworden, habe ihn gar, worauf wir noch
zurückkommen werden, selbst erfunden und dann
auch für die übrigen Ausgaben angewendet Nun
hat aber eine genaue Vergleichung der Holzstöcke
der verschiedenen vier Ausgaben dazu geführt,
dieser halbxylo- und halbtypographischen Ausgabe
54
426
Meisner und Luther, Die Anfinge der Ruchdnickerkunst etc.
erst den zeitlich dritten Platz einzuräumen. Dies
ist neuerdings in scharfsinniger Weise dadurch
erklärt würden, dass die Bildtafeln zum Heils-
spiegel zwar in Blockdruck hergestellt, die be-
druckten Bogen aber von Holland, der Heimat dieser
Drucke, wegen Mangels einer am Ort befindlichen
typographischen Presse, deren Vorteile man in
dessen sehr wohl kannte und zu schätzen wusste,
nach Köln geschickt und dort mit dem Text in
Typendruck versehen wurden. Beim Rücktransport
der dritten Ausgabe sei dann ein Ballen ver-
loren gegangen, und, um sich die Zeit erneuten
Hin- und Hersendens zu sparen, vielleicht auch
weil das Werk zu einem bestimmten Zeitpunkt
fertiggestellt sein musste, habe man kurz ent-
schlossen die verloren gegangenen Bogen noch
einmal abgedruckt, den Text dazu aber selbst
schnell xylographisch eingefügt
Abb. lt. Siegel de»
Andrei Heitmann.
Abb. 17. Gutenberg.
Nach der Maüuer Copie des Struiburger Origin.il»-
Die ältesten Blockbücher
sind ohne Zweifel die am
meisten gebrauchten und ver-
brauchten Schulbücher, die
Donate, deren Druck in Holz-
tafeln nach einer Notiz in der
Kölnischen Chronik bis in das
Jahr 1 440 hinaufgeht Anderer-
seits erhielt sich der Blockdruck
der Donate sowohl als anderer
Grammatiken und der Bilder-
blockbücher, wie wir gesehen
haben, lange Zeit durchaus
selbständig neben dem inzwischen zu rascher Blüte
gelangten Druck mit beweglichen Lettern, ja noch
bis in das XVI. Jahrhundert hinein.
Wenn wir nach
dem Zwecke fragen,
dem die Blockbücher
dienen sollten, so liegt
es nahe, diesen in
einem Bedürfnis der
Zeit zu finden. Man
könnte ein allgemei-
nes Bildungsbedürfnis
vermuten, welches den
Übergang von dem
doktrinären Mittel-
alter zu einer Zeit
selbständiger Denk-
thätigkeit charakteri-
sieren würde. Diese
Vermutung scheitert
aber einerseits an
dem engbegrenzten
Ideenkreis , den die
Blockbücher vor-
stellen , andererseits
würde die Entstehung
aller Blockbücher,
z. B. der Donate, kaum
hierauf zurückgeführt
werden können.
Die Schulbildung
des gesamten Mittel-
alters ging darauf
hinaus, zunächst den
Kindern möglichst
schnell und vollstän-
dig die lateinische
Sprache beizubringen.
In der lateinischen
Sprache, welche in
der Hauptsache erst
durch dieReformation
aus der Schule ver-
drängt ward, ist den
Schülern dann der
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Meisner
; Die Anfinge der Buchdruckerkunst etc.
427
>9- Siegel de»
Konrad von Sahipach.
weitere Unterricht erteilt
worden. Dieser aber ging
giai und gar von theo-
logischen Gesichtspunkten
, aus. In welcher Art vollzog
'sich nun der Unterricht?
1 Schulbücher in der heutigen
Verbreitung, in den Händen
jedes Kindes, waren vor der
Erfindung der Buchdrucker-
kunst ein Ding der Un-
möglichkeit Die Hand-
schriften waren, wie schon
oben erzählt ist, sehr teuer.
Der ganze Unterricht musste somit ein vorwiegend
gedächtnismässigersein; was der Lehrer vorsprach,
mussten die Schüler sich einprägen. Um hierin
eine Erleichterung herbeizuführen, wurden die Lehr-
bücher häufig in Verse gebracht; hier ist der Ur-
sprung der Regeln in gebundener Sprache zu
suchen; auch der Donatus musste das über sich
ergehen lassen.
Neben den Versen bildete die Anschauung,
das Bild, ein Hilfsmittel des Unterrichts, auf wel-
ches vielfach hingewiesen wird. Stellen wir hier-
zu den Ideenkreis der Blockbücher, so ist die
Wahrscheinlichkeit gegenseitiger Beziehung nicht
abzuweisen, mit anderen Worten: die Blockbücher
-toaren ursprünglich Lehrbücher. Hier lag wirklich
ein Bedürfnis vor, und diesem Bedürfnisse, diesem
Zwecke entspricht zumeist der Inhalt der Block-
bücher und die Gestaltung des Inhaltes in den-
selben.
Auch ein rein äusserliches Moment stimmt zu
dieser Erklärung. Eine Zusammenstellung der
Herkunftsorte der Armenbibel, des Heilsspiegels
und der Ars memorandi hat die Uberraschende
Thatsache ergeben, dass weitaus die Mehrzahl der
heute von diesen bekannten Exemplaren Benedik-
tinerklöstern entstammt; gerade die Benediktiner
aber widmeten sich dem Unterrichte in besonders
hervorragender Weise. Freilich erscheint es nicht
nötig, den Kreis der Lernenden auf die eigent-
lichen Schüler zu beschränken. Es ist vielmehr wahr-
scheinlich, dass die Blockbücherauch für Erwachsene,
ja für Kleriker selbst bestimmt gewesen sind. Sicher
ist das z. B. mit der Armenbibel der Fall gewesen,
die auch dem des Lesens kundigen Kleriker, der
nicht gerade Lehrer war, Gelegenheit bot, seine
Kenntnisse Uber die Erfüllung des Alten Testa-
mentes durch das Neue zu ergänzen.
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf
die Entstehungsorte der Blockbücher. Während bei
der Bestimmung des Zeitpunktes ihrer Entstehung,
wie wir oben sahen, Stileigenheiten ein durchaus
unbrauchbares Mittel bilden, kann man bei der
Bestimmung der Herkunft, des Ortes ihrer An-
fertigung von diesem Charakteristikum schon eher
einen Gebrauch machen. Freilich darf das nur
mit der grössten Vorsicht geschehen. Immerhin
lässt die Blüte der Miniaturmalerei, wie sie im
fünfzehnten Jahrhundert in Holland vorhanden war,
die Vermutung nicht unberechtigt erscheinen, dass
für künstlerisch wertvollere Holzschnitte in diesem
Lande auch die Meister zu suchen sind, denen
die unvollkommeneren I^eistungen der deutschen
Zeichner und Holzschneider gegenüberstanden.
Mehr aber noch als die Bilder lassen die Schrift-
züge Folgerungen Uber die Herkunft zu. Wie fast
jedes Land seine Eigenheiten in den SchriftzUgen
noch heute hat, so machten sich auch in der Zeit
der geschriebenen BUcher gewisse nationale Eigen-
tümlichkeiten geltend. So ist namentlich der hol-
ländische Schrifttypus von dem deutschen ohne
Mühe zu unterscheiden, und es werden mithin die
aus Holland stammenden Blockdrucke unschwer von
den deutschen getrennt, selbst wenn die darin an-
gewendete Sprache die lateinische ist Wo oben-
drein die Landessprache herrscht ist die Zuge-
hörigkeit natürlich noch leichter zu beurteilen, ja
für Deutschland bieten selbst die Mundarten die
Möglichkeit einer noch engeren Feststellung.
So viel steht jedenfalls mit ziemlicher Sicher-
heit fest, dass die Blockbücher ihre älteste Heimat
in Holland haben, dass sich die neue Art der
Buchherstellung dann aber schnell den Rhein auf-
wärts verbreitete; vielleicht auch, dass hier und da
die Idee selbständig schon aufgetaucht war. Am
Niederrhein sowohl als im Schwäbischen und
Bayerisch-Fränkischen entwickelten sich Schulen
deutscher Holzschneidekunst; neben den Klöstern
bemächtigten sich, wie wir sahen, die Briefmaler
des neuen Verfahrens. Nürnberg, Nördlingen, Ulm,
Augsburg, Regensburg, und Tegernsee waren Haupt-
stätten dieser Wirksamkeit
Die Thatsache, dass die Heimat der Block-
bücher mit Wahrscheinlichkeit in Holland zu suchen
ist, hat nun noch eine besondere Bedeutung ge-
wonnen, indem sie der Grund für die Behauptung
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428
Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkunst etc.
LAVRENT^IV^ COST ERVS
HARLE MENSIS.
Jnnum-J 4
Abb. j«. Lorcm Köster. Nach dem Bilde ww J. V. Campen.
geworden ist, auch der Druck mit beweglichen
Lettern stamme daher, mithin sei die Buchdrucker-
kunst eine holländische Erfindung.
Derjenige, welcher Uber die Erfindung der
Buchdruckerkunst als einer holländischen Errungen-
schaft zuerst am ausfuhrlichsten berichtete, war der
Arzt und Geschichtsschreiber Adrian de Jonghc,
(Adrianus Junius), aus Harlem in seiner in den
Jahren 1565 — 1569 geschriebenen und im Jahre
1588 erschienenen Batavia. Er erzählt etwa fol-
gendes: Vor 128 Jahren (das ist also um das
Jahr 1440) wohnte am Markte zu Harlem in
einem vornehmen, dem Königspalaste gegenüber-
liegenden Hause ein Mann Laurentius Joannes
cognomento Aedituus Custosve, d. h. Lorenz
Janszoon, ein Aedituus oder Custos. (Die Bezeich-
nung als Custos, das ist Küster, holländisch Koster,
führte dazu, ihm den Namen Lorenz Koster [Abb. 31]
zu geben, unter welchem er in der Folgezeit bekannt
geworden ist) Sein Amt als Küster war in der
Familie erblich. Diesem Manne gebührt der Ruhm,
die Buchdruckerkunst erfunden zu haben. Er war
eines Tages in dem nahe der Stadt gelegenen
Wäldchen spazieren gegangen und bei dieser Ge-
legenheit auf den Gedanken gekommen, Buchen-
rinde in die Gestalt von Buch-
staben zu bringen. Diese drückte
er dann in der Art der Siegel
auf Papier und stellte so zwei
oder drei Zeilen als Beispiel
für seine Enkel, die Kinder seines
Schwiegersohnes, her. Nachdem
ihm dies glücklich gelungen war,
begann er höhere Gedanken zu
fassen, erfand zunächst gemein-
schaftlich mit seinem Schwieger-
sohn einen besseren Farbstoff, als
man bis dahin verwendet hatte,
und druckte dann auch ganze
Figurentafeln mit zugefügter
Schrift (additis characteribus).
In dieser Weise stellte er ein
Werk her, das Junius selbst noch
sah, welches als Erstlingswerk
nur immer auf einer und der
gegenüberstehenden Seite be-
druckt gewesen, während die
leeren Rückseiten, um das Buch
nicht zu verunstalten, zusammen-
geklebt worden waren. Dieses
Buch, von einem unbekannten
Verfasser in holländischer Spra-
che geschrieben, führte den Titel
Speculum nostrae salutis, das
ist der Hälsspiegel. Die Holz-
formen hat Lorenz später mit
bleiernen, dann mit zinnernen
vertauscht, um ein festeres und
dauerhafteres Material zu er-
zielen, aus dessen Resten in der
Folge Weinkannen gemacht
wurden, die noch jetzt, zu Junius Zeiten, in dem
Hause am Markte zu sehen seien. Man sei dann,
so fährt Junius fort, auf diese neue und lohnende
Erfindung aufmerksam geworden, das Interesse da-
für und infolgedessen die Beschäftigung damit
seien gewachsen und man habe Gehilfen annehmen
müssen. Das sei aber der erste Schritt zum Un-
glück gewesen. Einer dieser Gehilfen, Johannes
— ob es nun Faustus (das ist Fust) gewesen sei
oder sonst ein Johannes, bleibe dahingestellt — sei,
nachdem er die ganze Kunst erlernt hatte, eines
Nachts, und zwar in der Chrismacht, in die Werk-
statt eingebrochen, habe die zum Weiterbetrieb
notwendigen Geräte gestohlen, sei damit zunächst
nach Amsterdam, von da nach Köln gezogen und
habe sich schliesslich in Mainz niedergelassen.
Schon innerhalb eines Jahres, im Jahre 1442, sei
mit denselben Typen, welche Lorenz verwendet
hatte, des Alexander Gallus Doctrinale, nebst des
Petrus Htspanus Traktaten gedruckt worden.
Wie schon zu Anfang seiner Erzählung, so
betont Junius auch am Schluss die mündliche
Überlieferung als seine Quelle. Dass eine münd-
liche Uberlieferung, auf die er sich seiner Aussage
nach stützt, in Harlem bestanden habe, ist nicht
Gutenberg.
Nach (lein HoUuhntiic «ine* unbekannten Meistert vom Jahre 1578.
JUiti.bnJt Jtir KtUkrr/rnHJt III . Zh Mt.mrr mmj iMther: Dil Anlamft .Irr /.». ..».». . .-.r
1 Google
Meimer und Luther, Die Anfinge der KuchdnicVerkunst etc.
429
Abb. ja, Johann Fmt
(N«ch Maittairt in Ü« Vinn«: InveWiun of printmj.)
zu bezweifela Auffallend ist freilich, dass erst
128 Jahre nach der vermeintlichen Erfindung sich
jemand gemtissigt sieht, diese Überlieferung auf-
zuzeichnen, und dass keine ältere Chronik hollän-
discher Geschichte, weder die im Jahre 1478 ge-
druckte Chronik von Gouda, noch das Magnum
Chronicon Belgicum, das bis 1474 Bericht er-
stattet, noch die bis 1479 reichenden Annales
belgici des Aegidius von Roya, noch endlich die
bis zum Jahre 1517 fortgesetzten Res Batava; des
Rainer Suys irgend ein Wort von der Erfindung
der Buchdruckerkunst zu Hartem erwähnen.
Sicherlich ist die Erzählung des Junius, wie jede
mündliche Überlieferung, durch unberechtigte Zu-
sätze stark vermehrt, schon davon abgesehen, dass
der Gedanke, Buchstaben aus Hob: zu schneiden
und auf einen anderen Stoff abzudrucken, an und
für sich nichts Neues bot. Der Hauptpunkt der
ganzen Geschichte, der Diebstahl des Dieners
Johannes, ist am verdächtigsten. Hatte sich dieser
Diener einmal die Kenntnis des Verfahrens an-
geeignet, so brauchte er nicht erst die Matrizen
oder die Lettern selbst zu stehlen. Mit seiner
Kenntnis allein hätte er Uberall eine Druckerei
eröffnen können. Es ist auch der Grund nicht
einzusehen, warum nun, wie es doch nach des
Junius Darstellung aussieht, Lorenz Koster sich
nicht neue Geräte angeschafft und damit die
Druckerei abermals betrieben, sondern an-
scheinend die Flinte ins Korn geworfen hat, und
warum dann aus dem Rest der Metalle Wein-
krüge hergestellt worden sind.
Prüfen wir aber nicht nach Wahrscheinlich-
keiten oder Unwahrscheinlichkeiten, sondern an
der Hand der Thatsachen. Wäre jener Diebstahl
in der von Junius beschriebenen Weise ausgeführt,
so müssten die ersten Erzeugnisse aus der Druckerei
Johann Grimbergs, auf den allein im letzten Grunde
jene Bemerkungen fallen, mit den gleichen, den
gestohlenen Typen gedruckt sein. Junius be-
hauptet dies; aber es ist nicht wahr. Der hollän-
dische Schrifttypus war, wie schon oben bemerkt
ist, ein eigenartiger, gewissermassen nationaler.
Gutenbergs erste Typen tragen aber, ebenso wie
diejenigen der ältesten Druckerzeugnisse aus Strass-
burg, Bamberg oder Köln, einen durchaus von den
holländischen, dem Koster oder seinen Nach-
folgern zugeschriebenen, verschiedenen Charakter.
Die Ausgabe des Heilsspiegels aus Kosters an-
geblicher Presse, die Junius selbst gesehen haben
will, gehört zu den schon oben bei der Bestimmung
der Entstehungszeit der Blockbücher erwähnten
Ausgaben, deren Text bei dreien in Typendruck,
bei einer teilweise in Typen-, teilweise in Block-
druck ausgeführt ist Allein es wurde dort auch
schon darauf hingewiesen, dass diese letztere
zweifellos interessanteste Ausgabe nicht die älteste,
sondern erst die dritte innerhalb der vier Aus-
gaben ist, und dass die Erklärung ihrer Entstehung
auf anderem Wege versucht werden musste und
versucht worden ist.
Fallen diese Punkte aus der Erklärung des
Junius heraus, so bleibt nicht mehr viel übrig.
Dazu kommt, obwohl das kein Beweis gegen ein
höheres Alter typographischer Erzeugnisse der
Niederlande Uberhaupt ist, dass die ältesten, mit
der Zeitangabe ihres Erscheinens versehenen hol-
ländischen Drucke erst aus dem Jahre 1473
stammen. Aalst und Utrecht kommen in diesem
Jahre als Druckort vor. Ja die älteste eigent-
liche Druckerei Harlems wird erst im Jahre 1483
durch Jakob Bellaert eröffnet. Schliesslich sei
noch erwähnt, dass der Grabstein von Dierk Martens,
welcher sich im Wilhelminenkloster zu Aalst be-
fand, besagt, dass dieser Mann, der im Jahre 1534
gestorben, die „Letternkunst" aus Deutschland und
Frankreich nach den Niederlanden gebracht habe.
Auch darf nicht ausser Betracht gelassen
werden, dass ebensowenig, wie die dem Junius
vorangehenden Chroniken von der Erfindung der
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430
Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdrnckerknnst etc.
Buchdruckerkunst in Harlem etwas wissen,
die aus dieser Stadt stammenden Drucker des
XV. Jahrhunderts sich irgendwie in dieser Beziehung
äussern. Es ist eine häufige Erscheinung, dass
die Inkunabeldrucker, besonders auch diejenigen
Deutschen, die in das Ausland gezogen waren, in
den Schlussschriften ihr Vaterland, im besonderen
die Stadt Mainz als Geburtsstätte dieser Erfindung
priesen, und da hätte es nahe gelegen, dass die
aus Harlem stammenden Drucker diese Ehre ihrer
Vaterstadt energisch gewahrt hätten, wenn eine
Kunde davon vorhanden gewesen wäre. Aber
nichts dergleichen geschieht Wir finden weder
bei Petrus de Harlem, Vicenza 1474, noch bei
Henricus de Harlem, Bologna 1487, noch bei
Gerardus de Harlem, Florenz 1498, auch nur eine
Andeutung über etwaige Ansprüche ihrer Vater-
stadt auf die Erfindung der Buchdruckerkunst
Auf der anderen Seite begegnet es geringem
Widerspruch, dass die ältesten Blockbücher, unter
ihnen in erster Linie auch die Donate, in Holland
entstanden sind; und als ein einseitig bedrucktes,
mit den leeren Seiten zusammengeklebtes Block-
buch schildert Junius den von ihm gesehenen
Heilsspiegel. Über die Donate berichtet der Ver-
fasser der 1499 durch Johann Koelhoflf aus Lübeck
in Köln gedruckten kölnischen Chronik, der
Cronica van der billiger Stat van Coelln, folgendes:
„wie toail bie fünf) is pcnben 30 ZTlcnJj, als
purf} (b. i. porcnäbjt) is, up bie mifo als ban im
gemeinlicb, gebruidtf roirt, fo ts codi bie eirfte nur«
bilbung ponben in Ijotlant uis ben Donaten, oic
baefelfs nur der 31t gebrueft flu, inb van inb uis
ben is genommen bat beginne ber purfc fünft inb
is pil merfterlidier inb fubtilid?er pcnben, ban bie
felpc manier was, unb ie lengcr ie mere funjllid?er
würben." D. h. : „wiewohl die Kunst, so wie sie
jetzt geübt wird, in Mainz erfunden ist, so ist doch
ihre erste Vorbildung in Holland erfunden, wo
man vorher schon Donate gedruckt hat Erst
hieraus hat sich die feinere Kunst der späteren
Zeit entwickelt"
Der Verfasser fügt hinzu, dass er diese Nach-
richt aus dem Munde Ulrich Zells, des ersten
kölnischen Buchdruckers, erhalten habe:
„bat beginne inb portganf ber purfj fünft bait
mir muntlich, nebelt ber eirfame mau meifter Ulrich,
5e0 pan fjanauroe, boichbrutfer 31t Coclleu noch,
3er jit anno i>» r d? &en bie fuiifi purfj is 30
Coeflen fomen." D. h.: „Den Beginn und Fort-
gang dieser Kunst hat mir mündlich der ehrsame
Mann Meister Ulrich Zell von Hanau, noch in
diesem Jahre 1499 Buchdrucker zu Köln, durch
den auch die Kunst nach Köln gekommen ist,
erzählt" In Bezug auf seine chronikalischen Nach-
richten war der Verfasser der Chronik unselb-
ständiger Nacherzähler, wie alle Chronisten seiner
Zeit; für die vorliegenden Nachrichten zur Ge-
schichte der Buchdruckerkunst beruft er sich aber
ausdrücklich auf das Zeugnis des Fachmannes Ulrich
Zell, welcher, da er die Erfindung der eigentlichen
Buchdruckerkunst, also der Typographie, ausdrück-
lich nach Mainz verlegt, mit diesen älteren hollän-
dischen Donaten naturgemäss nur Ta/eldrucie ge-
meint haben kana Da man nun unter Holland
damals noch das Holland im engeren Sinne, die
Provinz Holland verstand, zu deren Städten
Harlem gehört, so ist es leicht möglich, dass mit
der Nachricht des Ulrich Zell auf diese Stadt hin-
gedeutet ist Auch die heute noch vorhandenen
Ausgaben von BlockbUchem, soweit sie nicht den
Text in deutscher Sprache fuhren, also sicher in
Deutschland gedruckt worden sind, weisen in der
Mehrzahl und grade für die bedeutendsten unter
ihnen, wie die Arraenbibel, den Heilsspiegel, das
Buch der Könige, das Hohelied, die Ars memo-
randi u. A., auf niederländischen Ursprung hin.
Nach alledem scheint den Niederlanden zwar
die älteste Anfertigung von Tafeldrucken zuzufallen ;
aber die Erfindung der eigentlichen Buchdrucker-
kunst mit beweglichen Buchstaben ihnen zuzu-
schreiben, dafür mangelt es an jedem positiven
Beweis.
Es liegt nun nahe, zu sagen, dass man nach
solchen Versuchen, Schriften und Bilder zu ver-
vielfältigen, wie sie zu Anfang des XV. Jahr-
hunderts geübt worden sind, nicht mehr recht
von einer Erfindung der Buchdruckerkunst sprechen
könne. Eine solche Ansicht hat auch Raum und
Anhänger gefunden. War der Holztafeldruck ein-
mal bekannt und geübt, so bedurfte es ja nur
des Zerschneidens der Holzblöcke, um dadurch
I-ettern zu erhalten, die man je nach Bedürfnis
zusammensetzen konnte. Dies ist denn auch von
den Holztafeldruckem gemacht worden, aber ihre
hölzernen I-ettern haben sich nicht bewährt, und
zwar aus einem einfachen technischen Grunde.
Es ist durch wiederholte Versuche bewiesen wor-
den, dass es unmöglich ist, die einzelnen Lettern
aus einem Holzblock so auszusägen oder aus-
zuschneiden, dass sie mathematisch genau neben-
einander passen und ihre unteren Ränder eine
fortlaufend gerade Linie bilden. Die Unregel-
mässigkeit, welche bei der ersten Zeile eines sol-
chen mit ausgesägten Holzlettern hergestellten
Druckes kaum auffällt, macht es in den nächsten
Zeilen bereits dem Auge unmöglich, schnell die
lottern zu Wörtern zu vereinigen.
Auf diesem Wege hätte die Buchdruckerkunst
nie ihr grosses Ziel erreicht; es bedurfte trotz
aller Vorbereitungen noch einer genialen Erfindung,
und das war die der Schri/tvervielföltigung ver-
mittelst gegossener einzelner Metalltypen. Diese Er-
findung, welche also eigentlich die der Typographie
ist, der sich aber, nachdem sie einmal geboren
war, willig alle die Nebenkünste des Lettem-
schneidens, des Setzens, der Farbenbereitung, des
Druckens durch eine Presse unterordneten, ist das
Verdienst eines deutschen Mannes, Johann Guten-
bergs.
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Meianer und Luther, Die Anfinge der Buch.lruckerkunit etc.
43'
Johann Gensfleisch sunt Gutenberg stammte so-
wohl von väterlicher, als auch von mütterlicher
Seite aus einem Patriciergeschlecht der Stadt Mains.
Das Jahr seiner Geburt ist nicht mehr mit Sicher-
heit zu bestimmen; die Annahme, dass er 1397
oder auch 1398 geboren ist, hat sich jetzt als nicht
richtig herausgestellt Viel mehr Wahrscheinlichkeit
hat eine Berechnung, nach welcher man zu den ersten
Jahren des XV. Jahrhunderts als der Geburtszeit
Gutenbergs gelangt ist. Wenn sich deshalb die
.Stadt Mainz dazu rüstet, am Johannistage des
Jahres 1900 die fünf hundertjährige Geburtstagsfeier
ihres grossen Sohnes zu begehen, so wird es eben-
so unmöglich sein, diesem Zeitpunkt einen anderen
genaueren entgegenzusetzen, als zu beweisen, dass
gerade im Jahre 1400 Gutenberg das Licht der
Welt erblickt habe.
also ein bei den Verfolgungen der Juden diesen ab-
genommenes Haus war, und zum anderen Teile
dem Geschlechte tum Jungen gehörte. Nach diesem
Besitz haben sich die Wyrichs und nach deren
Aussterben die Hauptlinie des Geschlechtes Gens-
fleisch den Namen sunt Gulenberg beigelegt. Der
Ehe Frielos mit Else entstammten zwei Söhne,
Frielo und Johann, von denen der letztere, später
nach dem Stammhause seiner Mutter kurz nur
Gutenberg genannt, diesen Namen durch die Er-
findung der Buchdruckerkunst unsterblich machte.
Die Nachrichten über das I-eben der Eltern (Juten-
bergs und über dessen eigene Jugendzeit sind so
gering, dass es unmöglich ist, daraus Thatsachen
zu folgern. Deshalb sind auch sagenhafte Züge
frühzeitig in das Leben des grossen Erfinders ge-
woben worden. Indem man seinen Namen mit
Bft tue <(V ur te ec&a «r ei? paittb;
(vttca? «Jßonl? eft gr <P eccuau nix
tbnmf AtafpuitsqttccfitcUu
0 UtfcKo ßue jp Ife p mifht» 3no-
jeatmv 1 ivnu cogTegvit? xbeoq
/Vwammce ^abi'tale fxit'm tomo«
Wt et /pfialie Cje bmetf \yomib) ?$repaf4cd<fa $
Abb. j 4 . Au.
Rationale Durandi.
rot.)
Das Geschlecht der Gensfleisch hatte sich im Laufe
eines langen Zeitraumes seine Bedeutung in Mainz
zu wahren gewusst und kann seit dem XIII. Jahr-
hundert eine Anzahl urkundlich beglaubigter Namen
aufweisen. Sein Wappen (Abb. 23), welches
wohl nicht, wie einige wollen, einen Bettelmönch,
sondern einen Pilger darstellt, lässt auf die Teil-
nahme eines seiner Mitglieder an den Kreuzzügen
schliessen; es ist dem Wappen der Mainzer
Patricierfamilie von Afterdingen oder Ofter-
dingen ähnlich, so dass möglicherweise der Dichter
Heinrich von Ofterdingen ein Vorfahr des Er-
finders der Buchdruckerkunst gewesen ist Im
XIV. Jahrhundert waren die Gensfleisch in mehrere
Linien verzweigt; zwei Nebenlinien nannten sich
von Sorgenloch und zur Laden. Der Hauptlinie
entstammte Frielo Gensfleisch, tler die Erbtochter
ihres mit ihr erlöschenden Geschlechts, Else ll'yrich,
Tochter des Rechenmeisters Werner Wyrich in
Mainz, heiratete. Dieselbe brachte nach dem Tode
ihres Vaters ihrem Gatten einen reichen Besitz
ein, darunter einen Teil des Hofes sunt Gutenberg,
(Abb. 43) der ursprünglich ein sogenanntesjudenerbe,
dem der böhmischen Bergwerksstadt Kuttenberg
(Cutna Hora) zusammenbrachte und darauf hin-
wies, dass diese einer der ältesten Druckorte in
Böhmen sei, glaubte man, den Ursprung Guten-
bergs von dort herleiten zu müssen. Ebensowenig
hat>en die Ansprüche Strassburgs, die Geburtsstadt
Gutenbergs zu sein, Bedeutung und können diese
Ehre der Stadt Mainz nicht beeinträchtigen. Nur
aus der Geschichte letzterer im allgemeinen lassen
sich Streiflichter auf das Leben Gutenbergs während
seiner Jugendjahre werfen. Es war damals die
Zeit der Kämpfe der Zünfte gegen die Patricier-
geschlechter, die anfangs die allein Regierenden
gewesen waren, nun aber durch die Bürgerschaft,
welche an Zahl und Intelligenz zugenommen hatte,
im Besitz ihrer Macht hart bedrängt wurden. Be-
reits im Jahre 141 1 waren nach einem Streite, in
welchem die Zünfte einen neuen Anteil an der
Stadtregierung sich gesichert hatten, 1 1 2 Patricier
ausgewandert, darunter Mitglieder des alten Ge-
schlechtes der Gensfleisch. Nicht lange darauf,
im Jahre 1420, gab es aus Anlass des Einzuges
Kaiser Ruprechts und des neuerwählten Erzbischofs
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432
und Lother, Die Anfinge der ßochdruckerkniut etc.
von Mainz, Johann, wieder ernste Zerwürfnisse
zwischen Adel und Bürgertum der Stadt, bei
welchem die Häuser des ersteren von einer Uber-
macht belagert und ihre Insassen gezwungen wur-
den, den Zünften gegenüber einen neuen Teil
ihrer alten Rechte preiszugeben. Diejenigen Pa-
tricier, welche sich dazu nicht entschliessen konnten,
suchten ihr Heil wieder in der Fremde. An der
Spitze dieser auswandernden Geschlechter stand
Georg Gensfleisch von Sorgenloch, der sich in
dem Kampfe ganz besonders den Hass der Zünfte
zugezogen hatte, und mit ihm verliess seine ganze
Familie die Stadt Erst zehn Jahre später kam
durch den Erzbischof Konrad ein Vertrag zu stände,
durch welchen es den ausgewanderten Patriciern
gestattet wurde, ungefährdet in die Stadt zurück-
zukehren; nur der vorerwähnte Georg Gensfleisch
wurde ausdrücklich davon ausgeschlossen.
In diesem Vertrage nun wird Henchen zum
Gudenberg, worunter Johann Gutenberg zu ver-
stehen ist, ausdrücklich unter denen genannt,
welchen die Rückkehr nach Mainz erlaubt wurde,
jedoch mit dem Zusätze, dass er und einige seiner
Genossen „v$i»"ö nit inleuoig", die also nicht
auf Mainzer Gebiet, gewesen sind, und dass femer
dieselben „by ocn Zilien 311 oirre 31t nit genxfl
fint", d. h. dass sie damals, als die Patrizier aus-
wanderten, sich nicht unter ihnen befunden haben.
Daraus geht hervor, dass Johann Gutenberg aus
einem anderen Grunde, als durch die inneren
Kämpfe in seiner Vaterstadt veranlasst, diese ver-
liess und wahrscheinlich auch zu einer anderen
Zeit. Schon seine Jugend macht es unwahr-
scheinlich, dass er sich an dem Streit gegen die
Zünfte beteiligt hat; aber die unsicheren Verhält-
nisse in Mainz haben gewiss auf den Jüngling
mächtig eingewirkt, ihn zu stiller Einkehr in sich
veranlasst und vielleicht bewogen, sich durch
eigenes Studium Kenntnisse zu erwerben. Wahr-
scheinlich hat Gutenberg damals auch eine Zeit
lang in Eltville zugebracht, wohin sein Vater und
sein älterer Bruder ausgewandert waren; dann aber
ist er in jugendlichem Drange, an anderem Ort
seine Kenntnisse zu erweitem, fortgezogen, viel-
leicht derzeitig schon nach Strassburg, wo wir ihn
später wiederfinden.
Sein Vater scheint vor 1430 gestorben zu
"Putafeat emrn
judctöttiaxTmai^attirum curbisautcmtr;
icjncmairnnoucre cuptctibite * cwma com*
prcbmdcrcftir gCadio fe prtijt: digcs wo*
bi{it»rin<mfx>tiwö ^fubdfaie fien pecon*
bus : et contra tiatato fuo* imunjö mdu
Abb. jv Aui d«r Biblis taen von Fu»t und Scböffer 146».
sein, so dass er nicht mehr an der Erlaubnis,
nach Mainz zurückkehren zu dürfen, teilnehmen
konnte; sein älterer Bruder Frielo blieb in Eltville
wohnen; sein väterlicher Oheim Henne Gensfleisch
der Alte ging wieder nach Mainz, konnte aber das
Stammhaus seines Geschlechts in der damaligen
Markt-, jetzt Emmerangasse, an der Ecke der
Steingasse, nicht zurückerhalten, sondern musste
ein anderes mieten. Gutenbergs Mutter Else war
ebenfalls in ihre Heimat zurückgekehrt, doch scheint
auch sie ihr Stammhaus, den Hof zum Gutenberg,
nicht mehr bewohnt zu haben. Die Unruhen und
das Auswandern hatten den Besitz der Familie
Gutenbergs Uberhaupt sehr verringert, so dass Else
zum Gutenberg sich vielleicht dadurch mit veranlasst
sah, einen Teil der Erbschaft ihres Sohnes Johann
festzulegen. Die noch vorhandene Urkunde da-
rüber aus dem Jahre 1430 beweist, dass der Sohn
damals sich nicht in Mainz befunden hat.
Um einen Zeitraum von etwa fünfzehn Jahren
auszufüllen, für welchen sichere Nachrichten
über Gutenberg gänzlich fehlen, hat man versucht,
ihn auf weite Reisen zu schicken, nach Holland,
nach Frankreich, ja bis nach Böhmen hin. Das
ist nun aber alles Dichtung, und wir müssen uns
begnügen, die erste authentische Kunde über
Gutenberg im Jahre 1434 aus Strassburg wieder
zu hören. Dort liess er zu dieser Zeit den
Mainzer Stadtschreiber Niclaus verhaften und ge-
fangen setzen, um Genugthuung dafür zu nehmen,
dass die Stadt Mainz 310 Gulden rückständiger
Rente ihm nicht bezahlte. Die Urkunde Uber
seinen schliesslichen Verzicht auf jene Rente ist
das älteste Schriftstück, das wir von Gutenberg
besitzen.
Vielleicht war er zu jener Zeit schon in Strass-
burg verheiratet Mit der Thatsache, dass in den
vierziger Jahren des XV. Jahrhunderts ein Ennel
(Anna) Gutenbergerin in den Strassburger Zoll-
registern erscheint hat man eine wenig verbürgte
Nachricht zusammengebracht nach welcher das-
selbe Ennel, mit dem Familiennamen zu der Iserin
Thüre, Gutenberg schon 1437 wegen eines Ehe-
versprechens vor dem Bischöfe verklagt habe.
Was Gutenberg in Strassburg fest-
hielt, war die Thatsache, dass er dort
einen ihm zusagenden und Erfolg ver-
sprechenden Wirkungskreis sich ge-
schaffen hatte. Mit einer praktischen
Thätigkeit war er von Jugend auf be-
kannt geworden: das war die der Gold-
schmiaU. Das Geschlecht der Gens-
fleisch hatte mit elf anderen zu den
Münzherrn in Mainz gehört, welche
nicht nur das Recht, Münzen zu
schlagen, ausübten, sondern auch die
anderen Münzen zu prüfen, auf ihr Ge-
wicht zu aichen und Gold und Silber
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Meisner und Luther, Die Anfange der Buchdruckerkunst etc. 433
zu den Münzprägungen selbst einzukaufen
hatten. Dies brachte die Münzherren
mit den Goldschmieden in nähere und
öftere Berührung. Es galt für Patrizier-
Söhne durchaus nicht für unter ihrem
Stande, sich mit dergleichen feinen Kunst-
gewerben eingehend zu befassen, über
welche damals' noch ein Schleier des
Geheimnisvollen gebreitet war. So hat
nun auch Gutenberg wahrscheinlich eine
gewisse Vorliebe und Vorbildung für
mechanische Beschäftigungen und Erfin-
dungen bereits mit in die Fremde ge-
nommen, wo er, unterstützt von einem
scharfen Denken und klugen Benehmen,
dieselben zunächst wohl nur zum Zeitver-
treib, dann aber auch zu seinem Lebens-
unterhalte trieb.
Für dergleichen Beschäftigungen war
aber gerade Strassburg die geeignete
Stadt, einmal durch den Zusammenfluss
von mancherlei Fremden, welche Künste
und Wissenschaften brachten und ein-
tauschten, dann aber auch durch die
geordnete Stadtverwaltung, welche nach
dem Dachsteiner Kriege des Adels gegen
das Zunftregiment trotz des Sieges des
letzteren wesentlich aristokratisch und
bei der Besetzung der Ämter konservativ
war, auf der anderen Seite aber sich
von den Einflüssen des geistlichen Regi-
ments völlig frei zu halten wusste. Dem
Zwange der Zünfte, von denen jede
darauf hielt, dass sich ihr alle nur irgend
Gewerbeverwandten anschlössen, hat sich
Gutenberg in Strassburg niemals gefügt
Er wurde dort den Constoflern (Con-
stablern) beigezählt, welche im Gegensatz
zu den Zünften keine gewerblichen,
sondern lokale Innungen waren, zu denen sich
die wohlhabenden und vornehmen Kaufleute sowie
die Rentner hielten. Ungehindert in seinem Thun
und hochgeehrt in seinem Kreise wohnte Gillen-
berg in einem Gebäude beim Kloster St Arbogast,
welches bei dem sogenannten Grünen Berge auf
einer Illinsel lag.
Dass er dort rfUkht Künste trieb, hatte
sich bald herumgesprochen; aber es lag ein ge-
wisses Geheimnis über allem, was er that Um
das Jahr 1 435 fasste sich ein Strassburgei Bürger,
Andres Dritzehn, ein Herz und bat den Meister,
ihn doch in einige seiner Künste einzuweihen;
Gutenberg willigte ein und verpflichtete sich gegen
Honorar, den Andres Dritzehn in die Lehre zu
nehmen. Was dieser lernte, war das Steinschleifen,
eine Kunst, die damals ihren Mann nährte, da
eine Menge geschliffener Halbedelsteine in Metall
gefasst und zur Ausschmückung von Prunkgeräten
gebraucht wurden. Das Steinschleifen aber war
eine der Arbeiten, die Gutenberg für sich
nur als Mittel zu anderen Zwecken brauchte.
Z. f. B. 1899/1900
Abb. 36. (Jutenbergs angebliche tnle Kuchdfuckpreiie,
Nach den »ufgefundetieo Fragmenten rekonstruiert Mo H. Klemm.
Denn er selbst scheint sich in der Erinnerung an
das, was er in seiner Jugend in Mainz bei den
Goldschmieden gesehen hatte, mit Anfertigung
plastischer Metallarbeiter!, in welche er die ge-
schliffenen Steine einfügte, beschäftigt zu haben.
Der genannte Andres Dritzehn wollte auch in
die übrigen geheimen Künste eindringen, aber
Gutenberg hatte bereits mit einem anderen, der
wahrscheinlich ihm mehr Betriebskapital beisteuern
konnte, mit dem Vogte von Lichtenau, Hans Riffe,
einen bindenden Vertrag geschlossen, um eine ge-
wisse Kunst in dem Maasse praktisch auszuüben,
dass man mit ihren Produkten bei der bevor-
stehenden und alle sieben Jahre
Wallfahrt zu den Heiligtümern
gutes Geschäft machen konnte.
Hess nicht locker und erreichte,
das Konsortium aufgenommen wurde. Dasselbe
gelang dem Andres Heilmann (Abb. 28); aberwährend
Riffe nur als Teilnehmer und Geldmann bei dem Ge-
schäft erscheint müssen die beiden letztgenannten
an Gutenberg für den Unterricht je 80 Gulden
55
wiederkehrenden
in Aachen ein
Dritzehn jedoch
dass auch er in
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434
Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdruckcricunst etc.
(N»ch dem Stich in Linde: Erfindung der Buchdruck
Abb. 37.
zahlen. Was sie dafür lernten, war die Anfertigung
von Spiegeln.
Mitten in ihren Arbeiten merkten die Gesell-
schafter, dass Gutenberg sich noch mit mancher-
lei anderem beschäftigte, was er verheimlichte.
Halb auf ihr Drängen, halb freiwillig ging Guten-
berg darauf ein, mit jenen einen neuen Gesell-
schaftsvertrag zu schliessen, nach welchem er ihnen
nichts mehr verhehlen durfte. Natürlich mussten
die Genossen neues Geld für das Unternehmen
einschiessen, aber das ging langsam genug, so dass
der Herbst des Jahres 1438 herankam, ohne dass
Gutenberg jene in seine neuen Künste eingeweiht
hätte. Um Blei und anderes zu kaufen, was zu
der neuen Kunst gehörte, waren die Gesellschafter
gezwungen, Darlehen aufzunehmen; als sie eine
Presse zu ihren Versuchen brauchten, musste der
Drechslermeister Konrad Sahspach (Abb. 2 9) sie ihnen
liefern und ausserdem noch Geld einzahlen. Andres
Dritzehn schätzte allein seine eigenen Ausgaben
für das neue Unternehmen auf etwa 500 Gulden,
behielt aber trotzdem guten Mut und die feste
Überzeugung, dass er binnen Jahresfrist aus aller
Geldnot heraus sein und überdies noch eine er-
kleckliche Summe verdienen würde. Allein er
hat diese Freude nicht mehr erlebt, da er in
den Weihnachtstagen desselben Jahres starb. Be-
reits als Gutenberg von der Krankheit des Andres
Dritzehn hörte, der wahrscheinlich mit Andres Heil-
mann zusammenwohnte oder mit diesem eine ge-
meinsame Werkstätte hatte, schickte er seinen
Knecht zu den beiden Andresen, um „ade formen
ju rjolcn, uno iDÜröent jur loffcn, öas er cjj febe,
unb jn jodj ertliche formen ruroete". Das heisst
also, die Formen, welche sich bei den beiden
Andresen befanden, wurden zerlassen und einge-
schmolzen, aber es reute doch Gutenberg etlicher
wegen. Als nun Andres Dritzehn mit dem Tode ab-
gegangen „bo fpredj« (ßutenberg, fü foltent
noch, ber preffen fenben, er formte bas man fü ferje,
00 (ante er feinen Knecht fyxv jn fü sur legen."
Also Gutenberg fürchtete, dass neugierige Leute
die Presse und ihre Anwendung sehen könnten,
und wollte am liebsten dieselbe abholen lassen.
Allein dies würde erst recht Aufsehen erregt haben,
und deshalb fasste er den Entschluss, seinen Knecht,
der also in die neue Kunst eingeweiht sein musste,
in das Haus des Andres Dritzehn zu schicken mit
der Weisung, die Presse auseinander zu nehmen.
Dann wieder änderte Gutenberg seinen Auftrag und
schickte seinen Knecht an den Bruder des Ver-
storbenen, Nicolaus, den er um eine Unterredung
bitten und auffordern sollte, die Presse niemandem
zu zeigen, vielmehr „gon über öie preffe unb bie
mit ben jircyen roürbelin uff bun, fo oielent bie
ftuefe poneinember, biefelben fhicTe folt er bann in
öie preffe ober uff bie preffe lege, fo funbe bar-
nach, nieman gefeb.cn noerj ut gemerefen." Die
Presse also konnte mit zwei Wirbeln aufgemacht
werden, so dass die darin befindlichen Stücke aus-
einander fielen. Claus Dritzehn ging ans Werk,
fand aber keine Stücke. Zugleich schickte der
andere Gesellschafter, Andres Heilmann, welcher,
wie wir oben sahen, vielleicht mit dem Verstorbe-
nen gemeinsam gearbeitet hatte, den Konrad
Sahspach, von welchem die Presse angefertigt
worden war, hin, um die Stücke aus der Presse
herauszuholen und sie, wahrscheinlich also die
Presse selbst, auseinander zu nehmen, damit man
nicht mehr sehen könne, zu welchem Zwecke
eigenüich das Ganze gedient hätte. Auch Sahspach
fand nichts; die Presse und die Stücke waren ver-
schwunden. Es liegt nahe anzunehmen, dass
Claus Dritzehn, der Bruder des verstorbenen Ge-
sellschafters, absichtlich die Presse und was dazu
gehörte beiseite gebracht hat, vielleicht bewogen
durch den Wunsch seines verstorbenen Bruders,
der in der letzten Zeit seines I-ebens in einem
rivalisierenden Gegensatze zu den anderen Gesell-
schaftern gestanden zu haben scheint Denn auf
dem Sterbebette machte er einem Freunde das
vertrauliche Geständnis, dass, wenn er wirklich
nun sterben solle, es besser gewesen wäre, er
hätte niemals mit jenen einen Gesellschaftsvertrag
geschlossen. Nur aus einer solchen Uneinigkeit
der Teilhaber lässt sich erklären, dass Heilmann,
der dem Andres Dritzehn am nächsten gestanden
und mit ihm zugleich die Formen in Verwahrung
gehabt hatte, nicht selbst in das Haus der Ge-
brüder Dritzehn ging, um die Presse auseinander
zu nehmen, sondern Konrad Sahspach als Mittels-
person hinschickte.
Dem Zwist zwischen Gutenberg und Heil-
mann einerseits und den Erben des verstorbenen
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und Luther, Die Anfinge der
435
Dritzehn andererseits verdanken wir die Nachrichten,
die obiger Darstellung zu Grunde liegen. Wir
würden von aUedem nichts erfahren haben, wenn
nicht die Brüder des verstorbenen Andres Driuehn,
Claus und Georg, unsern Gutenberg vor dem
grossen Rate der Stadt Strassburg verklagt hatten.
Sie forderten, dass jener entweder das von ihrem
Bruder zu dem Gesellschaftsunternehmen einge-
schossene Geld wieder herauszahle oder sie selbst
in das Konsortium aufnehme. Das Urteil des
Rates fiel für Gutenberg günstig aus, denn nach
dem Gesellschaftsvertragc sollten bei dem Tode
eines Teilnehmers an die Erben nur hundert
Gulden zu zahlen sein, das andere eingezahlte
Geld, sowie alle Geräte den Uberlebenden Gesell-
schaftern bleiben.
Die Protokolle über diesen Prozess sind im
Jahre 1745 in Strassburg aufgefunden worden und
bilden natürlich eine wichtige Quelle für die Ge-
schichte der Buchdruckerkunst Uber die Deutung
ihres Inhaltes sind die Ansichten der Forscher
weit auseinander gegangen. Die einen läugncn
jegliche Beziehung der in den Protokollen erwähnten
Presse, Formen und Stücke auf die Buchdrucker-
kunst und sagen, es sei anzunehmen, dass alle
derartigen Geräte und Materialien zur Anfertigung
von Spiegeln, resp. von künstlerisch in Metall aus-
geführten Spiegelumrahmungen und Spiegelkästen
hätten dienen können. Andere geben zu,
dass Gutenberg bereits in Strassburg sich mit
Druckversuchen beschäftigt habe, dass man
aber dabei nur an eine vervollkommnete Art
des Holztafeldruckes denken dürfe. Endlich
giebt es noch Verteidiger der Ansicht, dass
aus den Protokollen mit Sicherheit hervorgehe,
Gutenberg habe in Strassburg bereits die ersten
Druckversuche mit beweglichen Lettern ge-
macht Trotzdem die erste der drei ver-
schiedenen Meinungen in dem in der Geschichte
der Buchdruckerkunst als Autorität geltenden
Antonius von der J.inJe einen energischen
Vorkämpfer gefunden hat, neigt doch die
allgemeine Ansicht mehr dahin, dass Gutenberg
in Strassburg thatslichlich sich mit neuen Ex-
perimenten zur Vervollkommnung des Druck-
verfahrens beschäftigt hat, zu der damals bevor-
stehenden Aachener Heiligtumsfahrt ausser
Spiegeln wahrscheinlich auch Bilder durch Hol/.-
tafeldruck herstellte, die Holztafeln zerteilte,
erst hölzerne Lettern anfertigte und damit zu
drucken versuchte und auch Lettern in Bleischnitt
herzustellen sich Mühe gab, aber doch trotz
allen Versuchen schliesslich nicht zu einer
befriedigenden Lösung des ihm vorschwebenden
Problems gelangt ist. Die Stadt Strassburg
also ist nicht der Ort gewesen, wo die Kunst,
mit beweglichen Lettern zu drucken, von
Gutenberg erfunden worden ist, und der Denk-
stein, der sich seit 1894 an der Stelle des im
Jahre 1 53 1 abgebrochenen Klosters St Arbo-
gast befindet und dessen Inschrift lautet: „Hier
auf dem grünen Berge wurde die Buchdruckerkunst
erfunden und von hier aus wurde das Licht in
die Welt verbreitet" — er sagt zu viel, aber ge-
wiss ist es richtig gewesen, an jener Stelle die
an Gutenberg wach zu halten.
Im Dezember 1 439 war der Gerichtsspruch in
dem Prozesse der Brüder Dritzehn gegen Guten-
berg gefällt worden. Der Gesellschaftsvertrag band
letzteren noch bis zum Jahre 1443 an seine über-
lebenden Teilnehmer. Es scheint aber, dass mit
dem Tode des Andres Dritzehn ein Faktor
ausgeschieden war, der sich nicht leicht ersetzen
liess. Dass dieser in einer der verschiedenartigen
Thütigketten, die zu der Druckkunst nötig waren,
eine besondere Fertigkeit bewiesen hat, ist nicht
unmöglich; vielleicht war er der Letternschneider,
da er die „Formen" bei sich hatte.
Auch nachdem der fünfjährige Kontrakt mit
seinen Gesellschaftern abgelaufen war, blieb Guten-
berg noch in Strassburg. Die unruhigen Zeiten,
welche durch den Einfall der Armagnacs in das
Elsass herbeigeführt wurden, hat er mit durchlebt,
ist auch selbst mit in den Kampf gegen die Räuber
gezogen. In jenen Tagen mochte in ihm wohl
der Plan aufgetaucht sein, die Stätte so mancher
Volenecs tm«rr EpiftoUs Aurcli) Augu*
fVimJ/flponenfMt ptefuUs tngmffwnJui
Q tut» nondü humane doqueae facuhdia
fonafvo'u ctUm phmmi Giert tenpeure
paffus oifftrilcs ecobfairifTum: tueioe t%i
pwutitr-Herefes 4* «t oroie« a rec*A (üoe
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et via* queq$ ao ima mergeeta : uifta ras
concoitpacur.
Fo2talvciu u.oei.
Icem TEpiftoUs % bti Icrommi .
lofepbü oe anctVuiicaeifodt bell© tusaico.
VirgiUu. Terenriu.
Scnieiniu fctipturaic.
L\fc>2Ü ofefuonu beaa Äugufhm«
Valmü iWajclmu.
Veniat ao bofptdu 3119cm
Abb. 38. Verlagtverteichms Je» Jobann M enteil in Strauburg,
Nach den exoxig TothAft4cn*u Exemplar in der Huf- und Staatsbibliothek
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436
Meisner and Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkanst etc.
Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten zu verlassen
und an anderem Orte und unter anderen Verhält-
nissen aufs neue anzufangen, zu denken, zu probieren,
zu] schaffen. Sollte er nochmals den Fuss in eine
fremde Stadt setzen? Seine Gedanken flogen ge-
wiss lieber nach seiner Heimat hinüber, von der
er nun schon beinahe ein Vierteljahrhundert ent-
fernt geblieben war. Indessen vergingen noch Jahre,
ehe wir Gutenberg in seiner Vaterstadt wiederfinden.
Ob er in der Zeit von 1444 — 1448 noch in Strass-
burg geblieben oder herumgewandert ist, um Neues
zu sehen und zu lernen, was der Vervollkommnung
seiner Kunst förderlich sein konnte, das wissen
wir nicht
lieh den 7)'/>endruct, welcher allein der Buch-
druckerkunst ihre weltbewegende Bedeutung gegeben
hat, erfunden. Klar stand ihm vor Augen, wie die
einzelnen Lettern beschaffen sein mussten, um Halt-
barkeit und Schärfe zum Druck eines grösseren
Werkes zu besitzen; die Versuche gelangen ihm
mehr und mehr, und endlich war das Schwerste
erreicht, was ihm noch zur Vollendung seines
Werkes gefehlt hatte : die Herstellung brauchbarer
Lettern. In einen länglichen Stempel von hartem
Metall hat Gutenberg damals die äusseren Umrisse
der Type eingeschnitten, die inneren Teile der
Buchstaben mit einer Kunze, deren Gebrauch wir
bei den .Metallschnitten bereits kennen gelernt
Abb. ;,'). Ucdenktafel am Hof mm G ensflciich in Maiai.
Ärmer, als er eingezogen, verliess Gutenberg
Strassburg. Was ihn nach Mains zurückzog, das
war ausser der Liebe zur Heimat die berechnende
Überlegung, dass er daselbst für seine immer noch
keinen Erfolg aufweisenden Versuche Unterstützung
finden würde, wohl aber auch die Absicht, wenn
es gar nichts mit dem Buchdrucken würde, sich
ganz der Goldschmiedekunst und der Anfertigung
von künstlerischen Metallarbeiten zu widmen, für
welche Beschäftigung er Geschick und Glück ge-
zeigt hatte. Für die Ausübung eines solchen Ge-
werbes aber war Mainz der richtige Ort, denn dort
stand die Goldschmiedekunst, deren Zunft 29 Meister
aufwies, in hoher Blüte.
Vorerst aber wollte Gutenberg nochmals sein
Glück mit der Vervollkommnung der Buchdruck-
kunst versuchen. Hier in Mainz hat er thatsäch-
haben, zurecht gemacht, dann diesen Stempel, der
den Namen Patriu führt, etwa 1 — 2 mm in ein
viereckiges Kupferstück eingetrieben und dieses
dann genau rechtwinklig nach einem bestimmten
Maasse abgefeilt. So erhielt er eine Form, die
.\fiitrize genannt wird, und die er nun zum Giessen
der Typen verwenden konnte. Dieses letztere ge-
schah in der Art, dass die Matrize an dem Boden
eines Hohlraums befestigt wurde, den wiederum
zwei auseinander zu nehmende Hälften von Stahl
umschlossen. War der Guss beendet, so teilte man
diese Hälften wieder, und die Type mit dem an-
schliessenden Kegel konnte herausgenommen wer-
den. Ein nicht unwichtiges Erfordernis zur Her-
stellung guter Typen war natürlich schon damals
eine gute Giessmasse. die weder zu weich sein durfte,
damit sie sich durch den Druck nicht leichi
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Abb. 40. Denkmal Gillenbergs im Ganen der Kaiino-CeielUchaCi ni Mann.
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438
Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkunit etc.
abnutzte, noch auch zu hart, damit sie das Papier
beim Drucken nicht zerriss. Wie man jetzt
das Schriftmetall aus Blei, Antimon, Zinn und etwas
Kupfer herstellt, so ist Gutenberg gewiss bei dem
Abschluss seiner Versuche auch schon dahin ge-
langt, eine Metallmischung zum Guss zu verwen-
den. In Bezug auf die Konstruktion der Drucker-
presse brauchte Gutenberg in Mainz nicht mehr
Neues zu erfinden, da eine ganze Anzahl der ver-
schiedensten Pressen bei Tischlern und Metall-
arbeitern in Gebrauch war. Auch für das Einlegen
der Lettern in die Druckerpresse gab es bereits
Muster in den Holzrahmen, in welchen die Holz-
tafeldrucke, wenn sie aus mehreren Stücken be-
standen, eingefügt wurden (Abb. 15).
Wollte Gutenberg filr die Ausübung seiner neuen
Kunst einen Genossen werben, so musste er den-
selben von der Möglichkeit des Gelingens über-
zeugen, und das konnte er am besten wieder da-
durch, dass er ihm ein mit Typen gedrucktes Werk
vorzeigte. Deshalb hat die Meinung, Gutenberg
habe gleich nach seiner Rückkehr nach Mainz auf
eigene Faust Druckversuche im kleinen gemacht,
eine gewisse Berechtigung. Erst dann, als er sah,
dass der Versuch gelang, fasste er den Mut, sich
von neuem einem anderen zu nahem, der ihm die
Mittel zur Ausführung vertrauensvoll zur Verfügung
stellte. Dieser Mann war der Mainzer Bürger
Johann Fust (Abb. 32 und 33), und die Zeit, in
welcher Gutenberg zum erstenmale mit seiner aus-
gestalteten und praktisch gefundenen Kunst sich
jenem anvertraute, der August 1450, welches Jahr
wir deshalb mit vollem Recht als das der Erfindung
der Druckkunst mit beweglichen Typen ansehen
müssen.
Über Johann Fusts Lebensgeschichte vor seiner
Verbindung mit Gutenberg ist wenig bekannt. Er
galt in seiner Vaterstadt als ein sehr wohlhabender
Mann, der sein Geld gern in industriellen Unter-
nehmungen anlegte, um so mehr, als er durch
seinen Bruder Jakob Fust, einen intelligenten Gold-
schmied, in die verschiedensten Künste und Fer-
tigkeiten der Goldschmiedezunft eingeführt worden
war. Ab sich die beiden Männer, Gutenberg und
Fust, einander näherten, wusste jeder, was er von
dem anderen zu erwarten hatte; der eine wollte
absolutes Vertrauen und Geld, der andere aber
war Uberzeugt, dass er sein Geld keinem Unwerten
gäbe.
Der Gesellschaftsvertrag zwischen beiden, der
leider nicht mehr im Wortlaut verhanden ist, wurde
schriftlich in einem Zettel, d. h. einem doppelt
geschriebenen und dann durch eine Bogenlinie ge-
trennten Kontrakt, aufgesetzt. Durch denselben
erhielt Gutenberg von Fust 800 Goldgulden zu
6 Prozent Zinsen, „um damit das Werk zu voll-
bringen", d. h. um alle die Geräte anzuschaffen,
welche zu der Einrichtung einer Buchdruckerei
gehörten. Diese Geräte sollten für Fust das Unter-
pfand sein für das geliehene Geld. Wenn aber
Gutenberg letzteres zurückzahlte, blieb die ganze
Einrichtung sein Eigentum. Bei diesem Geschäft
erscheint also Fust nur als hypothekarisch ge-
schützter Geldgeber, während Gutenberg das Risiko
des Unternehmens allein trug. Daneben aber ver-
banden sich beide durch einen besonderen Kon-
trakt zu einem gemeinsamen Werke, bei dem jeder
die Hälfte des Schadens und des Nutzens hatte.
Dies war die Ausnutzung der Gutenbergischen Er-
findung, die Benutzung seiner Geräte, der Typen
und der Presse zur Herstellung von Druckwerken.
Dazu versprach Fust jährlich an Gutenberg 300
Gulden zu geben, womit dieser die Kosten, Ge-
sindelohn, Hausmiete, Anschaffung von Pergament,
Papier und Druckfarben bestreiten sollte, löste aber
diese Verpflichtung im Jahre 1452 durch die ein-
malige Zahlung von weiteren 800 Gulden ab, für
welche er laut seiner mundlichen Zusicherung keine
Zinsen verlangte. Es unterliegt keinem Zweifel,
dass das Unternehmen der beiden Männer die
Herstellung von Büchern mit beweglichen Typen
bezweckte, welch letztere von Gutenberg auf eigene
Kosten hergestellt worden waren; dass femer dieser
der alleinige Leiter und Techniker des Betriebes
war, nachdem er bei den ersten Unterhandlungen
seinem Gesellschafter bereits zum Druck brauch-
bare Typen hatte vorlegen können. Nun sollte
es ans Werk gehen. In dem Hofe Jungen",
(Abb. 48), jetzt Nummer 3 der Franziskanerstrasse
in Mainz, schlug Gutenberg seine Werkstätte auf.
Dieses Haus hatte sein Oheim Henne Gensfleisch der
Alte seit dem Oktober 1443 von dem ihm ver-
wandten Ort zum Jungen fllr zehn Gulden jährlich
gemietet und überliess nun Räume darin jenem
zu seiner Arbeit Der Hof zum Jungen, welcher
früher eine grössere Ausdehnung gehabt hat, bietet
noch jetzt das Aussehen eines alten Hauses, wie-
wohl er gegen Mitte des XVII. Jahrhunderts um-
gebaut worden ist
Dort hat man nun bei dem Ausgraben eines
Kellers im Jahre 1856 unter Trümmern und
Ofenkacheln ein viereckiges Stück Holz ge-
funden, vier Fuss lang und etwa einen halben
Fuss breit, in der Mitte mit einem Schraubenloch
versehen, mit der Inschrift J. MCDXLL G. Letztere
deutete man sofort auf die Anfangsbuchstaben des
Namens Johann Gutenberg, welche die Jahreszahl
1441 umgeben, und glaubte in dem Holze selbst
ein Stück der ersten Druekerpresse Gutenbergs
gefunden zu haben, die der vorerwähnte Konrad
Sahspach in Strassburg angefertigt hatte. Da um
das Holzfragment andere Holzstücke lagen, suchte
man aus denselben diejenigen heraus, welche etwa
zu einer Druckerpresse hätten passen können, und
rekonstruierte mit ihrer Hilfe, so gut es ging, eine
solche (Abb. 36). Nun ist es ja immerhin mög-
lich, dass Guten berg in jenen Kellerräumen, die
damals nicht tief unter dem Strassenniveau gelegen
haben mögen und, wie noch Spuren beweisen, recht
gut eingerichtet waren, gearbeitet hat; aber das Be-
denkliche bei der Bestimmung der Holzfragmente
zu einer Gutenbergischen Druckerpresse bleibt in
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Mciancr ond Luther, Die Anfinge der Buchdruckerkunst etc.
439
der Inschrift der Buchstabe des Vornamens, welcher
damals nicht Johann, sondern stets Henne oder
ähnlich geschrieben worden ist
Es rauss ja nun von hervorragendem Interesse
sein, die ersten Drutkversuehe Gutenbergs, durch
welche er seinen Gesellschafter und Geldgeber
Fust von der Möglichkeit, Bücher mit Typen zu
drucken, Uberzeugte, kennen zu lernen. Gewiss
trug sich Gutenberg damals schon mit grossen
Plänen der Herstellung umfangreicher Werke, als
deren edelstes und grösstes ihm die Bibel galt;
allein um solche fertigzustellen, fehlten ihm die
Menge notwendiger Lettern, die wiederum Zeit
und Geld beanspruchten. So war er genötigt, sich
nach einem kleineren Werke umzusehen, zu dessen
Druck nicht zu viel Lettern nötig waren und
welches dennoch grossen Absatz versprach. Das
waren die unter dem Namen der Donatt in den
Schulen der damaligen Zeit gebrauchten Lehr-
bücher der lateinischen Sprache, die wir bereits
bei Gelegenheit der Besprechung der Holztafel-
drucke kennen gelernt liaben. Man hat Frag-
mente von Donaten gefunden, welche als die
Überreste der ersten Druckversuche Gutenbergs
mit losen Typen gelten können (Abb. 26). Allein
welches Fragment wiederum das älteste ist, darüber
gehen die Meinungen noch auseinander. Im allge-
meinen wird man wohl den beiden Pergamentblättern
mit je siebenundswansig Zeilen eines Donatdruckes
(Beilage), welche als Umschlag einer alten Rech-
nung in Mainz gefunden worden sind und jetzt in
Paris aufbewahrt werden, den Vorrang des Alters
lassen müssen. Die Aufmerksamkeit, welche die
Specialforschung diesen Blättern schenkte, ergab
manchen Anhalt zu jener Annahme. Man fand,
dass die ersten neun Zeilen des Fragmentes mit
sehr weichen Blei typen, die sich schnell abgenutzt
haben, gedruckt sind, dass weiter die nächsten
neun Zeilen weniger abgenutzte, die diesen fol-
genden sechs Zeilen neue, zum erstenmal in Ge-
brauch genommene Typen zeigen, dass endlich
die drei letzten Zeilen mit Typen gedruckt sind,
welche aus einer besseren Metallmischung her-
gestellt wurden. Es ist ferner festgestellt, dass die
Pariser Donatfragmente mit denselben Typen
gedruckt sind, wie die sogenannte 3 6 zeilige
Bibel, und endlich hat man aus der alten
handschriftlichen Notiz, „Heydersheim 1451"
auf einem der Blätter auf das wahrscheinliche
Jahr der Ausgabe des Donatdruckes schliessen
wollen. Ein anderes Donatfragment, der sogenannte
30 /.eilige Donat, ist mit denselben Typen, wie der
ersterwähnte gedruckt, hat also ein etwas grösseres
Format gehabt, woraus man schliessen will, dass
dieses Produkt der Gutenbergischen Presse jüngeren
Ursprungs ist. Ausser diesen beiden Überresten
des Donat befindet sich in Paris noch ein anderer,
der 35 zeilige, welcher dieselben Typen zeigt, wie
die sogenannte 42 zeilige BibeL
Wenn wir nun daran festhalten, dass die Donat-
fragmente die ersten Produkte der Gutenbergischen
Presse in Mainz sind, so ergiebt sich aus diesen
wenigen Resten mancher Anhalt, wie sich die
ersten Versuche, mit Typen zu drucken, entwickelt
haben. Dass Gutenberg von Johann Fust Geld
zur Einrichtung einer Druckerei lieh, ist oben er-
wähnt; mit diesem Gelde stellte er die Typen her,
welche er zum Druck des ersten Donat benutzte;
die Typen waren also sein Eigentum. Der Zweck
des ersten Donatdruckes war eine Spekulation,
weniger auf Gewinn durch den Vertrieb des Buches,
als vielmehr auf weitere Geldvorschüsse seitens
Fusts; dieser sollte von der Möglichkeit eines
Buchdruckes überzeugt und bewogen werden, zu
dem grossen Unternehmen eines Bibeldruckes,
welches Gutenberg plante, die nötigen Geldmittel
als Teilnehmer an dem Unternehmen zu gewähren.
Dies scheint Gutenberg durch die Donatdrucke,
welche sich überdies noch als eine gute Einnahme-
quelle herausstellten, gelungen zu sein; denn die Vor-
bereitungen zu dem grossen Bibeldrucke, zu welchem
man natürlich eine grosse Anzahl Typen giessen,
ebenso Papier und Pergament ankaufen musste,
begannen thatsächlich bald nach der Ausgabe des
ersten Donates.
Dass Gutenberg inmitten dieser Vorbereitungen
noch Zeit gefunden haben soll, ein anderes Werk,
welches unter dem Namen des Rosenthalschen
Missale speciale erst vor kurzem bekannt geworden
ist, vorzubereiten, hat wenig Wahrscheinlich-
keit Und doch will man dieses Missale als den
ersten Gutenbergischen Druck bezeichnen, setzt
seine Entstehung in die Zeit vor 1450 und sieht
darin einen Vorläufer des berühmten Psalteriums
von Peter Schöffer aus dem Jahre 1457 (vergl.
Z. f. B. 1899, Heft 10 u. ff.). Gegenüber dieser
Ansicht fehlt es auch nicht an gewichtigen
Stimmen, welche den Druck des Missale als die
Arbeit eines ungeübten Gehilfen Peter Schöffers,
der vielleicht bei der Herstellung von dessen
Psalteriumsausgaben geholfen und durch irgend
einen Zufall Stempel oder Matrizen seines Meisters
in Besitz bekommen hat, hinstellen und seine
Entstehungszeit in die sechziger Jahre des
XV. Jahrhunderts setzen. Noch stehen sich die
Meinungen ungeklärt gegenüber; aber selbst, wenn
das Missale nicht von Gutenberg oder Schöffer
gedruckt, sondern erst in einer späteren Zeit ent-
standen ist, so bleibt es doch immer ein bemerkens-
wertes Druckerzeugnis aus der Inkunabelzeit.
Ehe wir nun auf das grosse Werk des Bibel-
druckes durch Gutenberg und Fust ausführlicher
eingehen, ist es besser, diejenigen kleineren Drucke,
welche aus der Gutenbergischen Offizin vor der
Vollendung des Bibeldruckes hervorgingen, näher
zu betrachten. Wie für die Donate, so bot sich
ein ähnliches grösseres Absatzgebiet, worauf es
jetzt zunächst den beiden Gesellschaftern ankam,
durch den Druck von Ablassbriefen. Geschäfts-
gewandt benutzten beide, Gutenberg und Fust,
eine sich darbietende Gelegenheit, ihre Buch-
druckerei in den Dienst der Kirche zu stellen, als
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440
Meisner und Luther. Die Anfinge der Buchdruckerkunst etc.
Abb. 41. Guteiiberg-Priikmal in Siraliburg.
dieselbe einen dreijährigen Ablass allen denen
versprach, welche durch den Kauf eines Ablass-
briefes Geld gegen die drohende Türkengefahr
zusammenbringen helfen würden. Von diesen
Ablassbriefen sind eine ganze Anzahl erhalten
geblieben, von denen neunzehn 31 Zeilen und
fünf 30 Zeilen Text enthalten. Aus diesem Um-
stand ergiebt sich, dass zweierlei Drucke der
Ablassbriefe gefertigt worden sind; die grossen
Typen des ersten Druckes sind die der 36 zeiligen
Bibel, also auch die des ältesten Donatfragmentes,
welches wir als aus der ersten Gutenbergischen
Offizin herstammend angenommen haben; die
grossen Typen des zweiten Druckes sind die
der 42 zeiligen Bibel. Die anderen, kleineren
Typen der Ablassbriefe zeigen eine ganz neue
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Meisner und Luther, Die Anfänge der Buchdruckerkunst etc.
44I
Gattung; sie schliessen sich an die damals an-
gewandte Kanzleikursivschrift eng an und scheinen
auf direkten Wunsch der päpstlichen Ablasskanzlei,
als deren Bevollmächtigter Paulinus Chappe nach
Deutschland gekommen war, geschnitten worden
zu sein, wohl aus dem Grunde, weil die Käufer
der Ablassbriefe an diese Kanzleischrift durch die
vordem geschriebenen Briefe gewöhnt waren. Wes-
halb man zwei verschiedene Drucke der Ablass-
briefe hergestellt hat, kann seinen Grund nur
darin haben, dass zwei verschiedene Auftraggeber
vorhanden waren; wirklich hat die genauere Unter-
suchung auch ergeben, dass die 3 1 zeiligen Ablass-
briefe ausschliesslich für die Erzdiöcese Mainz,
die 30 zeiligen aber für die Erzdiöcese Köln her-
gestellt wurden. Und diese Thatsache legt die
Annahme nahe, dass zwei Druckereien mit der
Herstellung der Briefe betraut worden sind; jedoch
sprechen innere Gründe dagegen und es ist mit
grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Guten-
berg, nachdem er seinen ersten Auftrag auf Her-
stellung der Briefe ausgeführt hatte, mit den ge-
druckten Briefen selbst auch die Typen seinem
Auftraggeber ausgehändigt habe; dass er darauf
aber, als er von Köln aus einen neuen Auftrag
erhielt, schnell durch einen anderen Typenschneider
neue Lettern zum Druck herstellen liess. Dadurch
würde sich auch erklären, dass die ersten Typen
wesentlich besser, die zweiten Typen der Ablass-
briefe aber sehr flüchtig und ungleichmässig ge-
arbeitet sind.
Wie so vieles in der Geschichte der aller-
ersten Drucke auf Kombinationen beruht, so hat
man deren auch in Bezug auf die Herstellung
der beiden Typenarten der Ablassbriefe versucht,
und zwar mit Glück. Die ersten Typen hat
Gutenberg durch einen geübten Kalligraphen schnei-
den lassen, vielleicht durch den talentvollen Peter
Schliffer (Abb. 37) selbst, mit welchem er also
damals schon in Geschäftsverbindung gewesen wäre.
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442
MoUner and Luther, Die Anfinge der Buchdrackerkuiut etc.
Da aber die zweiten Typen der Ablassbriefe sicher
nicht von diesem geschnitten worden sind, so mlisste
in der Zeit zwischen 1454 und 1455 bereits eine
Entfremdung zwischen Gutenberg und Schöffer ein-
getreten sein, und diese hätte sehr wohl dadurch
herbeigeführt werden können, dass Johann Fust
damals in Peter Schöffer den Mann erkannte, den
er besser als Gutenberg zu der Weiterfiihrung seiner
grossen Unternehmungen brauchen konnte. So
bieten die gedruckten Ablassbriefe Anlass zur
Prüfung wichtiger Thatsachen aus der Geschichte
der ersten Typendrucke; sie haben aber auch
andererseits dadurch Bedeutung für diese, weil sie
die ersten bekannten Drucke mit einer gedruckten
Zeitangabe sind. Während, wie wir oben bemerkten,
für Ort und Tag ein Raum zu handschriftlicher
Einzeichnung leer gelassen worden ist, erscheint die
Jahreszahl in beiden Arten der Ablassbriefe ge-
druckt, und zwar als 1454 und 1455, so dass der
Satz also während dieses Zeitraums stehen geblieben
und ausser kleinen Abänderungen die neue Jahres-
zahl zu richtiger Zeit eingefügt worden ist Das
früheste Datum, welches handschriftlich auf den
noch erhaltenen Ablassbriefen vorkommt, ist der
12. November 1454, das späteste der 30. April
1455, gerade der Endtermin des vom Papste
bewilligten und am i.Mai 1452 begonnenen drei-
jährigen Ablasses.
In derselben Zeit, wie die Ablassbriefe, wurde
auch das erste datierte Buch in der Gutenbergischen
Offizin gedruckt Es ist dies die „Mahnung der
Christenheit wider die Türken"' vom Jahre 1455
(Abb. 1 9). Nur ein einziges Exemplar davon, welches
aus dem Jesuitenkloster in Augsburg stammt, ist
erhalten geblieben und wird in der Königlichen
Hof- und Staats-Bibliothek in München aufbewahrt.
Das Schriftchen besteht aus sechs Quartblättern,
von denen neun Seiten bedruckt sind; die Seiten
haben je 20 oder 21 Zeilen. Der Text des un-
bekannten Autors ist in deutschen Keimen von un-
gleicher Länge abgefasst und beginnt mit einem
Gebete, an dessen Schlüsse sich die Angabe be-
findet: „2Us man 3clct nach, feiner gehurt offenbar
MCCCCLV iar Sieben moaVii unö IUI öage bo by
Von natitatts bis cjto mid?i." Es folgen darauf in
zwölf Abteilungen, deren jeder der Name eines
Kalendermonats nach ihrer Reihenfolge vorgesetzt
ist, die Mahnungen zum TUrkenkriege an den Papst,
den römischen Kaiser, die Könige, Erzbischöfe,
Bischöfe, Herzöge und freien Städte, endlich noch
unter dem Monat Dezember die Erzählung von der
bevorstehenden Gefahr durch die Türken, und
am Schiuss der Wunsch: „£yn gut fclig nuroc
3ar". Die Typen dieser Schrift sind diejenigen,
welche Gutenberg für die ältesten Donate und
die 36 zeilige Bibel anwandte, nur zwei eingemalte
Initialen finden sich am Anfange des Gebetes und
der Abteilung des Hartmonds (Januar).
Unterdessen schritt der Bibeldruck, welchen
Gutenberg und Fust gemeinsam unternahmen,
immer weiter fort. Wann er begonnen hat, wissen
wir nicht; denn eine Notiz der Koelhofrschen
Kölner Chronik vom Jahre 1499, dass man im
Jahre 1450 das erste Buch zu drucken begann
und dass dies die Bibel in lateinischer Sprache
gewesen ist, für deren Druck man eine „grobe"
Schrift, wie die in den Messbüchern anwandte,
hält einer kritischen Untersuchung nicht stand.
Wahrscheinlicher ist es, den Beginn des Bibel-
druckes in das Jahr 1453 und die Beendigung
desselben in das Jahr 1456 zu setzen. Es ist
auffallend, dass die höhere Geistlichkeit, besonders
die der grössten Diözese Deutschlands, dem Bibel-
druck so wenig Interesse entgegengebracht hat,
während sie sich doch um den Druck der Ab-
lassbriefe so sehr bemühte. Das immer wieder
vorgenommene Abschreiben der Bibel hatte den
Text derselben in hohem Grade verderbt, so dass
fast kein Exemplar genau dem anderen mehr
glich. Dieser Missstand war den Kirchenbehörden
bekannt und hatte bereits zu wiederholten Re-
visionen der im Mittelalter allgemein gebrauchten
sogenannten Biblia Alcuini oder Caroli Magni ge-
führt Hätte man den Satz des Bibeltextes einer
genauen Korrektur unterworfen und dann gedruckt,
so wäre auf einmal ein gleichlautender Text der
Bibel in vielen Exemplaren vorhanden gewesen.
Aber die Kirche kümmerte sich nicht weiter da-
rum, sondern Uberhess den Bibeldruck ganz und
gar der Privatspekulation, Für diese war es ein
teures Unternehmen, denn nun galt es Papier und
Pergament zu besorgen, sowie neue Typen in etwa
hundert neuen Arten mit allen Abkürzungen und
Buchstabenverbindungen zu giessen, auch den
neuen Druck dem handschriftlichen Bibeltexte so
viel als möglich in Ausstattung und Format an-
zuschliessen.
Aus der Zeit der Druckerthätigkeit Gutenbergs
sind noei verschiedene Bibeldrucke uns erhalten ge-
blieben, beide undatiert und beide mit einem An-
recht auf die Priorität Darüber hat sich ein
durch lange Zeit hindurch geführter Streit erhoben,
der erst vor kurzem durch die eingehenden kriti-
schen Untersuchungen Professor Dziatzkos ab-
geschlossen worden ist Dziatzko hat von den
beiden Bibeldrucken, welche in dem Streit um die
Priorität in Betracht kommen und die man nach
der Zahl der auf einer Seite befindlichen Druck-
zeilen die 42 zeilige und die 36 zeilige nennt der
ersteren das Vorrecht des Alters eingeräumt und sie
allein als das Werk der Geschäftsverbindung
Gutenbergs mit Fust erklärt, während die 36 zeilige
Bibel nur ein Nachdruck jener ist Die Guten-
berg-Fustsche Bibel enthält 64 t Blätter, zu denen
in einigen Exemplaren noch vier Blätter Rubriken-
verzeichnis hinzukommen; jede Seite enthält in
der Regel 42 Zeilen in zwei Kolumnen
gedruckt Varianten, die aber keinen besonderen
Druck des Ganzen darstellen, sind vorhanden; so
giebt es z. B. einzelne Exemplare, in denen die
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443
ersten neun Seiten 40 Zeilen auf jeder Kolumne,
die tehnte Seite 41, die Übrigen 42 Zeilen haben,
ausgenommen wieder die Blätter des Buches der
Maccab'äer mit je 40 Zeilen. Von dieser Bibel,
welche in ihrer typographischen Ausführung eine
Kostbarkeit ersten Ranges ist, sind noch 31 Exem-
plare, und zwar 10 auf Pergament, 21 auf Papier
gedruckte, vorhanden. Man nimmt an, dass die
ganze Auflage nicht grösser als 100, wovon ein
Drittel auf Pergament gedruckt ward, gewesen ist
Natürlich haben sich die grössten BUchersammlungen
bemüht, Exemplare dieses seltenen und prächtigen
typographischen Werkes in ihren Besitz zu be-
kommen, und wirklich ist es den meisten gelungen.
So haben Berlin, London, Paris und Rom, Dresden,
Leipzig und Göttingen, Fulda und Kloster St. Paul
in Österreich Pergamentexemplare der 42 zeiligen
Bibel, wahre Cünelien, denn jedes Exemplar re-
präsentiert einen Wert von 70000 — 100000 M.,
je nachdem sie mit Miniaturen geschmückt und
künstlerisch illuminiert oder rubriziert sind. Denn
nach dem Druck war das Werk noch nicht voll-
endet; die leeren Räume zu Anfang eines Ab-
schnittes füllte der Kalligraph mit hübschen
Initialen aus, dann kam der Rubrikator, oft die-
selbe Person mit jenem, welcher die Abschnitte
oder bedeutenden Wörter durch rote Farbe her-
vorhob, und endlich der Ligator, der das Buch
einband. Einem Manne, der alle diese drei
Arbeiten selbst an einem Bibeldruck Gutenbergs
vornahm, dem Vikar an der Kollegialkirche in
Mainz Heinrich Albech alias Cremer, verdanken
wir eine wichtige Notiz über die Zeit der Voll-
endung des Druckes. In das jetzt in Paris be-
findliche Exemplar der 42 zeiligen Bibel schrieb
er nach der Gewohnheit der Rubrikatoren zwar
nichts davon, wer den Druck verfertigt habe, wohl
aber, dass er selbst mit der niuminierung und
dem Einbinden des zweiten Teiles der Bibel am
Feste der Himmelfahrt Mariä, am 15. August, des
ersten Teiles am Tage Bartholomäi, am 24. August,
des Jahres 1456 fertig geworden wäre.
Drei Jahre also war Gutenberg mit dem Drucke
der Bibel beschäftigt. Unter seinen Helfem hatte
er mit Scharfblick die Tüchtigkeit eines einzelnen
erkannt, des Prtcr Schöffer von Gernsheim, dessen
Talent als Typenschneider bereits bei der Er-
zählung von dem Druck der Ablassbriefe Guten-
bergs Erwähnung gethan worden ist. Zu gleicher
Zeit aber hatte auch Fust sein Auge auf den
jungen Mann gerichtet, den er für wohl geeignet
hielt, an Gutenbergs Stelle mit ihm weitere Druck -
Unternehmungen zu vollenden. Ungewollt hat
Schöffer den ersten Anlass zu Misshelligkeiten ge-
geben, welche zwischen Gutenberg und Fust sich
einstellten, noch ehe der Bibeldr.ick vollendet
war. Fust gelang es, den tüchtigen Gehilfen
seinem Geschäftsteilhaber abspenstig zu machen.
Als er glaubte, dass jener so viel von der Druck-
kunst verstehe, dass er der Beihilfe Gutenbergs
vollständig entbehren könne, zog er Schöffer durch
die Aussicht, sein Schwiegersohn und Kompagnon
werden zu können, ganz auf seine Seite. Um
Gutenberg los zu werden, gab es für Fust das
einfachste Mittel; er verklagte ihn auf Rückzahlung
der geliehenen Gelder. Das waren die 800 Gulden,
die er ihm zuerst zur Einrichtung einer Druckerei
gegeben hatte, nebst 250 Gulden Zinsen auf un-
gefähr filnf Jahre; dazu kamen weitere 800 Gulden,
welche Fust als Betriebskapital für das gemein-
same Unternehmen des Bücherdruckens hergegeben
hatte, nebst 140 Gulden Zinsen dafür, endlich
noch 36 Gulden Zinseszins. Das machte die statt-
liche Summe von 2026 Gulden, die Gutenberg
nicht zahlen konnte. Dieser verteidigte sich auf
die Klage Fusts, so gut er konnte. Er wies zu-
nächst nach, dass er die ersten 800 Gulden nicht
voll und, wie es vertragsmässig ausgemacht war,
auf einmal erhalten, dass Fust ferner ihm gegen-
über mündlich auf jegliche Zinsen dafür verzichtet
habe. Die zweiten 800 Gulden aber dürfe Fust
Uberhaupt nicht zurückfordern, da dieser sie zum
Betrieb des gemeinsamen Unternehmens her-
gegeben habe, sondern er könne nur Abrechnung
darüber verlangen, welche Gutenberg willig leisten
wolle. Das Gericht erkannte, dass Gutenberg
solche Rechnung legen sollte; wenn sich daraus
ergeben würde, dass er mehr Geld erhalten als
ausgegeben oder zu seinem eigenen Nutzen ver-
wandt habe, so solle dieser Überschuss an Fust
ausgezahlt werden. Dieser hingegen müsse durch
einen Eid bekräftigen, dass er das Geld, welches
er Gutenberg gab, nicht von seinem eigenen Ver-
mögen genommen, sondern selbst auf Zinsen ge-
liehen habe; in diesem Falle freilich sei Gutenberg
verpflichtet, auch die verlangten Zinsen zu zahlen.
Während Gutenberg die verlangte Rechnung
bis zu dem bestimmten Tage nicht legte, erklärte
sich Fust zur Eidesleistung bereit. Dies geschah
vor dem Notar Ulrich Helmasperger am 6. No-
vember 1455, und ein Glücksfall hat es gefügt,
dass dieses Notariatsinstrument, welches neben
dem Eide Fusts auch noch seine Klage, Guten-
bergs Entgegnung und das richterliche Erkenntnis
enthält, uns erhalten geblieben ist.
Was aus dem Prozess Fusts gegen Gutenberg
weiter geworden ist, wissen wir nicht. Keinesfalls
aber konnte letzterer auch nur die ersten 800
Gulden zurückzahlen und ging dadurch seines
besten Werkzeuges, der Typen zum Druck der
42 zeiligen Bibel und wahrscheinlich auch neuer
kostbarer Typen, die später von Fust und Schöffer
zum Psalterium verwandt wurden, verlustig; denn
nach dem Vertrage zwischen Gutenberg und Fust
bildete das „Geräte" des enteren das Unterpfand
für die endiehene Summe. Auf diese Weise war
es den neuen Gesellschaftern nicht schwer, ihre
Buchdruckerei, welche sie sich schon im Jahre 1454
im Hofe tum Humbrecht (Abb. 46) gegenüber
dem Barfüsserkloster eingerichtet hatten, mit brauch-
barem Geräte hind hübschen Typen auszustatten.
Hier wurde der Druck der 42 zeiligen Bibel von
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444
Mettner und Luther, Die Anfänge der Buchdruckerkunst etc.
Peter Schöffer vollendet Es ist viel zu Ungunsten
dieses Mannes geschrieben worden und viel spricht
gegen ihn, weil er mit dem schlau berechnenden
Kapitalisten Fust einen Vertrag einging, der sich
die Ausnutzung der Erfindung Gutenbergs und
seiner Zwangslage zur Aufgabe machte. Allein
wirft auch der Prozess Fusts gegen Gutenberg
auf ersteren kein gutes Licht, so deutet nichts
darauf hin, dass Schöffer sich dazu gebrauchen
Hess, gegen seinen Lehrer Gutenberg schroff oder
gar hinterlistig aufzutreten. Jedenfalls besass er
ein Talent, welches dasjenige Gutenbergs im Fall
der Not ersetzen konnte. Als letzterer bemUht
war, seinem Partner Fust die Möglichkeit und
giessen. Da die Typen der Schöfferschen Offizin
viel regelmässiger und schärfer sind als die der
Gutenbergischen, so hat man eben angenommen,
die Matrizen zu letzteren seien gegossen, zu ersteren
geschlagen gewesen.
Nachdem die 42 zeilige Bibel im Jahre 1456
vollendet worden war, ging Schöffer sofort an ein
neues grosses Werk, zu welchem er wahrscheinlich
die Typen schon fertig liegen hatte. Es war dies
das Psalterium, nicht nur das schönste und voll-
endetste Monument der kaum erstandenen Kunst,
sondern auch das erste Druckwerk überhaupt,
welches durch die Angabe des Druckers, des Druck-
ortes und der Erscheinungszeit eine vollständige
Abb. 4}. Hof ..Zum Gillenberg" in Maiiu.
Rentabilität des Buchdruckens vermittelst beweg-
licher Typen vorzuführen, im Jahre 1449, befand
sich Schürfer als Kalligraph an der Universität
Paris, kam wahrscheinlich gegen 1452 nach Mainz,
wo er zunächst als Gehilfe von Gutenberg mit
Typenschneiden, dann auch als Setzer und Drucker
beschäftigt wurde. Durch die Verheiratung mit
Fusts Tochter Christine wurde er dessen Geschäfts-
teilhaber und eigenüicher Geschäftsleiter, denn Fust
gab nach wie vor nur das Geld und bemühte
sich gar nicht, in die Technik des Druckens ein-
zudringen. Was aber von den grossen Verbesse-
rungen des Typendruckes durch Peter Schöffer
(iberliefert ist, kann man nur mit grosser Vorsicht
aufnehmen, besonders die Nachricht, dass er und
nicht Gutenberg zuerst auf den Gedanken ge-
kommen ist, den in einen Stempel erhaben ein-
geschnittenen Buchstaben (Patrize) in eine Form
(Matrize) einzuschlagen, statt diese letztere zu
Datierung enthält. Am Schluss des Psalteriums
steht dieselbe, die aus dem Latein Ubersetzt fol-
gendermassen lautet: Vorliegende Sammlung der
Psalmen, mit schimen Kapitalbuchstaben geschmückt
und nach Rubriken genügend abgeteilt, ist durch die
künstliche Erßnttung des Druckens ohne Hilfe der
Feder also gefertigt und zur Verehrimg Gottes nach
vieler Mühe und Arbeit tu stände gebracht worden
durch Johann Fust, einen Mainzer Bürger, und
Peter Schößer von Gernsheim im Jahre des Herrn
1457 am Vorabende von Mariä Himmelfahrt. Die
beiden Gesellschafter hatten mit dem Druck des
Psalteriums einen ganz guten Gedanken gehabt;
denn solche Psalterien brauchte man überall in
den Kirchen, bei der Messe und zum Chorgesang.
Man hat sich also dieselben als Choralbücher vor-
zustellen, die deshalb auch nicht etwa alle Psal-
men, sondern nur deren 23 enthielten und auch
diese nicht in der Ordnung der Bibel, sondern in
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Meitner und Luther, Die Anfänge der Buchdruckerkunsi etc.
445
<J
Abb. 44. Relief am C u ten be f g - Ue nk m al in Main*.
Outenberg leigt Sch'irTer. der ein« Hvltiafel mit eingeschnittenen
Buchttaben h-.lt, bewegliche Typen.
der Reihenfolge, wie sie im Chor pflegten ge-
sungen zu werden. Bisher hatte man geschriebene
Psalterien benutzt, mit grossen und deutlichen
Buchstaben, so dass der Text von den Priestern
in der Messe und von den Chorsängern auf weitere
Kntfernung gelesen werden konnte. Noch giebt es
deren in Mainz, die aus dem dortigen Karmeliter-
kloster stammen und von einem Mönche im Jahre
M34 geschrieben sein sollen. Nur mit Mühe ver-
mag man ihre Schrift von Druckschrift zu unter-
scheiden, so schön und gleichmässig sind die ein-
zelnen Buchstaben ausgeführt Da die letzteren
sowohl, wie auch besonders die Initialen denen
des Fust-Schöfferschen Psalteriums ähneln, so liegt
es nahe, daran zu denken, dass Schöffer die ge-
schriebenen Choralbücher des Karineliterklosters
in Mainz gekannt und als Vorbild für sein eigenes
Werk gebraucht hat Wahrscheinlich sind Uber-
haupt nur zwölf bis fünfzehn Exemplare des Psal-
teriums gedruckt worden, die zum grössten Teil
in Mainz blieben ; drei davon besass das St Victor-
Stift, ein viertes das Domstift, ein fünftes besassen
die Benediktiner. Neun Exemplare sind bis
auf uns gekommen. Das schönste, wahr-
scheinlich das Mainzer Domexemplar, erwarb
um 7000 Gulden die Berliner Bibliothek und
besitzt damit einen Schatz, der jetzt auf 200000
Mark bewertet wird; ein Exemplar in Wien ist
ganz ungebraucht, so wie es aus der Offizin
hervorgegangen ist; andere Exemplare befinden
sich noch in Darmstadt, Dresden, der Rylands-
Bibliothek zu Manchester, London und Paris.
Alle Exemplare sind auf Pergament gedruckt,
haben aber verschiedenen Umfang, von 137 bis
175 Blättern, je nachdem wahrscheinlich die
einzelnen Kirchen mehr oder weniger Psalmen
bei ihrem Gottesdienste brauchten. Das erste
Blatt hat auf der Vorderseite neunzehn Zeilen,
von denen die erste und dritte Zeile rot gedruckt
ist Mit der vierten Zeile fängt der erste Psalm
an, der bei der Frühmesse zuerst gesungen
wurde: „Beatus vir qui non abiit" etc., d. h.
„Wohl dem der nicht wandelt im Rate der Gott-
losen" etc. Der Anfangsbuchstabe B ist eine
der schönsten Initialen, die es Uberhaupt giebt
Im ganzen sind in dem Psalterium fünf ver-
schiedene Typen vertreten, nämlich die 288
farbigen Initialen, die wieder in drei verschiedene
Gattungen zerfallen, dann die Kapitalbuchstaben,
am Anfang jedes Verses rot gedruckt, weiter
die Typen der Psalmen, die etwas kleineren
Choraltypen und endlich die noch kleineren
Typen der Schlussschrift Dass Fust und Schöffer
mit dem Psalterium ein besseres Geschäft machten
als mit ihrer Bibel, beweist die Thatsache, dass
bald neue Auflagen nötig wurden, von denen
die nächste 1459, darauf eine neue 1490, ferner
1502 als letzter Druck Peter Schöffers, endlich
noch 1515 (vergl. Z. f. B. 1 899, Heft 9) und 1516,
von seinem Sohn Johann Schöffer veranstaltet,
erschienen.
Solchem kostbaren Druckerzeugnis, wie es das
Psalterium Fusts und Schüffers war, gegenüber
hatte Gutenberg einen schweren Stand. Wohl
war ihm die Fähigkeit des Ausdenkens neuer
Pläne und die Energie des Schaffens geblieben,
aber es fehlte ihm an Geldmitteln und wohl auch
in der ersten Zeit an Gehilfen. Die besten Typen
waren gepfändet, nur die alte Donattype, die, wie
wir gesehen haben, bereits in einzelnen Abschnitten
der Donate abgenutzt erscheint, war sein Eigen-
tum. Er versuchte schnell durch neuen Guss
diese Typen zu vermehren und zu verbessern und
ging dann selbständig an den Druck eines neuen
Werkes, der sogenannten 36 seiligen Bibel. Als
Vorlage diente ihm dazu, wie verschiedene Satz-
fehler beweisen, ein nicht rubriziertes Exemplar
der von ihm selbst begonnenen und von Fust-
Schöffer zu Ende geführten 42 zeiligen Bibel Vier
verschiedene Papiersorten zeigen, wie der Druck
der neuen Gutenbergischen Bibel an vier Stellen
zugleich begonnen hat, die abgenutzten Typen auf
einzelnen Blättern, wie mangelhaft die typographische
Abb. 45. Relief am Gutenberg-Denkmal in Maine
Gillenberg uchi einen fertigen Druckbogen durch.
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Meiiner und Luther, Die Anfinge der BuchdrucVerkuMt etc.
Ausrüstung war (Abb. 18). Nur neun, zum Teil
unvollständige Exemplare dieser 36 zeiligen Bibel
sind erhalten geblieben und befinden sich in
Leipzig, Wien, Stuttgart, Jena und Wolfenbuttel,
ferner in Paris und Antwerpen, endlich in London
und in der Bibliothek des Lord Spencer (Ryland-
Bibliothek). Vollständige Exemplare enthalten
882 Blätter. Noch weniger Geschäfte als Fust
und Schöffer mit ihrer 42 zeiligen machte Guten-
berg mit seiner 36 zeiligen Bibel, da sich auch
gegen diese die Kleriker, trotzdem jener unter
ihnen viele Freunde hatte, anfangs ablehnend ver-
hielten. Ein solcher Misserfolg brachte es zuwege,
dass Gutenberg auch diese Typen mitsamt der
ganzen Bibelauflage um das Jahr 1458 an den
Bamberger Buchdrucker Albrecht Phster, der wahr-
scheinlich bei dem Druck selbst geholfen, viel-
leicht auch mit bescheidenen Mitteln ihn unter-
stützt hatte, übergeben musste.
Unterdessen druckt Schöffer rüstig weiter. Um
die älteren Gutenbergischen Donatdrucke zu ver-
drängen, benutzt er die Typen der 42 zeiligen
Bibel zur Herstellung einer neuen Ausgabe des
Denat, welche unter dem Namen des 35 zeiligen
bekannt ist. Dann fertigt er verschiedene neue
Typen an, eine besondere zum Druck des Ratio-
nale des Scholastikers Guilielmus Durandus, wel-
ches, „artificiosa adinventione imprimendi ac ca-
racterizandi: absque calami exaratione effigatus",
am 6. Oktober 1 459 vollendet ward (Abb. 34). Eine
um ein Drittel grössere Type als die vorhergehende
verwendet Schöffer darauf zum Druck der Con-
stitutione des Papstes Clemens V. im Jahre 1460.
Alle diese Fust-Sehöfferschen Drucke tragen
am Schluss die Namen ihrer Verfertiger und die
besondere Hervorhebung der neuen kunstvollen
Erfindung des Druckens, aber den Namen Guten-
bergs nennt keine. Ja, selbst in dessen eigenen
Druckerzeugnissen fehlt er in der Nachschrift, so
dass die Annahme Berechtigung hat, dass Guten-
berg es deshalb unterliess, ein Druckwerk von
sich mit seinem eigenen Namen zu unterzeichnen,
um es nicht der Pfändung auszusetzen. So schlimm
stand es damals um die Finanzen des genialen
Erfinders.
Um so rühmenswerter ist das Benehmen eines
Mannes gegen ihn, der nicht an ihm und seiner
Kunst verzweifelte, sondern ihn durch ein vor-
gestrecktes Kapital in den Stand setzte, nochmals
den Druck eines grösseren Werkes zu unter-
nehmen. Es war dies der Mainzer Syndikus
Dr. Konrad Humery, dem Gutenberg für seine
Bereit willigung sein ganzes Druckgerät verpfändete.
Nun ging letzterer daran, ganz neue Typen her-
zustellen, mit denen er wahrscheinlich zunächst
zwei kleinere Druckwerke, den Tradatus radottis
et conscientiae des Matthäus von Krakau und die
Summa de articulis ßdei des Thomas von Aquino,
herstellte. Nach diesen Versuchen begann Guten-
berg den Druck seines letzten grossen Werkes,
des Katholiken von Johannes von Palbus aus Genua.
(Abb. 21). Es war dies eine seit ihrem Bestehen im
Jahre 1286 sehrbeliebte und gebrauchte grammatisch-
lexikalische Kompilation. Im ganzen umfasst der
Druck des Katholikons 373 Blätter, in gespaltenen
Kolumnen von meist 66 Zeilen ohne Initialen,
für welche der Raum freigelassen ist Den ersten
Teil bildet die Grammatik auf 64 Blättern, darauf
folgt das Lexikon, welches mit einer Schlussschrift
des Verfassers endete. Nach dieser nahm noch
der Drucker, also Gutenberg selbst, das Wort
„Unter dem Schutze des Höchsten," so schreibt
er in lateinischer Sprache, „auf dessen Wink die
Zungen der Unmündigen beredt werden und wel-
cher oft den Kleinen das enthüllt, was er den
Weisen verhehlt, ist dieses ausgezeichnete Buch
Katholikon im Jahre der Menschwerdung des Herrn
1460 in dem thätigen Mainz, einer Stadt der be-
rühmten deutschen Nation, welche die Huld Gottes
durch ein so hohes Licht des Geistes und durch
ein freiwilliges Geschenk den anderen Nationen
der Erde vorzuziehen und auszuzeichnen gewürdigt
hat, nicht mit Hülfe des Schreibrohrs, des Griffels
oder der Feder, sondern durch das wunderbare
Übereinstimmen, Verhältnis und Maass der Matrizen
und Formen gedruckt und vollendet worden. Des-
halb sei Dir, heiliger Vater, mit dem Sohne und
heiligen Geiste, dem dreieinigen Gotte, Lob und
Ehre zu Teil, und du, Katholikon, klinge in diesem
Buche zu einem Lobe der Kirche und unterlasse
nicht, stets zu loben die fromme Maria. Gott sei
Dank!" So endet Gutenbergs letztes grosses
Druckwerk, ohne dass er auch hier seinen Namen,
wie Fust und Schöffer, als Drucker kundgab. Nur
25 Exemplare des Katholikons sind uns erhalten
geblieben, 11 Pergamentdrucke und 14 Papier-
drucke, von denen beiden Exemplare in den meisten
grösserenBibliotheken Deutschlands vorhanden sind.
Trotzdem Gutenberg durch Humerys Hülfe
aus seiner Geldverlegenheit herausgekommen war,
wollte es ihm doch nicht mehr gelingen, in einer
eigenen Druckerei neue Werke mit der von ihm er-
fundenen Kunst herzustellen und den Lohn dafür
sich zu erwerben. Es scheint, dass nach der Voll-
endung des Katholikons die Schaffensenergie des
nunmehr etwa sechzigjährigen Mannes erlahmte,
dass er in dem eigenen Bewusstwerden der Gross-
artigkeit seiner Erfindung seinen Platz glücklicheren,
weiterschaffenden Rivalen überliess und sich in den
engen Verkehr mit einigen Genossen geistlicher
Korporationen zurUckzog. Schon im Jahre 1457
bezeichnet ihn eine Urkunde als Mitglied der
Bruderschaft des St. Viktor-Stiftes, die durch from-
mes Leben und thätige Nächstenliebe sich auf
den* Himmel vorzubereiten suchte. Allein diese
wohlverdiente Ruhe ward Gutenberg bald wieder
gestört, indem mächtige Stürme von Streit und
Krieg über Mainz zogen. Der Graf Diether
von Isenburg, welcher den erzbischüflichen Stuhl
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Meisner und Luther, Die Anfänge der Buchdruckerkanst etc.
447
von Mainz inne hatte, wurde am 21. August 1461
von dem Papste, dem gegenüber er sich nicht
willfährig genug gezeigt hatte, abgesetzt Sein
Nachfolger, Graf Adolf von Nassau, hatte aber
gegen ihn, der nicht gutwillig seine Rechte auf-
geben wollte, einen schweren Stand. Den Kampf
zwischen den beiden Rivalen leitete eine Anzahl
heftiger Streitschriften ein, die alle in Mainz ge-
druckt wurden. Ein Brief Kaiser Friedrichs III.
über die Entsetzung Diethers von Isenburg, ver-
schiedene Bullen des Papstes gegen diesen und
für Adolf von Nassau, zwei Manifeste der beiden
Gegner sind wertvolle Erzeugnisse der Mainzer
Buchdruckerpresse aus den Jahren 1461 und 1462.
Allein es blieb nicht bei der Fehde durch Wort
und Schrift; am 28. Oktober 1462 überfiel Adolf
von Nassau die Stadt Mainz, die durch Plünderung
und Brand erheblichen Schaden erlitt. Die Bürger
aber, welche auf seilen Diethers gestanden hatten,
verloren ihren ganzen Besitz und wurden aus der
Stadt vertrieben. Gutenberg, der mehr Verkehr
mit der Geistlichkeit, als mit der Bürgerschaft
von Mainz hatte, war ein Anhänger des Grafen
Adolf und blieb deshalb von allen den Folgen,
die der Aufstand mit sich brachte, verschont.
Er scheint damals bereits in dem Algershdmer
Hofe hinter der Christophskirche gewohnt zu
haben, eine Besitzung, welche der Erzbischof Adolf,
nachdem er Herr der Stadt geworden war, seinem
Anhänger Ludwig von Lichtenberg als Burglehen
übergab.
Vielleicht durch letzteren wurde der neue Erz-
bischof auf die bedrängte Lage, in der sich Guten-
berg befand, aufmerksam gemacht, und, um ihn
aller Not des Lebens zu entziehen, ernannte er
ihn zu Anfang des Jahres 1465 zu seinem „Dienst-
mann." Dadurch wurden keinerlei Dienstleistungen
von Gutenberg verlangt, hingegen trat derselbe
durch diese Ernennung unter den alleinigen Ge-
richtshof des Erzbischofes, so dass sein Hab und
Gut fortan vor der Beschlagnahme durch fremde
Richter gesichert war, und erhielt noch dazu
steuerfrei ein jährliches Deputat, bestehend aus
einem neuen Kleide, zwanzig Malter Kom und
zwei Fuder Wein. So oft er ausserdem an das
Hoflager seines Herrn kam, welcher damals in dem
zwei Stunden nördlich von Mainz gelegenen Elt-
ville residierte, fand er dort freien Tisch.
Allein Gutenberg scheint es vorgezogen zu
haben, seinen festen Wohnsitz in Mainz zu be-
halten, wenn er auch seine Verbindungen mit Elt-
ville, woselbst Verwandte von ihm lebten, nicht
aufgab. Drei Jahre kaum hat der grosse Mann,
dessen Leben ein stetes Kämpfen, Sorgen und
Denken gewesen war, die Ruhe des Alters unter
dem Schutze eines Herrn, der seine Verdienste
voll anerkannte, gemessen können; zu Beginn des
Jahres 1468 — man nimmt als Todestag den
2. Februar an — ist er gestorben. Seine Grab-
stätte fand er in der Kirche des Dominikaner-
klosters, wo mit vielen anderen Mainzer Patriciern
auch die Gensfleisch ihre Begräbnisplätze hatten.
Am 21. Juli 1793, bei der Beschiessung der Stadt
durch die Franzosen, ging das Dominikanerkloster
in Flammen auf und ist nicht wieder aufgebaut
worden. An die Thätigkeit Gutenbergs in dem
goldenen Mainz aber erinnert eine ganze Anzahl
von Gedenktafeln, durch welche die dankbare
Nachwelt das Gedächtnis an den Erfinder der
Buchdruckerkunst erhalten wollte. Sowohl der Hof
zum Gensfletsch (Abb. 39) in der jetzigen Emmeran-
Strasse, wo Gutenberg geboren sein soll, als auch
der Hof zum Gutenberg, das mütterliche Erbe, an
der Christophkirche gelegen, endlich der Hof zum
Jungen, in dessen Räumen Gutenbergs erste
Druckerei sich befand, tragen solche Erinnerungs-
zeichen. Im Jahre 1827 errichtete dann die
Mainzer Kasinogesellschaft in dem ihr gehörenden
Hofe zum Gutenberg die erste Bildsäule des Er-
finders (Abb. 40), die von Joseph Scholl in Sandstein
hergestellt ist und sich jetzt in dem neuen Guten-
bergkasino auf der Grossen Bleiche befindet Ein
würdiges Denkmal des berühmten Mannes schmückt
seit 1837 den Gutenbergplatz. Thorwaldsen in
Rom hatte ohne Entgelt die Modellierung desselben
übernommen; der Guss in Erz ward durch Crozatier
in Paris ausgeführt (Abb. 44/45)- Strassburg, das
neben Mainz die nächsten Ansprüche auf Gutenberg
hat, wollte auch in Bezug auf die Ehrung desselben
nicht zurückstehen; in seinen Mauern, auf dem Guten -
bergplatze, erhebt sich seit 1840 das von David
d* Angers ebenfalls kostenlos modellierte Standbild
des Erfinders (Abb. 4')- Von den anderen grösseren
Städten sind die meisten in der Ehrung des grossen
Erfinders durch Denkmäler zurückgeblieben; eine für
den Lichthof der Pariser Bibliothek projektierte
Statue ist nicht zur Ausführung gekommen. In
Frankfurt a. Af. hat man 1857 ein grösseres
Monument zum Andenken an die Erfindung der
Buchdruckerkunst errichtet Es befindet sich auf
dem Rossmarkt und vereinigt die Standbilder
Gutenbergs, Fusts und Schöffers, die Idealfiguren
der Theologie, Poesie, Naturwissenschaft und In-
dustrie, sowie die der vier Städte, Mainz, Strassburg,
Venedig und Frankfurt (Abb. 42). Auch hier rührt der
erste Entwurf von Thorwaldsen her, die Ausführung im
einzelnen aber von seinem Schüler Eduard Schmidt
von der Launitz. Die Gedenkfeiern, welche be-
sonders in unserem Jahrhundert allgemein und
würdig begangen wurden, brachten eine Menge
von Denkmünzen mit dem Bilde Gutenbergs in
künstlerischer Ausfuhrung, aber in allen solchen
bildlichen Darstellungen musste man sich damit
begnügen, die Züge des grossen Mannes nach den
wenigen, zum Teil nicht authentischen Bildnissen,
(Abb. 20, 24, 30 und Beilage), die uns erhalten sind, in
idealer Auflassung darzustellen. Das beste Porträt
Gutenbergs, welches die Strassburger Bibliothek be-
sass, ist 1870 bei dem Brande derselben unterge-
gangen; eine Kopie davon in der Mainzer Stadt-
bibliothek (Abb. 27) zeigt dass das Original nicht
aus der Lebenszeit Gutenbergs hat stammen können,
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Meisner and Luther, Die Anfinge der Buchdrnckerkanst etc.
wenngleich es möglich ist, dass ein älteres Bild dem
Porträt als Vorlage gedient hat.
Ebenso wie für Gutenberg hatte der Streit
zwischen Adolph von Nassau und Diether von
Isenburg im Jahre 1462 auch fiir Fust und Schöner
schwerwiegende Folgen gehabt Aus dem Um-
stände, dass aus ihrer Offizin die Streitschriften
beider Parteien hervorgingen, lässt sich schliessen,
dass sie eine vermittelnde Stellung einzunehmen
bestrebt waren. Das lag auch sicher in dem In-
teresse des berechnenden Geschäftsmannes Fust
Es wäre diesem wohl auch geglückt, nach den
Erfolgen Adolphs von Nassau den vollständigen
Rückzug von dem Isenburger anzutreten und damit
die Weiterentwickelung seiner Buchdruckerei zu
befördern, wenn nicht ein unglücklicher Zufall es
gefügt hätte, dass während des Überfalls von Mainz
durch Adolph von Nassau das Haus, in welchem
sich die Druckerei befand, mit in Flammen auf-
4k
Abb. 46. Hof ,,2um Humbrecht" w Manu.
gegangen wäre. Wie Handel und Gewerbe noch eine
ganze Zeit nach diesen Wirren in Mainz da-
nieder lagen, so konnte auch die kaum erblühte
Kunst der Buchdruckerei sich zunächst nicht
wieder in der Stadt erheben, und die Ge-
hilfen der Fust-Schöfferschen Offizin kehrten der
Stadt den Rücken und nahmen die neue Kunst
mit sich hinaus in die Fremde.
Noch kurz vor der Eroberung der Stadt am
14. August 1462 hatten Fust und Schöffer eine
lateinische Bibel, die erste, welche das Datum der
Vollendung ihres Druckes trägt und welche die
^ teilige oder die Mainzer Bibel genannt wird, voll-
endet (Abb.3 5); im folgenden Jahre aber erschien kein
neues Druckwerk und 1464 nur ein Ablassbrief
des Papstes Pius II. für diejenigen, die zumTürken-
kriege steuerten. Allein die Geschäftsgewandtheit
des alten Fust liess die Zeit des Stillstandes ihres
Gewerbes in Mainz nicht unbenutzt vorübergehen.
Er ist damals wahrscheinlich, wie schon vorher,
umhergereist, um die Druckerzeugnisse seiner Firma
an den Mann zu bringen. Ob in diese Zeit eine
Reise nach Paris fällt, ist urkund-
lich nicht zu erweisen; jedenfalls
aber hat sich eine alte Tradition
fortgepflanzt, nach welcher Fust
sich mit einigen Exemplaren der
42zeiligen Bibel nach Paris be-
geben und dieselben dort als
Handschriften verkauft haben
soll. Der König von Frankreich,
so wird weiter erzählt, habe 750
Kronen für eine solche vermeint-
liche Bibelhandschrift bezahlt,
dann sei Fust mit seinen Preisen
so herabgegangen, dass Gelehrte
und Kopisten stutzig geworden,
weil es ihnen unmöglich er-
schienen, dass Handschriften zu
so geringen Preisen losgeschla-
gen würden; sie hätten sich
zusammengeschart und den
schlauen Fust geradezu der Zau-
berei angeklagt Auf diese Weise
ist aus dem Geschäftsmann Fust
der Zauberer Faust geworden.
Als er nach Mainz zurückkehrte,
brachte er neues Geld, neuen
Mut und neue Pläne mit Wie
mit der Bibel, so glaubte er auch
mit handschriftartigen Drucken
der alten lateinischen Klassiker
Geschäfte machen zu können.
So liess er seinen Schwieger-
sohn Schöffer den Druck von
Cieeros Werk Je offieiis in An-
griff nehmen. Als Typen dazu
wählte er die, mit denen er
1459 den Durandus gedruckt
hatte; neben ihnen erschienen
hier zum erstenmale in einem
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Druckerzeugnisse griechische Typen,
ebenso wurde bei dem Druck zum
erstenmal der Durchschuss zwischen je
zwei Zeilen angewandt. Die 88 Hlätter
dieser Ciceroausgabe, die noch im
Jahre 1465 beendet wurde, sind in
kleinem Folio und haben je 28 Zeilen
auf der Seite. In der Schlussschrift
des Werkes sagt der alte Fust: „Petri
manu pueri mei feliciter effesin", d. h.
also, Fust hatte sich selbst schon von
dem Betrieb der Druckerei zurückge-
zogen und seinem „Knaben", vielmehr
Schwiegersohn Peter Schüffer den Druck
besorgen lassen. Das Unternehmen des
Druckes eines Klassikers glückte, denn
die zweite Auflage des Buches erschien
bereits am 4. Februar 1 466. Nochmals
machte sich der alte Fust zu einer Reise
nach Paris auf, um das neue Werk
dort wieder günstig zu verkaufen. Auch
dies scheint ihm gelungen zu sein;
allein sein Name verschwindet seitdem
spurlos, und so hat man mit einiger
Wahrscheinlichkeit angenommen, dass
der alte Herr an der damals in Paris
wütenden Pest erkrankt und gestorben
sei. Sein Sohn Konrad trat als Gesell-
schafter in das Geschäft ein.
Peter Schöffer, jetzt nun nicht nur
der technische, sondern auch der kauf-
männische Leiter der Buchdruckerei,
führte dieselbe ganz in den Bahnen
weiter, die sie bisher zu einem welt-
bek annten Unternehmen gemacht hatten.
Mit Hilfe der alten Typen des Duran-
dus und der Mainzer Bibel von 1462
wurden in den nächsten Jahren nach
Fusts Tode eine Reihe von theologischen, juristischen
und philologischen Büchern gedruckt: Thomas von
Aquino, der heilige Hieronymus, Valerius Maximus,
eine Grammatica rhytmica, die Institutionen
des Justinian u. a. m. Letzteres Werk, 1468 er-
schienen, ist deshalb bemerkenswert, weil in der
Schlussschrift desselben zum erstenmal die beiden
Johannes, Fust und Gutenberg, als die Erfinder der
Buchdruckerkunst ausdrücklich genannt ii'erden,
während das Andenken an letzteren in keinem
Fust-Schöffcrschen Druck vorher vorkommt. Seine
buchhändlerischen Verbindungen mit Frankreich
gab Schöffer nicht auf. Er hatte im Jahre 1471
in Paris einen besonderen Faktor, Herrmann von
Stathone. der den Verkauf der Bücher betrieb.
So kam das Geschäft immer mehr in Blüte, bis
allmählich, ungefähr seit dem Jahre 1480, wieder
ein Rückgang eintritt Derselbe zeigt sich in
der geringen Zahl der Druckwerke, welche von
da an bei Schüffer hergestellt wurden. Der Grund
dafür lag in der stetig wachsenden Konkurrenz, die
selbst'in Mainz schon der ersten Buchdruckerei ge-
macht wurde. In den ersten Monaten des Jahres 1503
Z. f. B. 1899/1900.
Abb. 47. Der Schüffer hof tu M>im.
starb Peter Schöffer; den Betrieb des Geschäftes
setzte sein Sohn Johann fort Zum grossen Teil
zehrend von den Erfolgen seines Grossvaters und
Vaters, erreichte er es nicht, durch irgend eine
neue Verbesserung des Druckverfahrens den alten
Ruhm wieder aufzufrischen. Nur ein merkwürdiges
Werk ragt unter seinen Druckerzeugnissen hervor;
es ist dies die mit vielen Holzschnitten gezierte
deutsche Übersetzung des Livius, welche 1505 er-
schien. Als Johann Schöffer im Jahre 1531 kin-
derlos starb, ging das ganze Unternehmen an seinen
Neffen Ivo über, nach dessen Tode Balthasar Lipp
seit 1553 als der Inhaber der Fust-Schöfferschen
Buchdruckerei in Mainz erscheint
Die Zerstörung von Mainz im Jahre 1462 gab,
wie wir sahen, ohne Frage den Hauptanlass zur
schnellen Verbreitung der neuen Kunst, indem
ihre Jünger, brotlos geworden, wenigstens soweit
sie dem in Flammen aufgegangenen Hause Fust-
Schöffers angehört hatten, sich in die Fremde
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Meitner und 1 uther. Die Anfing* der Ruchdruckerkunst etc.
wandten. Aber auch vorher schon müssen einzelne
Typographen die Mauern dieser Stadt verlassen
haben, da solche bereits im Jahre 1460 in Bam-
berg und in Strassburg nachzuweisen sind.
Der älteste Drucker in Bamberg ist Albrecht
Pfister. In dem Buch der vier Historien, welches
die Geschichten von Joseph, Daniel, Judith und
Esther enthält, lautet die Schlussschrift:
(£311 bambergr in ber felben flat.
Das albrcd?t pfrjlcr gebrucfet bat
Do man 3alt taufent onb uiorbunbcrt jar.
3m 3»«i unb fed^igflen bas ift war.
ZTit lang nach, fanb tnalpurgen tag.
Die uns rool gnab erberben ntag.
5rib onb bas eroig leben
Das rooße uns got allen geben. 2lmen.
Es wird hierdurch Albrecht Pfister in Bamberg für
das Jahr 1462 als Drucker bestätigt In das Jahr
1461, also ein Jahr früher, führt uns ein Druck von
Boners Eddstein, einer Sammlung von Fabeln in
deutschen Reimversen. Hier lautet die Schlussschrift:
5u bamberg biß pöcbleyn geenbet ifl
TXadi ber gepurt unfers henren ibofu crift
Do man 3alt taufen t unbc rierbunbert jar
Unb vm ein unb fecbjigjten bas ift mar.
31n fant palentems tag
<F>ot bebut uns cor feiner plag. 2(men.
Diese Ausgabe war bis in die Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts den Forschern unbekannt
geblieben. Erst um diese Zeit wurde sie auf der
Bibliothek zu Wolfenbuttel entdeckt, kam dann
zur Zeit der französischen Herrschaft im Jahre
1807 nach Paris und nach dem Pariser Frieden
im Jahre 1817 wieder in den Besitz der ursprüng-
lichen Eigentümerin zurück. Pfister nennt sich
hierin zwar nicht als Drucker, sondern es wird
nur Bamberg als Ort und das Jahr 1461 als Zeit
des Druckes angegeben; aber es ist kein Zweifel
möglich, dass jener dieses Buch gedruckt hat,
denn es ist kein anderer Drucker zu jener Zeit
in Bamberg nachweisbar, und ausserdem erkennt
man den Drucker selbst auch an der verwendeten
Type. Ein drittes Ruch ist der Belial oder der
Trost der Sünder des Jacobus de Theramo, in
deutscher Sprache, in welchem sich der Drucker
auf dem letzten Blatte „3Ur>recbt pfiffet- ju 13amberg"
nennt. Somit haben wir urkundliche Zeugnisse
für Pfisters Druckerei zu Bamberg in den Jahren
1461 und 1462. Allein das Alter seiner Druck -
thätigkeit geht noch höher hinauf. Die hand-
schriftliche Notiz eines böhmischen Gelehrten, des
Paulus von Prag, ungefähr aus dem Jahre 1459,
auf der letzten Seite eines in der Universitäts-
bibliothek zu Krakau befindlichen Glossarmanu-
scripts, besagt unter anderen Mitteilungen über die
Bücheranfertigung, dass zu seiner Zeit in Bamberg
jemand die ganze Bibel in Platten geschnitten und
in vier Wochen gedruckt habe. Obwohl der
Schreiber dieser Notiz ohne Zweifel Tafeldruck
und Typendruck verwechselte, so kann doch seine
Mitteilung nur auf Pfister und dessen Druck der
Armenbibel, die ohne jede Angabe von Ort, Zeit
und Drucker erschien, gedeutet werden.
Pfister war ursprünglich jedenfalls Holzschneider,
denn er ist, wenn wir von den in Holz geschnittenen
Initialen Schöffers absehen, der erste Typograph,
der seine Bücher mit Bildern in Holzschnitt
schmückte. Pfister ist aber auch der erste ge-
wesen, welcher in deutscher Sprache druckte, und
zwar in der ausgesprochenen Absicht, damit auf
diejenigen zu wirken, die kein Latein verständen.
Ganz besonders kommt in Betracht, dass
er auf die Schönheit der Type, vor allem auf Er-
findung und Anwendung besonderer und neuer
Typen kein Gewicht legte. Wir wissen, dass Pfisters
Type diejenige der 36 zeiligen Gutenbergischen
Bibel ist Wie er dieselbe erlangt hat, und be-
sonders, ob er blos in der Erkenntnis der Vorteile
des Typendruckes sie dem Gutenberg, als dieser sie
nicht mehr gebrauchte, abgekauft, bleibt dahin-
gestellt Jedenfalls war sie abgenutzt, und zwar
abgenutzt durch das Drucken lateinischer Bücher.
Dies erhellt charakteristisch genug daraus, dass
diejenigen Buchstaben des Alphabets, die für
lateinischen Text nicht zu verwenden waren, näm-
lich k w z, in Pfisters Druckerei neben den übrigen
verbrauchten Typen ganz neu und scharf er-
scheinen. Mit dem Nachweis dieser Geschäfts-
verbindung zwischen Pfister und Gutenberg wird
der Versuch hinfällig, der lange Zeit gemacht
worden ist, dem Pfister neben Gutenberg eine
selbständige Erfindung des Druckens mit beweg-
lichen Buchstaben zuzuweisen.
Ausser jenen obengenannten Werken werden
der Presse Pfisters noch zugeschrieben : Der Recht-
streit des Menschen mit dem Tode, aus 23 Klein-
folioblättern bestehend; Die Klage gegen den Totl,
24 Blätter; eine Biblia pauperum nebst einer
Ausgabe mit deutschem Text und eine Ausgabe
von Boners Edelstein ohne Ortsangabe.
In Strassburg erscheint als erster Drucker
Johann Mentdl oder Mantelin aus Schlettstadt
Er hatte bereits im Jahre 1447 das Bürgerrecht
der Stadt erworben und gehörte damals der Maler-
und Goldschmiedezunft an. Es wird vermutet,
dass er nach dem Jahre 1450 dem Gutenberg
nach Mainz folgte und in dessen Dienste als
Letternschneider, wie später Schöffer, oder als
Rubrikator und Illuminator thätig war. Nach der
Auflösung von Gutenbergs erster Druckerei ver-
liess er Mainz wieder und kehrte nach Strassburg
zurück, um dort eine eigene Offizin mit eigenen
Typen zu gründen.
Der erste mit Angabe einer Jahreszahl aus
seiner Werkstatt hervorgegangene Druck stammt
freilich erst aus dem Jahre 1473. Aber schon
für das Jahr 1460 lässt sich die Vollendung des
ersten Teiles seiner lateinischen Bibel und damit
ein noch in die fünfziger Jahre reichendes Be-
stehen seiner Druckerei nachweisen; denn zur
Vollendung eines solchen umfangreichen Werkes
gehörte eine längere Zeit der Vorbereitung. Diese
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Meisner und Luther, Die Anfange der Buchdruckerkunst etc. 45 1
Bibelausgabe erschien in zwei Bänden, ohne Nen-
nung von Drucker, Druckort und Jahr. Ein
Exemplar derselben, das sich auf der Universitäts-
bibliothek zu Freiburg i. Br. befindet, trägt jedoch
am Ende des ersten Teiles die Bemerkung von
der Hand des Rubrikators, dass dieser erste Teil
im Jahre 1460, und am Ende des zweiten Teiles,
dass dieser im Jahre 1461 vollendet worden sei.
Diese Jahreszahlen finden noch eine Bestätigung
dadurch, dass in einem Inhaltsverzeichnisse, wel-
ches handschriftlich auf einigen dem ersten Hände
vorgebundenen Blättern eingetragen ist, auch noch
einige Jahreszahlen sich befinden, die nicht weit
hinter jenen zurückstehen, nämlich einmal die
Zahl 1462 und einmal 1464, letztere Ziffer auch
noch innerhalb der Nietlerschriften auf einigen
dem zweiten Bande angebundenen Blättern. Einen
anderen Zeitpunkt für das Bestehen der Mentell-
schen Druckerei giebt eine Eintragung des Rubri-
kators in der aus dieser Offizin hervorgegangenen
deutschen Bibel an. Das aus dem St. Margareten-
Kloster zu Strassburg summende, jetzt in Stutt-
gart befindliche Exemplar trägt von der Hand
des Rubrikators die Bemerkung, dass dieses Buch
„im Jahre 1466 durch Johann Mentcll zu Strass-
burg' - gedruckt sei; und dies stimmt damit über-
ein, dass eine gleichzeitige Hand in dem Mün-
chener Exemplar bemerkt, dieses Buch sei am
27. Juni des Jahres 1466 gekauft und eingebun-
den worden. Die oben erwähnte Jahresangabe
1473 trägt ein Druck des Speculum historiale des
Vincenz von Beaurais.
Andere Drucke der Mentellschen Officin sind
ein Speculum naturale, doctrinale und morale, wel-
ches mehrere Foliobände umfasst, eine Ausgabe
der Briefe des heiligen Hieronymus, der Briefe und
der Konfessionen des heiligen Auguslin, des Vale-
rius Maximus, des Virgil und Terms.
Mehrfach veröffentlichte Mentell auch Anzeigen
seiner Bücher. Ein solches Blatt, in kleinem
Oktavformat, hat sich in München erhalten (Abb. 38).
Es sollte dem kauflustigen Leser nicht nur die Titel
der von Mentell gedruckten Bücher vor Augen
führen, sondern ihm auch die Herberge, in welcher
die angezeigten Bücher zum Verkauf standen, mit-
teilen. Die Anzeige sagt daher: diejenigen, welche
die Briefe des Aurelius Augustinus zu kaufen wün-
schen oder die weiter genannten Bücher, mügen
nach der Herberge zum . . . kommen ; der Name der
Herberge war handschrifdicher Ausfüllung vorbe-
halten. Man setzt dieses älteste Verlagsverzeichnis
in das Jahr 1471. Ein zweites, späteres Verlags-
verzeichnis des Mentell befindet sich in Paris. Ein
drittes derartiges Blatt zeigt nur ein einzelnes Buch
an, die auch auf dem zweiten Verzeichnisse genannte
Summa Asta.xani.
Mentell gelangte zu grossem Wohlstand; er
soll im Jahre 1468 von Kaiser Friedrich III. in
den Adelsstand erhoben worden sein, starb im Jahre
1478 und wurde im Münster zu Strassburg unter
dem Geläute der „grossen Glocke" begraben.
Nach der Zerstörung von Mainz begann die
Verbreitung der neuen Kunst in grösserem Maasse,
und mit schnellen Schritten eroberte sie sich das
ganze Abendland.
Wie wir bereits wissen, hatte Gutenberg, als er
im Jahre 1465 in die Dienste des Erzbischofe
Adolf von Nassau, der in Eltville residierte, getreten
war, seine Druckerei selbst aufgegeben. Seine
Werkstatt übernahmen zwei Verwandte, Heinrieh
und Nikolaus Bechtermünze in Eltville. Diese
begannen den Druck eines Vocabularium latino-
teutonicum, bekannt unter dem Namen des Voca-
bularium ex quo. Heinrich Bechtermünze starb
währenddessen; an seine Stelle trat ein anderer
Patrizier, Wygand Spiess (Spyetz) von Orthenberg.
Im Jahre 1467 war das Werk, mit den Typen des
Gutenbergischen Katholikon gedruckt, vollendet
„Dieses Werk ist nicht mit Griffel und Feder her-
gestellt, sondern durch eine neue kunstreiche Er-
findung, begonnen von Heinrich Bechtermünze
seligen Gedächtnisses in Eltville und vollendet im
Jahre 1472 am 4. November von Nikolaus Bechter-
münze und WyganJ Spyetz von Orthenberg". heisst
es in der lateinischen Schlussschrift. Das Werk fand
so grossen Absatz, dass es in den Jahren 1469, 1472
und 1474 nochmals aufgelegt wurde. Als auch
Nikolaus gestorben war. kam das Material in die
Hände der Bruderschaft des gemeinsamen Lebens
zu Marienthal, die es im Jahre 1508 weiter an
Friedrich Heumann aus Nürnberg, der in Mainz
druckte, verkauften.
Die Herkunft der Eltviller Druckerei liegt vor
Augen. Es wäre zweifellos interessant, wenn der
Nachweis der Herkunft für jede Druckerei der
jetzt schnell sich ausbreitenden Kunst beigebracht
werden könnte. Es würde dadurch ein Einblick
in die persönliche Wirkung der einzelnen Proto-
typographen, Gutenbergs, der Firma Fust und
Schöffer, I'nsters, MentelU oder der Bechtermünze
möglich werden. Aber leider treten die Nach-
richten hierüber jetzt wie auch später nur sehr ver-
einzelt auf.
Von Gutenbergs Schülern sind uns zwei ur-
kundlich überliefert: Heinrich Keffer und Bechthold
von Hanau. Wir kennen dieselben als Zeugen
aus den Akten über den Prozess Fusts gegen
Gutenberg. Von ersterem berichtet weiter eine
Notiz von der Hand des früheren Eigentümers
in dem Pariser Exemplar des von Gutenberg um
das Jahr 1459 gedruckten Tractatus racionis et
conscientiae, dass dieser „Heinrich Keffer von
Mainz" dasselbe ihm geliehen, aber niemals zurück-
gefordert habe. Im Jahre 1473 finden wir ihn in
Nürnberg als Drucker, und zwar im Verein mit
fohann Sensensch mid thätig; die Schlussschrift eines
Druckes der Pantheologea oder Summa Fratris
Rayneri de Pisis besagt, dass im Jahre 1473 dieses
Werk durch die Meister in der Kunst zu drucken,
Johann Sensenschmid von Eger und Heinrich
Keffer von Mainz, beide Bürger der Stadt Nürn-
berg, vollendet wurde. Bechthold Ruppel Von Hanau
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452
Meisner and Luther, Die Anfänge der Buchdruckerlcnnst etc.
Abb. 48. Hofium Jun
(Nach der Photographie in Kulan J :
Gillenberg-Album. 1868.)
ging nach Basel, wo im Jahre 1460 eine Univer-
sität gegründet war, und Hess sich dort als Drucker
nieder; im Jahre 1477 erwarb er in dieser Stadt,
welche sehr bald eine überaus reiche Drucker-
thätigkeit entfaltet hatte, das Bürgerrecht; auch das
Steuerbuch dieses Jahres führt ihn auf unter der
Bezeichnung: Beclrtold Rüpel der trucker im Palast
an der Freienstrasse.
Ob Pfister Schule gemacht hat, ist fraglich.
Zeugnisse darüber besitzen wir nicht. Seiner ganzen
Eigenart nach war er kein Erzieher für die Druckerei.
Nach dem letzten, in dem Jahre 1462 her-
gestellten Drucke aus seiner Offizin hörte die
Druckerthätigkeit in Bamberg überhaupt für
längere Zeit auf. Ob Pfister etwa in diesem Jahre
gestorben, ob er fortgezogen ist, niemand weiss es.
Erst im Jahre 1481 tritt in Bamberg wieder ein
Drucker auf, und zwar eben jener Johann Sensen-
schmiti, den wir schon in Nürnberg als Genossen
Heinrich Keffers im Jahre 1473 kennen gelernt
haben. Ob dieser früher ein Gehilfe Pfisters ge-
wesen, ist nur eine Vermutung, welche aber nicht
weiter begründet werden kann. Sensenschmid
druckte im Jahre 1481 ein Missale ordinis S. Bene-
dict für die Benediktinerabtei
Michaelsberg, verband sich im
folgenden Jahre mit Heinrich
Fetzensteiner, druckte dann im
Jahre 1485 gelegentlich auch
zu Regensburg im Verein mit
Johann Beckenhaub ein Missale
ecclesiae Ratisponensis und starb
nach weiterer ehrenvoller Thätig-
keit in Bamberg vermutlich im
Jahre 1491.
Das Schicksal der Druckerei
der Bechtermünze ist schon oben
erzählt worden; von einer Wir-
kung auf die Folgezeit verlautet
nichts. Hingegen hat Mentell
in Strassburg entschieden Schule
gemacht .pafür bürgt, wenn uns
auch direkte Urkunden darüber
nicht erhalten sind, die ausser-
ordentliche Rührigkeit und die
grossen Fachkenntnisse, mit
denen dieser Drucker alle Be-
ziehungen seines Gewerbes über-
blickte. Neben Mentell wirkte
hier gleichzeitig Heinrich Egge-
stein. Wollte man die Zeit
der Thätigkeit dieser beiden nur
nach den zeiüich sich selbst
bestimmenden Drucken angeben,
so müsste man dem Eggestein
sogar den Vorrang vor seinem
Fachgenossen lassen, denn er
nennt sich in dem Decretum
Gratiani und den Constitutiones
Clementis V. schon im Jahre
1471 als Drucker, während das
erste Impressum Mentells, wie wir oben ge-
sehen haben, aus dem Jahre 1473 stammte.
Allein auch Eggestein war schon vor 1471 thätig.
Ein Exemplar des ersten Bandes der von ihm
herausgegebenen deutschen Bibel trägt die Be-
merkung des Rubrikators, dass das Psalterium im
Jahre 1468 vollendet worden sei, und die in
Wolfenbüttel und München erhaltenen Exemplare
seiner lateinischen Bibel hat der Rubrikator mit
der Jahreszahl 1466 versehen. Mit dem Jahre 1472
verschwindet Eggesteins Name. Die Druckerthätig-
keit in Strassburg aber blühte schnell und mächtig
auf, wie die Namen eines Hussner, Flach, Knob-
lochtzer, der dann nach Heidelberg Ubersiedelte,
der Schott Vater und Sohn, Prüss, Grüninger und
vieler anderer zeigen.
Der Siegeslauf der Kunst des Druckens war
nicht mehr zu hemmen. Nach Köln brachte sie
L'lnch Zell aus Hanau; sein erstes Impressum
stammt aus dem Jahre 1466. Ihm folgten in
kurzer Zeit Arnold ter Hoerntn, von 1470 an;
gleichzeitig mit diesem erscheint Johann Koelhoff
aus Lübeck. Dann kommt Nicolaus Götz 1474,
und im Jahre 1479 t" 11 Heinrich Quenteltnuf, dessen
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Meisner und Luther, Die Anfinge der Buchdrackerkunit etc. 453
Druckerei seiner Familie bis weit in das XVI. Jahr-
hundert erhalten blieb. In Augsburg druckt 1468
Günther Zainer aus Reutlingen. Aus seiner Offizin
stammt der erste Druck der bekannten Nachfolge
Christi des Thomas a Kempis. Er ist auch der
erste, welcher die aus Italien stammende Antiqua
neben der gotischen Type anwandte. Ihm folgen
Johann Schüssler 1470, Johann B Amier 1472,
Anton Sorg 1475, Hans Schönsperger der Altere
1481, letzterer besonders bekannt durch den über-
aus schönen I'rachtdruck des Theuerdank. Im
Jahre 1487 kehrt der Künstlertypograph Erhard
Katdolt aus Venedig nach Augsburg zurück; sein
in Italien erworbener Ruhm kommt nunmehr seiner
Vaterstadt zu gute. In Nürnberg treten fast gleich-
zeitig zu Anfang der siebziger Jahre vier Buch-
drucker auf. Im Jahre 1472 begann Friedrich
Crcussner mit der Ausgabe von Albrechts von Eyb
Schrift: Ob einem Mann sey zu nemen ein elichs
Weib oder nitl den Reigen. Im folgenden Jahre
druckte jener Johann Scnsenschmid, dessen wir
schon oben als Genossen des Heinrich Keffer
von Mainz und als des zweiten bambergischen
Druckers gedacht haben. Gleichzeitig mit ihm
wirkte Johannes Kegiomontanus, der Verfasser des
schon erwähnten Holztafelkalenders, besonders als
Drucker mathematischer Werke. Der grösste der
Nürnberger Buchdrucker aber war Antonius Koberger,
dessen Druck- und Verlagsthätigkeit so umfangreich
war, dass seine eigenen 24 Pressen nicht ausreichten
und er daher noch in Basel und Lyon für sich
drucken Hess. Er starb im Jahre 1 5 1 3 und hinterliess
das Geschäft seinem Sohne gleichen Namens.
Ihnen schliessen sich Conrad Zeninger 1 840, Georg
Stüchs 1484 und andere an, Stüchs bis weit in
das XVI. Jahrhundert thätig und seinem Sohne
Johann Stüchs das Geschäft hinterlassend
Nun folgt die lange Reihe deutscher Städte,
die alle noch im fünfzehnten Jahrhundert die
Druckerei in ihre Mauern einführen, unter ihnen
Basel, Breslau, Eichstädt, Erfurt, Heideiberg, Leipzig,
Magdeburg, München, Speyer, Tübingen, Ulm, W ien,
Würzburg und andere, im Norden Deutschlands
besonders Lübeck und Rostock.
Viele Drucker hatten keinen festen Wohnsitz;
sie zogen umher — dahin, wohin sie, besonders von
geistlichen Behörden, gerufen wurden, oder wo
sich ihnen aus anderen Gründen bessere Aus-
sichten auf lohnenden Erwerb boten. Solche
Drucker heissen Wanderdrucker. Einige deutsche
Wanderdrucker mögen besonders genannt werden.
In Johann Scnsenschmid, der erst in Nürnberg,
dann in Bamberg, gelegentlich auch in Regens-
burg druckte, haben wir bereits einen derselben
kennen gelernt. Ein anderer ist Marx Ayrer, der
1487 in Nürnberg, dann in Bamberg, 1497 in Ingol-
stadt und schliesslich im Jahre 1498 in Erfurt druckte.
Heinrich Knoblochtzer zog von Strassburg nach
Heidelberg. Johann Otmar druckte vom Jahre
Abb. 49.
Gedenktafel am Hof zum Jungen in Maina.
1482 an in Reutlingen, später in Tübingen und
nach dem Jahre 1 501 in Augsburg; dort wurde sein
Sohn Silvan Otmar einer der bedeutendsten
Drucker, und von 1541 druckte ebendort dessen
Sohn Valentin Otmar.
Auf die mit überraschender Schnelle auch im
Auslände stattfindende Verbreitung der neuen Kunst
durch deutsche Drucker soll hier nicht näher ein-
gegangen werden.
Die Anzahl der im XV. Jahrhundert gedruckten
Werke hatte man früher auf 13000 geschätzt, für
deren jedes eine Durchschnittsauflage von 300
Exemplaren angenommen wurde. Die hieraus sich
ergebende Summe von rund vier Millionen Bücher
hält indessen neueren Forschungen nicht mehr stand.
Heute berechnet man die Zahl der gedruckten
Werke auf etwa 25000 und nimmt für jedes eine
Durchschnittsauflage von 500 Exemplaren an. Das
ergiebt die stattliche Summe von zwölf und einer
halben Million von Büchern, die bereits in den
ersten fünfzig Jahren der durch deutschen Sinn
und Geist erfundenen Kunst des Bücherdruckens
das Licht der Welt erblickt haben.
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Die Bibliophilen.
Bernard Quaritch.
Von
Otto von Schleinitz in London.
|m 17. Dezember 1899 starb in London
der Buchhändler und Bibliophile Bernard
Quaritch, der während eines Zeitraums
von 30 Jahren als der erste seines
Faches in beiden Hemisphären galt Noch am
16. Dezember hatte er auf einige Stunden sein in
London, 15 Piccadilly, befindliches Geschäft be-
sucht, sich aber, wenn auch mit Widerstreben, so
doch früher als gewöhn-
lich nach seiner in Hamp-
stead belegenen Privat-
wohnung zurückbegeben
müssen. Bei einem im
Jahre 1 898 stattgehabten
persönlichen Besuche
teilte mir der jetzt Ver-
storbene u. a. folgendes
Uber seine Lebensge-
schichte mit:
. . . „Ich bin 1819
in Worbis in Preussen
geboren. Mein Vater
war Freiwilliger in den
Jahren 1813 — 15 und
wurde nach dem Kriege
als Offizier pensioniert.
Er arbeitete dann auf
dem Gericht in Halber-
stadt als Hülfsarbeiter,
um später daselbst de-
finitiv angestellt zu wer-
den . . ." Da Mr. Quaritch
mir ausdrücklich ge-
stattet hat, sogar die
nachstehenden intimen
Familienverhältnisse zu
veröffentlichen, so be-
gehe ich keine Indis-
kretion, wenn dieselben
hier mitgeteilt werden.
Mr. Quaritch fuhr fort: „Als mein Vater sich ver-
heiratete, besass meine Mutter mit ihren 6000
Thalern Mitgift ein für damalige Verhältnisse ganz
hübsches Vermögen. Leider hielt dasselbe nicht
lange vor; in einem Anfalle von Verzweiflung
erschoss sich mein Vater im Jahre 1828. Die
Nebenumstände dieser That waren um so tra-
gischer, als der unglückliche Schuss durch eine
Pistole erfolgte, die als Corpus delicti auf dem
Gerichtstisch lag. Trotzdem nun meiner Mutter
rechtlich keine Pension zustand, so wurde ihr eine
solche dennoch in Gnaden gewährt. Schon aus
diesem Grunde allein habe ich dauernd für meine
Bcrnard Quaritch t
Heimat und für die preussische Regierung eine
dankbare Sympathie bewahrt . . ."
Der junge Quaritch kam 1834 zu König in
Nordhausen in die Lehre. Obgleich er über die
dort empfangene Behandlung Klage führt, Hess er
in seinem Fleisse und seiner Ausdauer nicht nach
Vor allem jedoch zeigte es sich bald, dass er
kein mechanischer Hülfsarbeiter, sondern eine
eigenartige Persönlich-
keit voller Intelligenz
war. Als sein Chef be-
sorgt erschien, weil das
liücherlager zwar immer
umfangreicher, aber auch
andauernd unverkäuf-
licher wurde , riet er
ihm zu dem damals —
wenigstens in Deutsch-
land — ziemlich un-
bekannten Ausweg einer
grossen Auktion. Der
junge Lehrling fertigte
demnächst seinen ersten
Uücherkatalog an. Der
Erfolg war ein so glän-
zender, dass König sich
zu einer zweiten Auktion
entschloss, die gleichfalls
brillant verlief. „Trotz-
dem", erzählte Quaritch,
„stellte mein Chef den
Ausrufer der Auktion
höher als mich . . ."
Kein Ungemach aber
vermochte den jungen
Mann in seinen Bestre-
bungen aufzuhalten. Er
ging um 10 Uhr zu Bett
und stand regelmässig
zwischen 2 — 4 Uhr auf,
um zu studieren. Bei zwei im Orte anwesenden
Engländern erlernte er deren Sprache, indem er
zuerst den „Vikar von Wakefield" mit ihnen las. Als
Quaritch die Königsche Buchhandlung 1839 verliess,
um eine neue Stelle in Berlin anzutreten, äusserte
König hinterher: „Es kommt selten vor, dass jemand
ohne Kapital sich als Buchhändler etablieren kann,
aber Quaritch wird es vielleicht gelingen . . ." Trotz
seines kärglichen I^ohnes hatte er sich einen kleinen
Notgroschen zurückgelegt. Allerdings waren seine
Entbehrungen auch gross gewesen; so bestand
z. B. sein Frühstück regelmässig nur aus einem
Stück Brot nebst einem Glase Wasser.
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von Schleinil«, Die Bibliophilen.
455
Über seinen neuen Chef, Kleemann in Berlin,
war Quaritch des Lobes voll. Im Jahre 184a
siedelte der junge Mann nach London Uber und
fand hier Aufnahme in dem grossen Geschäft der
Firma H. G. Bohn. Bohn ist als Hahnbrecher Mir den
grossartigen Betrieb des Antiquariatswesens anzu-
sehen. Einen Katalog, wie er ihn herausgab, hatte
man bis dahin noch nicht gekannt; die Auslagen
für die Herstellung des Werkes betrugen allein
40 000 M. Bohn war in jeder Beziehung ein her-
vorragender und bemerkenswerter Mann, so dass
man wohl nicht fehlgeht, wenn man behauptet:
bei ihm hat Quaritch den Grund für seine zu-
künftige Bedeutung gelegt.
Im Jahre 1843 ging Quaritch als Gehülfe auf
zwei Jahre nach Paris zu dem berühmten Buch-
verleger Barrois, von dessen scharfer, kräftiger,
aber auch humoristischer Weise mancherlei auf
ihn übertragen wurde. Indessen schon 1 846 kehrte
der junge Buchhändler zu Bohn zurück, um bei
letzterem bis 1847 thätig zu verbleiben. Seine
Hauptarbeit bildete hier die Anfertigung des
klassifizierten Katalogs des gedachten Hauses, der
als ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Werk
zu betrachten ist. Um seine Einkünfte etwas zu
vermehren, füllte der strebsame junge Mann seine
Mussestunden mit Korrespondenzberichten für die
„Rheinische Zeitung" aus. Als er Bohn verliess,
richtete er beim Abschied folgende charakteristische
Worte an letzteren: „Mr. Bohn, Sie sind der erste
Buchhändler in England, aber ich gedenke der
erste Buchhändler in Europa zu werden! . . ."
So verhältnismässig gering seine ersparten
Mittel für das geäusserte Vorhaben waren, so gross
war sein Ehrgeiz und gleich stark sein eiserner
Wille. Nachdem Quaritch sich selbständig ge-
macht, erschien schon im November 1847 seine
erste Arbeit: „Quaritch's cheap Book Circular."
Dieser Katalog enthält etwa 400 Bücher mit dem
Durchschnittspreis von i', — 2 M. Von nun ab
folgte Katalog auf Katalog. Einen namhaften
Kundenkreis erwarb sich das Geschäft vornehmlich
dadurch, dass es besondere Sorgfalt der linguisti-
schen und philologischen Abteilung widmete.
Im Jahre 1858 trat ein Ereignis ein, das nicht
nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf Quaritch
lenkte, sondern auch einen Wendepunkt in seiner
Laufbahn bildete. Es gelang ihm, in dem Auktions-
verkauf der Bibliothek des Bischofs Cashel eine
Mazarin-Bibel für 12000 M. zu erstehen. In
seinem Katalog No. 175 figuriert ein solches
Exemplar zum Preise von 100000 M.
Die Ankäufe mehrten sich von jetzt ab derart,
dass Quaritch auf den Auktionen teils als der be-
liebteste, teils aber auch als der gefllrchtetste Bieter
galt Sein Urteil über Bücher wurde so mass-
gebend, dass es bestimmenden Eintluss auf die
Marktpreise ausübte. Die Kenntnis, die er sich
angeeignet in Bezug auf die Feststellung der Echt-
heit von alten Manuskripten und Büchern, sowie
ihren näheren Daten, galt für so unfehlbar, dass
er sich in der gesamten englischen Geschäftswelt
und in Liebhaberkreisen eines blinden Vertrauens
erfreute. Es dürfte nicht leicht sein, ihm irgend
einen nennenswerten Irrtum nachzuweisen.
Nachdem er 1863 auf der 'Alstein-Auktion
in Ghent schon ein bedeutender Käufer geworden
war, beteiligte er sich bei den nachstehenden
grossen Auktionen: Auf der Perkins-Auktion 1873
erwarb er im Ganzen Bücher und Manuskripte
im Werte von 220000 M.; auf der Sir M. Tites-
Auktion 1874 für 190000 M.; auf der berühmten
Didot- Auktion in Paris 1878 — 79 für 232000 M.;
auf der Beckford- Auktion 1882 für 800000 M.;
auf derSunderland-Auktion 1881 — 83 für 660000M.
Auch auf der 1898 beendeten Ashburnham-
Auktion erwarb der Verstorbene den I.öwenanteil.
Es war die letzte, in der er persönlich als Käufer
auftrat, denn von diesem Zeitpunkte ab liess er
sich auf den Versteigerungen durch einen seiner
Angestellten vertreten. Hierbei geschah es kürz-
lich, dass sein Agent nach seiner Meinung ein Folio-
Exemplar der ersten Shakespeare- Ausgabe mit
10000 M. über den eigentlichen Wert bezahlt hatte.
Er ereiferte sich weiter nicht Uber das Missgeschick,
sondern erklärte nur: ..Mein Motto ist und bleibt:
für ein wirklich seltenes Buch ist mir kein Preis
zu hoch!"
Wenn Quaritch häufig behauptete: das Anti-
quariat sei sein Hauptgeschäft, so ist dies selbst-
verständlich richtig, aber gelegentlich hat er auch
manches schönes Werk selbst verlegt, so z. B. zuletzt
noch: „Hieratic Papyrii from Kahun and Gurob.
Edited by F. L. Griffith." Vor allem muss jedoch
seiner bibliographischen Leistungen gedacht werden.
Seine Kataloge sind keine gewöhnlichen Preis-
listen, sondern tragen einen durch und durch
fachwissenschaftlichen Charakter und stellen das
Resultat der eingehendsten Forschungen dar
Namentlich gilt dies von alten Bilderhandschriften
illuminierten Werken und von den Inkunabeln
Alles was mit den Inkunabeln der Namen Guten-
berg, Fust und Schöffer zusammenhängt, sowie
mit den Frühdrucken bis zum Jalire 1500, blieb
das Lieblingsstudium des Heimgegangenen. Sein
Katalog No. 175 „Monuments of Printing", der
die ältesten Druckerzeugnisse aller Länder von
1455—1500 bespricht, ist geradezu mustergiltig.
Er giebt hier eine so überzeugende und Ubersicht-
lich geordnete Beweiszusammenstellung für die
Priorität Gutenbergs in der Erfindung der Buch-
druckerkunst , wie sie in einer solchen Schärfe,
Kürze und Prägnanz kaum an irgend einer anderen
Stelle angeführt worden ist. In demselben Kataloge
ist auch ein Exemplar des Psalteriums von 1459
aufgeführt, genau beschrieben und mit 105000 M.
angesetzt. Es ist dies das früher im Besitz von
Sir M. Sykes und Sir J. Thorold befindliche Exem-
plar, für das Quaritch selbst 100000 M. bezahlt
hatte.
Der erste grosse Katalog von Quaritch erschien
1858 mit 5000 Nummern; 1860 einer mit 7000
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4$6 von Zobeltitz. Zur Reform der Buchausstattung.
Nummern, und 1887 gab er seinen Generalkatalog,
sein „opus magnum" heraus, eine genaue Be-
schreibung von 40000 Werken. Dieser ist
heute so gesucht, dass er auf den Auktionen mit
150 — joo M. bezahlt wird. Zwischen der Heraus-
gabe der einzelnen grösseren Kataloge erschienen
unausgesetzt SpezialVerzeichnisse Uber seltene Manu-
skripte, Blockbücher, Wiegendrucke, illuminierte
Schriften, seltene Bibeln, Kunstwerke, Einbinde,
Typographica u. s. w. Unter diesen sind fol-
gende als besonders bedeutend hervorzuheben:
No. 118, „Theologische Litteratur"; No. 138, „Manu-
scripts and Books illustrating the science of Pa-
laeography"; No. 158, „Works of Art and Books
of Prints"; in No. 159 wird das gleiche Sujet mit
dem Zusatz „Woodengraving" behandelt; No. 164,
„Illuminated and historical Manuscripts"; No. 166,
„Rook-Binding"; No. 193, „Litteratur und Geschichte
des britischen Inselreiches" (mit wertvollen biblio-
graphischen Notizen). Nicht oft genug konnte der
Verschiedene mir die Worte wiederholen: „Meine
Biographie sind meine Kataloge!. . ." Ebenso äusserte
er häufig: „Einen zur Auktion gestellten Mainzer
Frühdruck lasse ich unter keinen Umständen in
andere Hände übergehen ! . . ." Vor etwa 1 o Jahren
hatte Mr. Quaritch die bibliographische Gesell-
schaft „The Sette of odd Volumes" gegründet,
und wie es kaum anders zu erwarten steht, besass
er selbst eine prächtige Privatbibliothek.
Jedenfalls hat Quaritch nicht nur sein Wort
eingelöst, sondern er hat auch noch mehr als sein
vorgestecktes Ziel erreicht. Er wollte der erste
Buchhändler in Europa werden, ist es aber zu-
gleich auch für Amerika geworden, denn er hiess
in beiden Hemisphären „The Napoleon of Book-
sellers." Er sagte mir gelegentlich: „Ich teile mein
lieben in zwei Abschnitte. Der erste ist deutsch,
der zweite englisch . . ." Um der Wahrheit die
Ehre zu geben, muss ich jedoch hinzufügen, dass
er vollständig Engländer geworden war. Wenn
er weiter sagte: „Obgleich ich Engländer geworden
bin, so sind doch meine Beziehungen zu Deutsch-
land und zum deutschen Buchhandel die denkbar
ausgezeichnetsten", so war er eben ein zu kluger
Geschäftsmann, um einem Deutschen gegenüber
sein Innerstes blosszulegen. Zur Orientierung
möge nur noch hinzugefügt werden, dass die eng-
lische Firma sich „Bernard Quaritch" schreibt,
während der eigentliche deutsche Name „Bernhard
Quaritsch" ist
Über die Fortführung des Geschäfts, sowie über
die letztwilligen Verfügungen des Verstorbenen ver-
lautete bisher nichts Bestimmtes. Sein ältester,
bereits längere Jahre im Geschäft thätiger Sohn
wird es vielleicht nunmehr allein leiten, obgleich
seine eigentliche Neigung nicht dahin geht, da er
gern Offizier geworden wäre. Ähnlich war es dem
alten Herrn ergangen, der mir u. a. einmal sagte:
„Auch ich hätte, wie mein Vater, der im preussischen
Kadettenkorps erzogen worden war, für mein Leben
gern den Soldatenbemf erwählt und erachte in ge-
wissem Sinne meine Laufbahn für verfehlt, da ich
wahrscheinlich ein besserer Offizier als Buchhändler
geivorden wäre! . . ."
•v
Zur Reform der Buchausstattung.
Von
Fedor von Zobeltitz in Berlin.
eigne ,
is scheint mir gänzlich unmöglich, Seele
und Körper des Buches absolut streng
zu trennen, und wenn ich auch in der
Hauptsache letzterem diese Zeilen zu-
so werde ich doch hin und wieder neben
Typen, Deckeln, Kapitelstücken auch von dem
Inhalt zu reden haben, besonders bei jenen
Werken, deren äusseres Gewand nicht willkürlich
gewählt, sondern aus dem Innern heraus ent-
wickelt ist.
Der Verlag von Albert Langen zeichnet „Paris,
Leipzig, München", aber auch ohne die Erwähnung
der Seinestadt ist es verständlich, dass sich unter
den vier neu erschienenen Bänden drei französischer
Abkunft befinden. Doch nur die Titelzeichnung
Adolf Münzers zu den „Stillen Existenzen" der
Frau Jeanne Marni ist typisch französisch. Eine
flotte Frauengestalt — der schon besprochenen
Reznicekschen „Sklavin" mit dem grossen Hut
nahe verwandt — beobachtet mit sehnsüchtiger
Neugier eine Taube, der ein Täuberich soeben
Avancen macht. Der graue Grundton bleibt in
dem Antlitz, den Lichtern im Haar, den Hand-
schuhen und den Tauben, die in einem blauen
Felde stehen. Die Schrift ist klar, wie bei fast
allen Werken des l^angenschen Verlages. Nicht
so ganz sind Münzer die illustrierenden Tusch-
zeichnungen gelungen ; sie sind ein wenig spielerisch
und begnügen sich, die Photographie eines Mo-
mentes zu geben, statt den gesamten Inhalt der
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von Zobeltiu, Zur
der Buch«
457
betreffenden kleinen Ge-
schichte zu verkörpern.
Ausnehmen möchte ich das
Balleteusenbild zu „Hinter
den Coulissen", dem es
nicht an charakteristischer
Grazie fehlt. Münzer hat
auch den Umschlag zu
Mau/assants „Tag- und
Nachtgeschichten" entwor-
fen: die schuppenfleckigen
Schlangenleiber auf gelbem
Grunde entsprechen ganz
dem unheimlichen Reiz des
Poeten. Diese Nattern um-
rahmen ein dunkelorange-
farbiges Feld, auf dem ein
gering bekleidetes Men-
schenpaar in eilendem Laufe
abgebildet ist Das Zier-
motiv der Schuppenleiber ist
mit Sorgfalt und grossemGe-
schmack verwandt, während
ich den etwas kurzbeinigen
und stuckisch plattköpfigen
Menschen nicht viel Reiz
abgewinne. Der Langen-
sche Verlag ist bei der
Neugestaltung des Buchum-
schlags bahnbrechend ge-
wesen, und wir müssen es
ganz besonders anerkennen,
dass er einem Sonderkünstler
wie Th. Th. Heine Gelegen-
heit zur Entfaltung seines
grossen Talents gab. Wie
viel Humor liegt in der
feinlinigen Ornamentik auf
dem Umschlag zu Knut
Hamsuns „ Viktoria , Ge-
schichte einer Liepe". Dieser
Kropftäuberich, nach dem die dummen Täubchen
mit den blutenden Herzen girren, diese preziösen,
dünnen, dornenlosen Rosenguirlanden, aus altmodi-
schen Tüpfchen erwachsend, diese magere be-
troddelte Cartouche, die ausschaut, wie das Lam-
brequin im Zimmer der Urgrossmutter : alles das
passt trefflich zu dem etwas altfränkisch breiten
Stil, der den meisten, auch den gedanklich mo-
dernsten Übertragungen aus dem Norwegischen
anhaftet
Die zweite Arbeit Heines galt einem Werke
des feinsinnigsten Romanciers, den Frankreich
augenblicklich besitzt: Anatole France. Die Marni,
ein bessrer Abklatsch der Gypschen Schablone,
wird in Deutschland mehr gelesen als Anatole
France, und das ist fürwahr eine Schande. Seit
die „Rötisserie de la Reine Pedauque"
Bibliophilen und „Le Mannequin d'Osier"
psychologischen Feinschmecker entzückte,
Anatole France nicht
z.f.ii. 1899/1900.
»00 Frani Stuten
i„ der VoIlul.edtr.wnn.lun«
..Liebe. Lied und Lent".
(tlerün. F.ich« * Fr»ke.)
alle
alle
ist
auch, sagen wir, populärere Themen zu wählen
begonnen hat In seiner „Zys rouge" nähert er
sich Annunzio in der Art liebevollen Eingehens
auf künstlerische Details, im feinen Zurückdrängen
von alltäglichen Vorkommnissen zu Gunsten der
grossen Augenblicke, in dem Glanz der Sprache.
Aber er ist knapper und darum nie schwülstig;
er weiss mit dem Adjektiv sparsam umzugehen
und braucht den Gedankenstrich nicht Auch
nicht den Gedankensprung, denn Anatole
France hat noch den Mut, seine Helden denken
zu lassen — und er langweilt uns nicht dabei.
Nach alledem sollte man meinen, dass die „rote
Lilie" in feinen dunstumwogten Konturen zum
Wahrzeichen des Buches erkoren werden musste,
als eine jener Fabelblumen mit tropfenden Herzen,
wie die Nichte des Doktors Pascal sie pasteliiert
Eine zwar etwas harte, schwarzgeränderte Tulipane
hat Heine denn auch gewählt, aus deren Kelch
eine trübschwelende Fackel aufsteigt aber dahinter
58
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458
von Zobeltitz, Zur Reform der Buchausstattung.
Blumenornament von Ermt Kreidnlf
aui Anderten ..Bilderbuch ohne Bilder". (Leipzig. Eugen Dicderichv)
hat er im Stil der „Crimes boulevardiers" eine
Gruppe gestellt, die seinem Geschmack wenig
Ehre macht Besonders hübsch ist die Schrift
ausgefallen, die jedoch nur Autornamen und
Titel bringt; bei geringer Andersverteilung hätte
man auch den Namen des Verlegers recht gut an
der unteren Deckelkante anbringen können.
«Mi
Während Langen das Neue bis zum Hyper-
modernen protegiert, greifen Fischer er* Franke
in Berlin auf die alte Holzschnittmanier zurück,
die heute ihre künstlerische Wiedergeburt feiert.
Sie haben begonnen, unter dem Sammelritel
„Jungbrunnen' 1 eine Serie von kleinen, auf einer
Art gelblichem Büttenpapier sorgfältig in schönen
und charakteristischen Typen gedruckten Heften
herauszugeben, die wahre Perlen deutscher Dicht-
und Märchenkunst enthalten. Zunächst sind für die
Dauer des Jahres zwölf Heftchen geplant worden,
zu dem billigen Abonnementspreis von i M. für
das Heft, von denen drei bereits erschienen sind,
zwei davon mit Blustrationen von Front Stassen.
Das erste Heft bringt 25 Volkslieder unter dem
Titel „Liebe, Lied und Lern". Jedes Liedchen trägt
eine reiche Umrahmung illustrativer Natur, bald
figürlich, bald rein landschaftlich oder mit oma-
mentalem Beiwerk. Im Landschaftlichen hat Stassen
am klarsten das Echtdeutsche der Lieder zum Aus-
druck gebracht: z. B. bei dem reizenden:
„So treiben wir den Winter aus,
Durch unsre Stadt tum Thor hinaus,
Mit sein' Betrug und Listen,
Den rechten Antichristen!" . . .
Durch den frei gebliebenen Raum zwischen zwei
glatten Buchenstämmen sieht man aufgebrochenes
Erdreich, durch das pflügende Stiere Furchen
ziehen; Pflüger und Säemann dabei, dahinter
Buschwerk und Kiefern und endlich, den Horizont
abgrenzend, Ackerhilgel unter der aufgehenden
Sonne. Rechts und links von dem Text zu Füssen
der Buchen ein grämlicher Greis, von einem Lenz-
bübchen auf die alte ehrliche Weise des Nase-
drehens verspottet Einfacher und dennoch von
prägnantester Stimmung ist der Ausblick auf baum-
bestandene Wiesenpläne zur „Liebesprobe":
„Es sah eine Linde ins tiefe Thal,
War unten breit und oben schmal,
Worunter twei Verliebte sassen
Vor Lieb' ihr Leid rergassen." . . .
Von den figürlichen Darstellungen gefällt
mir am besten die Illustration zu „Schürz dich,
Gretlein", wobei aber auch das Entzücken an
den köstlich naiven und dennoch die Lebens-
weise einer ganzen Periode kennzeichnenden
Versen beitragen mag. Ganz reizend ist auch
die haarstrählende Bauerndirne im Buchwald,
die da singt:
„Ein schöns, ein schön Häuschen,
Ein schön, ein schön Bett,
Ein schön, ein schöns Bübchen,
Sonst heirat ich netl"
Braucht ein Volk, das solche Poesie sein
eigen nennt, wirklich zum Genre der Gassenhauer
oder falsch-sentimentaler österreichischer Stanzein
zu greifen? Und da komme ich gleich zu einem
Wort des Bedauerns, dass man dem Text nicht
je einen Vers in Noten beigegeben hat; nur die
Gesangsstimme, die Noten vielleicht in der scharf-
kantigen Manier der kleinen Psalterien. Das hätte
die musikalischen Leser sehr erfreut und die andern
nicht gestört, denn das typographische Bild würde
nur noch dadurch gewonnen haben. Die Um-
schlagzeichnung zeigt in der Ferne auf ragendem
Felsen eine Burg, von Iaubwald umbuscht Im
Vordergrunde sitzt, an weisse Birkenstämme ge-
lehnt, von vollen Rosen umrankt, träumend ein
Mägdlein — das Mägdlein, von dem das Volks-
lied singt
Bei dem zweiten Bändchen, das den Bären-
häuter** und „Die sieben Schwaben" enthält, ist
natürlich dem Humor ein breiterer Raum ge-
lassen; Uberhaupt geht ein frischer kecker Zug
durch das Ganze, der auch das Charakteristische
der Gesichter kräftig herausarbeitet Prächtig ist
z. B. das Vollbild, das die Toilette des Bären-
häuters schildert Er selbst, das Urbild des frechen
hübschen Abenteurers, hinter ihm der geprellte
Teufel als Barbier und davor kauernd ein Unter-
teufelchen mit der Waschschüssel. Im verknoteten
Gezweig lauert eine Wildkatze und giftige Pilze
schiessen aus dem Grund. Vortrefflich ist auch
eine Vignette, die den verabschiedenden Fusstritt
des Teufels darstellt Auch die
„sieben Schwaben" bringen
unendlich viel des Reizenden;
die Entwürfe erinnern häufig an
die Kraft eines Sattler.
Mehr der Dürerschen Tech-
nik nähert sich, schon der
Entstehungszeit und derben
Lustigkeit zulieb, die Aus-
schmückung des dritten Bänd-
chens: „Des weyland Nürn- Vignette na Emu
berger Handwerksmeisters Hans »«• w *"
Sachsens lustige Schwänk^, mit " ' *"i^^>»V* *
Bildern verziert VOn Georg Eugen Uiedenchi.)
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von Zobcltitc, Zur Reform der BachausitaUung.
459
Barlösius; hier fällt nur die Ab-
wesenheit des Schmutzblattes un-
angenehm auf.
Unter den in Aussicht ge-
nommenen Bändchen erwähnen
wir noch die Rübezahlmärchen,
Wander-, Soldaten- und Studenten-
lieder u. a. m., denen junge und
bewährte Illustratoren ein neues
Gewand leihen sollen. Dieser
„Jungbrunnen" ist eine jedenfalls
gesunde, lebenskräftige Idee, der
ich die wärmste Aufnahme wünsche.
Herr Barlösius hat auch für
ein andres, kürzlich bei Fischer und Franke er-
schienenes Buch den Umschlag gezeichnet und es
verstanden, den höchst „heutzutäglichen" „Gross-
stadtmenschen" von Max Kretter seine etwas
archaistische Manier anzupassen. Freilich lässt
seine Zeichnung eine lokalhistorische Bedeutung
vermuten, von der Kretzers „Neue berliner Ge-
schichten" himmelweit entfernt sind.
WIDMUNCEN.
Au> Heinrich Vogeler ..Dir".
nicht für alle Werke passend sein; aber gerade in
dem Bestreben, zwischen Inhalt und Ausstattung
einen Gleichklang zu schaffen, der den dichterischen
Genuss mit einem rein ästhetischen verbindet und
den Gesamteindruck künstlerisch nach Möglichkeit
abzurunden sich müht, liegt ein besonderer Reiz.
Ernst A>W</<?</-München hat den Buchschmuck
für zwei andere Werke des Diederichschen Verlags
übernommen: für lupoid Webers „Traumgestalten"
und Andersens ^Bilderbuch ohne Bilder" (Druck
von G. Pätz in Naumburg).
Der Titel des „Bilderbuchs" zeigt eigentlich
zur Genüge, dass der Verfasser sich auf Wort-
malerei beschränken wollte — und wir wissen,
wie es ihm prächtig gelang. Wo Herr Kreidolf
sich in Böser-Buben-Manier versucht, bringt er
uns die tiefe Poesie Andersens gerade nicht bild-
nerisch näher. So im Titelbild, das eine Art
männliches „Hannele" zeigt, oder in der Schluss-
vignette zum „Zwanzigsten Abend", oder ganz
besonders in dem Kapitelkopf zum „Siebenten
Abend" mit seinem Armeleutsgeruch, der so gar
nicht zu Andersens zarter Stimmungsmalerei passt
Denn auch die ärmsten Häusler des Poeten sind
von einem feinen Silberglanz umflossen und ihre
Hässlichkeit spiegelt sich verklärt in den Thränen
seines Mitleids.
Kreidolfs hervorragende Begabung hegt nach
der Seite des Blumenornaments. Nicht der üppigen
südlichen Vegetation, nicht den phantastischen
Formen der Meeresflora, sondern gerade den be-
scheidenen Heimatsgewächsen, Storchschnabel und
Farm, Zweiblatt und Pustbluraen, gewinnt er un-
gemein reizende, bald symbolisch bedeutungs-
wo ift noch «Iille und Ziel, oder Qrfprung und voUe > bald einfach-naturalistische Motive ab.
Brüche? /*/*t/*/*J*J***/l>J* +/*/**/*/*/*/* BeSOn , dera l* 6 » Traumgestalten" sind gleich-
r- r~ r» /- r\r~ r* r r> r c~ r - r» n r* r* r» t— sam damit durchstreut, wie eine Juniwiese.
Du leuchtendes Ahrenfeld, bift du nicht ein
Bild metner befreiten Seele? Du und ich
beide in flutender ftclle, beide reich an
Zu den Verlegern, die sich mit warmem
Herzen der Pflege einer künstlerisch veredelten
Buchausstattung annehmen, gehört Eugen Diederichs
in Leipzig. Eine grosse Anzahl von Werken ist
in den letzten beiden Jahren aus seinem Verlage
hervorgegangen und fast alle zeichnen sich durch
die vornehme und geschmackvolle Eigenart ihres
Äusseren aus. Ich erinnere nur an Maeterlincks
„Schate der Armen" in Lechters unvergleichlich
schöner Ausstattung und an die Novalis- und
Jacobsen- Ausgaben. Bei Hermann Hesses poetischer
Dichtung „Eine Stunde hinter Mitternacht*', hat
Herr Diederichs es mit einer neuen Type versucht,
einer Art breiten Gotisch. Da Drugulin das Buch
ausgezeichnet gedruckt hat, so gewährt es in
seiner Gesamtheit einen vollendet künsüerischen
Eindruck. Besonders schön in ihrer edlen Ein-
fachheit sind die an Pnsters erste gelungene Ver-
suche erinnernden grösseren Anfangsbuchstaben
bei Beginn eines Absatzes; auch die unten auf
dem inneren Spiegelrande stehenden Seitenzahlen
nehmen sich gut aus. Natürlich würde die Type
dnauafpr cebUchcm, beide einander
befchenhend, und beide (ich
neigend unter
füfucn Laft?
Tjrpenprc.be au« H. Unit ..Ein«
Doch zeigen hier ein paar charakteristische
Köpfe, dass die Armeleutmanier bei ihm
eben nur — Manier ist und er Bessres geben
kann. Blumenmotive sind auch auf den
Deckeln beider Bücher verwandt, in kräftigen
schwarzen Strichen auf erbsengelbem Grunde
mit deutlicher Aufschrift.
Auch bei IV. Lefebres Buchschmuck zu
den „ Morgenliedem und Gedichten" von Otto
Ealckenberg ist das Pflanzliche von besonderem
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460
Zobeltiti, Zur
Zittern Itii im [riihliiidrnlmnn Dujt .
DimittTad sdtiitm£rOfi[tltiI)thta
JadzrkchmWluft.
Goldpx \<ri£thl du Letzte S>onnt
IM zur Mt die kULKaßlulkta,
u Heinrieb Vogeler „Dir".
iBerlio. ScbuMer & Löffler.l
Gelingen- Jede Seite trägt wenige Verse in reicher
Umrahmung; oft will es mir scheinen, als habe
Lefebre zu Grosses in die engen Grenzen einer
Buchseite pressen wollen, als spiele nicht genug
leere Luft um seine Menschenleiber. Das fällt
bei den Pflanzenomamenten fort; da versteht der
Künstler es ganz hervorragend, Stengel, Blattrippen
und Wurzeln rahmenartig zu verwenden und das
Charakteristische der Form zu betonen; so bei
den Tulpen und der Kapuzinerkresse oder den
schlichten Butterblumen, die dem Umschlag —
erdgrün auf bräunlich — zum Schmuck dienen.
Streng omamental sind Blattformen bei dem
Umschlag zu Nesses schon erwähnter „Eine Stunde
hinter Mitternacht" verwandt: dieser schlichte
Deckel macht fraglos unter den vier genannten
Büchern den vornehmsten Eindruck, trotz seiner
Schlichtheit oder grade deshalb. Der gleiche
Rahmen wiederholt sich, etwas verkleinert, um den
Index. Der Künstler hat seine Arbeit leider nicht
mit einem Monogramm versehen.
Erwähnen möchte ich noch die sehr geschmack-
vollen Einfühlungskarten, welche der Diederichsche
Verlag den Recensions-Exemplaren beilegt; sie
dürften wohl von derselben Hand herrühren, die
die Umschlagszeichnung zu Hesses Buch schuf.
Ebenfalls bei Eugen Diederichs erschien als
erster Band einer Serie von Zeit- und Sitten-
bildern: „Der Soldat in der deutschen Vergangen-
heit" von Georg Liebe, eine Monographie, die das
deutsche Soldatentum von Beginn des Söldner-
wesens ab bis auf unsere Tage in glänzender
Darstellung schildert Den Vorzügen des Textes
reiht sich würdig die treffliche Ausstattung und
der illustrative Schmuck an. Die Sammlung und
Anordnung der Bilder hat der Verleger selbst
übernommen. Die 183 Abbildungen und Beilagen
sind Reproduktionen nach Originalen des XV. bis
XVIII. Jahrhunderts. Es ist mancherlei wenig
Bekanntes darunter, so die interessanten Brief-
taubenscenen aus Montevillas Reisen, Strassburg
1488, die Blustrationen aus dem „Rudimentum
Noviciorum", Lübeck 1475, die Einblattdrucke
und Miniaturen. Die Bibliotheken und Kupfer-
stichkabinette in Berlin und München und das
Nürnberger Germanische Museum haben das meiste
Material geliefert, doch wurden auch Privatsamm-
lungen, wie die von Volkamer, Freytag und
Lipperheide, herangezogen. Der Preis für das in
Grossquart vorliegende, zehn Bogen starke Werk
ist ein sehr niedriger (M. 4) und wird die Volks-
tümlichkeit des Unternehmens befördern helfen.
Die Titelzeichnung entwarf /. V. Cissars, den wir
als Buchkünsder schon vielfach schätzen lernten:
Ritter und Landsknecht, charakteristisch in starken
Strichen ohne Schattierung wiedergegeben, um-
rahmt von schwarzem Laubgewinde. Das Bild
wirkt gut und passt sich dem Inhalt an. Den
Druck besorgte Drugulin in bekannter trefflicher
Weise.
Sehr fein gezeichnete Kapitelstücke von Hugo
L. Braune schmücken ein Büchlein, das im Ver-
lag von H. W. Theodor Dieter in Leipzig er-
schienen ist Es heisst „Die beiden Reginen" und
ist von Wilh. Arminius einer Ko burger Chronik
nacherzählt worden. Dementsprechend hat der
Künstler mittelalterliche Söldner und Kriegsscenen
zu seinen Zierstreifen verwandt, die trotz ihrer
Kleinheit durch die Deutlichkeit jedes Details
Uberraschen. Zum Druck (Drugulin, Leipzig) sind
hübsche, eckig abgefeilte Typen verwandt worden,
und auch hier fällt eine wohlthuende Akkuratesse
auf, die das Satzbild ohne Spielereien einheitlich
und in sich abgeschlossen erscheinen lässt
Unter den Tausenden von
Druckerzeugnissen, die jährlich
den Markt überfluten, giebt es
solche, die eilig durchblättert, sol-
che, die nie aufgeschnitten und
solche die stets an der gleichen
Stelle aufgeklappt werden, bis sie
ihren Dienst von selbst thun.
Es giebt Prachtwerke, die auf
Salontischen schlummern und un-
scheinbare Bändchen, die ein
bewegtes Leben führen. Es giebt
Bücher, die achtungsvoll von
Vignette von Joi.
Sattler au* Lea-
burg „Oberlehrer"
Mülier".
(Berlin, G*br.PÄ€tcL)
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von Zobeltitz, Zar Reform der Buchausstattung.
4 6l
aussen angestarrt werden und solche, deren Blätter
man gleichsam mit zärtlichem Finger wendet Zu
den letzteren gehört die neueste Gruppe von
Büchern aus dem Verlage von Schuster 6- Löffler
in Berlin. Was der raffinierteste Geschmack an
Vorsatzpapieren, an Fälzen, an Typen hervor-
brachte, ist hier angewandt worden. Fast schwindet
die Seele, der Inhalt vor diesem Gedichte der
Buchtoilette — und nicht bei allen vier Bänden
ist dies bedauernswert Diese Bücher wollen be-
urteilt sein, wie schöne Frauen: aux yeux pour
les yeux; dabei kommt man auf seine Kosten.
„Die InseT 1 heisst eine neue, von O. J. Bier-
baum, A. IV. Ifeymel und R. A. Schröder heraus-
gegebene Monatsschrift, deren erste Quartals-
nummer von G. Lemmen in Brüssel zeichnerisch
ausgestattet wurde. Th. Th. Heine hat ein un-
bedeutendes Hofbildchen und IV. Laage einen
markigen Hans Thoma-Kopf in Vallotonscher
Manier beigesteuert Die übrigen, höchst reiz-
vollen Rahmen, Culs-de-Lampe und Kapitelköpfe,
sowie das zartgrüne Flächenmuster des Umschlags
— er ist, wie das ganze Buch, aus Büttenpapier
gefertigt — stammen von Lemmen her, der auch
die Ausstattung der nächsten beiden Quartalshefte
übernommen hat Jedes Quartal wird nämlich
seinen besonderen Buchschmuck von der Hand
eines Künstlers erhalten; schafft Lemmen ihn für
das erste, so wird R. A. Weiss ihn für das zweite,
Peter Behrens für das dritte liefern u. s. f. Da-
durch wird für jeden Quartabband eine aus-
gesprochene Einheitlichkeit erzielt. Aus dem Ge-
sagten geht schon hervor, dass „Die Insel" kein
„Familienblatt" sein will; sie ist das Werk fein
empfindender Geschmackskünstler und wendet sich
auch nur an solche. In der That ist es schon
eine Freude, dies Heft zu durchblättern und dabei
lediglich dessen Äusserlichkeit auf sich einwirken
zu lassen. Man spürt sofort, dass man eine vor-
nehme, nicht absonderliche, doch immerhin eigen-
artige, alltagsfeindliche Bekanntschaft zu machen
im Begriffe steht Der Pergamentfalz trägt das
Signet der „Insel", ein mit vollen Segeln durch
die Wellen gleitendes Schiff; dasselbe Signet ist
auch als Wasserzeichen für das Papier verwendet
Vignette von Jotef Sattler
aus Lenburg „Oberlehrer Müller".
(Berlin. Gebr. Partei.)
ÜHRÄST
Buchschmuck von F.. R. Weit«
im A.W. Heymel M Die Fiicher und andere Gedichte".
(Berlin. Schuster & Löffler.)
worden. Der Druck stammt, ich möchte sagen
selbstverständlich, von Drugulin-Leipzig. Also: der
erste Eindruck ist vortrefflich. Auf den Inhalt
möchte ich erst näher eingehen, wenn die folgenden
Hefte erschienen sind. Erwähnt seien nur Meier-
Graefes Beiträge zu einer modernen Ästhetik, die
klug und geistreich sind, und die köstlichen alten
Briefe des Abbe Galiani. Das Abonnement beträgt
vierteljährlich M. 9 inkL der festen Quartalsdecken;
auch Luxusausgaben auf Japan und holländischem
Bütten werden in kleiner Auflage verausgabt In
einer Zeit, da miserable Spekulationsprodukte
Hunderttausende von Lesern im Handumdrehen ge-
winnen, kann man sich Uber ein Unternehmen wie
„Die Insel" nur doppelt freuea Hoffentlich kämpft
es sich durch.
. . . Soviel hatte ich über die erste Nummer
geschrieben. Nun sind mir inzwischen auch die
nächsten beiden Hefte zugegangen, die ein Wort
der Einschiebung nötig machen, zumal gleichzeitig
auch die erste Mappe der „Insel" verausgabt
worden ist Bierbaums „vernarrte Prinzess" ist
eine der köstlichsten Schöpfungen dieses originellen
Poeten; schon bei der Lektüre scheinen sich die
Worte einer lebensfrischen Musik einschmiegen zu
wollen. Aber rein äusserüch erschwert die
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462
von Zobeltitx, Zur Reform der Buchausstattung.
Hug
Gleichförmigkeit der Type in
diesem Falle die Lektüre. Wenn
für die Zwischenbemerkungen
eine kleinere Form derselben
Type gewählt worden wäre, so
wtirde mit der Lesbarkeit auch das
Bild an Gefälligkeit gewonnen
haben. Harmonie ist nicht Mo-
notonie. Eine Perle ist Lilien-
crons Gedicht vom „Spazierstock".
Die ersten zehn Blätter des
Mapptnwerks der „Insel" (jährlich
M. 50; Luxusausgaben zu M.
100 und 200) sind bis auf zwei Ausnahmen,
über die man streiten kann, von erlesener Schön-
heit. Ein satirisches Bild in Radierung „Klugheit
und Gemeinheit" von Geyger-Florenz eröffnet den
Reigen: ein vergeistigter Rops, grandios in der
Auffassung und in der Ausführung von höchster
Künstlerschaft. Ein Akt von Lemmen ist litho-
graphisch so fein wiedergegeben, dass er wie eine
Originalzeichnung wirkt Auch Nicholson fehlt
nicht; er hat einen Pascha des HUhnerhofes bei-
gesteuert, in seiner bekannten breitflächigen Manier,
einen räsonnierenden Prachthahn — in zweifarbigem
Holzschnitt Einzig schön ist das Facsimile des
Eyckschen Kopfes, voll zarter Weichheit, das
Typische in der Art des grossen Jan mustergültig
wiedergebend. Dagegen finde ich den Holzschnitt
nach einer Zeichnung von Laage-Karlsruhe einfach
schauderhaft; aber das liegt nicht am Schnitt
Ebenso wird nur der das Manetsche Aquarell, das
eine Dame auf der Causeuse vorstellen soll, schön
finden können, den der Name des Künsüers hyp-
notisiert. Die Maison moderne in Paris besitzt
das Original; ich beneide das Haus nicht um
diese Kostbarkeit Um so interessanter sind die
Reproduktionen eines airjapanischen Holzschnitts
ßfm flÄÄrat». \m$ Otfantt ,
lönt lirtv Dir jfhwimru fmnauf* flütipr.
fln frYcimpfutiiauiid«! /Dnüi nmmtmt.
lOasfriara ti&ntitt jr crrnaatu
VifMtt* Ton Georg Bnrl6«iui iuNui!
iBertin. rächet & Frank«.)
Schaaken.
o L. Braune am W. Arminiui „Die beiden Regiaen".
(Leiprig. H. W. Th. Dieter.)
und eines mittelalterlichen Glückwunschbildes. Im
Allgemeinen muss gesagt werden, dass die Tech-
nik in diesem Mappenwerk wieder eben glänzen-
den Triumph feiert
„Die Insel" ragt übrigens auch als eigene Ver-
lagsabteilung aus dem Druckerschwärzemeer der
Herren Schuster & Löffler hervor. Sie prangt als
Untertitel auf den „divines creations", die ich
nunmehr beschreiben will — mit ganz besonderem
Genuss an ihrer Schönheit
Da ist zuerst ein Oktavbändchen von Walter
Heymel „Die Fischer und andere Gedichte" zu
nennen, in einem finster-schönen Gewände von
bräunlichem Weinrot mit schwarz- und schwefel-
gelbem Pergamentrücken — einem Muster, ähnlich
der „Gugeline" Bierbaums, sowohl als Deckel wie
als abgepasster Vorsatz gleich geschmackvoll
Dann eine grosse Opulenz an leeren und wenig
bedruckten Vorblättern und der Titel mit einer
htlbsch stilisierten Vignette von E. R. Weiss,
dessen Stift auch die übrigen Zierfelder — von
Illustration kann und soll man hier nicht sprechen
— entstammen. Hierauf das Widmungsblatt und
die Einleitungsseite und endlich — der erste
Gedicht/MV/. Aber nun kommt wirklich Text —
und zwar Text, der sich wohl hören lassen kann.
Strophen wie:
„Die alte Unrast, die wandernde Frau,
Wankte knochig heran, bat um Einlas s rauh . . ■"
oder
„Ich hör' des Unglücks Peitsche schon:
Das soll uns nicht erjagen.
Mein Pferd ist gut beschlagen . .
sind solcher sorgfältigen Umhüllung wert; freilich
läuft aber auch manche Geschmacklosigkeit — ich
erwähne nur das „Chanson" vom roten Kanapee
— mit unter. Trivialitäten schön zu sagen, das ist
allein das Reservat der Ganz-Grossen. Der Weiss-
sche Buchschmuck ist in Lemmenschem Stile ge-
halten und erzielt hie und da die stark künstle-
rische Wirkung der primitiven Ornamentik im
Holzschnitt
In schüchtern Sämisch-grau mit einem Vorsatz
von Grün-grau-weiss, gleich einem Nankingkleid
aus der Biedermannszeit, erscheint ebenfalls im
Insel- Verlag mit der gleichen Vorblattverschwendung
und ungeheuer viel „Rand" versehen, ein Buch
Gesänge von Rudolf Alex. Schröder unter dem
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Kritik.
463
Titel „ Unmut". Der Nietzscheaner sind leider schon
viel zu viele, und so gefallen mir denn diejenigen
„Gesänge" Herrn Schröders am besten, die er
eigenem Empfinden entkeimen liess.
Das Beste komme zuletzt Ein grosser Künstler
des Stiftes braucht kein Verskünstler zu sein, aber
wenn er das, was er mit seinen Augen gesehen
und in seiner Seele durchfühlt hat, schlicht wieder-
gebt, so geht es eben, wie der Wiener Gassen-
hauer sagt: „'s ist von keim Klassiker, von
keim Schenie aber seine kunstlosen Verse
sind dennoch voller Poesie.
Hört man den Namen Hänrich Vogeler, so
denkt man sofort der feintönigen Heidelandschaften,
der zitternden Moore, der Birkenschleier und zaus-
köpfigen Strohdächer aus den Mappen der
Worpswedes Und Haideduft und Waldesweben
wehen auch aus Vogelers kleinen lieben Versen,
denen seine KUnstlerhand so unendlich köstliches
Kleinwerk an Blumen, Vignetten und Rahmen
eingestreut hat Die Gedichte, „Dir" betitelt, sind
in Handschrift-Faksimilierung wiedergegeben, und
die stolzen, feinen Federzüge passen harmonisch zu
den infamen Versen und zierlichen Vignetten. Wie
ein Stammbuch, vom Freunde überreicht, mutet das
Buch an; die fatale, verhundertfachende Drucker-
presse liegt fem zurück; „Eines für Eine" dürfte
das Buch heissen, aus dem ich nur eine einzige
Perle bringen möchte:
„Der Frühling tobte aus sein glänzend Blumenfett.
Der Sommer ging, die Schwalbe lies» ihr Nest.
Da kam der Herbst und mit ihm kam der Tod,
Der eisig alle Blumen knickte,
Und mit Ihm kam auch unsrc Trennunginot:
Der harte Zwang, der mich ins Leben schickte . .
So einfach und schlicht deutsch und süss ist
Vogelers Kunst wie diese Verse es sind. Die äussere
Ausstattung — bei diesem Buch gehört sie auf
den zweiten Platz — übertrifft wennmöglich noch
die schon genannten Werke des Insel-Verlags.
Der Farbenreiz der gelben Blümchen und Streifen
auf dem perlgrauen Grund des Deckels, die zier-
lich verschlungenen Linien der gelbgrünen Stiele
und gelben Blüten auf dem Veronesergrün des
Vorsatzes ist schwer zu beschreiben. Kleine recht-
eckige Etiketts, rechts oben auf den Umschlag-
deckel geklebt tragen bei allen vier Publikationen
den Titel; diese Neuerung ist nur bei Uni-Deckel-
papier wirklich geschmackvoll. Bei Buntpapier
schimmert das Muster durch.
Reizend sind die Zeichnungen Josef Sattlers zu
Wolfg. Lenburgs liebenswürdigem Skizzenbuche
„Oberlehrer Müller 1 ' (Berlin, Gebr. Paetel). Es
liegt ein köstlicher Humor in diesen kleinen Bild-
chen, und in den landschaftlichen Ausschnitten
eine ganz besonders intime Poesie, eine feine
Stimmung wie über Heinrich Seidels stillen All-
tagsgeschichten. Einzelnes verliert meiner Ansicht
nach durch die allzu winzige Reproduktion.
Schliessen möchte ich die diesmalige Be-
sprechung mit der Erwähnung eines neuen
Büchelchens von Max Bruns „Zwei- Einheit' 1
(J. C. C. Bruns, Minden i. W.). Es ist bis auf die
beiden gegenüberstehenden Titelseiten, die zu un-
ruhig wirken, aussergewöhnlich geschmackvoll ge-
druckt und zwar in der Druckerei des Verfassers.
Das muss eine besondere Freude gewähren, wenn
der Dichter auch sein eigener Drucker sein kann!
Als Abschlüsse der abgebrochenen Zeilen sind
reihenweise winzige Schmuckstücke verwandt worden,
die aus dem Typenbilde nicht herausfallen, wie ich
es bei ähnlichen Arrangements oft gefunden habe,
sondern gewissermassen eine bildnerische Ergänzung
der Buchstaben bilden. Ebenso sind die Leisten,
die die einzelnen Abschnitte trennen, in ihrer Form
den Typen angepasst Es harmoniert alles; es
fällt nichts auseinander.
Kritik.
Mehr und mehr hat die Glossierung des Zeitbildes,
sei es m Politik, in der Kunst oder der Wissenschaft,
sich vom trockenen Geschichtsstil befreit und ist — so-
weit es sich nicht um wütende Parteischriftst ellerei
handelt — weniger peremptorische Kritik als ver-
gleichend abwägende Forschung geworden. Höchstens
springen uns noch aus den Spalten der Tagesblätter
vom Abend bis zum Morgen fix und fettig formulierte
„Urteile" über Theaterpremicren in die Augen. Im
allgemeinen kann man wohl sagen, dass es noch zu
keiner Zeit so viele geschmack- und verständnisvolle
Essayisten gegeben hat als jetzt Speziell über die
Kunst. Es liegt öfters ein grösserer Genuss in der fein-
sinnigen Erklärung als im Original. Herr Dr. Max
Lorens, der eine Reihe lhterarkritische Aufsätze unter
dem Titel „DU Litteralur am Jahrhundert-Ende"
(Stuttgart 1900, J. G. Cotta) gesammelt hat, bringt her-
vorragende Eigenschaften für den Essayisten mit Vor
allem den guten Wülen, den Intentionen der betr.
Dichter nachzuspüren, statt ihnen seine eigenen aufzu-
zwingen, wie wir es leider so häufig finden. Ferner die
Gabe, die Dinge und Menschen in einfach konstruierten
Sätzen treffend zu charakterisieren. So sagt er über
das Wesen des Naturalismus u. a. in Bezug auf die
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4«4
Kritik.
verlangte Objektivität des Beschauers: „Die Dinge und
Verhältnisse haben das Übergewicht und drücken mit
ihrer Last und Schwere auf die wachsweiche Menschen-
seele. Die Verhältnisse und Dinge sind gewissennassen
die wirkenden Subjekte und die Seele ist das Objekt . . .
Der Mensch ist den Dingen unterthan geworden. Die
Verhältnässe — das .Milieu' — beherrschen und be-
stimmen ihn." — „Das naturalistische Bühnenwerk,"
antwortet er auf die Vorwürfe des Undramatischseins
des Naturalismus, „kann aber seinem Wesen nach gar
keine lebhaft bewegte, vorwärts stürmende Handlung
haben. Handlung erfordert einen Handelnden . . . Das
ist beim naturalistischen Bühnenwerk unmöglich —
(nämlich der Sturm der Geschehnisse). Hier sind die
Menschen unterdrückt von den Dingen ... Es giebt
keinen führenden Helden . . ." Sehr geistvoll weist dann
Herr Dr. Lorenz die Entwickelung des modernen
Märchendramas aus dem naturalistischen „Proletariats-
drama" nach und das Unpolitische der sogenannten
sozialen Dramen. Er zeigt, wie gerade die Führer des
„Naturalismus" im Lyrischen ihr Bestes leisteten, z. B.
Holz und vor allem Hauptmann, denn das Rohe ihrer
Erstlingsstücke sei nur die sichtbare Wirkung ihrer allzu-
grossen Sensibilität der Aussenwelt gegenüber gewesen.
Leiden erzeugt Sehnsucht nach einem freieren Zustand.
Hauptmann strebt in eine weichere, wonnigere Welt
„Das lyrische Phantasiestück und Märchen ist das
künstlerische Befreiungsmittel des naturalistischen In-
dividuums." Auch in den „Webern" wird eine „lyrische
That", das Weberlied, zum treibenden Motiv. Über
den verfehlten „Florian Geyer" sagt Lorenz: „In der
Geschichte wirkt allenthalben, und an den Wende-
punkten am kräftigsten, der Geist; die naturalistische
Kunst aber ist ihrem Wesen nach zwar äusserlich ein-
drucksvoll, aber innerlich geistlos. Eine naturalistische
Geschichtstragödie ist ein Unding ... Es wohnt dem
Naturalismus stets etwas Weibliches inne. Es ist das
die Kunst der Konzeption . . ." Kann man dem Wesen
des Naturalismus unparteiisch näher kommen, als Dr.
Lorenz es hier thut? Wollten doch nur alle die Helden
der Schlagwortbildung dies Buch lesen) —
Von den zahlreichen Aufsätzen des kleinen Werkes
über Hamsun, Jung-Wien, Maeterlinck, Sudermann,
Maupassant als psychologisches und gewissermassen
auch pathologisches Problem, Fulda und seinen „Hero-
strat", Hebbels „Herodes und Mariamne" und die
modernen Frauenwerke an timar littscher Observanz u. a.,
will ich nur zwei kurz herausgreifen. Den ersten,
weil er sich mit zwei Dichtern beschäftigt, die , heute
nur von dem Geistes-Tausend gekannt, dereinst vielleicht
Eigentum aller Gebildeten werden dürften, dass heisst,
wenn sie — tot sind. Nämlich Richard Dehmel und
Detlev von Liliencron. Geistvoll sucht Dr. Lorenz die
Kluft zwischen dem ehemaligen Beruf Liliencrons und
seiner Lyrik zu überbrücken „Man verleihe dem
Soldaten die Macht des Worts, und er wird Gedichte
formen. Denn ein Gedicht ist rhytmische Rede. Der
Rhytmus aber gehört auch zum innersten Wesen der
Soldatenexistenz . . . Rhytmus hat zur Voraussetzung
und wiederum auch zur Folge erhöhte Lebensthätigkeit,
gesteigertes Kraftgefühl!" — „Für Probleme hat
Liliencron überhaupt kein Organ ... In jedem Augen-
blick ist sein Interesse auf einen Punkt gerichtet. Dieser
soldatische Dichter ist Offizier, der sich an jede be-
stimmte vor ihn tretende Aufgabe zu machen bereit
ist, die sich mit dem Degen in der Hand lösen lässt. . .
Ihm sind hundert Gedichte glänzend gelungen, die so
aus der Stimmung des Augenblicks heraus zu gewinnen
waren. Aber ein Werk planmässig anzulegen und vor-
bedachterweise durchzuführen, vermag er nicht . . ."
Wie grausam legt Dr. Lorenz da den Finger an die
Wunde, die Liliencrons Talent hindert, zum frucht-
tragenden Erfolg zu gelangen! —
*" Ich glaube, dass der Herr Verfasser dem Rein-
menschlichen Richard Dehmels eine zu grosse Be
deutung zumisst Wenn er von ihm sagt, dass das Tier
in ihm Gott suche, so scheint mir das auf alle sinnlich
veranlagten Künstlernaturen — sinnlich nicht nur im
Sinne des Erotischen — richtig zu sein. Im Übrigen
aber dürfte denn doch das „Problem Dehmel" nicht
ganz so schwierig und tiefsinnig zu lösen sein, und „les
grands appe"tits", wie Zola sagt, neben viel Eigen-
geborenem auch manches Stückchen — Pose enthalten.
Das hindert ja aber nicht seine Verse, „übermensch-
lich" im Empfinden zu sein, selbst wenn er als Mensch
das nicht ist. Auch hat Dr. Lorenz eine Seite Dehmei-
scher Kunst zu erwähnen vergessen, die einen mensch-
lich versöhnlichen Zug in das finstere Seclengemälde
bringt: nämlich seine köstlichen Kinderlieder. Das
hätte allerdings der Geschlossenheit des Aufsatzes ge-
schadet, aber es wäre Herrn Dr. Lorenz auch hier ge-
wiss eine feine Parallele leicht geworden.
Der Schlussartikel des Bandes handelt über Theodor
Fontane. Welche Tintenströme und Redefluten hat der
Tod des echt-märkischen grossen Poeten nicht entfesselt !
Das schwoll über von Dithyramben und brachte Citat
überCitat: eine wahre Plünderung seiner Werke. Auch
Dr. Lorenz' Essay bringt keinen wesentlich neuen Ge-
sichtspunkt, es sei denn die Beleuchtung der Zeit, da
Fontane noch als feinsinniger und dennoch — man
staune! — freundlicher und wohlwollender Kritiker an
der „Vossischen Zeitung" beschäftigt war. Trotzdem
thut es wohl, die paar Seiten durchzulesen; Lorenz ver-
steht es, auch da, wo er warm verehrt, schlicht zu
bleiben. Grosse Menschen dienen ihm nicht zum will-
kommenen Vorwand für eigene Geistesblitze. Er bildet
sich nicht ein, die Leute besser zu verstehen, als sie
sich selbst, und darum berührt sein Buch so Uberaus
sympathisch. F. v. Z.
m
Der Ehrenbrief des Jakob Puterich von Reicherts
hausen an die Erzherzogin Mechthild. Von A. Gölte.
Strassburgi.E. Verlag von Schlesier& Schweickhardi899.
Einen Bücherfreund vor vierhundert Jahren lernen
wir in dem bayrischen Ritter Jakob Püterich von
Reichertshausen kennen, der, einer alten, durch eiserne
Thatkraft zu Macht und Ansehen, zu hohen kirchlichen
und weltlichen Ämtern gelangten Familie entsprossen,
selber in Wort und That, im Kriege wie im Prozess
seinen Mann zu stehen wusste und sich trotz seines
weiten Gewissens bei der Beschaffung „alter püecher"
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Kritik. 465
doch das Vertrauen seiner Zeitgenossen in so hohem
Grade erwarb, dass ihn die bayrischen Landstände in
schwierigen Zeiten mit anderen hervorragenden Männern
an die Spitze des Landes beriefen. Aber gerade der
Einblick in die verworrenen Zustande seiner Zeit nährten
in seinem Herxen die Sehnsucht nach den schönen
entschwundenen Tagen des Rittertumes, und Jahr für
Jahr häuften sich in seiner Burg die alten, guten mittel-
hochdeutschen Ritterromane, sodass selbst in der
reichen Bibliothek der unglücklichen, feingebildctcn
Erzherzogin Mechthild, die ihm Bucheraustausch anbot,
und die er in seinem 1462 entstandenen Ehrenbriefe
mit wehmütigem Rückblick auf den verbleichenden
Glanz des bayrischen Turnieradels als Schirmerin der
schönen Künste feiert , nur dreiundzwanzig Werke un-
bekannt waren. Mit Begeisterung, aber unbeholfen
genug, schildert er dann seine I.icblingsdichtcr, während
uns ein beigelegter Zettel mit dem vollständigen Ver-
zeichnis seiner Bibliothek verloren ist. Mit feinem Ge-
fühl stellt er die Klassiker Wolfram, Gottfried und
Hartmann voran. Ja, er ist zu Wolframs Grabe im
fränkischen Eschenbach bei Ansbach gewallt und be-
schreibt es in einem Postskriptum. AU Probe seines
bayrischen Dialekts und der eigentümlichen Strophe,
die er dem allegorischen Gedichte Hadamars von Laber,
der „Jagd", entlehnte, seien folgende Zeilen nach dieser
neuen, kritisch bearbeiteten und sprachlich wie litteratur-
geschichtlich erschöpfend erklärten Ausgabe angeführt:
„Ich hob den Titurel,
das haubf ab teutschen puechen,
wer mir das widerpel,
der findet khampf, ob er den ruecht zuc suechen,
das nie sein gleich ward funden in allen Sachen,
mit ticht so gar durchfeinet,
als in dan hat Wolfram von Eschenbachen.
Auch mer den Parxivale,
»ant Wilbalms puech das ander
and Lohengrein mit alle,
die dreu gemacht, glaub ich, teiamen pander.
von Strasburg Gotfrid Tristram hat besachcL
so hat Hartman von Aue
beim brun her fwein mit dem lewen gmachet."
Dr. R. Petsch.
m
Der Wunsch zu spezialisieren hat in unserer Zeit
neben Monographien und Einzelsrudien noch eine andre
Gruppierungsart herv orgebracht, nämlich die, irgend eine
hervorragende Erscheinung fest ins Auge zu fassen, sie ge-
wissermassen den Kern bilden zu lassen, um den sich dann
eine ganze Periode krystallisiert — freilich nur, so weit sie
den Kreisder erw ähnten Erscheinung nicht üb ersehreitet.
„Die Frau in der venezianischen Malerei" (Mün-
chen, 1899, Verlagsanstalt F. Bruckmann) gehört zu
Letzterer, die der Verfasser, Herr Emil Schaeffer, selbst
als „Versuch" bezeichnet. Als Versuch, uns das,, Avant,
pendant et apres" der irdischen Göttin der Bella Ve-
neria zu ihrer Glanzzeit zu veranschaulichen. Wenn wir
die zarten Madonnen der primitiven , die seelenvollen
der Bellinesken Zeit bewundern, ahnen wir kaum, wie
geringen Anteil am geistigen Leben die Urbilder dieser
edlen Typen nahmen, dass die Venezianerin des Quattro-
cento gleich einer Türkin verschleiert und eingesperrt
Z, f. B. 1899,1900.
gehalten wurde und selbst das Cinquecento mit seiner
Hochflut der Lebensfreude eigentlich nur den Aspasien
eine geistige Bedeutung einräumte. Die Stellung der
Maler zu ihren Vorbildern hat Herr Schaeffer sehr ge-
schickt in einen Satz zusammengefasst, in dem er sagt:
„Die Meister des Mittelalters haben die individuelle
Schönheit auf den Himmelsthron schoben, Bcllini setzte
die Venezianerin darauf, Giorgione stellte den Thron
mit der Venezianerin auf die Erde." Überhaupt wohnt
dem Autor in grossem Masse die Fähigkeit inne, Schlag-
worte von haftender Lebendigkeit zu prägen, so wenn
er Tizian den „grossen fnnervösen" nennt oder von
Tintoretto sagt, es sei seine Aufgabe gewesen, die ve-
nezianische Fraucnmalerei von der Bewegungslosigkeit
zur Grazie zu fuhren.
Über Paris, Bordone und P. Veronesc kommen wir
langsam zur Zeit des Rokoko, der Zeit, da das stolze
Venedig, seiner politischen und Handelsmacht verlustig
gegangen, „seinen scharfen Verstand, seine Talente,
deren es für Handel und Diplomatie nicht mehr be-
durfte ~- benutzte, um das Leben in ein Gedicht voll
Duft und Grazie zu wandeln." Dr. Schaeffer zeigt uns
die vom Hausrwang befreite Patrizierin in ihrem reichen
Toilettenluxus — zu dem auch der Cicisbco, der stets
dienstbereite Freund gerechnet wurde, in dem Kampfe
gegen das geistige Übergewicht der Kurtisanen. War
das weibliche Idealwort des Quattrocento „umile", das
der Hochrenaissance „maesta" gewesen, so strebte man
nun danach, eine ,, Donna di spirito" zu sein. Das Zier-
liche, Spielerische wurde zur Richtung. Piazzetta und
Rotari vertreten die neue Phase, vor allem aber Rosalba
Camera, die mit der Erfindung der Pastcllstifte so recht
eigentlich dem leicht hingehauchten Empfindurjgssch.il
lem des Rokoko entgegen kommt, Ist sie in den Pa-
lasten zuhaus , so hat sich Longhi das bürgerliche
Interieur gewählt, das er nur leider mehr anekdotisch,
als kulturhistorisch behandelt Über den Vieren aber
thront in von ihnen unerreichter Meisterschaft Tiepolo,
der „ein bisher unbekanntes Moment in die italienische
Malerei brachte — die Geste." Mit ihm endet die
Reihe der rein venezianischen Frauenmaler, und erst
jüngst, in der Zeit eines Baudelaire, hat man Tiepolo
voll zu würdigen verstanden; so voll, wie in den Tagen
seines jungen Ruhmes.
„Die Frau in der venezianischen Malerei" giebt ein
scharfes, durch gute Reproduktionen noch plastischer
modelliertes Bild der grossen Kunstepochen der La-
gunenstadt und der Menschen, die jene schufen. Bei
aller Gründlichkeit ist der Stil leicht, das Buch liest sich
wie ein Roman. Den eigentlichen Forschern wird
Dr. Schaeffers „Versuch" nicht viel neues bringen,
dem Publikum wird er desto willkommener sein.
Dr./. Hagen.
m
Dr. Georg Steinhausen, t'niversitätsbibliothekar in
Jena, der bekannte Kulturhistoriker, hat seiner aus-
gezeichneten Monographie über den deutschen Brief
eine Sammlung Deutscher Privatbriefe des Mittelalters
folgen lassen (Berlin, R.Gaertners Verlagsbuchhandlung.
Herrn. Heyfelder; gr-S«, XIII, 454 S.). Die ganze
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4 66
Chronik.
Veröffentlichung ist auf mehrere Bände berechnet, von
denen der vorliegende Band Briefe von Fürsten, Mag-
naten, Edlen und Rittern bringt, die eben Zeitraum
von 130$ bis 1499 umfassen. Der erste bekannte
deutsche Brief, in die Zeit von 1303 bis 1306 fallend,
ist ein naiver Freundschaiiserguss, den Elisabeth von
Baierbrunn an die Kastnerin Diemut, Klosterfrau in
München (Angerkloster), richtet Steinhaufen fand
ihn im Münchener Reichsarchiv; bisher galten zwei
politische Schreiben des Grafen Rudolf von Habsburg-
Laufenburg -Rappers wyl aus dem Jahre 1313 als die
ältesten bekannten Briefe. Abgesehen von der un-
geheuren Wichtigkeit dieser Briefsammlung für die
kultur- und sprachgeschichtliche Forschung ist sie auch
köstlich unterhaltsam. Zu der naiven Derbheit des
Brandenburger Kurfürsten Albrecht Achilles stehen die
holden Freundschaftsepistel der Grete von der Mark
an die Gräfin Anna von Cleve, die Briefe der Elisabeth
von Mecklenburg, der Herzogin Sidonie von Sachsen
und anderer hoher Frauen in charakteristischem Gegen-
satz. Die sachlichen Erklärungen des Herausgebers
beschränken sich auf kurze Angaben; eine Überhäufung
von gelehrten Anmerkungen ist absichtlich vermieden
worden. Das Orts-, Personen- und Sachregister wird
dem Forscher willkommen sein. Die chronologische
Fixierung der undatierten Stücke mag grosse Mühe
gekostet haben; das denkbar Mögliche ist jedenfalls er-
reicht worden. Der zweite Band soll Briefe von Bürgern
und Geistlichen bringen. Ich wünschte, das Werk
verbliebe nicht allein in den Händen der Gelehrten;
es gehört in die deutsche Hausbibliothek. — ob—
Von Ludwig Solomons „Geschieht* des deutschen
Zeitungswesens" hegt der erste Band vor, den Zeitraum
vom XVI. bis XVIII. Jahrhundert umfassend (Olden-
burg und Leipzig, Schulzesche Hofbuchhandlung,
A. Schwanz; 8°, X, 265 S.). Vereinzelte Studien über
die Materie sind in letzter Zeit mannigfach veröffent-
licht worden, ebenso eine Anzahl Monographien; an
einem umfassenden Werke über die deutsche Zeitung
fehlte es indessen bisher, denn auch das 1845 erschie-
nene Prutzsche Buch gedieh nicht über den ersten Teil
hinaus. Solomon hat sich in den weitschichtigen Stoff
vortrefflich hineingelebt; es mag nicht leicht ge-
wesen sein, ihn so zu gruppieren, dass eine klare und
anschauliche Übersicht möglich. Das Buch gliedert
sich in drei Hauptabschnitte. Der erste behandelt den
Ursprung des deutschen Zeitungswesens .- die brief-
lichen Zeitungen und die „newen Zeyttungen" des
XVI. Jahrhunderts sowie die Messrelationen, die
direkten Vorläufer unserer Journale von heute; der
zweite die Presse in der Periode des dreissigjährigen
Krieges: die älteste gedruckte Zeitung, die Strass-
burger von 1609, die süd- und norddeutschen Blätter
und ihren Einfluss auf die allgemeine Bildung; der
dritte endlich die Presse im Fridericianischen Zeitalter
bis zur Begründung der „Propyläen". Trotz des
spröden Stoffes ist das Buch ausgezeichnet geschrie-
ben und dürfte deshalb auch über die Kreise der
Fachwelt hinaus interessieren. Der zweite, in Vor-
bereitung befindliche Band soll die Periode von der
Fremdherrschaft bis zur Wiederaufrichtung des Reichs
zur Darstellung bringen. — g.
Chronik.
Buchausstattung.
Jan Toorop hat für „Uitovering van Liederen uit
het Liederboek van Croot-Nederland" (1809) einen Um-
schlag lithographiert, der geeignet ist, auch diejenigen
zu entzücken , die den Werken des Künstlers nur be-
dingte Sympathie entgegenbringen. Auf der Vorder-
seite ist eb junges Mädchen dargestellt, das mit den
Händen b eben Quell fasst — im Gegensatz zu Toorops
sonstigen Arbeiten einmal ebe verstandliche Allegorie.
Der Ausdruck ekstatischer Verzückung b dem schönen
Gesicht ist bewunderungswürdig wiedergegeben. Auf
der Rückseite sbd seltsam verschlungene Lbien an-
gebracht Das Blatt gehört nach meber Empfindung
zu den künstlerisch bedeutendsten Buchumschlägen
b den Niederlanden. Der Stebdruck ist bei Klebmann
b Haarlem vortrefflich ausgeführt. v. Z. W.
Ebe Leserin der „Zeitschrift für Bücherfreunde", die
mebe ungünstige Beurteilung ebes schwedischen Um-
schlags von Elisa Btskow im Oktoberheft für nicht zu-
treffend hält, sendet mir eb Bilderbuch, das die
Künstlerb bei Wahlström und Widstram in Stockholm
hat erscheinen lassen. Wenn ich auch mebe Ansicht über
den Umschlag aufrecht erhalte, muss ich doch konsta-
tieren, dass das Bilderbuch b der That sehr niedlich und
von frischem Humor erfüllt ist. In der flächigen Art der
Darstellungen und manchen anderen Äußerlichkeiten
lehnt es sich an die bekannten englischen Vorbilder an;
die Auffassung ist im übrigen durchaus schwedisch und
anscheinend von C. Larssons reizenden Darstellungen
aus dem Kbderleben beebflusst. Bei dem bedauer-
lichen Mangel an guten deutschen Bilderbüchern halte
ich das klebe Werk (Preis 2 Kronen), dessen Scenen
selbst ohne den darunter stehenden Vers verständlich
sbd, auch für deutsche Kbder für sehr empfehlenswert;
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Chronik. 467
es steht ihrem Empfinden sicher näher, als die ver-
breiteten englischen Bilderbücher. v. Z. W.
Endlich ist die bereitsvor einem Jahre angekündigte
Ausgabe der „Histoires souveraines" von Villiers
de Liste- Adam erschienen, die der um die moderne
Buchausstattung hochverdiente Brüsseler Verleger
Edouard Deman dem Andenken des verstorbenen
Dichters „en respectueuse memoire" gewidmet hat
Die prächtigen Geschichten, 20 an der Zahl, präsentieren
sich in einem neuen, einfachen, aber überaus vornehmen
Gewände. Der stattliche Quartband ist mit einem
grünen, seidenartig glänzenden Umschlag versehen,
der auch, auf Pappe gezogen, als Cartonnage ä la ßradel
Verwendung gefunden hat, um denen, die es nicht selbst
einbinden lassen wollen, das Buch gleich in festem
Gewände darzubieten. Die Umschlagvignette in Schwarz
und Gold, die in blaugrauer Farbe auf dem Titelblatt
wiederkehrt, ist ebenso wie der ganze übrige zeich-
nerische Schmuck des Werkes von Th. van Rysselbergke
entworfen. Er besteht lediglich aus Titelköpfen und
Schlussstücken, die sich meist an sehr frei stilisierte
Blumenmotive anlehnen, teilweise auch aus ganz ab-
strakten Liniengebilden sich zusammensetzen. Er ist
sehr diskret in dunkelgrüner oder blaugrauer Farbe
gedruckt — dass er künstlerisch von grosser Schönheit
ist, bedarf für jeden, der Rysselberghes sonstige buch-
gewerbliche Arbeiten kennt, keiner Hervorhebung.
Der Druck ist gut, von breiten Rändern eingefasst, das
Papier von ebem angenehmen gelblichen Ton. Ich
stehe nicht an, dies Buch für ein Muster vornehmer
künstlerischer Buchausstattung zu erklären, vor allem
deshalb, weil es von jeder Überladung frei und durch-
aus modern ist, weil es nicht wie viele englische und
deutsche Werke dichterische Erzeugnisse der Gegen-
wart mit Zierstücken im Stile des XV. oder XVI. Jahr-
hunderts begleitet, andererseits aber auch jene Ori-
gbalitatssucht vermeidet, von der uns der sogenannte
„Buchschmuck" in der Art des „Ver sacrum" ein gerade-
zu abschreckendes Beispiel giebt Auch von allen den
bei uns beliebten Spielereien: schwer lesbare Formen
der Typen, Nichtgebrauch von Interpunktionszeichen
und Versahen innerhalb der Zeilen u. s. w., findet sich
in den „Histoires souveraines" keine Spur. Eine Limi-
tierung der gewöhnlichen Ausgabe hat nicht statt-
gefunden ; 50 Exemplare sind auf Japan, 10 auf Papier
van Geldern gedruckt. Den Druck hat die bekannte
Firma A. Berqueman besorgt W. v. Zur Westen.
Von den Auktionen.
Am 38. November beendete Sotheby in London
die Auktion der Bibliothek Lord Rtndleskams sowie
den Verkauf einiger kleinerer Sammlungen. Der Besuch
war ein sehr reger und trotz des Krieges erfuhren die
Preise keinerlei Absen wächung. Die erwähnenswertesten
Werke waren folgende; Antobe Watteau, Oeuvres,
graves d'apres sestableaux et dessins origbaux, 2 Bändet
4000 M.; „Raphael, Loggie nel Vaticano", kolorierte
Stiche von Savorelli und Ottaveianus, 1747 datiert, 2000
M. ; Basan, „Oeuvres", mit Kupferstichen, 1762, Folio,
800 M. ; Porträts berühmter englischer Persönlichkeiten,
von Houbraken und Vertue, 1743 — 52, 600 M. ; ebSatz
Kupferstiche, welcher die Originale b der Houghton-
Gallery reproduziert, 1778 gedruckt, 620 M. : „Watteaus
Figuresde differentsCaractcresde Paysagesetd'Etudes",
schöne Originaldrucke in ebem Band, 1600 M.; „Eng-
lands Parnassus", von K. Allot, Auszüge von Schriften
Shakespeares, Spenscrs, Glascoignes, Ben Jonsons
und anderer bedeutender Poeten, 1660 gedruckt, 900 M. ;
Burtons „Tausend und eine Nacht", 620 M. ; Grimms
„German Populär Stories", erste Ausgabe, 400 M.;
„Les Metamorphose; d'Ovide", Stiche, 1767 datiert,
800 M.; „Leaves from the Journal of Our Life b the
Highlands", Geschcnksexemplar der Königin Victoria
an Charles Dickens mit der autogTaphischen Be-
merkung des letzteren: „Persönlich von der Königb
an mich geschenkt, bei der cbzigen Unterredung, die
ich mit ihr hatte." Dies Buch erstand der Sohn von
Dickens für 2100 M. J. de la Fontaine „Contes et
Nouvelles", executtf aux frais des fermiers-generaux,
nebst einer Bemerkung von Diderot, 1762, mit 22 Stichen
nach Eisen, die später unterdrückt wurden, 1200 M.;
„Hcurcs a lusaige de Romme", von Godard, 1510—30,
äusserst seltene Ausgabe mit dem Kalender, 1560 M.;
Hieronymus „Epistolae", schönes Manuskript aus dem
XIV. Jahrhundert, von einem italienischen Schreiber,
mit 50 illuminierten Initialen; 1240 M. ; ein fast btaktes
Exemplar der zweiten Folioausgabe Shakespeares, 1632,
von der nur fünf Blätter etwas ausgebessert sbd,2oco M. ;
„Lucan, Suetonis et Salluste en Francoys", Verard,
1490, sehr selten, 3020 M. ; „ Roman t de la Rose",
Paris, 1500, von J. Janot, äusserst selten, 400 M. Ebe
Serie von Origbalzeichnungen von H. K Browne (Phiz)
zu den Illustrationen für „Dombey and Son", brachte
7700 M. ; von demselben zu „David Copperfield", 9000 M.,
und die Origbalzeichnungen von „Phiz" zur Illustrierung
von „Bleak House", 7200 M.; Kiplbgs „Schoolboy
Lyrics", mit 16 Jahren verfasst, 820 M„ und eb anderes
Exemplar 920 M. Der Erlös der beiden ersten Auktions-
tage betrug 40000 M.
Im weiteren Verlauf der Versteigerung sind nach«
stehende Bücher und die dafür gezahlten Preise be-
merkenswert: „Schatzbehalter des waren hails", I49l,mit
95 interessanten Holzschnitten von M. Wolgemuth, 1020
M.i 37 Origbalzeichnungen von John Flaxman, Illustra-
tionen zu Hcsiod, 300 M.j „The comic Almanack", mit
Radierungen und Holzschnitten von G. Cruikshank,
1S35 — 53, vollständiger Sau, 340 M.; Defoe „Robbson
Crusoe", 1719, erste Ausgabe, beschädigt, $10 M.;
Manuskript von Charles Dickens „Holiday Romance",
ca. 1865, 3oSeiten, 2000 M.; Dorat „Les Baisers", 1770,
610 M.; Briefe von George Elliot und G. H. Lewes über
Litteraturangelegenheiten, adressiert an A. Mab, 1200
M.j „Les Amours pastorales de Daphne et Chloe, 1745,
mit dem seltenen Stich „Les petits Pieds", 225 M. ;
Montesquieu „Le Temple de Guide", Stiche nach Eisen,
1000 M.
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468
Chronik.
erste Ausgabe, 1040 M. Die Gesamteinnahme in
der sechstägigen Auktion betrug 168 los M.
O. v. S.
Kleine Notizen.
FJtlibris grtciihnel von H. Hirtel.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Dem immer mehr mnehmendenSpecialismus
in der Wissenschaft steht das umgekehrte Be-
streben in der Kunst gegenüber. Die meisten
Maler von heute radieren und ätzen, entwerfen
neben Landschaften Tapetenmuster, neben Por-
träts Möbel, neben Buchschmuck Lampen und
Tintenfässer. Herrmann Hirsel gehört zu den
Vielseitigsten seiner Kunst. So legen u. A. auch
zahlreiche Exlibris Zeugnis ab von seinem
Talent, gegebnen Raum auszufüllen, ohne ihn
zu überfüllen, und zeigen gTaziöse Schmetter-
lingsblütler auf den Umschlägen des „Daheim",
der „Gesellschaft 1 ' u. A. m. den ihm eignen
leichten Schwung der Linie. Als Schweizer von
Geburt hat er besonders der prächtigen Zeit-
schrift „Die Schweiz" zahllose Vignetten und
Leisten voll liebevollster Naturbeobachtung und
voll gesundem Humor geliefert. Überhaupt
weisen seine pflanzlichen wie landschaftlichen
Motive eine genaue botanische Kenntnis der
Formen auf, die ihm wiederum ganz frei mit
der Verwertung auch einzelner Teilchen zu
walten gestattet. Dazu kommt eine geschickte
ornamentale Verwendung des Volldrucks, sei
Die letzten Auktionstage brachten eine Reihe
von Publikationen der Keimscott Press zum
Angebot, so namendich den ersten Druck „The
story of the glittering Piain", 1891, 550 M.; „The
Life and Death of Jason", mit Holzschnitten,
265 M.; „Chaucer's Works", Folio, mit Illu-
strationen nach Burne-Jones, 1280 M.j „The
carthly Paradise", 500 M.j 16 Seiten der un-
vollendeten Übersetzung von „Froissarts Chro-
nicles" und zwei Seiten von der beabsichtigten
Ausgabe von „Sigurd the Volsung", Folio, in
einem Band, 1896 und 97 von der Keimscott-
Press hergestellt, 2000 M. Dies ist das erste
Exemplar von den überhaupt nur 32 vorhan-
denen, das zur Auktion kam. Von anderen
seltenen Werken sind folgende noch erwähnens-
wert: „Poüphili Hypnerotomachia", erste Aus-
gabe, intakt, 1499, David Garricks Exemplar
mit seinem Exlibris, 400 M. ; „Romeo und Julia",
1637 gedruckt, 1500 M. Eine Sammlung von
Theaterzetteln und Porträts berühmter Schau-
spieler, 4 Foliobände, 1000 M.; Bürgers „Lco-
nore", übersetzt von D. G. Rossetti im Alter
von 16 Jahren, Originalmanuskript, 530 M.;
Tennyson „Helen s Tower", privatim gedruckt,
1120 M. ; von demselben „The Falcon", 1879,
Exlibris gcicichnet von H. Hirtel.
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Chronik.
469
es in geschwungenen Kähmen, sei es in Stielausläufern,
und gerade diese wirkt sowohl bei farbigen als auch
bei schwarzen Abzügen sehr pikant. Die intime Be-
schäftigung mit den Einzelheiten der Natur kommt
auch den Schmuckstücken zu statten, die sozusagen
Hirtel ihre Wiedergeburt verdanken. Seine bald na-
turalistischen, bald linearen Schnallen, Broschen und
Ringe, bei denen besonders die reizvolle Verwendung
des Edelsteines nicht als Wert-, sondern als Schmuck-
stück idealisierend wirkt, können wohl neben denen der
Pariser Meister bestehen und haben eine neue Aera des
Frauenschmuckes in Deutschland eingeleitet Hirzeis
Radierungen erfreuen sich schon seit längerer Zeit der
Würdigung aller Kenner. Eine kleine Anzahl seiner
trefflichen Exlibris reproduzieren wir nebenstehend und
auf den folgenden Seiten. — t
So eng begrenzt der Kreis litterarischer Beiträge,
so kosmopolitisch ist der künstlerische Teil des „Pan",
dessen zweites Heft des fünften Jahrganges mir vor-
liegt (F. Fontane & Co., Berlin). Neben Reproduktionen
Hildebrandscher Büsten und Bronzen und einer farbigen
I.andschaftslithographie Orliks, interessiert besonders
eine Radierung Richard Müllers „Schncedächer mit
Exlibru gezeichnet Ton H_ HiriaL
Telephonstand". Müller hat ein echtes Grossstadtmotiv
erwählt ; keinerlei Schnörkelgiebel noch Wolkenschatten
helfen dem Künstler, und dennoch: wie glänzend hat
er das Problem gelöst, wie fein das stumpfe Oberlicht-
fenster gegen die beschneiten Simse abgewogen —
wie luftig und klar die tausend Drähte sich einen und
kreuzen und fliehen, als belebe sie ein Zug Zolascher
Symbolik.wie die Bahnschienen in der,, Bete humaine !". . .
Obw ohl Theodora Onasch nur durch Kleinigkeiten ver-
treten ist, möchte ich ihren Zierleisten den zweiten
künstlerischen Platz des Heftes einräumen. Die kraft-
volle Eigenart ihrer kleinen schwarz-roten Landschaft,
die Keckheit der gleichsam mit dem Pinselsticl hin-
geworfenen Plaianenfrüchte und Pflaumen eignen sich
prächtig für die starke Papiertextur des ,,Pan", ohne
allzu massiv zu werden, wie dies z. B. bei Weissschen
Ornamenten zuweilen der Fall ist. Eine glückliche
Mitte hält auch Peter Behrens Schlussstück, während
die allzu primitiv sein wollenden Vignetten Htrrmann
Sandkuhls „Thor" und „Abend" etwas fremdartig an-
muten. Von Ausländern finden wir den Franzosen
Carri'ere mit Reproduktionen u. a. eines genialen Selbst -
portrats vertreten, neben dem das Selbstbildnis Maries
arg hölzern wirkt. Ignacio Zuloaga, einem Vertreter
des Typisch-Spanischen, ist ein fernerer Artikel mit
Bildbeigabe gewidmet, doch ist es unmöglich, nach
einem Lichtdruckezu beurteilen, ob das Charakteristische
nicht vielfach im äussern Aufputz zu suchen ist.
J. J. Webers Verlag in Leipzig hat in die Reihe
seiner illustrierten Katechismen eine weitere Nummer
aufgenommen, die für unsere Leser, besonders insoweit
sie sich auch selbst für die Technik ihrer Bücher
interessieren, von Wert sein dürfte; nämlich Bauers
„Katechismus der Buchbinderei" . In keinem wesent-
lichen Punkte von dem Leitfaden Adams abweichend,
den zu loben ich früher in diesen Blättern Gelegenheit
fand, berücksichtigt das Buch Bauers bedeutend mehr
Zweige der Buchbindekunst, so das Kleben von
Atrappen, Geschäftsbüchern, Photographien u. s. w.
Ist Adams Werkchen vielleicht mehr von einem ästhe-
tischen Standpunkt aus verfasst, so erleichtert hier der
klare Satzbau und die Berücksichtigung auch pri-
mitivster Mittel die Arbeit ungemein. Zahlreiche
Illustrationen veranschaulichen den Text und stärken
das Gedächtnis des Anfängers. Selbst der absolute
Laie wird aus den Kapiteln vom Aufziehen und Lösen
von Bildern, Photographien u. dcrgl. m. manchen
schätzenswerten Wink entnehmen können. — m.
Im Herbst ist in den Räumen der Berliner deutschen
Plakatausstellung eine Ausstellung von Exlibris bezw.
Exlibrisentwürfen deutscher Künstler eröffnet worden,
die bis in den Winter hinein währte. Einen Überblick
über den gegenwärtigen Stand dieses Zweiges der
Kleinkunst giebt sie keineswegs. Es fehlen nicht nur
die Grossen, die sich nur gelegentlich auf diesem Ge-
biete bethätigt haben, wie Klinger, Thoma, Ed. von
Gebhardt, sondern auch eine Reihe der besten Namen
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470
Chronik.
Exlibri» geieicluwt tob H. Hirtel.
aus der Zahl der Exlibris-Spezialisten, wie Sattler, Orlik,
Döpler, Barlösius, Erler, Diez u. s. w. Zahlreiche Wappen-
exlibris haben Hildebrand und Krahl gesandt, Hirzcl
seine prächtige Radierung für Imhoof Bluhmer, B. Wenig
mehrere seiner trefflichen, ausdrucksvollen Buchmarken.
Liliens hier veröffentlichte Exlibrisentwürfe fallen durch
die Grösse ihres Formats auf. Von neuen Namen ver-
dient der Darmstädter Maler Schmoll von Eisenwerth
wegen seines Exlibris Hölscher rühmende Hervor-
hebung ; das Blatt erweckt Erwartungen, die sich hoffent-
lich erfüllen werden. Käthe Schönbergers teilweise
etwas zu stark karrikierten Entwürfe zeichnen sich
durch geschickte Durchführung der ihnen zu Grunde
liegenden originellen Ideen vorteilhaft aus. Unter den
übrigen Einsendungen ist nur wenig Bemerkenswertes ;
ein Blatt, das eine Dame von mindestens Rub enscher
Formenfülle zeigt, die ohne jede Bekleidung im Grase
liegt und mit lüsternem Lächeln in einem Buche liest,
ist zwar nicht die am schlechtesten gezeichnete Arbeit,
aber wohl die ärgste darunter befindliche Geschmacks-
verirrung. Welcher Sammler von erotischer Litteratur
— an einen solchen kann der Zeichner doch nur ge-
dacht haben — möchte sich wohl z. B. eines der
graziösen französischen Bücher des vorigen Jahrhunderts
durch ein derartiges Exlibris verunzieren?
v. Z. W.
Unter dem Titel „Der Leutnant' hat der Verlag
von Albert Langen, München, ein Album der Offiziers-
typen von Ed. Thoeny aus dem „Simplizissimus"
zusammengestellt (M. $). Thoeny hatte einen Vor-
gänger, der ähnlich köstlich wie er den Offizier in
treffendster Charakteristik darzustellen und ebenso
korrekt zu zeichnen verstand: den verstorbenen
Konstantin von Grimm. In den meisten unserer Witz-
blätter ist der Leutnant eine stehende Figur — wie
die Schwiegermuttter, der zerstreute Gelehrte und
der jüdische Kommerzienrat ; gewöhnlich aber ist
seine Karikatur eine Verzerrung. Nun darf die
künstlerische Karikatur allerdings in das Groteske
übergreifen, aber die Grundlinien müssen immer in
der Wirklichkeit haften bleiben : die Karikatur muss
den Typus treffen. Das ist bei Thoeny der Fall
Seine Offiziersgestalten trifft man überall — in den
Gesellschaften, auf der Strasse, auf dem Rennplatz ■
sie sind spezifisch preussisch, in ihrer Eleganz und
Vornehmheit, dem schön gescheitelten Haar, dem
tadellosen Sichtragen; mit dieser Eleganz und dem
schönen Scheitel und dem ganzen tadellosen Äusseren
haben sie in hundert Schlachten gesiegt Was bei
Thoeny, der unter den Karikaturisten der Gegen-
wart in vorderster Reihe steht, so besonders erfreu-
lich auffällt, ist die peinliche Richtigkeit in der
Zeichnung der Uniformen. Das Album ist amüsant
und hat auch einen gewissen kulturgeschichtlichen
Wert Mich persönlich stören nur die sogenannten
Witze unter den Zeichnungen. Die Zeiten des Leut-
nantjargons und des Gardeticks sind in der That
vorüber; die Satire trifft nicht mehr; es sind Schusse
ins Blaue. Ich kenne die Offizierskreise auf das in-
timste und bin trotzdem nicht befangen genug, um
nicht einen guten Scherz, auch eine Bosheit auf
das zweierlei Tuch goutieren zu können; aber so, wie
der „Simplizissimus" seine Offiziere sprechen lässt, so
haben sie niemals gesprochen. Das mich das stört, ist,
wie gesagt rein persönliches Empfinden ; es wird genug
Leute geben, die sich auch daran erfreuen.
F. v. Z.
Unter dem Namen „Hoffmanns Siegelmarken" hat
der Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart einige
Serien von Briefverschlüssen in den Handel gebracht
die unserer Kleinkunst alle Ehre machen. Die Siegel-
marken sind aus farbigem Kartonpapier gefertigt, auf
dessen Grunde die Gravierungen kameenartig zur
Wirkung kommen. Neben hübschen Phantasiebildchen
giebt es auch Musik- und Radier Siegel und ähnliches
mehr, und bei allen haben Reliefarbeiten tüchtiger
Künstler als Vorlagen gedient Es ist eine Freude, zu
sehen, wie sich mehr und mehr der Geschmack ver-
feinert, der auch Gegenständen des täglichen Gebrauchs
eine gewisse künstlerische Prägung zu verleihen ver-
sucht. Die Billigkeit der kleinen Siegel (50 Pf. die
Serie in allerliebst ausgestatteten Schächtelchen)
wird ihrer Verbreitung entgegenkommen.
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Chronik.
471
England.
Die Wtihnachtsnummer von Scribners Maga-
sine enthält u. a. eine Ballade von Harrison S.
Möns, die von koloristisch sehr geschmackvollen,
ganz dekorativ aufgefassten und doch stimmungs-
vollen Illustrationen von W. Appleton Clark be-
gleitet wird. Randleisten von T. Guemsey Moore
umgeben den Text. Aus dem sonstigen Inhalt des
Heftes verdient besonders eine Serie von Zeich-
nungen Erwähnung, in denen der unübertreffliche
Ch. Dana Gibson „The seven ages of american
Woman" in gewohnter Meisterschaft schildert
v. Z. W.
Von Robert Proctors „Index to the early
printed books at the British- Museum with notes
of those in the Bodleian Library" (London, Kegan
Paul, Trübner Sc Co.) ist der vierte Band erschienen,
der den Schluss dieses hervorragend wichtigen
Werkes für alle diejenigen Fachmänner und Lieb-
haber bildet, die sich mit Inkunabeln beschäftigen.
Durch die drei vorangegangenen, hier schon be-
sprochenen Teile des Werkes hat der Verfasser
ein vollständiges Bild der historischen Entwickelung
des Druckes im XV. Jahrhundert geliefert Nun-
mehr erhalten wir durch den Index eine alpha-
betische Liste der Drucker und ein Verzeichnis
der Bücher in der Reihenfolge, wie sie sich in
Hains Repertorium befinden; ferner eine zweite
Liste von Werken, welche Hab nicht genannt hat
Ahnliche Register wurden von dem Autor für die Nieder-
lande nach Campbeils , Annales de la Typographie des
PaysBas" und eine alphabetische Zusammenstellung
der in England gedruckten Bücher angefertigt Ausser
als Katalog ist der Index ebenso brauchbar wie interes-
sant im Vergleiche mit den beiden zuletzt genannten
Schriften, deren Wert durch Robert Proctors Arbeit
noch bedeutend gehoben und in selbstloser An-
erkennung von ihm in volles Licht gesetzt wird.
O. v. S.
IM
Exl bris gexeichaet von H. HirxeL
die französischen und italienischen Malereien. Jene
stammt aus Gratians „Decretum", einer Handschrift
des XIV. Jahrhunderts, letztere aus einem französischen
Psalter des XII L Jahrhunderts. Eine eingehende Be-
schreibung jedes Bildes sowie des dazu gehörenden
Dokuments rührt aus der bewährten Feder von Mr.
Warner her. Für Kenner und Liebhaber mittelalter-
licher Buchmalerei wird das interessante Werk sicher-
lich seine Anziehungskraft nicht verfehlen. O. v. S.
Ein Meisterwerk der Chromolithographie ist die
kürzlich erschienene Reproduktion von 15 Illuminationen
aus Manuskripten der Bibliothek des British Museum.
Diese erste Serie wurde von dem genannten Institut
durch Mr. Griggs und unter Leitung von Mr. G. F.
Warner, dem Direktor der Handschriftenabteilung,
herausgegeben. Die Chromolithographien hinterlassen
vollkommen den Eindruck alter Miniaturen, und selbst
der Anschein der mittelalterlichen Vergoldungsmcthode
ist überraschend erreicht worden. In Zartheit und Ab-
tönung der Farben bleibt nichts zu wünschen übrig.
Die Serie bildet den Beginn eines umfangreichen
Werkes , das den grossen Reichtum der Bibliothek an
schön illuminierten alten Manuskripten darlegen wird.
Zunächst wurden hier sieben englische und fünf
französische Miniaturen, ferner eine deutsche, eine
flandrische und eine italienische Miniatur ausgewählt
Die englischen Illuminationen sind besonders wertvoll,
etwas weniger künstlerisch gelungen erscheinen dagegen
Amerika.
Der DibdinC/ub in New- York hat in Mr. A. Gro-
wo// einen hervorragenden Herausgeber für seine Ver-
öffentlichungen gefunden. Von den kleinen bio- und
bibliographischen Skizzen aus seiner Feder, die in nur
100 Exemplaren für die Mitglieder des Clubs gedruckt
werden, liegen uns Heft 2 und 3 vor. Heft 2 ist einem
Deutschen von Geburt, Friedrich Leypo/dt, gewidmet
Leypoldt ist für das amerikanische Buchhändlertum
bahnbrechend gewesen. Als Sohn eines Württem-
berger Fleischers entlief er der strengen väterlichen
Zucht, um seinen litterarischen Neigungen folgen zu
können. Nach rauher Lehrzeit gelang es ihm, in Phila-
delphia eine Buchhandlung mit Leseräumen zu gründen.
Als der Bürgerkrieg die Einfuhrzölle auf europäische
Druckwerke steigerte, verfiel er auf die Idee, selbst zu
drucken und zwar begann er mit den Übersetzungen
berühmter Poeten: mit Andersens ,, .Schneekönigin",
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472
Chronik.
Heines „Buch der Lieder", Kortüms „Jobsiade" u.a. m.
Später verlegte Leypoldt sein Geschäft nach New- York
und fand in Mr. Holt einen Associe; er selbst widmete
sich mehr und mehr bibliophilen Interessen. So er-
schien das „Litcrary Bulletin" mit seinen allmonatlichen
Listen amerikanischer Neuerscheinungen , die dann
später in einem Bande unter dem Titel „The Ameri-
can Catalogue of Books" vereint herausgegeben wur-
den. Zahlreiche derar-
tige Veröffentlichun gen
folgten: 1880 das Le-
benswerk Leypoldts,
der grosse „American
Catalogue", der sozu-
sagen den amerikani-
schen Buchhandel erst
in geregelte Bahnen
leitete. Büch ermessen
nach dem Leipziger
Vorbild waren ein wei-
terer Schritt auf diesem
Wege. 1876 erschien
auf das Risiko Ley-
poldts das „American
Library Journal", dem
Werk auf Werk biblio-
graphischer Natur
folgte, bis 1884 der Tod
plötzlich den von neuen
Plänen noch ganz er-
füllten Mann abrief.
Ein Porträt Leypoldts
auf Japan ist dem Hcft-
chen vorangestellt
Heft 3 hat Mr.
Crowoll Htnty Harisse
gewidmet , dem Ver-
fasser der berühmten
Bibliotheca Americana
Vetustissima. Harisse
hatte sich hauptsäch-
lich mit Kunstkritik und
Philosophie beschäftigt,
z. B. Descartes meta-
physische Werke über-
setzt und mit Anmer-
kungen versehen, ohne
geeignete Verleger fin-
den zu können, als er
S. L. M. Barlow, den bekannten Sammler, kennen
lernte. Das reiche Material der Bibliothek des Letzteren
veranlasste Harisse zu den ersten bibliographischen
Versuchen „Columbus in a Nutshcll" und dessen Ver-
vollständigung „Notes on Columbus. New- York. Priva-
IFO.iL.
KxhbrU gejeichnet von H. H i r I e l.
tcly Printed. 1866" mit höchst interessanten Photogra-
phieen. Vorbereitende Notizen zu einem Werke über
die Geschichte der Eroberung Amerikas bildeten dann
den Kern zu seiner grossartigen „B. A. V.", deren Unter-
titel lautet: „A Description of Works rclating to Ame-
rica Published between the Years 1492 and ....
New York: George P.Philes, Publisher MDCCCLXVI."
Diese „Königin aller Bibliographieen" enthält nicht
weniger als 304 Bücher
von grosser Bedeutung;
sie beginnt mit der
„Epistola Christofori
Colom" von 1493 und
endet mit der Erstaus-
gabe der anonym er-
schienenen Reisekol-
lektion von Kamusio
1 5 50. 1 872 erschien ein
Nachtrag zur „B.A. V."
bei der Librairie Tross
in Paris, woselbst
H arisse geboren war
und im späteren Leben
seinen Wohnsitz wieder
aufschlug. Von den 96
Banden u. Broschüren,
die Harisse seit 1854
herausgab, sind 71
bibliographischen The-
men gewidmet, deren
Titel Mr. Growoll am
Schluss des Heftchens
aufzählt
Stattlicheren Um-
fang weist eine weitere
Veröffentlichung Gro-
wolls für den Dibdin-
Club auf, die 1898 er-
schien. Es ist dies eine
Book ■ Trade Biblio-
graphy in the United
States in the XIX. Cen-
tury. Dem Werke ist
der höchst interessante
Katalog der Bostoner
Buchhändler von 1804
angefugt. Die Biblio-
graphie beginnt mit
den Uranfangen des
Buchhandels in Amerika mit jener Presse, die Stephen
Day 1640 in Cambridge, Mass., aufstellte, bespricht dann
die Vereinigungen vom Beginn dieses Jahrhunderts bis
auf die Neuzeit und ihre Lebensbedingungen, sowie die
ersten 1804 erschienenen Kataloge. E. Geithe.
Nachdruck verboten. — Alle Rechte tvrhehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin.
Alle Sendungen redaktioneller Natur aa denen Adrette: Berlin W. Auf iburgenlraise 61 erbeten.
ledruckt »on W. I>rugiilin in I. eifrig fur Velh«gen Ik Klaaing in Bielefeld und Leipng. — Papier der Neuen Papiar-
Mioufiklur in Strauburg t. E.
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1
1899/1900.
BEIBLATT.
Heft 7.
Gesellschaft der Bibliophilen — Von den Auktionen — Auktionsmarkt — Kataloge — Briefkasten.
Anzeigen
Desiderate — Angebote — Litterarische Ankündigungen: die gespaltene Petitzeile 25 PC,
alle übrigen: '/, Seite 60 M., «/. Seite 30 M., »/« Seite 15 M., •/, Seite 8 M.
Bei Wiederholungen entsprechender Rabatt ; Vorzugs- and Umschlagseiten, sowie besonder« Beilagen nach Vereinbareng.
Schluss für die Anzeigenannahme jedes Heftes am 10. des Torhergehenden Monats.
Anieigen («fl. iu richten an di« Veriagthaadliini : Velhegea & Kieling, Abteilung (ür laterale, Leipiig. Friedricfc Augiutitr. *.
Redaktionelle Zuschriften. Kateloge e«c an dm Herausgeben Fedor von Zobeliiti in Berlin W.. AugsburgentnaM 61.
Gesellschaft der Bibliophilen.
Da unser Sekretär Herr Victor Ottmann seinen Wohnsitz von München nach Stuttgart verlegt, befindet
sich das Sekretariat der Gesellschaß der Bibliophilen vom 1. Oktober ab in Stuttgart, Hasenbergstrasse ig.
Alle die Gesellschaft betreffenden Korrespondenzen, Sendungen und Zahlungen sind an die persönliche Adresse
des Herrn Victor Ortmann zu richten.
Neu aufgenommene Mitglieder:
(Vom 19. Juni bis 10. September 1899.)
Berlin: Buchhändler Hermann Lazarus; Verlagsbuchhändler Carl Messer; Verlagsbuchhändler Conrad
Skopnik. — Bonn: Professor Dr. Berthold Litzmann. — Frankfurt a\M.: Rechtsanwalt Dr. Liebmann, —
Heidelberg: Professor Dr. Max Freiherr von Waldberg. - Leißtig: Frau Marie Nachod.
Ausgescfueden :
Gestorben Sanitätsrat Dr. S. Herxheimer in Frankfurt a/M.
Mitgliederzahl: 318.
Beim Sekretariat belief sich der Eingang von Korrespondenzen vom 19. Juni bis to. September 1899 au,r
42 Stück, der Ausgang auf 47 Korrespondenzen und $16 Drucksachen.
Stuttgart. Hasenbergstrasse 19. Der Se kretär: Vict or OfaMOfl.
Von den Auktionen.
Im H6tel Drouot in Paris kam im Juni die be-
merkenswerte Sammlung eines nicht genannten Biblio-
philen unter den Hammer: nur einige fünfzig Nummern,
die jedoch die stattliche Summe von 13$ 120 Fr. er-
zielten. Darunter: H eures, Agendaformat, 140 Bl., mit
Miniaturen, Randverzicrungcn und Initialen, in Holz
gebunden, kostbares Velinmanuskript, für Jean Talbot
Graf Shrewsbury Mitte des XV. Jahrhunderts hergestellt,
Text englisch, französisch und lateinisch, aus der Bi-
bliothek Ambr. Firmin-Didot summend (19020 Fr.);
Livre d'heures, in 4". aus dem XV. Jahrhundert mit
gleichzeitigem Einband, Velinmanuskript, 38 grosse
und 837 kleine Miniaturen (29500 Fr.); Officium Hora-
rum beatae Marie Virg. secundum usum ecclesie Ro-
mane, Velinmanuskript, XV. Jahrhundert, in 16 0 , 15
grosse und 571 kleine Miniaturen, kostbarer älterer
Einband (5200 Kr.); Prieres de la Messe, Paris 1725, in
8°, kostbar geschmücktes Manuskript, Einband Pade-
loup, Geschenk Ludwigs XV. an Maria Leczinska
(8200 Fr.); Roman de la Rose, Velinmanuskript in 4 0
mit Miniaturen, Bordüren und Initialen, XV. Jahrhun-
dert (19S00 Fr.); Ovid, Metamorphoseon libri XV,
Paris 1587, in I2 0 , mit Holzschnitten, schöner Einband
(2205 Fr.); Oeuvres de Louis Labe Lionnoise, Lion 1555.
in 8°, Einband Mercier, sehr selten (39J0 Fr.); La Fon-
taine, Contes et nouvelles, Edit. Fermiers-G^n^raux,
1762 (2420 Fr.) ; Dorat, Les Baisers, 1770 (3550 Fr.);
Morcau, Le Myositis. Paris 1838, mit 110 Aquarellen
Z. f. B. 1899/1 90a 7- Beiblatt — 1 —
von IL Giacomeüi, Einband Cuzin (4500 Fr.); Corneille,
The'atre, Leyden 1644, Einband Trau tz- Bauzonnet
(2005 Fr.); L'He*ptameron des Nouvelles, Paris 1560,
in 4*, schöner alter Einband (1005 Fr.). — m.
m
Der Monat Juli, der in London für Versteigerungen
noch ein sehr günstiger ist, brachte folgende Biblio-
theken durch Sotheby zur Auflösung: Zunächst Anfang
des Monats die Büchersammlung von Mr. G. H.
Sup/iensonzus Paris, die als charakteristisches Merkmal
sehr schone Einbände aufwies. Die wertvollsten Werke
waren nachstehende: Anacreton, 1773, H6ro et Leandre,
1774, in einem Band, mit Stichen von Eisen, 460 M.
(Quaritch); Boccaccio „II Decamerone", Stiche nach
Gravelot, Eisen und Boucher, 1757, ein gut erhaltenes
Exemplar, 520 M. (Quaritch); des Grafen Chestcrfield
Briefe, herausgegeben 1845 von Lord Mahon, 300 M.
(Bain); „Collection complcte des Memoires rclatifs
ä l'Histoire de France depuis le Regne de Philippe
Auguste jusqu' ä 1763 et la Paix de Paris", 900 M.
(Hatchard); Molicrc „Oeuvres avec des remarques
grammaticales", erste Ausgabe, Paris, 1773, m
von Moreau, 820 M. (Bain); Mussets „Oeuvres
sa biographie", nur 100 gedruckte Exemplare vor-
handen, 300 M. (Quaritch); Ovide, „Les Me"tamor-
phoses", lateinisch und französisch, erste Ausgabe,
mit Stichen von Eisen, Moreau, Gravelot u.s. w. 820 M.
1
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(Von den Auktionen.)
(Quaritch); Rabelais, Quartausgrabe. 1741, Amsterdam,
300 M. (Bain); Racine „Oeuvres", 1676, erste Gesamt-
ausgabe, 360 M. (Quaritch); Pierre de Rousard
„Les Oeuvres", 1567, 2000 M. (Fontaine); Ruskin
„Modern Painters", illustriert durch den Autor und
W. Turner, 1000 M. (Bain); Duc de St. Simon „M6-
moires eompletes", mit Portrait (die Auflage ist nur
100 Exemplare hoch) 700 M. (Bain); Walton und
Cottons „The complete Angler", Majors erste Aus-
gabe, 820 M. (F. Stevens). —
Aus den Verkäufen der Bibliothek von Sir John
Thorold, H. FormanwaA einigen kleineren Sammlungen
erreichten die besten Preise: drei Exemplare der ersten
Ausgabe von K. Kiplings „Schoolboy Lyrics", 18B1, je
2000 Mark für die beiden ersten, 1520 M. für das letzte
Exemplar ohne des Autors Inschrift (B. F. Stevens,
Agent amerikanischer Käufer); Griechische Bibel,
herausgegeben von H.Baber, 1816—28, selten, 1120M.
(Leighton) ; P. S. Bartoli „Recueil de Peintures antiques
trouvles a Rorae par Rive", 1783—87, defekt, 2100 M
(Quaritch); Boccaccio „De Mulieribus claris", 1473,
grosses Exemplar, aber wurmstichig, 1200 M. (Leighton);
„Cronica van der Hilliger Stat van Coellen", 1499,
sehr selten, ein Blatt fehlt, 320 M. (Quaritch); „Rerum
Venetarum Historia", 1487, Dedikationsexemplar von
A. M. Coccius an den Dogen M Barbarigo, 3080 M.
(B. F. Stevens); 30 bisher unveröffentlichte Briefe von
Dickens an John Hollingshead und 6 von Thackeray,
1300 M. (Roberts) ; John Saunders „Loves Martyrdom",
ein fünfaktiges Drama, 1855 privatim gedruckt, mit
zahlreichen Anmerkungen von Dickens Hand, um es
bühnengerecht zu gestalten, 510 M. (Sabin). Ein voll-
ständiger Satz der Keimscott Press errickc 11 360 M.
Am 15. Februar d. J. brachte ein solcher Satz nur
8640 M.; der Originalpreis betrug 4000 M. Drei Seiten
aus St. Augustinus „DeCivitate Dei", mit Illuminationen
aus der Schule von Francois Fouquet, XV. Jahrhun-
dert, 6000 M. (Quaritch); Napoleon I., Fragmente aus
einem Notizbuche über die Geschichte Corsicas, wahr-
scheinlich bisher unveröffentlicht, 320 M. (Maggs);
Vespucius „Mundus Novus", 1594. die erste datierte,
sehr seltene Ausgabe, 1000 M. (H. Stevens).
Die wertvollsten Objekte aus der Bibliothek von
Ij>rd Revehtoke und Lord Methum erzielten nach-
stehende Angebote: ein schönes, aber etwas beschä-
digtes Exemplar der ersten Shakespeare Folio-Ausgabe,
1623, i27/gX8J/g Inchcs (eine Inch = 2,54 cm.) 34000 M.-,
„Helyas the Knight of the Swanne", Wynkyn de Wörde,
1512, mit dem Ex-Libris von Sir Paul Mcthucn. 8200 M.
(Quaritch); erste Ausgabe von Charles Dickens, 46
Bände, 2000 M. (Quaritch); Hypnerotomachia Poli-
phili, Venedig, Aldus, 1499, grosses Format, 1040 M.
(Hain); De Bry, Rcisebeschreibungen , Frankfurt,
1590—1634, 12 Bande, sämtlich mit Ex libris von Sir
Paul Mcthucn, 1500 M. (Rhodcs); Chauccr, Keimscott
Press, illustriert von Bume-Joncs, 1160 M.; John Con-
stables „English Landscapes", gestochen von F. Lucas,
550 M.; Horae, Manuscript aus dem XV. Jahrhundert,
dekoriert durch 56 schöne Miniaturen, 3000 M.; Missale
Praemonstratense ad Usum Monasterii Parchensis,
Handschrift mit zwei sehr schönen Miniaturen, 4000 M.
(Belgische Regierung).
m
Die Auktion der Bibliothek des Professors Allmann
ergab folgende Resultate: Humboldt et Bonpland
„Voyages aux Kegiones Equinoxiales du Nouveau Con-
tinent, fait dans les annees 1799 a 1804", koloriert,
1$ Bände, 480 M. (Quaritch); Abertus Magnus „Po-
stillatio in Apocalypsim", Basel, 1506, mit der Devise
und dem Wappen Ludwigs XII. und der Anna von
Bretagne, 1120 M. (Quaritch); J. Smith „Catalogue
raisonne'", Holländer und französische Meister, 9 Bände,
1829—42, 800 M. (Hatchard); Holbein „Imitations of
original Drawings by Hans Holbein", 1792, erster
Druck, 340 M. (Webb).
Aus einer Reihe aufgelöster kleinerer Bibliotheken
kamen einzelne wertvolle Bücher zum Vorschein, so
namentlich: Robert Bums Poems, 1786 von J. Wilson
gedruckt, verschiedene Blätter durch Facsimile ersetzt,
2000 M. ; „The Giaour", 1813, Lord Byrons Dedikations-
exemplar an seine Schwester Augusta Mary, 460 M.;
Burtons „Arabian Nights" (Tausendundeine Nacht),
1885, 10 Bände, $20 M.; „Choix de Chansons, mises
en musique par M. de Labordc", 1773, Paris, 1040 M.;
J. de la Fontaines „Fables choisies", vignettes par
Chauvcau, 1668, erste Ausgabe, 600 M. ; „Laugh and
Lie Down, or the Worldes Folly", gotische Buchstaben,
1605, sehr selten, 1100 M. ; Samuel Rowlands „Hou-
mors looking Glasse", 1608, äusserst selten. 800 M. ;
„A. Ruful complaynt of the Publyke Weale to Eng-
lande", wahrscheinlich von John Mordelay, gotische
Buchstaben, Unicum, er. 1548 gedruckt, 900 M.; Mon-
tesquieu „Le Tcmple de Gnide", 1772, mit Vignetten,
schön im Stil v on Üerome gebunden, 420 M. Die erste
Ausgabe von Oh'ver Goldsmiths „The deserted Viliage",
1770, un beschnitten, brachte 420 M. —
Am Ende des Monats gelangten mehrere Samm-
lungen zur Auktion, die a tout prix verkauft werden
mussten. Aus diesem Grunde gingen manche sehr
seltene Werke zu schlechten Preisen fort. Gerade die
Auktionen bis Mitte August bieten eine der letzten
Gelegenheiten, um häufig recht bedeutende Werke
billig erwerben zu können. Hierher gehören z. B.:
Missale secundum morem sanetae Komanae Ecclesiae",
Venedig, 1493, 220 M. (Leighton); „Die neue Ehe",
Augsburg, 1476, bemerkenswert durch viele alte Holz-
schnitte in der Manier der Blockbuchausstattung, gut
erhalten, 200 M. (Hunter); B. de Brcydenbach „Reysen
gern Jherusalem", Mainz, i486, die erste deutsche und
datierte Ausgabe, mit Stichen und Titelblatt, 270 M.
(Munter). Nicht billig stellten sich Kiplings Beiträge
für „The L'nited Service College Chronicle", 2020 M.
(B. F. Stevens). O. v. S.
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Heiblatt.
Antiquariatsmarkt
Ernst Car Ubach in Heidelberg gelangte in den
Besitz der seltenen, von (irazani il Lasca besorgten
Sammlung von Kameva h Hedern : Trionfi. Tutti i trionfi,
carri, mascherate o canti camascialeschi andati per
Firenze dal tempo del Magnifico Lorenzo vecchio dei
Medici. Firenze (Lr. Torrentino) I S59- P er Rt.. 10 Bl.
Vorst., 465 Stn. u. 3 BL Tafeln (Kbert No. 23088). Die
vollständigen Exemplare sind deshalb so selten, weil
bald nach Beendigung des Drucks die Canti delT Otto-
najo (S. 298 — 396) wieder herausgenommen wurden.
Jacques Rosenthal in München zeigt eine Sammlung
bisher anscheinend unbekannter spanischer Romamen
des XVI. Jahrhunderts an. Es sind insgesamt 53
Nummern, die Zeit von 1540 bis 1590 umfassend; dazu
kommen: eine Sammlung Couplets, Manuskript von
6 Seiten auf Papier des XV. oder XVI. Jahrhunderts,
und ein gegen i72ogcschriebcnes Manuskript spanischer
Liebeslieder.
Leo Liepmannssohns Autographenkatalog 141
(Berlin S W, Bemburgerstr. 14) enthält wieder viel Inter-
essantes. U. A.: Chainisso L. a. s. 12. März 1807, an
Varahagen und Wilh. Neumann, 20 M. ; Goethe, 3 Briefe
ausWeimar 1827, un ediert, Adressat unbekannt, 180 M ;
Elisabeth Goethe, Frankfurt 29. Januar 1787, unediert,
Adressat unbekannt, 300 M. ; Homnanns waldau, 2 Briefe
ä36 M. und 32 M.; Klopstock, L. a. s., Zürich 16. Januar
1751 an seinen Verleger Hemmerde, 36 M.; Lenau,
Wien 2. April 1840 an ßauemschmied, 150 M.; Schiller,
Weimar 15. Januar 1801 an Göscher, aoo M.; Schopen-
hauer, Frankfurt 22. Oktober 1857 an Dr. Ascher in
Leipzig, 8$ M.; Beethoven, an Tobias Hastinger, 200 M. ;
Brunetti, musikalische Manuskripte ä 250 M. und 200 M.j
Haydn, Wien 25. März 1796, 115 M.; Franz Schubert,
eigenhändiges Musikmanuskript (2 Lieder) mit Namen
und Datum; das zweite Lied unediert, 425 M. Ein Nach-
wort besagt, dass Herr Licpmannssohn ferner noch aus
Privatbesitz eine grössere Anzahl hervorragend schöner
Briefe von Schubert, Mozart und Beethoven erwarb, die
in dem Kataloge nicht mehr Aufnahme finden konnten.
Richard Rertlings (Dresden) Autographenkatahg
No. 34 enthält u. a. (ohne Preisangabe) die unter der
Bezeichnung „Albuin Fuchs" berühmte Sammlung von
163 Originalmusikhandschriftcn aus der Zeit von t8i7
—1851. Ferner ein kostbares Stammbuch mit mehr als
hundert Widmungen von Künstlern, Dichtem und Schrift-
stellern der Gegenwart. Erwähnung verdient weiter:
Heine, Origman. Paris 12./2. 40, Artikel über Louis
Philipp (M. 400); Heine, Origman; Fragment einer
Korrespondenz an die Augsb. Allgera. Ztg. (M. 60);
Kant, 1 BL Manuskript (M. 40); Mendelssohn-Bartholdy,
2 Briefe (a M. 45 u. 60); Schumann, 3 Briefe (M. 25 u.
50); Seume, 2 Manuskripte (ä M. 75); Wagner, Brief
14/10. 63 an Graf Alb. Nostitz (M. 120); Wieland,
3 Briefe (12, 45, 30 M.) ; Zola, 2 Briefe (M. 10 u. 12).
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diesmal aus; die notwendigen Nachträge werden in der
„Rundschau" des nächsten Heftes erfolgen. — Heft 8
erscheint in den ersten Tagen des November. — Wir
bitten wiederholt, alle Zuschriften für die „Zeitschrift
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22.
.»Abb. jM.
" „Alk all
3-
Rembrandt
1*
van Dyck
23.
159 Abb. 3 M.
»Abb. 3M.
4
Michelangelo
14
Ludw. Richter
24.
05 Abb. | M.
,«7 Abb. jM.
5-
Dürer
IS«
Watteau
25-
134 Abb. 3 M.
9a Abb. 3 M.
6.
Velazquez
16.
Thorwaldsen
26.
48 Abb. a M.
146 Abb. 3 M.
7-
Menzel
17
Holbein d. J.
27.
141 Abb. 3 M.
ist Abb. 3 M.
8.
Teniers d. I.
18.
Defregger
28.
63 Abb. 7M
90 Abb. 3M.
9-
A. v. Werner
1 9-Terborch JanSteen
29.
115 Abb. 3 M.
95 Abb. 3 M.
10.
Murillo
20.
Reinh. Begas
30.
67 Abb. . M.
117 Abb. j M.
Chodowiecki
104 Abb. 3 M.
Tiepolo
74 Abb. 3 M-
Vautier
»•Abk. ]M.
Botti Celli
90 Abb" 3 M.
Ghirlandajo
05 Abk. 2 IL
Veronese
»8 Abk. TM
105 Abb. 3"M."
Schinkel
»7 Abb. 3 M.
Tizian
113 Abb. 3 M.
Correggio
3» M.
von Schwind
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32. Rethel
115 Abb. j M.
3 3 Leonardo da Vinci
34-
118 Abb. 3 M.
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Hilgers, J., Ober den Index der verbotenen Bücher.
Stimmen aus Afaria Laach. LVI, p. 408 — 424.
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Eytring, Bor, Metesen und Suada.
Centralbl. f. Bibliothekswesen. XVI, p. 423—429.
Chamberlain, I., Contribiitions towardsabibliography
of folklore relating to women.
Journal of American Folklore. XII, p. 32—37.
Buchdruck:
Thomson, J., A Cooperative List of Incunabula.
Public Libraries. IV, p. 327—28.
Naeter, H., Ein Gutenberg- Album.
Der Sammler. XXI, No. 7.
Artioli, R., Francesco Bartolom e la sua opera.
La Bibliofiiia. I, p. 23 — 104.
Barbara, F., Stampatori umanisti del rinaseimento.
Nuova Antologia. CLXVII, p. 65-85.
Cordier, H., Un incunable anglais consent a Albi.
Revue des bibliothiques. X, p. 110— 113.
Das Missale speciale L. Rosenthals.
Börsenbl. f. d. deutschen Buchhandel. No. 194.
Hupp, O., Ein Missalc speciale, Vorläufer des Psalters
von 1457.
Centralbl. f. Bibliothekswesen. XVI, S. 361 — 368.
Schmidt, A., Das Missale speciale L. Rosenthals.
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Beiblatt.
(Rundschau der Prost«.)
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Fred, W., Die erste Frauenrechtlerin [Mary Woll-
stonecraft]. Allgem. Ztg. Beil. No. 184.
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alle übrigen: '/, Seite 60 M., «/, Seite 30 M., '/s Seit« 'S M., */» Seite 8 M.
B«l Wiederholungen entsprechender Rabatt; Vorzug«- und Umschlagseiten, sowie besondere Beilagen nach Vereinbarung.
Schiusa für die Anseigenannahme jede* Heftes am 10. des vorhergehenden Monats.
Anteifea ferl. zu richtest an di« VarUjihandlune Velharen & KUsing, Abteilung fiir Inserate. Leipiic. Friedrich Auenm.tr. ».
RtdaktioDtlle Zuschriften. Kataloge etc. an den H.r.usgeber.- Fedor von Zobeltitt ■■ Berlin W.. Augsburgentrasse et.
An unsere Leser!
Mit dem nächsten (April-) Heft beginnt der vierte Jahrgang der „Zeitschrift für Bücher-
freunde''. Es sei uns gestattet, hier zu wiederholen, was uns kürzlich ein hervorragender Ge-
lehrter über die abgeschlossen vorliegende Bändereihe unserer Zeitschrift schrieb:
. . . „Ich muss Ihnen ausdrücken, welche Freude mir ihre prächtige .Zeitschrift für Bücherfreunde*
macht und mit welchem grossen Interesse ich sie von Anbeginn ab verfolgt habe. Allerdings kann ich
Ihnen nicht verhehlen, dass ich zuerst in Sorge gewesen bin, ob ein Organ von so vornehmer Eigenart,
ein Blatt, das sich auch schon rein äusserlich durch die .Stilreinheit seiner Toilette aus der Hochfluth der
Zeitschriftenlitteratur heraushebt, genügend Anhänger finden wurde; denn noch immer marschiert das
Volk der Denker und Dichter in Bezug auf die Bücherliebhabcrei nicht an der Spitze der Kulturnationen
— noch immer büdel das Buch selbst in den Kreisen derer, die sich an materiellen Genüssen nichts zu
versagen pflegen, das Aschenbrödel im Hause. Dass Ihre Anstrengungen der .Zeitschrift für Bücherfreunde'
den Boden sichern konnten, ist mir eine aufrichtige Genugthuung. Ich greife häufig zu den bereits
erschienenen fünf stattlichen Banden . . . und kann Ihnen zugestehen, dass ich immer wieder Aufsätze
finde, die mein lebhaftes Interesse in Anspruch nehmen — nicht nur jene Abhandlungen, die lediglich
für den Forscher geschrieben scheinen, sondern auch die zahlreichen Artikel, die mehr für den gebildeten
Laien, für den Kunst- und Litteraturfreund , den Büchersammler aus Passion, also sagen wir zusammen-
fassend : den Bibliophilen bestimmt sind ; auch in ihnen finde ich als Mann der exakten Wissenschaften
oft Neues, stets aber Anregendes . . . Viel Glück zum neuen Jahre und noch ein paar tausend Abonnenten
mehr!" . . .
Es brauchen nicht gleich ein „paar tausend" zu sein. Wir sind auch für ein paar hundert
neue Abonnenten dankbar, wenn die alten uns treu bleiben. Denn Gottlob, über die „Anfangs-
sorgen" sind wir längst hinaus — Dank der Zusammengehörigkeit unserer Gemeinde, die sich
von Jahr zu Jahr erweitert hat und, im Anschluss an die kräftig aufblühende Gesellschaft der
Bibliophilen, den Kampf gegen das Aschenbrödeldasein des deutschen Buches erfolgreich weiter
führen wird. In den drei Jahren des Bestehens dieser Hefte hat sich in dieser Hinsicht bereits
mancherlei gewandelt. Die moderne Buchausstattung ist geschmackvoller geworden; vor allen
Dingen aber ist es uns gelungen, auch in weiteren Kreisen der gebildeten Welt das Interesse
für Bücherkunde und Buchwesen zu wecken, für Materien, die bisher nur die Fachlitteratur zu
beschäftigen pflegten. Das Jahr der grossen Gutenbergfeiern ist ein Jahr neuer fröhlicher
Hoffnungen für uns. Wir bitten unsre Freunde, auch fernerhin nach Kräften für die Verbreitung
der „Zeitschrift für Bücherfreunde" wirken und das Abonnement rechtzeitig erneuern zu wollen,
damit in der Zusendung der Hefte keine Unterbrechung eintritt.
Leipzig und Berlin. Verlag und Redaktton.
Z. f. B. 1899/1900. it/ia. Beiblatt. — 1 — l
Rundschau der Presse.
Von Arthur L. Jellinck in Wien.
Di« nachfolgende Oberlicht «wicht, die in TagesbUttem. Wochen- und Monatsschriften enthaltenen Aufsaue und Abhandlungen,
soweit lit für di« Leeer unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in tackhektr Anordnung tu verteichnen. Nor das Wichtigere aus den Ver-
öffentlichungen der IcUten Monate kann berücksichtigt »erden. Absolute Vollständigkeit tu erreichen liegt für den «iuclnen Bearbeiter
austerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Die Zeitschriften sind nach Bänden. Jahrgängen, Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf-
fiadbarkeit, citiert. Gtcichnustigkeit ist hierin nicht angestrebt. Zusendung von Seowmtab drücken und Aueecfcnitten an die Adresse de«
i (Wien vn. Kirch enga.ee JJ)
Schrift', Buch- und Bibliothekswesen.
Bibliographie:
Internationale Bücherstatistik.
Börsenbl. f. den deutschen Buchh. 1899. No. 258,
259. 260.
Mouravit.G , Edouard Tricotel et ses varietes biblio-
graphiques.
Revue Biblio-Iconographique. 1899. VII, p. 393
—403.
Nestle, E., Kleinigkeiten zur Bibliographie des grie-
chischen Neuen Testaments.
Centrcdbl.f. Bibliothekswesen. 1899. XVI, p. 551
—555-
Pech, T., Übersetzungen aus dem Deutschen in die
slavischen, die magyarische, die roman. u. die ost-
europ. Sprache.
Börsenbl. f. d. deutschen Buehh. 1899. No. 296.
La terza Reunione della Societa Bibliografica Italiana.
Centralbl.f . Bibliothekswesen. 1899. XVI, p-549 — 55»-
Rostagno, E., II Monumentum Gonzagium di Giovanni
Benevoli o Buonavoglia.
La Bibliofilia. 1899- I. P- 145—168.
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Xineteenth Century. 1900. XLVII, p. 73 — 87.
Horoviu, J., Die Geschichte von „Tausend und eine
Nacht". Frankfurter Ztg. 1899. No. 254
Münz, S., Rahel v. Varnhagen.
Pester Lloyd. 1900. No. 7.
Spielhagen, F., RaheL National-Ztg. 1899. N0.732.
S^chd, L-, Alfred de Vigny et Marie Dowal.
Revue bleue. 1900. 4. ser. XIII, 1. No. 1.
Aulard, M. A., Voltaire professeur de mensonge.
Revue bleue. 1900. 4. ser. XIII, 1. No. 1.
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Hamburg. Correspondent, Sonntagsb. 1899. No. 26.
Mülinen, F. W. v n Wicland in Bern.
Allgem. Schweizer Ztg., Sonntagsbeilage. 1899.
No. 43, 44.
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werke.
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Dieselben. No. 107. — Porträts des XVI— XIX. Jahr-
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Dieselben. No. 31 5. — Forst- und Jagdwissenschaft;
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Derselbe, No. 240. — Litterarische Seltenheiten.
Derselbe. No. 241; 242. — Ältere deutsche Litteratur.
Derselbe. Supplement zu Kat. No. 240/242.
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*»■ welche die Meister des 14., 15. und 16. Jahrhunderts schufen. Diese Epoche, die Blütezeit der klassischen
Malerei überhaupt, brachte uns auch die herrlichsten und erhabensten Schöpfungen religiöser Kunst.
Aus diesem reichen Schatze der deutschen, italienischen und niederländischen Kunst jener Jahrhunderte
sind in den „Vier Evangelien" über 300 der hervorragendsten, heute in den Kirchen, Museen und Privat-
sammlungen der ganzen Welt zerstreuten Gemälde ausgewählt worden, die — ausnahmslos der Lebens- und
Leidensgeschichte des Heilandes gewidmet — als der würdigste und edelste begleitende bildliche Schmuck
zu den Evangelien erscheinen.
Es ist wohl noch nie in gleicher Weise unternommen worden, die bildende Kunst so unmittelbar mit
der heiligen Schrift zu verbinden, und wenn das Werk in erster Linie natürlich dem christlichen deutschen
Hause dienen soll, so bietet es weiterhin aber anch für jeden Kunstfreund eine selbständige Fülle von An-
regungen, da es einen in ähnlicher Art noch nicht vorhandenen, vollständigen Überblick über die gesamte
religiöse Kunst in ihrer klassischen Epoche giebt.
In einem Anhange sind ausserdem orientierende Aufsätze aus berufener Feder über die Meilter,
deren Gemälde das Werk wiedergiebt, und ihre Stellung in der Kunstgeschichte beifügt.
Die Reproduktion der Bilder, die nur nach Originalaufnahmen erfolgte, ist als mustergültig zu bezeichnen,
wie überhaupt das Werk in seiner ganzen Ausstattung und Durchführung als eine hervorragende Leistung
des Buchgewerbes überall anerkannt werden dürfte.
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Hamberg iw,
Haer. Joseph, ft Co. 3j8ff. .167.
Bjrl.it.ui. Georg 462.
Barlow. S. L M. iTT
Bayr, Juhn« m,
de Baiel. K. »58.
BeariMey, Aubray j-.. f. . ?;.
v. fteauvaia, ViiKena a tt.
Bechtermurue. Heinrich u. Niko-
laus 4SI.
Bechthold von Hanau *ct.
Beckenhaub, Johann ist.
Becker. Carl l.eonhafq 170.
Beer. Rudolf 401 ff.
Becgarsteff. Bröthen »o. 172.
Behren*. Peter 460.
Belgiea 2ÖJL
Bell. R. Anning aöi. 371. 177.
Bellaert. Jakob ajfc
Berlage. H. P. ^
Berlin 283.
Berlin.K^LKupfemichkabinet 39^.
Bernhardt. Sarah 3 10.
Frb. v. Bcrnus. Alexander
de Berry, Heraogin ui.
Bcrtaldus, Jacobua aov.
Berlin, K. an».
Bertling. Richard 1 7/. 3.
Beskow. Elsa 20& 466.
Beta. N. M
Bewick. ffiioma» _
Bibel ji^^^ü, J0*. ,
Bibei.^O 2 eilige aal.
Bibel vun Fust uT5ch.iffer 1462.
_«*. «44-
Biblta pauperum 41a. 410. im.
„Bibliobus, Lb" 167 ■
„Bibliographe moderne" 326.
Bibliographisches 124. H7. »8.
i«. 1<3. 47'-
Bibliophilen 151 ff, 40t. 4*4
liolhtca Americana Vetuitis-
Bibltotheca Americana
tima oa.
Bibliotheken 40t ff.
Bibliothek. Konüri-, ru Brüssel n».
Bibliuthckszeichen 377-
Biedermann, Andreas ^^o.
Biedermann. Karl u6.
Bilderbogen für Schule und Haus
»6,
Binder i?>
Bind»»!.. .11 377.
v. Himer. August MI.
Biographie, augetn! deutsche 1
Biographien age.
Bisiurck 177. noff.
Blockbiichert^i. 1^9, 1 o ll 4_i8. jjo.
Blum. Hans 274.
Blumauer, Alois 108.
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Bcihmen alt, WB.
Bonn. H.~tT 455.
Bolte, Johannes ^85.
Booers Edelaietn 410.
Book. Tb*, of the l»ead mg.
Borna ann, Edwin 37H ff
Borovsky, F. A. tijfT.
v. Bortfelde. Gebhard all.
Boesch. Hans 176. ;?ar~l^.
,4k>u*-en-Sierkunst" a^l. »eo.
Bradley. W. »77.
Brandenburg a&a.
Brandl. Sebastian iv>.
Braune. Hugo L. tbi.
Branvewener, Mrnsl jr...
Bremmer 2S8.
Breviartum UI.
Briefe u>K aia. 4^;..
BncfmaJcr \ v> r 41.1
Bnon. Friederike i6Tj.
Brockhau*, F. A. 10 \.
Brockbaus. Rudolf 321
Broekhoff. I. P. jc^
de Brou, Charles 4 14.
Brunei Ut.
de Bry. Theodor ^jj. ü«.
Buch der vier Historien 4^0.
Buch der Konige 414, 419-
Buchati**tattung 24911. 4 ^o ff.
Buchansstellung, Muncheocr 377 t
Buchbinderei 10 1. 460.
Buchdruckerg e»chichiej22, tat t
l«4 ff, «4, 363, 4091t
Buchdruckerpresse 4 tt.
Buchschmuck 177 f.
Buchunuchlage 249 ff. 315.
Bikherdieb»lar>le ~2B7.
Bücherhandel, erster Anfang 44p.
Bücheiyraiie <yi , i6j. 4&7-
Budg*. f.. a. wäinrii^r
Buntpapier 125.
Busch. Wilhelm £07^
Cachet. Lion aj . 1312. aco.
Carl-Nielsen. A. M. itä.
Carlebach. Emst / 7/. 3.
Caae, Jules Mfc
Castelli. I. r«j, w
Castillo. jdanueT lalr "
Catalogue ol Book*. The English
40*.
„Centralblatt f.Bild.utheV»w."38ii.
Chaucer J6t.
Chelacky gL
Chinesische Dichtung sja.
Christiansen, R. att.
Chrt Mine v. Schweden 34a.
Christoph, der heilige 41t, iiy
CTiristu» unter der Kelter 41c.
Chrumolithographie 471.
Cuunberlani. A. 161.
Od iji,
Cun eilen »o. aal.
Clement 277.
Cohen, Friedrich 364.
Cohn, Alben 202.
Colenbrander. T. 2Cn.
Combat. G. 263.
Common Prayer Book m.
Constable. C 405.
Constitutione* Clemcoti* V,
Cuppens. F. 262.
Cord*)', Charlotte 142.
Corneille 265.
Coverdale Bibel 363.
Crane . Walter, zw. 252 u. atj.
370x272,32«.
Crawford 327.
Creiienach. w. a8X.
Crespin, A. 180.
Cr um well 384.
Cupido nach E. Rirani 31a.
Frh. v. Dalberg, Theaterintendant
»21 ft
Danemark 264, 277.
Daschner, Richard ^48 ff.
Dasto, Maximilian 277.
Davidsohn, Robert jm.
Day. Lewis F. 271. 367, 406.
Dearle, I. H. ajj^
Deck. Rudolf 393.
Decrctum Gratiaai *«.
Defensonum invtolatae virginitatis
b. Mariae Virginia 410. a2a.
Dehmel. Richard 363.
Bunan, Edouard 4O7.
Demy, Anton 146.
Denkmaler Cuienberg* 437. 440.
UltAlSi üli
Deposioon tto.
Deutschland 377. iÜi. lt*-
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Dibdio 421.
Dibdin-CTüb 471.
Dieckmann, Georg .181.
Dietrich. F. 366.
Doctrinale tfgj 428.
Doktor-Dissertationen is8.
Donatus , Acliua 4". 42;. ji
Dor.nj, Heinr. 3->B
Dornberger 1 'S
Doudelet. Kare) jbj.
Drachmann, Holger gjffr »6t.
Dreifarbendruck 167.
Dresden 30».
Driuehn. Andre» 1J3.
Drouol. Hölel l'/JTu
Droz, Numa i£l.
Druckerei-Geschaflskarte -
Druckerpresse 4 XX
Druckverfahren, ältestes 410.
Dubarry ««*•
Dubrowski, Peter 347.
Durandus. Guiüclmus 446.
Dürer. Albrecht 353. 4»|.
Düsseldorf 306.
Dysselhof, GTW. k.0.
Ebart, Egon »77 t.
Ebers. Georg 380.
Echtermeyer, ThT »74
Eikermann 108.
Eckmaan. Otto »64.
Edel. Alfredo 2^.
Kdelfelt. A. 100
Eder. J. M. jlS,
E|cge>ilein, Heinrich 4t».
Einhande 407, i'll, 1.
«IbDildupgsmvtD. 1S7.
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Einbände.
360. 16L..I&
EiosIeT Aji2
Eusabeth Tudor Hl.
EUisaen. Hans 407.
Kmblemata. Ncderlandache 358.
Etnblemenbücher 3J3.
y. Ems. Rudolf 403.
Engt. 1. B. 36a.
England »77. 103.
Engström. Albert 16;.
Entchrist ««>.
EpialoUe . tJovae, obscuromm
virorum »7 t ff. U5 ff-
Erato joj.
Essays oa Librianzh.p 314.
Ems 35».
Eulentpiegel rvt.
..Euphonon" U4
Eyantccticnburn yis.
Ex-Iabri. ? 77. » rffi« MijiSi
„Exlibria- Journal" «07.
F.ysenhut. Johannes 424^
F.
Fachschule für kunstgewerbliche
Buchbinderei inDüascldorf 35b.
357. AOQ. i&Ia 304.
Facs im. le- Ausgaben 2B0. 4t».
Facsimile - Nachbildungen toi .
y>a »')3. üäi J**; ««oft
Fälschungen 403.
Farinclli. Amiro j»8.
Fedorow. Iwan 345.
Festschriften ^21 tt
Feyerabeod. Sigismund is<-
Fidus 3»j.
..Figaro illustre*, aöfi»
Pigdor. Alb. t7S. <8i. toi.
Finer. Cunrad tqa.
Finnland 200.
Fischart. Lj£8.
Flach. Martin 303.
Floren» 367.
Flores Hesperidum m.
Flugblatter tey
Foix. Hans 174.
Forke. A. 333.
Formaii. KTT//. ».
Formschacidcr tti. 4«o-
Forrer. Robert jOofCTBat. aoa.
Forsberg. A. »67.
Fortuna In.
Frasicitcu« de Reua 410.
Frank, Sebastian 37«-
Franke. Willibald jig ff.
Frankfurt a. M. 395-
Franz- Joseph-Museum 367.
Frauen 338 ff.
Frauenemanzipation 317.
Frauenlob tu.
Frau in der venetisn Malerei s6<.
Freiligrath. F. »78.
Freund, der, des schone» Ge-
schlechtes jn^ .110.
Friedrich d. Cr. Kfc
Friedrich der Heilige t6».
Fröhlich, Ijoreni abü.
„Fronde" tri.
Kruhdruckc >»7. 343 ff. 30». 405 ff.
4JJ.
Fürstergische Hofbibliolhek 4«3-
Fast. Johann 420, 438.
G.
Gallen. Axel §69.
Gallus, Alexander 4«t. 4.18.
Ganz. Paul w.
Garnen. Richard 124.
..Gartenlaube" 376. t8c.
Gaskin, A. mj.
..Gazeue de "Königsberg"
Gedenke mein 31z.
Gedenktafel arnHof zum G ent-
fleisch 4 yS.
Gedenktafel am Hof »tun Jungen
Geiler f, Kaltenberg, Johann 380-
Genee. Rudolph »Soff.
GensKe-.se h. Fnelo 43t.
Gerardu* de Harlem 4to.
GenchtskaJender von Rottweil 37«.
„Germania" 3«B,
Gerwmus, G. G. 189.
Geschaftskarte »55-
Geschichte der heraldischen Kunst
Gesellschaft, antiquar.
Gesellschaft der Bibliophilen 3*6,
GilFnfai & RanscSburg jbo.
Gimbel, K. 383.
Gladitone 351 lt.
Gloriano Ms.
GoedeckesGrundrist ii<. Itt.
Goeiuiln'^riefenau, Alfred 401.
Goschen tn8.
Goethe »8<7"i»o. 3»" ff. jil; i^:
Goethes Mütter .liöj.
Goethe- Sammluni; Lempcrtr loati.
Gottfrieds historische Chronik jjo^
Gottsched m. W»-
Götz, Nicolaut 4t».
Coelze, Edmund J2J-
Gouda 439.
Gramhart, Cornelius 331.
Graesse tat,
Crcitlcnhagcu. M. zjo.
Grenfell iüü.
,.(»ren»botcn" 174.
Gnllparzcr 106 f.
Crisebach. EHüard 406.
Grolig. M. 466.
Grotemeyer 36».
Growoll. A. 471.
London
Grün, Anaatasni. jio.
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Gutenberg 400 ff.
Gulbrantoo. Olaf I
Gutenberus Fortrat 4". 4»4. 4»°.
4W^»M»crEl.«<ichDentinalcr )
H.
Hagen. J. Jit 465.
v. d. Hagen, Friedrich Heinrich
Hallam, Mr. tc».
Halle a. S. 147.
..Hallische Jahrbücher f. deutscht
Kunst u. Wissenschaft 4 ' 174,
Hamilton-Kollektion 363.
Hammershöj, S. »67.
Handschrift, englische 127.
Handschriften zttt. ui. 361, igi.
401 ff, 405 ; # '//, I .
Handzetchnungen 362. j^, zw.
M u. joa.
Handreichnungen alt. Meister »40.
Haenisch. Alois »85.
Hanka, O. »84.
1 Lanka, Wenzel JQV
Hansen. IL N. jST
Harsum, Klint tzy
Haritte, Henry 47».
Hartmann, Moritz U4»
Haltung, joh. Micn. 3
H* liier. Clara 174.
Hausrath. Adolf iyb.
Ha us schätz moderner Kumt zip
Haverman, H. 1. as«.
Ha Warden 352.
Ha vin. Rudolf 273. 317.
Henerle, t. M. \n.
Hedin, Sren 350.
Heer, J. C. »fti~
Heidel. P. 362.
Heidelberg trsi.
Heiligenbilder alt.
Heilmann. Andres tu.
Heitmann, Gerhard »57, 3 so. 261.
Heilispiege l 41g. sz«,. »ao.
Heine. Th. TH~y.s. IfS Iii
Heiu. I. H. Ed. 3<i.
Heitz. Paul 37b.
Hcioise tu.
Hendrikaen, Fred »77.
Henricus de Harlem 430.
Heraldik 3S7-
Herder 10 <.
Hering, Koben 311.
Hermann, Hans \t>i.
Hesse, Hermann -159.
Hesse, Max 406.
Heuer, Oskar
Heumann, Friedrich 431.
Heures III, 1.
von der Heyden, Jakob \\\.
Hieronymus s*t.
Hieronymus mit dem Löwen 4t8,
Hiltey. Karl anl_
Hirth 17
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HirzeL.lt 468, 4651 ilüi
Hirzej, H. RTC. 2S<
Hispanus, Petrus ^_
Hochegger. R. 414-
Hof zum Jungen 4*1.
Hoffmann, E. T. A. 406.
Hoffmann,
Hofllieatcr- XlmanachTWiener 230-
Hogarth tää.
Högstedt, A 2nA
Hohelied, Das 410.
Holland j ■,.
Holbein 3 C4.
Hollen. Gottschalk 37».
Holmbie, Thorolf 260.
Holscher, G. Vit.
Holascbniu » »17 17^. 377. 442. 45°-
Holzschnitt mit den Kelchs-
kleinodien 418.
Holztafeldrucke tü, 409.8. 4|Q.
Honorare für Schreiber 11 MäTer
403.
Horenbuch 335.
Horn, Alexander 421.
ter Hoernen, Amold 4S»-
vin H iytemj. Th. 1 ' ; , üi
t. Hügel 104-
Hugo, Victor t»8.
Huldigung den Krauen 303. »»•
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Humanismus 320 ff.
Huoiery. Koorad 446.
Humperdinck '162.
Huaefer-Papyrus tto.
Hupp, Otto zäSj i*K i?i
Hürning. Hans SJ i.
Hus, Johann 384.
silt, ^. 1167.
Hynais,
,,Idun" 267.
iduna top.
Illuminationen terj.
Illustration \t6.
,.IIIustrierte"Wclt" »aa.
..Indennes-el" 1:57. ~
Index 47t.
InkuitabeTn ly», t6 1. 4 ;o ff. 4SS.471.
..Italia attistica e indutliale"
Italien »54. 3QQ.
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J ä ohus de Theraroo 450.
JaniiiLtky gm
Jahrbuch f. Photographie etc. j6j
UV-inti. S.k.iff. Krau 370.
Jan de prentcr 410.
Jatufoon. I.aurcn'iut ^jfl
Jeanae d" Are jjq.
Jcllinek, ArthurT: 1661 l'Iit. % ff.
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Jerndorff, Auf. *fa«S-
Johannilerorden a8j-
johaumes Re^irooatantu 430.
Joha, Friedrich yo6.
de Ioi.j;he, Adrian 418-
Jardan. Wilhelm ^16
JörgcDten, A. I>. 205.
lojephu* <04.
..Julquallen" afiiL
Jane, R « 1*3«
Jung- Sülling, Joh. Heinrich JgJ.
Junghansuui 4»4-
Juni US, Adnaous 4»8
Jutunian 440.
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Kachelofen. Kunz
Kalender 370, tto. _
Kalender. Munchcner 363-
Kalkau. Era afifi.
Karikaturen »74. jQ7. 470.
Karlsbad 119.
Karneval slieder f//. 3.
Karpeles, Gustav jJJZ« 1 "-
Kartenmaler tto.
Kataloge tzO. 303. 364. 401 ff. 408.
KaOtarina II. von Rualland 34«.
KatiioVikon 146» . . . 4». 446.
Kaulfmann, Amelica' T^. i'»i-
Keffer, Heinrich att.
Kegel. Wilhelm 410.
Kellen, Tony IttHT
KeImscott-Pre-<s 177 i l'U. »■
Kenten . Paul 160. jjg. iOt. I 1 - 1 - .
Kestner. Charlotte 100
der Kinderen ><7.
Kipling. K. IT/Ta.
Kirchner, R. »s»-
Kittel. Paul 30».
Klemm. G. iii.
Klimt. E. 211.
v. Klinger. Friedrich Max 30c.
Klopstock 399- ,
Knecht Ruprecht 36^
Knieschek, Johann tot.
Koberger. Antonius 453.
Koch. Carl 3j2l
Koch. G. 374- .4
Koelhoff. Johann 43«! Iii
Köln 306.
KommunisteDvcrschworungen »65
Koniai. Jesuit a8y
Konig, Friedrich a8j.
Koeneckes Bilderatlas tzz.
Kanvcrsatious-Lcxikon »04.
Körner, Theodor tot, tat, toa.
Köster, Lorenz saST
Kostumbibliothek 126.
Kreidoir. Emst ü£
Krcuger, Niels 207.
Krohn Olaf afioT"^
Kupferstiche 407.
„Kunst für Alle" _^
,, Kunst, dekorative"
2J0. 25t.
re" 2t,6.
..Kunsl und Kunsthandwerk"
„Kunstschalz" >«l.
Kupferstiche Jü. tfii J77-
„Kuranty" 347
Kurth, Perdiisänd Max t2c.
Kutschmann, Tb. t.66.
Kytter. Anker 177-
Laberer. der 40t.
de Lamballe. Prioceste tso
Landor, Henry S. 13JK
lasngen. Albert 4H6.
Ü2.
Schlagwort-Register. III. Jahrg. Bd. II.
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La rasen. CIFf j6t.
Laracii, Knud 36'
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Unnrn, George »6t-
Lenipcrtz sea., Heinrich 394 ff.
Lcitau. NritoUtu 31t.
v. Lennach. Fr«, joT.
de Im Ion. Ntnofl ut.
Lenz, Reinhold ar/o.
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Leutnant, der 4"Q.
Lewy. A. «9.
Lejrpoldt. Friedrich «71
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v. Liebenau, Th. itu,
Liebhaberausgaben jjj, aQT*
Liepraaniissuhn. Leo 404 | ''//, J.
Laiicu, K. M. *??ff-
Liljefors. Kr jm,
van der Lind«. Antonnt» u t. 435.
Lipp. Iialtha«ar 449.
Frh. v. lapperheiuc 1*6. uz ff-
Lithographie
laterary bull eh» «7*-
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Liviu* 44a.
Loechei. Michael 3 11*
I.or«n<. Max 461.
Lotther, Melchior
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Lucasgila<: HO.
Lüfft, IIa»* Iis.
Luise, Konigin ua.
Lundin. Clae* jrj".
Lulher. Johann*» iüff, jooff.
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Luther« erster Bibeldrucker
Cu Lüuow, Franti» a<j|«.
Lynen. A 26X.
„Maandschrift voor Vercieringt-
kunst" *ü. a*.*. IM.
Macbeth ..PI.
Mackail, 2*1,.
Maddcn. t. F. A. ui.
„MiGuint of Art" Z7I.
Mag mim Chronicum Helgicuro^at).
de Mainteoon, Marquise 342.
Mainz £jj f.
Mantegna jfe.
Manuel d«- Heliographie 13a.
Manung der Christenheit wider
die Türken . . 4«, 44a»
Manuskripte not. ,0i.
Marani, A. 25«.
Mardrus, S. C. 328.
Mana mit dem Kinde 141t . ■ ■
Maria MMTl 33Q.
Maria Theresia jaj,
Marie- An tomclte JJJ-
Marni, Jeanne 335. «".6-
Manens, l»ierk 439.
Martin. Emst v>o. loa.
Mataloai au.
Mattliaeu» von Krakau aao. 441V
Maurice, Paul 318.
Mas. Gabriel 370,
Maxiri Grek 34 4-
Mayer. Fllen 3HL
Mazann-IIibel
Mecklenburg
e. Mcdtci, Katharina Ui-
v. Media. Mana 34a.
MehofTer, I. afta,
Mcisner. Heinrich 4*0 ff.
Melusine. Die •• hon« 354-
Memoiren 328. 3.40.
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M enteil, Johann tu. 4V0
Mentxet, E. laa.
de Merrilic, ( iuyard 287.
Methuen. Lord 1"//, a.
Meuruer, Karl »63.
Meyer Cassel. IL Z54-
Meyer-Graefe, J. 156. j6j.
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Modern, Heinrich 40» ff.
Moll. C. a«.
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Moor«, Hannah 35a.
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Moser, Koloman im ff.
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Miiller, Richard
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Münch, Edrard zoST*
München 19a .
Muaihc. Gerhard aj^L
Muiixer, Adolf 456.
Munzer, Thomas t6>,
Musenalmanach. Wiener aoS.
Museum 3j67_
Museum, Ifntish Ua. u?. «o.
t76. 407, 408, 471,
Museum, Cermaaisches 353, 418.
Museum, Schwabisches »90.
Mufikalienumschiage 254
Musikgesellscbaft. Züricher
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Napoleon I 'II, t.
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Oalcrretchiacher Kalender 1809
Otmar, Silvan m,
Ottevam, H. E
Otto. Georg j^v
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Senefelder 168
IV
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Stile of odd Volume« «s6,
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Sieffei etfc 436.
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„Simplictisimus** 470.
Sulding. Otto rfcfl
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Skovgaard, Nie]» zzzti.
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Slott-Moller. Agnes afifi.
Solu, Virgil IM.
Sophia Friederica Dorothea v.
Österreich .tos.
Soiheby ; n;. ^i- ; ; 'II, 1.
Spanien z-u.
Speculuru Cornclianucn tu.
Speculum historiale 451.
Speculum humanae salvationis
Speculum naturale 451 .
Speculum oosrrac sälutis 428.
Spencer, I.ord 415 . 43a.
Spenser's Faene yueenc tw. a$J
u. *SJ. 171.
Spielkarten 4' \. fJB
Sjucss, Wvgand 4«ij
Spindler, C. 38s.
Sporer. Haas 414.
Sporn, Carl 177.
Spottschriften mC tu ff.
Spyetz, Wvgand 43t.
„Ssewernaia Plschcla" 147.
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f eilung, Koaigsbergischc" 147.
Stadtwappen Leipzigs 3s6.
de Stael, Mmc. 343.
Stammbücher 28*;. taoff. »o.
Süssen, Frans j»5,. 457 t.
SteindruckkunstTW
Steinhaufen, Georg 46*,.
Stephens, J. G. IM K
Stieber. Wilhelm J*i
Stillic, James 35»-
Slimmer, Tobias tu. tli.
Sirassburg 35,4. 43a.
Strena 3?t.
Stuck, FFT »<t, »77-
Stu dcnlenbelusogung tu,
Studentenwohnung 33«,. 1^7.
Studentisches .tat) IT.
„Studio** J7JL
Siumcke. Heinrich
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SüRerlin 36a.
Snys, Rainer 43*7.
Sweynheim 307.
Symbolum Apostolicum 404.
T.
, .Tagebuch, ZiUausches monat-
liches" 174.
Taschenbücher sog ff.
Taschenbuch, idealisches, fiir
I 'amen 29g.
Taschenbuch für die Vaterland.
Geschichte \oo.
Taschenbuch rom K. K. pnv.
Theater in der Leopoldstadt
Taschenbuch, Wiener 300.
Taschenkaleuder, Österreich, aon.
Tausend und eine Nacht 318.
Tegner, H. 158, »61 ■ JOI. »77 ■
Teil i22.
Tennyson, Alfr. 285. 353.
Teniationcs ilannoms 420.
Tereiu 451.
Tessing, Jan tae.
Testament, Neue» 34s-
Texl - Gesellschaft . Romanische
Thalia 305.
Theatrum Kuropaeum 330.
Theaiericttel a&off.
Thesaurus curaiorum 418.
Thesen Luthers 355-
The tl er dank ±j \,
Thiel. Ewaldj^,
Thomas von Aquino 446. 44g.
Thomas a Kempis t • \
Thompson. £. Maunde \n.
Thöny, Eduard tu. 470.
Gf. Thoraoc 395.
ThonwPrikker, Johann z«i7.
Tborold. John /'//. 2.
Thorwaldseo, B. 44;.
Tibet
Tiepolo 405.
..Tijdschrut voor Vercierings-
kunst" am,
„Tilskueren" iq«,.
Tintoreuo 465.
TixaU-BibUöTEck 4<*.
Tizian 465.
Tk-idlecck 390.
Todarski, Mmon 347
v. TüggcnburK. Heinrich 2H2.
Tol-llTT. X. in.
Gf. Tolstoi, Leo 281-
Toorap, Jan 25S. 4°6-
Tolenbiich q
TotenUnz l<q. |J^-
Trachtenbücher J30
Traclatu» racionia et conscien-
tiae «St.
v. Treitschke. Heinrich . 11»
Hrzg. de la Trcmoille \i97 ~
Triniu», August 315.
Troppau to?.
Tross, Sammlung 343
Trübner. Dr. 363.
True »70.
Tucher, Anton 374.
Turbayne. A iS7 ~»7a.
Typenfortnen 41» ■
u.
..Ober Land und Meer" 14O.
Übersetzungen 385. 113» ~
Uhl, Gustav 404.
Uitoveviag vanXiederen 466,
Ulrich von Ulm 410,
Universal- Bibliothek lob.
Urania yt.
Urban, I ay>,
Urnen-Motiv für Exlibris 407.
Usteri, J. M. jia.
Uzanne, J. 38a.
Uzanne. Octavc tfil
V.
Vaarzon, Morel ate.
Valentin, V. 332.
Valerius Maxunus 451.
Veilchen, Da» 308.
Velasquez 406.
van de Velde, H.
Veldheer a«,8.
Venedig \n.
Venus und Adonis 278 g
Verard, Drucker 40c.
Vcrlagsveneichtüs des J. Menlell
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„Ver sacrum" »50, 263. 284.
Vesta jjj. " rl -
Vetter.rerd. 371.
Vucnetteu isq,
VJia, A. 2«.
Villiers del/Ule-Adam 4 07,
Virgil 45t.
Visscher. R. 339.
Viamischen 32T.
Vocabulariua ex quo 4SI-
Vogeler, Heinrich 4<o I.
Vogl. J. N. Jü
Voirt. Karl
Volkibucher t'.t.
Voll, Karl 40^
Vollmöller, Karl »07.
Vorsatzpapier 333. 36».
de Vries, A. GTT!. 35S.
Vulgiu», Christiane 307,
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Wackernagel. Wilhelm 389.
Wahlverwandtschaften 322,
„Walhalla" jta.
Walther, Friedlich 414.
Wappen 363. 434,
Wappenbücher 333. 3.S9-
Weber, Joseph 341.
Webers Katechismen 460,
Wcberlied a«<.
Weigel. T. O. 41».
Weinnachtsnununex 471.
Weimar 107.
Weiss. ER 461.
Weustein, Golthilf 40T.
Wennerberg, G. Gison 264.
Werenskiold, Erik j&JL
Wermuth. Dr. iB-,,
Wesendonek. Hugo 315.
Wessely vn.
Westmarun. E. 267.
White, Gleesen 272.
Widmungsblatt 313.
Wieland 197.
Wiener Luft »iq.
Wiesner, Adolf 376.
Wilkowski, Georg 366.
Wolfenbüttcl y>i.
Wolkan. RudofTjoi.
Womrath, Kay 371.
Woodville. Anthony 363.
„Wedomosti" 117,
„Wedomosd, St.
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Wirbel, AT 2Qq,
Wustrnann, U. ist ff.
Wyklyffe irü, jjo.
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Wysi, Joh. Rud7"in.
Zainer, Hans i7*$7
Zaretzky, O. i|jT-
Zdrasila. Adolf j6-.
Frh. v. Zedbu. J. Chr. 1Q7.
Zehender, Joh. Kaspar 199.
Zrhme. W, 382.
Zeitschriften .]<*■■■
Zeitschriften, spanische 287.
„Zeitschr. f. vergl. Litteratut-
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Allen. Schlesiens" »85.
Zeitungen 37B.
Zeitungsgeschichte t47.
Zeiiungswrsen 4^.
Zeilung, Hallische 310.
„Zeitung, St. Pelenbuxtter' *
..Zeitung, Vossische** 28*;.
Zell. Ulrich
Zelter. Karl
Zensur 307.
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Zimmermann, Wilhelm
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Zizka. Johann . H |.
v. Zobcltitx, Fedor. 278 ff. 456 C
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Zum 28. August 1899 330.
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