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Full text of "Dichtungen"

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Dichtungen 



Georg Heyrri 



GEORG HEYM 

D ICHTUNGEN 




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KURT WOLFF VERLAG 



MÜNCHEN 1922 



DlESe AUSGABE DER DICHTUNGEN GEORG HEYMS WURDE 

ßE5ÜHGT VON DR. KURT i^lNTHUS UND ERWIN LOEWENSON 







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COPYRIGHT 1922 BY KURT WOLFF VERLAG. A.-G., MÜNCHEN 
DRUCK DER ROSSBERG'SCHEN ßUCHDRUCKEREl IN LEIPZIG 



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DER EWIGE TAG 



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B£RLIN I 



Beteerte Fässer rollten von den Schwellen 
Der dunklen Speicher auf die hohen Kähne. 
Die Schlepper zogen an« Des Rauches Mähne 

Hing rußig nieder auf die öligen Wellen. 

Zwei Dampfer kamen mit Musikkapellen. 

Den Schornstein kappten sie am Brückenbogen. 
Rauchy Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen Wogen 
Der Gerbereien mit den braunen Fellen. 

In allen Brücken, drunter uns die Zille 
Hindurchgebrachty ertdnten die Signale 
Gleichwie in Trommeln wachsend In der Stille. 

Wir ließen los tmd trieben im Kanäle 
An Gärten langsam hin. In dem Idylle 
Sahn wir der Riesenschlote Naehtfanale. 



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BERLIN II 

Der hohe Straßenrand, auf dem wir lagen, 

War weiß von Staub* Wir sahen in der Enge 

Unzählig: MenschenstrOme und Gedränge, 

Und sahn die Weltstadt fern im Abend ragen, , 

Die vollen Kremser fuhren durch die Menge. 

Papierne Fähnchen waren drangeschlagen. ' 
Die Omnibusse, voll Verdeck und Wagen. 
Automobile, Rauch und Hupenklänge. 

i 

Dem Riesensteinmeer zu. Doch westlich sahn 
Wir an der langen Straße Baum an Baum, 
Der blätterlosen Kronen Filigran. 

Der Sonnenball hing groß am Himm e lssa um . 
Und rote Strahlen schoß des Abends Bahn« 

Auf allen Köpfen lag des Lichtes Traum. 



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LAUBENFEST 

Schon hängen die Lampions wie bunte Trauben 
An langen Schnüren über kleinen Beeten, 

Den grünen Zäunen und von den Staketen 
Der hohen Bohnen leuchtend in die Lauben. 

Gesumm von Stimmen auf den schmalen Wegen. 
Musik von Trommehi und von Blechtrompeten. 
Es steigen auf die ersten der Raketen 
Und platzen oben in den Silberregen. 

Um einen Maibaum dreht sich Paar um Paar 
Zu eines Geigers hölzernem Gestreich, 

Um den mit Ehrfurcht steht die Kinderschar. 

Im blauen Abend steht Gewdlke weit, 

Delphinen mit den rosa Flossen gleich, 
Die schlafen in der Meere Einsamkeit. 



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DIE ZÜGE 



Rauchwolken» rosa« wie ein Früliling^tag» 
Die schnell der Züge schwarze Lunge stdBt, 

Ziehn auf dem Strom hinab, der riesig flößt 
Eisschollen breit mit Stoß und lautem Schlag. 

Der weite Wintertag der Niederung 
Glänzt fern wie Feuer rot und Gold-Kristall 
Auf Schnee und Ebenen» wo der FeuerbaU 
Der Sonne sinkt auf Wald und Dämmerung. 

Die Züge donnern auf dem Metlendammei 
Der in die Wälder rennt» des Tages Schweif. 

Ihr Rauch steigt auf wie eine Feuerflamme» 

Die hoch im Licht des Ostwinds Schnabel zaust» 

Der, goldgefiedert, wie ein starker Greif, 
Mit breiter Brust hinab gen Abend braust 



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BERLIN III 



Schornsteine stehn in grofiem Zwischenraum 

Im Wintertag, und tragen seine Last, 

Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast. 

Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum. 

Fem zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus, 
Zäimen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt, 
Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt 

Ein langer Güterzug sich schwer hinaus. 

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein» 

Die Toten schaun den roten Untergang 

Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein. 

Sie sitzen strickend an der Wand entlang, 

Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein, 
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang. 



XI 



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DER HUNGER 

Er fuhr in einen Hund» dem grofi er sperrt 
Das rote Maul. Die blaue Zunge wirft 

Sich lang heraus. Er wälzt im Staub. Er schlürft 
Verwelktes Gras, das er dem Sand entzerrt. 

Sein leerer Schlund ist wie ein großes Tor, 

Drin Feuer sickert, langsam, tropfenweis. 

Das ihm den Bauch verbrennt Dann wischt mit Eis 

Ihm eine Hand das heiße Speiserohr, 

Er wankt durch Dampf, Die Sonne ist ein Fleck, 
Ein rotes Ofentor. Ein grüner Halbmond führt 

Vor seinen Augen Tänze. Er ist weg. 

Ein schwarzes Loch gähnt, draus die Kälte stiert. 

Er fällt hinab und fühlt noch, wie der Schreck 
Mit Eiseniäusten seine Gurgel schnürt. 



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DIE GEFANGENEN I • 



Den harten Wes^ entlang im kurzen Trab 

Zieht sich der Sträflingstrupp, der heim marschiert 

Durch kahle Felder in das große Grab» 

Das wie ein Schlachterblock ins Graue stiert* 

Sturm singt. Wind pfeift. Vor ihnen weht und irrt 

Ein Haufe alter Blätter kunterbunt* 

Die Wächter schließen ihren Zug. Es klirrt 

An ihrem Rock das große Schlüsselbund. 

» 

Das breite Tor geht auf im Riesenbau 

Und wieder zu. Des Tages roter Rost 
Bedeckt den Westen. Trübe in dem Blau 
Zittert ein Stern im bittem Winterfrost. 

Und ein paar Bäume stehn den Weg entlang 

Im halben Licht verkrüppelt imd beleibt. 

Wie schwarz aus einer Stirn gekrümmt und krank 

Ein starkes Horn steht und nach oben treibt. 



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• DIE GEFANGENEN II 



Sie trampdii um den Hof im engen Kreis. 

Ihr Blick schweift hin und her im kahlen Raum« 
Er sucht nach einem Feld, nach einem Baum, 
Und prallt zurück ron kahler Blauem WeiB, 

Wie in den Mühlen dreht der Radergang, 
So dreht sich ihrer Schritte schwarze Spur. 
Und wie ein Schädel mit der Mönchstonsur, 

So liegt des Hofes Mitte kahl und blank. 

Es regnet dünn auf ihren kurzen Rock« 
Sie sehaun betrübt die graue Wand empor, 
Wo kleine Fenster sind, mit Kasten vor, 
Wie schwarze Waben in dem Bienenstock. 

Man treibt sie ein, wie Schafe zu der Schur. 
Die grauen Rücken drängen in den Stall. 
Und klappernd schallt heraus der Widerhall 
Der Holzpantoffeln auf dem Treppenflur. 



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DER GOTT DER STADT 



Auf einem Häuserblocke sitzt er breit. 
Die Winde lagern sdxwasz um seine Stirn. 

Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit 
Die letzten Häuser in das Land verirm. 

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal» 

Die großen Städte knieen um ihn her. 

Der Kirchenglocken ungeheure Zahl 

Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer. 

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik 

Der Millionen durch die Straßen laut. 

Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik 

Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut. 

Das Wetter schwält in seinen Augenbrauen. 

Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt. 
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen 
Von seinem Haupthaar» das im Zorne sträubt. 

£r streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust. 
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt 
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust 
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt. 



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DIE VORSTADT 



In ihrem Viertel, in dem Gassenkot, " ^ ■ 

Wo sich der grofle Mond durch Dünste drängt i 

Und sinkend an dem niedem Himmel hängt, . 

Ein imgeheurer Schädel, weiß und tot, ' . | 

Da sitzen sie die warme Sommernacht 

Vor ihrer Hohlen schwarzer Unterwelt, 

Im Lumpenzeuge, das vor Stoub zerfällt 

Und aufgeblähte Leiber sehen macht. * 

Hier klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reiBt. 
Hier hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf. . 
Ein Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf, 
Wo hockt ein Greis, des Schädel Aussitz weißt. 

Es spielen Kinder, denen früh man brach 

Die Gliederchen. Sie springen an den Krücken 
Wie Flöhe weit und humpeln voll Entzücken 
Um einen Pfennig einem Fremden nach. 

Aus einem Keller kommt ein Fischgeruch, 
Wo Bettler starren auf die Gräten böse. 

Sie füttern einen Blinden mit Gekröse. 

£r speit es auf das schwarze Hemdentuch. \ 

i 

alten Weibern löschen ihre Lust 
Die Greise unten, trüb im Lampenschimmer, 
Aus morschen Wiegen schallt das Schrden inmier 
Der magren Kinder nach der welken Brust. 



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Ein Bliniksir dreht auf schwarzem, gro0em Bette 
Den Leierkasten za der Carmagnole, 

Die tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle« 
Hell klappert in der Hand die Castagnette» 

Uraltes Volk schwankt aus den tiefen Lochern, 
An ihre Stirn Laternen vorgebunden. 
Bergmännem gleich, die alten Vagabunden. 

Um einen Stock die Hände, dürr und knöchern. 

Auf Morgen geht's. Die hellen Gldckchen wimmern 

Zur Armesündermette durch die Nacht. 

Ein Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern 

£unuchenköpfe, faltig und yerwacht. 

Vor steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne, 
Ein. Totenkopf mit zwdl gekreuzten Knochen. 
Man sieht die . Schläfer nihn, wo sie gebrochen 

Um sich herum die höllischen Arkane. 

Am Mauertor, in Krüppeleitelkeit 

Bläht sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke, 
Er schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke, 
Wo lautlos ziehn die Meteore weit. 



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DIE DÄMONEN DER STÄDTE 



Sie wandern durch die Nacht der Städte hin, 
Die schwatz sich ducken unter ihrem Fu6« 
Wie Schifferbärte stehen um ihr IQnn 
Die Wolken schwarz Tom Rauch und Kohlenruß. 

Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer 
Und löscht der Straßen Lichterreihen aus. 
Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer 

Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus. 

Den einen FuB auf einen Platz gestellt, 
Den anderen gekniet auf einen Turmy 
Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt, 
Panspfeifen blasend in den Wolkensturm. 

Um ihre Füße kreist das Ritomell 

Des Städtemeers mit trauriger Musik, 

Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell 

Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg. 

Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit 

Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt 

Von den Laternen, in die Dunkelheit 

Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt. 

Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand 
Und stecken ihre Hände in den Schwärm 
Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand 

Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm. 



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Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt 
Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht» 
Die sich wie Biet Tom fttutem Htinmel senkt. 
Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht. 

Der Städte Schultern knacken. Und es birst 
Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt. 

Breitbeinig sitzen sie auf seinem First 

Und Schrein wie Katzen auf zum Firmament. 

In einer Stube voll von Finsternissen 
Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn. 
Ihr starker Leib ragt riesig aus den KisseUi 
Um den herum die großen Teufel stehn. 

Sie hält sich zitternd an der Wehebank* 
Das Zimmer schwankt lun sie von ihrem Schrei, 
Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang 
Und blutend reißt er von der Frucht entzwei. 

Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen. 
Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter liält 
Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen 

Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt. 

Doch die Dämonen wachsen riesei^^rofi. 

Ihr Schläfenhom zerreißt den Himmel rot. 
Erdbeben donnert durch der Städte Schoß 
Um ihren Huf» den Feuer überloht. 



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DER BLINDE 



Maa setzt ihn hinter einen Gartenzaun. 
Da stört er nicht mit seinen Quälerein. 

„Sieh dir den Himmel anl" Er ist allein. 
Und seine Augen fangen an zu schaun. 

Die toten Augen. „Oh, wo ist er, wie 
Ist denn der Himmel? Und wo ist sein Blau? 
O Blauy was bist du? Stets nur weich und rauh 
Fühlt meine Hand, doch eine Farbe nie. 

Nie Puipurrot der Meere. Nie das Gold 
Des Mittags auf den Feldern, nie den Schdn 

Der Flamme, nie den Glanz im edlen Stein, 
Nie langes Haar, das durch die Kämme rollt. 

Niemals die Sterne. Wälder nie, nie Lenz 
Und seine Rosen. Stets durch Grabesnacht 
Und rote Dunkelheit werd' ich gebracht 
In grauenvollem Fasten und Karenz.'^ 

Sein bleicher Kopf steigt wie ein Lilienschaft 
Aus magrem Hals. Auf seinem dürren Schlund 

Rollt wie ein Ball des Adamsapfels Rund. 
Die Augen quellen aus der engen Haft, 

Ein Paar von weißen Knöpfen. Denn der Strahl 
Des weißen Mittags schreckt die Toten nicht. 
Der Himmel taucht in das erloschene Licht 
Und spiegelt in'^dem bleiernen Opal. 



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DIE TOTE IM WASSER 



Die BAasteii ragen an dem grauen Wall 
Wie ein verbrannter Wald int frühe Rot, 

So schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot 
Zu Speichern stiert, die morsch imd im Verfall* 

Dumpf tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut 
Den Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt 
Wie eine weiBe Haut im Strom und reibt 
Sich an dem Dampfer, der im Docke ruht. 

Staub, Obst, Papier, in einer dicken Schicht, 
So treibt der Kot aus seinen Röhren ganz. 
Ein weifies Tanskleid kommt, in fettem Glanz 

Ein nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht. 

Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht 
Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind. 
Die toten Augen starren groB und blind 
Zum Himmel, der voll rosa Wolken steht 

Das lila Wasser bebt Ton kleiner Welle. 

— Der Wasserratten Fährte, die bemannen 

Das weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen. 

Voll grauer Kapf e und yoU schwarzer Felle. 

Die Tote segelt froh hinaus, gerissen 

Von Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt 

Dem Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt. 
Wie eine Grotte dröhnt er von den Bissen. 

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treibt ins Meer* Ihr salutiert Neptun 

Von einem Wrack, da sie das Meer verschlingt» 
Darinnen sie zur grünen Tiefe sinkt. 
Im Arm der feisten Kraken auszuruhn. 



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DER SCHLÄFER IM WALDE 



Seit Morgen ruht er. Da die Sonne rot 
Durch Regenwolken seine Wünde traf. 

Das Laub tropft langsam noch. Der Wald liegt tot. 
Im Baume ruft ein Vögelchen im Schlal. 

Der Tote schläft im ewigen Vergessen, 

Umrauscht rom Walde. Und die Würmer singen» 

Die in des Schädels Hdhle tief dch fressen, 

In seine Trätune ihn mit Flügelklingen. 

Wie süß ist es, zu träumen nach den Leiden 
Den Traum, in Licht und Erde zu zerfallen. 
Nichts mehr zu sein, von allem abzuscheiden 
Und wie ein Hauch der Nacht hinabzuwallen, 

Zum Reich der Schläfer. Zu den Hetairieen 
Der Toten unten. Zu den hohen Palästen, 
Daren die Bilder in dem Strome ziehen, 
Zu ihren Tafeln, zu den langen Festen. 

Wo in den Schalen dunkle Flammen schweUoi, 

Wo golden klingen vieler Leiern Saiten. 
Durch hohe Fenster schaun sie auf die Wellen, 
Auf grüne Wiesen in den blassen Weiten. 

£r scheint zu lächeln aus des Schädels Leere, 
Er schläft, ein Gott, den süBer Traum bezwang. 
Die Würmer blähen sich in seiner Schwäre, 
Sie kriechen satt die rote Stirn entlang. 



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Ein Falter konunt die Schlucht herab. Er naht 
Auf Blumen. Und er senkt sich müd 
Der Wunde zu, dem großen Kelch von Blut, 
Der wie die Sammetroee dunkel glüht. 



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Bist du nun tot? Da hebt die Brust sich noch. 
Es war ein Schatten, der cUurüber fegt» 
Der in der ungewissen Dämmning kroch 
Vom Vorhang, der im Nachtwind Falten schlägt. 

Wie ist dein Kehlkopf blaUt draus ächzend luiir 
Dein leises Stöhnen yon der H&nde Druck« 

Das ist der Würgemale tiefe Spur. 

Du ninunst ins Grab sie nun als letzten Schmuck« 

Die weißen Brüste schimmern hoch empor, 
Indes dein stummes Haupt nach hinten sank« 
Das aus dem Haar den Silberkamm irerlor« 

Bist du das, die ich einst so heiß umschlang? 

Bin ich demi der» der einst bei dir geruht 

Vor Liebe toll und bittrer Leidenschaft» 
Der in dich sank wie in ein Meer yon Glut 
Und deine Brüste trank wie Traubensaft? 

Bin ich denn der, der so voll Zorn gebrannt 

Wie einer HdUenfackel Götjtlichkeit, 

Und deine Kehle wie im Rausch umspannt» 

In Hasses ungeheurer Freudigkeit? 

Ist das nicht alles nur ein wüster Traum? 

Ich bin so ruhig und so fern der Gier. 
Die fernen Glocken zittern in dem Raum, 
Es ist so still wie in den Kirchen hier. 



Wie ist das alles fremd und sonderbar? 

Wo bist du nun? Was gibst du Antwort nicht? 
. — Ihr nackter Leib ist kalt und eisesklar 
Im blassen Schein vom blauen Ampellicht« — 

Was ließ sie alles auch so stumm geschehn. 
Sie wird mir f urchtbar^ wenn so stumm sie li^« 
O wire nur ein Tropfen Bluts zu sehn. 
Was ist das, hat sie ihren Kopf gewiegt? 

Ich will hier fort« — Er stürzt aus dem Gemach. 

Der Nachtwind, der im Haar der Toten zischt. 
Löst leis es auf. Es weht dem Winde nach, 
Gleich schwarzer Flamme, die im Sturm verlischt« 



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NACH DER SCHLACHT 



In Biaiensaaten liegen tag die Leichen» 

Im grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten. 
Verlorne Waffen, Räder ohne Speichen, 
Und umgestürzt die eisernen Lafetten, 

Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch, 

Die schwarz und rot den braunen Feldweg decken. 

Und wdBlich quillt der toten Pferde Bauch, 

Die ihre Beine in die Frühe strecken. 

Im kühlen l/IHnde friert noch das Gewimmer 

Von Sterbenden, da in des Osten Tore 

Ein blasser Glanz erscheint, ein i^iiner SchimmeTi 

Das dünne Band der flüchtigen Aurore. 



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DER BAUM 

Am Wassergraben, im Wiesenland 
Steht ein Eichbaum, alt und zerrissen. 

Vom Blitze hohl und vom Sturm zerbissen. 
Nesseln und Dorn umstehn ihn in schwarzer Wand« 

Ein Wetter zieht sich gen Abend zusammen. 

In die Schwüle ragt er hinauf, blau, vom Wind nicht gerührt« 

Von der leeren Blitze Gekränz umschnürt, 

Die lautlos über den Himmel flammen. 

Ihn umflattert der Schwalben niedriger Schwärm. 
Und die Fledermäuse huschenden Flugs, 

Um den kahlen Ast, der zuhöchst entwuchs 
Blitzverbrannt seinem Haupt, eines Galgens Arm. 

♦ 

Woran denkst du, Baum, in der Wetterstunde 
Am Rande der Nacht? An der Schnitter Gered', 
In der Mittagsrast, wenn der Krug umgeht 
Und die Sensen im Grase ruhn in der Runde? 

Oder denkst du daran, wie in alter Zeit 
Einen Mann sie in deine Krone gehenkt, 

Wie, den Strick um den Hals, er die Beine verrenkt, 
Und die Zunge blau hing aus dem Maule breit? 

Wie er da Jahre hing und den Winter trug. 
In dem eisigen Winde tanzte zum Spaß, 
Und wie ein Glockenklöppel, den Rost zerfra0, 
An den zimiemen Himmel schlug. 

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LOUIS CAPET 



Die Trommeln schallen am Schafott im Kreis, 

Das wie ein Sarg steht, schwarz mit Tuch Terschlag^n« 

Drauf steht der Block. Dabei der offene Schrägen 
Für seinen Leib. Das Fallbeil glitzert weiß. 

Von allen Dächern flattern rot Standarten. 
Die Rufer schrein der Fensterplätze Preis. 
Im Winter ist es. Doch dem Volke wird heiß» 
Es drängt sich murrend Tor« Man läßt es warten. 

Da hört man Lärm. Er steigt. Das Schreien braust 
Auf seinem Karren konrnit Capet, bedreckt. 

Mit Kot beworfen und das Haar zerzaust. 

Man schleift ihn schnell herauf. Er wird gestreckt. 
Der Kopf liegt auf dem Block. Das Fallbeil saust. 
Blut speit sein Hals, der fest im Loche steckt. 



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MAREN60 



Schwarzblau der Alpeiii und der kahlen Flur, 
Die Südsturm dröhn. Mit Wolken tief verhangen 

Ist grau das Feld. Ein ungeheures Bangen 
Beengt den Tag. Den Atem der Natur 

Stopft eine Faust. Hinab die Lombardei 
Ist Totenstille. Und kein Gras, kein Baum. 
Das Röhrichjb regt kein Wind im leeren Raum» 
Kein Vogel streift in niedrer Luft vorbei. 

Fem sieht man Wagen, wo sich langsam neigt 
Ein Brückenpaar. Man hört den dumpfen Fall 

Am Wasser iort. Und wieder droht und schweigt 

Verhängnis dieses Tags. Ein weifier Ball, 

Die erste der Granaten. Und es steigt 
Der Sturm herauf des zweiten Praerial. 



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ROBESPIERRE 



Er meckert vor sich hin. Die Augen starren 

Ins Wagenstroh« Der Mund kaut weiden Schleim. 

Er zieht ihn schluckend durch die Backen ein. 

Sein Fuß hängt nackt heraus durch zwei der Sparren. 

Bei jedem WagenstoB fliegt er nach oben. 

Der Arme Ketten rasseln dann wie Schellen. 
Man hört der Kinder frohes Lachen gellen» 
Die ihre Mütter aus der Menge hoben. 

Man kitzelt ihn am Bein, er merkt es nicht. 
Da hält der Wagen. Er sieht auf und schaut 
Am Straßenende schwarz das Hochgericht. 



aschengraue Stirn wird schweißbetaut« - 
Der Mund verzerrt sich furchtbar im Gesicht. 

Man harrt des Schreis. Doch hört man keinen Laut. 



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STYX 

♦ 

Die Nebel graun, die keinem Winde weichen. ^ . 
Die giftigen Dünste schwängern weit das Tal« 
Ein blasses Licht schemt m der Toten ReiclM$n^- . 

Wie eines Totenkopfes Auge fahl. . 

Entsetzlich wälzt sich hin der Phlegeton. 
Wie tausend Niagaras hallt sein Brüllen. . 
Die Klüfte wanken Ton deoi Schreien, schon. 
Die im Orkan die Feneifluten füllen«. 

Sie glühn von Qualen weiß: * VHe Steine rollen 

Den Fluß herab sie in der trüben Glut, 
Wie des geborstenen Eises RiesenschoUen 
So schmettert ihre Leiber hin die Flut. 

Sie reiten aufeinander nadit und wild. 

Von Zorn und Wollust aufgebläht wie Schwämme. 

Ein höllischer Choral im Takte schwillt 

Vom Grunde auf bis zu dem Kamm der Dämme. 

Auf einem fetten Greise rittlings reitet 

Ein nacktes Weib mit schwarzem Flatterhaar. 

Und ihren Schoß und ihre Brüste breitet 
Sie lüstern aus vor der Verdammten Schar. 

Da brüllt der Chor in aufgepeitschter Lust. 
Das Echo rollt im roten Katarakt. 
Ein riesiger Neger steigt herauf imd packt 
Den weißen Leib an seine schwarze Brust. 



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Unzählige Augen sehn den Kampf und trinken 
Den Rausch der Gier. £r braust durch das Gewühl» 
Da in dem Strom die Liebendea mainken» 
Den Göttern gleich im heißen Purpurpfühl. 



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WOLKEN 



Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse» 
Zum überladnen Kahn der Wesenlosen 
Der Bote lührt. Euer Rufen hallt im Tosen 
Des Sturms und in des Regens wildem Gusse. 

Des Todes Banner wird im Zug getragen. 
Des Heers carroccio führt die Wappentiere. 

Und graunhaft weiß erglänzen die Paniere, 
Die mit dem Saum die Horizonte schlagen. 

£s nahen Mönche, die in Händen bergen 
Die Totenlichter in den Prozessionen. 
Auf Toter Schultern morsche Särge thronen. 
Und lote sitzen aufrecht in den Särgen. 

Ertrunkene kommen. Ungeborner Leichen. 
Gehenkte blaugeschnürt. Die Hungers starben 
Auf Meeres fernen Inseln. Denen Narben 

Des schwarzen Tods umkränzen rings die Weichen. 

Es kommen Kinder in dem Zug der Toten, 
Die eilend fliehn. Gelähmte vorwärts hasten. 
Der Blinden Stäbe nach dem Pfade tasten. 
Die Schatten folgen schreiend dem stummen Boten. 

Wie sich in Windes Maul des Laubes Tanz 
Hindreht» wie Eulen auf dem schwarzen Flug, 

So wälzt sich schnell der ungeheure Zug, 
Rot überstrahlt von großer Fackeln Glanz. 

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Auf Schädeln trommeln laut die Musikanten, 
Und wie die weißen Segel blahn und knattern» 
So blahn der Spieler Hemden sich und flattern. 
Es fallen ein im Chore die Verhannten« 

Das Lied braust machtvoll hin in seiner Qual, 
Vor der die Herzen durch die Rippen glimmen« 

Da kommt ein Haufe mit verwesten Stimmen, 
Draus ragt ein hohes Kreuz zum Hinunel fahl» 

Der Kruzifixus ward einhergetragen. 
Da hob der Sturm sich in der Toten Volke. 
Vom Meere scholl und aus dem Schoß der Wolke 
Ein nimmer endend grauenvolles Klagen. 

Es wurde dunkel in den grauen Lüften. 

Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen. 

Es wurde Nacht, da noch die Wolken gingen 
Dem Orkus zu, den ungeheuren Grüften. 



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GRUFT 



- Die in der grofien Gruft des Todes ruhen, 

Wie schlafen sie so stumm im hohlen Sarg. 
Des Todes Auge schaut auf stumme Truhen 
Aus schwarzem Mannorhaupte hohl und karg» 

Sein dunkler Mantel starrt von Staub und Spinnen. 
Vor alters schlössen sie der Toten Gruft« 
Vergessen wohnen sie. Die Jahre rinnen 

Ein unbewegter Strom in dumpfer Luft. 

Nach Weihrauch duftet es und morschen Kränzen, 

Von trocknen Salben ist die Luft beschwert. 
Und in geborstnen Särgen schwimmt das Glänzen 
Der Totenkleider, dran Verwesung zehrt. 

Aus einer Fuge hängt die schmale Hand 

Von einem Kind, wie Wachs so weifi und kalt. 

Die, balsamiert, sich um das Sammetband 

Der schon in Staub zerfallnen Blumen krallt. 

Durch kleine Fenster hoch im Dunkel oben 
Verirrt sich gelb des Winterabends Schein. 
Sein schmales Band, mit blassem Staub verwoben. 
Ruht auf der Sarkophage grauem Stein. 

Der Wind zerschlägt ein Fenster. Aus den Händen 
Nimmt er der Toten dürre Kränze fort 
Und treibt sie vor sich hin an hohen Wänden, 
In ewigen Schatten weit und dunklen Ort. 

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DIE HEIMAT DER TOTEN 



1. 

Der Wititermorgen dämmert spät herauf. 
Sein gelber Turban hebt sich au£ den Rand 
Durch dünne Pappeln» die im schnellen Lauf 
Vor seinem Haupte ziehn ein schwanses Band« 

Das Rohr der Seen saust Der Winde Pfad 
Durchwühlt es mit dem ersten Lichte grell. 

Der Nordsturm steht im Feld wie ein Soldat 
Und wirbelt laut auf seinem Trommelfell. 

Ein Knochenarm schwingt eine Glocke laut. 

Die Straße kommt der Tod, der Schifierknecht» 
Um seine -gelben Pferdezähne staut 
Des weißen Bartes spärliches Geflecht« 

Ein altes totes Weib mit starkem Bauch, 

Das einen kleinen Kinderleichnam trägt. 

Er zieht die Brust wie einen Gumnuschlauch, 

Die ohne Milch und welk herunterschlägt. 

Ein paar Gekdpfte, die vom kalten Stein 
Im Dunkel er aus ihren Ketten las. 
Den Kopf im Arm. Im Eis den Morgenschein, 
Das ihren Hals befror mit rotem Glas. 

Durch klaren Morgen und den Wintertag 
Mit seiner Bläue» wo wie Rosenduft 

Von gelben Rosen, über Feld und Hag 
Die Sonne wiegt in träumerischer Luft. 



Des goldenen Tages Brücke spannt sich weit 
Und tönt wie einer großen Leier Ton. 
Die Pappeln rauschen mit dem Trauerkleid 

Die Straße fort, wo weit der Abend schon 

Mit Silberbächen überschwemmt das Land 
Und grenzenlos die leime Weite brennt. 
Die Dämmerung steigt ^e ein dunkler Brand 
Den Zug entlang, der in die Himmel retmt. 

Ein Totenhain, und Lorbeer, Baum an Baum, 
Wie grüne Flammen, die der Wind bewegt. 

Sie flackern riesig in den Himmelsraum, 

Wo schon ein blasser Stern die Flügel schlägt« 

Wie grofie Gänse auf dem Säulenschaft 
Sitzt der Vampyre Volk und friert im Frost. 

Sie prüfen ihrer Eisenkrallen Kraft 
Und ihre Schnäbel an der Kreuze Rost. 

Der Efeu grüßt die Toten an dem Tor» 
Die bunten Kränze winken von der Wand. 

Der Tod schließt auf. Sie treten schüchtern vor, 
Verlegen drehend die Köpfe in der Hand. 

Der Tod tritt an ein Grab und bläst hinein. 
Da fliegen Schädel aus der Erde SchoB 

Wie große Wolken aus dem Leichenschrein, 
Die Bärte tragen rund von grünem Moos. 

Ein alter Schädel flattert aus der Gruft» 
Mit einem feuerroten Haar beschwmgt, 

Das um sein Kinn, hoch oben in der Luft, 
Der Wind zu feuriger Krawatte schlingt. 



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Die leere Grube lacht aus schwarzem Mund 

Sie freundlich an. Die Leichen fallen um 
Und stürzen in den aufgerissenen Schlund. 
Des Gr ahes Platte überschließt sie stumm. 

II. 

Die Ltder übereist, das Ohr verstopft 

Vom Staub der Jahre, ruht ihr eure Zeit. 

Nur manchmal ruft euch noch ein Traum, der klopft 

Von fern an eure tote Ewigkeit» 

In einem Himmel, der wie Schnee so fahl 
Und yon dem Zug der Jahre schon Tersteint. 
Auf eurem eingefallenen Totenmal 
Wird eine Lilie stehn, die euch beweint. 

Der ISarznacht Sturm wird euren Schlaf betaun* 

Der große Mond, der in dem Osten dampft, 
Wird tief in eure leeren Augen schaun, 
Darin ein großer, weißer Wurm sich krampft 

So schlaft ihr fort, vom Flötenspiel gewiegt 
Der Einsamkeit, im späten Weltentod, 
Da über euch ein großer Vogel fliegt 
Mit schwarzem Flug ins gelbe Abendrot. 



39 



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DER FLIEGENDE HOLLÄNDER 

Wie Feuerr^gen f üüt den Qsean 

Der schwarze Gram. Die großen Wogen türmt 
Der Südwind auf, der in die Segel stürmt^ 
Die schwarz und riesig ilatfeera im Orkan« 

Ein Vogel fliegt Toraus. Sein langes Haar 
Sträubt von den Winden um das Haupt ihm grofi. 

Der Wasser Dunkelheit, die meilenlos, 
Umarmt er riesig mit dem Schwingenpaar* 

Vorbei an China, wo das gelbe Meer 

Die Drachendschunkra vor den Städten wiegt» 

Wo Feuerwerk die Himmel überfliegt 

Und Trommein schlagen um die Tempel her. 

Der Regen jagt, der spärlich niedertropft 
Auf seinen Mantel, der im Sturme bläht. 
Im Mast» der hinter seinem Rücken steht» 
Hört er die Totenuhr, die ruhlos klopft 

Die Larve einer toten Ewigkeit 

Hat sein Gesicht mit Leere übereist. 

Dürr, wie ein Wald, durch den ein Feuer reist« 

Wie trüber Staub umflackert es die Zeit. 

Die Jahre graben sich der Stime ein» 
Die wie ein alter Baum die Borke trägt. 

Sein weißes Haar, das Wintersturmwind fegt, 
Steht wie ein Feuer um der Schläfen Stein« 



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Die Schiffer an den Rudern sind verdorrt, 
Als Mumien schlafen sie auf ihrer Bank. 
Und ihre Hände sind wie Wurzeln lang 

Hereingewachsen in den morschen Bord. 

Ihr Schifferzopf wand sich wie ein Barett 
Um ihren Kopf herum, der schwankt im Wind. 
Und auf den Hälsen, die wie Röhren sind. 
Hängt jedem noch ein grofies Amulett 

Er ruft sie an, sie hören nimmermehr. 
Der Herbst hat Moos in ihrem Ohr gepflanzt, 
Das grünlich hängt und in dem Winde tanzt 
Um ihre welken Backen hin und her. 

II. 

Dich grüßt der Dichter, düsteres Phantom, 
Den durch die Nacht der Liebe Schatten führt, 
fan unterirdisch Ungeheuern Dom, 
Wo schwarzer Sturm die Kirchenlampe schürt. 

Die lautlos flackert, ein zerstörtes Herz, 

Von Qual durchlöchert, und die Trauer krankt 
Im Tode noch in seinem schwarzen Erz. 
An langen Ketten zittert es und schwankt. 

Sein roter Schein flammt über Gräber hin. 
An dem Altare kniet ein Ministrant, 

Zwei Dolche in der offnen Brust. Darin 

Noch schwält und steigt trostloser Liebe Brand. 



41 



Durch schwarze Stollen Hattert das Gespenst. 

Er folgt ihm blind, wo schwarze Schatten fliehn, 
Den Mond an seiner Stirn, der trübe glänzt, 
Und Sttnimen hört er, die vorüberziehn 

Im hohlen Grund, der von den Qualen schwillt, 
Mit dunqifem Laut. Ein femer Wasserfall 
Pocht an der Wand, und bittre Trauer füllt 

Wie ein Orkan der langen Treppen Fall* 

Fem konunt ein Zug mit Fackeln durch ein Tor, 

Ein Sarg, der auf der Träger Schultern bebt 
Und langsam durch den langen Korridor 
In trauriger Musik vorüberschwebt. 

Wer ruht darin? Wer starb? Der matte Ton 
Der Flöten wandert durch die Gänge fort. 
Ein dunkles Echo raft er noch, wo schon 

Die Stille hockt an dem versimknen Ort. 

Das Grau der Mittemacht wird kaum bedeckt 

Von einer gelben Kerze, und es saust 

Der Wind die Gänge fort, der bellend schreckt 

Den Staub der Grüfte auf, der unten haust. 

Maßlose Traurigkeit. In Nacht allein 
Verirrt der Wandrer durch den hohen Flur, 
Wo oben in der dunklen Wölbung Stdn 

Gestirne fiiehn in magischer Figur. 



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APRIL 

Das erste Grün der Saat, von Regen feucht, 
Zieht weit sich hin an niedrer Hügel Flucht, 
Zwei grofie Krähen flattern aufgescheucht 

Zu braunem Doingebüsch in grüner Schlucht. 

Wie auf der stillen See ein Wölkchen steht. 

So ruhn die Berge hinten in dem Blau, 

Auf die ein feiner Regen niedergeht, 

Wie Silberschleier» dünn und zitternd grau. 



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DIE RUHIGEN 



Ernst Balcke gewidmet 

Ein altes Boot, das in dem stillen Hafen 

Am Nachmittag an seiner Kette wiegt. 

Die UebendeUi die nach den Küssen schlafen. 

Ein Stein» der tief im grünen Brunnen Hegt. 

Der Pythia Ruhen, das dem Schlummer gleicht 
Der hohen Götter nach dem langen Mahl. 
Die weiße Kerze, die den Toten bleicht. 
Der Wolken Löwenhäupter um ein Tal. 

Das Stein gewordene Lächeln eines Blöden. 

Verstaubte Krüge, drin noch wohnt der Duft. 
Zerbrochne Geigen in dem Kram der Böden. 
Vor dem Gewittersturm die trfige Luft. 

Ein Segel, das vom Horizonte glänzt. 

Der Duft der Heiden» der die Bienen führt. 

Des Herbstes Gold, das Laub und Stamm bekränzt. 

Der Dichter, der des Toren Bosheit spürt. 



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1 



COLUMBUS (12. Oktober 1492) 

Nicht mehr die Salzluft, nicht die Öden Meere, 
Drauf Winde stürmen hin mit schwarzem Schall. 
Nicht mehr der grofien Horizonte Leere, 
Draus langsam kroch des runden Mondes Ball. 

Schon fiiegen große Vögel auf den Wassern, 
Mit wunderbarem Fittich blau beschwii^;t. 

Und weiße Riesenschwäne mit dem blassem 
Gefieder sanft, das süß wie Harfen küngt. 

Schon tauchen andre Sterne auf in Chören, 
Die stumm wie Fische an dem Himmel ziehn. 
Die müden Schiffer schlafen, die betören 
Die tTVinde, schwer yon brennendem Jasmin. 

Am Bugspriet vorne träumt der Genueser 
In Nacht hinaus, wo ihm zu Füßen blähn 
Im grünen Wasser Blumen, dünn wie Gläser, 
Und tief im Grund die weißen Orchideen. 

Im Nachtgewölke spiegeln große Städte, 
Fern, weit, in goldnen Himmeln wolkenlos, 
Und wie ein Traum Tersunkner Abendröte 
Die goldnen Tempeldächer Mexikos« 

Das Wolken^iel versinkt im Meer. Doch ferne 
Zittert ein Licht im Wasser weiß empor. 

Ein kleines Feuer, zart gleich einem Sterne. 
Dort schlummert noch in Frieden Salvador. 

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GEGEN NORDEN 



Die braunen Segel blähen an den Trosseni 
Die Kähne furchen sübergrau das Meer. 
Der Borde schwärze Netze hangen schwer 

Von Schuppenleibern imd von roten Flossen. 

Sie kehren heim zum Kai» wo raucht die Stadt 

In trübem Dunst und naher Finsternis. 
Der Häuser Lichter schwimmen ungewiß 
Wie rote Flecken, breit» im dunklen Watt. 

Fern ruht des Meeres Platte wie ein Stein 
Im blauen Ost. Von Tages Stime sinkt 
Der Kranz des roten Laubes» da er trinkt, 

Zur Flut gekniet, von ihrem weißen Schein. 

Es zittert Goldgewölke in den Weiten 

Vom Glanz der Bernsteinwaldung, die enttaucht 
Verlorner Tiefe, wenn die Dämmerung raucht» 
In die sich gelb die langen Aste breiten. 

Versunkne Schiffer hängen in den Zweigen. 

Ihr langes Haar schwimmt auf der See wie Tang. 

Die Sterne» die dem Grün der Nacht entsteigen. 

Beginnen frierend ihren Wandergang. 



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DER WINTER 

Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land, 

Das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigen 
Einander mit der ausgestreckten Hand 
Der Horizonte violettes Schweigen. 

Hier treffen sich auf ihrem Weg ins Leere 
. Vier Straßen an. Die niedren Baume stehen 
Wie Bettler kahl. Das Rot der Vogelbeere 

Glänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen 

Verweilen kurz und sprechen aus den Asten. 

Dann ziehn sie weiter in die Einsamkeit 

Gen Nord und Süden und nach Ost und Westen» 

Wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit. 

Ein hoher Korb mit rissigem Geßecht 
Blieb von der Ernte noch im Ackerfeld. 
Weißb&rtig, ein Soldat, der nach Gefecht 

Und heißem Tag der Toten Wache hält. 

Der Schnee wird bleicher, und der Tag Tergeht. 

Der Sonne Atem dampft am Firmament, 
Davon das Eis, das in den Lachen steht, 
Hinab die Strafie rot wie Feuer brennt. 



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DER ABEND 



Vetsimken ist der Tag in Purpurrot, 

Der Strom schwimmt weiB in ungeheurer Glätte« 

Ein Segel kommt. Es hebt sich aus dem Boot 
Am Steuer groß des Schiffers Silhouette. 

Auf allen Inseln steigt des Herbstes Wald 
Mit roten Häuptern in den Raum, den klaren« 
Und aus der Schluchten dunkler Tiefe hallt 
Der Waldung Toui wie Rauschen der Kitharen. 

Das Dunkel ist im Osten ausgegossen. 

Wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne. 

Und ferne steht, vom Mantel schwarz umflossen, 
Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne« 



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HERBST 

Die Faune treten aus den Wildern alle. 

Des Herbstes Chor, Ein ungeheurer Kranz. 
Die Hände haltend, springen sie zum Schalle 
Der WidderhÖmer froh xa Tal im Tanz. 

Der Lenden Felle schüttem von dem Sturze, 
Die weiß und schwarz wie ZiegeuTlieB gefleckt* 

Der starke Nacken stößt empor das kurze 
Gehörn, das sich aus rotem Weinlaub streckt« 

Die Hufe schallen, die Yom Hörne starken. 
Den Thyrsus haun sie auf die Felsen laut» 
Der Paian tönt in die besonnten Marken, 

Der Brustkorb bläht mit zottig schwarzer Haut, 

Des Waldes Tiere fliehen vor dem Lärme 
In Scharen flüchtig her und langem Sprung. 
Um ihre Stirnen fliegen Falterschwftrme, 
Berauscht von ihrer Kränze Duft und Trunk. 

Sie nahn dem Bache, der yon Schilf umzogen 
Diurch Wiesen rauscht. Das Röhricht läßt sie ein. 
Sie springen mit den Hufen in die Wogen 
Und baden sich vom Schlamm der Wälder rdn. 

Das Schilfrohr tönt yom Munde der Dryaden, 
Die auf den Weiden wohnen im Geäst. 

Sie schaun herauf. Ihr Rücken glänzt vom Baden 
Wie Leder braun und wie Ton öl genäßt. 

4 49 



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Sie brüllen wild und langen nach den Zweigen. 
Ihr Glied treibt auf, Yon ihrer Gier geschwellt 
Die Elfen fliegen fort, wo noch das Schweigen 

Des Mittagstraums aui goldnen Höhen hält. 



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FRONLEICHNAMSPROZESSION 



0 weites Land des Sommers und der Winde, 
Der reinen Wolken, die dem Wind sich bieten. 

Wo goldener Weizen reift und die Gebinde 
Des gelben Rockens trocknen in den Mieten, 

Die Erde dämmert von den Düften allen, 
Von grünen Winden und des Mohnes Farben, 
Des schwere Köpfe auf den Stielen fallen 
Und weithin brennen aus den hohen Garben, 

Des Feldwegs Brücke steigt im halben Bogen, 
Wo helle Wellen weiBe Kiesel feuchten« 
Die Wassergräser werden fortgezogen, 
Die in der Sonne aus dem Bache leuchten. 

Die Brücke schwankt herauf die erste Fahne. 

Sie flammt von Gold und Rot. Die Seidenquasten 

Zu beiden Seiten halten Kastellane 

Im alten Chorrock, dem von Staub verblaßten. 

Man hört Gesang. Die jungen Priester kommen« 
Barh&uptig gehen sie vor den Prälaten. 

Zu Flöten schallt der Meßgesang. Die frommen 
Und alten Lieder wandern durch die Saaten* 

In weißen Kleidchen kommen Kinder singend. 
Sie tragen kleine Kränze in den Haaren. 
Und Knaben, runde Weihrauchkessel schwingend. 
Im Spitseenrock und roten Festtalaren. 

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Die Kirchenbilder kommen auf Altämi. 
Mariens Wiinden brennen hell im Licht. 
Und Christus naht» yon Blumen bunt» die wehren 
pie Sonne ron dem gelben Holzgesicht. 

•« 

im Baldachine glänzt des Bischofs Krone. 
Er schreitet singend mit dem heiligen Schrein. 

Der hohe Stimmenschall der Diakone 

Fliegt weit hinaus durch Land und Felderreih'n. 

Der Truhen Glanz weht um die alte Tradit. 
Die Kessel dampfen, drin die Kräuter kohlen. 
Sie ziehen durch der weiten Felder Pracht» 
Und matter glänzen die vergilbten Stolen. 

Der Zug wird kleiner. Der Gesang verhallt. . 
Sie ziehn dahin, dem grünen Wald entg^en. 

Er tut sich auf. Der Glanz verzieht im Wald, 
Wo goldne Stille träumt auf duniden Wegen. 

Der Büttag kommt. Es schläft das weite Land» 

Die tiefen Wege, wo die Schwalbe schweift» 
Und eine Mühle steht am Himmelsrand» 
Die ewig nach den weißen Wolken greift 



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DER TAG 

Palmyras Tempelstaub bläst auf der Wind, 
Der durch die Hallen säuselt in der Zeit 
Des leeren BAittags, wo die Sonne weit 

Im Blauen rast. Der goldene Atem spinnt,. 

Der goldene Staub des Mittags sich wie Rauch 
Im Glanz der Wüste, wie ein seidenes Zelt 
Der ungeheuren Fläche. Dach der Welt* 
Wie ferne Fldten tönt des Zephirs Hauch, 

Und leise singt der Sand. Doch unverweilt 

Jagt hoch das Licht. Damaskus' Rosenduft 
Schlägt auf wie eine Woge in die Luft, 
Wie eine Flamme» die den Äther teilt. 

tweifien Stiere roter Blutsaft schäumt v^^"^ v n 
Tempelhöfen^ wo das Volk im Kranz 
Des Blutes Regen fühlt, und seinen Glanz, ^ 
Der mit Rubinen ihre Togen säumt. 

Ein Tänzer tanzt im blauen Mittagsrot * . > 
Auf weiBer Platte, der vom Strahle, trank. — ^ 
Das Licht entflieht. Der Libanon versank, 
Der Zedern Haus, das sich dem Gotte bot. 

Und westwärts eilt der Tag. Mit tiefem Gold 
Ist weit des Westens Wölbung angefüllt: 
Des Gottes Rundschild, der die Schultern hüllt 
Des Flüchtigen. Sein blauer Helmbusch rollt 

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Darob im Sturme weit am Horizont^ 
Am Meer» und seiner Inseln PerlenseU. 

Er eilt dahin, wo schon der Ida steil 

BAit Eichen tost und dröhnt der Hellespont. 

Das Stromland fort, dem grünen Abend zu. 
Wie der Drommete Ton erschallt sein Gang 
An Ossas Echo* Troas Schüf entlang» 

In rote Wälder tritt sein Purpurschuh, 

In Sammetwiesen weich. Dem Feuer nach, 
Das einst gen Argos flog, tritt machtvoll er 
Auf Chalkis hin. Darunter rauscht das Meer 
Hervor aus grüner Grotten Steingemach. 

Sein Arm, den er auf Meer und Lande streckt, 
Ragt dunkel auf wie eine Feuersbrunst. 
Sein Atem füllt das Meer mit schwarzem Dunst» 
Des weiBes Maul die roten Sohlen leckt. 

Auf Marathon schleppt seines Mantels Saum 
Ein violetter Streif, wo schon das Horn 

Der Muschel stimmt am Strand der Toten vorn 
Der Sturmgott laut aus weifier Brandung Schaum.. 

Des Rohres rote Fahnen rührt der Wind 
Von seines Fußes Fittich um am Strand 
Der fernen Elis, da der Nacht Trabant, 
Schildknappe Mond, den dunklen Pfad beginnt. 



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DER TOD DER LIEBENDEN 



Durch hohe Tore wird das Meer gezogen 
Und goldne Wolkensäulen, wo noch säumt 
Der späte Tag am hellen Himmelsbogen 
Und fern hinah des Meeres Weite träumt* 

,,Vei^6 der Traurigkeit, die sich Terlor 
Ins ferne Spiel der Wasser, und der Zeit 
Versunkner Tage* Singt der Wind ins Ohr 
Dir seine Schwemmt^ höre nicht sein Leid« 

Lafi ab ycmi Weinen. Bei den Toten unten 
Im Sdiattenlande werden bald wir wohnen 

Und ewig sciilafen in den Tiefen dnmten. 
In den verborgenen Städten der Dämonen. 

.Dort wird uns Einsamkeit die Lider schließen. 
Wir hSren nichts in unserer Hallen Räumen» 
Die Fische nur, die durch die Fenster schieBeni 
Und leisen Wind in den Korallenbäumen. 

Wir werden immer b^einander bleiben 
Im schattenhaften Walde auf dem Grunde. 
Die gleiche Woge wird uns dunkel treiben. 

Und gleiche Träume trinkt der Kuß vom Munde. 

Der Tod ist sanft. Und die uns niemand gab, 
Er gibt uns Heimat. Und er trägt uns weich 
In seinem Mantel in das dunkle Grab» 
Wo viele schlafen schon im stillen Reich*'' 

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I 



Des Meeres Seele singt am leeren Kahn. 

Er treibt davon, ein Spiel den tauben Winden 

In Meeres Einsamkeit. Der Ozean : 

Türmt fern sich auf zu schwarzer Nacht, d&t blinden« 

In hohen Wogen schweift ein Kormoran 
Mit grünen Fittichs dunkler Träumerei. 

Darunter ziehn die Toten ihre Bahn. 
Wie blasse Blumen treiben sie vorbei* 

Sie sinken tief. Das Meer schließt seinen Mund 
Und schillert weiß. Der Horizont nur bebt 
Wie eines Adlers Flug, der von dem Sund 
Ins Abendmeer die blaue Schwinge, hebt. 



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I 

! 



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I 



OPHELIA 

Im Haar ein Nest Ton jungen Wässerratteni 
Und die beringten Hände auf der Flut 

Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten 
Des groBen Urwalds, der im Wasser ruht« 

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt, 
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein« 
Warum sie starb? Warum sie so allein 
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt? 

Im dichten Röhricht steht der Wind, Er scheucht 
Wie eine Hand die Fledermäuse auf« 

Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht 
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf , 

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal 
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint 
Auf ihrer Stirn« Und eine Weide weint 
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual. 

II« 

Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß. 
Der Felder gelbe Winde schlafen still. 
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will. 
. Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß« 

Die blauen Uder schatten sanft herab. 
Und bei der Sensen blanken Melodien 

Träumt sie von eines Kusses Karmoisin 
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab« 

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1 



Vorbeit vorbei. Wo an das Ufer dröhnt 

Der Scliall der Städte* Wo durch Dämme zwingt 

Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt 
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt 

Hall voller Straßen. Glocken und Geläut. 
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht 
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot, 
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut, 

Mit schwarzer Stirn, ein machtiger Tyrann, 

Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien. 

Last schwerer Brücken, die darüber ziehn 
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann. 

Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit. 
Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm 
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm, 
Der schattet über beide Ufer breit. 

Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht 
Der westlich hohe Tag des Sommers spät, 

Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht 
Des iernen Abends zarte Müdigkeit. 

Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht. 
Durch manchen Winters trauervollen Port. 
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort, 
Davon der Horizont wie Feuer raucht. 



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DIE PROFESSOREN 



Zu vieren sitzen sie am grünen Tische, 
Verschanzt an seines Dacties liohe Kanten. 
Kahlköpfig hocken sie in den Folianten, 

Wie auf dem Aas die alten Tintenfische. 

Manchmal erscheinen Hände» die bedreckten 

Mit Tintenschwärze. Ihre Lippen fliegen 
Oft lautlos auf. Und ihre Zvmgen wiegen 
Wie rote Rüssel über den Pandekten. 

Sie scheinen manchmal ferne zu verschwinrnien. 
Wie Schatten in der weißgetünchten Wand. 
Dann klingen wie von weitem ihre Stimmen. 

Doch plötzlich wächst ihr Maul. Ein weider Sturm 
Von Geifer. Stille dann. Und auf dem Rand 
Wiegt sich der Paragraph, ein grüner Wurm. 



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DAS FIEBERSPITAL 



Die bleiche Leinwand in den vielen Betten 
Verschwimmt in kahler Wand im Krankensaal. 
Die Krankheiten alle, dünne Marionetten, 
Spazieren in den Gängen. Eine Zahl 

Hat jeder Kranke. Und mit weißer Kreide 
Sind seine Qualen sauber aufnotiert. 

Das Fieber donnert. Ihre Eingeweide 
Brennen wie Berge. Und ihr Auge stiert 

Zur Decke auf, wo ein paar große Spinnen 
Aus ihrem Bauche lange Fäden ziehn. . 
Sie sitzen auf in ihrem kalten Linnen 

Und ihrem Schweiß mit hochgezognen Knien. 

Sie beißen auf die Nägel ihrer Hand. 
Die Falten ihrer Stirn, die rötlich glüht, 
Sind wie ein graugefurchtes Ackerland, 
Auf dem des Todes groBes Frührot blüht. 

Sie strecken ihre weißen Arme yor, 

Vor Kälte zitternd und vor Grauen stumm. 
Schon wälzt ihr Hirn sich schwarz von Ohr zu Ohr 
In ungeheurem Wirbel schnell herum. 

Dann gähnt in ihrem Rücken schwarz ein Spalt» 
Und aus der weifigetünchten Mauerwand 

Streckt sich ein Arm. Um ihre Kehle ballt • 
Sich langsam eine harte Knochenhand. 



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IL 



Des Abends Trauer sinkt. Sie liodcen stumpf 
In ihrer Kissen Schatten. Und herein 

Kriecht Wassernebel kalt. Sie hören dumpf 
Durch ihren Saal der Qualen Litanein. 

Das Fieber kriecht in ihren Lagern um, 
Langsam, ein großer, gelblicher Polyp. 

Sie schaun ihm zu, von dem Entsetzen stunun. 
Und ihre Augen werden weiß und trüb. 

Die Sonne quält sich auf dem Rand der Nacht« 
Sie blähn die Nasen. Es wird furchtbar heiß. 
Ein großes Feuer hat sie angefacht» 

Wie eine Blase schwankt ihr roter Kreis. 

Auf ihrem Dache sitzt ein Mann im Stuhl 
Und droht den Kranken mit dem Eisenstab. 
Darunter schaufeln in dem heißen Pfuhl 

Die Nigger schon ihr tiefes, weißes Grab. 

Die Leichenträger gehen durch die Reihen 

Und reißen schnell die Toten aus dem Bett. 

Die andern drehn sich nach der Wand mit Schreien 

Der Angst, der Toten gräßlichem Valet. 

Moskitos summen. Und die Luft beginnt 

Vor Glut zu schmelzen. Wie ein roter Kropf 
Schwillt auf ihr Hals, darinnen Lava rinnt. 
Und wie ein Ball Ton Feuer dröhnt ihr Kopf. 

6j 



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Sie machen sich von ihren Hemden los 
Und Uuren Decken, die sie nafi umzielm* 
Ihr magrer Leib, bis auf den Nabel bloB, 
Wiegt hin und her im Takt der Phantasien. 

Das Floß des Todes steuert durch die Nacht 
Heran durch Meere Schlamms und dunkles Moor, 

Sie hören bang, wie seine Stange kracht 
Lauthallend unten am Barackentor, 

Zu einem Bette kommt das Sakrament 

Der Priester salbt dem Kranken Stirn und Mund. 

Der Gaumen, der wie rotes Feuer brennt, 
Würgt mühsam die Oblate in den Schlund. 

Die Kranken horchen auf der Lagerstatt 
Wie Kröten, von dem Lichte rot geÜeckt. 

Die Betten sind wie eine große Stadt, 

Die eines schwarzen Himmels Rätsel deckt. 

Der Priester singt. In grauser Parodie 
Krfthn sie die Worter nach in dem Gebet. 

Sie lachen laut, die Freude schüttelt sie. 

Sie halten sich den Bauch, den Lachen bläht 

Der Priester kniet sich an der Bettstatt Rand« 

In das Brevier taucht er die Schultern ein. 
Der Kranke setzt sich auf. In seiner Hand 
Dreht er im Kreise einen spitzen Stein. 

Er schwingt ihn hoch, haut zu. Ein breiter RiB 

Klafft auf des Priesters Kopf, der rückwärts fällt. 
Und es erfriert sein Schrei auf dem Gebiß, 
Das er im Tode weit noch offen hält 



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DIE SCHLAFER 



Jacob van Hoddis gewidmet 

Hs schattet dunkler noch des Wassers Schoß, 
Tief unten brennt ein Ucht, ein rotes Mal 

Am schwarzen Leib der Nacht, wo bodenlos 
Die Tiefe sinkt Und auf dem dunklen Tal, 

Mit grünem Fittich auf der dunklen Flut 
Flattert der Schlaf, der Schnabel dunkelrot. 
Drin duie UUe welkt, der Nacht Salut, 
Den Kot^f von einem Greise gelb und tot. 

Er schüttelt seine Federn wie ein Pfau. 
Die Träume wandern wie ein lila Hauch 

Um seine Schwinge, wie ein blasser Tau. 
In ihre Wolke taucht er, in den Rauch. 

Die großen Bäume wandern durch die Nacht 
Mit langem Schatten, der hinüber läuft 
Ins weiße Herz der Schläfer, die bewacht 
Der kalte Mond, der seine Gifte träuft 

Wie ein erfahrner Arzt tief in ihr Blut. 
Sie liegm fremd einander, stumm, im Haß 

Der dunklen Träume, in verborgner Wut. 
Und ilure Stirn wird von den Giften blaß. 

Der Baum von Schatten klammert um ihr Herz 
Und senkt die Wurzeln ein. £r steigt empor 
Und saugt sie aus. Sie stöhnen auf vor Schmerz. 
Er ragt herauf, am Turm der Nacht, am Tor 



Der blinden Stille. In die Zweige fli^ 
Der Schlaf, Und seine icalte Schwinge streift 
Die schwere Nacht, die auf den Schläfern liegt 
Und ihre Stirn mit Qualeii weiB bereift. 

Er singt. Ein Ton von krankem Violett 

Stdfit an den Raum. Der Tod geht. Manches Haar 

Streicht er zurück. Ein Kreuz, Asche und Fett, 
So malt er seine Frucht im welken Jahr. . 



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SCHWARZE VISIONEN 
An eine imaginäre Geliebte 

Du ruhst im Dunkel traucigec Askesen 
In deinem wdßen Tuch» ein Eremit, 

Und deine Locken, die in Nacht verwesen. 
Bedecken tief dein eingesunknes Lid. 

' Auf deinen Uppen gruben sich die BAale 

• Der toten Küsse schon in Trichtern ein. 

> Die ersten Würmer tanzen um das fahle • 
Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein. 

Wie Arzte stechen lang sie die Pinzette 
Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt. 
Du jagst sie nicht yon ddnem Totenbettei 
Du bist verflucht, zu leiden unbewegt 

Des schwarzen Himmels große Grabesglocke 
Dreht trüb sich nmd um deine Winterzeit. 
Und es erstickt der Schneefall» dicke Flocke» 
' * Was unten in den Gräbern weint und schreit. 

IL 

Der grofita Städte nächtliche Emporen 

* Stehn rings am Rand, wie gelbe Brände weit. 
IJnd mit der Fackel scheucht aus ihren Toren 
Der Tod die Toten in die Dunkelheit. 

Sie fahren aus wie großer Rauch und schwirren 
Mit leisen Klagen durch das Distelfeld. 
Am Kreuzweg hocken sie zuhauf und irren 
Den Heimatlosen gleich in schwarzer Welt. 



4 



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Sie schaun zurück von etnem kahlen Baume, 
Auf den der Wind sie warf. Doch ihre SMt 

Ist zu für sie. Und in dem leeren Räume 
Treibt Sturm sie um den Baum, wie Vögel matt. 

Wo ist die Totenstadt? Sie wollen schlafen. 
Pa tut sich auf im ernsten Abendrot 
Die Unterwelt, der stillen Städte Hafen, 
Wo s ch warze Segel ziehen, Boot an Boot 

Und schwarze Fahnen wehn die langten Gassen 
Der ausgestorbnen St&dte, die ▼erstununt 

Im Fluch von weißen Himmeln und verlassen. 
Wo ewig eine stumpfe Glocke brummt« 

Die schwarzen Brücken werfen ungeheuer 
Die Abendschatten auf den dunklen Strom. 
Und riesiger Lagunen rotes Feuer 
Verbrennt die Luft mit purpurnem Arom. 

Kanäle alle, die die Stadt durchschwimmen, 
Sind von den Lilienwäldem sanft umsäumt. 

Am Bug der Kähne, wo die Lampen glimmen, 
Stehn groß die Schifier, und der Abend träumt 

Wie zarte goldene Kronen um die Stirnen. 
Der tiefen Augen dunkler Edelstein 
Umschließt des hohen Himmels blasse Firnen, 

Wo weidet schon der Mond im grünen Schein. 

Die Toten schaun ans ihrem Winterbaume 
Den Schläfern zu in ihrem sanften Reich. 



» 



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" I 

I 

Und das Verlangen fafit sie nach dem Saume 
Des roten Himmels und dem Abend weich« 

Da stürzt sie Hermes, der die Nacht erschüttert 
Mit starkem Flug, ein bläulicher Komet, 

Den Grund herab, der meilentief erzittert, 
Da singend ihn der Toten Zug durchweht. 

f 

Sie nahn den Städten, da sie wohnen sollen, 

Draus goldne Winde gehn im Abendflug. 
Der Tore Amethyst im tiefen Stollen 
Küfit ihrer Reiherschwingen langer Zug. 

Die Silberstädte, die im Monde glühen. 
Umarmen sie mit ihres Sommers Pracht, 
Wo schon im Ost wie grofie Rosen blühen 

Die Morgenröten in die Mitternacht. 

HL 

Sie grüßen dich in deinem schwarzen Sarge 
Und flattern über dich wie Frühlingswind. 
Wie Nachtigallen rühren sie das kai^. 
Wachsbleiche Haupt mit ihren Klagen lind. 

Mit Sammethänden wollen sie dich grüßen 
Von meiner Qual. Und wie ein Weinblatt rot, 
So taumeltt ihre Küsse dir am Füfien, 

i Und ziehn wie Tauben sanit um deinen Tod. 

Sie schwingen über dir die Fackelbrände, 
Die furchtbar wecken auf die schwarze Nacht 

i Sie geben dir in deine weißen Hände 

Tränen yon Stein, die ich dir dargebracht 



1 



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I 



Sie laden Düfte aus den Duit-Amphoftn 
Und überschütten dich mit Amhra ganz. 

Dein schwarzes Haar steht auf, an Himmels Toren^ 
Wie eines Stemgewölkes dünner Glanz« 

Sie werden große Pyramiden bauen, 
Darauf sie türmen deinen schwarzen Schrein. 
Dann wirst du in die wilde Sonne schauen. 
Die in dein Blut stürzt wie ein dunkler Wein. 



IV. * 

Die Sonne, die mit Blimien sich beleuchtet, ! 

Stößt wie ein Aar zu deinen Häupten weit, 

Und ihrer Purpurlippen Traum befeuchtet 

Mit Tränentau dein weißes Totenkleid. j 

Dann nimmst dein Herz du aus den weißen Brüsten 

Und zeigst es rings dem stillen Heiligtum. • 

Und deine stolze Flamme rührt die Küsten 

Des Himmels an. die werfen deinen Ruhm i 

i 

Ins Meer der Toten aus wie starke Wellen. j 

Die großen Schiffe schwimmen um dich her, I 
Um deinen Turm, und ihre Lieder schwellen 
Wie Abendwolken sanft vom großen Meer. 

Und was ich dir in meinen Träumen sage, ^ 
Das Schrein die Priester aus mit Tuba^Ton. 

Der Meere dunkle Buchten füllt die Klage 

Um dich wie Schilfrohr sanft imd schwarzer Mohn. 

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I 



V. 

/ 

Getrübt besdiemt der Mond die stumme Flftchei 
Wie ein Korund, der tief im Grunde glüht. 
In deiner Locken dunkle Flamment>äcfae 
Verliebty verweilt er auf den Städten müd« , 

Dann kommen alle Toten aus den Grüften 
Und ziefan um dich in langer Prozession« 

Von rosa Glase flattern in den Lüften 

Die Schatten, die von Innern Flammen lohn. 

VI. 

Du zogst voraus nach dem geheimen Reiche» 
Ich folge dir dereinst, du TrauerbUd, 

Und halte ewig deine Hand, die bleiche, 
Die meiner Küsse blasse Ulie füllt. 

Dann überschwemmen lange Ewigkeiten 
Der Himmel Mauern und das tote Land, 
Die, groBe Schatten, in den Westen schreiten, 
Wo ehern ruht der Horizonte Wand. 



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UMBRA VITAE 

NACHGELASSENE GEDICHTE 



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UMBRA VITAE 



Die Menschen stehen vorwärts in den 3traßen 
Und sehen auf die großen Himmelszeichen, 

Wo die Kometen mit den Feuernasen 

Um die gezackten Türme drohend schleichen. 

Und alle Dächer sind voll Sternedeuter, 
Die in den Himmel stecken große Röhren» 
Und Zauberer, wachsend aus den Bodenlöchem, 
Im Dunkel schräg, die ein Gestirn beschwören. 

Selbstmörder gehen nachts in großen HordeUi 
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen, 
Gebückt in Süd und West und Ost und Norden, 

Den Staub zerfegend nüt den Armen-Besen. 

Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile. 
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen. 
Sie spring«ti, daß sie sterben, und in Eile, 
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen, 

Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere 

Stehn um sie bünd und stoßen mit dem Hörne 
In ihren Bauch. Sie strecken alle Viere, 
Begraben unter Salbei und dem Dpme« 

4 

Die Meere aber stocken. In den Wogen 
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen. 

Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen, 
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen. 

73 



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Die Bäume wechseln nicht die Zeiten 
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende, 
Und über die verf allnen Wege spreiten 
Sie hdlzem ihre langen Fingerhfinde. 

Wer stirbt» der setzt sich aui, sich zu erheben, 
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen. 

Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben? 
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen. 

Schatten sind viele. Trübe und verborgen. 
Und Träume, die an stummen Türen schleifen, 
Und der erwacht, bedrückt vom Licht der Morgen, 
Mufi schweren Schlaf von grauen Lidern streifen. 



74 




Ii 



DER KRIEG 



Aufgestanden ist er^ welcher lange schlief, 

Aufgestanden unten kus Gewdlben tief. 

In der Dämmrung steht er, gr<»8 und unbekannt. 

Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand. 

9 

In den Abendlärm der Städte fällt es weit, 
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit. 
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis« 
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weifi. 

In den Gassen iafit es ihre Schulter leicht. 

Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht. 

In der Feme zittert ein Geläute dünn, 

Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn. 

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an, 

Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an! 

Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt, 

Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt 

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut, 
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut. 

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt, 
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt. 

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein, 
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein. 
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt, 
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt. 



Und mit tausend hohen Zipfelmützen weit 
Sind die finstren Ebnen fiackend übecstreut, 

Und was unten auf den Straßen wimmelnd flieht, 
Stößt er in die Feuerwälder, wo die Flamme brausend 



Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald, 
Gelbe Fledermäuse, zackig in das Laub gekrallt, 
Seine Stange haut er wie ein Kdhlerknecht 
In die Bäume, dafi das Feuer brause re«dit. . 



große Stadt Tersank in gelbem Rauch, 
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch. 

Aber riesig über glühnden Trümmern steht, 
Der in wilde Hinunel dreimal seine Fackel dreht 

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein, 

In des toten Dunkeis kalten Wü^tenein, 

Dafi er mit dem Brande weit die Nacht verdorrt 

Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh. 



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DIE MORGUE 



Die Wärter scMeicheii auf den Sohlen leise, 

Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt. 
Wir, Tote» sammeln uns zur letzten Reise 
Durch Wüsten weit und Meer und Winteiwind« 

Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken, 

Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt. 
Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken 
Auf uns ein Christus große Hände streckt. 

Vorbei ist unsre Zeit Es ist vollbracht. 
Wir sind herunter. Seht, wir sind nun tot. 
In weißen Augen wohnt uns schon die Nacht, 
Wir schauen nimmermehr ein Morgenrot. 

Tretet zurück von unserer Majestät. 

Befaßt 1U1S nicht, die schon das Land erschaun 

Im Winter weit, davor ein Schatten steht, 
Des schwarze Schulter ragt im Abendgraun. 

Ihr, die ihr eingeschrumpft wie Zwerge seid, 
Ihr, die ihr runzelig liegt auf unserm Schoß, 
Wir wuchsen über euch 'wie Berge weit 

In ewige Todesnacht, wie Götter groß. 

Mit Kerzen sind wir lächerlich umsteckt. 
Wir, die man früh aus dumpfen Winkeln zog 
Noch grtmzend, tmsre Brust schon blau gefleckt, 
Die nachts der Totenvogel überflog. 

77 



Wir Könige, die man aus Bäumen schnitt. 

Aus wirrer Luft im Vogelkönigreich, 

Und mucher, der schon tief durch Röhricht glitt» 

Ein weißes Tier, mit Augen nmd und weich. 

Vom Herbst mworlen. Faule Frucht der Jahre» 

Zerronnen sommers in der Gossen Loch, 
Wir, denen langsam auf dem kahlen Haare 
0er Julihitze weiße Spinne kroch. 

Ruhen wir aus im stummen Turm, vergessen? 

Werden wie Welle einer Lethe sein? 

Oder daB Sturm uns tr&ht um Winteressen, . 

Wie Dohlen reitend auf dem Feuerschein? 

Werden wir Blumen sein? Werden wir Vögel werden» 

Im Stolze des Blauen, im Zorne der Meere weit? 
Werden wir wandern in den tiefen Erden» 
Maulwürfe stumm in toter Einsamkeit? 

Werden wir in den Locken der Frühe wohnen, 
Werden wir hlühen im Baum und schlummern in Frucht» 
Oder Libellen blau auf den Seeanemonen 
Zittern am Mittag in schweigender Wasser Bucht? 

Werden wir sdn, wie ein Wort von niemand gehöret? 
Oder ein Rauch, der flattert im Abendraum? 
Oder ein Weinen» das plötzlich Freudige störet? 
Oder ein Leuchter zur Nacht? Oder ein Traum? 

Oder — wird niemand kommen? 
Und werden wir langsam zerfallen» 

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in dem Gelächter des Monds, 
Der hoch über Wolken saust» 

Zerbröckeln in Nichts, 

— Daß ein Kind kann zerbaUen 
Unsere Grdfie dereinst 

In der dürftigen Faust. 

VHr, Namenlose, arme Unbekannte, 

In leeren Kellern starben wir allein. 

Was ruft ihr uns, da unser licht verbrannte, 

Was stört ihr unser frohes Stelldichein? 

Seht den dort, der ein graues Lachen stimmt 

Auf dem zerfallnen Munde fröhlich an, 
Der auf die Brust die lange Zunge krümmt, 
Er lacht euch aus, der groAe Pelikan. 

Er wird euch beißen. Viele Wochen war 
Er Gast bei Fischen. Riecht doch, wie er stinkt. 
Seht, eine Schnecke wohnt ihm noch im Haar, 
Die spöttisch euch mit kleinem Fühler winkt« 

— Ein kleines Glöckchen — . Und sie ^ehen aus* 
Das Dunkel kriecht herein auf schwarzer Hand. 

Wir ruhen einsam nun im weiten Haus, 
Unzahlige Sarge tief an hoher Wand. 

Was kommt er nicht? Wir haben Tücher an 
Und Totenschuhe. Und wir sind gespeist. 
Wo ist der Fürst, der wandert uns Toran, 

Des große Fahne vor dem Zuge reist? 



Wo wird uns seine laute Stimme wehen? - 

In welche Dämmerung geht unser Flug? 

Verlassen in der Einsamkeit zu stehen 

Vor welcher leeren Himmel Hohn und Trug? 

Ewige Stille. Und des Lebens Rest 

« 

Zerwittert und zerfftUt in schwarzer Luft. 

Des Todes Wind, der unsre Tür verläßt, 
Die dimkle Lunge yoü ^om Staub der Gruft» 

Er atmet schwer hinaus, wo Regen rauscht» 
Eintönig, fern, Musik in unserm Ohr» 
Das dunkel in die Nacht dem Sturme lauscht» 
Der ruft im Hause traurig und sonor. 

Und der Verwesung blauer Glorienschein 
Entzündet sich auf unserm Angesicht. 
Ein' Ratte hopst auf nacktem Zehenbein» 
Komm nur» wir stdren deinen Hunger nicht. 

Wir zogen aus, gegürtet wie Giganten» 

Ein jeder klirrte wie ein Goliath. 

Nun haben wir die Mause zu Trabanten» 

Und unser Fleisch ward dürrer Maden Pfad. 

Wir» Ikariden» die mit weißen Schwingen 

Im blauen Sturm des Lichtes einst gebraust, 
Wir hörten noch der großen Türme Singen, 
Da rücklings wir in schwarzen Tod gesaust. 

Im fernen Plan verlorner Himmelslande» 
Im Meere weit» wo fem die Woge flog» 

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Wir flogen stolz in Abendrotes Brande 

Mit Segeln groß, die Stium und Wetter bog. 

Was fanden wir im Glanz der Himmelsenden? 
Bin leeres Nichts^ Nun schlapfit uns das Gebein» 

Wie einen Pfennig in den leeren Händen 
Bin Bettler klappern laßt am Straßenraixu 

Was wartet noch der Herr? Das Haus ist voll» 
Die Kammern rings der Karawanserei» 
Oer Markt der Toten» der yon Knochen schoU» 
Wie Zinken laut hinaus zur Wfistenei* 



8x 



« 



DIE SEEFAHRER 

Die Stirnen der Länder, rot und edel wie Kronen, 
Sahen wir schwinden dahin im versinkenden Tag, 
Und die rauschenden Kränze der Wälder thronen 
Unter des Feuers dröhnendem Flügelschlag. 

Die zerflackenden Bäume mit Trauer zu schwärzen, 
Brauste ein Sturm. Sie verbrannten wie Blut» 
Untergehend, schon lern. Wie über sterbenden Herzen 
Einmal noch hebt sich der Liebe verlodemde Glut 

Aber wir trieben dahin, hinaus in den Abend der Meere» 
Unsere Hände brannten wie Kerzen an. 

Und wir sahen die Adern darin, und das schwere 
Blut vor der Sonne, das dumpf in den Fingern zerrann. 

Nacht begann. Einer weinte im Dunkel. Wir schwanmien 
Trostlos mit schrägem Segel ins Weite hinaus. 
Aber wir standen am Borde im Schweigen beisammen, 
In das Finstre zu starren« Und das Licht ging uns aus. 

Eine Wolke nur stand in den Weiten noch lange. 
Ehe die Nacht begann in dem ewigen Raum, 
Purpurn schwebend im All, wie mit schönem Gesänge 
Über den klingenden Gründen der Seele ein Traum. 



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DER GARTEN DER IRREN 

t 

Am roten Teiche stehen viele Schatten 

Bei dünner Bäume schwächlichen Gesichten, 

In Stille fort. Nur selten daB sich einer 

Herunter zu dem trüben Wasser bücket. 

Und manche gehn in die entleerten Hecken 

In kühlen Gängen, die schon voller Lichter, 
Und schleifen mit den Füßen in dem Laube 
Und sitzen ivieder sanft in den Verstecken. 

Der Strom ist weit hinab im blanken Scheine 
Bei Erlen und den krumm gebomen Weiden. 
Und wer mit leichtem Kahn ihn überbrücket, 
Er wird im Licht die gelben Blumen pflücken. 



ALLE LANDSCHAFTEN HABEN 



Alle Landschaften haben 

Sich mit Blau erfüllt 

Alle Büsche und Bäume des Stromes, 

Der weit in den Norden schwillt. 

Leichte Geschwader, Wolken, 
Weiße Segel dicht, 
Die Gestade des Himmels dahinter 
Zergehen in Wind und Licht 

Wenn die Abende sinken 
Und wir schlafen ein, 

Gehen die Träume, die schönen, 
Mit leichten Füßen herein. 

Zjrmbeln lassen sie klingen 
In den Händen licht. 
Manche flüstern und halten 
Kerzen vor ihr Gesicht 



MOND 



Den bhitrot dort der Horizont gebiert, 
Der aus der HöUe großen Schlünden steigt. 
Sein Piupurhaupt mit Wolken schwarz verziert, 
Wie um der Götter Stirn Akantints schweigt, 

Er setzt den grofien goldnen PuB voran 

Und spannt die breite Brust wie ein Athlet, 
Und wie ein Partherfürst zieht er bergan^ 
Des Schläfe goldenes Gelock umweht. 

Hoch über Sardes und der schwarzen Nacht, 
Auf Silbertürmen und der Zinnen Meer, 
Wo mit Posaunen schon der Wächter wacht« 
Der ruft vom Pontes bald den Morgen her« 

4 ' 

Zu seinem Fuße schlummert Asia weit 
Im blauen Schatten, unterm Ararat, 

Des Schneehaupt schimmert durch die Einsamkeit, 
Bis wo Arabia in das weiche Bad 

Der Meere mit den weißen Füßen steigt 
Und fem Im Süden, wie ein großer Schwan, 

Sein Haupt der Sirius auf die Wasser neigt 
Und singend schwimmt hinab den Ozean. 

Mit großen Brücken, blau wie blanker Stahl, 
Mit Mauern, weiß wie Marmor, ruhet aus 
Die große Ninive im schwarzen Tal, 

Und wenig Fackeln werfen noch hinaus 

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Ihr Lkhty wie Speere weit, wo dunkel braust 
Der Euphrat, der sein Haupt in Wüsten taucht. 

Die Susa ruht, um ihre Stirne saust 

£in Schwärm von Träiunen, die vom Wein noch raucht. 

Hoch auf der Kuppel, auf dem dunklen Strom 
Belauscht allein der bösen Sterne Bahn 
In weißem Faltenkleid ein Astronom, 
Der neigt sein Szepter dem Aldebaran, 

Der mit dem Monde kämpft um weiten Glans, 
Wo ewig strahlt die Nacht und ferne stehn 

Am Wüstenrand im blauen Lichte ganz 
Einsame Brunnen, und die Winde wehn 

öl Wälder fern um leere Tempel lind, 

Ein See von Silber, und in schmaler Schlucht 

Uralter Berge tief im Grunde rinnt 

Ein Wasser sanft um dunkler Ulmen Bucht. 



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SPITZKÖPFIG KOMMT ER . . 



Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch 

Und schleppt seine gelben Haare nach» 

Der Zauberer, der still in die Himmeteimtner steigt 

In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad. 

Alle Tiere unten in Wald und Gestrüpp 

Liegen mit Häuptern sauber gekämmt, 
Singend den Mondchoral. Aber die Kinder 
Knien in den Bettdien im wttfien Hemd. 

Meiner Seele unendliche See 

£bbet langsam in sanfter Flut 

Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus 

Wie ein gläserner Luitballon, 



1 



»7 



MIT DEN FAHRENDEN SCHIFFEN 



Blit den fahrenden Schiften 
Sind wir yorübergeschweilt» 

Die wir ewig herunter 

.Durch glänzende Winter gestreift. 

Femer kamen wir immer 

Und tanzten im insligen Meer, 

Weit ging die Flut uns vorbei» 

Und Himmel war schallend und leer» 

Sage die Stadt^ 

Wo ich nicht saß im Tor, 

Ging dein Fuß da hindurch» 

Der die Locke ich schor? 

Unter dem sterbenden Abend 

Das suchende Lacht 

Hielt ich, wer kam da hinab, 

Ach, ewig in fremdes Gesicht. 

Bei den Toten ich rief, 
Im abgeschiedenen Ort, 

Wo die Begrabenen wohnen; 

Du, ach, wärest nicht dort. 

Und ich ging über Feld, 

Und die wehenden Bäume zu Haupt 

Standen im frierenden Himmel 

Und waren im- Winter entlaubt 

Raben und Krähen 

Habe ich ausgesandt, 
Und sie stoben im Grauen 
Uber das ziehende Land. 



Aber sie fielen wie Steine 
Zur Nacht mit traurigem Laut 
Und hielten im eisernen Sdinabel 
Die Krinze von Stroh und Kraut 

Manchmal ist deine Stimme, 
Die im Winde verstreicfat, 

Deine Hand, die im Traume 
Rühret die Schläfe mir leicht; 
Alles war schon vorzeiten. . 
Und kehret wieder sich um. 
Gehet in Trauer gehüllet. 
Streuet Asche herum. 



DIE MEERSTÄDTE 



Giuliana Anzilotti gewidmet 

Mit den segelnden Schiffen fuhren wir quer herein 
In die Städte voll Nacht und frierender Häfen Schein» 
Tausend Treppen^ lemt stiegen zum Meere breit» 
Dunkel die Schiffe schwangen den Feuerscheit. 

<vlocke nicht bnunmf. Und Bettler nicht sa0 am Piad« 
Rief kdn Horn, und niemand den Weg uns Tertrat 
Und die Städte alle waren wie Wände bloß» 
•Sterne nur gingen über die Zinnen groB. 

Seebäume saßen geborsten im Mauergestrüpp« 
Salzig und weit • • • vor unserem Fuß. 
Brücke zerbrochen stand im Knochengerüpp» 
Perne Feuer warfen sich über den Fluß. 



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DIE SCHLÖSSER 



Alt vom Blute, und manches im toten Munde 
Kauen sie dunkel. — Wo große Schwerter geblitzt, 
Trübe Gelage 2ur Nadit in der Könige Runde. — 

I^raußen die Sonne die späten Pfeile noch spitzt. 

'Wir auch gii^w hinein. Und kamen disrch Stiegen 

Gänge: 

Mancher Verschlag tat sich auf und fiel zu. 
Viele Schatten auf bkichen Dielen in Länge 
Kamen um unseren Fuß wie Hunde in Ruh. 

Über dm Höfen, den dunklen toU Trauer, begannen 
lA^ndf ahnen eben das knarrende Abendlied. 

Und hoch in dem Licht der Götter große Gespanne 
Schnelle rollten dahin in den festlichen Süd« 



DIE STÄDTE 



Der dunkelnden St&dte holprige StraBen» 
Im Abend geduckt, eine Hundeschar^ 
Im Hohlen bellend. Und über den Brücken 
Wurden wir grofie Wagen gewahr; 

Zitierten Stimmeni vorübergewehte« 
Und runde Augen sahen uns traurig an. 

Große Gesichter, darüber das späte 
Gelächter von hämischen Stimmen raxm« 

Zwei kamen vorbei in gelben Mänteln. 
Unsere Köpfe trugen einmal sich fort, 
Büt Blute besät» und die tiefen Backen» 
Darüber ein letztes Rot noch verdorrt. 

Wir flohen vor Angst» doch un FluA weißer Welle» 
Der uns mit weißen Zähnen gewehrt» 

Und hinter uns feurige Abendsoime. 

Tote Straßen jagten mit grausamem Schwert. 



DIE STADT DER QUAL 

Ich bin in Wüsten eine groBe Stadt 
Hinter der Nacht und toten Meeren weit. 
In meinen Gassen herrscht stets wilder Zank 
Geraufter Bärte. Ewig Dunkelheit 

Hfingt über mir wie eines Tieres Haut. 

Ein roter Turm nur flackert in den Raum. 

Ein Feuer braust und wirft den Schein von Blut 

Wie einen Keil auf schwarzer Kdpfe Schaum. 

Der Geißeln Hyder bftumt in hoher Faust. 
In jedem Dunkel werden Schwerter blofi. 
Und auf den Toten finstrer Winkel hockt 
Ein Volk von bleichen Narren» kettenlos. 

Der Hunger warf Gerippe auf mich hin. 
Der Brunnen Röhren waren alle leer; 

Mit langen Zungen hingen sie darin, 

Blutig und rauh* Doch kam kein Tropfen mehr. 

Und gelbe Seuchen blies ich über mich. 
Die Leichenzüge gingen auf mir her» 
Ameisen gleich mit einem kleinen Sarg» 
Und winzige Pfeiferleute bliesen quer. 

Altäre wurden prächtig mir gebaut 
Und sanken nachts in wildem Loderschein. 
Im Dunkel war der Mord. Ut|d lag das Blut 
Rostfarbner Mantel auf der Treppen Stein. 

93 



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Asche war auf der Völker Haupt gestreut, 
Zerfetzt verflog ihr Uren Kleid wie Rauch. 
So saßen sie wie kleine Kinder nachts 
In tauber Angst aul meinem großen Bauch, 

Ich bin der Leib voll ausgehöhlter QuaL 
In meinen Achseln rotes Feuer hangt. 
Ich bäume mich und schreie manchmal laut» 
In schwarser Himmel Grabe ausgerenkt 



$ 



DIE IRREN 
L 

Papierne Kronen zieren sie» Sie tragen 
Holzstdcke aufrecht auf den spitzen Knien 

Wie Szepter. Ihre langen Hemden schlagen 
Um iiiren Bauch wie Königshermelin. 

Ein Volk von Christussen, das leise schwebt 
Wie große Schmetterlinge durch die Gänge, 
Und das wie grofie Lilien rankt und klebt 
Um ihres Käfigs schmerzliches Gestänge. 

Der Abend tritt herein mit roten Sohlen» 

Zwei Lichtem gleich entbrennt sein goldner Bart, 

In dunklen Winkeln hocken sie verstohlen 
Wie Kinder einst, in Dämmerung geschart« 

Er leuchtet tief hinein in alle Ecken, 
Aus allen Zellen grüßt ihn Lachen froh. 
Wenn sie die roten, feisten Zungen blecken 

Hinauf zu ihm aus ihres Lagers Stroh, 

Dann kriechen sie wie Biläuse eng zusammen 

Und schlafen unter leisem Singen ein. 
Des fernen Abendrotes rote Flammen 
Verglühen sanft auf ihrer Schläfen Pein. 

Auf ihrem Schlummer kreist der blaue Mond^ 

Der wie ein Vogel durch die Säle fiiegt. 

Ihr Mund ist schmal, darauf ein Lächeln thront. 

Das sich, wie Lotos weiß, im Schatten wiegt. 

95. 



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Bis leise Stimmen tie£ im Dunkel singen 
Vor ihrer Herzen Purpur-Baldachin 

Und aus dem Äthermeer auf roten Schwingen 
Träume» wie Sonnen groß, ihr Blut durchziehn. 



96 



n. 

• ■ ■ * 

Der Tod zeigt sein^ weiBe Leichenliaut 

Vor ihrer Kerkerfenster Arsenal. 

Das schwarze Dunkel schleicbt in trübem Laut 

Geborstner Flöten durch der Nächte QobL 

Und weiße Hände strecken sich und klingen 
Aus langen Armein in der Sftle Tor* 

Um ihre Häupter wehen schwarze Schwingen, 
Rauchende Fackehi wie ein Trauerflor. 

Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten, 
Der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt. 
: .Wie gelbe Schlangen auf Terrufnen Statten, 
So wiegt ihr fahles Haupt, ron Nacht bedeckt 

Ein Schrei, Ein Paukenschall. Ein wildes Brüllen, 
Des Echo dumpf in dunkler Nacht Terlischt. 

Gespenster sitzen um sie her und knüllen 
Den Hals wie Stroh. Ihr weifier Atem ziscbt. 

9 

Ihr Haar wird bleich und feucht vor kaltem Grauen. 
. \ Sie fühlen Hammerschlag in ihrer Stirn, 
Und grofie Nägel spitz in Geierklauen, 

Die langsam treiben tief in ihr Qehim. . . 



97 



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in. 

Variation. 

Ein Königreich. Provinzen roter Wiesen, 
fiin Wlrter, eine Peittche, eine Kette. 

So klappern wir in Nessel, Dorn und Klette 
Durch wilder Himmel schreckliche Devisen, 



Die uns bedrohn mit den gezackten Flammen, 

Mit großer Hieroglyphen roter Schrift. 

Und unsrer Schlangenadem blaues Gift 

Zieht krampfhaft sich in unserm Kopf zusammen. 

> 

Daß tausend Disteln unsere Beine sphlageiii 
Dafi mandien Regenwürmchens Köpfchen knadct 

Zu unseres wilden Volks Bacchanteti-Takt| 
Wir hören's ferne nur in unsere Klagen. 

* 

Ein gläsern leichter Fuß ward uns gegeben, 
Und ScharlachilQgel wächst aus unserm Rückm. 
So^ tanzen wir zum Krach der Scharben-Stücken, 

Durch lauter Unrat feierlich zu schweben. 

Welch gOttfich schönes Spid. Bin Meer Feuer. 

Der ganze Himmel brennt. Wir sind allein, 
Halbgötter wir. Und unser haarig Bein 
Springt nackt auf altem Steine im Gemäuer. 

Verfallner Ort, versunken tief im Schutte, 

Wo wie ein Königshaupt der Ginster schwankt, 

Des goldner Arm nach unsem Knöcheln langt 

Und lüstern fährt herauf in unsrer Kutte. 

9$ 1 



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Wo eine alte Weide, dürr und stumm, 
Mit Talismanen ihren Bauch behingt. 

Vor unsrer Göttlichkeit die Arme senkt 

Und uns beschielt mit Augen, weifi und krumm. 

Aus ihrem Loch springt eine alte Maus, 
Verrückt wie wir. Ein goldner Schnabel blinkt- 
Am Himmelsrand. Ein leises Lied erklingt, 
Ein Schwan zieht in das Feuer uns voraus« 

O 80Ber. Sierbeton, den wir geschlürft 
Breitschwingig flattert er im gölten West, 
Wo hoher Pappeln zitterndes Geäst 
Auf unsere Stirnen Gitterschatten wirft 

Die Sonne sinkt auf dunkelroter Bahn, 

In einer Wetterwolke klemmt sie fest 

Macht schnell und reifit aus seinem schwarzen Nest 

Mit Zangen aus den goldnen Wolken-Zahn. 

Hui. Er ist fort. Der dunkle Himmel sinkt 

Voll Zorn herab in einen schwarzen Teich, 
Des Abgrund droht, mit fahlen Wolken bleich, 
Unheimlich, eine Nacht, die Unheil bringt. 

Und eine Leiche wohnt im tiefen Grund, 
Um die ein Aale- Volk geschmeidig hüpft 
Uralt, ein Fisch, der ein zum Ohre schlüpft 
Und wieder ausfährt aus dem offnen Mund. 

Ein Unke -ruft. Ein blauer V^edehopf 

Meckert wie eine Ziege in dem Sumpf. — 

7» ^ 



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Was werden eure Stknen kkisi und dumpf, 
Was itriubt sich euch der graue Narrenichopf ? 

Ihr wollet Fürsten sein? Ich sehe Bestien nur. 
Die weit die Nacht erschrecken mit Gebell. 
Was flieht ihr mich? Die Arme flattern schnell^ 
Wie Gänse an dem Messer der Tortur. 

Idi bin' allein im stummen Wetterland, 
Ich, der Jerusalem vom Kreuz geschaut, 
Jesus deretnst Der nun den Brotranft kauti 
Den er im Staub ▼erlomer Winkd fand. 



VERFLUCHUNG DER STÄDTE V 



Ihr seid verflucht. Doch eure Süße blüht 
Wie eines herben Kusses dunkle Frucht, 
WeoA Abend wann um eure Türme sprüht» 
Und weit hinab der langen Gassen Flucht. 

Dawi zittern alle Glocken allzumal 

In ihrem Dadi, wie Sonnenblumen welk. 

Und weit wie Kreuze wächst in goldner Qual ' 
Der hohen Galgen düsteres Gebftlk. 

Und wie ein Meer von Flammen ragt die Stadt, 
Wo noch der West wie rotes Eisen glänzt» 
In den die Sonne wie ein Stierfaaupt g^tt 

Die Hörner streckt, von dunklem Blut bekränzt. 



DIE NACHT , 

Alle Flamme» starben m Nai^ht auf den Stnfeli.* 
Alle Kränze verwehten. Und unten im Blute verloren 
Seufzte d^a Qtmmu Wie hinter geatcMrbeneii Toreii 
Manchmal. ei itni meh hallt von dunketsn Ruleto* 

Eine Fackel nach , oben hog aus den Gäng«l^ 

Lief im Chor und veraank wie daH Heer der Diinonen, 

Rot und rauchend. Doch draußen der Waldung Kronen 
Wuchsen im Sturm und zerrten sich in die Lange« 

Und in Wolken hoch kamen mit wilden Gesängen 
Weiß die Greise der Stürme, und riesige Vögel scheuchten 
Uber den Himmel hinah, wie Schüfe mit Itinchten 
Segeln, die schwer auf den Wogen hängen. 

Aber die Blitze zerrissen mit wilden und roten 
Augen die Nacht, die Öde der Säle zu hellen, 
Und in den Spiegeln standen mit Köpfen, den grellen, 
Drohend herauf mit schwarzen Händen die Toten. 



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DIE SOMNAMBULEN 



Sdun hnmt die lUtteniMlit. Mit laofem Hair» 

In weiße Tücher feierlich gehüllt, 

Zieht schwankend auf der Somnambulen Schar, 

Vnt Rauch so weid, der weit den Htinmel füllt. 

Aus allen Dächern steigen sie herauf» 
Irrlichtern gleich auf einem ichwat«en Sumpf« 

Sie tanzen auf der Wetterfahnen Knauf 
Mit irren. Lächelns tröhUchem Triiunph. 

Sie schlagen Zymbeln In der leichten I|and 

Und irren singend in der grünen Luit« 

Vor ihren Brüsten zittert ihr Gewand» 

Die wild den Mond berauscheni süß» yoII Duft 

Sie kitsein iha mit ihren «arten Htoden 
Und. swicktti leicht ihn in das gelbe Ohr. 

Sie wiegen sich in ihren magern Lenden 
Im Tanzschritt hin» ein weißer Trauerchor. 

Sie fliegen durch die Nacht wie Wolken leise 
Hoch über spitzer Berge blauem Grat 
Hinauf zu ihm auf ihrer leichten Reise 
Zu einem Wiegenlied an Abgnmds Pfad. 

Der Mond umfängt sie sanft mit Spinnenarm» 
Ihr Haupt wird yon dem Kusse weiß gemalt. 

Sie ruhn an ihres Bräutigams Herzen warm» 
Der tief durch ihre dünne Rippe strahlt. 



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DIE STADT 



Im Dunkel ist die Nacht. Und Wolfcentchtin 
Zerreißet vor des Mondes Untergang. 
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang 
Und hlinsein mit den Lidern, rot and Idtin* 

Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt, 
Unzihlig Menschen schwemmen aus und ein, 

Und ewig stumpfer Ton von dumpfem Sein 
Eintönig kommt heraus in Stille matt. 

Gebären, Tod, gewirktes Einerlei, 
Lallen der Wehen, langer Sterbeschreii 
Im binden Wechsel geht es dimqrf vorbei. 

Und Schein und Feuer, Fackel rot und Brand 
Die drohen im Weiten mit gezückter Hand 
Und scheinen hoch von toter Wolkenwand« 



HALBER SCHLAF 



Die Finsternis raschelt wie ein Gewand» 
Die Bäume torkeln am Himmelsrand. 

Rette dich in das Herz der Nacht, 
Grabe dich schnell in das Dunkele ein. 
Wie in Waben. Bilache dich klein» 
Steige aus deinem Bette* 

Etwas. wiU über die Brücken, 
Es scharret mit Hufen krumm, 

Die Sterne erschraken so weiß. 

Und der Mond wie ein Greis 

Watschelt oben herum 
Mit dem höckrigen Rücken. 



FRÖHLICHKEIT 



Wie Sonnen flammend in den Nadimittagen, 
Und tausend Leute schauen mit Behagen 
Wie sich Kamete dfthn, und Rosse, scfaoalle; 

Die starren Schwäne und die Eleianzen; 
Der eine hebt vor. Freude schon das Bein 

Und grunzt im hohlen Bauche wie ein Schwein. 
Und alle Tiere langen an » tanzen« 

Doch nebenan im Hinunelslicht, dem hellen, 
Gehen die Maurer, schwarz wie Läuse klein, 
Hoch im Gerüst, ein feuriger Verein» 
Und schlagen Takt mit ihren Mawerhdkii. 



KATA 



Ein rottr Dohmt. Und die Srane tott^ - 

Ein Purpurdrachen. Sein gezackter Schwanz 
Peitscht hoch herauf der w«fttea Himmel Glanz, 
Der Eichen HeriKmt, drin Flamme gloel. 

Der großm Babel weiße Marmorwand 
Und nmgut Pageden goMmn Stein 

Zerschmettert fast der ungeheure Schein, 
Mit. lauten Beilen eine Feuerhand. 

Musik. Musik. Ein göttlicher ChoraU 
Das offne Maul der Sonne stimmt ihn an, 
Das Sehe dröhnt Yom weiten Hi mmel sea tf 

Und ruft hervor der dunklen Nacht Tyrann, 
Den Mond, Tetrarchen» der im Wolkental 
Schoo seilsam leidet da» lahle Vie]:fss9anft. 



DER STERBENDE FAUN 

Er stirbt am Waldrand, mit verhaltnem Laut 
Kkgt schon sein Schatten an des Hades Tor* 
Der Kranz Ton Lattich, den sein Haupt verlor. 

Fiel unter Disteln und das Schierlingskraut. 

Den Pfeil im Hals, verschüttet er sein Blut, 

Das schwarze Faunsblut, in den grünen Grund 
Der abendlichen Halde, aus dem Mund, 
Drauf schon des Todes dunkler Fli^ ruht. 

Der Himmel Thraziens glänzt im Abendgrün» 
Ein Silberleuchter seinem Sterbesdurei, 
Aus fmien Bergen, wo die Eichen g^fihn. 

Tief unter ihm verbladt die mite Bai» 
Darüber hoch die roten Wolken ziehn» 

Und fem ein Purpursegei schwimmt vorbei. 



zoS 



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DIE BI.INDEN FRAUEN 



Die Blinden gehn mit ihren Wärterinnen» 
Schwarze Kolosse» Moloche aus Ton» 
Die Sldayen Torwärts ziehn« Und sie beginnen 
Ein Blindenlied mit lang gezogenem Ton. 

Sie dehn wie Chöre auf mit starkem Schritte 

Im Eisenhimmel, der sie kalt umspannt. 

Der Wind türmt auf der großen Schädel Mitte 

Ihr graues Haar wie einen Aschenbrand« 

Sie tasten sich an ihrem großen Stabe 
.Die lange Straße auf zu ihrem Kamm. 

Auf ihrer ungeheuren Stirnen Grabe 
Brennt eines dimklen Gottes Pentagramm. 

Der Abend hängt wie eine Peuertonne 

Am Horizont auf einem Pappelbaum. 

Der Blinden Arme stechen in die Sonne^ 

Wie Kreuze schwarz am frohen Hisunelssaunu 



DER WINTER 



Dtr Stunn heult immer Imt in den Kaminen, 

Und jede Nacht ist blutigrot und dunkel, 
Die H&user recken sich mit leeren Mienen* 

« 

Nim wohnen wir in rings umbauter Enge 
Im Icarsen Licht und Dunkel unserer Gruben» 
l/^e Seiler aerrend grauer Stunden Länge. 

Die Tage zwtagen sich in niedre Stuben, ^ 
Wo heisres Feuer krächzt in großen Öfen. 

Wir stehen an den ausgefrornen Scheiben 
Und starren schräge nach den leeren Höfen. 



NACHT III 



Jetzt schlafen viele wie in weißen Särgen, 
Und in den Wänden sieht man Betten stehen, 
Darin sich schaukelnd grofte Köple dnlien. 

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Doch manche müssen einsam weit noch gehen. 

Um sich in dimkia Nädito za mbergen» 

Wo schwer itti Bimmel «idi <die Wolken Kriaden. 

Sie hUrrn ott ein groflea Wagenrollen 

Und schattehhafte Pferde sdmeU versckwtnden 

In Straßen fort und Maxkem, dunkelYollen. 

Und manchmal sehen sie in hohen Türmen 

Den grauen Mond in Falten und verquollen 
Und Nachtgevögel, das von droben stürmet. 

Im Irrsal suchen sie den Weg zu finden 
Und tasten mit den Händen rund, den blinden, 
Und hinter ihnen kichern die Laternen, 
Die schnell in trübe Nächte sich entfernen. 

In wirrer Dächer Sturz und Häuser Enge, 
In leerer Giebel ausgebrannten Sparren 

Sind viele Tote, die im Kühlen hängen 

Und mit dem Fuß im Morgengrauen scharren« 



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DIE NEUEN HAUSER 

Im grünen Himmel, der manchmal knallt 
Vor Fxost im rostigen > Westen, 
Wo noch eia.fiaiun mit den Ästen 

Schreit in den Abend, stehen sie plötzlich, frierend und kalt/ 
Wie Pilze gewachsen, und strecken in ihren Gebresten 
Ihre schwatzen und dünnen Dachspanren hinmirtani 
Klappemd in ihrer Mauern schäbigem Kleid 
Wie ein armes Volk, das vor Kälte schreit. 
Und die Diebe schleichen über die Treppen hSnan, 
Springen oben über die Bdden mit schlenkerndem Bdn, 
Und manchmal Üackert heraus ihr Latemenschein. 



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DIE HÖFE LUDEN UNS EIN . « . 

Die Höfe luden uns ein, mit den Armen schmächtig. 
Faßten unserer Seelchen zipfeliges Kleid. > 
Und wir entglitten durch Tore nftchtig - 

In toter Gärten verwunschene Zeit. 

• , * ■ 

Aus Regenrohren fiel Wasser bleiern^ 
Ewige Wolken flogen so trühe. 

Und über der Starre der frostigen Weiher 
Rosen hängen in dürrem Triebe. 

Und wir gingen auf herbstlichen Pfaden, geringem. 

Gläserne Kugeln zerrissen unser Gesicht, 

Jemand hielt sie uns vor auf den spitzigen Fingern, 

Unsere Qualen macliten uns Feuer-licht, 

Und wir schwanden so schwach: in die gläsernen Räume 

Rief es voll Wehmut, da dünne das Glas zerbrach; 
Wir sitzen nun ewig in weißüchen Wolken, zu träumen 
Spielendem Fluge der Falter im Abendrot nach. 



8 



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ALLERSEELEN 



Geht Tag ferne aus» kommt der Abend, 

Brennt ein Stern in der Höhe zur Nacht, 
Wehet das Gras, und die Wege alle 
Werden in Dtaimning zusammengebracht 

Viele sind über die Steige gegangen, 
Ihre Schatten sind ferne zu sehen, 

Und sie tragen die Kreuze und Stangen, 
Kote Fackeln, die wandern imd wehen. 

Mauern sind hinten und Gräber und wenige Bäume, 
Manche Tore darin, wo der Lorbeer trauert. 
Viele sitzen in Haufen über den Steinen, 
Ihre Lichter behütend, wenn der Regen schauert. 

Und ein Rot steckt im Walde, dürr wie ein Finger, 
Wo der Abend hänget in wolkiger Zeit 

Mit dem wenig Licht. Und geringer 
Rings ist die Nähe. Und Weite, so weit. 

Doch ewig weht der Wind, der nimmer schweiget, 
Im dunklen Lande, herbstlich schon gebraunet, 
Der dunkle Bilder viel vorüber zeiget 
Und dunkle Worte flüchtig trübe raunet. 



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SIMSON 



In leeren Sälen, die so weit 

Wie leerer Atem, im Abende tot 
Stehet er breit mit dem Feierkleid 
Und der türmenden Mütze rot* 

Die Mauern flohen von ihm hinweg, 

Die krummen Säulen irrten in Nacht hinaus. 

Er ist allein in dem riesigen Haus. 

Und niemand ist da» der ihn hält. 

AUe sind fort. Und ein Mäusegeschrei 

Ist oben rund in der Luft. 
Und über die Stiege herum 
Huscht es wie Hunde vorbei. 



"S 



DIE TAUBEN II 



Doch nachts im Schatten ihrer hohen Träume, 
Wie unter großer Eichen kühlem Dach, 
Ktingt um sie laut das Dunkel hundertfach, 

Und Sterne fahren singend durch die Räume, 

Vom Hauche Gottes durch das All getrieben, 
Mit goldnen Federn in die Nacht gespreizt, 
Kometen, die mit trübem Schrei zerstieben» 
Der traurig ihre schlaffen Ohren beizt. 

Sie horchen auf des Waldes Ruhe unten, 

Wie in den Wurzeln blau der Schlummer schwillt. 
Und auf der Erde schweres Atmen drunten. 
Das langsam ihre großen Höhlen füllt. 

Und wieder klingt's in ihrem Frieden leise, 
Wenn das verborgne Silber wachsend schwärt 

Und das Geräusch der Sonne auf der Reise, 
Die unten über weite Meere fährt* 

Auf einmal hören sie die Stürme wehen, 
Und laute Glocken läuten durch die Nacht. 
Sie möchten gern dem Schall entgegengehen. 
Erhört, entfesselt, in das Licht gebracht. 

Doch plötzlich bricht es ab. Und nur ein Zittern 
Ist nmd im Raum, das sie im Ohre nagt, 
Wie wenn in Sarges Enge im Verwittern 
Ein Toter weint imd seine Trauer klagt. 



zr6 



Em Lächeln kraut sie dann, dafi sie noch leben» 
Der Sabber hängt sich um ihr feistes Kinn, 

Und jemand kommt mit Fingern leis, die schweben 
Voll Liebe auf den Rettichköplen hin« 



XX7 



DAS INFERNALISCHE ABENDMAHL 



Ihr, denen ward das Blut vor Trauer bleich, 
Ihr, die der Sturm der Qualen stets durchrast, 

Ihr, deren Stirn der Lasten weites Reich, 
Ihr, deren Auge Kummer schon verglast, 

Ihr, denen auf der jungen Schläfe brennt 
Wie Aussatz schon das große Totenmal, 
Tretet heran, empfangt das Sakrament 
Verfluchter Hostien in dem Haus der Qual. 

Besteigt die Brücke auf dem schwarzen Fluß, 
Darüber wallet der Verfluchten Schar. 
Und dunkel grüßt euch groß der Portikus, 
Durch den in Dämmrung glänzt der Hochaltar. 

Nachtschwarze Wolken drängen in den Dom 

Voll Sturm und Blitzen durch das große Tor. 
Ein Wetter tost. Im schwarzen Regenstrom 
Versinkt der Orgel Ton im fernen Chor« 

Die Gräber springen auf. Der Toten Hand 
Streckt weiß und kalt die Knochenfinger aus. 

Sie winken euch aus ihrem dunklen Land. 
Und ihr Geschrei erfüUt das Riesenhaus. 

Die Fliesen brechen auf. Und Lethe braust 
Tief unten über einen Wasserfall. 
Der Abgrund schwindelt Meilen tief und saust 
Von ungeheurer Stürme weitem Hall. 



Hoch| wo das Dunkel seine Schatten türmt 
Darch Ewigkeiten fern vom Gnind der Qual, 

Hoch oben, wo im Dom der Regen stürmt, 
Erscheint des Gottes Haupt, wie Morgen fahl* 

Die weiten Kirchen füllt der Sphären Traum 

Voll Schweigen, das wie leise Harfen klingt, 
Da, wie der Mond vom großen Himmelsraiun 
Des Gottes weiBes Haupt heruntersinkt. 

Tretet heran. Sein Mund ist süß wie Frucht, 
Sein Blut ist wie der Wein, langsam und schwer» 
Auf seiner Lippen dunkelroter Bucht 
Wiegt blaue Glut von fernem Sommermeer* 

Tretet heran. Wie Flaum von Faltern zart. 
Wie eines jungen Sternes goldne Nacht» 

Zittert sein Mund in seinem goldnen Bart, 
Wie Chrysolyth in einem tiefen Schacht. 

Tretet heran. V/ie einer Schlange Haut 

So kühl ist er, weich wie ein Purpurkleid, 
Wie Abendrot, so sanft, das übergraut 
Brennender Liebe wildes Herzeleid. 

Der Gram gefallner Engel ruht, ein Traum» 
Auf seiner Stirn, der Qualen weißem ThroUi 
Wie Schläfer traurig» denen floh zum Saum 
Des blassen Morgens ihre Vision. 

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Tieler als tausend leere Himmel tief 

Ist seine Schwermut, wie die Hölle schtoi 

Wo in den roten Abgrund sich verlief 
Ein bleicher Sonnenstrahl aus Mittagshöhn. 

Sdn Leid ist wie ein Leuchter in der Nacht, 

Scheuet die Flamme, die sein Haupt umloht 
Und doppelhörnig in der düstren Pracht 
Aus seinem Lockenwald ins Dunkel droht. 

Sein Leid ist wie ein Teppich, drauf die Schrift 
Der Kabbalisten brennt durch Dunkelheit, 
Ein Eiland, dem vorbei ein Segler schüft, 
Wenn in den Bergen fem das Einhorn schreit. 

Sein Leid trägt eines Schattenwaldes Duft, 
Wo großer Sümpfe Trauervögel ziehn, 
Ein König, der durch seiner Ahnen Gruft 
Nachdenklich geht in weißem Hermelin. 

Tretet heran, entflammt von seinem Gram. 
Trinkt seinen Atem, der so kühl wie Eis, 
Der über tausend Paradiese kam, 
Voll Duft, der jeden Kummer weiß. 

Er lächelt, seht. Und eurer Seele Bild 
Wird wie ein Weiher, der im Schilfe schweigt, 
Wo leis des Hirtengottes Flöte schwillt, 
Der durch die Lorbeerschlucht heruntersteigt, 

X20 



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Schlaft ein. Die Nacht, die schwarz im Dome hängt, 
Verlöscht die Lampen an dem Hochaltar, 
Der grofie Adler seines Schweigens senkt 
Auf eure Stirn sein dunkles Schwingenpaar. 

Schlaft, schlaft. Des Gottes dunkler Mund, er streift 
Euch herbstlich kühl, wie kalter Grftber V^nd, 

Darauf des falschen Kusses Blume reift, 
Wie Meltau giftig, gelb wie Hyazinth. 



X2Z 



MEINE SEELE 



Gologangi gewidmet 

Meine Seele ist eine Schlange, 

Die ist schon lange tot, 

Nur manchmal in Herbatesmorgen, 

Entblättertem Abendrot 

Wachse ich steil aus dem Fenster, 

Wo fallende Sterne sind» 

Über den Blmnen und Kressen 

Meine Stime spiegelt 

Im stöhnenden Nächte- Wind. 



DEINE WIMPERN, DIE LANGEN * . . 



Deine Wimpern, die langen, 
Deiner Augen dunkele Wasser, 
LaB mich tauchen darein, 

Laß mich zur Tiefe gehn. 

Steigt der Bergmann zum Schacht 
Und schwankt seine trübe Lampe 
Uber der Erze Tor, 
Hoch an der Schattenwand, 

Sieh, ich steige hinab. 
In deinem Schoß zu vergessen, 
Fem was von oben dröhnt. 
Helle und Qual und Tag« 

An den Feldern Terwächst, 

Wo der Wind steht, trunken Tom Korn, 

Hoher Dorn, hoch und krank 

Gegen das Hinunelsblau. 

Gib mir die Hand, 

Wir wollen einander verwachsen. 

Einem Wind Beute, 
Einsamer Vögel Flug. 

Hören im Sommer 

Die Orgel der matten Gewitter, 

Baden in HerbstesHcht 

Am Ufer des blauen Tags. 

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Manchmal wollen wir stehn 

Am Rand des dunkelen Bninnensi 

Tief in die Stille zu sehn. 
Unsere Liebe zu suchen, 

Oder wir treten hinaus 

Vom Schatten der goldenen Wälder, 

Groß in ein Abendrot, 

Das dir berührt sanft die Stirn, 

Göttliche Trauer, 
Schwinge der ewigen Liebe, 

Hebe den Krug herauf, 
Trinke den Schlaf. 

Einmal am Ende zu stehen, 
Wo Meer in gelblichen Flecken 
Leise schwimmt schon herein 

Zu der September Bucht. 

Oben 2u nihn 

Im Hause der dürftigen Blumen, 
Über die Felsen hinab 
Singt und zittert der Wind. 

Doch von der Pappel, 

Die ragt im Ewigen Blauen, 

Fällt schon ein braunes Blatt, 

Ruht auf dem Nacken dir aus. 



DIE N£B£LSTÄDT£ 

Der Nebelstädte 

Winzige Wintersonne 

Leuchtet mir mitten ins gifiseme Herz. 

Das ist voll vertrockneter Blumen 

Gleich einem gestorbenen Garten. 

Wohl war im Frührot noch 

Blutiger Wolken Krampf, 

Und der sterbenden Städte 

Schultern zuckten im Kampf. 

Wir aber gingen von dannen 

Und rissen uns auf mit ein Mal, 

Dumpf scholl aus dem wilden Gestrette 

Finsternis, — Unrat — siebenfarbiger Qual. 

Doch niemand rühret das starre 
Gestmi noch mit der Hand^ 
Da der rostige Mond 
Kollerte unter den Rand 
In wolkiger Winde Geknarre. 



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DIE VÖGEL 



Wie trübe Morgen langsamer Tage 
Über den Seen und Sümpfen voll Klage, 
Uber dem schillemden Schilf ruht die Nacht. 
Regen beginnt; in den Bäumen erwacht 

Ein Geschrei« Und huschen die Hunde 
Rund um die Mauern mit heiserem Munde. 

Aber die Türme steigen von Bergen, bleichen, 
Und hocl^en stumm um verschrumpfte Teiche, 

Eine Fackel brennt auf. Und die Vögel der Öden 
Steigen herauf in die Wolkenböden, 
Hoch von den kahlen Sitzen und Horsten, 
Morsche Flügel und trostlos zerborsten« 

Langsam mit ihren gewaltigen Händen 
Fassend die Nacht an den dunkelnden Enden, 

Drehend wie Schatten und böse Gedanken, 
Die in brechenden Wolken schwanken* 

Plötzlich stürmet vorbei vor dem Mond ein Geschwirre, 
Und er schreit wie ein Kind vor der Federn Geklirre, 
Schlagend die Flügel, nisten sie über ihm 
Und krähen ihr Lied . . . 



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DIE TÄNZERIN IN DER GEMME 



Robert Jentzsch gewidmet 

Lange verschlossen, tief im runden Steine 
Mit einem Trauerbaum und dünnen Zweigen, 
Noch hebt sie um den Hals den sanften Schleier 

Und geht im Tanz dahin in stiller Feier. 

Immer noch fort, wo schon die Götter gestorben 

Über den Inseln, und draußen gezogen 
Ist das Meer unter schläfrigen Wolken, 
Unter dem Ufer murrte die Woge, 

Orpheus ging einst. Und sie sann seiner Schritte 
Durch die Schluchten herunter zur Ebene, 
Da sie lag im Schilf mit den wolligen Herden. 

Aber ferne ging die Flöte des Gottes. 

Uber der grünen Ruhe der toten Fluren, 

Die so einsam sang ihre Traurigkeit 
Grauer Gewdlbe über die Weiden weit, 
Wo die Tiere gingen mit tiefem Home. 



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HORA MORTIS 

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* m 

Gebannt in die Trauer der endlosen Horizonte^ ' 
Wo nur ein Baum sich wand unter Schmerz,. 
Sanken wir^-Bergleiiten gleich, in das Schweigen der Grube 
Unserer Qual. Und von Leere schwoll uns das Herz. 

Trfib wie die Winde» im Schierling, bei Büschen und Weiden 
Haben wir unsere Hände im Dunkel gesenkt, 

Und dann gingen wir lässig und freuten uns unserer Leiden, 
Arme Spiegel, darin sich dm düsterer Abend fängt« 

Nachtwandlern gleich, gejagt vom Entsetzen der Träume, 
Die seufzend sich stoßen mit blinder Hand, 
Also schwankten wir in des Herbstes verschwindende Räume, 
Der wie ein Riese sich hob in die Nacht und versank. 

Aber im Woikenland, im Finstern, sahn wir die Scliatten 
Schwarzer Störche und hörten den traurigen Flug, 
Und wir schwanden daiün in Schwermut und bittrem Er- 
matten, 

Blutleere Seele, die Lethe durch Höhlen voll Kummer trug. " 



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Z28 

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JUDAS 

Die Locke der Qual springt über der Stirne, 
Drin wispern Winde und viele Stinunen» 
Die wie Wasser vorübersdiwiinmen. * 

*. 

Doch er rennet bei Ihm gleich einem Hunde. 
Und er picket die Worte h^nror in dem Kote. 
Und er wieget sie schwer. Sie werden tote. 

Ahl der Herr ging über die Felder weiß 
Sanft ^linab am schwebenden Abendtag, 
Und die Ähren sangen zum Preis, 
Seite Füße waren wie Fliegen klein 
In goldener Himmel grellem Schein« 



DER GARTEN 



Der Mund ist feucht und wie bei Fischen breit 

Und leuchtet rot in dem toten Garten. 

Sein PiiB ist glatt und über den Wegen lireit» 

Winde gehen hervor aus dem faltigen Kleid. 

Er umarmet den Gott, der dünn wie. aus Silber 
Unter ihm knickt. Und im Rücken die Finger 
Legt er ihm schwarz vrit härige Krallen. 
Quere Feuer» die aus den Augen fallen., 

Schatten gehen und Lichter; manchmal im Mond 
Ein Gesause der Bl&tter. Aus warmer Nacht 
Trüber Frost Und unten rufen die Homer 

Wandelnder Wächter über der gelben Stadt. 



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PILATUS 



Bin Lachein schiefen Grames, das verschwindet 
Hinein in seiner Stime weißes Tor. 

Er sitzt auf seinem Stuhl. Seine Hände erhoben 
Brechen den Stab und fallen von oben. 

Aber wie eine Blume voll grüner Helle 
Leuchtet im Dunkel der Höfe der König der Juden» 
Und die Stirn, die sie schattig mit Domen beluden, 
Brennt wie ein Stein in fahler Grelle. 

Und der Gott steigt hinauf, von den Schultern gehoben 
Riesiger Engel. Er singet, ein Schwan, 
Leicht und klein fährt er auf, in strahlender Bahn, 
Und der Vater im Glänze wartet sein droben. 

Aber der Richter am blauen Gebirge, 
Hänget im riesigen Mantel wie faltige Frucht. 
Wilder konmit der Abend über die hallenden Oden, 

Schweigsame Wasser fallen in grüner Schlucht. 



13X 



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DER BAUM 



Sonne hat ihn gesotten» 
Wind hat ihn dürr gemacht, 

Kein Baum wollte ihn haben, 
Überall fiel er ab. 

Nur eine Eberesche, 
Mit roten Beeren bespickt, 
wie mit feurigen Zungen, 
Hat ihm Obdach gegeben. 

Und da hing er mit Schweben, 
Seine PüBe lagen im Gras. 

Die Abendsonne fuhr blutig 
Durch die Rippen ihm naß, 

Schlug die ölwälder alle 
Über der Landschaft herauf, 
Gott in dem weiBen Kleide 

Tat in den Wolken sich auf. 

In den Uumigen Gründen 

Singendes Schlangengezücht, 
In den silbernen Hälsen 
Zwitscherte dünnes Gerücht. 

Und sie zitterten alle 
Über dem Blätterreich, 
Hörend die Hände des Vaters 
Im hellen Geäder leicht. 



DIE MESSE 
<Al8 meine Schwester weinte) 

Bei dreier Kensen müdem Lichte 

Die Leiche schläft. Und hohe Mönche gehen 

Um sie herum. Und legen ihre Finger 
Manchmal über ihr Angesicht, 

« 

Froh sind die Toten, die zur Ruhe kehren 

Und strecken ihre weißen Hände aus» 

Den Engeln zu, die groß und schattig gehen 

lilit Flügelschlägen durch das hohe Haus. 

Nur manchmal schallt ein Weinen durch die Wände, 

Ein tiefes Schluchzen wälzt sich in der Lust. 
Man kreuzet ihre hagern Fingerhände 
Zum Frieden sanft auf die Terhaarte Brust. 



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HYMNE 

Unendliche Wasser rollen über die Berge, 

Unendliche Meere kränzen die währende Erde, 
Unendliche Nächte kommen wie dunkele Heere 
Mit Stfirmen herauf» die oberen Wolken zu stören. 

Unendliche Orgeln brausen in tausend Röhren, 
Alle Engel schreien in ihren Pfeifen 
Über die Türme hinaus, die gewaltig schweifen 
In ewiger Räume verblauende Leere. 

Aber die Herzen, im unteren Leben verzehret, 

Bei dem schmetternden Schallen verzweifelter Flöten 
Hoben wie Schatten sich auf in tödlichem Sehneni 
Jfenseit lieblicher Abendröten. 



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DER HIMMEL TRAUERSPIEL 

GEDICHTE AUS DEM NACHLASS 



Woran denkst du? Und warum tust du so wloren? 
Erliegst auch du der Himmel Traueraptel? 

Georg Heym, Fragment. 



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DER TAG 



Der Tag liegt schon auf seinem Totenbette, 

Auf goldnem Teppich und der sanften Glätte 

Des Pufpunrlieses. Doch er reißt die Binden 

Von seiner Wunde königlich. Da schwinden 

Die blauen Venen. Und das rote Blut 

FHeßt, fließt und fließt, und füUt mit tiefer Glut 

Des Westens Himmel weit, und scharlachrot 

Die weiten Wälder, die des Titans Tod 

Bejammern laut Die Strome stehen alle 

Gebannt vom Grauen yor des Königs Falle, 

Geronnen weiß. Muß er herunter schon 

Zum ewigen Schatten? Dessen hoher Thron 

Am Mittag stand im Licht, der Göttersohn, 

Des ungeheurer Glanz das All gefüllt, 

Die marm or weißen T empel. Blauer Glanz 

Auf allen Höfen, Da im Lichte ganz 

Die breiten Treppen schwammen, und der^Schein 

Der weißen Delhi. Wo ein weißer Stein 

Und andre Sonne brannte India. 

Er warf sein Glutmeer weit, so furchtbar nah 

Wie eine Hand. Und eine Wolke stand 

Vor Hitze taumelnd in dem leeren Land. 

Die Wüsten brannten unermeßlich breit. 

Da er die Rosse der Quadriga weit • 

Und hoch im Blauen führte schon gen West. 

Blttch wird die Schläfe, die der Schweiß schon näßt. 

Die Hand sucht irr herum. Die ewige Nacht 

Kriecht unter seine Lider schon« Die Macht 

Des Sterbens fällt ihn an. Die Sterne stehn 



137 



Am Himmel zitternd» die schon frühe gehn 
Vom Meer im Monde Pyanepsion. 

Der Tod tritt auf. Er löscht die Fackel stumm 
Und dreht den roten Stumpf im Dunkel um. 



DIE NACHT 
I. 

Die niedre Mittemacht ist regengelb, 

Der schwarze Strom wächst unter Wolken fort. 

Und an den Ufern, schwankend und verwelktv 

Die sonderbaren Häuser gehen fort. 

Die alten Gassen sind in Nacht gekrümmt. 

Wo in den Toren rote Lampe schwimmt. 
Und manchmal wird ein Mensch vorbeigefegt, 
Den* hinten groß sein schwarzer Schatten schlägt. 

Die Füße tanzend wie von Silber leicht. 
Der Sturm, der feige seine Locke streicht. 
Und wirbelnd wirft er schräge Blicke um, 

Und seine Flügel-Schultern zittern stumm. 

IL 

In niedren Gassen stehen Kinder klein 

Mit Zwiebelköpfen um ein Feuerlein. 
Und Krüppel wohnen unter der Hofe Tor 
Und reichen ihre KnochenfüBe Tor. 

Und mancher Baum wird in der Nacht entlaubt, 
Der R^en fällt auf manches Trunknen Haupt. 

Ein kleines Licht am Fenster oben steckt. 

Wo jemand sterbend seine Klauen streckt. 

Die Wächter wandehi sanft und tuten hell. 

Luft- Diebe springen über die Türe schnell. 
Auf einmal fällt ein breiter Lampenschein 
Vom Mond^Gehdfte in die Nacht hinein, 

> 



139 



ARABESKE 



Im Feld, das dunkelt unter fahlem Zorn 
Des wetterschwarzen Himmels, tanzet bleich 
Ein Irm durch der Schattenp-Träume Reicht 
Wie eine Flamme in dem ttummen Korn. 

Er singt und summt* Und eine Distel schwingt 
Er stolz wie eine Rose in der Hand. 

Auf seinem g^reisen Haupte schellt und klingt 
Ein Narrenhelm statt einem Königsband. 

An langen Tafeln ging ihm manches Fest, 
Der eine Rübe schmählich nun verdaut« 
Indes auf seinen Schritt aus feistem Nest 

Im Halmetor ein alter Hamster schaut. 

Er hatte drei der Töchter. Welche nur? 

Er war ein König vor geraumer Zeit. 
Wie lange schon, daß er von dannen fuhr. 
Zu wandern durch der Himmel Einsamkeit. 

Der schwarze Sturm, der sich am Himmel türmt» 
Löscht eines düstren Abends banges Licht. 
Aus ausgestorbnen Eichen jagt und stürmt 
Ein Rabenvolky wie schwarzer Schneefall dicht. 

' Ein böses Tier schreit in dem toten Wald, 

Ein fabelhafter Löwe. Und sein Fell 

Scheint gelb hervor. Ein Blitz. Und weithin hallt 

Der laute Donner durch die Wolken grell. 



140 

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Der Mond erschrickt. Er kriecht in einen Baum, 
Der schwarz sich heht aus dunklen Wiesen fem. 

Und vor dem Sturm einher am Himmelsraum 
Entfliegt mit schnellem Flug der Abendstern. 



0 WEITER» WEITER ABEND 



O weiter, weiter Abend. Da verglühen 

Die langen Hügel an dem Horizont, 

Wie klarer Träume Landschaft bunt besonnt. 

O weiter Abend, wo die Saaten sprühen 

Des Tages Licht zurück in goldnem Schein. 

Hoch oben singen Schwalben, winzig klein. 

Auf allen Feldern glitzert ihre Jagd, 

Im Wald des Rohres und in hellen Buchten, 

Wo hohe Masten stehn. Doch in den Sdiluchten 

Der Hügel hinten nistet schon die Nacht. 



142 



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AUS GRÜNER WALDNACHT 



Aus grüner Waldnacht ruft Gegurr der Tauben, 
Bald nah, bald fern* Der Sonne Lichter irren 
Im Blätterdtinkel. Kleine Vögel schwirren 

Durch das Geranke und die schwarzen Trauben. 

Die groBen Spinnen wohnen in dem Farne, 

Voll blauen Scheines glänzt ihr Netz wie Tau. 
Sie gleiten schnell auf ihrem schwanken Bau 
Und weben enger ihre weißen Game« 

Ein hohler Baum, vom Donner einst gespaltet 
Vergeßner Zeit. Doch grünt noch sein Geist« 
Im Laube wohnt ein Schwan, der auf das Nest 

Den schwarzen Mantel seiner Schwingen faltet. 

Der alte Waldgott schläft im hohlen Baum. 
Die Flöte graut vom Moos, die ihm entsank. 
In seiner Hand versiegte lang der Trank 
Der kleinen Rehe in dem Todestraum. 



143 



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PRINTEMPS 



Ein Feldweg, der in weißen Bäumen träumt. 
In Ktrscheoblüten, zieht fem über Feld« 
Die hellen Zweige, feierlich erhellt, 
Zittern im Abend» wo die Wolke säumt. 

Ein düstrer Berg» den Tag mit goldnem Grat, 
Ganz hinten, wo ein kleiner Kirchturm blinkt. 
Das Glöckchen sanft im lichten Winde klingt 
Herüber goldnen Tons auf grüner Saat* 

Ein Ackerer geht groß am Himmelsrand. 
Davor, wie Riesen schwarz, der Stiere Paar, 

Ein Dämon vor des Himmels tiefer Glut. 

Und eine Mühle f afit der Sonne Haar 

Und wirbelt ihren Kopf von Hand zu Hand 
Auf schwarze Au, der langsam sinkt, voll Blut. 



AUTUMNUS 
Wannsee vom Wasser aus 

Der Schwäne Schneeweiß. Glanz der blauen Flut. 
Des breiten Strandes Gelb^ der flach verläuft. 
Gelärm der Badenden und Freude laut 
Der braunen schlanken Leiber , die mit Zweigen 
Sich peitschen blankes Wasser auf das Haupt. 
Dort aufwärts steigt der Wald in blauen Farben 
Des Nachmittags. Sein breites grünes Haupt 
Ist sanft gerundet in den blassen Himmel, 
Der zitternd ausstreut frühen Herbstes Licht« 

Weit an dem Stromtal zieht das Hügelland 
Sich fem hinab, mit bunten Wäldern voll 
Und voll von Sonne, bis es hinten weit 

Verschwimmend tief in blaue Schatten taucht. 



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DIE DAMPFER AUF DER HAVEL 

Wannsee 

Der Dampfer weißer Leib. Die Kiele schlagen 
Die Seen weit in Furchen, rot wie Blut. 
Ein großes Abendrot In seiner Glut 
Zittert Musiki vom iNlnd davongetragen« 

Nun drdngt das Uler an der Schifle Wando, 
Die langsam unter dunklem Laubdach ziebn« 

Kastanien schütten all ihr weißes Blühn 
Wie Silberregen aus in Kinderhände« 

Und wieder weit hinaus. Wo Dämmrimg legt 
Den schwarzen Kranz um einen Inselwald, 
Und in das Rdhricht dumf»! die W<^ schlägt. 

Im leeren Westen , der wie Mondlicht kalt. 

Bleibt noch dar Rauch, wie matt und kaum bewogt 

Der Toten Zug in fahle Himmel wallt. 



146 



.wo EBEN RAUSCHTEN NOCH DIE 

KARUSSELLE 



Wo eben rauschten noch die Karusselle 
In weißem Licht, zum Lärmen der Musik, i 
Die Wolke Dampfs beglänzt, zum Himmel stieg 
Und hoch sich schwang des Riesenrades Welle, 



Wo zwischen Buden sich die I^te schoben, 
Wo heisre Rufer schrien und klang Geläut, 
Und wo die Birken, wie von Schnee bestreut. 
In weitem Kranze um den Platz sich hoben, 

Da ist es stille nun. Durch Wolken fahl 
Des Mondes Sichel schwimmt in Dunkels Schoß, 
Die Birken wachsen in den Himmel groß, 
Steinbildern gleich im düstren Marmorsaal. 



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DER TOD DER LIEBENDEN IM MEER 

4 

Wir werden schlafen bei den Toten drunten 
Im SchattenlancL Wir werden einsam wohnea 
in Schlafe In den Tiefen unten» 

In den verborgnen Städten der Dämonen. 

Die Einsamkeit wird wia die Lider schließen, | 

i 

Wir hören nichts in unsrer Hallen Räumen. 
Die Fische nur, die durch die Fenster schießen^ 
Und leisen Wind in den Korallenhiumen, 

Des Meeres Seele flüstert an dem Kahn. 
Des Abends schattige Winde sind die Feigen 
Pfadloser Öde, wo der Ocean 

Sich weithin türmt zu dunklen Wasserbergen. 

In ihren Schluchten schweift ein Kormoran. 1 
Darunter schwankt das Meer hinab zum Grunde* 
Es dreht sich um. Und aus der glatten Bahn 
Ragt Wrack auf Wrack, his tief im Riesenscfalunde. 

Auf morschen Rahen sitzen die Biatrosen. 
Geripiie, weiß, die ein der Maelstrom zog. 

Zuschauern gleich in der Arena Tosen, 
So schaun sie in den bodenlosen Trog. 

Der Maelstrom wandert nahe an dem Bord 

Des Bootes hin. Es schwankt. Es wehrt sich noch. 

Da schießt es ah. In weiße Tiefe fort» 

Bin Punkt, versinkt es in des Trichters Loch. 



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Wie eine Spinne schließt das Meer den Mund. 

Und schillert weiß. Der Horizont nur bebt, 
Wie eines Adiers Fing» der auf dem Sund 
In blauem Abend hoch und einsam schwebt. 



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j LICHTER GEHEN JETZT DIE TAGE 



Lichter g^en jetzt die Tage . 
In der sanften Abendröte, 
Und die Hecken sind gelichtet. 
Drin der Städte Türme stecken 
Und die Inintbedachten Häuser. 

Und der Mond ist eingeschlafen 
Mit dem grofien weiBen Kopfe 

Hinter einer großen Wolke. 
Und die Straßen gehen bleicher 
Durch die Häuser und die Gärten. 

Die Gehängten aber schwanken 
Freundlich oben auf den Bergen 

In der schwarzen Silhouette. 
Drum die Henker liegen schlafend, 
Unterm Arm die feuchten Beile. 



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DIE STÄDTE IM WALDE 



In großen Wäldern, unter Riesenbäumeni 

Darunter ewig blaues Dunkel ruht. 

Dort schlafen Städte in yerborgnen Träumen, 

Den JEnseln. gleich in grüner Meere Flut* 

Das Moos wächst hoch auf ihren Mauerkränzen. 

Ihr alter Turm ist schwarzer Rosen Horst. 

Sie zittern sanfty wenn wild die Zinnen glänzen 

Und. rot im Abend lodert rings der Forst. 

Dann stehen hoch in fließendem Gewand» 
Wie Lilien, ihre Fürsten auf den Toren, 

Im Wetter$chein, wie stiller Kerzen Brand. 

Und ihre Harfe dröhnt, im Sturm verloren, 

Des schwarter Hauch schon weht von Himmels Rand, 

Und rauscht im dimklen Haar der Sykomoren. 



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GEWÖLKS GLEICH . . * 



Gewölke gleich, das stirbt in dürrer Stille 
Im götterloten HerfMt auf kahler Flur, 

Zergingen alle Träume. Und uns blieben 
Nur schale Krüge und ein starrer Kranz, 

In Morgen-Wehmut schien es zu zerrinnen» 
Was noch im Träume-Feuer glomm» 
Wir lagen stumm in dem erlromen Himmel 
Und hörten unten dumpf der Tore SchalL 

Du ruhtest noch, Terwelkt, im frühen Schlummer» 
Der sich von deiner Schläfe langsam hob» 

Und wie ein Trauermantel kühlen Fluges 
Im Dunkel sich der Stuben klein verlor. 

Ein weißes Licht ging über deine Lippen, 
Du wachtest auf und lagst an meiner Brusti 
Und ich, wie eine Distel dürr und trocken, 
Verbarg in flache Küsse deine Stirn. 

Vergifi. Und komm. Dafi ich, IscharioV 

Noch e'nmal deines Mundes Flammen wecke 
Und singen kann. Daß ich die Lider senke 
Und wie ein Schiff auf roten Finsternissen 

Durch blasse Sterne, die versinken wollen, 
In leere Weiten treibe und den Tod, 
Den Vögeln gleich, die unter großem Fittich 
Verbergen hoch ein böses Morgenr.ot. 



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SEHNSUCHT NACH PARIS 



Wenn durch den Abend Frankreichs, der der Wei0e 
Der Königsiilien ihres Wappens gleicht, 
Wie Honig süß, der Sonnentag, der heiße, 
Vom Wandern müd in gelbe Himmel w«cht, 

Dann zittern Ton Mont-Martre viele Glocken 
Uiid grüßen ihn und seinen goldnen Glanz. 

Doch auf Paris, der alten Schönen Locken, 
Glühn rote Wolken wie ein Hochzeitskranz. 

Halb März, halb Herbst, voll trauriger Essenzen, 
Wer je den Wind in seine Lungen trank, 
Wenn rot die Türme Notre-Dames erglänzen, 

Er ist nach dir vor wilder Sehnsucht krank« 

Dein Taumelkelch, umwunden schwarz mit Rosen» 

Nachtschattengift erschüttert ihm das Blut, 
Und westwärts schaut er immer, wo ihn kosen 
Die Winde Frankreichs mit verhaltner Glut. 

Paris, Mutter der Kunst und jeder Größe, 
Die wie der Sieg auf deiner Stime schwebt 
Und deiner altersgrauen Schläfe Bldfle 
In einen Wald von Lorbeer stolz begräbt. 

Wo tief in deinem Schoß im Sarkophage, 
Vom Fittich seiner Adler überwacht. 
Der Kaiser schläft, und leise Totenklage 
Im Pome wandert durch die Mittemacht, 



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Wo wie ein Wald die alten Fahnen stehen. 
Die durch Ägypten trug die Legion. 
Sie rauschen manchmal noch» die Tücher wehen 
Wie Küsse sanft um deinen toten Sohn* 

Doch morgens brennt im Osten auf der Seine 

Im Häuaermeerey wie ein Sturmfanal 

Im Blastenwald, im Meer der schwanen Kfthne, 

Die Sonne blutig, wie ein großer Gral, 

Vom roten Wein gefüllt bis an die Borde» 

Vom Wein der Freiheit, der das Herz beschwört 
Und auf der weiten Place de la Concorde 
Aus Dantons Mund der Städte Zorn empört« 

O großer Tag, da rote Donner grollten 
Auf deiner Stirn» und blutig, fett und feist 
Des Königs armes Haupt im Sande rollte 
— Großes Paris, das altert und verwaist, 

Noch blühn im Sommer deine Boulevards 
Mit Linden voll, und zittert noch im Licht 
Das £lys^ wenn auf dem Camp de Mars 
Sich zwischen Wagen drängt die Menge dicht 

Und Abend sinkt, wie Veilchen träumerisch» 
VHe Veilchen welk. Der hohen Linden Dult 

Weht von der Seine Ufern her, die frisch 
Der Abendwind bewegt in lauer Luft. 



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Dal^l ziehn am Strom der bunten Boote viel 

Am Park Vincennes vorbei, mit Immergrün 

Den Mast umkränzt und den gewundenen Kiei| | 

W0| klein wie Sterne, rote Lampen glühn. 

i < I 

Aus niedrigen Spelunken schallt ein Lied, 
Auf grauen Stirnen liegt der Lampe Licht 
In kleinen Fenstern, die mit Laub umzieht 

Ein Weinspalier, das sich im Wind verflicht. 

Den PluB^ hinab, durch Park und Sommergarten 
Korndampfer schaukeln in den Häfen breit. 
Wo Dirnen stehn. Auf ihrem Munde warten 
Die Küsse , kalt voll herber Bitterkeit. 

■ 

Doch über dir, Paris, und deiner Pracht, 
Die im Verblühen noch die Brüste spreizt, 

Weit über dir und der erwachten Nacht, 
Die mit Laternenschein die Straßen beizt, 

Weit über deinem Haus der Invaliden, 
Des schwarzes Totenmal vorüberzieht, 
Glänzt wie das Bemsteintor der Hesperiden 

Des Abendgottes goldnes Augenlid. 



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LUNA 



Schon hungert ihn nach Blut. In roter Tracht 
Steht er, ein Henker, vor der Wolken Block, 
Und einer Pfauenfeder blaue Tracht 

Trägt er am Dreispitz auf dem Nachtgelock. 

Er springt auf einen alten Kirchen^Tumi 

Und ruft die Dohlen mit den Nacht-Schalmein. 
Sie springen auf den Gräbern unterm Sturm 
Zu seiner Flöte weißem Totenbein. 

Und das (rewürm, das einen Leib zerstört 
Und eine letzte Trauermesse hält. 

Es kriecht hervor, da es die Pfeife hört, 
Die wie ein Sterbeschrei im Dimkel bellt. 



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DIE GEFANGENEN TIERE 



Mit schweren Fellen behangen, 
Mit riesigen Hörnern dumpf 
Kommen sie langsam im Dunkel 
Gekrochen auf zottigem Runq^« 

Sie reiben sich an den Stäben» 
Ihr Auge ist wie ein Stein. 

Und dann kehren sie um und tauchen 
Wieder in Schatten hinein. 

Auf einmal schreit es von fem» 
Gekreisch und lautes Gebrüll» 
Entsetzen und riesiger Schrecken. 

Es erstirbt imd wird still. 

Dort Tor dem Ufer springen 
Reiher ilackend und schwach» 
Gespenstisch mit mageren Füfien 
Unter der Bäume Dach» 

Wie Gestorbene wollen 

Ins Haus der Lebendigen ein« 

Aber aUes ist zu» und sie müssen 

Weinen im Sturme allein. 



* 



157 



DIE PFLANZENESSER 

Ihr, deren Blut Yon trüber Leidenschaft 

Und von dem niedren Fleisch der Tiere rein^ 
Euch rollt in euren Stirnen heller Sait 
Durch blaue Adern wie ein leichter Wein. 

Durchsichtig seid ihr, wie die Gräser zart. 
Und eure Arme sind wie Frauenhaar. 

Wie feine Seide weich ist euer Bart, 
Und eure Augen sind wie Wasser klar. 

VUe Blumen sitzet ihr den Bach entlang, 
Die Füße wurzeln euch in fettem Kraut» 
Ihr höret gern auf der Libellen Sang, 
Wenn ihr den Wellen nach gen Abend schaut 

Euch sind der Nfichte Rätsel offenbar, 
Die Schlangen rascheln über euren Pfad» 

Sie singen leise, wenn im dunklen Jahr 
Im Abendgraun der dunkle Fittich naht. 

Der Atem zittert euch von Harmonie, 
Darinnen ihr wie ernste Heilige wohnt, 
Dem Monde gleich, in goldener Magie, 
Der in der Regennacht in Wolken thront. 

Die Hände vor der Brust, wie Lotos weiß, 

wie ein altes Buddhabild, 
Fangt ihr der Abendsonne roten Kreis, 
Der, eine Frucht, in eure Lippen quillt» 



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Dann seid ihr alten Tempelvasen gleich 
Aus blauem Steixii vom Opferrauch gegerbt. 
Der Abendstera steigt auf am Himmel Ueich, 

Der seltsam eure tiefen Augen färbt. 

Und wihrend ilir die Brust wie Schläfer hebt. 

Sinket ihr langsam in Meditation. 
Hinter dem Vorhang eurer Lider schwebt 
Der HöUeaengel fahle Vision. 

Ein Dämon, der im weiten Himmel schweift, 
Senkt die Geheimnisse in euer Herz« 
Und da euch kalt des Mondes Sichel streift, 
Ziehn eure Stirnen sich in feinem Schmerz* 



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EIN HERBST-ABEND 

Da l>ist in einem alten Park geboren. 

Des Düfte, schwarz von Ulmen und Cypressen^ 

In deine Tage frühe Schotten warfen* 

Warum sind sonst so traurig deine Wimpern, 

In. dunkele Melancholie verloren 

Wie an dem Herbstw^ eines Blinden Harfen? 

In Trauerweiden bist du einst gegangen, 
Die Torbedeutend deinen Scheitel schlugen, 

Und zittern sahst du dich in tiefen Bronnen. 

Aus ihren Büschen, wenn die Schwestern riefen. 

Wenn ihre hellen Stimmen fern verliefen, 
Dann standest du in einen Traum versonnen, 

Auf eine niedre Mauer sanft gelehnt, 
Und spiegeltest die weiße Stirn so gern 
In grüner Himmel müden Abendsonnen* 

Wir trafen uns in Wald und bösem Sterne, 
Da des Satums gelbhaariger Fittich flog 
Durch Waldes Wirrsal, und in Waldes Feme 

Der Weg im Ausgang stand, ein Donner-Licht^ 
Da wie verstockt von Schwüle sog das Blut 
In unserer Hand. — Vergiß der Stunde nicht. 



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Und zahle jede, die durch deine Hände 
In leere Luft zerrinnt. Vielleicht daß bald 
Du einsam starrest in die toten Winde, 

Und daß dein Rufen ungehört verhallt. 



11 i6i 



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DER GALGENBERG 



Wir wurden auf den kahlen Berg geführt. 

Wir sahen in den Lüften die Gerippe, 
Die Hände auf den Rücken festgeschnürt* 
Im Winde i^Hrang und tanzte ihre Sippe. 

Wir stiegen auf den Leitern in den Kreis. 
Sie grüBten uns mit einem leichten Grufie. 
Die Haare klebten uns Ton kaltem Schweiß. 

Da stieß uns fort der Henker mit dem Fuße. 

Wir stürzten in das Nichts. Und da zerbrach 
Mit einem Ruck der Knochen im Genickei 
Versanken wir in Träume allgemach. 
Zu langem Schlafe hingen wir am Stricke. 

Wir sdiliefen manches Jahr auf hoher Wacht. 
Die Trauer schmolz uns aus im Luftgemache. 

Wir wachten auf in einer Regennacht. 
Da grüßten wir uns mit der Totensprache. 

Wir waren kahl geworden, Jahr auf Jahr. 
Kaum sproßte noch das Haar in weißen Strähnen. 
Die Kiefern hingen schon, des Fleisches bar» 
Wie alten Greisen, die den- Tag vergähnen. 

Doch jung ward in den Stürmen unser Hirn. 
Wir tanzten an dem Strick mit lautem Tanz, 
Statt Blumen trugen wir auf unsrer Stirn 
Des Galgens Pech in einem schwarzen Kranz. 



4 



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Wir wurden langsam braun von Zeit und Rost. 
Der Hemdenstrick ward unser Ordensband, 
Wir hielten still, w^nn naehts der Winterfrost 
Den weißen Turban um das Haupt uns wand« 

Wir sahn im März des Erdgotts Häupter steigen 
Mit schwarzen Locken an des Landes Decke, 
Den Frühlingssturm und warmer Winde Reigen. 
Am Galgen schoß das Kraut im kahlen Flecke« 

Wir sahn die Hügel toU mit kleinen Pflügen» 
Des Landes weiten Sommer zu umfahren. 

Wir tranken seinen Duft mit vollen Zügen, 
Wenn er im Felde schlief mit gelben Haaren« 

Wir säten Mißwachs aus. Schwarz ward das Korn« 
Die Sommernächte wurden feucht und kalt. 
Die Nesseln schössen wie ein Kiefernwald, ' 
Aus nassen Ackern wand sich Dorn um Dom» 

Wir sahn die Dörfer leer von unsrem Berge« 
Die schwarzen Kasten schwankten uns vorbei« 
Der Erde offnes Maul ergriff die Särge 
Und malmte in den Kiefern sie zu Brei« 

Wir sahn die Pest am Rand der Wälder stehen, 
Die Kutte saß ihr voll auf prallen Weichen. 
Vitt sahen nachts den Tod im Lande gehen. 

Die Länder mähen mit' den Riesenstreichen. 



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Wie tanzten wir in kühler Julinacht, 
Da Sarg auf Sarg zur dunklen Kelter fuhr» 
Der gelbe Mond ging auf im Regen sacht 
Und warf der Tänzer Schatten durch die Flur« 

So war es einst. Jetzt bin ich alt und grau, 
Verwittert von den Stürmen und der Zeit. 
Der Brüder SchSdel wäscht der Morgentau 

Im Unkraut weiß, wo sie der Wind verstreut. 

Schon sind die Stricke alle leer und faul. 

Wann wächst am Galgenbaum noch solche Frucht? 
Der Regen sickert durch das oüne Maul 
Der toten Schädel in der grünen Schlucht. 

Wie einsam ist es nun im Frührotschein. 
In Wtnterkälte frier ich wie ein Kind. 
Der Juli glüht mir heifi im Schläfenbein. 
Of rissen doch die Stricke in dem Wind. 

Wie geht die Zeit! Wie bleich sind Nacht und Tag. 
Des Herbstes Leid wohnt mir in weißen Brauen. 
Und immer hör ich Schrei und Flügelschlag 
Der Dohlen^ die im Ohr mir Nester bauen. 



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DER HERBST 

Viele Drachea stehen in dem Winde, 
Tanzend in der weiten Lüfte Reich. 
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern^ 
Sommersprossig, und mit Stirnen bleich. 

In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln 
Kleine Schiffe, weiß mid leicht erbaut; Kev)i^e'i- 
Und tn Träumen sdner leichten Weite 
Sinkt der Himmel wolkenüberblaut. 

Weit gerückt in unbewegter Ruhe 
Steht der Wald wie eine rote Stadt. 

Und des Herbstes goldne Flaggen hängen 
Von den höchsten Türmen schwer und matL 



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DIE MÜHLEN 



Die vielen Mühten gehen und treiben schwer. 

Das Wasser fällt über die Räder her, 

Und die n^oosigen Sp^chen knarren im Wehr. 

4 

Und die Müller sitzen tagein, tagaus 
Wie Maden weiß in dem Mühlenhaus, 
Und schauen oben zum Dache hinaus. 

Aber die hohen Pappeln stehn ohne Wind 
Vor einer Sonne herbstlich und blind» 
Die matt in die Himmel geschnitten sind 



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DER AFFE 

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Er zittert oben hoch auf dem Kamel 

In einem roten Rock auf seinem Brette. 
Er klettert schnell herab auf den Befehl 
Und schleift am Fuße nach die dürnie Kette. 

Er hüpft auf einem Bein. Er schiigt behende 
Den Tamburin und bläst auf der Schalm«, 

Dann geht er ab den Kreis und streckt die Hände 
Nach Pfennigen aus und dankt wie ein Lakai. 

In seinem Auge rollt ein Feuer, weiß, 
Kalt wie ein Frosch, und seine Stirn gerinnt 
In Tiele Runzeln, wie ein Greis 
Uralt/^und wie ein neugebornes Kind. 

II. 

Er hält der Schläfer und der Wagen Wacht. 
Und hockt auf einem Stein an der Chaussee. 

Tief in ihm klopft das Rätsel und die Nacht 

■ 

Des Eingekerkerten, das dunkle Weh. 

Es kratzt in ihm nach einer kleinen Pforte. 
Er sieht sich um voll Angst und starrt herauf . 
Zum Kr«s der Sterne, die dem dunklen Orte 

Schwach leuchten in der dumpfen Stunden Lauf. 

Das dunkle Volk der flatternden Plejaden 

Huscht wie ein Fledermäuse-Schwarm dahin. 
Der Wagen zieht auf seinen dunklen Pfaden 
Stumm fort und ohne Last seit Urbeginn. 

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Es staunt das Tier. Da kotnmt niit gelbem Hut 

Der Mond gerannt und stolpert durch den Grund. 
Da duckt es sich, und matt verrollt sein Blut« 
'Gelninden wieder in den Adern rund. 



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GINA 



Noch weht um dich der Duft der großen Steppen, 
Der Sommer Polens und der Wogengang 
Der Weizenfelder, wenn den FluB entiang 

Der Treidler Schultern große Flöße schleppen. 



Tief wie die schwarzeni herbstlichen 
Die einsam stechen in das Morgengraun, 
Sind deine Augen, die ins Weite schaun 
Aus engen Strafien zu den Winterstemen. 

Du wurdest für ein wildes Pferd geschaffent 
Für dnen Ritt durch Nächte und Gefahr, 

Die Tschapka auf der Stirn mit Goldagraffen. 

Darunter flatterte dein schwarzes Haar. 

Und wie von Silber glänzten unsre Waffen, 
Wenn durch die Mondnacht zieht der weiße Aar. 



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SAVONAROLA 



Wie eine Lilie durch das Duxikel brennt, 

So brennt sein weißer Kopf in Weihrauchs Lauge 

Und blauer I^nstemls* Sein hohles Auge 

Starrt wie ein Loch aus weißem Pergament. 

Verzweiflung dampft um Ihn, furchtbare Qual 

Des Höllentags. Wenn er die Hände weitet, 
Wird er ein Kreuz^ das seine Balken breitet 
Auf dunklem Himmel, grofi, und furchtbar fahl. 

Er flüstert leise. Übertönt vom Schrein. 

£in Riese tanzt, der mit den Geißeln fegt 

Das Meer der Rücken. Blutdampf steigt wie Wain« 

Und sein Gesicht wird too der Wollust klein, 
Vom Schauder dnes Lftchdns sanft bewegt, . 
Wie eine Spiime zieht die Betnchen ein« 



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TOD DES PIERROTS 

Wo Herbstes Leier süß in Einsamkeit 
Durdi blauer Felder Soonensehatlen tönt 

An rote Wolken, und die Wälder weit 
Im Glänze stehUi der ihren Tod versöhnt» 

Da küßt ihn Schlaf. Und goldener Abend träuft 
Sein Blut auf seine Stirn im bunten Laub« 
Schon schlummert er. Die wilde Rose h&uft 

Die Blüte seinem Grab, des Jahres Raub. 

Ein Afflselschlag in später Abendröte, 

Wie Dämmrung zart, vom Dolch der Liebe krank. 

So zittert fort in seiner weißen Flöte 

Der Wind, die seiner blassen Hand entsank. 

Und in dem Abend, wo die Wolke zieht, 
Die iurt wie goldener Rauch im Licht ▼errinnt, 
Singt ihm ein weißer Schwan ein Totenlied, 
Den langsam südwärts treibt der Abendwind. 



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DIE TAUBEN 



In Büschen, 4ie wie große Feuer brennen, 
Im Mittagswinde der verlassenen Heiden, 

Liegen sie lauschend mit den offnen Leiden, 
Ob nicht der Sturm in ihre Ohren renne, 

Der dort die Wälder jagt und dort die stummen 
Felder macht brausen und die Vdgel schreien, 
Doch Ihrer Ohren Tor ist zu und bleien 

Und unten nur ein Fluten dumpl und Summen. 

Und ihre Seelen wollen sich empören, 

Es steigt in ihrem Blut wie große Meere, 
Darüber weißen Gänsen gleich ins Leere 
Die Schiffe jagen, die die Stürme hdren. 

Sie harren schon der lauten Himmelsliammen 
Im WoUcen-Lärm und Sturm der dunklen Soene. 

Sie horchen auf den Ruf der Kapitäne. 

Auf einmal ist es stumm und sinl^t zusammen. 

Wie Asche in sich sinkt, und wie ein Regen 
Im Abend schräg, den ferne Wolken speien. 
Sie fühlen nur der weiden Stille Schneien 
Auf ihren Kdpfen, die sich nicht bewegen. 

So gleichend den verfallenden Altaren 
Sttaen sie weit am Weg. Und es erweicht 

Von Tränen ihr Gesicht, wenn traurig streicht 
Der Nordwind aus der Stirn die weifien Haare« 

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AUS THÜRINGEN 

Der weiten Buchen Tanssaal zieht zu Tal 
Aul Sübersftulen Ton der Waldung Kamme. 

Im toten Laube glänzt die Sonne fahl 
Aus Regenwolken fort, auf hohem Stamme. 

Die grünen Halden ziehn an Büschen reich 
Und DomenheckeUi Feldern im Gevierty 
Ins Land hinaus, wo sich der Abend weich 

Das Götterhaupt mit blassen Kränzen ziert. 



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AN DAS MEER 



Dich grüßet noch das Land der Hesperiden 
Im Untergang, mit Wildem, rot betaut, 
Wenn yon den Bergen weit anf deinen Frieden 

Des stillen Herbstes großes Auge schaut« 

Und jede Nacht entzünden in den Steinen 

Meergötter sich ein Feuer mit Gesang, 

Wo Segel, die im Mondlicht fem erscheinen, 

Ziehn wie ein Traum den Rand der Flut entlang. 

Noch glänzet Joppe. Und noch schreiten immer 
Die Frauen mit den Krügen aus dem Tor, 

Wo deiner Buchten großer Rosenschimmer 
Mit schwarzem Duft erfüllt der Locl&en Flor. 

Noch rauscht der Nil hervor aus grünen Sternen, 
Ein Brunnen still. Und das Geheimnis klingt 
In weiter Wüstennacht in blauer Feme, 
Die bis zum Atlas mit dem Fittich schwingt. 

Und Mauretania, das weitbegUnzte, 

In seidenen Feldern, wie ein Goldhelm schön, 

Wo einst Karthagos Flammen gelb umkränzte 
Gellender Pfeifen Schrei und Meergetön. 

Und aller Inseln windig bunte Stirnen 
Hören noch inuner deinen Sang, o Meer, 
Wenn unter deines Gottes blauem Zürnen 
Du brausend bäimist mn Stein und Höhlen her, 



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Und rauscht ihr Bergwald deitiem Ton zissasnmeii, 
Urewig brausend über wilden Pont, 
Wenn nachts der Wetter irote Häupter flammen ^ 
Mit Feuerlocken weit im Horizont. 

lianchmal ertönet noch der Htrtenlldte 
. Einsames Lied auf deiner Bläue fort, 

Wenn, überraucht von großer Abendröte, 
Du leise schwimmst an ihrer Insel fort. 

Dann liegen weiß von Stürmen und von Jahren 
Die Wogen ruhig auf dem grünen Strand, 
Seefahrern gleich, die manche Fahrt gefahren 

Und kommen wieder in der Heimat Land. 

Und etwas tauchen aus der Flut, der matten, 

Gesichter, wesenlos vom Totenreich, 

Wenn draußen weit in grauen Abendschatten 

Der Mond heraufkommt mit den Hörnern hleich. 

Ewiges Meer, im Land der Morgenfrühen ' 
Gewiegt von Winden, wie ein Gott so rein, 
Und wenn der Wolken groBe Städte ziehen 

Im Abend in verwelkter Himmel Schein, 

O Meer, ich grüBe deine Ewigkeiten, 

Das unter träumenden Gestirnen wallt, 
Verlorner Wandrer, in die Nacht zu schreiten, 
Ich, wie ein Horarufi der schnell verhallt. 



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DER PARK 

Blinde Scheiben sind im toten Hause, 

Die sich halb verbergen in den Büschen. 
Trübe Wege, wo die Winde wischen. 

Jeder Pfad ist voll mit langen Klagen, 

Hohe Bäume stehen mit Gesause 

In des Herbstes Ausgang un4 Verzagen. 

Fremdes Wort wird in dem Sturm vernonunen, 
Grofie Wolken sind im Haus zu selnu 
Die dort wohnen, sieht man oft beklommen 
An dem Gittertor vorübergehn« 



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DER WALD 

Ein stiller Wald. Ein blasses Königreich 
Mit grünen Schluchten voll und Dorngerank. 
Ein Waaser singt« Am Himmel lein und schlank 

Wie eine Kerze brennt die Sonne bleich» 

Der Abend aber geht mit dunklem Kopf 

Und dunkler Mantelschleppe in dem Forst. 
Aus hohen Eichen nickt mit schwarzem Schopf 
Der Greife Volk aus ihrem roten Horst, 

Und Galgentier mit wunderlichem Prunk 
Uralter Schnäbel krächzt im Baume grell 
Und fliegt heraus, im wilden Winde schnell 
Mit Schwingen groß in graue . Dänunenmg. 

Tief in dem Wald ein See, der purpurrot 
Wie eines Toten dunkles Auge glast. 
In seinem wilden Schlünde tost und rast 
Ein Wetter unten auf, wo Flanune loht 



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DER TRAUM DES ERSTEN ZWIELICHTS 



Der Traum des ersten Zwielichts auf dem Tale. 
Des Grases Zittern» drauf die Kühle taut. 
Die Wolken ziehen an dem Himnielssaale 

In Farbeni wie sie nie der Tag geschaut. 

Die Reisigen der Nacht. Die Panzer ^rfihn 

Das erste Licht. Auf breiten Marmortreppen 
Die Hellebarden und der Helmzier Grün. 
Der königliche Fall der Purpurschleppen. 

Sie ziehen langsam zu dem Mond empor, 
Zu Schlosae und Gemach, zu ruhen lang. 
Wie einst der Duft der Rosen lag im Tor 

Von Sybaris, die in den Schlaf versank. 



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DER HERBSTLICHE GARTEN 

Der Ströme Seelen, der Winde Wesen 

Gehet rein in den Abend hinunter. 

In den schilfigen Buchten» wo herber und bunter 

Die brennenden Wftlder im Herbste verwesen« 

Die Schifie fahren im blanken Scheine, 
Und die Sonne scheidet unten im Westen, 

Aber die langen Weiden mit traurigen Asten 
Hängen über die Wasser und weinen* 

In der sterbenden Gärten Schweigen, 

In der goldenen Bätune Verderben 

Cvehen die Stimmen, die leise steigen 

In dem fahlen Laube und fallenden Sterben. 

Aus gestorbener Liebe in dAmmrigen Stegen 
Winket und wehet ein flatterndes Tuch, 

Und es ist in den einsamen Wegen 
Abendlich kühl und ein welker Geruch. 

Aber die freien Felder sind reiner, 

Da sie der herbstliche Regen gelegt. 

Und die Birken sind in der Dämmerung kleineri 

Die ein Wind in leiser Sehnsucht bewegt. 

Und die wenigen Sterne stehen 

Üb er den Weiten in ruhigem Bilde. 
Laßt uns noch einmal vorübergehen, 
Denn der Abend ist rosig und milde. 



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NOVEMBER 

Blinde stehen im Weg. Ihre groBen Lider 

Sind wie kleine Felle heruntergehängt, 

£ine Sonntagsglocke hinten^ die über den Feldern 

In der Tnmuqntae sanft sieh schaukelt und schwenkt. 

Manchmal ein Leierkasten irgendwo lerne. 
Maftchmat ein Ton» den der Wind verzehrt. 

Und das Herz gibt der Trauer sich gerne, 
Unter Wolken, da Sommer so ferne gekehrt. 

Oben gehen noch einige Leute 
Hoch und schwarz» imd ihr Mantel fliegt, 
Und die Pappeln sausen über die Himmeli 
Braun mit den Köpfen» die Wind verbiegt. 

Wer über die Höhen geht» spiegelt sich ferne 
In der ivinzigen Sonne» lichtlos und tot» 

Und über den bergigen Schluchten kühle 
Löschet ein gelbes Abendrot. 

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IM KURZEN ABEND 



Im kurzen Abend. Voll Wind ist die Stunde, 

Und die Röte so tief und winterlich klein. 
Unsere Hand, die sich zagend gefunden, 
Bald wird sie Iriaren und einsam sein« 

Und die Sterne sind hoch in verblassenden Weiten 

Wenige erst, auseinander gerückt 

Unsere Pfade sind dunkel, und Weiden breiten. 

Ihre Schatten darauf, in Trauer gebückt. 

Schilf rauschet uns. Und die Irrwische scheinen, 

Die wir ein dunkeles Schicksal erlost. 
Behüte dein Herz, dann wird es nicht weinen 
Unter dem fallenden Jahr ohne Trost. 

Was dich schmerzet, ich sag es im Bösen. 
Und uns quälet ein fremdes Wort. 
Unsere Hände werden im Dunkel sich lösen, 
Und mein Herz wird sein wie ein. kahler Ort. ' 



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DIE IRREN 

Rein ist das Licht um unsere Tage 
Wie ein bleicherer Sonnenschein. 
Und wie reife Blumen stehn wir und ragen 
In das fröhliche Licht voller Bläue hinein. 

Früher saBen wir tief in dumpfen Stuben, 
Und das wolkige Leben war über uns fort. 
Und wir horchten immer um unsrer Gruben 
Grauen Himmel in dem schläfrigen Ort 

Jemand hat uns gerufen, wir durften nicht warten, 
Unsre Wege zogen durch Trübes lang. 

Und die wandernden Tage, die kurzen und harteUi 
Machten flüchtiger unseren Gang. 

Hinter uns gehet noch Schall und das dumpfe Rauschen 
Wie von. stillen Wassern versunkener Welt. 
Manchmal noch drehn wir die Schultern und lauschen, 
Wenn ein Schrei wie ein Stein in die Ruhe uns fällt. 

Sind wir doch froh und gekleidet in schöne Gewirke, 
Wir sitzen singend im ländlichen Wald. 
Und er darf nicht herein in unsre Bezirke 
Der in den Zaun seine Hände noch krallt. 

Nicht mehr lange danach, daß wir Bäume werden. 
Wie wir waren dereinst in dem früheren Sein, 
Ruhig wie schlafende Träume auf dunkeler Erde, 

Niemand fasset in unsere Adern, hinein. 

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MITTE DES WINTERS 

> 

Das Jahr geht zornig aus. Und kleine Tage 
Sind viel verstreut wie Hütten in den Winter« 
Und Nachte ahne Leuchten, ohne Stunden, 
Und grauer Morgen ungewisser Bilder. 



t, Herbstzeit, alles geht vorüber. 
Und brauner Tod hat jede Frucht ergriffen« 

Und andre kalte Sterne sind im Dunkel, 

Die wir zuvor nicht sahn vom Dach der Schi£Ee. 

Weglos ist jedes Leben. Und verworren 

Ein jeder Pfad. Und keiner weiß das Ende, 

Und wer da suchet, daß er Einen fände. 

Der sieht ihn stumm und schüttelnd leere Hände. 



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FRÜHJAHR 



Die Winde Mngen einen sehwarsen Abend, 
Die Wege zittern mit den kalten Bäumen, 
Und in der leeren Fläclien ^ter Öde 
Die Wolken rollen auf den Horizonten« 

Der Wind und Sturm ist ewig in der Weite, 
Nur spArlich, daB ein Sämann schon beschreitet 

Das ferne Land und schwer den Samen streuet, 
Den keine Frucht in toten Sommern freuet. 

Die Wälder aber müssen sich zerbrechen, 
Mit grauen Wipfeln in den Wind gehoben, 
Die quellenlosen, in der langen Schwäche, 
Und nicht mehr steigt das Blut in ihren Asten. 

Der März ist traurig. Und die Tage schwanken 
Voll Licht und Dunkel auf der stummen Erde. 

Die Ströme aber und die Berge decket 

Der Regenschild. Und alles ist vergangen. » 

Die Vögel aber werden nicht mehr kommen, 
Leer wird das Schill und seine Ufer bleiben. 
Und grofie Kähne in der Sommerstille 
Zu grüner Hügel toten Schatten treiben. 



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WAS KOMMT IHR, WEISSE FALTER, SO OFT ZU MIR? 

Was kommt ihr, weiße Falter, so oft zu mir? 
Ihr toten Seelen, was flattert ihr also oft 
Auf meine Hand, von euerm Flügel 
. Haftet dann oft ein wenig Asche, 

Die ihr bei Urnen wohnt, dort, wo die Träume ruhn, 
In ewigen Schatten gebückt, in dem dämmrigen Raum, 
Wie in den Grüften Fledermäuse, 
Die nachts entschwirren mit Gelärme. 

Ich höre oft im Schlaf der Vampire Gebell 
Aus trüben Mondes Waben wie Gelächter, 
Und sehe tief in leeren Höhlen 
Der heimatlosen Schatten Lichter. 

Was ist das Leben? Eine kurze Fackel, 
Umgrinst von Fratzen aus dem schwarzen Dunkel, 
Und manche kommen schon und strecken 
Die magren Hände nach der Flamme. 

Was ist das Leben? Kleines SchiH in Schluchten 
Vergefiner Meere. Starrer Himmel Grauen. 

Oder wie nachts auf kahlen Feldern 
Verlornes Mondlicht wandert und verschwindet« 

Weh dem, der jemals einen sterben sah, 
Da unsichtbar in Herbstes kühler Stille 
Der Tod trat an des Kranken feuchtes Bette 
Und einen scheiden hieB, da seine Gurgel 

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Wie einer rostigen Orgel Frost und Pfeifen 
Die letzte Luft mit Rasseln stieß von dannen. 

< 

Weh dem, der sterben sah. Er trägt für immer 

Die weiße Blume bleiernen Entsetzens. 

Wer schließt uns auf die Under nach dem Tode» 
Und wer das Tor der ungeheuren Rune? 

Was sehn 4ie Sterbenden, daß sie so schrecklich 
Verkehren ihrer Augen Uinde Weiße? 



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DIE SELBSTMÖRDER 

In Bäumen irrend^ wo die Äste knacken, 
Erschredcen sie bei jedem feuchten Schritte, 
Zerhöhlt und morsch. Und ihrer Stirnen Mitte 
In Schrecken wie ein weißes Feuer flackert. 

Schon ist ihr Leben flach, das wie «us Pfannen 
Dampft in die graue Luft, und macht sie leerer. 
Sie sehn sich schielend um. Und ihre Augen querer 
In Wasserbläue rinnen ganz zusammen. 

Ihr Ohr hört vieles schon von dumpfem Raunen, 
Wie Schatten stehn sie auf den dunklen Wegen, 

Und Stimmen kommen ihnen schwach entgegen, 
Wachsend in jedem Teich und jedem Baume. 

Und Hände streifen ihrer Nacken Schwere, 
Die peitschen vorwärts ihre steifen Rücken, 
Sie aber gehen wie auf schmalen Brücken 
Und wagen nicht zu fassen mehr ins Leere. 

Im Abendraum ein dunkler Schneefall tröpfelt, 
Und wie von Tränen wird ihr Bart bereifet. 

Und Dorn und Stachel wollen sie ergreifen 
Und lachen leise mit den Knister-Köpfen. 

Und plötzlich hängen sie an großer Schlinge — 
Und strampeln mit den dürren Knochenbeinen. 
Der Mond erfüllt die Nacht mit großem Scheinen. 

Im Dunkel ist ein Fetzen toter Dinge. 

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RUSSLAND 
(Min 191X) 

Mit weißem Haar, in den verrufnen Orten 
Noch hiater Werchojansk| ia öden St^pen, 
Da scfatnachten sie, die ihre Ketten schleppen 

Tagaus — tagein, die düsteren Kohorten. 

In Beffgwerkanacht» wo ihre Beile klingen 

Wie von Cyklopen. Doch ihr Mund ist stumm. 
Und mit den Peitschen gehn die Wärter um. 
Klatsch. — Daß klaffend ihre Schultern ^ringen. 

Der Mond schwenkt seine große Nachtlaterne 
Auf ihren Weg, wenn sie zur Hürde wanken, 
Sie fallen schwer in Schlaf. Und sehen ferne 

Die Nacht voll Feuer in den Traumgedanken 
Und auf der Stange» rot, gleich einem Sterne, 

Aus Aufruhrs Meer das Haupt des Zaren schwanken. 



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DIB WANDERER 



Endloser Zug, wie eine schwarze Mauer, 
Die durch die Himmel läuft, durch Wüstenei 
Der winterlichen Städte in der Trauer 
Verschneiter Himmel und dem Einerlei 

Der Riesenilächen, die sich fem vqjieren 
In endlos weifies WeiB am fernen Saum. 

Die Stürme wehn, die wie durch Kammern führen, 
Sie weitern Hinunelsraum zu Himmelsraum. 

Die Länder sind verödet, leer von Stimmen, 
Vom Winter wie mit weißem Moos vereist« 
Die Raben, die in grauen Höhen schwimmen, 
Ziehn auf dem Zug, der endlos weiterreist. 

Wie eine ungeheure schwanee Schlange 
Ist durch die leeren Himmel er gespannt. 
Er wälzt sich fort, wo fem im Untergange 
Die rote Sonne dampft in trübem Brand. 

Die Meilensteine fliegen auf den Wegen 
Den Wandrern zu, vorbei ins Himmelsgrau, 
Die wie Maschinen schnell sich fortbewegen, 

Wie um die Winden läuft ein schwarzes Tau. 

Das weifie Haar umtost von Winterwinden, 

Ziehn sie hinab und ziehn. Der krumme Stumpf 
Der Weiden, die von I^ten Schnees erblinden, 
B^leitet sie mit bitterem Triumph* 

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Der Abend steht am Rand, die schwarze Fahne 
Trägt seine Faust. £r senkt sie vor dem Zug. 
Die Wandrer ziehn hinab zum Oceane 
Der Nachti zu dunkler Hinunel bdeem Flug, 

Durch Gräber, Höhlen, zu den Riesentalen, 
Wo weiß Ton Mittemacht die Meere gehn, 

Und wie ein Stein ruht schwarz das Haupt der Qualen, 
Die schnell wie Wolkenschatten drüber wehn. 



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AUF EINMAL ABER KOMMT EIN GROSSES 

STERBEN 



Auf einmal aber kommt ein großes Sterben« 
Die Wilder rauschen wie ein Peuermeer 

Und geben alle ihre Blätter her, 

Die in dem leeren Luftreich blind verderbe* 

Die Tiere schreien in dem kalten Neste, 
Die Raben steigen in die Abendröte. 
Und plötzlich dorret trocken das Geäste. 

Die Schi£[er aber fahren trüb im Ungewissen^ 
Auf grauem Strom die grofien Kähne treiben 
In schiefen regensmattm Finsternissen» 

Durch leerer Brücken trüben Schall und Städte, 
Die hohl wie Gräber auseinander fallen. 

Und weite Öden, winterlich verwehte. . 

Kurz ist das Licht, das Stürme jetzt verdecken. 

Und immer knarren laut die Wetterfahnen, 
Die rostig in den niedern Wolken stecken« 

Und viele Kranke müssen jetzt verenden, 
Die furchtsam hüpfen in den leeren Zimmern, 
Zerdrückt im Leeren von den hohen Wänden. 

Das Weite sucht die letzte Vogel-Herde, 
' Und an dem Weg die kleinen Gottesbilder 
Sind einsam in der winterlichen Erde* 

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Die Bettler aber, die die Lieder grölen» 
Sitzen im Land herum mit langen Händen 
Und weisen ihre roten Augenhöhlen. 

Die Bienen fallen in den dünnen Röcken 

Im Rauhreif tot aus den yerblaßten Lüften^ ^ 

Die nicht mehr kehren rückwärts zu den Stöcken. 

Die Bhmien hängen auf den braunen Stielen 

An einem Morgen plötzlich leer von Düften, 
Die bald im Staub der rauhen Winde sielen« 

Die langen Kähne, die das Jahr verschlafen, 
Mit schlaffem Wimpel hängend in der Schwäche, 
Sind eingebracht im winterlichen Hafen. 

Die Menschen aber^ die vergessen werden. 
Hat Winter weit zerstreut in kahler Fläche 
Und bläst sie flüchtig über dunkle Erden. 

* 

Noch einmal treten nun wir in die Sonne, 

Aus goldnem Park und den verschwiegnen Treppen, 
Wo Süberwind die hohen Wipfel reißet. 

Und stehen an der Brunnen trocknen Lippen 
Und sehen hängend in der lichten Stille 
Die braunen Blätter mit den dünnen Rippen. 



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UND DIE HÖRNER DES SOMMERS 
VERSTUMMTEN . . . 

Und die Hörner des Sommers verstummten im Tode der 

Fliireni 

In das Dunkel flog Wolke auf Wolke dahin. 
Aber am Rande schrumpften die Wälder verloren, 
^ie Gefolge der Särge in Trauer vermummt. 

Laut sang der Sturm im Schrecken der bleichenden Felder^ 
Er fuhr in die Pappeln und bog einen weißen TurnL 
Und wie der Kehricht des Windes lag in der Leere 
Drunten ein Dorf, aus grauen Dächern gehäuft. 

Aber hinaus bis unten am Grauen des Himmels 

Waren aus Korn des Herbstes Zelte gebaut. 
Unzählige Städte, doch leer und vergessen« 
Und niemand ging in den Gassen herum. 

Und es sang der Schatten der Nacht Nur die Raben noch 

irrten 

Unter den drückenden Wolken im Regen hin, 
Einsam im Wind» wie im Dunkel der Schläfen 
Schwarze Gedanken in trostloser Stunde fliehn. 



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DIE NACHT 



Auf Schlangenhälsen die feurigen Sterne 
Hängen herunter auf schwankende Türme» 
Die Dächer gegeißelt. Und Feuer springet 
Wie ein Gespenst durch die Gassen der Stürme. 

Fenster schlagen mit Macht* Und Mauern» ^e alten» 

Reißen die Tore auf wie zahnlose Munde. 
Aber die Brücl^en fallen über dem Schlünde, 
Und der Tod stehet draußen» der Alte. 

Die Plätze sind rot und tot. Und riesige Monde 

Steigen über die Dächer mit stdien Bdnen» 

Den fiebernden Schläfern tief in die Kammer zu scheinen, 

Und die Stirne wird fahl wie frierendes Leinen. 

Aber die Menschen rennen» ohne am wissen, 

Blind und schreiend, mit Schwertern und Lanzen. 
Unten hallet es dumpf. Und die Glocken tanzen» 
Schlagend laut von den Winden gerissen. 



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DER KRIEG 

Hingeworfen weit in (las brennende Land 

Über Schluchten und Hügel die Leiber gemäht 

In verlassener Felder Furchen gesät 

Unter regnenden Himmdn und dunkeln^tem Brand, 



Fernen Abends über den Winden kalt» 
Der leuchtet in ihr zerschlagenes Haus, 

Sie zittern noch einmal und strecken sich aus, 
Ihre Augen werden sonderbar alt. 

Die Nebel in frierende Bäume zerstreut, 
In herbstlichen Wäldern irren die Seelen allein 
Tief in die Wildnis und kühles Dunkel hinein, 
Sich zu verbergen vor dem Lebenden weit. 

Aber riesig schreitet über dem Untergang 
Blutiger Tage grofi wie ein Schatten der Tod, 
Und feurig tönet aus fernen Ebenen rot 
Noch der Sterbenden Schreien imd Lobgesang. 



13* 19S 



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HEROISCHE LANDSCHAFT 

Mit Türmen schwankend im roten Bangen 
Stiegen die Städte mit Dächern imd Hörnerschall 
Mit den Strafien hinauf, die gen Himmd sprangen« 
Aber daa Licht lag schweflicht über der Stufen FalL , 

AUe Ufer hinunter, und Brücken erhoben 
Hatten riesige Tore voll Dunkel gebaut 

Dumpf schlugen die Ruder im tönenden Bogen, 
Aber die Wächter prangen mit Waffen laut 

Und die Frauen voll Weiße im Welken der Städte, 

Ihre Stirnen waren wie Schilde so rein. 

Und die Zinken so groß, die im Arme sie drehten, 

Riefen geschwungen ihr goldenes Schrein. 

Ihre Locken standen wie feurige Meere 

Gegen den Abend und lagen in schwarzer Pracht, 
Aber im Herz voü Qual und voll Schwere 
Schwanden sie grofi und fem in die Nacht 

Trauer wuchs übervoll. Und die Ufer verschwanden, 
Waren mit dunkeln Buchten gesunken schon, 
Schilf war rauschend ins Ufer gewunden, 
Aber der Strom war noch dunkel voll Loh'n. 

Sterbend im Abend, die Segel, sie sprangen 
Flatternd wie ängstliche Vögel im Rauch, 
Taub in der Nacht Doch noch golden gegangen 
Liefen die Wasser unter der Meer-Schiffe Bauch* 

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Und sie fuhren hinaus. Und yergaßen die Jahre 
Unter dem hallenden Meere im Glanz. 

Und rund um die Winter, wo sie gefahren» 
Trid>en die Schiffe in brechendem Tanz. 



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DIE MARKTE 



Schiebender. Füde sind tausend auf ihnen getreten. 
Hohe Karossen rollten wie Donner so hohl. 

Immer lagen sie bleich nur und schüchtern. Und flehten 
Um die übrigen Rüben und dürftigen Kohl« 

Die in dem Schauen so vieler der Sommer ergreiset, 
Im ritzenden Froste der bitteren Winter zernagt, 
Vom winzigen Brosam des Frühwinds trübe ge^eiset, 

Wenn märzlich das Jahr mit blauem Sturme getagt. 

Ewig nur hängende Särge krochen darüber; 

Ihre Stirnen waren von Fackeln oft rot. 

Tränen, die großen, schlugen voll Hitze hernieder. 

Und sie schwanden in sie, die so trocken wie Brot. 

Viele Gesänge sie hörten und silberne Tänze, 

Aus hellen Palästen oft schallte ein Saitenspiel, 

Im Grunde der braunen Gemächer sahen sie glänzen 

Fröhlicher Zeiten Ernte und Mähler viel. 

Oben im Grauen oft sahn sie die Vögel kehren 
Unruhig um — wie Spreu durch die Himmel vorbei. 
Die, ach, trieben hinaus mit den Wolken, den schweren, 
Über die schwellenden Herbste mit scharfem Geschrei. 

Ihrer dachte doch niemand. Die kümmerlich aßen 
Nun der Dächer Unrat mit hungrigem Mund. 

Wer sich nachts dort erbrach, die in Finsternis saßen, 
Und sie lagen beschmutzt auf dem schneeigen Gnmd. 



•I 



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Um Mitternacht dann — die Mäuse schoben die Knochen 
Über sie sanft. Die Raben schleuderten Mist. 
Mit knickenden Beinen die mächtigen Spinnen krochen 
Zärtlich über ihr 



So sperrten sie immer empor ihre riesigen Lippen 
Und schrieen nach einem Heiland der tollen Zeit» 
Und hörten den Wind am Tag — im Abend ein Regentrippen 

Weißer Sterne Geräusche durchs Dunkel der Räume ver- 
schneit. 



t99 



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LETZTE WACHE 

Wie duokel sind deine Schläfen 
Und detne Hände so wdxmirt 
Bist du schon weit von dannen 

Und hörst mich nicht mehr? 

Unter den fisckenden Liclite 

Bist du so traurig und alt, 
Und deine Lippen sind grausam 
In ewigier Starre gekrallt. 

Morgen schon ist hier das Schweigen 
Und vieUeicht in der Luft 

Noch das Rascheln der Kränze 
Und ein verwesender Duft. 

Aber die Nächte werden 
Leerer nun, Jahr um Jahr, 
Hier» wo dein Haupt lag und leise 
Immer ddn Atem war. 



20Q 



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DER DIEB 

EIN NOVELLENBUCH 



/ 



DER FÜNFTE OKTOBER 

: Am 5. Oktober sollten die Brotkarten aus der Provence 
nach Paris kommen* Der Stadtrat hatte es an allen StraBen» 

ecken in seinen großen roten Lettern anschlagen lassen. 
Und das Volk trieb sich den ganzen Tag vor ihnen herum 
wie vor den Toren einer neuen und ungeheuren Offen- 
barung. Ausgehungert bis in die Knochen träumte es da 
von Paradiesen der Sättigung» ungeheuren Weizenfladen, 
weifien Mehlpasteten, die in allen Garküchen prasseln 
würden. 

Alle Schlote sollen rauchen. Man wird die Bäcker an 
die Laternen hängen» man wird selber braten, man wird 
seinen Arm bis über die Ellenbogen in Mehl tauchen. Das 
weiße Zeug wird die Straßen wie ein fruchtbarer Schnee 
überzieheni der V/ind wird es vor der Sonne hintreiben wie 
eine dicke Wolke. 

Auf allen Straßen werden große Tische aufgestellt wer- 
den» Paris wird ein großes» gemeinsames Mahl abhalten» 
einen gewaltigen Sabbat. 

Die Menschen drängten sich vor den verschlossenen 
Kellern der Bäckereien und schielten herab auf die leeren 
Backtröge, die hinter den Gitterfenstern standenv sie sahen 
vergnügt auf die schwarzen Mäuler der riesigen Backöfen, 
die ohne Feuer standen» und wie sie nach Brot hungerten. 

An einer Straße eines Viertels am Mont Pamasse wurde 
• eine Bäckerei erbrochen, mehr aus Langerweile, um sich 
4ie Zeit zu vertreiben» als aus der Hoffnung» in den Kästen 
noch Brot zu finden. 

Drei Mann, Kohlenträger aus St. Antoine, brachten den 
, Bäcker heraus. Sie warfen ihm seine weiße Perücke hin- 
imter und stellten ihn unter die verbogene Lampe seiner 

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Tür. Der eine riß seinen Hoteiifmnd ab, drehte eiiie Sdilinge 

und warf sie dem Bäcker um den Hals. Dann hielt er ihm 
seine schwarze Faust unter das Gesicht und schrie ihn an: 
„Du verfluchter Mehlwurm« jetzt werden wir dich auf* 

hängen." 

Der Bäcker fing an, zu jammern und sah sich unter 
den Umstehenden nach Beistand um. Aber er sah nur 

lauter grinsende Gesichter. 

Der Schuster Jacobus trat vor und sagte zu den Vor- 
Städtern: „Meine Herren, wir wollen das Schwein laulen 
lassen, aber er muß mir erst ein Gebet nachsprechen." 

„Ja, ein Gebet nachsprechen", wimmerte der Bäcker« 
iiLassen Sie mich ein Gebet nachsprechen/' 

Jacobus fing an: „Ich bin der verfluchte Saubäcker." 

Der Bäcker sprach nach: „Ich bin der verfluchte Sau- 
bäcker." 

Jacobus: i,Ich bin der schwarze Mehljude, ich stinke auf 
tausend Meten" 

Der Bäcker: „Ich bin der schwarze Mehljude, ich stinke 
auf tausend Meter." 

Jacobus: „Ich bete alle Tage zu den vierzehn Nothelfern, 
daß niemaxid merken soll, was ich alles in das Brot tue." 

Der Bäcker wiederholte auch das. 

Das Publikum wieherte. Eine alte Frau setzte sich auf 
die Treppenstufen und gackerte vor Lachen wie eine alte 
Henne beim Eierlegen* 

Jacobus konnte selber vor Lachen nicht mehr weiter. 

Eine Weile ging dieses komische Anathema noch fort, 
zuletzt wurde die erbärmliche Gestalt den Leuten zu lang«« 
weilig. Man ließ ihn stehen mit seinem Strick um den 
Hals. 

Es begann stark zu regnen, die Leute traten unter die 
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Dächer. Der Bäcker war fort» Nur seine weiße Perücke 
lag noch mitten auf dem matze und begann, sich im Regen 

aufzulösen. Ein Hund nahm sie in das Maul und schleppte 
sie fort. 

AlUnählich liefi der Regen nach, und die Menschen 

traten wieder auf die Straße. Der Hunger begann sie wieder 
zu beißen. Ein Kind fiel in Krämpfe, die Umstehenden 
sahen zu und gaben gute Ratschläge. 

Aul einmal hieß es: „Die Brotkarren sind dal Die Brot« 
karren sind daT' Die ganze Straße hinab lief das Geschrei. 
Und die ganze Straße begann, sich aus den Toren hinaus- 
zudiängen. Sie kamen an das Land, in die kahlen Felder, 
sie sahen einen verlassenen Himmel und die lange Reihe 
▼on Pappelbäumen der Chaussee, die hinten in dem arm- 
seligen Horizont der Ebenen untertauchten. Ein Stoß 
Raben flog über sie vor dem Winde her, den Städten zu. 

Die Menschenströme gössen sich in die Felder. Manche 
hatten leere Säcke auf den Schultern, andere Fieischer- 
mollen, Kessel, um das Brot fortzubringen. 

Und sie warteten auf die Karren, den Rand des Himmels 
durchforschend, wie ein Volk Astronome, das nach einem 

neuen Gestirn sucht. 

Sie harrten und harrten, aber sie sahen nichts als den 
Wolkenhimmel und dei^ Sturm, der die hohen Bäume hin- 

und herbog. 

Von einer Kirche schlug es in die stununen Massen lang- 
sam die BAittagsstunde. Da begannen sie, sich zu besinnen, 
daß sie sonst um diese Zeit um volle Tische gesessen hatten, 
auf deren Mitte wie ein dicker König ein weißer Laib Brotes 
geprangt hatte. Und das Wort „Pain*' zwang sich mit 
seiner ganzen Weiße, seiner Fette, in das Gehirn der Masse, 
und lag darin wie ein Stein in der Sonne, riesig, groß, 

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knusprig, zum Anschneiden. Sie schlössen die Augenlider, 
und sie fühlten den Salt des Weizens über ihre Hände 

tröpfeln. Sie fühlten die Wärme, die heilige Wolke der 
Backöfen, eine rosige Flanune, die die weißen Brotlaibe 
rüstete und schwärzte« 

Und ihre Hände zitterten vor Verlangen nach dem Mehl. 
Sie fröstelten vor Hunger, und ihre Zungen begannen, im 
leeren Munde zu kauen, sie begannen, die Luft zu schlucken, 
und ihre Zähne schlugen willenlos aufeinander, als zer- 
malmten sie die weißen Bissen. 

Manchen hingen ihre Sacktücher aus dem Munde, und 
ihre großen Zähne kauten darauf herum, langsam wie- Ma- 
schinen. Sie hatten ihr eingefallenes Auge geschlossen und 
wiegten ihre Köpfe über ihren Zulp im Takte einer geheim- 
nisTollen, quälerischen Musik. 

Andere saßen auf den Prellsteinen an der Straße und 
weinten vor Hunger, während sich um ihre Knie große 
magere Hunde herumtrieben, denen die Knochen fast durch 
das Fell stachen. 

Eine schreckliche Müdigkeit befiel die regungslosen Mas- 
sen, eine ungeheure Apathie fiel lähmend wie eine dicke 
Decke auf ihre weißen Gesichter. 

Ach, sie hatten keinen Willen mehr. Der Hunger be- 
gann ihn langsam zu ersticken und sie in einem schreck- 
lichen Schlaf und der Marter seiner Träume zu entmannen. 

Weit um sie herum lief die Ebene Frankreichs herab, 
verzäumt von gespenstigen Mühlen, die rings um den 
Horizont standen wie Türme oder riesige Gottheiten des 
Kornes, die mit den Armen ihrer großen Flügel Mehl- 
wolken aufstäubten, als dampfe Weihrauch um ihre großen 
Häupter. 

Ungeheure Tafeln standen am Rande Frankreichs, die 
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imter der Last der großen Schüsseln zu schwanken be- 
gaimen* Man winkte sie h^. Aber sie waren auf grofie 
Folterbetten gebunden, und ihr Blut hatte das fürchtbare 
Opium des Hungers betäubt und in schwarze Schlacke er- 
starrt. Sie wollten schreien: „Brot. Brot, nur einen BisseUi 

www W ^1 

Erbarmen, Barniherzigkeity nur einen Bissen, lieber Gott." 
Aber sie konnten ihre Lippen nicht aufmachen, schreck- 
lichy sie waren stumm. Schrecklich, sie konnten kein Glied 
rühren, sie waren gelähmt. 

Und die schwarzen Träume flatterten über die Haufen^ 
die zu Klumpen geballt beieinander standen und lagen wie 
ein Heer, Terurteilt zum ewigen Tode, geschlagen mit 
ewiger Stummheit, verflucht, wieder in den Bauch von 
Paris unterzutauchen, zu leiden, zu hungern, geboren zu 
werden und zu sterben in einem Meer der schwarzen 
Finsternis, der Fronden, des Hungers und der Sklaverei, 
erdrückt von blutgierigen Steuerpächtern, ausgemergelt von 
der ewigen Auszehrung, entnervt von dem ewigen Rauch 
der Gassen und wie ein altes Pergament verwelkt von der 
beizenden Luft ihrer niedrigen Höhlen, verdammt, einst zu 
erstarren im Schmutze ihrer Betten und in einem letzten 
Seufzer den Priester zu verfluchen, der gekommen war im 
Namen seines Gottes, im Namen des Staates und der Auto- 
rität, ihnen zum Dank für die Geduld ihres elenden Lebens 
die letzten Groschen zu Kirchenvermächtnissen abzu- 
pressen. 

Niemals schien eine Sonne in ihre Gräber. Was kannten 
sie von ihr in ihren gräßlichen 'Löchern? Sie sahen sie 
manchmal mittags über die Stadt hinschweben, betäubt 
von ihrem Qualm, in dicke Wolken gehüllt^ eine Stunde 
oder zwei. Und dann verschwand sie. Die Schatten kamen 
wieder unter den Häusern hervor und krochen an ihnen 

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hoch, schwane Polypen der Gasse mit thxer kalten Usup 

annung. 

Wie oft hatten sie an den G&rten der Grenadiere auf die 
weiten sonnigen Wiesen geschaut. Und sie hatten die 

Tänze der Hofdamen angeglotzt, die Hirtenstöcke der gold- 
betredten Kavaliere» die Bücklinge der Mohren, die Ta^ 
bletten ▼oU Orangen, Biskuits, Konfekt, die goldene Ka» 
rosse, in der die Königin langsam durch den Park fuhr wie 
eine syrische Göttin, eine ungeheure Astarte, starrend von . 
weifier Seide und glitzernd wie eine Heilige Ton tauseild 
Perlen. 

Oh» wie oft hatten sie von dem Duft» der Würze des 
Moschus getnmken» wie oft waren sie beinahe erstickt von 
den Wohlgerüchen des Ambra, die aus dem Park des 
Luxembourg zogen wie aus einem geheinuüsvollen Tempel. 
Oh, man hätte sie doch einmal hereinlassen können, einmal 
auf einem solchen Samtstuhl zu sitzen, einmal in einem 
solchen Wagen zu fahren. Sie hätten mit Vergnügen die 
ganze Nationalversammlung totgeschlagen» sie hätten dem 
König die Füße geküßt, wenn er sie einmal für eine Stunde 
ihren Hunger und die kahlen Felder verzweifelter Ernten 
hätte vergessen machen. 

Und sie zerpreBten sich ihre Nasen an den Eisenstäben 
der Gitter, sie steckten ihre Hände iundiirch, Scharen von 
Bettlern, Herden von Ausgestoßenen und Wimmemden. 
Und ihr schrecklicher Geruch zog in den Park vne eine 
Wolke düsteren Abendrotes, das einem schrecklichen Mor- 
gen voraufgeht. Sie hatten sich an das Gitter gehängt wie 
gräßliche Spinnen, und ihre Augen waren weit in den Park 
hinausgewandert, in seine abendlichen Wiesen, seine Hek- 
ken, seine Lorbeergänge, seine Marmorfiguren, die von 
ihrem Postament herab ihnen ihr süßliches Lächeki zu* 

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kehrten. Kleine Liebesgötter, Putten, dick wie gemästete 
Gänse, mit Armen, die weißen ausgestopften Würsten 
glichen^ zielten nach ihrem aufgerissenen Mund ihre 
liebespfeile und winkten ihnen mit dem steinernen Köcher, 
während auf ihre Schultern wie ein Klotz die Arme der 
Gerichtsvollzieher fielen, die gekonunen waren, sie in die 
Schuldtürme zu werfen. 

Die Schläfer stöhnten, und die Wachenden beneideten 
sie um ihren Schlaf. 

Sie sahen vor sieh hin, voraus, die Strafie hinah nach 
den Brotkarren, die ausgestorbene Strai^e, die die Schrecken 
der Revolution verödet hatten und die wie ein toter Darm 
keine Zufuhren mdir in den Bauch Frankreichs hinein- 
warf. Sie war weiß und lief endlos in einen tauben Himmel, 
der, fett wie ein Pfaffengesicht, feist wie eine Bischofs- 
hacke und ohne Rimzeln wie ein gemästeter Bettelmönch, 
seine fahle Stirn am Horizont zeigte. Er war friedlich wie 
eine Dorfmesse, er war von kleinen, grauen Nachmittags- 
wolken sanft eingerahmt wie ein alter Abb^, der nach dem 
Mittagessen in seiner Sakristei, im Lehnstuhl sanft ver- 
sargt, schlummert, während ihm die Locken seiner Perücke 
in die Stirn fallen» 

Die Lumpen der Menschenherden verbreiteten einen ent- 
setzlichen Gestank. Ihre schmutzigen Halsbinden flatterten 
um ihre grauen Gesichte« Ersticktes Weinen verflog durch 
das entsetzliche Schweigen. Soweit man sah, stachen ihre 
durchlöcherten Dreispitze in die Luft, auf denen manchmal 
schmutzige Straußf edem tanzten. Die zerstreuten schwar- 
zen Figuren der Massen glichen den erstarrten Pas eines 
düsteren Menuetts, einem Tanze des Todes, den er mit 
einem Mlale hinter sich hatte erstarren lassen^ verwandelt 
in einen riesigen, schwarzen Steinhaitfen, gebannt und er« 

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froren von den Qualen, Säulen des Schweigens. Unzählige 
Lots» die die Flamme eines hdUischea Gomorrlia in ewig» 
Starre geschmolzen hatte. 

Hoch über ihnen in dem kalten Oktoberhimmel ging der 
etseme Pflug der Zeiti der seine Felder ackerte mit Kummer» 
besäte mit Not, auf daß daraus eines Tages die Flamme der 
Rache aufginge, auf daß eines Tages die Arme dieser 
Tausende leicht würden, beschwingt imd fröhlich wie 
leichte Tauben beim Schnitterdienste der Guillotinenmesser, 
auf daß eines Tages sie wie Götter der Zukunft unter den 
Himmel treten könnten, barhäuptig, in dem ewigen Pfing- 
sten einer unendlichen Morgenröte. 

Aus dem weißlichen Himmel am fernen Ende der Land- 
straße löste sich ein schwarzer Punkt. 

Die Vordersten sahen ihn, sie machten einander auf- 
merksam. Die Schläfer erwachten und sprangen auf. Alle 
sahen die Straße hinab. War dieser schwarze Punkt das 
Mekka ihrer Hoffnung, war das ihre Erlösung? 

Für einige Augenblicke glaubten sie alle daran, sie 
zwangen sich, daran zu glauben. 

Aber der Punkt wuchs zu schnell. Jetzt sahen es alle, 
das war nicht der langsame Zug vieler Karren, das war 
keine Mehlkarawane. Und die Ho^ung verlor sich im 
Winde und verließ ihre Stirnen. 

Aber was war das? Wer ritt so toll? Wer hatte in dieser 
toten Zeit einen Grund, so zu reiten? 

Ein paar Männer kletterten auf die dicken Weiden und 
spähten über die Köpfe der Massen. 

Jetzt sahen sie ihn und schrien seinen Namen herab. 
£s war MaiUard. Maillard von der Bastüle. Maillard vom 
- 14. Juli, 

Und da kam er heran^ mitten unter die Volkshaufen. 

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Er hielt an, und dann bekam er nur ein Wort heraus. 
„Verrat!" schrie er. 

Da brach der Orkan los* „Verrat^ VerratI'* Einige zehn 
Mann faßten ihn an und hoben ihn auf ihre Schultern. 
Er stand oben, mit der einen Hand sich an einen Baum 
stützend» ohmnächtig Tor Anstrengung» fast blind vom 
Schweiß, der ihm aus wemem schwarzen Haar um die 
Augen lief. 

„Maillard will reden''» hieß es. Da trat eine furchtbare 
Ruhe ein. Alle warteten, warteten mit dem furchtbaren 

Warten der Massen vor dem Aufruhr, in den furchtbaren 
Sekunden, in denen die Zukunft Frankreichs gewogen 
ward» bis die Schale toU Fesseln, Kerkern, Kreuzen, Bibeln» 
Rosenkränzen, Kronen, Zeptern, Reichsäpfeln, gebettet in 
die falsche Sanftmut bourbonischer Lilien» voll hohler 
Worte, Versprechungen» Tafeln voll königlicher Eidbrüche» 
ungerechter Urteile, harmloser Privilegien, dieser unge- 
heure Berg alles dessen» mit dem die Jahrtausende Eiuropa 
betrogen hatten» langsam m sinken begann. 

Maillard schwang sich in den Baum hinauf. 

Aus seiner kahlen Kanzel herab warf er seine furcht- 
baren Worte über die Menschen dahin» übbr die kahlen 
Felder, die düsteren Wälle, die schwarzen Zugbrücken, 
überladen von Menschen, in die Tunnels der Tore, über 
die Dächer von Paris» in die Höfe und GäBchen der düsteren 
Faubourgs, in alle die Burgen des Elends weit hinaus, wo 
unter «der Erde in den Kanälen bei den Quartieren der 
Ratten noch ein verdammtes Ohr war» das seine Worte 
vernahm. 

„An die Nation! Ihr Armen, ihr Verfluchten, ihr Aus- 
gestofienenl Man verrät euch. Man preßt euch aus« Ihr 
werdet bald nackt herumlaufen» auf den Tteppen werdet 

U* 211 



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ihr sterben, und aus euren starren Händen werden die 
Steuerilichtery die Schergen des Capets» Bluthunde des Blut- 
hundes, Spinnen der Spinne, eure letzten Groschen reißen. 

Wir sind verlassen, wir sind verstoßen, und es geht mit 
uns SU Ende. Sie werden uns hald den letzten Rock vom 
Leibe reißen. Aus unsern Hemden werden sie uns Stricke 
drehen. Wir werden mit unserem Leibe die kotigen Straßen 
pflastern, damit die Wagen der Henker trocken darüber 
fahren. Warum sollten wir auch nicht sterben? Denn wir 
verpesten mit unsem Leibern die Luft, wir stinken, man 
faßt uns nicht an, nicht wahr? Warum sollten wir nicht 
sterben? Was könn«i wir auch tun? Wir können uns ja 
nicht wehren? Wir sind mürbe gemacht, wir sind stumm 
gemacht. 

Man hat künstliche Teuerungen erzielt, man hat uns 
ausgehungert, der Hunger hat uns totgemacht." 

Jedes Wort fiel wie ein schwerer Stein in das Volk. 
Bei jeder Silbe warf er seine Arme nach vom, als wollte 
er mit dem Bombardement seiner Worte den Horizont 
selber ins Wanken bringen« 

„Wißt ihr, was diese Nacht geschehen ist? 

Die Königin — ** 

„Ha, die Königin'', und die Massen wurden noch stiller, 
als sie den verhaßten Namen hörten. 

„Die Königin, wißt ihr, was die alte Hure getan hat? 
Drei Regimenter Dragoner hat sie nach Versailles kommen 
lassen« Pie liegen in allen Häusern, und die Le^te der 
Versammlung wagen kaum noch zu reden. Mirabeau ist 
klein geworden wie ein Zwerg, und die andern alle können 
sich kaum noch zu einem dürftigen Räuspern aufschwingen. 
Es ist eine Schande, das zu sehen. Wofür haben sie im 
Ballhause geschworen, diese Komödianten der Freiheit? 

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Wofür habt ihr euer Blut bei der BastUle gelassen? Es 

war alles umsonst, hört ihr, umsonst. 

Ihr müßt wieder in eure Höhlen kriechen, die Freiheitsfackel 
ist ein kleines Nachtlicht geworden« eine kleine Tranfunzel* 
Gut genug, um euch wieder in eure Löcher zu leuchten. 

In drei Tagen wird Broglie mit seinen Truppen hier 
sein. Die Versammlung wird nach Hause geschickt, die 
Folter wird wieder aufgerichtet. Die Bastille wird wieder 
aufgebaut. Die Abgaben werden wieder gezahlt. Alle 
Kerker sperren schon ihre Mauler auf. 

Euer Hunger ^rd nicht gestillt werden, verzweifelt ge- 
trost. Der König hat die Brotkarren noch vor Orleans an- 
halten lassen und sie wieder nach Hause geschickt.'' 

Seine Worte gingen unter in dem Schrei der Wut. Ein 
ungeheurer Sturm geballter Fäuste schüttelte sich in der 
Luft, Die Massen begannen zu schwanken, wie ein unge- 
heurer Malstrom, rund um seinen Baum. 

Und der Baum ragte heraus aus dem Meere der Schreie, 
aus den kreisenden Flüchen der verzerrten Gesichter, aus 
dem Echo des Zornes, das wie ein schwarzer, riesiger 
Wirbelwind vom Himmel zurückkam und ihn im Kreise 
zu erschüttern begann, daß er dröhnte wie der Klöppel 
einer ehernen Glocke. 

Der Baum ragte heraus wie von düstren Flammen an- 
gezündet, eine kalte Lohe, die ein Dämon aus dem Ab- 
grund hatte aufschießen lassen« 

Hoch oben in seinem fahlen Geäst hing Maillard wie 
ein riesiger schwarzer Vogel und warf seine Arme im 
Kreise hin und her, als wollte er sich zum Fluge über die 
Menschenmassen anschic^n in den Abend hinaus, ein 
Dämon der Verzweifiung, ein schwarzer Belial, der Gott 
der Masse, der düstres Feuer aus seinen Händen warf* 

213 

I 



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Aber in seiner Stim, die das dunkle Licht wie mit über- 
irdischer Weiße übergoß, spiegelte ein goldener Strahl, der 
durch die Wolken kam, hoch über dem Chaos aus dem 
Zenit des Himmels« 

Nur ein Idmner Streifen am Westhimmel war hell ge- 
worden, dort war der Himmel über die Felder gespannt wie 
ein Tefipich von seidener Blauey der noch Ton den Er- 
innerungen eines verschwiegenen Schtferspi^ träumte. 

Aus dem Toben der Massen heraus schallte plötzlich 
zweimal yon einer lauten Stimmt gerufen im Parosdsmus 
eines gellenden Dislcantes der Ruf: „Nach Versailles, nach 
Versailles!" Es war, als hätte es die riesige Masse selber 
gerufen, als hätte ein Wille das ausgesprochen, was in den 
Tausenden der Köpfe sich wälzte* Da war ein Ziel. Das 
war kein Chaos mehr, die Menschenmassen waren mit 
einem Schlage ein furchtbares Heer. Wie ein riesiger 
Magnet riß der Westiiimmel ihre Kdpfe herum, wo Ver- 
sailles ihrer harrte. Diese Straße würden sie jetzt gehen, 
sie würden nicht mehr warten. Die Kräfte, die der Sturm 
der Verzweiflung in ihnen aufgewühlt hatte, hatten einen 
Willen, einen Weg. Der Damm war gebrochen. 

Die ersten Reihen setzten sich spontan in Marsch. In 
Reihen zu vieren, zu f ünf en, soweit die Breite der Strafie 
es erlaubte. 

Maillard sah das. £r kletterte, so schnell er konnte, von 
seinem Baum herab, rief drei Mann, die er Icannte, zu sich 
und rannte mit ihnen über die Felder an den Massen ent- 
lang, bis er ihre Spitze erreichte. Da stellte , er sich mit 
seinen Leuten dem Strome entg^en und versuchte, auf 
sie einzureden, sie sollten einen Führer wählen, Waffen 
holen. Aber er wurde nicht gehört. Jetzt war seine Stimme 
wie die eines jeden andern, der diese eisernen Bataillone 

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hätte aufhalten wollen. Die Massen stießen ihn zur Seite, 

sie überschwemmten die kleine Mauer der vier Mann und 
rissen MaiUard und seine Leute mit sich die Straße hinab. 

Ein unsichtbarer Führer führte sie» eine unsichtbare 
Fahne wehte vor ihnen her, ein riesiges Panier wallte im 
Winde, das ein ungeheurer Fahnenträger vor ilmen her- 
trug. Ein blutrotes Banner war entfaltet. Eine gewaltige 
Oriilamme der Freiheit, die mit einem purpurnen Fahnen- 
tuche im Abendliimmel ihnen vorausiiackerte wie eine 
Morgenröte. 

Sie alle waren unzählige Brüder geworden, die Stunde 
der Begeisterung hatte sie aneinandergeschweißt. 

Männer und Weiber durcheinander» Arbeiter» Studenten» 
Advokaten. Weiße Perücken, Kniestrümpfe und Sanscu- 
lotten, Damen der Halle, Fischweiber, Frauen mit Kindern 
auf dem Arm» Stadtsoldaten» die ihre Spieße wie Generale 
über der Masse schwangen» Schuster mit Lederschürzen 
und Holzpantoffeln» Schneider, Gastwirte, Bettler, Strolche, 
Vorstädter» zerlumpt und zerrissen» ein unzähliger Zug. 

Barhäuptig zogen sie die Straße hinab, Marschlieder er- 
schallten. Und an Spazierstöcken trugen sie rote Taschen- 
tücher wie Standarten. 

Ihre Leiden waren geadelt» ihre Qualen waren vergessen» 
der Mensch war in ihnen erwacht. 

Das war der Abend» wo der Sklave» der Knecht der 
Jahrtausende seine Ketten abwarf und sein Haupt in die 
Abendsonne erhob, ein Prometheus, der ein neues Feuer 
in seinen Händen trug. 

Sie war^ waffenlos» was schadete das» sie waren ohne 
Kommandanten, was tat das? Wo war nun der Hunger» 
wo waren die Qualen? 

Und das Abendrot lief über sie hin» über ihre Gesichter 

I «S 



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und brannte auf ihre Stirnen einen ewigen Traum tob 
Größe. Die ganze meilenweite Straße brannten tausend 
Köpfe in setnem Lichte wie ein Meer» ein urewiges Meer* 

Ihre Herzen, die in der trüben Flut der Jahre, in der 
Asche der Mülisal erstickt waren, fingen wieder an, zu 
brennetti sie entzündeten sich an diesem Abendrot. 

Sie gaben sich die Hftnde auf dem Marsche» sie um- 
armten sich. Sie hatten nicht umsonst gelitten. Sie wußten 
alle» daß die Jahre der Leiden vorbei waren» und ihre Herzen 
zitterten leise« 

Eine ewige Melodie erfüllte den Himmel und seine pur- 
purne Bläue» eine ewige Fackel brannte. Und die Sonne 
zog ihnen voraus» den Abend herab» sie entzündete die 

Wälder, sie verbrannte den Himmel. Und wie göttliche 
Schiffe, bemannt mit den Geistern der Freiheit» segelten 
große Wolken in schnellem Winde vor ihnen her. 

Aber die gewaltigen Pappeln der Straße leuchteten wie 
große Kandelaber, jeder Baum eine goldene Flamme» die 
weite Straße ihres Ruhmes hinab. 



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DER IRRE 



Der Wärter gab ihm seine Sachen, der Kassierer händigte 
ihm sein Geld aus^ der Türsteher schloß vor ihm die große 
eiserne Tür auf . Er war im Vorgarten, er klinkte die Garten- 
pforte auf, und er war draußen. 

So, imd nun sollte die Welt etwas erleben. 

Er ging die Straßenbahnschienen entlang, zwischen den 
niedern Häusern der Vorstadt durch. Er kam an einem 
Feld vorbei und warf sich an seinem Rande in die dicken 
Mohnblumen und den Schierling. Er verkroch sich ganz 
darein, wie in einen dicken grünen Teppich. Nur sein Ge- 
sicht schien daraus hervor wie ein weißer aufgehender Mond. 
So» nun saß er erst einmal. 

Er war also frei. Es war aber auch höchste Zeit, daß sie 
ihn herausgelassen hatten, denn sonst hätte er alle um- 
gebracht» alle miteinander. Den dicken Direktor, den hätte 
er an seinem roten Spitzbart gekriegt und ihn unter die 
Wurst maschine gezogen. Ach, was war. das für ein wider- 
licher Kerl. Wie der immer lachte, wenn er dtirch die 
Fleischerei kam. 

Teufel, das war ein ganz widerwärtiger Kerl. 

Und der Assistenzarzt, dieses bucklige Schwein, dem 
hätte er noch mal das Gehirn zertreten. Und die Wärter 
in ihren weiß gestreiften Kitteln, die aussahen wie eine 
Bande Zuchthäusler, diese Schufte, die die Männer bestahlen 
und die Frauen auf den Klosetts vergewaltigten. Das war 
ja rein zum Verrücktwerden. 

Und er wußte wirklich nicht, wie er da seine Zeit aus-- 
gehalten hatte. Drei Jahre oder vier Jahre, wie lange hatte 
er da eigentlich gesessen, dahinten in diesem weißen Loch, 
in diesem großen Kasten, mitten tmter Verrückten. Wenn 

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er da morgens in die Fleischerei ging, über den großen Hof, 
wie sie da hensmlagen und die Zäline fietschteoi tnanclie 
halbnackt. Dann kamen die W&rter und schleppten die 
fort, die sicii besonders schlecht aufführten. Sie wurden in 
heiBe Bäder gesteckt. Da war mehr wie einer verbrüht wor<- 
den, mit Absicht, das wußte er. Einmal wollten die Wärter 
einen Toten in die Fleischerei bringen, daraus sollte Wurst 
gemacht werden. Das sollten sie dann zu essen bekommen. 
Er hatte es dem Arzt gesagt, aber der hatte es ihm aus- 
geredet. So, der hatte also mit unter der Decke gesteckt. 
Dieser verfluchte Hund. Wenn er ihn jetzt hier hätte. Den 
würde er in das Korn schmeifien und ihm die Gu^;el abreißen, 
diesem verfluchten Schwein, diesem Sauhund, verfluchten. 

Überhaupt, warum hatten sie ihn eigentlich in die An- 
stalt gebracht? Doch nur aus Schikane» Was hatte er denn 
weiter gemacht? Er hatte seine Frau ein paarmal ver- 
hauen, das war doch sein gutes Recht, er war doch ver- 
heiratet. Auf der Polizei hätte man seine Frau 'rausschmet- 
ßen sollen, das wäre viel richtiger gewesen. Statt dessen 
hatten sie ihn vorgeladen, verhört, lauter Theater mit ihm 
aufgestellt. Und eines Morgens war er überhaupt nicht 
mehr fortgelassen worden. Sie hatten ihn in einen Wagen 
gepackt, hier draußen war er abgeladen worden. So eine 
Ungerechtigkeit, so eine Unverschämtheit. 

Und wem hatte er das alles zu verdanken? Doch nur 
seiner Frau. So, und mit der würde er jetzt abrechnen. 
Die stand noch hoch im Konto* 

Er riß in seiner Wut von dem Feldrande einen Büschel i 
Kornähren ab und schwenkte es wie einen Stock in der 
Hand. Dann stand er auf, und nun wehe ihr. 

Er nahm das Bündel mit seinen Sachen über seine Schul- 
tern, dann setzte er sich wieder in Marsch. Aber er wußte 

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; nicht recht» wo er hingehen sollte. Ganz hinten über den 

Feldern rauchte ein Schornstein. Den kannte er, der war 
sieht weit von seiner Wohnung. 

Er Terließ die Straße und bog in die Felder ab» mitten 
hin^n in die Halme. Geradeswegs auf sein Ziel zu. Was 
das für ein Vergnügen war, so in die dicken Halme zu treten, 
die unter seinem Fuß knackten und barsten. 

Er machte die Augen zu, und ein seliges Lächeln flog 
über sein Gesicht. 

Es war ihm, als wenn er über einen weiten Platz ginge. 
Da lagen viele, viele Menschen, alle mit dem Kopfe auf der 
Erde. Es war so, wie auf dem Bild in der Wohnung des 
Direktors, wo viele tausend Leute in weißen Mänteln und 
Kapuzen vor einem großen Stein lagen, den sie anbeteten, 
j Und dies Bild hieß Kaaba. „Kaaba, Kaaba^S wiederholte 
j er bei jedem Schritt Er sagte das wie eine mächtige Be- 
schwörungsformel, und jedesmal trat er dann rechts und 
links um sich auf die vielen weißen Köpfe. Und dann 
knackten die Schädel; es gab einen Ton, wie wenn jemand 
j eine Nuß mit einem Hammer entzweihaut. 
I Manche klangen ganz zart, das waren die dünnen, das 
i waren die Kinderschädel. Da gab es einen Ton wie Silber, 
leicht, luftig wie eine kleine Wolke. Manche wieder schnarr- 
ten, wenn man auf sie trat, ähnlich wie Waldteufel. Und 
dann kamen ihre roten, flatternden Zungen aus dem Munde 
, heraus, wie es bei den Gununibällen war. Ach» es war 
wunderschön. 

Manche waren so weich, daß man gleichsam einsank. 
Sie blieben an den Füßen kleben. Und so ging er mit zwei 
Schädeln an den Beinen dahin, als wäre er eben aus zwei 
Eierschalen ausgekrochen» die er noch nicht ganz ab- 
geschüttelt hatte. 

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Am meisten freute es ihn aber, wenn er irgendwo den 
Kopf ron einem alten Manne sah, kahl und blank, wie eine 
mannorne Kugel. Da setzte er erst ganz vorsichtig auf und 
wippte erst ein paaxmal zur Probe, so, so, so. Und dann 
trat er zu, knaac, daß das Gehirn ordentlich spritzte, wie ein 
kleiner goldener Springbrunnen. 

Allmählich wurde er müde. Er erinnerte sich plötzlich 
an den VerrückteUi der glaubte, er hätte gläserne Beine, 
und er könnte nicht laufen. Er hatte den ganzen Tag auf 
seinem Schneidertisch gesessen, aber die Wärter hatten ihn 
immer erst hintragen müssen. Allein war er keinen Schritt 
gegangen. Wenn sie ihn auf seine Beine stellten, ging er 
einfach nicht weiter. Dabei waren seine Beine ganz gesund, 
das sah doch jeder. Sogar auf das Klosett war er nicht 
einmal allein gegangen, nein, wie einer doch so verrückt 
sein konnte. Das war ja zum Lachen. 

Neulich war der Pfarrer zu Besuch gewesen, und da hatte 
er mit ihm über den Verrückten gesprochen: „Sehen Sie 
mal, Herr Pastor, der da, der Schneider, der ist doch zu 
verrückt. So ein dämliches Aas i ' Und da hatte der Pastor 
gelacht, daß die Wände gewackelt hatten. 

Er trat aus den Halmen heraus, allenthalben klebte Stroh 
an seinem Anzug und an seinem Haar. Sein Kleiderbündel 
hatte er unterwegs verloren. Die Ähren trug er noch in 
seiner Hand, und er schwenkte sie vor sich her wie eine 

goldene Fahne. Er marschierte stramm aus. Rechten, 
Linken, Speck und Schinken, summte er vor sich hin. Und 
die Kletten, die an seiner Hose saOen, flogen in weiten 

Bogen ab. 

„Abteilung halt'', kommandierte er. £r steckte seine Fahne 
in den Sand- des Feldwegs und warf sich in den Graben. 
Plötzlich bekam er vor der Sonne Angst, die auf seine 

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" Schläfe brannte. Er glaubte, sie wollte Über ihn herfalleni 
und steckte sein Gesicht tief in das Gras hinein. Dann schlief 
er ein. 

Kinderstimmen weckten ihn auf. Neben ihm standen 
ein kleiner Junge und ein Ideines Mädchen. Als sie sahen, 
' daß der Mann aufgewacht war, liefen sie weg. 

Er bekam eine furchtbare Wut auf diese beiden Kinder, 
er wurde im Gesicht rot wie ein Krebs. 

Mit einem Satze sprang er auf und lief den Kindern nach. 

i 

Als sie seine Schritte horten, fingen sie an zu schreien und 

' liefen schneller. Der kleine Junge zog sein Schwesterchen 
hinter sich her. Das stolperte, fiel hin und fing an zu weinen. 

Und weinen konnte er überhaupt nicht vertragen. 

Er holte die Kinder ein und riß das kleine Mädchen aus 
dem Sande auf. £s sah das verzerrte Gesicht über sich 
und schrie laut auf , Auch der Junge schrie und wollte fort- 
laufen. Da bekam er ihn mit der andern Hand zu packen. 

I 

Erschlug die Köpfe der beiden Kinder gegeneinander. ,,£ins, 
zwei, drei, eins, zwei, drei^^, zählte er, und bei drei krachten 
die beiden kleinen Schädel immer zusammen wie das reine 
Donnerwetter. Jetzt kam schon das Blut. Das berauschte 
I Ihn, machte ihn zu einem Gott. Er mußte singen. Ihm fiel 
ein Choral ein. Und er sang: 

„Ein feste Burg ist unser Gott, 

Ein gute Wehr und Waffen. 

Er hilft ims frei aus aller Not, 

Die uns jetzt hat betroffen. 

Der alt böse Feind, 

Mit Emst er's jetzt meint, 

Groß Macht und viel List 
y Sein grausam Rüstung ist, 

Auf Erd ist nicht seins'gleichen." 

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Er akzentuierte die einzelnen Takte laut, und bei jedem 
UeB er die beiden kleinen Köpfe aufeinanderstofien, wie ein 
Musiker, der seine Becken zusammenhaut. 

Als der Choral zu Ende war, ließ er die beiden zer- 
sdunetterten Schädel aus seinen Händen fallen. Er begann 
wie In einer Verzückung um die beiden Leichen herumzu- 
tanzen. Dabei schwang er seine Arme wie ein großer Vogel» 
und das Blut daran sprang um ihn herum wie ein feuriger 
Regen. 

Mit einem Male schlug seine Stimmung um. Ein im- 
bezwingliches Mitleid mit den beiden armen Kindern ^ 
schnürte ihm von innen heraus fast den Hals ab. Er hob 
ihre Leichname aus dem Staub des Weges und schleppte sie 
in das Korn hinüber. Er wischte mit einer Handvoll Un- 
kraut das Blut» das Gehirn und den Schmutz aus dem Ge- 
sicht und setzte sich zwischen die beiden kleinen Leichen. 
Dann nahm er ihre Händchen in seine Faust und streichelte 
sie mit blutigen Fingern. 

Er mußte weinen, große Tränen liefen langsam über seine 
Backen hinunter. 

Ihm kam der Gedanke, daß er vielleicht die Kinder wieder 
zum Leben bringen könnte. Er kniete sich über ihre Ge- 
sichter und blies seinen Atem in die Löcher ihrer Schädel. 
Aber die Kinder rührten sich nicht Da dachte er» es wäre 
▼ielleicht noch nicht genug, und wiederholte den Versuch. 
Aber auch dieses Mal war es nichts. ,,Na denn eben nicht,*' 
sagte er, „tot ist tot." 

Nach und nach kamen unzählige Mengen von Fliegen, 
Mücken und anderem Ungeziefer aus den Feldern heraus, 
hinter dem Blutgeruch her. Sie schwebten wie eine dichte 
Wolke über den Wunden. Ein paar Mal machte er den . 
Versuch, sie fortzutreiben. Als er aber selbst gestochen 

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wurde, wurde ihm die Sache zu unbequem. Er stand auf 
imd ging fort» während sich die Insekten in einem dicken 
schwarzen Schwärm auf die blutigen Löcher der Schädel 
stürzten. 
Ja, wo nun liin? 

Da fiel ihm seine Aufgabe wieder ein. Er hatte ja mit 
seiner Frau abzurechnen. Und im Vorgefühl seiner Rache 
leuchtete sein Gesicht wie eine piupume Sonne. 

Er bog in eine Lan^itraBe eiUi die auf die Vorstadt zu» 
führte. 

Er sah sich um. 

Die Sträfie war leer. In der Feme verlor sich der Weg.. 

Oben auf einem Hügel hinter ihm saß ein Mann vor einem 
X^erkasten. Jetzt kam über den Hügel eine Frau herauf» 
die einen kleinen Handwagen hinter sich herzog. 

Er wartete, bis sie heran war, ließ sie an sich vorbei und 
ging ihr nach. 

Er glaubte, sie zu kennen. War das nicht die Grünkram- 
f ritzen von der Ecke ? Er wollte sie ansprechen, aber er 
schämte sich. Ach, die denkt, ich bin ja der Verrückte aus 
Nr. 17. Wenn die mich wiedererkennt, die lacht mich ja 
aus. Und ich lasse mich nicht auslachen, zum Donnerwetter* 
Eher schlage ich ihr den Schädel ein. 

Er fühlte, daß in ihm wieder die Wut aufkommen wollte. 
Er fürchtete sich vor dieser dunklen Tollheit. Pfui, jetzt 
wird sie mich gleich wieder haben, dachte er. Ihn schwin» 
4lelte, er hielt sich an einem Baum und schloß die Augen. 

Plötzlich sah er das Tier wieder, das in ihm safi. Unten 
zwischen dem Magen, wie eine große Hyäne. Hatte die 
einen Rachen. Und das Aas wollte 'raus. Ja, ja, du mußt 
fraus. 

Jetzt war er selber das Tier, und auf allen vieren kroch 

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er die Straße entlang. Schnell, schnell, sonst läuft sie weg. 
Wie die laufen kann, aber so eine Hyäne ist noch schneller. 

Er bellte laut wie ein Schakal. Die Frau sah sich um« 
Als sie da einen Mann auf Händen und FüBen hinter sich 
herlaufen sah, das wirre Haar in dem dicken Gesicht, weiß 
▼on Staubi da ließ sie ihren Wagen stehen, und laut schreienä 
rannte sie die Straße hinunter. 

Da sprang das Tier auf. Wie ein Wilder war es hinter 
ihr her* Seine lange Mähne flog, seine Krallen schlugen in 
die Luft» und aus seinem Rachen hing seine Zunge heraus. 

Jetzt hörte es schon den Atem der Frau. Die keuchte, 
schrie und jagte davon» was sie konnte. So» noch ein» zwei 
Sätze. Nun springt das Tier ihr auf den Hals mitten hinauf. 

Die Frau wälzt sich im Sand, das Tier schmeißt sie herum. 
Hier ist die Kehle» da ist das beste Blut; man trinkt inuner 
aus der Kehle. Es haut seinen Rachen in ihre Gurgel und 
saugt das Blut aus ihrem Leibe. Pfui Teufel, ist das aber 
schön. 

Das Tier läßt die Frau liegen und springt auf. Da oben 

kommt noch einer. Ist der aber dumm. Der merkt ja gar 
nicht» daß hier Hyänen sitzen. So ein Idiot» na. 

Der alte Mann kam heran. Als er nahe war» sah er aus 
seiner grofien Brille die Frau, die im Sande lag mit ihren 
verrutschten Röcken und ihren Knien, die sie im Todeskampf 
auf den Leib gezogen hatte. Auch um ihren Kopf war eine 
große Blutlache. 

Er blieb neben der Frau stehen» starr vor Bestürzung. 
Da teilten sich die hohen Kornblumen» und heraus kam ein 
Mann, verwüstet und zerrissen. Sein Mund war ganz voll Blut 

Das ist sicher der Mörder, dachte der alte Mann. 

In seiner Angst wußte er nicht recht» was er machen 
sollte. Sollte er fortlaufen oder sollte er stehenbleiben? 

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• Am End« wollte er et «erst einmal mit Fremidlichkeit 
▼ersuehen« Denn mit dem 4a war es doch nicht ganz richtig, 
, das sah man ja. 

y»Gttten Tag'^i sagte dßc Verrückte. 
„Guten Tag/' antwortete der alte Mann, ,,das ist ja ein 
schreckliches Unglück." 

„Ja, ja, das ist ein schreckliches Unglück, da haben Sie 
ganz rechtes sagte der Verrückte. Seine Stinmie zitterte. 
yyAber ich muß weitergehen. Entschuldigen Sie nur.** 
. Und der alte Mann ging zuerst ein paar Schritte langsam. 
Ab er etwas weiter fort war und merkte, daB der Mörder 
ihm nicht nachlief, ging er schneller. Und endlich fing er 
an zu rennen wie ein kleiner Jimge. 

„Nein, tteht der komisch aus, wie der da rennt. Ist das 
• ein verrücktes Haus." Und der Irre lachte über das ganze 
Gesicht, das Blut zog sich in den Falten zusammen. Er 
sah aus wie ein furchtbarer Teufel. 

Aber schliefilich, mochte der laufen. Der hatte ja ganz 
recht. Er würde es auch so machen. Denn hier konnten 
; gleich wieder die Hyänen aus dem Korn kommen. 

„Aber pfüi, bin ich schmutzig." Er besah sich. „Wo 
j kommt denn das viele Blut her?" 

Und er riß der Frau ihre Schürze ab und wischte sich 
; das Blut ab, so gut es ging. 

Sein Gedächtnis verlor sich. Er wußte zuletzt nicht mehr, 
WO er war. Er ging wieder querfeldein, über Feldwege, durch 
Felder, im brennenden Mittag. Er erschien steh wie eine 
große Blume, die durch die Felder wandert. Etwa eine 
Sonnenrose. Genau konnte er es nicht erkennen. 
Er fühlte Hunger, 
i; Später fand er einen Rübenacker, er riß ein paar Rüben 

i 

heraus und aß sie. 



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In einem Felde stieß er auf einen Weiher. 

Def .Iag da wi)e dn grofies schwarzes Tuch mitten in dem I 

Gold des Kornes. 

£r bekam Lust» zu baden, zog sich aus und stieg in das 
Wasser. Wie das gut tat, wie das ruhig machte. £r atmete 
den Duft des Wassers, über dem die Würze der weichen 
sonunerlichen Felder lag. „Ach, Wasser, Wasser/' sagte er 
leisci als wenn er jemand rufen wollte. Und nun schwamm 
er wie ein großer weiBer Fisch in dem zitternden Teich. 

Am Ufer flocht er sich eine Krone aus dem Schilf und 
besah sich im Wasser. Dann sprang er am Ufer herum 
und tanzte nackt in der weifien Sonne, groß, stark und 
schön wie ein Satyr. 

Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er etwas Unan- 
ständiges täte. Er zog sich schnell an, machte «ch klein 
und kroch in das Korn. 

Wenn jetzt der Wärter kommt imd mich hier findet^ der 
wird schön schimpfen, der zeigt das dem Direktor an, 

dachte er. Als aber niemand kam, faßte er wieder Mut und 
setzte seinen Weg fort. 

Mit einem Btole stand er vor einem Gartenzaun. Dahinter 
waren Obstbäume. Wäsche war daran zum Trocknen auf« 
gehängt, Kinder schliefen dazwischen. £r ging daran, ent- 
lang und trat auf eine Straße. 

Da waren ziemlich viele Menschen, die an ihm vorüber- 
gingen, ohne auf ihn zu achten. Eine elektrische Bahn fuhr 
vorbei. 

Ihn überkam das Gefühl einer grenzenlosen Verlassenheit, 

das Heimweh packte ihn mit aller Gewalt. Am liebsten 
wäre er auf der Stelle nach der Anstalt zurückgelaufen. 
Aber er wußte nicht» wo er war. Und wen sollte er- fragen? , 

Er konnte doch nicht sagen: „Sie, wo ist denn die Irren- 

I 

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anstalt?'' Dann würde er sicher für einen Verrückten ge- 
halten werden, und das ging denn doch nicht* 

Und er wußte ja auch, was er wollte« Er hatte ja noch 
viel zu erledigen. 

An der Ecke der Straße stand ein Schutzmann* 0er Irre 
heschloB, den nach seiner Strafie zu fragen, traute sich aber 
nicht recht. Schließlich konnte er aber doch nicht ewig 
hier stehenbleiben« £r ging also auf den Schutzmann los« 
Plötzlich merkte er, dafi auf seiner Weste noch ein großer 
Blutfleck war. Na, den durfte der Schutzmann aber nicht 
zu sehen kriegen« Und er knöpfte seinen Rock zu. £r über- 
legte, was er sagen wollte, Wort für Wort, wiederholte es 
sich ein paarmal. 

Es liei alles gut ab. Er nahm den Hut ab, fragte 
nach seiner Straße, der Schutzmann wies ihn hin« 

Das ist ja gar nicht einmal weit, dachte er. Und nun 
kannte er auch die Straßen wieder. Hatten die sich aber 
▼erändert, jetzt fuhr hier sogar schon die Elektrische« 

Er machte sich auf den Weg, er schlich an den Häusern 
entlang; wenn ihm jemand begegnete, kehrte er sein Ge- 
sicht nach der Wand. Er schämte sich« 

So kam er vor sein Haus« Vor der Türe spielten Kinder, 
die ihn neugierig ansahen. Er ging die Stiege hinauf. 
Überall roch es nach Essen. £r schlich auf den Zehen- 
spitzen weiter. Als er unter sich eine Tür gehen hdrte, zog 

er auch noch die Schuhe aus. 

Nun war er vor seiner Tür. Er setzte sich einen Augen- 
blick auf die Treppe und überlegte« Denn jetzt war der 
große Moment da. Und was geschehen mußte, mußte ge- 
schehen, das war gar keine Frage. 

Er stand auf und klingelte« Alles blieb still« Er ging ein 
paarmal auf dem Treppenfiur hin und her« Er las das Schild 

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gegenüber. Da wohnten nun auch andere Leute. Und nun 

ging er wieder zurück und klingelte noch einmal. Aber es 
kam wiedar niemand. £r bückte sich» um durch das 
Schliiss^och zu sehen, da war aber alles schwarz. Er legte 
sein Ohr an die Tür, um irgend etwas zu hören, vielleicht 
einen Schritt, ein Geüüster, es blieb aber alles stumm. 

Und nun kam ihm ein Gedanke, lulit einem BAale wußte 
er, warum ihm niemand aufmachte. Seine Frau hatte Angst 
vor ihm, seine Frau, die hatte keine Traute. Das Aas, das 
wußte schon, was los war. Na» nu aber. 

Er trat ein paar Schritte zurück. Seine Augen wurden 
ganz klein, wie rote Punkte. Seine niedre Stirn lief noch 
•mehr zusanunen. Er krümmte sich zusammen. Und ntm 
sprang er in einem großen Satz gegen die Tür. Die krachte 
laut) hielt aber den Stoß aus. Da schrie er aus allen Kräften 
und sprang noch einmal. Und dieses Mal gab die Tür nach. 
Ihre Bretter krachten, das Schloß sprang aus, sie ging auf, 
und er stürzte hinein. 

Da sah er eine leere Wohnung. Links war die Küche, 
rechts die Stube. Die Tapete war abgerissen. Uberall auf 

der Diele lag Staub und abgefallene Farbe. 

So, seine Frau hatte sich also verkrochen. Er rannte die 
vier Wände der leeren Stube ab, den kleinen Korridor, das 
Klosett, die Kammer. Nirgends war etwas, alles leer. In 
der Küche auch nichts. Da sprang er nut einem Satze auf 
den Kochherd. 

Aber da war sie ja, da lief sie ja herum. Sie sah aus 
wie eine große graue Ratte. So also sah sie aus. Sie lief 
immer an der Küchenwand entlang, immer herum, und er 
riß eine eiserne Platte von dem Ofen und warf sie nach 
der Ratte. Aber die war viel flinker. Aber jetzt, jetzt wird 
er sie treffen. Und er warf noch einmal. Aber jetzt* Und 

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das Bomb^dement der eiaemen Herdringe krachte gegen 
die Wftnde, daß der Staub überall heninterraflselte. 

Er fing an zu schreien. Er brüllte wie besessen: „Du 
Schlafburschenhure, du Sau, du • • Er brüllte, daß das 
glänze Haus zitterte. 

Überall klapperten die Türen, überall entstand Lärm. 
Jetzt kam es schon die Treppe herauf. 

Da standen schon zwei Männer in der Tür und dahinter 
ein Haufen von Frauen, die an ihren Schürzen ein ganzes 
Bataillon kleiner Kinder nachzogen. 
. Sie sahen den Tobenden oben auf seinem Herd. Die bei- 
den Männer sprachen sich gegenseitig Mut zu. Da flog dem 
einen ein Feuerhaken gegen den Schädel, der andere wurde 
zu Boden geschmissen, und mit ein paar großen Sätzen 
sprang der Irrsinnige wie ein riesiger Orang-Utan mitten 
über das Volk hinweg. Er raste die Treppen hinauf, kam 
an die Bodenleiter, schwang sich auf das Dach, kroch über 
ein paar Mauern, um Schornsteine, verschwand in einer 
Luke, stürzte eine Treppe hinunter und befand sich plötz- 
lich auf einem grünen Platz. Eine leere Bank stand vor ihm. 
Er ließ sich auf sie niederfallen, streckte das Gesicht in seine 
Hände und begann, leise vor sich hin zu weinen. 

Er hatte das Bedürfnis, zu schlafen. Als er sich auf der 
Bank langlegen wollte, sah er aus einer Straße, geführt von 
ein paar Schutzleuten wie von Generalen, einen großen 
Haufen Menschen kommen. 

Die wollen mich wohl suchen, ich soll wieder 'raus nach, 
der Anstalt. Sie denken wohl, ich weiß nicht allein, was ich 
zu tun habe, dachte er. 

Er verheß schnell den Park. Seine Mütze blieb auf der 
t Bank liegen. Und von fem sah er noch, wie sie einer der 
Männer gleich einer Trophäe in der Luft herumschwenkte. 

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i 

I 



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Er kam durch ein paar volle Straßen, über einen Platz, 
wieder diurch Straßen. Ihm wurde unbehaglich in den 
Menschenmassen. Er lüblte sich beengt» er suchte nach 
einem stillen Winkel, wo er sich hinlegen konnte. In einem 
Hause war ein großes Holtor. Davor stand ein Mann in 
einer braunen Livree mit goldenen Knöpfen« Sonst schien 
da ab^ niemand zu sein. Er ging an dem Diener vorbei, i 
der ihn auch ruhig passieren ließ. Das wunderte ihn eigent- I 
lieh. Kennt er mich denn nicht, fragte er sich. Und er | 
fühlte sich eigentlich beleidigt. 

Er kam an eine Tür, die sich fortwährend drehte. Auf 
einmal wurde er von einem Türflügel erfaßt, bekam einen 
StoB und war plötzlich in einer weiten Halle. 

Da waren unzählige Tische, voll Spitzen, Kleidern. Alles 
schwamm in einem goldigen Lichte, das sich durch hohe 
Fenster in der Dämmerung des riesigen Raumes verteilte. 
Von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, glitzerten 
zahllose Diamanten. 

An der Seite der Halle führten grofie Freitreppen hinauf, 
über die einzelne Menschen hinauf- und herunterstiegen. 

Donnerwetter, ist das eine ieine Kirche, dachte er. 
An den Gängen standen Herren in schwarzen Anzügen, 
Mädchen in schwarzen Kleidern. Hinter einem Pulte safi 
eine Frau, vor ihr zählte jemand Geld auf. Ein Stück fiel 
hinunter und klapperte auf die Erde. 

Er stieg die Treppe hinauf, kam durch viele grofie Ge- 
mächer voll allerhand Möbeln, Geräten, Bildern. In einem 
waren viele Uhren aufgestellt, die alle mit einem Male 
schlugen. Hinter einem großen Vorhang ertönte ein Har- 
monium, eine schwermütige Musik, die sich langsam in 
der Ferne zu verlieren schien. Er schlug den Vorhang ver- 
stöhlen zurück, da sah er viele Menschen, die einer Spielerin 

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zuhörten« Alle sahen ernst und andächtig auS| und ihm 
wurde ganz feierUch zumute. Aber er wagte sich nicht hinein. 

Er kam an eine vergitterte Tür. Dahinter war ein großer 
Schacht, in dem einige Seile herauf und hinunter zu laufen 
schienen. Ein großer Kasten kam von unten herauf/ das 

Gitter wurde zurückgezogen. Jemand sagte: Bitte auf- 
wärts' S er war in dem Kasten und schwebte wie ein Vogel 
in die Höhe hinauf. 

Oben begegnete er vielen Menschen, die um große Tische 
▼oll von Tellern, Vasen, Gläsern, Gefäßen herumstanden 
oder sich in den Gängen zwischen einer Reihe von Podien 
bewegten, auf denen wie «in Feld gläserner Blumen schlanke 
Kristalle, Leuchter oder bunte Lampen aus gemaltem Por- 
zellan prangten. An der Wand, entlang an diesen Kost- 
barkeiten, lief, um eine kurze Treppe erhöht, eine schmale 
Galerie hin. 

Er wand sich durch die Massen hindurch, er kam über 
die Treppe auf die Galerie hinauf. Er lehnte dch an das 

Geländer, unten sah er die Menschen hinströmen, die wie 
unzähUge schwarze Fhegen mit ihren Köpfen, Beinen und 
Armen in ewiger Bewegung ein ewiges Summen hervor- 
zubringen schienen. Und eingeschläfert von der Monotonie 
dieser Geräusche, betäubt von der Schwüle des Nachmittags, 
krank von den EaEaltattonen dieses Tages schloß er sdne 
Augen. 

£r war ein. großer weißer Vogel über einem großen ein- 
samen Meer, gewiegt von einer ewigen Helle, hoch im 
Blauen. Sein Haupt stieß an die weißen Wolken, er war Nach- 
bar der Sonne, die über seinem Haupte den Himmel füllte, 
eine große goldene Schale, die gewaltig zu dröhnen begann. 
^ Seine Schwingen, weißer als ein Schneemeer, stark, mit 
Achsen wie Baumstämme klafterten über den Horizont, 

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unten tief in der Flut schienen purpurne Inseln zu schwim- 
men, grofien rotistti Muscheln gfi^ch. Ein unendlicher 

Friede, eine ewige Ruhe zitterte unter diesem ewigen 
Himmel. 

Er wuflte nicht» flog er so schnell oder wurde das Meer, 
unter ihm fortgezogen. Das war also das Meer. 

Wenn er das den andern erzählen würde in der Anstalt, 
heute abend in den Schlaf siUen, die würden schdn neidisch 
sein. Darüber freute er sich eigentlich am meisten. Aber 
dem Doktor wollte er lieber gar nichts erzählen, der würde 
wieder sagen: y,Soy so.'* Aber der glaubte doch nichts« 
Das war so ein Haltmke. Wenn er auch immer sagte» er 
glaubte alles. 

Unten im Meere schwamm ein großer weißer Kahn mit 
langsamen Segeln. Wie einer aus dem Humboldthaf en,i 
dachte er, aber größer. 

Teufel, was war es doch schön, ein Vogel zu sein. Warum i 
war er nicht schon lange ein Vogel geworden? Und er 
rollte seine Augen in der Luft herum. 

Unter ihm wurden ein paar Frauen auf ihn aufmerksam. 
Sie lachten. Andere kainen, es entstand ein Gedränge, 
Ladenmädchen rannten nach dem Geschäftsführer. 

Er stieg auf die Brüstung, richtete sich auf imd schien 
oben über der Menge zu schweben. 

Unter ihm in dem Ozean war ein riesiges Licht. Er mußte 
jetzt herabtauchen, jetzt war es Zeit, auf das Meer zu sinken. 

Aber da war etwas Schwarzes, etwas Feindliches, das 
störte ihn, das wollte ihn nicht hinunterlassen. Aber er 
wird das schon kriegen, er ist ja so stark. 
. Und er holt aus und springt von der Balustrade mitten 
in die japanischen Gläser, in die chinesischen Lackmalereien, . 
in die Kristalle von Tiffany. Da ist das Schwarze, da ist 

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das — und er reißt ein Lademnädchett zu sich herauf » legt ihr 
die Hfinde um die Kehle und drückt su. 

I Und die Menge flieht durch die Gänge, stürzt die Treppen 
ühereinaoder herab, gellendes Geschrei erfüllt das ganze 
Haus. „Feuer» Feuer'S wird geschrien. In einem Augen« 

j blicke ist die ganze Etage leer. Nur ein paar kleine Kinder 
hegen vor der Treppentür, totgetreten oder erdrückt» 

Er Iraiet auf seinem Opfer und drückt es langsam zu Tode. 

Um ihn herum ist das große goldene Meer, das seine 
Wogen zu beiden Seiten wie gewaltige schimmernde Dächer 

■ 

türmt. Er reitet auf einem schwarzen Fisch, er umarmt 
seinen Kopf mit den Armen. Ist der aber dick, denkt er. Tief 
unter ihm sieht er in der grünen Tiefe, verloren in ein paar 
zitternden Sonnenstrahlen, grüne Schl6sser| grüne Gärten in 
einer ewigen Tiefe. Wie wdt mögen die sein? Wenn er 
doch einmal da hinunter könnte, dort unten. 

Die Schlösser rücken immer tief^ , die Gärten scheinen 
immer tiefer zu sinken. 

Er weint, er wird ja niemals dahinkommen. Er ist nur 
ein armes Aas. Und der Fisch unter ihm wird auch frech, 
der zappelt noch, dem Biest wird er es schon besorgen, und 
er drückt ihm den Hals ab. 

Hinter der Tür erschien ein Mann, legte ein Gewehr an 
die Backe, zielte. Der Schuß traf den Wahnsinnigen in den 
Hinterkopf. Er schwankte ein paarmal hin und her, dann 
hei er schwer über sein letztes Opfer, unter die klirrenden 
Gläser. 

Und während das Blut aus der Wunde schoß, war es ihm, 
als sänke er nun in die Tiefe, immer tiefer, leise wie eine 
Flaumfeder. Eine ewige Musik säeg von unten herauf, und 
» sein sterbendes Herz tat sich auf, zitternd in einer unermeß- 
lichen Sehgkeit. 

233 



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DIE SEKTION 



- Der Tote lag allein und nackt auf einem weifien Tisch 
In dem großen Saal, in dem bedrückenden Weift, der grau- 
samen Nüchternheit des Operationssaales, in dem noch die 
Schreie unendlicher Qualen zu idttem schienen. 

Die Mittagssonne bedeckte ihn und lieft auf seiner Stirn 
die Totenflecken aufwachen; sie zauberte aus' seinem nack- 
ten Bauch ein helles Grün und blähte ihn auf wie einen 
großen Wassersack« 

Sein Leib glich einem riesigen schillernden Blumenkelch, 
einer geheimnisvollen Pflanze aus indischen Urwäldern, 
die jemand schüchtern vor den Altar des Todes gelegt hatte. 

Prächtige rote und blaue Farben wuchsen an seinen 
Inenden entlang, und in der Hitze barst langsam wie eine 
rote Ackerfurche die grofte Wunde unter seinem Nabel, die 
einen furchtbaren Duft ausströmte. 

Die Ärzte traten ein. Ein paar freundliche Männer in 
weißen Kitteln mit Schmissen und goldenen Zwickern» 

Sie traten an den Toten heran und sahen ihn sich an, 
mit Interesse, unter wissenschaftlichen Gesprächen. 

Sie nahmen aus den weißen Schränken ihr Se»erzeug 
heraus, weiße Kasten voll von Hämmern, Knochensägen 
mit starken Zähnen, Feilen, gräßliche Batterien voll von Pin- 
zetten» kleine Bestecke voll riesiger Nadeln, die wie krumme 
Geierschnäbel ewig nach Fleisch zu schreien schienen. 

Sie begannen ihr gräßliches Handwerk. Sie glichen furcht- 
baren Folterknechten, über ihre Hände strömte das Blut, 
und sie tauchten sie immer tiefer in den kalten X»eichnam 
ein und holten seinen Inhalt heraus, weißen Köchen gleich, 
die eine Gans ausnehmen. 

Um ihre Arme wanden sich die Därme, grüngelbe 

. «34 



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Sehlangen, und der Kot troff über ihre Kittel, eine warme, 
faulige Flüssigkeit. Sie stachen die Blase auf, der kalte 
Harn schimmerte darin wie ein gelber Wein. Sie schüt- 
teten ihn in große Schalen; er stank scharf und hdzend 
wie Salmiak. 

Aber der Tote schlief* £r ließ sich geduldig hin und her 
zerren, an seinen Haaren hin und her raufen, er schHef. 

Und während die Schläge der Hämmer auf seinem Kopfe 
dröhnten, wachte ein Traum, ein Rest von Liebe in ihm 
auf, wie eine Fackel, die hinein in seine Nacht leuchtete. 

Vor dem großen Fenster tat sich ein großer weiter Himmel 
auf, gefüllt von .kleinen weißen Wölkchen, die in dem 
Lichte schwammen, in der NachmittagsstiUe, wie kleine, 
weiße Götter. Und die Schwalben reisten hoch oben im 
Blauen, zitternd in der warmen Julisonne. 

Das schwarze Blut des Todes rann über die blaue FäuU 
nls seiner Stirn. Es verdunstete in der Hitze zu einer 
schrecklichen Wolke, und die Verwesung des Todes kroch 
mit ihren bunten Krallen über ihn hin. Seine Haut be- 
gann auseinander zu fließen, sein Bauch wurde weiß wie 
der eines Aales unter den gierigen Fingern der Ärzte, die 
in dem feuchten Fleisch ihre Arme bis an die Ellenbogen 
badeten* 

Die Verwesung zog den Mund des Toten auseinander, 
er Sellien zu lächeln, er träumte von einem seligen Ge- 
Stirn, von einem duftenden Sommerabend. Seine ver- 
fließenden Lippen zitterten wie imter einem flüchtigen 
Kusse. 

Wie ich dich liebe. Ich h&ht dich so geliebt. Soll ich 
dir sagen, wie ich dich liebe? Wie du durch die Mohn- 
felder gingest, selber eine duftende Mohnflamme, hattest 
du den ganzen Abend in dich- getrunken. Und dein Kleid, 

235 



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das um deine Knöchel bauschte, war wie eine Wdle ▼<» 

Feuer in der untergehenden Sonne. Aber dein Kopf neigte 
sich in dem Lichte, und dein Haar brannte noch und flammte 
von allen meinen Küssen* 

So gingest du dahin und sahst dich immer nach mir 
um. Und die Laterne in deiner Hand schwankte wie eine 
glühende Rose lange noch fort in der Dämmerung. 

Ich werde dich morgen wiedersehen. Hier unter dem 
Fenster der Kapelle, hier, wo das Licht der Kerzen heraus- 
fällt und dein Haar in einen goldenen Wald verwandelt» 
hier, wo sich die Narzissen an deine Knöchel schmiegen, 
zärtlich, wie zarte Küsse. 

Ich werde dich wiedersehen alle Abende tun die Stunde 
der Dämmerung. Wir werden uns nie verlassen. Wie ich 
dich liebe I Soll ich dir sagen, wie ich dich liebe? 

Und der Tote zitterte leise vor Seligkeit auf seinem 
weifien Totentische, während die eisernen Meißel in den 
Händen der Ärzte die Knochen seiner Schläfe aufbrachen. 



336 



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JONATHAN 

Der kleine Jonathan lag schon den dritten Tag in der 
«fitsetzUcheii Einsamkeit seiner Krankenstube. Schon den 
dritten Tag, und die Stunden Hefen immer langsamer und 
langsamer. Wenn er die Augen zumachte, hörte er sie 
langsam an den Wänden herabsickern, wie einen ewigen 
Fall langsamer Tropfen in einem dunklen Kellerloch. 

Da ihm beide Beine in dicken Schienen lagen, so konnte 
er sich kaum rühren, und wenn die Schmerzen aus seinen 
gebrochenen Knien langsam an ihm heraufkrochent hatte 
er niemand, an dem er sich festhalten konnte, keine Hand, 
keinen Trost, kein zärtliches Wort. Wenn er nach der 
Schwester Idingelte, kam sie herein, mürrisch, langsam, 
▼erdrossen. Als sie ihn über seine Schmerzen klagen hörte, • 
verbat sie sich diese unnütze Nörgelei. Dann könnte sie 
jede Stunde tausendmal rennen, sagte sie, und sie schlug 
die Tür hinter sich zu. 

Und er war wieder allein, wieder verlassen, wieder seinen 
Qualen ausgeliefert, ein verlorener Posten, über den von 
allen Seiten, von unten, von oben, von den Wänden die 
Schmerzen ihre langen weißen, zitternden Finger aus- 
streckten. 

Die Dunkelheit des frühen Herbstabends kroch durch 

die leeren Fenster in das elende Zimmer, es wurde dunkler 
und dunkler. Der kleine Jonathan lag in seinen großen 
weiBen Kissen, er rührte sich nicht mehr« Und sein Bett 
schien mit ihm auf einem höllischen Strome herunter- 
zuschwimmen, dessen ewige Kälte in die ewige Starre einer 
verlorenen Wüste endlos am laufen schien. 

Die Tür ging auf, die Schwester kam mit der Lampe aus 
d^n Nebenzimmer herein. Während die Tür offen war, 

237 



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warf er einen Blick hinüber in das Nachbarzimmer. Bis 
heute mittag war es leer gewesen* £r hatte das Bett» ebenso 
eisern und gewaltig wie das seine, noch leer gesehen, weit 
offen stehend, wie ein Maul, das nach einem neuen Kranken 
zu schnappen schien. Er sahi daß das Bett nicht mehr 
leer war. Er hatte im Schatten des großen Kopfkissens 
einen bleichen Kopf liegen sehen. Es war wohl ein Mäd- | 
chen, soviel er in der Dämmerung der trüben Lampe er- 
kennen konnte. Eine Kranke wie er, eine Leidensgenossittt 
eine Freundin, jemand, an dem er sich halten könnte, 
jemand wie er, herausgeworfen aus dem Garten des Lebens. 
Ob sie ihm antworten würde, was mochte ihr Leiden sein? 

Auch sie hatte ihn gesehen, er sah es. Und die Blicke 
der Kranken begegneten sich in der Tür, ein kurzer fiüch- j 
tiger Gruß, ein kurzes Zeichen des Glücks. Und wie der leise 
Flügel eines kleinen Vogels, so zitterte in diesen Augenblicken 
sein Herz in einer neuen und geheimnisvollen Hoffnung. | 
. Plötzlich klingelte es dreimal laut im Korridor, in kurzen 
Absatzen, scharf wie ein Befehl. Die Schwester lief auf das 
Klingelzeichen hinaus, und sie schloß die Tür nach dem 
Nebenzimmer hinter sich zu. 

Das war das Zeichen, daß irgendwo eine Gefahr war, 
vielleicht daß jemand nahe am Tode war. Dieses Zeichen 
hatte Jonathan schon gelernt, imd er zitterte vor Schreck 
bei dem Gedanken, daß jetzt jemand in dieser elenden 
dumpfen Atmosphäre seinen letzten Seufzer tun könnte. I 
Ach, warum hier sterben, hier, wo man den Tod an jedem 
Bette stehen sah, hier, wo man dem Tode ausgeliefert 
war wie eine Nummer, mit sehenden Augen, hier, wo jeder 
Gedanke vom Tode infiziert war, hier, wo es keine Illu- | 
sionen mehr gab, wo alles nackt, kalt und grausam war. 
Wahrhaftig ein zum Tode Verurteilter hatte es besser, 

238 j 



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. I 



denn seine Qual dauerte nur einen Tag, so lange verhüllte 
man ilim sein Ende; sie aber waren vom Tage des Ein- 
ganges in diese Zimmer preisgegeben der Einsamkeit, der 
Dunkelheit, der entsetzlichen Trauer der Uerbstabende, 
dem Winter, dem Tode, einer ewigen Halle. 

Und sie mußten ruhig in ihren Betten liegen, sie mufiten 
sich den körperlichen Schmerzen hingeben, sie wurden bei 
lebendigem Leibe geschunden, ach. Und um ihre Leiden 
zu verhöhnen, um ihre Ohnmacht ihnen ewig yor Augen 
zu halten, hing am Fußende eines jeden Bettes der sterbende 
Christus an einem großen weißen Kreuze vor einem dun- 
fcelnden Himmel. Der arme Christus, der nur schmerzlich 
seine Schultern gezuckt hatte, als die Juden ihn um das 
Wunder baten: bist du Christus, so steige herab vom Kreuz, 
Und aus seinen gebrochenen Augen, die schon auf unzäh- 
lige Kranke in diesen Bettstätten gesehen hatten, von 
seinem schmerzlich verzogenen Mund, der schon den Duft 
einer Unzahl grauenhafter Wunden geatmet hatte, von 
diesem Schächer am Kreuz ging eine furchtbare Ohnmacht 
aus, die die Seelen der Kranken verdüsterte und alles er- 
atickte, was noch nicht Tod und Verzweiflung war. 

Plötzlich ging die Tür in das Nebenzimmer leise auf. 
Sie war vielleicht nicht ganz geschlossen gewesen. 

Und Jonathan sah wieder hinüber in das bleiche Ge- 
sicht seiner neuen Nachbarin, das er über den Gedanken 
des Todes fast vergessen hatte. 

Die Tür blieb offen. Auch die Kranke sah wieder zu 
ihm herüber, er fühlte es durch das Halbdunkel. Und in 
dieser flüchtigen Sekunde begrüßten sie sich schweigend 
über der Schwelle, sie prüften einander, sie erkannten sich, 
und sie verbanden sich wie zwei Schifini>rüchige, die in einem 
uferlosen Ozean nebeneinander dahintreiben. 

«39 



Digmzca b 



,ylch habe Sie am Nachmittag soviel 8töhfics[& hdren« 
haben Sie grofie Schmenen? Warunl tieg;eti Sie hierR*' 

hörte er ihre leise Stimme, die von ihrer Krai^kheit fein 
und leicht geworden schien. * 

,Ja, es ist furchtbares sagte Jonathan. 

,,Was fehlt Ihnen denn? Warum hat man Sie hierher- 
gebracht?'^ fragte sie wieder. ' - 

Und er erzählte ihr,* während seine Stimme vor Schmer* 
zen zitterte, seine Geschichte. 

Er war vor fünf Jahren als Maschinist von Hamburg 
fortgegangen auf ostasiatische Fahrt. Er hotte sieb in den 
Ozeanen des Ostens herumgetrieben, immer unten am 
Kessel in der Siedehitze der Tropen. £r war auf einem 
Korallenschiffe in die Südsee gegangen, 'dann hatte er auf 
einem Schmuggler gefahren, der das Ofiium verborgen in 
Maissäcken in Kanton einschmuggelte, über zwei Jahre 
lang. Auf diesem Schiffe hatte er viel ^Geld gemacht. Ex 
wollte nach Hause fahren, aber er wurde bestohlen. Und 
er saß nackt und bloß in Schanghai. Durch die Hilfe des 
Konsuls heuerte er auf einem Schüfe, das mit einer Fracht 
Reis nach Hamburg bestimmt war. Das Schiff ging um das 
Kap, um die teure Fahrt durch den Suezkanal zu sparen. 

In Monrovia, Liberia, diesem schrecklichen fiebrigen 
Liberia, hatten sie drei Tage lang Kohlen aufgenommen. 
Am Mittag des dritten Tages war er unten im Heizraum 
hingefallen. Wie er aufgewacht war, lag er im Spital von 
Monrovia mitten unter hundert schmutzigen Negern« Da 
lag er vier Wochen am Schwarzwasseriieber, mehr tot als 
lebendig. Ach, was er da zu dulden gehabt hatte in der 
fürchterlichen Julihitze» die die Adern der Kranken ver- 
brannte, wo das Feuer bis in ihr Hirn wie ein eiserner 
Hammer schlug. 

240 



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Aber es war trotz des Schmutzes^ des Negergestankes» 
der Hitsci» trotz des Fielners isnmer noch besser gewesen 
als hier. Denn da wären sie nie allein gewesen, da hätten 

, sie immer Unterhaltung gehakt. 

Mitten* im Fieber sangen die Neger ihre Lieder» initten 

! Im Fieber tanzten ne über die Betten. Und wenn Auer 
starb, dann sprang er noch einmal hoch auf, als wenn ihn 
der Krater seines Fiebers noch eimnal in den Himmel 

; sjchleudem woHte» ehe er Ihn für ewig ▼erschlang«- 

Sehen Sie, hier liege ich in der Quarantäne, denn die 
Ärzte glauben^ ich könnte die andern im Saal mit meiner 
Malaria ansteckeiiy die Herren sind in Europa so ▼ersteh- 
tig, da sollten sie zusehen kommen, wie wenig man sich 
da unten um die Kranken schert. Aber sie werden dabei 
▼lel eher gesund, denn man sperrt sie nicht ein wie Ver- 
brecher in diese gräßliche Einsamkeit. 

Meine Beine würden viel eher heilen, wenn ich nicht 
Immer so allein wäre. Aber das allein ist schlimmer als 
der|Tod. Letzte Nacht bin Ich um drei Uhr aufgewacht. 
Und da habe ich hier gelegen wie ein Hund, auf einem 

; Fleck, ich habe immer In die. Dunkelheit gestarrt. Immer 
geradeaus." 

„Was haben Sie denn mit Ihren Beinen gemacht, darf 
Ich das wissen?" hörte er. sie fragen. „Erzählen Sie doch 
weiter.'' 

Und er gehorchte ihr. 

Ja, als er wieder gesund war, war er mit einem franzö* 
sischen Doktor, der durchaus eine Orchidee haben wollte, 

wie sie oben am Niger wachsen sollten, in den liberischen 
Urwald gegangen. Da waren sie zwei Monate lang durch 
ditai Urwald gegangeti» Über Creeks ▼oU von Alligatoren, 

über riesige Sümpfe, auf denen abends die Moskitos so 

• 16 341 ; 

\ 

\ 

L • Digiilzca by Liu^.' . 



dicht standen, daß man sie mit der Hand immer gleich 
xtt Hundeften greifen konnte. 

Und die Vorstellung dieser großen Moräste, die in den 
Abend der Urwälder versanken, das ewige Rauschen der 
Baumkronen dieser unendlichen Wilder, der exotiscfae 
Name fremder Völker, umgeben von Geheimnissen der 
Ferne» das Rätsel und die Abenteuer der verlorenen Wälder, 
alle diese seltsamen Bilder erfüllten das Herz seiner Zu- 
hOrerin mit Bewunderung und entrückten den Kranken 
da drüben einer fremdartigen Atmosphäre, den kleinen 
Maschinisten in dem elenden Bette eines nüchternen 
hamhurgischen Krankenhauses. 

Da er schwieg, bat sie ihn, weiter zu sprechen. 

Und er erzählte ihr das Ende seines Schicksals, das ihn 
hierhergeworfen hatte, in ihre Nähe, und das nun üher 
der puritanischen Armseligkeit dieser zwei Zimmer den 
weiten Himmel der Liebe dem Kranken aufschloß, der sein 
Herz erfüllte mit einer ungewissen Glückseligkeit. 

Bei Lagos wären sie wieder aus der Wildnis heraus- 
gekommen. £r hätte nach Hause angemustert, alles wäre 
gut gegangen bis nach Kuzhaven. Er wollte gerade die 
eiserne Treppe nach dem Kessel hinuntersteigen, als das 
Schiff in einer plötzlichen Bö stark schlingerte. Er sei 
aus dem Gleichgewicht gekommen und die Trefipe hinunter- 
gestürzt in das Maschinenwerk hinein. Die Kolbenstange 
hätte ihm beide Beine gebrochen. 

„Das ist ja furchtbar, das ist ja unmenschlich*', sagte 
seine ZuhSrerin, die sich in den Kissen aufgerichtet hatte. 
Jetzt koimte er sie deutlich sehen. Die Lampe beschien 
ihr Profil. In seiner etwas starken Blässe schien es aus 
der Dunkelheit herauszubrennen wie das Gesicht eines 
Heiligenbildes in einer dunklen Kirche. 

242 . 



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ffWean ich aufstehen kann, werde ich Sie besuchen 
kommen. Wollen Sie, darf ich Sie manchmal besuchen?'* 

„Kommen Sie, kommen Sie'S sagte er, ,,Sie sind die 
erste, die hier ein ireui^ihches Wort zu mir sagt. Wissen 
; Sie, wenn Sie kommen, hilft mir das mehr als alle Ärzte« 
i Aber werden Sie schon so bald aufstehen kennen, warum 
^ sind Sie hier?'' 

Sie erzählte ihm, daß sie eine Blinddarmoperation 
; durchgemacht hätte, nun sollte sie hier noch vierzehn 
j Tage liegen. 

i^Dann werden wir uns vielleicht öfter einmal sprechen'', 
i sagte der kleine Jonathan. „Wollen wir uns öfte einmal 
. unterhalten?" 

„O gewiß. Ich werde es dem Arzt sagen,, ich werde die 
Schwester bitten, daß sie die Tür morgen wieder auf einige 

Zeit offen läßt." 

Er hörte ihr zu, er glaubte fast nicht daran. Und das 
Zinuner war mit einem Male leer von Schrecken. 

„Ich danke Ihnen", und de lagen beide eine Weile still. 
Seine Augen suchten sie aus ihren Kissen heraus, und sie 
j blieben eine Weile an ihrem Gesicht hängen. In dem 
i Schweigen dieser Minuten vertiefte sich seine Liebe, sie 
• drang siegreich vor in seinem Blut, sie begann seine Ge- 
danken einzuhüllen in glückliche Phantasien, sie zeigte 
ihm dne weite Wiese in einem goldenen Wald, sie zeigte 
ihm einen Sommertag, einen langsamen Sommertag, einen 
öligen Mittag, wo sie beide Hand in Hand durch das Korn 
gingen, das ihre Liebesworte mit seinem leisen Rauschen 
umhüllte. 

Die Tür ging auf, zwei Ärzte und zwei Schwestern traten 
ein. 

„Hier ist gesprochen worden^', sagte der eine der beiden 

^ 16* 243 

I 

i 

i 



Digitlzca 



Ante. y.Das geht nicht, das ist nicht angängig. Sie haben 
sich der Hausordnung zu fügen. Sie müssen Ruhe haben, 
▼erstehen Sie. Und Sie, Schwester, daß Sie die Tür nidit 
noch einmal auHassenl Die Kranken müssen Rnhe haben 
und Ruhe halten.'* Und er ging selbst hinüber und schloß 
die Tür zwischen den beiden Zimmern. 

Dann untersuchte er die Beine Jonathans, machte einen 
neuen Verband und sagte: „In drei Monaten werden Sie 
yieUeicht noch einmal laufen können, wenn das über- 
haupt noch einmal gut wird. Das ist noch sehr fraglich. 
Sie müssen sich beizeiten an den Gedanken gewöhnen, ein 
Krüppel zu bleiben. Ich werde Ihnen eine Schwester hier 
lassen, die kann auf Sie aufpassen.^' 

Er zog die Decke wieder über den Kranken^ wünschte 
ihm gute Nacht und verschwand mit seiner Eskorte. 

Jonathan lag in seinen Kissen, als hätte ihm jemand 
mit einem einzigen Ruck das Herz aus der Brust gerissen. 
Die Tür war zu. £r würde sie nicht mehr sprechen, er 
würde sie nicht mehr wiedersehen dürfen. Das warra also 
nur tm paar Minuten gewesen, die niemals wiederkommen 
würden. Sie würde eher herauskommen. In zwei Wochen 
würde nebenan irgendein anderer liegen, irgendein Herings- 
händler oder eine alte Grofimutter« Sie würde vielleicht 
einmal wiederkommen wollen, aber man würde sie nicht 
hereinlassen. Was wollte sie auch bei ihm, dem armen 
Krüppel, dem Mann ohne Beine« Der Arzt hatte es ja 
eben selber gesagt, daß er ein Krüppel bleiben würde. 
Und er sank zurück in seine Verzweiflung. Er lag still. 

Seine Schmerzen kamen wieder. Er biß die Zähne auf- 
einander, um nicht zu schreien. Und die Tränen traten 
ihm in die Augen, gewaltsam wie Feuer. 

Ein Krampf schüttelte ihn, er fror. Seine Hände wurden 

244 



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eiskalt. £r fühlte, wie das Fieber wiederkam. £r wollte 
clen Namen des Mädchens rufen. Da merkte er^ daß er 
ilin nicht kannte. Und diese plötzliche Erkenntnis stieß 

ilin noch tiefer in seinen Abgrund. Nicht einmal ihren 
Namen. Er wollte „gnädiges Fräulein*' oder so. etwas 
sagen» aber als er sich aufsetzte» sah er in das gelbe Ge» 

sieht seiner Wärterin, das in unzähligen Nachtwachen alt, 
stumpf und gemein geworden war. 

Er war ja nicht allein. Er hatte das ganz vergessen. 
Man hatte ihm einen Wächter hingesetzt, diesen Satan 
von einer Krankenschwester, diesen alten verwelkten Teufel, 
von dem er abhängig war^ der ihm befehlen konnte. Und 
er fiel wieder zurück. 

Nun würde ihn niemand mehr erlösen, nun würde ihn 
niemand mehr retten. Und da hing der Christus, dieser 
armselige Schwächling, und lächelte immer noch. Er schien 
gar nicht genug leiden zu können, er schien sich zu freuen 
über seine Qualen, und Jonathan erschien das Lächeln 
des Gottes «seltsam, bösartig und gemacht wie das einer 
erkauften Wollust. Er schloß die Augen, er war besiegt. 

Das Fieber übermannte ihn mit seiner ganzen Gewalt. 
In den beginnenden Paroxysmen tauchte noch einmal» wie 
der Abendstem an einem leeren Himmel, das Bild seiner 
unbekannten Nachbarin auf, weiß, fern, wie das Gesicht 
einer Toten. 

Gegen Mitternacht schlief er ein. : Er schlief den schreck- 
lichen Schlaf, in dem Krankheit und Verzweiflung einen 
Menschen erstarren lassen, wenn sie das Arsenal ihrer 
Qualen erschöpft haben. 

Er schlief kaum zwei Stunden. Als er aufwachte, über- 
fielen ihn die Schmerzen in seinen Schenkeln mit solcher 
Macht, da0 er fast besinnungslos wurde. Er klammerte 

HS' 



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sich mit aller Gewalt an den eisernen Bettpfosten. Er 
glaubte, die Beine würden ihm yon glühenden 2^an^en 
herausgerissen, und er stieB eineii schrecklicheni lasig- 
gezogenen Schrei aus, einen jener Sclireie, die so oft nachts 
in den Krankenhäusern plötzlich aufwachen und die 
Schlafenden aus ihren Betten aufscheuchen und das Herz 
eines jeden mit Grauen ersticken. 

Er hatte sich im Bette halb aufgehoben. Er stützte 
sich auf die Hände. Er hielt den Atem vor Schmerzen 
an, er sog ihn in sich hinein« Und dann, dann brüllte er 
aus voller Kehle ein furchtbares Uuuu Aaaa. 

Wie der Tod über dem Haus raste. Jetzt stand er hoch 
oben auf dem Dache, und unter sdnen riesigen knöchernen 
Füßen saßen in ihren Betten, in ihren großen Sälen, in 
ihren Kammern, überall saßen die Kranken auf in ihren 
weißen Hemden, in dem Licht der spärlichen Lampen wie 
Gespenster, und das Entsetzen flog wie ein riesiger weißer 
Vogel durch die Treppen und die Säle. Überall drang das 
entsetzliche Brüllen hin, überall weckte es die Schläfer 
aus ihrem kraftlosen Schlaf und überall weckte es ein 
schreckliches Echo bei den Krebskranken, die kaum ent- 
schlafen waren, denen nun der wdße Eiter wieder in ihren 
Därmen zu rinnen begann, bei den Verdammten, denen die 
Knochen wegfaulten, langsam, Stück für Stück, und bei 
denen, denen auf dem Kopf ein furchtbares Sarkom wucherte, 
das ron innen heraus- ihre Nase, ihren Oberkiefer, ihre 
Augen wegfraß, ausfraß, austrank, und riesige stinkende 
Löcher, große Trichter voll gelber Jauche in ihrem weißen 
Gesicht aufgerissen hatte. 

In schrecklichen Tonleitern ging das Geheul herauf und 
herunter, wie von einem unsichtbaren Dirigenten gelenkt. 
Manchmal trat ein kurzes Intenrall ein, eine kleine Kunst- 

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patise, geschickt eingefügt, bis mit einem Male in einer 
dunklen Ecke es wieder begann, langsam anschwoll und 
sich wieder in die allerhachsten Töne Terstieg, in ein 
schauderhaftes, langes und dünnes J, das über diesem 
Sa.bbat des Todes schwebte wie die Stimme eines Meß- 
' priesteis über dem Gesänge eines Kirchenchocs. 

Alle Ärzte waren auf den Beinen, alle Hefen hin und 
lier zwischen den Betten, in denen die roten geschwol- 
lenen Kdpfe der Kranken staken wie grofie Rüben in 
einem herbstlichen Acker. Alle Krankenschwestern rann- 
ten mit ihren klappernden weißen Schürzen in den Sälen 
hermn, große Morphiwnspritasen» Opiumdosen schwingendi 
wie die Ministranten eines seltsamen Gottesdienstes. 

Überall wurde getröstet, beruhigt, eingeschläfert, überall 
machte man Morphium- und Kokain-Injektionen^ das Chaos 
zu besänftigen, überall wurde dementiert, an allen Betten 
wurden beruhigende Bulletins ausgegeben. Die Säle wurden 
aUe erleuchtet» und mit dem wiederkehrenden Lichte 
schienen die Schmerzen der Kranken langsam nachzu- 
lassen. Das Gebrüll starb langsam ab, es ging in ein leises 
Gewimmer über, und der Aufstand der Schmerzen endete 
in Tränen, Schlaf und stumpfer Resignation. 

Jonathan fiel in eine dumpfe Betäubung. Der Schmerz 
liatte sich ausgerast, er war zuletzt erstickt in Apathie. 

Aber nachdem die Qual ihn verlassen hatte, begannen 
seine Beine anzuschwellen, wie zwei groBe Leichname, die 
in der Sonne aufgehen. Seine Knie schwollen im Verlauf 
einer halben Stunde zii Kindskopfgröße, seine Füße wurden 
schwarz und hart wie Stein. 

Als bei der Morgenrunde der Arzt vom Dienst bei ihm 
eintrat und die Decke aufhob, sah er unter dem Verband 
die gewaltigen Schwellungen, Er ließ die Verbände ab- 

«47 



Digiiizca by Cjuv- 



wickeln, er warf nur einen Blick auf die verwesenden 
Beinei (Uum klingelte er dreimal, und nach ein paar Mi- 
nuten wurde ein f ahrterer Operationsetubl hereingeschobcit» 

Ein paar Männer legten den Kranken auf das Gestell. 
Sit trugen ihn heraus» und das Zimmer blieb eine halbe 
Stunde leer. 

Danach wurde der Operationsstuhl wieder hereinge- ; 
schoben. Darauf lag der kleine Jonathan« bleich, mit auf- \ 
geriseenen Augen, um die Hälfte kürser gemacht. Wo i 
▼orher seine Beine gewesen waren, war jetzt ein dickes ! 
blutigai Bündel von weißen Tüchern, aus denen sein Leib 
aufragte wie der Köfper eines exotischen Gottes aus einem • 
Blumenkelch. Die Männer warfen ihn in das Bett und 
verließen ihn. 

£r war eine Weile ganz allein, und der Zufall wollte es, 
dafi er in diesen wenigen Minuten noch einmal seine Be- 
kannte vom Zimmer nebenan wiedersehen sollte. 

Wieder ging die Tür auf, wieder sah er ein weißes Gre- 
sieht. Aber es schien ihm fremd, er konnte sich seiner 
kaum noch erinnern. Wie lange war das her, daß er mit 
ihr gesprochen hatte. 

Sie fragte ihn, wie es ihm ginge* 

Er gab ihr keine Antwort, er hörte nicht, was sie fragte, 
aber er versuchte krampfhaft, die Decke möglichst weit 
über seine verbundenen Beinstümpfe heraufzuziehen. Sie 
sollte nicht sehen, daB unterhalb seiner Knie ein Loch war, 
daß da alles zu Ende war. £r schämte sich. Die Scham 
war das einzige Gefühl, das ihm geblieben war. 

Das junge Mädchen fragte ihn noch einmal. Ab sie 
wieder keine Antwort bekam, drehte sie ihren Kopf weg. 

Eine Schwester kam herein, sie schloß lautlos die Tür, 
sie setzte sich mit einer Handarbeit an sein Bett. Und 

248 



Digitizca by Google 

i 



Jonathan fiel in einen unruliigen Halbschlummer, Ton den 
Nachwellen der Narkose betftubt. 

Plötzlich schien es ihm, als wenn sich die Tapeten des 
Zimmers an einigen Stellen bewegten« Sie schienen leise 
hin und her zu attem und sich aufzubauschen, als wenn 

dahinter jemand stände, der sich gegen sie anstemmte, um 
sie zu zerreißen. Und siehe da, mit einem Male zerrissen 
die Tapeten unten am Fußboden, l/i^e ein Haufe Ratten 
quollen darunter ganze Heerscharen kleiner winziger Männ- 
chen hervor^ die bald das ganze Zimmer anfüllten. Jonathan 
wunderte sich, wie so viele Ton den Zwergen hinter der 
Tapete sich hatten verstecken können. Er schimpfte über 
die Unordnung im Krankenhause. Er wollte sich bei seiner 
Wärterin beschweren, aber als er sie an sein Bett winken 
wollte, sah er, daß sie nicht da war. Auch die Tapeten 
waren nüt einem Maie alle fort, da waren auch keine 
Wände mehr. 

Er lag in einem weiten, ungeheuren Saal, dessen Wände 

sich immer weiter und weiter zu entfernen schienen, bis 
sie hinten ▼erschwanden in einem bleiernen Horizont. Und 
dieser ganze entsetzliche 5de Raum war voll von den kleinen 
Zwergen, die auf ihren schmalen Schultern große blaue 
Kopie schaukelten, wie ein Meer riesiger Kornblumen auf 
zerbrechlichen Stengeln. Trotzdem ihm viele sehr nahe 
standen, konnte Jonathan ihre Gesichter nicht erkennen. 
Wenn er genau hinsehen wollte^ so verschwanunen ihre 
Züge in lauter blaue Flecken» die vor seinen Augen herum- 
tanzten. Er wollte gern wissen, wie alt sie wären, aber er 
konnte seine eigene Stinmie nicht mehr hören. Und plötz- 
lich kam ihm der Gedanke: du bist ja taub» du kannst 
ja nicht mehr hören. 

Vor seinen Augen begannen sich die Zwerge langsam 

249 



Digitlzca b 



zu drehen, sie hoben ihre Hände taktmifiig auf und nieder, 
langsam kamen ihre grofien Massen in Bewegung. Von 
rechts nach links, von rechts nach links, summte es in 
seinem Schädel« Immer schneller drehten sich die Massen 
um ihn herum. Er glaubte in einer großen stählernen 
Drehscheibe zu sitzen, die in wachsender Schnelligkeit 
immer schneller, immer rasender um ihn zu kreisen be- 
gann. Ihm wurde schwindlig, er wollte sich festhalten, 
aber es half alles nichts, er wurde mit fortgerissen. Er mußte 
sich erbrechen. 

Mit einem Male war alles still, alles leer, alles fort. Er 
lag allein und nackt in einem großen Felde auf einer Art 
Bahre. 

Es war sehr kalt, es begann zu stürmen, und am Himmel 
zog eine schwarze Wolke herauf, wie ein ungeheures Sditff 

mit schwarzen geblähten Segeln. 

Hinten am Rande des Himmeb stand ein Mann, der 
war in einen grauen Lappen gehüllt, und trotzdem er sehr 
weit entfernt war, wußte Jonathan genau, wer es war. 
Er war kahl, seine Augen lagen sehr tief. Oder hatte er 
überhaupt keine Augen? 

Auf der andern Seite des Himmels sah er eine Frau 
stehen oder ein junges Mädchen. Sie kam ihm bekannt 
▼or, er hatte sie schon einmal gesehen, das war aber lange 
her. Plötzlich begannen die beiden Figuren ihm zu winken, 
sie schüttelten ihre langen faltigen Ärmel, er wußte aber 
nicht, wem er gehorchen sollte. Als das BAädchen sah, daß 
er keine Anstalten traf, von seiner Bahre herunterzu- 
konmien, drehte sie sich herum, sie ging fort. Und er sah 
sie noch lange in einem weiß gestreiften Himmel dahin 
gehen. 

Endlich ganz weit, ganz in der Ferne blieb sie noch 
250 



Digitizca by Lj^j^ '^i 



eilimal stehoi. Sie drehte sich noch eimnal um, sie winkte 
ihm noch einmal. Aber er konnte nicht aufstehen, er 
wußte es, der dahinten mit seinem schrecklichen Toten- 
kopf erlaubte es nicht. Und das Mädchen rarschwand in 
dem einsamen Himmel. Aber der Mann hinten winkte 
ihm immer stärker, er drohte ihm mit seiner knöchernen 
Faust Da kroch er von seiner Bahre herunter und er 
schleppte sich über die Felder, über Wüsten, während das 
Gespenst ihm voranflog, immer weiter durch Dunkel, durch 
schreckliches Dunkel. 



251 



DAS SCHIFF 



Es war ein kleiner Kahn, ein Korallenschi^er, der über 
Kap York in der Harafuhra seekreuzte. Manchmal be* 
kämm sie im Mauen Norden die Berge von Neuguinea ins 
Gesicht, manchmal im Süden die öden australischen Küsten 
wie einen schmutzigen Sübergürjtel, der über den zittern- 
den Horizont gelegt war. 

Es waren sieben Mann an Bord. Der Kapitän, ein Eng- 
länder, zwei andere Engländer, ein Ire, zwei Portugiesen 
und der chinesische Koch. Und weil sie so wenig waren» 
hatten sie gute Freundschaft gehalten. 

Nun sollte das Schiff herunter nach Brisbane gehen. Dort 
sollte gelöscht werden, und dann gingen die Leute ausein* 
ander, die einen dahin, die andern dorthin. 

Auf ihrem Kurs kamen sie durch einen kleinen Archipel, 
rechts und links ein paar Inseln, Reste ¥on der großen 
Brücke, die einmal vor einer Ewigkeit die beiden Kon- 
tinente von Australien und Neuguinea verbunden hatte. 
Jetzt rauschte darüber der Ozean, und das Lot kam ewig 
nicht auf den Grund. 

Sie ließen den Kahn in eine kleine schattige Bucht 
der Insel einlaufen und gingen vor Anker. Drei Mann 
gingen an Land, um nach den Bewohnern der Insel zu 
suchen. 

Sie wateten durch den Uferwald, dann krochen sie müh- 
sam über einen Berg, kamen durch eine Schlucht, wieder 
über einen bewaldeten Berg. Und nach ein paar Stunden 
kamen sie wieder an die See. 

Nirgends war etwas Lebendes auf der ganzen Insel. Sie 
hörten keinen Vogel rufen, kein Tier kam ihnen in den 
Weg. Überall war eine schreckliche Stille. Selbst das Meer 

252 



Digitizca by 



^▼or ihnen war stumm und grau. ,,Aber jemand muß doch 
luer sein, zum Teufel", sagte der Ire. 

Sie riefen, schrien, schössen ihre Revolver ab. Es rührte 
stell nichtSi niemand kam« Sie wanderten den Strand ent- 
lan^T durch Wasser, über Felsen und Ufergebüsch, niemand 
beg^egnete ihnen. Die hohen Bäume sahen auf sie herab 
wie grofie gespenstische Wesen ohne Rauschen, wie riesige 
Tote in einer furchtbaren Starre. Eine* Art Beldenunung, 

dunkel und geheimnisvoll, fiel über sie her. Sie wollten 
sich gegenseitig ihre Angst ausreden. Aber wenn sie ein- 
ander in die weifien Gesichter sahen, so blielien sie stumm. 

Sie kamen endlich auf eine Landzunge, die wie ein letzter 
Vorsprung, eine letzte Zuflucht in die See hinauslief. An 
der äußersten Spitze, wo sich ihr Weg wieder umbog» sahen 
sie etwas, was sie für dnen Augenblick starr werden ließ. 

Da lagen übereinander drei Leichen, zwei Männer, ein 
Weiby noch in ihren primitiven Waschldeidem. Aber auf 
ihrer Brust, ihren Armen, ihrem Gesicht, überall waren 
rote imd blaue Flecken wie unzählige Insektenstiche. Und 
ein paar große Beulen waren an manchen Stellen wie große 
Hügel aus ihrer geborstenen Haut getrieben* 

So schnell sie konnten, verließen sie die Leichen. Es 
war nicht der Tod, der sie verjagte. Aber eine rätselhafte 
Drohung schien auf den Gesichtern dieser Leichname zu 
stehen, etwas Böses schien unsichtbar in der stillen Luft 
zu lauern, etwas, wofür sie keinen Namen hatten, und das 
doch da war, ein unerbittlicher eisiger Schrecken« 

Plötzlich begannen sie zu laufen, sie rissen sich an den 
Dornen. Immer weiter. Sie traten einander fast auf die 
Hacken. 

4 

Der letzte, ein Engl&nder, blieb einmal an einem Busch 
hängen; als er sich losreißen wollte, sah er sich unwill- 

253 



Digitizca by 



küriich umu Und da glaubte er hinter einem großen Baum- 
stamm etwat SU sehen, eine kleine schwarze Gestalt wie ' 
eine Frau in einem Trauerkleid. 

Er rief seine Gefährten und zeigte nach dem Baum* 
Aber es war nichts mehr da. Sie lachten ihn aus» aber ihr 
Lachen hatte einen heiseren Klang. 

Endlich kamen sie wieder an das Schiff. Das Boot ging 
zu Wasser und brachte sie an Bord. 

Wie auf eine geheime Verabredung erzählten sie nichts 
von dem, was sie gesehen hatten. Irgend etwas schloß 
ihnen den Mund. 

Als der Franzose am Abend über die Reeling lehnte, 
sah er überall unten aus dem Schiffsraum, aus allen Luken 
und Ritzen scharenweise die Armeen der Schüfsratten aus- 
ziehen. Ihre dicken» braunen Leiber schwammen im 
Wasser der Bucht, überall glitzerte das Wasser von ihnen. 

Ohne Zweifell die Ratten wanderten aus. 

Er ging zu dem Iren und erzahlte shm, was er gesehen 
»hatte. Aber der saB auf dnem Tau, starrte vor sich hin 
und wollte nichts hören. Und auch der Engländer sah ihn 
wütend an, als er zu ihm Tor die Kajüte kam. Da lied er 
ihn stehen. 

Es wurde Nacht und die Mannschaften gingen herunter 
in die Hängematten. Alle fünf Mann lagen zusammen* 
Nur der Kapitfin schlief allein in einer Koje hinten unter 
dem Deck. Und die Hängematte des Chinesen hing in der 
Schiflsküche* 

Als der Franzose Tom Deck herunterkam^ sah er, daß 

der Ire und der Engländer miteinander ins Prügeln geraten 
waren. Sie wälzten sich zwischen den Schitfskisten hertmii 
ihr Gesicht war blau vor Wut. Und die andern standen 
herum und sahen zu. Er fragte den einen von den Portu- 

254 



Digitizca by Liu..- . «v. 



giesen nach dem Gmnd dieses Zweikampfes und erhielt 
düe Antwort» daß die beiden um einen WoUfaden zum 

Strumpfstopfen, den der Engländer dem Iren fortgenommen 
hatte, ins Hauen gekommen wären. 

Büdlich ließen sich die bdden los, jeder kroch in einen 
Winkel der Kajüte und blieb da sitzen, stumm zu den 
Spaßen der andern. 

Endlich lagen sie alle in den Hängematten, nur der Ire 
rollte seine Matte zusammen und ging mit ihr auf Deck. 

Oben durch den Kajüteneingang war dann wie ein 
schwarzer Schatten zwischen Bugspriet und einem Tau 
seine Hängematte zu sehen, die zu den leisen Schwingungen 
des Schiffes hin und her schaukelte. 

Und die bleierne* Atmosphäre einer tropischen Nacht, 
▼oll von schweren Nebeln und stickigen Dünsten, senkte 
sich auf das Schiff und hüllte es ein, düster und trostlos. 

Alle schliefen schon in einer schrecklichen Stille, und das 
Geräusch ihres Atems klang dumpf von fem, wie unter 
dem schweren Deckel eines riesigen schwarzen Sarges 
hervor. 

Der Franzose wehrte sich gegen den Schlaf, aber all- 
mählich fühlte er sich erschlaffen in einem vergeblichen 
Kampf, und vor seinem zugefallenen Auge zogen die ersten 
Tratunbilder, die schwankenden Vorboten des Schlafes. 
Ein kleines Pferd, jetzt waren es ein paar Männer mit 
riesengroßen altmodischen Hüten, jetzt ein dicker Hol- 
länder mit einem langen weißen Knebelbart, jetzt ein paar 
kleine Kinder, und dahinter kam etwas, das aussah wie ein 
großer Leichenwagen, durch hohle Gassen in einem trüben 
Halbdunkel« 

Er schlief ein. Und im letzten Augenblick hatte er das 
Gefühl, als ob jemand hinten in der Ecke stände, der ihn 

2SS 



Digiiizca by 



uiiTerwaiidt amtarrte. Er wollte noch eiiimal aetne Augm 
aulreifien, aber eine bldleme Hand schloE sie m. 

Und die lange Dünung schaukelte unter dem schwaxzen 
Schiffe, die Mauer des Urwaldes warf ihren Schatten weit 
hinaus in die kaum erhellte Nacht, und das Schiff versank 
tief in die mitternächtliche Dunkelheit. 

Der Mond steckte seinen gelben Schädel zwischen zwei 
hohen Palmen herror. Eine kurze Zeit wurde es hell, 

dann verschwand er in die dicken, treibenden Nebel. Nur 
manchmal erschien er noch zwischen den treibenden 
Wolkenfeteen, trüb und Ideiny wie das schreddiche Aoge 
der Blinden. 

Plötzlich zerriß ein langer Schrei die Nacht» scharf wie 
mit einem Beil. 

Er kam hinten aus der Kajüte des Kapitäns, so laut, 
als wäre er unmittelbar neben den Schlafenden gerufen. 
Sie fuhren in ihren Hingematten auf» und durch das Halb- 
dunkel sahen sie einander in die wmBen Gesichter. 

Ein paar Sekunden blieb es still; auf einmal hallte es 
wieder, ganz laut, dreimal. Und das Geschrei weckte ein 
schreckliches Echo in der Feme der Nacht, irgendwo in 
den Felsen, nun noch einmal, ganz fern, wie ein ersterbendes 
Lachen« 

Die Leute tasteten nach Licht, nirgends war weldies zu 

finden. Da krochen sie wieder in ihre Hängematten und 
saßen ganz aufrecht darin wie gelähmt, ohne zu reden. 

Und nach ein paar Minuten hörten sie einen schlürien- 
den Schritt über Deck kommen. Jetzt war es über ihren 
Häuptern^ jetzt kam ein Schatten vor der Kajütentür vor- 
bei. Jetzt, ging es nach vom. Und während sie mit weit 
aufgerissenen Augen einander anstarrten, kam von vom 
aus der Hängematte des Iren noch einmal der laute, lang- 

256 



Digitizca by Gvr..'_ 



Seasogene Schrei des Todes. Dann ein Röcheln, kurz, kurz, 
das zitternde Echo und Grabesstille. ' 

Und mit einem Male drängte sich der Mond wie das 
fette Gesicht eines Malaien in ihre Tür, über die Treppe, 
groB und weiß, und spiegelte sich in ihrer schrecklichen 
Blässe. 

Ihre Lippen waren weit auseinander gerissen, und ihre 
Kiefer vibrierten vor Schrecken. 

Der eine der Engländer hatte einmal den Versuch ge- 
macht, etwas zu sagen, aber die Zunge bog sich in seinem 
Munde nach rückwärts, sie zog sich zusammen; plötzlich 
fiel sie lang heraus wie ein roter Lappen über seine Unter- 
lippe. Sie war gelähmt, imd er konnte sie nicht mehr 
asurückziehen. 

Ihre Stirnen waren krddeweiß. Und darauf sammelte 
sich in großen Tropfen der kalte Schweiß des maßlosen 
Grauens« 

Und so ging die Nacht dahin in einem phantastischen 
Halbdunkel, das der große versinkende Mond unten auf 
dem Boden der Kajüte ausstreute. Aber auf den Händen 
der Matrosen erschienen manchmal seltsanie Figuren, ur- 
alten Hieroglyphen vergleichbar, Dreiecke, Pentagrammata, 
Zeichnungen von Gerippen oder Totenköpfen, aiis deren 
Ohren große Fledermausflügel herauswuchsen» 

Langsam versank der Mond. Und in dem Augenblick, 
wo sein riesiges Haupt oben hinter der Treppe verschwand, 
hörten sie aus der Schüfsküche yorn ein trockenes Ächzen 
und dann ganz deutlich ein leises Gemecker, wie es alte 
Leute an sich haben, wenn sie lachen. 

Und das erste Morgengrauen flog mit schrecklichem 
Fittich über den Himmel. 

Sie sahen sich einander in die aschgrauen Gesichter, 

17 357 



Digiiizca by Google 



kletterten aus ihren Hängematten, und mit zitternden Glie- 
dern krochen sie alle herauf auf das Verdeck, 

Der Gel&hmte mit aemer heraush&igenden Zunge kam 
zuletzt herauf. Er wollte etwas sagen, aber er bekam nur 
ein gräßliches Stanuneln heraus. £r zeigte auf seine Zunge 
und machte die Bewegung des Zurückschtebens. Und der eine 
der Portugiesen faßte seine Zunge an mit Tor Angst blauen 
Fingern und zwängte ihm die Zunge in den Schlund zurück. 

Sie blieben dicht aneinandergedr&ngt vor der SchiKsluke 
stehen und spähten Angstlich über das langsam heller 
werdende Deck. Aber da war niemand. Nur vorn schaukelte 
noch der Ire in seiner Hängematte im frischen Morgenwind, 
hin und her, hin und her, wie eine riesige schwarze Wurst 

Und gleichsam, wie magnetisch angezogen, gingen sie 
langsam in allen Gelenken schlotternd auf den Schläfer 
XU« Keiner rief ihn an. Jeder wufite, daß er keine Antwort 
bekommen würde. Jeder wollte das Gräßliche solange wie 
möglich hinausschieben. Und nun waren sie da, imd mit 
langen Hälsen starrten sie auf das schwarze Bündel da in 
der Matte. Seine wollene Decke war bis an seine Stirn hoch- 
gezogen. Und seine Haare flatterten bis über seine Schläfen. 
Aber sie waren nicht mehr schwarz, sie waren in dieser 
Nacht schlohweiß geworden. Einer zog die Decke von dem 
Haupte herunter, und da sahen sie das fahle Gesicht einer 
Leiche, die mit aufgerissenen und verglasten Augen in den 
Himmel starrte. Und die Stirn und die Schläfen waren 
übersät mit roten Flecken, und an der Nasenwurzel drängte 
sich wie ein Horn eine große blaue Beule heraus. 

„Das ist die Pest.*' Wer tou ihnen hatte das gesprochen? 
Sie sahen sich alle feindselig an und traten schnell aus dem 
giftigen Bereich des Todes zurück. 
, BSit einra Male kam ihnen allen zugleich die ErkenntniSi 

« 

aS8 



Digitizca by Liuv - . . 



sie Terloreti waren. Sie waren in mitleidiosen Händen 
eines furchtbaren unsichtbaren Feindes, der sie vielleicht 
mar für eine kurze Zeit verlassen hatte. In diesem Augen- 
1>lick konnte er aus dem Segelwerk heruntersteigen oder 
l&inter einem Mastbaum henrorkriechen; er konnte in der 
nämlichen Sekunde schon aus der Kajüte kommen oder sein 
schreckliches Gesicht über den Bord heben, um sie wie 
wvahnsinnig über das Schiffsdeck zu jagen« 

Und in jedem von ihnen keimte gegen seine Schicksals- 
fi^enossen eine dunkle Wut, über deren Grund er sich keine 
Rechenschaft geben konnte. 

Sie gingen auseinander. Der eine stellte sich neben das 
Schiüsboot, imd sein bleiches Gesicht spiegelte sich imten 
im Wasser» Die andern setzten sich irgendwo auf die Bord* 
bank, keiner sprach mit dem andern, aber sie bUeben sich 
doch alle so nahe, daß sie in dem Augenblick» wo die Gefahr 
greifbar wurde, wieder zusammenlaufen konnten. Aber es 
geschah nichts. Und doch wußten sie aUe» es war da und 
belauerte sie. 

Irgendwo saß es. Vielleicht mitten unter ihnen auf dem 
Verdeck, wie ein unnchtbarer weifier Drache, der mit sei- 
nen zitternden Fingern nach ihren Herzen tastete und das 
Gift der Krankheit mit seinem warmen Atem über das Deck 
ausbreitete. 

Waren sie nicht schon krank^ fühlten sie nicht irgendwie 
eine dumpfe Betäubung und den ersten Ansturm eines töd* 
liehen Fiebers? Dem Mann an Bord schien es so, als wenn 
unter ihm das Schiff anfing zu schaukeln und zu schwanken, 
bald schnell, bald langsam. Er sah sich nach den andern 
um und sah in lauter grüne Gesichter, wie sie in Schatten 
getaucht waren und schon ein schreckliches Blaßgrau in 
einzelnen Flecken auf den eingesunkenen Backen trugen. 

17* 259 



Digiiizca by Gu^.- . 1^ 



Vielleidit sind die überhaupt schon tot und du bist der 

einzige, der noch lebt, dachte er sich. Und bei diesem 
Gedanken lief ihm die Furcht eiskalt über den Leib. Es 
war, als h&tte pldtzUch aus der Luft heraus eine eisige Hand 
nach ihm gegriffen. 

Langsam wurde es Tag. 

Uber den grauen Ebenen des Meeresy über den Insehi, 
überall lag ein grauer Nebel, feucht, warm und erstickend 
Ein kleiner roter Punkt stand am Rande des Ozeans, wie ein 
entzündetes Auge« Die Sonne ging auf. 

Und die Qual des Wartens auf das Ungewisse trieb die 
Leute von ihren Plätzen. 

Was sollte nun werden? Man mufite doch einmal 
heruntergehen, man mußte etwas essen. 

Aber der Gedanke, dabei vielleicht über Leichen steigen 
zu müssen • • • 

Da, auf der Treppe hörten sie ein leises Bellen. Und nun 
kam zuerst die Schnauze des Schiffshundes zum Vorschein. 
Nun der Leib, nun der Kopf, aber was hing an seinem Maul? 
Und ein rauher Schrei des Entsetzens kam aus vier Kehlen 
zugleich. 

An seinem Maule hing der Leichnam des alten Kapitäns; 
seine Haare zuerst, sein Gesicht, sein ganzer fetter Leib in 
dnm schmutzigen Nachthemde kam heraus, von dem 
Hunde langsam auf das Deck gezerrt. Und nun lag er oben 
vor der Kajütentreppe, aber auf seinem Gesicht brannten 
dieselben schrecklichen roten Flecken. 

Und der Hund ließ ihn los und verkroch sich. 

Plötzlich hörten sie ihn fem in einem Winkel laut murren, 
in ein paar Sätzen kam er von hinten wieder nach vom, 
aber als er an dem Großmast vorbeikam, blieb er plötzlich 
Stehen, warf sich herum, streckte seine Beine wie abwehrend 

260 



Digitizca by Liu..- . «v- 



in die Luft. Aber mitleidlos schien ihn ein unsichtbarer 
Verfolger tn seinen Krallen za halten. 

Die Augen des Hundes quollen heraus, als wenn sie auf 
Stielen säßen, seine Zunge kam aus dem Maul. £r röchelte 
ein paarmal» als wenn ihm der Schlund zugedrückt würde. 
Hin letzter Krampf schüttelte ihn, er streckte seine Beine 
von sich, er war tot. 
, Und gleich darauf hörte der Franzose den schlürfenden 
Schritt neben sich ganz deutlich, während das Grauen wie 
ein eherner Hammer auf seinen Schädel schlug. 

£r wollte seine Augen schließen, aber es gelang ihm nicht. 
Er war nicht mehr Herr seines Willens. 

Die Schritte gingen geradeswegs auf das Deck, auf den 
Portugiesen zu, der sich rücklings gegen die Schüfswand 
gelehnt hatte und seine Hände wie wahnsinnig in die Bord- 
wand krallte. 

Der Mann sah offenbar etwas. £r wollte fortlaufen, er 
schien seine Beine mit Gewalt vom Boden reißen zu wollen, 
aber er hatte keine Kraft. Das unsichtbare Wesen schien 
ihn anzufassen. Da riß er gleichsam wie im Ubermaß seiner 
Anstrengung seine Zähne auseinander, und er stammelte 
mit einer blechernen Stimme, die wie aus einer weiten Ferne 
heraufzukommen schien, die Worte: „Mutter, Mutter." 

Seine Augen brachen, sein Gesicht wurde grau wie Asche« 
Der Krampf seiner Glieder löste sich. Und er fiel ▼om- 
über, und er schlug schwer mit der Stirn aui das Deck des 
Schiffes. 

Dem unsichtbare Wesen setzte seinen Weg fort, er hörte 

wieder die schleppenden Schritte. Es schien auf die beiden 
Engländer loszugehen. Und das schreckliche Schauspiel 
wiederholte sich noch einmal. Und auch hier war es wieder 
derselbe zweimalige Ruf, den die letzte Todesangst aus ihrer 

261 



Digitizca by Liu..- . «v. 



Kehle preßte, der Ruf: »yMutter, Mutter'', in dem ihr 
Leben entfloh« 
Und nun wird es zu mir kommen, dachte der Franzose. 

Aber es kam nichts, alles blieb still. Und er war allein mit 
den Toten. 

Der Morgen ging dahin. Er rührte sich nicht Ton säuern 

Fleck. Er hatte nur den einen Gedanken, wann wird es 
kommen. Und seine Lippen wiederholten mechanisch 
Immerfort diesen kleinen Satz: „Wann wird es kommen, 
wann wird es kommen?" 

Der Nebel hatte sich langsam verteilt. Und die Sonne, 
die nwi schon nahe am Mittag stand, hatte das Meer in eine 
ungeheure strahlende Fläche verwandelt, in eine ungeheure 
silberne Platte, die selber wie eine zweite Sonne ihr Licht 
in den^Raum hinausstrahlte. 

Es war wieder still. Die Hitze d«r Tropen brodelte überall 
in der Luft. Die Luft schien zu kochen. Und der Schweiß 
rann ihm in dicken Furchen über das graue Gesicht. Sein 
Kopf, auf dessen Scheitel die Sonne stand, kam ihm vor 
wie ein riesiger roter Tiurm, voll von Feuer. Er sah seinen 
Kopf ganz deutUch von Innen heraus in den Himmel wachsen. 
Immer höher imd immer heiBer wurde er innen. Aber drin- 
nen, über eine Wendeltreppe, deren letzte Spiralen sich in 
dem weißen Feuer der Sonne verloren, kroch ganz langsam 
eine schlüpfrige weiße Schnecke. Ihre Fühler tasteten sich in 
den Turm herauf, während ihr feuchter Schweif sich noch 
in seinem Halse herumwand. 

Er hatte die dunkle Empfindung, dafi es doch eigentlich 
zu heiß wäre, das könnte doch eigentlich kein Mensch aus- 
halten. 

Da — bum — schlug ihm jemand mit einer feurigea 
Stange auf den Kopf, er fiel lang hin. Das ist der Tod» 



262 



■ 



^a.chte er. Und nun lag er eine Weile auf den glühenden 
Scliifij^lanken. 

Plötzlich wachte er wieder auf« Ein leises dünnes Ge- 
lächter schien sich hinter ihm zu verlieren. Er sah auf, und 
da. sah er: das Schiff fuhr» das Schiff fuhr, alle Segel waren 
l>esetzt. Sie bauschten sich weiß und blähend» aber es ging 
l^ein Wind, nicht der leiseste Hauch. Das Meer lag Spiegel- 
blctnky weiß, eine feurige Hölle* Und in dem Himmel oben, 
im Zenith, zarfloß die Sonne wie eine riesige Masse weiß- 
glühenden Eisens. Überall troff sie über den Himmel hin, 
ü]>erall klebte ihr Feuer, und die Luft schien zu brennen. 
Ganz in der Feme, wie ein paar blaue Punkte, lagen die 
Inseln, bei denen sie geankert hatten. 

Und mit einem Male war das Entsetzen wieder oben, 
riesengroß wie ein Tausendfüßler, der durch seine Admi 
lief und sie hinter sich erstarren machte, wo er mit dem 
Gewimmel seiner kalten Beinchen hindurchkam. 

Vor ihm lagen die Toten. Aber ihr Gesicht stand nach 
oben. Wer hatte sie umgedreht? Ihre Haut war blaugrün. 
Ihre weißen Augen sahen ihn an. Die beginnende Ver- 
wesung hatte ihre Lippen auseinandergezogen und die 
Backen in ein wahnsinniges Lächeln gekräuselt Nur der 
Leichnam des Iren schlief ruhig in seiner Hängematte. Er 
▼ersuchte, sich langsam an dem Schiffsbord in die Höhe zu 
ziehen, gedankenlos. 

. Aber die unsagbare Angst machte ihn schwach und 
kraftlos. Er sank in seine Knie. Und jetzt wußte er, jetzt 
wird es kommen. Hinter dem Bffastbaum stand etwas. Ein 
schwarzer Schatten. Jetzt kam es mit s^em schlürfenden 
Schritte über Deck. Jetzt stand es hinter dem Kajütendache, 
jetzt kam es hervor« Eine alte Frau in einem schwarzen 
altmodischen Kleid, lange weiße Locken fielm ihr zu beiden 

363 



Digitizca Ly Gu^.' . 



Seiten in das blasse, alte Gesicht. Darin steckten ein paar 
Ai]g«n von unbestimmter Farbe wie ein paar Kndpf die 
ihn mirmrandt ansahen.* Und überall war ihr Gesicht mit 
den blauen und roten Pusteln übersät, und wie ein Diadem 
standen auf ihrer Stirn zwei rote Beulen» über die ihr weifies 
Grofimutterhftubehen gezogen war. Ihr schwarzer Reifrock 
knitterte, und sie kam auf ihn zu. In einer letzten Ver- 
zweiflung richtete er sich mit Händen und Füßen auf. 
Sein Herz schlug nicht mehr. Er fiel wieder hin. 

Und nun war sie schon so nahe, daß er ihren Atem wie 
eine Fahne aus ihrem Munde wehen sah. 

Noch einmal richtete er sich auf. Sein linker Arm war 

schon gelähmt. Etwas zwang ihn stehenzubleiben, etwas 
Riesiges hielt ihn fest. Aber er gab den Kampf noch nicht auf. 
Er drückte es mit seiner rechten Hand herunter, er riß sich los. 
' Und mit schwankenden Schritten, ohne Besinnung, stürzte 
er den Bord entlang, an dem Toten in der Hängematte vor- 
bei, Yom, wo die große Strickleiter vom Ende des Bug- 
spriets zu dem vordersten Mäste herauflief. 
• Er kletterte daran herauf, er sah sich um. 

Aber die Pest war hinter ihm her. Jetzt war sie schon 
auf den imtersten Sprossen. Er mußte also höher, höher. 
Aber die Pest ließ nicht los, sie war schneller wie er, sie 
mußte ihn einholen. Er griff mit Händen und Füßen zu- 
gleich in die Stricke, trat da und dorthin, geriet mit einem 
Fuße durch die Maschen, riß ihn wieder heraus, kam oben an. 
Da war die Pest noch ein paar Meter entfernt. Er kletterte 
an der höchsten Rahe entlang. Am Ende war ein Seil. Er 
kam an dem Ende der Rahe an. Aber wo war das Seil? 
Da war leerer Raum. 

^ Tief unten war das Meer und das Deck. Und gerade 
unter ihm lagen die beiden Toten. 

a64 



Digiiizc6 by 



Er wollte 2urück| da war die Pest schon am andern 
Ende der Rahe. 

Und nun kam sie freischwebend auf dem Holze heran 
wie ein alter Matrose mit wiegendem Gang« 

Nun waren es nur noch sechs Schritte, nur noch fünf. 
Er zählte leise mit, während die Todesangst in einem ge- 
waltigen Krampf seine Kinnbacken auseinanderriß, als 
wenn er gähnte. Drei Schritte^ zwei Schritte. 

Er wich zurück, griff mit den Händen in die Luft, wollte 
sich irgendwo festhalten, überschlug sich und stürzte 
krachend auf das Deck, mit dem Kopf zuerst auf eine 
eiserne Planke. Und da blieb er liegen mit zerschmettertem 
Schädel. 

Ein schwarzer Sturm zog schnell im Osten über dem 
stillen Ozean auf. Die Sonne verbarg sich in den dicken 

Wolken, wie. ein Sterbender, der ein Tuch über sein Gesicht 
zieht. Ein paar grofie chinesische Dschunken, die aus dem 
Halbdunkel herauskamen, hatten alle Segel besetzt und 
fuhren rauschend vor dem Sturme einher mit brennenden 
Gotterlampen und Pfeifengetön. Aber an ihnen vorbei fuhr 
das Schiff riesengroß wie der fliegende Schatten eines 
Dämons. Auf dem Deck stand eine schwarze Gestalt, 
Und in dem Feuerschein scliien sie zu wachsen, und ihr 
Haupt erhob sich langsam über die Masten, während sie 
ihre gewaltigen Arme im Kreise hemmschwang gleich 
einem Kranich gegen den Wind. Ein fahles Loch tat sich 
auf in den Wolken. Und das Schiff fuhr geradeswegs 
hinein in die schreckliche Helle. 



265 



Digiiizca by 



EIN NACHMITTAG 
Beitrag zur Geschichte eines kleinen Jungen 



Die Straße kam ihm vor wie ein langer Strich» die Leute» 
die an ihm vorübergingen, schienen ihm wie lauter auf- 

• geblasene weiße Puppen. Was wußten sie auch von seiner 
Seligkeit. Er hatte sie gefragt: »^Darf ich Sie küssen 
der kleine Junge» und sie hatte ihm ihren Mund hingehalten, 
und er hatte sie geküßt. Und dieser Kuß brannte ihm tief 
in das Herz hinein» wie eine große reine Flamme» die ihn 
erlöste» die ihn glücklich machte» die ihn selig machte. 
Götter, er hätte tanzen mögen vor Seligkeit. Und der 
Himmel lief über ihn dahin wie eine große, blaue . Straße» 
das Licht reiste nach Westen wie ein feuriger Wagen» und 
alle die glühenden Häuser schienen sein glühendes Feuer 
widerzustrahlen. 

Er hatte das Gefühl eines starken brausenden Lebens» 
als hätte er noch nie so gelebt» als schwämme er wie ein 
Vogel hoch in der Luft» versunken in ewigem Äther» grenzen- 
los glücklich» grenzenlos einsam. 

Und das unsichtbare Diadem der Glückseligkeit lag auf 
seiner eckigen Kinderstirn und verschönte sie, wie eine 
nächtliche Landschaft unter dem weiten Aufbrechen eioes 
Blitzes. 

Götter, ich'^werde geliebt, ich werde geliebt, wie man 
mich nur lieben kann.*' Er ging sclmeller» er kam in$ 
Laufen» als wäre die gewöhnliche» gemessene Bewegung 
zu langsam für den Sturm, der in seinem Herzen brauste. 
Und so rannte er die Straße herab zum Strande und setzte 
sich an das Meer. 

,,0 Meer, Meerl'' und er erzählte dem Meer sein Erlebnis» 
in einem kurzen Jauchzen» in einem zitternden Flüstern» 

266 



Digmzca by Gk. 



in dem Taumel einer stummen Sprache. Und das Meer 
▼erstand ihn und hörte ihm zu, das Meer , auf dessen blauer 
dröhnteder Weite seit so vielen Jahrtausenden der Orkan 

der Freude und das Lallen der Qualen widerhallte» wie ein 
ewiger Wirbelsturm über einer ewig unberührten Tiefe. 
Er behütete ängstlich seine Einsamkeit Wenn Men« 

sehen kamen, sprang er auf, lief er davon und kroch in die 
Dünen. Waren sie vorbei^ so lief er wieder herror ans 
Meer» dessen gewaltige Weite der änzige Becher war, in 

den er die Flut seines unendlichen Ubermaßes fortgeben 
konnte. 

Allmählich wurde der Strand belebter. Allenthalben 
blinkten weiße Kleider zwischen den Strandkörben vor, alte 
Damen kamen mit Büchern unter dem Arm. Helle Sonnen- 
schirme wippten auf den schmalen Hol^gängen, und die 
Kinder füllten wieder scharenweise die Sandburgen. Ruder- 
boote fuhren aus, an den großen Segelkähnen wurden die 
Segel gehißt. Ein Photograph watete durch den Sand mit 
dem Kasten am Riemen über der Schulter. 

Er sah nach der Uhr. Noch eine halbe Stunde, noch 
neunundzwanzig Minuten, dann wird er sie treffen. £r 
wird sie an der Hand nehmen, sie werden zusammen in den 

Wald gehen, da, wo es ganz still ist. Und sie werden sich 
zusammen liinsetzen» Hand in Hand, verborgen im grünen 
Dickicht. 

Aber was soll er zu ihr reden^ damit sie ihn nicht lang- 
V^eilig findet. Denn sie ist schon wie eine kleine Dame, 
man muß sie unterhalten, man muß Witze machen. 

Was soll er bloß zu ihr reden. 

Ach, er wird überhaupt nichts sprechen, sie wird ihn 
auch so Terstehen. Sie werden sich in die Augen sehen, 
die wts6tn mdi genug s^en. 

267 



Digiiizca by Liu^.' . < 



Und daim wird sie ihm wieder ihren Mund hinhalten, 

er Ihren Kopf leise m seinen Arm nehmen^ so^ so ■ ■ 
probierte es an einer Ginsterstaude — , und dann wird er 
sie inissen, ganz leise, ganz zaxt 

Und so werden sie beieinander sitzen im Walde, bei- 
einander, bis es dunkel wird; o wie schön, wie schön, wie 
unermeßlich selig. 

Sie werden sich nie mehr verlassen. Er wird immer 
arbeiten, dann wird er schnell studieren, und eines Tages 
wird er sie heiraten* Und das Leben erschien dem Kinde 
wie eine klare gerade Strafie, die in einem Himmel ▼on 
ewiger Bläue zieht, kurz, einfach, ohne Ereignisse, wie ein 
ewiger Garten. 

Er stand auf und ging über den Strand durch die spielenden 
Kinder, die Leute und die Strandkörbe hin. Ein Dampfer 
legte an, ein Strom von Menschen schwoll auf die Landungs- 
brücke zu. Es wurde gelautet« Er bemerkte nichts von 
alledem, alles, was sonst seine Aufmerksamkeit gefesselt 
hatte, war verschwunden. Sein Auge war nach iimen ge- 
richtet, als müßte er alle seine Zeit darauf verwenden, den 
neuen Menschen zu studieren, der da mit einem Male aus 
seinem verschlossenen Kern gekrochen war. 

Er kam an die Bank, wo er seine kleine Freundin tr^en 
wollte; sie war noch nicht da. 

Aber es war ja auch noch zu früh. Es fehlten ja noch 
zehn Minuten. Sie mußte wahrscheinlich erst noch Kafiee 
trinken, sicher hatte sie ihre Mutter noch nicht fortgelassen« 

Er setzte sich einige Minuten auf die Bank, stand dann 
wieder auf, lief einige Male in dem kleinen Baumrondell 
hin und her. Jetzt fehlten noch zwei Minuten, jetzt muBte 
sie doch eigentlich • schon zu sehen sein. Er schaute den 
Weg herunter nach ihr aus. Aber der Weg blieb leer. Seine 

26a 



Digitizca by 



Bäume verbaxgen niemaxid. Sie standen sanft vergoldet von 
<ier Nachmittagssonne ruhig in der V^ndstille, und durch 
ilir Laub zitterte das Licht auf den Weg, wie auf den Grund 
«nes goldenen Baches. Der Laubgang. war wie eine gro^» 
fiSrüne, stille Halle, und hinten in seinem Tore zitterte ein 
kl^er, blauer Streifen, fern wo Meer imd Himmel in- 
einander verflossen. 

Er zitierte. £r fühlte, wie sich- etwas in ihm zusammen- 
zog. Warum kommt sie nicht, wanim kommt sie nicht? 

Ach, ist das nicht ihr Hut, ist das nicht das weiße Band ? 
Das ist sie, das ist sie.'' 

Und das Tor seiner Seele sprang auf, er fühlte sich wie 
von einem Sturme geschüttelt, er lief ihr entgegen. Als er 
näher kam, sah er, daß er sich getauscht hatte. Das war 
sie ja gar nicht, das war ja jemand anderes. Und in dem- 
selben Augenblick war ihm, als würde etwas in ihin er- 
stickt, als sollte er erwürgt werden. 

Er hatte plötzlich dasselbe Gefühl, das er einmal gehabt 
hatte^ als er aus einem Hause geführt wurde, in dem 
er an einem Totenbette gestanden hatte: eine Art Ekel 
oder Widerwillen vor sich selbst. Dieses eigentümliche be- 
sondere Gefühl bemächtigte sich seiner immer dann, wenn 
ihm etwas Unangenehmes entgegentrat, dem er nicht aus- 
weichen konnte, eine mathematische Arbeit, eine Zensur. 

Aber so stark wie eben hatte er es noch nicht gefühlt. 
£r konnte es beinahe auf der Zunge schmecken, bitter, 
wie etwas Graues. 

Sein Blut schien zu stocken; ihn überkam eine Trägheit, 
die ihm unheimlich war. Seine Stirn war klein und grau, 
als hätte jemand sie mit dem Schatten seiner Hand bedeckt. 

Er ging langsam nach dem Rondell zurück. „Aber sie 
wird noch kommen, gewiß.^' Sie konnte sich ja verspäten. 

369 



Digitizcd by 



Wenn sie nur noch käme« Seinethalben konnte sie ja eine 
Viertelstunde zu spät kommeni wenn sie nur überhaupt 

käme. 

£r sah wieder nach der Uhr* Die Zeit war vorbei, und 
der Sekundenzeiger lief immer weiter hinaus wie eine kleine 
dünne Spinne in einem silbernen Käfig. Ihr kleiner Fuß 
trat auf die Sekunden, die in kleinen Strichen hinter ihr 
hinfieleUi wie eine Art winzigen Staubes avd einer winzigen 
Landstraße. 

Nun waren schon vier Minuten vorbei, nun schon fünf. 
Und der Minutenzeiger stieg immer weiter auf den Stufen 
seiner kleinen Treppe herauf. Er wollte ihr entgegengehen. 
Aber, wenn sie nun von der andern Seite käme, was dann ? 
Und er schwankte» sollte er bleiben,^ sollte er gehen? Aber 
seine Unrast trieb ihn fort. Er lief wieder einige Schritte 
den Weg herunter, dann blieb er wieder stehen, er kehrte 
wieder um. 

Er setzte sich auf die Bank, sah tot sich hin. Und mit 

jeder Minute verlor sich seine Zuversicht mehr. Bis um 
fünf Uhr wollte er noch warten, vielleicht käme sie noch. 

Aus der Feme hätte man ihn für einen alten lAann 
halten können, wie er dasaß. Gekrümmt, in sich ver« 
krochen wie jemand, über den viele Jahre Kummers dahin- 
gegangen sind. 

Er stand noch einmal auf und ging langsam noch ein 
paar Schritte über den Schauplatz seiner kindlichei; Tragödie» 

Von fem hörte er^ eine Uhr schlagen, aber das war noch 
zu früh. Er verglich sie mit seiner Taschenuhr. Sicher, 
die dort schlug zu früh. Es fehlten noch drei Minuten 
an fünf. 

Und in diesen drei Minuten bäumte sich noch einmal 

die Hotinung in seinem Herzen auf, die Sehnsucht, wie 

270 



Digitlzca by Goü^lt: 



eine sterbende Flamme aus einem verlöschenden Brande, 
wie das Fanal des Lebens aus dem letzten Herzschlag eines 

Sterbenden. 

Jetzt, jetzt war es soweit. Jetzt schlugen alle Türme 
aus der Stadt hinter dem Walde. Er sah eine Glocke schwin« 
gen in der klaren Luft, oben im Schalloch dnes Kirchturms. 
Und bei jedem dieser dröhnenden Schläge war es ihm, als 
würde ihm langsam, ruckweise, um seine Qual zu ver- 
längern, das Herz aus der Brust gerissen. So, so, jetzt wird 
es bald draußen sein, dachte er. 

- Die Türme schwi^en, es wurde wieder. stüL Und in 
seiner Brust wurde es ganz leer, es war ihm, als wäre darin 

ein großes hohles Loch, als trüge er etwas Totes in sich herum. 

£s kam ihm so vor, als hätte ihm jemand etwas Dumpfes 
in sein Blut gegossen. Davon wurde sein Kopf so schwer, 
davon wurde er so müde. 

Über einem sonnigen Teich, der durch die Bäume der 
Anlagen herüberschimmerte, zeigten sich einige Rauch- 
wolken aus dem Schornstein des Badehauses. Sie verflogen 
im Wind. Er sah ihnen teilnahmlos nach, wie sie im Lichte 
zergingen. Ein paar Stimmen wurden hinter den Büschen 
laut. Ein paar Kindermädchen kamen, die die Kinderwagen 
vor sich herschoben. 

Sie setzten sich ihm gegenüber auf die Bank im Rondell, 
sie hoben die Kinder aus dem Wagen, die sogleich über 
einen Sandhaufen purzelten. 

Da stand er auf und ging fort, langsam, gedankenlos. 

Er kam wieder an den Strand herunter. Er ging wieder 
durch die Strandkörbe. Da saßen noch die alten Damen 
mit ihren Büchern, da stand der Photograph vor einer 
Gruppe von Menschen. Er mußte wohl einen Witz gemacht 
haben, denn alle hatten lachende Gesichter. 

271 



Digitlzca b 



Er wurde von seiner Leidenschaft nach dem Strandkorbe 
hinübergetrieben, in dem er am Mittag den Kuß bekommen 
hatte, wie ein kleines Schiff, das der Sturm erbarmusigplos 

auf einen Felsen jagt. 

Vielleicht saß sie darin. Das war seine letzte Hoffnung. 
Er schlich sich vorsichtig zwischen den Strandkörben durch, 
immer näher. Und die rote Fahne schien ihn von dem 
Dache heranzuwinken. 

Nun war er ganz nahe. Eine ungewisse Angst hieß ihn 
stehenbleiben. Da hörte er ihre Stimme. Sie lachte. Und 
nun wieder eine andere Stimme, das war eine Knabenstinune. 

Er schlich vorsichtig weiter in einem Bogen herum* Er 
warf sich in den Sand und kroch auf allen vieren vorwärts» 
Als er so weit war, daß er sie sehen konnte, legte er sich 
hinter einen Sandhügel und hol;» den Kopf etwas über den 
Rand herauf. 

Da saß sie auf dem Schoß eines Jungen. Der Junge bog 
ihren Kopf herunter, gab ihr einen Kuß, dann ließ er ilm 
los« Seine Hand griff nach ihrem Bein, und fuhr langsam 
daran hinauf. Und sie lehnte sich an die Schulter des 
Jungen, weit zurück. 

Der kleine Junge zog seinen Kopf wieder zurück und 
kroch davon, mechanisch ^ Bein hinter dem andern, eine 
Hand hinter der andern. 

Er empfand eigentlich nichts, keinen Schmerz, keine Qual. 
Er hatte nur den einzigen Wunsch, sich zu verstecken, 
irgendwo hinkriechen und dann ganz stilliegen, irgendwo 
sich einen kleinen Fleck suchen im Strandhafer. 

Als er weit genug war, erhob er sich aus dem Sand, ging 
er fort. 

Auf seinem Wege traf er einen Schulkameraden, er ver- 
kroch sich hinter einem Zelt vor ihm. Von rechts kam 

272 



Digitizca by Google 



seine Mutter und rief ilm herüber» Er tat» als hätte er nichte 
gehört. Er begann zu laufen, über die Strandk6rbe und 
über die Menschen hinaus. Und bei seinem Laufen kam ihm 
plötzlich der Gedanke, daß er heute schon einmal so gelaufen 
war, mittags, als er so glücklich gewesen war. 

Da übermannte ihn die QuaL Er rettete sich schnell die 
Oüxxen herauf. Oben warf er sich hin» das Gesicht in den 
Halmen. Der Strandhafer nickte über seinem Kopf wie ein 

Wald, ein paar Libellen kamen summend durch die Halme. 

Und das war das erstemal im Leben des Knaben, daß er 
an einem Tage den Becher der Seligkeit und den der Qual 
trank, er, der verurteilt war, noch oft von den Extremen 
der tiefsten Qualen und des wildesten Glückes erschüttert 
zu werden, wie ein kostbares Gef äß, das durch viele glühende 
Flammen gewandert sein mnO» ohne zu zerspringen. 



18 



273 



DER DIEB 



Motto: Aus sots je pr^före les fouz 

Dont je suis, chose, helas! certaine« 

Baudelaire. 

„Gott, ich schwöre dir, Ich werde ddnen Willen tun. 

Denn du bist der Herr, Herr, und ich bin dein Werkzeug 
für und für, von nun an bis in Ewigkeit. Amen. Das heißt» 
ja, ja, es soU also geschehen. Ich hahe dich auf den Knien 
gebeten, du weißt es, Nacht für Nacht, hier in dem Gethsemane 
dieser Dachstube: ist es möglich, Herr, so lasse diesen Kelch 
an mir ▼orübergehen. Aber nicht mein, sondern dein Wille 
geschehe. Und nun will ich mich gürten und ausfahren, wie 
weiland Elia gegen die falschen Priester, oder wie Mose, 
der gegen den Reigen der Tänzer anschritt. Nicht eine mehr 
dieser Nächte, Herr, sonst bringst du mich um meinen Ver- 
stand, und ich brauche ihn, denn du hast ein großes Werk 
auf meine Schultern gelegt." 

Er fiel nieder und verheugte sich Tor dem Engel des 
Herrn, der hinter dem Ofen stand, da, wo der Paletot hing, 
dort, wo er jetzt immer zu erscheinen pflegte. 

Dann stand er auf, nahm das Paket und ging. 

Er wußte nicht, wie es angefangen hatte. Seit einigen 
Jahren hatte er sich von seinen Freunden zurückgezogen 
in einem Anfall plötzlichen Ekels. Er war bald vergessen 
worden. Seine Freunde wußten nichts mehr von seinem 
Leben. Sah ihn zufällig mal einer im Vorübergehen, so 
erkannte er ihn nicht mehr. 

Er hatte seine Zeit mit allerlei Studien verbracht, um die 
Qualen seiner Melancholie zu heilen. Er war der Reihe 
nach Biologe, Astronom, Archäologe gewesen, alles hatte 
er wieder fallen lassen. Nichts hatte ihn befriedigt. Alles 

274 



Digmzca Ly Gt^^^.' 



hatte Ilm nur mit größerer Leere erfüllt. Und nun lebte er 
in einer großen Pension, vergraben in sein kleines Mansarden« 

2dmmer, einsam, von niemand gekannt, einer unter den 
vielen Einsamen dieser großen Stadt. 

Die Abende verbrachte er damit, daß er in den Tiefen 
seines Lehnstuhles dem schwindenden Lichte nachsah und 
den Schiffen der Wolken, die sommers mit ihrem rötlichen 
Kiel nach Westen reisen auf ^der Fahrt nach' neuen, ge- 
heimnisvollen Ländern. Oder im Spätsommer, wenn die 
Tage des Nordwestwindes beginnen mit den großen und 
seltsamen Gebilden am Himmel, damit, daß er den hinam« 
laschen Tieren, die der Herbst über die grünen Weiden 
sandte, zusah, den großen Walüschen, den riesigen Dro- 
medaren und dem Geschwader unzähliger kleiner Fische, 
die über den Ozeanen des Himmels im unendlichen Blauen 
verschwanden. 

Über alle merkwürdigen Erscheinungen machte er sich 
Aufzeichnungen. So sah er einmal vor einem weinroten 

Grunde den Teufel über einem Haufen von schwarzen Lei- 
bern, die ihn anbeteten; ein andermal sah er eine ungeheure 
Fledermaus, die mit ausgespannten Flügeln an den Himmel 
angeschlagen zu sein schien, wie sie von den Bauern an die 
Türen der Scheunen genagelt wird, oder einen riesigen Drei- 
master, oder Bäume auf Bergen, oder gewaltige Löwen, un- 
geheuere Schlangen, die um die Schultern- des Himmels 
gelegt waren, oder einen riesigen Mönch in einer schleppen- 
den Soutane, oder Männer mit seltsamen langen Profilen, 
und einmal einen feurigen Engel, der mit einer großen Fackel 
über die Treppen des Äthers stieg. 

Manchmal war alles erfüllt mit einer seltsamen, fast un- 
hdrbaren Musik, wie das Brausen der Ozeane in der Dunkel- 
heit endloser Grotten und unterirdischer Dome. 

18* 27s 



Die Wolken waren sein letztes Studium gewesen, die 
letzte Verlockung, das gefährlichste Werk des Teufels. 

Eines Abends hatte er das Buch verbrannt, und wenn 
er nun den Sturm hörte, der abends den piupurnen Buzen- 
taur einer Wolke über den Horizont trieb, dann schlofi er 
die Läden, verhängte sie innen noch mit schwarzen Tüchern 
und versenkte sich ganz in das Dunkel und in das Schweigen. 

Und damals hatten die Stimmen angefang^i, von fem 
ans einem Winkel, wie aus Röhren herauf, gedämpft und 
müde wie die Klagen der Toten, die unten in den Adern 
der Erde herumschwimmen. 

Er hatte sie in den ersten Wochen nicht verstanden, aber 
allmählich lernte er ihre Sprache, je mehr die Stimmen 
über ihn Macht gewannen. Und nachdem er einmal vier 
Tage gefastet und vier Nächte gewacht hatte, war ihm die 
erste Erscheinung zuteil geworden, und da zum ersten Male 
hatte er jenes Gefühl unendlicher Seligkeit und unermeß- 
licher Qualen empfunden. 

Langsam, wie Christus, der zwei Jahre in den Schrecken 
der Wüste ausharren mußte, war er auf seine große Fahrt 
vorbereitet worden« Welche Leiden, welche Schrecken, 
welche schlaflosen Nächte, aber auch welche Hoffnungen, 
welche Ekstasen, welche Visionen. Nachdem sein Leib sich 
ganz des Fleisches entwöhnt hatte und nachdem endlich 
der letzte Rest animalischer Stoffe aus seinem Blute ge- 
läutert war, erfuhr er endlich in einer Nacht von einer 
Stimme, die über dem Meere aufging wie ein Gedonner, 
seine Botschaft. 

Ja, das Weib war das ursprüngliche Böse. Christi Werk 
war umsonst gewesen. Denn wie sollte er die Menschen 
erlöst haben, wenn sie immer wieder zurückfallen mußten 
in die Sünde aus Notwendigkeit, wie ein Stein zurückfällt, 

27Ö 



Digiiizca by Google 



und wäre er bis über die Wolken geschleudert worden« 

Wahrhaftig gUchen sie den armseligen Fliegen» die aus 
einem Honigtopfe heraus wollen, sie zappeln und krabbeln, 
aber sie kommen nicht weit, sie müssen immer wieder 
herunter unten in die Sünde, in das Süße. Und er las laut 
bei Markus im fünfzehnten Kapitel am 34, Vers: 

„Und um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach: 
Eli, Eli, Lama Asabtani. Das ist verdolmetscht: mein 
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?'^ 
Vers 37: „Aber Jesus schrie laut und verschied 
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen/* Das also 
war das letzte Wort Christi gewesen, und damit begrub er 
seine ganze Herrlichkeit Im Grauen des Todes hatte er die 
letzte Wahrheit erkannt. Sein V^erk war umsonst gewesen, 
sein Einzug in Jerusalem, seine blutige Geißelung, seine 
Schmerzen, der Leidensweg und die langen Stunden am 
dunkeln Holz. Gott hatte ihn verlassen, und sein Werk 
war umsonst gewesen. 

Und das Dunkelwerden des Himmels, das Zerreißen des 
Tempelvorhanges, das Heraufkommen der Toten aus den 
Gräbern, es war nichts gewesen als die armseligen Requi- 
siten einer schlechten und sinnlosen Komödie. 
Ja, und „er schrie laut auf und verschied*^ 
Und er las weiter das 17. Kapitel der Offenbarung Jo- 
hannis: 

1. „Und es kam einer von den stehen Engeln, die die 
siehen Schalen hatten, redete mit mir, und sprach zu 
mir: ich will dir zeigen das Urteil der großen Hure, die da 
auf vielen Wassern sitzet. 

2. Mit welcher gehuret hahen die Könige auf Erden, 
und die da wohnen auf Erden, trunken geworden von dem 
Wein ihrer Hureret. 

«77 



Diguizca by Gu..- . «v. 



3. Und er brachte mich im Geist in die Wüste« Und 

ich sähe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, ' 
das war yoU Namen der Lästerung und hatte sieben 
Hftupter und zehn Hdmer. 

4. Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und 
Rosiniarbe; und übergoldet mit Golde und Edelgesteiiien ^ 
und Perlen; und hatte einen goldenen Becher in der Hand 
▼oll Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei. 

8. Das Tier, das du gesehen liast, ist gewesen und ist 
nichts und wird wiederkommen aus dem Abgrund, und 
wird fahren in die Verdammnis, und werden sich ver- | 
wundern, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht ge- 
schrieben steht in dem Buche des Lebens vom Anfang der 
Welt, wenn sie sehen das Tier, das gewesen ist, und 
nicht ist, wie wohl es doch ist.^' 

„Das Tier, das gewesen ist, und nicht ist, wie wohl es doch 
ist'' Und der Tiefsinn dieser Worte machte ihn erschrecken. 

Er sah vor sich den Hals des teuflischen Tieres in schreck- 
licher Traurigkeit, und über seinen Hörnern hängend das 
Gesicht des Weibes, über ihrer Stirn das Siegi^ des 
Todes, und um ihren Mund ein furchtbares und herzzer- 
reißendes Lächeln wie den Widerschein des höllischen Ab- | 
grundes. * 

So muBte also alles noch einmal getan werden, denn das 
Tier war noch nicht bezwungen. 

Das Übel mußte bei der Wurzel gq>ackt werdm. 

Adam war gut, solange er allein war, aber als Satan sich ' 
in den Traum Gottes schlich und ihn das Weib schaffen 
hieß, war die Stunde der Sünde schon in die Zukunft der 
Geschlechter gesetzt. Wann der Mann fallen mußte, ob 
durch das erste Weib oder erst durch ihre Töchter, war nicht ' 
bestimmt; daß er fallen mußte, war gewiß. ' 

278 



Digitizcü by G<.j..' ..v. 



Und an dem Weibe war der Messias vorübergegangen« 
I>anim hatte ihn Gott in der letzten Stunde verlassen. 

Ein Symbol gab es; da versammelten sich die Weiber 
immer, oder ste gingen auch nur an ihm vorüber und sogen 
aus ihm eine neue Kraft, wie die Schlangen, die manchmal 
in ihre geheimnisvollen, unterirdischen Städte zurückkehren, 
um sich neue Gifte zu holen. 

Und dieses Symbol hing da, die Straße hinunter, zwei 
Straßen weiter, in seinem Tempel, und alles andere, was 
da noch aufgehfingt war, war nur da, um das Zeichen zu 

verstecken und den Männern das Geheimnis zu verbergen. 
Ja, ja, darum lachten die Frauen auch immer so, wenn 
sie ihre Regenschirme in der Garderobe abgaben. Gott 
hatte es ihm selber gesagt. 

Das erstemal. hatte er sie in den Stunden des Vormittags 
besucht, wo sie von den vielen umringt war, die alle ihre 
Herzen auf dem Altar der Teufelin opfern wollten« Da 
konnte sie auf ihn nicht so aufpassen, ihren Feind nicht 
^eich herauskennen. Und so konnte er sich langsam an 
ihre Augen gewöhnen. Jeden Tag blieb er etwas länger, 
jeden Tag wurde er geduldiger und kräftigte sich mehr 
für den letzten Kampf mit dem Drachen, gleich jenem 
Mithridates, der täglich gröfiere Dosen der Gifte nahm, 
um sein Blut abzuhärten. 

Im Anfang hatte er noch die mannigfachen Schutzmittel 
gegen den bösen Blick angewendet, dafi er bdim Betreten 
des Saales den Daumen der linken Hand durch Zeige- 
und Mittelfinger steckte oder daß er einen silbernen Phallus 
bei sich trug. Aber allmählich konnte er ihrer entbehren 
und dem Weib ohne Gefahr in die Augen schauen. 

Und eines Tages hatte sie gemerkt, wen sie vor sich 
hatte. Über ihr Gesicht war es plötzlich gelaufen wie der 

«79 



Digitizcü by G«.j..' .iv. 



weiBe Schatten der Erkenntnis* Einen Augenblick hatte 

sie sich abgewendet, aber dann hatte sie den Kampf mit 
ihm aufgenommen« Durch alle die Menschen hindurch 
hatte sie nur ihn angesehen in seiner Ecke. Ihre Augen 
waren sich im Räume begegnet wie zwei Dolche, die inein- 
anderfahien, oder wie zwei groBe Schliinde eines leeren 
Weltalls, die einander auffressen wollen. Wer wird den 
andern verschlingen, welche Ewigkeit wird größer sein, 
die andere zu verzehren? 

Wer hier siegte» hatte den letzten Sieg erfochten» er hatte 
keinen Feind mehr, und rings um den Sieger waren ent- 
weder die unermeßliche Helle des Lichtes und die Choräle 
der Sonnen oder schwarze Hinunel voll trostlosem Schwei* 
gen und über Haufen von Särgen der schwarze Thron j 
Belials und die riesigen Fahnen der Hölle. 

Und so kämpfte er im vollen Saale die erste Schlacht» 
den ersten stummen Kampf, niemand sah ihn» niemand 
beachtete ihn, niemand bewunderte ihn. Von diesen er- 
bärmlichen Narren wußte niemand» was hier getan wurde» 
was hier geschah imd welche Schicksale der Menschheit 

auf diesem furchtbaren blutlosen Schlachtfelde entschieden 
wurden. Hätte er Zeit gehabt im Kampfe, er hätte sie ! 
alle zum Tempel hinausgetrieben» diese Wucherer und 
Götzendiener. Aber er durfte sich nicht fortwenden. 

Die Augen begannen ihn zu schmerzen» er sah das Weib 
nur noch wie durch ein rotes Feuer» ihm war» ab sollte er 
umsinken. Er mußte sich auf einen Stuhl stützen» aber • 
hielt aus. 

Und langsam kam ihm das Gefühl» daß er siegen würde* 
Ihre Augen waren nicht mehr so hart, nicht mehr so groß, 
nicht mehr so siegesgewiß. £s ging wie ein Schatten über 
ihre Stirn» und er sah» wie sie müde wurde und langsam 

280 



Digitizca by Liu..-,. .1^ 



nachließ. Sie schien allmählich aus dem Vordergründe zu 
'verschwindcHi ihre Umrisse wurden dunkel» ihr Gesicht 
wurde kleiner« Und es war ihm, als tauchte sie in die 
geheimnisvolle Landschaft hinter ihr zurück wie in den 
Schleier eines grünen und stillen Wassers. 

Und auf einmal war sie nur die gewöhnliche Monna 
I^xsa Gioconda, an der täglich die Horden der Engländer 
und Amerikaner wie eine Herde Schweine vorübergetrieben 
wurden. 

Die erste Schlacht des himmlischen Krieges war ge- 
wonnen. Er fiel in einen Sessel. 

Später im Fortgehen drehte er sich von der Tür aus 
noch einmal nach ihr um. Ihre Augen begegneten sich 
ein letztes Mal, und er fing einen Blick auf, der spöttisch 
sein sollte, aber nur wie eine dünne Schicht über Meeren 
der Wut stand« Und noch einmal zwang er sie und scheuchte 
sie zurück in ihre felsige Eindde. Als er durch die Tür 
ging, wußte er, daß sie ihm nachsah, imd er hatte das 
Gefühl, als ob ein Meuchelmörder hinter seinem Rücken 
stände. Aber er stach nicht zu» er hatte den Mut verloren. 

Er war draußen im Glanz der Straßen, und er mußte 
an sich halten, sonst hätte er getanzt und gesungen und 
seine Glückseligkeit in die dänmiemde Hitze des Himmels 
geschrien. 

Am Nachmittag belustigte er sich damit, aus seinem 
Fenster zu liegen und den Menschen unten zuzusehen* 

Dabei aß er eine Tüte Pflaumen und warf die Kerne nach 
den winzigen Köpfen der Leute. Wenn sie wüßten, 
dachte er dabei, diese verdammten Spießbürger, wenn 
diese Idioten doch wüßten, und sein struppiger Vollbart 
wurde von einem lauten Lachen geschüttelt. 
Von da an begann er seine Feindin auch in Stunden zu. 

28x . 



Digitizca by Liu..- . «v. 



besuchen, wo es leer im Louvre war, wenn die Bilder aus 

dem Schlafe des Tages erwachen, gegen Abend, in den ge- 
heimnisvollen Stunden, wo das licht den Nachmittag Ter- | 
l&ßt und in dem Halbdunkel der verlassenen Säle jeder 

Kopf in dem Gefängnis seines Rahmens tiefer und fremder 
wird. 

Er hatte die Gewohnheit angenommen, sie von fem zu 

belauschen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, und dann 
erst pflegte er vorzutreten. 

Niemals war sie so schön, als wenn die Feuer der unter- 
gehenden Sonne im Staube des Zimmers zitternd auf ihrer 
Stirn lagen und ihre dunklen Haare zu leuchten begannen 
wie von eigenem Licht. Dann schien sie aus dem dunklen 
Hintergrunde herauszuwachsen. Fleisch zu werden und sich 
in dem Lichte ihrer eigenen Schamlosigkeit zu sonnen« 
Vielleicht war das gerade die Stunde gewesen, in der die 
Seele jenes verworfenen Künstlers dereinst dem Teufel 
offen gestanden hatte, sie zu empfangen. Denn auf ihrem 
Gesicht lag es manchmal wie die Erimierung an eine ferne, j 
I entlegene Stunde voll geheinmisvoller Wollust. 

Ja, jeder andere wäre auf sie hineingefallen, und manch- 
mal wäre auch er schwach geworden, aber dann rief er 
im Geiste zu dem Herrn, und der Herr füllte sein Herz 
mit. Haß und himmlischem Zorne. ! 

Und dann trat er vor. Er fühlte ihr Erschrecken, er • 
sah, wie ihr kalt wurde und wie der Widerwillen vor ihm 
auf ihre Stirn trat. Und dann begann wieder der Kampf. 
Lautlos und stumm, Tag um Tag. Manchmal glaubte er 
schon, sie so weit zu haben, daß sie den Kampf gar nicht 
mehr aufzunehmen wagte. Sie hing dann in ihrem Rahmen 
wie ein gewöhnliches Bild, ihre Augen waren ohne Licht, 
^ über ihr lag es wie ein tiefer Dunst von Wehmut und 



282 



Digmzca by LiOü 




Reue. Dann hatte er Mitleid mit ihr, er quälte sie nicht 
mehr. £r betrachtete sie daxm mit den Augen eines Arztes» 
der gekomtnen war, sie zu retten. Man würde einen grofien 
Schnitt machen müssen, ohne Zweifel eine Operation auf 
Tod und Leben, man würde sie blenden müssen, aber 
wenn sie dabei drauf ging, vielleicht fand sie Gnade vor 
Gott; man muBte sie wenigstens zur Buße zwingen, denn 
es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der 
Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße 
nicht bedürfen. 

Aber auf einmal lachte sie wieder, und er mußte sehen, 
'daß sie ihn nur yerhdhnt hatte, daß alles nur freche Ver- 
stellung gewesen war. 

Die Wärter achteten nicht mehr auf ihn. 

Sie machten über den Verrückten Witze, und sonst 
kümmerten sie sich nicht sonderlich um ihn. Er begrüßte 
sie immer sehr höflich, und ab und zu bekamen sie ein 
gutes Trinkgeld, wenn er länger bleiben wollte, als es das 
Reglement zuließ. Dann ließ ihn einer der Wärter zu einer 
Hintertür hinaus. 

Im August gab es mehrere Selbstmorde junger Leute. 
Die Zeitungen gaben in allen Fällen Liebeskummer als 
MottT an. Offenbar hatte Gott das gelesen* Denn er nahm 
das zum Anlaß, energischer vorzugehen. 

Der Engel, der die himmlischen Botschaften zu yer- 
mitteln pflegte, hatte ihm seit mehreren Tagen schon an- 
gedeutet, daß die Stunde der Tat nahe sei, und heute sagte 
er ihm, daß der 17. August von dem himmlischen Rat fest- 
gesetzt sei. 

Er war einen Tag lang nicht hingegangen, um sie un- 
ruhig zu machen, um durch den Stoß, den er gegen ihre 
Gewohnheit führte, ihre Gedanken zu verwirren. Er be- 

283 



Digiiizca b 



folgte eine gute Taktik, wenigstens yersuchte er, sich das 

einzureden. In Wirklichkeit war mit einem Male über ihn 
die Angst hergefaUeUi nachdem ihm der Engel die Bot- 
schaft gebracht hatte. Er war aus seiner Wohnung fort* 
gelaufen, um unter Menschen zu kommen, er wollte sicli 
vor Gott verstecken. Aber Gott war hinter ihm her. Überall 
sah er ihn zwischen den Omnibussen» unter den Menschen» 
Überall, wo er hinlief, auf den Schildern der Häuser, auf 
den Straßenbahnen, fortwährend traf er die Zahl 17, gerade 
die, die er so gern aus allen Zahlen herausgestrichen hätte. 
Er war sicher, wenn er die Augen hob, er würde eine 27 
sehen, und er sah sie. 

Er hörte hinter sich ein paar al^erissene Worte eines 
Gespräches: „Wenn der Trompeter aus dem Tore heraus- 
tritt^S >»aber das wäre ja schon morgen'', „ach ja, morgen 
ist ja der 17.'* 

Damit war es entschieden* Der liebe Gott schickte seine 
Polizisten ihm überall nach, er würde ihm doch nicht 
entgehen können. Die Worte fielen ihm ein: „Und käme 
ich ans äußerste Meer, so wärest du doch da.'^ Ja, man 
konnte sich vor Gottes Angesicht nirgends verstecken, es 
sei denn, man kröche in die feurige Kehle Satans. 

Das mit der Trompete war deutlich eine Anspielung 
auf das Jüngste Gericht und die Strafe, die seinem Unge- 
horsam bestimmt war. Und er kehrte um und ergab sich 
seinem Schicksal. 

Den Nachmittag, die Nacht und den Morgen verbrachte 
er in Gebeten. Er lag vor Gott im Staube, er demütigte 
sich, er riß seine ganze Seele auseinander und ließ Gott 
hineinströmen wie einen Rauch, wie ein Fluidum. Um 
Mitternacht erlosch seine Lampe. Er betete im Dunkel 
weiter. Und auf den Spitzen seiner Hände, die er im 

284 



Digitized by Cvj.' ..^ 



Dunkel schwang, erglänzte ein schwaches blaues Licht wie 
ein Sankt Elmsfeuer, als führe die Kraft Gottes wie ein 

Strom in ihn hinein, ihn mit Entzücken zu erfüllen. 

Wie ein Krieger schwoll er yor Stärke» er hätte eine 
glänze Stadt hypnotisieren kdnnen, er hätte die nächtlichen 
Horizonte vor sich auf ihre schwarzen Knie zwingen 
können, imd den dunkeln Ozean hätte er wie einen riesigen 
stürmenden Mantel hinter sich hergezogen, wenn er von 
hier gegangen wäre. 

Je mehr er sich Gott unterwarf, um so feuriger wurde 
sein Verlangen, sich mit den Fürsten der Hölle, den Beelze- 
bub und riesigen Leviatanen des Abgrundes zu messen* 
Denn natürlich, auch sie trafen ihre Vorbereitungen. 

Vielleicht lauerten sie schon zu Hunderttausenden hinter 
dem Bilde, Tielleicht hatten sie durch die rätselhaften Berge 
in dem Rücken der Göttin ungeheuere Stollen herauf- 
gebohrt, in denen sie saßen in feurigen Harnischen, über 
ihn herzufallen, wenn er das Bild anfassen wollte. Dann 
würden die Heerscharen der Hölle mit Geschrei, Gestank, 
Nacht und Flammen henrorbrechen, die Kohorten des Sa- 
tans, die kamen, ihn, das Louvre, Paris, Frankreich, die 
Welt, alles zu verbrennen und zu verschlingen. 

Und morgen um diese Zeit würde hier vielleicht wieder 
das Chaos sein, sternlose Himmel, und ein großer ge- 
sättigter Drache würde auf der Spitze seines Schwanzes 
über den Flammen tanzen. 

Und nun war die Stunde gekommen. 

Es gab keinen Weg mehr zurück. 
• Gott hatte gesprochen. 

Er stand unten an der Tür, seine Knie zitterten so 
furchtbar, er war so wenig Herr seiner Nerven, daß er sich 
an die Mauer lehnen mußte. 

285 



Digiiizca b 



Um alles noch eintnal zu überdenken, um sich zu be^ 

ruhigen, wollte er erst noch etwas Spazierengehen. Und 
so verlor er sich durch ein paar Straßen voll Menschen. 
Aber es gelang ihm nicht, unterzutauchen. Denn in ihrer 
Fülle, in ihrer Ziellosigkeit und Vergänglichkeit strahlte 
seine Größe und Einsamkeit immer heraus gleich dem 
Feuer einer ewigen Lampe oder gleich dem Schritt eines 
unsichtbaren Gottes, der durch die Straßen der Städte 
wandert. Manche Leute sahen ihn an. Sie schienen sich 
über ihn zu wundem« Aber er hatte seine Augen unter 
einer großen Brille Terborgen, um ihren Glanz nicht zu 
verraten. Seine Lippen bewegten sich in Gebeten. Die 
ausgefransten Schöße seines schwarzen Rockes flogen hinter 
ihm her, und sein großer Hut rutschte ihm bei jedena 
Schritt mehr in die Stirn. Als er einen Straßendamm 
kreuzte, sah ihm ein Schutzmann nach. 

Unten an der Seine schon sollte die Schlacht beginnen, 
denn die Hölle hatte ihre Vorposten weit vorgeschoben. 
Ein Mann sägte Äste von einem Baume ab, einer fiel ihm 
gerade auf den Kopf« Er sah hinauf, und da sah er den 
ganzen Himmel mit Dämonen erfüllt, Hundert und aber 
Hundert reitend auf roten Wolken, Teufel mit einem 
großen Horn auf der Stirn, andere mit Posaunen, gewaltige 
Rosse bäumten sich in den Himmel, riesige Lanzen wurden 
geschwungen, und ein gewaltiger Schrei erfüllte den nord- 
westlichen Himmel weit über das Dach des Louvre hinaus. 
Das Blut schwand ihm aus dem Gesicht. Trotz der Hitze 
des Nachmittags überfiel seinen Leib eine schreckliche 
Kälte. Seine Adern waren wie verschrtunpfte Wurzeln, 
und sein Gehirn drehte sich wie ein Kreisel in der Enge 
seines Schädels herum. 

In seiner Angst begann er laut zu beten. Ein paar 

2ß6 



Digitizca by Liu..-^, 



Kinder, die auf der Straße spielten» liefen iainter ihm her« 
£r texsuchte, seine Selbstbeherrschung zurückanigewihnen» 
trat an eine Selterbude, verlangte eine Limonade. Dann 
setzte er ruhig und gefaßt seinen Weg fort. Die Kinder 
Terloren sich* 

Das war seine letzte Schwäche gewesen, von nun an 
war Gott bei ihm. 

Er trat in den Louvre ein mit seinem Paket unter dem 
Arm. Der Portier begrüßte ihn, er gab ihm ein Trinkgeld. 
Oben in den Sälen war es schon leer, und nur das bedrückende 
Schweigen all der Bilder war in den dämmernden Sälen 
wie von Leuten, die über jemand gesprochen haben. Er 
kam heran, sie wurden plötzlich stumm. Aber die bösen 
Gespräche dieser niederen Teufel, dieser Schatten imd Toten 
schienen noch in dem Raum zu schwingen und in seinen 
Ohren fortzuklingen. 

Ein Wärter schlief auf einem Stuhl im Zwielicht. Als 
er Schritte hörte» erwachte er; er sah nach der Uhr» es war 
Zeit, zu schließen. 

Der Irre trat zu ihm, gab ihm ein Fünffrankenstück und 
sagte ihm» er sollte ihn in zwei Stunden holen imd ihn 
hinauslassen. Der Wirter nahm das Trinkgeld und ging 
laut gähnend davon. 

Nun war er ganz allein» ein Einsamer auf den ent- 
legensten Vorgebirgen des Lebens, imter den Schrecken der 
letzten und unsichtbaren Geheimnisse. All die toten Augen 
der Menschen entschwundener Jahrhunderte sahen ihn 
hochmütig aus dem Dunkel ihrer Rahmen an» als er an 

ihnen vorüberging. Und hinten hörte er immer ein Rascheln 
imd Wispern, als warteten sie nur» bis er vorbei wäre, un^ 
sich über ihn lustig zu machen. In allen Ecken schien 
jemand auf ihn zu warten, etwas Großes und Dunkles» 

287 



Digitizca by 



I 



und wenn er herankanii ging es. davon^ ihm voraus. Kr 
hörte einen Schritt hinter sich, 'was war das? Er bliet> 
stehen. Die Schritte' yerstummten. Er ging weüer, es wajr | 
wieder da. Plötzlich merkte er, daß es i^ur der ierne Wider- 
hall seiner eigenen Schritte gewesen war. 

Es wurde dunkler, '^atn HinunelT"*^ Sehlen -fätti Gewitter 
heraufzuziehen. Ein gewaltiges Brausen erfüllte draußen i 
die Luft. Und vor einem der Fenster tgUib. obpja^ ein Haufe 
Blätter und Staub vorbei. Fem irgendwo in den Sälen 
erhob sich ein Säuseln, der Wind hätte sich irgendwo herein- 
gefunden, es war wie ein Winunem» und das B\at in den 
Adern erstarrte ihm vor Entsetzen. 

Hinter dem Eingang zu dem Zimmer der Gioconda 
stand ein großer Sessel. Er ließ si(:|i auf die Hände hin- 
unter, und so kroch er auf allen vieren wie ein Tier durch ^ 
den Vorraum, schnell durch die Tür, und verbarg sich 
hinter der breiten Lehne des Sessels. > 

Er hatte allen Mut verloren, tmd die Furcht schüttelte | 
ihn hin und her mit ihrer riesigen Faust. Am liebsten wäre 
er umgekehrt. Aber wenn er jetzt schwach war, fielen die i 
Teufel sicher über ihn her, in zwei Sekunden war ihm der 
Hals umgedreht. Er blieb hier liegen wie ein ausgeleerter 
Sack, und die Menschen mußten wieder Jahrtausende auf j 
die Erlösung warten. Er versuchte, zu überlegen, er wollte 
sich aus den Fingern der Angst befreien. Er gab sich Mühe» 
sich zu beherrschen. Er versuchte, an irgend etwas Gleich- 
gültiges zu denken. Er zählte die Fransen des Sessels, er 
begann zu beten, und endlich, da niemand kam, begann 
sich seine Erregung zu verlieren. ,,Dein Wille geschehe** 
— sagte er noch einmal leise, und dann steckte er vor- ^ 
sichtig seinen Kopf hinter dem Sessel hervor. 

Und da hing sie. 

288 I 



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.... ' t . 

. • . 

Sie sah ihh, sie blieb ruhig, sie erschrak nicht einmal. 
Sie war also schon benachrichtigt^ vielleicht hatte sie ihn 
sclion hereinkriechen sehen« 

In dem Dunkel des wolkenverhangenen Himmels schien 

[ ihr Gesucht dreifach zu leuchten vor Lüge und Bosheit. 

I Woran lag mjixa^jSii^ ,^%so bode aussah? Es >mr doch 
kaum eine Falte *in ihrem Geweht. Doch war es schreck- 

i lieber anzusehen, als wenn es ganz von den Runzeln der 
Wut zerrinn gewesen wäre^ Und plötzlich konnte er sie 

! sAnz ruhig betrachten^ Er mafi sie ab von ihrer reinen 
Stirn, die unter einem Heiligenschein zu leuchten schien, 

, bis herab an ihre Häad^, d|e von, jedem Laster der Un- 
zucht, von jedem Verralt, vom* Spiel mit spitzigen Dolchen 

! . und vom Mischen weißer, unschuldiger Gifte wußten. Er 
untersuchte ihr Gesicht/ Er wollte heraushaben, wo eigent- 
lich ihre Gemeinheit saß, aber er bekam keine Antwort. 
Er erhob sich hinter seinem Sessel und wartete. Ihm war, 
als zitterten ihre Lippen von leisen Worten gleich Schmet- 
terlingen über einer abendlichen Wiese. 

Teufel, sie war sehr schön in ihrer Verworfenheit. 
War sie stumm, sprach sie? Oh, er hätte sich bessere 
Ohren gewünscht, um alle ihre Gemeinheiten erfahren zu 
können, und sie dann mit doppelter Gerechtigkeit zu ver- 
dämmen. 

Welche Weisheiten des Abgrimdes, welche Gedanken 
der Hölle mochten hinter ihrer Stirn wohnen. In welche 
Tiefen hätte man geschaut, wenn man die silberne Pforte 

^ dieser Schläfe aufgestoßen hätte. O Gott. 

I Und die Stille liefi das Blut in seinem Kopfe brausen, 
er hörte es wie ein unterirdisches Wasser an seinen Ohren 

^ vorbeirauschen in der weiten Stille dieser Säle, in der 

^ vielleicht noch einige Worte aus jenem Munde verzit« 

[ 19 289 



Digiiizca by Liu^.' . 



terten, wie TropfeUi die In dn rilbernes Becken gefallen 

sind. 

Ein Schatten Uef über ihr Gesicht wie eine Trauer. Ihr 
Mund schien sich zu schliefien, und sie schwieg. 

Aber das Schweigen, das von ihr ausging, war wie ein 
ewiger Gang» wie das Brausen femer blauer und unermeß- 
licher Meere. 

Der Sturm draußen war vorüber. Nur ab und zu ging^ 
noch ein verlorener Windstoß in den hohen Bäumen. Die 
Abendsonne warf eine feurige Fackel herein, und die tiefen 
lombardischen Farben des Bildnisses belebten sich in Purpur, 
das Gewand rauschte und flammte auf, das rote Licht gin£^ 
über ihr Gesicht herauf und verfing sich in den goldigen 
Netzen ihres leisen Gelächters. Und langsam schien sie 
sich in der Dämmerung aufzulösen wie ein Duft, wie ein 
Hauch» die Berge hinter ihr, ihre Stirn, ihre Haare, alles 
wollte langsam in blauen Schatten vergehen, aber ihr 
Lächeln blieb schwimmend im Licht, leise wie der silberne 
Schall einer höllischen Harfe, ihr Lächeln wie der tiefe 
und goldene Abglanz der Küsse Arimans, das grofie In- 
siegel Satans, das das Feuer seiner Umarmungen für ewig 
in ihre Lippen gegraben hatte. 

Und nun mußte sie untergehen. Ja, sie mußte, es war 
ihm befohlen. Und schließlich durfte er Gott nicht trotzen. 
Denn Gott hatte ja keinen andern als ihn. 

Sie mußte zerschmettert werden. Ja, Teufel, sie war 
sehr schön. Es half alles nichts, ihre Stunde hatte^ ge- 
schlagen. Und die letzte Schlacht mußte beginnen. 
. Et drehte sich um, kniete sich auf die Erde, holte seine 
Bibel hervor und las noch einmal die Worte der Apo- 
kalypse: 

„Und ich sähe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen 
290 



Digitizca by Liu..- . «v. 



Tiere, das war voll Namen der Lästerung, und hatte 
sieben Häupter und zehn Homer. 

Und das Weib war bekl^det mit Scharlach und Rosin- 
farbe, und übergoldet mit Golde und Edelgesteinen und 
Perlen, und hatte einen goldenen Becher in der Hand 
▼oU Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei.^^ 

Ja, voll Greuels . . . 

Seine haarige graue Mähne war über sein Gesicht ge- 
fallen, seine Brille war ihm Über seine graue Nase ge- 
rutscht, und, wie er da kniete, glich er einem uralten Affen, 
der am Ende seiner dimklen Höhle über seinem Fräße 
hockt. 

Und er las weiter das sechste Kftpitel des Briefes an die 

Hebräer, am vierten Verse: 

„Denn es ist uxunögUch, daß die, so einmal erleuchtet 
sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und 
teilhaftig geworden sind des heiligen Geistes, und ge- 
schmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte 
der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und wiederum ihn 
selbst, den Sohn Gottes, kreuzigen, und für Spott halten, 
daß sie sollten wiederum erneuet werden zur Buße.'' 
Ja, wenn er abfiel, wenn ier, der den Himmel offen 
gesehen hatte, Gott den Gehorsam aufsagte, so machte er 
sich selbst zum Spott und kreuzigte sich selbst, sich, den 
wahren Messias und Boten Gottes. Und er kam unten zu 
liegen, in den tiefsten Abgrund und die Eingeweide der 
Hölle. Da gab es doch keine Wahl. 

Er versteckte das Buch, stand auf, ging noch einmal 
durch alle Säle, alles war leer. 

Er ging zurück, stellte sich noch einmal hinter seinen 
Sessel, sammelte noch einmal alle seine Kraft. 
Würde er siegen, würde er zerrissen werden? Aber er 

19* 



Digiilzca by ^^i^j^.' . 



war ruhig, er hatte keine Furcht mehr. Mochte sie schon 
über ihn herfallen und ihn zerreißen. Ex verbeugte sich 
noch einmal nach dem ob^en Fenster toi Gott, er befahl 
ihm seine Seele, dann ging er langsam vorwärts, bei jedem 
Schritte laut den Beistand des Himmels herabrufend. 

Er kam bis nahe an das Bild« Niemand rührte sich* Er 
sah sich nach allen Seiten um. Nur im Dunkel der Däm- 
merung eines Winkels schien es ZU schwanken wie ein 
riesiger formloser Schatten. 

Er wagte noch nicht, sie zu berühren. Aber er stand 
ihr dicht gegenüber und sah sie an. Er tauchte seine 
Augen zur letzten Schlacht in die ihren. Und sie ant- 
wortete. Die Hölle hatte die Herausforderung angenommen. 

Und da standen sie sich gegenüber, der Irre und das 
Weib, ein zerrissener Sturm imd eine ewige Stille. 

Sein Gesicht war dunkel wie eine sterbende Kerze, aber 
über der Stirn des Weibes stand es wie die fahle Morgen- 
dämmerung einer zeitlosen Ewigkeit. Und während sich 
sein Gesicht fortwährend zu verändern schien, selbst in 
der Starre des Krampfes, wie ein wolkenschwangerer 
Himmel über einem stürmischen Meer, war das ihre wie 
ein Brunnen, darüber viele Schatten und Bilder ziehen, 
aber das Wasser bleibt ewig in Ruhe. 

Es kam nichts. Niemand kam. Und die Zeit ging dahin. 
Endlich mußte etwas getan werden, sonst war es zu spät. 
Alan mußte endlich das letzte tun, sie anfassen. Und in 
der nächsten Sekunde mochte das Dunkel kommen und die 
Erde aufstehen und der Himmel einbrechen, Nachtgeschrei, 
Feuer und Lärm, und der Ozean wie ein rasender Sturm 
über den Abend hinaufsteigen und die Lichter der Sterne 
verlöschen. Vielleicht hielten sie schon ihre Hand über 
ihn. Und er sah noch einmal verstohlen hinauf. 

292 



Digitizcd by Google 



Dann bewegte er seine linke Hand mit gespreizten 
Fingern langsam gegen das Bild vor, während er die Rechte 

zum Kampfe geballt hielt. 

Er berührte ihre Hände^ nichts rührte sich. £r faßte 
ihren Kopf an, nichtSi gar nichts« 

Er berührte sie auch mit der rechten Hand, niemand 
rührte sich, alles blieb still, alles blieb dunkel. 

Da faßte er das Bild an dem Rahmen, hob es aus den 
Scharnieren, legte es auf den Boden, umwickelte es mit 
dem Papier des Paketes, das er mitgebracht hatte, und nun 
sah es so aus wie das Paket selbst. Einen Augenblick 
lehnte er sich gegen die Wand. Dann nahm er das Bild 
unter den Arm und ging hinunter. Der Wärter schloß 
ihm auf, sie wünschten sich einen guten Abend, imd er 
▼erschwand in die Nacht. 

Am nächsten Morgen wußten schon alle Zeitungen vom 
Diebstahl der Monna Lisa Gioconda. 

Man nahm sofort die Wärter ins Gebet, aber sie hüteten 
sich natürlich, ihre eigene Nachlässigkeit zu verraten. Sie 
hatten einfach nichts gesehen, sie wußten gar nichts. 

Hunderte von Protokollen wurden aufgenommen, ganze 
Scharen armseliger Strolche wurden auf allen Landstraßen 
Frankreichs aufgegriffen und peinlichen Verhören unter- 
zogen. Riesige Schwärme von Detektivs nisteten auf jedem 
Ozeandampfer, Hunderttausende von Polizisten liefen hinter 

hunderttausend verschiedenen Spuren her. Alle Mörder und 
Diebe hatten gute Tage, und alle Kunsthistoriker begannen 
in rasendem Tempo zu verdienen. Ganz Paris geriet in einen 
wilden Taumel, und jeder Vorstadtbudiker mußte ein Bild 
der Monna Lisa über seinem Bette haben. — 

Eine fiorenünische Frühlingsnacht. Über den runden 
und dimklen etrurischen Bergen unten am schwarzen 

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Digitizcü by G«.j..' .iv. 



Himmel zitterte ein sanftes Licht wie eine Dämmeruiag. 
Und der Mond ging über ihnen herauf« 

Plötzlich lagen alle Straßen, die von den Bergen herunter- 
kamen, in seinem weißen Licht, und alle Dächer und Türme i 
der Stadt unter ihm tauchten aus der Nacht, aufgelöst, 
ohne Umrisse, wie die Städte eines träumerischen König- | 
reiches. Die silbernen Vierecke des Flusses lagen glänzend 
zwischen dem Dunkel der Brücken. 

Er drehte sich um, da hing ein Strahl des Mondes in ihren 
Augen wie ein goldener Tropfen. 

Sie war undeutlich zu sehen, der Schatten des Vor- 
hanges bewegte sich über ihrem Ge9icht Nur ein Streif en | 
▼om Kinn bis zu der Stirn war frei und leuchtete im Mond- I 
licht. Vielleicht weinte sie? 

Ach wenn sie geifeint hätte, nur einen einzigen Tropfen, 
eine einzige Träne der Reue. i 

Er riß den Vorhang ganz vom Fenster zurück, ehe sie 
auf seine Bewegungen achtgeben konnte. Er hatte schon 
richtig Termutet, ihr fiel gar nicht ein, zu weinen. Auf 
diese Stirn voll Laster wagte sich kein Gedanke der Reue 
herauf. Sie blühte noch immer in ihrer Frechheit, die erst 
die Hand des Todes von ihrem Munde herunterjagen würde. I 

Sie hatte sich um nichts gebessert, seitdem er sie hier 
eingesperrt hatte, sie war nur noch böser geworden, diese 
Hure da. Vielleicht war der Satan jede Nacht bei ihr ge- 
wesen, während er durch die halbe Welt geflohen war, um ! 
seine Liebe zu ihr zu vergessen. 

Wieviel verweinte Nächte, Teufel, Monna Lisa Gioconda, ' 
Gott. \ 

Als er nach Florenz gekommen war, hatte er dieses 1 
kleine Haus über der Stadt gemietet. Und gleich in der ^ 
ersten Nacht hatte er sie umbringen wollen. Ja, damals 

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Digitizcd by Google 



vor drei Jahren» da war er noch stark gewesen. Ach ja, 

und jetzt? Alle Leute auf der Straße lachten ihm ins 
Gesicht. 

Hr hatte schon einmal das Messer an ihren Augen ge- 

tia^bt, aber er hatte nicht zustoßen können. Denn eine 
bittere Erkenntnis hatte ihn schwach gemacht, er hatte 
plötzlich gewußt» daß er sie Hebte. O mein Herrgott, das 
war das Furchtbarste, diese verzweifelten Kämpfe, die da- 
mails begonnen hatten, wochenlang. In jeder Nacht, wenn 
er ihre Augen nicht zu fürchten hatte, hatte die Spitze des 
Messers über ihrem Gesicht gestanden, aber jedesmal hatte 
er seinen Arm wieder sinken lassen, und dort in dem 
Winkel hat er dann immer gesessen, in sich gekrochen 
wie ein geprügelter Hund, und er hatte nicht mehr gewagt, 

sie anzuschauen. 

Eines Tages hatte er sie hier versteckt und eingeschlossen. 
Und dann war er fort, wer weiß durch wie viele Städte vom 
Orkan seiner Liebe immer herumgejagt um Florenz, durch 
Spanien, Tunis, Griechenland, über die Alpen fort, immer 
im Kreise wie ein kleiner Komet, der sich nicht mehr aus 
der Sphäre einer übermächtigen Sonne herausreißen kann. 

Endlich konnte er nicht mehr. Gott hatte ihn verlassen. 
Und nun lag er hier wie ein Wrack vom Sturm auf die 
Rifife geworfen. 

Gott war fort. Vielleicht war Gott gestorben und war 
irgendwo im Himmel beerdigt. Auf seinem Stuhl saßen 
jetzt vielleicht ganz andere Götter. 

Nur einen letzten Versuch wollte er noch machen, denn 

* 

er wollte .keine Geliebte, die sich heute dem und morgen 
dem anhängt Wenn sie ihre Falschheit lassen wollte, 
wenn sie aufhören wollte 2u lachen, gut, er wollte sich um 
diesen Preis auf der Stelle dem Teufel verschreiben, imd 

29s 

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Digitized by G<.jv.' vi^^ 



etne Ewigkeit der HdUe immer xu ihren Füfien sitzen wie 

ein kleiner Dämon oder wie ein kleiner geflügelter Schmetter- 
ling ewig über den riesigen Gärten ihres Halses« 

Der Mond kam ganz in die Stube. 

Alle Gegenstände rückten zurück und schrumpften ein 
in seinem blauen Licht. 

Aber das Gesicht der Monna Lisa wurde weit wie ein 
See. 

Er ging auf sie zu und sagte: ,,Ich will dir verzeihen, 
ich will dich lieben, aber du mußt nicht mehr lachen.^' 
Und um ihr Zeit zu lassen, ihr Gesicht zu ▼ertndenii drehte 
er sich um. 

Auf einem Stuhle sah er seine Bibel. £r warf sie heraus 
aus dem Fenster und er hörte» wie sie unten aulklatschte. 
Dann ging er ans Fenster und streckte gegen Gott seine 
Zunge heraus. 

Als er sich wieder zu ihr kehrte» war es noch um kein 
Haar besser. Er beschloB» stärkere Mittel anzuwenden, 
denn vor dem Eigensinn einer Frau durfte er sich nicht 
schwach zeigen. 

Und auf einmal erkannte er, auf dem Munde eines 
Mannes war dieses Lachen eine Blasphemie, eine Unmög« 
lichkeit. 

Ach er verachtete sie» aber er liebte sie. Und er ver- 
achtete sich selber, daß er sie liebte, diese Hure, die es 

verstanden hatte, ihn» den Heiligen Gottes» in den Schlamm 
herunterzuziehen. 

Aber nun war alles ganz egal, er liebte sie eben» und 
dagegen war nichts mehr zu machen. 

Aber das Lachen mußte weg» dieses yeriluchte Gelachterp 
das -war ja schon nicht mehr zum Aushalten« Und er 
begann seine Beschwörung. 

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Wie ein Satan sprang er gegen das Bild vor^ drei Sätze 
▼or und drei Sätze zurück, seine Arme ruderten in der Luft, 
seine gekrümmten Hände standen wie ein paar Schnäbel 
über seinem Kopfe, und seine langen und verwüsteten 
Haare tanzten auf seinen dünnen Schultern. Bei jedem 
Sprunge knickte er etwas mit seinen Knien zusammen, 
und sein großer schwarzer Schatten tanzte neben ihm her 
an der Wand immer, drei Sätze yor und drei Sätze zurück, 
wie ein riesiges Känguruh. 

Aber es half nichts. 

So, dachte er endlich, du willst nicht, na, ich werde 
dir schon auf die Beine helfen. Du denkst wohl, ich bin 

dein Idiot. Na, ich werde dir die Sache schon beibringen. 

Er zündete das Licht vor ihr an und hielt es ihr unter 
die Nase, um sie ein bißchen zu kitzeln. Vielleicht würde 
sie nun endlich einmal schreien. Und sie schien auch ihr 
Gesicht etwas zu yerziehen, aber nur, als wenn sie ihre 
Lippen zu einem doppelten Grinsen auseinander zöge, das 
seine vergebliche Anstrengung nur noch mehr yerhöhnte. 

Auf einmal warf er das Licht wieder fort. Was habe 
ich getan, dachte er, und er fiel vor ihr auf die Knie, 
er weinte vor ihr, und das Schluchzen schüttelte seine 
Schultern hin und her. 

Und da auf einmal hörte er sie ganz laut lachen. 

Und das verträgt kein Mann. 

Seine ganze Liebe war weg. Er war plötzlich wie ein 
Stein. £r stand auf, suchte sich das Licht wieder hervor, 
und die kleine Flamme mit der Hand schützend, stieg er 
die Treppe herunter. Der Widerschein lief über sein Ge» 
sieht, es war rot und starr. 

In der Küche unten suchte er sich ein großes Messer, 
lang und breit, so ein richtige^ zum Fleischschneiden. Und 

2W 



Digitizca by Liu..- . «v. 



dann ging er wieder hinauf. Als er in die Tür der Boden- 
kammer trat» hielt er die Kerze hoch in der Hand und 

ließ den Schein über ihr Gesicht hinlaufen. 

Mit Bedacht suchte er sich eine Stelle, wo er ansetzen 
konnte. Die Augen waren das Bdseste, sicher. Man konnte 
ja auch das Herz nehmen, sie gleich töten, aber das war 
nicht genug Rache. 

Er trat an sie heran und setzte die Spitze des Messers 
auf den inneren Winkel des rechten Auges, stach das 
Messer etwas herein und begann das Auge herauszu- . 
schneiden. Er hatte dabei zu tun, denn die alte Leinwand 
war hart und steif. SchliefiHch hing es nur noch an einem 
Faden. Er riß es heraus und trat es mit dem Fuße aus, 
als es noch zitterte. 

Mit dem linken Auge tat er ebenso, aber es war noch 
fester, es wollte nicht mit, als er es herausriß. Und als er 
es endlich losbekam, hing noch ein groi^ Fetzen der Stirn 
daran. 

Damit war es aber noch nicht ganz getan. Jetzt kam 
der Mund an die Reihe. £r konnte es sich nicht versagen, 
ihn noch einmal zu streicheln, einmal noch leise mit dem 
Zeigefinger über diese Lippen zu fahren. 

Dann, da wo das Lachen am bösesten saß, an dem 
rechten Mundwinkel, stach er herein. 

Er schnitt den Mund oben und unten bis zur Mitte 
fort und hob den Fetzen heraus. Und dann ging er ein 
paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk wie ein 
Künstler. Er mußte lachen, zum erstenmal seit einer 
Ewigkeit. Er machte sich mit dem Schneiden keine Ar- 
beit mehr, er packte den Lappen mit der Faust an und riß 
ihn heraus, quer über das ganze Gesicht^ während er sich 
vor Lachen den Bauch hielt. 

298 



Digmzca by Goo^lt; 



Er war fürchterlich anzuschauen^ dieser Kopf, aus dem 
plötzlich der Tod von innen heraus gebrochen war wie 

ein Gefangener aus seinem Loche. Der Kopf mit diesen 
ungeheuren Augenhöhlen, wie mehrere Fenster, hinter denen 
das Dunkel sa0« Und dieser groBe, leere Mund, der wirklich 
nicht mehr lächelte, aber sich zu dem furchtbaren Lachen 
des Todes auseinandergezerrt hatte, einem Lachen unhör- 
bar und doch laut, unsichtbar und doch da, alt und dunkel 
wie die Jahrtausende. 

Und plötzlich konnte er, als er seine Tat übersah, das 
Wesen der Dinge erkennen, und er wußte, daß nichts war, 
kein Leben, kein Sein, keine Welt, nichts, nur ein großer 
schwarzer Schatten um ihn herum. Und er war ganz 
allein oben auf einem Felsen. Und wenn er nur einen 
Schritt tat, sank er herunter in den ewigen Abgrund. 

Eine furchtbare Müdigkeit kam über ihn. Es war ja 
auch nichts mehr zu tun. In einem Winkel hockte er sich 
zusanmien unter einer Bodenluke, wie ein schwarzes Tier 
In dem Viereck des blauen Mondlichtes. 

Er war eingeschlafen. Und wie er da saß gegen die Wand 
gelehnt, den Kopf zwischen den Knien herunterhängend 
und die langen Arme schlapp auf der Erde, als wollten 
sie von ihm fortfließen, war er wie ein großer schwarzer 
Haufen zusammengefallener Asche, die der letzte Rest der 
(Hut verlassen hat« 

Das Licht, das er fortgeworfen hatte, war auf ein paar 
Lumpen gefallen, die langsam ins Glimmen kamen. Es 
dauerte eine Weile, dann hatte sich der Funken einen W^ 
bis zu einem Haufen Stroh gefressen. Ein Wind kam 
herein, und eine kleine rote Feuerschlange ringelte aus den 
trockenen Halmen* 

Nach einiger Zdit wied^ sahen auf der StraBe einige 

299 



Digmzca Ly Gt^^v.' viv. 



Betrunkene, die sich verirrt hatten, wie ein großer roter 
Feuerdrache oben auf dem Dache saB und mit seinen 
riesigen Flügeln auf den brennenden Sparren herum« 

schlug. 

Die Sache nalun iluren Verlauf. Die Betrunkenen be- 
« 

gannen zu schreien, ein paar Fenster gingen auf, ein paar 
Nachtmützen flatterten heraus, ein paar Haustüren öffneten 
sich, und drei oder vier Gestalten rannten die Straße her- 
unter, nach der gelben Lampe des Polizeibureaus. 

Die Straße wird voll Menschen, Lärm, Gezänk, Kinder- 
geschrei, Polizisten, alles starrt herauf in das Feuer. Ein 
brennender Balken löst sich ab und fällt krachend herunter. 

Erneutes Geschrei. Man schafft ein paar Verwundete oder 
Tote fort. 

Die Feuerwehr kommt, die Spritzen fahren in das Feuer» 
und ein großer gelber Dampf steigt in die Nacht, wo die 
Wasser in die Flammen einschlagen. Eine große Leiter 
dreht sich wie ein Krahn in der Luft oben hinauf, wo der 
Kopf des alten Mannes aus der Bodenluke heraushingt. 

Sie legt gegen die Mauer an, und ein paar Feuerwehr- 
leute mit großen Helmen laufen wie ein paar Aäen die 
Sprossen herauf. 

Als sie beinahe oben sind, geht der Kopf zurück. Nun 
kann man sehen, wie sie durch die glühenden Dachsparren 
springen, hinter einem schwarzen Schatten her, der vor 
ihnen flüchtet, immer hin und her durch die Glut und die 
Balken, wie ein paar große Teufel, die eine Maus jagen« 
Auf einmal verschwindet die wilde Jagd nach hinten in 
einer rauchenden Wolke. 

Als die Feuerwehrleute durch Feuer und Qualm den alten 
Mann hinten in seinem Winkel fanden, kauerte er auf 
einem Bündel Sachen. Er hielt etwas Großes vor sein 

4 

300 



Digitlzca by Goü 



<7esicht, ein Gemälde^ ohne Augen und Mund, aber die 
Augen des alten Mannes sahen ihnen aus den hohlen Aus- 
schnitten entgegen, groß und wild aus seiner Maske her- 
vor, und seine lange Zunge wippte aus dem leeren Munde 
des Bildes heraus* 

Sie wollten ihm das Bild fortnehmen, er hielt es fest. 
Sie wollten ihn mitsamt dem Bilde heraustragen, er stieß 
sie mit seinen Füßen in ihren Bauch. 

Das halbe Dach krachte zusammen, und die Leute 
waren schon am Ersticken. Sie versuchten noch einmal, 
ihn herauszuziehen, aber der Alte ließ das Bild mit der 
einen Hand los, rifi eine glühende Sparre mit großen 
glühenden Nägeln über seinem Kopfe heraus und schlug 
sie dem einen Feuerwehrmann über das Gesicht, daß er 
zusammenbrach. 

Da fiel das Entsetzen über die beiden andern, und sie 
ließen die beiden liegen, den Toten und den Verwundeten, 
und wollten ziurück, heraus, da wo Luft war. Sie sprangen 
hinein in den Rauch, der ihnen en1|fegenschlug, aber sie 
fanden den Weg nicht mehr, sie warfen ihre Helme fort, 
um besser zu sehen, sie rannten wieder zurück, an dem 
Alten vorbei, nach der andern Seite, sprangen über die 
feurigen Trümmer, wieder zurück, wieder an dem Alten 
▼orbei, und als sie wieder an ihm vorüberflogen, hörten 
sie noch in ihre Verzweiflung hinein sein lautes Gelächter 
hinter sich her. 

Die Flammen ergriffen sie. Sie schlugen mit ihren bloßen 
Händen darauf, immer rennend, immer schlagend, auf ein- 
mal waren sie ein paar brennende Feuersäulen, sie rannten 
noch einmal zurück, aber da war eine brennende Bretter- 
wand, nach rechts, da war eine Mauer, sie konnten nicht 
weiter, sie schrien und schlugen mit ihren bratenden 

30X 



Digmzca b 



Händen gegen die Steine, nichts, nichts, das Feuer fraB 
ihr Haar, ihren Schädel, die Flammen zerrissen ihre Augen, 
sie waren blindy «e sahen nichts mehr, das Feuer fraß ihr 
Gesicht, das Fleisch flog in Stücken von ihren ; Händen, 
aber noch im Tode hämmerten sie die verkohlten Klumpen 
ihrer Fäuste gegen die Mauer. 



302 



Digitizcü by Google 



NACHBEMERKUNG 



Georg Heym ist am 30. Oktober 1887 in Hirschberg 
(Schlesien) geboren. Dreizehnjährig kam er nach Berlin, 
besuchte das Gymnasium imd studierte Jurisprudenz. Er 

ertrank beim Eislaufen auf der Havel zusammen mit seinem 
Freimde Ernst Balcke bei Schwanenwerder am 16. Ja* 
nuar 1913. 

Die Gedichte ,,Der Ewige Tag** (entstanden in der Zeit 
vom März 1910 bis Januar 191 1) veröffentlichte er noch zu 
seinen Lebzeiten. Den Novellenband ,^er Dieb'S der kurz 
nach seinem Tode erschien» bereitete er selbst für den Druck 
vor. Die Gedichtsammlung „Umbra vitae** wurde nach dem 
Tode des Dichters aus seinem Nachlaß 19x2 ron David 
Baumgardt, Erwin Loewenson, W. S. Ghuttmann, Jacob 
van Hoddis, Robert Jentzsch zusammengestellt (Titel und 
Herausgeber hatte noch . Heym selbst bestimmt). Die 
- Sammltmg ,,Der Himmel Trauerspiel^' bietet die voll* 
kommensten unveröffentlichten Gedichte, die Kurt PinÜiUS 
und Erwin Loewenson weiterhin in dem großen Nachlaß 
Georg Heyms fanden. 



303 



Digitized by G<.jv.' vic 



INHALT 



ER EWIGE TAG 






Berlin I , - 




/ 


Berlin II 




8 


Laubenfest 




o 






lO 


R<»r1i*n TTT 

ijcrim Iii . • 




T T 








JL/lC VJClcingCliCll 1 






Die Gefangenen II 




14 


Der Gott der Stadt 




IC 


Die Vorstadt 




i6 






1 o 


Der Blinde 




20 


Die Tote im W^asser 




21 


Der Schläfer im Walde 






Bist du nun tot? 




2C 


Nach der Schlacht 




27 


Der Baum 




2g 


Louis Capet . 




20 


Marengo 




lOll 


Robespierre . 






Styx 






Wolken 




34 


Gruft 




36 


Die Heimat der Toten I, II 




37 


Der fliegende Holländer I, II 




40 


April 




43 


Die Ruhigen 




44 



304 



Columbus . 1> * »_ ^ 45 

Gegen Norden . 46 

Der Winter . . 47 

Der Abend . ^ • . . ' . 48 

Herbst . . . . 49 

Fronleichnamspf oze^on ' ♦ 51 

Der Tag . , 53 

Der Tod der Liebenden . 55 

Ophelia . . . . 57 

Die Professoren ■_. 

Das Fieberspital I, II . • • 60 

Die Schläfer . . . 63 

Schwarze Visionen I-VI , . 65 

• 

UMBRA VITAE Nachgelassene Gedichte 

Umbra vitae , . . 73 

Der Krieg . . . 75 

Die Morgue . . . . 77 

Die Seefahrer , , , 8a 

Der Garten der Irren . . . 83 

Alle Landschaften haben . • 84 

Mond . . . . 85 

Spitzköpfig kommt er . , . . 87 

Mit den fahrenden Schiffen ._ 88 

Die Meerstadte . . ■ 90 

Die Schlösser ,__ . . ^ 

Die Städte . . . . 92 

Die Stadt der Qual . . $3 

Die Irren I, II, III . . 95 

Verfluchung der Städte V . loi 

Die Nacht . .. loz 

Die Somnambulen ; ; 103 

20 . 305 



Die Stadt • . ^ 104 

Halber Schlaf ._ . 105 

Fröhlichkeit . , , _^ 106 

Kata . * 107 

Der sterbende Faun , 108 . 

Die blinden Frauen . . 109 

Der Winter . , , , iio 

Nacht III . ._ xil 

Die neuen Häuser , ._ , TIä 

Die Höfe luden uns ein . 113 

Allerseelen , , . , 114 

Simson . . . 115 

Die Tauben II . ^ tx6 

Das infernalische Abendmahl , iifi 

Meine Seele . . ^.^ . 12Z 

Deine Wimpern, die langen . * 123 

Die Nebelstädte , , . 125 

Die Vögel , . . 126 

Die Tänzerin in der Gemme ; 127 

Hora mortis , : \ , 12S 

Judas . , . : 129 

Der Garten . , . . 130 

Pilatus , . . 131 

Der Baum . . . . 132 

. Die Messe . . ._ 133 

'Hymne , ._ ■ 134 

DER HIMMEL TRAUERSPIEL Gedichte aus dem Nachlaß 

Der Tag . . 137 

Die Nacht I, II . . . 139 

Arabeske . . . 140 

0 weiter, weiter Abend . ' 142 

306 



Printemps . , . ' . 


144 


Autumnus 


I4S 


Die Dampfer auf der Havel . 


146 


Wo eben rauschten noch die Karusselle 


147 


Der Tod der Liebenden im Meer 


148 


Lichter gehen jetzt die Tage 


ISO 


Die Städte im Walde . 


iSi 


Gewölke gleich .... 


152 


Sehnsucht nach Paris . 


153 


Luna . . . . 


156 


Die gefangenen Tiere . 


IS7 


Die Pflanzenesser 


^ — 


Ein Herbst-Abend 


160 


Der Galgenberg 




Der Herbst .... 




Die Mühlen 


t66 


Der Affe I, H 


167 


Gina 


169 


Savonarola .... 


170 


Tod des Pierrots 


171 


Die Tauben .... 


172 


Aus Thüringen 




An das Meer 


174 


Der Park .... 


176 


Der Wald .... 


177 


Der Traum des ersten Zwielichts 


178 

* 


Der herbstliche Garten 


17g 


November .... 


180 


Im kurzen Abend 


181 


Die Irren .... 


182 


Mitte des Winters 


183 



» 



Frühjahr .... 


184 


Was kommt ihr, weiße Falter, so oft zu mir? 


185 


Die Selbstmörder 


187 


Rußland 


188 


Die Wanderer 


189 


Auf einmal aber kommt ein großes Sterben 


191 


Und die Hömer des Sommers verstummten 


193 


Die Nacht .... 


194 


Der Krieg .... 


195 


Heroische Landschaft . 


196 


Die Märkte 


198 


Letzte Wache 


200 



DER DIEB Ein Novellenbuch 



Der fünfte Oktober 


203 


Der Irre 


217 


Die Sektion . 


234 


Jonathan 


237 


Das Schiff . 


252 


Ein Nachmittag 


266 


Der Dieb 


274 



Nachbemerkung . . . 303