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Full text of "Ungarische revue mit unterstützung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften"

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I 


Ungarische  Revue 


Magyar  Tudomänyos  Akademia 


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MIT  üNTERSTÜTZrNU  V.Z 
UKüAJßISCH£N  AlvADEMIE  DER  WISSßNSCHAFTEIS^ 


HKAAITftOKOEBlSK 
roK 

PAUL  HUNFALVY 


1882 


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LElPZKi,  1882. 

P.   A.   B  K  0  C  K  H  A  IJ  S 

aOltTIMRNT  ÜND  AKTIQVABIVM. 

G^dnMkl  Iii  Oer  knii.  hrhmmüLiii  L'uivciftliM«-llH«bdnirk«-rrl. 


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PUBi:!C  LIBRARY 

615741 

AirrOR.  LENOX  ANO 
Tii;v  s  F(  '  NQATIOMS. 
R  ISM  L 


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IL       JLJL  j^ii^  ÜLi  ^Jl» 
1.  Abhaudlongeu. 

tMte. 

i%el  E«9  N^ere*  AawgmbQii^n  i«  Altofen   866 

.  IKe  Landet-BQeliemovteUuiig   640 

Afiitf  J.9  Die  Jngen^abre  Franz  RAköosi^s  II   800 

Rof^Sieh  M.y  Ungarische  Kirchenlieder  des  XVIII.  Jahrhunderts    .   .  517 

Panko  Jos.,  Albrodit  Dürers  Schmerzensmann,  mit  vier  Illugtrationnn  20f) 

Darrai  M.,  Das  uugar-  Unterrichtäwesen  im  XYIIL  Jahrhondert    .   .  504  ' 

Duka  Tli.,  D«^nkre<lc  auf  W.  StejdH'ii  Atkinson   48S 

FinAlj  H.,  Dpi   altröniische  Kalender   »lOO 

Uyiilai  P«,  Donkrt'do  auf  Anton  ("senf^ery   tJlT 

Heiiszlmann  E.,  Dif  Kin  henruino  von  To}»iisko.  mit  f»  Illustrationen  563 
Hefnan  K*  B.»  Antike  lileigegeustände  im  un^ar.  Nationalmuaeuni.  ^ 

mit  17  Illustrationen   385 

HufklTy  P.»  Woher  der  Haas  gegen  Ungiurn?   344 

Ij^lyl  Anif  Die  hfldende  Knnat  in  Ungarn   377 

J«kal       Denkrede  aof  Alex.  Pet66   761 

Ketoll  K.9  üngame  Nationalitftten  nach  der  Volfcarthhmg  von  1680  .  114 

Kertbenj  K.  M.,  Zor  Theatergeschichte  Budapests.  HI.  1817—1887   .  404 

Lipp  W.,  Das  Grabfeld  am  Dobogö  b»'i  Keszthely   523 

ITarczali  H.,  Ungarns  Steuerqretem  im  Jahre  1780    235 

Medreczky  Fr.  v.,  Treforts  neuere  Essays  ,    .  724 

Xem^nji  A.,  Der  Allgemeine  deutsche  Schul  verein  und  Ungarn     .    .  37 

Palöezy  L.  (Ini^arische  Dichtungen  in  Amerika   571 

Pes^  Fr.,  Die  Kntstehimg  Croatiens  1.,  188 

—  Die  Kroaten   599 

Petz  W.  Zur  vergleichenden  Tropik    520 

Pilsikj  Fr«  T.»  Ungarische  OxMvieiie  ehoisonnte  (mit  54  niogfantumen)  187 

—  Memoiren.  III.  Die  Emigration   267 

Pllfldqr  K*  T«9  Raphael  Santi  in  der  nngar.  Beiche43allexie,  mit  14 

Dlnettationen   297 

KtdA  A.t  Die  Petfifi-Überaetnmgen,  Giuseppe  Cassoae*!   488 

ReaeaiBld  H«,  Lieder  der  Zigeuner   888 


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TT 

Siuriii  A.,  Dir  Nibelimgon  in  Biidn's  Tod  

—    Donkrodo  auf  Adolf  Dux  ;   .  ..  255 

SzilAigyi  AU,  Gabriel  Bothlen  aud  die  sch wedlache  Diplomatie  .    .    .  457 

Szily  K.  Ym  f>ip  crdmagnetigohfn  Vcrhältnis-se  Ungnrnx   :i62 

•    Thewr<Mvk  E.,  Festus-Studipn   80 

Trefort  Aug.,  Denkrede  auf  M.  Luk^cs   537 

—  —  Zur  Reform  deg  unjj.  OlwrhaugeH     .    ,   78i 

Torma  K.,  Der  Limes  Diicicus   21^ 

II.  Besprof heile  Bücher.* 

*A1t  M.,  Die  A1>eutener  Franz  B^kesis.  Roman     ....       .        .  110 

•Boglsich  M.,  Ungar.  Kirchenlieder  dea  XVIII.  Jahrhunderts     .    .    .  517 

*Budeng  J.  SprarhwissenBchatlHiche  Mittheilungen   91 

-  Ca-ssone  (w.,  A-  Potofi,  Foglie  di  cipresBo,  traduziono   }38 

Knau/.  F.,  Monnmenta  Ecciesiae  StrigoniengiH   ?43 

*Kuy.Ar  E.,  Das  Nichts,  wenn  es  Etwas  geworden.  Roman     .    .    .   .  III 

Loov  W.,  Gern«»  fr<y^  IVtdfi.  translated   572 

*MoInAr  AI.,  Das  ungar.  Unterrichtswesen  im  XVUl.  Jahrhundert.      .  504 

Tetz  >V.,  Die  Tropen  dos  KuripideH   .'»2(» 

Pulszky  Fr.  t.^  Memoiren,  III.  Die  Enii^^nation   267 

Hclienzl  G.,  Die  erdmagnetischen  Verh&ltnigse  Ungarna  

Starft  J.,  Dir»  Krna.ti>n  in  Krnflii<*n  n.  Slftvnniftn  .  .  .  .  ,  .   "»Oft 

•'      *Szusz  K.,  Die  grossen  Epen  der  Wrltliteratnr   450 

*Szatmäry  K.^  Die  Beglücker  des  Vaterlande«.  Roman   112 

*T<)rma  K.,  Uor  Limes  Dacicuw                                                     .  '278 

•Trefort  Aug.,  Neuere  EaaavH   724 


III.  Kurze  Sitzmigslwrichte. 

.ikin  K.y  Das  social-politische  Dilemma  der  Bildung    92 

Bartalns  St.,  Zur  Geschichte  dor  ungarischen  Musik   146 

KogiHich  M.,  ('antiouale  oi  pa.<;sionale  hang.  S.  J   201 

BortNks  V.,  System  untl  Verbreitung  dor  A<pulegioji    205 

Budeuz  J.,  Tlieodor  Benfey    91 

—    Die  Etymologie  von  Vidlvany  u.  fejfa   200 

Fenyvesi  Ad.,  Der  Gemoindehaushalt  Budapests    747 

Földe»  B.,  Das  Staatsbahnsystem    37IJ 

Fraknoi  W.,  rjeueralsekretär-Bericht   504 

Franxeiian  A.,  Das  vulkanische  Amphibol  des  Aranyor  Berges  bei 

Dtiva   95 

Fröhlteh  J.,  Die  Intensität  des  gebeugten  Lichtes   203 

OyArfAs  St.,  Die  Jazygen-Kunmnen  in  der  Zeit  von  1100—1442     .    .  447 

llantken  M.,  Clavulina  8zab(5i  Schi(;hten  in  Italien   204 

•  Die  mit  ciiieiu  Stern  be/.ei«  Imoton  Bücher  sin«!  nur  in  ungarischer 
Sprache  orscliien**n. 


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✓  in 

niitfyiisi.  Dir»  N;i;jyl^)kor  Furnlo      .    .  '   101  « 

Hvgediih  Alex.,  Die  iiiteriu<tioiiiilt*  Müii/konfco'nic   ;^70 

HofTuiaiui  P.,  Oicero's  Kedo  pro  Koacio   154 

Jakab  A.,  C»eßcliichtc  der  .lournalistik  in  Siebeiibürgeu  bis  IHIO    .    .  205 

Kautz  J.«  Die  Finanzen  der  ouropäischen  Staaten    746 

¥eleti  K.,  Der  Waarenverkehr  Ungums  mit  Osteireich  u.  dem  Anslande  611 


.  447 

Beobachtnnfjen  auf  <>-Oyalla  im  Jahre  1P81  

.  201 

Kremier  J.  A.,  Die  jjrönliindi.whcn  Fbiorid-Mineralien  

04 

Lakies  Fr.,  Die  geographische  Breite  der  Ö-dyallaer  Sternwarte  . 

94 

.  586 

Maylätli  B.,  Geschichte  der  Obpningarisehen  Ort«nnmen  .... 

.  202 

.  103 

liadrüns/kv  11.,  Dio  nnganschc  GoldHclimiedeknnsi  

.  453 

Kozsalieiryi  A.,  I>i-'  rii.>trur  scho  ^chllt7.unlltun;^    ...  ... 

0< 

Saiaulon  rr..  Noi  fi  »  m  verscnuniKlPTiPs  Komitat  

206 

Sflmiidt  A.,  Baryte  uiul  WinssMci-Krzo  in  Toleke.s-Hiulobiinya  .  . 

1)5 

.Salanika  A.,  Unser  Fortschritt  und  die  men.schliche  GlflckHeligkeit 

.  452 

.  90 

Szahö  K.,  Die  unprar.  Bürger  KlansPTiburg«  im  J.  1453  

.  207 

Szil^iz  K.,  Gedichte  des  (»raten  Lad.  ieleki   

.  201 

Ol 

207 

Szcutkläray  K.,  Hundert  .hihro  ans  der  (Jeschirhte  Siidungarn«     .  . 

05 

—    Die  deutsche  Colonisation  in  Südungarn  unter  Josef  II.       .  . 

418 

758 

9« 

1«M 

»  eher  S.,  Zur  Geschichte  des  Aberglaubens  ....... 

752 

91 

444 

Vccsej  Tli,,  Die  Rechtsgeschichte  unter  den  Äqiddeu  

202 

ZIchjr  A.,  Au.s  dem  Nachla-s-se  de.s  Grafen  Stet".  8zeclionyi  ....  95 
/sIliHKzky  M.,  Der  Pressburger  Landtag  von  1809  203 


IV.  Cborsetzto  Oedichie. 


Aniny  J.«  Toldi's  Liebe,  f.  Gesang,  von  Adalb.  Ifinipfner     .  . 

.    .  715 

—     Klara  Zach  von  ^f^lT  /''(M'Av/v   

754 

.    .  780 

(■julai  P.,  Auf  der  Margaretheninsel,  von       Neugehaun      .  . 

.  109 

-Google 


GjmUI  P.,  Wiedersehen,  von  Adolf  ron  dn-  Hoidr   291 

—  Mein  Capit&ti,  von  L.  NeugdMuer   2l»2 

—  Im  Balldaal,  von  demseVten    614 

KIss       Glocken-Tragödie,  von  I..  Neuflehauer   293 

—    —    Gegen  den  Strom,  von  dfim«   756 

V.  VermiHchtftH. 

Zur  ungarisclifu  SclmlstatiBtik   .  1<>3 

Statistisches  von  der  ungariachcn  Akademie    307 

Dio  Univei-sität  Budapest  im  Jahre  1880  81   1(H 

Die  üniveraitüt  Klausenburg  im  Jahre  1»80    206 

Daa  Josefg-Polytechnikum  in  Budapest,  im  Jahre  18^0  81   208 

Budget  der  Akademie  pro  1882    289 

Ungarische  Journalistik  im  Jahre  1882   290 

Sfatistik  der  iuländiscln-n  /»Mtsohrifton  im  Jahre  1881   C51 

;?tatiBtik  der  ungarifichen  Hochschulen  im  Jahre  1882  83    758 

Heinr.  FinAly'a  lateinisches  Wörterbuch   7^i9 

GZur  eschichte  des  Pot^ti->fonuments   8;V2 

UttgnriHche  Bibliographie  110,  294,  37tL  45.'n  630,  7t>o 


DIE  ENTSTEHUNG  CBÜATIENS. 


I. 

W£KN  die  Kunst  des  Regiereus  darin  besteht,  EreigmBBe 
ToraoBziisehen  und  demgemäss  seine  Handlangen  einzu- 
richten, 80  kann  diese  unsebätzbare  Voiaussicht  doch  nicht  als 
eine  unmittelbare  Himmelsgabe  angesehen  werden,  sondern  hat 

ilire  natürliche  Befjründunj:;  in  einer  «grossen  Summe  von  Erfah- 
rungen, aus  weichen  die  leitenden  Principien  abstruhirt  werden 
müssen. 

Für  den  Staatsmann  ist  die  Gesehiohte  die  Schatzkammer 
aller  Erfahrungen,  und  die  genaueste  Eenniniss  der  tatsächlichen 

Verhiiltnisse  reicht  iiiclit  niis,  um  den  Schaden  auszugleichen, 
welclier  durch  die  Vernachlässigung  der  Lehren  der  Geschichte 
entstand. 

Im  Nachfolgenden  wollen  wir  den  Beweis  hiezu  liefern. 

Die  Entstehung  der  Staaten  hat  immer  ihre  gewissen  Vor- 
bedingungen, die  sich  in  der  Geschichte  mit  wenig  Abwechsluntr 
wiederholen.  Ein  Nomadenvolk,  vom  Selhsterhaltungstrieb  ge- 
führt zieht  weiter,  um  neue  Niederlassungen  zu  suchen,  die  viel- 
leicht bleibende  werden ;  ein  Eroberer,  an  der  Spitze  eines  kräftigen 
Volkes,  macht  seine  Ueberlegenheit  über  corrampirte  Nachbar- 
völker geltend,  und  gründet  neue  Reiche ;  eine  Nation  im  Voll- 
geiiuss  geistiger  und  materieller  Mittel  empört  sicli  gegen  Druck 
und  überlebte  Institutionen :  es  wül  frei  werden,  und  wagt  daher 
das  Aeosserste  für  das  höchste  menschliche  Gut,  für  seine  Freiheit. 
So  entstehen  Staaten,  deren  Bestand  eine  Berechtigung  hat,  weil 
sie  die  allgemeinen  sittlichen  Interessen  der  Mensdiheit  fordern. 

Ungariaelie  B«TDe,  lh82,  I.  Heft.  ] 


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2 


DIE  ENTSTEHUNO  OBOATIBKS^ 


Diese  Anschauum^en  VDrausseiidf  ii.l.  miU^cn  uns  die  Aspirji- 
tiüueu  Croütiens  iu  einem  sondt^-bart-n,  um  nicht  zu  sagen  komi- 
schen Liebte  erscheinen.  Die  Croaten  hahen  schon  längst  auf- 
gehört ein  Nomadenvolk  zn  sein,  ihre  Zahl  drängt  sie  zu  keiner 
Expansion,  Eroberer  hatte  ihre  Nation  nie  hervorgebracht ;  eine 
geistige  oder  materielle  Ueljerlt-Lreuheit  ü}>er  Xaelil)arvölker  ist 
nicht  vorhanden,  —  bhebe  also  nur  noch  die  Freiheitsfrage,  die 
wir  nicht  unterlassen  werden,  bezügUch  ihrer  Echtheit  eingehender 
zu  prüfen. 

Gewiss  schwärmen  wir  nicht  für  das  Recht  des  Stärkeren, 

für  das  Recht  des  Eroberers.  —  al-t-r  gewiss  kommt  dieses  Reciit, 
\veiches  in  der  Weltgeschichte  wohl  immer  eine  entscheidende 
Rolle  spielen  wird,  zu  Ehren,  wenn  man  die  in  seiner  Art  einzige 
Erscheinung  betrachtet,  wie  von  gewisser  Seite  auf  die  Bildung 
eines  Gross-Croatiens  hingearbeitet  wird.  Die  Mittel  hiezu  sind 
flfüiiz  einfach  :  immer  und  immer  nur  viel  verlangen,  und  zwar  sehr 
dreiht  mul  ungestüm  verlangen.  —  den  Erfolg  sichert  die  Naivität 
des  Gegners,  der  dem  Verlangenden  nachgeben  soll. 

Das  Volk  der  Croaten  besitzt  heute  Länder,  auf  welche  das- 
selbe keine  historischen  Ansprüche  hat,  —  wir  meinen  den  ganzen 
Landesstrich  zwischen  der  Drave  und  Save.  Die  Namen,  welche 
heute  diesen  Teilen  Ungarns  gegehen  werden  .  sind  nur  eine 
Fictiou,  die  leider  schon  sehr  lauge  dauert,  und  deren  Gefähr- 
lichkeit unsere  gutmütigen  Staatsmänner  nicht  erkannt  haben. 
Damit  nicht  genug,  sollten  auch  Dalmatien,  Fiume,  Istrien, 
Kratn  etc.  Bestandteile  Znkunfts-Croatiens  werden.  Mit  unga- 
riseliHU  und  österrt  ichisdu-n  Trupp^-n.  mit  dem  Blute  inisen  r 
Söhne  imd  mit  den  Millionen  unserer  .Steuerzahler  wurde  Bosnien 
und  Herzegowina  occupirt ;  —  das  soll  aber  geschehen  sein,  um 
diese  Länder  den  Gross-Groaten  auf  dem  Präsentirteller  zu 
überreichen. 

T>as  ist  wohl  die  leichteste  Art  des  L mden-rwerhs  und  der 
Eroi'erung. 

Die  Autonomie  ist  wohl  ein  kostbares  Wort  für  die  Croaten, 
daraus  lässt  sich  Vieles  machen.  Vorläufig  sollen  nur  die  wenigen 


I*  B  *  * 

: 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENS.  3 

schwachen  Bande,  die  Croatien  noch  an  Ungarn  binden,  Namens 
der  Autonomie  gelöst  werden.  Sagen  vir  es  trocken,  dass  das 
nichts  anderes  wäre,  als  die  Lostrennung  von  Ungarn.  Die  croa- 

tischen  Weisen  gehen  sich  dabei  die  Miene.  oh  gieicbzeitip:  mit 
der  Lostrennung  von  Ungarn  der  directe  Anschiuss  au  Oes>terreich 
gemeint  wäre.  Oesterreich  weiss  aber  zu  gut,  dass  ein  solcher  An- 
Bchlnss  nur  das  allerkürzeste  Provisorium  wäre,  und  dass  in 
Agram  die  deutsche  Sprache  eben  so  verhasstist,  wie  die  un- 
fs^ariscbe. 

Gewiss  eine  sonderhare  Erscheinung,  dass  ein  kleines  Volk, 
dem  zur  staatlichen  Existenz  so  gut  als  alle  Vorbedingungen  fehlen, 
sich  zu  solchen  Extravaganzen  versteigt  und  aus  dem  Staaten- 
•eomplese  einer  Grossmacht,  während  sieh  dieselbe  ihrer  ganzen 

^'uhkraft  erfreut,  nach  BelielK'n  sich  Teile  zur  Errichtunj::  eines 
fantastischen  Zukunftsreiches  wiililt  :  und  dabei  noch  dt  u  Anspruch 
erhebt,  dass  man  diesem  staatsgefährlichen  Streben  \'or8chub 
leiste. 

Solche  Erscheinungen  sind  eine  Eigentümlichkeit  unserer 

Zeit.  Ruuianien  und  Serbien  waren  noch  nicht  frei,  und  schon 
liatteu  sich  sclione  Seelen  gefunden,  die  das  eine  und  das  andere 
Liaud  reichlich  auf  Kosten  Oesterreich-Ungarns  und  der  Türkei 
aiTondirten.  Wie  man  sich  die  Vergrösserung  dieser  Länder  dachte, 
davon  zeugen  die  Landkarten,  die  selbst  in  den  Schulen  Einc:an.&[ 
fanden,  und  die  Münzen,  welche  in  Circulation  kuun  n.  J)ivi.'?eruut 
vestimenta.  Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  hei  so  ^a-ossem  A]ipetite 
ntiserer  Nachbarn  Ansprüche  auf  ein  und  dasselbe  Gebiet  von 
mehreren  Seiten  erhoben  wurden. 

Natürlich,  —  das  ist  ja  heut  zu  Tage  ein  ganz  unschuldiges 
Vergnii^ion. 

IXu  Bewegung  im  Gebit  t  zwischen  der  Drave  und  bave  ent- 
stammt keinem  Freiheitsbedürfnisse.  Sie  wurde  grossgezogen  an 
den  Brüsten  der  Beaction,  und  verläugnet  diesen  Ursprung  nie- 
mals. In  den  fünfziger  Jahren  haben  sich  die  Croaten  wedejj^ 

gegen  den  österreichischen  Ahsolutisnuis.  noch  u'eL'<-n  dir  Allein- 
herrschaft der  deutschen  Sprache   aufgelehnt.   Sie  haben  zur 

I* 


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4 


DIE  ENTöItUUNü  CB0AT1KN8. 


Wiederbtrstellung  der  Verfassung  und  der  setzlicheii  Ordnung 
nichts  beigetragen,  sondern  sich  zuerst  in  der  dorch  Andere  er- 
kämpften besseren  Lage  wohnlich  eingerichtet,  und  dann  erst 
Lärm  geschlagen,  dass  ihnen  die  Freiheit  zn  enge  ist.  Wie  aber 
dieses  Freiheitsf^efühl  beschaffen  ist,  geht  daruns  hervor,  dass  man 
noch  heute  sich  nicht  entblödet,  den  Ungarn  mit  der  Wiederholung 
der  1848-er  Ereignisse  zu  drohen,  —  Ereignisse,  die  uns  die 
Croaten  als  Söldlinge  der  verworfensten  Beaction  zeigten,  daher 
man  glauben  sollte,  die  Qroaten  empfanden  das  lebhafteste  Inter- 
esse, diese  ihre  Kolle  in  Vergessenheit  geraten  zu  lassen. 

In  Ungarn  und  in  jenem  seiner  Teile,  ^velcher  irrig  Croutien 
heieet,  besteht  an  politischen  Bechten  nicht  der  geringste  Unter- 
schied und  dieses  Maass  reicht  aus,  um  die  cultivirteste  Mon- 
archie Europas  zufrieden  zu  stellen. 

Er  ist  von  mancher  Seite  behauptet  worden,  die  Feindseligkeit 
Croatiens  gegen  Ungarn  entspringe  der  Ungerechtigkeit,  welche 
dieses  von  letzterem  in  der  Zeit  vor  48  erfahren.  Dieses  ange- 
nommen aber  nicht  zugegeben,  sollte  man  meinen,  der  Friede  und 
die  achthundertjährige  Zusammengehörigkeit  sei  wiederherge- 
stellt, sobald  <lie  inissliebii,'en  (lesetze  und  Institutionen  abge- 
schafft sind,  und  der  Status  quo  ante  abermals  ins  Leben  tritt. 

Doch  solche  specielle  Uebelstände,  die  eine  Abhilfe  er- 
heischten, gab  es  nicht,  es  bestand  in  Wien  nur  die  Absicht,  in 
Groatien  eine  Vend^e  zu  schaffen,  und  sie  wurde  geschaffen ;  aber 
die  Folgen  tru«^  un<i  tragt  nicht  Ungarn  allein ;  denn  das  schlechte 
Beispiel  wirkt.  Man  hat  sich  in  Wien  vt  r^znüu't  die  Hände  gerieben, 
wenn  man  von  den  Verlegenheiten  hörte,  welche  dem  ungarischen 
Staate  ans  Groatien  erstanden.  Heute  hat  Oesterreich  ebenfalls 
sein  Groatien ;  denn  Böhmen  sieht  neidisch  auf  die  bevorzugte 
Stellung  Croatiens  herab ;  und  wenn  man  diese  Stellung  als  Pro- 
duct  bolu-r  Weisheit  gelten  lassen  will,  dann  ist  wirklich  nicht  ein- 
zusehen, warum  das  reichere  und  intelligentere  Böhmen  nicht 
ebenfalls  einer  solchen  Stellung  sich  erfreuen  soll,  wie  dies  soge- 
nannte Groatien. 

Ohne  sich  eines  Unzechtes  bewusst  zu  sein,  hatte  Ungarn 


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OJE  ENTSIEaUNG  CROATIENS. 


5 


stets  das  brüderliche  Einverständniss  mit  Oroatien  angestrebt,  hat 
diesenf  Streben  seine  vitalsten  Interessen  geopfert  und  Gefahren 

heraufbeschworen,  die  nur  durch  eine  radicale  Revision  des  beste- 
henden Ausi^leicbii  oder  einen  Bürgerkrieg  beseitigt  werden  können. 

Der  imgariscbe  Reichstag  gab  den  Croaten  das  «weisse  Blatt 
um  darauf  ihre  Wünsche  zu  verzeichnen,  welche  den  Frieden 
in  Croatien  herstellen  sollen.  Das  weisse  Blatt  ist  an  den  verehrten 
Namen  Franz  Deak's  f^eknüpft,  und  bat  durcb  die  folgenden  Er- 
ei^misse  eine  traurige  Berübmtbeit  erbiugt.  Deak  und  seine  An- 
hänger haben  sich  während  der  lS68er  Ausgleichs rerbandlun^^en 
als  Männer  von  reinem  und  edlem  Charakter,  doch  auch  als 
schlechte  Politiker  bewährt.  Das  berüchtigte  weisse  Blatt  ist  auch 
heute  nicbt  voll  gescbrieben,  und  würde  den  Croaten  nicht  ge- 
nügten, aucb  Wenn  es  die  Grösse  des  Alföld  hatte.  I>!is  weisse 
Blatt  ist  eine  Negation  des  historischen  Bechtes,  auf  wt  Icbeni  der 
ungarische  Staat  aufgebaut  ist,  und  eben  darum  hat  dieses  weisse 
Blatt  —  welches  mit  unserem  Staatsrecht  tabula  rasa  macht,  — 
keinen  Platz  im  Rahmen  unserer  Constitution.  Das  weisse  Blatt 
ist  der  Cuhninationspunkt  aller  Fehler,  welche  seit  Jabrbunderten 
begangen  wurden  und  unbemerkt  sieb  unterirdisch  verbreiteten, 
bis  sich  dieselben  zu  einer  croatischen  Frage  cumulirten,  welche 
vielleicht  noch  unseren  Enkeln  das  Leben  verbittern  wird.  Sollte 
dies  der  Fall  sein,  daun  möchten  wir  für  die  Dauer  der  Verehrung 
Franz  Deak  s.  trotz  seiner  sonstigen  grossen  Verdienste,  nicht 
gut  stehen,  welcher  man  soeben  durch  Errichtung  seines  Slfjmd- 


bildes  am  Franz  Josefsplatz  Ausdruck  zu  geben  bemüht  ist.  Das 
Standbild  dürfte  schwankend  werden. 

II. 

Wir  wollen  die  Fehler  ausführlich  besprechen,  welche  die 
Entstehung  eines  Croatiens  möglich  machten. 

Der  Zweck  unserer  Beweisführung  erfordert  es  nicht,  mit  der 

Einwanderung  der  Slovenen  von  jenseits  der  Karpatben.  noch 
mit  der  Invasion  der  Croaten  in  Dalmatien  ((>4(> — <>4i2)  zu  be- 
gumen,  es  genügt  zu  bemerken,  dass  Dalmatien  iui  Jahre  806  sich 


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o  DIE  ENISTKHUNG  CB0ATIEK8. 

N 

Karl  dem  GroBsen  unterwarf,  und  als  das  Frankenreicb  in  Folge 
der  kriegerischen  Erfolge  des  Patriciers  Nicetas  sich  nicht  mehr 
halten  konnte,  die  Herrschaft  der  byzantinischen  Kaiser  aner- 
kannte. J)ii9  einst  grössere  Dalmatien  ist  derUrsitz  der  Croaten  an 
der  Adria,  Die  croatischen  Herzoge  und  späteren  Köni^re  al»er  er- 
freuten sich  niemals  einer  vollen  politischen  Unabhängigkeit,  wie 
dies  ans  Nachstehendem  ersichtlich  sein  wird. 

Biese  YerhAltnisse  fanden  die  ün^m  an  der  Save  und  auf 
der  Baikan-Hallunsel  vor.  als  ihre  sie^a-eiclien  WatTen  in  der 
zweiten  Hälfte  des  IX.  Jahrhunderts  an  den  Ufern  der  mittleren 
Donau  ertönten. 

Die  Geschichte  der  Eroberung  Unter-Pannoniens,  wir  geben 
es  zu,  dürfte  nicht  in  Allem  nach  der  Darstellung  sich  ergeben 
haben,  wie  dieBe  imst  r  altt  ster  Chronist,  der  Notar  Konig  Behi's 
erzahlt.  i)och  wir  können  nicht  absehen  von  dem  Eindringen  der 
Ungarn  in  Bulgarien  imd  Kascien,  nicht  von  ihren  Streifzügen  bis 
an  die  Ufer  der  Adria,  von  der  Bezwingung  Spalatos  und  Croa- 
tiens,  von  ihrem  vom  Süden  aus  bewirkten  Uebergang  über  die 
Kiilpa  imd  Save,  von  der  Einnahme  Agrams  und  von  der  P>ohe- 
rnng  des  Gebietes  zwischen  der  Save  un  i  der  r>ran.  Diese  Ereig- 
nisse wollen  wir  durchaus  nicht  den  Dichtern  überlassen,  weil 
sie  durch  spätere  Tatsachen  und  Zustände  bestätigt  werden. 

Einer  der  grössten  Einwürfe  Böslers,  welchen  er  gegen  die 
Glaubwürdigkeit  des  königlichen  Notars  bezüglich  der  obigen 
Ereignisse  erliebt,  besteht  in  seinem  Zweifel,  Arpäd's  Heer- 
schaaren  in  Rascien  (in  erra  Kaey)  gekämpft  hiitten,  da  —  wie 
Bosler  meint,  —  der  Name  Bascia  vor  dem  Jahre  li34  un* 
bekannt,  und  nur  durch  die  Fürsten  aus  dem  Hause  Nemanja  in 
Aufnahme  L'ekommen  sei.  Dagegen  berufen  wir  uns  auf  Kaiser 
Constjintin  Purphyrogeuetos,  der  (Cap.  Wd)  bereits  von  einer 
Stadt  Kasa  spricht,  welche  nacli  Safarik  in  der  Nahe  des  heutigen 
Novibazar,  also  im  alten  Bascien  lag.  Ueberdies  werden  die  Siege 
des  Herzogs  Andreas,  Sohnes  Bela  des  Dritten,  in  Chulmien  und 
Bascien  (terra  Basse)  schon  in  Urkunden  vom  Jahre  1198.  also 
gleichzeitigen  t^)uellen  erwähnt.  E.s  kann  demnach  nicht  behauptet 


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DIE  LNT8TEHUNU  CKüAli£N8. 


7 


werden,  daes  der  anonyme  Chronist  den  Namen  Kascien  nicht 
gekannt  habe»  vielmehr  ist  dieser  Name  gerade  dmrcb  die  unga- 
rische Geschichte  zur  Verbreitung  gelangt. 

Der  Heereszti^  der  Ungarn  an  die  Adria,  tind  deren  Kückkelir 
nber  Agram,  wird  von  den  Schriftstellern  auf  die  Jahre  .s^Ji- 
und  595  gesetzt.  Wie  w  ir  unten  sehen  werden,  erfolgt  die  Ero- 
berung  der  Provins  Brazlaws  etwas  später,  nämlich  erst  mn 
das  Jahr  900,  somit  war  sowohl  der  westliche,  als  der  östliche 
Teil  des  Gebietes  ziÄ'iselien  der  Drave  und  Save  in  der  Gewalt 
der  l'ngarn,  und  seit  du-ver  Zeit  bildete  die  Save  die  Sud^^renze 
Ungarns,  eine  Tatsache,  an  welcher  die  zeitweiligen  Eroberungen 
der  Griechen  nichts  änderten. 

So  wie  der  untere  Lauf  der  Save  die  Grenze  des  griechischen 
nnd  fränkischen  Beiches  bildete,  eben  so  diente  znr  Zeit  der 
Franken  (Ende  des  VlII.  und  Anfang  des  IX.  Jahrhunderts»  die 
L)rave  zur  Abgrenzung  einzelner  Verwaltungsgebiete.  Die  Franken 
nämlich  fanden  es  nicht  zweckmässig,  die  südlichen  Grenzgebiete 
ihres  von  den  Pyrenäen  bis  an  die  Ufer  der  Theiss  sich  erstreckenden 
Reiches  sogleich  als  politisch  gleichberechtigte  Teile  einznver- 
leihen,  sondern  begnügten  sich  mit  der  Einhebung  von  St»  uei  ii  und 
▲bforderung  von  Hilfstruppen ;  es  scheint,  dass  sie  auch  keine  Gau- 
einteümig  vornahmen,  sondern  die  Verwaltung  des  unterworfenen 
Volkes  (sich  den  Franken  znr  Trene  verpflichtenden)  einheimischen 
Fürsten  übertmgen,  denen  ein  Markgraf  als  militärischer  Befehls- 
lial>er,  und  ein  bairisclier  Pralekt  als  liiehter  vorstand.  Dem  Herzog 
von  Kärnten  unterstand  der  grossere  Teil  Steiermarks  ,  Krain, 
das  südöstliche  Tirol,  Istrien,  Libnmien,  Dalmatien  und  das  Ge- 
biet zwischen  der  Drave  und  Save.  Ein  anderer  fränkischer  Grenz- 
bezirk begann  an  der  Drave,  und  umfasste  Unter-  und  Ober- 
Pauuonien  und  die  österreichischen  Lande  an  der  Enns. 

In  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Geschit  hte  wird  Dai- 
matien  mit  Croatien  immer  zusammen  genannt,  es  ist  jedoch  weder 
den  croatischen  SchriftsteUem  noch  sonst  irgend  einem  Forscher 
gelungen  die  Frage  aufzuklären,  wo  sich  die  Grenzen  dieser  beiden 
Länder  berühren  und  wo  sich  dieselben  trennen. 


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8 


DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENS. 


Auch  spat«'r(  -Tuhrliuuderte  machtea  zwischen  beiden  Ländern 
keinen  Unterschied. 

Zur  Zeit  der  Homer,  namentlich  im  IV.,  V.  und  VI.  Jahr- 
hundert, hiess  das  Land  zwischen  der  Drave  und  der  Save  Sayia, 
und  erstreckte  sicli  von  Unter-Kraiii  bis  Svrinion.  Unter  dem 
Grotheukönig  Theodorich  hatte  Savia  eine  Provinzialverfassimg, 
deren  Präsident  Fridilad,  ein  Gothe  war;  wahrend  der  fränkischen 
Herrschaft  hatte  das  Gebiet  gar  oft  keinen  eigenen  geographischen 
Namen,  sondern  wurde  nur  als  zwischen  den  zwei  Flüssen  liep^end 
bezt  ichnet,  —  auch  der  Name  Savi.i  ist  ja  el»(  nfalls  uiclit  dem 
Namen  eines  Volkes  entnommen.  Die  Griechen  nannten  das  Land 
Francochorion,  das  heisst  das  Land  der  Franken,  und  Bösler 
meint,  das  syrmische  Gebirg  Fruskagora  habe  semen  Namen  toh 
dieser  Benennung  des  fränkischen  Landes  entlehnt.  Später,  wäh- 
rend der  unrjarischen  Ej)oclie.  nanutt-u  die  Griechen  das  Land 
Sjrmien,  woraus  wir  folgern,  dass  von  der  fränkischen  Provinz 
nur  der  an  den  Mündungen  der  Drave  und  Save  gelegene  Teil 
'sich  in  den  Händen  der  Griechen  befand. 

Zur  Zeit,  in  welcher  nach  König  Bela*s  anonymem  Notar, 
Arpail  und  seine  Heerführer  das  liyzautinische  Reich  mit  ihren 
abenteuerlichen  Zügen  durchstreiften,  la<^  das  durch  ihn  t-rwahnte 
Croatien  weit  abseits  von  dem  heutigen.  Im  IX.  Jahrhundert  lebten 
nämlich  die  Croaten  an  der  dalmatinischen  Küste,  insofern  die- 
selben durch  die  römischen  Städte  Dalmatiens  von  diesen  Küsten 
nicht  abgebalten  wurden.  Ihr  Land  begann  gegen  Norden  nächst 
dem  Albona  (Lubena)  oder  Arsa-Fluss  an  der  alten  Grenze  Istriena, 
und  zog  sich  südhch  bis  an  die  Mündung  der  Cetina ;  ja  selbst  jen.* 
seits  dieses  Flusses  gab  es  zwei  Zsupanate,  jenes  von  Ghlewno 
und  Imota.  Im  Nordost  erhob  sieh  Plewo  (heute  Pliva)  am  gleich- 
namigt  ii  NVbentiuss  der  Verbasz,  und  dies  ist  der  zumeist  vorge- 
schobene Punkt  in  dieser  Richtung,  woraus  Safarik  die  Berech- 
tigung ableitet,  die  Mündung  des  Verbaszflusses  als  Grenze  der 
Croaten  anzunehmen.  Im  Nordwest,  wo  Croatien  angeblich  sich 
noch  zwischen  den  Gebirgszügen  über  Tstrien  hinaus  ins  Innere 
erstreckte,  kann  das  croatische  Gebiet  bi>  an  die  Quellen  der 


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DIE  ENTSTEHUNG  CRüATIKN8. 


9 


Kiilpa  erstreckt  werden,  indesst  ii  tiiideu  sich,  jenseits  der  Linie, 
welche  sich  zwisehen  Zeug  und  Sziuin  hinzieht,  nirgend  welche 
Ortschaften  7or. 

Die  Kulpa,  welche  ein  ^'ut  Stück  entlang  in  nördlicher  Bich- 
tunir  riiesst.  biegt  bei  Motling  wieder  <xe<?en  Osten  in  der  Richtung 
vou  Kamauye.  Dieser  Punkt  ]>ildet  die  nördlichste  Grenze,  welche 
das  Agramer  Bistum  vom  Herzogtum  Krain  trennt;  und  in 
dieser  Gegend  sind  die  Chrenzen  des  genannten  Bistums  zugleich 
jene  des  alten  Croatiens.  Unmittelbar  am  Meere  war  das  an  Fiume 
gi-enzende  Torsiikt  der  nördlichste  Punkt. 

Wenn  mich  Kaiser  Constantin  deui  Purpurgel xn-enen,  Croatien 
an  der  Getina  (Zentina)  beginnt,  und  bis  au  die  istrische  Grenze 
sich  erstreckt,  dann  hat  er  wohl  das  von  Croaten  bewohnte  Land 
bezeichnet,  aber  keineswegs  Dalmntien  von  Croatien  unterschieden. 

Es  ist  schwer  den  croatischen  AhiIkü  aus  Dalmatien  heraus- 
zulösen, selbst  Papst  Nicolaus  IV.  hatte  im  Jahre  l:iJS8  Croatien 
in  dem  Namen  Dalmatiens  mitverstanden. 

Gewiss  ist  es,  dass  das  alte  Croatien  aus  den  heutigen  Ogu- 
liner,  Szluiner,  Otochaner  Ghrenz-Begimentsbezirken,  aus  dem  Ge- 
biete des  Capeilagebirges  bis  zur  Adrin  V>estand,  und  von  Zeng 
gegen  Osten  alle  jene  Landesteile  in  sich  begriff,  welche  gegen 
Korden  durch  die  Unna  und  Save  begrenzt  werden. 

Es  enthielt  demnach  nicht  das  Gebiet  zwischen  der  Kulpa  und 
Save  (obzwar  Spruner  dieses  dazu  rechnet),  nicht  Turopolya,  nicht 
A(2Tam  und  das  gleichnamige  Comitat,  eben  so  wenig  das  Kreutzer 
und  Varasder  Couiitat ,  überhaupt  keinen  Landesteil,  welcher 
sieb  am  nördhchen  oder  linken  T'fer  der  Save  erstreckt. 

Mit  diesen  geographischen  Begriffen  müssen  wir  im  Beinen 
sein,  wenn  wir  die  erste  Begründung  Ungarns  in  der  Savegegend 
verstehen  wollen.  Die  croatischen  Herzoge  und  späteren  Könige 
herrsehten  über  jenes  Croatien,  w.dches  ich  eben  beschrieh,  und 
dieses  eroberte  König  Ladislaus  im  Jahre  lUlM,  wahrend  die 
Laadesteile  zwischen  der  Drave  und  Save  von  den  Ungarn  be- 
reits früher  erobert  wurden,  wie  ich  dies  an  anderer  Stelle 
nachwies. 


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10 


DIE  EKT8TEHUNO  CB0ATIEN8. 


Der  älteste  urkimdlieli  bekannte  croatische  Herzog  war  Miä- 

•  laviiB,  den  Trpimir  im  Jahre  85i  seinen  Vorganger  nennt.  Ihm 

*  folgte  Domogoj,  der  im  Jahre  865/6  mit  den  Venetianem  Frieden 
schlosB,  und  den  Papst  Johann  VIII.  im  Jahre  873  dnx  gloriosns, 

ein»-  Chronik  alter  Sclavonim  pessimus  du\  nennt.  Beinahe  um 
dieselbe  Zeit  (n7."*)  plüudr  rte  llHcus  Schivonia-  princeps  die  istri- 
Hclien  Seestädte.  Abermals  schreibt  Papst  Johann  YIII.  im  J.  879 
Sedesclavo  glorioso  comiti  Sclavomm.  Er  stammte  aus  Trpimir*8 
Familie,  nnd  gin^;  nach  Constantinopel,  wo  er  durch  Kaiser  Basi- 
lius zum  IIerz(><;  <1t  r  Sl;ivt  n  erhoben  wurde,  und  darauf  Domogoj's 
Sohne  in  die  Verbannung  schickte.  Es  ist  wahrscheinlieh,  dass  der 
griechische  Kaiser  damals  die  von  den  dalmatinischen  Städten  zu 
zahlende  Steuer  dem  erwähnten  croatisehen  Fürsten  überliess. 
Hiedorch  schwand  der  Zusammenhang  der  Groaten  mit  den 
Fr.inkt  n,  welclier  seit  Auf losung  der  Markgrafschaft  Friaul  ohnehin 
sehr  lose  war,  nunmehr  ^'anzlicli. 

Noch  in  demselben  Jahre  (879)  sprechen  päpstliche  Briefe 
von  Herzog  Branimir,  der  auch  im  Jahre  880  vorkommt,  und  den 
der  Papst  bald  princeps,  bald  comes  nennt. 

^funtimir,  wcU'lier  im  Jahre  89:2  Trpimir's,  dem  Spalatoer 
Bistume  erteiltt  Privilegien  bestätigte,  nannte  sich  Giroatorum 
dux  —  Herzog  der  Croaten. 

Tamislaus  oderTomislav^in  einem  Briefe  Papst  Johannis  X. 
noch  Croatomm  dux,  wird  wäh]:;end  des  Concils  von  Spalato  (9i25 
bis  *.)'27)  bereits  Croatorum  rex  —  König  genannt. 

Diesem  folgte  Crescimir  der  Aeltere,  dessen  Sohn  Dircislav  im 
Jahre  994  und  iUCM)  die  königliche  Würde  trug.  Den  von  Manchen 
als  croatisehen  König  angeführten  Svetoslav  kann  ich  als  solchen 
nicht  gelten  lassen,  weil  ihn  keinerlei  Urkunde  König  nennt,  son- 
dern mir  Solm\ieues  Crescimir.  der  Crescimir  Peter's  Grossvater 
gewesen.  Letzterein  lolgte  als  König  Stefan,  der  Vater  des  er- 
wähnten Crescimir  Peter. 

Crescimir,  sonst  auch  Peter  genannt,  nennt  sich  in  einem 
Schreiben  vom  Jahre  1059,  tmd  in  einem  andern,  welches  nach 
Kacki  um  das  Jahr  lOOii  in  Nona  ausgestellt  wurde,  Chroatorum 


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DIE  ENTSTEHUNG  CUOATIENS. 


11 


Dnlmatinorumque  r*-x.  Trotzdem  Bassen  zu  dieser  Zeit  die  Beiunten 
des  griechischen  Kaisers  in  Dalmatien,  und  obgleich  bei  Güter- 

w 

Verleihungen  und  Grenzbestimmangen  auf  die  Einwilligung  des 

croatischen  Königs  Berufnnjr  geschieht,  so  erliesH  doch  der  kaiser- 
liche Kutapun  seine  VerordniuiKtn  im  Namen  des  Kaist-rs  Comnen 
oder  Constantin  Ducas;  ja  so«^ar  König  Crescimir  berief  sich  im 
Eingange  seiner  Erlässe  auf  die  Regierung  des  in  Constantinopel 
sitzenden  Kaisers,  zur  Bestimmung  der  Zeitrechnung;  wie  dies 
z.  B.  die  zn  Gunsten  des  Klosters  in  Jadra  erlassene  Schenkimgs- 
urkundc  l*e\v»'i8t. 

Crescimir  erscheint  noch  im  Jahre  1073  als  Koni«::  der  C'roaten. 
Im  darauf  folgenden  soll,  nach  Kukuljevics  und  Backi's  Behaup- 
tung, Slaviz  croatiscber  König  gewesen  sein,  was  aber  nicht  ganz 
gewiss  ist,  da  ihn  die  citirten  Urkunden  König,  jedoch  ohne  Be- 
zeichnung des  TiRndes  nennen. 

Bemerkenswert  ist,  dass  im  Jalire  107<i  Demeter,  sonst  auch 
Szvinimir  aussagt,  dass  er  die  königliche  Macht  von  Pupst  Gregor 
erhalten  habe,  und  dass  er,  nachdem  er  auf  dem  Goncil  von  der  Geist- 
lichkeit und  dem  Volke  in  der  St.  Petersldrche  zu  Salona  erwählt 
wurde,  mit  reberreiehung  von  Falme.  Schwert.  Scepter  und  Krönt 
zuiji  Ktmifj  von  Croatien  undDahnatien  gekrönt  wurde.  In  andern 
Urkunden  dieses  Jahres  nennt  er  sich  einfach  äzvinimir,  in  einer 
derselben  spricht  er  von  seinen  Vorfahren  Tirpimir  und  Mutimir 
als  von  Königen,  welche  Angabe  aber,  wie  wir  sehen,  den  Tat- 
sachen nicht  entspricht. 

In  Bezug  der  croatischen  Königswürde  ist  zu  bemerken,  dass 
Dircislavs  Nachfolger  die  Insignien  der  königlichen  Herrschaft 
vom  Kaiser  in  Constantinopel  erhielten,  und  dass  daher  die  fac- 
tische  Abhängigkeit  von  Constantinopel  auch  formell  zu  einem 
Vasallenverhültniss  sicli  gestaltete. 

Szvinimir  trug  die  Krone  noch  im  Jahre  1087.  Urkunden 
jedoch,  welche  ihn  über  diese  Zeit  hinaus  erwähnen,  sind  ent- 
weder falsch,  oder  es  lässt  sich  deren  Zeit  nicht  sicher  bestimmen. 

Schon  im  Jahre  1089  wird  Stefan  II.  Könij;  von  Croatien  und 
I>almatien  genannt,  und  war  zugleich  der  letzte  in  dieser  Würde, 


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DIE  ENTSTEHUNG  CR0ATIGN8. 


weil  Koui^'  Ludislaus  von  Ungarn  im  Jahre  lOlH  ganz  Croatien 
and  Dalmatien  eroberte. 

Das  Land,  welches  unter  der  Herrschaft  der  croatischen  Her- 
zoge and  späteren  Könige  stand,  warde  collectiv  auch  Skvonien 
genannt,  der  Titel  dt  r  croatischen  Könifz»*  war  rex  Dalmatia-  et 
Croati*,  oder :  rex  Croatorum  et  Daimatinorum.  Niemand  möge 
sich  daher  irre  führen  lassen,  wenn  in  dieser  Epoche  der  Name 
Slavonien  Torkommt,  weil  unter  diesem  nicht  das  (Gebiet  zwischen 
der  Drave  und  Save  yerstanden  wird,  sondern  das  alte  Croatien, 
dessen  Gn  nzen  wir  hereits  ohen  heschriehen. 

Sienuils  iraren  die  Briefe  der  croatischen  Kiniuje  aus  Orten 
daiirt,  die  »ich  diesseits  der  Kuipa  und  Save  befinden^  niemals  er' 
Hessen  sie,  oder  ihre  Beamteten  Verfügungen,  welche  sich  auf  diese 
Gebiete  bezoijen.  weil  solche,  wenn  sie  auch  croatiscbe  oder  slo- 
Tenipche  Bevölkerung  hahen  mochten,  ausserhalb  ihres  Kechts- 
kreises  lagen. 

Der  slaviscbe  Name  erscheint  in  sehr  vielfältiger  Anwen- 
dang,  und  konnte  sich  nur  sehr  spät  zu  einem  Landesnamen  con- 
solidiren.  Sedesclayns  wird  im  Jahre  879  comes  Sciavorum  pe-  ^ 

nannt.  was  al»rr  Comes  Cliroatnrum  bedeutet :  der  Papst  sclireil»t 
im  Jahre  .sÜO  Zuentopolco  re<;i  Sciavorum,  das  heisst  dem  mäh- 
rischen Szvatopluk ;  im  Jahre  9i6  wird  Michael  rex  Sciavorum 
genannt,  während  er  eigentlich  Zaehlumorum  dux  ist ;  so  schreibt 
aach  der  Papst  im  Jahre  1078  an  Michael  Sciavorum  refn>  welcher 
gleichfalls  nur  Herzog  von  Zachulmien  war.  In  einem  Brief  Papst 
Nicolaus  IV.  vom  Jahre  12S8  werden  Helena  regina  bhivorum, 
ihre  Söhne  Stefan  und  Uros  aber  als  reges  Slavorum  erwähnt, 
doch  war  Helena  Königin  von  Serbien  und  ihre  Söhne  dortige 
Prinzen. 

Das  Kreuzlieer.  welches  im  Jahre  1006  unter  Baimund  Grafen 
von  Toulouse  angeblich  dm'ch  Slavonien  zog,  betrat  eigentlich  den 
Boden  Alt-Oroatiens  und  Dalmatiens,  weil  man  nur  durch  dieses 
zu  den  Städten  Judra,  Salona,  Spalato,  Ragusa  und  anderen  Städten 
gelangen  kann.  Dies  war  auch  die  Kenntniss  der  gleichzeitigen 


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DIE  ENTSTEH  UNO  CR0ATIEN8.  1*^ 

auglaudisclieu  Schriftsteller  über  den  eigentlichen  Beütaud  SU- 
Toniens. 

Welchen  Namen  trog  also  das  Gebiet  zwischen  derDrave  und 
8s¥e,  nnd  wessen  Herrschaft  unterstand  es  vor  der  Besits- 

ergreifun^'  durch  die  üii<?arn? 

Hierauf  geben  unsere  Geschichtsquellen  genü<:eude  Antwort. 

Das  Beioh  der  Avaren,  welches  über  das  griechisohe  Kaiser* 
tnm  beinahe  völlige  Yemichtiing  brachte,  und  dessen  Grenzen 
bis  an  die  dalmatinische  Küste  reichten,  hörte  in  der  zweiten 
Hfllfte  des  VIII.  Jahrliundt^rts  so  ziemlich  auf,  eine  drohende  irv- 
fahr  für  Europa  zu  sein.  Karl  der  Grosse,  um  sich  für  die  Hilfe  zu 
neben,  welche  die  Avaren  ihrem  Bundesgenossen,  Herzog  Tas- 
silo geleistet,  brach  im  Jahre  791  mit  einem  mächtigen  Kriegsheer 
in  das  Land  der  Avaren,  die  dadurch  in  starke  Bedrängniss  ge- 
rieten, olme  dass  der  Krieg  entscheidend  gewesen  wäre.  Nielits- 
destoweniger  wurden  die  Avaren  geschwaclit,  weshalb  sie  im 
Jshre  795  den  in  Lüneburg  campirenden  Frankenkönig  mit 
einer  Botschaft  begrüssten,  hiebei  ihre  Unterwerfung  und  die  An- 
nahme des  Christentums  gelobend.  Im  kommenden  Jalir^  drang 
Erich,  Herzog  von  Friaul,  mit  einem  frankisclien  und  longobar- 
dischen  Heere  und  vereinigt  mit  dem  Slaven-Herzog  Wonomir  in 
das  Avarenreich,  und  gab  dadurch  der  Auflösung  desselben  einen 
neuen  Vorschub. 

Von  diesem  Wonomir  meint  Dümmler,  dass  er  vielleicht  ein 
croatischer  Gross-Zsupan  gewesen  sein  mag,  in  Erinnerung  dessen, 
dass  es  auch  einen  croatischen  König  Zwonimir  gegeben,  —  doch 
halt  er  es  für  eben  so  möglich,  dass  Wonomir  ein  slovenischer 
Purst  zwischen  der  Brave  nndSave  gewesen,  der  nach  Zerstreuung 
der  Avaren  sich  an  die  Spitze  des  befreiten  Volkes  stellte. 

Es  scheint,  dass  sowohl  die  byzantinischen,  als  auch  die  frän- 
kischen  Kaiser  die  slavischen  Fürsten  in  der  Regierung  der  ein- 
zehien  Provinzen  beliessen,  sich  mit  deren  Vasallentum  und  Un- 
terordnung unter  die  Gebote  eines  der  nächsten  kaiserlichen 
Markgrafen  begnügend.  Einen  solchen  slovenischen  Fürsten  selien 
wü  in  Ljudevit,  welcher  dux  Pannoniae  inferioris  genannt  wird,  in 


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^*  DIE  ENTSTEHUNG  0R0ATIEN8. 

Szisztk  um  Zusaminenfluss  der  Save  imd  Kulpa  seineu  Sitz  hatte, 
uud  im  Gebiete  zwischen  der  Save  nnd  Drave  regierte.  Er  war  es, 
der  im  Herbst  des  Jahres  818  bei  Kaiser  Ludwig  gegen  die  an- 
gebliche Grausamkeit  und  Zügellosigkeit  des  Markgrafen  Eodolaus, 
Herzogs  von  Friaul,  Klage  führte,  aber  schon  damals  seine  Neijjung 
zur  Auflelmung  verriet,  so  wie  er  auch  tatsächlich  im  Jahre  Sil* 
die  Fahne  des  Aufruhrs  erhob.  Die  Frauken  führten  mehrere 
Jahre  hindurch  Krieg  gegen  ihn,  bis  derselbe  im  Jahre  823  in 
Dalmatien  eines  gewaltsamen  Todes  starb. 

Ljndevit  wird  in  allen  gleichzeitigen  Chroniken  als  Rebell 
bezeichnet,  wodurch  deutlich  seine  Unterorduung  unter  die  frän- 
kischen Kaiser  und  deren  Markgrafen  ausgesprochen  ist.  Das  Ge- 
biet zwischen  der  Drave  und  Save  war  ein  Teil  des  fränkischen 
Reiches,  ohne  einen  geographischen  Eigennamen, 

Ratimir  war  Ljudevit's  —  vielleicht  unmittelbarer  —  Nach- 
folger, dessen  Land  sich  zwisciieii  der  Drave  und  Save  erstreckte, 
vielleicht  noch  auf  einige  Lundereien  am  Süden  des  letzteren 
Flusses.  Auch  er  verriet  Unabhängigkeitsgelüste  wie  Ljudevit, 
weshalb  im  Jahre  838  ein  bairisches  Heer  gegen  ihn  gesendet 
wurde,  welches  er  aber  nicht  abwartete,  sondern  seinen  Kräften 
misstrauend  die  Flucht  ergriff. 

Um  dieselbe  Zeit  erscheint  an  der  oberen  Save  Graf  Salacho, 
welcher  dem  Markgrafen  von  Kärnten  unterstand.  Der  Verwal- 
tung Sahicho^s  dürfte  also  jene  Gegend  überantwortet  gewesen  sein, 
welche  in  einer  Urkunde  Kaiser  Arnulfs  vom  Jahre  895  als  marchia 
juxta  Souvam,  mit  dem  Orte  Riecbenberp:  vorkommt. 

Der  Besitz  der  einheimischen  Fürsten  wurde  jedoch  bald 
durch  den  Einbruch  der  Bulgaren  gestört.  Schon  im  Jahre  824 
klagt  der  Bulgarenfürst  Omortag  beim  fränkischen  Kaiser  über 
Verletzung  seiner  Grenzen,  —  seine  Gesandten  kehrten  aber  un- 
verrichteter  Sache  zurück.  Die  Bulgaren  drangen  daher  im  J.  S27 
mit  ihren  Schiffen  die  Drave  aufwärts,  und  verwüsteten  bis  zur 
Save  alles  Land,  sie  vertrieben  die  slovenischen  Fürsten  und 
setzten  bulgarische  Administratoren  ein.  Doch  die  Zeiten  änderten 
sich,  imd  die  Slovenen,  welche  von  den  Bulgaren  eine  solch'  grau- 


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DIE  üNTöTEHUNci  CKOATIi  N8.  »«> 

same  BehaDdlung  erdulden  mussten.  verbündeten  sieb  im  J.  8ö3 
mit  diesen,  empörten  sich  gegen  Ludwig  König  von  Deutschland, 
and  strebten  sich  von  diesem  loszureissen.  Diesem  Streben  machte 

ikre  entschiedene  Niederlage  ein  Ende. 

Für  Mutirair,  dessen  die  Briefe  Papst  Johann  des  VIII.  ge- 
denken, ist  in  der  Namenreihe  der  eroatiseheu  Herzoge  kein  Platz, 
wir  können  uns  ihn  nur  in  der  Verwaltung  jenes  Gebietes  vor* 
stellen.,  dem  einst  Ljudevit  und  Batimir  vorstanden. 

Die  päpstliche  Urkuntle  ist  nach  Fejer  :  Duci  Sclavoniae  ;  nueh 
Kukuljevics  duci  Salvinicue,  nacli  Eacki  duci  Sehiviuicae  ge- 
schrieben. Mir  scheint  letztere  Formel  die  richtige  zu  sein,  welche 
80  viel  als  slovenischer  Herzog  bedeutet :  dux  slovenicae  gentis ; 
daher  hat  Kukuljevics,  als  er  im  Index  seines  ürkundenbuches 
diesen  Mutimir  Herzog  von  Slavouitu  nennt,  einen  Anachronismus 

Der  letzte  bekannte  Fürst  dieser  Landesteüe  war  Brazlaw, 
der  über  die  zwischen  der  Drave  und  Save  wohnenden  Slovenen 
herrschte,  und  schon  im  Jahre  884  sich  Karl  dem  Dicken  unter- 
warf und  dessen  Vasall  wurde. 

König  Arnulf  traf  im  Jahre  892  in  Steiermark  zu  Hengistfeld, 
dem  heutigen  Graz,  mit  Brazlaw  zusammen,  und  besprach  mit 
ihm  den  Feldzug  gegen  Mähren. 

Nach  Mährens  Besiegung  übertrug:  Arnulf  im  Jahre  896  Pan* 
nouien  mit  Mosl)uri^  (Szalavar),  der  durch  Herzog  Privina  hier  <:;e- 
griiudeten  Hauptstadt,  der  getreuen  Verwaltung  des  Herzogs 
BrazUw,  —  und  dies  ist  die  letzte  Veranlassung,  bei  welcher  Braz- 
law's  und  seines  Landes  gedacht  wird. 

Dasselbe  wurde  wahrscheinlich  im  Jahre  900  durch  die  Un- 
garn erobert,  und  zwar  hei  Gelegenheit,  als  dieselhen  von  ihrem 
Heereszuj.'  aus  Italien  heimkehrten. 

Die  Eroberung  und  Zerstörung  des  Brazlaw'schen  Landes  hat 
nicht  die  Bedeutung,  als  wenn  die  Ungarn  damals  Croatien  erobert 
hätten,  denn  Brazlaw*s  Land  lag  nicht  in  Croatien  ,*  nicht  in  dem 
Croatien  des  IX.  und  X.  -Tahrhuurlerts  u  imlich,  das  von  der  Save 
südlich  lag,  und  aus  Dalmatien,  sowie  aus  dem  später  sogenannten 


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16 


DIE  ENTSTEHtWG  CROATIENS. 


Türkiscli-Croatit-n  und  Teilen  der  oroatischen  Militarprenze  be- 
stand. Es  ist  gewiss  kein  blosser  Zufall,  dass  über  das  Jahr  900 
hinaus  die  Namenreihe  der  zwischen  der  Drave  and  Save  regie- 
renden Fürsten  —  die  zwar  auch  bisher  sehr  lückenhaft  war  — 
gtinzlicli  aufhört,  wiilircnd  jene  der  croiitisclien  Könige  noch  bis 
zum  Jalire  lOlH  ununterbrocben  fortläuft. 

Aus  dem  bisherigen  Verlauf  der  Geschichte  ist  za  ersehen,  daaa 
das  Land  Brazlaw*6  und  seiner  Vorgänger  weder  unter  den  Franken, 
noch  unter  den  ATaren  einen  eigenen  Namen  fährte.  Bas  Gebiet 
dieser  Fürsten  war  entweder  in  der  Benennung  Unter-Pannouieus 
inbegriffen,  oder  es  war  als  Land  zwischen  den  zwei  Flüssen  be- 
zeichnet; manchmal  wurde  es  nach  dem  Namen  des  derzeitig 
regierenden  Herzogs  benannt,  indem  es  zur  Gepflogenheit  wurde, 
von  den  fränkischen  Markgrafschaften  als  vonLjudevit*8,£razlaw*8 
u.  s.  w.  Land  zu  sprechen. 

III. 

Betrachten  wir  uns  nun  die  Zugehörigkeit  dieser  Gegenden 

und  deren  geographische  Entwicklung  zur  Zeit  der  Ungarn. 

Mehr  iils  ein  Jahrhundert  verstreicht,  bevor  wir  wieder  sichere 
Kunde  erhalten  von  dem  Schicksal  der  einstigen  fränkiselien 
Vasallen-Herzogtümer.  Erst  der  Stiftungsbrief  Stefans  des  Hei- 
ligen vom  Jahre  t009,  worin  die  Grenze  des  durch  ihn  gegründeten 
Fünfkirchner  Bistums  beschrieben  worden,  zieht  wieder  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  sicli.  Dieser  Stiftungsbrief  sagt,  dass  der 
vierte  Grenzpuukt  (Köärok)  an  der  Donau  beginnt  und  an  der 
Save  endet. 

Diese  vollkommen  authentische  Urkunde  beweist ,  dass  zar 
Zeit  Stefans  des  Heiligen  die  Grenzen  Ungarns  sich  bis  au  die  Save 
erstreckten.  Dieses  beweist  auch  die  Urkunde  Konig  Ladishius  dt  s 
Heiligen  vom  Jahre  1093,  mit  welcher  die  östlichen  Grenzen  des 
Fünfkirchner  Bistums  in  jenem  Umfange  bestätigt  werden,  welche 
durch  Stefan  den  Heiligen  vorgezeichnet  wurden  ;  femers  beweist 
es  auch  die  Tatsache,  dass  die  Grenzen  des  Fünfkirchner  Bistums 
an  der  Save  unveränderlich  verblieben,  bis  im  XIII.  Jahrhun- 


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DIE  ENTSTEUUNO  CROATIENS. 


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dert  (las  Syrmier  Bistum  utuerdiugs  trriclitet  wurde.  Dermal 
gehören  die  jenseits  der  Drave  gelegenen  Teile  des  Fünfkirchner 
Bistums  zum  Syrmier  Bistnm. 

Inzwischen  ging  der  Teil  zwischen  der  Drave  und  Save  auf 

kurz^.  Zeit  verloren,  wahrseheinlicli  an  die  Griechen,  denn  l'alatin 
Kado  sagt  im  Jahre  1057  über  die  von  ihm  gegründete  Abtei  von 
Bzaya-Szent-Demeter,  dass  er  dieselbe  und  die  ganze  Provinz  mit 
vielen  Eriegsmühen  zwrück  erobert  habe ;  er  sagt  femers,  dass  die 
Abtei  an  der  Save  (wo  heute  Mitrowitz  steht)  im  Fünfkirchner 
Bistnm  iiej^'e,  weshalb  er  auch  zur  AusüViung  des  Patronatsreehts 
Bi>choi  Maurus  von  Fünl'kirchen  aufgefordert  und  seine  Stiftung 
bestätigt  habe. 

Als  durch  die  Willkür  des  Bischofs  von  Kalocsa  die  Grenzen 
des  Fünfkirchner  Bistums  verwirrt  wurden,  bestätigte  König 
Ladislaus  der  Heilige  im  Jahre  1098  die  Grenzen  dieser  Diöcese, 
wie  solche  durch  Stefan  den  Heiligen  bestimmt  worden,  und 
somit  anerkannte  auch  er,  dass  dessen  Grenzen  bis  zur  Save 
reichten. 

Ba5ki  meint,  dass  nach  der  allgemeinen  Annahme  beinahe 
aller  Gelehrten  der  Stiftungsbrief  Palatin  Radö's  vom  Jahre  1057 
ein  Falsificat  sei.  Wahr  ist's,  dass  der  Brief  des  Palatins  sicli 
einiger  damfds  ungewöhnlicher  Ausdrücke  hedient  und  dadurch 
die  Kritik  herausfordert;  nichtsdestoweniger  ünden  die  darin 
erwähnten,  auf  unseren  Gegenstand  bezüglichen  Tatsachen  ihre 
Rechtfertigung  in  damaligen  Ereignissen.  Oinnamus,  der  gut  infor- 
niirte  griechische  Schriftsteller,  scln-eibt,  dass  die  Ungarn  h;iuti«: 
in  das  byzantinische  lleich  einhrachen,  imd  kurz  vorher,  l)evur 
Alexius  Comnen  den  kaiserlichen  Tron  bestieg,  eroberte  Bado 
wieder  Syrmien ;  die  Ungarn  kamen  mit  der  Hand  des  Märtyrers 
Procop  zurück  und  legten  sie  inSyrmien  in  der  Kirche  des  heiligen 
Demeter  (d.  h.  Mitrovicz)  nieder,  welche  einst  durch  den  Prafecten 
von  lllj-rien  errichtet  wurde.  Die  Streifzüge  der  Ungarn  in  Syr- 
mien,  an  den  Ufern  der  Save,  inThracien  und  Maoedonien  erwähnt 
aneh  NieephorBiyennius.  Hieraus  leuchtet  hervor,  dass  dem  Ein- 
hrußh  der  Ungarn  die  Eroberung  der  Griechen  vorausging,  denn 

üagariscbe  hevxi«  1882  I.  Heft.  ] 


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DIK  ENTSTEHUNG  CROATIENS. 


in  ihrem  eif^enen  Lande  lititteii  die  Ungrirn  wohl  keine  \'tr Wüstun- 
gen ausgeübt.  Es  folgt  aber  hieraus  nichts  als  hätten  die  Ungarn 
zur  Zeit  Bad6*s  Syrmien  nicht  besessen,  —  sie  besassen  es»  weil 
sie  es  damals  von  den  Griechen  zurückeroberten.  Die  Kirche  von 
Szäva-Szent-Demeter  erwähnen  auch  die  f^riechischen  SchriftsttlK  r. 

Indessen  wollen  wir  die  Urkunde  vom  Jahre  1057  opfern,  ob- 
«rleicb  aus  ganz  anderen  Gründen,  als  welche  Eukuljevics  gegen 
dieselbe  in  einer  Note  anführt,  denn  die  in  der  Urkunde  angeführ- 
ten Tatsachen  werden  auch  durch  andere  Urkunden  bestätij^t ; 
sowie  namentlich  die  Tatsaclu-.  dass  die  Unj^arn  sclion  seit  Gniu- 
duno;  ihres  Königreiches  im  l^esitze  der  Savegegeud  waren,  nicht 
allein  durch  Badö's  Stiftsbrief  uns  bewiesen  wird. 

In  einer  unechten  Urkunde  können  neben  falschen  Angaben 
auch  solche  enthalten  sein,  deren  Wahrhaftigkeit  unbezweifelbar 
ist.  UrkuiKlenfalseher  haben  immer  ein  j^ewisses  Ziel  xov  Auf;<  ii, 
zumeist  handelt  es  sieh  um  Hesitzersckleichung  oder  um  Erliiuung 
einer  Familienverwandtschaft,  was  aber  mit  einem  solchen  Ziele 
nicht  zusammenhängt,  das  zu  fälschen  liegt  nicht  im  Interesse  der 
Betreffenden,  vielmehr  liegt  es  in  ihrem  Interesse,  durch  Vorfüh- 
rung von  wahren  Tatsachen  vmd  wahrer  Verhältnisse  die  Erken- 
nung der  falschen  Daten  zu  erschweren  oder  unmöglich  zu  machcu. 
Ich  will  mich  aber  in  keine  historische  Chemie  einlassen,  um  in 
einer  möglicherweise  unechten  Urkunde  das  Wahre  vom  Falschen 
zu  scheiden,  sondern  will  nur  anführen,  dass  daraus,  weil  in  einer 
circa  \(K>1  ausgestellten  l'rkr.nde  Palatin  Rado (Radovan)  genannt 
wird,  notwendigerweise  nicht  folgt,  als  hätte  Buio  nicht  schon 
1057  Palatin  sein  können. 

Auch  Johann,  der  Diacon  von  Guercse,  schreibt,  dass  als 
König  Andreas  den  Besitz  des  Landes  sich  sicherte,  er  seinen  jün- 
geren Bruder  Adalhert  zum  HerzoL;  von  Blavonien  (von  ihm  an 
anderem  Orte),  Rido  aher  zum  Palatin  ernannt  habe,  hii 
Andreas  I.  bis  zum  Jahre  UH'>1  regierte,  so  ist  es  klar,  dass  Kado 
schon  vor  dem  Jahre  1067  die  Palatinatswürde  inne  haben  musste. 
Auch  der  Diacon  Johann  erzählt  von  den  Eriecrserfolgen  des  Pala- 
liUB  P»ad6  jenseits  der  i>rau,  wo  er  doch  den  als  apokryph  erklar- 


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Dil:  ENiSTEllUNCi  CllOAXIENS. 


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teil,  auf  die  Abtei  von  St.-Demeter  an  der  bave  bezüglicbeoi 
Stiftungsbrief  kaum  gekannt  haben  mochte,  —  wir  selbst  kennen 
denselben  nur  aus  einem  Transsumpt  des  Jahres  1404. 

Die  citirte  I  rkunde  vom  Jahre  1057  bezeichutii  Gebbardi, 
Eni^jel.  Szentivänyi.  Ose^^ovicb.  Kiikuljevicb,  Hacki  u.  s.  \\.  als 
J?alsilii.'at,  wiihreud  Farbiti,  Koller,  Peterfy,  Pray,  Gyiu-ikovich, 
AVenzel,  Podhraczkj,  Emil  Becsi,  8telan  Horvath,  Ladislaus  Szalaj, 
Michael  Horvath  und  Andere  dieselbe  als  echt  erklären. 

Als  eclit  erkt-nnt  sie  aueb  Papst  Hoiioriiis  III.,  welcber  im 
Jahre  1-18  bei  Gelegenheit,  als  er  das  Kloster  von  Laberia  im 
Besitze  seiner,  teilweise  auch  in  Ungarn  gelegenen  Güter  bestä- 
tigt, darunter  auch  beide  Klöster  von  Szuva-Szent-Demeter  erwähnt, 
—  eines  derselben  war  nämlich  ein  griechisches  Kloster ;  und  von 
beiden  napit  der  Papst,  dass  dieselben  in  Ungarn  an  der  Save 
«ieleLjt^H  siii<i,  I)er  Papst  bestätigt  unter  Einem  das  Kloster  in  allen 
ICutznieB.sim;4eii  und  Privile^jinii,  welche  dassellie  vom  König  Bela 
erhalten.  Hier  ktinn  nur  Bela  I.  gemeint  sein,  der  nach  seinem 
älteren  Bruder,  König  Andreas,  im  Jahre  1001  den  Tron  bestieg 
und  in  der  Urkunde  des  Palatins  Bado  als  dux  Adalbertus  und 
Bruder  des  Koni;4s  erwähnt  wird.  Aus  der  pnpstbcben  Urkunde 
leuchtet  nuc  b  hervor,  dass  die  Privilegien  Konig  Bela's  nicht  dem 
griechischen  Kloster  galten,  dass  dolier  die  Stiftung  Badd's  sich 
auf  das  andere  bezog. 

Unumstossliche  Tatsachen  l>eweisen  es,  dass  der  westliche 
Teil  des  zwischen  derl'rave  und  Save  ii^elegeneu  Gebietes,  welches 
beute  fälschlich  Croatien  genannt  wird,  schon  unter  Stefan  dem 
Heiligen  und  König  Bela  I.  unmittelbares  ungarisches  Territorium 
gewesen  sei.  Es  geht  dies  auch  aus  dem  Besitzstreit  hervor,  welchen 
Rubin  im  Namen  der  Familie  V«>jkfy  gegen  Peter  Thet6nyi  und 
«le-sen  Fauiilie  anbungig  machte.  Die  streitigen  Besitzungen  bigen 
an  den  Flüssen  Pukra  und  Tophcza,  uamentlicli  gehörten  auch 
Keresztur  und  Megyurics  dazu,  —  letzteres  liegt  auch  heute  noch 
zwischen  den  Flüssen  Pakra  und  lUova,  im  Gebiete  des  einstigen 
ersten  Banal -Begiments.  Im  Auftrage  des  Königs  untersuchte 
Paiatiu  Dionis  diesen  Process  und  lallte  in  dieser  Angelegenheit 

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t 

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so  DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENÖ. 

im  Jahre  1^88  sein  Urteil.  Von  den  Parteien  hatte  Vojkfy  zur 
Unterstützung  seiner  Bechtsanspräohe  ToUkommen  glaubwürdige 
Urkunden  Stefans  des  Heiligen,  König  B^la*s  L  und  seiner  Nach- 
folf?er  vorige k'fjt  (instrumentiB  autenticis  inclite  memoriebeatissimi 
Ste])hani  etBehiBelyn  coiidjim  Regum  illustriiirn  Rc^nii  Hiingarist, 
et  aliorum  ipsis  succedeiitium),  weshalb  aucli  das  Urteil  zu  seinen 
Gunsten  ausfiel ;  als  aber  dies  geschah,  verglich  sich  Yojkf.v  mit 
seinen  Gegnern.  Im  Verlaufe  des  Processes  hatte  man  sich  auf  die 
Zeuf^enschaft  der  zwischen  der  Drave  und  Save  wohnhaften 
Ma^jiiaten  berufen ;  dieselben  waren  also  keine  Grossen  irprend 
einer  Provinz,  welche  einen  besonderen  Namen  trug.  Noch  im 
selben  Jahre  bestätigte  Andreas  IL  das  Urteil  des  Palatins  Dionis, 
ja  noch  sogar  König  Mathias  im  Jahre  1488.  Solchen  Beweisen 
gegenüber  muss  auch  der  verbissenste  Zweifel  verstummen. 

Da  wir  derart  Stefan  den  Heiligen  im  wahrhaftigen  Besitze 
des  durcli  die  Save  begrenzten  Gebietes  linden,  die  Geschiclite 
jedoch  nicht  ihn  den  Eroberer  jenes  Landes  nennt,  so  erhellt^ 
dass  Stefan  den  Besitz  jener  Gegenden  nur  von  seinen  Vorfahren ' 
ererbt  haben  konnte ;  somit  gewinnen  die  Eroberungen  der  Ungarn 
am  Kn<l(  dv^  IX.  Jahrliunderts  in  Bezug  dieser  Gegenden  eine 
neue  Beglaubigung. 

Ueber  den  Besitz  der  Griechen  zwischen  den  zwei  Flüssen 
haben  wir  ebenfalls  Einiges  zu  sagen.  Zur  Zeit  Stefans  des  Heili- 
i;en  herrschten  zwischen  der  Donau  und  Save  bald  einheimische 
Fürsten,  bald  die  Griechen.  Der  griechische  Kaiser  Basilios  II. 
zerstörte  im  Jahre  101  s  den  l>ulguribcUen  Staat  und  der  letzte 
Czar  von  Ochrida  fiel  bei  Durazzo.  Nur  in  Syrmien  sass  Herzog 
Sermo  und  wollte  sich  den  Griechen  nicht  unterwerfen.  Deshalb 
heuchelte  der  griechische  Befehlshaber  Constantin  Diogenes 
Freundschaft,  lud  im  Jahre  1019  Sermo  zu  einer  Beratung  im 
Interesse  eines  Bündnisses  ein  und  ermordete  ihn.  Dieser 
GonstMutin  Diogenes  wurde  Prafect  von  Bulgarien  und  Syr- 
mien und  die  Griechen  blieben  lange  im  Besitze  des  derart  erober- 
ten Syrmiens. 

Das  Missale  von  Boldva  bemerkt  zum  Jahre  1068,  dass  König 


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DIB  ENTSTEHtTNO  CB0AT1EN8 


Salaiuüu  Bulgarisch-Weissenbuig  oiniiabni,  doch  bald  batteu  es 
die  Bulgaren  und  Griechen  dttrch  List  zurückgenommen.  Die  Ge- 
schichte der  Belagerung,  wie  sie  Turöczy  erzählt,  läset  keinen 
Zweifel  darüber,  dass  Syrmien  damals  in  ungarischen  Händen  war. 
Deshalb  betrachten  die  Herzoge  Ladishius  und  Gezii  dm  S'.ivetiiiss 
als  ÜperatiüDsbasis ,  beraten  sieli  üi  Zabiukemeu,  bestiiruien 
Weissenburg  (heute  Belgrad),  brechen  in  Bulgarien  ein,  was  sie 
nicht  gekonnt  hätten,  wenn  hinter  ihrem  Bücken  die  Griechen  in 
Synnien  sitzen.  Die  aus  Feindesland  heimkehrenden  Herzoge 
liaiten  Stand  an  den  Hüf^eln  bei  Jiuzias,  um  sich  in  die  Schatze 
uüd  die  Gefangenen  zu  teilen,  welche  ihnen  als  Kriegsbeute  zu- 
gefallen. In  dieses  Gebiet  von  Buziäs  brachen  erst  kürzlich,  nach 
Durchschwimmung  der  Save,  die  von  der  Seite  Weissenbnrgs  kom- 
menden Biesenen  und  kehrten  zurück,  nachdem  sie  hier  «in  Un- 
irarn»  (stigt  Turöczy)  }3eute  gemacht  und  Gefanj^ene  mitgeschleppt. 
Dieses  Buziäs  existirt  heute  nicht  mehr,  allein  noch  in  einer 
üikunde  Karl  Boberts  vom  Jahre  1320  wurden  die  Orte  Magyar- 
BqziAs,  Tot-Buziäs  und  Eyus-Buziäs  in  Syrmien  genannt,  sammt 
Szekelytelek  oder  Eajäntö  und  anderen  ungarischen  Dorfschaften. 

Nebenbei  l>e\veist  dieser  Feldzug  auch  dies,  dass  Ladislaus  der 
Heilige  nicht  im  Jahre  1091  die  Drave  zum  erstenmale  überschritt. 

Die  Buhelosigkeit  Salamons  und  seine  Eifersucht  gegen  die 
königlichen  Herzoge  machten  es  möglich,  dass  die  Griechen  Syr- 
mien sich  wieder  aneignen  konnten.  Dies  duldeten  aber  die  Ungarn 
nicht  lange.  Noch  bevor  Kaiser  Alexius  Comnen  den  Tron  bestieg, 
also  vor  108 1 ,  eroberten  sie  nicht  nur  ganz  Syrmien  zurück,  sondern 
drangen  auch  in  Thracien  und  Macedonien  ein  bis  nach  Soopia 
(d.  h.  Skoplje,  bei  Yardar)  und  Kissa.  Bestimmter  setzt  Badki 
diese  Ereignisse  auf  das  Jahr  1078,  weil  nach  Nicephor  Bryennius 
der  Einfall  der  Ungarn,  sowie  die  Eroberung  Syruiiens  und  der 
Savegegend  dem  Kaiser  Michael  grosse  Sorgen  verursachten.  Die 
Herrschaft  Michaels  dauerte  von  1071  bis  1078. 

Die  Griechen  besassen  übrigens  Syrmien  nur  bis  Peterwardein, 
dies  auch  Cinnamus  aussagt,  der  eiustige  griechische  Präfect 
von  Syrmien. 


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I 


Sä  DIE  ENTSl-EHUKG  CROATIEN8. 

Als  Gottfried  von  Bouillon,  Herzog  von  Lothringeu,  im  Jahre 
1096  mit  seinem  Kreuzbeere  durch  Ungarn  zog,  war  Syrmien  im 
nng^risclien  Besitz. 

Und  diese  Zustünde  sAnctionirte  eine  achthunder^äbrige  Ge- 
bell ichte. 

Weder  der  wvstliehe  uoeb  der  östliche  Theil  des  Zwischenlan- 
des der  Drave  und  Save  trug  im  XI.  Jahrhundert  den  Namen 
Slavonien. 

Zur  Belewehtang  der  vorliegenden  Frage  ist  es  auch  notwen- 
dig, die  (Frenzen  der  erstin  Bihtuiiur  «.regen  Grieehenland  zu  jtru- 
fen.  Zum  Kulocsaer  Bistum  <:t  liörte  auch  das  Gebiet  zwischen  der 
Donau  und  Save,  oder  ein  Teil  Syrmiens.  Dies  geht  hervor  aus 
einer  Urkunde  des  Jahres  1 093,  welche,  uns  Terkändet^  dnss  Desider, 
Kalocsaer  Bischof ,  die  Östlichen  Grenzen  des  Fünfkirchner  Bistums 
verletzt  habe,  wt-slinlb  König  Ladislaus  derlleilige  (]iescll»en  (ierart 
berichtigte,  wie  diese  unter  Stefan  dem  Heiligen  bestanden.  Desi- 
der  (1075 — 1093)  grenzte  zwischen  der  Donau  und  Save  in  solcher 
Weise  an  das  Fänfkirchner  Bistum,  dass  eine  Grenzverletzung 
vorkommen  konnte.  Die  Berührungspunkte  fanden  sich  im  Syr- 
mier  Comitat  östlidi  von  f'rdöv»  g.  Die  citirtt  n  zwei  königliclicn 
rrkunden  erwiihnen  das  Fliisschen  Koärok,  welches  sich  in  die 
Save  ergiesst  und  in  der  Gegend  von  Kuvesdin  gesucht  werden 
muss.  Möglich,  dass  die  Grenzen  der  Diöcese  auch  deshalb  in  Ver- 
wirrung kamen,  weil  Syrmien  unter  Stefan  dem  Heiligen  längere 
Zeit  hindurch.  ()i)gleich  immer  mit  Unterbrechungen,  von  den 
ürieclieu  Ite-etzt  war. 

Als  Kaiser  Michael  dies  Land  wiederholt  verlor,  wurden  die 
Grenzen  des  Ealocsaer  und  Fänfkirchner  Bistums  zwischen  der 
Donau,  Prave  und  Save  erneuert.  Zum  Kalocsaer  Bistum  gehörte 
die  Spitze  zwischen  den  zwei  Flüssen  iSvrniien).  zum  Fiinfkirchner 
der  von  hier  westlich  liegende  Teil  mit  unbestimmten  Grenzen, 
welche  selbst  damals  noch  nicht  festgestellt  waren,  als  Ladislaus 
der  Heilige  das  Bistum  Agram  (um  das  Jahr  1093)  gründete, 
welches  daher  im  Osten  an  das  Fünflnrcbner  Bistum  grenzte. 
Spater,  nach  der  Zeit  des  Grenzstreites,  gründete  Ladl.siuu^  der 


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DIE  ENTSTEHUNO  CR0ATIBN8. 


33 


Heilige  die  Bacser  Diöcese,  welclie  dann  im  Jahre  1135  mit  der 
Kalocsiier  vereinigt  wurde. 

Das  Arehidiaconat  Marchia  der  Fünfkirchner  Diöcese  bestand 
noch  im  XIII.  und  XIY.  Jahrhundert.  Da  Marchia  so  viel  bedeutet 
als  Grenze  oder  Grenzbezirk»  so  müssen  sieh  hier  die  Grenzen  des 
ungarischen  und  des  griechischen  Reiches  berührt  haben.  Nach 
KolKr's  MeinunjT  muss  pich  die.^e  Linie  von  der  Donau  nächst 
Bänostor  über  Kuvesdin  direct  an  die  Save  bei  Grk  j:(ezogen  haben. 

Bis  zu  eben  dieser  Zeit  besass  auch  die  Kalocsaer  Diöcese  ein 
8jrmier  Arehidiaconat. 

Es  ist  unmöglich  anzunehmen,  dass  Stefan  der  Heilige  die 
Grenzen  der  Fünfkirchntr  I)iöce8e  an  der  Save  tixirt  hätte,  wvun 
die  Grenzen  seines  Landes  nicht  an  der  Save  gelegen  waren,  doch 
konnte  er  der  griechischen  Einfalle  und  Besitzergreifung  wegen 
in  dieser  Gegend  keine  definitive  Gestaltung  erzielen. 

Die  jenseits  der  Drave  gele^^enen  Teile  des  Fünfkirchner 
Li-luijis  hutten  selbst  daniuls  noch  keine  definitiv  geregelten 
Grenzen,  als  König  Ladislaus  der  Heilige  zum  erstenmale  die 
Drave  überschritt.  Diese  wurden  daher  durch  Andreas  II.  im  Jahre 
derart  festgestellt,  dass  der  Fluss  Lisnicze  oder  Valko  die 
Gienze  zwischen  der  Agramer  und  Fünfkirchner  Diöcese  zu  bilden 
habe;  vom  LisniczeHuss  jingefangen  aber  wurden  die  Grenzen  der 
Fünfkirchner  Diöcese,  mit  Eiuschliessung  des  ganzen  iV »segaer 
Comitats,  bis  zu  jenem  Punkte  ausgedehnt,  wo  nördUch  der  Almas- 
fluss  sich  in  die  Drave  ergiesst. 

Dadurch  wurden  aber  die  Verhältnisse  nur  an  einer  Seite 
j;ikiart,  wahrend  sieh  die  ererbte  Verwirrung  in  der  Ivichtuu^^  des 
KaloesHer  Bistums  nocli  ]\iu<^v  hinauszog.  Papst  Innocenz  IV..  im 
Bestreben,  die  aus  solcher  Unordnung  stammenden  Streitigkeiten 
so  beenden,  erliess  am  ü7,  September  li47  an  einige  Aebte  den 
Befehl,  j»  ue  Untersuchungen  vorzunehmen,  welche  nötig  sind, 
um  die  Grenzen  des  Fünfkirchner  und  Kalocsaer  Bistums  bestim- 
men zu  können. 

Aus  allem  diesem  geht  klar  hervor,  dass  das  Fünfkirchner 
Bistum  weder  mit  dem  Agramer  noch  mit  dem  Kalocsaer  Bistum 


DIE  EKTSTBHUKO  CB0ATIEN8 


an  anderer  Stelle  in  eine  Grenzberühruns  koiiitneii  konnte,  als 
zwisclun  der  Drave  und  Savt- ;  Grenz.stiriti^^keiten  zwischen  den 
genannten  Bistümern  konnten  nirgend  anderwärts,  als  zwischen 
den  genannten  zwei  Flüssen  vorkommen. 

Doch  auch  hier  haben  wir  noch  nicht  die  Landesgrenze  Un- 
garns erreicht,  denn  Papst  Gregor  IX.  erklärte  dadurch,  dass  er  im 
Jahre  12l29  auf  Bitten  des  Kalocsaer  Erzhisthofs  die  Einwilligung 
gab,  in  jenem  Teile  Ungarns ,  welcher  das  diesseitige  Syrmien 
genannt  wird,  ein  neues  Bistum  zu  gründen,  —  einen  Teil  Syr- 
miens  als  zur  Ealocsaer  Diöcese  gehörig.  Wenn  die  Urkunde 
Andreas  I.  vom  Jahre  1057,  womit  er  die  Stiftiinp:  des  Palatins 
Radu  hestiitigt,  in  Betracht  .i:^ezogen  wt  rden  darf,  so  lag  Szäva- 
Szent'Demeter  (Mitrowitz)  im  Bereiche  der  Fünfkirclmer  Diöcese. 
Dieses  angenommen,  müssen  wir  von  dem  jenseits  der  Save  geie- 
genen  Syrmien  in  kfrchlichterritorialer  Beziehung  voraussetzen, 
dase  ein  Teil  desselhen.  und  zwar  jener,  welcher  der  Kalocsaer 
Diöcese  nüher  lag,  zu  letzterer  t;ehörte,  —  ein  anderer  Teil  aber, 
wahrscheinlich  jener,  welcher  von  Mitrowitz  südlich  sich  erstreckte, 
von  der  Fünfkirchner  Diöcese  abhing.  Man  muss  dies  aus  jenen 
papstliehen  Worten  folgern,  womit  die  Errichtung  des  Syrmier 
Bistums  dadurch  motivirt  wird,  dass  in  der  Kalocsaer  Erzdiöcese 
weijen  der  Weitlauti^^keit  ihres  Territoriums  die  Seel8or<::e  nicht 
jjehörig  von  Statten  gehen  könne.  Der  Papst  bevolimachtifft  den 
Kalocsaer  Erzbischof  Ugrin,  dass  insofeme  im  jenseits  der  Save 
gelegenen  Syrmien  (Sirmia  ulterior)  sich  ein  B'schofesitz  vorfinden 
sollte,  er  diesen  mit  dem  neuen  Syrmier  Bistum  (als  dessen  Sitz 
das  Kloster  KT)  auserkoren  \\nv)  vereinigen  möge. 

Der  Papst  wusste  demnach  nicht,  ob  in  Syrmien  jenseits  der 
Save  sich  ein  Bistum  befinde;  wundem  wir  uns  daher  nicht,  wenn 
es  uns  unbekannt  ist,  welche  Teile  dieses  Syrmiens  zur  Fünf- 
khrchner  und  welche  zur  Ealocsaer  Diöcese  gehörten.  Gewiss 
scheint  mir  nur  soviel,  dass  vom  transsavanischen  Syrmien  solche 
Teile  zur  Kalocsaer  Erzdiöcese  nicht  gehören  konnten,  welche 
südlich  von  Mitrowitz  gelegen,  gleichsam  die  territoriale  Fort- 
setzung der  Funfkirchner  Diöcese  bildeten. 


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DIB  ENTSTEHUNG  CROATIEN'S. 


Ich  habe  es  l)ereit6  an  aiuU  rcr  Stelle  aiis^..  spr.  »clu  ii.  dass 
Konig  Andreas  II.  dieses  traussavanische  Syrmien  seinem  Eukei 
Johann  conferirte. 

Die  Urkunde  Andreas'  II.  Toin  Jabre  1235  ist  in  vieler  Be- 
ziehun<?  interessant :  sie  ist  es  namentlich  darum,  weil  sie  die  Stif- 
tuug.surkimde  Stefans  des  Heiligen  vom  Jahre  100*.>  lu  ziiLilicli  des 
Füufkirchner  Bistums  transscrihirt  und  somit  als  echt  anerkennt. 
Die  Urkunde  spricht  femer  von  den  Amtsbefagnissen,  M-eiche  der 
Palatin  nnd  Landenrichter  (Jndex  Curiae)  in  den  Teilen  jenseits 
der  Drave  ausübten  und  welche  das  ungarische  Wesen  dieses  Ge- 
bietes bt  weisen.  \ou  besonderer  Bedeutung  ist  auch  jener  Satz, 
v^omit  König  Andreas  II.  scheinbar  aussagt,  als  wäre  Ladislaus 
der  Heilige  der  erste  ungarische  König  gewesen,  welcher  die  Drau 
äberschritt. 

Eine  derartif,'e  Erklärung  des  Textes  muss  wahibaftig  über- 
Fiischen.  Andreas  II.  konnte  in  demselbt  ii  Augenblicke  und  iu 
derselben  Urkunde,  in  welcher  er  von  der  Stiftung  des  Fünfkirch- 
ner  Bistums  dnroh  Stefan  den  Heiligen  spricht,  unmöglich  sagen, 
dass  Ladislaus  der  Heilige  der  erste  Ungamkönig  gewesen  sei, 
welcher  die  I)rau  iibei>-(  hritt.  er  konnte  es  nicht  sagen  unmittelbar 
nach  seinen  Worten,  mit  welchen  er  anerkennt,  dass  die  Grenzen 
des  Fünfkirchner  Bistums  jenseits  der  Drau  bisher  nicht  gehörig 
festgestellt  waren. 

Koller  glaubt  den  Satz  derart  interpretiren  zu  sollen,  dass 
Ladihlaus  der  Heilige  die  Drau  an  jener  Stellt'  überschritten  habe, 
wo  der  Fluss  die  Grenze  zwischen  Ungarn  und  Croatien  bildet, 
beifugend,  dass  der  König  nach  der  Fiussüberschreitung  die  slavi- 
sehen  Landesteile  (partes  slavicas)  erobert  habe,  und  diese  Worte 
der  Urkunde  erklären  es,  dass  die  erste  Flussüberschreitung  sich 
au/ die  alsbald  eroberten  slavischen  Lundestcile  bezog. 

Diese  Erklärung  erscheint  nur  dann  als  aunehmbjtr,  wenn 
Ukterden  slavischen  Teilen  (partes  slavicff)  nicht  das  heutige,  son- 
dern das  alte  Croatien  verstanden  wird,  —  denn  von  wem  sollten 
wohl  Agram  und  die  Territorien  der  benachbarten  Comitate  erobert 


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0 


S<>  DIE  ENTSTEHUNG  CROiTIEMB. 

■werden  ?  diese  waren  ja  nicht  im  Besitze  der  croatischen  Könige 
und  wurdtii  ja  daujuls  noeli  nicht  Slavonioii  genannt. 

Dies  scheint  auch  Turoczy's  Auffassung  gewesen  zu  sein,  denn 
vun  Ladislaus  dem  Heiligen  sprechend,  sagt  dieser  Chronist,  er 
sei  der  erste  gewesen,  welcher  Dalmatien  und  Croatien  eroberte 
und  seinem  Reiche  einverleibte. 

Zum  Archidiaconat  Marchia  f^ehurteu  unter  Anderem  Ei  tlöveg, 
Lezsimir,  Vizics,  Gibaracz,  Morovich  (Maröt),  Mangyelosz,  Nestin, 
Sziiszek,  lilok  (Ujlak).  Darin  erkennen  wir  die  Linie,  jenseits 
welcher  im  Osten  das  Syrmier  Diaconat  sich  ausdehnte.  Zum 
Fiinfkirchner  Bistum  gehörten  ührigens,  schon  seit  Stefan  des 
Heihgen  Zeiten,  nicht  nur  das  Archidiaconat  Marchia,  sondern 
auch  jenes  von  Valko  und  Eszek.  Also  ebenfalls  Landesteile  jen- 
seits der  Drave. 

Indessen  nimmt  nicht  nur  die  Thatsache  unsere  Aufmerksam- 
keit in  Anspruch,  dass  die  Bistumn-  IVintkirclien  und  Kalocsa 
sich  bis  an  die  Suve  erstreckten,  sondern  auch  jene,  da^s  die 
weitentlegene  Abtei  von  Fannonhalma  (St.  Martinsberg  bei  llaab) 
das  Z^hentrecht  in  jenem  Teile  des  Somogyer  Gomitats  besass, 
welcher  jenseits  der  Drave  gelegen  ist.  lieber  dieses  Zehentreoht 
jtroducirte  die  Piinnonliahnaer  Ahtei  das  (h-iginal-Privih-gium  Ste- 
fans des  Heih'gen,  wck-lit  s  die  riiiiste  Alexaniier  II.,  Urban  II.  oder 
III.  und  Clemens  III.  bestittigten.  Dieses  von  Stefan  dem  Heiligen 
stammende,  auf  den  transdravanischen  Teil  des  Somogyer  Comi- 
tats  bezügliche  Zehentrecht  bestätigten  auch  die  Könige  Ladislaus 
der  Heilige,  Geza.  Behl  IV.  und  Stefan  V. 

Ueher  das  Zelientrecht  entstand  Streit  zwischen  <b  r  Bannon- 
halmaer  Abtei  und  dem  Agramer  Bistum ;  weshalb  der  Papst  im 
Jahre  das  richterliche  Verfahren  anordnete  und  vorschrieb; 
docli  blieb  der  Proeess  lan^e  unentschieden,  bis  sich  endlich  die 
Ahtei  entschloss,  ihrem  Zellentrechte,  welches  dieselbe  "jens«nts 
der  Drave,  unterhulo  des  Agramer  Bistums,  gegen  Slavouien  zu« 
besass,  zu  Gunsten  des  genannten  Bistums  zu  entsagen,  wie  dies 
aus  der  Urkunde  Papst  Gregor  IX.  vom      Juli  1 23^  ersichtlich. 


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DIB  ENTSTEHUNO  OBOATIENS. 


Das  Territorium  des  Agrauicr  Bistums  hiess  also  damals  nocli 
uicbt  SkvoDit  u. 

Die  80  oft  beglaubigte  Tatsache,  dass  Stefan  der  Heilige  in 
der  Gegend  von  Agram  Zebentrechte  Tergab,  scbliesst  nunmehr 
jeden  Zweifel  darüber  aus,  dass  diases  ganze  Gebiet  ein  tinviittellHi- 

rar  Teil  Vittjarus  ivar,  welclie  Tatsache  iiocli  eine  ei<^entiiinliche 
Illustration  durch  den  Ausdruck  gewinnt,  womit  das  Einhebungs- 
Gebiet  der  kirchlichen  Einkünfte  als  gegen  Slavonien  zu  gelegen 
—  versus  Sclavoniam  —  bezeichnet  wird,  wodurch  es  deutlich  als 
von  Slavonietk  verschieden  erscheint,  welches  zur  Zeit  Stefans  des 
Heilifjen  jenseits  der  Kulpa  lag  und  den  croatisclien  Koni<:en 
unterstand,  worunter  aber  eigentlich  d:iR  alte  Croatien  zu  ver- 
stehen ist.  Uebrigens  folgt  auch  aus  der  territorialen  Contiguität, 
ditss  die  transdravanischen  Teile  des  Somogyer  Gomitats  sich  nur 
an  das  Köröser  (Kreutzer)  oder  das  Veröezer  Comitat  anlehnen 
konnten. 

So  lesen  wir  auch  von  der  jenseits  der  Drau  gelegenen 
Gegend  von  Vaska  und  Basek,  dass  diese  in  der  Kichtung  gegen 
Slavonien  zu  sich  befinden  ,*  sie  lagen  daher  nicht  in  Slavonien  selbst. 

Eine  solche  Zahl  von  Daten,  die  wir  leicht  noch  vermehren 
konnten,  leweist  zur  Genüge,  dass  schon  zur  Zeit  der  ersten  unga- 
rischen Konige  nicht  die  Drnve,  .soudc.nt  die  Save  UtKjar/is  Grenze 
gewesen  sei,  und  dass  das  Fünfkirchner  und  Kalocsaer  Bistum 
auch  das  Gebiet  zwischen  den  zwei  Flüssen  in  sich  begriffen  habe, 
ja  sogar  über  den  jenseitigen  Teil  der  Save  sich  erstreckte.  Aus 
dieser  Tatsache  wird  Nit  luand  folgern,  dass  Croatien  oder  Slavo- 
nien sich  über  di»  Territorien  der  Kalocsaer  und  Fünlkirchner 
Diöeese  erstreckt  habe,  sondern  vielmehr,  dass  diese  Diöcesen 
ölierall,  auch  jenseits  der  Drau,  ungarischen  Boden  umschlossen. 

Wahr  ist's,  dass  die  Territorien  der  Diöcesen  nicht  immer 
mit  den  Grenzen  eines  bestimmten  Landes  zusammenfallen.  <lie 
Päpste  nahmen  auf  letztere  nicht  immer  Rücksicht.  Das  Salzbur- 
Ker  Erzbistum  forderte  auf  Grund  päpstlicher  und  kaiserlicher 
Verordnungen  Territorialf^renzen  bis  zur  Drau,  weshalb  schon 
^OT  der  Zeit  Bela's  IV,  zwischen  dem  Salzburger  Erzbiscliof  und 


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2b  ' 


DIE  £HT8TEHÜN6  0ROATIBN8, 


dem  Bischof  von  Agram  lif'ftip;er  Streit  entbranote.  Die  Böhmen 
dehnten  iVu-  Grenzen  des  Präger  Bistums  l>is  zum  Waagtiusse 
aus.  (In  WirkUchkeit  hatte  die  Pra^'t  r  Diöcese  niemals  die  Waa^^ 
zur  Grenze.)  Als  durch  den  Friedenssohluss  vom  Jahre  174l£ 
Schlesien  und  mit  diesem  auch  das  Breslauer  Bistum  an  Freussen 
kam,  behielt  der  Bischof  seinen  kirchlichen  Einfluss  auch  in 
dem  bei  (K  stt  ir<  ich  verbU^  benen  Teil  Schlesiens,  welcher  wider- 
sinnige Zustand  noch  in  unseren  Tagen  lebhaft  angefochten 
wurde.  Der  Wiener  Beichsrat  brachte  im  März  1874  folgende 
Besolution :  Die  Begierung  möge  suchen  dem  unnatürlichen  Zu- 
stande ein  Ende  machen,  dass  die  Diöcese  Breslau  nach  Oester- 
reichisch-Sfhksien  und  das  Erzl)istum  Pra.u  in  die  priussische 
Grafschaft  Glat?,  dann  die  Olmülzer  Diöcese  in  das  preussische 
Decanat  Kat«cher  hinüber  greife.  Ende  Mai  kam  natürlich  aus 
Bom  eine  Antwort,  welche  diese  Zumutung  des  Ministeriums 
rundweg  ablehnte. 

Als  der  Cardinal  Erzbisohof  Schwarzenberg  in  der  Grafschaft 
Glatz,  der  ülmützer  Erzbischof  L  iudjraf  Fürstenberg  aber  in 
seinem  preussischen  Diöcesananteii  den  Versuch  machten,  die 
preussischen  Maigesetze  zu  umgehen,  wurden  sie  auf  ganz  traurige 
Art  belehrt,  dass  ihre  Absichten  jenseits  der  sohwarzgelbeu  Grrenz- 
2)faiii«  ^'anz  rt-spt  ctlos  vereitelt  werden.  Ebenso  ^^eschah  es  auer 
auch,  dass  dei  P\n"stbischol  von  Breslau,  Heinrich  Finster  am 
^0,  October  I8äl),  sich  veranlasst  sah,  sich  aui  den  österreichi- 
schen Teil  seines  Sprengeis  zurückzuziehen,  als  der  Culturkampf 
in  höchster  Blüte  stand. 

Alle  diese  Biispiele  sind  aber  auf  rn<;arn  nicht  anwendbar, 
weil  Stefan  der  Heili^'e  die  Territorien  der  durch  ihn  gestifteten 
Bistümer  nicht  in  fremden  Ländern  anwies,  wie  es  die  römisch- 
deutschen Kaiser  taten,  sondern  im  eigenen  Beiche.  Seine  Bis- 
tümer gehörten  nicht  zu  jenen,  deren  Bereich  der  Papst  aus  eige- 
ner Machtvollkommenheit  und  mit  Verletzung:  der  Landesintepritiit 
ausmass,  sondern  Stefan  der  Heilif,'e  bestimmte  selbst  die  Grenzen 
und  den  Umfang  der  Bistümer  (so  wie  jene  des  Fünf kirchner) ; 
dass  aber  Stefan  der  Heilige  das  Land  zwischen  der  Drave  und 


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DIE  ESTSTKHUNO  CKOATIBNB. 


89 


SaTe«  weiciieä  teilweise  zum  Fünfkirciiiier  und  Kulocssu  r  Bistum 
gesehlagen  wurde,  wirklich  besass,  dies  wird  im  Verlaufe  dieses 
Essay  an  vielen  Stellen  bewiesen*  In  fremdem  Lande  hätte  Stefan 
der  Heilige  der  Abtei  von  Pannonhalma  (St.  Martinsberg)  keine 

kirchliclien  Eiukiiiifte  anweisen  können. 

Wenn  «lern  nicht  so  wäre,  wenn  die  Teile  des  Kalocsuer  und 
Fonfkirehner  Bistains,  welche  jenseits  der  Drave  und  Save  lagen, 
sehon  damab  nicht  das  Land  des  Königs  von  Ungarn,  sondern 
jenes  eines  fremden  Fürsten  gewesen  wäre,  und  wenn  man  dies 
als  analof^en  Fallbi-trachten  niü.sste.  wie  jenen,  als  die  Territorien 
der  Prai^^er,  Breslauer  untl  Salzburger  Diöcesen  über  die  Grenzen 
fremder  Länder  aasgedehnt  worden,  —  wir  fragen,  wenn  das 
erwähnte  Gebiet  damals  nicht  Ungarn  war,  zu  welchem  Lande 
geborte  wohl  die  Gej^end  zxs-ischen  der  Dravo  und  Save  als  integri- 
render  Teil  ?  Hieruul"  antworten  keine  p  ipstliclien  Erlasse. 

Allerdinjjs  kann  die  kirchliche  Cieinemscbaft  nicht  als  Basis 
poUtischer  Prätensionen  dienen,  und  weil  die  zu  Ungarn  gehörige 
Insel  Maraköz  —  wie  selbst  Bischof  Osegovich  sagt  —  kirchlich 
dem  Agramer  Bistum  untersteht,  kann  daraus  ebensowenig^  gefol- 
gert werden,  dass  die  Croaten  einen  Anspruch  auf  Ungarn  haben, 
als  die  Böhmen  aus  dem  Umstände,  dass  die  Grenzen  der  Präger 
Diöeese  bis  an  den  Waagiinss  reichten.  Eine  Behauptung  übri- 
gens, welche  die  historische  Kritik  schon  längst  in  ihr  Nichts 
zerlegt  hat. 

Zur  Zeit  Stefans  des  Heiligen  können  wir  aber  eine  solche 
Gemeinschaft  nicht  voraussetzen,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil 
Ungarn  nicht  die  Drave  znr  Grenze  hatte. 

Wie  schon  mehrmals  angedeutet  wurde,  lagen  wesentliche 
Bestandteile  der  Comitate  ßaranya.  Somogy  und  Zahl  jenseits 
Her  Drave.  Diese  geboren  zu  den  ältesten  Comitaten  des  Landes, 
aud  man  muss  daher  annehmen,  dass  diese  Bestandteile  der 
genannten  Comitate  schon  vor  Ladislaus  des  Heihgen  Zeiten  zu 
denselben  gehörten.  Es  konnten  dies  demnach  nicht  jene  fsla- 
viseben  Landesteile»  sein,  welche  Ladislaus  der  Heilige  eroberte. 
Dass  die  transdravunischeu  Landesteile  schon  bei  Entstehung  der 


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30 


DIR  BNT8TEHÜNO  CBOATIENH. 


Comitutsiiistitution  zu  den  drei  f^enüuuteu  Comitateu  gcliörtfii, 
lübät  sich  dtiraus  folgern,  dass  die  Zustande  des  XV.  Jahrhunderts 
ohne  Zweifel  üeberbieibsel  iigend  welcher  uralter  Zustände  bilden, 
weil  im  genannten  Jahrhundert  keine  neuen  Gomitate  mehr  ent- 
standen, —  die  politische  Entwiekelung  liebte  es  bereits  mehr,  das 
Territorium  des  Landes  zu  detailliren. 

Püdgoracs  und  Nassicze,  welche  heute  zum  Veröezer  Comitate 
gehören,  nannte  man  im  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts  Ortschaft^'U 
des  Baranyaer  Gomitats.  Wohin  mögen  dieselben  und  deren  Um- 
gebung im  ersten  Jahrhundert  des  Königthums  kirchlich  gehört 
haheu'?  Wahrscheinlich  zum  Eszeker  Aroliidiaconat  und  somit 
zum  Fimfkirchner  Bistum,  his  das  Agramer  Bistum  gegründet 
und  die  erwähnten  Ortschaften  letzterem  zugeteilt  wurden. 

Ein  grosser  Teil  des  heute  als  croatisch  hezeichnetenKöröser 
Gomitats  gehörte  teils  zum  Zalaer,  teils  zum  Somogyer  Gomitat. 
Das  K/iröser  Comitat  seihst  wird  im  XIV.  Jahrhundert  weder  als 
slavouisches,  viel  weniger  als  cmatisches,  sondern  einfach  als 
transdravanisches  urkundlich  aufgeführt. 

Es  ist  kaum  nötig  darauf  hinzuweisen,  dass,  wenn  das  Gebiet 
jenseits  der  Drau  nicht  ein  integrirender  Teil  Ungarns  gewesen 
waif.  die  Comitate  Somogy,  Baranva  und  Zahl  sich  dort  nicht 
hatten  urrondiren  können. 

Wir  wollen  an  dieser  Stelle  Verzicht  leisten  auf  die  weitere  . 
Beweisführung,  welche  und  wie  viele  Orte  und  Districte  zwischen 
der  Drave  und  Save  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Türken- 
Invasion  den  Comitaten  Baranva.  Somogy  und  Zala  einverleiht 
wai'en.  Dieses  Thema  ist  fast  unerschöpflich.  Nur  das  Eine  wollen 
wir  noch  erwähnen,  dass  Königin  Gisella  (Regina  Gisla)  —  Ge- 
malin  Stefans  des  Heiligen  —  dem  Weszprimer  Bistum  einen 
Vizmet  genannten  Landstrich  schenkte.  Aus  den  Streitigkeiten, 
welclie  im  XIIT.  Jahrhundert  über  diesen  Landstnch  entstanden, 
sowie  aus  der  Greuzhegehung  sehen  wir  zur  Genüge,  dass  dieses 
Vizmet  am  rechten  Ufer  der  Drave  im  Bereiche  des  Zalaer  Gomi- 
tats gelegen  war,  —  ein  neues  Factum,  dass  Stefan  der  Heilige 
Herrsoherrechte  auch  jenseits  der  Drave  ausübte. 


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DIE  KNTüTEHüSG  CROAilENS.  2W 

In  Folge  ungunstiger  Zeitverhaltnisse,  noch  mehr  <lurch  die 
Sorglosigkeit  der  imgariscbeii  Nation  gerieten  die  transdravani- 
sehen  Teile  der  Gomitate  Baranya,  Somogy  nndZala  an  die  Comi- 
tate  Verdcze,  Körös  (Kreutz)  und  Varasd. 

IV. 

Dtr  Name  Slavanien  bezog  sich  nrspriutgUch  nicht  auf  dßs  Ge- 
biet zirisehen  der  Drove  und  Save,  sondern  auf  das  alte  Croafien, 
welches  jenseits  der  Kulpa  beginnt.  Schon  das  IX.  Jahrhundert  lie- 
fert Anzeielien.  dass  Slavonien  an  der  adriutisclien  Küste  sich  zu 
einem  Landesnamen  cousoHdirt.  Der  Sohn  Johann  des  venetiu- 
niseben  Dogen  Angeli  Participaci  lebte  um  817  au  Jadera  (Zara) 
im  Exil.  Nach  der  Chronik  floh  Johann  Ton  hier  zuerst  nach 
Slavonien,  dann  nach  Ber<]:anio  in  Italien.  Wegen  der  Las^e 
Jaderas  erleidet  es  keinen  Zweifel,  dass  hier  unter  Slavonien  niclit 
das  Zwischenland  der  Drave  und  Save,  sondern  Jaderas  Um- 
gehung, das  heisst  das  alte  Croatien  verstanden  sei.  Als  der 
Fatricier  Nieetas  im  Jahre  871  die  Gefangennahme  der  päpstlichen 
Ije<;aten  rächen  wollte,  besetzte  er  Slavoni»  terram.  In  dieser 
Zeit  Spricht  auch  Kaiser  L':d\vi<^  von  seinem  Volke  in  Schivemien 
(populi  Sclaveniffi  nostr^e,  und:  iisdemSclaveuisuostris),  worunter 
die  Dalmatiner  und  Groaten  zu  verstehen  sind,  welche  sich  der 
fränkischen  Herrschaft  unterwarfen. 

lUycus,  ein  slavoniseher  Herzog,  plündert  im  Jahre  870 
Istrien.  Er  war  ein  croatischor  Fürst. 

Papst  Johann  X.  sendet  im  Jahre  9:ii  Johann,  Bischof  vou 
Amona,  und  Leo,  Bischof  vonPreeneste,  mit  Briefen  nach  Croatien 
and  Dalmatien  an  Johann,  Erzbischof  von  Spalato,  und  seine 
Suffragan-Bischöfe,  sowie  an  König  Tomislaw  und  an  Michael, 
Herzf>f;  von  Cliulni.  zu  dem  Zwecke,  um  die  Ahlmltunj^  derMesM-u 
per  Sclavinicam  terram  iu  lateinischer  Sprache  durchzust  t/.eu, 
seine  Hoffnung  auf  einen  guten  Erfolg  aussprechend,  weil  die 
Sclavinen  (sclavini)  der  römischen  Kirche  mit  besonderer  Treue 
zugetan  sind.  Ein  anderer  Brief  des  Papstes  ist  an  den  croati- 
sehen  König  Tomislaw  und  Michael,  Herzog  von  Chuiui,  gerichtet, 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROAT1EN8. 

Bowie  suK-li  ;in  die  in  Slaconien  \md  Dalnintien  ^vol^Kn^len  (pt-r 
ßclavoiiiam  et  Dalmatiam  coiumorautes)  Zupane,  Geibtlicheii  und 
an  das  ganze  Volk,  mit  der  Ermahnung,  sie  mögen  es  ferner  unter- 
lassen, Gott  in  der  barbarischen,  d.  b.  slavinisehen  Sprache  2a 
opfern,  nnd  dass  sie  fest  an  dem  rechten  Glanben  halten  mögen. 
Hier  kommt  ziini  ersteiiiiiale  der  Name  Slavoniii  vor,  doch  ist  es 
aus  der  Geschichte  klar,  dass  dieser  oder  der  Name  Schivinica 
terra  nicht  das  Gebiet  zwischen  der  Save  undDrave  bedeutet,  son- 
dern dass  darunter  das  alte  Croatien  zu  verstehen  sei.  Der  Papst 
hätte  eine  solche  Ermahnung  an  die  damals  noch  in  ihrem 
Heidentum  litTumhi-aiisiinh  n  Unj^arn  zwisclien  der  Drave  und 
Save  füglich  nicht  erlassen  können.  Das  im  päpstlichen  Brieftj 
erwähnte  Slavonien  und  Dalmatien  ist  gleichbedeutend  mit  dem 
Lande  Dalmatien  und  Croatien,  welches  im  Titel  der  croatischen 
Herzoge  vorkommt,  —  also  ein  anderes  als  das  heutige  Slavonien 
und  »  in  anderes  Croatien. 

Diese  Beispiele  können  aus  jedem  Jahrhundert  beigebracht 
werden,  bis  der  westUdie  Teil  des  Zwisohenlandes  der  Drave 
und  Save  den  Namen  Slavonien  erblich  übernimmt. 

König  Heinrich  II.  schenkte  im  Jahre  1002  dem  Bischof 
Gottschalk  von  Freisingen  auf  dessen  Lebensdauer,  dann  dem 
dortigen  Domherrn- Collegiuin  den  zwischen  der  Libnicza,  Tabum 
und  Save  in  Krain  gelegenen  Landstrich  Strasiche  (praediam 
Strasista)  sammt  anderen  Territorien  der  Grafschaft  Valtilo. 
Georg  Fejer,  durch  den  Flussnamen  Save  dazu  veranlasst,  folgert 
hieraus,  dass  das  Anland  der  Savc  damals  nicht  vom  croatischen 
König,  sondern  vom  frankischen  lieiche  abhing;  Fejer  ist  hier  nur 
bedingungsweise  im  Rechte,  weil  man  nicht  vergessen  darf,  dass 
die  citirte  Urkunde  von  Krain,  nicht  aber  von  dem  unteren  Laufe 
der  Save  spricht,  deren  Gebiet  heute  ganz  fälschich  Slavonien 
genannt  wird. 

Johann,  Archidiacon  von  Guerche  (Goricza),  welcher  im  XIV. 
Jahrhundert  lebte,  schrieb  über  das  Leben  Stefans  des  Heiligen 
viel  krauses  Zeug  zusammen,  welches',  sollte  es  nicht  seine  eigene 
Erfindung  sein,  für  ein  Machwerk  eines  seiner  Zeitgenossen  ge- 


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DIE  tNTSTKUUNO  CllOATIENli. 


33 


hallen  werden  muss.  Er  schreibt,  der  deutsche  Kaiser  habe  im 
Jahre  1031  mit  Stefan  dem  Heiligen  Frieden  geschlossen.  Da 
Crescimir,  König  von  Oroatien,  Stefan  den  Heiligen  in  dem  Kriege» 

Welcher  dem  Friedensscliluss  voraufjing,  imtLrötützte,  hübe  St<  fun 
der  Heilige  jenen  Teil  «Siavomens»,  welcher  zu  Ungarn  gehörte, 
namentlich  die  Gegend,  wo  die  Kiilpa  in  die  Save  mündet,  bis  zum 
Flosse  Terebes  (d.  h.  die  vereinigten  Flüsse  Pakra  und  Illova), 
dann  entlang  der  Gsernayecz  bis  an  die  Dran  dem  croatischen 
Könige  verliehen.  Ein  anderer  Teil  Siavomens  sei  seit  eiuem 
Deceimium  unter  Diogenes,  Herzog  von  Syrmien  gestanden.  Es 
wurde  zugleich  beschlossen,  dass  Emerich,  der  Sohn  Stefan  des 
Heiligen,  znm  Herzog  von  Slavonien  erklärt  werden  und  Cres- 
dmir*8  Tochter  zur  Gemalin  nehmen  soll. 

Hier  müssen  wir  gegen  Emerich's  Titel  eines  Herzogs  von 
Slavouien  Verwahrimg  einlegen,  —  doch  hierüber  weiter  unten. 

Wichtig  ist  die  Mittheilung  des  obigen  Archidiacons  über  die 
Thaten  König  Andreas  I.  (1046 — 1064).  £r  schreibt  nämlich,  dass 
der  König,  als  er  seine  Begierung  gesichert  sah,  darauf  bedacht 
war,  die  Rechte  des  Landes  festzustellen.  Er  ernannte  seinen 
Bruder  Adalbert  zum  Herzog  von  Slavonien,  Riidn  aber  zum  Pa- 
latin.  Diese  trieben  den  König  von  Croatien  zu  Paaren,  und 
drängten  Slavonien  an  seine  alte  Grenze,  den  Zettina-Flass 
zurück. 

Hier  bedeutet  Slavonien  wieder  nur  Croatien,  nämlich  das 

an  der  Adria  gelegene  Küstenland.  Dieser  Schilderung  zufolge 
zogen  König  Andreas  I.,  beziehungsweise  sein  Bruder  Bela  und 
Bado  mit  Heeresmacht  in  Dalmatien  ein,  und  dass  dem  so  sei, 
wird  auch  durch  den  venetianischen  Geschichtschreiber  Dandulo 
bestätigt,  welcher  schreibt,  dass  König  Andreas  seine  Herrschaft 
auch  auf  Dalmatien  ausgetk  lmt  habe.  Iliedurch  wird  es  verständ- 
lich, und  es  ist  dies  eine  keineswegs  verwerfliche  Angabe,  dass 
Adalbert  (ungarisch  Bela),  des  Königs  Bruder,  zum  Herzog  von 
Slawonien  ernannt  wurde,  weil  unter  dem  Namen  Slavonien  nicht 
das  Zwischenland  der  Drave  und  Save,  sondern  Dalmatien  zu  ver- 
stehen ist,  welch  LS  ;4emeinschaftlich  mit  Alt-Croatien  den  Namen 

UngariMb«  Revoe,  Ititfi,  l,  H«IU  9 


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34 


DIE  BNT8TEHCN0  CR0ATIEM8. 


SlnvDuien  führte.  Auch  dieses  Beii>piel  beweist,  dass  Ludisluus 
der  Heilige  nicht  der  erste  König  war,  welcher  die  Drau  überschritt. 

Doch  es  fragt  sich,  wenn  die  Ungarn  das  croatische  Terri- 
torinm  bis  an  die  Zetiina  zurüokdrängten,  was  Terblieb  wohl  vom 
Lande  des  croatischen  Könif^s  ? 

Hierauf  kann,  in  Ermauglunj^  aller  positiven  I)aten,  nur  damit 
(geantwortet  werden,  dass,  nachdem  die  Action  der  Ungarn  gegen 
die  Grieohen  gerichtet  war,  das  ungarische  Heer  wahrscheinlich 
durch  das  heutige  Bosnien  westlich  vordrang,  und  auf  diesem 
We^^e  sich  den  dalinatinischeu  Küsten  näherte.  Dieses  voraus« 
gesetzt,  hat  der  croatische  Köuijü:,  damals  Vasall  Griechenlands, 
allerdings  verloren,  doch  es  verblieb  ihm  das  von  Zettina  nördlich 
gelegene  alte  croatische  Land. 

Im  XII.  Jahrhundert  wird  Dalmatien  noch  immer  auch  Sla- 
vonien  ^'euannt.  Der  Bischof  von  Scardona  Michael  schreilit  im 
Jahre  11  sl,  dass  inJadera  (Zara;  sich  initFarKas  Paiatin  von  Un- 
garn, FJasco  Bischof  von  Tinnin,  Graf  Machareusius  und  mehrere 
adelige  Herren  Slavoniens  versammelten.  In  demselben  Sinne 
spricht  Papst  Urban  III.  im  Jahre  1186  von  der  St.  Peters- 
kirelie  im  Orte  Hoisce  in  partiluis  Sclavoniat-.  I)er  «genannte  Ort 
lag  aber  im  ]3istuin  \on  Nona.  demn:ich  in  Dalmatien. 

In  diesem  Jahrhundert  dürfte  wahrscheinlich  das  im  Capitel- 
archiv  von  Spalato  vorgefundene  Pergamenregest  fabricirt  worden 
sein,  welches  die  Namen  der  croatischen  Bane  und  Geschlechts 
bis  zum  Ende  des  XI.  Jahrhunderts  aufzahlt.  Laut  dieser  Auf- 
zeichnung soll  es  in  Croatien  sieben  Bane  «::eue)>en  haben,  die  den 
König  wählten,  wenn  der  Vorgänger  ohne  Leibeserben  starb.  Der 
erste  Bau  war  der  von  Croatien,  der  zweite  von  Bosnien,  der  dritte 
von  Slavonien  (banns  Sclavoniae),  der  vierte  von  Posej^a  (hantis 
Posicao),  der  fünfte  von  Podravien  (hanus  P(»(lrave),  der  sechste 
von  Albanien,  der  sieltente  von  Syrmit-n  (banus  Srenii). 

Es  gehört  ein  starker,  oder  vielmehr  ein  blinder  Glaube  dazu, 
das  zu  glauben,  was  uns  diese  Aufzeichnung  zumutet.  Nichts- 
wehia:er  nämlich  als  dies,  dass  im  ganzen  Zwischenland  der  Savo 
und  Drave  noch  am  Ende  des  XI.  Jahrhunderts  Baue  existirteu. 


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DIE  ENTSTEHUNG  CUOATIEN^. 

welche  den  croatiscben  König  wählten,  wo  doch  die  Könige  vonCroa- 
tbn  schon  langst  im  Dunkel  der  (^eeohiehte  yersehwanden.  Doch  ein 
goleher  Znstand,  wie  ihn  das  Pergamen-Begest  schildert»  bestand 
auch  vorher  nicht,  pjleich  viel  welclien  Zeitpunkt  wir  ins  Aii<?e  fassen. 

Betrachten  wir  die  Behauptungen  einzeln.  Wir  haben  keine 
Einwendong  gegen  den  croatischen  und  Blavonischcn  Ban,  wenn 
unter  letzterem  ein  Dignitär  verstanden  wird,  dessen  Wirkungs- 
kreis im  alten  Groatien  gewesen.  Unter  Posej^  können  wir  nicht 
d:is  trausdravanische  Pose«:^aer  Comitat  vi  rsteh<'n.  souderii  es  niuss 
ein  Bezirk  dieses  Namens  in  Serbien  bestanden  haben.  Tomaschek 
DEmiich  Tergleicht  das  municipium  Macuretes  mit  dem  Constan- 
tin*8chen  M6i]opstooc  nnd  verlegt  es  in  die  Nahe  des  Flusses  Meg- 
juriec,  welcher  in  die  Morava  fliesst,  —  er  sucht  es  insbesonders 
bei  dem  Orte  Pose;,M  in  St'r])ieu.  Was  Podravien  lietritYt,  so  be- 
deutet dieser  Name  allerdings:  Land  unterhalb  derDrave,  oder  an 
der  Drave,  diese  Widerainnigkeit  ist  aber  bereits  Kuku^evics  auf- 
gefaUeu,  der  im  Index  zu  seinem  Urkundenbuch  folgende  Berich- 
tigung versucht:  «Podraviae  (fors  Podramae)  banus.t  Ba5ki 
acceptirt  diese  Bericbtifjunj^  in  seinem  Texte,  und  schreibt  «banus 
Podramae».  Ob  aber  die  Worte:  Ban  in  der  Nahe  des  Rama- 
Finsses,  und  Provinz  Rama  eine  richtige  Erklärung  bilden,  will  ich 
nicht  entscheiden.  Ich  will  nur  bemerken,  dass  in  Spruner^s 
Karte,  welche  die  Zustände  tmter  den  Anjous  darstellt,  zwischen 
dem  serbischen  DiKtriot  Uzsicza  und  der  Grafschaft  Zeuta  eine 
Provinz  Podrima  sich  voründet,  welche  richtiger  Pod-drina,  das 
beisst:  Land  an  der  Drina  oder  unterhalb  der  Drina  benannt 
werden  musste,  weil  sie  an  den  Quellen  der  Drina  liegt  Koch- im 
•Jahre  1459  wird  Marcomir  Brankovich  als  vojvoda  Podrinija  ge- 
nannt. Für  den  Bau  von  Syrmieu  jjibt  es  keinen  Platz,  weil  Sir- 
mium  (ein  Name,  der  schon  uuter  den  Römern  rar  Einwan- 
derang der  Slaven  bestand,  und  daher  älter  ist  als  das  slavische 
Srem)  entweder  den  Griechen,  oder  den  Ungarn  gehörte,  doch 
niemals  den  Königen  von  Croatien.  Selbst  das  transsavanische 
Svnnien  kann  nicht  überlassen  werden,  weil  sich  das  croatische 
Vasailenland  bis  hieher  nicht  erstreckte. 

3* 


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36 


DIE  ENTSlEHUNü  CROATIENS. 


Papst  Alexander  III.  schreibt  im  Jahre  1177,  dass  er  den 
Vioediacon  Baymund  de  Capeila«  als  apostolischen  Legaten  nach 
Siavonien  gesendet  habe,  —  versteht  aber  hiernnter  Groatien- 

Dalmatien:  ebenso  wie  im  Jahre  1180,  als  er  seine  Ansprache  an 
den  in  J  hihiiiitieu  und  ganz  Siavonien  wohnenden  Adel,  die  Geist- 
lichkeit und  das  Volk  richtet. 

Seit  Manuel  den  byzantinischen  Tron  bestieg,  war  sein  Ziel 
die  Eroberung  Dalmatiens  und  die  Einverleibung  desselben  in  sein 
Reich.  Die  Emulation  der  unp^arischen  Prinzen  um  den  Tron 
diente  ihm  hiezu  als  Mittel.  Doch  ein  ähnliches  Ziel  hatte  sich 
auch  Vent  (lii^  gesteckt.  Ein  mit  den  Griechen  unglücklich  geführtes 
Treffen  der  Ungarn  im  Jahre  1168  ermutigte  die  Yenetianer  zur 
Eroberung  Zaras,  und  der  übrige  Teil  Dalmatiens  fiel  wieder  in 
Manuels  Hünde.  König  Bela  III.  hätte  die  Wiedereroberuiig  mit 
Erfolg  versuchen  könnt  n,  allein  er  war  mit  seinem  Worte  dem 
Kaiser  verpflichtet.  Kaum  gelangte  aber  an  die  Adria  die  Nachricht 
von  Manuel's  am  24.  September  erfolgtem  Tode,  als  nach  dem 
Beispiele  Spalatos  auch  die  übrigen,  in  Händen  der  Grriechen  be- 
tiudlichen  dalmatinischen  Städte  sich  freiwillig  an  Bela  schlössen, 
und  auch  Zara,  welches  seit  vielen  Jahren  in  der  Gewalt  der  \'ene- 
tianer  stand,  das  Joch  abschüttelnd,  ebenfalls  unter  die  Ober- 
herrschaft Ungarns  zurückkehrte. 

Aus  dem  letzten  Lebensjahre  Kaiser  ManueFs  haben  wir  die 
Nachricht,,  dass  er  Koi^'erius  den  Ducas  Slavoniae  nannte,  der  doch 
eigentlich  Wojwode  von  Dalmatien  war.  Kogerius  selbst  nennt  sich 
in  diesem  Jahre  SclaTon»,  dei  et  imperiali  gratia  Dalmatisd  et 
Ohroatifp  dueas.  Beide  Benennungen  sind  also  identisch,  und  be- 
ziehen  sich  auf  ein  und  dasselbe  Land. 

Die  Venetianer  kämpften  acht  Jahre  hindurch  um  den  Besitz 
von  Zara,  aber  der  Titel  des  Dogen  der  Republik  verriet  noch 
höhere  Ansprüche,  weil  Oro  Mastopietro  sich  Herzog  vonVenetien, 
Dalmatien  und  Groatien  nennt  (1179 — 1191),  so  wie  vor  ihm 
Vitalis  Faledro  (1085),  der  diesen  Titel  noch  vom  griechischen 
Kaiser  erhielt. 

Selbst  in  späteren  Zeiten  ging  die  Kenntniss  dessen  nicht 


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Utli  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SCiiULVJiKKlN»  UND  CNOABN.  37 

verloren,  dass  die  östlichen  Ufer  des  adriatiachen  Meeres  zu  Sla- 
vonien  gehören.  Als  die  Begienmg  von  Venedig  im  Jahre  1^26 
den  Handel  mit  t  Slawonien  t  Terbot,  verstand  sie  gewiss  nicht  das 
heutige  Slavonien  an  der  Mündung  der  Drave,  sondern  wollte  die 
dalmatiniscbtu  Seestädte  tretfen. 

In  dem  Sinne,  in  welchem  die  Meister  der  Templer  sich 
Meister  des  Tempelherren-Ordens  in  Ungarn  und  Slavonien  nannten 
(per  üngariam  et  Slavoniam),  in  demselben  Sinne  spricht  Papst 
Gregor  IX.  im  J.  1236  mit  Rückb.ick  auf  Emerich  und  Andreas  IL 
als  von  den  Konigen  Ungarns  und  Slavoniens. 


D£B  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SCHUL VEBEIN» 

UND  UNGARN. 

Aul  der  allerletzten,  auf  der  Annoncenseite  deutscher  Blatter 
spuckt  seit  einiger  Zeit  ein  Aufruf  des  Allgemeinen  deuteehen  Schul- 
rereine,  handelnd  von  der  grossen  Drangsal  der  in  Ungarn  und 
Siebenbürgen  lehenden  Deutschen.  Wus  die  Blatter  draussen  im 
Reich  weise  verbergen  zwisi  heii  den  Ankündigungen  über  verlau- 
fene Hunde  und  neue  Methoden  der  Chocoladefabrikation,  das  pro- 
daciren  Wiener  Blätter  in  ihrem  redactionellen  Teile,  die  Klügeren 
ohne  besondere  Zutat,  die  Unvorsichtigem  in  Begleitung  von  aller- 
hand merkwürdigen  Wahrsagungen.  Sieht  einer  das  famose  Schrift- 
stück durch,  so  möchte  man  im  ersten  Augenblicke  wetten,  dass 
ein  Teil  der  Unterschriften  nur  als  Product  einer  übermütigen 
Fälschung  an  jene  Stelle  geraten  sein  könne.  Mit  Erstaunen  sieht 
man  da  neben  Grossen  siebenundswanzigsten  Banges  die  hochge- 
achteten Namen  vonMännern  wie  Brunner,  Goldschmidt  undGneist. 

Wie  sind  diese  Namen  in  diese  Societät  geraten? 

Wie  ist  es  möglich  gewesen,  durch  solche  Charlatanerie  solche 
Uänner  zn  täuschen? 

Denn  die  Veranstalter  jener  schmachvollen  Magyarenhetze, 
die  jetzt  durch  den  deutschen  Zeitungsixrald  braust»  sie  sind  hier 


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DEK  « ALLGEMEINE  DLL  I  .nCHE  bCHLLVEKKlN»  UND  UNGARN. 


ZU  Lande  ^'enii<zen<l  Vtekannt,  und  wir  wünschen  aoMchtig,  sie 
waren  anch  in  Deutschland  ebenso  gut  gekannt ! 

Sie  bilden  eine  Cliqne,  in  welcher  die  ambitiösen  Unfähigen 

noch  (He  charaktervollste  Speeles  sind,  und  dieser  Clique  zu  ant- 
worten kann  uns  iiiclit  in  den  Sinn  kommen.  Zur  Aufklärung  jedoch 
für  jenes  deutsche  Publikum,  das  sein  Ohr  niemals  der  Wahrheit 
▼erschlossen  hat ;  znr  Aufklärung  für  jene  Männer*  die  —  schlecht 
beraten  und  schlecht  berichtet  —  ihre  Namen  unter  ein  solches 
Actenstück  tz(  n  liessen.  wollen  Avir  hier  eiut  u  kurzen  Commentar 
zu  dem  Aufruf  (les  deutsA^ihen  Schulvereins  schreihen. 

Wir  werden  die  Wahrheit  sagen,  nichts  als  die  Wahrheit; 
möge  es  tms  aber  auch  gestattet  sein,  die  ganze  Wahrheit  zu  sagen. 

I. 

Vor  Allem  eine  Frage:  Wer  berechtigt  die  Herren  vom  Deut- 
schen Schul  verein  im  Namen  der  Deutschen  in  Ungarn  zu  sprechen  9 

You  SiebetthiinfeUf  wo  nach  der  neuesten  Zähinnt:  224.000  Deutsehe 
leben,  wollen  wir  spitti-r  mit  aller  Ausführliclilveit  ahliundeln  ;  allein 
im  eigentlichen  L  iumrn  lehen  I,ÖÜG.üOO  Deutsche,  und  wir  wagen 
zu  sagen,  dass  in  dieser  Bevölkerung  von  über  anderthalb  Millionen 
sich  nicht  eine  einzige  Gemeinde  gefunden  hat,  und  wäre  sie  die 
kleinste  unter  allen,  die  jemals  dem  Deutschen  Schulverein  eine 
Klajje  anvertraut  hatte.  Mo^^en  die  Herren  vom  Deutbdien  Schul- 
verein auch  nur  eine  einzi«^e  Zu.schrift,  von  ernsten  Mannern  aus 
der  Beihe  dieser  anderthalb  MiUionen  stammend,  vorzeigen  und 
dann  wollen  wir  mit  ihnen  über  ihren  Beruf  zur  Bettung  der 
ungarinndischen  Deutschen  diseutiren.  Wir  behaupten  aber,  dass 
sie  eine  solche  Aeusserung  nicht  werden  namhaft  machen  können. 
Und  es  gibt  doch  Tausende  von  rein  deutschen  Gemeinden  in 
Ungarn ! 

Wem  wollen  die  Herren  also  in  Ungarn  zu  Hilfe  eilen? 

Die  Deutschen  in  l'n«;arn  und  Siebenbürgen  besitzen  eine 
Preßse.  welche  sit-h  einer  so  vollst.'\ndi«2:en  Freiheit  erfreut,  wie  man 
sie  in  keinem  Laude  Europa  s  vollständigerkennt,  und  wahrlich,  sie 


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« 


DER  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SCHULYEREINi  UND  UNOABN.  3^ 

weiss  von  dieser  Freiheit  ^eliöri^;  Gebrauch  zu  machen !  Da  ist 
z.  B.  das  Orsan  iler  Siebeiilnirger  Intninsifjenten,  das  in  Hormuim- 
stadt  erscheint  und  Tag  für  Tag  die  gehässigsten  und  higenhaftesten 
VenmgUmpfnngen  gegen  den  ungarischen  Staat  schreibt,  gegen 
die  leitende  Nation,  gegen  die  hervorragendsten  Führer  derselben, 
ge<^en  Alles,  was  diese  heilig  schätzt  und  was  sie  liebt.  Wenn  ein 
elsHSsisches  oder  ein  soeialistisches  Blatt  den  bimdertsten  Teil 
solcher  Schmähungen  gegen  Deutschland  vorbrächte,  der  Bedacteur 
würde  sicherlich  landesflüchtig  werden,  oder  er  müsste  sein  ganzes 
Leben  im  Gefängnisse  verbringen.  In  Ungarn,  in  diesem  Lande 
der  Unterdrückung,  wird  das  erwähnte  Blättchen  in  keiner  Weise 
behelligt.  Es  heult  sein  schreckliches  KlageHed  v(ju  Tag  zu  Tage : 
wir  denken  uns  dabei  —  dafür  sind  wir  ja  Asiaten  I  —  mit  dem 
Profeten:  «Es  ist  gut,  dass  dem  Esel  keine  Homer  gewachsen 
%ind!»  —  und  damit  ist  die  Sache  auch  vollkommen  zu  Ende. 
Weder  der  Redacteur,  noch  der  Herausgeber,  noch  irgend  einer 
der  Mitarbeiter  an  jenen  täglich  erscheinenden  Scbmäh^^cliriftfn 
wird  auch  nur  vor  Gericht  gestellt.  Nie,  inmitten  dieser  Orgien  des 
magyarischen  Terrorismus,  die  wir  hier  feiern,  nie  ist  es  Jemandem 
bei  uns  beigekommen,  ein  gerichtliches  Einschreiten  gegen  diese 
unqualificirbaren  Presserzeugnisee  zu  verlangen ;  nie  —  wir  sagen 
das  mit  Stolz  und  mit  Zuvt-rsicht  —  nie  wird  ein  solches  Einschrei- 
ten in  Zukunft  begehrt  werden.  Möge  jeder  denkende  und  le>^ende 
Deutsche  sich  fragen,  ob  unter  ffleichen  Verhältnissen  in  Deutsch- 
land ein  gleiches  Vorgehen  beobachtet  worden  wäre  ?  Wir  haben 
darüber  kein  Urteil  abzugeben;  wir  massen  uns  nicht  an,  die 
inneren  Vorgänge  in  unseren  Nachbarstaaten  zu  kritisiren :  jedes 
Wort  dieser  Art  würde  uns  als  eine  unverzeihliche  Indiscretion 
und  als  eine  Aufdringlichkeit  erscheinen.  Was  wir  da  vorbringen, 
das  hat  lediglich  den  Zweck  zu  zeigen,  dass  wenn  uns,  wie  die  Ge- 
lehrten des  tDeutschen  Schulvereins*  versichern,  nichts  mehr 
heilig  ist.  wir  die  Pressfreiheit  doch  noch  immer  respectirt  haben. 

Nun  denn,  liei  dieser  schrankenlosen  Pressfreiheit  ündet  sicli 
kein  einziges  deutsches  Blatt  in  Tngarn,  das  dem  Schulverein  für 
seine  heroischen  Bettungsversuche  Dank  sagte.  Erstaunt  fragt  sich 


uiyiii^üd  by  Go^^le . 


^       DER  «ALLOEUBINK  DECTSCHE  SCBULVEREIN»  DND  CNOABN. 

vidmebr  alle  Welt:  Wen  wollen  die  Herren  denn  retten?  wer  ist 
in  Gefahr,  m  dessen  Scbtitse  man  «die  Deutschen  aller  Parteien», 

jene  «vierzifj;  Millionen,  welche  sich  des  Vollhesitzes  deiitsclier 
Cultur  erfreuen»,  wie  zu  einem  Kr(  uzzuge  aulruft?  Wie  Herr  Jour- 
dain  vierzig  Jahre  lang  Prosa  spricht,  ohne  es  zu  wissen —  so  sind 
die  ungarischen  Deutschen  vielleicht  auch  seit  14  Jahren  unter- 
drückt gewesen,  ohne  dass  sie  selbst  eine  Vorstellung  davon  hatten. 
Docli  nun  sind  ihnen  endlich  die  Au<^en  geöffnet  worden,  und  sie 
werden  wohl  nicht  säumen,  dankbar  der  Freunde  draussen  im 
Beich  zu  gedenken,  die  sich  gar  so  gütig  ihrer  Schmerzen  an- 
nehmen? Wie  wird  der  verlassene  Bruderstamm  den  Rettern  in 
der  Not  danken?  Darauf  kommt  ja  schliesslich  Alles  an,  denn 
«beneficia  non  obtruduntur»  —  und  wcun  die  ungarischen  Dt*ut- 
hchen  nun  einmal  nicht  gerettet  sein  wollen,  wer  kauu  sie  dazu 
gewaltsam  verhalten? 

Wir  constatiren  aber  kurz  und  gut,  dass  die  deutsche  Fresse 
in  Ungarn  einstimmig  den  Aufruf  des  Scbnlvereins  wie  eine 
L:icherliclikeit  und  wie  eine  Aufdringlichkeit  zurückpjewiescn  hat. 
Keine  einzi^'e  Stimme  h;it  die  vom  coufusesten  Pathos  getränkte 
Kapuzinade  des  Bchulvereins  ernst  genommen. 

Darauf  wird  von  jener  gewissen  Seite,  die  wir  später  noch 
genauer  zu  markiren  trachten  werden,  erwidert:  tJa,  das  sind 
eben  nicht  die  rechten  Deutschen,  das  sind  corrumpirte  Deutsche, 
Deutsche  zweiter  Classe,  Deutsche,  welche  im  Banne  des  Magya- 
rismus liegen.» 

So  sei's !  Wir  untersuchen  vorerst  nicht,  ob  denn  die  deut- 
schen Bürger  des  Banats  und  der  Btoka,  ob  denn  jene  Bewohner 

der  Zips,  welche  ihr  deutsches  Volkstum  in  jungfräulicher  Rein- 
heit durch  Jahrhunderte  erhalten  halben,  oi»  sie  sammtlich  schlech- 
tere Deutsche,  ob  sie  weniger  deutsch  sind,  als  das  auserlesene 
Völkchen  der  Sachsen  in  der  Höhe  von  180.000  Köpfen?  Ganz 
recht,  sie  sind  sämmtlicb  schlechte  Deutsche,  sie  sind  gar  schreck- 
lich corrumpirt  und  mit  Haut  und  Haar  dem  Magyarismus  ver- 
frtlien  —  aber,  es  handelt  sich  um  anderthall)  Millionen  Menschen 
und  wenn  diese  alle  nun  so  verderbt  sind,  wer  will  sie  daruu  hin- 


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I 


DEB  «ALLOBMBINB  DBUT80HE  SCBULVBBEIXt  UKD  UMOAEK. 

dern?  mit  welchem  Rt-c  hte  wollen  Frt  indf  ihnen  eine  reherzenj,'nnf; 
aufdrängen,  die  sie  nicht  möj^en  ?  mit  welchem  Kechte  will  mau 
Jene  befreien,  die  nicht  befreit  zu  sein  begehren  ? 

Wahrlich,  wir  stehen  an,  das  Wort  zu  gebrauchen  und  wir 
müssen  dasselbe  doch  aussprechen  —  es  ist  eine  Art  von  politischer 
Banernfänfjerei,  wenn  man  unter  den  ohwaltenden  rmstnnden  und 
aus  den  gegehenen  Anlassen  die  Deutschen  mus  allen  Landern  auf- 
ruft, eine  Verbindung  herzustellen,  die  überall  da  wirksam  sei,  «wo 
moderne  Barbarei  deutsche  Bildung  mit  Füssen  tritt».  Wenn  die 
Herren  nicht  glauben,  in  die  ungarischen  ünterrichtsjifesetze  irp^end 
einen  pad;i;;o;;ischen  Duchesne-Parasralen  t  inzufui^t-n  —  und  so 
verschroben  sind  sie  wohl  nicht,  da»  zu  jilauhen  !  —  dann  steht 
ihre  Vereinigung  um  nichts  höher,  als  die  der  erstbesten  irreden- 
tisÜBchen  Gemeinde.  Sollte  es  aber  möglich  sein,  dass  sie,  Profes- 
soren, geheime  und  nichtgeheime  Bäte,  die  sie  sind,  nie  davon 
gehört  hatten,  mit  welchen  Namen  man  es  in  der  politischen  Ge- 
sellschaft hezeichnet,  wenn  öffentlich  oder  ^^eheim  zur  Agitation 
auf  dem  Gebiete  eines  Staates  aufgefordert  wird,  mit  dem  man 
nicht  nnr  in  Frieden,  sondern  in  einem  engen  Bündnisse  lebt? 
Alle  diese  Herren,  so  viele  ihrer  sind,  sie  werden  niemals  auch  nur 
ein  Jota  an  der  ungarischen  Schulgesetzgehung  ändern,  wohl  aber 
wird  jeder  Einsichtige  es  ihnen  sagen,  dass  wenn  sie  es  darauf  ah- 
gesehen  hätten,  die  Stellung  der  Deutseben  in  Ungarn  zu  er8ch\\  eren 
und  zu  compromittiren,  sie  kein  besseres  Mittel  hätten  erdenken 
können  als  dasjenige,  welches  sie  angewendet  haben.  Wenn  es  ihnen 
wirklich  um  die  Deutschen  in  Ungarn  zu  tun  gewesen  ist,  hätten 
sie  bedenken  müssen,  dass  eine  Agitation  wie  diejenige,  die  sie 
entfalten,  geeignet  wäre  —  wie  nichts  anderes  dazu  geeignet  ist  — 
die  Agitation  in  entgegengesetzter  Richtung  zu  schafifen,  zu  ver- 
scharfen, ja  zu  rechtfertigen  ?  Wenn  jene  barbarische  Gesinnung 
wirklieb  exist  rte,  von  der  sie  so  schauerliche  Mähren  zu  berichten 
wissen,  müsste  dieselbe  nicht  aus  einem  Schnftstüche,  wie  der 
Aufruf  des  deutschen  Schulvereines  —  welches  den  höchsten  Excess 
nationaler  Selbstüberhebung  und  Aufdringlichkeit  darstellt  —  ihre 
beste  Kraft  schöpfen?  Jene  Ausschreitungen,  von  welchen  die 


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DEB  «ALLOE3IEINE  DEUTSCHE  8CHULVBBEIN»  UND  UNOARN. 

Herren  berichten,  haben  niemals  existirt,  aber  wenn  sie  existirten, 

ßo  waren  sie  durcli  diesen  Aufruf  nahezu  rehabilitirt ! 

Doch  wir  liaVien  vielleicht  schon  zu  lange  bei  diesen  Allgemein- 
heiten verweilt.  Wir  haben  nns  ja  vorgesetzt,  einen  Commentar  znm 
Aufrufe  des  Deutschen  Schulvereines  zu  schreiben.  So  wollen  wir 
denn  dem  Opus  einmal  ordentlich  ins  Gesicht  leuchten,  und  wir 
zweifeln  nicht,  dass  man  uns  in  jenem  ^^rossen  dc^utsehen  Puldiknm, 
weiches  unbeirrt  von  der  stupiden  Phrase  noch  gewohnt  ist,  selbst 
zu  urteilen,  nicht  Unrecht  geben  wird,  wenn  wir  von  diesem  Auf- 
rufe sagen :  So  viele  Sätze,  so  ciele  Entsteüutitjen  —  so  viele  Sätze,  so 
vieU  Unwahrheiten  f 


II. 

Folgendes  ist  der  Aufruf  des  «Deutschen  Bchulvereinst  : 
«An  aU»  Deutseben  richten  ilie  Untenseiehneten  die  Aufforderung, 

dem  am  lo.  AugiiKt  d.  -T.  hiorsolbst  gegründeten  Alli.'enieinen  Deutsclien 
Sehulvereiue  beisutreteo.  Nachdem  im  vorigon  Jahre  der  Deutsche  Schul« 
verein  zu  Wien  7n  dem  Zweck  zusaimnengetreteii  war,  dafür  zu  sorgen, 
das»;  den  Deutschen  in  <leii  cisleithnnischen  Kronlandern  Oesterreichs, 
Welche  an  den  (inii/eü  ik-utsclier  S]»raclie  belegen  .sin<l  niul  welclie  sich 
nnter  dem  Dnick«-  tV(  iii<l»  r  Xuti(tnalit)it  betinden.  die  volle  £.'ei<tige  Aus- 
bildung in  ihrer  Mutttrspiuche  gesichert  bleibe,  hatten  sich  im  J.aulo  iliesea 
Sommers  auch  im  Deutschen  Beicho  zahlreiche  Ortsgruppen  gebildet,  um 
den  Wiener  Schulverein  in  seinen  Bestrebungen  durch  Beiträge  zu  tmter- 
sftitzen.  —  Diese  trefflichen  Bestrebungen,  welche  öberdl,  wo  sie  zu  Tage 
getreten  sind,  von  den  besten  Erfolgen  begleitet  waroo,  können  indess  den 
im  Deutschen  Reiche  lebenden  Deutschen  nicht  ausreichend  erscheinen; 
es  (genügt  nicht,  dass  deutsche  Gemeinden  in  einxehien  Kronlfindem  Oester» 
reiclm  ,';egen  Slavisinmg  gef^cln'itzt  werden.  Es  mnas  ^n  solcher  Schuta 
\'ielmehr  den  Deut  sehen  überall  'U  Teil  werden,  wo  sie  in  Gefahr  stehen, 
durch  eine  d'-r  dt  utvchen  C  nltur  teindliclx  Natioji  in  ihrem  beiligsten  Erb- 
teil, der  iU'Utsch*  ii  iliMunt,',  verkümmert  zu  werden. 

»VurAIl'^ni  siii'l  t'K  jefz*  <lt<-  JJt  iif.sclu  ii  In  l  'ntjarn  tinrl  Siehe nhurycrij 
uelehe  unserer  Hilj'e  ieihtr/cn.  Tiotz  iler  gesetzlichen  Zusiclieniug  der 
(ileiclibereehtigimg  der  Sprachen  hat  die  herrschende  magyiuische  Minder- 
heit seit  einer  Beihe  von  Jahren  consequent  <1abin  gearbeitet,  die  deutsche 
Bildung  in  den  ungarischen  Kronländem  va  Grunde  ssu  richten.  Die  Zahl 
der  deutschen  Volksschulen  wird  von  Jahr  zu  Jahr  vermindert,  die  deut> 
sehen  Gymnasien  sind  mit  Ausnahme  der  siebenbUrgiscb^sächsiscben  magya- 
risirt,  eine  deutsche  Universität  ist  nicht  mehr  vorhanden:  die  geeeteliobe 


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DFB  tALLOFMEINE  DEUTSCHE  8CHULVEBEIN»  UND  UNGARN. 


43 


Bestüiuuuu^,  nach  welcher  Jer  Staat  verpdichtet  ist.  für  Jk-  lUltiuii^  «1er 
DenttclieB  bis  zur  Stufe  des  akademisehen  ünteniehts  Sorge  zn  tragen,  ist 
nicht  allein  nieht  ausgefiUirt,  sondern  das  jetzt  vorgelegte  Mittelschnlgeeetz 
will  onter  Aufhelmng  dieser  Bestimmung  die  Errichtung  nener  deutscher 
Mittelschulen  (Gymnasien  und  Realschulen)  durch  den  Staat  verbieten  und 
alle  Eum  Lehramt  Berechtigten  zwingen,  die  Befihigung  zum  Untcn-icht 
in  der  iiia-^'vuviKchen  Spraclie  luicliznwoistii,  tlamit  auch  »lie  bi8heri<:t'  l'il- 
dung  der  Leliror  auf  «letitschen  Hochschulen  für  «lie  Zukunft  verliiudert 
wfnle.  So  (hinkt  is  der  Magynr,  (Ihhh  Ihm  (h'r  Deutnrhe  nIrJt'  nur  die 
Brfreiunfj  von  der  Tnrlt  iilu  rrsrltnft  hrnrhtt'.  xundrrn  nh,  rh'ttij  f  erst  da» 
Lflit  europiiiisclu  r  Bildiinij  iihi  r  die  tiitfjiirlsr)ten  L'did'v 

«Diesen  enijK'iviiilen  /ii'^ianden  gegenüber  die  I kutscluu  i)i  l'ii«:ani 
und  biebenbürgeu  /.u  xmieistutzen,  ihnen  in  dem  Strelien  »ier  J'.ewuiming 
ihrer  deutschen  Cultur  beizustehen,  ist  Deutsche  Pflicht;  —  es  ist  tot 
Allen  die  Pflicht  der  vierzig  >>Gllionen  Deutsehen,  weldie  sich  im  Deutschen 
Beiche  des  Vollbesitzes  der  Segnungen  deutscher  Cultur  erfreuen.  —  Es 
be<1arf  aber  zu  diesem  Zweck  einer  wirksamen  Oi^janisation,  welche  — 
jeder  politischen  Parteistellung  fem  —  sich  das  grosse  Ziel  setzt,  dass  es 
nirgends  auf  der  Welt  dem  Deutschen  an  Mitteln  fehlen  darf,  sich  und 
den  Seinigen  deutsche  Bildung  /u  schatTen  und  zu  erhalten.  —  Möge  die 
Or<rnnisation  des  •^Allcfenieinen  Deutschen  Schuh ereins»,  zn  welclior  ans 
d»  n  verschiedenen  Tcili  ii  des  Reichs  liereit.s  die  Znstinnnnut^  an  uns 
gehiiiirt  ist.  i!n  Stande  sein,  eine  sohdie  Schutzwehr  /n  liilden.  die  nherall 
da  \vii>>s:i!ii  wird,  wo  iiiodenie  iJarharei  es  wagt,  deutsclie  J*ildung  mit 
Fu^-stn  zu  treten. 

Berhn,  im  November  1881.» 

Unterschrieben:  F.  Arndt,  Geh.  Commcrz.-Rat.  Dr.  Bach,  Director 
der  Falk-Realschule.  G.  Bleibtreu.  P]ro£  Dr.  Boitze,  Director  der  Andreas» 
Realschule*  Prof.  Heinrich  Brunner.  Georg  v.  Bunsen.  Dr.  Gneist,  Abgeord* 
neter.  Prof.  Goldsdmiidt,  Geh.  Jnstizrat.  Heinrich  Hardt.  Prof.  Dr.  Hart- 
mann.  Julius  Heese,  Comnierz.-Kat.  Friedrich  Kapp.  Jtilins  Kauffmann, 
Comm«rz.>Rat.  Trof.  Ott»»  Ttleidorer.  Dr.  Falkenstein.  Dr.  Ricliard  Böckh. 
Dr.  Bormeng.  Dr.  Bemard.  FroL  Dr.  Wattenbach.  Prof.  Dr.  Zupitza. 

So  haltet  die  Anklage.  Neben  den  ganz  und  gar  inlialtlosen 
Phrasen  findet  sich  in  derselben  Wahrheit  und  Dichtung  so 
erstaunlich  durcheinander  geworfen,  dass  man  die  eine  von  der 
andern  gar  nieht  mehr  zu  unterscheiden  im  Stande  ist.  Man  sieht 

es  deutlich,  die  Herren  in  Berlin  haben  ihre  Entrüstunfr  fix  und 
fertig  aus  Heimannstadt  bezeigen.  Und  wenn  sie  die  (.iesebichte 
auch  nicht  ganz  verstanden  haben;  wenn  wir  auch  wetten  möchten, 
dass  kein  Einziger  der  Berliner  Herren  jemals  von  Angesicht  zu 
Angesicht  Jene  Gesetze  gesehen  hat,  auf  welche  in  diesem  An/rufe 


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DER  tALLOl  MEIKK  DBUT80BE  SCHULTEREINI  UND  ÜNGARK 


lUrujtinif  (jeschifhtt  60  haben  sie  es  doch  als  eine  nationale  Sache 
angesehen,  diese  Khi^^e  ins  lu-ili^c  (leiitsche  Keii-li  liinaii.szusendeii. 
Da  woileu  wir  uns  denn  die  Herren  auf  ein  Stiiudclien  ausbitten, 
um  ihnen  diese  Kenntniss  zu  yermittehi.  Wir  hoffen,  dass  diese 
Zeit  ihnen  einigen  Nutzen  und  Tielleicht  aueh  einige  Kurzweil 
bringen  wd. 

..  Tritt;:  ffer  fft  HetzlicJirn  '/jiiHif1ierün<i  ih'r  (ilexcJihcrerhtinuntj  der 
Sprdchen  hat  die  herrachefidc  magyarische  Minderheit  >trit  einer 
Reihe  von  Jahren  consequent  dahin  gearbeitet,  die  deutsche  Bildung 
in  den  ungarischen  Kronländem  zu  Grunde  zu  richten."  —  Wenn 
Herr  Victor  Tissot  von  den  «ungarischen  Kronländem»  spräche, 
so  waie  das  hegrciflit-li :  wenn  aber  angesehene  deiitsclie  Gelehrte 
eine  so  bodenlose  Unwissenheit  iu  Sachen  des  Staatsrechts  der 
österreichiseh-ungarischen  Monarchie  bekunden,  dass  sie  von 
i  ungarischen  Kronländem»  sprechen,  fast  zwei  Jahrzehnte,  nach- 
dem Ungarn  sich  nn<;esicht8  Ton  ganz  Europa  als  selbständiges 
Staatswesen  constituirt  hat.  nachdeni  der  Name  Ungarns  als  der 
eines  mit  Oesterreich  vollkommen  gleichberechtigten  Staatswesens 
bei  unzähligen  internationalen  Anlässen  —  unter  anderen  auch 
auf  dem  Berliner  Congresse  —  seine  Bolle  gespielt  hat :  wenn, 
sagen  wir,  nach  alledem  deutsehe  Professoren  von  «unfi^schen 
Kronlaudern  »  sprechen,  so  können  wir  das  nur  mit  r»  spektvollem 
Schweigen  aufnehmen  und  Herrn  Tissot  im  Stillen  Abbitte  leisten, 
dass  wir  jemals  gegen  seine  wissenschaftliche  Gründlichkeit  Zweifel 
zu  erheben  gewagt  haben. 

So  wird  denn  in  den  «ungarischen  Kronländem»  seit  14  Jah- 
ren die  deutsche  Bildung  zu  Grunde  gerichtet !  Merkwürdigerweise 
hat  sich  gerade  wahrend  dieser  Zeit,  das  ist  seit  dem  Jahre  1S67, 
die  Zahl  der  Schulen  jeghcher  Art  mehr  als  verdoppelt  und  da  diese 
Schulen  sich  gleiohmässig  auf  alle  Nationalitäten  Tertheilen,  so 
können  wir  wirklich  nicht  begreifen,  wie  es  möglich  gew  esen  wäre, 
die  «deutsche  Bildung»  mit  solchen  Mitteln  und  auf  solchen  Wegen 
gar  so  sehr  zu  Grunde  zu  richten  ?  Dass  dem  aber  wirklich  so  sei, 
wie  wir  sagen,  das  wollen  wir  mit  Ziffern  beweisen. 

Nehmen  wir  zuerst  die  Elementarschulen. 


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DER  «ALLUE.MEINE  DEUTSCHE  SCHULVEllEIN  »  UND  UNOABN.  ^ 


Von  deu  lö,N:24  Voiksschukn  des  Jahres  1880  war  die 
Unterriehtsspraehe  die 


ungtuisehe  

...  in 

7341  Schulen 

deuttohe...   .           ...  . 

• 

867 

t 

mmämscbe   

...  • 

2756 

• 

slovakisohe   

• 

1716 

serbische   

...  • 

•246 

• 

oroatische   

68 

mtheiusche           ...  ... 

• 

393 

• 

unfforuch'deiitfirhr      ...  ., 

• 

919 

mmänisch-nii  j,';iri  sc  1 1  e 

...  • 

394- 

» 

glovalvi^cli-nn^'arische  ... 

• 

597 

> 

serbi8cli-uiij,'iinsche  

53 

croatisch-UDgarische    ...  . 

• 

79 

* 

nithenischoimgBrische 

  * 

Uß 

• 

andere  zwei  Sprachen  —  . 

• 

48 

drei  S]«achen  

...  » 

10t 

» 

In  dor  Majorität  der  vorhandenen  Schulen,  das  ist  in  Sii^'I  Anstal- 
ten, war  die  \'i>rtra','ssprache  also  uicJit  iiKniyarisch,  den  Ziffemver- 
hfdtnissen  der  l^ationalitäteu  entsprechend. 

Wir  fragen,  ist  es  möglich,  in  Sohnlangelegenheiten  ein  libe- 
raleres Vorgehen  zu  denken,  als  dasjenige,  welehes  die  vorstehen* 
den  Ziilern  ausdrücken  ?  En  fjiht  fünfzehn  Gattungen  sprachlich 
verschiedener  Schulen  —  der  Staat  verhalt  sich  dem  ge^n  näher 
ganz  teilnahmslos  und  respectirt  jede  Eigenart.  Es  gibt  nahezu 
3000  nunänisohe,  nahezu  ^000  slavisohe  Schulen,  der  Staat  legt 
ihnen  nichts  in  den  Weg  und  man  wird  doch  wohl  die  ungarischen 
Regierungsm iinner  nirgends  für  so  blöde  halten,  dass  sie  rumä- 
nisclie  und  slavische  Schulen  lieber  sähen,  als  deutsche  Lehr- 
anstalten ? 

Wenn  sie  übrigens  so  dächten,  so  wäre  auch  damit  an  dem 
Stande  der  Dinge  nichts  geändert,  da  die  Volksschule  in  Ungarn 
ganz  in  den  Händen  der  Gemeinden  und  Confessionen  ist,  welche 
über  die  Vortrugssprache  derselben  vollkommen  frei  entscheiden. 
Von  dem  confessiouellen  Charakter  des  ungarischen  Volksschul- 
weaens  haben  die  Herren  vom  Schulverein  —  versteht  sich  — 
keine  Kenntniss  und  sie  hahen  auch  nicht  getrachtet,  sich  darüber 
zu  informiren.  Wahrlich,  man  muss  die  Kühnheit  hewundem,  mit 


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I>KU  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SCHULVERHIX »  UND  UNGARN. 


weicher  diese  Herreu  sich  uuterfaugeu,  bei  so  bodenloser  Un- 
wissenheit über  ungarische  Verhältnisse  diese  selben  Verhältnisse 
zum  Gegenstande  ihrer  entrüsteten  Kritik  zu  machen. 

So  mögen  denn  die  Ziflfem  hier  stehen,  welche  die  Gemeinde 

des  deutschen  Schulvereins  autTiliireu  köniu  n  ! 

Das  Verhaltniss,  in  welchem  die  Staatsschuleu  zu  den  cou- 
fessionelien  und  Gemeindeschulen  stehen,  drücken  die  folgenden 
Zahlen  aus. 

'  Von  den  la,8S4  Volksschulen  des  Jahres  1880  waren: 

Stuatsschuleii      ...   i'6H 

Gcmeindeschulen    lWi9 

Coutessionelle  Schulen      ...    ...  \Z,12it 

rhvatschuleQ     167 

In  260  Schulen  bestimmte  also  der  Staat  die  Vortragssprache  — 
dem  standen  aber  l."')..')ös  Anst.ilton  fi^egenüber,  in  welchen  der 
Staat  darauf  keine,  absolut  keine  Ingerenz  besass. 

Wenn  sich  eine  ungarische  Gemeinde  fände,  in  der  sechs 
Sprachen  vertreten  sind,  so  hätten  die  Gemeindemitglieder  das 
Becbt  sechs  Schulen  zu  errichten,  in  deren  jeder  eine  andere  Vor- 
trauh.spraclu'  zu  Hause  wäre,  oder  sie  konnten  begehren,  das^  eine 
einzige  »Schule  errichtet  werde,  worin  alle  diese  Sprachen  gleich- 
berechtigt gelehrt  und  gesprochen  werden  sollten.  Fände  sich  für 
diese  Schule  irgend  ein  kleiner  Mezzofanti  unter  den  Zöglingen 
unserer  Lehrerpraparandien,  so  würde  ihn  nichts  in  seinem  wohl- 
tliätigen  Wirken  hindern.  Auch  die  wenigen  Staats-Elementar- 
schulen unterrichten  übrigens  in  der  Sprache,  welche  an  Ort  und 
Stelle  die  Majorität  besitzt  und  der  ungarische  Staat  hat  magya- 
rische Schulen  ebenso,  wie  er  deutsche,  slovakische  oder  ruthe- 
nische  besitzt. 

Erst  vor  etwa  zwei  Jahren  ist  man  zum  erstenmale  darauf 
pjekommen,  von  staatswegen  zu  begehren,  dass  in  allen  Volks* 
schulen  die  ungarische  Sprache  nicht  etwa  zur  Vortragsspraehe 
erhoben  werde,  sondern  blos,  dass  sie  in  die  Reihe  der  ordent- 
lichen I  nti  rrichtsgcgt  ustunde  aufgenommen  und  ein  bis  zwei 
Stuudeu  wöchentlich  gelehrt  werde.    Darob  wurde  die  ganze 


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I»i:it  «ALLGl  MEINE  UhT  l^CHE  8CH l  LVKIiLlN  •>  I  NI)  L  NGAItN. 


deutsche  Presse  fie<^en  Ungarn  gehetzt  —  als  ob  nocli  nie  ein 
Staat  irgendwo  in  der  Welt  Teriangt  hätte,  dasB  man  bei  der  Er- 
ziehung seiner  künftigen  Bürger  unter  Anderem  auch  seine  Sprache 
t  ili  weiiiii  berücksichtiL^e :  als  ob  nicht  in  ganz  Belj^ien  in  jeder 
vläuiibchen  Elemeutarsclmle  die  französische  Sprache  gelehrt 
würde;  als  ob  man  in  Posen  auch  nur  ein  Jahr  lang  eine  Schule 
dulden  würde,  in  welcher  die  deutsche  Sprache  so  behandelt  würde, 
wie  die  magy  arische  Spruche  in  der  Mehrzahl  der  ungarischen 
Schulen ;  als  oh  iiielit  zu  jeder  Zeit  und  in  jedem  Lande  die  Regie- 
rungen mehr  begehrt  hatten,  al»  was  in  diesem  Gesetze  über  den 
obligatorischen  Unterricht  der  magyarischen  Sprache  verlangt  wird ! 

Der  Staat  betrachtet  es  als  seine  Pflicht,  die  Bürger  zurKennt- 
niss  der  Staatssprache  zu  erziehen,  damit  dieselben  nicht  später 
wefjen  Unkenutniss  derselben  zu  gewissen  Staatsainti'rn  uulaliig 
stien.  Dieser  Gedanke  ist  nicht  von  heute  uud  gestern ;  er  findet 
sich  schon  in  jener  Ratio  educationin,  welche  ein  berüchtigter 
mag^rarischer  ChauTinist,  der  Kaiser  Franz  hiess,  im  Jahre  1806 
herausgab  und  in  welcher  ein  Paragraph  bestimmt:  «Lingme 
patria-  usum  tüvi  Hungarn  e.sse  ornuino  neecessarium,  nemo  est, 
qui  ambigat:  idcirco  cura  ubique  peculiaris  et  coutinua  erit  in 
scholis  Hungariffi  adhibenda,  ut  illius  cognitione  adolescentes 
pariier  imbuantur.» 

So  stand  es  von  jeher  und  das  ist  das  Einzige,  was  der  unga- 
rische Suiat  bisher  getan  hat,  um  seinen  Eintiuss  auf  das  Volks- 
schulwesen zu  sichern. 

Das  sind  ganz  unbestreitbare  Tatsachen.  Diese  Tatsachen 
aber  kennt  der  Deutsche  Schulverein  nicht  und  das  ist  in  seinem 
Falle  geradezu  ein  Vergehen.  Denn  es  kann  einer  ein  sehr  braver 
Mann  und  ein  i;anz  tretflicher  Deutscher  sein,  ohne  von  (Uu  De- 
tails des  ungarischen  Schulwesens  Kenntniss  zu  haben.  Wir  bilden 
ans  auch  durchaus  nicht  ein»  dass  es  zu  Europa's  dringendsten 
Sorgen  gehöre,  sich  über  diese  Dinge  zu  informiren.  Das  aber 
kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  Personen,  welche  sich  nnmassen, 
iii»er  die  Verhältnisse  eines  J.amlrs  in  jenem  Tone  zu  spri-clun, 
vie  die  Herren  vom  Deutscheu  Scimlvereiu,  dass  diese  Personen 


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48       DER  •  ALLGEMEIME  DEUTSCHE  SCHULVERBIN»  UND  UNGARN. 

auch  (lif  Priiolit  liai»t  u.  ^k-h  ülier  diese  Verhultnisse  verlasslirhe 
Inforuiationeu  zu  verschaffen.  Wenu  solche  Personen  aber  auf 
der  einen  Seite  mit  vollster  Apodicticität  das  Wort  führen  und  auf 
der  anderen  S^ite  eine  so  grenzenlose  Unkenntmss  an  den  Tag 
legen :  dann  sagen  vir  es  ohne  Umstände,  dass  ein  so  gearte- 
tes Vorj^ehen  den  einfachsten  Jiepjriflfen  von  politischer  Moral 
Hohn  spricht.  Der  Pariser  «Figaro»,  über  dessen  Berichte  aus 
Deutschland  man  seiner  Zeit  so  viel  gelacht  hat,  ist  eine  recht 
lüderliehe  Zeitung;  aber  die  Mitarbeiter  des  «Figaroi  sind  hundert- 
mal  gewissenhafter,  wenn  sie  ihr  Deutschland  schildern,  als  die 
Herren  vom  Schulverein,  wenn  sie  über  Unfjarn  sprechen. 

Die  Klage  geht  dann  folgeuilermassen  weiter :  „Die  gesetzliche 
Bestimmung,  nach  welcher  der  Staut  v  rpßichtet  ist,  für  die  BUditng 
der  Deutschen  bis  zur  Stufe  de»  akademischen  Unterrichtes  Sorge  zw 
tragen^  ist  nicht  aüein  nicht  ausgeführt,  sondern  das  jetzt  vorgelegte 
Mittelschulgesetz  irill  unter  Aufhebung  dieser  Bestimmung  die  Er- 
richtung neuer  deatsrlit  r  Mitt''lsrliuh  ii  (hirrJi  dru  Staat  vttrhietcn  und 
alle  zum  LehranUe  Bercrhtigtcn  zwingen,  die  B^'ähigung  zum  Un- 
terrichte in  der  maggarisciien  Sprache  nachzuweisen,  damit  auch 
die  bisherige  Bildung  der  Lehrer  auf  deutschen  Hochschulen  für  die 
Zukunft  verhindert  werde." 

Ein  wahrer  Kuttenkönig  von  Uukenntniss.  von  Verdrehun^'eii 
mid  Eründuogen.  Vor  Allem  ist  jenes  fürchterliche  «Mittelschul- 
gesetz»  vorerst  nur  noch  ein  Oesetzentwurf,  Wie  ernst  die  unga- 
rische Legislative  es  mit  der  durch  diese  Vorlage  bezweckten 
Beform  nimmt,  mag  man  daraus  ersehen,  dass  der  Gesetzentwurf 
über  die  Keorganisation  des  Mittelsehiihveseiis  seit  zehn  Jahn  n 
dem  Parlamente  vorliegt,  lV)rtwahrend  Gegenstand  der  Discussion 
war,  in  fünf,  jedesmal  modificirten  Formen  durch  die  Begierung 
der  Glesetzgebung  unterbreitet,  dreimal  durch  parlamentarische 
Aussohässe  beraten  und  modifieirt  wurde  —  ohne  dass  das  Ab- 
geordnetenhaus sich  dazu  entschliessen  konnte',  die  nieritorische 
Verhandlung  zu  beginnen.  Nun  ist  dieser  Gesetzentwurf  neuer- 
dings dem  ünterrichtsausschusse  zugewiesen;  es  können  aber 
Jahre  vergehen,  ehe  derselbe  zur  Verhandlung  gelangt.  Welches 


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OKR  tALLOEMBINB  OEÜTBOBB  SCHULTBaSINt  OND  UNGARN. 


die  definitive  Form  seiu  wird,  in  welcher  diese  Vorlape  aus  den 
AosschÖBsen  und  aus  den  Beratungen  des  Plenums  endlich  her- 
Toigehen  wird,  das  ist  vorerst  noch  gar  nicht  abzusehen«  Gerade 
solche  BegieningsTorlagen  werden  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  mo- 
dificirt,  ehe  sie  der  königlichen  Sanction  unterbreitet  werden,  und 
wer  wüsste  zu  siigen,  was  das  Schicksal  des  jetzt  in  Fra^^e  stehen- 
den Entwurfes  sein  wird  ?  Wie  soll  man  es  angesichts  dieser  Tat- 
ttehe  bezeichnen,  wenn  von  gewisser  Seite  ganz  Deutschland 
fuifgeboten  wird  gegen  etwas,  was  noch  gar  nicht  Gesetz  ist,  was 
möglicht^rweise  gar  niemals  zum  Gesetze  werden  wird  ? 

Eit  (jibt  kein  neues  Mittelschnl/jeset::  und  es  ist  demnach  die 
vollkommenste  Tissottise,  wenn  ernste  Männer,  ehe  sie  sich  über- 
sengt  haben,  ob  das,  wovon  sie  sprechen,  wirklich  existirt,  eine 
lolehe  Anklage  erheben.  Wohl  aber  gibt  es  —  wie  gesagt  —  einen 
MitteUchulgesetz-Kntwur/j  imd  diesen  wollen  wir  hier  kurz  ana- 
Ijsiren. 

Wieder  haben  die  Berliner  Herren  mit  eben  so  viel  Süffisance 
als  Frivolität  über  einen  Gegenstand  abgeurteilt,  der  ihnen 
absolut  unbekannt  ist.  Sie  hätten  diesen  auch  in  deutscher  üeber- 

setzimg  erschienenen  Gesetzentwurf  doch  mindestens  durchlesen 
Bollen.  Sie  hatten  dann  üher  die  Natur  des  ungarischen  Mittel- 
Bcbolwesens  Auskünfte  erhalten,  von  denen  sie  jetzt  keine  Vor- 
stellung haben.  Denn  sie  besitzen  offenbar  nicht  die  geringste 
Kemitniss  von  dehi  vorwiegend  confessionellen  Charakter  des 
nugjiriscben  Mittelschulwesens,  welcher  Charakter  es  mit  sich 
bringt,  dass  dem  Staate  in  der  grossen  Mehrzahl  dieser  Anstalten 
nur  die  Oberaufsicht,  keinesfalls  aber  dasBecht  zusteht,  die  Unter- 
richtssprache zu  bestimmen. 

IMe  folgenden  Ziffern  zeigen,  wie  zum  Schlüsse  des  Jahres 
1879/80  das  Mittrlschulwesen  sich  zwischen  dem  Staate  und  den 
Confessionen  verteilte.  Es  bestanden  in  dem  genannten  Jahre : 

OynoMta  B<lit>holWi  Summe 

Staatsanstalten                                            7  17  24 

Municipalanstalten                                    5  7  12 

<»rrl«-nss{-lnik-n       ...             ..    ...40  —  40 

Au.-,  ikiii  Stu<lipiil'oiul  erliiilteue  Austalteu    14  —  J4 

Ci^uüdi«  B«roe,  1862,  I.  H«ft.  J 


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^        DER  «ALLOCHEINE  DBUTBOHE  SCHULTEREIN»  UND  üKOABN. 


Gymua^^ieu     lieRUcUuloD  .Souuuü 

ETangelisoh«  Anstalteii                        95  —  !t6 

Befonnirte         »                                30  —  3U 

EvangeÜBch-refoniurte  Anstalten              ]  —  1 

Katholische  Anstalten     ...   ^.            18             1  19 

Umtarische        »        _  _    3  — 

Gii6chiBCh>orieutali<4clit>  Anstalten  ...        3  —  3 

luterconfessionellü  Anstalten                     1  —  1 

IMvate  Anstalten    2  I    3 

Ii!)  W>  17^ 


Dr'  Zahl  der  eigentlichen  Staatsaustalten  verhalt  sich  somit  zu 
den  coofessionellen  und  munioipalen  Schulen  wie  d4tzu  151.  Von 
den  gesammten  175  Anstalten  stehen  III  unter  mehr  minder 
directer  Aufsicht  der  Regierunj:,  während  (54  Schulen  sich  voll- 
komtiien  der  staatlichen  Eintiussnahme  entziehen.  Wenn  in 
manchen  municipaleu  oder  coufessiouellen  Anstalten  in  ni;i- 
grarischer  Sprache  vorgetragen  wird,  so  geschieht  das  eben, 
weil  die  Bevölkerungen,  welche  diese  Schulen  erhalten,  es  so 
wollen.  Wo  sie  das  nicht  wollen,  haben  sie  das  Recht  unterrichten 
zu  lassen,  wie  es  ihn»  n  helieht.  Freilich  haV)en  zahlreiche 
Deutsche  —  denen  die  Zukunft  ihrer  Kinder  höher  steht,  al3  das 
Verlangen  nach  einem  Conüict  mit  dem  Staate  —  von  jeher  ji;e- 
wünscht,  ihren  Kindern  den  Vorteil  zu  sichern,  dass  dieselben 
ausser  ihrer  deutschen  Mutters])r:iche  auch  die  ungarische  Staats- 
sprache kennen  und  sprechen.  Aus  diesem  vernünftigen  und  prac- 
tischen  Bestrehen  hat  sich  uni^v  Anderem  auch  die  Gewohnheit 
herausgebildet,  dass  deutsche  Familien  ihre  Söhne  zu  ungarischen 
und  ungarische  Familien  ihre  Söhne  zu  deutschen  Familien  geben 
und  daselbst  Jahre  hindurch  lassen,  bis  sie  der  fremden  Sprache 
voUkomiiK  11  mächtig  sind.  Zwischen  Deiitseheu  und  Ungxrn  — 
wir  müäseu  immer  wieder  darauf  zurückkommen  —  hesteht  eben 
in  Ungarn  von  jeher  das  denkbar  beste  Verhaltuiss  und  die  säch- 
sische Agitation  hat  auf  ungarischem  Boden  niemals  den  gering- 
sten Anhang  gehabt.  So  kommt  es,  dass,  wie  wir  versichern 
kouuen.  i<eit  dem  B>'<tandfl  der  unij-irhchen  Req\pr\inn  an  dies*'lh(* 
noch  niemals  das  Verhm<n'n  ijei^tellt  tronh-n  ist,  ein  deutsch'  Gi/ni- 
nasium  zu  errichten.  Wo  die  Sprachen  Verhältnisse  es  so  erfordern, 


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DEU  «ALLtitMKINE  DELT.SCHE  SCllULVERF.IN »  UND  LNüAUN. 


wird  aber  in  den  Statitsschulen  auch  jetzt  in  gemischter  Sprache 
der  Unterricht  erteilt.  In  den  confessionellen  Schalen  hingegen 
beetimmen,  wie  gesagt,  die  Gonfessionen  in  uneingeschränkter 

Autonomie  ihre  Vortragssprache.  Der  Staat  hat  ihnen  absolut 
'  nichts  vorzuschreiben.  Das  ist  es.  was  man  den  Herren  vom  Deut- 
schen Schulverein  nicht  gesagt  hat,  und  man  hat  ihnen  femer 
nicht  gesagt,  dass  der  neue  Mittelschul-Gesetzentwurf  diesen 
Zustand  Tollstandig  sanctionirt.  *  Wir  aber  w  agen  zu  behaupten, 
dass  dieser  Gesetzentwurf  einen  Liberalismus  an  den  Tag  legt,  der 
mit  Rücksicht  auf  die  Wahrung  staatlicher  Interessen  kaum  zu 
entschuldigen  ist,  und  dass  derselbe,  was  den  Respect  vor  der 
confessionelien,  das  ist  in  diesem  Falle  nationalen  Autonomie 
betrifft — in  der  europäischen  Unterrichts-Gesetzgebung  ohne  Bei- 
spiel dasteht. 

I)ieser  Gesetzentwurf  gestattet  allen  Confessiouen,  ja  seihst 
privaten  Gesellschaften  und  einzelnen  Privaten,  öffentliche  Mittel- 
schulen SU  errichten,  wenn  dieselben  in  Bezug  auf  den  Lehrplan 
den  allgemeinen,  für  die  betreffende  Kategorie  von  Schulen  gü- 
tigen Vorschriften  entsprechen ;  die  Zeugnisse  dieser  mit  dem 
IV'chte  der  Oett'entlichkeit  bekleideten  Schulen  —  (»h  nun  an  den- 
selben magyarisch  oder  deutsch,  rumänisch  oder  serbisch  vorge- 
tragen wird  —  gemessen  dieselbe  Giltigkeit,  wie  die  Zeugnisse 
der  Staatssehulen.  Da  die  Mittelschulen  meist  in  Händen  der  Con- 
fessionen  sind,  wird  ihnen  auch  das  Recht  gegeljen,  ihre  Lehrer 
iu  eigenen  Seminarien  zu  i)ilden  und  dies(  ll>en  vor  den  viui  ihnen 
i;e wühlten  Priifungs-Gommissionen  —  welchen  nur  zwei  Begie- 

*  Paragraph  79  des  GesetzentwurfeB  bestimmt  wörtlich  Folgendes: 
«Die  Confessionen,  OeeeUsehftften  oder  Private  bestimmen  selbst  die  Vor- 
tmgsppraohe  in  den  von  ihnen  erhaltenen  Schulen,  doeh  sind  dieselben 
verpflichtet,  wenn  die  Vortragsspraohe  nicht  die  magyarische  ist,  ansser 

ihrer  Vortragssprache  tuul  Literatur  für  '  i  Unterricht  der  ungarischen 
Sprache  und  Literatur  als  eines  obhgatcn  Lelirgegeustaudes  zu  sorgen.»  — 
Das  gilt  vou  <leu  flichtiiiagj'arisclieu,  aUo  auch  deutschen  St-huleu.  Tara- 
grap}i  4  und  6  dc^  Gesetzcntwurtts  lüiijOifgcü  bestiiunit  für  alle  Mittel- 
schtileu  de«  Laiuk<  ohne  jeirlichcu  Unti-rschiedt  deutsche  Spruche  und 
Literatur  ah»  einen  obligaten  Lehrgegeustaud. 


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53       DEB  t ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SOHCLTBBEIM»  UND  UMOABN. 

ruü^ä-V(  rtr.  tt-r  zugezogen  werden  —  prüfen  zu  lassen.  Ausge- 
rüstet mit  den  Zengnissen  dieser  confessionelleD  Anstalten  er- 
langen die  Candidaten  die  Befähigung  zur  Ausübung  des  Lehr» 
iimtes  in  oonfessionellen,  wie  in  Staatssehulen,  gerade  so  wie  ihre 
Collepeii.  die  in  den  St  ininarien  des  Staates  und  unter  dessen  un-  * 
mittelbarer  Aufsicht  ausgebildet  worden  sind.  Den  Besuch  fremder, 
also  auch  deutscher  Schulen  verbietet  das  Gesetz  nicht  nur  nicht, 
sondern  es  bestimmt  ausdrucklich,  das$  jeder  Candidat  van  den 
akademischen  vier  Jahren  drei  an  einer  ausländischen  Hoeheehule 
verhritKjeu  h'onnr.  Nur  wahrend  eines  einzigen  Jahres  wird  gefordert, 
dass  die  Zöglinge  die  Landesschulen  frequentiren  und  ebenso  wird 
gefordert,  dass  die  Qualiiioation  zum  Lehramte  im  Lande  selbst 
erworben  werde,  wie  es  ja  keinen  Staat  in  der  )¥elt  gibt,  der  eine 
im  Auslande  erworbene  Lehramts-Qualification  für  sich  als  mass- 
gebend anerkennen  wurde.  Bei  ilein  letzten  Kxauieu  veriani^'t  man 
aber  auch  —  und  hier  liegt  das  grosse  Attentat  gegen  die  «deutsche 
Bildung»  —  bei  dem  letzten  Examen  eines  Mittelschul-Professors 
verlangt  man  aber  auch,  dass  er,  der  nicht  nur  die  Qualification 
zur  Ausübung  des  Lehramtes  in  den  Schulen  seiner  Gonfession  er- 
langt, sondern  zum  Leliramt  in  sammtliehen  Mittelschulen  des 
Landes  befähigt  wird,  nachweise,  dass  er  den  Unterricht  iu  der 
Staatssprache  erteilen  könne.  Der  Staat  gibt  eine  Concession, 
welche  zu  den  wertvollsten  und  unseres  Erachtens  nicht  ganz 
ungefährlichen  gehört,  er  deckt  mit  seiner  Autorität  die  Zeugnisse, 
welf'he  von  Schulen  ausLrestellt  sind,  die  nicht  unter  seiner  Leitung 
stehen  —  was  ist  da  natürlicher,  als  dass  er  als  Eutj^^elt  mindestens 
begehrt,  sich  zu  vergewissem,  ob  die  Zöglinge  dieser  Schulen, 
wenn  sie  an  ungarische  Anstalten  gelangen,  auch  der  Sprache 
ihrer  Schüler  und  ihrer  Schule  mächtig  sein  würden  ?  Von  Jenen, 
welche  sich  darauf  beschranken  wollen,  in  den  Schulen  ihrt  r  Con- 
fessiouen  zu  wirken,  verlangt  der  Staat  überhaupt  gar  nichts.  Die 
Confessionen  können  bezügUch  der  Ausbildung  und  Prüfung 
der  Lehrer  ihrer  Mittelschulen  ganz  autonom  veifügen.  Ist*8  ihnen 
recht,  dass  ein  Lehrer  der  Staatssprache  nicht  mächtig  sei,  so  hin- 
dert sie  nichts  denselben  anzustellen.  Erst  im  Augenblicke,  da  der 


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DER  •ALLOBUSIMB  DEUTSCHE  SCHULTEREIN  •  UND  UMOABN.  S3 


Betreffende  ans  dem  Kreise  seiner  Confession  heraustretend,  die 
Verwondiint^  in  den  Staatsschulen  sucht,  tritt  der  Staat  an  ihn 
heran  mit  der  Frage,  oh  er  auch  gewissen,  sehr  laxen  Vorschriften 
Genüge  geleistet  habe  9  * 

Wie  steht  nun  die  Bilanz  in  dieser  Sache?  Der  Staat  sagt 
den  Candidaten  und  den  Gonfessionen :  tlch  gebe  euch  die  unein- 
geschränkte Autonomie,  so  lange  ilir  auf  dem  Buden  eurer  Schulen 
verbleibt,  ihr  mögt  da  bestimmen,  was  ihr  wollt  und  die  Bestim- 
mungen handhaben,  wie  ihr  wollt.  Ich  bin  aber  auch  bereit  den  Ton 
euch  ganz  ohne  mein  Hinzutun  ausgebildeten  Candidaten  den 
Zutritt  SU  meinen  Schulen  zu  gestatten,  wenn  ihr  mir  aus  Änlass 
der  Prüfungen  den  Nachweis  führt,  dass  eure  (^)ualification  den 
für  meine  Schulen  vorgeschriebenen  Bedingungen  entspricht,  und 
dass  ihr  in  meiner  Sprache  vorzutragen  fähig  sein  würdet,  wenn  ich 
euch  in  einer  meiner  Schulen  unterbrachte.»  Die  Candidaten  aber, 
denen  der  Schulyerein  das  Wort  redet,  antworten  dem  Staate : 
«Wir  wollen  auch  fernerhin  alle  Begünstigungen  gemessen,  wir 
sollen  unabhängig  von  dir  ausgebildet  und  diplomirt  werden, 
deine  Yorscbriften  kümmern  uns  nicht,  deine  Sprache  erlernen 
wir  nicht,  zu  deinen  Schulen  aber  begehren  wir  freien  Zutritt,  sonst 
rufen  wir  ganz  Deutschland  auf  zum  Zeugen  des  harten  Unrechts 
und  der  blutigen  Verfolgung,  die  wir  als  wehrlose  Opfer  erdulden!» 

Das  ist  der  Stand  der  Dinge  und  wir  fragen  jeden  Menschen, 
der  eine  Vorstellung  von  der  Verwaltung  eines  Staatswesens  hat, 

*  Um  jedem  Zweifel  an  der  Kichtigkeit  unserer  Angaben  zu  begegnen, 
lasfen  wir  hier  den  betreffenden  Paragraphen  (70i  des  Gesetzentwurfes  in 
wörtliclicr  Uebersetzung  folgen.  Derselbe  lautet :  ainsofeme  die  Gonfessionen 
den  in  den  v(»rlu'i;,'f  hendcu  Paragi-aphcn  festgesetzten  Bostinminupfen  über 
die  Bildung  und  Diplominnig  der  riofessoren  eutsprecluii,  li:d>(n  die 
solcherart  erlangten  Diplome  dieselbe  Geltung  wie  ilie  .staatlichen  imd 
können  die  so  qualificirten  Professoren  sowohl  in  den  Staats-  als  in  den 
■ndtran  li&ttdadiiilMi  unbehindert  angestellt  werden.  Ineofeme  jedoeh  die 
ConfeatuMMn  den  ▼oigeiiehziebenen  Bedingungen  bei  Bildung  und  Diplomi> 
rang  ihrer  Fxo&asoren  nicht  entsprechen,  können  die  durch  sie  in  ihrem 
eigenen  Wiikongskreise  diplomiiten  Professoren  nur  an  Ihren  confessionellen 
Anstalten  Yerwendnng  finden.» 


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DIR  «ALLaE3I£IN£  DEUTSCHE  SCHULVBRfilN*-  UNO  UMGABN. 

ob  es  ein  Land  in  Europa  gibt,  wo  die  Staatsgewalt  einwilligen 
würde,  eine  solche  und  keine  stolzere  Bolle* im  Ünterricbtswesen  zu 

gpielen?  Wohl  fordert  ciiu'  Kegiening,  welche  eiuen  solchen  (be- 
setz vorschla^^  t  iuhringt,  (he  Augrifife  heraus  —  aber  nicht  die 
Träger  der  autonomen  und  nationalen  separatistischen  Interessen 
sind  es,  die  Grund  haben  über  sie  Klage  zu  führen ! 

Man  verlangt  also  von  den  deutschen  Gandidaten  für  die 
Mittelsclmllehrer- Stelle  die  KtnntuisH  der  un^^'urischen  Sjtraclie. 
luid  es  ist  luBlier  noch  nie  ;,'eschehen,  dass  ein  ui^ifariai  iur 
Deutscher  darob  in  Verlegenheit  geraten  wäre.  Nur  etliche  säch- 
sische Gandidaten  aus  Siebenbiurgen  fühlten  sich  sehr  gekränkt  in 
ihrem  nationalen  Bewusstsein,  wenn  sie  nicht  zuhause,  im  engsten 
Familienkreise  ihre  Prufunfien  hestehen  können,  und  wenn  man 
von  ihnen  so^^ar  verlangt,  sie  sollte  n  sich  auch  mit  der  olüciellen 
Sprache  des  Staates  einigermassen  befreunden. 

Wieder  fragen  wir :  gibt  es  einen  Staat  in  der  Welt,  so  weit 
sie  ist,  der  in  einer  Mittelschule  Lehrer  anstellen  würde,  welche 
sich  dessen  rühmen,  dass  sie  die  Staatssprache  nicht  verstehen, 
ja  dass  sie  dieselbe  gar  niclit  verstehen  wollen  und  niemals  ver- 
stehen werden  *?  Giht  es  einen  Staat  in  der  Welt,  der  von  den 
Lehrern  an  der  Mittelschule  nicht  verlangen  würde,  dass  sie 
seine  Sprache  verstünden,  wenigstens  so,  wie  er  von  ihnen  ver- 
lanp:t,  dasB  sie  fremde  Sprachen  verstehen  ? 

l)cutsrh(  Sttiats-Mittelschulen,  deren  Aufhören  der  Schuiverein 
in  seiner  grotesken  l'nwissenheit  über  ungarische  Verhaltnisse 
beklagt,  deutsche  Mittelschulen  hat  es,  ausser  während  der  Herr- 
schaft des  österreichischen  Absolutismus  in  Ungarn,  überhaupt 
nicht  gegeben.  Sie  konnten  also  nicht  verdrängt  werden  und  der 
neue  Gesetzentwurf  kann  sie  auch  nicht  verhieten.  Wohl  aber  hat 
es  zahlreiche  Gymnasien  gegehen,  in  denen,  je  nachdem  es  die 
Sprachkenntnisse  der  Schüler  erforderten,  auch  in  nichtmagya- 
rischer Sprache  vorgetragen  wurde  und  das  ist  noch  fortwährend 
der  Fall,  wird  auch  später  so  bleiben.  Diese  Schulen  bedienen  sich 
in  voller  Freiheit  dt  rjenigeu  Si)rache,  oder  derjenigen  Spraclien, 
welche  den  Schülern  am  geläufigsten  sind.  Im  ganzen  Lande  iftbt 


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DEB  «ALL0E3IEINE  DEUTSCHE  SCHL'LVEREXN»  VTXD  UNOABN.  . 


e$  aber  auch  nicht  eine  einziffe  Mittvluchule,  weder  ein  GifmuaaiHm 
noch  eine  Rv»ils<-huh',  in  irdf  hcr  nicht  Iiis  c//r  letzten  Cl(i8f<e  ron^'^eqii'  nt 
(Hl- deutsche  Spniciie  als  uhliyatcr  Lchnjciicnstümi  'jcU  ln  t  u  ürdc,  keine 
Schale  selbst  in  den  allennagyarischesten  Bezirken,  nicht  in  De- 
brezin,  nnd  nicht  in  Szegedin,  wo  ein  Zögling  aus  einer  Classe  in 
eine  andere  emporsteigen  könnte,  ohne  seine  Kenntniss  der  dent* 
ßchen  Spraclie  ilurch  ein»- Prüfuu^'  bekundet  zu  halK  ii.  wt-idie  nidit 
weniger  strenge  gefuhrt  wird,  als  die  Prüfun«^' aus  der  lua^^aribcLt-n 
Sprache.  Es  gibt  kein  Gymnasium  nnd  keine  Bealschule,  an  welcher 
ein  Zögling  das  Abgangszengniss  erhalten  würde,  ehe  er  nach- 
gewiesen hat,  dass  er  der  deutschen  Sprache  in  Wort  nnd  Schrift 
vollkommen  mächtig  sei.  Und  ohf^leich  dem  so  ist,  hat  der  jetzige 
Cultus-  und  Unterrichtsminister,  Herr  v.  Tr6fort,  der  nach  dem 
Deutschen  Schulverein  als  eine  Art  moderner  Herodes  unter  den 
deutschen  Schulen  wüten  soll,  erst  vor  wenigen  Monaten  in  einer 
Programmrede,  vor  einem  der  magyarischesten  Wahlbezirke  er- 
klart, er  werde  künftif,'  die  Kt-nntniss  der  deutschen  Sprache  in  den 
Mittelschuleu  und  in  den  Seminarien  mit  noch  viel  grösBerer 
Strenge  als  bisher  fordern«  So  stehen  die  Dinge  und  wir  wagen  zu 
sagen,  dMs  es  ausserhalb  Deutschlafids  nicht  einen  Staat  auf  dem 
Erdenmnde  niht,  der  für  die  Kenntniss  nnd  für  die  Pßege  der  dent' 
Kchcn  Sprache  in  seinen  Siitiden  so  fiele  Opfer  brächte  nnd  diese 
Kenntniss  mit  solchem  Ernste  verfolgte  n  ie  der  ungarische  ^taat. 

Was  wir  hier  sagen,  davon  kann  sich  Jedermann  überzeugen, 
der  sich  aus  der  erstbesten  Buchhandlung  die  Sammlung  der,  auch 
in  deutscher  Sprache  erschienenen,  ungarischen  Unterrichtsgesetze 
und  Verordnungen  kommen  lasst ;  davon  kann  sich  Jedermann 
überzeugen,  der  die  Mühe  nicht  scheut,  eine  ungarische  Mittel- 
schule aufzusuchen.  Und  das  Alles  fasst  der  deutsche  Schulverein 
tusammen  in  diese  wunderbaren  Sätze :  „Die  gesetzliehe  Bestimmung, 
itach  tcelcher  der  Staat  vcrpßichtei  ist,  für  die  Bildung  der  Deutschen 
bis  zur  Stufe  des  akadeniischoi  Unterrichtes  Sorge  zu  tra^it  u,  ist 
nicht  aUein  nicht  ausgeführt,  sondern  das  jetzt  vorgelegte  Mittelschul' 
gesetz  will  unter  Auf  hebung  dieser  Bestimmung  die  Errichtung  neuer 
detUicher  Mittelschulen  durch  den  Staat  verbieten  und  aüe  zum 


5t}  «ALLGF MEINE  DEUTSCHE  SCUULVEBEIN'»  UND  UNGARN. 

Lehramt  Berechtigten  zwingen^  die  Befähigung  zum  ünterriehte 
in  der  magyarischen  Sprache  nachzuweieent  damit  auch  die  hiehriffe 
Bilduna  der  Lehrer  auf  deutschen  Hochschulen  für  die  Zukunft 
verhindert  u  erde." 

Noch  ein  Hauptgravamen,  das  letzte,  das  gewichtigste:  „Eine 
deutsche  Universität  ist  nicht  mehr  vorhanden»" 

Und  unter  diesem  Anfrnfe  finden  sich  die  Namen  von  etliehen 
deutschen  Universitäts-Professoren ! 

Wenn  eine  deutsclie  Universität  nirJit  mehr  vorbanden  ist,  so 
muss  sie  ja  wohl  einmal  vorhanden  gewesen  sein;  da  möchten  wir 
aber  die  gelehrten  Herren  ganz  ergebenst  fragen,  woher  sie  diese 
Wissenschaft  haben  —  wann  diese  deutsehe  Universität  bei  uns 
existirte?  Bis  vor  wenigen  Jahren  gab  es  eine  einzige  Universität 
im  Lande,  die  Budupester,  die  seit  ihrer  Gründung  eine  rein  un- 
f^arische  Anstalt  gewesen  ist.  ihr  L'rsprung  datirt  noch  aus  dem 
XIII.  Jahrhundert,  aber  niemals  ist  ihr  rein  ungarischer  Charakter 
irgend  angezweifelt  worden.  So  lange  die  Staatssprache  im  Lande 
die  lateinische  war,  wurde  an  dieser  Universität  natürlich  lateinisch 
vorgetragen;  allein  noch  bevor  die  niodirne  ungarische  Sprache 
sich  zur  Staatssprache  emporrang,  hielt  eine  immer  grösser  wer- 
dende Anzahl  von  Professoren  die  Vorträge  schon  in  magyarischer 
Sprache  ab.  Das  Jahr  1848  fand  die  Universität  vollkommen  ma- 
gyarisirt.  Dieser  Zustand  erfuhr  nur  eine  kurze  Unterbrechung, 
als  nach  dem  Jalire  ISIO  der  österreichische  Absolutismus  in  l'n- 
garn  selbst  die  letzte  Spur  von  nationaler  Eigenart  ausrotten 
wollte.  Damals  wurden  die  ungarischen  Professoren  von  der  un- 
garischen Universität  vertrieben  und  durch  österreichische  Lehr- 
kräfte ersetzt,  von  denen  übrigens  nur  sehr  wenige  eine  wissen- 
schaftliche Bedeutung  besessen  haben.  Das  dnueiie  nicht  ;4anz 
zehn  Jahre,  etwa  von  1850  bis  1800.  In  diesem  Jahre  wurde 
die  Universität  der  Nation  zurückgegeben  und  sofort  wieder  zu 
einer  ungarischen  Hochschule  gemacht.  Die  Wiederherstellung 
des  ungarischen  Charakters  dieser  Hochschule  föUt  also  nicht  ein- 
mal m  die  Zeit  der  unabhängigen  ungarischen  Regienmg,  welche 
mit  dem  Jahre  18G7  ihren  Anfang  nahm ;  sondern  es  u  ar  noch  die 


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DBB  lAIJiOBMBINE  DBUTBCBE  BCHVIiVXRBINi*  ÜNB  UNOABN.  ^7 


Oft rrreichi sehe  Iii''iicruug,  u  clch'  zur  selhrti  Zeit,  da  sir  mit  Pn  uifiten 
um  die  Hegemonie  in  Deutschland  ramji  den  anyaiiHchen  Charakter 
der  BudapuUr  Universität  anerkennen  musste  und  anerkannte. 
Sieben  Jahre,  bevor  irgend  eine  der  neuen  Institutionen  des  nn- 
gariflcben  Staates  in*8  Leben  trat,  wurde  die  lUniversität  wieder 
mau'yiirisch,  so  unzweifelhaft  war  es,  tlass  sie  uiiuMriscb,  nichts  als 
augarisch  und  nur  imguriseh  sei  und  sein  könne ! 

In  jener  kurzen  Zeit,  wo  das  anders  war,  dachten  die  Macht- 
haber auch  an  nichts  weniger,  als  an  die  Verbreitung  •  deutscher 
Bildnnfir.»  Mit  solchen  Harmlosigkeiten  hat  sich  der  österreichische 
Alisolutisinus  nie  beschäftigt.  In  den  Auj2:en  jener  Maohtlüiber  war 
die  GermaDisirung  der  üniTersität  auch  eine  jener  empüudlichen 
Strafen,  mit  welchen  man  Ungarn  treffen  wollte.  Die  Ungarn  zu 
erniedrigen,  wenn  möglich  zu  vernichten,  das  war  der  Zweck  — 
an  die  «deutsche  Bildunc;»  dachte  mau  gar  nicht.  Auf  der  ganzen 
Liuie  noch  siegreich,  war  die  Universität  auch  der  erste  Punkt,  auf 
dem  der  österreichische  Einheitsstaat  geschhigeu  wurde.  Er  hielt 
noeb  die  Begierung  und  die  gesammte  Verwaltung  Ungarns  in 
Händen,  da  er  auf  die  Universität  schon  Verzicht  leisten  musste. 
Dm  ist  ein  so  offenkundiges  Stück  zeitgenössischer  Geschichte, 
djiss  man  nicht  einmal  ein  Sehuhnann  sein  muss,  um  darüber 
informirt  zu  sein.  Nur  die  Herren  vom  Deutschen  Schulverein 
biU>en  von  alledem  keine  Kenntniss,  und  klagend  rufen  sie  aus: 
„Eine deutele  ünivereität  exietirt  nicht  mehr!** 

Nach  der  Schilderung  dieser  «empörenden  Zustände»  ist  es 
natürlich,  wenn  dt-r  Deutsche  Schuheit-in  seine  Stimme  wieder 
folgendermassen  vernehmen  lässt :  „So  dankt  es  <lrr  Magyare,  dass 
ihm  der  Deuteehe  nicht  nur  die  Befreiung  von  der  Türkenhemefutf't 
hradite,  sondern  Uberhaupt  erst  das  Licht  europäischer  Bildung  über 
die  ungarifchen  Länder  verbreitete 

Wer  hatte  nicht  vorausgesehen,  dass  der  Tiirke  bei  diesem 
Anlasse  werde  ausrücken  müssen  ! 

Wir  wollen  darum  auch  gar  nicht  darüber  streiten,  inwieweit 
der  Deutsche  wirklich  cden  Magyaren»  von  der  Türkenherrschaft 
befreit  bat,  ob  nicht  vielmehr  der  Magyare  Jahrhunderte  hindurch 


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S8       ]>£B  «ALLGEMEINE  DEUTSCH K  80HULTEBEIK»  UND  UNGABN. 

ein  Schatz  für  die  Deutseben  gegen  die  Invasion  der  Türken- 
herrscbaft  gewesen  ist  ?  Wir  fragen  nur :  wenn  man  von  solchen 

(Tt  siclitHpunkten  ;iiis  die  mudenie  Gc-setzf:^ebun<^  ret^uliren  wollte; 
urnn  man  Liebe  und  Hass.  Dunk  und  Undank,  hergeleitet  aus  der 
Zeit  der  Türkenherrschaft,  für  die  Schulgesetzgebnng  im  letzten 
Viertel  des  XIX.  Jahrhunderts  als  massgebend  erachten  würde,  — 
wie  stünde  es  da  um  die  europäischen  Völker? 

tJm  nichts  anderes  zu  tr\v;ihneu.  niüsste  mau  z.  B.  an  cler 
"Wiener  Universität  in  dankbarer  Erinnerung  an  einen  sicheren 
Sobieski,  König  der  Polen,  polnisch  vortragen.  In  den  Wiener 
Bealschulen  und  Gymnasien  müsste  die  polnische  Sprache  der 
erste  Gegenstand  jedes  Unterrichtes  sein,  und  wenn  die  Oester- 
reicher  und  die  Wiener  zumal  darauf  nicht  eingehen  wollten,  was 
Ware  berechtigter,  als  dass  irgend  ein  allgemeiner  polnischer 
BchuWerein  ausrufe:  «So  dankt  es  der  Deutsche,  dass  ihm  der 
Pole  die  Befreiung  von  der  Türkenherrschaft  gebracht  hat!i 

Und  doch  ist  das  Factum,  dass  Wien  durch  die  Polen  von  der 
Turkt-nherrschaft  befreit  wurde,  vitl  sicherer  als  jenes  Factum, 
dass  «der  Magyare»  seine  Befreiung  von  der  Türkenherrschaft 
dem  Deutschen  verdanke.  Nur  glauben  wir  Anderen  nicht,  dass 
man  heutzutage  Unterriehtsgesetze  in  Oesterreich  mit  Bücksiidit 
auf  den  seligen  Grossvezier  Kara  Mußtapha  und  seinen  erlauchten 
Herrn.  Muhamed  IV.,  fabriziren  müsste. 

So  stürzt  auch  diese  letzte  hohe  Säule  zusammen,  an  welche 
der  Deutsche  Schulverein  seine  Klage  angeheftet  hat:  ,tEine 
•deutsehe  Universität  exiatirt  nicht  mehr!*' 

III. 

Wie  kommt  es,  wird  man  fragen,  dass  bei  diesem  Stande  der 
Dinge  so  lächerlich  böswillige  Verkehrtheiten  selbst  zu  erleuch- 
teteren Geistern  des  deutschen  Volkes  Zugang  finden  konnten  ? 

Wir  wollen  verbuchen  darauf  mit  aller  Ülfenherzigkeit  die 
Antwort  zu  geben. 

Es  ist  das  eben  das  Resultat  einer  jahrelangen  verbissenen  und 


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/  « 


DS&  «ALLOEMBINB  DECT8CHB  aCHULVEREni»  UND  t'KOARK. 

eonseqnenten  Af^itation,  welche  durch  eine  ^anz  kleine  Cliqiie  geführt 
wini.  die  aber  uiemul.s  ein  Mittel  zu  sclileclit  für  ihre  Zwecke  erachtet 
hat.  Die  ungarisch' n  Deutschen  haben  iltis  Mauös  von  Freiheit, 
desfien  sie  Bich  wie  alle  Bürger  dieses  Landes  erfreuen,  stets  aus- 
reichend gefunden.  Sie  stehen  dieser  ganzen  Bewegung  ToUkommen 
ferne,  welche  nur  von  den  Siehenhiirffer  Sachsen  ausging  und  von 
ihnen  f^eführt  \vi)r«U  n  ist.  Die  Letzteren  sind  zwar  <^e\vohnt.  im 
ßewusstsein  ihrer  Superiorität  recht  klein  von  der  (lesuinuitlieit 
der  ungarischen  Deutschen  zu  denken  —  dafür  haben  aber  auch 
diese  nichts  weniger  als  Sympathien  für  die  Siebenbürger  „Leute 
von  Seldicylu**,  Es  genügt,  dass  eine  Bewegung  von  Hermann- 
st.idt  ausgehe,  damit  diesell>e  für  die  un;;aris(-hi  n  Dentsdien  voll- 
kommen ahgetan  sei.  Das  ist  freilich  kein  ganz  schmeichelhaftes 
Zeugniss  für  diese  Herrschaften,  die  ihr  Lebelang  grollen  und 
schmollen,  poUtisiren,  kritisiren,  agitiren,  intriguiren,  Pläne 
schmieden,  Dedarationen  verfassen,  und  sich  überhaupt  als  die 
^r(>ssartigsteu  l  ureelitleidcr  auszeichnen.  Gottfried  Keller,  der  be- 
kannte ma«;^'arisc]ie  Chauvinibt,  muss  es  auf  das  treffliche  Sachsen- 
völkchen abgesehen  haben,  als  er  seine  Einleitung  zu  den  «Leuten 
von  Seldwyla»  schrieb.  Das  Forträt  ist  gelungen  Zug  um  Zug  und, 
wie  man  zu  sagen  pflegt,  «zum  Sprechen  ähnlich.»  Da  leben  sie, 
ihrer  180,000  in  einem  Winkel  von  Siel)enbürgen  und  sind  über- 
zeugt, dass  die  Augen  Europa'«  auf  sie  allein  und  auf  ihre  Leiden 
gerichtet  sind.  Darum  schliessen  sie  sich  denn  sorgfaltig  ab  von 
jeder  Berührung  mit  den  sie  umgebenden  Völkerschaften  und 
führen  im  Besitze  ihres  patentirten  Deutschtums  ein  Leben  voll 
stiller  Beschaulichkeit  und  beharrlicher  Prätentionen.  Es  wird  kein 
Schuss  in  Europa  gelost,  ohne  dass  sie  in  Hermannstadt  darauf 
schwören,  das  gelte  ihnen.  Von  den  Vorgiingen  der  ungariBchen 
Politik  ganz  zu  schweigen !  Jedesmal,  wenn  die  ungarische  Legis- 
lative ein  Gesetz  gibt,  hat  sie  nichts  im  Sinne,  als  die  Sachsen 
zu  unterjochen ;  jede  neue  Schulvorlage,  welche  seit  15  Jahren 
ausgearbeitet  wurde,  haben  sie  wie  einen  Stoss  in*s  Herz  erklärt, 
solange  dieselbe  nicht  durchgefiihrt  war,  und  haben  sich  dabei  ganz 
ausgezeichnet  befunden  von  der  Stunde  ab,  da  sie  zum  Gesetze 


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DER  ff  ALLGEMEINE  DEUTSOHE  SOHÜLVSREINt  WD  UNGARN. 


ward.  Trotzdem  mnn  sie  schon  etliche  Butsendmale  tödtlich  ge- 
troffen bjilxn  soll,  erfreuen  sie  sieh  übrigens  noch  immer  des 
besten  Wolilbelindens,  sind  frei  in  allen  Angelegenheiten  der 
Kirche  und  der  Schule,  besitsen  deutsche  Volksschulen,  deutsche 
Mittelschulen  und  freiien  sich  im  Genüsse  von  Institutionen,  wie 
sie  der  freieste  Stamm  in  ganz  Deutschland  nie  freier  be- 
sessen hat. 

Meint  mau  etwa  diese  Öcbilderung  sei  vom  Parteistandpuukte 
eingegeben  ? 

Nun  dann  lese  man  das  Folgende : 

•Die  Ungarn  wissen  Fremden  gegenüber  docih  wenigstens  die  Oeeetze 
des  äusseren  Anstandes,  der  dvilen  Umgangsformen  sra  wahren,  während 
die  Zahl  jener  Sachsen  gar  nicht  gering  ist.  die  jeden  Ungarn  wie  ein 
reiseendes  Tier  fliehen,  ja  ohne  Sehen  ihren  Hass  mid  ihre  Veraditong 

einem  Menschen  zeigen,  der  ihnen  nie  etwas  zu  Leide  getan  uod  der 
blos  das  Eine  Verbrechen  begangen  hat,  nicht  al^^  \'oIlblut8acb8e  geboren 
zu  sein.  Wio  soll  man  es  nennen,  wenn  die  simpelsten  und  primitivsten 
Rogein  ili  r  Höflichkeit,  wie  (Inissen,  einer  Einladini«;;  Folge  leisten,  einen 
gemiiciiton  Besucli  erwiedern  n.  s.  w.  unterlassen  werden  !  Durch  ein 
aolcfuH  hotnkittirnha/lfs  Bfnchiid  ii  wollen  ilu  se  liebenswiirdij^'en  Leute  ihre 
agute  Gesuinun^"  umnilestiren  —  mit  Verlaub,  ihr  Herren,  das  nenne  ich 
Fleqelhc^tiglteit^  meinethalben  FlegeUiaftigkeit  «aus  Gesinnung» !  Vielleicht 
nirgends,  so  weit  die  deutsche  Zunge  reidbit  —  und  die  reicht  bekanntlieh 
nemlich  weit  hin  —  findet  man  so  gut  ansgewadisene  Exemplare  deut- 
scher Chauvinisten,  wie  hier.  Sie  geberden  sich,  als  ob  sie  das  Pulver 
erfunden  und  die  Buehdrudcorkunst  und  die  Kritik  der  reinen  Vernunft; 
als  ob  sie  die  Schlachten  von  Wörth  und  Gravelotte  geschlagen  und  gewon- 
nen. Für  sie  existirt  keine  andere  Cultur  als  deutsche  Cultur,  keine  andere 
Wissenschaft  als  deutsche  Wissenschaft.  Im  Bewusstsein  ihrer  eigenen 
deutschen  Vortreffliehkeit,  Itlickeu  sie  mit  Geringsclnitznn<;  heral»  auf  Alles, 
wa><  nicht  deutscli  ist.  Fremde  Spraelim,  1 'iaiiz*)->isch,  I'.uu'lisch  und  ijar 
V  iiijiiriKi'Jt  lim  tu  .lic  nicht.  Wozu  bruueluii  ml  die  iSi»raclie  jeuer  «Tauz- 
meister»  oder  dieser  «Kramernation»  oder  die  der  Ungarn,  dio  ja  doch 
Alles,  wa«?  sie  sind  und  haben,  der  Gnade  der  Deutscheu  verdanken  ?• 

Klingt  das  nicht  hübsch  genug  ?  Und  sagt  diese  nach  dem 
Leben  gezeichnete  Skizze  nicht  mehr  als  hundert  Leitartikel? 

Der  80  schreihtf  ist  aber  flicht  etwa  ein  Mappare,  es  igt  ein  Sachse, 

freilicb  ein  aufgeklärter,  politisch  denkender  Manu,  der  die  Welt 
Huch  Jiusaerhaib  des  Gebietes  von  Seldwyla  —  Pardon,  desSarliseii- 
bodens  gesehen  hat.  Der  Sachse  Oscar  von  Meltzl  schildert 


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DER  f  ALLGEMEINE  DEUTSCHE  8CHULVBRBIN»  UND  UNOARN. 

iu  eiuer  Schrift  über  die  Sachse ufra»;e  seine  enteren  Laiulsleute 
in  «1er  vorstehenden  Weise.*  Von  ihuen  aber  geben  alle  jene 
Hetzereien  gegen  Ungarn  aas«  die  wir  beklagen  und  bekämpfen. 
Wie  geeignet  aber  «i#  und  gerade  ne  sein  mögen»  nm  das  Ausland 
ober  uni^arische  Verhältnisse  zu  belehren,  das  mag  man  aus  den 
folgenden  Setzen  ersehen,  welche  ebenfalls  dem  bereits  citirten 
Bsebsischen  Schriftsteller  entnommen  sind:  nDie  Ignoranz  in  un- 
gariichen  Dingea  itt  bei  die$em  Teile  der  Saeksen  eine  ungUtMieke, 
Ungarn  ist  für  dieee  Leute  eine  vaUständige  terra  ineognita,  Sie 
hohen  keine  Idee  Vtm  den  tntsächlichen  Verhältninscn  in  UngarUf 
T(/n  um f arischer  Literatur,  M'issenschaj'tf  Ja  nicht  einmal  von  der  Geo- 
graphie Ungarns,» 

Was  sollen  wir  dem  noeh  hinzufügen  ? 

Ein  Gonflict  zwisehen  Deutseben  und  Ungarn  hat — das  kann 
nicht  oft  ^:eiiu<::  wiederholt  werden  —  ausserhull)  des  ehemali^'en 
Koüigsbodeus  nirgends  bestanden.  Wiihrend  die  siebenbürgiscben 
Handwerkspolitiker  durch  die  ganze  deutsche  Presse  den  ungaii* 
sehen  Namen  yerhöhnten,  waren  jene  anderen  anderthalb  Millionen 
Ton  ungarischen  Deutschen  im  Besitze  einer  grossen  und  mächtigen 
Presse,  gnindeten  sie  z.-ililreiche  Vereine  jeder  Art,  iiahineM  Anteil 
an  der  mit  den  weitestgehenden  Befugnissen  ausgestatteten  S  li»st- 
▼erwaltung  der  Gemeinden  und  der  Gomitate,  .nahmen  Anteil  bei 
den  Wahlen  zum  Abgeordnetenhause,  wo  sie  einen  der  wichtigsten 
Faetoren  abgeben ,  nahmen  Anteil  an  dem  wissenschaftlichen 
Leben  der  Nation  und  au  ihreu  künstlerischen  Aspirationen.  Aber 
ilber  Unterdrückung  zu  klagen,  das  ist  Kemem  von  ihnen  in  den 
Sinn  gekommen. 

*  fJXe  Stellung  der  Siehenbärger  Saehien  in  Ungarn.*^  Von  Oscar 

fOS  Mkltzl.  Hennaumtaflt.  Verlag  von  A.  Schmiedike.  187?^,  Wir  wollen, 
mn  den  Leser  iu  keiner  Weise  irre  zu  ftihren,'  Ausdnicklich  bernerkeu,  daM 
dies«'  Schrift,  welche  im  Sinne  der  Versöhnung  der  atrcitciulen  Teile  ge- 
Bchrieb^^n  ist,  eine  unparteiische  DarsteUung  des  gan/cü  Strcito^  zu  pcben 
versucht.  Im  ersten  Teile  wiril  sozusagen  das  rurtcht  dur  Sueii^i  ti.  im 
«weiten  Teil«-  das  Unrecht  ili-r  M.i^'varcn  gescliüdtrt.  Die  ubi  ii>tt  lu  nden 
Zeilen  sind  dem  ersten  Teile  ©ntuommeu ;  der  zweite  Teil  plaidirt  zu 
GoDsten  der  Sacbnen. 


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DER  «ALLQEUEINE  DEUTSCHE  SCHUL  VEREIN»  UND  UNOARN. 


Wie.  solitfU  diese  audertlmll)  Milli«nu  ii,  unter  welchen  sich 
Industrielle  und  Kaufleute,  Gelehrte  und  Schriftsteller,  Schul- 
männer und  Künstler,  mit  einem  Worte :  Leute  aus  allen  Ständen 
finden,  sollten  sie  sammtlich  so  bar  jeder  Selbständigkeit,  so  ohne 
Würde  und  nationales  Bewusstsein  sein,  dass  sie  es  schweigend 
hinnahmen,  wenn  man  sie  mit  Füssen  trat? 

Die  Siebenbür^^er  Agitatoren  erzählen  das  freilich.  Sonst  wäre 
es  ja  unerklärlich,  dass  alle  Confliote  zwischen  Staat  und  Deutsch- 
tum gerade  auf  ihrem  Boden  ihren  Ur.^prung  hatten.  Die  Gonflicte, 
die  dort  provocirt  wurden,  können  wir  hier  unmöglich  in  allen  ihren 
Teilen  schildern.  Dieselben  l)egannen  als  der  ungarische  Staat 
daran  ging,  gewisse  —  sagen  wir  «verbriefte  •  —  Rechte  aufzuheben, 
welche  die  Sachsen  herleiteten  aus  einer  Zeit,  da  es  ein  öfientliehes 
Becht  überhaupt  nicht  gab,  wo  es  nur  persönliche  Rechte  und  Vor- 
reclite  ujab.  In  Ungarn,  wie  anderwärts,  hatte  jeder  Stamm,  jede  Stadt, 
jede  Confession,  jt-de  Zunft  ihr  eigenes  Recht,  ihre  eigenen  Privi- 
legien. Ai>er  so  weniges  heute  einem  Menschen  einfällt,  in  Deutsch- 
land nach  den  Satzungen  des  Schwabenspiegels  Becht  zu  sprechen, 
sowenig  man  daran  denkt,  das  «verbriefte»  Nürnberger  Stadtrecbt 
autleben  zu  lassen:  so  wenig  dachte  in  Ungarn  bei  Herstellung 
des  verfassungsmässigen  Staates  Jemand  daran,  die  alten  Sonder- 
rechte geltend  zu  macheu.  Kernmagyarische  Volksstämme,  die 
Szekler,  Kumanier  und  Jazygier,  besassen  ebenso  alte,  ebenso  «ver- 
briefte* Rechte,  wie  die  Sachsen,  und  doch  ist  kein  Schmerzens- 
schrei  venielimbar  gewordfii.  .ils  mau  (liL>eu  Magyaren  sagte  : 
«Ihr  werdet  Bürger  des  Landes  sein  wie  alle  Anderen.  Das  ge- 
meinsame Gesetz  und  die  gemeinsame  Gesetzgebung,  die  Ver- 
waltung und  der  Unterricht  werden  bei  Euch  nach  denselben 
Principien  gebildet  werden,  wie  im  ganzen  Lande. »  Das  galt  für  Alle. 
Nur  ein  Volksstainm  von  180.000  Sachsen  trat  In  rvor  und  sagte: 
•  Wir  wollen  zwar  die  Segnungen  des  Verfassungsstaate -^  gerne 
geniessen,  wir  schicken  auch  unsere  Vertreter  ins  Parlament,  aber 
daneben  wollen  wir  auch  unser  besonderes  Parlament,  genannt 
«die  Universität»,  wir  wollen  unsere  besondere  Verwaltung  und 
Gerichtsbarkeit ;  eine  doppelte  Volkssouverauet  it  für  uns,  die  wir 


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DER  f  ALLOBMRINE  DEUTSCHE  8CHULVERBIN»  VHD  UNOARN.  ^ 


nicht  so  regit-rt  sein  wollen  wie  jene  .'luderen  1 1-,8^?0.00()  ungarischen 
Staatsbürger.  Jene  sind  lauter  Pohel,  wir  über,  unser  l.SO.OlHJ 
Seelen»  wir  haben  Bechte  ans  dem  XII.  Jahrhundert  und  die  wer- 
den wir  nun  und  nimmer  aufgeben ...» 

Zugleieh  ging  ein  Schmerzensruf  durch  ganz  Deutschland,  und 
tüusend  gefühlvolle  Seelen  fanden  sich,  um  zu  rkunden,  wie  die 
armen  Sachsen  ihrer  «verbrieften  Reehtf »  berauht  seien.  Und  das 
geschah  in  jenem  Deutschlund,  dessen  höchster  Sieg  es  ist,  dass 
es  ganz  andere  «Terbriefte»  Bechte  wie  die  sächsischen  mit  eiserner 
Faust  weggewischt  hat,  um  einen  einzigen  Staat  zu  bilden  1 

Wie  diese  Dinge  sich  in  Wahrheit  entwickelt  haben,  darüber 
muBS  mau  nicht  die  Schnierzeusschreie  jener  sächsischen  Clique 
consultiren;  alle  unbefangen  urteilenden  Männer  sind  darüber 
im  Wesen  nur  einer  Meinung.  Wir  lassen  hier  z.  B.  einige  Zeilen 
folgen  aus  einer  soeben  erschienenen  Schrift,  welche  ganz  und  gar 
den  deutschen  Gedanken  vertritt,  und  deren  Verfasser  sich  den 
SichseD  weit  mehr  verwandt  fühlt  als  den  Magyaren,  ül)er  welch' 
Letztere  er  zuweilen  niclit  ohne  Strenge  urtheilt.  Professor  Dr. 
ScHWicKBR  schreibt  über  die  derzeitigen  Zustände  auf  dem  ehe- 
maligen Königsboden  Folgendes :  *  «Freilich  war  die  Verteidi- 
gung der  Sachsen  oft  mehr  eifrig  als  klug  und  verdarb  mehr  als 
sie  nützte.  Im  leidenschaftliehen  Kanij)fe  überhörte  man  die  war- 
nenden Stimmen  besonnener  Männer,  unter  denen  namentlich  der 
treffliebe  Jacob  Bannicher,  Sectionsrat  im  k.  ungarischen  Unter- 
richtsministerium (f  8.  November  1875)  mit  blutendem  Herzen  ins 
Grab  gestiegen  ist,  da  er  die  Katastrophe  über  sein  geliebtes  Volk 
mitUnvernit  idlichkeit  hereinbr*  eben  sah  und  wahrnahm,  dass  seine 
Kassandra-Kufe  nur  Missfallen,  Holm  und  Tadel  erweckten.  Das 
tiefe  Misstrauen,  der  Groll  und  die  Abneigung  gegen  die  neuen 
gesetzhchen  Einrichtungen  ist  bei  der  Mehrzahl  des  Sachsenvolkes 
bis  heute  nicht  geschwunden ;  obgleich  die  Stimmen  sich  mehren, 
welche  zu  frischer  Tatkraft  malmen,  um  in  d<  ni  allerdings  bedeu- 
tend erschwerten  Kauapi'e  ums  Dasein  das  Sachsenvolk  zu  erhalteu. 

"  «Die  Deutschen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen.»  Von  Dr.  J.  H. 
ScowiCKKR.  Wien  und  Teschen.  Verla«  von  Karl  Proohaska.  18S1. 


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^       DBB  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  8CHULVEBEIK»  UND  UNOARN. 

An  MiHeln  hiezu  feMt  es  auch  hfutc  nicht,  Gemeinde^  Kirche  und 

Schule,  ein  bedeutendes  Nationalvermögen  für  cnlturelle  Zwecke,  das 
freir  Wort,  die  Liti'ratar,  die  engere  Verbindung  mit  dem  euro- 
päischen Westen  sind  ebenso  viele  Mittel  zur  Pflege  und  Hebung 
des  sächsischen  Elements.» 

IV. 

Während  unbefangene  Munner  so  urteilten,  wahrend  aus  den 
Keihen  der  Sachsen  selbst  eine  immer  grössere  Anzahl  von  tüch- 
tigen Politikern,  wie  Trausohbnfels,  Guido  v.  Bausznbbn  u.  A.  der 
unfruchtbaren  Agitation  den  Rücken  kehrten,  führte  eine  Handvoll 
Leute  die  begonnene  Hetze  nur  umso  schwungvoller  fort.  Was  ist 
natürhcher,  als  dass  auf  alle  diese  Besehimpfungen  von  magya- 
rischer Seite  nicht  lauter  Liebeserklärungen  als  Antwort  zurück- 
tönten ?  Wenn  diese  gesinnungstüchtigen  und  geistreichen  Politiker 
ihr  Sprüchlein  vordem  deutschen  Publicum  hergesagt  hatten,  wenn 
sie  Ungarn  als  das  Land  der  Barbarei,  der  Willkür,  der  Rohheit 
und  Verderbniss  gehörig  verschimpft  hatten,  da  kamen  sie  vor  den 
ungarischen  Beichstag  mit  ihren  Wünschen.  Dieses  Präludium 
hatte  natürlich  das  Parlament  nicht  eben  zu  Gunsten  des  Pe* 
tenten  eingenommen,  und  wenn  diese  Stimmung  sich  dann  in 
irgendeiner  Weise  nianitV-stirte,  da  schlu-J^en  die  grossen  Unrecht- 
leider die  Hunde  über  den  Köpfen  zusammen  und  riefen  mit  der 
Geberde  von  Märtyrern,  aber  innerlich  höchlich  befriedigt:  «Da 
sieht  man,  wie  der  Magyare  uns  unterdrückt  !• 

Wenn  aber  früher  der  grösste  Teil  des  sächsischen  Volkes 
unter  dt ni  Banne  dieser  nationalen  Terroristen  stand,  so  hat  sich 
dieses  Verhältniss  jetzt  schon  vvesentlich  zum  Besseren  gewendet. 
Einzelne  Städte  und  Kreise  haben  mit  der  Regierung  und  dem 
Lande  ihren  Frieden  geschlossen,  und  sächsische  Politiker,  an 
deren  Deutschtum  wohl  nicht  gezweifelt  werden  kann,  sitzen  in 
der  Bt'gierun<;spartei  des  Abgeordnetenhauses,  (h  rade  im  Aiujtn- 
blicke,  da  diese  Zeilen  tischcineUf  ircrden  durch  hodiangesehene 
fächsUche  Politiker  und  Oeistlichc  mit  der  ungarischen  Regierung 
Verhandlungen  geführt^  welche  wahrscheinUch  za  einer  Verstän' 


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D£B  «ALLGEMEINE  DEUTSCHE  SCHULTERBIN»  UND  UNOARN.  ^ 

dignng  auch  über  die  letzten  der  ohtchwehendcn  iSteitfraytH  fäh- 
ren dufften.  An  dem  guten  Willen  zur  Verständigung  scheint  es 
keinem  der  beiden  Teile  m  fehlen.  Auf  dem  alten  Standpunkte 
▼erblieben  sind  heute  fast  nur  noch  etliche  kleine  Handwerkspoli- 
tiker mit  ihrem  Gefol|^'e. 

Wenn  einer  sich  davon  überzeugen  will,  mag  er  die  Mühe 
nicht  scheuen,  alle  diese  Schmerzensschreie,  welche  von  Zeit  zu 
Zeit  in  den  deutschen  Blattern  erscheinen,  mit  einander  zu  yer- 
gleichen.  Man  wird  dann  eine  gar  seltsame  Familienähnlichkeit 
beiDerkf-u.  Alle  «liese  literarischen  Produete  tommen  aus  der- 
selben Feder,  enthalten  alle  dieselben  Argumente,  die  hundert- 
mal widerlegt  worden  sind,  bewegen  sich  alle  in  schwindeligem, 
inedentistiBchem  Pathos  und  sind  sämmtlich  gräulich  schlecht 
gSGchrieben.  Wir  hierzulande  . . . 

«Wir  kennen  (las  Lied,  wir  keinieu  den  Text, 
Wir  keuuen  deu  Herrn  Verfasser.» 

Uns  imponirt  die  grimme  Bede  nicht  mehr.  Der  Artikel, 
der  heute  in  einem  Frankfurter  Journal  erscheint,  ist  derselbe, 
der  Tor  drei  Monaten  die  Spalten  eines  Münehener  Blattes 

ausgefüllt  hat,  und  man  gebe  nur  Acht,  derselbe  Artikel  wird 
nach  weiteren  drei  Monaten  wieder  in  Nürnherj^  auftauchen 
Q.  8.  f.  In  der  Geschichte  journalistischer  Ghariatanerie  yer- 
dient  diese  Agitation  einen  Ehrenplatz.  Der  gute  Leser,  der  sich 
einbildet,  aus  jeder  Zeile,  die  er  vor  sich  hat,  spreche  der  Schmerz 
eines  aus  tausend  Wunden  blutenden,  nach  Millionen  zahlenden 
Bruderstammes  —  er  ahnt  gar  nicht,  was  für  curiose  Heilige  eigent- 
lich zu  ihm  sprechen,  und  dass  er  die  Zahl  derselben  vielleicht  an 
den  Fingern  einer  einzigen  Hand  abzählen  könnte!  In  demselben 
Maasse  wie  die  Sehaar  der  Gläubigen  sich  verringert,  steigert  sich  die 
M  iasslosij^kcit  der  Agitatoren.  Da  nützen  die  Hilferufe  uliein  nichts 
mehr  —  man  muss  auch  zeigen,  duss  dieselben  im  Auslande  gehört 
werden.  Vielleicht  dass  ein  solcher  Erfolg  die  schwankenden 
Bchaaren  zum  Stehen  bringt.  •  Schickt  uns  deutsche  Waffen  t» 
hiees  es  zuerst,  und  es  kamen  richtig  einige  alte  Lese-  und  Bilder- 
l'ucher,  welche  selbst  in  den  sächsischen  Dorfschulen  nur  mittel- 


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^       DES  ffALLOZMEINB  OF.UT80HB  BOHULTEREIM»  UND  UNOABN. 

massigen  EtYoct  gemjicht  haben  möu'on.  Freilich  zog  man  in  diesem 
Lande,  wo  bekanntlich  die  Freiheit  langst  zu  Gral>e  getragen  ist  — 
freilich  zog  man  mit  den  paar  alten  Bilderbüehem  von  Dorf  zu 
Dorf,  von  Schule  zu  Schule,  missbranchte  den  Lehrsaal  selbBt  zur 
Apfitation  ge^i^en  Staat  und  Begienin;?  —  und  das  Alles  unter  den 
Äußren  der  «magyarischen»  Behörden,  die  diesem  Gebahren  nicht 
das  geringste  Hinderniss  in  den  Weg  legten.  Auch  das  fruchtete 
nichts.  Es  musste  irgend  ein  radicales  Mittel  zur  Anwendung  ge- 
langen, etwas  wie  «ein  Verein,  der  überall  wirksam  wird,  wo  moderne 
Barbarei  es  wagt,  deutsche  Bildung  mit  Füssen  zu  treten.»  So  ist 
es  erkbirlich,  obgleich  es  niemuls  zu  entschuldigen  sein  wird,  wenn 
schlechtbericlitete  Manner,  die  mit  Bitten  und  Klagen  bestürmt 
werden,  sich  selbst  zu  Schritten  yerleiten  lassen,  wie  die  Bildung 
des  «Allgemeinen  deutschen  Schulvereines»,  von  dem  wir  hier 
sprechen. 

Nicht  dass  wir  dieser  Vereini^^unu'  irgf-nd  eine  directe  l^edeu- 
tung  beimessen  würden.  Was  immer  die  Herren  vom  Schulverein 
declariren,  sie  werden  das  Werk  nationaler  Bildung  und  staatlicher 
Gonsolidirung  keinen  Augenblick  aufhalten,  welches  sich  in  Ungarn 
vollzieht.  Wie  provocirend  immer  die  Herren  vom  «Deutschen 
Schul  verein»  sich  auch  geberdeu.  sie  werden  weder  die  unuarische 
Gesetzgebung  noch  die  ungarische  Gesellschaft  dazu  verleiten, 
ihnen  auf  den  Weg  der  Excesse  zu  folgen.  Wir  können  versichern, 
dass,  wie  bisher,  auch  in  Hinkunft  nichts  geschehen  wird,  was 
jenen  Anklagen  auch  nur  einen  Schein  yon  Berechtigung  verleihen 
könnte. 

Nach  wie  vor  We  rden  alle  Massregeln  getr^iffen  werden,  welche 
mit  der  Billigkeit,  mit  dem  Gesetze  und  mit  der  politischen 
Klugheit  vereinbar  sind,  um  das  Ansehen  des  Staates  in  allen 
Teilen  des  Landes  und  in  jedem  Kreise  desselben  aufrecht  zu 

erhalten ;  nach  wie  vor  wird  unter  dem  Schutze  freisinniger 
Gesetze  jede  Nationalität  respectirt  werden,  jeder  gesetzliche  An- 
spruch Befriedigung  erhalten,  jedes  Interesse  der  Guitur  Förde- 
rung finden. 

So  weit  also  die  innere  Gestaltung  Ungarns  in  Frage  kommt. 


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DEB  «ALXiOEUBINE  DEUTSCHE  SCHULVBBEINt  UNO  UNOABN.  ^7 

kouiu  n  wir  sagen^  dass  diese  Agitation  hier  auch  nicht  eine  Spur 
zurücklassen  wird. 

Aber  uns  schweben  höhere  Interessen  vor,  indem  wir  über 
diesen  Gegenstand  sprechen,. Interessen,  welche  durch  mesquinen 
Parteihader,  durch  die  Bomirtheit  weltver;^e3sener  nnd  von  der 
Welt  abf^esrhlossener,  j^ulliu'er  Kirchturmpolitiker  nicht  berührt 
werden  sollten.  Wir  saj^en  uns,  dass  jenes  Biindniss,  welches  jetzt 
nun  Schutze  der  höchsten  politischen  und  Culturzwecke  dieses 
Weltteüs  in  Mitteleuropa  aufgerichtet  ist,  nicht  nur  ein  Bündnias 
der  Höfe  und  der  Begieruugen  ist,  sondern  ein  Biindniss  der 
Völker  sein  muss,  weil  es  für  sie  die  naturlicliste.  spontanste  und 
heilsamste  aller  politischen  Verbindungen  bedeutet.  Dieses  Büud- 
niss  ist  der  einzige  Act  der  auswärtigen  Politik  in  neuerer  Zeit, 
welcher  der  bedingungslosen  Zustimmung  aller  Factoren  des  öffent- 
lichen Lebens  in  Ungarn  begegnete.  In  jenen  magyarischen  Krei- 
sen, welche  au;i;eblich  Ta;?  für  Tag  den  deutseben  Namen  beschim- 
pfen, hat  sich  nicbt  Eine  Stimme  gefunden  gegen  die  enojstc  Ver- 
bindung der  Monarchie  mit  Deutschland.  Die  eimiffe  Partei,  deren 
Tätigkeit  darauf  gerichtet  getvesen  iit,  dieses  Bündniss  im  unter- 
gralen,  das  waren  gerade  jene  siebenbürger  Agitatoren,  welche  da* 
Dtnitschttim  iric  ein  persönliches  Geschäft  betreiben.  Während  in 
Deutschland,  in  Oesterreich  und  in  Ungarn  Alles  die  Verbindung 
der  beiden  Reiche  acclaniirte,  waren  es  l  ie  sächsischen  Hetzblätter 
allein,  die  mit  greller  Zwischenrede  hinausriefen  ins  Beich :  «Der 
Magyare  achtet  dieses  Bündniss  nicht,  achtet  weder  Deutschland, 
noch  seine  Institutionen,  noch  seine  Fürsten !  •  Sie,  von  denen  der 
Kleinste  sich  <;eberdet,  als  hatte  er  allein  alle  Taten  deutscher 
Wissenschaft  und  deutscher  Kraft  vollbracht,  sie  mühten  sich  ab, 
die  Stimmung  des  deutschen  Volkes  gegen  den  Bimd  mit  ihrem 
Vaterlande  zu  verbittern. 

Wir  aber,  wir  haben  Vertrauen  ^^enug  in  die  Wahrheitsliebe 
und  in  die  Geradheit  des  deutschen  Volkstums,  um  es  deutschen 
Lesern  zu  überlassen.  das.=  sie  selbst  beurteüen,  mit  welchem  Na- 
men sie  einen  Volksstamm  belegen  würden,  der  bei  einem  so  feier- 
lichen Anlasse  seine  Klagen  ausserhalb  des  Vaterlandes  trägt,  und 

5* 


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6S       DER  «ALLOBllBIIIE  DEUTSCHE  8CHÜLVBBBIN»  UND  ITNOARN. 

der,  nm  seine  kleinliche  Bancone  zn  befriedigten,  unbedenklich  die 
höchsten  Interessen  des  Landes  selbst  gefährden  möchte.  Wir  über- 
lassen es  dem  deutseben  Publicum,  zu  sagen,  wie  es  einen  Act  der 
Landespreisgebung,  wie  diesen»  bezeichnen  würde,  wenn  derselbe 
sieh  in  Deutschland  ergäbe !  I>enn  was  anderes  als  Landespreis- 
gebung  ist  es  zu  nennen,  wenn  ein  Volksstamm,  dem  alle  Mittel 
gegeben  sind,  seine  Wunsche  und  Beschwerden  auf  gesetzlichem 
Wege  vorzubringen  und  denselben  Geltung  zu  versebaffen,  die 
Hilfe  des  Auslandes  begehrt  und  fremde  iUchter  anruft  zur 
Schlichtung  eines  hauslichen  Streites !  Das  aber  ist  es,  was  ehedem 
die  siebenbürgiscfaen  Sachsen  taten,  was  heute  freilich  nur  noch 
ein  ganz  geringer  Teil  aus  dem  Kreise  der  Sachsen  tut. 

V. 

Den  «vierzig  Millionen  Deutschen,  welche  sich  im  deutschen 
Beiche  des  Vollbesitzes  deutscher  Gultnr  erfreuen»  und  denen  der 

Beitritt  zum  Schulven  io  als  «deutsche  Ptlicht»  vorgestellt  wird  — 
kann  es  vielleicht  von  Nutzen  sein,  alle  diese  Dinge  zu  erfahren. 
Wenn  diese  Blätter  ihre  Bestimmung  erfüllen,  werden  sie  das 
deutsche  Publicum  darüber  belehren,  dass  die  Deutschen  in  Ungarn 
keines  Schutzes  bedürftig  sind  und  dass  sie  jede  Zumutung  dieser 
Art  mit  Indignation  zurückweisen  —  dass  selbst  die  Majorität  der 
Sachsen  in  diesem  Augenblicke  nicht  mehr  glaubt^  es  könne  ihr 
aus  der  Emigranten-Politik  Heil  erwachsen.  Auf  dem  Plane  bleiben 
zu  dieser  Stunde  nur  noch  einige  Babagas,  denen  das  Talent  ihres 
Vorbildes  fehlt,  und  wir  glauben  nicht,  dass  die  Förderung  der 
selbstsüchtigen  Ziele  dieser  Leute  noch  länger  als  eine  nationale 
Sache  des  deutschen  Volkes  ausgegeben  werden  sollte. 

Was  in  unserer  ^^:l(•]lt  stand,  das  haben  wir  versucht  hier  zur 
Aufklärung  zu  tun.  Wir  haben  die  Hof&iung,  dass  nach  der  Be- 
leuchtung, welche  diese  auserlesene  Gesellschaft  in  unserer  Dar- 
stellung erfahren  hat,  sie  es  so  bald  nicht  wieder  wagen  wird,  sich 
vor  der  politiscben  Gesellschaft  Deutschlands  zu  zeigen. 

Dr.  A.  Nemenyi. 


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DIB  NIBBLUNOEM  IN  f  BÜDA'b  TOD» 


«9 


DIE  NIBELUNGEN  IN  «BÜDA'S  TOD.»/ 

l 

1. 

Unser  Gegenstand  führt  uns  anf  die  erliabensten  Höhen  unserer 
poetischen  Literatur,  wo  der  gekrönte  Dichter  von  «König  Buda'a 
Tod»  sich  und  seiner  Nation  ein  weithin  sichtbares  Denkmal  errichtet 
hat.  Dieses  Denkmal  ist  die  grossartige  Vorhalle  eines  nationalen 
Pantheons,  das  sn  unserem  grossen  Bedauern  noch  nicht  Tollendet 
ist  und  dessen  Grundriss  und  «^anze  Pracht  wir  daher  nur  ahnen 
können.  An  den  Siiulen  dieses  Propylwums  ghiubcn  wir  nun  ver- 
sehiedenes  edles  Gestein  erkennen  zu  können,  das  wir  schon  ander- 
wärts irgendwo,  in  einem  Beigwerk  oder  an  einer  alten  Buine  in 
roherer  Bearheitnng  nnd  primitiverer  Form  gesehen  nnd  Tielleicht 
auch  bewundert  haben.  Ja  wohl,  eine  und  die  andere  Säule  dieses 
monumentalen  Baues  gemahnt  durch  ihre  Form  oder  durch  ihr 
Material  an  eines  der  ältesten  Denkmäler  und  an  den  grössten 
Stolz  der  deutschen  Dichtung,  an  das  Nibelungenlied;  einige 
Namen  und  Gestalten  sind  in  jenem  volkstümlichen  Epos  und  in 
unserer  Hunnensage  identisch  ;  mehrere  Motive  in  «König  Buda's 
Tod»  erinnern  direct  an  das  wunderbare  Werk  des  namenlos  ge- 
bhebenen  deutschen  Dichters ;  kurz,  wir  sehen,  dass  unser  natio- 
nale Künstler  einen  Teil  seines  Stoffes  und  nicht  den  wert- 
losesten aus  jenem  reichen  Bergwerk  geholt,  das  Dank  der 
vortrefflichen  üebersetzungsleistung  eines  der  gefeiertsten  Mit- 
gheder  iheser  Gesellschaft,  Kahl  Szasz,  auch  für  das  ungarische 
Publicum  schon  längst  eröffnet  ist. 

Unser  Gegenstand  wäre  nun  freilich  um  Vieles  dankbarer, 
wenn  der  Dichter  die  grosse  Yölkertragödie  schon  beendet  hätte, 
deren  Vorspiel  «König  Buda*8  Tod»  nur  sein  will,  und  die,  als  er 
die  Nation  mit  diesem  würdigen  Vorspiele  beschenkte,  in  seinem 

*  Ans  dem  Antrittsrortarag,  den  der  Autor  am  90.  November  d*  J.  in 
der  Kü/aUdy-OeaelUcJu^i  gehalten  bat 


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70 


DIE  NIBELUNOFN  IN  «BUOA*8  TOD». 


Kopfe  schon  festt-  (i»  stalt  anL'enuimnen  hatte;  der  GepenNtand 
wäre  dann  daiikharer.  sagen  wir,  denn  man  kann  sich  vorstellen, 
wie  gewaltig  die  übermenschlichen  Nibehingen,  die  in  «König 
Biida*8  Tod»  nur  in  nebeliger  Feme  an  uns  Torüberziehen,  bei 
unserem  so  machtvoll  jjestaltenden  nationalen  Dichter  in  die  Er- 
scheinung; getreten  waren.  Aber  auch  jetzt  schon  ist  es  von  j^ro^sem 
ästhetischen  Interesse,  sich  mit  der  Frage  zu  beschäftigen,  inwie- 
fern in  «König  Bada*8  Tod«  die  Spuren  jener  Eindrücke  zn  er- 
kennen sind,  welche  der  Dichter  von  dem  Nibelungenliede  erhielt, 
Eindrücke,  olme  wt  ichc  er  sein  Epos  in  dessen  gegenwärtiger  Ge- 
stalt kaum  liattp  concipiren  können. 

Die  erste  \\  ahraelnnung,  die  sich  bei  der  gleichzeitigen  Be- 
trachtung der  beiden  Epen  gleichsam  von  selbst  aufdrängt,  bezieht 
sich  nicht  auf  die  einzelnen  Gestalten,  Scenen  und  sonstige 
poetische  Elemente,  sondern  auf  die  Atmosphäre,  welche  beide 
durchdringt.  Griindlieidnische  WeltauschauunL;  herrscht  da  und 
dort  vor ;  wohl  sind  die  germanischen  Helden  des  Nibelungenliedes 
schon  Christen,  aber  mit  Becht  bemerkt  Goethe,  dass  es  nichts 
Oberflächlicheres  als  das  Christenthum  dieser  Burgunden  gebe. 
^Veuu  sie  daheim  in  Worms  oder  im  fernen  Etzelheim  in  die 
Kirche  gehen,  so  thun  sie  es  nur,  um  gleicli  darauf  Handel  zu  be- 
ginnen. Und  man  kann  füglich  sagen,  dass  das  Nibelungenlied  ein 
buntes  Gemisch  der  verkörperten  Begriffe  der  (fermanischen  My- 
thologie und  der  nndurchgeistigt  gebliebenen  Formen  der  christ- 
lichen Kirche  sei. 

Solch'  ein  Gexnengsel  lässt  sich  nun  zwar  in  «König  Buda's 
Tod»  nicht  nachweisen ;  die  Hunnen  dieses  Epos  sind  noch  echte 
Heiden  und  selbst  Chrimhilde,  die  im  Nibelungenliede 

•es  nicht  lasBen  wollte,  : 

Die  Taole  sollt  empfikhen  des  König  Eteers  Sohn 
Nach  Weise  guter  Christen»  — 

sie  ist  in  dieser  Hunnensage  eine  Heidin  und  spricht  auch  von 
ihren  Verwandten  amBhein  wie  von  Heiden.  Die  Gothen  schwören 
hier  alle  bei  Odin,  die  Nomen  spinnen  ihren  Lebensfaden  und  die 

Mythologie  der  Edda  spielt  seltsam  iu  die  von  dem  Dichter  con- 


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DIE  NIBELUNGEN  IN  «BUDa'b  TOP». 


71 


stmirte  Hierarchie  hinein,  die  hier  niif  Erden  im  Dienste  des 
grossen  Gottes  Traume  deutet  und  dir  Zukunft  propbcijeit.  Der 
christhchen  Reh«^iou  geschieht  nur  einmal  eine  leise  Erwähnung 
▼oll  feiner  Satire,  da  nämlich  der  Dichter  den  byzantinischen  Ge- 
sandten Folgendes  sagen  lasst : 

•  Tlir  TTanpt    zertrat'  iler  Kai«er  wolil  l«'ie}it  auf  i  iiieu  Selilag, 
l>och  jetzt  an  andern  Orten  sein  Heer  er  bninclien  mag, 
All*  seine  Soriren  jet/o  !i)if  ( Unnljensding'  sich  wenden: 
So  viele  Ketzer  müssen  auf  Scheiterhaufen  täglich  enden 

Allein  es  dünkt  uns,  als  ob  in  diesen  heidnischen  Formen 

sicli  die  classißche  Bildung;  und  der  helknisclio  Geist  de?  iJiehters 
offenbarte!  Wohl  zieht  sich  auch  durcii  «Konig  Buda  s  Tod»  der 
naiT-altertümliche  Ton  hin,  der  aus  dem  Nibelungenliede  spricht, 
doch  stellenweise,  namentlich  in  den  Schilderungen,  verwandelt 
deh  die  eigentümliche  und  charakteristische  Diction  des  Rhap- 
soden in  jenen  phistischen  Styl,  der  sicli  in  dem  fjrieehiscljen 
Weltepos,  Weltßesetze  dictiroud,  manifestirt  und  dem  wir  auch  die 
schönsten  Seiten  dieser  Hunnensage  verdanken. 

Ein  gemeinsamer  Zug  der  beiden  Epen  ist  der  häufig  wieder- 
kehrende Hinweis  auf  snkünftif^e  Ereignisse.  Als  sich  Bvda  mit 
Bemem  Bruder  Etzd  in  die  Herrschaft  teilte, 

«Da  hat  kein  Zdchendeater,  kern  Seher  ea  gesebn. 

Was  nach  dem  Ratschluss  Gottea  nocli  werde  d'raiiB  entstebD. 

Dass  dieser  Tag  erzeugen  noch  wer«le  Idut'ge  Tage, 

Dau  noch  in  küoft'gen  Zeiten  darob  werd'  sein  so  bittre  Klage». 

Und  iilsdie  reiche  Ute  Chrinihildens  Mudchentrauiu  deutet,  da 
glaubt  der  ühapsode  im  Vorhinein  verkii^den  zu  müssen : 

■Das  war  derselbe  Falke,  den  sie  im  Traume  sab, 

Den  ihr  die  Mntter  dentet  Wie  rächte  sie  sich  da 

An  ihren  nächsten  Freunden,  die  ihn  geschlagen  todt ! 

Um  eines  Sterbens  willen,  starb  mancher  Mutter  Kind  in  Notl» 

Im  Allgemeinen  weist  die  8ul>jective  Darstolhm^^sweise  der 
beiden  Sänger  viele  verwandte  Züge  auf ;  der  Dichter  des  Nibelungen- 

Das  der  rebellisclien  lilyren. 


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7« 


OIK  NIBELUNGEN  IN  «BUDa's  TOD». 


liedes  steht  seinem  Gegenstande  ebensowenig  wie  unser  Sanger  in 
objectiver  Buhe  gegenüber ;  beide  sind  sie  eben  Chronisten  und 

nicht  Epiker  im  Sinne  jener  Kunstregeln,  welche  die  Aesthetik  aus 
dem  Stuilium  der  antiken  Epen  al»strabirt  bat.  Aufs  neue  erleben 
sie  die  Ereignisse  mit,  die  sie  erzählen  sollen,  die  Diction  ist  bei 
beiden  stets  der  unmittelbare  Ausfluss  ihres  bewegten  Gemütes, 
die  wechsehide  Stimmung  in  der  Erzählung  reisst  aueh  sie  mit 

» 

sich  fort,  sie  erwärmen  sich  für  die  grossen  Taten  ihrer  Helden 
und  in  ilirer  Spracbe  vibrirt  lebhaft  der  Anteil  nach,  den  sie  an 
Leid  und  Freud  ihrer  Personen  nehmen. 

Und  noch  einen  Vrmki  gibt  es,  in  welchem  beide  gleich  weit 
entfernt  stehen  von  dem  ästhetischen  Canon«  der  in  dem  antiken 
Epos  krystallisirt  erscheint,  wir  meinen  die  Auffassung  der  Schick- 
salsidee. In  der  antiken  Auftassung  ist  das  Scbicksal  jene  ausser- 
halb des  Handelnden  stehende  Notwendigkeit,  die  im  Vorhinein 
bestimmt  ist  und  an  der  weder  Götter  noch  Menschen  rütteln 
können.  Wie  sehr  Oedipus  auch  gegen  sein  Schicksal  ankämpft,  so 
wird  er  am  Ende  dennoch  in  dasselbe  verstrickt  und  ob  er  will 
oder  iiicbt,  er  iniisa  all'  die  Sünden  lief^eben.  die  von  Anbeginn  auf 
sein  Kerbholz  geschrieben  sind.  Ganz  anders  tritt  die  Schicksais- 
idee in  dem  Nibelungenliede  auf.  Auch  da  gehen  die  Heiden  zu 
Grunde,  aber  nicht,  weil  das  über  den  Himmlischen  stehende 
Schicksal  es  so  beschlossen,  sondern  weil  sie  für  ihre  eigenen 
Sunden  biissen  müssen.  Und  desbali)  unterliisst  es  der  Sanger 
niemals,  so  oft  ein  Held  etwas  bej^adit,  was  ihm  als  Schuld  ange- 
rechnet wird,  seui  klagendes  Bedauern  darüber  in  naiver  aber 
ergreifender  Weise  auszudrücken.  Dem  Zufall  wird  hier  nicht  die 
geringste  Bolle  zuteil.  Im  Gegenteil.  Die  Becken,  die  durch  die 
Erui  rdimir  Sigfried's  eine  Blutscbuld  auf  sich  geladen,  könnten 
der  Snlmr  entgehen,  wenn  sie  der  Warnung  der  das  Scbicksal 
vertretenden  Meerweiber  Gehör  schenken  würden ;  aber  sie 
dürfen  der  Warnung  kein  Gehör  schenken  und  ihr  wilder  Trotz 
treibt  sie  in  das  Verderben,  das  ihnen  bestimmt  ist,  nicht  weil  die 
Götter  es  gewollt,  sonderu  weil  sie  es  verdient.  Das  ist  also  das 
Verhangniss,   lias  der  Mensch  durch   eigene  Schuld  auf  sich 


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DIB  NIBBLUNGBN  IN  f  fiPDA^S  TOD» 


73 


herabbMchwört ;  der  Held  gewinnt  hier  Einflnss  aaf  die  Bestim- 

niun?  seines  Schicksals  und  nur  dessen  Leitung'  ist  ihm  entrückt; 
er  ist  es  selbst,  der  sein  Todesurtt  il  schreibt ;  das  Schicksal  hat 
da  niebts  anderes  zu  tun,  als  dessen  Vollstreckungsart  zu 
bestimmen. 

Eine  ähnliche  Auffassung  zeij^t  die  Schicks alsidee,  welche  in 
•  Koni^,' Buda  s  Tod»  verkörpert  erscheint.  Der  ewige  Gott  sagt 
Ton  Etzel : 

•80  iBt  die  Zeit  denn  kommen,  daas  ihm  das  Reich  gehör*, 
80  wie  es  steht  geschrieben  von  ew'gen  Zeiten  her. 
Mit  oigeheimen  Rimen  hoch  auf  der  Welten  Bamne : 
JBerr  Uher  alle  Reiche,  h'ilt  eine  Sehwiche  er  im  Zaume*** 

Die  Schwäche,  auf  welche  hier  angespielt  wird,  ist  die  Herrsch- 
begier, die  Etzel  in  der  Tat  lange  im  Zaume  zu  halten  versteht. 
Sowohl  damals,  als  das  zu  Eriegsübungen  versammelte  Heer 

seines  Winks  gewärtig  dasteht, 

•Und  wahrlich  damals  stand  es  bei  Etzel  ganz  allein. 

Oh  er  allein'ger  König  der  Hunnen  mochte  sein. 

Doch  ist,  was  er  geHchwnren,  kein  Pfeil,  den  man  versohiesst 

Und  seinem  Bruder  Buda  in  Liebe  er  ergeben  istt . . . . 

sowohl  damals,  als  er  <len  schwergekränkten  Buda  mit  den 
Worten  um  V  erzeihung  bittet : 

<0  Bruder,  ich  war  heftig,  weil  du  so  voll  Unhuld, 

Hast  ungereehi  geziehen  mich  fürchterlicher  SchuM. 

Ich  kam,  um  zur  Versöhnung  zu  reichen  dir  die  Hand»  — 

sowohl  damals,  als  er  den  Buda  vom  Urstier  rettet,  obgleich 

•Wie  im  Hui  ein  Rabe  fliegt  vor  der  Sonne  hin, 
So  zog  es  ^ie  ein  Schatten  wohl  Uber  Et^el's  Sinn. 
Ob's  besser  nicht,  dass  Buda  nun  seine  See!'  an^shauchte. 
Als  dass  er  ewig  seine  Geduld  zu  proben  lassen  brauchte». 

Und  stets  hatte  er  sich  sieghaft  sell»st  hezwungen,  aber  er 
wurde  nicht  Herr  seines  wilden  Zornes,  als  Buda  sein  Gemahl 
Ildiko  mit  der  feisten  Faust  bedrohte  und  er  unterlag,  als  Buda 
sich  weigerte,  das  Schwert  Gottes  herauszugeben,  in  dessen 


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74  DIE  NIBELUKOEN  IN  «BUDA*8  TOD». 

Besitz  derselbe  tiuf  unrechte  Weise  geratben  war.  Etzel  erlag  seiner 

Schwucbe,  weil 

«Zn  gross  war  die  Versnchung  doch  für  den  Erdensohn». 

Da  sehen  mx  nlso  schon  den  Schatten  des  Brudermordes, 
der  das  aufgehende  Gestirn  des  künftijjen  Gebieters  der  Welt  ver- 

.dunkelt,  und  das  wäre  die  trimische  Schuld,  wegen  welcher  die 
«Tage  von  Etzel's  Volke  ^^eziihit  sind  hienieden.» 

Und  gleichwie  die  Burgunden  von  den  ^[eerweibem  vor  der 
Fahrt  nach  dem  Hunnenland  gewarnt  werden  und  alle  ihre  Wiur- 
nungen  vergeblich  im  Winde  verhallen, 

•  So  laribt  auch  Mö'l«  n  Mcji.selicn  durch  seiner  Zeichen  Mund 
Im  Vorhinein  tiutt  Hadiir  das  V.udc  l'uda's  kund, 
Auf  dass  er  Etzel  warne,  sein  Volk  und  auch  «ein  Land  : 
l  >oeh  nimmer  fasst  die  Zeichen  der  Su  rbliehen  Verstand. 
Uuil  was  der  Himmel  weissagt^  auf  dass  es  nicht  gescheh'. 
Das  musste  g'rad  sich  wandehi  in  ungeheures  Weh, 
Aof  dass  den  armen  Buda  noch  raseher  es  verderbe : 
Das  ist  des  Mensehenloses  so  jammervolles  Erbe !» 

IL 

Doch  kehren  wir  zu  den  einzelnen  Gestalten  zurück  und 
untersuchen  wir,  inwiefern  sich  dieselben  in  beiden  epischen  Ge- 
dichten unterscheiden.  Ganz  anders  sind  die  Charaktere  EtseFs 
und  Blödelin's  als  die  Attila's  und  Buda*s  beschaffen ;  der  Zingö 
in  « König  Buda's  Tod «  entspricht  nicht  den  F'idlem  Färbelin  und 
Swjimmelin,  die  als  ]>raiitwerber  im  Burgunderlaud  erscheinen  ; 
ein  anderer  ist  der  Dieterich  des  Nibelungenliedes,  als  jener 
Dietrich,  der  durch  seine  hinterlistigen  Batschläge  die  beiden 
königlichen  Brüder  gegen  einander  aufreizt.  Identisch  in  beiden 
Epen  ist  blos  Chrimhildeiis  dichterisch  erfasste  Gestalt.  Dieselbe 
Chrimhilde,  die  der  mitt<  Ihochdeutsche  Sanger  die  ganze  Stufen- 
leiter menschlicher  Empfindungen,  von  der  zarten  und  beglückten 
Liebe  der  Jungfrau,  von  dem  dumpfen  Schmerz  der  jungen  Witwe 
bis  zu  dem  Blutdurst  der  rachescbnaubenden  und  aller  Weiblich- 


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DIB  NIBELUNGEN  IN  «BUDA's  TODt. 


75 


ktit  baren  H\uiiicnk(tnif,nn  durchleitlen  Itisst,  dieselbe  Chriinhilde 
neben  wir  auch  in  «König  Buda  s  Tod»  ein  nur  scbeinlmr  neues 
Leben  beginnen.  Und  wie  der  Dichter  des  Nibelungenliedes  Chrim- 
hilden  ewige  Jugend  und  nie  verwelkende  Heize  leibt,  ebenso  küm- 
mert sieb  ancb  unser  Dichter  niebt  nm  das  Alter  seiner  Heldin,  das 
an  das  halbe  Jahrhundert  schon  gestreift  haben  mochte,  ah  das 
Erscheinen  der^t  lben  in  (•Biidaingeii »  Perlindens  Eifersucht  ^-rweckt 
and  das  zwischen  den  Brüdern  bereits  gelockerte  Band  gänzlich 
zu  zerreissen  droht.  Dieser  fortwährend  sieb  emeaemde,  wenn 
auch  stete  den  edelsten  Motiven  entspringende  Streit  der  Eöniginen, 
er  findet  sein  Vorbild  schon  in  Worms  in  dem  rerhängni ssvollen 
Wettstreit  Brunliildens  und  Clirimhildeus,der  gleicbftills  mit  edlen 
Beweggründen  motivirt  werden  konnte.  Während  die  Königinen 
in  Worms  in  ihrer  Bewunderung  für  ihre  eigenen  Gatten  so  w^it 
geben,  einander  bis  auf  den  Tod  zu  beleidigen  und  die  blutige 
Sühne  der  Beleidigung  nnvermeicilich  erscheinen  lassen,  steht  bier 
in  Buchungen  der  Stolz  beglückten  Muttergefühls  der  Reizliarkeit 
des  unfruchtbaren  \\  eibes  gegenüber  und  der  Falke  spielt  auch 
hier  eine  unheilverkündende  Bolle. 

Hilda's  Herz  ist  im  Hunnenland  nur  das  Grabmal  ihrer  ersten 
Liebe ;  sie  kann  mit  Etzel  nicht  glüeklicb  sein,  obgleich  sie  ihn 
grobs  uml  edel  gefunden  .  .  . 

•Es  netzten  immer  wieder  Tränen  ihr  Gewand. 

Es  lag  ihr  an  dem  Herzen  in  Stunden  spat  nnd  früh« 

Wie  nmn  ohn'  ilir  Virsclmlden  dazu  «renutigt  nie, 

Da&8  sie  hier  iniuneu  musste  aus  Heideuvolk  den  Manu. 

Dass  sie  das  rächen  könnte,  sie  wünscht  es  alle  Tage: 
Naeh  den  Getreuen  jammert  oft  das  Herze  mein. 
Und  die  mir  Leides  taten  — t  kÖnnV  ich  bei  denen  sein, 
80  würde  noch  gerochen  wohl  meines  Mannes  Leib, 
Idi  kann  es  katmi  erwarten  I» 

So  spricht  Cbrimlnld  im  Nibelungenlied  und  in  «König  Buda's 
Tod»  spinnt  sie  den  Kachegedanken  weiter  aus: 


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76 


DIB  MIBELUBOEN  IN  iBüDA*8  TOD». 


«Mein  Auge  soll  sieh  weiden  an  enrai  blutigen  Leidmamen. 

In  eurem  Becher  wandle  sich  froher  Trank  in  Blut, 

Ein  gastlich  Bett  besteigend  in  eurem  Sarg  ihr  ruht. 

Verlässliclie  Herberge  die  lodre  auf  bei  Nacht, 

Und  ihre  Asch'  begrabe,  die  den  Gemahl  mir  umgebracht!» 

Und  dass  es  des  Dichters  Absicht  gewesen.  Hildu  desselben  Schick- 
sals teilbafti^^  werden  zu  lassen,  das  sie  und  ihren  Sobn  im 
Nibelungenlied  ereilt,  das  scheint  unzweifelhaft  nach  dem  Fluche, 
den  er  die  verzweifelte  Perlinde  angesichts  des  Leichnams  ihres 
von  Attila  erschlagenen  Gatten  ausstossen  lässt : 

«O  Ilda,  stolze  Hilda,  du  «^'rausame  Chrimhild' ! 

Dich  soll  mein  Flncli  ern  ichon.  nicht  bleib"  er  unerfüllt. 

Nif  sollst  du  Lust  erleben  an  deinem  eiTiz'<:jen  Kinde, 

Mit  demem  Mördergatteu  zugleich  den  Untergang  es  finde. 

Sclimenrreich  sollst  dn  verlieren,  den  Rchmerzreicb  du  gebarst» 
Doch  sei  dann  nicht  so  «j^lücklich,  wie  du  es  damals  warst. 
Den  du  geboren  fürs  Leben,  werd'  grimmen  Todes  Beute!» 

Wie  vt-rhiilt  sich  aber  der  Attila  des  ungarischen  Epos  zu  dem 
Etzel  des  Nibelungenliedes  ? 

Etzel  ist  ein  überreifer  Mann,  der  den  Zenith  seines  Buhmes 

längst  überschritten  hat,  ein  ganz  und  gar  passiver  Charakter. 

Untütif?  siebt  er  sein  einziges  Kind  binscblachten ,  tranenden 

Auges  seine  Getreuen  haufenweise  hinfällen  und  selbst,  als  der 

Kalte  Stahl  Chrimbildens  Brust  durchbohrt. 

•Da  Dietrich  mit  Etsel  zu  weinen  laut  begann, 
Sie  klagten  voll  von  Leide,  dass  beide  todt  ...» 

Als  Al)(  ndrot  seines  Kubiiies  erscheint  nur  noch  die  fast  über- 
menschlicbe  Achtung,  die  ihm  die  Nibelungen  entgegenbringen. 
Selbst  der  grimme  Hagen,  der  der  verhassten  Ghrimhilde  zum 
Grass  den  Helm  nur  noch  fester  schnallt,  er  huldigt  Etzel  mit  den 
Worten : 

•  War  ich  mit  meinen  Herren  nicht  zu  den  Hunnen  kommen. 
So  wiiv'  ich  Euch  zu  Ehren  geritten  in  das  Land.» 

Der  deutsche  Sanger  beschreibt  Etzel's  Hof  fast  mit  denselben 
Worten,  die  Arany  der  Schilderung  Ton  Buda's  Hofe  widmet : 


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DIE  NIBELUNOSN  IN  «BUDa's  TOD* 


77 


•  Mit  Maf^t'ii  und  mit  Mannen  lebt'  er  da  ohne  Gram, 
Ein  r.imnen  und  ein  Drängen  war  um  dt  n  Fürsten  ^ut. 
Vor  manchem  schuellen  Degeu  —  drum  wax  er  auch  so  hochgemut.» 

Dnd  wie  der  Bada  unseres  Dichters 

•Im  Alter  nicht  war  der  Kämpe,  der  er  gewesen  jmig  an  Kraft,» 

Bo  tritt  auch  der  Etzel  des  Nibelungenliedes  nicht  mehr,  sozusagen, 
als  aeÜTer  Becke  in  die  Erscheinung. 

Der  Attila  des  ungarischen  Dichters  lebt  soeben  seine  Jahres- 
wende; sein  Lenz  ist  angebroclu  ii,  voll  Saft  und  Kraft  strotzt  seine 
Lende.  Kühn  steigt  der  Stern  seines  Glückes  himmelan.  Er  ist 
Linter  Jugend,  Buhmbegierde,  Tatkraft  und  Selbstbewusstsein. 
•Sich  selbst  plagt  er  am  meisten,  er  müht  sich  immerfort.»  £r  ist 
Held  und  Weiser  sugleich.  Nicht  nur  Held,  sondern  auch  Heerführer, 
nicht  nur  Weiser,  sondern  auch  Staatsmann.  Wolil  ist  ihm  nicht 
jenes  naive  und  kindliche  Gemüt  zu  eigen,  das  an  Sigfried,  «dem 
starken  Knaben»,  so  hochgepriesen  wird,  aber  auch  in  ihm  braust 
noch  Toll  die  Msche  Jugendlust  und  sein  launiges  Bärenabenteuer 
während  der  Jagd  in  der  M &tra  dürfte  kaum  hinter  jenem  zuruck- 
ßtthen,  das  der  erste  Genialil  Chrimliildens  daheim  im  Odenwald  zu 
bestehen  hatte,  als  er  Petz  bei  einem  Ohr  fassend,  au  seinen  Sattel 
band  and  so  zur  Lagerstätte  beförderte.  So  erinnert  denn  an  den 
EtMl  des  Nibelungenliedes  blos  der  Name  an  den  mäditigen  aber 
nur  als  pietus  masculns  erscheinenden  Hunnenkönig ;  diese  bei- 
den Gestalten  sind  demnach  ihre  eigenen  Antipoden  und  die 
Schöpfungen  vollkommen  entgegengesetzter  AuÖ'assungen. 

Blödelin  und  Buda  stehen  zwar  einander  nicht  ganz  so  contra- 
didorisch  gegenüber  wie  Etzel  und  Attila,  aber  disparate  Charak- 
tere bleiben  sie  dennoch,  was  übrigens  durch  die  Verwechslung 
der  Personen  erklärlich  ist,  welche  bezüglich  der  beiden  Brüder  in 
den  l)eiden  Gedichten  constatirt  werden  muss.  Im  Nibelun<^enliede 
erscheint  Blödelin  als  der  jüngere  Königssohn  in  bescheidener  und 
untergeordneter  VasaUenstellung.  Chrimhild  verspricht  ihm  ein 
roehee  Lehn  und  ein  schönes  Weib  und  benutzt  ihn  durch  diese 
Versprechungen  als  Werkzeug  für  ihre  Bacheplane.  Der  arme 


78 


DIR  NIBELFKOBK  IN  tBUDA's  TOD» 


Blotielin  hnt  seine  Rolle  bald  aus^^espielt ;  der  erste  Biirf^unde.  den 
er  iu  seiner  rüdt  n  "Weise  anzugreifen  sich  erkühnt,  schlugt  ihm 
das  schön  behelmte  Haupt  ab,  die  über  den  Fall  ihres  Führers 
ergrimmten  Hannen  werfen  sich  anf  die  Burganden  and  so  beginnt 
das  entsetzliche  Morden,  das  nur  im  Blute  des  letzten  Nibelnngen 
erstickt  wt-rdcn  wird. 

Hiu^'egen  ist  in  dem  ungarischen  Epos,  das  seinen  Namen 
König  Buda  entlehnt,  Etzel  der  junge  Königssohn,  während  Buda 
der  wirkliche  und  einzige  Konig  ist,  der 

•  seiue  Heerde  liiilt  iu  frieiUich  treuer  Hut, 
Bas  starke  Volk  der  Hunnen  regiert  er  sanft  und  gnt* 

In  dem  deutschen  Volksepoa  eine  sehuell  verschwindende  Episoden- 
Figur,  steht  er  hier  in  dem  Mittelpunkt  der  Handlung,  als  ein 
bedauernswerter,  mit  jeder  seiner  Handlungen  seinem  eigenen 

Verderben  vorarbeitender  Held,  der  seine  Ziele  mit  verfehlten 
Mittt  in  erreichen  will  und  schliessHcli  als  Opfer  seines  eigenen 
wankelmütigen  Charakters  fällt. 

Und  auch  jener  alte  Dieterich,  der  bereits  seit  drei  Menschen* 
altem  beiden  Hunnen  lebt,  der  Heldengreis,  der  den  Nachkommen 
Bendt'guz'  nur  mehr  mit  seinem  weisen  Rate  zu  dienen  vermag, 
die  hinfällige  Jamiuergestalt,  der  seihst  Attila  nicht  mehr  grollen 
kann,  nicht  ist  d.is  jener  Dieterich,  der  im  Nibelungenlied  die 
ränkesüchtige  Gremahhn  seines  Herrn  eine  tHöllenbrautt  zu 
schelten  sich  erkühnt;  dort  ist  er  der  allerstarkste  Held,  der  im 
Bewusstseiu  seiner  immerwährenden  .Tugendstärke  soehen  die 
Tochter  eines  mächtigen  Königs  zu  freien  sich  anschickt,  dort  ist 
er  bis  zu  allerletzt  der  unbesiegbare  Recke,  der  einzige,  der  dem 
übermenschUch  gewaltigen  Hagen  mit  Erfolg  dieStime  bieten  darf. 

Bedarf  es  noch  mehr  Beweise  dafür,  dass  der  Dichter  von 
«König  Buda's  Tod»  nur  die  Namen  der  Gestalten  und  deren 
leiseste  Umrisse  dem  deutschen  Sänger  entlehnte  imd  dass  er  die- 
selhen  mit  Blut  von  seinem  Blute  und  mit  I  ieisch  von  seinem 
Fleische  ausgestattet  hat? 


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DIB  NIBELUNOEM  IN  «BUDA*8  TOD» 


79 


Wenn  wir  mm  dieAup:eu  schlit'S.send,  die  Gcstulti-n  dor  beiden 
Dichtungen  noch  einmal  an  unserem  inneren  Auge  vorbeiziehen 
lassen,  dürfte  es  unserer  Aufmerksamkeit  nicht  entgehen,  dasfi  die 
das  gewöhnliche  Erdenmaass  überragenden  Personen  desNibelun- 
liedes  insgesammt  dastehen  wie  Sänien  ans  Granit,  so  gewaltig 
und  so  muh  wie  das  Material,  aus  dem  sie  Ijestehen.  aber  auch  so 
eintönig  wie  jenes,  wahrend  uns  die  Hunnensage  des  ungarischen 
Dichters  eine  ganze  Beihe  farbenprächtiger  Bilder  vor  unseren 
Blicken  entrollt ;  Bilder  vor  einem  wirksamen  Hintergründe,  von 
wechselnder  Beleuchtung  und  —  worauf  wir  das  Hauptgewicht 
lepu  möchten  —  von  einer  weithin  sich  öftnenden  Perspective, 
welche  die  mehr  plastische  Granitgruppe  des  Nibelungenliedes  not- 
wendigerweise entbehren  muss.  Der  deutsche  Sänger  verliert  sich  so 
sehr  in  seinem  (jegenstande,  dass  die  Welt  ausser  diesem  für  ihn 
nichts  mehr  enthält.  Er  beschäftigt  sieh  stets  nur  mit  Individuen ;  für 
den  Typus,  für  das  Allgemeine  hat  er  keinen  l^liek  und  er  vermag 
sich  nicht  einmal  bis  zum  Begriffe  des  Nationalen  zu  erheben, 
geschweige  denn,  dass  ihm  sein  enger  Gesichtskreis  die  Beobach- 
ttmg  des  allgemein  Menschlichen  gestattete.  Selbst  die  Gegensätze 
swischen  christlicher  und  ^rmanischer  Weltanschauung  fliessen 
bei  ihm  unmerklich  zusammen  ;  er  lässt  Christen  und  Heiden  in 
eine  und  dieselbe  Kirche  gehen  und  einer  und  derselben  Messe 
beiwohnen  und  nur  die  Verschiedenheit  ihrer  Kirchengesänge 
scheint  ihn  einigermassen  zu  befremden. 

Hingegen  erbebt  sich  der  Dichter  von  «König  Buda's  Tod» 
booh  über  seinen  Stoff ;  sowohl  seine  Gothen  als  auch  seine  Hud- 
nen  besitzen  eine  stark  ausgeprägte  nationale  Eigenart  und  die 
Spruchweisheit  des  Dichters  lässt  uns  nicht  nur  in  das  innere 
Leben  seiner  Gestalten,  sondern  in  Welt  und  Menschen  überhaupt 
einen  tiefen  Einblick  tun.  Der  nebelige  Hintergrund  der  Völker- 
wanderung hebt  den  Glanz  der  über  die  alten  Volksgrenzen  weit 
hinausgehenden  hunnischen  Ötaatenbiidung  und  gleichwie  der 
römische  Dichter  in  der  Aeneis  die  mythische  Wiege  seines  Volkes 
auf  das  Grab  der  trojanischen  Helden  stellt,  ebenso  zieht  auch 
lUkser  grosser  nationaler  Diehter  den  Ursprung  der  Nachkommen 


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ou  FE8TIJ8*8TUDIBN. 

Mafjyars  in  den  GKa'it  nkreis  der  Sa^'c,  indniii  er,  ein  Prophet  mit 
rückf^ewaudtem  Antlitz,  die  Söhne  Ilunors  zu  verherrlichen  sucht. 
Und  indem  er  so  mit  echt  dichterischer  Istoiration  die  Blatsver- 
wandtschafi  von  Hunor  und  Magyar  benütsend,  an  dem  Ruhme 
der  Hunnen  aneh  die  Magyaren  beteilig,  hat  er  sich  nnd  seiner 
Nation  ein  Denkmal  errichtet,  wie  es  die  Deutschen  in  ihrem  nur 
dem  Schicksal  einzelner  Helden  gewidmeten  Nationalepos  nicht 
besitzen  können,  und  yrie  es  nur  ein  in  der  Idee  des  Nationalen  so 
tief  wurzelnder  und  sich  mit  den  reinsten  Saften  seines  Heimats- 
bodens nährender  Diehtergenius  su  schaffen  vermag. 

Albeut  Stübm. 


FESTUS-STUDIEN. 

Zweimal  hatte  ich  sch<m  die  Elire,  der  ungarischen  Akademie 
der  Wissenschaften  über  meine  Festus- Studien  Bericht  zu  er- 
statten: das  erstemal  war  es  der  Paulus-Codex  der  Corvina,  den 
ich  besprach,  das  zweitemal,  als  ich  die  Collation  vier  vorzüglicher 
Handschriften  besass,  nämlich  die  des  M  (ss  Monacensis  Clm 
14734.  sapc.  X — XI.)  und  des  G  (=  Guelferhytanus  Augusteus 
10,3.  s>ec.  X.),  welche  bisher  sehr  oberriiiclilich  verglichen  waren, 
die  des  T  (=  Trecensis  -2201.  s»c.  X — XI.)  und  des  V  (=  Vindo- 
bonensis  14^.  «ssbc.  X.»),  welche  man  nur  dem  Namen  nach 
kannte.  Seitdem  kamen  noch  vier  wertvolle  Codices  zur  Yenroll- 
ständigung  des  kritischen  Apparates  hinzu,  nämlich  die  drei  «guten 
alten»  Leydener:  L  (=  Vossianus  110.)-,  J  (=  Voss.  37)  und 
B  (Voss.  135),  auf  die  Mommsen  Rh.  Mus.  NF.  XVI.  (18G1.)  p.  137 
aufmerksam  gemacht  hat,  und  £  (as  Escorialensis  0  III.  31. 
ssec.  X.),  dessen  ersten  Teil  mein  hochverehrter  Freund,  der  aus- 
gezeichnete Forscher  der  lateinischen  Glossarien,  Dr.  Loewe,  als  er 
vor  drei  Jahren  Spanien  i>ereiste,  die  Güte  hatte  für  mich  zu  colla- 
tioniren.  Mit  Ausnahme  dieses  Cod.  und  des  Vindobonensis,  dessen 
Gollation  ich  meinem  gewesenen  Schüler  Dr.  J.  Kont  verdanke»  sind 
sämmtliche  Handschriften  mir  von  den  betreffenden  Bibliotheks- 


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r 


FESTUfi-STUDIEN.  81 

VerwaitungeD  zii^^^pschickt  und  von  mir  selbst  verglichen  worden. 
Indem  ich  hiemit  für  die  gütige  Zusendung  öffentlich  meinen  ver- 
bindfiehBten  Dank  ansspreehe,  fable  ich  mich  besonders  gednmgen, 
der  Qnyergleieblieben  Liberalität  zu  gedenken,  die  ich  seitens  des 

Directors  der  Leydener  Bibliothek  Herrn  Dr.  W.  N.  du  Kieu  erfah- 
ren h&he. 

Nicht  nur  für  die  Epitome,  sondern  auch  für  das  Festus- 
Frsgment  selbst  habe  ich  wertvolle  Beitrage  erhalten.  Den  Far- 
neaisniis  hat  mein  gewesener  Schüler  Dr.  E.  Abel  für  mich  neuer- 
dings verglichen.  Derselbe  war  auch  so  glücklich,  im  Cod.  Vatican. 
Lat.  3369.  membr.  saec.  XV  das  «doctissimi  viri  chirographum» 
des  Folvius  Ursinus  zu  entdecken,  dessen  CoUation  so  wie  die  des 
B  imd  S  (Vatic.  1549.  chart.  sec.  XV.  und  Vatic.  2731.  ehart. 
sffe.  XV.)  ich  ihm  verdanke.  Zu  diesem  Apparatus  kam  noch  die 
CoUation  des  Vossianus     die  icli  selbst  besorgte. 

Im  April  1.  J.  berichtete  mir  H.  Omont,  «Sous-bibliothecaire 
in  dept.  des  mss.  de  la  Bibi.-Nat.»  in  Paris,  der  mich  schon  früher 
mit  liebenswürdiger  Bereitwilligkeit  über  die  Paulus-Handschriften 
der  Biblioth^ue  Nationale  TerständijOft  hatte,  dass  er  für  mich 
ein  neues  Festus-Apo<,T;iphon  gefunden,  dessen  CoUation  ich 
gerne  selbst  besorgt  hätte ;  da  dasselbe  jedoch  den  Statuten  der 
Bibliothek  gemäss  nicht  entlehnt  werden  kann,  so  erwarte  ich 
den  Vollzug  dieser  Arbeit  von  der  als  pünktlich  bewahrten  Hand 
Omont's. 

Ich  kann  mich  hier  in  diesem  Auszug  nicht  auf  die  detaillirte 
Beschreibung  der  einzelnen  Handschriften  einlassen,  bemerke  also 
nur  so  viel,  dass  die  Paulus-Handschriften  fast  alle  recht  leserlich 
gesehlieben  und  mit  geringer  Ausnahme  in  gutem  Zustande  sind. 
Vom  palfpographischen  Gesichtspunkte  ist  interessant  die  im  Tre- 
censis  neben  Maior  socer  uxoris  mew  proavus  p.  136,10.  und  nach 
Moi  p.  I:i9,^.  befindliche  Geheimschrift 

p  hbbfp  d.  h.  proavum  habeo, 

bdhxc  qubtipr  siqtsxnt  qubtfmkpnfs  d.  h.  adhuo  supersunt 
quatuor  qnatemiones, 

welche  Bemerkungen  den  Schreiber  des  Codex  als  einen  sehr  jungen 


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SS  FESTUS-STUBIEN. 

Meiischeu  clianikti  iisireu,  der  nur  darauf  l)edacht  ist,  wie  viel  er 
noch  zu  üopiren  habe. 

Besonders  interessant  ist  der  Vossianns  116,  unter  dessen 
Schrifteeiohen  an  einigen  Stellen  das  eins  bedeutende  umgekehrte 
7t  vorkommt,  von  dem  Wattonbaeh  sagt :  t selten,  in  sehr  alten 
Haudseliriften  und  irisch.»  Auch  siiul  an  mehreren  Stellen  Not.-e 
Tironianae,  mit  welchen  hie  und  da  wegen  Mangel  au  Baum 
ein  Wort  des  Textes  oder  die  Variante  zu  dner  Lesart  geschrie- 
ben ist. 

Den  Beweis  dessen,  dass  ich  mich  in  der  Befinirung  dieser 

Zeichen  nicht  getäuscht  habe,  verdanke  ich  Herrn  Professor 
H.  Hagen  in  Bern,  der  mir  in  freundschaftlichster  Weise  die  Belege 
für  die  richtige  Deutung  der  Noten  geboten  hat. 

Was  die  Verwandtschaft  der  mir  bekannten  Paulus-Hand- 
schriften betrifft,  sind  sie  sammt  und  sonders  Abkömmlinge  von 
einer  und  derselben  Abschrift  des  Paulinischen  Original-Exem- 
plars. Ihre  gemeinschaftlichen  Fehler  wie  z.  B. : 

p.  2, 15.  s.  T.  Aqua  et  igni :  aocipiunt       stett  aceipiuntur 
»  3,  4.   »    Axitiosi:        axtes  •  axites 

dn  •  Tin 

»  3,   6.    »    Axamenta :     salaria  •  Saliaria 

componebantur  »  cauebuntur 
homines  »  deos 

»  7, 13.  s.     Alterta  statt  Altertra 

i  8,  6.    •    Anacreon  •  Antehac 

weisen  auf  diesen  «gemeinschaftlichen  Ursprung  hin. 

Die  ganze  Familie  der  guten  Codices  zerfallt  in  zwei  Ciasben, 
wie  dies  aus  den  folgenden  Beispielen  ersichtlich  ist : 

MLTE  GVJR 
p.  7,  5.  s.  T.  AUecti:   senatn  senatus 

•  8,  I.  alveolum  alviolum 
»9.    1.    »    Aurum:   id  dictum  indictum 

•  10,  14.  •    Apluda:  panici  panicii 

»11,12.  Ancunulentee  Anculunentfe( — ment^JB.) 

»11,15.  »    Affatim:  libius  liTius 


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FEb'iLS-STUDIEN. 


83 


p.  1^,  1.  Ammenta  Ameuta 

ammata       amata  (annata  B.) 

•  12,13.  .  Adtef^re  Attegrare 
»  12,  14.  Adtrituui  Attritum 

•  12,  15.  Adttstat.'i  Attestata 

adtestaaiia  attestautia 

•  12,  6.  Adtibemalis  Attibemalis 

•  IH,  17.  B.  V.  Aedilis: 

eadem  diguitjis,  sicut  poutiücatus   sicut  poutiticatu.s  l  adem 

dignitas 

•  16,  14.  Ambrices  Acobriees 

•  17,  8.8.v.Ampt6nQini:ambarTalia  arbarvalia 

•  19,  6.  ArmilQstmm  Anniltistritim 

»  20,  15.  Ami  caput    Arnae  cnput 

•  22,  13.  AquipeDser  Aquipensent 

Die  Bchleebten  Handschriften  sind,  so  viel  ich  deren  kenne, 
der  ersten  Olasse  entsprossen  und  machen  sich  nicht  nnr  durch* 
ihre  auffallende  Mangelhaftigkeit,  sondern  auch  durch  ihre  enge 
Veruandtsoliaft  kenntlich. 

£8  genügt  auf  folgende  Stellen  hinzuweisen : 

MLTEG  VJR.  deteriores. 
8.  T.  Abavus :  avus  avi  cocevus 
»    Bigeuera :  leopardalis  leopardus 
MLTEG  VJIi.  deterwrts, 
8.  y.  Endo  procinctu :  togis  toti 

•  Ignis :  terebrare  verberare 

•  Proeulum ;  (etate  nati  attenuati 

»    Tegillum  :  cueuUiuuculum    cueuUi  vim-ulum 
\  on  den  guten  Haudscbrifteu  ist  zu  bemerken,  das  keine  die 
Abschrift  der  andern  ist. 

Am  nächsten  gehen  G  und  Y  zusammen,  und  zwar  so  sehr, 
dsBs  wer  die  Beschaffenheit  der  beiden  Handschriften  nicht  ge- 
nauer kennt,  unltedingt  behaupten  wurde,  dass  V  directe  Abschrift 
TOü  G  sei.  Beide  stammen  aus  einer  Handschrift,  nur  ist  V  nicht 
complet,  nachlässig  geschrieben  und  mit  einem  andern  Glossar 

6* 


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84 


FE8TUS-8TUDIEN. 


contaminirt.  Nor  für  den  Stammbaum  der  Codices  ist  V  von 
«      Interesse :  für  die  Tezteskritik  bietet  er  nichts,  was  nicht  aus  den 
übrigen  Codices  bekannt  wäre. 

Von  GV  sind  JR  sehr  kenntlich  j^^oschiedeu.  Ihre  Lesarten 
stimmen  oft  gef[,en  GV  mit  MLTE.  Hier  einige  Beispiele : 

JB  =  MLTE  GV 
p.  4,  18.       Abemito  Abemitto 

•  5,   1 .  8.  T.  Ambarvales :  apellabantnr  dioebantur  (glt)S8,  om.  V,j 

•  8,13.  »  Aiiritus :  audiendi  andiendo 
»10,13.    •  Albogalerus:  oleagina  oleagena 

•  12,  1.    •  Atiam:  appellemns         appellamns  (Med.  corr, 

man  SO,) 

Auch  hahcn  hoide  «^'emeinschaftliche  Interpolationen,  die  ihre  enge 
Verwandtschaft  (h  utlidi  hekunden. 

Nicht  so  leicht  und  einfach  ist  die  Gruppirung  der  Hand- 
schriften der  ersten  Glasse. 

Bald  stimmen  LTE  j^egen      z.  B. : 
p.  10,  13.  s.  V.  Albogalerus:  capix  LTE  apox  M  =  GVJR. 

»  Ii,  9.    »    AttsB :  terram  magis  »    magis  terram  » 

•  26,  i.  •    Aeyolyunt  •    Aevolunt  » 

•  28,  14,  «    Amiculum  genus  est  •    genus  • 

•  20,  9.  •    Anatem  anuum       •    annm  » 

»  GO,  G.  »  Creduas  fehlen  die  Worte  Ipsus  pro  ipst-  in  LTE, 
M  setzt  sie  hieher,  GV  nach  der  folgenden  Glosse,  Jü  nach  red- 
ditus  in  der  folgenden  Glosse. 

Bald  MLE  gegen  T,  z.  B. :      MLE  T  =s  GVJB. 

p.        1.  s.  V.  Aqua  et  ifjni:  siipergradiebantur  supergrediebantur 
9   8,  10.  »    Antipagmenta ;  valvare  (sed 

corr.L.)  valvarum 

•  29,  4.  adoptaticius      adoptatius  (adop- 

tatus  R.) 

Bald  MLT  {regtn  E,  z.  B. : 
p.  G,  lf>.         AgnosMLT  =  GVJB.:    Agnus  E  (ex  corr.  L.) 
i   9,  14.        Adrumavit:  parte     •       a  parte 

•  13,  6.        aeditimus  •  aeditumus 


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FB8TU8-8TUDIEN.  S8 

I 

ff 

p.  17,  17.  B.  T.  Auziliares  aetionem  GYJB :  auctionem 

•  iO,  7.        Aenatores  •  Aeneatoies 

Bald  ML  gep:en  TE,  z.  B. : 
p.  28,  1 7.  8.  T.  Atticiäsat :  sicilissut  ML  sicilicissat  TE  GVJB. 

•  i8,  18.        Attritas  Atritas         .  » 

Bald  MT  =  GVJB  gegen  LE,  z.  B.: 
p.  2,  6.  8.  T.  Aerarü :  aere  sunt  appellati  MT  om.  LE. 

•  7,  1.  D  Alter:  aliter  »  alter  » 
«  14,  8.    >)      Agnus :  eo                        »    om,  • 

Bald  M£  gegen  LT,  z.  B. : 
p.  2,  6.  8.    Aerarii  tribnta  ME  tribuni  LT  as  cett. 

Was  die  Frage  betrifft,  welche  Handschrift  oder  welche  Clasae* 
von  Handschriften  als  Basis  für  die  Texteskritik  anzunehmen  sei, 
musB  folgendes  Princip  auft^estellt  werden; 

1.  In  denjenigen  Theilen  der  Epitome,  wo  wir  noch  den 
Festinischen  Text  besitzen,  ist  diejenige  Lesart  als  die  des  Arche- 
typus anzusehen,  welche  sich  anch  im  Famesianns  findet. 

Panlne  bat  nho  p.  i^lG,  4  nicht  das  von  T  und  den  x\iisgaben 
gebotene  Perpetrat,  sondern  Perpctat  geschrieben.  Perpetat  haben 
nämUch  alle  übrigen  Codices  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Far- 
nesianos,  wie  ich  ans  der  Nachyergleichung  AbeFs  ersehe.  So 
röhrt  anch  p.  312,  1  s.  Stroppns  das  yon  T  und  den  Ausgaben 
gebotene  atpd'f'.ov  nicht  von  Fuulus  her ;  da  der  Farnesianus  aupCKfiOV 
hat  und  alle  übrigen  Handschriften  dasselbe  bieten. 

Wenn  nicht  eine  Olasse,  sondern  nur  eine  einzige  Handschrift 
mit  dem  Famesianns  übereinstimmt,  so  ist  diese  Uebereinstim- 
mung nicht  in  jedem  Falle  anch  ein  Beweis  für  die  Lesart  des 
Archetypus.  Die  Uebereinstimmung  kauu  also  auch  auf  Correctur 
beruhen.  Z.  B.  p.  ^SO,  i  ist  Eepagula  nur  im  J.  Alle  übrigen 
Handschriften  haben  gegen  den  Famesianns  Bepacula,  ein  Beweis 
dessen,  dass  der  Archetypus  Bepacula  hatte. 

Es  kann  aber  auch  der  entgegengesetzte  Fall  vorkommen, 
duss  naiiilich  mit  Ausnahme  einer  Handschrift  alle  corrigirt  sind. 
So  z.B.  hat  der  Farnesianus  p.  344a,  3  nach  Abel  s  Coliation  nicht 


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<^  FB6TD6-8TUDIEM. 

<i  S,  sondern  äs-  Dem  entspricht  AS  in  M.  Alle  üebrigen  Laben 
Aeudermif^en :  L  tt.j'.,  GR  ah  S,  J  ab  is. 

Ohne  denFarnesianus  würde  man  auch  p.  147, 13  gewiss  fehl- 
greifen, wo  OB  8.  V.  Mannes  heisst :  Unde  dii  manes  pro  bonis 
dicontur.  So  T  in  Uebereinstimmnng  mit  der  zweiten  Ciasse. 
Also  wohl  verbürgt  und  dem  Sinn  entsprechend,  und  doch  erweist 
sich  diese  Lesart  als  Correctur;  «ienu  der  Archetypus  hatte  pro 
boni,  wie  das  die  Uebereinstimmung  von  LM.  mit  Farn,  bestätigt. 
Paulus  hatte  also  unstreitig  pro  boni  geschrieben. 

Eine  dem  Sinn  nach  richtige  Lesart  ist  durch  die  besprochene 
Uebereinstimmunp  nur  in  dem  Falle  mit  Sicherheit  als  Lesart 
des  Archetypus  anzusehen,  wenn  dieselbe  sich  als  Lesart  einer 
Handschriftenclasse  erw^  i-t. 

Wo  es  sich  um  einen  Fehler  im  Festus  handelt,  dort  genügt 
die  Uebereinstimmung  einer  einzigen  Handschrift  mit  dem  Far- 
nesianus  zum  Beweise  dessen,  dass  alle  übrigen  Handschriften  cor- 
rigirt  sind. 

'2.  Wo  der  Festinische  Text  uns  nur  in  den  sogenannten 
Schedas  apud  Laetum  erhalten  ist  und  andere  Lesarten  bietet  als 
die  Epitome,  beansprucht  Paulus  im  Allgemeinen  die  grössere 
Autorität. 

Wo  der  Festinisclie  Text  fehlt  und  die  ZAvei  Classen  der 
Paulinischen  Codices  in  der  Ueherlieferung  nicht  übereinstimmen, 
verdient  mit  Ausnahme  solcher  Stellen,  wo  gewichtige  Gründe 
dagegen  sind,  die  erste  Ciasse  den  Vorzug. 

Dies  in  Kürze  über  das  bei  der  Textesrecension  zu  befolgende 
Prineip. 

Einiges  von  den  wichtigsten  Resultaten  meiner  Untersuchun- 
gen ist  bereits  im  «Egyetemes  philol.  Közlöny»  und  kurz  auch  in 
ausländischen  Fachberichten  yeröffentlicht  worden. 
Hiemit  stelle  ich  folgende  Ergebnisse  zusammen : 
1.  Das  Bruclistuck  der  Frivolaria  bei  l'\:'süis  p.  ^^37  M.  ist, 
was  bisher  unbekannt  war,  auch  von  Paulus  in  seine  Epitome  auf- 
genommen worden  und  muss  auf  Grund  der  Ueherlieferung  also 
gelesen  werden: 


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FE8TCS-BTDDIEN.  ^ 

■ 

tunc  pu})ill:ie  j)riniii  hi  iii 
boruhabaut ;  üliid  volui  tlicere : 
Fratemilabant. 

illiiil :  illut  M.  volui :  sie  FestiiB,  voliiit  Paulus.  (Epyet.  phil.  közL 
U,  1878,  p.  3D4.  Bursian^s  Jahresb.  XVIII,  1879,  p.  1.) 

±  Edü.  Ann.  5:24.  Vafal.  ist  mit  GR  also  herzustellen : 

Änt  peniiarceret  pahes  xie^'Cnfisiis  trifaci. 

Vgl.  iSjri  sent.  ^.  iiibb. 

Ltunmae  rictu  Marlis  marcent  moeoia» 

permttrceret  hatte  sich  mein  hochverehrter  Lehrer,  Prof.  Yahlen 
schon  als  Gonjector  angemerkt.  Nun  bringt  die  handschriftliche 

Lfcsuug  die  völlifie  Bestätigung.  (Egyet.  phil.  közl.  II,  :V.l.5.  III,  31.) 

o.  Aecius,  Phinid.  fr.  3.  v.  574.  üibb.  ist  die  Ueberlieferung : 

tonsillas  littora  inleda  ML.  tonsillis  litore  inleda  GE.  Der  Vers  ist 

demnach  so  herzustellen: 

Taoit^  tonsillas  litora  in  leota  ^dite. 

(Egyet.  phil.  kozl.  II,  3V)«;.  Burs.  Jabvesb.  XVITI,  p.  -2.) 

X.  Pest.  p.  ^öSb,  i,  s.  V.  (^)uiindo  ist:  «in  Xli.  quidem  cum  c 
littera  ultima  scribitun»  die  richtige  Ueberlieferung.  ^uandoc  ist 
»ach  bei  Paulus  p.  !259,  3  und  7  durch  alle  guten  Handschriften 
bestätigt: 

Quandoc  rex  couiitiavit  fas 

und: 

Quandoc  stercus  delatum  fas. 

qnandocrex  MG.  quando  eres  JEi,  quandoc  stergus  B.  (Egyet.  phil. 
közl.  II,  396.) 

5.  Pest  US  Pauli  p.  :'.4]  s.  v.  Septiiuontinin  ist  nach  Cermalo 
Caelio  einzuschalten  und  das  Fest  in  der  Weise  zu  fassen,  dass 
die  Snbura,  die  kein  Berg  ist,  zu  den  Septem  montes  hinzutritt 
mid  das  Fest  a  potiori  seinen  Namen  führt.  (Egyet.  phil.  közl, 
U.  396.) 

6.  Titin.  v.  J61  ist  statt : 

Mirior 
Inquam  tibi  videor 

Minor  tibi  videor  zu  lesen.  Ueberliefert  ist  inquit  (nicht  inquam), 


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Ö8  FF.STUS-STUDIEN. 

das  sich  einfach  auf  den  Yerfasaer  des  VetBea  bezieht.  Vgl.  Festas 
Pauli  p.  34,  5  Naeyins:  tBilbit  amphora»,  inquit.  p.  49,  6  Plau- 

tus .  «Licet»,  inquit.  «vos  abire  cuiriciilo»'.  p.  51,  '2  Cuto :  «Culig- 
Dam»,  inquit,  «iu  faeuo»  e.  q.  s.  p.  58,  14  Naevius:  «Cocus», 
inquit,  ledit  Neptunoma  e.  q.  s.  p.  140,  8  Afranius :  tVirgini», 
inquit,  ttam  crescit  uterus»  e.  q.  b.  of.  Fest.  p.  141a»  23 — 25. 
(Egyet.  phil.  közl.  II,p.  446.  Bursian's  Jahresb.  XVIII,  p.  2.) 

7.  Die  Genetivform  Siiucus  ist  iu  der  Epitome  p.  )»45,  '2  Sau- 
qualis  porta  appellatur  proxiiua  aedi  Sanci  (so  die  Herausgeber) 
durch  alle  Handschriften  bestätigt,  niuss  daher  sowohl  hier,  als 
Fest.  p.  241a,  2,  wo  der  Famesianus  scs  bietet,  hergestellt  werden. 
(Egyet.  phil.  közl.  III,  32.) 

<**5.  Das  von  Romuius  zu  Ehren  des  Mars  eingeführte  Pferde- 
reuuen  heisst  nicht  Equiria,  sondern  Equirria.  Vgl.  Momms. 
C.  I.  L.  I,  388.  (Egyet.  phil.  közl.  III,  109.) 

9.  Der  Name  des  Saatfestes  ist  überall  Sementiyae  (nicht 
Sementinae)  feriae  zu  schreiben. 

10.  Pacuv.  :IH1.  Ii,  ist  coußilium  nicht  concilium  überliefert. 
(Egyet.  phil.  közl.  III,  109.) 

11.  Festus  Pauli  p.  109, 1 7  Impite :  impetum  fadte,  ist  Inipite 
zu  lesen.  Vgl.  Loewe  Bb.  Mus.  1876,  p.  56.  (Egyet.  phil.  közl. 
III,  110.) 

12.  Festus  Pauli  p.  117,  6  ist  a  laeva  laetrum  sinistrum.  et 
laetro(r)8um  sinistro(r)8um  zu  schreiben.  Diese  interessante  Wort- 
form ist  nicht  nur  hier,  sondern  auch  bei  Philoxenus  p.  128,  43 
und  in  den  Glossae  «abavus»  maiores  überliefert.  Diese  neuen 
Belege  hat  mein  hochverehrter  Freund  Dr.  G.  Loewe  gefunden 
und  mir  gütigst  mitgetheilt.  (Egyet.  phil.  közl.  III,  256  sq.  IV, 
702.  Phüol.  Bundschau  I,  p.  1035.) 

13.  Die  Ton  Festus  Pauli  p.  1 10,  11  citirte  Stelle  aus  Plautus 
hat  ursprünglich  also  gelautet : 

Init  ted  umquam  febris. 

Paulus  hat  nicht  te  nunquam,  sondern  te  umquam.  (Bgyet.  phil. 
kösl.  IV,  618  und  703.) 


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FB8TU8-BTUDIBN. 

■ 

14.  Festus  Pauli  p.  812,  ß  ist  Stlatta  zu  schreibeu.  Dies  die 
richtige  Form.  Vgl.  Loewe  Prodr.  p.  7 — 8. 

1 5.  Ein  neuer  Beleg  für  die  Form  procastria  hat  sich  p.  22o,  1 2 
8.  T.  Procestria  erhalten,  wo  es  heissen  muss :  Artorins  procastria, 
quae  sunt  ante  castra. 

16.  Dhbs  neben  inciis  aiieli  die  Form  incmiis  bestanden,  l'c- 
weist  ausser  De  idiom.  gen.  57 7a,  incudis  ax;j.(ov  die  Glosse 
Elendere  bei  Festus  Pauli  p.  79,  7,  wo  nach  allen  Handschriften  so 
IQ  lesen  ist :  Excudere  procudere  et  incudis  ipsa  a  caedendo  dicta 
eft.  Der  Genetiv  von  incudis  hat  f^e\viss  incudinis  gelautet,  wie  aus 
der  italienischen  Form  incudine  (neben  incude)  und  aus  der  Ana- 
logie mit  subscudines  bei  Augustinus  geschlossen  werden  darf. 

17.  Festus  Pauli  p.  84,  1  Foedus  appellatum  ab  eo,  quod  in 
ptciseendo  foedere  hostia  necaratur.  Unmöglich.  Statt  foedere  ist 
mit  MGV.  (fedt. )  L.  (fide  T.)  foede  zu  lesen.  V-:!.  Serv.  in  Verg. 
Aen.  I,  6iJ  foedus  .  .  .  dictum  .  .  .  a  porca  foede,  hoc  est  lapidibus, 
oeeisa  ibid.  VIU,  641.  Isid.  XYIU,  1,  11. 

18.  Ibid.  p.  131,  t  ist  Manoina  tifata  zu  lesen. 

19.  Ibid.  p.  50, 10  Cumalter  significat  cum  altero  ego.  üeber- 
lietert  ist  Cumulter  und  dies  ist  beizubehalten.  Vgl.  adulter  Vanicek 
Eiym.  Wurterb.  ±  p. 

Nach  diesen  per  saturam  mitgetheiiten  Beispielen  wollen  wir 
das  allgemeine  Besultat  in  folgende  Punkte  zusammenfassen : 

1.  Der  Verfasser  der  Epitorae  heisst  der  iil)erein9timmenden 
l  eWrlieferuug  nach  weder  Pauhis  Diaconus,  noch  Paulus  Pontilex, 
noch  Paulus  Sacerdos,  sondern  einfach  Paulus. 

2.  Die  Orthographie  der  Epitome  ist  nicht  so  schwankend, 
wie  wir  sie  bei  Müller  finden. 

3.  Die  Wortfolge  und  die  lU  ilu  nfolge  der  Glossen,  wie  wir 
sie  in  der  Müller 'sehen  Ausgabe  liabeu,  hat  sich  an  vielen  Stellen 
sls  falsch  erwiesen. 

4.  Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  sich  in  den  edirten  Text 
«a  33  Stellen  Interpolationen  ein<]reschlichen  haben. 

0.  Andererseits  hat  sich  manches,  was  bisher  für  Interpolation 
gegolten,  als  echt  erwiesen. 


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w  KURZE  8ITZUN08BERIGHTE. 

0.  Es  hat  sieh  herausgestellt,  dass  an  beilauti*;  -5  Stellen 
einzelne  Worte  oder  Sätze  ausgefallen  sind,  die  nun  vrieder  her* 
gestellt  werden  müssen. 

7.  Die  üntersncbung  bat  ein  bisher  nur  mangelhaft  gekanntes 
Plautus-Frafjment  un<l  mehrere  bisher  unbekannte  Worte  und 
Wurtfornien  zu  Ta<,'e  gefördert. 

8.  Folgende  Glossen :  Abitionem  antiqui  dicebant  mortem.  — 
Adversus  aut  contrarinm  significat  aut  idem  quod  erga.  —  Astatas 
arte  tutus.  —  Cicuma  avis  noctua.  —  Neqnam  nußator.  —  Redi- 
vivuni  est  ex  vetusto  renuvatum  —  hal)eu  sich  als  echt  erwiesen 
und  sind  demnach  in  den  Text  aufzunehmen. 

9.  An  vielen  Stellen  bat  sich  die  bisher  versehmähte  Lesart 
als  die  einzig  richtige  erwiesen. 

10.  Endlich  hat  es  sich  herauB<^estellt,  dasB  Paulns  an  so 
manchen  Stellen  mit  der  fehlerhaften  Feberlieferun;^'  des  Farne- 
sianus  übereinstimmt,  wo  demnach  nicht  das  an  und  für  sich 
Bicbtige  zu  setzen,  sondern  der  überlieferte  Fehler  beizubehal* 
ten  ist.  Emil  Thewbbwk  t.  Pokob.  * 


KÜRZE  SITZÜNGSBElilCHTE. 

—  Akademie  der  Wissenschaften.  1.  In  d»r  Sitzung'  der  erst-en 

C'la--e  am  Jl.  N(iv»  nil'»  r  las  Sigm.  Simonyi  iibor  den  f  rsj^nnui  und  die 
Kntinr'h,l,(nn  >hs  } inui,  ,i  fi  t,  s  huini  dasp),  einen  Beitrag  zur  Syntax 
des  Nel>eiisat7es  im  l'n^'arit-cheu.  Hierauf  legte  Jos.  Bri>KNZ  das  ehen 
ersciiieiieiic  lieft  di  r  S m  h  tmUnndnui  kx-Jmit  nytk  (Spruch wissenschaft- 
lielie  Mitteihmgeii  I  vor,  da^  foltjeiiiie  1  l'  if  rai,'^e  eiitliält :  Moksa-mord- 
winisclies  Mutthaus-Kvangelium  ,  mit  £iideitnng  und  Worterhnch 
heran sg<  L,'e]'eii  von  Jos,  BrDENZ.  —  Utdu  r  die  vepsische  Sprache  von 
Joj^.  SziNNVEi.  —  Knssit>clie  Verben  im  Ki  za-Mordwnii^cheu  von  Jos. 
BnDKNz.  Ma*;yai"iscb  letj  von  lox.  Kunos.  —  Mordwinisch  inkm  von 
Ion.  Kunos.  —  Türkißch  arnlau,  magyahscb  omszldn  (Lö\^e)  von  Luk. 

'  Aiis/n?  aus  des  Verfassers  am      Octolier  1881  gehaltenem  akade- 
mischen Vollrage.  S*  diene  «Uevue».  16bJ,  b.  b(>9. 


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KURZE  8ITZCNG6BEBICHTE. 


91 


PatkubAny. —  Aulnuteiule  Me<liji  im  l'^Tischeu  von  Bbbnh.  MunkAcs>i. 
—  Sorokin's  woguliscbeft  Glossar  v«iii  Jos.  Bri)p:NZ. 

'2.  lu  der  Gesammtsitzung  vom  liS.  November  las  Jos.  Bt'DtNz 
eme  Denkrede  aiif  das  »n-jwiirtifje  Mitglied  der  Akademie  Theodor 
Bexpxt,  dessen  Schüler  der  Vortragende  in  Gotting  n  ge wetzen  und 
dessen  Leben  nnd  ^Virken  er  in  umfuBseuder  Darstellung  schildert. 

3.  In  der  bitzung  der  zweiten  Classe  am  5.  December  legte  zn- 
Däehst  GrsTAV  Wenzel  eine  historische  Untersuchung  über  dit  lietUw 
tunpdt  r  Familie  Fuy(ier  in  der  umiarittcken  Geschichte  vor. 

Jacob  Fugger  scbloss  in  den  neunziger  Jahren  des  XV.  Jabrhnn- 
iitiis  in  Venedig  mit  Johann  Thurzo  von  Bethlenfnlva  ein  engeres 
Frenodschaft«bündniss,  aus  dem  sich  später  zwischen  den  beiden  Fami- 
lien  auch  Geschäftsbeziehungen  entwickelten.  So  schloss  Jacob  Fugger 
mit  Johann  Thurzo  bezüglich  der  dem  Letzteren  gehörigen  Nensohler 
Bergwerke  einen  GeeelUchaftevertrag  ab,  der  bis  1525  währte ;  von  da 
an  bis  1546  hatten  die  Neffen  Jacob  Fagger'a  die  Kensohler  Kapferwerke 
in  Fscht,  ans  welchen  dieselben  bis  1546  das  blühendste  Industrie-  nnd 
Hsudelsnntemehmeu  schufen. 

Vortragender  behandelt  unn  vor  Allem  den  Ursprung  und  den 
grossartigeu  Welthandel  der  Fngger's  und  bespricht  den  Einilnss,  den 
die^elben  auch  in  Uugiim  aufgeübt,  vor  Allem  als  Grosshilndler  und 
Bankiers,  dann  als  Inhaber  montanistischer  Unternehmungen,  schlie«>8> 
h'cfa  aber  als  Besitzer  der  Herrschaften  nnd  Burgen  Vördskö  und 
I>etrek6.  Baimund,  Anton  und  Hieronymus  Fugger  erhielten  im  Jahre 
1538  das  ungarische  Indigenat  und  mehrere  andere  Privilegien.  Nach 
dem  Tode  Jacob  Fugger^s  (1560),  unter  welchem  die  Neusohler  Werke 
einen  solchen  Aufschwung  nahmen,  wie  vorher  und  seither  kein  mon- 
tanistiflches  Unternehmen  in  Ungarn  erlebt,  zog  sieh  die  Familie  aus 
Uogam  zurück;  nur  die  Tochter  Marcus  Fugger's,  Maria,  blieb  im 
Lande  zurück,  da  sie  Nicolaus  Palffy,  den  Helden  von  Raab,  geheiratet 
hatte.  Auf  diesem  Wege  gelangten  Burg  und  Besitz  Vörösko  in  den 
Besitz  der     ;itiu  lit  n  Fauulii-  raltVy. 

Der  von  Alkxvndkk  SziLÄ(i\i  vtrleseuen  Abhandlung  Li  Dwio  SzA- 
I'L(zky's  über  den  runitini-rlun  \atiii)ialht  hlt)i  Mirliatl,  dem  Im  kaiintlich 
m  iiukart-st  eine  gliin/Aiidf  Kt  itcrstatue  ertichtct  wurde,  liejjdi  (lureli- 
*tps  stibstaudigc  arcbivalibclit'  Studien  zu  Grundf.  I)a>  lUsuilat  der- 
6-ellen  lasst  ^ic-h  dahin  znsaiumenfasst^u,  dass  der  machtige  Wojwode, 
in  den  die  Ruiiiaijcii  ihren  «  r.-ten  Natioualiielden  verehren  und  dessen 
Namen  sie  auf  die  Faliutf  ihrer  nationalen  Propaganda  schreiben,  nichts 
anderen  war,  als  ein  selilauer  Condottiere  Kais(  r  Rudolfs.  Er  hatte 
grosae  Ziele  vor  Augen,  er  wollte  der  Herr  von  »Siebenbürgen,  der 


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KUB8E  8ITZUNO8BEBI0HTE. 

Moldau  und  der  Walachei  werden,  er  wollte  Bulgarieu  und  Serbien 
erobern,  das  alte  Byzanz  in.  sduen  Grundfesten  erschüttern  und  sich 
die  Eroue  Polens  aufs  Haupt  setzen  ;  über  die  Trümmer  von  Kaschau 
und  Wien  drohte  er  nach  Prag  zu  gehen,  um  den  Kaiser  abzusetzen , 
und  all  dieseu  boclitliegeDdeii  Plänen  machte  der  Dolch  des  von  dem 
kaiserlichen  FeltUiaupimann  Basta  gedungene»  Mörders  ein  Enile,  der 
den  übermütigen  Wojwoden  auf  dem  Tordaer  Felde  zu  Tode  traf.  Das 
Glück  dos  tiipftru"  Wojwoikn,  aus  dem  die  Mythe  einen  National- 
lielden  gemacht,  währte  nur  zwei  Jahre,  von  1500  bis  IGOl,  und  es  ist 
gewiss  bezeiehiH-nd.  d»ss  die  Knmiinen,  die  ihm  ein  Momnnent  gesetzt, 
noch  nicht  seine  (reschiclite  geschrieben  liubLU,  zu  welcher  ihnen  das 
Material  die  uiiu'iirisclu  n  Forsclier  zusammentragen  müssen. 

Zum   8ehliis.-e  entwickelte  Dr.  Karl   .\kin  mx  /«//  />olitiscitt' 

l>ilt'i/it/i(i  il'i-  Hihlini.i.  In  seinem  ersten  Vortrage  über  dieses  Tiiema  war 
der  Verlasr^er  von  der  Beobaelitung  «iisgegangen,  dasH  die  Intelligenz 
steril  macht,  und  halte  zu  beweisen  gesucht,  dass  in  dem  Kampfe  nms 
Dasein,  wie  in  dem  Kint^en  nach  mateneller  Prosperität,  die  lliblung 
im  Allgemeiuen  nur  als  Hemmschuh  zu  betrachten  ist.  Brüstet  sich 
demnach  die  moderne  Naturwissenschaft  damit,  dass  sie  entdeckt  hat, 
die  Ut  l-erlebendeii  im  Kampfe  s(  ieu  stets  die  Lebensfähigert  n  (was 
im  AVeseii  nur  ein  tndsm  oder  eine  Tautologie  sei),  so  fand  der  Vor- 
tragende seinerseits,  dass  beziiglich  des  Menschengeschlechtes  die 
leben sfabi «Jen  nicht  eben  die  des  Lebens  wüidigsten  Elemente  sind, 
worin  der  bcblussel  zum  Verständnisse  gewichtiger  historischer  Vor- 
gänge hegt. 

Schon  in  diesem  ersten  Vortrage  wurde  im  Vorbeigehen  besonders 
auch  der  arbeitenden  Dassen  und  des  Einflussts  der  Bildung  auf  deren 
Schicksal  gedacht.  Schon  damals  wurde  die  Tatsache  erwähnt,  dass 
die  Erfindung  und  Verwendung  der  Maschinen,  welche  das  Product 
menscliliclier  Tätigkeit  so  riesig  zu  steigern  vermögen,  weder  die  Au- 
zahl  arbeitender  Hände  vermindert,  noch  die  relative  Situation  des 
Arbeiterstande<  im  Ganzen  verbessert.  Dieses  ueae  «social  politische 
Dilemma»  der  Arbeit  bildete  den  Gegenstand  des  jüngsten,  zweiten 
akademischen  Vortrages. 

Durch  die  Maschinen  ist  die  Productiou  und  deren  Ertrag  ins 
Riesige  gesteigert  worden,  aber  ebenso,  ja  noch  mehr  steigern  sich  die 
Anforderungen  des  Luxus.  Die  wahren  Bedürfni-^se  des  Lebens  sind 
gering  und  selbst  die  Existenz  des  Eigentums  behinderte  nicht  deren 
allseitige  Befriedigung ;  der  Luxus  dagegen  ist  unersättlich  und  da  das 
Eigentum  gegenüber  der  Arbeit  die  Situation  beherrscht,  so  wird 
schon  aus  diesem  Grunde  allein  der  Arbeiterstaud  einerseits  zu  unun- 


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KOBZE  8ITZ0NOSBBBICHTE 


93 


t-rlTocli-^Mcf  immer  zuhl-Ii  ueiider  Productioti  verhaltc-ii  nutl  amleror- 
[inf  (Ion  so«^'('aanutoii  stanation  point,  was  seim-  (■i>„^eiif'n  (ionüsse 
betrifft,  herabgedrückt.  Hiezn  tritt"  als  zweiter  j^ewichtij^er  Factor  der 
Gegensatz  des  Luxus,  nämlich  der  Geiz  und  die  Sparsamkeit.  Letztere 
Buchen  ilir»'  Befriedigung  nicht  in  Luxus^n-niissen,  sondern  im  l^»esitz, 
besonders  des  Geldes.  Wird  unter  solchen  Umständen  thesaurisirt,  '.vie 
in  manchen  Ländern  des  Orients,  so  werden  dem  Verkehr  die  nötigen 
Umsatzzeichen  entzogen,  die  Arbeit  findet  nicht  Beschäftigung  und  das 
Elend  wird  allgemein.  Werden  die  Gelder  dagegen  nicht  blos  aufge- 
epeichert,  sondern  «fructificirtt,  so  tritt  zweierlei  ein.  Entweder  das 
Geld  wird  nach  und  nach  von  einer  geringen  Classe  monopolieirt, 
«dche  mit  der  Zeit  auch  die  liegenden  Güter  an  sich  zieht ;  oder  in 
vorgeschrittenen  Ländern  entstehen  fortwährend  neue  Capitalsanlagen, 
deren  Fmctifioirnng  stets  neue  Arbeit  involvirt.  Die  riesige  Zunahme 
solcher  Anlagen  in  indnstriösen  Ländern,  im  Verein  mit  den  Einflnssen 
des  LnxQs,  erklärt  mehr  als  zur  Genüge  die  nimmer  rastende  Arbeit 
der  besitzlosen  Classen.  Je  geringer  übrigens  der  Bnzeh  teil  im  Preise 
der  Waaren,  welcher  den  Arbeitslohn  repr&sentirt,  desto  grösser  wird 
aiieh  notwendig  der  Gontrast  zwischen  dem  Leben  der  Arbeiter  nEd 
äa  Eigentümer. 

Der  Verfasser  entwickelte  diesbezüglich  ein  streng  mathemati- 
idies  Gesetz,  welches  nachweist,  dass  wie  immer  die  Ldhne,  ob  hoch 
oder  niedrig,  nnd  wie  immer  die  Preise,  ob  teuer  oder  billig,  der 
Arbeiterstand  notwendig  nm  so  mehr  vergleichsweise  verliert,  je  billi- 
ger die  Prodnotion  durch  den  Einflnss  der  Maschinen  wird.  Wie  dieses 
]>flemma  zn  lösen,  wonach  gerade  der  Fortschritt  die  Situation  des 
Arbeiters  vergleichsweise  herabdrückt,  darüber  unterliess  der  Vor- 
tragende jede  Andeutung.  Er  erklärte  vielmehr  ganz  offen,  dass  er  in 
den  Räumen  der  Akademie  nicht  agitatorische  Zwecke,  sondern  rein 
ond  ausschliesslich  die  Erforschung  der  Wahrheit  als  Ziel  im  Auge 
habe ;  was  ihn  jedoch  nicht  hindert,  anerkennend  jenes  Staatsmannes 
zn  gedenken,  der  anstatt  auf  seinen  reichen  diplomatischen  Lorberu 
ansznnihen,  aus  rilicht,i,'cfiihl  selbst  mit  den  kaum  lösbaren  Dilemmeu 
der  Socialpolitik  den  Kuif^'kampf  auf^^enommen.  (Uebrif^cns  liat  Dr. 
.\kin  seitdem  in  eiiu  r  Zuschrift  an  das  Taf^'blatt  lluji  erklärt,  dass  er 
df-n  Titel  eines  SocialdemokrHteii  durchaus  zurückweist,  ja  dass  er 
fogar  eher  von  der  ciiiutus  der  Religion  als  von  irgend  einer  })olitischen 
iQatitutiou  die  iieiuedur  der  eiuöchneidendsteu  socialen  Lehel  zu  er* 
hotfen  vermöchte.) 

4..  In  der  Sitzung  der  dritten  Classe  am  12.  December  behandelte 
mächst  Nicolaus  Konkoly  die  Üpectren  der  Cometen  b  umi  c  ISöl.  Vor* 


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94 


KURZB  8ITZUK08BEBICHTE 


tragender  m&B6  mittelst  MikrometerB  in  dem  Farbenbilde  des  Cometen 
0  1881  fiinf  Streifen,  welche  identisch  waren  mit  den  Speetralstreifen 
des  Kohlenhydrogens.  Er  fand  auch  noch  andere  Streifen,  welche 
jedoch  in  Folge  ilurer  Farblosigkeit  nicht  sn  bestimmen  waren.  Neben 
dem  Kohlenhydrogeu-Spectmm  Eoigt  noh  ein  sehr  glänzendes  conti- 
nuirlicfaes  Spectmm.  in  welchem  man  die  Fraiieuhofer'schen  Linien 
der  Omppe  C,  D,  b  und  F  dentlieh  wahrnehmen  konnte.  In  dem 
Spectrum  des  Cometen  C  1881  waren  blos  drei  Streifen  und  ein  sehr 
schwaches  coutinuirliclies  Si-ectrum  wahrzunehmen.  Das  Ganze  ent- 
sprach  dem  Farbenbilde  des  im  Jalue  1881  von  Pechule  entdecktcu 
Cometen. 

Dr.  Konkoly  legt  auch  noch  die  Abhandhiu;^'  l)r.  Franz  Lakics' 
über  '/<V  ;ii  ni/t  iipiiiöi  Jie  Ih  f  iti'  ih  r  i  f-<  j  i/aUat'r  St>  ruii  <n  tt>  vor.  Das  Kesultat 
der  Lakics  Kchen  Untersuchungen  lässt  sich  durch  47 '  52' 27".  3.  iO,"4- 
ausdrückten. 

Protc.'-st.r  J.  A.  Kre.vxeh  behandelt  »//«  ;iri>nl'tH'lisr/irn  Flwri'i- 
Min>r<ilini.  Im  Gneis.se  des  BÜdlichen  Grönland  im  Arkint-Fjord  tritt 
ein  niiiclitii^es  Lager  eines  weissen  Minerals  auf,  das  wegen  seiner 
Aehnlichkeit  mit  Eis  Kryolith  genamit  wurde.  Schon  zu  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  durch  dunische  Wallfisclifnhrer  nach  Europa 
gebracht,  erlangte  es  erst  ^Vichtigkeit  in  den  tuiifzigt  r  Jalu*en,  wo  man 
aus  diesem,  ans  Thonerde,  Fluor  und  Natrium  bestehenden  Mineral 
das  überaus  leichte  Aluminium  Metall  herstellen  lernte,  welches  damals 
zu  Schmucksachen  verarbeitet  wurde,  nachdem  die  Hotlnuug,  in  dem- 
selben ein  geeignetes  Material  2ar  VerwirkUchimg  der  Idee  des  steuer- 
baren Luftschif)*es  gefunden  zu  haben,  sich  nicht  erfüllte.  Gegenwärtig 
findet  dieses  Mineral  eine  viel  practisohere  Verwendung,  in  grossen 
Schiffsladungen  wird  es  nach  Europa  gebracht,  wo  daraus  billige 
Natronlauge  für  die  Seifensieder  erzeugt  wird.  Dieses  Mineral  wurde 
morphologisch  durch  Descloizeau^  (Paris)  und  Websky  (Berlin)  unter- 
sucht,  es  wurde  für  Triklin  dedarirt.  Mit  demselben  kommen  vor  der 
PschnoUth  und  der  Thomsenolith,  diese  wurden  durch  Erop,  y.  Bath, 
Bescloizeaux  und  Dana  untersucht.  Nun  erklärte  Professor  König  in 
Philadelphia,  letztgenannte  zwei  Minerale  seien  identisch,  worauf  Erop 
(Karlsruhe)  die  Verwirrung  noch  steigerte,  indem  er  erklärte,  ein  Teil 
des  Pachnoliths  sei  Triklin,  und  Websky  habe  seine  Messungen  statt 
am  Kryolith  an  diesem  Mineral  angestellt.  Gegen  diese  Auffassung  hat 
sich  Vortragender  in  einer  ausländischen  Fachschrift  erklärt,  betonend: 
1.  Dass  der  KryoUth  nicht  Triklin,  sondern  Monoklm  sei.  2.  Dass 
Websky  seine  Untersuchungen  an  wirklichem  Kryolith  anstellte. 
3.  Dass  König  nur  Thomsenolith,  nicht  aber  Pachnolith  analyairte. 


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KUBZB  SITZUNGSBERICHTE, 


95 


4.  Das-i  Wöhler  k.'ineu  Pachnolith  uiit.'rsnclite.  5.  Dass  sich  alle  drei 
Mineralieu  krystallograpbiscli  wie  opti^^cb  scharf  auseiuauder  halteu 

Vorta-ageuder  legt  dauii  noch  die  Arbeiten  A.  Schmidt's  luul 
A.  FBAXZENAn's  vor.  Ersterer  fand  auf  der  iuteressaiiten  Eisenerz- 
Lagerstiitte  von  Telekes-Riidohanya  llanjtr  nnd  eigentümlich  gestal- 
tete Wi'isshh'i- [\iz»'.  Was  den  Barvt  anbelangt,  besitzen  dessen  aus  "20 
Krystallformen  bestehende  Coiubinationi'n  «  int'  Tafelform  nach  der  Basis. 
Das  Bleikarbonat,  das  sich  in  dem  zerfresseneu  Brauueisen  befindet, 
zeigt  einen  sehr  complicirteu  Bau,  an  welchem  sich  i21  Formeu  betei- 
ligen, darunter  zwei  ganz  neue.  Die  Zwillinge  lassen  eine  \'er wachsung 
nach  dem  Grnndprisma  und  dem  vou  KokscUarofl' &u  sibiriecbeu Cerus- 
aiteu  beobachteten  Gesetz,  nach  dem  drittel  Prisma,  erkeni^en. 

A.  Frauzenau'ß  Abhandlung  beschäftigte  sich  mit  dem  vulkanischen 
Arnj^iibol  du  Artmyer  Berf/es  bei  Deva.  Da  die  KenutniBs  dieser  Mineral- 
Species  von  eminenter  Wichtigkeit  für  die  Petrographie  ist,  hat  Autor, 
Toanlasät  durch  Prof.  Krenner,  diese  complieirteu  Krystalle  einem 
gecaueu  Studium  unterworfen.  Dieselben  bilden  eine  Combination  von 
19  Krj'stallfiestalten,  deren  Werte  denjenigen  vom  Vesuv  sehr  nahe 
stehen.  Auffallend  gestalten  sich  die  optischen  Yerhftltnisse  des  eieben- 
büigischen  Minerals,  indem  die  Lage  der  optiBohen  £lajitioit&t8-Axen, 
sowie  jene  der  optischen  Axen,  eine  von  den  bekannten  Yerschiedene 
KchtODg  befolgen.  —  Beide  Untersuchungen  wurden  im  geologisehen 
Laboratorium  des  Polytechnikums  durchgeführt. 

Zum  Schlüsse  führte  Ptofessor  Schullbb  den  Nachweis,  dass 
«ihreod  der  Wasserbildnng  Htfdrogm'Superaxfd  entstehe,  ein  Umstand, 
der  bisher  noch  nicht  bemerkt  worden  ist.  Auch  bei  der  Explosion  von 
lehlsgenden  Wettern  entsteht  dieser  Körper  nnd  verdient  dieser  Um- 
stand bei  kalorimetrischen  Messungen  wohl  in  Erwägung  gezogen  zu 
werden. 

5.  In  derOesammtsitzung  vom  1 9.  December  machte  AmtohZicbt 
seserUche  sehr  interessante  Mitteilungen  ans  dem  XacMatse  de»  Grafm 
M^9n  Sfie^imyu  auf  welche  wir,  sobald  sie  im  Drucke  vorli^^gen,  aus- 
fiihrlieh  zurockkommen. 

—  Die  ungarische  historische  Gesellschaft  hielt  am  LDectniber 

mter  Vorsitz  Arnold  Ipolyi's  eine  Sitzunf^,  in  welcher  Eugen  S/.kni- 
ILiBAY,  der  Verfasser  des  preisgekrönten  Werkes  Uinulrrt  Jahr,'  uns  ih  r 
ntueren  ^ieachithtr  Smhuujarns,  einen  Abschnitt  aus  dem  noch  nicht 
«dirt^u  III.  P>ande  seines  Werkes  vorhi's. 

Vortrageuder  schildert  die  misshcheu  Verhiiltnisse,  in  welchen 


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96 


KURZE  8ITZUN08BEBICHTB. 


ßich  die  vou  Maria  Th'  it'sia  reiiicoi irlen  Ceinitutc  Teiiics.  Kninso 
und  Torontäl  befandt  ii.  Der  Hof  und  die  Militarkrtüsp  heeiiiriussteii 
das  kaum  entwickelte  Munic'i]>allel)en  und  hielten  das  von  dem  übrigen 
Ungarn  losgelösto  «Temeser  Banat»  im  Curatel. 

Von  den  Hof-Af'enten  provoeirt,  wandten  sich  alle  Städte  und  die 
von  den  versclüedenen  Nationalitäten  f^egrüiideten  Colonieu  an  Maria 
Theresia  um  Privilegien  und  um  ihre  Exemtion  von  der  »unj^arischon 
Herrschaft»,  vor  welcher  man  den  Petenten  eine  heillose  Angst  ein- 
gejagt hatte.  So  schildert  Vortragender  in  grossen  Zügen,  hie  und  da 
interessante  Details  einHechtend,  die  Gährung,  welche  sich  der  Bauater 
Nationalitäten  seit  der  Keiucorporirung  bemächtigte,  und  die  verfas* 
snngä widrigen  Verfügungen,  welche  die  Wiener  Begierong  gegen  die 
südungarisolien  Comitate  traf.  Zuletzt  wurden  auch  der  Königin  die 
weitgehenden  Forderungen  der  nimraersatten  «Baizen»  zu  viel,  die 
Bich  dem  Comitate  niobt  nur  nicht  fügten,  sondern  dessen  Anordnungen 
nicht  einmal  annehmen  wollten  und  die  benachbarten  ungarischen  Be* 
völkeruugen  auf  jede  Weise  bedrängten.  Nach  dem  Tode  Maria  There» 
eia's  gelangten  die  drei  Comitate  unter  die  Oftiw  Statthalterei,  respeo- 
üve  unter  die  ungansohe  Hofkanzlei.  Nun  standen  die  drei  Comitate 
zugleich  unter  siebenerlei  Oberbehörden,  deren  Wirkungssphären  ein- 
ander  vielfiich  kreuzten,  die  Verwirrong  womöglich  noch  steigerten  und 
die  Tätigkeit  der  unter  dem  Qrafen  Nitsky  stehenden  königlichen 
Bemcorporimngs-OommiBBion  ungemein  erschwerten. 

Kabl  TagAkh  fährt  in  einer  längeren  Abhandlung  den  Beweis, 
dass  die  Burg  Sxolg^gtfSr,  deren  in  unseren  alten  Documenten  so  oft 
Erwähnung  geschieht,  nächst  dem  gegenwärtigen  Udvamok  bei  Frei- 
stadtl  a.  d.  Waag  lag.  Die  jetzige  Ortsbenennung  »Prsten»  entspreche 
dem  ungarischen  «gyürü»  (Bing),  das  einst  «gydr»  gelautet  haben 
mochte. « Szolgagydr  •  bedeutete  demnach :  der  Bing  der  (Burg-)  Knechte. 
Die  einstige  Existenz  der  Burg  aber  wird  durch  den  Ortsnamen 
Posadka  (Unterschloss)  bewiesen.  Das  letztemal  wird  der  Burg  um  das 
Jahr  1280  Erwähnung  getban. 

Yondtzender  erinnert  daran,  dass  nach  der  Ansicht  des  Histori- 
kers G.  Bartal  igyör»  (d.  h.  »lyür  =  Burg-Bing)  ursprünglich  die  allge- 
mein iibliche  Bezeichnung  für  tComitat»  war  und  hält  er  es  für  wün- 
schenswert ,  dass  auch  die  anderwärts  vorkommenden ,  ähnlich 
bezeichneten  Orte  historisch  untersucht  würden. 

-  Ungarische  naturwissenschaftliche  Gesellschaft.  In  der  Fach- 
Sitzung  am  21.  Deceinher  las  Dr.  Franz  Szabö  über  die  Eutn  icklututs- 
ffesi/iichtc  der  Pßanzen,  In  der  Botanik  wird  gegenwärtig  besonders  in  zwei 


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KUfiZB  8ITZUM08BERICHTE. 


97 


wichtigen  Richtnngeu  geforscht  :  eine  verfuli^t  die  Entwicklnnj^  des 
Pflanzeukorpers.  die  andere  die  mechanischen  Ursachen  dieser  Ent- 
wicklnug.  Der  Vortrugeud^»  hefasste  sicli  mit  der  F^nt^vickhln•^s^;e^chichte 
der  Bhiteu  der  Ananas-Arten  und  demonstrirt  die  bisherigen  Ergeb- 
nisse au  Abbildungen.  Hiedurcli  wird  bewiesen,  dasB  die  im  Innern  der 
Bhiten  befindlichen  feinen  fadenförmigen  Gebilde,  in  welchen  sich  der 
Blütenstaub  bildet,  und  derjenige  Blütenteil,  worin  man  bei  der 
Reife  den  Samen  findet,  eigentlich  eben  solche  Blätter  sind,  wie  die  an 
anderen  Teilen  der  Pthmze  wachsenden  Laubbliltter.  Die  Entwick- 
lougsgeschichte  bildet  die  sicherste  Gnuidhige  der  neueren  Systematik. 

Als  zweiter  Vortragender  berichtet  Dr.  Alafür  v.  Kü/:^  vHF.<iYi 
über  (//V  mit  <ltr  Pdstiur'si  fim  Schxt'inif  i unij  (jr(jtn  Mihlnani/  in  l  iVKun 
aiiS'jiinhrU  n  Vti  suche.  Der  Vortragende  gibt  ein  kurzes  liesume  über 
ilie  Genese  der  Pasteur'schen  Mi  t hode  und  die  Darstellung  der  Impf- 
8toffe,  schildert  die  .Anordnung  und  den  Verlauf  der  in  Budapest  und 
iü  Kapuvar  an  Schafen  und  Kindern  ausgeführten  Versuche  und  be- 
spricht dann  das  auf  einer  Zableutabelle  übersichtlich  gemachte  Er- 
gebnisB  in  folgender  Weise  : 

Für  die  W'ifutemrliat't  liegt  in  diesen  Versuchen  eine  der  weitest- 
tragenden  Errungenschaften,  denn  sie  befähigen  uns,  die  niederen  Pilze 
(Bacterien),  welche  uns  als  ständige  Begleiter  einer  tödtlichen  Infec- 
tionskrankheit  bekannt  sind,  durch  künstliche  Züchtung  in  ihrer  Wir- 
knng  so  weit  abzuschwächen,  dass  sie  Tiere,  die  man  mit  ihnen  impft 
und  in  deren  K'm  ]>er  sie  sich  vermehren,  nicht  mehr  tödten,  sondern 
nur  TOrübergeh'  nd  kraak^  dadurch  aber  auch  gegen  die  todthchen, 
mqvünglichen  Pilze  unempfänglich  machen.  Uiedurch  wird  einerseits 
bewiMen,  dass  wirklich  jene  Pilse  ilie  krank  machenden  Agentien  sind, 
andererseits  wird  die  Wirkungsweise  der  Schutzimpfungen  überhaapt 
erklärt,  welche  gegen  andere  Krankheiten  (  z.  B.  Pocken)  seit  Langem 
in  Gebrauch  sind,  ohne  dass  ihre  Wirksamkeit  erklärt  gewesen  wäre. 

Von  grösserer  Bedeutung  ist  aber  das  praeUtclu  Erg^nm  der 
Impfversuche. 

Um  die  Schutzkraft  der  Impfungen  zu  controliren,  wurden  sowohl 
die  geimpften,  als  auch  die  nichtgeimpften  Tiere  mit  kräftigem  Milz- 
brandgift  inficirt.  Dabei  ergab  sich,  dase  von  den  geimpften  Schafen 
145  V*,  von  den  nichtgeimpften  93.3  V«  an  Milzbrand  verendeten.  Der 
üotenehied  ist  sehr  eclatant;  geht  man  aber  der  Sache  besser  auf  den 
Gmnd,  und  zieht  man  den  ganzen  Verlauf  der  Versuche  und  nicht  blos 
dia  Schlussseeoe  in  Betracht,  so  mässen  die  obigen  Zahlen  wesentlich 
modifidrt  werden. 

Erstens  ist  «»  Teil  der  Tiere  bereits  nach  der  SduUtimp/ung  an 


VognlMte  B«mM»  1882,  L  Heft. 


7 


\ 


96  KURZE  SITZUNOSBERIOHTE. 

Milzbrand  verendet :  15  Schafe  fideu  gauz  bestimmt  einem  Milzbrand 
zum  Opfer,  welcher  nur  auf  die  zweite  Sohutzimpfuug  zurückgeführt 
werden  konnte.  Möglicherweise  war  das  Impfmaterial  zu  kraftig,  auch 

kouuten  sich  Unreinigkeiten  eiugeschlicheu  haben,  in  Folge  dessen  sieh 
zur  milzbrandigen  auch  noch  eine  septische  Infection  gesellte.  Keine 

dieser  Erkliirnn^fen  vermag  aber  das  uugiiustige  Ergebuiss  zu  recht- 
fertigen ;  (leiiu  bt-deiikt  man,  dass  hier  M ustfrv ersuche  mit  der  grössteu 
Behnttiamkeit,  gewissermassen  als  tlieoretische  Demonstrationen  au«- 
gofiilnt;  wurden,  und  dass  jede  auf  theoretischem  Wege  festgestellte 
Methode  in  der  alltiif2;lichen  Praxis  sehr  viel  au  Eeinheit  und  Präcisioii 
einhüsst,  so  wird  die  lieliirclitung  gereclitfertigt  erscheinen,  du'^s  in  di-r 
Impfpraxis  railzbrandige  lufectioiien  uiul  Blutvergiftungen  noch  häu- 
figer auftreten  werden. 

Die  Sterbliclikeit  wurde  ain-r  durch  amlnr  Kr<inkii<  id n  noch  eriiöht, 
und  diese  (besonders  parasiti>elK'  Wurmer  s  rafften  r,>nri,  <h'n<i  die 
genupfteu  Tiere  hinweg.  \Vi'nn  nun  hiedurch  bewiesen  ist,  da«s  durch 
die  8chut/impfnng  der  tödtliclie  Ausgang  anderer  schwerer  Leidt^u 
beschleunigt  wird,  so  steht  bei  dem  Umstand,  dass  die  Wurmkrankhei- 
ten in  unserem  Viehstand  ungemein  verbreitet  sind,  in  der  Praxis 
auch  von  dieser  Seite  eine  weitere  Erhöhung  der  bterbhchkeit  zu  be- 
fürcjten. 

Vom  practischen  Standpunkte  kommt  es  so  yiemlich  auf  Eines 
heraus,  durch  welche  Krankheit  der  Verlust  verursacht  wird  :  darum 
wird  nur  die  Summirung  aller  Todesfälle  den  wirklichen  Unterschied 
zwischen  geimpften  und  nichtgeimpften  Tieren  erk«  nn*>ii  lassen.  Stellt 
man  die  Berechnung  so  an,  so  ergeben  sich  für  die  geinii^ften  Tiere 
14.5  %,  fiir  die  nichtgeimpften  Mi  "  d  als  Gesummtsterblichkeit. 

Der  Unterschied  bleibt  auch  so  noch  sehr  bedeutend,  aber  er  ist 
schon  geringer  und  iuf^besondere  ist  auch  dh  SterUi'rhhnt  ihr  (jeimpften 
Tiere  (14^%)  iiemlich  hnch^  wie  7  u  sehen,  gerade  das  Zehnfache  von 
derjenigen,  welche  sich  bei  der  oberflächlichen  Beschränkung  auf  den 
Schhi9sact  der  Versuche  ergab.  Diese  Zahl  war  in  zwei  Versuchen  anf- 
fallend  übereinstimmend  (14.78  und  14.27  Vo) ;  sie  bildet  aber  nur  den 
Mittelwert  und  kann  wesentlich  alterirt  werden,  da  die  von  einer 
Schutzimpf ang  allein  verursachte  Sterblichkeit  yon  3.5  bis  10.0% 
schwankt,  so  dass,  wieder  in  der  Praxis,  diese  Sterblichkeitsrate  noch 
übertroffen  werden  kann.  Andererseits  gebietet  uns  der  practisehe 
Standpunkt,  diesen  Zahlen  nicht  die  94**.*  der  nichtgeimpften  Schafe 
gegenüber  zu  ntellen,  sondern  nur  diejenige,  welche  das  natürliche 
Milzbrand'Coutagium  erfahrnugsgemäss  zu  verursachen  ptlegt,  wodurch 
der  Unterschied  noch  um  ein  Weiteres  vermindert  wird. 


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KUBZE  SITZUNGSBERICHTE, 


99 


Ohne  Zweifel  wäre  auch  selbst  eine  Sterblichkeit  von  li.o'^/o  in 
vielen  Gegeudeu  noch  annehmbar,  da  ja  der  Milzbrfind  zuweilen  auch 
60"  )  der  Tiere  tödtet,  wenn  durch  sie  nur  ein  8ichcr»'r  Scliutz  erkauft 
werilt  ii  könnte,  ein  Schutz,  welcher  auch  gegeu  das  uatürliche  Milz- 
brami  Coutagium  Giltigkeit  besitzt. 

lu  Kapuvär  sind  von  den  doppelt  geimpftt-n  Schafen  nach  der 
Lfection  ruit  MilzbraudstotV  drei  Stück  au  Milzbrand  erkrankt  und 
oiiies  davon  verimdete.  l)i'r  Imjifsrhntz  ist  ilalu  r  kriu  ahsolid  sir/u  rrr, 
wenn  auch  auf  diese  wenigen  Fälle  kein  L'ro^ses  Gewicht  gelegt  werdeu 
will.  Feruer  ist  aus  den,  an  uichtgeiiD})[ten  Tieren  nach  der  lufectiou 
beol)Hchteten  Symptomeu  wohl  zu  ersehen,  dass  zu  dieser  lufectiou, 
im  Aliuemeinen,  Milzbrandinaterial  verwendet  wurde,  doch  die  Beob- 
achtuiij,'en.  dass  di*'  Rinder  nicht  einmal  alle  davon  erkrankten  uud 
gauz  ausnahmsweise  daran  starben,  ferner  dass  ^besouders  in  Buda- 
pests die  nichtgeimpfteu  Schafe  nach  der  lufectiou  sehr  laugsam  ab- 
starben und  bei  der  Obductiou  keine  hinliinglich  charakteristischen 
Milzbraud-Symptome  aufwiesen,  scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass  das 
zur  Control-Iufectiou  verwendete  Matei  ial  von  etwa^  milderer  Wirkung 
ist.  ulh  das  natiirliche  Milzbrand-Contat;iiim.  ])ie  Wirksamkeit  der 
Scbutziiüpfunsien  auch  gegen  da<  letztere  wird  sich  erst  aus  dem  weite- 
ren Verlaufe  der  letzten  Kapuvärer  Versuche  beurthoileii  lassen  ;  ea 
werden  nämlich  dort2Ö1  geimpfte  und  iiil  ungeimpfte  Schafe  auf  be- 
khunten  Milzbraudweiden  «^ehalteu  ;  inzwischen  hat  aber  mit  einge- 
treleuera  Winter  der  natürliche  Milzbrand  sozusagen  gauz  aufgehört 
oud  wird  erst  in  der  warmen  Jahreszeit  wieder  solche  Dimensionen 
aunehmeu,  um  seine  Wirkung  au  jenen  zwei  Tiergruppeu  beurteilen 
za  können.  Bis  dahin  kann  die  Schutzkraft  dieser  Impfungen  gegen  den 
natürlichen  Milzbrand  nicht  für  beniesen  betrachtet  uerden. 

Es  ist  daher  zu  verlangen,  dass  die  Schutzimpfungen  keine  Tiere 
an  Milzbrand  oder  Blutvergiftung  tödteu  uud  dtiss  sie  den  tödtlichen 
Ausgang  anderer  Krankheit(  n  nicht  besckleunigen ;  andererseits  fordern 
wir,  da8s  uns  ihre  Wirkaarnkt  it  gegen  den  natürlichen  Milzbrand  auf 
ebe  jeden  Zweifel  ausschliessende  Weise  bewiesen  werde. 

Die  öffentliche  Gef^undheitsptiege  kauu  eich  aber  angeeichts  dieser 
Impfungen  noch  einiger  Bedenken  nicht  erwehren.  Dasjenige,  dass  die 
8chatzkraft  der  Impfungen  vielleicht  nur  auf  eine  gewisse  Zeit  sich 
erstreckt,  verdient  weniger  Beachtung ;  denn  gelingt  es  nur  einmal, 
die  übrigen  Schwierigkeiten  zu  beseitigen,  so  werdeu  sich  die  Schutz- 
Impfungen  eo  leicht  und  auch  genug  wohlfeil  ausführen  lassen,  um 
nötigeufalls  jährlich  wiederholt  zu  werden.  Wichtiger  ist  die  Befürch- 
tung, dass  mit  Milch  und  Fleisch  geimpfter  Tiere  der  Milzbrand  auf  den 

5  15  7  41 

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100 


KURZE  SITZUKOSBBRIOfiTE. 


Memchen  uhertratfen  irenlcn  könnt' .  vor  der  Vorallgeiueinerunf?  tler  Im- 
pfuiifron  wird  jerlenfalls  mich  die  Frage  zu  klaren  seiu,  biDueu  wie  viel 
Zeit  uacli  der  luiptuiig  Milch  und  Fleisch  der  Tiere  ohne  Bchaflen 
genoi^seii  werden  kann.  Zieht  mau  l'eruer  iu  Betracht,  dasH  in  <len 
Impfj-toflV'ii  Milzbraudpilze  —  wenn  auch  im  geschwächten  Zustautle, 
aber  in  ungeheurer  Menge  —  enthalten  siml,  und  dass  diese  Pilze  im 
Körper  der  geimpften  Tiere  eine  weitere  riesige  Vermehrung  erleiden, 
80  ergibt  f^ich,  dass  durch  allgemeine  Impfungen  kolossale  Massen  die- 
ser Pilzt-  im  ganzen  Lande  zerstreut  werden .  Da  nnii  die  geimpften 
Tiere  auch  dann  fallen  werden,  und  es  niciit  HU^gfsclilusso  n  ist,  da*^s 
die  ans  den  Kadavern  freigewordenen  Pilze  ihre  ursi)rungliclie  Virulenz 
auf  irgend  eine  Weise  wieder  erhingen,  so  steht  die  Ansteckung  der 
Menschen  auf  diesem  Umwege  um  so  mehr  zu  befürchten,  als  die 
Sorglosigkeit,  mit  der  man  schon  jetzt  seihst  Milzl)rand-Kadaver  behau- 
delt,  danu  durch  den  Glauben  an  die  Allmacht  der  Schutzimpfungen, 
so  weit  möglich,  noch  zunehmen  wird. 

AU  das  erwogen,  pflichtet  Br.  Bözsahegyi  dem  Gutachten  der 
Commissi  on  vollkommen  bei,  wonach  es  verfrüht  wäre,  du  Pasteur'whe 
Methode  in  de»-  hier  demonstrirten  Form  und  sofort  zu  veralbjeni einem,  am 
wenigsten  ist  es  aber  zu  empfehlen,  dass  sie  unter  dem  Schutze  der 
Staatsgewalt  verbreitet  werde ;  und  insofern  aus  ilir  andere  sanitäre 
Schäden  erwachsen  könnten,  wäre  Privaten  die  Schutzimpfung  nur 
dann  zu  gestatten,  wenn  sie  sie  durch  eioen  staatlichen  Sachverstän- 
digen ausfuhren  lassen.  Der  Commission  stand  es  fern,  die  Pastenr'sche 
Methode  endgiltig  zu  verurteilen ;  obechon  auch  von  der  sanitats- 
polizeilichen  Begelung  des  Verfahrens  mit  milzbrandigen  Tieren  und 
deren  Leichen  sehr  grosse  Erfolge  um  die  Einschränkung  der  Seuche 
zu  erwarten  sind,  bliebe  den  Schutzimpfungen  ihr  allgemeiner  Wert 
auch  dann  noch  gewahrt,  insbesondere  für  Zeiten,  wo  der  Milzbrand 
epizootisch  auftritt.  Und  eben  die  Pastenr'sche  Methode  vermag  auch 
jetzt  schon  so  bedeutende  Erfolge  aufzuweisen,  dass  die  Hoffnung,  sie 
werde  sich  bis  zu  dem  gewünschten  Grade  vervollkommnen  lassen, 
berechtigt  ist.  Deshalb  hat  die  Commission  beantragt,  das  Ministerium 
möge  bezüglich  der  Darstellung  der  Impfstoffe,  der  Yerbessening  des 
Verfahrens  und  der  Lösung  der  Nebenfragen  weitere  Versuche  ansteUen 
lassen,  zu  deren  Ausführung  sie  sich  erbötig  gemacht  hat. 

Es  steht  zu  hoffen,  dass  das  Ministerium  diese  Versuche  anstellen 
l&sst,  um  so  mehr,  als  es  von  Seite  der  interessirten  Oeoonomeu  gewiss 
auch  auf  eine  materielle  Unterstützung  rechnen  darf;  es  steht  zu  hoffen, 
dass  das  Impfverfahren  in  einer  Form  festgestellt  und  in  einer  Weise 
organisirt  werden  kano,  welche  den  Ansprüchen  der  Landwirtschaft, 


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KüßZI.  SlTZLNÜÖBEßlCilTE. 

w^nii  anoh  nicht  sofort,  dafür  aber  mit  um  so  sichererem  Erfolg  uud 
ohne  anderweitige  eanit&re  Gefahren  entspricht. 

Als  dritter  Vortragender  bespricht  Prof.  Dr.  Aubel  Töbök  seine 
Dolmm-B^/unde  in  Allster.  Die  Dolmen  sind  die  Begräbnissplätze  ans 
der  neuesten  Steinzeitperiode.  Die  afrikanischen  Dolmen  sind  hatipt- 
sächlich  deswegen  sehr  intere^^sant.  weil  der  Schädelfypns  der  dort  be- 
grabenen Menschen  derselbe  ist,  wie  der  Scluideltypus  der  enroptiischen 
Dohnra,  weswegen  die  Gelehrten  der  Ansicht  beipflichten,  dass  die 
europäischen  nnd  afrikanischen  Dolmen  eine  und  dieselbe  Menschen- 
race  gebaut  hat.  —  Professor  Tdrök  demonstrirt  an  den  von  ihm  in 
diesem  Frühjahre  in  Boknia  (an  der  Grenze  von  Tunis)  ausgegrabenen 
Knochen  die  Identität  der  afrikanischen  und  europäischen  Dolmenrace. 
Die  Schädel  zeigen  den  langköpfigen  (doliohokephalen)  Typus,  wie 
dieser  aus  der  europäischen  Dolmen- Epoche  bekannt  ist.  Interessant 
ist  an  einem  Oberarmknochen  in  der  Ellbogengmbe  ein  grosses  Loch, 
welches  nur  bei  Affen  gewöhnlich  ist  und  deswegen -für  den  Menschen» 
^Qs  als  ein  Affen-Charakter  zu  bezeichnen  ist.  Der  Oberschenkel- 
Knochen  zeigt  eine  sehr  starke  Muskelleiste  (femur  k  oolonne).  Das 
Schienbein  bat  eine  säbelförmige  Abplattung  (Platyknemie),  wie  sie 
heutzutage  nur  bei  wilden  Völkern  vorkommt.  Am  interessantesten 
nnd  am  merkwürdigsten  ist  ein  Unterkiefer  (der  einem  jugendlichen  weib- 
fichen  Individuum  angehörte).  An  diesem  Unterkiefer  stehen  die  zwei 
Kektähne  so  stark  hervor,  wie  dies  beim  Menschen  äusserst  selten  und 
nur  bei  Tieren  vorzukommen  pflegt.  Aber  nicht  nur  deswegen  ist  die- 
ser Zahn  so  interessant,  sondern  auch  deswegen,  dass  er  zwei  Wurzeln 
zeigt.  Diese  Erscheinung  ist  sowohl  beim  Menschen,  als  auch  bei  den 
Affen  sehr  selten.  Professor  Török  demonstritt  ausserdem  noch  die  in 
den  afrikanischen  Dolmen  gefundenen  Töpfe  uud  ein  Brouze-Bracelet. 

—  Die  archäologisch -anthropologische  Gesellschaft  hielt  am 

20.  November  unter  Vorsitz  Fkanz  Pulszky's  eine  iuteret-saiite  Sitzung, 
Iii  welcher  zunächst  über  die  äusserst  werthvt.lleu  Sa<itjh>nker  linvie 
Bericht  erstattet  wurde.  Dem  betreffenden  Bericht«  des  Herrn  Hatiiusi 
entnehmen  wir  folfjenJe  Daten  : 

Nagylo<')k  ist  ein  unweit  der  lionau  Ljt'lf,i:''nc,s,  dem  Grafen  Johann 
N.  Zichy  gelioriges  Dorf  im  Stuhlweissenburgtr  Comitat  ;  in  d^r  Nähe 
ü^-s»'lbeu  wurden  im  vorigen  Jahre  antike  Miihlsteiue.  später  Stein- 
Fragmente  mit  römischen  Inschriften  und  in  der  Niilie  auch  etliche 
Asclienkrtige  gefunden.  In  Folge  dessen  ordnete  Graf  Zichy  systema- 
tische Ausgrabungen  an,  welche  am  V.).—-l-l.  September  v.  J.  mit 
ttberrascheudeu  üesultateu  bewerkstelligt  wurden.  Auf  einem  67  Meter 


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102 


KURZE  älTZL  NGSBEKlCUTE. 


langen  xuid  03  Meter  l<reiten  Terrain  fand  man  1 30  Grabstellen  mit 
200  mehr  minder  gut  orbolteuen  Vrnen,  Krügen,  Schalen,  Tellern  und 
Schüsseln.  Die  A«chennroen  standen  in  regelmilssiger  Anordnung 
neben<^inander,  viele  waren  auch  mit  Deckeln  versehen,  in  vielen  fand 
man  auch  kleint^re,  ebenfalls  mit  Asche  und  Knoohenresten  gefüllte  Krüge 
oder  Töpfe  oder  doch  wenigstens  die  Scherben  von  solchen.  Nur  wenige 
Gefässe  sind  vollstiindig  erhalten,  da  sie  von  dem  Pfluge,  der  in  den 
letzten  Jahren  über  die  Fläche  hinwegging,  zerBcbmettert  worden 
waren.  Die  wenigen  Bronze-Gegenstände,  die  huj  dieser  Grabstätte 
gefunden  wnrden,  sind  von  primitiver  Arbeit.  Femer  fand  sich  als  ein- 
ziger Steingegenstand  ein  Steinpfeil  vor.  Drei  Gruppen,  auf  die  man 
in  der  Nähe  stiess,  scheinen  mit  den  Urnen  in  keinem  Zusammenhange 
zu  Htehen.  Auch  die  ThongefiLsse  sind  sehr  primitiver  Art  und  be- 
schränkt sich  die  decorative  Ausschmückung  derselben  auf  die  einfach- 
sten geometrischen  Figuren.  Vortragender  glaubt,  das«  der  Fund  ans 
prähistorischer  Zeit  und  zwar  aus  den  Anfängen  der  Bronzezeit  stamme. 
Hochinteressant  ist  ebenfalls  daselbst  das  Grab  eines  Barbarenhäupt- 
lings. Man  fand  da  Pferdeknochen  mit  den  Bronze-Bestandteilen  des 
Geschirres  und  die  Eisen-  und  Bronzereste  eines  zweiräderigen  Wagens. 
Der  aus  Buchenholz  gebaute  Wagen  war  durchwegs  mit  Bronzeplatten 
beschlagen,  die  Badfelgen  Rind  schmal  und  dick  und  kleiner  als  die 
gegenwärtig  im  Gebrauch  befindlichen.  Ein  eiserner  zusammenleg- 
barer Stuhl  lag  in  der  Nähe.  Es  scheint  dies,  wie  erwähnt,  das  Grab 
eines  barbarischen  Huuptliugs  gewesen  zu  sein,  dem  man  seine  Lieb- 
hug^gegenstände  mit  ins  Grab  ^ab,  der  jedoch  mit  den  Römern  in  Ver- 
kehr gestanden  haben  dürfte,  denn  die  kunstvollen  Wsgenbestaudteile 
und  dessen  priichtigo  AnsHchuiucknng  sind  offenbar  römischer  Prove- 
nit'iiz.  Der  Vortrag  gewaiin  an  Interesse  dadurch,  dii^s:  die  meisten  der 
Fnndgegenstiindo  litbcn  dt-in  Tiscli  des  Vortragenden  anfgcitellt  ^V|l^etl 
und  dass  die  Pliotoyraphieii  der  iil)riL,'en  Gegenstände  in  dem  zahl- 
reichen Audit(trinm  von  Hand  vu  Haud  gin^'on. 

Der  Vor>itztnde  dankt  vor  Allem  im  Nanjen  der  ( lesellschaft  dem 
Grafen  Zichy,  der  die  Ansgrai  ungen  angeordnet,  und  dem  Donilurru 
Dr.  König,  dt  r  dif^sell'on  «.^eleitet,  constatirt  die  Wichtigkeit  des  Funde<, 
beponders  des  GralH-;  dt  s  mit  Ross  nnd  Waiden  IcLrrabenen  Barl-aren- 
Hauptlings,  wclchi  s  in  nnserem  Vatcrlantle  ein  Fnikum  ist,  und  l>e- 
merkt  zum  Scllln^^.  dass  der  Grabfund  nicht  hu>^  di-n  Anfiingeu,  son- 
dern aus  einer  ^pal^-rfii  Periode  der  Bronzezeit  li<  rstammen  dürfte. 

])r.  Ai  HKL  T(»K<>K  erstattet  hieratif  Bericht  über  die  heurige  in 
Kegensburu'  .'-tattgelundeue  XII.  Versammlung  der  deutschen  Archäo- 
logen und  Anthropologen,  auf*  welchem  Anlass  er  eine  längere  Dar- 


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I 

VEUMISCHXf  S. 


103 


i-telliing  nnserer  Keiihtnisse  liber  ^\*■n  M^nselien  der  TortiiirjH-ri'nle 
liefert.  Vortraj^'t-ntlcr  seilst  liieit  iu  Kegeubburg  eiae  Vorlesmig  über 
die  Aiif;ei]h('lileu  der  PriuiMteu. 

Zniii  Schhisse  erklärt  iler  Vors^itzciule  den  obenfulls  uut^gestellten 
Onoder  Kircheuschatz,  der  sich  gegenwärtig  im  Besitze  des  Graten 
Enianuel  Andräss-y  befindtt.  Es  sind  dies  ein  von  Georg  Kiikt  czi  ge- 
spendeter Goldhiinipen  und  mehrere  Pokale  verschiedener  Proveoienz, 
zumeist  aas  dem  XVII.  Juluhundert. 


VERMISCHTES. 

—  Zur  mic«rUob«n  Sohnlstatistlk.  Der  zehnte  iiericht  de»  Unter- 

riclitsniinisters  über  den  Sfttnd  tlts  unrjur'tHclwn  ScluiUn  srnn  hi  >Jrv  Jahmi 
Ji7U  und  iSbO  ist  rtlM  iuüilv  «  in  sturkt  r  (^»uartbund  von  712  Seit»  n.  itieh 
an  interessanten  inul  untheiitisclun  Daten  über  die  Entwickclun^j  und  den 
gfi:«  n'.v ;irtit:en  Stund  der  Volks-  inul  Mittidscbulen,  der  Hocbsclmlen  un«l 
aiidt  i  u » iti'j'en  wisscnscliiiltliclK-n  Institute  l'ngarns.  Der  voriitgeude  l'unJ 
ist  uju  so  lehrreicher,  da  seit  der  Schöpfung  des  ungarischen  Volk86chtil«> 
GesetEes  eben  &n  Jahrzehnt  abgelaufen  ist  und  daher  ein  Vergleidi  der 
Verbältnisse  von  1869  und  1879  Gelegenheit  bietet  znr  eingehenderen 
üntersucbnng  der  Frage :  was  die  nngarisehe  Volkssehnle  im  ersten  Decen- 
ninm  ihrer  legalen  Entwickelnng  an  äusserem  Terraui  und  innerer  Beden- 
tang  gewonnen  hat  Indem  wir  uns  vorbehalten,  diese  Frage  demnächst 
eingehender  za  behandeln,  fassen  wir  im  Folgenden  blos  die  wesenthchsten 
Besnltate  der  uns  vorliegenden  Darstellung  in  möglichster  Kflrze  zusammen. 

I>ie  Zalil  der  Gttiiti ndai  Ungarns  betrug  im  Jahre  1N6?>:  li'.riHi.  im 
Jalire  1880:  H,8I4,  also  um  t?")<i  luelir  :  die  Znbl  der  (iemeinden,  welclio 
Volkfiscliulen  erliielten,  in  deii'-t  llitn  Talnen  10,187  und  lO.H'il.  was  einen 
Zuwachs  von  1-77  scbulerlniltenilen  ( ienu  imien  eri,'ibt.  Ini.Iiihie  18ülMmter- 
hielteu  779  Gemeinden  in  üemeiusfi.ait  mit  emer  amleren  Gememde  eine 
Volksschule ;  im  Jahre  1880  ist  die  Zaiil  dieser  Schulen  nm  1097  gewach- 
sm,  denn  sie  beträgt  hente  1876  Gemeinden.  Im  Jahre  1869  hatten  1598 
Gemeinden  keine  Schule;  im  Jahre  1880  entbehrten  nur  mehr  274  Oe> 
meinden  der  Volkssdiule,  was  den  gewaltigen  Zuwachs  von  1324  (chnl- 
erhaltenden  6«neinden  ergibt. 

Die  Zalil  der  Volkstehulcn  betrug  im  .Talne  1869  13.79S  im  .Talire 
1880  bereits  15,834r4  also  um  ^020  Schulen  mehr.  Noch  bedent^-nder  ist  der 
Zuwachs  an  Schiüzitnmem :  l*i,899  gegen  :J  1,838,  also  ein  Plus  von  il>.'!9 
Febmiumen.  Ebenso  imposant  i<t  der  Zuwachs  an  Fehrkräften :  17,792 
gegen  ^l.BGi.  also  eine  Vemiebnnsi:  inn  .387-2  Felirer  und  Feln*erinen. 

Auf  die  Hrhalfnntj  (irr  ^ir/iiiltn    wurden   im  .Tulne  im  Ganzen 

3.7*W>.123  rt.  verwendet,  eine  Sujnme,  welclie  öVa  "/o  der  directen  8taats- 
eteuer  (57.873,935  d.)  entspricht ;  —  im  .Jahre  1880  betnig  diese  Smnme 
lü.057,149  fl.,  d.  h.  in  demselben  Verhältnisse  13*/s*/o  der  directen  Staats- 


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104 


VBRMI80HTE8. 


Steuer  (78.^)08,575  fl.) ;  es  ist  also  auch  hier  ein  Fortschritt  von  6.297,026  fL 
EU  Teneidmen. 

Ebenso  bat  die  Zalü  der  sobulbesuclienden  SchulpfiickHgen  im  Laufe 
dieses  ]>eeenniuxfi8  um  4ffIJN7  sugenoiumen,  ein  Erfolg,  der  um  so  höher 
anzuschlagen  ist,  da  die  Zahl  der  Schulpflichtigen  selbst  um  187,251  ab- 

genoninien  hat. 

Im  Zusammenhange  mit  den  jtin<:>t  verOffeutlichkn  Besultaten  der 

Volk^izalilung  —  welche  wir  im  niiclisten  Hefte  dieser  Tietne  vollstaiitlijsf 
veröftVntliclieii  werden,  —  dürften  besonders  die  folgenden  Ihiten  tles  Jalires 
1880  (in  Klaiiinit  rn  der  Znwaclis  oder  die  Abnahme  gegen  das  Vorjahr  1679) 
von  allgt-nieiiiereni  Iiitcresst-  sein  : 

V(Mi  den  1.0in.<]92  Kimleni.  welche  im  Jahre  1880  die  Volksschule 
bfcbuchten,  waren  ilirer  Confvasion  nach : 
Böm.- Katholiken  


GTiech.-Katho]i]cen  .. 
Griecb.>0rientali8che 

Befocmirte  H.  B  

Evangelische  A.  B.  .. 
Unitarier   


849,504  (—  13,304) 

130,560  (—  3,074) 

173,098  (+  3,370) 

236,435  2,352) 

154,958  (—  1,791) 

6,706  (-f  75) 

r>8,3f»2  (—  7,0351 


Israeliten     

Von  denselben  1.619,692  Kindern  waren  ihrer  Nationalität  nach: 

Un^ani   787.587  i  —  7328) 

]>.'ntsche   i><J7.282  (—4281) 

Humanen    20t,953  (—4231) 

Slovaken   253,942  I—  962l 

Serlii  u    «   36,850  i-f-  140) 

Croaton    25,836  i—  1J40| 

Rutheueu    43,242  (—2349) 

Von  den  15,824  VolksHchulen  des  Jahres  1880  war  die  Unterricht»- 
»prache  die 

ungarische  . .  »   in  7342  (-)-  14*))  Schulen 


15) 

2) 
78i 


deutsehe   *  867    (—  86) 

rumlinisohe    »  2756   {—  92) 

sloTaJdsche    »  1716  (—  121) 

serbische    »  245  (— 

croatische    >•  68 

ruthenische                    ......  *  393   ( — 

nn^ariseh -deutsche    »•  910 

runiiinisch-ungarisohc    »  301- 

slovakisch  inif^arische  ...      ...  -  597 

perbisch-migarische    >■  52  46G) 

croiitisch-tuigarisehe    *  79 

rutheuisch-ungarische  .  ...  ..  »  246 

andere  ewei  Spradien  ~.  ..  »  4b 

drei  Sprachen    •  102   (—  12» 


* 

9 


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▼EBMISCnTES. 


105 


VüU  den  IS.SSi  Volksachulcu  des  Jahres  INSO  waren: 

Stmitssclmleii  »   ilHfi  i+  I(>'.)i 

Gcaicindc schulen  ...    1669  (+  131) 

ConfesÄionell   ~.  I3,7M  i-^  4&) 

PriTatscbnleii   167  (—  71) 

Gegenwärtig  entbehren  S74  Gemeinden  Jeder  Schule;  m  1876  Oe> 
meinden  fehlt  ee  zwar  aneh  an  Tolksschulen,  doch  besuchen  die  Schulpflicht 
Ügfü  Emder  dieser  Gemeinden  die  Volksschule  des  nächsten  —  suwwlen 
allerdings  sehr  entfernten  —  Nachbarortes.  Im  Ganzen  sind  also  2150  Ge- 
ineinden ohne  oinene  Schule.  Es  ist  nun  ebenso  interessant  als  dankenswert, 
dsss  der  vorliegende  Bericht  diese  Gemeiuden,  die  Zahl  ihrer  Einwohner 
und  iliror  schulpflichtigen  Kinder,  endlich  die  Entfeniung  der  njichs(t{.'t  l('«,'e- 
nen  Volksschule  in  ühersichtliclu  n  T!i])ellcn,  nach  den  oiiizeliicn  Coniituten 
pe.'niiU't ,  vollstäiulif;  aufzählt.  Hier  fände  die  öflentliclu'  Woliltüf i'_rkeit 
LTo.s.>^e-  und  ttnchtbares  Fehl  für  eine  »^neri^isclie  und  fort^fst-t/ti-  \\  irk- 
saiukfit.  Wie  schlimm  es  um  einzelne  Comitate  steht,  mögen  nur  tiuige 
I'ateu  veranschauhchen.  Im 

Biharer   Comitat  sind  113  Gemeinden  ohne  Schule, 


Htmyader    •  •  177  •  #  • 

Neutraer   •  »  154  *  •  • 

S&roser   •  »  145  •  • 

Trencsiner    ■  »  133  •  >  » 

Eisenbuijger    •  ■  240  «.  »  > 

Zaker     •  247  •  »  n.  s.  w. 


Pas8  sofrar  (neben  dem  Eiseuburger !)  im  Pressburger  Comitat  97,  im 
Oedeuburger  Comitat  34,  im  Zipser  Comitat  45  Gemeinden  keine  Schule 
habt'ii.  mag  in  der  Tat  auffallend  genannt  werden. 

Die  hnhrrf  Vollssch ulr  ist  .<:tL'<  ii  du*-  Vorjahr  wedt-r  fortgi-sclintien 
noch  zuriickgegangeu,  dagegen  haben  lÜe  Bttrger schulen  um  7  zugenommen 
llÜl  gegen  Ü4). 

Dem  ersten  Abschnitte  sind  ausführliche  Uerichte  (auch  Lehrpliiue) 
der  Slädchen-  imd  Handelsschulen,  der  Gewerbeschulen,  der  Lehranstalten 
für  Hansindustrie,  der  Kleinkinder*Bewahranstalten,  endlich  ein  Ausweis 
ttfaer  den  Stand  des  Fensionsfondes  für  Volks-Sehullehrer  beigegeben. 

iHe  Zahl  der  unter  Au&icht  des  Staates  stehenden  Oymnanen  und 
ihrer  Schüler  nach  den  einzelnen  Schulberirken  betrug  im  Jahre  1879/bO 
^  ELunmem  die  Zu-  oder  Abnahme  der  Schüler  gegen  das  Vorjahr) : 


OynuiMieii 

SehOlcr 

1.  P.udilpester 

Besirk  

  10 

3655  (-^  N»)! 

3.  rre.s.'>burger 

  8 

1913  1+  55) 

H.  haaijer 

  15 

3461  (-+-  :{T) 

\.  Nfusohler 

7 

1G07  <•) 

•>.  Kasel  inner 

14 

3332  (  + 

6.  tirosiwardeiner  »   

  11 

27Ö2  l-H  21t 

7.  bzegediner 

• 

  10 

ä8-i6  (-f  22«! 

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I 

106 


?EBMI8CHTE8, 


OynoMlni  Sefaftlw 

8.  Siebenbürger    •      ...         12         «417  (—  38» 

(9.  Fiume  mit  150  Seliüldrn  ist  in  Oer 

Beoiganisation  begriffen)   

Summe    87~  ~2 1.073  (+  l'SüT 

Von  diesen  87  Gymnasien  sind  48  achtclassig,  10  secbBclassig,  29 
vierclussifr. 

Wir  la>iscii  liier  i^leich  die  Dateu  der  autonomen  üjiunasien  ioigeu. 
Ek  Kill)  im  .Tillire  1S79  M)  SchuKrn 

1.  F.vuugt  lische  Obergymnasien    14  mit     i211  i  tJSi 

ü.  Keformirte  »   IG    »       4920  ( — 57 1 

3»  Unitarische  -    1   •       f26  (—  4) 

4.  Griech.-orient.       »    ^.  ..     3  »       400  (-f  2| 

5.  ETang.-reform.  Gymnasien    1   t       175  7) 

6.  Evangelische  Gymnasien  (3— Massig)  ...  .„  ...   11  •       995  i —  8) 

7.  Befonnirte  •  •       '    14  •      1317  (-1-50) 

8.  Unitariscbe  »      (Sdassig) ...  ...    2  »       206  (?  i 

9.  Griech.-orient.       «      (4dassig)  ...   1   ■        81  3) 

Summe""    62  mit  12.531  i-  Gli 

iE»  mnsB  übrigens  bemerkt  werden,  dass  die  Daten  über  <Iit'  Zn-  iind 
.\l>iuilime  der  Schüler  iui  die-eii  Lehranstalteu  nicht  genan  sind«  da  ein- 
zeliit  ^Schnle!l  die  beti »  tfeiuli'  l.'nhrik  nicht  ausgefüllt  haVieii.i 

Es  pht  alsi)  .\llis  in  Allem  in  unse)«  iii  Vaterhuide  149  (lyninüsien 
(nnter  diesen  81  achtclassi^'t^i  mit  34,.504  Schulern.  Der  Znwacbö  gegen  das 
Vorjahr  helauft  sich  ungelahr  aut  50()  Schüler. 

I)ie  Zolil  der  ReaUchulen  betragt  26,  von  denen  19  achtelassige,  voll- 
ständige Lehranstalten  sind;  lu  sw.  nach  Schnlbezirken : 

Selialtn  Hehfllar 

1.  Bndapester  Besirk  8  2183  (— 172) 

2.  Kaaber  »  3  474  (~  21) 

3.  Pressbnrger  »  2  386  (—  16) 

4.  Nen.sohler  .  1  183  (—  25) 

5.  Kaschauer  •  2  263  \—  11) 

6.  Gross wardeincr    •  4  491  ( —  24| 

7.  Szegediner  »  i  798  i—  41) 

8.  Sieljeubürger  .  2  266  i—  23) 


Summe    26  5044  (-  333) 

1  U  r  Hesnch   «1er  MealNchulen   nimmt   lüso   von  Jahr  zu  Jahr  ah.  — 

eine  l'r.schuinmig.   die  früher  oder  später  zu  einer  Keorganisation  dieser 

Leiiiau^tult<^-u  lühren  niuss. 

Die  Terhältnisee  d«r  Beeht^ademien  sind  einfach,  aber  tramrig.  Es 

gab  im  Jahre  1880.  81 

1.  staatliche  Akademien    7  mit  526  (—  41)  Hörem 

2.  protestantische  Akademien   6  *    346  ( —  27)  »  

Snmme          ...  13  mit'872  (—  68)  Hörem 


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TEBUISCHTESi 


107 


Es  kommeu  al^o  im  Diircliscliiiitt  auf  eine  BecbtsakaJeiuie  uugeiolir 
67  WSser  nad  da  der  Cvan  vier  Jalu  güuge  mn&wt,  auf  je  einen  Jahrgang 
etwa  16  Höier  I  Da  mtus  man  doch  immer  wieder  Aragen«  wie  lange  diese 
Vergeudung  vaa  Geld  wid  Menschenkraft  noch  dauern  soll?  Bekanntlich 
hat  Untenrichtsmimster  IVefort  jüngst  im  Einansansfichnese  des  Abgeord- 
netenhauses anch  seihst  geäussert,  dass  er  die  weitere  Erhaltung  der  Kechts- 
Akademien  für  nninotivirt  hält,  ao  dass  wohl  schon  die  näcSiste  Znknnft 
•ine  ('nd'^Mltige  Entscheidung  dieser  Frage  bringen  dürfte. 

Die  Daten  über  die  Frequenz  der  Universitäten  und  des  Polytechni- 
Inuns  tragen  wir  im  nächsten  Hefte  nach. 

—  Ungarische  Akademie  der  WlssenBOhaften.  Dom  soelx'ii 
erscJjR  neuen  Alniunuch  der  Akadtiiiie  für  das  Juhr  1SS2  «utuehnien  wir 
die  folgenden  Daten.  Die  Akademie  zälilt  gegenwärtig 

Ehrenmitglieder  10  in  der  Hauptstadt,  10  in  der  Provinz,  zus.  20 

Ordentliche  Mitfflieder      40»  »         14*         >  »54 

Coxrespondirende  Mitgl.    91     •  •         61     »         »       »  152 

Answärtige  Mitglieder   «  101 

Zusammen   337 

Von  diesen  327  >rit;;lic'dern  entfallen  auf  die  erste  Ispradl-  und 
schön wi86en8chaftliche)  Claese:  5  Ehren-,  12  ordentliche,  35  correi^pondi- 
THide  und  27  auswärtige,  zusammen  97  Mitglieder:  —  auf  «lio  zweite 
«plaliiüopliiscli-liistoriscli-'itaat.sw'isscnschaftliche)  Cla8>;o  :  8  Ehren-,  i't  ordent- 
liche. 52  CM>rrt  s|u)iulirt  Ilde  und  -11  auswärtij^p.  /nsainnien  125  Miti,dieder :  — 
auf  die  dritte  (inutlu  niatiscli-natnrwissenschaftlichei  Cla^^se :  7  Kbren-, 
LS  ordentliche,  65  ci-rre.spoutlirende  und  33  auswärtige,  zu.sanjiuen  123  Mit- 
glieder. Gegenwärtig  sind  (im  Sinne  der  Statuten)  die  Stellen  von  4  Ehren- 
lind  6  ordentlichen  Mitgliedarn  unhesetst.  Die  Zahl  der  eorrespondirenden 
und  der  auswärtigen  Mitglieder  ist  nicht  heschränkt 

Von  den  101  auswärtigen  Mitgliedern  entfiillen  auf  die  österreichische 
Beicfashälfte  15,  auf  das  deutsche  Boich  27,  auf  Italien  7,  Belgien  1,  die 
Schweiz  4,  Frankreich  20,  England  II,  Dänemark  1,  Schweden  2,  Portugall  1, 
Finnland  4,  Bnssland  2,  die  Türkei  1,  Serbien  1,  Ostindien  2  und  Amerika  2. 

Im  Jahre  1881  hat  die  Akademie  20  Mitglieder  durch  den  Tod 
verloren. 

Das  \'enn<»<;en  der  Akademie  betrug  am  31.  Deceml)er  INSO  im  (Jan- 
sen l.S77,166  11.  4-6  kr.  T)ie  .T:i]ire<;uisL'al)en  belieff  ii  sioli  auf  157.3«>0  Ü.  ^S  kr. 

Für  die  wisscnseliultlit  lien  llditionen  des  Jahres  1.S82  hat  die  Akademie 
7o,636  fl.  präliminirt.  Ausser  den  laufenden  Werken  und  Zeitscliriften  sind 
ftr  dieses  Jahr  folgende  Werke  in  Aussicht  genommen:  Ueber  den  Ur> 
Bpnmg  der  Magyaren  von  Hebkamn  Vamb£bt  ;  Fümisch^ungarisdies  Wörtlar- 
hach  von  Jobbf  Bzimmyei;  die  ungarischen  Bindewörter  von  Sigm.  Simonyi; 
eine  Monographie  aber  den  altungarischen  Orftmmatiker  Albert  Szenen* 
Ifolnir  von  Stvam  SzilAgvi;  imgarische  Geschichte  im  Zeitalter  Josefs  II. 
▼on  Hbikr.  Mahczali;  Geschichte  der  Burg-Isp&nschaften  von  Fribdr. 


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108  VERMISCHTES. 


Pb8Tt;  tiDgariscbe  Wappenknnde  vou  B.  Ai^kst  Kyaby;  Oeschiohte  der 
xmgarischen  Indnstrie  und  des  Handels  von  Ovstav  Wenzbl;  die  Edition 
der  mathematischen  Schriften  Ten  Wolfo.  Bolyai  tu  s.  w. 

—  Dl«  Univ«raltlLt  Bvdap^et  Im  Stadie^ftlftM  1880.-81.  Die 

Zahl  der  Lehrkräfte  betrag: 


18S08I 

1860  ni 

1870  71 

Ordentliclie  riofes!?oren   

...  65 

51 

51 

A  u  s  s  e  r  ( >  n  I « 1 1 1  Ii  c  1 1  e  l'roiessoieu 

15 

Iii 

Priviitiloceiitcli                      ..  ... 

...  76 

6 

Suppleiiteu   

9 

3 

4 

As.sisteiitfn  

.  in 

9 

V.t 

bprachiehier  ...   

5 

3 

7 

Fechtmeister  

1 

1 

Zusammen   

197 

71 

137  Lehrkräfte. 

Die  Zahl  der  Hörer  betrug  im  ersten  Semester  des  Studienjahres; 

onUati. 

MinerordantL  tammmm 

Theologen   „.   

82 

2 

84  Hörer 

Jmisten   

13S-.> 

73 

14s:>  • 

Mediciner    ^  

609 

68 

877  » 

185 

185  • 

Ihilosüphen   

:)83 

83 

466  . 

ZusüinnuMi   

2sil 

iJ26 

3067  Hörer 

Im  bouimersemester  zahlte  die 

Universität: 

onlentl. 

»usaeroideoU. 

zuKunmcu 

Theologen  ...  ...  ...  „  

81 

3 

84  Hörer 

Juristen   

1315 

78 

1393  • 

777 

30 

807  • 

Apotheker   

181 

181  » 

Philosophen  

319 

85 

414  • 

Zusammen   

2684 

m 

3879  Hörer 

Au  äti|>eudien  genossen  in  diesem  Studienjahre : 

5  Theologea   1,9:«)  Gulden 

9ö  J^lri^!ton   18,750  » 

bO  Mediciner   1 1,?50 

75  I'liilosopheu    ...  15.()<M» 

Zusautnien  ;2i5  Hörer    49.UoO  liiiMen. 

Die  Gesuuimtküsteu  iler  Univer.^ität  belieteu  f.ieli  in  lUeäeiu  Studien- 
jahre auf  467,309  11.  Hievon  entfielen  auf  den  Uuiversitätsfoud  301,305  Ü.^ 
so  dass  der  Staat  einen  Zuschnss  von  365,901  fl.  m  leisten  hatte. 


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AUF  DER  MAROARETBN*IN8EL. 


AUF  DER  MARGARETEN-INSEL. 

Von  Paul  Qtulai. 

iVs  l'.aniiu-^  l.uub  im  Al»en<lrote  bebet, 

Xci^'t  fr«  umllich  iu  mein  l'crmter  sich,  umschwebet 

Bescliattoutl  midi,  nml  ransclit  mir  flii8t<;md  zu: 

Wi(-  ^'p)it  es  r>ir.  I>u  iunur  Knuikcr,  Du? 

Bin  wohhr  sclion,  «ler  Schmeiv.  wich  allgemach. 

Nick  manclmial  t  in,  und  träum",  obaohou  ich  wach*. 

Wie  schön  mag  wohl  tUe  Welt  jetzt  drausaen  sein: 

BlMihimmftl,  Oraa  nnd  tmiaend  Blümeleui, 

Des  Springbnum's  Strahl,  das  schatt'ge  Waldrevier,  — 

EalypBo's  Hain  ist  diese  Insel  hierl 

Ich  kann  8  nicht  seh'n,  doch  an  mein  Fenster  schlügt 

Das  Lehen  her,  das  drauasep  sieh  hew^t 

Die  Stimmen  hör'  ich  der  so  heit'ren  Menge, 

Die  kommt  und  geht  in  wechseludcm  Gedränge, 

So  Mann  wie  Weib»  tlas  hicht  ond  scherzt  voll  Lost  — 

Ihr  Froljsinn  hat  nicht  Kaum  in  meiner  Urust ; 

Wer  weis:«,  ob  er  midi  jemals  noch  besclilcicht, 

Noch  lieute  krank,  nnd  m«)rj:en  —  todt  viulieicht  .  .  • 

Es  tont  zu  mir  der  Nachtii,Mll(-u  Lud. 

Durchs  lli'izf  mir  fiii  sii^-;  Licdeiiken  zieht! 

Sehnsudit  erwacht,  und  lung^tverli)r'ne  Lieb", 

Ein  Duftrest,  der  auf  welkem  Blatt  verblieb  •  .  . 

Ich  hör*  die  Kinder  anf  den  Basenplatsen, 

Die  lärmend  sieh  am  frohen  Spiel  ergötzen. 

O  Kinder  mein«  als  Sure  Mutter  lebte, 

Ihr  klein  noch  wart,  »ie  sorgUoh  Enoh  omsdiwebte, 

Und  Ihr  noch  froh  gespielt  1  .  •  .  Die  Sonne  sinkt, 

Es  dunkelt  rings,  —  im  Aug*  die  Träne  blinkt. 

Doch  Windeshauch,  und  Bauschen  in  den  Bäumen, 

Des  Dampiers  Pfimchen,  und  der  Wochen  Schäumen, 

Dazwischen  eine«  fernen  Liedes  Schallen, 

Des  Zymbalton  s  {^[eljrochenes  Verhallen  — 

Sie  wieu'ou  wadien  Thinmer  mich  gdind. 

Wie  Amiueuäaug  das  träueureiche  Kind. 

Ladislaus  Neuocibaubb* 


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110 


IJNOARI80HE  BIBLIOGRAPHIE. 

ÜNGAKISCHE  BIBLIOGBAPHIE. ' 


Ahtl  «/.,  Egyetiineink  a  kozepkorhan  il)ie  uugarischeu  L'iüversitpäten 
im  Mittelaller  von  Eugen  Abel).  Budape-t,  1n>^1.  Akademie,  97  Ö. 

UelH-r  <leuselljeii  Gegenstand  schriel»  »lor  \'ertasser  auf  Qrand  seines 
uugarischeu  Werkte  in  dieser  «Revnie»,  6.  Heft,  S.  40«)  lY. 

Alt  Morir-,  Ifj.  lifketi  Ferencz  kalandjai  (Die  Abenteuer  Franz 
B^kesi's  des  Jüngeren,  Roman  Moriz  AIS  Ii.  Baron  Nikolaus  Jöiika), 
Budapest.  1882,  Atlienaeum.  f.  Aufl.,  8  Bde,  250  und  TAU  S. 

Dieser  PiDinan  zälilt  nicht  zu  den  j^opulfiron  Werki-u  dvs  l»esonder8 
dtu'cb  seme  zahlreichen  hiutohscheu  Komaue  auch  in  Deuts^chhiud  wohl- 
bekannten Verfassen;  wie  dies  echon  ans  dem  Umstände  geschlo-^seu  wer- 
den darf,  diiss  Jösika's  Romane  in  der  Regel  in  sechs,  siebtm  und  mehr 
Auflagen  Verbreitung  gefunden  halx'ii,  wälirend  das  vorliegend.-  Werk  r»Vr 
Decenuieu  iu  eiiuer  Auflage  durchvegetirte.  Der  Romau  hat  bei  seinem  Er- 
scheinen  wenig  Beifall  und  viel  Anfeindung  erfahren;  aber  was  ihm  bei 
seinr  i:;  I"intritte  in  die  Literatur  zum  Nachteile  gereichte,  das  verleiht 
ihm  heute  «  rlKditen  Wert :  «Die  Abenteuer  Uekesi  s«  i^:t  nanilich  ein  liuni«»- 
ri<tisch-satin!»cheä  Bild  der  gesellschattlicheu  Zustiiude  Ungarns  iu  den 
TiMTziger  Jahren«  mid  zwar  ein  ebenso  interessantes  und  vielseitiges,  als 
im  Grossen  und  Ganzen  treues  Bild  >•  iiu  r  Zeit.  Allerdings  stammen  aus 
dieser  Tendenz  d<'«  R(»mans  viel  fad  i<-  .Mang<  l  der  Charakteristik  und  der 
Compusition :  er.stere  ist  zuweilen  karrikirend  oder  doch  einseitig,  letztere 
locker;  seinem  Muster,  den  tPikwikem»  des  genialen  Engländers,  steht  das 
Werk  durchaus  nach.  Aber  diese  Mängel  werden  /.um  guten  Teil  aufge- 
wogen durch  den  cnlturgeschiehtlichf-n  Gclialt  des  Zf  itl)ildes  und  die  an- 
ziehende Darstellimg  des  berühmten  Romanciers,  so  dusi»  der  Roman  heute 
wohl  grösseren  Beifall  tmd  mehr  Leser  finden  dürfte  als  vor  vierzig  Jaübren, 
da  er  den  Zeitgenossen  einen  Spiegel  vorhielt,  der  denselben  nichts  weniger 
als  schmeichelte. 

Anliatoloffiui  Krtcsitö  (Arcliueologischei  Anzeiger.  Im  Auftrage  der 
ungarischen  Akademie  herausgegeben  von  Karl  Pvhxky),  Neue  Folge, 
L  Bd..  1.  Heft.  lin.lapcst,  ISSl,  Akademie,  Lex.  8",  XXXI  iiud  20<)  S. 

Ziii,deich  Organ  der  archaeologischeu  Commission  der  Ungar.  Akademie 
mid  der  authropulogischeu  Gesellschail. 

Inhalt:  Frans  Pulszlrir,  Ssegediuer  Funde  (mit  2  Tabellen).  —  Otto 
Hennann,  Die  antike  Tettix  imd  ihre  Verwandten  •  mit  1  Tabi  Ue).  —  Ludw. 
Thallöczy,  Das  Wap})en  und  die  Fahne  von  liosiiien  iniit  i!  Ilhistrationen). 
—  Karl  l'ulszky,  Raphael  Sauti  iu  der  ungarischen  Landet>gailerie  «mit 
2  Fhototypien  und  6  Illustrationen).  —  Josef  Dankö,  DttMrs  «Schmerzens- 
manu'  imit  1  Tabelle  und  3  Illustrationen).  —  Karl  Pulszkj,  Eine  Dtirer'sche 
Handzeichnnng  in  der  T.andesgalleri«^  luiit  "1  Illustrationen).  —  A.  Vegh, 
Ansiedelung  aus  der  \  ö  kerwanderungszeit.  —  1  rauz  l'ulszky,  (ioldfuud 
in  Somogy  (mit  1  Tabelle).  —  Jos.  Hampel,  Römische  Grttber  in  Panno* 
nien  (mit  ^  Thototypien  und  6  Ilhistrationen i.  —  Franz  Pulszky,  Unga- 
rische orfevrt-rif  obii^onm'  nnit  o  Tabellen  und  2  Illu-trationeu).  —  -los. 
llampel,  Grabungen  in  Sziiägy-Nagjl'alu  imit       Illustrationen),  —  liela 

•  Mit  Ans>chlus»  der  SchidlMu-lier,  Erbauuu;,'ss>  luitt''u  und  Ueborsft.'.nu^eu 
aus  fremden  Sprachen,  dagegen  mit  HerücksirhtiKr.iij.'  d.  r  in  fremden  Spraolien 
erschieneueu,  auf  Ungarn  bezüglicli«  u  Sc-hrifteu.  —  Die  mit  einem  '  bezeiohueteo 
Schriften  werden  wir  ausführlicher  besjjricheu. 


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UNGARISCHE  BIBLIOOBAPHIE 


III 


UajUth,  Stef.  Voncha's  zwei  Siegel  imit  2  Illustrationen >.  —  tTo«.  Hampel, 
Xene  Erwerbim«^en  des  National- Museums  iiuit  l  Tabellen i.  —  L.  Thal- 
16ezj,  Ungarische  Wappen   (mit  3  Tabellen'.       An>l:iiHl.  —  Vennisclitea. 

Bartalu»  ^  feliudosok  «Die  Ualbgeielirteu,  hiimoristiscber  Koman 
Ton  Stefifm  Bartalus).  Budapest,  1882,  R^yai,  S74  8. 

Ein  bumorißtischer  Roman  mit  wonig  Humor  und  ohne  grosses  Er- 
zaiilertalent.  Der  Verfasser  beschiiftiirf  sich  besonders  mit  den  scliriftstelle- 
ri^dieu  und  kUustiehscheu  (besonders  musikuiischeu)  Zustunden  der  beutigen 
Gesellschaft,  ohne  seine  Ansehatinn^n  in  lebendigen  Charakteren  oder 
abgeschlossenen  Begebenheiten  gestalten  zu  können. 

Jirrh  DioTtj/s,  Dir  AusyahcH- Ii iickcrst iittung.  Der  sieberste  Förderer 
der  Baarzalilung.  Budapest,  1S81,  lettey.  47  S. 

BehticM  O.^  Ä  taahadttig  ortmiffa  (Das  I^and  der  Freiheit.  Bilder  ans 
dem  socialen  T  eben  Englands  von  OnstoT  Beksics).  Budapest,  1881,  Aigner, 
S3!  S.  mit  2  lllustratii>nen. 

Dohm  jfv.,  .4  ienyea  j'ormaiHiuja  (Die  Formalität  des  Wesens  von 
Karl  Bobm).  Budapest«  1881,  Akademie,  ßS  S. 

Knznr  K.,  .1  i(e»n»i.  Ji'i  ruht m iv  htf  (Das  Nichts,  wenn  es  Etwas 
geworden.  Koman  von  Emil  Ka/^rj.  Budapest,  1881,  Aiguer,  193  b.  mit 
^  Illuatrationeu. 

Die  Geschichte  einer  Abentenrerin,  —  sie  ist  das  Nichts,  aus  dem 
Etwas  geworden,  —  die  das  Herz  und  die  Hund  eines  braven  Mannes 
gewiaut  uud  uuu  iu  der  Lage  würe,  mit  ibrer  Vergangenheit  zu  brechen. 
Aber  die  Missacbtunff,  die  sie  Ton  Seiten  einer  edlen  Frau  erleidet,  treibt 
sie  zur  Rache,  in  welcher  sie  das  Glück  der  (rehawsten  /u  zerstören  sucht. 
IMfs  gelingt  ihr  zwjir  nicht,  doch  trübt  >;ic  den  hauslichen  I'rieden  guter 
Menschen  uud  wird  scbliessbcb  zum  Morile  des  eigeueu  Gatten  gedräugt. 
Als  das  Maass  ibrer  Taten  voll  ist,  sturbt  sie  eines  gewaltsamen  Todes. 
Eine  anziehende,  nur  « t  .  as  :ill/u  gewaltsam  und  ohne  die  nötige  Klarheit 
ziua  Abschluss  <^'.  brachte  ( iescliichte.  in  welcher  sich  der  Verfasser  neuer- 
diugs  aU  talentvoller  Erzähler  erweist. 

Kitti  Az  idegrendazer  wmely  renäez  ir'e  hetege»  müködeterol 
iUeber  einige  regelmässige  imd  krankhafte  Ki  ^(  h<  iuungen  des  Nerven- 
ükTstems.  Vortrag  \-un  Karl  K^tli).  Budapest,  1681,  Naturw.  Gesellschaft 
;Fr.  Kilian;.  24  S. 

Medveezky  Fr.,  A  nemzeihnzi  jog  elmelete  Kant  szerint  (Das  iuter» 
it;  >r.ale  I^echt  im  Sünie  der  Kant'scben  Philosophie  von  Fr.  v.  Medveczky). 

Budapest.  18S],  Ak  idemie.  36  S. 

"M  -numcnta  comitialia  regni  Tramtnßvaniaey  im  Auftrage  der  unga- 
risch eu  Akademie  herausgegeben  von  .\le\auder  SziUgyi,  VII.  l^and,  1614 
bis  1621.  Budapest,  1881,  Akademie,  3^7  S. 

'Myskovszky  V.,  A  rcnaisaance  kezdete  «Die  Auftinge  uud  die  Ent- 
«iekeltinsr  der  Renaissance  mit  besonderer  BOeksieht  auf  Ungarn  von  Victor 
M>>k  ,\  ,  kyi.  r.i.d  iiK  st.  1881,  Akademie,  54  S.  und  18  Illustranon.  n. 

J't'.'ir  J  .  !'"!,h'iih  })ii~>ija  es  linzije  (Ungarns  Getreidi-  uuil  Mt  Iii.  aus 
dem  Gesicbts])unkte  der  Wissenschaft,  der  Consumenten.  der  Müller  uud 
dsr  Prodncenten  von  Emerich  Pek4r).  Budapest,  1881,  ungarische  Staats- 
drocktn  i  iGriirs  Commiss.),  9S8  S.  und  t  Tabellen. 

Jiiij)oir/i  Ii.,  füft/t  feytifü  E(jyhiizti>rteu'  h  m  (All«;eraeine  Kirchenge- 
*diichte  von  liaymund  Rupoies.  IL  Baud.  Das  Mittelalter).  Erlau,  1881, 
Szolcs&nvi,  577  S. 

Si-henzl  Gttido^  Adalekok  a  magynr  kof  nähoz  (artnzö  orzzägok  fühl- 
iitinjnfsk,-<ji  v'szntiijahiak  iumtrcft  hrz  'Ik  itr.igt-  /nr  Keiuitm'ss  der  erd- 
la&güfctischeu  \  erhiJtnisse  in  den  Landern  der  ungarischen  Krone  von  Dr. 
Onido  Schenzli.  Budapestt,  1881,  Naturwiss.  Gesellschaft  [Fr.  Kilian],  4^ 
339  S.  imd  «  Karte  n. 

Dieser  mächtige  Quartbaud  entbült  die  ilber  eiue  Reibe  von  1 6  Jabreu 


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112 


VK0ARI8CUB  BIBLIOGRAPHIE. 


sieh  erstreckenden,  über  das  leranze  li^icb  der  Stefanskrone  ansg^edehnten 

iijiipuetischeu  UeobiU'jitunj^'cu,  welclie  der  Verlasser  in  den  Jahreu  bis 
1879  teils  Jillein.  ti  ils  in  lie*?leituug  <l<*r  den  astronoiuisclien  Ortsliestim- 
muiigeu  obliegcudeu  Herreu  l'rofessoreu  btelau  v.  Knisper,  Br.  Gustav 
Kondor  n.  Ä«  ausführte.  Es  war  im  Jahre  1879,  als  die  Kdnighch  nnga- 
risclie  naturwigsenschuftliclie  (iesellscliaft»  einen  Concurs  für  —  auf  die 
pliy-^ikalisclien  und  iiieteorologischeii  V'erliältnisse  des  Kciclies  bezü^liolie  — 
wiä&euächuitüclie  Arbeiten  aussclirieb.  lu  Folge  dieser  AuÜorderung  erbot 
jucb  der  Direotor  der  köoii^ch  uni^arischen  meteorologischen  Centralaxistalt, 
Dr,  Guido  Srliemd,  eine  Darstellung'  1er  erdiija<,nietiscLen  Verbältnisse  Un- 
garns zu  liekm.  insofern  dies  mit  Gninil  alterer,  liauptsuchlieli  jedoch 
eigeuer,  teils  .schon  ausgeführter,  teils  uoch  auszufühi'euder  Messungen 
möglich  sei.  Der  dirigirende  Aussehnss  der  genamiten  GefleUschofik  aooep* 
tirte  den  wiUkommenen  Autrag  mit  der  «^Mössten  BereitwiUigkeit  und  so 
kam  jene  in  ifrosseiu  Massstabe  an<;elef,'te  Arbeit  zu  Stande,  deren  Fnichte 
in  lieui  vorliegeudeu  Werke  uiedergeiegt  sin»!.  Au  .huudertsiebzebn  über 
der  Oberfläche  des  ganzen  Reiches  zerstreuten  Punkten  wurden  die  erd- 
iniHrnetischeu  Elemente :  Declination,  Inclination  und  Intensität  «,'emessen 
und  auf  (irund  d  eser  Messungen  die  altL-re.  auf  Messungen  Vdu  r>r.  Karl 
Kreil,  welche  dieser  iu  den  Jahreu  1847  57  ausliüirte,  beruhende  luagne* 
tische  Karte  Ungarns  reetificirt.  Von  besonderem  Interesse  sind  auf  den 
beigegebenen  Karten  die  durch  tlie  geologi>.flien  Vei  lialtuissi-  einiger  Ge- 
genden imseres  Vaterlandes  v<  rnrsacliten  Aiisljuclitnngen  mul  Schlingen- 
bildnngeu  der  eidmaguetischeu  Linien,  wie  wir  dies  lür  die  Lünen  gleicher 
Abweichung  in  den  erzftllirenden  gebir^gen  Teilen  im  Norden  des  Reiches, 
Rowie  in  Siebenbürgen  beobacliten.  —  Die  ersten  magnetisclien  Messungen 
IM  rngarn  stammen  ans  den  letzten  Jaln-en  des  17.  Jahrhunderts.  Zusam- 
juenliangeude,  systemalisclie  Messungen  wurden  au  der  Gfuer  Universitat«- 
Stemwarte  im  köuighcheu  Schlosse  in  den  Jahren  1781  bis  etwa  2810 
ausgeführt.  Im  T^aufe  des  gru''-nn"artit:<  i!  T.ihrliunderts  bestinnnti  d^r  Dirrc- 
tor  der  l'rager  Sternwarte.  l>r.  Karl  Kn  il.  an  nicht  weniger  als  vnrei-st 

Seugrapiusch  aufgenommenen  Punkten  die  magueti scheu  Elemente ;  von 
lesen  Sä9  Statioueu  fallen  oi  anf  das  Gebiet  der  Stefimskrone.  Die  vor 
uns  liegende  Arbeil  enthält  die  magnetischen  Elemente  von  117  Stationen 
un»l  bietet  somit  ein  viel  vollständigeres  Bild  von  den  erdmaguetischeu 
Verlialtnissen  imseres  Vaterlandes. 

P.  Szathniärij  Korolyt  A  honboldomtö%\  (Die  Beglücker  des  \*ater- 
land«-".  Kornau  von  Karl  P.  Szathmary).  Budapp  1888»  B^vai,  2  Bände, 
lt»4  und  '1^-2  S. 

Ein  Lild  der  ungarischen  politischen  und  gesellschaftUchen  Zustände 
ans  der  unmittelbaren  Gegenwart.  I)er  Verfasser  kennt  die  Verhältuisse 
geiiau.  welclie  er  schildern,  d.  h.  in  hunnuistisch-satirischor  l'xdeuchtnng 
darstellen  will;  nur  ist  sein  Humor  nicht  stark  und  seine  Satire  nicht 
energisch  genug,  um  ein  lebendiges  und  fesselndes  Zeitbild  zu  schatfeu. 
Die  Haupt ■^chw^iche  des  Romans  ist  iibrig«-us  der  «nselbst^mdig. .  schwäcli- 
hellt-  nn»l  ilesliall»  misympntlii^flu'  Held,  der  zwar  ein  Ideal  der  l'.ravheit 
und  Tüchtigkeit,  aber  so  uuerfahreu,  kraltlos  und  schwachkopHg  ist,  dass 
uns  sein  wiederholtes  Missgeschick  kamn  zur  Teilnahme  zu  stüumen  ver- 
mag.  Auch  die  Composition  des  Kornaus  ist  allzu  locker:  die  Ei)isoden, 
welche  sirOi  iibf>rdies  ohne  Cirund  un<l  anf  Kosten  der  Wirkung  wieder- 
holen, überwuchern  die  HaupthauiUuug ;  eudhch  leidet  das  Werk  au  der 
Sucht  des  Var&merB ,  sieh  mit  seinen  snbjeetiYen ,  meist  ganz  vemtlnf" 
tigen,  aber  in  der  Regel  auch  überans  prosaischen  Keäexionen  vor^udrau- 
gen.  Am  gelnngensfen  sind  cin/eltie  humoristische  Genrebilder,  %,  B.  die 
Schilderung  der  Kedactiou  des  «Skaudul». 


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UNGARNS  NATIONALITATEN 

AUF  GliUND  DER  VOLKbZAHLÜNG  DES  JAHBES  1880. 


VOB  MEHR  als  zehn  Jahren  wurde  in  Ungarn  die  erste  Volks- 
sahlnng  anf  constitutionaller  Basis,  unter  Mitwirkung  der 
Gesammtbeydlkerung  durchgeführt.  Es  geschah  dies  im  Jahn* 
1870  auf  Grund  desBevölkerunK-sstaudes  vom  3 1 .  December  l^sG9. 
Auf  die  Sjtrackenjraye  erstreckte  sich  die  dam  alige  Zahlung  nicht, 
ond  was  ich  unter  dem  Titel  «Ungarns  Nationalitäten»  damals 
der  ungarischen  Akademie  vortrug,  war  das  Ergebniss  einer  ziem- 
lieh gewagten  Gombination»  welche  nichtsdestoweniger  auf  ge- 
wissenhaft t-n  und  eingehenden  Studien  fusste. 

Inwieweit  mein  damaUger  Vorgang  richtig  war  und  inwielVrne 
die  nunmehr  nacli  allen  Kegeln  der  Statistik  gesammelten  Daten 
meine  damaligen  Berechnungen  bestätigen  oder  bemängeln,  wird 
Bich  aus  dem  Weiteren  ergeben.  Tatsache  ist,  dass  ein  Jahr- 
zehnt hindurch  meine  damals  berechneten  Zahlen  im  Umlaufe 
geblieben  sind. 

Nunmehr  liegen  uns  die  Ergebnisse  einer  neuen  Volkszählung 
vor,  welche  auf  Grund  des  Oesetzartikels  III  Tom  Jahre  1880 
nach  dem  Bevölkerungsstande  vom  31.  December  1880  durch- 
geführt wurde.  Das  angewandte  System  und  die  Art  der  Durch- 
führung verdient,  duss  wir  derselben  einigen  Zeilen  widmen. 

Früher  und  selbst  noch  im  Jahre  1870  wurde  die  Zählung 
mittelst  schwerfälliger  HaitfAa^tNn^«-  und  Hausliaten  durchgeführt. 
Aus  diesen,  zahlreiche  Bubriken  und  Erklärungen  enthaltenden 
Zahlbogen  wurde  in  jeder  betreffenden  Gemeinde  die  Orts- V eher- 

\  B«TQe.  IWi,  II.  Btft.  g 


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ÜMOARNB  NATIOKAIiITÄTEN  AUF  GRUND  DER  VOLKSZÄHLUNO 

sieht  verfasst  und  schlich  sich  in  diese  irgend  ein  Fehler  ein  — 
an  solchen  mangelte  es  übrigens  nicht  —  so  verblieben  dieselben 
nncorrigirbar  und  worden,  sich  stets  mehrend,  in  die  Comitats- 
und  später  Landeslisten  übertragen. 

diesmal  ward  das  durch  die  moderne  ^^  issensch;lft  als  bestes 
beaeichnete  Individutd- System  mittelst  Zählhlattchen,  vielfach  ver- 
bessert und  yereinfacht.  angenommen  und  die  Zählung  mittelst 
desselben  auch  durchgeführt.  Hiemit  hat  Ungarn  nicht  nur  Oester- 
reich überflü}T;elt,  sondern  ist  es  teilweise  auch  weiter  ;,'egangen 
als  viele  LiindLi-  des  civilisirteii  Auslandes.  Wenn  auch  als  Be- 
<:ründer  der  Zählblättchen-Methodo  —  wie  bekannt  —  der  Italiener 
Maestri  zu  betrachten  ist,  welcher  damit  bereite  in  den  sechziger 
Jahren  Terdienstliche  Proben  angestellt  hatte;  wenn  dasselbe 
auch  durch  Dr.  Enoel  in  Berlin  vielfach  vervollständigt  wurde, 
ja  die  Zählungen  der  siebziger  Jahic  in  Preussen  mittelst  dieser 
Methode  durchgeführt  wurden,  so  wurde  dasselbe  doch  nirgends  in 
solcher  Einfachheit  und  mit  so  voller  Ausnützung  des  Materials 
angewandt  als  diesmal  in  Ungarn,  wo  die  Verhältnisse  der  ge- 
zahlten Bevölkerung  ausser  den  absoluten  Zahlen  in  achtzehn 
verschiedenen  Combinatioueu  ausgezahlt  wurden. 

Ohne  in  die  Details  der  ganzen  Operation  des  Näheren  ein- 
zugehen, will  ich  nur  bemerken,  dass,  wahrend  zwischen  den  her- 
vorragendsten Statistikern  des  Auslandes  ein  theoretischer  Streit 
darüber  geführt  wurde:  ob  die  Zählung  einer  minder^rebildeten 
Bevölkerung  in  einem  ganzen  Lande  mittelst  Zählblattchen  durch- 
geführt werden  könnte,  —  diese  Frage  in  Ungarn  practisch  gelöst 
und  im  besten  Sinne  entschieden  wurde.  Auch  ich  hatte  seinerzeit 
zu  der  Frage  Stellung  genommen  und  als  Argument  angeführt, 
dass  es  ziemlich  gleichgiltig  sei.  ob  ein  Ziihlunj^sagent  mehr  oder 
weniger  Zählblattehen  auszufüllen  habe,  da  er  überall  einzutreten 
hat,  wo  der  Haushaltungsvorstand  oder  ein  Mitglied  der  Haushal- 
tung zur  Ausfüllung  ungeeignet  ist.  IHes  schien  überzeugend  und 
wurde  in  Ungarn  auch  angenommen.  Auch  Oesterreich  schien 
sich  der  Auffassung  zuzuneigen  und  Manner  wie  Neümann  Sp.^llart 
kämpften  energisch  für  die  neuere  Methode.  Seihst  einige  Mitglieder 


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DES  JAHRES  IS80. 


tl6 


der  Direction  für  administrative  Statistik  in  Oesterreich  wären 
bereit  gewesen,  die  Arbeitelaet  der  Massenanfarbeitong  zu  über- 
nehmen.  Sie  worden  jedoch  dieser  Last  überhoben.  ])er  hnndert- 

juhrige  Bnreaukratismus  decretirte:  «Es  bleibt  Alles  beim  Altem, 
es  wurde  der  alte  Schimmel  des  Jahres  1S7Ö  wieder  vorgespannt 
und  auch  die  Zählung  des  Jahres  1880  mittelst  HaushaltungsUsten 
durchgeführt. 

Inswischen  wnrde  in  Ungarn  alles  benützt,  was  die  theoreti- 
schen Discussionen  und  Beschlüsse  der  internationalen  statisti- 
schen Con^^resse  an  schätzbarem  Materiale  zu  Tage  gefördert 
hatten,  und  als  Kouösi,  der  Director  des  hauptstädtischen  statisti- 
schen fimreans  in  Budapest,  sein,  auch  in  der  Fachliteratur  des 
Auslandes  günstig  aufgenommenes  •  Projet  d*un  recensement  dn 
monde»  erscheinen  Hess,  konnte  er  die  Genugtuung  haben,  dass 
der  damals  bereits  festgestellte  Plan  der  uu^^'arischeu  Volkszäh- 
lung nicht  nur  all'  die  Fragen  aufgegriffen  hatte,  welche  er  im 
Interesse  einer  internationalen  Zählung  für  notwendig  hielt,  son- 
dern sich  auch  sozusagen  auf  alle  die  Combinationen  erstreckte, 
welche  ihm  für  die  internationale  Statistik  wünschenswert  schienen. 

Die  Zahlung,'  seihst  wurde  in  Ungarn  mit  Hilfe  einer  kurz- 
geiassten  Instruction  in  14  Tagen  im  ganzen  Lande  beendet  und 
das  massenhafte  Materiale  zum  grössten  Teile  bereits  im  Monate 
Januar  an  das  statistische  Landesbureau  abgeliefert 

Weder  die  Versendung  der  über  20  Millionen  betragenden 
Zahlblättchen  an  die  einzelnen  Mumcipien,  noch  die  seinerzeitige 
Aufarbeitung  —  deren  Plan  bereits  im  Vorhinein  festgesetzt  war 
—  Terursachte  derartige  Sorge,  als  die  Aufbewahrung  und  Siche- 
nmg  des  in  einem  einzigen  Exemplare  vorhandenen  Zahlungs- 
Besultates  je  einer  Person  in  der  betreffenden  Zählkarte,  üm 
numlicli  die,  grosse  Kosten  und  noch  grösseren  Zeitverlust  ver- 
ursachende  Copirung  der  Blättchen  zu  ersparen  und  die  sich 
hiebei  einschleichenden  Fehler  zu  yermeiden,  waren  die  Blättchen 
derart  eingeriehtet,  dass  der,  die  vorgedruckten  Fragen  enthal- 
tende Teil  abgeschnitten  wurde,  wonach  der  die  Antworten  ent- 
haltende Teil,  auf  welchem  zugleich  das  betreüende  Comitat,  die 

6' 


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116      UNGARNS  NATIONAUTATBN  AUF  OBUND  DFB  T0LK8ZAHLUNO 

Gemeinde  und  Hausnummer  verzeichnet  wurtu.  :ils  handliclie 
Zählkarte  zurückblieb,  mit  welcher  das  gtmze  Depouülement  im 
Originale  Torgenonmidn  und  darchgefiihrt  wurde. 

Wäre  von  diesen  Originalien  irgend  etwas  in  Verlust  geraten» 
so  hätte  die  Zählung  an  dem  betreffenden  Ort  neuerdings  vorge- 
nommen werden  müssen,  ohne,  sclion  wef^en  des  späteren  Zeit- 
punktes, verhissliche  Daten  zu  liefern.  Diese  Sorge  entschwand 
erst,  als  die  Daten  auch  des  letzten  Dorfes,  in  übersichtliche 
Tabellen  gegossen,  zur  Verfügung  standen  und  das  Dichterwort 
zur  Geltung  gelangte :  «Er  zählt  die  Häupter  seiner  Lieben  und 
sieh,  es  fehlt  kein  teures  Haupt!»  Es  ist  numlieh  nicht  zu  leug- 
nen, dass  diejenigen  zu  unseren  «Lieben»  zählen,  mit  denen 
wir  uns  so  vielfach  und  lange  beschäftigt,  und  wie  sollte  sie 
nicht  unsere  «Liebent  sein,  wo  doch  Ton  unseren  eigenen  Mit- 
bürgern die  Bede  ist,  deren  graphische  Gonterfeie  uns  die  Bevdl- 
kerungs -Verhältnisse  Ungarns  mitteilen  sollten  ! 

Ehe  auf  die  Detaillirung  der  Sprachen  Verhältnisse  einge«;an- 
gen  werden  kann,  soll  noch  das  allgemeine  Ergebniss  der  Zählung 
mitgeteilt  werden,  da  sich  dasselbe,  seit  der  ersten  Fublication 
nach  den  provisorisch  festgestellten  Daten,  wesentlich  geändert  hat. 

Die  bürgerliche  Bevölkerung  siimmtlicher  Länder  der  unga- 
rischen Krone  betrug  nach  der  letzten  Zählung  dieses  Jahres 
15.642,178  Seelen,  wovon 

auf  Ungarn  (mit  Siebenbürgen)    13.728,6:^:2 

auf  Fiume  sammt  Gebiet   20,981 

auf  Croatien-Slavonien  (sammt  MiUtärgrenze)  1.892,575 
entfallen. 

Hier  muss  bemerkt  werden,  dass  sieh  die  Ziffern  Croatiens 
noch  vielleicht  etwas  alteriren  dürften,  da  dort  erst  der  Auszug 
der  Hauslisten  vollendet  ist,  während  die  Ziffern  Ungarns  als 

definitiv  zu  betrachten  sind.  Dies  ist  zugleich  der  Grund,  dass 
sfinnntliche  spiitcr  zu  erwsihnende  Details  sieh  nur  auf  die  Ein- 
wohnerschaft Ungarns,  d.  h.  auf  die  oberwähnten  13.728,622 
Seelen  beziehen,  da  jene  für  Croatien-Slavonien  noch  nioht 
^irt  sind. 


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DES  JAHRES  1880.  117* 

Di©  VeruiehruDg  der  Bevölkerung  gegen  die  bei  der  letzten 
Zählung  Tor  11  Jahren  erhobene  BeTÖikemng  beträgt  2:24,851 
Seelen  oder  1.46  %  und  diese  Yermehrung  muBs  jeder  Patriot  fnt 
gering  eraehten,  der  da  weiss,  dass  die  Orundkräfte  der  Staaten 
ausser  dem  Territorium  eben  auf  ihrer  Bevulkerimg  beruhen. 

^Vir  müssen  uns  jedoch  dem  Schicksale  ergeben,  bedenkend, 
dass  die  regelmässige  Mehrung  unserer  Bevölkerung  durch  solche 
Umstände  unterbrochen  wurde,  deren  Beseitigung  zum  grossen 
Teile  nicht  in  unserer  Macht  lag.  In  erster  Reihe  ist  hier  die 
Cholera  der  Jahre  — 73  zu  erwähnen,  welche  allein  au  nahe 
Tierthalbhunderttausend  Menschen  dahinraffte,  und  deren  Nach- 
wehen  erst  im  Jahre  1877  verwunden  waren,  in  welchem  Jahre 
die  Bevölkerung  Ungarns  wieder  jenen  Standpunkt  erreichte,  den 
bereits  die  Zählung  des  Jahres  1869  auegewiesen  hatte.  Die 
laii;^e  andauernde  wirtschaftliche  Krise  tat  das  ihrige,  Misswacha 
und  elementare  Sehlage  traten  hinzu,  verminderten  die  Ehe- 
Schliessungen  und  iührten  teils  sum  provisorischen  Wegzug  der 
Bevölkerung  wegen  Broderwerbes,  teils,  besonders  in  den  ärmeren 
Comitaten  des  Karpatenlandes,  zur  endgiltigen  Auswanderun^r. 

Uebrigens  gehört  die  Untersuchung  der  Ursachen  dieser 
schwachen  Vermehrung  nicht  auf  dieses  Blatt,  welches  sich  die 
Untersuchimg  der  Nationalitätwerhältnisse  Ungarns  auf  Grund  der 
Daten  der  neuesten  Zählung  zur  Aufgabe  stellte. 

Um  jedoch  mit  meinen  eigenen,  des  öftem  gestellten  Behaup- 
tungen nicht  in  Widerspruch  zu  geraten,  eile  ich  zu  bemerken,  dass 
ich  auch  jetzt  noch  der  Ansicht  bin,  dass  die  Nationalitat  statistisch 
schwer  festzustellen  ist.  Uebrigens  wurde  die  letzte  Zählung  auch 
nicht  in  dieser  Bichtung  durchgeführt,  sondern  wurden  mittelst 
derselben  einfach  die  SprachenrerhäUni»9e  des  Landes  erhoben. 

Die  auf  den  Zahlblättchen  befindliche  diesbezügliche  Frage 
lautete:  «Weiehes  ist  Ihre  Muttersprache?»  Diese  Frage,  so  for- 
mulirt.  war  vielen  Angriffen  ausgesetzt.  Umsonst  wollten  wir  es 
officieli  leugnen  und  wurde  auch  das  Wort  «Nationalität»  strenge 
vermieden,  so  wusste  oder  glaubte  doch  Jedermann,  dass  wir  mit 
der  Frage   nach  der  Sprache   unsere  Nationalitäten  erheben 


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IIS      UNnABNS  NATIONALITATEN  AUF  aBüHD  DER  YOLK8ZAHLDKO 

wollten.  Das  grosse  Publikum  antersiicbt  nicht,  ja  zweifelt  nicht 
einmal  daran,  dnss  die  Sprache  die  Nationalitat  begründet.  Es 
kümmert  sich  nicht  um  unseres  seligen  Eötvös  schwere  Kämpfe, 
um  deren  Preis  er  den  Begriff  der  Nationalität  begründen  wollte ; 
es  weiss  nichts  von  meinen  eigenen  Untersnchungen ;  kennt  wenig 
die  neuere  Literatur  über  dieses  Thema,  als  deren  würdiger  Ver- 
treter eben  bezüglich  Oesterreich-Ungarns  sich  Gumplovicz,  Pro- 
fessor in  Graz,  erwies.  Der  ^'rossen  Menge  sind  Sprache  und 
Nationalität  identische  Begriffe  und  eben  deshalb  waren  eben  die 
Ungarn  am  meisten  über  die  Fra^e  nach  der  Muttersprache  auf- 
gebracht, weil  sie,  die  Assimilirungsfähigkeit  der  staatenbildenden 
ungarischen  Nation  kennend,  es  dem  Statistiker  übel  vermerkten, 
dass  er  nur  solches  frug,  worauf  er  auch  Antwort  erhalten  konnte, 
hiedurch  aber  viele,  gerade  in  der  ungarischen  Literatur  hoch- 
stehende Namen  daxu  zwang,  sich  zur  deutschen  Muttersprache  zu 
bekennen. 

Und  doch  war  das  Publikum  ungerecht.  Befürchtete  schon 
ein  Reichstags- Abgeordneter  während  der  Verhandlung  des  Volks- 
zählungs-Gesetzes, dass  sich  die  Zahl  der  Ungarn  durch  die  Frage 
nach  der  Muttersprache  um  zwei  Millionen  vermindern  werde,  so 
ubersah  man  allgemein  jene  zweite,  ergänzende  Frage  des  Zahl- 

blättt'hens  :  ,,irrlc}n'  Jii  inii^rlit'  SpnirJti'  sjin  rln'n  Sif  norji  (niaarr  Ihn  r 
Mutti- rspr ache  !  '  Besitzt  die  ungarische  Nation  wirklich  die  ihr  zu- 
gemutete Assimilationsfähigkeit,  so  muss  es  aus  den  auf  diese 
Frage  erhaltenen  Antworten  erhellen,  wie  viele  Mitbürger  anderer 
Nationalität  oder  Fremde  sich  die  Staatssprache  angeeignet  haben, 
wohl  wissend.  (l;t>?s  wer  einmal  unsere  Spraehe  spricht,  mit  dem 
Ungarvolke  verschmilzt  und  femer  kein  Fremder  mehr  ist  in 
diesen  Landen« 

Es  soll  jedoch  den  in  Zahlen  ausgedruckten  Tatsachen 
nicht  vorgegriffen  und  irgendwelche  sprachliche  oder  nationalität- 

liche  Conjectnral-PoHtik  jretrieben  werden;  —  ich  stelle  mich 
zuniek  auf  den  l»e.'5<  heidenen  ^^tandpunkt  des  Statistikers  und 
führe  einfach  die  trockenen  Zahlen  vor. 


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DK8  JAHRES  1880. 


Von  der  bürgerlichen  Bevölkerung  rnujarns  (oline  Cruatien- 
Slavonien),  per  13.7^8,6i^  Seelen»  bekauuten  sieb: 

rar  nngarisclieu  Mnttertpracfae             „  (i.166,088  Seelen 

•  dentscben            •                                 1.798,373  i 

•  elovakischen         »                                    1.790,476  ■ 

•  walacliischen  (rmjiiinisclieui  Miitteraprache  iJ.323,788  • 

»  orontisch-serbiacben  Matterapracbe  ^              605,725  • 

'  nitLeniscben                 ■                                 342,351  • 

•  wcuilischcn  »    r>0,9i8 

•  aruu'uisclion                  •                                     3,ö:23  • 

»  zigeuiieriscLeu              »                         ..        75,911  • 

»  anderen  (verscbiedenen)  Muttersprachen  ..      21,687  • 

•  Analändem   >.  ...  ...       41,698  • 

des  Sprechens  noch  imkmiclig  waren                499,05 i  * 

Ob  ich  wohl  wieder  dem,  durch  mich  schon  mebrmal  Bchmerz- 
lieh  empfundenen  Schicksale  verfiel,  viele  unserer  werten  Lands- 
laute  durch  meine  rigorosen  Zahlen  aus  ihren  Illusionen  gerüttelt 

in  haben,  welche  vielleicht  von  10 — 12  Millionen  Magyaren 
triamten !  ? 

Doch  lieber  dies  als  eine  neuerliche  Anklage  wegen  unseres 
GbauTuiismus. 

Es  ist  leider  nur  zu  bekannt,  dass  der  Ozeche,  der  Rumäne, 

der  Serbe  u.  s.  w.  den  Deutschen  oder  einen  ihm  nabewohnenden 
anderer  Nationalität  ungestraft  angreifen  darf ;  höchstens  erbebt 
sich  dann  ein  deutsches  Blatt  zweiten  oder  dritten  Ranges  gegen 
die  persönliche  Bohheit  des  Betreffenden.  Wenn  jedoch  in  Ungarn 
irgend  ein  unreifer  Knabe  aus  dem  reichen  Schatze  unserer 
Sprache  ein  unbedachtes  Wort  herausgreift  und  gegen  das 
Deutschtum  in  die  Welt  schreit,  oder  die  politische  Behörde  das 
unverfrorene  Treiben  eines  sächsischen  SchuUehrers  beanstandet, 
dann  braust,  via  Wien,  ein  Sturm  durch  die  gesammte  deutsche 
F^e  und  unsere  sonst  so  edlen  Nachbarn  furchten  nicht  einmal 
sieh  vor  jedem  Gebildeten  lächerlich  zu  machen,  wenn  sie  gleich 
(lern  «Deutschen  Schul  verein  »>  Gleichberechtigung  verlangen  für 
den  Deutschen  in  Ungarn,  wo  es  doch  bekannt  ist,  dass  auch  der 
letite  Zigeuner  politisch  und  nationell  dieselben  Bechte  geniesst 
ine  der  einst  ebenfalls  privilegirte  ungarische  Magnat ! 


liO      UHOABMB  NATIONALITÄTEN  AUF  ORÜND  DBB  TOLK8ZAHLUNO 

Wohl  erinnern  wir  uns,  als  zu  Ende  des  Jahres  1880  das 

Volkszählungsfjesetz  und  die  dazu  gehörige  Ausföhnings- Verord- 
nung promul  ^^irt  w  urden,  dass  Wiener  Blätter  sebou  damals  den  ^xe- 
planten  Vorgang  angegriffen  hatten  und  vorher  zu  sagen  wussten, 
wie  nun  der  gesammte  amtliche  Apparat  in  Bewegnng  gesetzt 
werden  wird,  um  die  Ungarn  in  je  grosserer  Anzahl  zu  Tage  zu 
fördern. 

Nun  möge  aus  dem  mitgeteilten  Resultat  das  Tendetiöse  des 
Vorganges  beurteilt  werden !  Mögen  doch  unsere  Widersacher 
bedenken,  daes  der  Vollzug  der  Zählung  überall  in  die  Hände  der 
.9ett'aft2/«i«  Beamten  des  Volkes  gelegt  war;  dass  dies  selbst  in  jenen 
Oomitaten  geschah,  wo  dieser  administrative  Körper  eben  nicht 
ungarischer  Nationalität  ist ;  dass  die  Zählun<^sa<:enten,  welche 
den  numerisch  grössten  Teil  der  Zählblättchen  auszufüllen  hatten, 
aus  der  Beihe  der  Einwohner  des  betreffenden  Ortes  oder  Bezirkes 
▼on  den  Localbehörden  bestellt  wurden  und  die  einzige  Instruction 
hatten,  jeden  als  solcher  Muttersprache  einzutragen,  zu  welcher 
er  sich  selbaf  Jukmnt.  Wahrlich,  objectiver  konnte  kein  Staat  bei 
einer  Operation  vorgehen,  welche  gerade  in  einem  polyglotten 
Lande,  wenn  sie  hätte  ausgenützt  werden  wollen,  zu  ganz  anderen 
Besnltaten  geführt  hatte.  Andererseits  muss  aber  auch  jenen 
Männern  volle  Anerkennung  gezollt  werden,  welche  an  dieser  Ar- 
beit teils  als  Administrativ-Or;j;an(.' .  teils  als  Zaliluiigsagenten 
Teil  «genommen  haben  und  —  mit  wenigen  Ausnahmen  —  treu 
und  erfolgreich  ihrer  Aufgabe  entsprachen  und  hiednrch  eben  ein 
getreues  Bild  der  sprachlichen  Verhältnisse  des  Landes  lieferten. 

Die  erhaltenen  Zahlen  sind  einerseits  ein  Toll^nltiger  Beweis 
des  objectiven  Vorrjehens  bei  der  Zahlung,  andererseits  aber  eine 
nicht  zu  unterschätzende  Genugtuung  hinsichtlich  der  Richtigkeit 
der  Berechnung,  welche  ich  vor  zehn  Jahren  angestellt  hatte,  um 
ein  wenigstens  annähernd  richtiges  Bild  über  die  Nationalitats- 
Verhältnisse  Ungarns  zu  erhalten. 

Nachdem  nämlich  die  Nationalitäts-Verhaltnisse  des  Landes 
nur  einmal,  im  Jahre  1851  —  "i-J  niitit  Ist  einer  Volkszählung  erho- 
ben wurden,  über  deren  technische  Gebrechen  Niemand  im  Zweifel 


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DES  JAHBE8  1880. 


Ifl 


war.  versuchte  ich  eine,  wenn  auch  strenj^  statistisch  genommen 
nicht  unanfechtbare,  nach  ihren  Kudresultaten  beurteilt  aber  nun- 
mehr sich  als  richtig  erwiesene  Methode.  Es  wurden  nämUch  zu 
jener  Zeit,  über  Anordnung  des  damaligen  ünterricktsministers 
weiland  Baron  Josef  Edrvös,  die  die  Volksschule  besuchenden 
Kinder  conscribirt  und  zugleich  ihre  Nationalitüts-Verhiiltnisse 
erhoben.  Aus  diesen  Zahlen  berechnete  ich  mit  Zugrundelegung 
der  Ziffern  der  1869/ 70er  Zählung  die  Nationalität  der  Einwohner 
Ungarns.  Heute  erhielten  wir,  auf  Grund  der  Selbstbekenntniss 
jedes  einseinen  Bewohners,  die  Muttersprache  derselben.  Damals 
lieferten  12,0()0  und  etliche  Volksschullclirer  die  bezüglichen 
Üriginaldaten  nach  mehr  als  einer  halben  Milhon  Kinder;  heute 
erhoben  dieselben  4000  und  etliche  Zählungsagenten  nach  einer 
Bevölkerung  von  13  und  einer  halben  Million  Menschen.  Niemand 
durfte  leugnen,  dass  sowohl  die  Art  der  Erhebung  als  der  Vorgang 
der  Datensammliiug.  sowie  der  Zeitpunkt  der  Zählung  und  die 
Zahl  der  direct  Erhobenen  möglichst  von  einander  abweichen, 
ond  wenn  wir  dennoch  nach  mehr  als  einem  Jahnsehnt  zu  bei- 
nahe identischen  Besultaten  gelangen,  so  liegt  der  Schluss  nahe, 
daes  weder  damals  noch  jetzt  irgend  ein,  durch  nichts  motivirbarer 
tendentiöser  Vorgang  beliebt  wurde,  sondern  dass  die  gewonnenen 
Zahlen  den  wirklichen  Verhältnissen  entsprechen. 

Die  Vergleichung  der  Ziffern  ist  eine  leichtere,  auch  für  das 
ÜDgartum  günstigere,  wenn  man  bei  der  Percent- Vergleichung 
nur  das  Mutterland  Ungarn  berücksichtigt,  Siebenbürgen  aber 
▼Orderhand  weglässt.  Ohne  zu  untersuchen,  was  dns  eine  oder 
das  andere  Land  politisch  oder  volkswirtschaftlich  durch  die  Ver- 
einigung gewonnen  hat,  vom  Nationalitätastandpunkte  aus  war 
dieselbe  für  Ungarn  ungunstig.  Denn  während  die  Ungarn  im 
Mutterlands  beinahe  die  absolute  ^lajorität  bilden,  drückt  sich 
dieses  Verhältnis s  mit  Einbeziehuni;  Siebenbürgens  auf  1  i..»  "  o. 
Dies  ist  um  so  überraschender,  gerade  Siebeiibür^cTi  es  war, 
welches  im  XVI.  Jahrhundert  die  ungarische  Staats-  und  Literatur- 
sprache sozusagen  von  denTodten  erweckte  und  lange  Zeiten  hin- 
duioh  ihr  treuester  Hort  war  und  ihre  Blüte  förderte  und  entwickelte. 


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13S      UNGARNS  KATIONALITATEN  AUF  &BÜND  DER  VOLKBZÄHLÜNa 


Es  mögen  jedoch  die  Zulileu  selber  sprechen.  Im  ungarischen 
Mutterlande  waren  ' 

nii<  !i  ih  r  Berccbnang  nach  der  /uhlnng 

des  .lahreN  1870  *  des  Jahre»  IbiSO 

Ungarn     49.M  40^  '/o 

Deutsche   14.n  »  Ii.»  •> 

Slovaken    t6i4t  »  16m  • 

Rmnänexi   ^.  ..  10.h  •  lO^u  • 

Croaten  nml  Serben               4.45  •  5.tt  • 

Buthenen                             4.m  »  3.m  • 

Andere  ^                              O.oa  »  O.bo  • 

Bedenkt  man,  dass»  wie  noch  ans  den  Daten  der  Tolksbewe- 

^ung  hervorgeht,  die  Kumaneu  und  Kuthenen  seit  1870  factisch 
abgenommen  haben,  dass  die  neuerlich  bemerkbare  Auswanderung 
gerade  in  der  sloTakisohen  Bevölkerung  der  nördlichen  Gomitate 
auftrat,  so  zeigt  sich  eine  überraschende  Gleichheit  der  Zahlen, 
in  denen  das  üngartum  nur  um  acht  Zehntel  Pereent  stärker 
erscheint  als  im  Jahre  ls70.  Nur  eine  einzige  NationjiHtut  zeigt 
eine  stärkere  Zunahme  um  mihezu  ein  Percent,  nämlich  die  croa- 
tisch-serbische.  Eine  kleine  Zunahme  auf  Kosten  des  ungarischen 
Percentes  musste  dieselbe  erfahren,  da  seit  der  70er  Zahlung  die 
gewesene Militärgrenze  reincorporirt  ward,  allwoSerhen  in  grösserer 
Anzahl  wuhm  n.  Doch  ist  eine  kleine  Ntitioualitiits- Agitation  gerade 
bei  diesen  unseren  heissbiütigsteu  Brüdern  durchaus  nicht  aus- 
geschlossen, was  auch  aus  dem  Umstände  erhellt,  dass  aus  einer 
Stadt  Unterungams,  deren  Nationalitäts-Verhältnisse  5  ^/o  Ungarn« 
60  "/o  Deutsche  und  nur  35®/o  Ser)»en  ergeben,  zum  grössten  Teile 
mit  cyrillischen  Lettern  au.s<;efullto  Zahlhlattchen  eingelangt 
waren ;  wie  es  dann  unter  solchen  Verhaltnissen  mit  der  deut- 
schen oder  ungarischen  Muttersprache  gehalten  wurde,  ist  leicht 
denkbar. 

Nach  Vorführung  der  Percentualzahlen  können  nunmehr 

iiuch  die  absoluten  Zahlen  und  zwar  für  ganz  Ungarn  ^mit  Sieben- 
bürgen; mitj^e teilt  werden.  Demnach  waren: 

*  Haz&ok  48  n4pe  (Unser  Land  and  Volk)  von  K.  KeLSTt,  1871,  p. 


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DES  JAHKES  1880. 


1S3 


nach  der  Berechnung 
TOB  Jdm  1870 


vom  Jolu«  1880 


Cngani   6.156,431 

Dtateoho    1^820,92} 

Slowaken    .    1.817,228 

Rumänen    2.470,069 

Kuthenen   169,420 

Croaten  und  Serben   i73,n0ö 

Andere.-   „   11,295 


6.165,088 
1.798378 
l.7W,476 

2.x?:?.7S8 
342,351 
6a5,7-25 
203,767 


Da88  die  Zunahme  der  Ungarn  bei  der  gegenwärtig  sabl- 
reieheren  BeTölkercmg  nicht  stärker  hervortritt,  erhält  seine  Er- 

klarun^'  ilarium.  dass  uulit-zu  eine  hall>e  Million  Kinder.  \\tl<'he 
zur  Zelt  der  Zahlung  des  Sprechens  noch  imkundiß  waren,  hier 
nicht  in  Bechnnng  genommen  wurden»  weshalb  sowohl  im  Jahre 
1870  als  1880  die  Einwohnerzahl  von  rund  13.200,000  Köpfen  als 
Grandlage  diente. 

Umsonst  brüstete  ich  mich  jedoeh  mit  der  so  eclatanten  Ueber- 
einstimmung  der  Zahlen,  welche  die  Kichtigkeit  meiner  vor  1 0  J ahren 
angestellten  Untersuchungen  beweisen  sollen.  Um  blos  zu  diesem 
Resultate  zu  gelangen,  wäre  es  wohl  kaum  der  Mühe  wert  gewesen, 
einen  so  jn'f^ssen  und  complicirten  Apparat  in  Jknvej^ung  zusetzen. 

Doch  sind  wir  noch  nicht  am  Schlüsse  unserer  Betrachtungen 
angelangt  und  muss  ich  neuerdings  auf  jeneErgänzungsfrage  hin- 
weisen, welche  die  ausser  der  Muttersprache  gesprochenen  Landes- 
sprachen erforschen  sollte.  Auf  diese  Frage  sind  ausserordentlich 
interessante  Antworten  ein<j:elaufen.  Aus  der  Zusammenstt lluni^ 
der  diesbezüglichen  Daten  wird  ersichtlich,  wie  viele  Leute  ausser 
ihrer  Muttersprache  noch  anderer  Landessprachen  mächtig  sind. 
Wollte  man  aber  aus  den  sehn  gangbaren  Sprachen  auch  alle  jene 
eruiren,  welche  z.B. drei  Sprachen  kennen,  so  ergibt  dies  so  zahl- 
reiche Conibinationen  und  hiitte  einen  derarti«;en  Aufwand  an  Arbeit 
erfordert,  welcher  mit  dein  zu  erwartenden  Resultate  in  keinem  Ver- 
hältnisse gestanden  hätte.  Ich  liess  deshalb  blos  die  nach  der  Mutter- 
Sprache  zuerst  angeführte  zweite  Sprache  aus  den  Zählblättchen  er^ 
heben  und  führe  auch  hievon  nur  den  zehnten  Teil  der  Er<:»  bni8se 
an,  nämlicli  die  Zahl  derjeni^'en,  welche  ausser  ihrer  Muttersprache 
auch  noch  der  <S7na^M|>rac/ie  nämlich  des  Ungarischen  mächtig  sind. 


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124      UNGARNS  NATIONALITÄTEN  AÜF  GRUND  DER  TOLKSZAHLUNO 

\Vejn;en  Raumersparniss  setze  ich  hier  znjifleich  das  Percent- 
Yerhiütniss  an,  mimlich  wie  viel  Personen  unter  hundert  der 
betreffenden  Nationalität  auch  ungarisch  sprechen.  Das  Besultat 
ist  folgendes: 

un^arheh  ßpreehen  auMet  ihrer  M^ter$praehe : 

Deutsche  ...  /•           377.041  .    ,  er  II.«.-  •« 

Slovaken                                       170.693  =  9.n  • 

Riiniänen  ...                                        l'>7.252  =  o.t»o  » 

Ruthenen                                             l".^*i!2o  =  o.ti>  • 

Croateu  mid  berben                  ...  .*    ('»'fuM  ,=  lO.Ha  • 

Weiulcu                                ...  ...       7,450  =  12.« 

Arnieuier.                                           3,116  =  88.m  » 

Zigeuner.                                       18,128  =  23.»  • 

Andere                                         9,364  =  ICXm  • 

Aiuliinder                             ...     10,468  =  25..^  » 

Oeeammtsahl  der  nngaiiadi  Spre* 

chenden  fremder  Zungen         817,668  Duzdisohnitt  II3  % 

Diese  Zahlen  sind  höchst  interessant.  tJnter  der  Gesammt- 

Bevölkerung  fremder  Ziinee  unseres  Vaterlandes  sind  11.6  %, 
■welclie  (K  r  Staatssprache  mächtig  sind.  Dies  ist  wahrlich  nicht 
viel  und  documentirt  unsere  Indolenz ,  mit  welcher  wir  Jahr- 
hunderte hinduroh  zusehen  konnten,  wie  minder  gebildete  Ele- 
mente sich  teils  unbeanstandet  erhalten,  teils  noch  Terrain 
gewinnen  konnten,  ohne  dass  irgend  etwas  getan  \vurde,  damit  die 
Nation  dieselben  assimilire. 

Einzeln  Helden«  besitzen;^  wir  als  Nation  nicht  den  Mut,  uns 
air  jener  Prärogativen  zu  bedienen,  welche  der  staatenbüdenden 
und  staatenerhaltenden  Nationalitat  zukommen.  Oder  ist  es  etwa 
nicht  eine  culturelle  Aufgabe,  die  Staatssprache  in  Ungarn  zu  ver- 
breiten? Dies  zu  beantworten,  liefern  wieder  die  Zahlen  das  beste 
Materiale.  Von  den  Busznyaken  und  Walachen  kennen  kaum  5°/o 
die  Staatssprache,  ihre  eigene  jedoch  wird  selbst  der  Enragirteste 
ihrer  Nation  nicht  als  höher  stehend  oder  als  solche  ansehen,  welche 
die  Bildung  besser  und  intensiver  zu  vermitteln  im  Stande  wäre. 
Unter  den  Ausliindern  aber,  und  hier  ist  lange  nicht  etwa  von 
Bosniakeu  und  Bulgaren  oder  dergleichen  «interessanten  Nationa* 
litäten»,  sondern  von  den  Bürgern  des  gebildeten  Westeuropa's 
die  Bede,  —  ebenso  unter  den  Deutschen,  welche  sich  an  ein 


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DES  JAHBE8  1880.  . 


125  ' 


müchtigfts  Culturvolk  lehnon  können,  haben  sieb  uber  i'O  o  die 
QDgahscbe  Staatssprache  angeeignet,  t Angeeignet «,  sage  ich, 
denn  der  tingariBehe  Staat  keimt  kein  yerachiedenee  Vorgehen 
einer  oder  der  anderen  Nationalität  gegenüber  und  kann  demnach 
?on  irgend  einer  Pression  der  Anslftnder  oder  Dentsohen  durch- 
aus nicht  die  Rede  sein  ;  dalier  dürfen  wir  in  diesen  Zabh-n  eine 
der  glänzendsten  Errungenschalten  des  ungarischen  Cultur-Ele- 
mentes  erblicken. 

Noch  interessanter  gestalten  sich  diese  Zahlen,  wenn  man  sie 
etwas  im  Detail  verfolgt  und  die  diesbezüglichen  Verhältnisse 
einiger  Miimeipitn  untersucht. 

Da  ünden  wir  vor  Allern,  dass  in  jenen  Comitaten.  der^-n  Be- 
wohner in  überwiegender  Majorität  Ungarn  sind,  auch  die  Ein- 
wohner fremder  Zunge  m  bedeutend  stärkerem  Verhältnisse  des 
Ungarischen  kundig  sind.  So  beträgt  2.  B.  im  Somogyer  Gomitat 
die  Einwohnerschaft  ungarischer  Nationalität  85  das  Percent 
der  ungarisch  Sprechenden  fremder  Zunge  4o.6  ^/o ;  in  Borsod  bei 
89.tt  "/o  Ungarn  sprechen  1-5.7  °  0  der  anderen  Nationalitäten  das 
Ungarische ;  in  fiekes  bei  66.s  Ungarn  41  ;  in  Szabolcs  bei 
87.»  Vo  Ungarn  40.i  Vo  anderer  Nationalitäten  u.  s.  w. 

In  Siebenbürgen,  wo  nur  in  vier  Comitaten  die  ungarische 
Nationalität  in  absoluter  Majorität  ist,  und  zwar  in  Udvarhely  mit 
89^,  in  Csik  mit  83.85,  in  Haromszek  mit  83.:>o  und  in  Maros- 
Torda  mit  54.4o  °/o  sprechen  von  den  anderen  Nationalitäten  nur 

21.8,  :29  und  ±6aVo  ungarisch,  also  in  geringerem  Verhält- 
nisse als  in  den  Comitaten  des  Mutterlandes  mit  gleich  hohem 
Percentverhältnisse  ungarischer  Nationalität. 

Während  im  slovakischen  Oberlande  nur  5^  o  der  slovahischen 
Bnölkerung  ungarisch  spricht,  finden  wir  in  den  ungarischen 
Comitaten  Eomärom,  Bek^s,  Szabolcs,  Pest-Pilis-Solt-Eiskün  die 
BeYÖlkerung  slovakischer  Muttersprache  mit  .48.t,  43.6i  49.8  und 
37.8%  des  rngarischen  mächtig. 

Die  W  'ülachen  erheben  sich  selbst  dort,  wo  sie  in  den  Comi- 
taten des  Matterlandes  massenhafter  beisammen  wohnen,  doch  bis 
ZQ 10—18  *^/8  in  der  Eenntniss  des  Ungarischen ;  in  Siebenbürgen 


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1S6      UNOARNS  NATIONALITÄTEN  AUF  GBUND  DKR  VOLKSZAHLUNO 

balx-'H  sie  nur  in  drei  der  aufgefidirtc^n  Comitute  es  Ms  zu  2o  bis 
gebracht.  In  Udvarhely  sprechen  freilich  4-7.5  ",  o  der  Ein- 
wohner rumänischer  Muttersprache  auch  das  Ungarische»  doch 
beträgt  daselbst  ihre  Gesammtzahl  kaum  anderthalbtausend. 

liuthrueii  sprechen  überall  nur  in  sehr  ^erini;(  in  Maasse 
das  Un^Mvisehe.  blos  im  Comitate  Ugocsa  steigert  sich  das  Ver- 
hältniss  bis  19.s  ^/o.  Dagegen  zeigen  die  CroaUn-Serben  ein  ziem- 
lieh starkes  Pereent.  Am  rechten  Donauufer,  wo  dieselben  zerstreut 
wohnen,  können  15 — SC/o  ihrer  Angehörigen  auch  das  Unga- 
rische, aber  im  Torontaler  Comitate  z.  B.  nur  mehr  5.?  ^ o. 

Ein  interessanter  Volksstamm  wurde  bereits  gänzlich  durch 
das  Ungartum  assimilirt,  nämlich  die  Armenier.  Bei  der  letzten 
Zählung  wurden  nur  mehr  3533  Einwohner  armenischer  Mutter^ 
spräche  erhoben  und  auch  von  diesen  sprachen  3116,  d.h.  87.7  Vo 
die  uni^arische  Staatssprache. 

Auch  die  Zi<iriinir  zeigen  ein  günstif^es  Percent,  nämlich 
i3.8s  *'/o.  Doch  ist  dies  nur  scheinbar,  da  dieselben  in  den  Comi- 
taten,  in  welchen  sie  bereits  angesiedelt  sind,  sich  stets  zur 
Sprache  fler  Majorität  bekennen,  in  slovakischen  zur  slovakischen, 
in  rumänischen  zur  walachischen  u.  s.  w.  Nur  zigeunerisch 
sprecbeu  im  Lande  14,480  Personen.  Da  es  jedoch  wenig  solche 
eifrige  Dilettanten  geben  dürfte,  welche  sich  aus  Passion 
das  Zigeunerische  angeeignet  haben,  so  sind  zu  den  Zigeunern 
uiich  alle  Jene  zu  zahlen,  welche  diese  Sprache  sj^n  chen,  auch 
wtjun  sie  sich  zu  einer  anderen  Muttersj)rache  bekannten.  Bei 
solcher  Berechnung  erhebt  sich  die  Zahl  der  gegenwärtig  in  Un- 
garn lebenden  Zigeuner  auf  94,769. 

Noch  eine,  wenn  auch  nicht  auffallende  Erscheinung  —  da 
(li.  st^Il)f  vorauszusehen  war  —  aber  immerhin  ein  interessantes 
iactum  er<^iht  sich  aus  den  besprocheneu  Daten;  uuiniich  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  ungarisch  sprechenden  Männer  anderer 
Nationalitäten  gegenüber  den  Frauen  derselben  Kategorie,  näm- 
lich 484,893  Männer  und  nur  333,775  Frauen  oder  rund  60  zu 
4<V^  0.  Sollte  dies  Verhältniss  l)eseitigt  werden,  so  müsste  nament- 
lich auf  die  weibliche  Volkserziehung  mehr  Sorgfalt  verwendet 


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DES  JABBE8  1880. 


If7 


werdtu.  I>t'uu  wahrend  der  Muuii  durch  die  Bedürfnisse  des  äusseren 
Lebens  iu  stärkerem  Verhältnisse  bemüssigt  ist,  sich  dieKenntniss 
der  StaatsBpraehe  anzueignen,  so  ist  dies  beim  weiblichen  Ge- 
schlechte In  Tiel  geringerem  Maasse  der  Fall,  welches  sich  die  Kennt- 
üisswohl  nur  in  der  Schule  aneipnen  kann.  Ein  starkes  Streiflicht 
wirft  auf  dieses  Verhaltniss  ein  weiteres  Ergehniss  der  letzten  Zäh- 
lung, nämlich  das  Können  deR  Le^iens  und  Schreibens,  Ohne  in  diese 
Verhältnisse  gegenwärtig  des  Näheren  einzugehen,  darf  doch  er- 
wähnt werden,  dass  die  Zahl  der  weder  lesen  noch  schreiben  Eon« 
nenden,  sowie  der  blos  lesen  Könnenden  bei  den  Frauen  eine  über- 
wief];end  ^,'rosse  ist.  Hieraus  niuss  entweder  auf  den  schlecliteren 
Zastaud  der  weiblichen  Volksschulen  oder  darauf  «geschlossen  wer- 
den, dass  der  Schulbesuch  der  Mädchen  mangelhaft  ist  und  nur  so 
weit  reicht,  dass  sich  dieselben  das  Lesen  noch  irgendwie  aneignen, 
bis  zur  Eenntniss  des  Schreibens  es  aber  kaum  mehr  bringen. 

Einen  Beweis  liiefür ,  wenn  auch  in  entj::egen«^esetzter 
Richtung,  liefern  die  Daten  der  Hauptstadt  Budapest,  deren  vor- 
sogUche  weibliehe  Volks-  und  Bürgerschulen  bekannt  sind.  Hier 
ist  aber  auch  das  Verhaltniss  der  ungarisch  Sprechenden  fremder 
Nationalität  zwischen  Männern  und  Frauen  kaum  verschieden, 
nämlich  i?7.000  Männer  und  -JG.G.jC)  Frauen,  oder  '>().s  zu  49.?  "  o. 

Es  dürfte  übrigens  von  Interesse  sein,  das  Spidchenverhält- 
niw  der  hauptstädtischen  Bevölkerung  überhaupt  zu  kennen.  Es 
waren  nämlich  der  Muttersprache  nach : 


Mlmur  FMqmi  Zanaunain 

UngMrn    96,tl5  102,637  198,74t  s  65.it  • » 

Deutsehe   56,S81l  63,613  119,902  =  33.»  » 

Slovaluii   9,613  11,938  21,581  =     5.W  » 

Rnmänan    274  134  408  =     O.u  » 

linthenen   öl  8  59  =     0.0t  » 

Croaten-SerLeu   1,105  651  1,756  =     0^  » 

WomloM    14  3  17  =     0  • 

Armenier    4  6  10  =     0  » 

Zigeuner    5  20  125  =     0  • 

Andere    17  12  29  =     0.m  » 


Aasländer.    ^    5^243      2,383      7,625   =     2.»  » 

DeeSpsvcbens  noch  onkondig  6,078      6,819    10,397   =    3.m  * 
ZnMumneii          173,938   186,613  360,551   =  100 


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1^      UNOABN8  NATIONALITÄTEN  AUF  OBDND  DBB  VOLKBZAHLUNO 

Schon  hieraus  ergibt  sich,  dass  die  Bevölkerung  ungarischer 
Muttersprache  in  der  Hauptstadt  bedeutend  stärker  ist  als  im 
Lande  im  Allgemeinen.  Dies  dürfte  zu  einer  objectiven  Beurtei- 
lung desvielversebrieenenDeatscfatams  der  Landeshanptstadt  fah- 
ren« Das  Verhältniss  gestaltet  sich  jedoch  noch  günstiger,  wenn 
man  noch  die  uniiarisch  Sprecheiulen  fremder  Muttersprache  in 
Bechnuug  zieht.  NamUch : 

Deutsche   43.0J9   s=  36.« 


Slovftkeu   6,328  =  2«.»  t 

Rumänen                        „.  ...  288  =  75.»  • 

Kuthenen                          „.  4-3  r=  7i2.M  • 

("roatcn -Serben   l,H4t  —    09.*  » 

Weiuk'ii   ^  ...  6  =     o5.3  » 

.\niuinrr     10  =  100  . 

Zigeuner   25  =  100  » 

Andere      14  =  4&»  • 


Aualinder     ..     2,379   =s   31.t  » 

Zusammen  nnd  im  Durchschnitte  53,<{55   =  35.« 

Sowohl  der  Fortschritt  des  üngartums  der  Hauptstadt  als 
auch  meine  frühere  Behauptung  bezüglich  des  migarisehen  Coltnr- 
Elementes  werden  durch  die  eben  mitgeteilten  Zahlen  Torteilhaft 
bestätigt  Auch  hier  finden  wir  in  erster  Reihe  unsere  gebildeten 

Mitbürger,  die  Deutsrlwn^  nahe  zu  ihnen  wieder  die  Ausländer. 
Die  in  der  Hauptstadt  in  geringer  Zahl  wohnenden  Kumäneu, 
Buthenen,  Wenden  etc.  fallen  hier  nicht  ins  Gewicht,  doch  zeigen 
die  Groaten- Serben  ein  erfreuliches  Percent  und  erreiehen  auch 
die  ungarisch  sprechenden  Slovaken  das  Verhältniss  der  besten 
Comitate  ungarischer  Majorität. 

Doch  nicht  nur  die  Hauptstadt  liefert  uns  dies  Bild  ;  —  wir 
finden  ähnliche  Verhältnisse  in  der  gesammten  MtädtUeken  Be- 
völkerung des  Landesi  welche  die  bisherige  Anschauung  bezüglich 
der  Nationalitätsverhältnisse  dieser  Bevölkerung  bedeutend  alte- 
riren  dürften. 

Bisher  galt  es  als  Axiom  und  wurde  auch  im  Auslände  viel- 
fach verbreitet,  dass  die  Bevölkerung  der  Städte  Ungarns  über- 
wiegend deutscher  Nationalität  sei.  Bezüglich  einiger  Städte  der 
westlichen  Comitate  und  einiger  Bergstädte  Oberungarns,  sowie 


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DES  JAHRES  IbbO.  l-^ 


der  Sachsen  Siebenbürgens  ist  dies  ftuch  richtig.  Aber  im  Ganzen 
stellt  sich  ein  bedeutend  anderes  Verhältniss  heraus. 

Die  königlichen  Freistädte,  die  mit  Municipalrechten  ans- 
gestatteten  Städte,  sowie  (litjenij^^en  mit  geordnetem  Maj^istrate 
erreichen  die  Zahl  von  143  und  umfassen  die  gesammte  Städte- 
Berölkerung  Ungarns. 

Diese  BevölkerU&g  bildeten 


648,312 

686,709 

1.335^014 

69.1 

Deutsche.  

  176,134 

901,987 

378,191 

17.t 

• 

Slovaken  ...  ...  ...  _ 

...  70^3 

84,866 

155,358 

7.« 

• 

Bnmanwn,..  ...  ...  .„ 

30^ 

37,718 

77,612 

34 

• 

Buthenen  ..  

1,899 

1,687 

3,586 

0.1 

• 

Croaten-Serben  

44,406 

44,802 

89.;?08 

4.a 

• 

Andere    ..  .„   

7,105 

6,318 

13,423 

0.6 

• 

.^uslauder  .. 

11,945 

6.642 

18,587 

0.« 

• 

Des  Sprechens  noch  nu 

kumlig  30.196 

35,931 

72,1-27 

3.4 

• 

Ziipaiiuuea 

...  ...  1.036,;]N4 

1.10G.65ä 

2.143,030 

100 

Die  Bevölkerung  ungarischer  Muttersprache  ist  also  nicht 
nur  um  1 2.3  Vo  stärker  in  den  Städten  als  im  Lande  im  Allge- 
meinen, sondern  auch  die  ungarixch  Sprechende  fremder  Nationa' 
lität  sind  hier  in  viel  höherem  Maasse  zu  ünden,  und  zwar : 


Detitsche.«  ...  „  

J  27^790 

33.1 

32,910 

21  .t 

Huinänen  

21,365 

27.5 

Ruthenen    .   

1,534 

42.t 

CrDaten-Serben  

  19,603 

21.9 

WtlMllIl„  

95 

l>0.« 

Zif^tuiier ...               .  . 

1,984 

9C.7 

Armenier  

1,900 

373 

Andere  .„   

529 

9.» 

Anslinder  

5,697 

30,« 

Auf  die  Wichtigkeit  dieser  Erschemung  komme  ich  noch  zu 
sprechen.  Schon  jetst  kann  aber  hervorgehoben  werden»  dass  die 
ctidtisehe  Bevölkerung  einen  wesentlichen  Teil  der  Gesammt* 
Bevölkerung  des  Landes  bildet,  nämlich  S.  143,036  Seelen  oder 

I-Vfi"  0.  Nachdem  die  Bevolkt  ruii«,'  dieser  selben  Städte  im  Jahre 
1n70  blos  1.9:)4,S7I  Seelen  zahlte,  so  heträgt  die  Vermehrung 
iü8,165  Seelen  oder  9.7  ^jq,  während  die  Gesammtbevölkerung  des 
ruMiiuiii  Bm,  im,  n.  Hiii.  9 


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130      UNGARNS  NATIONALITÄTEN  AUF  OBUND  DER  VOLKSZÄULUNG 

Landes  —  wie  wir  sahen  —  während  derselben  Zeit  nur  um 
1.46^0  zugenommen  hatte.  Von  den  in  den  Städten  wohnenden 
Angehörigen  fremder  Nationalität  sprechen  femer  im  Dareh- 

schnitte  20,  in  der  Hauptstadt  ßofrar  35.4  "  o  die  iinf^arisclie  Staats- 
sprache, wahrend  wir  dasselbe  Verhiiitniss  für  das  ganze  Land  nur 
mit  11.»  ^/o  coDstatiren  konnten. 

Die  Zahl  deijenigen  im  Lande,  welohe  wenigstens  zwei 
Sprachen  sprechen,  beträgt  i\5r)  1,000  oder  18.7  der  Gesammt- 
Bevölkerung.  Bios  eine  Sprache  sprechen  ll.i^.o  oder  10.1)68,567 
Einwohner ;  die  noch  fehlenden  3.6  bilden  die  des  Sprechens 
noch  unkundigen  Kinder  unter  2  Jahren. 

In  dieser  Biohtung  entscheiden  teils  der  Bildungsgrad  der 
Bevölkenmf:,  teils  das  mehr  weniger  massenhafte  ZiisamiDenwoh- 
iien  einer  Nationalität.  Hier,  aber  auch  nur  hier  stehen  in  erster 
Keihe  die  Rumänen,  von  denen  92%  blos  ihre  eigene  Mutter- 
sprache kennen.  Gleich  hinter  ihnen  rangiren  die  Ruthenen  mit 
89.8  Vo.  J^^Croaten-Serhenf  mehr  zerstreut  wohnend,  können  sich 
nur  im  Verhältnisse  von  öS. 4  blos  ihrer  Muttersprache  bedienen, 
nahe  die  Hälfte  derselben  ist  noch  auf  eine  andere  Landessprache 
angewiesen. 

Auf  die  Ungarn  passen  vorstehende  Bemerkungen  nicht.  Als 
Träger  des  Staatsgedankens  und  mit  der  Staatssprache  identisch 

können  sie  sichs  an  ihrer  Muttersprache  genügen  lassen  und 
ünden  sich  deshalb  83.2  "  o  oder  5.13i,6.")5  Bewohner,  welche 
ausser  dem  Ungarischen  keine  weitere  Sprache  kennen.  Das  Bü- 
dungs-Element  finden  wir  hier  wieder  bei  den  Deutschen  und  den 
Ausländem,  von  welchen  sich  nur  62,  bezüglich  blos  34.«  •/©  auf 
ihre  eigene  Sprache  beschräukc  n.  Dass  von  den  Zigeunern  blos 
t9°/o  mit  ihrer  eigenen  Sprache  fortkommen  können,  wird  man 
nach  obiger  Bemerkung  natörlich  finden,  der  zufolge  dieselben 
sich  in  jedem  Gomitat  zu  der  Sprache  der  Majorität  bekennen. 
Ebenso  natürlich  ist  es,  dass  von  den  Arweniern  blos  6.i  ®/o  sich 
auf  seine  Muttersprache  beschränkt,  da  dieser  Stamm,  wie  bereits 
erwähnt,  sozusagen  bereits  gänzlich  assimilirt  ist. 

Vorderhand  dfirfte  uns  ein  anderes  Moment  interessiren. 


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DEä  JAHRES  18S0. 

« 


131 


welches  zugleieb  geeignet  ist,  eine  der  mittelst  Zählblättchen  aus- 
fuhrbaren und  im  statisüsehen  Bmreau  anoh  vielfach  ansgeführten 
Combinationen  vormweisen  —  nämlich  die  Muttenpraehe  in  Ver- 
bindung mit  dcju  Heiigiomht'h'ujttrüsse.  Es  ist  noch  nicht  lange 
her,  dass  man  aus  den  bekannten  Daten  der  Keligionsbekenntnisae 
ftuch  auf  die  Nationaiitätsverhältnisse  der  Bevölkening  schliessen 
zu  dürfen  gUnbte.  Dies  ist  nicht  stichhältig,  und  haben  die  neue- 
ren Erhebungen  diee  klar  dargetan.  Alles  in  Allem  ist  es  nur 
richtig,  dass  z.  B.  ein  grosser  Teil  der  Rutlieucn  griechisch-katho- 
lisch ist.  Aber  bei  den  Rumänen  trifft  dies  schon  nicht  mehr  zu, 
denn  nahezu  zwei  Drittel  derselben  sind  griechisch- orientalisch. 
Von  den  die  grosse  Majorität  der  Bevölkening  dee  Landes  bilden- 
den Romi9eh'kathoUsehen  sind  53  Ungarn,  iBVo  Deutsehe, 
19^0  Slovaken  und  3.6  "/o  Croaten  u.  s.  w.  Von  den  Krancn'UacJten 
Augsburger  Confession  sind  23  %  Ungarn,  34  "^/  o  Deutsche  und  38  '^/o 
Slovaken.  Von  den  Reformirten  04.8  Ungarn.  Auch  die  Unitarier 
sind  ausschliesslich  Ungarn.  Selbst  bei  den  Juden  sind  56.8  ^/o 
ungarischer,  33.8  ^/o  deutscher  Muttersprache,  doch  haben  sich 
auch —  was  bisher  unbekannt  war  —  3.8  "  o  zur  slovakisclK  U, 
1  ji  zur  walachisühen  und  1 .6  o  zur  ruthenischeu  Muttersprache 
bekannt 

Untersncht  man  die  ReUgionsverhaUniue  blo$  der  Ungarn,  so 
findet  man  unter  ihnen 

ruiuiseh-katholische  _                                             ...  öö.« 

griechisch-  und  armeuisch-katholiscbe   2.t  • 

griecfaiseh-  und  «rmeniseh-orientaüsehe  ...  ...    Olt  • 

Enmgielitebe  Angsborger  Confeseioii   4.i  » 

»        HeWetisdier       •                      _   30.«  • 

Üiiit(iii6r   „   » 

Jodon     5bf  » 

Andere  ...  ^   O.1  • 


Alle  bisherigen  Combinationen  dürften  zwar  manch'  interes- 
santes Detail  zu  Tage  gefördert  haben,  antworten  aber  noch  immer 
nicht  auf  die  oft  aufgeworfene  Frage :  wie  viel  wir  Ungarn  eigent- 
lich seien?  noch  weisen  sie  nach,  ob  das  Ungartum  sich  im  AlU 

9* 


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132       UNGARNS  NATIONALITÄTEN  AUF  OKUND  DER  VOLKSZÄHLUNG 

• 

gememea  gctkräftigt  und  verbreitet  habe  oder  nicht  ?  Auf  letztere 
Frage  dürften  die  Daten  der  Muttersprache  eine  nur  wenig  befriedi- 
gende Antwort  bieten,  und  nachdem  es  bekannt  ist,  wie  sehr  die  vor 

lO  Jahren  berechneten  Zahlen  mit  den  nunmelir  erhobenen  über- 
einstimmen, dürfen  wir  uns  diesbezüghch  auch  keinen  grossen 
Illusionen  hingeben.  Die  Logik  der  Ziffern  ist  eben  unerbittlich. 

Nachdem  auf  den  Blättchen  auch  das  (Geburtsjahr  der  Ein- 
wohner erhoben  wurde,  so  wurden  aus  diesen  Daten  AUer$da$8en 
gebildet.  Combinirt  man  nun  die  in  den  betreffenden  Altersclassen 
Befindlichen  mit  der  NationaHtät,  oder :  untersucht  man,  wie  viele 
Percente  z.  B.  Ungarn  in  jeder  Altersdasse  waren,  so  muss  sich 
ergeben,  ob  die  Bevölkerung  ungarischer  Muttersprache  im  Laufe 
der  Zeit  zugenommen  hat  oder  nicht  ?  Bei  Durchführung  dieser 
Combination  bleiben  die  0 — -2  Jahre  alten,  als  im  Grossen  des 
Sprechens  noch  unkundig,  weg  und  es  entsteht  folgendes  Bild : 

Ungar Ueher  Muttersprache  waren  ün  Alter 


von  3 —  6 

Jaliren   

.    46.» 

•  6 — 10 

•   , 

  47.7 

* 

•  11—15 

*          •*«  ... 

•«•  40a7 

.  16—20 

»  «M 

.  »1—30 

•   

 46.« 

* 

•  31-40 

k   , 

  45.1 

» 

•  41—50 

^B^|#CV 

» 

.  51— eo 

^  •*< 

t  ■4'<).6 

über  60 

  ^:  ...  46.8 

» 

Eine  überraschende  Beständij^keit  der  Percente  in  den  ein- 
zelnen Altersclassen,  welche  die  Bevölkerung  im  Alter  der  60er 
Jahre  gerade  in  dem  nämlichen  Verhältnisse  zeigt,  wie  die  jetsige 

Jugend  zwischen  5  und  20  Jahren  ! 

Kann  dies  aber  auch  anders  sein.,  wenn  von  Seite  des  Landes 
bis  jetzt  sozusagen  gar  nichts  getan  wurde,  um  die  ungarische 
Staatssprache  zu  einem  so  gesuchten  Lebensbedürfnisse  su 
milchen,  .dass  hinfnr  Jeder  sie  gerne  auch  als  Muttersprache  be- 
kenne ? !  Es  war  das  zwar  ein  heilsamer  Schritt,  welcher  im  abge- 
laufenen Jahre  den  Unterricht  der  Staatssprache  in  den  Volks- 
schulen obligatorisch  machte,  doch  können  die  Besultate  dieses 


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D£B  JAURBB  1880. 


133 


Schrittes  in  dt;ii  Ergebniseen  der  Volkszählung  des  Jahres  18S0 
noch  nicht  zam  Vorschem  kommen. 

Es  dürfte  kaum  einen  stärkeren  Beweis  als  diese  Ziffern  für 
die  Ungerechtigkeit  jener  Ahschuldigangen  geben,  welche  Ungarn 
und  dessen  herrschende  Bt  völkerung  Nationalitäts-Hetzereien 
leiben.  Im  Gegenteil  wurde  nichts  im  Interesse  der  Staatssprache 
oder  nur  Ausbreitung  derselben  miter  den  Nationalitäten  fremder 
Zunge  getan  nnd  hat  sich  deshalb  auch  das  SprachenverhältnisB 
nicht  nur  in  den  letzten  10— 15  Jahren  nicht,  sondern  seit  einem 
h&lhen  Jahrbundt  rte  kaum  verschoben. 

Und  dennoch  hat  sich  Ungarn  gekräftigt  und  gestärkt.  Wir 
haben  an  Bildung  zugenommen  und  Terrain  gewonnen,  dies  aber 
geht  in  unserem  Vaterlande  immer  parallel  mit  der  Ausbreitung 
des  üngartums.  Die  absolute  Zahl  der  Bevölkeruug  hat  sich  seit 
der  letzten  Zählung  nicht  sonderlich  vermehrt^  aber  innerlich 
haben  wir  uns  gekräftigt  und  sprachlich  gerade  in  den  Schichten 
der  gebildeteren  Bevölkerung  weitere  Eroberungen  gemacht. 

Schon  früher  hatten  wir  Gelegenheit  auf  den  Unterschied 
iiifmerksam  zu  werden,  welcher  in  sprachlicher  Beziehung  zwi- 
schen dem  Lande  im  Allgemeinen  und  den  Städten  desselben  be- 
steht Das  Fortschreiten  des  Üngartums  lässt  sich  noch  ein* 
gebender  beobachten,  wenn  man  das  die  intensivere  Bildung 
vertretende  stadtische  Element  ebenüftUs  nach  Altersclassen  unter- 
sucht. Um  Wiederholungen  auszuweichen,  sollen  auch  hier  die 
Hauptstadt  und  die  übrigen  f rovinzstädte  gleichzeitig  aufgeführt 
Verden« 

üngarUeher  Muttergpraehe  waren: 

In  4mi  Piovias-        In  dar  Haopt* 


im  Alt«  r 

HtH(iteu 

Rtadt 

von  über  60  Jahron  

 -  ...  59.a  "  0 

40.7  "  . 

von  51— W 

"                                    ••#  ■ 

^                       O^^  o  » 

42.Ü  . 

II 

»p«     •■■  ■«« 

...                 t)0.*  • 

47.«  » 

'  m»m 

»                                   6  1  .H 

51.»  » 

•  ÜI-HO 

• 

  6i  :  » 

58.«  • 

•  10-^0 

^                             **■  M« 

..  ~.  ...  „.    66.«  » 

t  «—10 

»   

  68.S  • 

64.t  » 

In  den  gesammten  Städten  ist  demnach  die  ungarische 


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134      UN0ABM8  NATIONALITÄTEN  AUF  ORUND  DBB  VOLSaZAHLUNO 

Muttersprache  der  heutigen  Jugend  um  9.i,  in  der  Hauptstadt 
sogar  am  i23.'.  ^/o  stärker  Tertreten,  als  bei  der  noch  lebenden 
älteren  Generation. 

Dieses  voransgeschickt,  können  wir  nnnmehr  leiobteren  Her- 
zens an  die  Aufstelhinj^j  des  Xutiontilitätfi-Inrentarii  unserer  Be- 
völkerung herantreten,  deren  geeammte  Factoren  bis  Jetzt  noch 
nicht  vorgeführt  wurden. 

Bisher  wurde  noch  der  Armee  und  Landwehr  keine  Brwah* 
nnng  getan,  welche  zur  Zeit  der  Zählung  im  activen  Stande  73,14-7 
und  10,501,  zusammen  S:5,708  Köpfe  zahlte.  Auch  von  diesen 
gehört  ein  Teil  Ungarn.  Die  kaiserliche  und  königliche  Armee 
wurde  zwar  nach  österreichischem  System  gezählt,  welches  nieht 
nach  der  Mutter-,  sondern  nach  der  „ümgainffeEpraehe^*  frng. 
Beim  Militär  waren,  trotzdem  der  neuen  Territorial-Einteilnng 
zufolge  die  ungarisclien  Regimenter  im  Lande  sein  sollten  und  die 
Zahl  derselhen  hauptsächlich  aus  den  betreffenden,  am  St-ations- 
.Orte  befindlichen  Cadres  resultirte,  nur  37.6 °/o  Ungarn  nach- 
gewiesen, obwohl  das  Bevölkerungs-Fercent  im  Lande  45  ^/o 
beträgt ;  andererseits  waren  Deutsche  mit  $5  •/o  ausgewiesen, 
während  das  Bevölkerungs-Perceut  nur  13.ü9^o  ist,  Walaclien 
rangiren  nur  mit  10.5  gegen  IG.s^'o  der  Bevölkerung,  doch  ist 
dies  aus  der  geringeren  taughchen  Beeruienzahl  dieses  Stammes 
erklärlich.  Ebenso  war  zu  erwarten,  dass  Groaten-Serben  in  gros- 
serem Verlüiltnisse  in  der  Armee  vorkommen,  als  deren  Bevölke- 
rungs-Verhältniss  erwarten  laset,  nämlich  T).-,  gegen  4.4**/«.  Doch 
acceptiren  wir  diese  Verhältnisse.  Auch  so  kommen  uns  ans  der 
Armee  :27,708  Seelen  zugute.  Bei  der  Landwehr  zeigte  sich  das 
Gegenteil.  Hier  war  das  Percent  der  Ungarn  67.7,  der  Deutschen 
1:^.8,  der  Slovak«  n  7.;i,  der  Wiihichen  S.io,  der  Crnaten  Serben 
t2.9  ^/o.  Das  ungarische  (Kontingent  macht  demnach  7153,  beide 
Factoren  zusammen  34,861  Köpfe. 

Es  waren  jedoch  bei  der  Zählung  436,270  Mitbürger  als  der  be- 
treffenden Haushaltung  angehörig,  yedioeh  ahicteend  nachgewiesen. 
Die  nälieren  Verhältnisse  derst^Ihcn  wurden,  um  Doi^pelzählungen 
zu  Termeiden,  nicht  nachgewiesen,  auch  war  ja  gewiss  ein  grosser 


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DE8  JAHSBS  1880. 


135 


Teil  derselben  irgendwo  im  Lande  erhoben.  loh  nehme  ihiher  von 
denselben  blos  die  in  Oesterreich  erhobenen  183,4:22  ungarischen 
SlaaUbürger  als  Grundlage  und  berechne  von  selben  nach  dem 
siUgememen  YerhaltniBse  von  45  82S|540  als  Mitbürger  ungari- 
scher  Mntierspraefae,  da  die  anch  ungarisch  sprechenden,  wegen 
der  in  Oesterreich  beliebten  «Umgangssprache«  nicht  nachgewiesen 
werden  können. 

Die  Zahl  der  des  Sprechens  noch  Unkundigen  macht  nahezu 
eine  halbe  Million.  Diese  können  doch  nicht  ganz  ausser  Bech- 
nirng  gelassen  werden,  denn  man  macht  nicht  alle  Tage  ein  Volks- 

Inventar,  und  bis  dies  wieder  geschieht,  werden  wohl  aiich  sie 
irgend  eine  Muttersprache  bekennen.  Hier,  ich  gestehe  es  ein. 
wird  es  mir  schwer,  mich  an  das  allgemeine  Landes-Percent  zu 
hilien,  denn  nach  Analogie  der  in  den  Städten  erfahrenen  Pro* 
greesion  der  ungarischen  Muttersprache  nach  Altersclassen  müsste 
ein  anderes,  günstigeres  Percent  angenommen  werden.  Dennoch 
begnüge  ich  mich  auch  hier  mit  den  bekannten  4ö"/ü  und  erhalten 
wir  derart  i2^4,574  Seelen. 

Aber  auch  in  Groatien  und  namentlich  in  Slavonien  wohnen 
noch  Ungarn  1  Aus  den  Daten  der  Zahlung  sind  dieselben  zwar 
nicht  eruirbar,  weil  dort  das  Depouillement  der  Zählblättchen 
noch  nicht  beendigt  ist.  Man  dürfte  jedoch  kaum  irre  gehen,  wenn 
man  die,  wenn  auch  veralteten  Daten  Ficker's  aus  dem  Jahre 
1851  zur  Grundlage  nimmt,  obwohl  diese  daselbst  nur  17,600 
Magyaren  nachwiesen. 

Trotzdem  durch  die  Annahme  der  Umj^an^'s spräche  inOester- 
reicli  allein  uns  viele  Tausend  Ungarn  entgehen,  will  ich  doch 
weder  die  beiläufig  10,000  Magyaren  in  der  Bukowina,  noch  die 
in  Bomänien  befindlichen  zahlreichen  Ungarn  in  Berechnung 
neben  und  nicht  über  die  Grenzen  des  Staates  hinaustreten,  um 
nicht  selbst  in  jenen  Fehler  zu  verfallen,  den  ich  bei  anderer  Ge- 
legenheit an  fremden  Statistikern  rügte,  dass  sie  numlich  auch  die, 
ständige  Untertanen  auswärtiger  Staaten  bildenden  Sprachge- 
nosBcn  als  ihrer  Nation  angehörig  betrachten  wollen. 

Wir  dürfen  bescheidener  sein  undwoUen  uns  mit  den  streng- 


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136      UMOABNiB  NATIONALITÄTEN  AUF  OBUNI»  DER  VOLKSZAHLUNO 

sten  Zahlen  begnügen  :  auch  auf  diese  Weise  erhalten  wir  nach 
Summirung  der  oben  specitieirten  Posten  in  runder  Zahl  7.34i:J,000 
Magyaren  oder  53.6  ^/o,  d.  h.  eine  überwiegende  abtolute  Majorität, 
Eine  so  bedeutende  Ziffer  dies  aucli  sein  möge,  so  suche  ich 
dennoch  nicht  in  ihr  und  beileibe  nieht  in  ihr  allein  die  ungarische 
Nation. 

Meine  mir  selbst  gestellte  gegenwärtige  Aufgabe  war,  diejeni- 
gen Ergebnisse  vorzuführen,  welche  die  Volkszählung  Ungarns  vom 
Jahre  1880  in  spraehlicher  Beziehvng  zu  Tage  gefordert  hat. 
Deshalb  imderten  sich  meine  Ansichten  über  den  Be^^ritf  der 
Sationalitäten  keineswegs.  Als  getreuer  Schüler  unseres  verewig- 
ten EöTVös  liegt  auch  mir  die  Idee  der  Nationalität  mehr  in 
einem  höheren  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  als  blos  und 
allein  in  der  Sprache. 

^ebei  sclititze  ich  jedoch  die  Wichtif^keit  aueh  der  Sprache 
durchaus  nicht  «gering  und  halte  meine  bereits  im  Jahre  1870  bei 
ähnlicher  Gelegenheit  ausgesprochene  Ansicht  aufrecht;  dieser 
nach  tist  die  Nationalität  ein  inneres  Gefühl,  ähnlich  dem  Glau- 
ben, verwandt  der  VaterlandsUebe,  und  so  wie  steh  die  positive 
Religion  in  ihren  Glaubenssätzen  und  Ceremonien  äussert,  so 
bedient  sich  die  Nationalität  zu  dieser  Aeusseruug  der  Sjirarht  .» 

In  neuester  Zeit  hat  sich  der  bereits  erwähnte  Graser  Pro- 
fessor GuHPLOTiTz  mit  der  Frage  in  seinem  Buche:  fDie  Beehte 
der  Nationalitäten  in  Oesterreich- Ungarn t  beschäftigt.  Auch  er 
nennt  sich  einen  Getreuen  unseres  grossen  Staatsmannes  und 
hebt  lobend  hervor,  dass  Eöxvös  der  erste  war,  welcher  die  absolute 
Herrsehaftder  Sprache  aus  dem  Begriffe  der  Nationalität  entfernte, 
Gnmplovitz  befasst  sich  eingehend  und  objectiv  mit  den  Bechten 
und  Anforderungen  der  Nationalitaten,  lasst  auch  den  Ungarn 
Gerechtigkeit  widerfahren  und  betrachtet  die  Suprematie  der 
magyarischen  Staatssprache  als  vollkommen  berechtigt.  Seiner 
Auffassung  nach  ist  tdie  Natiooalität  eine  durch  ein  gemeinsames 
Staatswesen  hervorgebrachte  und  geforderte  Cultur*  und  Interessen- 
Gemt'infichaft,  die  sich  nicht  immer  und  nicht  notwendig  in  einer 
gemeiusameu  Sprache  auszudrücken  braucht" 


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DS8  JAHBE8  1880.  137 

Wenden  wir  diese  Definition  auf  unsere  eigenen  Verhältnisse 
an  und  wir  gelangen  nnansweichlich  zur  Idee  de»  Staate»,  Nur  auf 
diese  Weise  können  vir  das  Beich  Stefan  des  Heiligen  versteben, 
«elehes  demnaehst  seinen  tausendjährigen  Bestand  feiern  wird. 

Wir  Rafjeu  zwar  heute  nicht  mehr:  «unius  Hnoiuflp  uniusque  moris 
rtgnum  imbecille  et  fragile  est»,  wissen  aber  nur  zu  gut,  dass 
Ungarn  seinen  tausendjährigen  Bestand  den  staatenbildenden  und 
bildungsfähigen  Elementen  yerdankt.  Es  verdankt  ihn  der  Nation, 
welche  magyarisch  ist,  alles  Andere  im  Lande  ist  blos  Nationalität. 
Weun  wir  dies  vor  Augen  halten,  werden  w  ir  auch  die  folgenden 
Worte  des  bezogenen  Autors  zu  würdigen  wissen:  «Aus  dieser 
geistigen  Qualität  der  Nationalität  ergibt  es  sich  von  selbst,  dass 
dieselbe  »ire»fj  penommen  nur  ein  Gemeingut  des  gebildeten  Teiles 
einer  Nation  sein  kann.  Mau  luuss  bis  heutzutage  in  jedem  Volke, 
in  jeder  Nation  die  ungebildete  Masse  von  der  Intelligenz  schei- 
den. Wenn  man  von  einer  Culturgemeinschaft  spricht,  so  kann 
man  selbstverständlich  nur  an  Diejenigen  denken,  die  überhaupt 
einer  Culturgemeinschaft  teilhaftig  sind,  die  also  diese  gemein- 
schaftliche Cultur  austragen  helfen,  dieselbe  mitrepräsentiren.» 

Und  wer  sind  wohl  in  Ungarn  die  Repräsentanten  dieser 
gemeinschaftlichen  Cultur  ?  Wir  haben  sie  früher  kennen  gelernt. 
Nach  obiger  Auseinandersetaung  des  deutschen  Autors  können 
wir  nunmehr  beruhigt  auf  jene  Massen  hlioken,  welche  in  der 
Bildung  und  Cultur  noch  nicht  einmal  so  weit  gelangt  sind,  sich  die 
Staatssprache  zu  eigen  zumachen.  Was  unter  ihnen  Culturelement 
ist,  befindet  sich  ausser  dem  staatenbildenden  und  erhaltenden 
üngartnm,  unter  jenen  817,000,  eigentlich  eine  Million  übersteigen- 
den Mitbürgern,  welche,  seien  eie  der  Geburt  nach  welch*  Idiomes 
immer,  ungarisch  können,  ungarisch  fühlen  und  mit  uns  vereinigt 
fähig  und  gewillt  sind,  den  ungarischen  Staat  zu  erhalten,  zu  kräf- 
tigen und  zu  entwickeln. 

Und  dies  ist  wahrlich  keine  Selbsttäuschung!  Es  mögen 
miter  diesen  ungarisch  Sprechenden  sich  welche  finden,  die  von 
äfT  schimmernden  Idee  des  Panslavismus  geblendet  sind;  es 
üüden  sich  darunter  schmollende  Bumänen;  dem  Treiben  der 


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1 


138      UNGARKS  NATIONALITÄTEN  AUF  ORUND  DER  V0LK6ZAHLÜNG. 

Omliidina  verfallene  Serben  oder  liochflie«:enden  Traunun  huldi- 
gende Croaten.  Bei  den  Butlu  lu  ii  vt  rfan^^t  selbst  der  russibclie 
Einf 088  nicht ;  mit  unseren  Deutschen  haben  —  dnen  Teil 
der  Siebenbürger  Sachsen  etwa  ausgenommen  —  niemals  An- 
stände gehabt.  Die  wenigen,  gegen  die  ungarische  Btaatsidee  sich 
aiifbaiimL'iKk'ii  Mulcontenten  wiej^en  jedoch  wenig  gegenübt  r  den 
Huuderttuuseuden  treugesinnter  Mitbürc]:er  fremder  Zunge,  Mil- 
lionen gegenüber  verschwinden  sie  einfach. 

Meine  auf  Grund  statistischer  Daten  gemachten  Studien  tmd 
Untersuchungen  haben  mich  davon  überzeugt  und  hoffe  ich  aneh 
meine  Zuhörer  hievon  liherzeujxt  zu  haben,  dass  das  üngartum, 
trotz  aller  scheinbaren  Stagnation  in  den  Massen,  stetig  fort- 
schreitet und  sich  entwickelt  in  den  intelligenten  Kreisen.  Der 
Kern  imserer  Nation  sind  jene  6  Millionen  Magyaren  ungarischer 
Muttersprache,  deren  selbst  die  massenhaft  wohnenden  Rumänen 
kaum  ein  Drittel  erreichen.  Wollte  man  auch  auf  das  magyarische 
Skjthentum  Gewicht  legen,  so  finden  wir  es  in  jenen  83  ^Jo  dieser 
sechs  Millionen,  welches  ausser  dem  Ungarischen  keine  andere 
Sprache  kennt. 

Zu  diesem  staatenbildenden  und  zahlreichsten  Elemente 
kommt  jedoch  noch  jene  andere  Million,  welche  unsere  Sprache 
spricht,  sich  in  unsere  sämmthchen  Culturarbeiten  teilt  und  die 
geistige  Kraft  des  Landes  mitrepräsentirt.  Hiemit  wird  die  von 
Paul  Hunfalvt  in  seinem  Buch  «Die  Ungarn»  citirte  Prophe* 
zeiunfj;  Pai  l  dt.  Lfgardk's  von  selbst  zu  niclite,  dass  niimlich  die 
ungarische  Nation  zu  Grunde  gehen  müsse,  weil  Nationen  nur 
durch  geistige  Kräfte  jung  erhalten  oder  wieder  veijüngt  werden 
können.  Sein  Verneinen  dieser  Kräfte  ist  umsonst.  Er  sieht 
ß(ylche  nicht  an  der  Arbeit  bei  den  Turanern  (zu  welchen  er  auch 
die  Miigyaren  zählt),  weil  er  unsere  Nation  nicht  kennt.  Es  ist 
nicht  notwendig,  dass  wir  uns  verjüngen ;  denn  —  möge  auch 
unser  Ursprung  in  prähistorische  Jahrhunderte  zurückreichen  — 
in  Europa  sind  wir  eine  junge  Nation.  Mit  der  ganzen  Kraft 
jugendlicher  Völker  haben  wir  uns  auf  die  Civilisation  geworfen 
und  wer  unsere  Culturbestrebuiigen  nur  des  letziverilossenen 


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DIE  ENT8TBBÜNG  CBOATIXl». 


139 


Jahrhimderts  kennt,  wird  zugeben  müssen,  dass,  ob  skytiscber 
oder  deutscher  Muttersprache,  all*  ihre  Bepräsentanten  Ungarn 
waren. 

Unsere  Intelligenis  ist  ungarisch,  diese  breitet  sich  aus  und 

mehrt  sich  und  in  ihr  liegt  die  Sicherung  unserer  Zukunft. 


Zwei  Erscheinungen  tauchen  nun  auf,  welche  innig  mit  ein- 
ander zusammenhängen,  und  wtdehe  auf  die  geographisclu  n  Ge- 
staltungen im  Südwesten  Ungarns  von  bedeutendstem  EiuÜuss 
waren.  Wir  meinen  die  Verleihung  von  geographischen  Namen 
in  Ländergebiete,  denen  diese  Namen  nicht  gebühren,  dann  die 
Yerwaltnng  eines  Drüteils  des  Landes  durch  königliche  Ftinsen. 

Die  eratere  Erscheinung  stellt  uns  vor  die  Frage :  wann  ge- 
Bchah  es,  dass  das  Gebiet  zwischen  der  Kulpa  und  Save,  dann  das 
Zwischenland  der  Save  und  Drave,  nämlich  die  Comitate  Agram, 
Zagorien,  VarasdundEörös  (Kreutz)  den  Namen  Slavonien  erhielt. 

Lange  bevor  Jakob  Grimm  in  der  deutschen  Sprache  das 
Gesetz  der  Lautverschiebung  entdeckte,  litt  Ungarns  öffentliches 
politisches  Lehen  unter  einer  Metamorphose,  welche  wir  eine  geo- 
graphische Verschiebung  nennen  möchten,  deren  Seitenstück  in 
kdner  Geschichte  irgend  einer  anderen  Nation  sich  findet. 

Ein  bedeutender  slavischer  Stamm  erobert  und  besetzt  die 

Gestade  des  adriatischen  Meeres,  und  nennt  seine  neue  Heimat 

■«* 

8Iavonien,  gleichzeitig  nennt  es  diese  seine  Ursitze  Dalmutien  und 
Croatien,  indem  es  von  dem  Bechte  des  besitzergreifenden  Volkes, 
sein  Land  zu  benennen,  Gebrauch  macht. 

In  der  Mitte  des  XI IL  Jahrliunderts  wird  das  Land  zwischen 
der  Kulpa  und  Save,  dann  das  zwischen  der  Save  und  Drave,  un- 
gefähr bis  zu  den  Gebirgen  Bekan,  Bilo,  Gzeme  Vrh  und  Papuk 


Dr.  Karl  Kelkti. 


DIE  ENTSTEHUNG  CBOATIENS. 


V. 


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140 


DIE  EMTSTBHUNO  OBOATIBNB. 


Slavoiiieu  genannt,  und  dies  Gebiet  wurde  in  die  Comitate  Agram, 
Zagoria,  Varasd  und  Eörös  eingeteilt. 

Wieder  vergehen  Generationen»  und  die  hier  heschriebene 
Provinz  mit  ihren  vier  Comitaten  nimmt  den  Namen  Groatien 
an,  —  der  Name  Slavonien  wird  aber  weiter  geschoben,  und  auf 
ein  immitteibares  imirarisches  Gebiet  übertragen,  welcbes  zwischen 
den  zwei  Flüssen  bis  dahin  sich  erstreckti  wo  beide  in  die  Donau 
münden  und  die  Comitate  Yerdcze,  Posega,  Yalk6  und  Syrmien 
in  sich  schliessen. 

Wir  linden  also  die  alten  geographischen  Namen  noch  immer 
vor,  aber  diesen  sind  andere  Begriffe  unterschoben  worden,  und 
werden  auf  ganz  andere  Gebiete  angewendet.  Es  gilt  das  lateinische 
Sprichwort:  verba  valent  sicut  nummi.  Jedes  Wort  hat  seine  be- 
stimmte Bedeutung  und  seinen  bestimmten  Wert,  welcher  so 
lange  gilt,  bis  der  Gebrauch  eben  dieses  Wort  mit  einem  andern 
Wert,  einer  andern  Bedeutung  in  Circulation  bringt. 

Die  Bewegung  ging  vom  Westen  aus  nach  dem  Osten,  tmd 
Slavonien,  welches  ursprünglich  an  der  adriatischen  Küste  sich 
erstreckte,  gelan«;te  auf  seiner  Wanderung  bis  an  die  Tore  von 
Belgrad. 

Das  Zusammentreffen  eigentümlicher  Verhältnisse  verur- 
sachte diese  wunderbaren  Besultate ;  wunderbar  auch  darin,  dass 
die  Nation  auch  jetzt  noch  nicht  die  Wichtigkeit  der  Situation  er- 
kennt, für  die  Vergangenheit  aber,  dass  dieselbe  schöne  Provinzen 
verlor  —  ohne  Schlacht. 

£s  ist  meine  Aufgabe»  die  Keime  dieser  Zustände  zu  erforschen. 
Es  war  die  unglücklichste  Politik  der  Könige  aus  der  Arp6dischen 
Dynastie,  dass  man  den  königlichen  Prinzen  einzelne  Landes- 
teile zum  Regieren  gab,  was  immer  geschah,  so  oft  dt  r  König 
einen  Bruder  oder  mehrere  Söhne  hatte.  Alte  und  neue  Schrift- 
steller haben  nur  verdammend  über  diese  Politik  sich  geäussert. 

Beginnen  wir  mit  Emerich,  dem  Sohn  Stefan  des  Heiligen,  doch 
nur,  um  die  aus  seinem  Herzogstitel  versuchten  Folgerungen  zu- 
rückzuweisen. Emerich  kommt  in  der  Legende  einfach  als  Herzoj? 
(dux)  vor,  die  Hildesheimer  Annalen  bemerken  zum  Jahre  1031, 


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DIE  ENTSTEHUNO  CKOATIENS 


Iii 


dass  er  Dux  Buizorum  gewesen  sei,  der  bei  der  Jagd  von  einem 
Eber  zerrissen  wurde.  Von  dieser  Mitteilung  der  gleiohzeiügen 
Qaelle  ist  kein  einziges  Wort  wahr,  mit  Ausnahme  des  Namens 

Stefans  des  Heiligen.  Der  grösste  Teil  nnserer  Schriftsteller,  so 
wie  Pruy,  verstehen  unter  dux  Ruizorum  einen  «Herzog  der 
Russen»,  —  doch  aus  welchen  Gründen  ?  Andere  meinen,  Emerich 
habe  Slavonien  administnrt,  seit  derselhe  sich  mit  der  Tochter  des 
eroatischen  Königs  Crescimir  vermählte«  Johann,  der  Arohidiaeon 
von  Gaerche,  deteriorirte  den  ursprünglichen  Text,  nnd  macht  ans 
Emerich  einen  dux  Raizorum,  was  Engel  für  einen  Herzog  von 
ßaacien  erklärt,  beifügend,  dass  Emerich  gleidueiiig  auch  Herzog 
von  Groatien,  d.  h.  dem  damaligen  Slavonien  gewesen  sei.  Alles 
dies  sagt  aher  Engel  nicht  mit  solcher  Bestimmtheit,  wie  seine 
Nachfolger  Palngyai  und  Gyurikovics.  Podhraczky  endlich  be- 
hauptet, dass  Emerich  als  dux  Russorum  die  Provinz  Moson  i  Wie- 
selburg) im  Besitz  hatte,  deren  russische  Bevölkerung  die  Grenzen 
bewachte. 

Wenn  das  Titelblatt  des  Agramer  Missale  Emerich  den  Hei- 
ligen der  Tradition  gemäss  Bnx  Slavoniae,  das  heisst  Heraog  von 

Slavonien  nennt,  so  kann  icli  einer  Aufzeiclniun«^  aus  späterer 
Zeit  (das  Missale  ist  nämlich  aus  dem  Jahre  1536),  als  nämlich  die 
Benennung  der  südlichen  Landesteile  schon  eine  grosse  Ver- 
wimmg  verriet,  kerne  derartige  Wichtigkeit  beilegen,  wie  Stefan 
Horvdth,  nnd  kann  weder  dieses,  noch  sein  anderes  Datum,  dass 
nämlich  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  l^di  filii  joha^'ionum 
S.  Begis  de  GoriczM  *  genannt  werden,  als  Beweis  dafür  gelten 
lassen,  dass  Stefan  der  Heilige  das  heutige  Croatien  besessen  habe, 
obgleich  er  es  besass. 

Emerich,  als  Herzog  von  Slavonien,  diesen  Namen  in  spä- 
terem Sinne  j^enoramen,  <^äbe  uns  einen  kräfti<]fen  Beweis,  dass 
König  Stefan  I.  auch  zwischen  der  Drave  und  Save  geherrscht 
habe,  doch  wir  bedürien  eines  solchen  Beweises  nichtv 

So  wird  ii;uiilich  eine  vorm'liinc  Cliisso  von  Ilui^,'iiiili/ou  gt-naunt, 
welche  Stefan  der  Heilige  mit  besoudereu  l'rivilegiuu  auszeichuete.  Goricza 
liegt  im  heutigeu  Croutien. 


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DIE  ENTSTEHUNG  CBOATIEMS. 


Nach  Bela  l.  Tode  (1063)  überliessen  seine  Söhne  Geza  und 
Ladislaus  dem  Salamon,  in  Anerkennung  seiner  Rechte  auf  die 
Krone,  das  Land,  sieb  mit  dem  tDritteil  des  Landes»  begnügend, 
welches  schon  Andreas  I.  ihrem  Vater  als  Herzogtum  überlassen 
b  itte.  Wir  wissen  aber  nicht,  woraus  dieses  Dritteil  bestand.  Josef 
Podhraczky  glaubt  ohne  genügenden  Grund,  dass  Ladislaus  der 
Heilige  das  Land  jenseits  der  Theiss  als  Herzogtum  besessen 
habe. 

Als  Ladislaus  der  Heilige  Oroatien  eroberte,  setzte  er  dort 
Seinen  Jüngern  Bruder  zum  Konig  ein;  doch  dürfen  wir  es  mit  dem 
Königstitel  nicht  so  genau  nehmen,  denn  die  Chroniken  verleihen 
diesen  gar  oft  einem  solchen  Herzog,  der  über  bedeutende  Macht 
verfugt,  dem  jedoch  der  Königstitel  übrigens  nicht  gebührt.  Selbst 
Lucius,  der  Anfangs  von  Almos  als  König  spricht,  sagt  später  selbst, 
Almos  sei  nur  Herzog  gewesen,  leider  kann  selbst  das  nicht  be- 
stimmt werden,  in  welchem  Teile  des  Landes  sein  Herzogtum 
lag.  Seiner  Combination  nach  sei  dies  jenseits  der  Donau  zu  suchen. 

Der  Begierungsbezirk  Almos'  ist  daher  ungewiss. 

Gewiss  ist  indessen,  dass  zum  Begierungsbezirk  Almos*  weder 
Syrmien  noch  Posega  gehörte.  Dies  geht  aus  der  l^rkunde  des 
Köuigs  Ladislaus  des  Heiligen  vom  Jahre  1095  hervor,  mit  welcher 
er  die  Abtei  von  Tihany  in  ihren  von  Stefan  dem  Heiligen,  so  wie 
den  Königen  Andreas  und  B61a  erhaltenen  Gütern  bestätigt.  Dieser 
Abtei  schenkt  Herzog  David  (den  König  Andreas  in  seiner  Urkunde 
Bruder  nennt,  obgleich  er  dessen  Sohn  war)  mit  Einwilligung 
Ladislaus  des  Heiligen  das  Herzogtum  Posega  sammt  der  Burg 
Posegavar,  dann  Kö  und  Földvär,  in  deren  Besitz  König  Ladislaus 
der  Heilige  die  Tihanyer  Abtei  ebenfalls  bestätigt 

Schon  die  Gesetze  König  Kolomans  (L  Decret  §§.  9 — 1 S)  unter- 
siheiden  den  Pieu;ierungskreis  des  Königs  von  jenem  des  Herzogs; 
doch  das  Gebiet  des  Letzteren  hat  keinen  besonderen  Namen. 

Die  im  zwölften  Jahrhunderte  zuerst  erwähnten  Baue  werden 
noch  nicht  mit  dem  Namen  der  Provinz  angeführt,  welche  ihrer 
Administration  untersteht.  Eben  so  regiert  laut  einer  Urkunde  vom 
Jährt'  1 103  Bela  iL,  Herzog  Stefans  Sohn,  einen  Teil  des  Zwischen- 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATXENS 


143 


laades  an  der  Drave  und  Save,  aber  es  trägt  noch  keinen  eigenen 
Namen. 

Der  Frieden,  welcher  zwisclien  Manuel  dem  ^a'iechischen 
Kaiser  und  König  Stefan  III.  gescblossen  wurde,  Ijestimmt  unter 
Anderem,  das»  Letzterer  seinem  Bruder  Bela  III.  einen  bestimmten 
Teil  des  Landes  (vielleicht  Bosnien  oder  Syrmien)  mit  Erbrecht 
überlassen  möge,  da  er  zu  solchen  Ansprüchen  kraft  Verfügung 
seines  Vaters  berechtigt  sei. 

Wir  sehen  zu  unserer  Ueberraschung,  dass  zur  Verteidigimg 
dieses  unglückseligen  Begierungssystems  auch  schon  eine  auswar- 
tige  Macht  die  Waffen  ergriff,  —  der  beste  Beweis  von  dessen 
Scbftdlichkeit. 

König  Bela  III.  folgte  der  Tradition  und  iilK-rgah  seinem 
Sohne  Emerich  die  Regierung  von  Dalmatien  und  Croatien,  deni- 
nseh  das  alte  Croatien,  nicht  das  zwischen  der  Save  und  Drave 
gelegene  neue  Slavonien.  Dies  geht  aus  einer  Urkunde  Peters,  Erz- 
biscbofs  von  Spalato  vom  Jahre  1 1 1)4  hervor,  womit  dieser  einen 
Process  der  Tempelherren  schlichtet. 

König  Emerich  sagt  es  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  1107  klar, 
was  unter  dem  Herzogtum  der  königlichen  Prinzen  zu  verstehen 
sei,  anführend,  dass  sein  Vater  Bela,  als  derselbe  noch  das  Her- 
zogtum Slavonien  fin  dncatu  Slavoniae)  verwaltete,  von  einem 
deutschen  Edelmanne  Albert  von  Micbovo  viel  Phiicu  zu  erdulden 
hatte,  indem  dessen  Besitzungen  an  die  Comitate  Podgoria  und 
Goritia  des  slavonisehen  Herzogtums  grenzten,  in  welche  der- 
selbe öfter  einbrach.  Goritia  lag  jenseits  der  Eulpa,  zwischen 
letzterem  Flusse  und  der  Korana,  Jilso  im  alten  Croatien ;  Pod- 
goria aber  jenseits  der  Save,  in  der  GpL^t  ud  von  Jaszka,  —  also 
schon  näher  zum  heutigen  Croatien.  Im  folgenden  Jahre  bestätigt 
Andreas  die  Privilegien  des  Klosters  von  St.  Cosmadamian  bei 
•Belgrad  am  Meere»,  an  der  «Grenze  Dalmatiens.»  Die  hiebei  er- 
wähnten Zeugen  waren  siimmtlich  Herren  aus  Alt-Croatien. 

Uebrigens  war  es  König  Emerich  selbst,  der  im  vollen  Masse 
die  Bitterkeit  des  Begierungssystems,  welches  den  Königssöhnen 
einen  Dritteil  des  Landes  hingab,  zu  kosten  bekam. 


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144 


DIB  ENmSaOHG  CRDATIENS. 


t 


König  Bela  III.  binterliess  seiuem  Sohne  Andreas  grosse 
Schätze  unter  der  Bedingung,  dass  er  zur  Befreiung  des  heiligen 
Grabes  eine  Expedition  unternehme.  Andreas  benütste  diese 
Schätze  allerdings  sur  Ansammlung  einer  bewaffneten  Macht,  doch 
verwendete  er  dieselbe  nicht  nach  dem  Wunsche  Bela's.  sondern 
f^^egen  seinen  Bruder  König  Emerich,  von  dem  er  den  Besitz  von 
Dalmatien  und  Croatien  forderte.  In  Folge  Intervention  Papst 
Innoeens  IIL  wurde  im  Jahre  1 198  der  Friede  zwischen  den  Brü- 
dern hergestellt,  welcher  för  Andreas  günstig  war,  denn  yon  dieser 
Zeit  an,  —  besonders  da  er  auch  seine  siegreichen  Waffen  durch 
Kascien  und  Chulmien  trug,  ■ —  wurde  er  Herzog  von  Dalmatien, 
Croatien,  Eama  imd  Chulmien  (heute  Herzegovina)  genannt. 

Trotz  alledem  erhob  Herzog  Andreas  noch  dreimal  die  Fahne 
des  Aufruhrs  gegen  seinen  königlichen  Brudeir. 

Andreas  IL,  welcher  im  Jahre  1:205  den  unj^arisehen  Trou 
bestieg,  gedenkt  retrospectiv  noch  oft  seiner  Lander  aus  der  Zeit 
seines  herzoglichen  Regiments,  doch  während  er  den  Titel  Dal- 
matiae  et  Croatiae  dux  fuhrt,  nennt  er  sein  Herzogtum  dennoch 
Slavonien,  ein  Beweis,  dass  letzteres  mit  den  im  Titel  enthaltenen 
Landen  identisch  sei. 

In  seiner  goldenen  Bulle  vom  Jahre  \'2'2'2  (§.  iS)  saixt  König 
Andreas  IL,  dass  die  Adeligen,  nach  Einholung  seiner  Bewilligung, 
unbeanstandet  zu  seinem  Sohne  übergehen  können,  gleichsam  vom 
Grösseren  zum  Kleineren.  —  iWir  werden  deigenigen —  sagt  An- 
dreas, —  die  unser  Sohn  in  rechtlicher  Weise  yerurteilte,  bei  uns 
keine  Aufnahme  gewähren,  und  auch  den  vor  ihm  anhängig  ge- 
machten Processen  nicht,  bevor  dieselben  nicht  geschlichtet 
wurden.  Ebenso  wenig  wird  dies  unser  Sohn  tun.» 

Das  smd  zahme  Anfänge  einer  Teilung  der  Gewalt. 

Wahrend  der  Begierung  Andreas  II.  wurde  sein  Sohn  B61a  IV. 
in  öffentlichen  Urkunden  bald  Erstgeborner  des  Königs,  bald  jün- 
gerer König  von  Ungarn  genannt.  Ueber  sein  Herzogtum  sprechen 
nur  zwei  Documente  in  bestimmter  Weise ;  das  erste  ist  vom 
Jahre  1222  datirt,  —  ist  daher  auch  der  Zeit  nach  das  erste  — 
nennt  Ihn  Sohn  des  Königs  Ton  Ungarn  und  Herzog  von  «ganz 


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DIB  EMT8TEH0N6  CB0ATIBN8. 


14ft 


SlaTomeni,  worauf  gleichsam  als  Erklnning  dessen,  was  unter 
>,';inz  Slavonien  zu  verstehen  sei,  Andreas  II.  in  einer  Urkunde 
vom  Jahre  H^G  aussagt,  dass  sein  Sohn  Bela  Gubemator  von 
Dalmatien  ondCroatien  gewesen  sei.  Ungeachtet  dessen«  dass  Bela 
sich  in  Sonstigen  Urkunden  jüngem  König  von  Ungarn»  oder  Sohn 
des  Königs  nennt,  ist  seine  Verwaltung  Dalmatiens  und  Croatiens 
dennoch  eine  unl>estreitbare  Tatsache.  Als  Herzog  nuicht  er  im 
Jahre  l^üi  Schenkungen  an  der  Korana.  Aus  einer  Urkunde  des 
Posegaer  Capitels  vom  Jahre  1^79  geht  hervor,  dass  B61a,  der 
8ohn  Andreas  IL,  auch  das  Valkoer  Gomitat  regiert  habe,  indem 
Bela  zur  Zeit  seines  Herzogtums  dem  Comes  Paska  das  Dorf  Borsod 
im  Valköer  Comitate  conferirte. 

Der  lateinisch  schreibende  croatische  Historiker  Kerchelich 
ist  der  Meinung,  Bela  habe  im  (alten)  Slavonien  von  li^'i  bis  I^ÜS 
regiert  Das  ist  aber  ein  Irrtum.  Schon  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahres  1936  nbergab  Andreas  II.  seinem  zweitgeborenen  Sohne 
Koloraan,  die  bisher  von  Bula  administrirten  Provinzen.  Koloman 
Uf  nnt  sich  daher  seit  dieser  Zeit :  von  Gottes  Gnaden  König  der 
Buthenen  (d.  h.  von  Galizien),  und  aus  Liberalität  meines  glor- 
reichen Vaters,  Königs  von  Ungarn,  Herzog  von  Dalmatien  und 
Groatien.  —  Kerchelich  fehlt  auch  darin,  dass  er  behauptet,  die  Vor- 
gänger Kolomans  hätten  sich  Herzoge  von  Dalmatien,  Croatien  und 
Slavonien  geschrieben,  und  dass  demnach  aucli  die  Baue  den  Titel 
Ton  «ganz  Slavonien»  führten.  Hiefür  gibt  es  kein  Beispiel,  und 
vemi  B^,  der  Erstgeborne  Andreas  IL,  sich  Herzog « von  ganz  Sla- 
vonien t  nennt,  so  bedeutet  dies  eben  so  viel,  als  wenn  andere  könig- 
lich Prinzen  sich  Herzoge  von  I  )alniatien  und  Croatien  nennen  oder 
uemien  lassen.  Neben  Dalmatien  und  CnmiiLn  bestand  davuiU  noch 
kein  besonderes  Stavonien,  und  wenn  Urkunden  in  dieser  Zeit  ein 
Slavonien  oder  ganz  Slavonien  erwähnen,  so  ist  darunter  das  Land 
der  einstigen  oroatischen  Könige  an  der  Adria  zu  verstehen,  welches 
bchon  die  Griechen  als  Slavonien  kaiuiteu. 

König  Koloman  regierte  sein  Herzogtum  bis  zum  J.  1:210. 
Lehrreich  ist  auch  die  von  ihm  geführte  Titulatur.  Papst  Gregor  IX. 
nennt  ihn  im  Jahre  1238  illustris  dux  Sclavorum ;  Koloman  selbst 

OaiidMha  B«Tm,  tflSt,  n.  B«ft.  «a 


V 


üiyitizcü  by  GoOgle 


DIB  EKT8TBHUKG  CR0ATIBN8. 

schreibt  sich  im  Jahre  li37  dux  totius  Sclavonifle,  der  Königs- 
titel bezieht  sich  natürlich  immer  uuf  Ruthenieu,  d.  h.  G.ilizien, 
und  obgleich  dieses  nur  ein  Titel  war,  gebrauchte  er  oft  bloß 
diesen. — Unter  ihm  fongirte  der  Ban  Jula  ( 1 229 —  1 234),  der  ernte, 
der  sieh  Ban  von  Slavonien,  ja  von  ganz  Slavonien  nannte;  seine 
Vorgänger  hiessen  einfach  nur  Bane,  ohne  Beifügung  eines 
Provinznamens. 

Den  Anfang  einer  grossen  Verwirrung  kennzeichnet  das 
Jahr  1275.  Die  Sohlusszeilen  der  königlichen  Privilegien  bieten 
nns  hier  fast  nnanflösbare  Bätsei.  In  einem  wird  Heinrich  Ban 
von  ganz  Slavonien  genannt;  in  einem  zweiten  erscheinen  Johann 
nnd  Nicolaus  zusammen  als  Bane  \  on  ganz  Slavonien ;  wieder  in 
einem  andern  ist  Johann  allein  Ban  von  ganz  Slavonien,  ja  wir 
finden  sogar  solche,  wo  Johann  Ban  von  Slavonien,  Nicolans  aber 
Ban  vonDalmatien  nndCroatien,  oder  Johann  Ban  von  Slavonien, 
Nicolaus  aber  Ban  der  Meeresküste,  oder  Johann  Ban  von  fjanz  Sla- 
vonien. dennoch  aber  gleichzeitig  Nicolaus  Ban  von  Dalraatien  und 
Groatien  genannt  wird.  Dass  in  demselben  Jahre  noch  Tomas  als 
Ban  von  ganz  Slavonien  erscheint,  ist  nnr  ein  Besnltat  des  unter 
Ladislaus  IV.  häufig  vorkommenden  Amtswechsels,  und  berührt  un- 
sere geographische  Fra«4e  gar  nicht.  Die  eigenen  Editionen  der 
Baue  aus  dieser  Zeit  geben  el)enfaILs  ein  Abbild  der  obigen  Zu- 
stände. So  nennt  öicu  Nicolaus  Ban  von  iganz  Croatien»  und  Dal- 
matien,  und  Comes  von  Gecske. 

Auch  für  «ganz  Dalmatien»  gibt  es  ein  Beispiel,  so  wird 
Kalan,  Biscliof  von  Fünfkirchen,  im  Jahre  11 93  und  später  Guber- 
nutor  von  ganz  Dalmatien  und  Croatien  genannt.  (Die  Italiener 
gaben  ihm  d(  n  Titel  duca.) 

Solche  Titel  werden  nm*  des  grösseren  Nachdruckes  wegen 
gebraucht,  denn  wer  würde  wohl  glauben,  dass,  weil  Stefan  der 
Heilige  im  Jahre  10:25  den  Titel  totius  üngariae  Rex  fuhrt,  vor 
ihm  Jemand  nur  ül)er  einen  Teil  Un^ranis  ^'»  iRiTScht  habe? 

Johann  Bischof  von  Agram  war  im  Jahre  143i2  oberster 
Kanzler  des  römischen  Reiches  und  ganz  Ungarns  (totius  regni 
Hungaris).  Glaubt  deshalb  Jemand,  dass  üngam  nicht  ein* 


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DIE  ENT8TNHUNO  CBOATIBM8. 


147 


heitlich  gewesen  sei  9  weniger  einheitlich  als  Deutschland,  welches 

man  römisches  Kaiserreich  nannte  ? 

Die  Benennung  ganz  Slavonien  hat  nur  dann  einen  Sinn, 
wenn  dadurch  Dahnatien  und  Alt-Croatien  zusammengefasst  wird. 

Ans  diesen  verwickelten  Zuständen  scheint  nur  so  viel  her- 
Tonnleuchten,  dass  um  diese  Zeit  sich  die  Meeresküste,  dann  der 
wesUiche  Teil  des  Zwischeuhmdes  der  Drave  und  Save  durch 
besondere  Namen  zu  scheiden  he^uinnen,  —  so,  dass  gleichwohl 
der  Name  Slavonien  sich  nicht  weiter,  als  über  das  Territorium 
des  heutigen  Croatiens  ausdehnen  konnte. 

Doch  will  ich  diese  Gedanken  tdcht  weiter  verfolgen,  und  be- 
i^mige  mich  darzustellen,  wie  durch  die  Hinausgabe  eines  Drit- 
teils  des  Landes  zur  Verwaltung  an  <lie  königlichen  Prinzen  ein 
prindpielier  Einüuss  genommen  wurde  auf  die  Erstehung  einer 
SaTeprovinz. 

Bei  Uebergabe  der  Verwaltung  Dalmatiens  und  Croatiens  an 

Koloman,  übernahm  Bela  IV.  selbst  die  Verwaltung  der  sieben- 

bürgischen  Landt'steilf ;  und  hier  leistete  se  iie  Ener^'ie  uller- 
«iifigs  gute  Dienste  seinem  gealterten  Vater  und  dem  Vater- 
liiude. 

Als  Bela  IV.  nach  diesen  Präcedenzien  den  königlichen 
Tron  bestieg,  entsendete  er  seinen  jüngeren  Sohn  Bela  mit  dem 

Herzogstitel  zur  Regierung  Shivouiens,  —  und  hier  finden  wir  ihn 
bereits  im  Jahre  12G1,  während  des  Königs  Erstgehorner  nicht 
nor  Siebenbürgen,  sondern  auch  die  Landesteile  an  beiden  Ufern 
derTheiss  regierte.  Sein  Titel  war:  Herzog  von  Siebenbürgen  und 
Herr  der  Cumanen.  Auch  er  nannte  sich  jüngerer  König  von  Un- 
Jiarü,  gleich  wie  einst  sein  Vater.  Das  Leben  Stefans  V.  in  der 
Zeit  seines  Herzogtums  beweist  am  Besten,  welche  Gefahr  für 
das  Land  in  der  territorialen  Verteilung  liegt,  welche  bisher  zur 
Beliiedigung  der  königlichen  Prinzen  in  Gebrauch  war.  Das  Land 
halte  zur  selben  Zeit  zwei  Könige  mit  zweierlei  Hofhaltung,  zwei 
Heere,  zweit  rlt  i  Treue,  je  nachdem  nämlich  der  Adel  zu  dem  einen 
oder  dem  andern  König  hielt.  Beide  Heere  standen  gar  oft  sich 
(eindlich  gegenüber.  Schlachten  wurden  geliefert  und  es  floss  das 

10* 

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148 


DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENS, 


0 


Blat  der  Patrioten,  —  daim  soliloss  die  Action  eio  Friede, 
welcher  den  Keim  neuer  Unruhen  in  sich  trug. 

Die  Erzbischöfe  von  Grnn  und  Kalocsa,  der  Ban  von  Sla- 
vonien,  der  Schatzmeister  dos  alteren  Königs,  der  Landesrichter 
des  jüngeren  Königs  und  der  Wojwode  von  Siebenbürgen  erklären 
in  einem  Urteile  vom  Jahre  dass  sie  von  „beiden  Königen*' 
als  Richter  entsendet  worden,  um  über  gewisse  Besitzverhältnisse 
des  Marien-Nonnenklosters  auf  der  Margareten- Insel  zu  urteilen. 
Wir  sehen  also,  dass  hier  das  Ressort  der  beiden  Könige  gar  nicht 
getrennt  ist.  In  derselben  Zeit  verwaltet  ein  anderer  Sohn  des 
Königs  das  transdravanische  Gebiet  Ungarns. 

Di"'  Harmonie  zwischen  beiden  Königen  mag  aber  aiieh  oft 
wahrend  des  Friedens  u'estort  worden  sein.  Den  Beweis  gibt  uns 
das  obige  Jahr  1  i64.  Denn,  als  Graf  Ponit,  mit  dessen  Partei- 
steUung  B^la  IV.  nicht  zufrieden  war,  durch  die  königlichen  Ge- 
richte verurteilt  wurde,  erklärte  Stefan  (Y.)  diese  Urteile  als 
Gehässigkeit  gegen  seine  Person.  ;ninullii  te  und  eassirte  diesell)en. 
und  versprach  dem  Grafen  Ponit,  ihn  in  den  Besitz  aller  seiner 
Güter  wieder  einzusetzen,  sobald  er  (Stefan  V.)  den  Tron  be- 
steigen werde. 

Bela's  IV.  jüngerer  Sohn,  Bela,  nennt  sich  im  Jahre  1266  und 

15^68  von  Gottes  Gnaden  HerzoLj  von  g:inz  Siavonien.  Dalniatien 
und  Croatien,  welcher  Titel  meines  Wissens  in  solcher  Zusammen- 
setzung, imd  gebraucht  von  einer  einzigen  Person,  hier  zum  ersten- 
male  vorkommt.  B^la  verwaltete  das  transdravanische  Herzogtum 
vom  Jahre  1261  bis  zum  Jahre  1369. 

Von  den  Tronfolgern  war  Ladislaus  IV.  kein  H«*rzog  von 
Siavonien.  bevor  er  die  Ivroue  trug,  doch  war  dieses  sein  jüngerer 
Bruder  Andreas,  den  wir  vom  Jahre  1^74 — 1278  als  Herzog  von 
Siavonien  kennen.  Der  letzte  König  der  arkadischen  Djnastie 
Andreas  III.  war  1278  Herzog  von  ganz  Siavonien,  Dalmatien  und 
Croatien,  wir  wissen  aber  nicht  wie  lange,  weil  uns  hierüber  alle 
Daten  fehlen. 

Diese  üebersicht  schliesse  ich  damit,  dass  Andreas  HL,  als 
im  Lande  mehr  Buhe  eintrat,  seine  Mutter  Katarina  Morosini 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENH. 


149 


berief,  welche  im  September  1201  in  Traw  landete,  und  von  ihrem 
königlichen  Sohne  zur  Herzogin  von  Slavonien  und  Fürstin  der 
8e«kÜ8te  emannt  wurde  (Dux  SlavonisB  et  partium  maritimarum 
prinoeps).  Mit  wenig  AbänderangheiBst  de  im  Jahre  1295:  dncisea 
totiiis  Slavonie  et  gubematrix  Citra-Dannbialium  partiuro  nsqne 
mare,  oder  im  Jahre  1300  .  .  .  uscjue  maritima.  Aus  den  citirten 
Urkunden  gebt  hervor,  dasß  Katarina  Morosini  (Tomasina)  die 
Comitate  Posega  und  Yalko  regierte,  doch  der  in  ihrem  Titel  vor- 
kommende Name  Slavonien  reichte  noch  nicht  bis  hieher,  ebenso- 
wenig, als  Barnnya  und  die  übrigen  Comitate  jenseits  der  Drau 
SlsTonien  hiessen,  da  diese  nur  der  persönlichen  Regierung  Kata- 
nnas unterstanden.  Posega  musste  Tomasina  in  ähnlicher  ^Vei8e 
wie  die  Mutter  Bela's  IV.  Maria  besessen  haben,  oder  wie  andere 
Königinen  Bisztrics  und  Segusd  besassen,  welch'  letzteres  auch 
Tomasina  im  Besitz  hatte.  Sie  konnte  auch  das  Yalkoer  Comitat 
durch  Donation  erhalten,  so  wie  vor  ihr  Bela,  der  zweitgebome 
Sohn  Bela's  IV. 

Die  herzogliche  Würde  kennzeichnete  immer  einen  ausser-  . 
ordentlichen  Zustand,  eine  Continuität  bestand  nur  im  Amte  des 
Banus.  Wie  die  Herzoge,  so  gebrauchten  auch  die  Bane  bis  zur  Zeit 

Bela's  IV.  den  correcten  Titel  von  ganz  Slavonien,  oder  den  gleich- 
l't deutenden  von  Dalmatien  und  Croatien.  Man  muss  nur  niemals 
vergessen^  dass  man  unter  diesem  allbekannten  Namen  damals 
ganz  andere  Gebiete  verstand,  als  der  heutige  Sprachgebrauch. 

Die  den  dritten  Teil  Ungarns  regierenden  königlichen 
Prinzen  übten  in  ihrer,  in  territorialer  Beziehung  immer  wech- 
selnden Provinz  heinahe  königliehe  Rechte  aus :  sie  prägten  Mün- 
zen, ernannten  Bischöfe,  verliehen  städtische  Privilegien,  adelten 
einzelne  (jetreue  oder  aucii  ganze  Classen,  ja  in  älterer  Zeit  wurden 
öffentliche  Urkunden  nicht  allein  mit  dem  königlichen,  sondern 
auch  ihrem  Siegel  autentizirt.  Die  Stiftungsurkunde  der  Tihanyer 
Abtei  ( lO.'iö)  wurde  ausgestellt  im  neunten  Jahre  König  Andreas'  — 
regnante  .  .  .  anno  regni  sui  nouo,  et  cum  eo  nohilissimo  duce 
Behl;  wovon  der  Sinn  kein  anderer,  als  dass  damals  Herzog  Bela 
der  Mitregent  Andreas  I.  gewesen. 


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DIE  ENTSTKULNti  CJlOATIENb. 


Die  Könige  beriefen  eich  um  so  lieber  auf  die  Einwilligung 
ihrer  Söhne,  wenn  eine  Begierungsverfögtmg  sich  auf  das  Terri- 
torium ihres  Herzogtums  bezog. 

Die  königlichen  Prinzen  hatten  eine  der  königlichen  gjinz 
ähnliche  Hoflmltung.  Am  Schlüsse  einer  Urkunde  Herzogs  Bela 
vom  Jahre  1:^30  werden  sein  oberster  Kanzler,  sein  Schatsmeister, 
sein  Truchsess»  sein  oberster  Mundschenk  und  oberster  Stallmeister 
genannt.  Sogar  ein  siebenbürgischer  Wojwode  Jula  wird  erwähnt, 
weil  Belli  damals  die  siebenbürgischen  Landesteile  regierte.  Im 
Jahre  Il'GO,  als  Bela  noch  nicht  Herzog  von  Slavonien  war,  wird 
Moys,  Obergespan  von  Somogy  und  Varasd.  Bela's  Schatzmeister 
genannt.  König  Bela  IV.  leistete  dem  Separatismus  keinen  ge- 
ringen Vorschub  dadurch,  dass  er  im  Jahre  1251  an  die  Seite 
seines  zwöiijahrigen  S(>hnes  einen  eigenen  Palatin  und  Landes- 
richter ernannte.  Es  ist  kaum  nötig  zu  bemerken,  dass  die  grossen 
Vorrechte,  welche  die  königlichen  Prinzen  im  Lande  zwischen  der 
Drave  und  Saye  ausübten,  nicht  irgend  einem  Staatsrechte  der 
genannten  Gegend  entspraniren,  sondern  die  Folge  einer  Faniilien- 
politik  des  königlichen  Hauses  waren.  Diese  Vorrechte  knüpften 
sich  an  die  Person  des  königlichen  Prinzen,  und  wenn  zwischen 
der  Drave  und  Save  kein  solcher  regierte,  sondern  die  Verwaltung 
*  in  Händen  des  Bans  lag,  erloschen  auch  diese  Vorrechte,  und  die 
Verwaltung  la  wegte  sich  in  gewolmten  Geleisen.  Tnter  dem  «Drit- 
teil des  Landes»  musste  man  nicht  notwendiger  Weise  das  alte 
Slavonien  oder  dessen  Nebenländer  verstehen,  denn  die  geschicht- 
lichen Ereignisse  nahmen  oft  einen  Verlauf,  dass  es  wahrscheinlich 
wurde,  es  werde  künftig  Siebenbürgen  jene  Provinz  sein,  welche 
als  iiMiches  Dritteil  den  Herzogen  aus  königlichem  Ge])liite 
hinausgegehen  werden  soll,  natürlich  noch  erweitert  mit  einigen 
Nachbar-Comitaten,  denn  das  Drittheil  wurde  gewiss  nicht  mit 
mathematischer  Genauigkeit  verstanden. 

Diese  FamilienpoHtik  war  nicht  nur  eine  fehlerhafte,  sondern 
auch  schädlich,  weil  dit^  Wirksamkeit  der  königlichen  Prinzen 
zwischen  der  Drave  und  Save  unwillkürlich  Separatist isclie  Ideen 
reifte.  Es  konnte  nicht  vermieden  werden,  dass  ein  Teil  des 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENB. 


151 


grossen  *  Ansehens,  welches  die  Prinzen  in  ihrem  Gehiete  ge- 
nossen, als  Erbschaft  auf  die  Bane  übergehe  und  diesen  ver- 
bleibe» wenn  Herzoge  anch  nicht  mehr  an  der  Spitze  simden. 

Unter  dem  Glauze  des  Herzor^tums  wuchs  auch  dns  Territorium 
seines  Landes,  denn  das,  worauf  die  Croateu  als  Volk,  welches  in 
der  Nähe  der  Adria  wohnte  and  von  König  Koloman  an  Ungarn 
geschlossen  wurde,  keinen  Ansixrach  erheben  konnten,  wurde  von 
der  Familienpolitik  dem  königlichen  Prinzen  anstandslos  be- 
will iirt,  —  mit  dem  Wachstum  des  herzoglichen  Landes  wuchs 
aber  auch  jene  Provinz,  welche,  einen  fremden  Namen  usurpirend, 
unter  dieser  Firma,  vielleicht  unbewusst  und  absichtslos,  im  Staate 
eine  Sonderstellung  einzunehmen  begann. 

Dass  in  diesem  Zeitalter  die  pereönliche  Politik,  wenigstens 
in  der  vorlie<^endeu  Frage  mass^ehend  gewesen  sei,  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  das  Land  zwischen  der  Drave  und  Save  bald 
ducatus  (Herzogtum)  bald  Banat  genannt  wurde,  je  nachdem  ein 
Herzog  oder  ein  Ban  an  der  Spitze  der  Verwaltung  stand ;  und 
wenn  Papst  Urban  im  Jahre  1264  schreibt,  dass  Posega  im  Her- 
zogtum Slavonien  liege,  so  kann  das  nur  so  verstanden  werden,  dass 
Herzog  ßela,  des  Königs  Zweitgeboruer,  dieses  Comitat  als  zu 
seinem  persönlichen  Gebiete  gehörig  betrachtete,  weshalb  auch 
der  PApst  intervenirte,  dass  die  Königin  aus  dem  Besitz  von 
Posega  nicht  verdrangt  werden  möge. 

König  Koloman,  Herzog  von  Slavonien,  verleiht  den  Gästen 
von  ValKoviir  Privilegien,  ohne  Valko  zu  Slavonien  zu  zahlen. 
Solcher  Beispiele  gibt  es  zahlreiche,  auch  aus  dem  heutigen  croa- 
tiachen  Lande.  Im  XUI.  und  XIV.  Jahrhundert  sprach  man  in  der 
Regel  nur  von  jenseits  der  Drave  gelegenen  Landen  und  von 
transdravanischen  Comitaten,  —  ein  Provinzname  war  hier  noch 
ungebmuchlich. 

Namentlich  Posega  war  damals  noch  ungarisches  Comitat  und 
gehörte  nicht  zu  Slavonien.  Die  Bichtigkeit  dieser  Auffassung  wird 
auch  durch  den  Umstand  bestätigt,  dass  Herzog  B^la  gleichzeitig 
die  Oomitate  Baranya,  Valkö,  Soniogj^  und  Zala  zu  seinem  slavo- 
nischen  Herzogtum  zälilt  (adducatum  suum  Slavouiie  pertiuentia); 


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152 


DIE  ENTSTEHUNG  CR0ATIEN8. 


WO  doch  vernünftiger  Weise  Niemand  behaupten  kann,  dass  die 
genannten  Comitate  Teile  Slavoniens  gewesen  wären,  obgleich  das 

herzogliche  ßefriment  sich  jukI]  auf  diese  erstreckte,  denn  diese 
waren  nichts  anderes  als  Behi's  de«  sl.ivoniöcheii  Herzof^s  Privut- 
besitznngen,  sowie  dessen  Vater  Pressbnig  und  Neutra  durch  Do- 
nation besass. 

Alles  was  bisher  über  das  herzogliche  Dritteil  gesa^  wurde, 

wird  durch  König  Andreas  III.  im  Jahre  1299  hei  Gelecrenheit  dessen 
bestätigt,  als  er  seinen  Onkel  Herzog  Albert  Morosini  für  den  Fall 
an  Sohnes  statt  mit  dem  Erbrecht  auf  den  Tron  annimmt,  wenn 
dem  König  kein  Sohn  geboren  werden  sollte,  sonst  aber  immer  mit 
dem  Bange  nach  dem  köni^dichen  Prinzen.  Andreas  III.  behandelte 
ihn  bereits  als  Tronfol^^  r  und  ^,Mib  ihm  das  Herzogtntn  Slavonien, 
welches  die  «erste  Würde  des  Königssohnes  ist»  und  die  erbliche 
Würde  der  Posegaer  Obergespanschaft,  bemerkend,  dass  diese  sum 
Besitzrecht  des  Königs  oder  der  Königin  gehöre.  Dieses  Comitat 
war  daher  nicht  Slavonien  und  hing  mit  diesem  nur  durch  die 
Person  des  Herzot^s  zusammen. 

Die  berzogiichen  Besitztümer,  deren  es  in  verschiedenen  Teilen 
Ungarns  g.ib  und  die  ihnen  als  Appanage  dienen  sollten,  hatten 
die  Natur  des  Eigentums  und  konnten,  wie  es  scheint,  vom  König 
nicht  unbedingt  conferirt  werden.  * 

Jenseits  derDrave  bt- sassen  die  Herzoge  das  Land  auf  Lebens- 
dauer, oder  richtiger  gesagt  auf  Begierungsdauer  als  Eigentum, 
und  hieraus  wird  erklärlich,  dass,  alsBelalV.im  Jahre  1265  das  in 
Zagorien  liegende  Ujudvar  dem  Ban  Boland  verlieh,  er  bei  dieser 
Gelegenheit  auf  die  Einwilligung  seines  Sohnes  Herzog  Bela 
Bezug  nimmt. 

Die  herzogliche  Administration  hatte  auch  andere  sonderbare 
Consequenzen,  wie  z.  B.  dass  der  Herzog  irgend  welche  königliche 
Privilegien  bestätigt,  ja  sogar  erweitert,  wenn  diese  auf  Territorien 

sich  beziehen,  welche  in  seinen  Wirkungskreis  fit  b  n.  So  tat  Herzopj 
Bela  im  Jahre  iiij^  in  Bezu^'  des  von  seinem  Vater  Bela  IV.  den 
Iharos-Berenyem  verliehenen  Freibriefes;  weil  das  Somogyef  Co- 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIEN8. 

mitat,  in  weichem  Ibaros-Berenv  liegt,  zum  W-rwaltirngsj^ebiet  des 
Herzof^s  <:ehärte. 

Die  hier  geschilderten  VerbaltnisBe  iiind  allerdings  selbst  von 
emheimischen  ScbriftetcUem  nicht  begriffen  und  nicht  beleuchtet  * 
worden,  es  nimmt  uns  daher  keineswegs  Wunder,  wenn  ein  dentschf  r 
Gescliichtsfbreiber  dem  Verständniss  derselben  ferne  <?eblieben  i^t. 
Ottokar  Lorenz  (Deutscbe  Gescbiebte  im  XIII.  imd  XIV.  Jahr- 
hundert, I.,  187)  sagt  hierüber :  «Da  die  Magnaten  immer  grösseren 
EmfloBs  auf  die  Erbfolge  erlangten,  hatte  schon  Andreas  II.  und 
nnn  Bela  diesen  Weg  betreten,  der  im  Gmnde  nur  eine  freilich 
zit  mlieb  unpassende  Nacbalnnnnt^  (b^s  deutschen  Gebrauchs  der 
Wahl  der  K'^niif  beim  Leben  dei  Kaiser  gewesen  ist. . .  Die  Sache 
hängt  mit  den  Wahlagitationen  zusammen  und  verdient  eine  ge- 
nauere  TJntersnchung.i 

Das  XIII.  Jahrhundert  wollte,  wie  es  scheint,  die  mit  der  her- 
zoglichen Wurde  verbundenen  Vorteik-  niclit  mehr  ausscliliesslich 
von  der  viiterbchen  Gnade  erwarten.  Stefan  V.  erwähnt  bereits  her- 
EQgliche  Bechte,  und  damit  er  das  Becht»  weiches  setner  Ansicht 
nach  seine  Vorgänger,  die  königlichen  Erstgebomen,  feststellten, 
zur  Geltung  bringe,  erhob  er  die  Waffen  gegen  seinen  eigenen 
Vater. 

Die  Gesetze  und  die  von  126^  bis  1 267  zwischen  Bela  IV.  und 
seinem  Sohne  Stefan  geschlossenen  Friedensverträge  beweisen, 
dasB  die  von  ihnen  regierten  Landesteile  tatsächlich  von  einander 
unabhängig  waren.  Seit  Andreas  II.  hat  also  der  Separatismus 

mächtige  Fortschritte  gemacht. 

Stefan  V.  bekam  als  Erstgeborner  nicht  die  Administration 
des  Landes  zwischen  der  Drave  und  Save,  sondern  Siebenbürgen 
and  das  Gebiet  jenseits  der  Donau,  doch  konnten  die  seinerseits 
erwähnten  herzoglichen  Rechte  auch  von  seinen  Vorgängern  in 
Anspruch  <:enommen  werden,  welche  nicht  die  Gegend  an  der 
Theiss.  sondern  jene  an  der  Save  regierten,  und  da  hier  mehrCon- 
tinuität  bestand,  so  führte  das  persönliche  Recht  der  Herzoge  in 
seinen  Consequensen  zur  Lockerung  des  Verbandes  mit  diesem 
Landesteile. 


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154 


* 

DIE  BNT8TBHUNO  CBOATIBNS. 


VI. 

Ungeachtet  der  später  entstandenen  Verwirrimg  blieben  noch 
mächtige  Denkmäler  dessen  übrig,  dass  zwischen  dem  ungarischen 
und  dem  alten  croatisch-dalmatinisehen  Boden  ein  bedeutender 

Unterschied  sei.  Die  Meister  der  Tempelheriren  und  Johanniter  be- 
eassen  ihr  Amt  stets  per  Himgariiim  et  Slavoiiiam ;  und  das  ist 
die  richtigste  Auffassung  der  Situation.  Diese  Kitterorden,  obgleich 
ihr  Hauptsitz  Dalmatien  und  das  Littorale  oder  das  eroatische 
Grenzgebiet  war,  bezeichneten  diese  letzteren  Gebiete  als  81a- 
vonien.  Selbst  im  XIV.  Jahrhundert  ging  die  Kenntniss  dessen  noch 
nicht  verloren,  dass  die  Conütate  Agram,  Varasd,  Körös  (Krmtz). 
mitverstanden  das  aus  diesem  exscindirte  Belovar  und  die  Militär- 
grenze,  ursprünglich  ein  unmittelbar  ungarisches  Territorium  waren. 
Der  Meister  der  Johanniter,  Filipp  von  Granana,  schreibt  sich  im 
Jahre  1 324  Prior  von  Ungarn  und  gebraucht  nicht  die  gewöhnliche 
Formel :  per  Hungariam  et  Slavoniam  prior,  —  in  demselben 
Geiste  schreibt  derselbe  dann  fortsetzungsweise,  er  sei  in  gewisse 
Gegenden  Ungarns,  insbesondere  in  die  Agramer  Diöcese  gekom- 
men, um  seine  pflichtmässigen  Functionen  auszuüben. 

Bis  zum  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  ward  in  der  könißUchen 
Titulatur  eine  solche  Keihenfolge  beobachtet,  dass  nach  l'ngnrn 
der  Name  D.ilmatiens,  dann  jener  Croatiens  folge,  —  Slavunien 
kommt  niemals  vor,  obgleich  die  königlichen  Urkunden  Slavonien 
in  einem  oder  dem  anderen  Sume  und  die  slavonischen  Baue  nn- 
zähUgemal  erwähnen.  Nur  König  Mathias  setzt  den  Namen  Böh- 
mens zwischen  jenen  Ungarns  und  Dalmatiens,  als  er  auch  König 
von  Böhmen  wurde. 

Kann  das  wohl  ein  Zufall  sein,  was  sich  Jahrhunderte  hin- 
durch als  consequenter  Gebrauch  darstellt? 

Slavonien,  mögen  wir  darunter  was  immer  verstehen,  wird 
bald  (hicatus.  bald  banatus  geoannt^  üudet  aber  im  köuiglichen 
Titel  keinen  Platz.  Dass  Bela  IV.  im  Jahre  und  Ladislaus  IV. 
im  Jahre  1^74  nebst  vielen  anderen  Titeln  auch  jenen  des  Bez 
Slavonitt  führen,  ist  ein  ausnahmsweiser  Fall,  dessen  Ursache 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROaTIBNS. 


1Ö5 


noch  Niemand  zu  erklären  >ni8ste.  Zwar  teilt  Endlieber  den  Frei* 
brief  Bela's  lY.  an  die  Iliuros-Berenver  vom  Jahre  1  i^Gl  dt  rart  mit, 
als  würde  unter  den  köiii^licben  Titeln  aucli  der  Rex  Slavouia? 
vorkommen,  allein  der  Text  enthält  hier  offenbar  einen  Fehler, 
statt  Bex  Servi». 

Doch  die  Ansnahme  bestätigt  ja  noch  mehr  die  mehrhundert- 
jahrige  GepHo^^enbeit.  Ladislaus  IV.  spricht  einigemal  (1277)  von 
einem  Regnum  Slavoniffi,  doch  dies  bedeutet  hier  eben  so  w  eni^; 
Königtam,  als  wenn  von  Begnnm  Transüyaniip  die  Bede  ist.  Selbst 
Ladislaus  IV.  nennt  sich  in  seinen  Urkunden  nicht  König  von  Sla- 
Tonien.  Auch  König  Sigmund  gebraucht  zuweilen  das  Wort  regnum 
Slavonite. 

üebrigens  muss  ich  bemerken,  daas  der  Text  der  citirten  zwei 
königlichen  Urkunden  nicht  über  allen  Verdacht  erhaben  ist.  In 
der  Urkunde  Bela's  lY.  Tom  Jahre  nämlich  folgen  die  könig- 
liehen Titel  solcherweise: Hungariflp,  Dalmati»,  Oroatie,  Slayoniflp, 
Servia-,  Gallicia  ,  Lodomeriu-  et  Cumanin'  l^  x.  Es  ist  bi<  r  auffallend, 
daas  Bela  IV.  sich  hier  König  von  Rama  zu  nennen  verf^isst.  Der 
Name  Slavoniens  steht  gerade  an  jener  Stelle,  wo  sonst  der  Name 
Bamas  zu  stehen  pflegt,  welcher  in  dem  Titel  während  dieses  Zeit- 
alters immer  gebraucht  wird.  Üebrigens  kennen  wir  auch  das  Ori- 
pnal  dieser  Urkunde  nicht,  sondern  nur  ein  Trausciipt  derselben 
aus  dem  Jahre  1409.  In  der  Urkunde  Ladislaus'  IV.  vom  Jahre  1 274 
kommen  zwar  Bama  und  Serbien  unter  den  Titeln  yor ;  doch  ab- 
gesehen davon,  dass  wir  die  Originalurkunde,  ja  selbst  deren 
Fundort  nicht  kennen,  sondern  nur  eine  Abschrift  HcTenesj's,  so 
ist  es  auffallend,  dass  der  Name  Slavonieiis  zwischen  dem  Dalma- 
tiens  und  Croatieus  vorkommt,  während  doch  nach  diplomatischem 
Gebrauch  Jahrhunderte  hindurch  dem  Namen  Ungarns  immer  jener 
Dalmatiens  und  Croatiens  folgte,  und  als  im  XV.  Jahrhundert  auch 
der  Titel  Blavoniens  in  Aufnahme  kam,  dieser  in  der  Beihenfolg(> 
nach  jenem  Croatieus  zu  stehen  kam.  Als  die  KönijxeT'ii^.irns  auch 
K(»uige  von  Böhmen  waren  (Albert,  Ladislaus  V.,  Mathias,  Wladis- 
law  IL,  Ludwig  II.  etc.),  ging  der  Name  Böhmens  in  der  Titulatur 
jenem  Dalmatiens  voran.  So  war  es,  dass  zur  Zeit  Ludwig's  des 


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15« 


DIE  ENTSTEHUMO  0R0ATICN9. 


Grosht'ii  und  Wladisl.iw  I.  iUt  konii^liche  Titel  Polens  zwiscbtn 
jenen  Uupirns  und  l);ilniatiens  zu  stehen  kam.  Ludwig  der  Grosse 
nannte  sich  im  Jtibre  U51  auch  König  von  Jerusalem  ondSicilien, 
deren  Beihenfolge  nach  dem  Titel  Ungarns  und  vor  jenem  Dalma- 
tiens  erscheint.  Als  Sigmund  und  Albert  römische  Könige  wurden, 
kam  dieser  Titel  noch  vor  jenem  Un^^anis  zu  stehen,  die  ührige 
Beihenfolge  der  Titel  hlieb  unverändert.  Bulgarien  schloss  den 
Beigen  und  folgte  erst  nach  Cumanien  (Moldau- Walachei). 

Einer  der  vollständigsten  Titel  Köm'gs  Mathias  ist  jener,  den 
er  im  Jahre  1465  gebraucht,  —  darin  ist  keine  Spur  des  König- 
reichs Slavouien.  Wir  mii.^sen  l>is  Wladislaus  II.  hinaufsteigen,  uiu 
den  slavonibchen  Köuigstitel  zu  linden,  und  dieser  erscheint  aller- 
dings im  Reichstagsahschied  vom  Jahre  149^;  doch  war  auch  dies 
nur  eine  flüchtige  Erscheinung,  die  alsbald  aus  dem  diplomatischen 
Leben  verschwand.  Die  Geschichte  kennt  keinen  König  von  Slavo- 
nien,  Wladislaw  IL  wollte  also  mit  diesem  Titel  nur  seiner  Souve- 
ränität über  Johann  Corvin  Ausdruck  gelx  n,  dem  er  Syrmien  und 
das  heute  so<;t  nannte  Slavonie^n  und  Croatien  als  Herzogtum  über- 
gab. Selbst  Wladislaw  II.  gebraucht  den  slavonischen  Königstitel 
nicht»  als  er  im  Jahre  1 496  für  Slavonien  ein  besonderes  Wappen  — 
laufende  Marder  im  rothen  Felde  zwischen  zwei  horizontalen  sil- 
hernen  Flüssen  —  concedirte.  Die  hier  erwähnten  Titel  erscheinen 
erst  auf  den  Lünzen  König  Mathias'  II.,  die  königlichen  Siegel 
führen  diese  erst  unter  Ludwig  II.  Den  slavonischen  Königstitel 
finden  wir  nicht  unter  jenen  Johann  Zäpolyai's  und  Isabella's,  ja 
selbst  unter  denen  Johannis  II.  nicht.  Selbst  Ferdinand  I,  enthielt 
sich  Anfangs  desselhen  und  ^ebrauelit  diesen  erst  Mitte  des  Jahres 
15:27,  nicht  ohne  ihn  noch  öfter  fallen  zu  lassen. 

Die  Beichstagsdecrete  übergehen  in  der  Hegel  den  slavonischen 
Königstitel,  mit  Ausnahme  jener  aus  den  Jahren  1546,  1548»  1560 
und  1653.  Endlich  kommt  der  Titel  Slavonien s  — in  der  Bedeutung 
des  ethnographisch  ganz  fälschlich  henannten  Totorszög —  immer 
mehr  in  Aufnahme,  um  die  Titel  der  Herrscher  aus  österreichischer 
Dynastie  noch  mit  einem  zu  vermehren. 

Ladislaus  Szalay  hat  in  gewisser  Beziehung  Recht»  wenn  er 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIENS. 


157 


schreibt,  dass,  nachdem  der  zwischen  derDrave  und  Save  gelegene 
Teil  des  heutigen  Groatiens  im  ersten  Jahrhundert  des  ungarischen 
Reiches  unmittelbar  zu  Ungarn  gehörte,  der  Name  Slavonien,  wel- 
chen das  benannte  Gebiet  Jahrhunderte  hindurch  (doch  —  wie  ich 
beifügen  muss  —  nicht  nrsprüncjheh)  tru^.  nur  einen  nationalen, 
nicht  aber  einen  staatUchen  Sinn  hatte.  Doch  hätte  die  Stainm- 
yerwandtschaft,  auf  welche  der  gefeierte  Geschichtschreiber  an- 
spielt, ohne  die  partielle  Begierungsgewalt ,  welche  durch  die 
königlichen  Prinzen  ausgeübt  wurde,  es  nimmermehr  bewirken 
können,  dass  hier  sich  eine  Provinz  mit  immer  zunehmender 
Autonomie  entwickle,  el»ensowenig  als  die  Stamm  Verwandtschaft 
in  den  Gomitaten  unterhalb  der  Karpathen  ein  Tötorszäg  (SlaTo- 
nien)  gründen  konnte.  Ohne  die  Gontinuität  der  Eegierung  könig- 
licher Prinzen  hätte  der  Name  Slavonien  nur  zur  Bezeichnung 
(-ines  Gebietes  von  unliestimmten  Grenzen  gedient,-  sowie  man 
einst  Teile  des  Zalaer  und  Eisenburger  ('  >init.its  Totsäg,  Sjrmiens 
gewisse  Theüe  Bascien  nannte,  nach  der  Abstammung  der  be- 
treffenden Bewohner.  Auch  die  Groaten  wissen  es,  dass  die  in 
ihrem  Bereiche  liegende  i Kleine  Walachei»  nicht  eine  Provinz 
bedeutet. 

£s  ist  kaum  zu  glauben,  dass  es  die  Absicht  König  Koloman's 
und  seiner  Nachfolger  gewesen  sei,  dass  zwischen  der  Drave  und 
Sa?e  während  ihrer  Herrschaft  neue  Königreiche  entstehen  sollen. 
Koloman  Hess  sich  im  Jahre  110^  zu  Bio^äd  zum  Köm^  von 

Croatien  krönen,  —  dies  liatte  Sinn  fur  das  jenseits  der  Kulpa 
liegende  alte  Croatien,  doch  liatte  die  Krönung  keinen  Sinn  gehabt 
für  die  Gegend  zwischen  der  Drave  und  Save,  welche  sozusagen 
erst  in  unseren  Tagen  den  Namen  Groatien  angenommen  hat.  Es 
ist  ein  bedeutungsvoller  Umstand,  dass  die  ungarische  Diplomatik 
das  alte  Croatien  Jahrluindorte  hinduroll  immer  Croatien  naiintc, 
während  sie  das  Zwischenland  dt-r  Drave  un*!  Save,  nach  der  Ana- 
logie der  partes  transilvauit  als  Teile  jenseits  der  Drave  bezeich- 
nete. Städte,  Flecken  und  Besitzungen  dieser  Gegenden  wurden 
entweder  mit  oder  ohne  Bezeichnung  des  Gomitats,  in  welchem 
dieselben  liegen,  namhaft  gemacht,  sonst  aber  nur  mit  dem  Zu- 


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158 


DIB  ENtSTEHUNO  CB0ATIEN8. 


satze,  dass  dieses  transdravanische  Teile  siud,  —  ein  Proviuznaine 
wurde  nicht  gebrauchti  da  eben  der  transdravanische  Teil  Ungarns 
keine  Provinz  war. 

Bevor  die  Verwirrungen  des  XVm.  Jahrhunderts  um  sich 
griffen,  imtersehied  die  Diplomutik  sehr  scharf  die  transdravaiii- 
ßchen  Teile  von  Croatien.  So  Behl  IV.  im  Jahre  1 :250.  Er  schenkt 
dem  Alexander  Agari  das  Neutraer  Dorf  Säg  und  hebt  dessen  treue 
Dienste  hervor,  welche  er  nach  Abzug  der  Tartaren  in  den  Teilen 
jenseits  der  Drave  und  in  Croatien  leistete. 

Der  slavouische  Bau  Mikes  niv^t  in  seiner  aus  Koros  (Krentz) 
vom  Jahre  1326  datirten  Urkunde,  dass  er  mit  hewaffneter  Macht 
in  Croatien  euibrechen  wollte,  um  die  dortigen  Rebellen  zur  Treue 
für  den  König  zurückzuführen,  dort  aber  eine  Niederlage  erlitten 
habe.  Wenn  der  Ban  sich  in  Eörös  auf  eroatischem  Boden  gefühlt 
hätte,  so  wäre  seine  obige  Darstelhuig  sinnlos  und  unverständlich. 

Die  ungarische  Nation  führte  die  ihr  eigentumliche  Institution 
der  Comitatsverfassung  in  allen  jenen  Provinzen  ein,  die  sie  ihrem 
Lande  einverleibte.  Wir  haben  es  an  anderer  Stelle  bewiesen,  dass 
es  jenseits  der  Unna,  im  nördlichen  Teile  des  heutigen  Bosniens, 
gleichfalls  solche  Comitate  gab,  nämlich  die  Comitate  Zana  und 
Orbäsz.  Im  alten  Croatien,  welches  westlich  der  Unna  liegt,  fasste 
das  Comitatswesen  niemals  Wurzel  und  gelangte  nie  zur  Entwick- 
lung; die  dort  befindlichen  und  in  unseren  Urkunden  erwähnten 
Comitate  sind  eigenthch  Zsupanate,  deren  staatsrechtliches  Wesen 
ein  ganz  verschiedenes  ist  von  jenem  der  ungarischen  Comitate  ; 
ebenso  gewiss  ist  es,  dass  Zsupanate  ausserhalb  des  altcroatischen 
Territoriums  nicht  vorkommen. 

Alles  dies  in  Betracht  gezogen,  kann  man  ohne  Voreingenom- 
menheit l>eluiupten,  dass  das  unmittelbare  Besitztum  Ungarns  so 
weit  reichte,  als  die  Einrichtung  der  Comitatsverfassung  reichte, 
und  dass  in  dieser  Beziehung  neuere  Zustände  auch  die  Frage 
der  alten  Landesgrenzen  erklären  können. 

Hieraus  folgt,  dass,  als  König  Eoloman  Dalmatien  erobert«, 
er  bei  diesem  Auhiss  das  Gebiet  zwisehen  der  Unna  und  Verbasz 
unmittelbar  in  Ungarn  einverleibte,  im  alten  Slavonien  (d.  h.  in 


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DIE  ENTSTEHUNO  CBOATIENS. 


159 


Dulmatit-u  und  Croatieu)  die  Zsupunate  belassend,  wtlrhf  mit 
einiger  Veränderung,  ohne  sich  jedoch  zu  Comitatsmunicipien  zu 
«ntwiekeln,  bis  snm  beutigen  Tage  sieb  erbielten. 

Allerdings  wird  das  Land  swiseben  der  Unna  und  Verbasz,  in 
welchem  wir  zwei  j^anze  Comitate  und  ein  anderes  kennen,  welches 
sich  an  heiden  Ufern  der  Save  erstreckt  (Dubicza),  in  unseren 
GeschichtsquelU  n  auch  Ünter-Slavonien  gentinnt,  doch  stammt 
dieser  Name  des  Landes  aus  jener  Zeit,  wo  die  linkuferigen  Teile 
der  Unna  und  Save  (Agram,  Kdrös,  Varasd)  bereits  Slavonien 
genannt  wurden  ;  nur  mit  Bezuf:;  auf  diesen  Umstand  konnte  man 
die  diesst  iti<^('n  Teile  (Zana,  Orbasz  und  die  Hälfte  von  Dubicza) 
Ünter-Slavonien  nennen. 

Später  erbielt  aucb  der  Name  Unter-Slavonien  eine  andere 
Verwendung.  Der  118.  Gesetzartikel  des  Jabres  1715  ordnet  näm- 
Kch  die  Wiedereinverleibung  Ünter-Slavoniens  an.  Unter  diesem 
Xiimen  kann  iiuturlicli  nicht  da;^  einstige  Comitutsterritorium  von 
Zana,  Orbasz  und  Dubicza  verstanden  werden,  weil  derzeit  das 
heutige  Bosnien  schon  in  türkischen  Händen  sieb  befand.  Gyuri- 
kovics  meint,  das  citirte  Gesetz  babe  unter  Unter-Slavonien  den 
radlicben  Teil  des  Eöröser  Comitats  und  den  transsayaniRehen 
Teil  des  Agramer  Comitats  verstanden,  welcher  unter  der  Gratzer 
Kammer  und  dem  Karlstiidter  Generalat  stand.  Doch  musste  der 
Name  Unter-Slavonien  eine  weitgreifendere  Bedeutung  haben, 
denn  es  wird  im  oitirten  Gtesetz  die  Wiedereinverleibung  Unter- 
Slavoniens  tsammt  allen  darin  liegenden  Comitaten»  anbefohlen, 
und  der  "jO.  Gesetzartikel  vom  Jahre  1741  wiederholt  das  Verhin- 
gen der  Wiedereinverleibung  mit  dem  Beisatze,  dass  Unter-Slavo- 
nien der  Jurisdiction  des  Bans  unterstellt  und  dabin  Obergespäne 
ernannt  werden  sollen.  Hier  kann  also  von  einzelnen  Gomitats- 
Bestandteilen  nicht  die  Bede  sein. 

Der  IS.  Gesetzartikel  vom  Jahre  171-1  spricht  von  Unter- 
Slavonien  und  ausserdem  noch  von  öyrmien,  woraus  erhellt,  dass 
das  damalige  Untt-r-Slavonien  mit  dem  beutigen  Slavonien  nichts 
gemein  hatte.  Doch  verrieten  die  Stände  bereits,  dass  sie  nicht 
wissen,  was  sie  wollen. 


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1<X) 


DIB  ENTSTEHUKG  CB0ATIEN8. 


Damals  schwaakte  übrigens  noch  sehr  der  Begriff  über 
L  atf r-81uvouieu,  von  welchem  jedenfalls  gewiss  ist,  dass  derselbe 
nicht  in  seiner  nrsprüngliohen  Heimat  Bosnien  verblieb,  wo  wir 
diesen  Namen  bereits  im  XIII.  Jahrhundert  finden. 

Der  59.  Gesetzartikel  vom  Jahre  1790/91  nennt  die  Gomitate 
Agram,  Körös  und  Varasd  Ober-Slaronien. 

Wenn  wir  oben  sagen  konnten,  das  alte  Groatien  sei  oft,  mit 
Inbegriff  Dalmatiens,  Slavonien  genannt  worden,  so  ist  es  ein 
Beweis  der  Zähigkeit  dieses  Namens,  dass  er  seine  Bedeutung 
jiiicli  noch  in  viel  späteren  Zeiten  beibehielt,  ja  soirar  neuere  Ge- 
biete eroberte.  Unsere  Gesetze  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert« 
sprechen  sehr  häufig  von  Slavonien  (verstehe  Agram  und  die 
gleich  sitttirten  Gomitate),  während  unter  diesem  Namen  Alt- 
Groatien  verstanden  wird,  und  dies  geschieht  in  einer  Zeit,  in 
Nvelclier  im  Titel  des  Bans  die  Nauun  Dalmatien,  Groatien  und 
Slavonien  vorkommen,  die  Baue  selbst  aber  im  diplomatischen 
Verkehr  nur  einfach  slavonische  Baue  genannt  werden. 

Der  Beichstag  vom  Jahre  1537  (50.  Gesetzartikel)  verfügt  über 
die  Ernennung  eines  Bans  von  Slavonien,  versteht  aber  einen  Ban 
Von  Dalmatien.  Groatien  und  Slavonien.  Bei  einer  anderen  Gele- 
LT^^nheit  trilit  derselbe  Anordnungen  über  das  Dreissigstwesen  in 
blavonien,  —  ohne  dass  Groatien  besonders  ermähnt  würde,  denn 
letzteres  ist  ja  im  Namen  Slavonien  inbegriffen.  Der  Gesetzartikel 
'iir  vom  Jahre  1563  betrifft  das  slavonische  Gerichtsverfahren: 
dt-r  !0.  vom  Jahre  101)9  und  der  9.  vom  Jahre  KilH  das  slavo- 
nische Steut-rwesen  ;  der  45.  vom  Jalire  1">95,  der  33.  vom  Jahre 
1598  und  andere  handeUi  von  der  Verteidigung  Slavoniens,  in 
allen  diesen  Gesetzen  ist  auch  über  das  heutige  Groatien  kraft  der 
Benennung  Slavonien  verfügt  worden,  üeberhaupt  wird  das  alte 
Groatien  unter  diesem  Namen  über  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhun- 
derts hinaus  in  unseren  Gesetzen  kaum  mehr  erwähnt. 

Es  sind  auch  Beispiele  dafür,  dass  eben  dieses  Alt-Groaüen 
auch  Groatien  genannt  wird.  Der  32.  Gesetzartikel  vom  Jahre 
1590  erwähnt,  dass  Georg  Zrinyi's  Bur^^^en  :  Grobnik,  Bakar 
(Buccari)  und  Hreliu  iu  Dalmatien  liegen,  gleichsam,  als  wtae 


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DIE  ENTÖTEHÜNO  CBOATIENS.  lÖl 

das  alte  Uebergewicht  Dalmatiens  über  Groatien  neuerdings 
entanden. 

Nach  der  TartareninTasion  begann  man  den  Namen  Slavonien 

im  einf^escbränkteren  Sinne  zu  gebrauchen.  Damals  wendet  man 
auf  den  westlichen  Teil  des  Zwischenlandes  der  Drave  und  Save 
den  Namen  Slavonien  an,  ein  Gebiet,  welches  im  XIX.  Jahrbun* 
dert  ganz  irrig,  geschichts-  und  rechtswidrig  den  Namen  Croatiena 
tragt  Die  Zahl  der  Urkunden,  welche  dies  beweisen,  ist  beinahe 
Qoerschöpflieh.  Ans  den  vielen  entnehmen  wir  für  mageren  Zweck 
nur  so  viel,  dass  von  den  Comitaten  Vanisd  im  Jahre  1251  und 
1258,  Agram  im  Jahre  1249  und  1537,  Koros  im  Jahre  1214, 
Zagoria  im  Jahre  1258,  der  District  Marocza  im  Jahre  1279,  Ber- 
sencse  im  Jahre  1517,  von  den  Bargen  nnd  Festungen  Nagy-Eemlek 
im  Jahre  1283,  Appnröcz  im  Jahre  1523 — 15^7,  Szomobor  im 
Jahre  1550,  Petriuia  im  Jalire  150G,  15*.»7,  1601,  Kaproneza  im 
Jahre  1575,  Belovar  im  Jahre  1G50  als  in  Slavonien  liegend  be- 
idebnet  werden,  und  in  dieser  Weise  hält  sich  der  diplomatische 
Gebrauch  von  der  Mitte  des  XIII.  bis  in  die  Mitte  des  XVIII. 
Jahrhunderts. 

Als  die  Landesgrenze  gegen  Steiermark  eine  Berichtigung 
erheischte,  sprechen  unsere  Gesetze  des  XVIII.  Jahrhunderts  von 
Slavonien  als  an  Steiermark  grenzend.  Dies  kann  doch  nicht  das 
Slavonien  an  der  Drave-  nnd  Savemündang  sein !  Der  4.  Gesetz- 
artikel vom  Jahre  1813  fand  bereits  veränderte  Verhältnisse  vor 
und  konnte  demnach  schon  von  Croatien  sprechen,  als  von 
einem  Lande,  welches  an  Stei»-rrnark  grenzt. 

Dem  gesammten  Landesteil  zwischen  der  Drave  und  öave 
gebührt  nach  dem  Zengniss  der  Geschichte  nicht  die  Bezeichnung 
Regnnm  (orsz&g,  Land),  weil  man  ' voraussetzen  mnss,  dass  ein 
rnnf angreich  eres  Gebiet  erst  dann  Regnum  (Königreich  )  genannt 
werden  kann,  wenn  es  von  eigenen  Königen  regiert  wurde,  was 
aber  im  Gebiete  zwischen  den  zwei  Flüssen  niemals  der  Fall  war. 
Der  Titel  rex  Croatie  hatte  wenigstens  im  alten  Groatien  jenseits 
'i  der  Kxdpa  seine  Berechtigung,  der  Titel  rex  Slavoniae  aber  hatte 
eine  solche  nirgends  und  niemals,  weil  dieser  nur  zu  Ende  des 

Uii«gri«ch»  Rani«  Ifäii  II.  BUt-  H 


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DIE  ENTSTEHUNO  CR0ATIEN8. 

XV.  Jahrhunderts  in  Folge  der  oben  geschilderten  Verhältnisse 
aufkam  nnd  einem  WasserschiiBB  am  Obstbäume  gleicht.  Wenn 
das  Zwischenland  der  Drave  und  Save  nioht  ein  wirklicher,  direeter 
Teil  Ungarns,  eondem  nur  eine  eroberte  Provinz  gewesen  wäre, 

wie  das  alte  Croatien,  die  Könipe  Unfrarns  hätten  nicht  gesäumt, 
den  betreffenden  Titel  unter  die  Zahl  ihrer  übrigen  aufzunehmen; 
aber  es  geschah  anders :  das  Zwischenland  der  beiden  Flüsse  hiess 
nor  partes  trans  Dravante,  oder  partes  slavonic». 

Noch  im  Laufe  des  XVIII.  Jahrhunderts  biees  das  Agramer 
Comitat  mit  den  pleichsituirten  anderen  bis  zur  Kulpa  Slavonien. 
Dies  ist  eine  derart  jeden  Zweif«  !  ausschliessende  Tatsache,  dass 
man  es  für  ein  Vergehen  ge^^^en  den  guten  Geschmack  ansehen 
müsste,  diese  Wahrheit  fortwährend  beweisen  zu  wollen,  gäbe  es 
nicht  begrifbstätsige  Politiker  und  sogenannte  Staatsmänner,  die 
niemals  lernen.  Auf  Tausende  belaufen  sich  die  Urkunden,  aus 
welchen  man  sich  hierüber  die  l'eberzeiij[?ung  verschaffen  kann  : 
die  literarischen  Werke,  welche  sich  mit  dieser  Frage  befassten, 
bilden  bereits  eine  ansehnliche  Bibliotek;  Gesetze  nnd  KeicÜs- 
tagsverbandlungen  erteilen  dieser  Lehre  die  höchste  Autorität 
Wo  all  dies  nicht  hinreicht,  dort  hat  sieh  jedenfalls  die  Bevolation 
gegen  die  Vernunft  und  pejien  alles  Hecht  eingenistet. 

Es  war  nicht  meine  Absieht  und  habe  ich  auch  vermieden 
Alles  zu  wiederholen,  was  Josef  Podhraczky,  Georg  GyurikoTics 
und  Emerich  Palugyai  in  selbständigen  Werken  über  die  geogra- 
])hi8chen  und  staatsrechtlichen  Verhältnisse  der  Landesteile  an 
der  Save  veröfft  iitlicliteii,  —  ieh  wollte  vielmehr  die  hocliwichtipfe 
und  eine  bedeutende  practische  Tnig weite  besitzende  Frage  von 
einer  neuen  Seite  und  mit  neuen  Daten  illustriren,  eine  Aufgabe, 
welche  leider  heute  weniger  überflüssig  ist,  als  sie  es  jemals  ge- 
wesen ist. 

Wer  nur  die  Wahrheit  und  nichts  als  diese  sucht,  wird  sich 
auch  mit  wenii^'t  r  lieweisführuu^en  be^mügen  ;  —  wer  aber  andere 
Tendenzen  hat.  dem  führen  wir  vergeblich  die  triftigsten  Argu- 
mente vor;  wir  bekehren  ihn  nicht  und  mögen  die  Daten  zahlreich 
sein  wie  der  Sand  in  der  Wüste. 


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DOB  KNT8TBHÜNO  C1UUTIBN8. 


163 


Die  schwachmütigen  Politiker  dürfen  aber  den  wahren  Histo- 
riker nicht  irre  machen.  Der  überzeugungstreue  Historiker  tran- 
fligirt  nicht  und  compromittirt  nicht  8ein  Wahlspruch  ist: 
£  pur  si  mnoye ! 

vn. 

Es  sei  uns  noch  eme  Beiiezion  gestattet  über  die  Geburt  der 
keMtigen  Zu$tänd€, 

Die  Jahrhunderte  haben  viel  schlechten  Samen  ausgestreut,  — 

die  Saat  ging  auf  an  der  Grenzt^  doB  XVII.  und  XVIII.  Jahrhun- 
derts, doch  ^^llsste  mau  auch  damals  noch  nicht,  welcher  Art  der 
neue  Weizen  sein  werde. 

Die  Geschichte  benötigte  noch  mehr  als  eines  halben  Jahr- 
hunderts, um  aus  den  Ruinen  der  Schwankungen  und  Gonfusionen 
etwas  gestalten  zu  können. 

König  Leopold  I.  zählt  in  seinem  Schreiben,  welches  aus  sei- 
nem Schlosse  Ebersdorf  vom  September  1 697  datirt  ist,  die 
Oomitate  Posega,  Veröcze  und  Yalkö  zu  Slavonien. 

Diese  irrige  Auffassung  erhält  schon  in  den  nächsten  Jahren 
üue  Berichtigung,  namentlich  im  Jahre  1 als  bei  Gelegenheit 
des  Palatinal  Concurses  und  Aufnahme  der  Porten  die  Comitate 
Syimien,  Posega,  Valkd  und  Veröcze  zum  Kreis  jenseits  derDrave, 
und  die  Comitate  Agram,  Yarasd,  Körös,  Lika  und  Corbavlen  zu 
dt-ni  vom  genannten  Kreis  verschiedenen  Slavonien,  Croatien  und 
Dahnatien  gerechnet  werden. 

Das  an  den  Palatin  gerichtete  königliche  Besohpt  vom 
20.  Daoember  1712  unterscheidet  den  District  jenseits  der  Drau 
(die  obigen  vier  Oomitate)  von  Croatien. 

Der  9:2.  Gesetzartikel  vom  Jahre  171")  verordnet  die  Wieder- 
ein?erleibung  der  Comitate  Posega,  Veröcze,  Valko,  Syrmien, 
Ceongrid,  Csanäd,  Arad,  Bekes,  Zaränd,  Torontäl  und  Szöreny 
in  Ungarn«  es  ist  also  unzweifelhaft,  dass  alle  11  Comitate 
pleichmässij;  ungarische  Comitate  waren.  Der  118.  Artikel  des- 
sellteii  litichstages  verhingt  auch  die  Rückeinverleibung  vi>n  Unter- 
Slavonien  und  muss  also  unter  diesem  Namen  etwas  Anderes  als 

11* 


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164 


DIB  BNTBTEHDIIO  OBOATIBNa. 


die  in  erster  Bdhe  genannten  vier  Gomitate  2U  verstehen  gewe- 
sen sein. 

Die  Unterbruitung(?n  des  Reichstages  vom  18.  October  17i:i 
und  wiederholt  vom  12.  März  17^3  zählen  die  Comitate  Syrmien» 
Posega,  Yälkö  nnd  YerÖcze  als  solche  auf,  welche  unzweifelhaft 
in  Ungarn  liegen.  Diesem  zufolge  kamen  der  Gesetzartikel  :20 
vom  Jahre  17ii;i  und  der  Gesetzartikel  7  vom  Jahre  17i*'.)  zu 
Stande,  welche  die  Durchfühnmg  des  bereits  citirten  Gesetzes 
vom  Jahre  1715  nrgiren. 

Der  Gesetsartikel  18  vom  Jahre  1741  verfügt,  dass  der  Syr- 
mier  Distriot  nnd  Unter-Slavonien  wieder  mit  üngam  vereinigt 
werden  sollen,  sobald  der  Friede  her stellt  sein  wird.  Und  in 
demselben  Jahre  verordnet  der  .iO.  Gesetzartikel  (mit  Berufung  auf 
den  18.),  dass  Unter-Slavonien  der  allgemeinen  Verwaltung  des 
Landes  und  des  Bans  unterordnet  werden,  und  dass  dahin  Ober- 
gespäne  ernannt  werden  sollen.  Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  Sjr- 
mien  auch  jetzt  noch  nicht  zu  Unter-Slavonien  gehörte,  —  über 
die  Bedeutung  des  letzteren  habe  ich  mich  bereits  oben  ausge- 
sprochen. 

Die  im  Jahre  1741  zur  Durchführung  der  hierauf  bezügUchen 
Gesetze  ezmittirte  königliche  Commission  waltete  ihres  Amtes 
nicht  in  dem  Sinne,  wie  dies  die  Gesetze  von  den  Jahren  1715, 

1733  und  \7'29  vorschreiben,  sondern  nach  Instructionen,  die 
jenen  entgegen«,'esetzt  waren.  Die  Commission,  deren  Präsident 
Graf  Alexander  Patachich,  Obergespan  des  Somogyer  Gomitats  und 
Bat  der  königlich  ungarischen  Hofkanzlei,  gewesen,  begann  ihre 
Function  im  Jahre  1745,  und  nachdem  das  Valköer  Comitat  auf- 
gelöst wurde.  Mildere  L:indesteile  aber  zur  Formirung  des  Militär- 
Grenzgebietes  abgetreten  wurden,  constituirte  er  die  Comitate 
Syrmien,  Posega  und  Veröcze,  welche  künftig  Unter-Slavonien  zu 
nennen  waren.  Die  im  Jahre  1751  in  Angelegenheit  derlülitär- 
grenze  ezmittirte  Commission,  welche  aus  dem  Grafen  Anton 
Grassalkovich  ,  General  Engelshofen ,  dem  Ge.sclii(;litschreiber 
Balthasar  Kerehelich  und  Anderen  bestand,  bewilligte  den  neu 
creirten  Coraitaten  nicht  das  Hecht  der  Ablegatensendung  an  den 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIEN8. 


I 


165 


Beicbstag,  allein  der  Gesetzartikel  23  gab  diesen  Comitaten  wieder, 
und  zwar  jedem  «nzelnen,  Site  und  Stimme  im  Beiohstage. 

In  dieser  Epoche  wnrseH  jene  Zweideutigkeit,  welche  später 
so  nnerwartete  Fol^'en  brachte.  Denn  als  während  der  Reiehstaj^^s- 
Verhaiidlungeu  die  Frage  auftauchte,  ob  die  neu  creirten  drei 
Comitate  su  Ungarn  oder  zu  Slavonien  (d.  h.  das  heutige  Croatien) 
geschlagen  werden  sollen,  wurde  teils  aus  Berechnung,  teils  in 
der  Absicht,  beide  Teile  zufirieden  su  stellen,  bestimmt,  dass  alle 
drei  Comitate  zwar  der  Jurisdiction  d»  s  I^uus  unterstehen,  im 
Uebrigen  aber  beim  Reichstage  einzeln  (und  nicht  wie  die  shivo- 
nischen  Comitate  coUectiv)  vertreten  sein  sollen.  In  solcher  Weise 
worden  die  genannten  Comitate  der  Verwaltung  beider  Länder 
untersteUt  und  erhielten  Verordnungen  von  beiden.  Sie  schicken 
einzeln  ihre  Vertreter  zum  ungarischen  Reichstage,  zahlen  Steuer 
vie  die  ungarischen  Comitate  und  stehen  als  solche  mit  der  unga- 
rischen Statthalterei  und  mit  dem  ProvinciaUCommissariat  in 
Verbindung;  die  Banal-Jurisdiction  aber  erstreckt  sich  auf  sie 
insofeme,  als  dieselben  auf  den  croatisehen  Provincial  Landtag 
berufen,  von  den  königlichen  Erlässen  durch  den  Bau  verstandigt 
werden  und  ausserdem  ihre  Processführung  vor  den  croatisehen 
(jericbten  geschieht. 

Wie  wir  sehen,  refusirte  der  Reichstag  damals  noch  den  Ver- 
•such,  die  genannten  drei  Comitate  als* Slavonien  zu  bezeichnen, 
und  beschrjinkte  den  Zusammenhang  mit  dem  (heutigen)  Croatien 
nur  auf  einige  Fälle.  Doch  nach  dem  ersten  Schritte  pflegt  der 
«weite  zu  folgen.  Der  Beicbstag  vom  Jahre  1790/91  (Oes.*Art  59) 
nannte  die  Comitate  Agram,  Eftros  und  Varasd  Ober-Slavonien,  ^ 
und  bahnte  hiedurch  den  Weg  dazu,  dass  den  Comitaten  Syrmien, 
Verocze  und  Posega  der  Name  Ünter-Slavonien  zu  Teil  werde. 

Vorboten  dessen  leigten  sich  bei  den  Beichstagsverhand- 
hingen  vom  Jahre  1790.  Der  Judex  Curiae  empfahl  in  der  Sitzung 
vom  4.  Deeember,  dass  die  fünf  neuen  königlichen  Freistädte: 
TeraesvÄr,  Maria-Theresiopel  (Szabadka),  Karlstadt,  Posega  und 
Füufkircben  inartikulirt  werden  mögen.  Zur  Begründung  seines 
Antrages  führte  derselbe  an,  dass  in  ganz  Slavonien  nur  eine'  ein* 


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IM  DIE  ENTSTEHUNO  CBOATIEN8. 

zige  königliche  Freintiult,  namlicli  Posega  sich  botindo,  und  t-s 
könne  schon  deshalb  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  Posega  diese 
Eigenschaft  erhalten  müsse. 

Als  über  die  WiedereinTerletbnng  des  Varasdiner  Generalats 
verhandelt  wurde,  betonte  man  diese  Notwendigkeit  mit  der  Hin- 
weisung, dass  dieses  Generahit  nicht  nur  die  o))erslavoni8chen  von 
den  unterslavonischen  durch  die  Mitte  von  einander  trenne,  son- 
dern anoh  das  Kdröser  (Kreutzer)  Comitat  derart  durchschneide» 
dass  man  in  diesem  Comitate  von  einem  Besirke  in  den  andern 
nicht  j^^elangen  kimu.  ohne  unter  Militaijurisdiction  steliendoa 
Terrain  zu  betreten.  Hier  haben  wir  also  das  Zwischenland  der 
Drave  und  Sare  zum  erstenmale  als  Ober-  und  Unter-Slavonien. 
Das  ist  aber  noch  nicht  das  leiste  Stadium  der  Entwicklung. 

Jetzt  kam  unter  der  Firma  Kegnum  Dalmatiie,  Croatise  et 
Slavonia*  eine  stille  Transtigunition  zu  Stande.  Unter  dieser 
konnte  nämhch  Jedermann  verstehen,  was  ihm  beliebte.  Dem 
Einen  hatte  Croatien  und  Slavonien  diejenige  Bedeutung,  welche 
man  damit  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  verband,  einem  Andern 
lag  Slavonien  an  der  Mündnn<^  der  Drau.  Unter  Croatien  begann 
man  jetzt  Agrura  und  die  Mit-Comitate  zu  verstehen. 

Indessen  muss  man  doch  annehmen,  dass,  wenn  die  Nation 
und  ihre  Gesetzgebung  es  in  ihrem  Interesse  gefunden  hätte,  ein  bis 
jetzt  nicht  bestandenes  Land  zu  schaffen,  und  zu  diesem  Behufe 
aus  dem  Territorium  des  Mutterlandes  einen  bedeutenden  Teil 
auszuschneiden,  dies  nicht  etwa  so  ganz  nebenbei,  durch  P]in- 
schmuggelung  einiger  schlecht  redigirter  Gesetznrtikel  geschehen 
wäre,  sondern  das  in  dieser  Beziehtmg  zu  schaffende  Gesetz  hätte 
an  der  Stime  frei  und  offen  diese  Absicht  erklärt.  Es  war  zu  einer 
solchen  Landescreining  weder  die  Notwendipfkeit  noch  die  Ab- 
sicht vorhanden,  und  wurde  auch  von  keiner  einzigen  Seite  ein- 
bekannt. 

Die  Verletzung  der  Landesintegrität  wurde  durch  die  Uner- 
fahrenheit  der  Staatsmänner  in  der  (beschichte  und  in  den  Ge- 
setzen verschuldet. 

^  Auf  dem  Reichstage  vom  Jahre  183^  30  gingen  zuerst  lang- 


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DIB  BMTSTBBUNO  0R0ATIBN8. 

wiexige  Verhandlnngen  an  beiden  Tafeln  (in  beiden  Kammern)  dem 

BeschlusBe  voraus,  dass  statt  des  zu  streichenden  Namens  Unter- 
Slavonieu,  welches  im  köni^'liehen  K^scripte  vom  :28.  Aii':^U8t  lS^i4 
in  Ürbarial-Angelegenheiten  vorkommt,  die  Namen  Syrniien,  Po- 
segaer  und  Veräezer  Comitat  gebraucht  werden  sollen.  £&  wurden 
diese  Namen  tatsachHch  im  Urbarialgesetze  aufgenommen. 

Es  mag  als  Beweis  des  wiederkehrenden  politischen  Gewissens 
angesehen  werden,  dass  der  ö.  Gesetzartikel  vom  Jahre  1848, 
welcher  die  Zahl  der  Keichstagsvertreter  feststellt,  bei  dieser  Ge- 
legenheit die  Comitate  Veröcze,  8yrmien  und  Posega  in  der  Keihe 
der  nngarisehen  Comitate  aufführt. 

Doch  was  sagt  dazu  das  Leben  ?  Syrmien,  Yeröcze  und  Posega, 
mit  inbegriffen  das  in  die  letzteren  aufgegangene  Comitat  Valkö, 
werden  heute  Slavonien  genannt.  Umsonst  haben  Stefan  Broderics, 
Fanstus  Verancsics,  Nieolaus  Istvänffy»  Stefan  Yerböczj,  Nicoiaus 
Olih,  Bon0n  und  zahlreiche  SchriftsteUer  des  Mittelalters,  femer 
G.  Hevenesi,  8.  Timon,  Palma,  Szegedy,  Pray,  G6vay,  Kerchelieh, 
Kovachich,  Gyurikovics,  Podhraczkv,  Emericli  raliigvav.  Emil 
Recsi,  Theodor  Bottka,  Gustav  Wenzel,  Ladislaus  Szalay,  Julius 
Pauler  und  zahlreiche  sonstige  bedeutende  Staatsmänner»  Präla* 
ten.  Gelehrte  und  aulgeklärte  Männer  jedes  Standes  geschrieben. 
Umsonst  liegt  vor  uns  ein  fast  unersohöpflieher  Wust  von  diplo- 
matischen Daten,  welche  beweisen,  dass  diese  Comitate  in  der 
Tat  Ungarns  Bestandteile  bildeten,  —  wir  haben  dieselben  doch 
verloren,  und  ihr  Name  ist  gemeinsam  Slavonien. 

Wenn  jemals,  so  ist  es  jetzt  an  der  Zeit  die  Warnung  auszu- 
rufen :  Yideant  consules ! 

Mit  mehr  Recht  führen  Agram  und  dessen  Mit-Comitate  den 
Namen  Slavonien.  Doch  wann  tauschte  dieser  Landesteil  seinen 
Namen  für  jenen  Croatiens  ein? 

Schon  der  ehrliche  Kerchelieh  klagt  darüber,  dass  man  sein 
Vaterland  (in  verstehen  Agram  und  die  Mit-Comitate)  Croatien 
nennt,  während  doch  der  Name  dieser  Provinz  Slavonien  sei.  Zwei 
Gei^etzartikel,  welche  den  Fehler  und  die  Unwissenheit  <les  Com- 
pilators  verraten  —  sagt  Kerchelieh  —  waren  genügend,  die  in 


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l'^S  DIE  ENTSTEH UNG  CIlOATIENä. 

80  vielen  königlichea  Urkunden  ausgesprochene  Wahrheit  zu  ver- 
dunkehi. 

VIII. 

Wir  fcileu  jenem  Puukte  der  Geschiebte  zu,  bei  welchem  die 
geographischen  Begriffe  unter  fremder  Maske  auftreten,  eine 
falsche  Firma  gebrauchen  und  im  öffentlichen  Leben  Anerken- 
nung finden.  Ich  sweifle  nicht,  dass  gegen  Ende  des  XVIII.  Jahr* 
hunderts  das  bessere  Wissen  noch  oft  gej^en  die  falsche  Erklärung 
der  in  Umlauf  gekommenen  geographischen  Namen  angekämpft 
haben  müsse,  allein  die  Sorglosigkeit  und  der  Leichtsinn  war  in 
den  politischen  Kreisen  sn  gross,  als  dass  die  sich  vorbereitenden 
Veränderungen  Aufmerksamkeit  erregt  hätten. 

Als  die  Comitate  Temes,  Torontal  und  Krasso  dem  in  Ofen 
im  Jahre  1790  versanimelttn  Reichstage  am  0.  Juni  im  Interesse 
des  denselben  zu  bewilligenden  Sitz-  und  Stimmrechtes  eine  Peti- 
tion einreichten,  schlichen  sich  in  den  Text,  welcher  auf  die  schöne 
Ansprache :  «Erhabenes  Vaterland,  wohllöbliche  Stände»  (felseges 
haza,  tekintetes  rendek)  folgt,  bereits  einige  Irrtümer  ein.  Die  ge- 
nannten drei  Comitate  sagen  niimlich.  dass,  obgleich  diesell)en  dem 
Laude  bereits  gesetzlich  iucorpohrt  wurden,  sie  doch  keine  Ein- 
ladung zur  Beschickung  des  gegenwärtigen  Beichstages  erhielten, 
wo  doch  sie  wahre  Mitglieder  des  Landes  seien,  während  «81a- 
Tonien»  nur  ein  Nebenland  desselben  sei. 

Hier  wird  der  Name  Slavonien  auf  Posega,  Syrmieu  und 
Veröcze  aufgewendet. 

In  der  Begnieolarsitzung  vom  3.  December  1790  wurde  das 
Verlangen  discutirt,  dass  die  «croatischen  Comitate»  der  unga- 
rischen Statthalterei  unterstellt,  und  zu  den  bei  diesem  Dicasterium 
betiiidliclit  n  höheren  und  minderen  Aemtern  auch  Croaten  ernannt 
werden  mögen ;  das3  Angelegenheiten,  welche  insbesondere  Croatieu 
insgesammt  betreffen,  auch  künftig  in  der  Generalcongregation  des 
letzteren,  welche  durch  den  Ban  so  oft  es  nötig  einzuberufen  wäre, 
erledigt  werden  sollen.  Die  Stände  bewilligten  das  Meritorisohe  der 
Sache,  eine  Frage  entstand  nur  darüber,  ob  wohl  der  Ban  dazu 


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DIB  ENTSTEHUNG  0BOATIEN8. 


109 


>,'e>etzlicli  befugt  sei,  ohne  Wissen  Seiner  Majestät  eine  General- 
C(mj,'regation  Croatiens  einzuberufen?  Hierauf  wurde  von  Seite 
Croatiens  erwiedert,  dass  die  früheren  Bane,  bis  zur  Zeit  des  Grafen 
Fiaius  Nidasdy,  immer  von  dem  Usus  Gebrauch  machten,  so  oft 
sie  es  nötig  fanden,  aus  eigener  Machtbefuf^niss  die  Generalver- 
sammlung einzuberufen,  welchen  alten  Usus  die  croatischeu 
Stande  mit  ihrer  gegenwärtigen  Petition  ivieder  aufzurichten 
wünschen.  Weil  indessen  das  erwähnte  Befugniss  des  Bans  aus 
keinem  Gesetz  hergeleitet  werden  konnte,  überdies  auch  der  ge- 
dachte Usus  scbon  feit  vielen  Jahren  nicht  zur  Ausiiliungkam,  so 
wollte  der  Reichstag  Croatiens  Verlangen  derart  mit  den  Rechten  des 
Königs  in  Einklang  bringen,  dass  die  W^orte,  welche  von  der  Art  und 
Weise  der  Landtagspublication  handelten,  einfach  ausgelassen 
wurden. 

So  entstand  der  59.  Ges.-Art.  des  Jahres  1790  91,  in  welchem 
Groatieu  von  Ober-Slavonien  unterschieden  wird,  und  aus  w  elchem 
wir  ersehen,  dass  letzteres  aus  den  Gomitaten  Agram,  Körös  und 
Yttasd  besteht.  Hier  stehen  wir  an  der  OelmrtsBtätte  de$  keuti' 
gen  Croatiens ;  denn  es  regt  unsere  Aufmerksamkeit  in  hohem 
Grade  an,  diss  ungeachtet  des  oben  citirten  Gesetzes  bei  den 
Beichstagsverhandlungen  die  erwähnten  drei  Comitate  nicht  Ober- 
SlaTonien,  sondern  Croatien  genannt  werden.  Noch  in  der  Sitzung 
vom  3.  Deoember  wurde  die  Petition  eingebracht,  dass  in  Fällen 
der  Sedisvacanz  in  der  Banalwürde  nach  altem  Usus  der  älteste 
Obergespan  der  drei  «croatischeu  Comitate»  sogleich  eine  General- 
▼ersammlung  einberufen  mög»,  welche  dem  König  vier  geeignete 
Personen  für  die  Bansstelle  in  Vorschlag  zu  bringen  hätte.  Folgen- 
den Tags  bittet  der  Beputirte  «Croatiens»,  dass  die  Privilegien 
der  Handelsstadt  Buccari  inartikulirt  werden  mö;^en. 

Der  officielle  Titel  des  Hans  war  Jahrhunderte  hindurch  :  I^an 
von  Dahnatien,  Croatien  und  Slavonien,  —  doch  wurden  seit  £nde 
des  XVin.  Jahrhunderts  alle  unter  der  Jurisdiction  des  Bans 
stehenden  Landesteile  einfach  Croatien  genannt.  In  ähnlicher 
Weib»-  nennt  sich  die  Gesaiumtheit  des  Gebietes  jenseits  der  Drave: 
•Stände  Croatiens»  (Status  et  Grdines  Croatia*).  Als  man  über  die 


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t 

170 


DIB  ENTSTEHUNG.  CBOATIEKB. 


richtigen  LjiucUsgrenzen  ^^egen  Steiermark  in  Zweifel  geriet, 
wurden  von  mehreren  Reichstagen  Commissionen  zu  deren  Be- 
ricbügung  entsendet;  die  betreffenden  Gesetze  sprechen  immer 
von  den  Grenzen  zwisohen  Slavonien  nnd  Steiermark.  Doch  die 
1 790er  Gesetze  gehen  der  Steiermark  einen  neuen  Nachbar,  denn 
au  die  Stelle  Slavoniens  tritt  Croatien.  Ehen  dieselhe  Erfahrung 
machen  wir  hei  den  Verhandlungen  über  die  Grenzstreitigkeiten, 
welche  zwisohen  dem  Zalaer  nnd  Somogyer  Comitate,  und  anderer- 
seits den  Comitaten  jenseits  der  Drau  yorkamen.  Während  einer 
Reihe  vieler  Decennien  war  eine  der  streitenden  Parteien  immer 
Slavonien,  jetzt  stellt  sich  plötzlich  ein  Croatien  den  Comitaten 
Zala  und  Somogy  entgegen. 

In  der  reichstäghchen  Liste  über  das  freiwillige  Anerbieten 
des  Snbsidiums  erseheint  der  Syrmier  District,  welchem  die  Co* 
mitate  Syrmien,  Veröcze  und  Posega  heigeziihlt  werden ;  der 
District  wird  aber  nicht  Slavonien  genannt.  Doch  sagt  diese  Liste 
vom  Agramer  District»  dass  zu  diesem  die  croatischen  Comitate 
und  Städte  gehören.  Fiume  wird  hier  separat  als  Stadt  angeführt 

Es  ist  demnach  Tatsache,  dass  das  heutige  Croatien  ein  nagel- 
neues Land  sei,  welches  seinen  Namen  in  der  1 71)0er  Beichstags- 
epoche  erhielt,  von  w  elcher  Zeit  angefangen  der  neue  Name  immer 
mehr  zum  ausschliesslichen  Gebrauch  gelangte. 

Es  ist  Tatsache,  dass  diese  Verwurrung  gerade  vom  1790er 
Reichstag  ausging,  welcher  Ungarns  Unabhängigkeit  von  Oester- 
reich in  so  energischer,  obgleich  eigentümlicher  Weise  betonte. 
(Siehe  den  10.  Ges.- Art.) 

Die  unglücklichen  Kriege,  welche  Oesterreich  im  Jahre  1809 
mit  dem  im  Zenit  seiner  Macht  stehenden  Napoleon  führte, 
hatten  den  Wiener  Frieden  zur  Folge  (unterschrieben  am  14.  Oe- 
toher),  worin  der  Kaiser  unter  anderem  Croatien  bis  ans  rechte 
Ufer  der  Save  und  bis  Bosnien,  femers  Istrien  und  Krain  an  Frank- 
reich abtritt.  Während  der  Verhandlungen,  welche  djam  Kriege 
vorangingen,  wurde  der  von  der  Save  bis  sur  Adria  sich  erstrek- 
kende  Landstrich  nur  einfueli  Croatien  genannt.  Es  gelang  zwar, 
diese  französischen  Eroberungen,  mit  Inbegriff  von  Fiume  und  des 


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DIE  ENTSTEHUNG  CROATIKNS. 


171 


Seegesüides,  im  Anfang  des  Jahres  1814  wieder  ziiruckzuer langen, 
doch  die  zar  ongariBcben  Krone  gehörigen  Teile  wurden  niclit 
in  Ungarn  reincorporirt,  sondern  mit  Istrien  vereinigt. 

Dies  berührte  die  Groaten  sehr  sehmerdioh,  und  die  Adresse» 

welche  sie  am  22.  September  1814  aus  ihrer  in  Kal  lstadt  abj^^e- 
haltenen  General-Congregation  an  den  König  richteten,  und  worin 
de  erklären,  dass  sie  nicht  unter  deutschen  Gesetzen  steheui 
nicht  Tom  Laibaoher  Gouvemement  abhängeuj  sondern  unter  der 
(Vmstitntion  Ungarns  leben  und  sterben  wollen»  —  liefert  einen 
Bchönen  Beweis  ihrer  constitutionellen  Gesinnung.  In  dieser  Adresse 
wird  mit  Bezug  auf  das  Zwischenland  der  Drave  und  Snve  kein 
liroTinaname  gebraucht,  die  Groaten  bitten  nur  so  viel,  dass  die 
seit  so  langer  Zeit  Tom  Lande  getrennten  Teile  mit  dem  Agramer 
Oomitate  vereinigt  werden  mögen.  Der  provisorische,  das  heisst 
ungesetzliche  Zustand  dauerte  indessen  selir  lanj^e,  und  erst  der 
Reichstag  vom  Jahre  1827  konnte  es  als  erfreuliches  Denkmal  in 
den  13.  Gesetzartikel  eintragen,  dass  die  «jenseits  der  Save  ge- 
legenen Teile»  in  jenen  Zustand  räokversetzt  wurden,  in  welchem 
diese  sich  vor  dem  Jahre  1809  befanden.  Noch  einmal,  und  zwar 
im  Jahre  1 830  befasst  sich  der  Reichstag  mit  diesem  Landesteile, 
indem  derselbe  im  12.  Gesetzartikel  die  während  der  französisclien 
Oecupation  und  des  darauffolgenden  Provisoriums  vorgekom- 
menen  Gntsverkäufe  und  Urteile  bezüglich  ihrer  Giitigkeit  ordnet. 

Beide  Reichstage  nennen  die  fraglichen  Territorien  trans- 
savanische  Teile,  und  ungarisches  Küstenland. 

Werfen  wir  einen  Bückblick  auf  die  geographischen  Epochen. 
Die  bisher  besprochenen  geschichtlichen  Ereignisse,  königlichen 
Urkunden,  Urteile,  Adressen,  Beichstagsbeschlüsse  u.  s.  w.  liefern 
den  Beweis,  dass  in  der  Geschichte  der  Provinzen,  welche  von  der 
Mündung  der  Save  und  Drave  in  die  Doiüiu  bis  zur  Adria.  und 
von  hier  bis  zur  Büdspitze  Daimafeiens  reichen,  drei  Epochen  zu 
unterscheiden  smd. 

Erste  Epoche :  Groatien  und  Dalmatien  untersteht  Herzogen, 
später  Königen,  —  das  Land  wird  in  dieser  Zeit  synonim  auch 


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17S 


DIB  SMmSHQNO  CBOATISIie. 


Slüvonien  genanDt.  Die  GreuzeD  desselben  sind  nördlich  die  Kul]);!, 
büdlich  Ragusa.  Während  dieser  Zeit  liefand  sich  der  Teil  dies- 
seits der  Kulpa  und  das  Zwischenland  der  Drave  nnd  Save  unter 
byzantinischer,  Später  unter  frankischer  Herrschaft;  das  Land 
führte  damals  keinen  Eigennamen.  Im  X.  Jahrhundert  eroberten 
die  Ungarn  das  Land  zwischen  den  zwei  Flüssen,  welches  daher 
ohne  besonderen  Provincial-Namen  ein  Bestandteil  Ungarns 
warde. 

Zweite  Epoche :  Von  der  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  bis  in 

die  Mitte  des  XVIII.  Jahrhund(^rts.  Der  westliche  Teil  des  Ge- 
bietes zwischen  der  Drave  und  Save  (Agram  und  die  Mit-Comitate), 
welcher  seit  dem  X.  Jahrhundert  ungarisches  Territorium  war, 
nimmt  successive  den  Namen  Slavonien  an,  welcher  auch  auf  die 
trans-saTischen  (heute  einen  Teil  Bosniens  bildenden)  Comitate 
übergeht.  Das  alte  Land  der  croatischen  Könioje  jenseits  der  Kulpa 
gelangt  immer  mehr  in  den  ausschliesslichen  Besitz  der  Namen 
Croatien  und  Balmatien.  Der  östliche  Teil  des  Landes  zwischen 
den  beiden  Flüssen  bis  Semlin  verbleibt  noch  femer  directes  un- 
garisches Land. 

Dritte  Epoche  :  Diese  l)efiinnt  in  den  letzten  Decennien  des 
XVIII,  Jahrhunderts.  Der  westliche  Teil  des  Zwischenlandes  der 
Draye  und  Save  (die  Comitate  Agram,  Varasd,  Körös  etc.)  wechtelt 
zum  drittenmale  feinen  Namen,  und  wird  Croatien  genannt;  der 
von  diesem  Gebiet  bisher  gebrauchte  Name  Slavonien  gleitet  nach 
Osten,  und  wird  den  Comitaten  Posega,  Veröcze,  Valko  und  Syr- 
mien  gegeben.  Das  Territorium  Alt>Croatiens  verbleibt  als  Militär- 
grenze, die  jenseits  der  Save  gelegenen  bisherigen  unterslavo- 
nischen  Comitate  werden  Tärkisch-Croatien  genannt.  * 

Diese  Einteilung  und  Nomenclatur  erhielt  nur  durch  die 
(Jccupation  Bosniens  und  durch  die  im  Jahre  1881  erfolgte  Auf- 
lösung der  croatischen  Militargrenze  eine  Abänderung. 

Beweisstellen  und  weitläufigere  Arg^umentationeu,  sowie  tirkund- 
licher  Ai>parat  zu  allem  bisher  Gesa.^ten  finden  sich  in  Friedrich  Testy'g 
Werke :  Az  eltüut  r^gi  vdrineiryek  ( I  )ie  verschollenen  alten  Comitate).  Ins- 
besondere Band  II,  ISeite  145—224. 


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DIE  ÜNTSTKHUNa  CEOATItNb. 


m 


IX. 

Wir  hatten  also  gute  Gründe  dieses  CrooHen  eine  FieHon  za 

ütfünen,  und  es  bkilit  fiir  immer  eine  ^eschiclitliche  Merkwür- 
digkeit, wie  Jubrli linderte  dazu  beitragen  kouuteu«  diese  Fictiou 
zu  solcher  fintwickelang  za  bringen. 

In  dieser  Entwieklnng  ist  noch  immer  kein  Stillstand  einge- 
treten, vielmehr  haben  Böswilligkeit  und  Missgriffe  aller  Art  ans 
dieser  Fiction  ein  D'nv^  von  nicht  gerinji^er  Realitiit  j]jese}iaflfen, 
welches  der  Kühe  Ungarns,  und  somit  jener  der  ganzen  Monarchie 
sehr  onbeqaem  geworden  ist. 

Der  in  Pressbnrg  tagende  letste  ständische  Beiohstag  vom 
Jahre  1847/48  wnrde  dnrch  die  eroatischen  Prätensionen  auf  harte 
Geduidproben  ^jestellt.  Schon  in  der  Circuhirsitzun«^'  vom  11.  De- 
cember  1 847  erklärte  Kossuth  sein  Bedauern,  dass  bei  uns  der 
Name  Croatien  convalescirt  sei,  und  Bezug  nehmend  auf  eine  Bede 
des  Abgeordneten  der  Stadt  Kaproncsa,  erwiderte  er  diesem  und 
seinen  Collef^en,  dass  sie  nicht  Abgeordnete  Croatiens  seien,  da 
nach  dem  Gesetze  vom  Jahre  170:^  die  Comitate  Agram,  Körös 
and  Yarasd  den  Namen  Slavonien  führen.  Die  dortseitigen  Herren 
werden  also  nicht  verlangen  können,  dass  man  sie  für  Abgeordnete 
Croatiens  ansehe.  «Uebrigens  finde  ich  —  bemerkt  Kossuth  —  in 
der  Rede  des  Kaprouczaer  Abk^gaten  etwas,  was  mic  h  tief  inner- 
üch  verletzt;  nämlich,  dass  sieli  durch  die  croatische  frage  ^vie 
ein  roter  faden  eine  gewisse  Paritäts-Affectation  zieht,  welche 
auch  der  Legislative  gegenüber  zur  Affectirung  eines  Separat- 
Parlaments  ausartet.»  In  der  Oircnlarsitzung  vom  7.  Januar  1848, 
als  der  Gesetzvorse'ldajj  ülHr  die  ungarische  Sprache  und  Nationa- 
lität verhandelt  wurde,  bemerkte  Kossuth,  dass  in  diesem  Vor- 
schlag bald  von  Croatien  tmd  den  annexen  Teilen,  bald  von 
Dalmatien  und  Slavonien  die  Bede  sei,  welche  Benennungen  in 
unseren  Gesetzen  und  Beichstagsverhandlungen  Gegenstand  eines 
fatalen  Spieles  sind  und  oft  verwechselt  werden,  woraus  eine 
Sintllut  von  Widerwärtigkeiten  für  das  Land  entstehe.  Kossuth 
erklärt,  dass  Croatien  gar  nicht  ezistire  und  will  weder  diesen, 


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17i 


DIE  EMTBTBHÜNO  OROATIENS. 


noch  den  XameD  Slavonien  gebrauchen.  Auf  seinen  Antrag  ^\ird 
daher  die  Gesetzvorlage  zu  neuer  Bedaction  an  die  betreffende 
GommisBion  gewiesen.  Andern  Tags  sah  sich  Kossath  abermals 
veranlasst,  im  Laufe  der  Debatte  den  Wunsch  anssuspreehen,  ein- 
mal in  die  glückliche  Lage  zu  kommen,  dass  die  croatischen  Ab- 
geordneten nicht  fortwährend  mit  Eroberungspratentionen  hervor- 
treten könnten.  Wann  werden  wir  uns  endHch  aus  der  jetzigen 
Lage  herauswickeln !  Im  Uebrigen  beantragt  Bedner,  dass  statt 
eines  ProTinsnamens  im  G^setzvorsohlag  die  Namen  der  Comitate 
K6rd8,  Agram  imd  Varasd  sammt  den  betreifenden  Städten  auf- 
gezählt werden  mögen. 

Auch  die  Magnatentafel  sah  die  unlautere  Eutwickeluug  der 
Dinge  jenseits  der  Drau  für  eine  (jelahr  für  die  Monarchie  an.  In 
der  Sitzung  vom  5.  Februar  1848  fragt  der  hoohoonsenrative  Graf 
Emil  Dessewfify :  Welchen  Nutzen  gewährte  es,  dass  die  Frage :  ob 
die  Comitate  Posega,  Veröcze  und  Syrmien  zu  Ungarn  oder  zu 
den  aunexen  Teilen  gehören,  seit  so  langer  Zeit  in  Schwebe  ge- 
lassen wurde  ?  mir  scheint  es  gar  keinen,  —  Yielmehr  sehen  wir 
eine  grosse  Gefahr  vor  uns. 

Zu  solchen  und  ähnlichen  Aeusserungen  gaben  die  Debatten 
des  Pressburger  Reichstages  reichlichen  Anlass,  denn  Jedermann 
fühlte  das  Drückende  der  privilegirten  Stellung  Croatiens.  Deshalb 
sprach  auch  Kasimir  Tamöczy,  der  Ablegat  des  Neutraer  Comitats» 
am  ±7,  Januar  seine  Hoffnung  aus,  dass  eine  Zeit  kommen  müsse, 
in  welcher  mit  Zustimmung  des  Königs  der  Provinciallandtag 
Croatiens  aufhört  lu  zwisi  hen  einem  Ungarn  und  Croatien  aber 
kein  Unterschied  sein  wird. 

So  nebengehend  hätte  jedoch  die  Frage  nie  gelöst  werden 
können.  Dies  sahen  auch  die  Stände  ein,  welche  schon  am 
29.  November  1847  ein  Oomitö  für  croatische  Angelegenheiten 
entsendeten,  dessen  Aufgabe  nicht  sowohl  in  der  Prüfimg  der 
croatischi  n  (  Iravamina,  als  vielmehr  darin  bestand,  in  den  geo- 
graphischen Wirrsal,  den  die  Namensverweehslungen  verursach- 
ten, Klarheit  zu  bringen.  Von  den  17  Mitgliedern  dieses  Comit^ 
nennen  wir  nur  Ludwig  Kossuth,  B.  Simon  Beyai,  Anton 


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DIE  ENTäTEHUNO  CBOATI£N!:>. 


175 


Hankär,  Sigmund  Bernatb,  Samuel  Bouis,  Josef  Maau  und  Bartol. 
Smaieh. 

Am  29.  Februar  1848  verlangte  Sigmund  Bemith,  der 

Ablegat  des  üngher  Gomitats,  als  Mitglied  des  obigen  Comites  in 
der  Circiilarsitzung  die  Ermiiehtij:^ung  zur  Drucklegung  des  Ope- 
rats ;  am  7.  März  aber  beantragte  der  Graf  von  Turopoija  A.  Josi- 
povich  die  Anberaumung  eines  Tages  zur  Verhandlung  der  croa- 
tischen  Angelegenheiten.  Koseuth  erwiderte  hierauf,  daes  die 
tte$ammten  Angelegenheiten  noch  nicht  yerhandelt  werden  können, 
da  das  betretfende  Operat  noch  nicht  fertig  sei,  indess  können  die 
Vorschläge  in  Bezug  der  Comitate  Posega»  \'eröcze  und  Syrmien 
bereite  yorgelegt  werden. 

Dies  ist  die  letzte  Spur,  welche  wir  von  dem  hochinteressan- 
ten Operate  haben,  denn  unsere  Bemühungen,  dasselbe  im  Landes- 
Archiv,  in  der  Reicbs-Bibliotek,  im  Museum  etc.  zu  entdecken, 
blieben  erfolglos ;  auch  scheint  es  ziemlich  gewiss,  dass  es  nicht 
in  Druck  gelegt  wurde. 

Diese  Ansicht  wurde  uns  bestätigt»  als  gegenwartiger  Artikel 
bereits  dem  Druck  übergeben  war.  Das  Elaborat  bestand  nur  in 
einem  einzigen  handschriftHcheu  Exemplare  und  dürfte  sich 
irgendwo  in  Wien  unter  den  bei  Ko^^suth  im  Jahre  1849  conlis- 
cirten  Schriften  befinden.  Die  Anton  Vörös'sche  Sammlung  der 
Kossuth'sohen  Schriften  enthält  dieses  Operat  nicht. 

Zur  reichstäglichen  Verhandlung  gelangte  das  Operat  nie, 
denn  die  gewaltigen  Mürzereignisse  gahLii  dir  Politik  eine  andere 
Hichtung,  und  der  Keichstag  selbst  löste  sich  auf,  nachdem  er  die 
Nation  mit  den  ewig  denkwürdigen  1848er  Gesetzen  beschenkt 
hatte,  in  welchen  jedoch  die  Verhältnisse  jenseits  der  Drau 
keine  Regelung  fanden. 

Es  wäre  für  uns  höchst  wichtig,  den  Inhalt  des  Operats  zu 
kennen,  nicht  als  ob  wir  darin  unerwartete  historische  Aufschlüsse 
suchen  würden,  sondern  um  der  concreten  Vorschläge  willen, 
welchen  dieLegislatiTe  beizustimmen  sieh  anschickte.  Eines  scheint 
uns  unzweifelhaft,  nämlich  dass  die  unmittelbare  Vereinigung  der 
Comitate  Posega,  Veröeze  und  Syrmien  mit  Ungarn  beabsichtigt 


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176 


DIE  ENTSTEHUNG  CRO ATIENS. 


und  in  Vorschlag  gebracht  war.  Wir  wollen  hiebei  bemerken,  dass 
anoh  Franz  Deäk  schon  in  den  frühesten  Reichstagen  entschieden 
dagegen  opponirte,  dass  diese  drei  Gomitate  unter  dem  Namen 
Slavonien  verstanden  werden. ' 

Ein  junger  imgiirischer  Historiker,  der  in  der  ersten  Hälfte 
des  Octobers  1881  bei  Kossuth  auf  Besuch  war«  erzählt  im  Pesti 
Nt^lö  (Nr.  29^),  derselbe  habe  sich  geäussert,  das  Beichstags- 
operat  sei  aus  seiner  Feder  geflossen,  und  auch  er  sei  zu  dem- 
selben Resultat  gelangt,  7Ai  welchem  Testy  in  seinem  Werke  iiher 
die  verschollenen  Comitate,  und  vorher  schon  Gyurikovics  gelangte. 

Ob  sich  der  grosse  Patriot  gerade  in  der  mitgeteilten  Weise 
geäussert,  wissen  wir  nicht;  so  viel  ist  aber  gewiss,  dass  Gyuri- 
ko?io8  nur  die  halbe  Wahrheit  sagte ;  denn  er  bewies  wohl,  dass 
das  heutige  Croatieu  das  eigentliche  Slavonien  sei,  wahrend  wir 
bewiesen,  dass  letzterer  Name  in  Anwendung  auf  das  heutige 
Croatien  nur  seit  der  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  aufkam,  vor 
dieser  Zeit  aber  das  gesammte  Gebiet  zwischen  der  Drau  und  Save 
ungarisches  Territorium  war. 

Uebrigens  erfahren  wir  von  Franz  Pulszky,  Kossuth  habe 
sich  zur  Autorschaft  des  Operats  bekannt,  ja  er  soll  dasselbe 
als  sein  bestes  Werk  betrachtet  haben. 

Nach  den  Ereignissen  des  Jahres  1849  und  Niederwerfung 
der  Revolution  ward  es  in  Croatien  ganz  stille.  Nur  manchmal 
hörte  man  hüben  und  drüben  dif  Aussa<ze,  dass,  was  Ungarn  für 
seine  Empörung  zu  Teil  ward,  dasselbe  den  Croaten  als  Beloh- 
nung zugemessen  wurde.  Aber  mit  verschiedenen  Gefühlen  wurde 
dieser  Ausspruch  getan  —  wie  sich  denken  lässt.  Die  Passivität 
Ungarns  drängte  zur  Herausgabe  des  OctoVterdiploms  (ISfU), 
:iO.  October),  und  erst  jetzt  begann  sich  Croatieu  wieder  bemerkbar 
zu  machen.  Zuerst  war  es  den  Croaten  in  erster  LUiie  nur  darum 
zutun,  die  alte  Comitatsverfassung  zu  revindioiren,  in  deren 
Besitz  sich  Ungarn  via  facti  auf  Grund  der  1848er  Gesetze 
einsetzte. 

In  einer  Banalconferenz  vom  November  1860  erklärte 
Ivan  Kukuljevics:  «Wir  alle  wissen,  wie  weit  sich  einstens  die 


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DIE  ENTSTEHUNG  CB0ATIBN8. 


177 


Grenzen  lilos  Croatiens  ausdehnten.  Hier  jenseits  der  Unna  und 
Sa?e  liegt  Türkisch-Croatien,  dort  über  dem  Velebit  und  dem 
Quarnero  das  dahnatiniBche  Groatien ;  jenseits  des  Monte  Maggiore 
und  des  Sehneebergs  das  istrianische  Groatien  und  jenseits  der 
Enlpa  das  kämtnerisohe  Groatien  mit  dem  Mötlinger  und  dem 
Tschornerubier  Kreise.» 

Es  ist  wirklieb  merkwürdig,  dass  dieser  Grosscroate  an  die 
Haoptsacbe,  die  auch  uns  am  meisten  interessirt,  an  das.  Groatien 
swiscben  der  Save  und  Dran  ganz  rergass. 

DieBanalconferenzen  zogen  sich  in  die  LHD<];e,  die  Forderungen 
wuchsen  riesi<:;  empor,  und  die  Aniiuosit.it  niid  Gereiztheit  pe^en 
Ungarn  stei^^  rteii  sich  immer  mehr,  —  gegen  jenes  Ungarn,  das 
eigentlich  sein  Seibätbestimmungsrecht  noch  gar  nicht  zurücker- 
laDgtß  und  noch  gar  nicht  in  der  Lage  war,  sich  in  gesetzmässiger 
Weise  über  Groatien  zu  äussern.  Nur  die  Tagespresse  signalisirte 
die  herrschende  Stimmung,  und  die  war  in  Ungarn  auch  damals 
noch  den  Croaten  günstig. 

In  der  Banaleonferenz  vom  15.  Janner  ISO  1  wurde  ein  Project 
zur  Vereinigung  Groatiens  mit  Ungarn  verteilt.  Der  erste  Funkt 
dieses  Projectes  bratet :  Der  König  lasse  sich  als  König  von  Un- 
garn, Dalmatien,  Slavonien  und  Groatien  krönen,  schwöre  auf  die 
coMstitutionelle  Freiheit  und  die  separaten  Rechte  des  dreieinigen 
Königreichs  (!).  Das  Inaugural-Dii)lom  soll  gleichzeitig  auch  in 
croatischer  Sprache  ausgestellt  werden.  Der  Titel  des  Königs  sei : 
König  von  Ungarn,  Dalmatien,  Slavonien  und  Groatien.  Der  Aus- 
druck: annectirte  Teile  (kapcsolt  r^szek)  möge  gänzlich  ent- 
fallen: statt  diesem  soll  die  Benennung  Cum  regnisociis  /gebraucht 
werden.  Laut  Punkt  -2  des  Projectes  soll  zum  Gesammtterritorium 
des  dreieinigen  Königreiches  gehören:  Groatien,  Slavonien  und 
die  dazugehörige  Militärgrenze.  Femer  Dalmatien  mit  den  Inseln 
gemäss  jetzigen  Umfanges,  endlich  Syrmien  (!).  Von  der  Abtretung 
der  Murinsel  und  des  croatischen  Litorales.  welches  tatsaclilich 
und  auch  nach  historischem  liechte  zum  dreieinigen  Königreiche 
gehurt,  kann  keine  Bede  sein.  Wenn  später  einmal  irgend  welche 
slavisehe  Provinzen,  welche  jetzt  unter  tärkiechemJoohe  schmaeb- 

OagHiwlM Bfvw»  ISn.  n.  Haft.  «• 


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178  DIE  ENTSTEHUNO  CR0ATIEN8. 

ten,  au  die  ungarische  Krone  heimfallen  sollten,  dann  sollen  diese 
Frovixusen,  in  Folge  ihrer  Spraeh-  und  Blutsyerwandtachaft,  axLch 
mit  dem  dieieinigen  Eöiiigreiche  yereinigt  werden. 

^  Die  Croaten  brachten  immer  mehr  eioh  selbst  in  Hitze  and 
Hcitirten  sich  selbst  hinauf,  wälirend  der  ungarische  Reichstag 
noch  kaum  in  Sicht  war.  Da  erschien  das  liundschreihen  des 
Ägnuner  Comitats,  welches  an  üebermni  and  Gtehässigkeit  nichts 
zu  wänsehen  übrig  Hess.  Anf  dieses  Bnndschreiben  aatwortete 
Fran«  DeÄk  im  Pesti  Naplö  (Nr.  70  vom  24.  März  1861)  in  einem 
höchst  merkwürdigen  längeren  Schreiben,  welches  uns  die  Seelen- 
grösse  dieses  Mannes  lebhaft  vor  Augen  führt,  aber  trotz  der  vielen 
mramstösslichen  Wahrheiten,  die  es  enthalt,  der  Staatlichkeit  Un- 
garns nicht  volle  Bechnong  tragt.  Es  werden  darin  Ooncessionen 
gemacht,  die  eine  richtij»e  Politik  niemals  gewähren  darf.  Wir 
sprechen  nicht  davon,  dass  auch  Deäk  die  Formel  Dreieiniges  Kö- 
nigreich nachspricht,  nicht  von  den  verschwommenen  Anschannn- 
gen  über  die  Entstehung  Croatiens,  nicht  von  der  mit  der  histo- 
risehen  Wahrheit  collidirenden  Aeasserong,  dass  Croatien  and  Sla- 
vonien  nicht  eigentliches  Unf^arn  gewesen  sei.  Wir  heben  nur  die 
Gesammtrichtung  der  Enunciation  hervor,  die  starke  Anklänge 
an  die  späteren  weichherzigen  Ansgleichsgesetze  hat. 

Merkwürdig  erscheint  ans  der  Schlnss  des  Artikels,  wo  es 
•  heisst :  Wenn  Croatien  jedes  staatsrechtliche  Verhaltniss,  welches 
zwischen  uns  bisher  bestand,  aufheben  und  jeden  Verband  gänzlich 
zerxeissen  will,  dann  werden  wir  wohl  nicht  aussprechen  können, 
dass  wir  in  die  gänzliche  Trennung  einwilligen,  vielmehr  würde  es 
unsere  Pflicht  sein,  zur  Aufrechterhaltung  unserer  Rechte  Protest  (I ) 
einzulegen,  gleichwie  auch  Croatien  protestiren  würde,  wollte  man 
irgend  einen  Teil  des  Könij^reichs  von  demstdben  lostrennen. 
Doch  würden  wir  zur  Verhinderung  der  Lostrennimg  tatsächlich 
gar  nichts  unternehmen  und  würden  zur  (Gewalt  selbst  dann  nicht 
schreiten,  wenn  es  in  unserer  Macht  stünde,  solche  anzuwenden« 

Wir  glauben  kaum,  dass  Oesterreich  eine  solche  Politik  be- 
folgen würde,  wenn  Croatien  von  ihm  abhinge,  —  Oesterreich  wird 
auch  Böhmen  nicht  in  diesem  Sinne  behandeln,  und  keine  Macht 


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DIE  ENTSTEHUNG  CR0AT1EN8. 


179 


Bmopa'B  wird  geneigt  sein  eine  Politik  zo  aceeptiren,  welche  Deäk 
hier  in  die  Luft  gezeichnet  hatte. 

X. 

Wir  wollen  nicht  die  Geschichte  der  Neuzeit  in  Bezug  auf  das 
Verhältniss  Ungarns  zu  seinem  verzogenen  Kinde  Neu-Groatien 
dantellen.  Dazu  wird  sich  noch  oft  Gelegenheit  hieten,  wir  wollen 

ntnr  die  allgemeine  Ansicht  aussprechen,  dass  die  begangenen 
Fehler  gründlich  reparirt  werden  müssen ;  damit  aber  dies  ge- 
Bchehe,  mnss  mit  der  traditionellen  Ausgleichsmeierei  und  Con- 
oeesionsmaefaerei  für  immer  gebrochen  werden. 

Eine  im  jenseitigen  Lager  sehr  beifallig  aufgenommene  Aens- 
seninfr  Deak's  war:  «...  man  müsse  trachten  die  ungarische  Con- 
stitution den  fremden  Nationalitäten  lieb  zu  machen.»  Sammt- 
Uche  poUtische  Weisheit,  über  welche  Ungarn,  —  und  wur  mögen 
getrost  beifugen,  —  welches  Land  immer  Terfogen  kann,  wird 
De&k'fl  Wort  nicht  zur  Wahrheit  machen  können,  sobald  die  Er- 
fahning  lehrt,  dass  gewisse  Nationalitäten  ein  Centrum  ausserhalb 
dee  Landes  suchen.  Diesen  könnte  mau  die  Constitution  nur  dann 
logenehm  machen,  wenn  sie  es  ihnen  erlauben  wärde,  das  von 
ihnen  bewohnte  Land  an  ihren  Fusssohlen  weiter  zu  tragen,  d.  h. 
daraus  einen  neuen  Staat  für  sich  zu  bilden. 

Viel  grösser  war  der  Fehler,  dass  Ungarn  den  Croaten  ein 
weisses  Blatt  gab.  Es  war  ein  Cardinalfehler,  der  in  seinen  Folgen 
veihängnissvoU  wurde. 

Allgemein  ist  im  Lande  die  Ansicht  verbreitet,  Franz  De4k 
habe  den  Antrag  bezüglich  des  weissen  Blattes  gestellt.  Indessen 
muss  dieser  Meinung  im  Interesse  der  historischen  Wahrheit 
widersprochen  werden.  Es  war  Paul  Somsich,  der  verdienstvolle 
Abgeordnete  und  Verfasser  des  Werkes  über  das  legitime  Recht 
üugamB,  welcher  am  18.  Mai  1861  wahrend  der  Adressdebatten 
erklarte:  «Wir  wollen  uns  mit  Croatien  neuerdings  vergleichen 
und  ihnen  in  unserer  Constitution  immer  ein  weisses  (tiszta)  Blatt 
aufbewahren.  • 

Wie  es  kam,  dase  diese  Phrase  nicht  wie  andere  spurlos 

12* 


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180 


DIE  ENT8TEHVKO  0R0ATIEN8. 


veiklaDg,  dies  dürfte  nur  aus  Deak's  späterer  Politik  erklärlich 
sein,  der  es  für  gut  fand,  die  Bechtscontinaität  ruben  zu  lassen 
imd  die  Opportunität  zu  intromsiren.  Grewiss  sehr  merkwürdig,  da 
De4k  (wie  es  seine  eben  gesammelten  Reden,  I.  Teil,  Seite  185 
beweisen)  schon  am  IG.  Juli  \KV,)  eine  reichstä*^liclie  Enunei:itiou 
mit  den  Worten  i)egann,  dass  dieCroatt-n  k»  ine  eigene  Nation  bilden. 

Deak  hat  niemals  in  einer  Beichstagsrede,  niemals  in  einer 
journalistischen  Enunciation  von  einem  weissen  Blatte  gesprochen, 
und  es  scheint»  dass  auch  die  öffentliche  Meinung  erst  später  ihn 
für  den  Urheber  des  weissen  Blattes  hielt.  Dies  dürfte  erst  zu  jener 
Zeit  f^esclielion  soin,  als  Deiik  sich  krankheitshalber  von  der  poli- 
tischen Laufbahn  und  vom  öll'eutliehen  Leben  zurückzog,  und  die 
Folgen  des  Ausgleichs  sich  schon  in  so  trauriger  Weise  bemerkbar 
machten.  Deik  war  der  Träger  der  AusgleichspoUtik,  und  auf  dieser 
Führte  gelangte  die  öffentliche  Meinung  zu  dem  Irrtum,  den 
Crossen  Patrioten  für  den  Krhnder  des  weissen  Blattes  zu  halten. 
Wir  erinnern  uns  nicht,  diese  Beschuldigung  gegen  Deäk  ro/*  dieser 
Zeit  gehört  zu  haben. 

Gewiss  ist  es  eine  Ironie  des  Sohicksala,  .dass  gerade  Franz 
Deäk,  der  elassische  Verfechter  der  BechtscontinuitÄt,  als  welcher 
er  verdientermassen  ltoss  ist,  die  Politik  des  weissen  Blattes  mit 
seinem  Namen  decken  musste.  Ungarn  gab  selbst  der  Dynastie  und 
auch  dem  Tronfolger  kein  weisses  Blatt,  —  es  hielt  dem  Herrscher 
die  1848er  Gesetze  vor  und  forderte  vor  allem  deren  Anerkennung, 
und  die  Anerkennung  erfolgte.  Wie  kam  es,  dass  man  den  Oroaten 
mit  dem  weissen  Blatte  ein  solch'  wahnsinnigt  s  Opfer  brachte  und 
die  Eechtsbasis  von  sieh  wart?  Es  war  immer  und  immer  die 
falsche  Voraussetzung,  dass  ein  solches  Volk  durch  Edelmut  und 
Concessionen  eu  gewinnen  sein  wird. 

Das  Gesetz  vom  Jahre  1868,  Artikel  XXX,  welches  den  Groaten 
eine  mit  der  Einheit  und  Sicherheit  des  Staates  unverträgliche  Auto- 
nomie gewährt  und  Tugarn  uu..'er*'chte  materielle  Opfer  auferlegt, 
und  das  Gesetz  XV  v»>m  Jahre  18Ö1  liefern  gleichfalls  den  Beweis 
von  der  schlechten  Politik  Ungarns  gegenüber  Neu-Croatien,  wie 
auch  die  Folge  bewies,  dass  es  den  Groaten  nicht  einfallt,  mit  dem 


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DIK  ENTöTEHUNG  CROATIENS,  181 

extravagantesten  Maass  von  Freiheit  sich  zufrieden  zu  stellen  ;  ilire 
Tendenzen  sind  auf  ein  ganz  anderes  Ziel  gerichtet,  welches  sich 
am  dentlicheten  in  den  Aenssemngen  der  Starcsevicsianer  zu  er- 

kcLllen  fliht. 

Das  kleine  Croatien  hat  dein  im«^'  irischen  piirhunentarischt'n 
Leben  die  Schlagworte  Parität,  Kechtscontinuität,  Landesintegri- 
tät etc.  abgelernt  und  vergisst,  dass  das  von  den  Oroaten  miss* 
branchte  weisse  Blatt  keine  Rechtscontinuitat,  die  ungarische 
Landesinte<;rität  aber  mit  dem  Bestände  Croatiens  unvertni Jülich 
sei.  Ja  noch  mehr,  Croatien  ahmt  nicht  nur  das  verhabbte  Un- 
garn nach,  sondern  —  nocli  Ix  vor  es  sich  zur  Staatlichkeit  empor- 
geschwungen —  hat  es  sich  schon  in  das  Becompensationssystem 
wie  irgend  eine  europäische  Orossmacht  eingelebt  Hat  sich  doch 
während  der  Landta^'ssaison  im  Jahre  1881  eine  eroatisehe  Stimme 
erhoben,  welche  sich  bereit  erklart.  Fiiime  an  T'n^^arn  hinzu- 
geben, wenn  d?ifür  dieHerze*:()vina  an  Croatien  abgetreten  würde! 

Eine  Nachahmung  der  Berufung  auf  die  Stefanskrone  ist 
auch  die  Berufung  auf  die  nirgends  existirende  und  niemals  ein 
Btaatsrechtliches  Princip  repräsentirende  Zvonimirskrone.  Kennt 
jemand  ein  croatisches  Staatsrecht? 

Keine  Nachahmung,  sondern  eine  echt  eroatisehe  £rlindung 
ist  aber  das  mystische  «dreieinige  Königreich!. 

Dieses  Phantasiegebilde  beweist,  dass  auch  das  neue  Zeitalter 
nicht  weniger  geeignet  ist  zur  Prodneirung  von  Namen,  welche 
weder  durch  die  Geschichte  nodi  thuch  die  Diplumatik  begründet 
sind.  Das  «dreieinige  Königreich»,  dessen  Name  schon  in  den  I8i7er 
Reichstagsverhandlungen  auftaucht  und  so  unvorsichtig  gebraucht 
wird,  pochte  schon  wiederholt  an  die  Pforten  der  Gesetzgebung. 
Mögen  unsere  Politiker  dieser  neuen  Erscheinung,  die  sich  in  die 
Staatengesellschaft  einschmuggeln  möchte,  gut  ins  Auge  sehen. 
Der  Historiker  hat  mit  derselben  nichts  zu  schaffen. 

Für  air  die  schweren  materiellen  Opfer,  uelchc  Ungarn  für 
Croatien  bringt,  für  die  Schädigung  seiner  staathchen  Interessen, 
hat  Ungarn  in  Croatien  nur  Undank  undHass  geemtet.  Wer  dieses 
Factum  aus  politischen  Gründen  erklären  wollte,  der  gtibe  sich  ver- 


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182 


♦ 

DIE  ENT8TBBUNO  CBOATUeNS 


gfebliclie  Mühe,  —  solche  krankhafte  Zustände  sind  nur  psycholo*?isch 
zu  erklären,  und  «gehören  daher  nicht  in  dasBessort  der  Politik. 

Die  traarigen  Erfahrungen»  welche  Ungarn  mit  dem  fiotiven 
Croaüen  gemacht,  hat  in  einer  grossen  Zahl  Patrioten  einen  un- 
aussprechlichen Ueberdruss  erzeugt,  und  mehr  als  einmal  hörten 
wir  Aeusserungen  des  Unmuts ,  deren  Sinn  war :  die  Croateu 
mögen  sich  hinsebeeren,  wohin  es  ihnen  beliebt.  Darin  liegt  aber  ein 
anderer  Fehler»  der  nicht  minder  schwer  wiegt»  als  die  monströse 
Geschichte  Tom  weissen  Blatt.  Man  würde  ja  dadurch  alle  dispa- 
rirt  n<lt  n  Elemente,  von  den  Krivoscsianern  angefan<;(^u  bis  zu  den 
Walachen  jenseits  des  Königssteigs  lehren,  sich  nur  sehr  unange- 
nehm zu  machen»  um  ihre  Absichten  durchzusetzen.  Die  grollenden 
Patrioten»  die  sich  ihre  Seelenruhe  durch  politische  Unverschämt' 
heiten  nicht  stören  lassen  wollen  und  ihre  feindlichen  Brüder  lieber 
ihrem  eigenen  Schicksal  überlassen,  vergessen,  duss  der  Staat 
ebenfalls  den  Gesetzen  der  öffentlichen  Ehre  unterliegt,  folglich 
seinen  Bestand  mannhaft  zu  verteidigen  verpflichtet  ist.  Sie  ver- 
gessen femer  einen  Blick  auf  die  Karte  zu  werfen»  welcher  sie 
lehren  würde,  dass  die  Zurückschiebung^  der  Verteidigungslinie 
Ungarns  bis  an  die  Drau  ein  Unding  sei.  Ein  Held,  welcher  ernster 
zu  nehmen  wäre»  als  der  weiland  famose  Jellachich,  könnte  an  der 
Spitze  eines  von  einer  reactionären  Macht  in  Bewegung  gesetzten 
Heeres  leicht  den  Beweis  liefern»  wie  schnell  man  von  der  Drau 
die  Hauptstadt  Ungarns  erreichen  kann. 

Es  wäre  eine  unauslöschliche  Schmach  für  Ungarn»  eine  solche 
Preisgebung  des  Landes  jemals  ernstlich  in  Erwägung  zu  ziehen. 

Allerdings  scheint  uns  aber  die  Zeit  gekommen»  uns  von  der 

fehlerhaften  Politik,  welche  wir  Croatien  gegenüber  ausgeübt, 

gänzlich  loszusa<jen.  Es  scheint  uns  die  Zeit  gekommen,  von 

welcher  Gabriel  Kazinczy  in  seiner  Reichstagsrede  vom  ^1,  Mai 

» 

1861  sprach»  in  welcher  wir  dies  Land  wieder  werden  erobern 
müssen  von  dem  Heereszuge  der  Auflösungsideen  und  Decom- 
positionsstrebungen. 

Wir  sprechen  es  often  aus,  dass  die  Landesteile  jenseits  der 
Drau  mit  Ungarn  in  einen  festeren  Verband  gebracht  werden 


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DIE  XNT8TEHDHO  OBOATIBNB. 


188 


müssen,  und  iius  diesem  Grunde  plaidiren  wir  auch  für  eine 
Bevision  der  mit  den  Croateu  vereinbarten  Ausgleiclisgesetze, 
aber  gewiss  in  einem  andern  Sinne,  als  die  Groaten  es  beute 
meinen. 

Der  knnlieh  verstorbene  geistvolle  Graf  Stefan  Bethlen 

nannte  das  Nationalitätengesetz  einen  scbmachvollen  Friedens- 
scbluss  nach  einem  siegreichen  inneren  Krieg.  Diese  Bezeichnung 
verdienen  in  weit  grösserem  Mlaasse  jene  Gesetze,  welche  von  der 
Idee  des  weissen  Blattes  dietirt  worden. 

Die  üebersengung  ist  allgemein,  dass  Ungarn  diese  Zustande 
nicht  ertragen  darf,  und  auch  nicht  auf  die  Gnade  des  Zufalls, 
welcher  eine  Besserung  bringen  würde,  warten  kann. 

Die  Frage  muss  formulirt  und  zur  legislatorischen  Ver« 
bandlung  vorbereitet  werden. 

In  erster  Linie  verlangen  wir  die  Wiedereinverleibung  der 
Comitate  Syrmien,  Veröcze  und  Posega  —  welche  heute  fälsclilich 
Slavonien  genannt  werden  —  in  L'ngam,  da  vielhundertj übrige 
Gesetze  dieses  Gebiet  nur  als  ungarisches  Land  kennen.  Wir  ver- 
langen femer  nicht  nur  Fiume,  sondern  auch  ein  entsprechendes 
Gebiet,  wodurch  das  Littorale  mit  Ungarn  in  unmittelbaren  Con- 
tactkäme,  wir  verlangen  endlich,  dass  Croatien,  oder  eigentlich 
die  Comitate  Agram,  Körös,  Belovar,  Yarasd  sauunt  dem  einstigen 
Militäigrenzgebiet  in  Allem  den  (besetzen  Ungarns  unterworfen 
sein  sollen.  Eine  Provineialautonomie  könnte  ihnen  nur  etwa  in 
Form  eines  königlichen  Comraissariats  l>ewilligt  werden,  welches 
die  Administration  in  croatischer  Sprache  führen  würde. 

Die  Einheit  der  Gesetagebung  macht  auch  den  croati^en 
Landtag  überflüssig.  Die  Wahl  zum  ungarischen  Beichstag  wäre 
eine  directe. 

Es  fallt  uns  gar  nicht  ein,  diese  Autrage  nur  aus  poHtischer 
Taktik  zu  stellen,  und  den  separatistischen  Tendenzen  der  Croateu 
das  Bestreben  der  Ungarn  nach  Assimilirung  aller  Landesteile 
entgegen  zu  setzen ;  wir  sind  vollkommen  von  der  Notwendigkeit 
solcher  Beformen  überzeugt,  und  glauben,  dass  diese  den  un- 
garischen Staat  und  auch  die  dualistische  Monarchie  mehr  cou- 


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184 


DIB  SNT8TBBUNO  CROATIBKB. 


ßolidiren  werden,  als  wenn  wir  aus  eigenen  Mitteln  an  der  Save 
einen  staatlichen  Embryo  dulden«  der  sich  auf  unsere  Kosten  ver- 
grössern  möchte. 

Die  Bedeattmg  Siebenbürgens  ist  eine  weit  grössere  als  jene 
Groatiens;  schon  seit  Bepfinn  des  XVI.  Jahrhonderts  fahrte  es 
ein  t'if^enes  politisches  Leben,  und  später  oft  eine  europuisclje  Holle. 
£s  war  auch  nicht,  wie  Croatien,  auf  dem  uuj^arischen  Heichstag 
▼ertreten.  Trotz  alledem  ging  die  Vereinigung  Siebenbürgens  mit 
Ungarn  Tor  sich,  weil  die  staatlichen  Exigenzen  den  mittelalter- 
lichen Separatismus  bei  Seite  schieben  mussten,  sollten  nicht  die 
iiociiHteu  Interessen  gefährdet  werden. 

Was  hat  Croatien  voraus,  dass  es  nicht  wie  Siebenbürgen  in 
Ungarn-  aufgehen  soll  ?  Es  ist  nur  noch  das  Wrack  einer  vergan- 
genen Zeit,  und  je  eher  es  beseitigt  wird,  desto  eher  wird  die  Bahn 
frei  zur  materiellen  und  staatlichen  Entwickelung  Ungarns,  das 
berufen  ist,  der  Monarchie  und  diesem  Teile  Europa  s  noch  grosse 
Dienste  zu  erweisen. 

Mit  der  Bäckeinverleibung  Fiume's,  welche  demnächst  den 
Beichstag  beschäftigen  wird,  geschieht  der  erste  Schritt  zur  Inte- 
grität Ungarns  in  dem  jenseits  der  Drau  und  an  der  Adria  gele- 
genen Gebiete.  Geschichte  und  Gesetz  sprechen  Fiume  der  unga- 
rischen Krone  su.  Die  öffentliche  Meinung  ist  von  der  Notwen» 
digkeit  der  Annectirunfi;  Fiume's  so  sehr  durchdmngen»  dass  die 
Frage  unbedingt  im  Sinne  Ungarns  ausgetragen  werden  muss. 
Man  ist  aber  darauf  gespauntj  in  welcher  Weise  die  Quadratur  des 
Cirkels  gelöst  werden  wird,  welche  im  1868er  Ausgleichsgesets 
aufgegeben  ist«  wo  es  nämlich  heisst,  dass  die  staatsrechtliehe 
Stellung  Fiume*8  endgiltig  nur  im  Binverständniss  aller  drei  Fao- 
toren :  Ungarns,  Croatiens  und  Fiume's  gelöst  werden  soll. 

Ministerpräsident  Tisza  hat  noch  während  der  Adressdebatten 
im  October  des  Jahres  1881  sich  dahin  geäussert,  dass  die  Zuge- 
hörigkeit Fiume's  nur  im  Sinne  der  1868er  Gesetze  geregelt 
werden  wird. 

Da  die  Starcsevicsianer  Fiume  den  Ungarn  nicht  überlassen 
wollen,  und  da  die  croatische  Kegierungspartei  sich  nur  in  der 


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I 


DIB  ENTSTEHUNG  CBOATXBNS.  ><>d 

Metode ,  docli  nicht  im  Wesen  von  der  Nationalpartei  nnter- 
sdieidet,  und  folglich  auf  die  Einwilligung  Croatiens  in  die  Ver- 
einigaiig  Fiame's  mit  Ungarn  nicht  zu  rechnen  ist,  so  flüstert  man 
sieh  in,  es  sei  die  Absicht  der  Begienmg»  den  Groaten  fär  deren  Ein- 
willigung in  der  Fiumaner  Frage  irgend  welche  Concessionen  zu 
machen. 

Wir  haben  die  traurigen  Folgen,  welche  die  Goncessions- 
madierei  und  das  Bdoompensationssystem  uns  gebracht,  in  aller 

Bitterkeit  zu  kosten  bekommen,  und  können  unmö<]flicb  glauben i 
dass  die  Ke^^ierung  das  gesetzliche  Kecht  Ungarns  und  dessen 
Existenzbedingungen  sich  erhandeln  wolle.  .  ■ 

Ueberdies  fragt  es  sieh,  wenn  wir  das  seit  der  Erteilung  des 
weissen  Blattes  befolgte  yerderbliche  System  auch  fortsetzen 
wollton :  was  l'n<^arn  den  Croaten  noch  bieten  konnte,  was  diese 
von  unserer  Naivetnt  nicht  schon  längst  erhalten  hatten  ?  Ihre 
Autonomie  überschreitet  bereits  die  Grenzen  des  Vernünftigen,  das 
Defidt  ihrer  Yerwaltnngskosten  bestreitet  Ungarn.  Die  Militär- 
grenze  ist  ihnen  überantwortet  etc.  etc.  Es  bleibt  nichts  übri<;,  als 
dass  wir,  wie  der  Berliner  Congress,  fremdes  Land  verselienken  ;  — 
ein  Vorgang,  der  übrigens  die  Bewunderung  späterer  Zeitalter 
noch  viel  weniger  erlangen  dürfte,  als  es  in  der  Gegenwart  der 
FUl  war. 

Da  wir  weder  Länder  zu  verschenki  n  haben,  noeli  uns  auch 
iur  unsere  «croatischen  Brüder»  (ein  Name,  der  schon  längst  zur 
Ironie  geworden  ist)  weiter  finanzielle  Lasten  auferlegen  können 
und  wollen,  so  könnte  es  vielleicht  manchen  sonderbaren  Schwär- 
mern, die  sich  in  ihrer  beschaulichen  Ruhe  von  der  «Bruder- 
nation» nicht  stören  lassen  wollen,  einfallen,  die  gesetzlichen 
Rechte  Ungarns  auf  Croatien  noch  weiter  zu  schmälern.  «Denn 
Gottlob,  Etwas  haben  wir  noch  gerettet  vor  den  Fingern  der 
Groaten.»  Etwas,  aber  nicht  viel.  Da  hat  uns  ja  noch  der  §.  9  des 
XXX.  Gesetz-Artikels  vom  Jahre  18G8  das  Post-,  Zoll-,  Eisenbahn- 
uml  Tfkgraphenwesen,  und  einige  Kleinigkeiten  übrig  gelassen. 
Vielleicht  beliebt  es  von  diesen  Bechten  Etwas  als  Gompensation 
fnr  Finme  zn  opfern?!  und  hiemit  Namens  der  Autonomie  noch 


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186 


DIE  SKT8TXHVN0  OBOATISins 


die  letzten  Faden  durchzuschneiden,  welche  Croatien  hu  Ungarn 
binden. 

Doch  w  glauben,  ohne  im  geringsten  Optimisten  zu  sein, 
dass  sich  mit  solchen  albernen  Projecten  heute  Niemand  mehr 
hervorwagen  wird,  denn  die  Stimmung  ist  hente  fürwahr  eine  an- 
dere, als  sie  im  Jalire  186S  war,  und  kleine  —  leider  erst  sehr 
kleine  —  Besserungs- Symptome  haben  sich  acbou  «gezeigt,  als  in 
Folge  Einverleibung  der  Militärgrenze  die  Zahl  der  croatisehen 
Deputirten  beim  ungarischen  Beichstag  normirt  wurde.  Die  poli- 
tische Bewegung  bezüglich  Croatiens  kann  nur  nuhr  eine  rück- 
iauüge  werden  und  kann  nur  mehr  darauf  gerichtet  sein,  den  un- 
garischen Staat  zu  unificiren. 

Die  gesammte  Presse  beurteiltjetzt  den  croatisehen  Schwindel 
schon  richtiger,  als  es  noch  vor  einigen  Jahren  der  Fall  war,  wo 
die  Bewunderung  für  die  Weisheit  des  Ausgleichs  noch  alle  Sinne 
gefangen  hielt ;  und  ein  tonangebendes  Tageblatt  (P.Lloyd  1881 
Nr.  29)  erklärt  ganz  offen,  dass  das  berühmte  (sagen  wir  lieber 
berüchtigte)  «weisse  Blatt»  auch  bezüglich  Slavoniens  und  dessen 
Wiedereinverleibung  mit  Ungarn  ganz  anders  hätte  beschrieben 
werden  können,  als  dies  in  Wirklichkeit  geschehen  ist. 

Für  die  unersättlichen  •  Brüder»  neue  Opfer  zu  bringen, 
daran  denkt  wohl  Niemand  mehr.  Aber  dabei  wollen  wir  es  nicht 
bewenden  lassen ;  es  muss  auch  dem  croatisehen  Hexensabbat  ein 
linde  gemacht  werden. 

W^ir  erwarten  es  von  der  Regierung,  dass  sie  energisch  an's 
Werk  gehen  wird,  die  Integrität  Ungarns  bis  an  die  Save  zur 
Geltung  zu  bringen.  Hierin  kann  dieselbe  auf  die  Unterstützung 
aUer  Parteien  rechnen. 

Die  Frage  ist  lancirt  und  wird  nicht  früher  von  der  Tages- 
ordnung verschwinden,  bis  sie  gelöst  ist. 

Friedrich  Pbstt.  * 

^  Ans  deiu  nngariscbeu  Manuscripte  des  Verfassers. 


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UNOABISCUE  OKFli.Vilk:iiI£  CLOISONN^E. 


187 


UNGAßlSCHE  OßFEVßEEIE  CLOlbOiSNEE. 

# 

Eb  'A  Ürde  kaum  eine  cultiirhistorisch  interessantere  Epoche  geben, 
als  diejeni^o.  in  welcher  sich  die  Barbarenvölker  auf  den  Trümmern 
der  römischen  Civüisation  ansiedelton,  das  Christentum  annahmen  und 
Staaten  gründeten,  wenn  diese  Epoche  genau  beobachtende  und  ein- 
gehend berichtende  Historiker  gehabt  hätte.  Aber  gerade  diesen  Zeiten 
giugen  die  aufmerksamen,  gewissenhaften  Berichterstatter  ab.  Den  Jor- 
danes  und  Paulus  Diaconus  abgerechnet,  blieben  uns  blos  lücken- 
hafte Chronikenangaben  erhalten,  fabelhafte  Sagen,  alte  Gesetze,  höch- 
stens magere  Beschreibungen  einzelner  Episoden,  welche  kein  klares 
Bild  des  Zeitraumes  vom  vierten  bis  zum  zehnten  —  ja  bei  uns  bis  zum 
eUfien  —  Jahrhunderte  geben.  Doch  sind  uns  ans  diesen  Zeiten  ver- 
borgene Schätze  und  zahlreiche  Denkmäler  in  Gräbern  erhalten  geblie- 
ben, welche  insbesondere  in  neuerer  Zeit  viele  Gelehrten  beschäftigt 
baben.  Unter  den  Engländern  sind  Boach  Smidt»  J.  M.  Eemble  und 
Angustus  Francks  zn  erwähnen,  unter  den  Franzoson  Abbe  Cochet  und 
Charles  de  Linas,  unter  den  Deutschen  insbesondere  L.  Lindenschmit, 
der  gegenwärtig  in  einem  grösseren  kritischen  Werke  aus  den  Denk- 
miilern  und  Literaturreliquien  dieses  Zeitraumes  die  Culturgeschichte 
der  Völktrwundeiungs-Pcriode  snsammenzustellen  beginnt.  Sein  Werk 
wird,  nach  dem  Titel  desselben  zu  urteilen, die  gesammte  deutsche 
Altertumskunde  zusftmmenfassen ;  bisher  ist  davon  jedoch  erst  das 
erste  Heft  des  ersten  —  die  Altertümer  der  Merovingerzeit  behandeln- 
den —  Teiles  erschienen.  Der  Wert  des  Werkes  wird  indessen  durch 
die  patriotische  Gesinnung  des  Verfassers  beeinträchtigt,  welche  säramt- 
liehe  Denkmäler  dieser  Zeit  ausschliesslich  der  deutschen  Bace  vindi- 
oiren  möchte.  Der  Zeit  nach  betrachtet  Lindenschmit  das  in  Tournay 
entdeckte  Grab  dee  Frankenkönigs  Childerich  I.  als  sicheren  Markstein 
nach  aufwärts  —  nur  dass  an  den  darin  gefundenen  Schätzen  der 
Typus  der  Goldschmiedearbeit  dieser  Zeit  bereits  vollständig  entwickelt 
ist»  —  die  andere  Zeitmark  bilden  ihm  die  durch  das  Christentum  ver- 
inderteo  Begräbninformen,  welche  in  der  Karoltngerzeit  die  alten 
barbarischen  Traditionen  in  Leben  und  Kunst  vollständig  verscbwin- 

*  Haudbuch  der  deutschen  Altertumskunde,  üehersiclit  der  Denk- 
mäler und  Gr;il)Lifiinde  frfihcjeschichtlicher  und  voifreschichtliclif^r  Zeit  von 
L  Liiideusohmit.  lu  drei  Teilen.  Erster  Teil:  Die  Altertümer  der  mero- 
TingiBchen  Zeit.  Erste  Lieferung.  Braunschweig.  Friedrich  Vieweg  und 
8olm.  1880L  Mit  zahlreichen  Holzschnitten. 


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UNOARISCHE  ORF^VBeRIE  CL0I80NN£b< 


den  lassen.  De  Liuas  forscht  aufwärts  anoh  über  Childerich  hinaus. 
Indem  er  der  6'oldschmiedekunst  ein  besonderes  Angenmerk  zuwandte, 
gelang  es  ihm  in  der  Tat,  dieselbe  mit  orientalischen,  passanidischen 
Denkmälern  in  organischen  Znsammenhang  su  bringen  nnd  die«e 
neuere,  von  der  altclassisdhen  und  ihrer  byzantinischen  Fortsetzung 
abweichende  Bichtung  des  KuDstgeschmacks  aus  dem  Osten  und 
namentlich  aus  Persien  herzuleiten,  wofür  der  zu  Kagy-SzenMifiklös 
im  Torontdler  Comitate  gefundene  reiche  Goldschatz,  der  gegenwärtig 
in  der  Wiener  AltertümersanimluDg  aufbewahrt  wird,  einen  pchwer- 
viegeudeii  lieleg  lüetet. 

Die  topot^'iaplii^-clie  Ausbreitniig  betreilenii  scheint  ims  Liuden- 
bchniit  die  Gren/o  dieser  Deijl\iu}iler  allzu  eng  zu  stecken,  indem  er 
diesrllie  im  Xurdoslen  v<in  UoUand  über  die  Göttinger  nnd  Erfurter 
Gegend  nach  J^ühmen,  von  da  südwärts,  derEnns  und  Salzach  entlant^ 
über  die  baieriscln-  Hnc-hi'l*( ue  in  die  Schweiz  und  von  hit-r  wieder 
nach  Burgund  und  in  den  Westen  Frankreichs  fuhrt.   Sein^-r  I»e!uiup- 
tung  nach  lioren  gegen  Norden  und  Osten  jenseits  jener  (irenzi  ii  die 
Gräberfunde  dieser  Art  auf.  Er  anerkennt  zwar,  dass  ähnlichf  Funde 
in  Ost[  reussen,  Diiremark  und  an  der  schwedisclien  Küste  in  zahl- 
reichen Exemplaren  vorkommen,  nur  dass  diese  doch  eiuigermassen 
von  den  in  Deutschland,  England  und  Frankreich  gefundenen  ab- 
weichen, indem  sie  fast  ausschliesslich  aus  edlen  Metallen  gefertigt 
sind.  Deshalb  hält  er  sie  ebenso  für  importirte  Gegenstände,  wie  die 
häufig  mit  ihnen  zusammen  gefundenen  byzantinischen  und  orien* 
tahschen  Münzen.  Dasselbe  behauptet  er  von  Ungarn,  nur  dass  seiner 
Behauptung  nach  die  ungarländischen  Funde,  welche  den  deutschen 
ähneln,  auf  spätere  Zeiten  hindeuten,  und  dass  unter  ihnen  die  Schätze 
zahlreicher  sind  als  die  Gräberfunde.  Er  bemerkt  femer,  dass  im 
IX.  und  X.  Jahrhundert  Ungarn  und  der  skandinavische  Norden  nicht 
sowohl  als  Heimstätten  entwickelter  Kunstindustrie  reich  producirender 
Ländejr,  sondern  vidtiehr  als  Stapelorte  massenhafter  Beute  bekannt 
sind.  £s  ist  klar,  dass  Lindenschmit  in  dieser  seiner  Behauptung  hlos 
an  Ungarn  zur  Zeit  der  Herzoge  denkt  und  des  Avarenstaates,  der  hier 
vom  VI.  bis  zum  IX.  Jahrhundert  bestanden  hat,  ToUständig  vergisst, 
auch  nicht  weiss,  dass,  mit  Ausnahme  des  einen  Ssent-Miklöser 
Schatzes,  alle  unsere  anderen  zahlreichen  Funde  in  Gräbern  gefunden 
worden  sind  —  teils  in  Friedhöfen,  teils  in  Grabhügeln,  den  soge- 
nannten Hünengräbern.  Künhalraok. 

Die  Alterlumsforscher  haben  diesen  Funden  verschiedene  Namen 
gegeben.  Die  Skandinavier  nennen  sie  '«zweite  Eisenzeit»,  was  keinen 
Sinn  hat ;  denn  bei  uns,  bei  den  Franzosen  und  Engländern  würde  dies 


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UNGAIU6CUB  ÜBF^VREUIE  CL0I60N'NE£. 


jedenfalls  schon  die  dritte 
Eisenzeit  sein,  da  wir  die 
Keltenzeit  als  erste,  die 
Bomerzeit    als  zweite 
Eisenzeit  ansehen  mÜ88- 
teD.  Die  fingläuder  nen- 
nen dieselben  zur  schnel- 
leren Oiientirung  angel- 
-trhsiscli.  Henszlraann 
bat  diese  Denkmiiler  den 
Gothen    zu  vindiciren 
vewncht ;  Lindenschmit 
liut  sie  lange  Zeit  frän« 
kisoh  •  alemanaisch  ge- 
nannt, jetzt  aberbat  auob 
er,  in  Anbetracht  dessen, 
dass  die  merovingiseheo 
Konige  tatsächlich  Deut- 
^sehe  gewesen  sind,  die 
franzödische  Benennung 
seeeptirt,  und  spricht  in 
seinem  letzten  Werk  be- 
reits ausschliesslich  von 
deutschen  Denkmälern 
der  MeroTingerzeit.  Wir 
dürfen  die  in  Ungarn  ge- 
fundenen kohn  Denkmä- 
ler der  Avarenzeit  nen- 
nen, da  wir  in  Ungaim 
keine  über  das  VI.  Jahr- 
hundert zurückgehenden 
I>enkmäler  dieser  Art 
kennen,  welche  die  be- 
sondere Technik  dieser 
Zeiten  repräsentirten.*De 
linss  hat  diese  Technik 
bezeichnend  Orfevrerie 
doisonn^  genannt,  in- 

*Da«Us  Email  rloisuuneu 
Dil  Zdlenschmelz  fiberaetet 

köiim  ii  wir  dies  mit  ili'm 
AosdrucktZeliongoldsclimied- 
ArWt*  bmeiohneii. 


Komorner  (7)  >Scbworl«cliei<lon-Ortban«l  nnd  Bdttuül«. 


UNOABISOBX  OBF^VBlfilB  CLOISOHNte. 


dem  die  Faesnng  der  roten  Gnuiatetdxie  in  maniTe  Zellen  (doisonB) 
von  Gold  oder  BUber  ihr  Typus  ist;  bisweilen  sehen  wir  zwar  sneh 


dcadtn-FIbefai. 

audere  Steine,  Lapis  Lazuli,  Amethyst,  Karneol  und  Glas  so  gefasst, 
am  häufigsten  aber  den  edlen  Granat  (Almandin). 

I 


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I 


UNOARISCHE  ÜliF^VREBlE  CLOIÖONNiiE, 


191 


Email  kommt  bei  diesen  Denkmälern  so  selten  vor,  dass  de  Linas 
es  ihnen  gänzlich  abspricht,  und  von  Sanct  Eligius,  dem  berühmten 
Goldschmied  des  ersten  Frankenkönigs,  behauptet,  er  habe  die  Kunst 
des  Emaillirens  nicht  gekannt.  An  dem  hier  (S.  180)  abgebildeten 
Scbwertscheiden-Ortband  aber,  welches  inKomomi  ?)  gefunden  wurde 
und  gegenwärtig  in  David  Egger's  Besitz  ist,  sehen  wir  in  der  kleinen 
Rose  zwischen  den  roten  Granaten  in  der  Tat  wirkliches  weisRCS 
Email.  Die  mit  Granaten  verzierte  reiche  Goldspange  aber  stimmt 
ToUBtandig  mit  dem  Schatze  des  Königs  Childerich  iiberein. 


GiMtai-niMla. 


Derartige  Zellen-Qoldsehmiedearbeit  findet  sioh  yomehiiilioh  anf 
Behnallen,  Bingen,  Erensen,  HaUketten,  Haarnadeln  und  Fibeln. 
Hier  pablioiren  wir  jetzt  eine  ganze  Beihe  solcher  Kleiderspangen, 
««khe  neb  dnreh  ilve  Form  von  den  deutschen,  französischen  und 
englischen  Fibeki  unterscheiden,  indem  sie,  wie  unser  bekannter  Natnr- 
fcndtor  Otto  Herman  beweist,  unverkennbar  Cicaden  yorstellen.  Nr.  3 
(&  190)  wurde  in  Siebenbürgen,  in  der  Gegend  von  SAromberek,  gefan- 
deo,  ist  ans  massiyem  Gold  gefertigt,  hat  Augen  von  Granaten,  den 


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UNGABISCHÜ  ORFEVRERIE  CLOISONN^E.  1^-^ 


Leib  und  die  Flügel  mit  Linien  und  Kreis-Zierrat  geschmückt ;  3/»  und 
3r  zeigt  die  Rückseite,  die  Application  der  Fibelnadel.  Spange  la  und 


Szcgedin-Siiv^nyhdzer  Fände. 


\h — von  vorne  und  hinton  gesehen,  wo  noch  die  Art  erkennbar  ist, 
wie  der  verloren  gegangene  Dorn  in  die  Dülle  eingepasst  werden 
konnte  —  wnrde,  zugleich  mit  seinem  Paar,  zu  Györköny  im  Tolnaer 

CasBÖMb*  B«Tne,  1882,  II.  Heft.  i  > 


9 


12  / 


UNOAEISCHE  OBFi:VBERI£  CLOISONN^E. 


195 


Comitat  gefimden  und  gelaugte  aus  dem  Be- 
sitze des  Vicegespana  Magyari-Kösa  in  die 
NicoUuB  Jaakovicli'sche  Sammlung  nnd  mit 
dieser  in  unser  Nationalmnseum.  Sic  ist  von 
Silber  verfertigt,  mit  einer  Goldplatte  über- 
fogen,  in  deren  Cloisons  die  Augen  und  der 
Ftogelsolunnek  dtixeh  Qiaoaten  gebildet  werden. 
Noch  charakteristiBcher 
i8ldieFibelNr.2(8.190), 
welche  bei  Göd  gefunden 
wurde  nnd  als  Gesohenk 
des  Herrn  Schroy  in  das 
Hnsenm  gelangte ;  Her- 
man  siebt  dieselbe  indes- 
sen nieht  für  eine  Cicade, 
sondern  für  einen  Asca- 
laphns  an.  Unterer.  4,5, 

6(8.191 )  folgen  diesen  ^  ^ 

ahnliche  Brouze-Elei- 
derspangen  ans  deiu 
Mnseum,  wek'lie  be- 
wtiseu,  dass  die  Ciea- 
den-Fibel  eine  rij^'en- 
tnmliche  nngarliindi- 
sclipFarm  ist.  welche 
bi-utr  im  Anshmde 
nicht  gefunden,  daher 
ni'  iit  als  Hnsländische  Beute  hereingebracht,  sondern  wahrscheinlich 
bier  verfertigt  wurde. 

Nicht  minder  charakteristisch  ist  eine  abweichende,  in  der  Kegel 
aus  stellenweise  vergoldetem  Silber  verfertigte  Fibelform,  deren  Kopf 
«n  mit  hervorragenden  Knöpfen  verziertes  Halbrund  bildet,  mit  kur- 
sem  gewölbtem  Rücken,  die  Fiisse  mit  Gravenrarbeit  oder  Granaten 
'Verziert.  Solche  Spangen  kamen  häufig  im  Auslande  bei  späteren 
Merovingerfunden  vor  und  sind  auch  in  unserem  Museum  mehrfach 
vertreten,  in  einem  siebeubürgisohen  Exemplar  auch  aus  Blei,  in  einem 
Kesfthelyer  Exemplar  aber  aus  Bronze.  Dieses  ans  dem  Keszthelyer 
prilnstorischen  Friedhofe  ausgegrabene  Exemplar  ist  besonders  merk- 
weil seine  unzweifelhaft  merovingische  Form  auch  das  Zeit- 
jener  bronzenen  Biemenenden  feststellt,  welche  mit  ihm  zugleich 
Irfonden  wurden  und  in  ungarlandischen  vorgeschichtlichen  Friedhöfen 


SctgwUa-öthftliiiflr  Fand«. 


13* 


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UNGARISCHE  OBF^VBERIC  CLOIbüNNEE. 


197 


so  häufig  aufgegraben  wirdfii.  vie  z.  B.  1  ei  den  Funden  von  Adony, 
Sze^erlin,  Solor,  Ordos.  Höd-Mezö-Väsarhely,  Kesztliely  und  dem 
Fester  W  ettrennplatz.  Solcshe  bronzene  Biemeuenden  kommen  eben- 
falls im  Auslande  kaum  vor  und  zählen  zu  den  Eigentümlichkeiten  der 
nngarländifcheu  Funde.  Ihre  Anfertiger  besapeen  keine  lebendige  Ein- 
bildungskraft, denn  sie  wusEten  der  Form  dereelben  keine  Mannigfal- 
tigkeit zu  geben,  in  (b  i  Verzierung  abrr  verrät  sich  die  Armut  der 
Phantasie.  Spiralische  und  geometrische  Linien,  Gewächsranken, 
Greife,  7wei  Hunde,  die  einen  Hirsch  vürgen,  und  ein  darüberweglau- 
fender  Hase,  Vögel  und  Drachenköpfe  erschöpfen  so  ziemlich  das  £in- 


Ke^'Ztüel^cr  Fände. 


^büdnngsTennögen  des  avariscben  Künstlers.  Besonders  häufig  ist  der 
Meifsienrat,  dem  wir  in  den  verschiedensten  Teilen  des  Landes  vieder 
WtA  wieder  hegten,  in  Nagyfalu,  im  Comitat  Szolnok-Doboka,  in 
HÜ^sdin,  Ordas,  an  der  Donau ;  ja  Gonze  pnblicirt  Nr.  9,  Tafel  37, 
^|iiid  X  der  «Monumenti  del  Istituto  di  Correspondenza  Aroheologica» 
1877  einen  im  Trentino  gefundenen  derartigen  Biemensohluss,  weleher 
ait  einem  ähnlichen  Biemenende  ans  dem  alten  Vorrat  des  nngari- 
sohen  Mationalmuseums  und  mit  einem  zweiten,  der  ans  einem  gele- 
inflieh  der  Szegediner  Erdarbeiten  ausgehobenen  Grabe  zu  Tage 
§dBetdati  wurde,  vollständig'  übereinstimmt,  mit  drei  hintereinander 


uiyiii^cü  Uy  Google 


198 


UKOAfilSCUE  obf£vrerie  cloisonn^e 


kauernden  Greif-  ij.  oben  uhcr  mit  einem  langohrigen,  kurzschwünzigen. 
laufenden  Tier,  weldies  elicr  Ha^^e  als  Hund  ist. 

Von  Szetjediu  liat  bereits  der  i  Arcliacologiai  flrtesi'ttl»  (Arcliacolr>- 
giecher  Anzeiger)  vom  Jahre  ISSO  auf  Tafel  4-9  einen  reichen  Grabfund 
aus  der  Avarenzeii  pnblicirt,  auf  der  Tafel  S.  194,  195  g^ben  wir 
jetzt  jenen  noch  prachtvolleren  Fund,  welcher  den  Kern  der  Szegediner 
AltertttnierRamm1iin<7  ])il(len  soll.  Unter  Nr.  12  sehen  wir  das  groe»e 
Biemenende  mit  den  drei  Greifen  und  dem  Hauen ;  bemerkenswert  ist, 
das8  die  dazn  gehörige,  ebenfalls  mit  einem  Hasen  verzierte  Schnalle 
noch  damit  zusammenhängt.  Nachdem  wir  ans  zahlreichen  Fanden 
ersehen  haben,  dass  in  jedem  Grabe  allemal  nur  je  ein  solches  längeres 
Biemenende  gefunden  wird,  können  wir  kühn  behaupten,  dass  das- 
selbe zum  Gürtel  gehört  habe.  Die  Gfirtelklappeii  Kr,  7,  9,  10,  11 
zeigen  dasselbe  Oreifomament,  nur  dass  bei  Nr.  1 1  die  Flügel  minder 
charakteristisch,  verkümmert  und  ganz  ähnlich  wie  beim  Ordaser 
Funde  sind.  Dermiter  Nr.  8  sichtbare  Zierrat,  deseengleichen  ebenfalls 
nur  zu  je  einem  Stuck  in  den  Gräbern  gefunden  wird,  gehörte  wahr- 
scheinlich in  die  Mitte  des  Gürtels,  die  Riemenenden  Nr.  4  und  Nr.  5 
gehörten  wieder  zusammen,  diejenigen  unter  Nr.  1,  2,  36  zeigen  Pflsn- 
zenzierrat.  Der  begrabene  Held  trug  demnach  wahrscheinlich  einen 
breiteren  Gürtel  und  ein  schmäleres  Bandelier  von  der  rechten  Schulter 
bis  zur  linken  Hüfte. 

Noch  interessanter  ist  ein  anderer  grösserer  Grabfund,  insofern 
wir  bei  demselben  abweichende  Formen  finden,  ja  in  der  Platte  Nr.  1 
eine  Technik,  wie  sie  uns  in  anderen  Grabstätten  der  Avarenzeit  bisher 
nicht  vorgekommen  ist.  Wir  sehen  auf  der  dünnen  Bronzeplette  in 
i^etriebt'uer  Arbeit  einen  Adler  mit  der  rechten  Kralle  einen  imifrokehr- 
ten  Fisch  haltend  und  mit  dem  Schnabel  dessen  Ihinch  aiif.sciilitzenil. 
Die  Technik  erinnert  an  die  Bronzedecke  jener  beiden  kleinen  romi- 
schen Kästcljeii,  Avilche  uns  ans  dem  Anfang  des  Y.  Jahrhunderts 
erhalten  bhebeii  :  der  Kuiistf^esclimack  aber  mahnt  (üniji^ermassen  an 
denjenigen  der  Luxusgehi^se  des  Na^'v-SzentMi klüger  Goldfundes, 
ebenfalls  von  getriebener  Arbeit.  Bei  diesem  Kunstdenkmal  ist  eine 
viel  lebendigere  Beoliachtniig  der  Natur  wahrnehmbar,  als  bei  anderen 
Altertümern  der  Avarenzeit,  deren  Ornamente  verraten,  dass  der 
Erzeuger  nur  nach  traditionellem  Must^^r  gearbeitet  hat.  Auch  die 
übrigen  Teile  des  Fundes  weisen  seltener  vorkommende  Formen  a«f, 
wie  z.  B.  die  Kleideromamente  Nr.  2  und  3  und  die  uugewöhnhch 
breiten,  perlenverzierten  Riemenenden  Nr.  12,  13  und  17  (126  zeigt  die 
Seite  des  Riemenendes  12«),  und  erinnern  an  die  ebenfalls  von  den  ge- 
'wöhnlichen  abweichenden  Formen  des  Adonyer  Fundes  (S.  Arch.  £rt. 


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UNGARISCHE  ORF^VREUIE  CL0IS0NN6e. 


1S80,  Tafel  XLUI,  Nr.  8). 
Die  Gürtelklappen  Nr.  6,  8, 
11  und  10  unterscheiden 
sieh  weniger  von  den  ge- 
wöhnlichen Formen,  diese, 
sowie  die  unter  Nr.  4,  5  und 
7  sichtbaren  Riemenenden 
und  Zierrate  dienen  sämmt- 
lieh  als  Belege  dafür,  dass 
das  Leder  bei  der  Beklei- 
dung der  Avaren  eine  grös- 
sere Rolle  gespielt  habe  als 
das  Wolleugewebe  ;  dieses 
begleitet  nämlich  die  Fibula, 
in  deren  hohlem  Rücken  die 
Falten  der  zusammenge- 
steckten Wollenstoffe  Raum 
finden,  jenes  die  Schnalle. 
Die  Bronzeplatteu  Nr.  9  uud 
10  haben  den  Oberteil  und 
die  Mitte  der  Schwertscheide 
zusammengefasst,  die  Platte 
Nr.  14  aber  ist  wahrschein- 
lich au  das  untere  Ende  der 
Schwertscheide  als  Zierrat 
befestigt  gewesen. 

"Wilhelm  Lipp ,  der 
glückliche  Erforscher  des 
Keszthelyer  avarenzeitli- 
chen  Friedhofes,  hat  der 
archäologischen  Gesellschaft  seine  neueren  Funde  eingesandt,  unter 
denen  die  in  den  Fraueugräbern  gefundenen  interessanten  Ohrgehänge 
hervorragen,  welche  ihrer  Grösse  wegen  früher  für  Armbänder  ge- 
halten wurden  (S.  Arch.  £rt.  1880,  S.  122),  obgleich  sie  unter  dem 
Schädel  der  Frauen  gefunden  \vurden ;  sechs  derselben  geben  wir  auf 
der  Tafel  S.  H>G,  197.  Die  Ringe  sind  aus  Bronzedraht  verfertigt, 
dessen  unteres  Ende  breiter  ausgeplättet  und  mit  Zierraten  versehen 
ist ;  von  ihnen  hing  ein  aus  Draht  gefertigtes  buuförmiges  Gehäuge 
herab,  dessen  Unterteil  durch  eine  blaue  Glaspaste  verschlossen  ist. 
Sonderbar  ist  es  indessen,  dass  dieses  Anhängsel  in  allen  sechs  Exom« 


1-1 


Biegediner  Fände. 


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KUB2E  SITZUN08BERIOHTE, 


901 


plareii  mittelst  Draht  an  den  Ring  befestigt  ist. Die  Denkmäler  der 
TatVl  b.  199,  2(X)  gehören  zum  Szegcnliner  Ywuü  aus  Miinnergriibern  : 
eiu  eiserner  Zügel  Nr.  5,  ein  Stei^Lügel  Nr.  8,  Güi-telklappeu  Nr.  G, 
7,  Messerklingen  Nr.  9,  Schwertheft  Nr.  11  ;  die  Armbänder  Nr.  1,  2 
und  4  rühren  ans  Franengrübern  her.  —  Es  wurden  in  den  Grübern 
ausserdem  zahlreiche  Eiseugegenstiinde  gefunden,  die  jedoch  derart  von 
Rost  angegriffen  sind,  dass  über  ihre  Form  wenig  Bestimmtes  gesagt 
werden  kann,  meistens  Messer,  ein  Scb\vert,  massive  Nägel,  Steigbügel, 
Lausen-  und  Pfeilspitzen.  Fbauz  vok  Pülszky.** 


KÜRZE  SITZUNGSBERICHTE. 

—  Akademie  der  Wiesensehaften.  1.  In  der  Sitzung  der  ersten 
Classe  am  S.  Januar  legte  Sabl  Szisz  bisher  unbekannte  Gedichte  des 
Gnfen  Lad.  Tblbki  des  Aelteren  Tor.  Vortragender  hat  nämlich  von 
Michael  Herozegh  einen  Band  Mianuscripte  erhalten,  welche  in  Lölle 
im  Somogyer  Comitat  auf  einem  Dachboden  gefunden  worden  sind. 
Der  Band  enthält  313  Seiten  und  auf  diesen  27  Gedichte  ohne  gemein- 
icbaftliehen  Titel.  Diese  Gedichte  haben  keinen  poetischen  Wert,  doch 
offenbart  sich  in  ihnen  ein  wsrmes  Gemüt.  Vortragender  liest  mehrere 
Fioben  daraus ;  am  meisten  iuteressirte  ein  au  ein  jnnges  Mädchen  in 
leiditem,  neckischem  Ton  gehaltenes  Gedicht.  Vortragender  schliesst 
mit  der  Bemerkung,  dass  wenn  auch  Graf  Ladi-^laus  Teleki  nicht  zum 
Dicliter  gt  l)oren  war,  sein  dichterisches  Wirken  aus  historischeu  Ge- 
dieh tepULktt-u  doch  Beachtung  verdient. 

MiCH  vLL  BoöisK  n  legt  der  Classe  ein  katholisches  Gesangbuch 
ans  dem  XVII.  Jahrhundert  in  Manuscript  vor.  Dasselbe  führt  den 
Titel:  Vantinnah'  t't  }>as.<ti<)nalt'  huuijarinim  societatifi  Jesu  und  ist  sein 
Autor  unbekannt.  Die  Sammlung  besteht  aus  zwei  Teilen  ;  der  erste 
eLtliiilt  Messgesänge  für  die  Hauptfeste  des  Jahres,  der  andere  Lamen- 
tationeu  nach  K<ildy's  Bibel-Uebersetzung  mit  Ciregoriauischen  Noten. 
Der  Text  der  Lieder  ist  sangbar,  die  Musik  zumeist  im  Sopran-  und 
Alt  .  selten  im  Tenor- Schlüssel  geschrieben  ;  der  */«-Takt  ist  Vorherr- 
sclif-nd.  Ihrem  Ursprung  nach  zerfallen  die  Melodien  in  Gregorianische, 
nationale  und  fremde.  (Von  den  nationalen  trägt  Vortragender  das  unga- 

I>r.  I-ij'p  hat  seitdem  seiiif  Atiswrnbnngen  mit  %ielem  Erfolge  fctrt- 

Ct  und  unter  dreissig  Ohrgehängen  blos  eiu  einziges  gefunden,  wo  cUu 
fiei  herabhängt,  nicht  mit  Druit  ungebunden  ist 
**  Aus  dem  ersten  Hefte  des  Archaeologiai  J^rtuitö  (Ärch.  Anzeiger). 


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KDfiZB  SirZUMGBBBRICBIS. 


rische  Advent- und  Fasten-Kyrie  mit Olavierbcglcitung  vor.)  Die  frem- 
den sind  Bnmei9t  deutschen  Ursprung^:,  doeh  haben  sie  hier  einen  unga- 
rischen Bhythmti9  angenommen.  Die  neuen  Gesänge,  die  in  dieser 
Sammlung  enthalten  sind,  gingen  in  das  Abt'sche  Cu  siuigbnch  Pisne 
kotholickt'  über,  das  im  Juble  1700  erschien,  so  dass  dieselben  sich 
im  VolkMuniiil  erhalten  kounten. 

In  der  Sitzung  der  zweiten  Cbtsse  am  0.  Januar  sprach  zuerst 
BfeLA  Majläth  Über  die  ( 1  t  schii  htt  du-  tnhiiiri^rlit  n  ( h  tsnawen.  Kr  warnt 
davor,  bei  dem  Ursprunc:  nine^  ( )rt-naiiiens  den  Klang  des  Wortes  oder 
die  vergleiciiendc  ICtymdloi^ne  anzuwenden,  da  man  l)ei  dieser  Methode 
Kehr  leiclit  auf  Irrwege  geraten  k(»nue.  Diese  Methode  befnlgtoii  früher 
und  teilweise  noch  heute  die  slavischen  Historiker,  welche  in  allen 
ultlateinisehou  ( Irtsnanien  sluvische  Stiiraiue  entdecken  und  die  sogar 
die  Szekler  für  einen  magyarisirten  slavischen  Stamm  halten.  Dieselbe 
Methode  befolgend  hat  auch  Franz  balamou  die  Umgegend  der  Haupt- 
btadt  Ungarns  von  slavischen  Ortsnamen  bevölkert  gefunden.  Vortra- 
gender, der  diesbezüglich  eingebende  Studien  blos  im  Liptauer  Comitate 
gemacht  hat,  gelangt  zu  dem  Resultate,  dass  in  diesem  gegen wär^ 
fast  ausschUesslich  slovakischen  Comitat  ursprüaglioh  die  meisten 
Ortsnamen  ungarisch  waren  und  dass  auch  da  die  magyarische  zu  den 
ersten  Ansiedlungen  gehört.  Slavisohe  und  deutsche  Ansiedlungen 
erfolgten  erst  im  XIII.  Jahrhundert ;  am  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts 
gab  es  in  diesem  Comitat  90  Ortschaften,  ron  denen  41  ungarische, 
30  slayisohe,  5  deutsche  und  5  lateinische  Benennungen  hatten.  Vor- 
tragender citirt  nun  interessante  Beispiele,  wie  die  meisten  dieser 
ungarischen  Ortsnamen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  sich  slavisirten. 
So  z.  B.  wurde  aus  villa  noya,  dem  lateinischen  Namen  Ton  Ujfalu, 
das  heutige  Dianova.  Hieraus  ist  zu  ersehen,  dass  man  selbst  dort,  wo 
man  heute  slavische  Ortsnamen  antrifft,  nicht  sofort  darauf  schlieseen 
dürfe,  dass  die  Ureinwohner  slavisch  nnd  dass  die  prima  occupatio 
keine  ungarische  gewesen  sei. 

Hierauf  verlas  Thomas  Y^csey  aus  einer  grösseren  Arbeit,  welche 
<Uf  I Urktstristenschaft  unter  den  Arpdden  behandelt,  jenen  Teil,  der  sich 
mit  dem  Kechtsunterricht  beschäftigt.  Es  gab  unter  den  Arpaden  ver- 
schiedene hollere  Anstalten,  wie  Gran,  Martinsberg,  Tirnau  und 
Veszpiim;  doch  blühte  am  Jüngsten  die  Hochschule  zu  Yeszpnm, 
welche  nach  dem  Muster  der  Pariser  Universität  eingerichtet,  keine 
Teilung  nach  Nationen  nnd  Fächern  aufweist,  l'nterrichtet  wurden: 
liberales  artes.  mandata  divina  und  cultus  justitia\  Von  einer  medici- 
nischen  Facultät  ist  noch  keine  Spur  zu  entdecken  ;  wurde  doch  die 
Heilkuust  als  eine  Fülle  practi&cher  Erfahrungen  von  den  Geistlichen 


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KUBZE  8ITZUN08BERICHTE.  2C»3 

betrieben.  Was  ilen  Reclitsuuterricht  (cnltns  justitiii)  anbelanget,  so 
wurdon  gelein  t :  legt s  s;ecnlares,  mores  et  cousiietnclioes,  ars  cnrialis 
und  ars  notariali«,  Vnter  den  leges  f^a^cnlares  ist  t-elbstverstiindlich 
auch  das  römische  Pic  eht  zn  verstehen,  dessen  Unterricht  respective 
Anwendung  die  Papste  Ilondrins  nnd  Innocenz  IV.  erfolglos  verljoten. 
Den  fünf  Büchern  Jnstinian's  entsprechend,  war  der  Cursus  auf  fünf 
Jahre  berechnet  nnd  lelirten  nicht  weniger  als  füiifzelm  Doctores  utrins 
juris  an  dieser  liechtsanstnlt.  Der  berühmteste  derM-lhiii  war  der 
Probst  nnd  Magister  Paulus,  der  auch  liei  Padishius  dem  Kuuianier 
sehr  beliebt  war.  Vortragender  führt  nun  den  Beweis,  dass  die  Rechts- 
wibsenschaft  unter  den  Arpaden  m  Ungarn  geblüht  habe  und  belegt 
«lies  mit  einem  von  dem  Erzbischof  von  Gran  und  dem  Bischof  von 
Waitzen  abgeschlossenen  NutzniessuDgs- Vertrag,  der  voll  der  subtil- 
sten juristischen  Distinctionen  ist. 

Michael  Zsilinszky  behandelt  auf  Grund  von  neueren  Arehiv- 
stndien  den  ['irsshHi  iH  r  iMmltaii  com  Jahre  ISOO  und  besonders  die 
geheime  Geschiebte  der  Wahl  des  Protestanten  Georg  Thurzo  zum 
Palatin.  Entgegen  der  bisherigen  Ansicht  stellt  Vortragender  fest,  dass 
die  Wahl  nicht  mit  Acclamation  erfolgte,  da  auf  Thnrzo  Stimmen 
entfielen,  während  der  Candidüt  der  Katholiken  Graf  ErdiSdy  51  Stim- 
men erhielt. 

3.  Sitzung  der  dritten  Cias^e  am  16.  Januar.  Erster  Vortragender 
war  L  Fröhlich,  welcher  über  die  Experimental- Untersuchungen  Be- 
richt erstattete,  die  er  über  die  ItUentität  de*  in-heittßoi  Lichtex  bei 
Difiractionserecheinungen  mit  grossen  Beugnngswinkeln  angestellt,  und 
welche  die  Fortsetzung  nnd  den  Abschluss  einer  vor  einigen  Jahren 
ausgeführten  Untereuchong  bilden. 

Durch  eine  in  der  mathematischen  und  natarwissen^^chaftlichen 
ComixuMion  der  ungarischen  Akademie  gewährte  materielle  Unter- 
stntznng  wurde  Vortragender  in  den  Stand  gesetzt,  die  zn  einer  solchen 
Untersuchung  nötigen  sehr  kostspieligen  Apparate  anzQüchatTen  und 
demnach  die  Untersuchung  selbst  auszuführen  nnd  teilt  nun  die  Besul- 
tate  mit,  die  er  durch  Beobachtung  von  mitte  Ist  äusserst  enger  Glas  und 
Metallgitter  dargestellten  Ersclieinungen  erhielt.  —  Im  ersten  experi- 
mentellen Teile  der  Arbeit  behandelt  Vortragender  die  Beobachtungs- 
Methode,  die  Beduction  der  Beobachtnngen  und  gibt  die  endgiltigen 
Baten  für  Licht,  das  zur  Einfallsebene  senkrecht,  und  solches,  das  zn 
dieser  £bene  parallel  polarisirt  ist.  Ans  diesem  erhellt  sofort,  dass  die 
erfahrungsgem&ssen  Werte  der  Intensität  mit  der  gewöhnlichen  Beu- 
gnngsiheorie  im  grössteu  Widerspruche  stehen.  Diese  Tatsachen  erfor- 
dem  eine  grondliche  Verallgemeinerung  der  bisherigen  Theorie  der 


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KUBZK  SITZUNOSBERICHTE. 


Beugungsgitter.  Vortrageuder  entwickelt  diese  YerallLreineincrunfr  im 
zweiten  Teile  und  sucht  diejenigen  an  der  GitterobortlHclio  möf^liclien 
Lichtbcwcgui  gen.  welche  mit  der  Erfahrung  übereinstimmen.  Durch 
AuNVf  i)di;n«,'  der  Fourier'fchen  Reilien  gelingt  es  Vortragendem,  dies 
Problem  ganz  allgemein  und  streng  zu  lösen,  er  beweist,  dass  nneud- 
licli  viele  li"iii(igene  Lichtbewegungeii  möglich  sind,  die  die  Beobach- 
Uiij<:»  n  vollstaiiilig  wiedergeben  und  die  sehr  einfach  i)estimmt  werden 
können,  dn^s  aber  die  Entscheidung  zwischen  diesen  bei  dem  gegen- 
würtigen  Stande  unserer  Erfahrung  unmöglich  sei. 

Nicolai  s  v.  Konkoly  erstattet  Bericht  über  die  im  Jahre  ISSI  lu 
der  (t  ihiaUatr  Sternwarte  angestellten  Beobachtungen.  Es  wurdt-n 
Merkur.  Venus,  Mars,  Jupiter,  Saturn  und  Neptun  beobachtet,  ferner 
wurden  relractive  Beobachtungen  angestellt  n.  R.  w.  Ferner  erstattet 
Vortrujrfuder  Bericht  über  Sonnenflecken  und  Sternschnuppen  des 
verflossenen  Jahres.  Schliesslich  macht  Vortragender  die  Akademie 
auf  die  seit  Kurzem  von  den  Brüdern  Eugen  und  Alexander  Gotthard 
auf  eigene  Kosten  errichtete  Privat- Sternwarte  zuHereny  aufmerksam, 
welche  eigentlich  ein  vorzfigHch  eingerichtetes  astropbysikalisches 
Observatorium  ist  und  eis  solches  schon  einige  Beobachtungen  an 
Himmelskörpern  anstellte,  deren  Besultate  v.  Konkoly  vorlegt.^ 

Max  t.  Hantkem  bespricht  das  Vorkommen  der  Clavulina  Szaboi 
Seltichtm  (Kleinzeller  Tegel  und  Ofiier  Mergel)  in  dem  Gebiete  der 
Euganeen  in  Italien  und  der  Meeralpen  in  der  Grafschaft  Nizza.  Gele- 
gentlich seiner  im  verflossenen  Jahre  in  Italien  gemachten  Studienreise 
machte  er  selbst  einen  Ausflug  in  die  Euganeen,  um  das  Vorkommen 
der  Mergel  an  Ort  und  Stelle  kennen  zu  lernen.  Ausser  dem  fraglichen 
Mergel  wurden  auch  die  in  den  Euganeen  m&chtig  entwickelten,  der 
oberen  Kreide  angehörigen  Kalke  gesammelt.  Vortragender  teilte  die 
Besultate  der  Untersuchung  dieses  sowie  des  vom  Professor  8zab6  ge- 
sammelten Materials  mit.  Die  Mergel  sind  sehr  reich  an  Foraminiferen, 
die  mit  denen  des  üfner  Mergels  übereinstimmen.  Die  ppärhch  vor- 
kommenden Mollusken  und  Ceiuoidenreste  sprechen  für  die  vollständige 
Eichtigkeit  der  Zuweisung  der  fraglichen  Mergel  in  die  gleiche  Alters- 
stufe mit  dem  Ofner  Mergel.  Sehr  interessant  sind  die  Besultate  der 
mikro>copischen  Untersuchung  der  oberen  Kreidekalke.  Sie  erweisen 
sich  vornehmlich  als  Resultat  der  Anhäufung  sehr  \vinziger  Foramini - 
feren-Schalen.  die  vornehmlich  aus  Rotulideen  bestehen.  -  -  Gelegent- 
lich seines  Aufenthaltes  in  Turin  wurden  Vortragendem  gelegentlich 

Wir  kommen  auf  das  Her^nyer  Observatorium  im  n&chsteu  Hefte 
zurttck.  D.  lled. 


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I 

KUBZB  SITZUNOSBERICHTB. 


der  Besiclitiginig  der  tlortigeu  paliiontologisclien  kSammlimgeu  Schh^mm- 
proben  von  Mergeln  aus  der  Grafschaft  Nizza  vorgezeigt,  in  welclien 
iiim  beim  ersten  Anblick  sogleich  einige  charakteristische  Foraminiferen 
des  Kleinzeller  Tegels  auffielen. 

Zur  Illustration  zeigte  Vortragender  auch  die  systematisch  geord- 
nete Sammlung  der  in  besproclienem  Mergel  gefundenen  Foraminiferen, 
lowie  auch  gut  gehmgene  Photographien  der  Dünnschliffe  der  ober 
kret-asischem  Kalk  und  in  demselben  vorkommenden  Ilornsteine,  aus 
welchen  sehr  deutlich  die  zoogeue  Entstehung  dieser  Gesteine  zu  eut- 
sehmeu  ist. 

YixcENz  BoRBÄs.  als  Gast,  bespricht  das  System  und  die  geogra- 
phische Verbreitung  der  A'iuiUuiien,  welche  Pflaazengattun  g  in  Ost- 
A?ien  und  Nordamerika  am  schönsten  gedeiht.  Was  unser  Vaterland 
anbelangt,  so  wetteifern  die  in  den  Siebenbürger  Alpen  vorkommenden 
Arten  an  Varietiit  und  Formenreichtum  mit  der  Flora  der  übrigen 
europäischen  Alpen.  Bezüglich  des  Systems  der  Aquilegien  schlagt 
Vortragender  eine  neue  Einteilung  vor,  welche  der  geographischen 
Verbreitung  und  der  Verwandtschaft  der  Arten  gewissenhafter  iiech- 
nung  trugt. 

Hugo  LojKA,  als  Gast,  legt  ein  Werk  des  Dr.  H.  Rehm,  könig- 
hchen  Laudesgerichtsarztes  in  Regensburg  vor,  unter  dem  Titel  : 
tAscomycetes  ab  H.  Lojka  in  Hungaria,  Transsylvania  —  et  pro  parte 
—  in  Gahcia  coUecti.»  In  dieser  Arbeit  behandelt  Dr.  llehm  in  latei- 
nischer Sprache  die  Ascomyccten,  welche  Lojka  gelegentlich  seiner 
hchenologischen  Reisen  gesammelt  und  Dr.  Rehm  zur  Bearbeitung 
uberlassen  hat.  Es  sind  in  dieser  Abhandlung  92  Arten  von  Discomy- 
ceten  und  100. Arten  Pyrenomycoten  genau  beschrieben,  darunter  ein 
neues  Genus,  ein  neues  Snbgeuuö  und  im  Ganzen  28  neue  Arten.  Die 
betreffenden  Pilze  wurden  in  den  Jahren  1868 — 1880  in  den  Comitaten 
Siros,  Zipa,  Liptaa,  Gömör,  Pest,  Ször^ny,  Somogy,  Arad,  Krasso  und 
Hunyad,  sowie  im  Stryjer,  Samborer,  Sandeczer  und  äanoker  Kreise 
in  Galizien  gesammelt. 

4-.  In  der  Sitzung  der  ersten  Classe  am  23.  Januar  las  Alexius 
Jabab  über  die  Geschichte  der  »iiAettbüryiachen  Journalitük  bis  1840.  — 
Vortragender  schildert  vor  Allem  nach  einem  kurzen  Excurs  in  die 
Geschichte  der  Zeitungen  überhaupt,  welche  Schwierigkeiten  es  kostete, 
in  Siebenbürgen  iu  den  beiden  letzten  Deconnien  des  vorigen  Jahr- 
hunderts je  eine  ungarische  oder  rumänische  Zeitung  zv  gründen.  Der 
letzteren  stand  die  geringe  IntelHgenz  der  Bevölkerung,  der  erstereri 
der  Umstand  im  Wege,  dass  das  Publikum  sich  mit  den  in  Wien  redi* 
girten  ungarischen  Zeitnngea  begnügte.  So  entschlief  denn  das  erste 


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S06 


KDRSUB  8ITZUN08BBBICHTE. 


im  April  1700  gegründete  ungarische  JUatt  bereits  im  Juni  desselben 
Jahres.  Die  Gründung  der  ersten  uuf^^arischen  Zeitung  in  Ungarn 
g-  lall','  (knn  auch  nur  dem  wiedererwachten  nationalen  Geiste.  Brassai 
giimdute  da  das  erste  ungarische  Volkeblatt,  Samuel  Mehes  erwarb 
sich  grosse  Verdienste  um  die  Förderung  der  periodischen  Presse  und 
in  der  Periode  1834 — 1840  wirken  wechselseitig  die  Parteikamiife  und 
die  immer  zahlreicher  entstellenden  ungarischen,  deutsciien  und  rumä- 
nischen lUatter  anfeuernd  auf  einander  ein  ;  in  diese  Epoche  fällt  auch 
die  Tätigkeit  Franz  Szilägj'i's.  Auch  nachdem  Baron  Sigmund 
Kemeuy  und  Ludwig  Kovacs  in  Folge  einer  geheimen  Denunciation 
flächten  miissten.  blühte  die  Presse  trotz  der  bald  unmenschlichen, 
bald  blöden  Strenge  der  Censur  fort.  Die  ungarischen  Zeitungen  führ- 
ten den  Kampf  für  die  Pressfreilieit  und  für  die  Union  mit  Ungarn, 
Aviilirend  die  bachseu  in  ihren  ürgaueu  der  Beactiou  in  die  Hände 
arbeiteten. 

JosKF  BrDEXz  hielt  hierauf  einen  Vortrag  über  die  Bedeutung 
und  den  l'r>prung  der  beiden  Worte  Bdlvnnij  (Götze)  und  frifn  ((Jrab- 
mal  von  HolzK  Voriragemler  fiiln  t  mit  Zuhilfenahme  eines  reichen 
wissenschaftlichen  Apparates  den  Beweit-',  dass  beide  Worte  aus  der 
Heidenzeit  stammen  und  zwar  «bälvany«  aus  den  Syrjenischen.  wo 
das  Wort  bolban  =  Klotzbild  lautet.  Aehnlichen  Klang  hat  das  Wort 
noch  hetite  bei  den  slavischen  und  ugrischen  Völkern.  Es  bedeutet 
einen  in  den  Boden  gesteckten,  ol)''n  in  einen  Mcnsehenkopf  auslaufen 
den  Pi'ahl.  l'ijja  bedeutet  desgleichen  «Kopfliolz  -  und  stammt  aus  der 
Zeit,  da  der  (Irabpfahl  noch  in  einen  Kopf  auslief,  ein  Brauch,  der 
nicht  nur  bei  uns,  sondern  auch  bei  den  Türken  vorkommt. 

—  Ungarische  historische  Gesellschaft.  In  der  Jahresversamiulung 
der  Gesellschaft  am  12.  Januar  las  Franz  Sala.mon  eine  Abhandlung  unter 
dem  Titel:  ^och  tin  verschtnindencs  Cainitat.  Dieses  «verschwundene  Co- 
mitat» ,  das  vor  dem  Erscheinen  der  Magyaren  nach  verschiedenen  Anga- 
ben den  deutscheu  Kaisern,  respective  den  Erzbischöfen  von  Salzburg 
Untertan  war.  hiess  nach  seinem  ersten  Grafen  Privina,  nach  seinem  zwei- 
ten Keczel,  nach  seinem  Hauptorte  aber  Mosaburg.  Dieser  Hauptort  soll 
an  der  südöstlichen  Spitze  des  Plattensees,  an  der  Mündung  des  Flusses 
S/ala  gelegen  haben.  DasComitat  war  von  grossem  Umfang  ;  es  dehnte 
sich  im  Westen  über  Pettau  hinaus,  während  es  im  Osten  bi^  zur 
Draye-Müudung  reichte  ;  es  umfasste  demnach  die  heutigen  Comitate 
Baranya,  Somogy  und  Zala.  Die  dreissig  Ortsnamen,  welche  dieQuellea 
mit  dies' ir<  « verseil wundcnen  Gomitati  in  Verbindung  bringen,  sind 
deutschen  Klangs.  Der  Saizbarger  Anonymus  erwähnt  Quinque  Basi- 


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KUBZb  SITZUNGSBERICHTE 


207 


(Füufkirclieii),  Mosaburg  (Szalavär),  Saln  piungiu  (Szalaber), 
Sala  (Szala)  und  Unter^Paimonien,  wo  diese  Orte  und  Flüsse  gelegen 
sein  sollen.  Voriaragender  sucht  nun  sn  zeigen,  dass  obige  AngabiMi  auf 
sehr  schwankender  Grundlage  ruhen  nud  daas  das  sogenannte  Comitat 
Pkivina,  beziehungsweise  Keosel,  beziehungsweise  Mosaburg  gar  nicht 
in  Ungarn  existirt  haben  durfte.  So  z.  B.  ist  unter  Quinque  Basilie» 
uieht  nur  nicht  Fünfldröhen,  sondern  überhaupt  kein  Ortsname  zu 
Teretehen,  wie  deon  auch  die  übrigen  Ortsnamen  sich  nicht  auf  unga- 
rische Localitaten  beziehen. 

Kabl  Szabö  hat  eine  Liste  der  steuerzahlenden  Burger  Klauten' 
kurgt  ungarUeher  yattoiudität  aus  dm  Jahre  1468  entdeckt,  welche  sehr 
interessante  AufiBohlüsse  über  die  Namen  und  die  Beschäftigung  der  unga- 
Tischen  Bürger  Klauaenborgs  im  Jahre  1453  erteilt  Etwa  550 Namen  ent* 
hilteud,  lehrt  uns  diese  Liste»  dass  unter  den  ungarischen  Bürgern 
Kkusenburgs  schon  im  XV.  Jahrhundert  alle  Gewerbe  vertreten  waren 
und  dass  dieselben  zumeist  aus  den  ungarischen  Ortschaften  der  Umge- 
bung  «tammteil.  Sehr  lehrreicli  wäre  es,  könnte  man  die  Liste  der  deut- 
irkni  stfuerzahleiidi;ii  Bürj^er  Klaiisenburgs  aus  derselben  Zeit  finden. 
BekauntUch  liieltou  die  Zahltiiverhiiltui-se  der  beiden  Nationalitilteu  in 
der  Hauptstadt  Siel)eiibürgens  einaiuU  r  (laiuals  die  Waaj^'e,  und  der  Bür- 
germeister musste  abwechselnd  ein  Unu'ur  und  ein  I)eutcclier  sein  und  der 
Hunderter-Rat  aus  liintzig  Deutsclien  und  aui^  fünfzig  Ungarn  bestehen. 
Schon  au^  diesem  Grunde  war.-  es  sehr  interessant  zu  erfahren,  in 
wt'lclier  Nationalität  die  verschiedenen  Gewi  rbe  l)esser  vertreten  waren 
und  welche  Nationalität  höliere  -  Taxen"  zalilte.  Aus  culturgeschioht- 
lichem  Gesichtspunkte  ist  scldiesslieh  die  erwähnte  Liste  desluill)  wich- 
tig, weil  derselben  auch  die  stiidti&chon  Ausgaben  aus  demselben  Jahre 
angefügt  sind  ;  wir  erfahren  da  denn  auch  die  Preise  verschiedener 
Gebrauchsartikel  aus  dem  XV.  Jahrhundert.  Ein  Bogen  Papier  kostet 
2,  ein  Kübel  Hafer  50,  ein  Fisch  t  S  Denar  u.  s.  w. 

Zun  Schlüsse  berichtet  I^idw  io  SzAdkczky  über  ih>  histnrhchen 
EdUionm  der  Krakauer  Ahoileiiiir  .h  r  II  /.s.s>  ;/.s/7*r//>p«,  insofern  dieselben 
sielt  auf  unsere  Geschichte  beziehen.  Sehr  vi«dc  interessante  Daten 
euthiUt  für  uns  das  «Gorrespondenzbnch  aus  dem  XV.  Jahrkundert  -, 
das  die  Berührungspunkte  zwischen  Polen  und  Ungarn  mehrfach 
bslenebtet. 


908 


I 

VEBMIS0HZE8. 


VERMISCHTES. 

—  Die  T7niver«ität  Klausenbarg  ziihlte  im  Studienjahre  1880'81 
im  (liin/en  'j3  Lehrkräfte  und  im  ex'steu  «Semester  513,  im  zweiten  484 
Hörer.  Davon  entfielen  auf  ilie 

Jääbnt  HOnv 

philoBophisohe  Faoolt&t  ...    14       72  zesp.  66 

mathematisoh-iuhtiirwiBs.  Faoultät       11       60    •  53 

jariBÜBche  Fscoltät   ^13      228    •  217 

mediemisehe  Fftonltät  ...  25      I&3    »  148 

Zusammon   H3      513  renp.  484 

Von  den  63  Lehrkräften  waren  41  ordentliche  imd  1  ausserordent- 
licher Professor,  1  Supplent,  6  Pzivatdoceuteii,  2  Privaiiehrer  und  11  Assi- 
stenten. 

Von  den  Hörern  waren  im  ersten  Semester  i07  ordL-ntliche.  ;{•*»  uus^^er- 
urdenthclie,  :29  Apotheker  und  4:2  Hebaunnen;  im  zweiten  SemeHter  3'i2 
urdeutliche,  22  ausserordentliche,  28  A})otliekor  und  i'2  Hebammen. 

Von  den  Hörern  waren  ihrer  Contession  nach  lolnie  die  Ilehanniicn» : 
römisch-katholisch  214  {II.  Semester  204),  giiecliisch-katholisch  24  (23). 
griddiiseh-orientaliBoh  10  (7),  evangelisch  29  (29),  reformirt  143  (131), 
mosaiBch  22  (20). 

—  ]>M  JAMÜMPoljtecluilkBm  im  Bvd*p««t  zfthlte  im  Studien- 
jahre 1880/81  im  Ganzen  57  Lehrkräfte;  von  diesen  waren  28  ordeniliehe 
Professoren,  1  Adjunkt,  7  Privatdooenten,  2  ausBarordentliohe  Lehrer, 
1  Repetitor  imd  18  Assistenten. 

Die  Zahl  der  Hörer  betinig  im  e^ten  Semester  481,  im  eweiten 
Semester  431,  und  zwar  zählte  die 

L  fitmastar  U.  Hea><'-<tf<r 
allyemrine  und  clK  inische  Abteilmig  ...  ...  291  248  I lorer 

Inf^'enieur-Abteiluii^'      119  115  » 

mechanihclj-teclmische  Abteilung   ..    42  38  » 

Architekten- Abteilung   10  .        10  • 

Ausserordentliche   ...     ...  ...  ^  .„   19  10  » 

Zusammen  ...  ...      481        421  Hörer.""" 

In  diesem  Studienjahr  betrug  die  Zabl  der  ers^ährigen  119,  von  die- 
sen hatten  21  das  Gymnasium,  98  die  Realsohule  absolvirt  (im  Voijahre 
10  und  90). 

Ihrer  Confession  nach  waren  von  den  481  Hörem  des  enten  Smne- 

sters:  240  römisch-katholisch,  4  griechisch-katholisch,  S  griecliisch-orienta- 
lii;ch,  evangelisch,  35  refonnirt,  1  unitansdi  und  153  (nahezu  ein 
Drittel)  Israeliten. 


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ALBRECHT  DÜREB'S  SCHMERZENSMANN 


LEIN  aoLZ-PA88ioN  nennt  tinser  Meister  im  Tagebnohe  seiner 


1\.  Reise  in  die  Niederlande  (Fr.  Campe,  Reliquien  von  A.  Dürer, 
Nürnberg,  1828,  S.  1 16),  im  Gegensätze  zu  dvn  drei  grossen  Buchern 
{Apokalypse,  Murienleben,  grosse  Holz-Passion)  eine  in  den  Jah- 
ren 1509 — 11  entstandene  Folge  von  dreissig  nnd  sieben  Blättern 
(B.  16— 3S),  welche  Darstellungen  ans  der  Heilsgeschichte  von 
der  Ersehaffnng  des  ersten  Mensehenpaares  bis  znm  allp;emeinen 
Weltgericht  enthalt,  uud  ohne  alle  Anmassimg  die  Dürer- Bibel 
beisseu  könnte,  so  wie  54  Bilder  in  den  1 3  Kuppeichen  der  vati- 
kanischen Loggien  gewöhnlich  Kafaers  Bibel  genannt  werden. 
(Vgl.  J.  D.  PassavantJUlael  von  Urbino.  Leipzig»  1838.  U,  203.) 


Kimstlerii  und  Kunstsachen,  Dresden,  178^),  1,  170,  —  wiedtrh. 
Leipzig,  1804-,  s.  AV.  Heinsius,  Allg.  Bücherlex.  ib.  181:i.  II.  'M'S) 
w;ire  dieses  so  oft  wiederholte  Holzscbnittwerk  Dürer's  in  erster 
Auflage  in  4^  ohne  Text  erschienen.  Es  hebt  mit  dem  Titel  an, 
•woranf  die  Fignr  des  leidenden  Heylandes,  der  anf  einem  Steine 
sitzet,  mit  dem  Dnrer*8chen  Zeichen.  Oben  steht :  Figurse  Passio- 
nis  Domini  nostri  Jesu  Christi.»  Hierauf  folgt  das  Verzeicimiss 
der  einzelnen  Blatter,  in  der  Anordnung,  wie  solche  Bartsch 
(Le  Peintre  (jravenr  n.  ed.  Leipzig,  1866.  VU,  119 — li21)  herüber- 
genommen hat.  . 

Heinecken  schickt  seinem  Yerzeichniss  der  Albrecht  Dnrer'- 
scheu  Holzschnitte  (a.  a.  0.  S.  Dil)  die  Bemerkung  voraus :  er  habe 
neben  anderen  Sammlungen,  sonderlich  die  Mariettische,  welche 
leb  vorzüglich  auserlesen  gefunden,  zu  Bäte  gezogen.»  J.  Helleb, 

IhHpHMlM  B«vact  1881^  m.  Haft.  |4 


Zeugniss  (Nene  Nachrichten  von 


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^10  ALBUECHT  L»Li4EK's  «CHMERZENöMANN. 

noch  immer  einer  der  vorzüglichsten  Gewährsmänner  in  den 
Dürer'8  Blätter  betreffenden  Fragen,  nennt  (Das  Leben  und  die 
Werke  Albrecht  Därer*B,  Bamberg,  18:27.  II,  2,  S.  307)  dies  Yer- 
zeiehniss  «ein  sehr  Yollstandiges».  «Die  Blätter  sah  er  alle  selbst, 
und  bey  jenen,  wo  es  der  Fall  nicht  war,  gab  er  sorgfaltig  die 
Quellen  an,  woraus  er  seine  Nachrichten  entnahm.»  J.  Ch.  Brünrt 
(Manuel  da  Libraire.  V«  ed.  Par.  186i2.  III,  8!2)  spendet  desgleichen 
Hemecken*B  Beschreibungen  das  Lob: /ort  exaetet/ 

B.  Hausmann,  einer  der  vorzügliehsten  Kenner  Dürer'scher 
Arbeiten,  schreibt  (Albrecht  Dürer's  Kupferstiche,  Puidiruugen, 
Holzschnitte  und  Zeichnungen,  Hannover,  1861,  S.  63):  Heller 
erwähnt  nach  Hbinbcken  *  einer  ersten  Ausgabe  mit  Text,  auf 
deren  Titel  über  dem  Holzschnitt  die  Worte :  Figune  Passionis 
Bomini  nostri  Jesu  Christi,  und  am  Ende:  finit  impressnm  Nori- 
berga-  löl  1,  stehen  sollen.»  «Ich,  fährt  Hausmann  fort,  habe  einen 
solchen  Öchluss  nie  zu  Gesicht  bekommen,  er  kann  aber  nicht 
echt  sein,  da  bei  allen  Dürer'schen  Werken  mit  lateinischem  Text 
steht  impressnm  Numberge,  niemals  Impressum  Noriberg».^ 

Sehade,  dass  Hausmann  Heilerts  Anfuhrung  mit  Heineoken's 
eigener  Aussage  nicht  verglichen  hat,  er  wurde  (a.  a.  0.  Nachr. 
S.  172)  gefunden  haben:  «Diese  kleine  Passion  ist  von  neuem  ge- 
druckt worden  mit  dem  Titel:  Passio  Christi  ab  Alberto  Durer 
Norimbergensis  effigiata,  cum  Tarii  generis  carminibus  fratrum  (?) 
8.  Benedicti,  Chelidonii,  Mnsophili,  mit  Text  auf  der  Bäckseite, 
und  am  Ende:  finit  impressnm  NoribergaB.« 

Heinecken  spriclit  hier  offenbar  von  einer  zweiten  Ausgabe 
dieses  Passionsbiichleins  mit  Text,  gibt  aber  den  Titel  dieses 
ungenau,  er  lautet  nämlich  wie  folgt :  Passio  Christi  ah  Alberto 

*  Sonderbar  cronncr  Bchreibt  nicht  nur  Hausmakk  ,  tondam  aach 
A.  Bartsch  a.  a.  O.  IS.  2s  n.  12,  und  IIellkk  jcilesnial  tltni  Namen  (liesos 
Kunstforscliera  Hcineke,  wahrend  liRUXKT  Heineken  Ijnuieht.  In  der  \oni 
'A.  Mai  1789  datirtt-n  Vorrede  zu  den  neuen  Nachrichten  von  Künstlern 
utul  Knn.stsachen  zeichnete  er  sich:  Carl  Hrinrich  von  Heincckcn.  In  «lern 
Avortissement  zum  II.  liaud  des  Dictiouairo  des  Artiates,  Leipzig,  1788, 
liest  man:  C.  H*  de  Hsinshen, 


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ALBRECHT  DÜRER'ä  SCHMERZENSMANN. 


tu 


Dwrer  Nu  ||  renhergensi  ('fjujiatu  cu  varij  (jeneris  carnii  II  nibus 
Frairii  Benedicti  Chelidon^j  II  MuaophiU,  In  der  Mitte  de;:  dieser 
Abbuidlang  beigegebene  facsimilirte  HobsBcbnitt  des  8cbmerzens- 
manneB,  darunter  die  Dittyeben : 

O  mihi  toutorom  .  iusto  xnilii  causa  dolonun 

O  cnicis  O  mortis  causa  cruenta  mihi. 
O  lioiiio  sat  tuerit  .  tibi  nie  seiiiel  ista  tulisse. 
O  cessa  culpis  me  cruciare  iiouis. 
Cum  priuUegio. 

Die  Vorderseite  des  letzten,  d.  i.  B8.  Blattes,  enthält  den  xoXo^wv : 
Impressum  Nurnbergc  per  Alhcrtu  Dura'  Pictorc  \\  Anno  christi 
MüUiimo  quinquentesimo  vndecimo.  Ausser  dieser  Scblussbemer- 
kang»  welcbe  AuBkunft  gibt  über  Ort,  Drucker  und  Zeit  der  Aus- 
gabe findet  sieb  nacbstehende  Androhung:  Heus  tu  msidiator  .  ao 
aüeni  laboris  .  et  ingenij  .  surrep  II  tor  .  ne  manus  temerarias  bis 
uodtris  operi  li  biis  iuicias  .  caiie.  Scius  oni  a  gloriosissi  '[  iiio  liomu- 
Rorii  imperatore  .  Maxi  ü  miiiauo  .  nobis  cucessum  esse  ii  uequis 
sQppositicijs  for  ||  mis  .  bas  imagines  imprimere  .  U  seu  impressas 
per  impe  II  rij  limitesTendere  audeat .  q  •  II  sipercötemptum  •  seu 
auarieie  eri  II  men  .  seeus  feeeris  .  post  bonorum  eon  II  fiseaoio* 
nem  .  tibi  maximum  periculum  sube  II  imdum  esse  certissime 
scias.  *  «Ob  nun  schon  Kays  eil  ige  Freiheit,  bemerkte  längst 
H.  C.  Abbnd  (Das  gedecbtnisz  der  ebren  eines  derer  ToUkomm- 
nesten  Eänstler  seiner  und  aller  nachfolgenden  Zeiten  Albreeht 
Dürers,  Goszlar,  1 728,  §  9),  dahin  ging,  dasz  niemand  dieses  werk 
sollte  naelimaeben.  r^o  fand  sich  doch  l)al(l  ein  Italiänischer 
Kupferstecher,  der  dieses  lateiu  nicht  verstand,  oder  nicht  ver- 
stehen wollte,  und  also  alle  stücke  in  Venedig  (?)  nachmachte, 
und  dessen  name  biesz  Marcus  Antonius.»  —  Doch  hierüber 
später,  kehren  wir  zu  Heinecken  zurück. 

Von  dem  ersten  Zu?taude  der  Platten,  vor  allem  Text  gibt  es 
lu  öffentlichen  und  privaten  Sammlungen  ganz  vorzügliche  Folgen, 

*  Ein  ganz  getreuM  Faosimüe  davon  «ibt  H.  Lbhpbrtz,  Bilderhefte 
cor  Qeidiicfate  des  Büeberhandels.  Cölu.  186t.  Tafel  IL 

14* 


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213  ALBRECHT  DÜRBR*8  SCHMERZENSMANN. 

bei  denen  aber  stets  das  Titi'U)l;itt  ubgebt.  So  bewahrt  das  Amster- 
damer Museum  dieses  Holzschnittwerk  in  nenn  onzerschnittenen 
Bogen»  je  vier  DarsteUnngen  auf  einem  Blatt.  Aneh  hierin  fehlt 
der  Titel.  Hansmann  meint,  dieser  sei  ohne  Text  nie  in  Handel 
gekommen,  füjjft  aber  sogleich  an :  «wird  daher  nur  für  die  Ausj:;abe 
mit  Text  gearbeitet»  sein.  Dem  sei  wie  ihm  wolle,  man  wird  billig 
jsugestehen  müssen,  dasB  der  Grund  von  dem  «impressum  Neri- 
hergs«  allein  gegen  das  Zeugniss  Heinecken's  nicht  entscheidet ; 
denn  abgesehen  davon»  dass  Nonbergae  ein  Schreibfehler  ist,  der 
bei  sehr  geschätzten  Bibliographen  *  sich  wiederholt,  spricht  ja 
Heinecken  von  der  Textausf,'abe  des  Jahres  151 1,  und  nicht  von 
der  ohne  Text,  von  der  wir  annehmen  müssten,  es  sei  auf  dem  Titel 
des  ersten  Zastandes  der  Name  Dürer's  ^ß^Dz  verschwiegen  geblie- 
ben. Freilich  hat  der  Kunsthistoriker  für  seine  Behauptung  durch 
Urkunden  einzustehen,  und  da  müssen  wir  unbedingt  zugeben, 
solche  habe  Heinecken  nicht  beif»ebracht,  da  er  sogar  den  Ort 
unerwähnt  liess,  au  welchem  er  den  Titel  vor  dem  Text  zu  Gesicht 
bekommen  hat. 

Sicher  ist  zwischen  der  Herstellung  der  Gompositionen,  den 
Zeichnungen  auf  die  Stöcke  und  deren  Schnitt  eine  geraume  Zeit 

verflossen.  Es  scheint,  der  Meister  konnte  sich  selbst  nicht  leicht 
zufrieden  geben,  er  besserte  noch  an  den  vollendeten  Stöcken.  So 
gibt  es,  wie  Hausmann  (B.  Naumann,  Archiv  für  die  zeichnenden 
Künste,  Leipzig,  1855, 1,  54  ff.)  gezeigt  hat,  von  dem  Blatte :  der 
Vertreibung  Adam  und  Eva*s  aus  dem  Paradiese**  (B.  18) 
zweierlei  Abdrücke,  die  in  <ler  Zeichnuiij;  des  Rückgrates  der  Eva 
abweichen.  Der  Akademiker  A.  Firmin  Didot  hatte  in  seiner 

« 

Z.  13.  G.  W.  Panzek,  .\jiualeä  typti<,'r}i]»liici  al)  Anno  MDl  jul  immim 
MDXXXVI  coutiuuati.  Xorimbergae :  1790.  VII,  i5().  no  77.  —  J.  G.  Tli. 
Graf.ssr,  Ttiaot  de  livres  nores  et  pröcieux  ou  uouveau  dictiouuaire  bibUo- 
grupliKiue.  Dresde.  1861.  II,  4o3. 

Diese  Darstelltiiig  epigrammirte  ein  neulateinischer  Dichter  der 
BenaiBaanoe  (Caspar  Velins ?)  also: 

ADgelos  hos  cemens,  miratiis  diiit:  ab  horto 
Non  ita  formosos  tos  ego  depnlenun. 


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ALBBECHT  DÜBKR's  SCUMI  RZENSMANN. 


213 


bMÜhmten  jiuustsammlung  (Catalogue  des  dessins  et  estampes, 
Paris,  1877,  p.  39,  Nr,  282)  eine  Ausgabe  ohne  Text,  in  welcher 
die  Gebort  Christi  (B.  20)  mit  den  bisher  bekannten  Abdrneken 

in  einii^en.  wvim  auch  geringeren  Sachen  nicht  übereinstimmt. 
Piiss  Dürer  den  Heihmd  am  Oelberge  zweimal  (B.  :20  und  54) 
für  diese  Folge  componirte,  wird  allgemein  angenommen  (M. 
Thaosing,  Dürer,  Geschichte  seines  Lebens  nnd  seiner  Knnst. 
Leipzig.  1876,  S.  345). 

Auch  Bücher  haben  ihr  Erlebtes !  Ihr  äusserer  Werl  ändert 
sich  im  Allgemeinen  merklich  von  Zeit  zu  Zeit,  im  Ganzen  für 
grosse  Meister  steigend,  für  kleinere  sinkend.  Da  ich  Ton  der 
ealtorgeschichtUchen  Wichtigkeit  der  Nachrichten,  su  welchen 
Freisen  Därer's  Blatter  und  Werke  verkauft  wurden,  überzeugt 
bm,  hoffe  ich,  es  werde  Kunstfreunde  intercssiren,  nachfolgende, 
die  Wertschätzung  und  Concurrenz  der  Amateurs  aufhellende 
Preisnotizen  hier  mitf;eteilt  zu  finden.  In  den  Tagen  Dürer's 
geschah  der  Verkauf  von  Kunstwerken  in  sehr  prinütiver  Weise, 
der  Kunstler  verausserte  sie  an  Ort  und  Stelle,  und  führte  diesel- 
ben auf  seinen  Reisen  als  Waare  mit  sich,  seine  eigene  Mutter, 
die  gute  Bauüara,  hielt  die  Stiche  und  Holzschnitte  an  Tagen,  wo 
das  Volk  zusammenströmte,  öffentlich  feil.  Beweis  dafür  tindet 
sich  in  den  Venediger  Briefen  ihres  Sohnes,  der  in  seinen  heiter- 
sten Lebensstunden  nicht  vergisst,  am  2.  April  1506  seinem  Freund 
W.  Pirkheimer 'zu  schreiben:  «IIv  mit  last  mich  ewch  befolhen 
sein  vud  sageut  meiner  Muter  daz  sy  awti'  daz  Heiltum  *  feil  las 

*  Campb,  Reliquien  8.  19  liesB  Hbetelln  droeken,  was  Etb,  Leben 
mdWfarken  A  DOter'e,  IL  ÄnlL,  Kördlingen,  1869;  richtig  8.  t.04  in  heUtm, 
nuammengexogen  aus  Heylighmbf  verbessert  hat.  Im  spätem  Mittelalter 

nnd  nur  Zeit  der  Renaissanrr  wnirden  die  h-  Bcliqaien  in  knnstvoU  gear- 
beitc'ten  Schan<:errissen  und  prachtvollen  Öchreiuen  von  einer  EmporbÜbne 
theyltunibstiiel»  gezeigt.  So  z.  B.  in  Wien,  nm  St.  Stofansmünnter :  alle  iar  an 
tontag  nach  detti  Ostcrfmi.  Ver^'l.  M.  DtNis,  Wiens  Buciidnickerf^eseliiiht. 
Wien,  1782,  S.  15.  Der  Wu  ner  1 1.  iltunisstiilil  erbaut  liSo  \Mir(le  1700  uh^e 
brochen.  Eine  Abbildiuig  diivoii  in  den  .Mitteilun<;en  des  Altt  riums-Vi  reins, 
Wien,  XVI,  35,  p.  47.  V.  a.  Das  Wiener  Ileiligthuiubucii.  Wicu.  ISbi!.  p.  IX. 
Nach  G.  W.  C.  Lochnsb's  Forscliimgeu :  Ditf  Pereoueu-Nauien  io  A.  Dfirer's 


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214 


ALBRECHT  DÜRER's  SCilMKRZKNäMANN. 


haben.»  Einzelne  Preise  der  Dürer 'sehen  Kunstwaare  erfahren 
mt  aus  dem  Tagebache  seiner  niederländischen  Beise.  Fleissig 
▼erbncht  darin  der  Meister  seine  Einnahmen,  wir  geben  daraus 

nur  die  Aufzeichnungen,  welche  die  kleine  Heilige  Passion  betref- 
fen. So  erzählt  Dürer  (1520):  «Item  Schaidt  Fischt  r  hat  mir  zu 
Antorff  (Antwerpen)  abkanfft  16  kleiner  Passion  pro  4ß.9  (Campe 
a.  a.  0.  8.  81.)  Noch  mehr  Beachtung  yerdient  das  genaue  Ver- 
zeichniss  der  ungeheuren  Menge  von  Kunstwerken,  die  er  daselbst 
dem  portugiesischen  Handelsagenten  Buandan  (Factor  von  Por- 
tugal) geschenkt  hat:  «ein  kleines  geschniedenes  Kindlein.  Mehr 
hab  ich  ihm  geschenkt  ein  Adam  und  Eva,  den  Hieronymum  in 
Geheisz»  den  Herculum,  den  Eastachinm,  die  Melanckolj,  die 
Nemesin.  Darnach  auf  dem  halben  Pogen  drey  neue  Marien-Hild, 
die  Veronicaixi,  den  Antonium,  die  Weyhnachteu  und  das  Creutz. 
Damach  die  besten  ans  dem  Viertelbogen  der  sind  acht  Stücklein. 
Damach  die  drey  Bücher  unser  Frauen  Leben,  Apocalypsin,  und 
den  grossen  Passion,  dsmach  den  klein  Pasnon  und  den  Passion 
in  Kupffer,  das  ist  alles  irerth  b  Ü.»  (Campe.  S.  S7.  88.)  Weiter 
fanden  wir  angemerkt:  «Ich  hab  gelöst  aus  zwey  Atl.im  und  Eva, 
ein  Mehrwunder,  j  Hieronymus,  j  Beuther,  j  Nemesin,  j  Eustachium, 
j  ganz  Stuck  Holzwerk,  sieben  stuck  des  schlechten  Holzwerks 
2  Bücker  und  10  hh  in  Hol:  Jossion.  alles  iimb  Sil.»  (Campe. 
IOC).)  Und  nochmals  erwähnt  THir^r;  «Ich  bab  3  ti.  aus  dem  klein 
H0I2  Passion  gelöst.!  1>h8  Tagebuch  zeigt  von  der  übrigens  nie 
angezweifelten  noblen  Natur  des  Künstlers,  der  bemüht  war, 
Freunden  Andenken,  Dienstleistenden  irgend  eine  Entlohnung  in 
hinterlassen.  Zu  erstereu  zuhlte  der  Ant\veri)eiier  Stadtschreiher 
CoBNEL  Gbapueus,  eigentlich  Scuryyeb  genannt,  *  dem  Dürer  am 

Briefen  aus  Venedig.  Nümber«;.  1870.  S.  !>,  wurden  am  Freitag  nach  Quoii- 
modogeniti,  d.  i.  nach  dem  weisssen  Sonntag,  d»  r  im  .luliro  15O0  anf  den 
19.  Apnl  fiel,  die  Iielicjuien  und  der  d.  Krinningsoniat  »dVentlidi  aungestt-llt. 

*  (iK.vHHKrs.  ein  l'olyliistor.  verlasste  zu  dem  in  neuerer  Zeit  viel- 
b©8proc]ienen  Kinzug  Kaiser  Karl  1.520,  in  Autwiqien  eine  Gratulatio. 
Vergl.  J.  Fr.  Foj)i)on  .s  Uibliotlieca  Belgicu.  Unixell.  1739,  I,  201,  wo  auch 
sein  cburakteristiseheB,  von  N.  Lannesrin  gestochenes  BüdniM  su  aeheti  ist 


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JlIiBRSOHT  d€bEB*S  SCHlfBBZBNBMANN. 


315 


I.  Febniar  15:21  ein  Exemplar  der  kleinen  Holzschnitt-Passion 
verebrt^,  welches  den  Vermerk  hatte:  Albertvs  Dvrer  pietor  opt. 
max.  C.  Grapheo  dono  dedit,  propria  ipsius  manv.  YII.  die  febr. 
ID.  DDD.XXI.^  und  sich  später  in  der  Bibliothek  des  bekannten 
Biographen  der  Aldns  und  Etienne  Ant.  Aug.  Benouard  befand.  * 
üebergehend  zur  Geschichte  der  Preise,  mit  welchen  nach 
Durer's  Hinscheiden  die  Blätter  dieses  Holzschnittwerkes  abgin- 
gen, wollen  wir  nicht  nnsere  Studie  durch  ein  mechanisches 
Aneinanderheften  von  Zahlen  und  Namen  bis  zur  langweiligen 
Armnt  verzerren.  Ciilturgeschichtliche  Daten  sind  niemals  dürr 
und  trocken,  denn  Namen  und  Zahlen  werden  für  den  Forscher  nnr 
wertvolle  Wegweiser  auf  langem  Weg.  Die  Abgrenzung  aber  und 
Auswahl  des  bisher  gehörigen  Materials  bietet  mehr  als  eine 
Schwierigkeit,  wasinsbeeonderuns  ans  dem  XVI.  und  XVII.  Jahr- 
himdert  bekanut  geworden  ist,  war  kar^^lich  genug;  allen  denen, 
die  in  dieser  Beziehung  an  die  Ceiitr<  n  grosser  Sammlungen 
gestellt  sindi  möge  die  Ergänzung  des  bisher  Zugänglichen  em- 
pfohlen sein. 

Joachim  Sandrart  yersäumt  in  seiner  «Teutschen  Aeademie» 
nicht,  wiederholt  auf  die  Kostbarkeit  der  Dürer'schen  Werke  hin- 
zuweisen, allein  Anhaltungspunkte  für  den  Handel  derselben  zu 
seiner  Zeit  bietet  er  nicht.  Teuer  waren  sie  nicht.  Die  aus  836  (?) 
Därer*schen  Kupferstichen  und  Holzschnitten  bestehende  J.  G. 
pAüLi'sehe  Sammlung  in  Breslau  wurde  in  der  ersten  Hälfte  des 
XVIIl.  Jahrhunderts  auf  400  fl. geschätzt.  **  Der  französische  Ama- 
teur Jean  de  Juliemne  (1686—1766)  besass  300  vorzügliche  Dürer- 
Behe  Blätter,  darunter  101  Kupferstiche,  die  im  Jahre  1767  um  den 
geringen  Preis  von  301  Livres  verkauft  werden  mussten.***  Exgie* 
biger  werden  unsere  Quellen  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts, 
mit  den  1790  anhebenden  Verzeichnissen  des  I^iirnberger  Kunst- 

*  VexgL  Catalogoe  de  la  Biblioth^que  d*an  amateur,  avec  notes 
IdUiograpbiqiies,  oritiqQes  et  litt^raires.  Paris,  1819.  I,  IG. 

^  Hellkr,  das  Leben  und  die  Werke  Albiecht  Dtiier's,  II,  1.  Zeieh> 
nnngen.  Gemälde,  plastiBche  Arbeiten.  Bamberg.  1821,  S.  150. 

'^^'^  Ii.  Clemsnt  ob  Bis,  les  amatenni  d'aatrefois.  Paris.  1877,  p.  31 1. 


216 


ALB&BCUT  DÜfiKE'8  SCUUSRZENSMANN. 


händlers  Johann  Fbiedbich  Fbauenholz.  Diese  wurden  (I — IX, 
1804)  darum  yeröffentlieht,  um  Liebhaber  von  Eupferstieh- Werken 

und  Kunstsachen  einzuladen,  in  der  Behausung  des  Genannten 
zur  ötfentlicheu  Versteigerung  derselben  zu  erscheinen.  Die  haar 
zu  leistende  Bezahlung  geschah  in  Conventionsgeld,  an  Provision 
wurden  12  Prooent  genommen;  da  unser  Exemplar  genau  die 
Preise  eingezeichnet  hat,  so  sind  wir  in  der  Lage,  dieselben  zu 
reproduciren,  was  vielleicht  auch  desiiall)  nicht  überflüssig  ist, 
da  sie  bei  Heller,  welcher  bei  andern  Blättern  Dürers  die  Frauen- 
holz'schen  Preise  anzeigt,  nicht  aulgenommen  sind. 

Wir  lassen  in  Nachstehendem  den  Titel  des  Frauenholz*schen 
Auctiüus-Cataloges,  welcher  immer  der  jjleiche  blieb,  ful^^en : 
« Yerzeichuiss  einer  betrachtlichen  Kupferstich-Sammlung  alter 
und  neuer,  grösstenteils  seltener  Blätter  aus  allen  Schulen,  nebst 
Kupferstich- Werken  und  Eunstsachen,  welche  den  21.  März  1791 
in  der  Frauenholzischen  Behausung  in  den  gewöhnlichen  Vor- 
und  Nachmittags-Stunden  öffentlich  gegen  bnare  Bezahlung  in 
Conventionsgelde  sollen  versteigert  werden.  Nr.  I,  Nürnberg, 
1790,  kl.  8,  8.  6,  Nr.  75.  36  Bl.  Die  kleine  Passion,  complet 
ohne  den  Titel,  verkauft  um  4fl.  30  kr.  Am  21.  November  d.  J. 
(II,  Nr.  112)  i^iii;;  ein  ähnliches  Exemplar  gar  nur  mit  2  fl. 
:iO  kr.  ab.  Den  30.  September  1703  (IV,  1:J,  Nr.  173)  sind  37  Ps. 
La  vie  de  Jesus,  ou  la  petite  passion,  pet.  4.  suite  complette  et  bon- 
nes  epreuves  um  13  fl.  veräussert  worden.  Ein  noch  schöneres 
Exemplar,  37  fl.,  Figura»  Passionis  Domini  nostri  Jesu  Christi, 
premiere  editiuu  avant  le  texte,  erzielte  im  Februar  i7U7.  lü  Ü. 
(VI,  20,  1,  Nr.  186.) 

Zu  den  vorzüglichsten  Verzeichnissen  über  die  besten  und 
gesuchtesten  Blätter  der  Kupferstecher,  Formschneider,  Litho- 
graphen gehört  R.  Wbtoel*s  Knnstoatalog,  welcher  durch  28  Jahre, 
1S3S-  -  »■>(),  in  35  Abteilungen  mit  dem  V)esonderen  Titel:  «Catalog 
von  Kunstsachen  und  Büchern,  welche  in  der  Anstalt  für  Kunst 
und  Literatur  (B.  Weigel)  in  Leipzig  vorrätig  oder  durch  dieselbe 
besorgt  werden»,  8^,  erschienen  ist.  Bei  so  einem  reichen  Vorrat 
von  Holzschnittbücheru,  wie  er  K.  Weigel  vorlag,  ist  es  höchlichst 


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ALBBfiCHT  DdBEB*tt  8CHMBBZBN8MANN.  217 

aoffallend,  dass  Dürer's  kleine  Passion  in  dieser  langen  Eeihe  von 
Jahren  vollständig  nur  <in  eiuzuje»  Mal  vorliegt  (Nr.  :27*JU,  II, 
106),  Folge  von  37  Blättern  mit  dem  Titel  1511.  Erete  Drucke 
mit  lateinischem  Text,  mit  breitem  Bande,  im  Original-Pergament- 
band,  nm  15  Thaler  offerirt. 

In  der  viel  genannten  Ali  x.  PosoNYi'schen  Dürer-Saninilung, 
die  187()  von  Hulot  in  Paris  erworben,  1877  dem  Berliner  Kupfer- 
fltieh-Cabinet  um  100,000  Frs.  verkauft  wurde,  *  befand  8ich(Gatalt- 
Nr.  133,  S.  20)  die  Anagabe  mit  dem  Texte,  dem  Originaltitel  und 
dem  Impressum,  38  Blätter,  welche  Posonvi  in  der  PoKOBNr'scheu 
Auction  für  2^6  Gulden  in  München  erstanden  hat.  Bei  Brfntano 
in  Frankfurt,  1870  (p.  24,  Nr.  :254),  wurde  die  Ausgabe  vor  dem 
Teite,  ohne  Titelblatt,  um  S55  fl.  dem  Londoner  Kunsthändler 
Golnaghi  zugeschlagen.  Marchese  Jaoopo  Dubaszo  besass  ein 
coD]pletes  Exemplar  mit  dem  Text,  in  altem  gej^ressten  Lederband, 
welches  Gutekunst  \Hl'2  (I,  181,  Nr.  iNöS)  um  400  ti.  an  Mann 
brachte.  Derselbe  Kunsthändler  verkaufte  am  24.  Nov.  1881  nur 
i7  BL  um  280  Mk.  Für  die  yorzngliohen  38  Abdrücke  der  Textes- 
Ausgabe  vom  Jahre  1511  wurden  1876  (Nr.  480,  S.  46)  ]ye\  C.  B. 
Lii  HART  201  Mark  geboten,  wahrend  im  December  des  darauf  folgen- 
den Jahres  der  Frankfurter  Kunsthändler  F.  A.  C.  Prestel  für  die 
G.  MABSOHALL'schen  Drucke  vor  dem  Text  (B.  17—5^,  Nr.  259, 
8. 17),  dabei  der  Titel  mit  dem  Text,  etwas  schmutzig,  370  Mark 
bezahlt  hatte.  G.  J.  Schwabe,  Catalogue  de  livres  rares,  Nr.  VI, 
Paris,  1879,  zeigte  p.  '27 (j,  Nr.  :2i221  die  Veuediger  Ausgabe  von 
D.  Bifittccio  mit  :250  Francs  an. 

An  der  .Seite  des  ernsten  Schrifttums  und  der  schwierigen 
Konstubung  geht  immer  die  literarische  und  artistische  Freibeuterei 
einher,  das  hat  A.  Dürer  trotz  aller  kaiserlichen  Schutz-Privile- 
gien und  drohenden  Verboten  sattsam  erfahren.  Sah  er  doch  mit 
Beben  eigenen  Augen  in  Nürnberg  unter  dem  Bathause  einen 
fremden  Mann  mit  Beprodnctionen  seiner  Eunstwaare  unver- 
sehamten  Hansirhandel  treiben.  £r  war  genötigt,  den  Schutz  der 

*  Kunst-Chromk«  XIIL  J.  Leipzig,  1S7S,  u.  14. 


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S18 


ILBRECHT  DÜRBB*8  8CBMERZrN8MANN. 


Obrigkeit  dage<:^en  anziirüfet).  Am  B.  Januar  1508  erliesa  hierauf 
der  Xuinbercrer  Magistrat  foljzendes  Verbot  (bei  Cainpe  u.  a.  0. 
8.  183):  «Item  einen  frembden  Mann,  so  imdter  dem  Rathaus 
Eunstprif  feyl  hat,  vnnd  vndter  denselben  etliche  so  Alhrecht 
Dürer'a  Hand2seißhen  haben,  die  Izne  betmglieh  nachgedraekt 
seyndt,  Boll  man  in  Fflieht  nehmen,  dieselbe  Zeichen  alle  absn- 
thun  und  deren  keines  hir  fayl  zu  halten.  Oder  ^Y0  er  sich  des  wHidern 
■würd,  soll  mnn  ihme  dieselben  Prif  alle  als  ein  Falsch  auffheben  vnnd 
eines  Eaths  hannden  nemen.»  Marc  Anton  HAniONDi  scheute  sich 
nicht  die  kleine  Passion  mit  Hinweglassnng  des  Dürer  sehen  Mono- 
gramms naehznstechen  nnd  die  Blätter  mit  einem  leeren  Täfelohen 
versehen,  in  drei  verschiedenen  Abdrücken  in  der  Welt  zu  zer- 
streuen. *  Sie  sind  hart  und  steif  und  «^egen  das  Original  gehalten 
leblos.  A.  Bartsch  hat  sie  XIV,  401—16  genau  beschrieben. 

Es  bedürfte  einer  ganzen  Abhandlung,  um  alle  Oopen  der 
kleinen  Passion  eingehend  zu  besprechen,  leider  fehlt  hierzu  der 
Baum,  und  wir  beschränken  uns  darauf,  dieselben  der  Zeitfolge 
nach  aufzuzahlen.  Schon  erschienen  die  Copieu  von  Virgil 

Sons  in  der  bei  V.  Geyssler  gedruckten:  Passio  vnsers  Herrn 
Jhesu  Christi.  Die  Venediger  Drucker  J.  Osta  und  P.  Valgris 
liessen  dieselben  löö7  ropiren,  von  einem  Ungenannten,  für 
ihre :  Gontemplatio  vit8>  et  Passionis  Domini  Nostri  Jesy  Christi. 
H.  Lufft  liess  kleiner"  Copien  herstellen  für  sein  Witten- 

berger Betbüchlein  mit  Caleuder  und  Passioual  D.  M.  Luth. 
Aehnliche  enthält :  Novi  Testamenti  »ditio  postrema  per  D.  £ras- 
mum  B.  Frankf.  1560.  Vorig.  Hau.  Den  Jahren  1665 — 9  gehören 
die  vom  Monogrammisten       ^  signirten  Abbilder.  Hierauf 

Hierüber  hat  auch  G.  Vasari,  Mure-Antonio  Bolognese,  le  vite 
de'pin*  eccellenti  pittoh  scultori  ed  Architettori.  Firenze,  1880,  V,  p.  40& 
seq.,  ab«r  märcfaenbait  beriditet«  Milanen  nennt  mit  Recht  diesen  Berieht 
eine  novella.  C.  Th«  Mnrr  hat  in  der  Sache  das  Richtige  in  seiner  descrip- 
tion  da  Cabinet  Frann,  1797,  bereite  geeehen  nnd  aneeinandeigesetEt  p.  88. 

*^  Und  dflera.  Vergl.  C.  K.  Nagler,  die  Monogranmiieten.  Mtlnohen, 
1819.  V,  267  ff. 

Nagler  a.  a.  O.  III,  lOo.  liült  difst-n  Copisten  fiJr  den  Meieter  der 
e.  1576  in  Holz  geschnittenen  Baseler  und  Bemer  Todtentäoxe. 


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ALBBBCHT  dOrSB's  80B1IBBZEN8MAMN.  319 

folgen  die  1671  veroireutlicbten  Copien  von  Nie.  Solis.  *  Hei- 
necken gibt  (a.  0.  a.  0.  S.  173)  Nachricht  von  einer  Wiederlioliing 
in  Kupfer,  37  Blätter,  unter  dem  Titel :  Paseio  Christi  ab  Alberto 
Dorero  eüfigiata.  I.  A.  Colon,  eze.  A.  B.,  desgleichen  Wtisbergen 
ete.  Der  Angsbtirc^er  Copist  Lambert  Hopper  hat  nach  demselben 
Gewährsmann  von  tlitser  Passion  18  Blätter  im  ersten  Drittel  des 
XVL  Jahrhunderts  nachgestochen.**  Melch.  Ki  ssell  fertifjte 
Copien  der  Wäsbergen'schen  Copien  an.***  Im  Jahre  1644 
erschien  bei  Jos.  Mommart  in  Brüssel  eine  Ausgabe  in  Qaart  mit 
der  üebersehrift:  Historia  Passionis  Bnl.  nri.  Jesu  Christi  ab 
Alberto  Diirero  delineata.  +  In  unseren  Tagen  wurden  sämrat- 
liche  Blätter  1862  von  A.  Burchard  in  Berlin  photolithographirt ; 
1S6H  getreu  in  Holz  nachgeschnitten  von  C.  Deis.  ff 

Noch  haben  wir  der  Original-Holzstöoke  zu  gedenken,  von 
welchen  Heinecken  (a.  a.  0.  8.  17S)  richtig  berichtet  hat,  sie 
wären  nach  V  enedig  gebracht  und  hier  neu  aufgelegt  worden. 
Weigel  besass  davon  im  Jahre  ein  Exemplar,  welches  er 

Nr.  5603  6.,  I,  4,  38  eingehend  beschreibt  und  um  1 5  Thaler  an- 
bietet.  Das  Buch  hatte  die  gesammte  Folge  von  37  Blattern  mit 
dem  Titel :  La  Passione  di  N.  S.  Giesv  Christo  D'Alberto  Durero, 
auf  der  Rückseite  die  Verse  M.  Moro's.  In  Venetin,  161l'.  AppresRO 
Daniel  Bisuccio.  i.  4:2  B).  nebst  Dürer  s  Portrait,  Kupferstich, 
Medaillon.  Brunet,  Manuel  II,  911,  gibt  eine  einlässliche  Be- 
sehreibung nach  Didot's  Exemplar.  Nach  ihm  sind  im  Jahre  1839. 
36  von  den  sehr  abgenätzten  Originalstöcken  nach  London  in  das 
British MuBüum  gekommen,  wo  sie  sich  auch  heute  noch  befinden. 
Henry  Cole  nahm  ls4i  galvanoplastische  Abformungen  davon 
nud  deu  ergänzten  Titel  für  Abdrücke,  die  er  in  dem  Buche 

*  Vergl.  J.  D.  Passnvaut,  le  Peintre-Gvaveiir.  Leipsig,  18Gn.  IV.  127, 
BartHch  VIII,  52(5,  imd  nach  iliui  A.  Auilresen,   IlatKlbucii  für 
Kui»ferstich-Sanauler,  Leipzig,  1870,  1,  694,  zählen  nur  15  Blatter. 
Heller,  a.  a.  O.  S.  610. 
^  l>itseii  r\)j)ien  können  die  bei  I'rubenius.  l'l'ii.  i)i  Hitmbur«;  mit  dem 
fikUchen  Titel:  Alberti  Dureri  Noriberg.  Genn.  Icones  sucnie  nicht  auge- 
leiht  Verden«  es  Himl  38  von  den  40  Blättern  Albkkt  Altdor|''kr  s. 
H  Eiehititt  und  Stuttgart.  A.  Eye  gab  1873  dazu  EriiuterongeD. 


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ALBR£CHT  DÜ&Ea'S  SCHMERZ EK8II ANN. 


«Events  in  the  life  of  Jesns  Christ»  verwendete.  Weigel  offerirte 
Nr.  14593,  1845,  XVI,  73,  die  gewöhnliche  Ausgabe  um  7  Thaler, 
Tondrueke  um  lOV  2  Thaler  und  Pergameutdrucke  um  21  Thaler. 

Von  iiilen  Bilderfolgen  Dürer *b  ist  die  kleine  Passion  in  Holz- 
schnitt am  meisten  verbreitet,  besonders  im  zweiten  Zustand  mit 
dem  Texte ;  doch  sind,  wie  Hausmann,  der  eompetenteste  Zeuge 
in  dieser  Sache,  berichtet  la.  a.  0.  8.  (VA) :  «die  vollständigen  Fol- 
gen mit  dem  echten  Titel  ausserordentlich  selten,  wie  denn  von 
den  reichen  Wiener  Sammlungen  (1861)  diejenige  des  Erzherzogs 
Albrecht  allein  eine  solche  besitzt  und  keine  der  Münchener 
Dürer-Sammlungen  einen  echten  Titel  aufweisen  kann.«  *  Das- 
selbe gilt  selhstverstjindlich  in  erhöhtem  Maasse  von  Privat- 
Samiulungen,  welche  meistens  durch  eine  spatere  Copie  oder 
Handzeicbnung  das  Titelblatt  ersetzt  haben.  ** 

Die  Darstellungen  Christ  des  Heilandes  als  „Schmerzen»^ 
matni*\  sei  es  mittelst  Wort,  Stift,  Pinsel.  Grabstichel,  Meissel. 
sind  so  zahh'eich,  dass  der  Kunstforscher  keine  geringe  Mühe 
hatte,  den  gebotenen  Stoff  auch  nur  in  allgemeinen  Schilderangen 
zu  überwältigen.  Die  unterschiedlichen  Daratellungsweisen  des 
leidenden  Erlösers  als  Sckmerzentmann,  Ecce  Homo,  das  Antlitz 
des  Herrn  auf  dem  Seliw  eisstuche  S.  Verouica's,  sind  aus  den 
Auffassungen  des  Jesaja'nischen  Gesichtes  (53,  3),  und  aus 
dem  Verständnisse  der  vier  Evangelisten  (Matth.  :27,  ^26 — 30, 
Marc.  15,  1.5 — 19,  Luc.  23,  25«  Joh.  19, 1 — 6)  geflossen.  Jesaja 

'i'  Die  Bichtigkeit  dieser  Behauptang  können  wir  aas  eigener  Erfah- 
rung bestätigen. 

P.  PftAUK  (Murr,  Cab.-Nr.  138 — 74)  hatte  ein  eompletes  Exemplar, 
welches  1801  mit  der  gesammten  Sammlung  an  Franenholz  tlbeiging. 
Verg^.  Deutsches  Ennatblatt  Nr.  23,  8.  904.  Das  Dii>OT*sehe  «tirage  non 
decrita,  Cat,  Par.  1877,  Nr.  282,  p.  39  wurde  bei  der  Auctiou  zurückge- 
zogen. Unvollständige,  d.  i.  Ausgaben  ohne  Titel  he.^aBseii  die  Amateurs : 
Dkks(  Hai'  (Nürnberg,  1825),  G.  Fümf.e  (Wien,  18l26).  M.  Hkld  (ib.  ISSGi, 
F.  X.  Stikkl  (ib.  IS'ASu  L.  Ci((»(iNAKA  (ib.  \><3'.h,  13.  Tetzold  lib.  18451, 
E.  r.  Otto  (Leix)zig,  1851 1,  A.  W.  .Tixomfistfr  lil».  18.V2i.  W.  A.  Acker« 
MANN  (ib.  ls.'»;^i,  B.  Sphinkmann  (ib.  l>5.'Ji.  C.  Mk(HJ.i,  (Leipzig,  1854), 
.7.  KiShKNHAKT  ^-München,  1861),  J.  C.  Endri^  (Wien,  Ib^id)  und  J.  D. 
BouM  (ib.  Ibtib). 


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ALBRECUI  DLKEU'ä  SCHMERZENSMANN. 


sieiit  denGepla^n,  welchen  sich  die  Schmerzen  zu  ihrem  Manne^ 
mit  welchem  sie  es  zu  tmi  hahen  wollen,  erwählt  haben.  Nach 
dem  neniestamentlichen  Bericht  wurde  Christus  vom  Landpfleger 

den  römischen  Kriegskncciittii  zur  Geisselung  überpehen,  an 
diese  scbloss  sich  die  Verhöhnung  seines  israelitischen  Königtums 
in  der  Aoisetzung  der  Domenkrone,  Anlegung  des  Pnipurkleides 
md  der  damit  yerbundenen  rohen  Gewalttaten  an.  Pilatus,  um 
dnrefa  den  erbarmungswürdigen  Anblick  das  Mitleid  der  vor  dem 
Richthause  versammelten  ungestümen  Menge  zu  erwecken,  stellte 
Jesum,  auf  ihn  zeigend,  mit  den  Worten  vor:  seht,  welch  ein 
Mensch!  Nach  der  lateinischen  Uebersetzung  sprach  er:  Keee 
Brno! 

Das  künstlerische  Motiv  des  Srhmerzensnmnnes  entspross  also 
der  einfachen  heilsgeschichtliclien  Erzählung  und  ist  lün;jst  vor 
Därer  verwertet  worden.  So  z.  B.  hnden  sich  aus  der  Zeit  der 
Wiegendrucke  allein  im  Gatalog  frühester  Erzeugnisse  der  Brucker- 
konst  der  T.  0.  WeigeVsehen  Sammlung  (Leipzig,  187^)  sechs 
verschiedene  Darstellungen  aus  den  Jahren  1450 — löOO  (Nr.  lOS, 
5U;  m,  73;  .i6'.3,  184;  466,  d'IS;  472,  :233;  486,  24J),  meistens 
der  stehende  Christas  in  der  Grabkiste,  zwischen  Engeln  ver- 
sinnbildlichend. Der  Meister  mit  den  gothischen  Buchstaben 
E.  8.  von  1466  hat  in  einem  in  Dresden  befindlichen  Kupferstich 
Christus  als  Schmerzensmann  dargestellt.  (Passavant  II.  58, 
Nr.  155).  Von  demselben  ist  ein  anderes,  von  1467  datirtes  Blatt : 
das  Antlitz  des  Heilandes  auf  dem  Schweisstuche,  welches  von 
8.  Peter  und  Paul  gehalten  wird.  (Nagler,  Monogramm.  II,  660.) 
Ein  ungenanutt  r  alter  Meister  hat,  nach  Heineckeu  (Deutsche 
KupftTstichgeschichte,  neue  Nachr.  I,  309),  den  Heiland  st»  hend 
mit  der  Domenkrone,  um  ihn  herum  vier  Engel  mit  den  Instru- 
menten der  Passion  abgebildet.  Ein  Blatt  mit  dem  Beiher 
gedruckt.  Eben  dieselbe  Vorstellung,  etwas  grösser,  dann  ein 
Brustbild  des  Heilandes  mit  der  Dornenkrone  und  kreuzweise 
übereinander  gelegten  Händen  auf  der  Brust  kennt  unser  Ge- 
vähramann.   Berühmt  ist  Martin  Schongauer's  Schmerzens- 


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^REOHT  D0BER*8  SCHMERZENSMANN. 


muun,  *  von  grosser  Schönheit  der  Form,  Tiefe  der  Empfindung. 
Dass  Dürer  Scbongauer's  Blätter  kannte  und  studirte  ist  sicher» 
eine  Y^gleichnng  der  Ereuzschleppnng  dieses  Meisters,  B.  21, 
mit  der  I>är6r*8  grossen  Holzsehnitt-Passion,  B.  10,  liest  darüber 
keinen  Zweifel  aufkommen.  ** 

Ist  aher  keinem  aufmerksamen  Freund  älterer  Kunst  enc- 
gangen,  wie  dieselbe  von  ihren  Anfängen  an  das  Bild  des  Schmer- 
zensmannes in  Darstellungen  aller  Art  verewigt  hat,  so  ward  ihm 
andererseits  auch  offenbar,  dass  Dürer  eine  Beibe  von  Darstel- 
lunjTfen  dieses  idealen  Vorwurfes  geschaffen  bat,  die  in  ihrer 
Hoheit  wohl  oft  wiederholt,  niemals  aber  übertroffen  worden 
sind.  £wig  denkwürdig  bleibt  es  aber,  wie  Dürer  denselben 
(Gegenstand  so  oft  behandeln  konnte,  ohne  Spnr  einer  müssigen 
WiederholunjT,  ohne  im  geringsten  den  erhabenen  Gedanken  zu 
verflachen.  Dem  Schriftsteller,  der  heute  über  Kunst  schreiben 
will,  wird  kein  Material  des  Beweises  erlassen,  und  so  wollen  wir 
innerhalb  der  uns  gezogenen  Grenzen  Dürer's  sämmtliche  hieher 
gehörige  Darstellungen,  so  weit  sie  bekannt  geworden  sind,  vor- 
führen. Wir  beginnen  mit  den  Kupferstichen,  Radirungeu  und 
Holzschnitten,  deren  Zeitfolge  und  Autheutie  sicher  gestellt  ist ; 
hieran  werden  sich  die  Handzeichnungen  und  Gemälde  ansohlies- 
sen,  letztere  bilden  einen  wichtigen  Teil  der  Dürerkunde,  aber  es 
fnbt  auf  diesem  Gebiete  viel  Gestrüpp,  Heller's  unzuverlässige 
Aufstellungen  sollten  berichtigt  werden.  Die  neuere  Forschung  hat 
hiezu  so  manche  verdienstvonile  Beiträge  zu  Tage  gefördert,  im 

Pi.  60.  A.  AVurzbacli,  M.  bcliongauer,  Wien,  18M).  S.  Ui,  versetzt 
ihu  in  che  Zeit  1470 — 3.  In  der  Didot'scheu  Auctiou,  Mai  1^77,  wurde  die- 
ser 8ticli  Ulli  1500  Fr.  vtakauft. 

*  S.  G.  Dehio,  die  Coinposition  von  HatTaers  Spasimo  di  bicilia  uud 
ilxre  Vorläufer,  Zeitschr.  für  bilcL  Kunst.  Leipzig,  1881,  XVI,  S55. 

W.  Gbimk*«  Urteil  über  DOnr's  Veronies  und  Eece  Homo-Bilder: 
«In  den  Holzschnitten,  die  wenige  und  harte  UmriBse  Terlaiigen,  hat  er 
vorzugsweiHe  den  Typus  beibehalten,  aber  den  herben  und  nngefiUligen ; 
in  den  Kupferstichen  sucht  er  mehr  gemeine  Naturwahrheit,  die  oft  nnsebdn 
ist»  (Die  Sa{ie  vom  Ursprung  der  Christusbilder,  AbhandL  der  BerL  Akad. 
Phil.  Hist.  Cl.  1842,  S.  167)  mm  als  unbegrOndet  beeeichnet  werden. 


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ALBRECHT  DÜREH'S  SCHMERZENSMANN.  --3 

Ganzen  aber  mehr  mit  den  Handzeiclmungen  als  mit  den  Gemäl- 
den Dürer 's  sich  befasst.  Wir  begnügen  uns  aber  im  Allgemeinen 
die  beachtenswerten  Compositionen  einfach  an  unseren  Augen 
vorbeiziehen  zu  lassen,  nur  das  Titelblatt  zur  kleinen  Holzschnitt- 
Passion  und  eine  in  unserem  Besitze  befindliche  Handzeichnung 


Albrerlit  Diiret"«  Ecrc  norou.  ßartseh  H>. 


soll  nacb  der  künstlerischen  und  inhaltlichen  Seite  eingehender 
jTe\vürdigt  werden. 

Zuerst  tritt  uns  das  Bild  Christi,  als  der  Mann  der  Schmerzen, 
mit  ausgebreiteten  Armen  in  einem  (B.  :20)  Kupferstich  entgegen. 


224 


ALBRECUT  DÜRER's  6CUMERZENSMANN 


Thausing  (Dürer,  S.  174)  tadelt  die  wulstige  Anatomie,  den  ver- 
zdiohneten  Kopf  und  Augen,  und  findet  die  sehwache  Stichel- 
fühning  derart  auffallend,  dass  er  die  Arbeit  vor  das  Jahr  1497 
zurückzuversetzen  versucht  ist,  während  Hausmann  (a.  a.  0.  S.  1 3) 
die  sort^fjiltige  und  durchgebildete  Behandlung  des  Vorgruudes 
hevorhebt  und  wegen  der  grossen  Uebereinstimmung  in  Gefühl 
und  Ausdruck  mit  B.  21  in  das  Jahr  1512  verweist.  Hetberg 
(a.  a.  0.  Nr.  90  p.  40)  lässt  es  mit  Becht  um  150T  entstanden  sein. 
Zunächst  folgt  das  lö09  datirte  Titelblatt  der  Passion  in  Kupfer- 
stich :  der  ächmerzensmann  steht  mit  den  Wundmalen  und  der 
Domenkrone  an  der  Martersäule  mit  gekreuzten  Ajrmen,  in  der 
Linken  die  Bute»  in  der  Bechten  eine  Geissei  haltend  (B.  3).  An 
dieses  schliesst  sich  das  herrliche,  nur  in  der  Albertina  und  iu 
Dresden  aufzufindt  iHle  Blättehen :  Veronica,  sie  hält  mit  beiden 
Händen  das  Tuch  mit  dem  Antlitze  des  Herrn.  Der  Stich,  mit 
der  trockenen  Nadel  geritzt,  tragt  die  Jabreszahl  1610  (B.  64). 
Mit  1510  ist  auch  das  Veronicabild  (B.  38)  der  kleinen  Holzschnitt- 
Passion  bezeichnet.  Mit  demselben  Datum  ist  der  Holzschnitt 
(B.  9)  in  der  grossen  Holzschnitt-Passion  versehen,  welcher  die 
Schaustellung  des  domgekrönten  Herrn  im  Biohthause  darstellt. 
Aus  dem  darauffolgenden  Jahre  1611  stammt :  das  Titelblatt  za 
derselben  Passion  (B.  4) :  der  sitzende  Schmerzensmann,  seinen 
spottenden  Teil) igern  gep;enüber;  das  Titelbhitt  zur  kleinen  Pas- 
sion in  Holzschnitt  (B.  Uh  und  die  Schaustellung  (B.  35)  aus  der 
nämlichen  Folge.  In  das  Jabr  1612  fällt  der  mit  gebundenen 
Händen  abgebildete  Scbmerzensmaim,  ein  mit  der  kalten  Nadel 
ber<:estelltes  Blatt  (B.  -2  \ ),  und  der  «Ecce  Homo»  der  Kupferstich- 
Passion  ^B.  10).  Das  von  zwei  Engeln  gehaltene  Tuch  mit  dem 
Antlitze  Christi  (Kupferstich  B.  25)  zeigt  1613 ;  der  Aetzdmck, 
sitzender  domgekrönter  Heiland  (B.  22),  1616,  die  Badirung  des 
von  einem  Engel  gehaltenen  Linnentuches  mit  dem  Antlitze  des 
Herrn  (B.       1516  als  Entstehungszeit.  Schliesslich  dürfen  wir 
das  sogenannte  grosse  Cbristushaupt,  das  Bartsch  (Vli,  18:2,  Ap. 
Nr.  26),  Betberg  (a.  a.  0.  S.  120,  Ap.  Nr.  141)  unter  die  zweifel- 
haften, Heller  (a.  a.  0.  S.  613,  Nr.  1639),  Eye  (a.  a.  0.  8.  ol6> 


üiyilizuü  by  GoOgle 


ALBKECUT  DÜRER  S  8CUM£RZ£NSMANN. 


225 


und  ThauBiog  (a.  a.  0.  S.  363)  unter  die  echten  Blätter  deBKönst- 
Un  setzen.  Schwerlich  sind  Gestalten,  wie  der  Schmerzenflmaxm 
Doier^e  in  den  vorher  angefahrten  14  Daretelltmgen,  wirknngs- 

reicher  zu  ersinnen ;  überall  zeigt  Dürer  jene  ausgezeichnete 
Brgabunfr,  das,  ^vils  er  im  Bilde  vorführen  will,  mit  der  streng- 
sten haushälterischen  Verwendung  der  Mittel,  wie  Bildnereien  in 
ewigen  Fels  gehauen,  zu  zeichnen,  immer  das  Wesentliche  aus 
der  Idee  hervor  zu  holen  und  den  geschichtlichen  Vorgang  in 
Beiner  stillen  Grosse  an's  Licht  zu  stellen.  Unstreitig  besteht 
penide  in  dieser  Fähigkeit  ein  Hauptteil  des  ausserordentlichen 
Erfolges  und  verleiht  diese  Eigenschaft  den  Dürer'schen  Typen 
einen  so  wunderbaren  Beiz. 

Werfen  wir  nun  einen  Rückblick  auf  das  Titelblatt  der  kleinen 
HoLxchnitt-Püssion.  *  Wie  die  auf  S.  :226  stehende  Nachbildung 
weist,  ist  diese  einfache  Darstellung  Christus  als  Schmerzensmann 
nicht  Zeichnung  in  Linien,  sondern  natürliches  Leben.  **  Im  An- 
schauen derselben  schöpft  nicht  nur  der  Amateur,  sondern  auch 
der  Kunstforscher  uns  einem  fast  unversiegbar  erscheinenden 
Brunnen.  Gründliche  Sach-  und  Fachkenner  spenden  dieser 
Composition  ungeteiltes  Lob.  G.  H.  Hotho  (Geschichte  der 
dentschen  und  niederländischen  Malerei,  Berlin,  184S,  I,  118) 
bekennt  als  das  Tiefste,  was  sich  in  Inhalt  und  Ausdruck  der 
Stininiimg  erreichen  lasst,  sei  ihm  immer  Dürer's  Titelblatt  zu 
seiner  kleinen  Passion  in  Holz  erschienen.  A.  Springer  (Bilder 
aas  der  neueren  Kunstgeschichte,  Bonn,  1867,  8.  197)  bemerkt: 
«Das  arma  virumque  cano  Virgil*s  ist  keine  bessere  Einleitung 

*  Unser  Original  mit  dem  Waascrzeicben  der  holieii  Kroiu-.  von  tno-ser 
Scharfe.  Doublette  einer  d.  Staatssammlnng,  ist  leider  durch  VerBchiUttdiimg 
ohne  Text.  Es  gibt  von  dem  Titolblatte  ausser  den  scbon  oben  angefiihr- 
ten  Copien  in  den  Gesainnitfolgen  auch  einzelne,  die  Heller  8.  3öt^  ff.  auf- 
zahlt. Wir  selbst  besitzen  deren  ihei.  Zu  den  bestell  rechnet  mau  die 
Sr.  129  veröffentlichte  (.Opie  von  R.  v.  Iletberg. 

**  H.  C.  Areni>  a.  a.  O.  schreibt  naiv:  «Ich  wollte 'ntKli  im  )ir  stueckc 
von  besagten  151 1-teu  jalire  anfueren,  wenn  nicbt  durcli  anscliunmi'^'  des. 
gebundenen  Jesu  mein  ziun  zaeitigsten  mitleiden  bewogenes  genuit  nur 
«tat  jener  brater  passionsstuecke  voxstelleto.t 

Ün^arii4:i)«  B«ra«,  1862,  UI.  H*l|.  «  e 


Diyilizeü  by  GoOgle 


ALBRECHT  DUBEB  ä  SCÜMEBZENSMANN. 

eines  epischen  Gesanges,  aU  der  in  scharf  charakteristisohoi 
Zügen  von  Dürer  verkörperte  Held  seiner  Erzählung.  •  Nach 

^affio  (Cb»(hab2Ubeitol^ur<r  i^u 

rcnbcrgenfi  cffigi aca  ci3  vari jgencns  ca 
nibus  Pracns  Bencdi'ifli  Cnelidonii 
MuTophili* 


carmi 


O  mt(ü  cantoruni.m{lo  mihi  caufa  d^^t^ 
OaucisOmoretscaufa  crucnta  mihi. 

O  homoftf  fucrit.öbi  mc  ferocl  ifta  tuliflc» 
Occ{raculp^niccruciare  nouis* 


IlMbteH  n»  Umümb  H6Iit9hattt>Pwrtoa. 


A,  Etb  (ErUnter.  8.  18)  gehört  das  Blatt  tzu  den  Dnrohdachte- 
sten  und  tiefst  Empfundeuen,  was  unser  Meister  geleistet.»  Dörer 


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! 


▲LBRECHT  DÜREH's  äCUMGRZENöMANN.  ^ 

bat  iu  idealer  Auffassung  seinen  Schmerzemmann  als  bddeutungs* 
▼olles,  symboliaehes  Andachtsbild  gesobaffen ;  mag  immerhin  für 
Viele  die  Zeit  der  Allegorien  vorbei  Bein,  die  Symbole  yerblasst» 

ihre  Erklärnngen  verstäubt,  wer  diese  Vorstellunj^j  verstehen  will, 
muas  sich  auf  Dürer's  Standpunkt  steilen.    Könnten  wir  die 


Albrcobt  Dürer*!  «Eeo«  Homo*.  BarUoh  ü. 


Schranken  der  Geduld  unserer  verehrten  Leser  erweitem,  so 
wollten  wir  durch  theologische  Exegese  den  wunderbaren  Sinn 
deesexit  was  wir  mit  Augen  sehen,  deuten.  In  Schonung  dessen 
lassen  wir  alles  liegen,  was  nicht  unbedingt  zom  Verständnisse 
noaeres  Vorwurfes  vonnöten  ist  Dürer  zeigt  uns  den  dornen- 

IS* 


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HB 


ALBRKCHT  DÜKERS  8CH1IEBSB1I8KAMN. 


gekrönten  Christus,  im  dreistrabligen  Nimbus,  sitzend  das  heilige 
Haupt  mit  der  rechten  Hand  unterstützend,  voll  Schmers  über 
die  Bünde  nnd  Schuld  des  Mensebengeschleobts  und  doch  yön 
Barmherzigkt'it  für  dieses,  um  dessen  Erlösung  willen  er  Mensch 
geworden.  Nach  den  pauliniHchen  Worten,  Gal.  3,  1,  soll  Jesus 
Christus  so  anschaulich  vor  Augen  gestellt  werden,  als  wäre  er 
unter  uns  gekreusiget ;  auf  seinem  sinnenden  Angesicht  schwebt 
die  tiefernste  Mahnung  (Hebr.  6,  G),  nicht  auf  ein  Neues  den  Sohn 
Gottes  zu  kreuzigen  und  zu  verspotten.  Naturumgebung,  Bau- 
ond  Beiwerk,  *  überhaupt  Alles,  was  für  den  äuBsereu  Sinn  den 
inneren  Seelenvorgang  zur  Anschauung  bringen  kann,  hat  er  mit 
Vorbedacht  hinweggelassen.  Er,  der  nicht  müde  geworden  ist, 
in  figurenreichen  Compositionen  jenes  wunderbare  unbegreifliche 
Ereigniss  des  gottmenschlicben  Leidens  zu  zeicbiien  und  auszu- 
maleq»  verschmäht  es  hier,  die  Tat  des  Gottmenschen  durch  Aus* 
breitung  des  Herganges  zu  entwickehi,  sondern  erzählt  in  einer 
nnd  derselben  Figur  dem  aufmerksamen  Betrachter  das  Epos  von 
Gotteskraft  und  ^fenscbenleideu.  Dürers  S€hmer:cn8m(inn  lebt 
fort,  er  ist  eine  populiire  beilige  Figur  geworden,  das  Volk  batte 
seine  Gestalt  verstanden.  Bei  uns  und  dranssen  in  den  Gebirgs- 
ländem  finden  wir  an  Strassen,  Feldwegen,  Thälem  und  Bergen 
den  unvergleichlichen  Vorwurf  Dürer's  nachgebildet,  oft  mit  der 
Klage  Jereraia-  (Tbren.  1,  \'2)  bezeicbnet:  0  ibr  Alle,  die  ibr  vor- 
übergeht am  Wege,  gebet  Acbt  und  schauet,  ob  ein  Scbmerz  gleich 
sei  meinem  Schmerze.  An  diesen  Schmerz  Jesu,  der  alle  Welt  durch- 
zittert, hat  offenbar  B.  Chelibonius  gedacht,  als  er  für  das  Titel- 
blatt die  oben  abgedruckten  Verse  als  ünterscbrift  machte.  *** 

*  Marc  Anton  stellt«'   B.  Ss-i,  1    die  Fi^iir  in  ein  Rennissnnco-Thor, 
von  welchem  eine  leere  Ins(?lirift-Tafel  unf  drei  Schnüren  lieraljliun^'t. 

^*  .T,  A.  Met^snier,  über  A.  I>ürer's  Titelblatt  zur  kleinen  I'assiuti, 
Mitth.  der  Centr.-Coinni.,  \\'ien.  ISOI,  \I,  2lS,  l>leil)t  bei  den»  aujj.serlicheu 
Motiv  des  Sitzens,  iJasteus  stehen,  inid  deutet  gekünstelt  diu'ch  Herbei* 
Kiebtmg  feruliegeuder  geschichtlicher  Notizen  die  künstlensche  Seite  der 
Composition. 

4««  Bon,  Chelidomiu  war  l^nedietiner  zum  h.  Egyd  in  Ntlmberg  nnd 
wurde  1615  Abt  U.  L.  F.  zu  den  Sehotten  in  Wien.  Genaue  Kacfarieblen 


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ALBRBCBT  DÜfiBR*8  SCHMEßZBNBlUNN, 


319 


Auf  die  Hamlzeichnunfjen  übergeliend,  müssen  wir  die  ullf^e- 
meine  Bemerkung  vorausschicken,  dass  dieses  Gebiet,  indem  wir 
den  Entwicklungsgang  des  Meisters  kennen  lernen,  bei  der  ge- 
sehicbtlichen  nnd  ästhetischen  Würdigung  der  Yorstellungskreise 
desselben 'unserer  vollen  Beachtnng  wert  ist.  Nor  müssen  wir 
eingestehen,  dass  wir  nach  dem  heute  vorliegenden  Material  noch 
nicht  in  der  Lage  sind,  eine  sichere  Einsicht  in  den  Bildungsgang 
tmseres  Lieblingskünstlers  xu  gewinnen.  Wir  können  uns  der 
Ueberzeugnng  nicht  yerschUessen,  dass  die  ergänsende  und  bes- 
flernde  hieher  bezügliche  Forschuug  seitHELLBs's  Zeiten  in  dieser 
Hiusii  ht  einen  langsamen  Gang  genommen  hat ;  insbesondere  für 
die  kritisch-historische  Beurteilung  der  von  Dürer  (femalten,  ihm 
mtreffend  oder  irrtünüich  angeeigneten  Bilder  fehlt  uns  ein  ver- 
Usslicher  Führer,  ^«chwohl  Hausmann  und  Thausino  vieles  rich- 
tig gestellt,  erläutert  und  erforscht  haben. 

Von  den  unseren  Gegenstund  darstellt  udtii  Dürersclien 
Handzeichiiungeu  sind  bisher  bekannt  geworden:  Die  iMHor'sche 
Sam  ulung  hatte  1588  zwei  Eooe  Homo  „gar  guet"  (Heller,  II,  1, 
Dnrer's  Zeichnungen«  Gemälde,  plastische  Arbeiten,  Bamberg, 
1827,  S.  79).  Joachim  Sanurart  erzählt  uns  1679  (Akad.  II.  H., 
Tb.  n,  89),  in  seiner  Kunstkummer  wäre  unter  den  Handrisseu 
des  weltberühmten  Albrecht  Dürer's :  «Ein  Ecce  Homo  mit 
sehmerzhafften  Angesicht,  Reissig  mit  schwarzer  Kreide  gezeich> 
net»  gewesen.  In  der  HELLER'schen  Sammlung  in  Bamberg 
(Nr.  75,  76,  a.  a.  0.  S.  33)  befand  sich  neben  einem  zweifelhaften 
tEcce  Homo  mit  zusammengebundenen  Händen,  eine  Studie  von 
einem  Ecce  Homo,  mit  vieler  Einsicht  und  i^rossem  Geist»  behan- 
delte Federzeichnung.  In  dem  königlichen  Kupferstirh-Cabinet  zu 
Berlin  befindet  sich  ein  •  Schmerzensmann  t,  mit  dem  Monogramm 

tiln-r  iliffioii  \VrsiHcat()r  f^ibt  M.  l)enis,  die  M€*rk\viir<li^'koitt'ii  <ler  ^'tin  Ui- 
schen  IWbliothek.  Wü  n,  17sO.  Nr.  507 — S.  —  Wieim  IiuclulruckL'igt.'schiclite, 
ib.  1782,  S.  201— 2.  —  J.  Ascbbach,  die  Wiener  Universität  und  ihre  Hunia- 
oisten  im  Zeitalter  Kaiser  Uas  I.,  Wien,  1877,  erwähnt  seiner  S.  8t,  260, 
369,  ohne  die  biogra2)lii8ehen  Kachriehten  des  ileiasigen  Denis  genauer  sn 
beachten. 


SBO  ALBBKOHT  DÜBBB's  8CHHERZEM8M AMN. 

versehener  Federentwurf:  Christus  sitzt  von  Maria  und  Johannes 
umgeben  unter  einem  Tronhiinniel,  getragen  von  15  Männern« 
Femer  ist  dort  ein  domengekröntes  Cbristusbaapt,  auf  grünem 
Grund  mit  Gold  gehöhet,  monogrammirt  und  datirt  1510.  (B. 
.  Hansmann,  A.  Dnrer's  Enpferstiche,  Eadimngen,  Holzschnitte, 
Zeichnungen  S.  1 1 6 —  1 7.) 

DasKupferstich-Cabinet  in  Dresden  bewahrt  einen  vouCiruner 
in  Photographie  Teröffentlichten,  1510  gezeichneten  Schmerzens- 
mann. (Eye,  Lehen  Därer*s  8. 3S7.)  Bei  J.  G.  Fr.  Danthe  in  Leipzig 
<kam  1817  nnter  den  Federzeichnimgen  der  gegeisselte  Heiland 
von  Dürer  vor.  (Heller,  II.  1,  S.  i7.)  Neuestens  Imt  das  Berliner 
Kupferstich-Cabinet  eine  flüchtige  Skizze  von  Dürer's  Hand,  Chri- 
stos  als  Schmerzensmann  (nach  Jes.  63,  2)  in  der  Kelter  stehend» 
erworhen.  (S.  Catalog  einer  Ausstellung  Ton  Zeichnungen  alter 
Meister  im  Kupferstich-Cabinet.  Berlin,  1881,  8.  5,  Nr.  i,)  Unter 
(IfU  l)iirt'r-Zf ichmmpen  der  rniversitäts-Bibliotht-k  in  Erknnjen 
ißt  eine  Aquarelle :  der  sitzende  Ecce  Homo,  von  Th.  Krüf^er 
1614  in  Nürnberg  ge.stochen.  (Hausmann  a.  a.  0.  S.  127. 
geller  H,  %  Nr.  :2260,  S.  84.3.)  Das  Printroom  des  British 
Museums  besitzt  von  Dürer  einen  aufblickenden  domengekrönten 
Ghristuskopf  mit  der  Jahreszahl  1503  und  der  Beischrift« 
wahrend  Krankheit  gcztielmet.M  (Hausmann,  R.  Nauman's 
Archiv  für  die  zeichnenden  Künste.  Leipzig,  1858,  IV.  36.)  J.  G. 
Silberrad,  ein  eifriger  Kunstfreund,  hatte  eine  grau  in  grau  aus- 
geführte «Ecce  Homo  ••Zeichnung,  dif  später  in  die  Nagler*8che 
Sammlung  in  Berlin  kam.  (Heller  a.  a.  O.  8.  91.)  Im  September 
1793  wurde  von  J.  Fr.  Fraueuholz  aus  der  ^Ve]ser'schen  Samm- 
lung in  Nürnberg  ein  «Ecce  Homo»  Nr.  ö-24i7  (Cat.  IV,  306)  um 
166  Gulden  versteigert;  die  folgende  Nummer  5)248,  der  Heiland 
mit  der  Dornenkrone,  um  ^7o  fl.  30  kr.  für  die  Albertina  gekauft. 
Im  Cabinet  Oavlns,  später  dn  Roy,  war  auch:  der  gebundene 
Christus.  (R.  Wei^'el,  die  Werk«-  der  Maler  in  ibreti  Handzeieli- 
nungen.  Leipzig,  1800,  S.  19:2.)  Zwei  mit  sehr  vielem  Fleisse 
gearbeitete  £cce  Homo-Zeichnungen  soll  die  Bildergalerie  in 
Weimar  besitzen.  (Heller,  a.  a.  0.  S.  95.)  Zu  den  unvergleich- 


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ALBRECUT  DÜBER  8  SCÜMEBZBNSMAKN. 


liehen  Schäisen  der  Albertina  in  Wien  zählt  die  Sohaustellnng 
Christi  in  der  sogeua^nten  grünen  Passion.  (Braun,  Phot.  Nr.  553.) 

Der  HaiidzcichnuDgsbestand  des  Wiener  Kunstsamiulers  Josef 
Grünling  wies  18:27  einen  mouogrammirten,  mit  1022  bezeich- 
neten £coe  Homo  auf.  (Heller,  a.  a.  0,  S.  li^.)  Gleichzeitig  wird 
eine  Zeiohnung  in  der  Sammlung  der  Amateurs  J.  M.  Birkenstock 
und  F.  Lefevre,  Inspector  der  Albertina,  bezeugt.  (Heller,  a.  a.  O. 
S.  120,  l:)2.)  Unter  denHandzeiclinuugen  der  Biidapester  Landes- 
Gallerie  fand  Custos  Dr.  Karl  Pulszky  eine  Studie,  die  er  ini 
Anbange  zu  unserer  gleichnamigen  Abhandlung  in  «Archaeologiai 
&rtesitöt,  Budapest,  1881,1,  1,  127,  veröffentlicht  hat.  Wie  der 
Augenschein,  nach  den  Fücsimilen.  zei^^t.  haben  wir  es  mit  einem 
EutNN-urfe  zum :  Manu  der  iSciiiuerzen  mit  gebuudeueu  Hunden, 
B.  il,  zu  tun. 

.  loh  besitze  eine  Zeichnung  von  Dürer  mit  der  Feder  und 
teilweise  mit  dem  Pinsel  ausgefährt,  \7  %  hoch,  10  ^  ^  %i 

hreit,  den  Sr  Jtmerz'nsmnnn  vorstellt-nd.  Statt  einer  eiu^Tehenden 
BeKchreibung  dieser  auf  einem  starken  Papier,  mit  lilutferuung 
der  Drahtstriche  von  3  %»,  dem  ungewöhnlichen  Wasserzeichen 
einer  Schlange  mit  breitem  ovalen  Bahmen,  gezeichneten  Abbil- 
dung gelte  der  S.  231  stehende  Holzschnitt  nach  derselben, 
welchem  wir  auch  den  Kupferbtich  B.  20  (oben  S.  223)  in  zinko- 
graphischer  Illustration  beigefügt  haben ;  denn  Dürer  hat  diese 
Gomposition^  wie  wir  schon  oben  erwähnt  haben,  in  Kupfer  ge- 
stochen, allein  der  Vorzug  unserer  Zeichnung  wird  jedem  vorur- 
teils  fr«  ien  Kichter  autYalKn. 

Die  Entdeckung  einer  ])isher  unbekannt  gebUebenen  Dürer- 
Zeichnung  begegnet  heutzutage  billig  einem  Zweifel  und  der  Zwei- 
fel hat  so  gut  seinBecht  als  die  Behauptung.  Die  Lösung  in  einem- 
solchen  Falle,  wo  nicht  unwiderlegliche  Beweise  für  die  Prove- 
nienz beigebracht  werden  können.,  liegt  in  ein«  r  gewissenhaften 
Vergleichung  mit  authentischen,  ausser  aller  Frage  stehenden 
Handzeichnungen  desselben  Meisters,  bei  welcher  man  nicht  nur 
die  Vorzüge,  sondern  auch  die  Schwächen  des  Künstlers  ins  Auge 
zu  fassen  hat.  Wir  hatten  oft  Gelegenheit,  m  den  bedeutendsten 


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AIBBBOHT  DÜBE&*8  SOBMEBZBNSHANN.  ' 


t33 


"Öffentlichen  Saminlun<?en  die  Handzeichnuugen  Dürer's  zu  stu- 
diren,  gestehen  aber  gerne  zu,  weder  Sicherheit  noch  eine  andere 
Giliigkeii  miBerer  Prüfung  in  Anspruch  zu  nehmen,  ausser  jener, 
die  in  der  sachlichen  £ntwickelung  unserer  Gründe  liegt.  Hahen 
sich  doch  die  besten  Kenner  Ton  Handzeichnuugeu  alter  Meister 
nicht  einmal  ;:,'et!iuscht. 

Der  Totaleindruck  spricht  für  die  Echtheit,  es  tritt  uns  in 
'dieser  Composition  Dürer's  eigenartige  Handschrift  neben  den 
Monogrammen  in  der  gesammten  des  Meisters  würdigen  Qehand- 
lung  entgegen.  Die  Gestalt  des  Schmersensmannes  ist  von  der 
ungezwuntiensteii  Natürlichkeit,  in  tkni  Beiwerk  herrscht  eine 
wohlberechnete,  höchst  vorteilhafte  Harmonie.  Vergleichen  wir 
•diese  mit  der  des  Stiches,  so  finden  wir  Christus  in  der  Zeichnung 
▼iel  feiner  empfänden  und  sorgfältiger  gearbeitet.  Der  Stich  zeigt 
Abweichungen  Ton  aufiaUender  Verschlechterung.  Die  Figur  ist 
mehr  bewegt  und  wenijjer  raassvoll,  im  Einzelnen  ist  der  hnke 
nach  unten  gehaltene  Arm  steif,  auch  das  rechte  Bein  ist  hart, 
das  Knie  tritt  nicht  gehörig  hervor,  das  Standhein  int  weniger 
markig  und  wirkungsvoll.  Bedeutend  schöner  ist  in  der  Zeichnung 
das  Gewand  und  mehreres  andere  im  Beiwerke.  Schliesslich 
kann  nicht  angenommen  werden,  ein  Copist  hätte  die  Abbildung 
grösser  gemacht  (der  Stich  ist  lU  %t  4  hoch,  7  %  hreit)  als 
das  Original.  Selbstverständlich  sehen  wir  mit  Spannung  dem 
Urteüe  der  SachTcrständigen  hierüber  entgegen. 

Kürzer  können  wir  uns  über  die  Tafelbilder  Dürer's  mit 
Compositionen  wie  der  «Schmerzensmann»  auesprechen.  Es  sind 
folgende,  meistens  zweifelhafte  Stücke  bekannt  geworden.  Das 
Augshurffer  Rathaus  hatte  ISrii'  ein  sogenanntes  Dürer  sches 
Eoce  Homo-Bild  (Heller,  II,  1,  S.  138).  In  der  Hopfeld'schen 
Sammlung  zuBreiAau  befand  sich  1741  ein  «EcceHomo»  mit 
der  Jahreszahl  1512  (Heller,  a.  a.  0.  S.  150).  Die  EunsthsUe  zu 
Jiri  ni'  ii  hat  das  Glück,  einen  mit  1  ö  1  i  bezeichneten  echten  und 
gut  erhaltenen  Dürer'schen  £cce  Homo  unter  seinen  Gemälden 
aufzuweisen.  Bei  Burtin  in  Brüssel  zeigte  man  1514  euien  Ecce 
Homo  unseres  Meisters.  Die  einst  in  Dresden  und  Florenz  nach 


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234 


ALBBECBT  ]>ÜBEB*8  fiCHV BBZRMSMANK. 


Dürer  lieuannten  Ecce  Homo-Bihler  sind  schon  vor  geraumer 
Zeit  verschwunden.  An  einem  Sclimerzensmann  in  der  Wendel- 
Btadt'ficben  Sammlung  zu  Frankfurt  und  an  einem  anderen  in  der 
(3;ö^ji<jrerUniYenitat8galerie  lobte  Heller  (1805,  8. 170; :  die 
ebenso  zarte  als  sorgfältige  Behandlung.  Josch  in  Lim  hat  einen 
monogrammirten.  von  151:2  datirten  Ecce  Homo  besessen,  welcher 
der  bekannten  Aebtissin  Charitas  Tirkheimer  gewidmet  war  (Heller, 
8.  186).  Nach  Thausing  wären  die  Ecce  Homo-Bilder  im  Dogen- 
palasti  nicht  minder  wie  in  der  Casa  Trivulsi  zu  Mailand  aus  der 
Beihe  der  Dnrer*sehen  Werke  zu  streichen.  (Dürer,  8.  271,  Nr.  1.) 
In  Xiirnherff,  wo  einst  H.  Imhof  der  Aeltere  ein  kleines  echtes 
Ecce-Homo-Bildchen  verwahrte,  hatte  Praun  (Catal.  Nr.  '.K),  p.  1  1 ) 
den  Schmerzensmann  der  kleinen  Passion  in  Gel  auf  Leinwjind 
gemalt.  Der  in  der  Moriz-Capelle  Dürer'sche  tleidende  Christus» 
ist  eine  Fälschung  (Eye,  a.  a.  0.  8.  405).  Nicht  besser  wird  es  mit 
dem  von  M.  L.  Zapj»!  1821  in  Rom  entdeckten  •Ecce  Homo»  be- 
stellt gewesen  sein,  für  den  man  die  ganz  anständige  Summe  von 
1500  Gulden  verlangte.  (Heller,  a.  a.  ü.  S.  iiU.)  In  diesen  Tagen 
tauchte  bei  einem  Mainzer  Antiquitätenhändler  aus  der  Nach- 
lassenschaft des  Malers  Fh.  Veit  (f  1877)  ein  8chmerzen8antlitz 
des  Erlösers  mit  der  Domenkrone  auf,  mit  dr*m  Monogramm 
Dürer's  und  der  Jahreszahl  1505.  Das  Bild  soll  ^ich  vormals  im 
Besitze  des  Deutsch-Herrenhauses  in  Saehsenliausen  hei  Frank- 
furt a.  M.  befunden  haWn.  (AUg.  Zeit.  1881,  Nr.  69,  8.  1008.) 
8ch]iesslich  wollen  wir  noch  an  eine  (Gedenktafel  mit  der  Pieta 
und  dem  hf'tenden  Donator  erinnern.  Zahn  (Jahrbücher  für  Kunst- 
wl^•,ell^t•haft.  Leipzig,  18(18,  S.  '2\  )  fand  in  den  Dürer'sclien  Hand- 
sciiriften  (III,  73  h)  des  Britischen  Museums  eine  Bild-Bestellung, 
flüchtig  niedergeschrieben,  folgenden  Inhalts:  «Xps  soll  in  der 
kaltr  sten,  maria  soll  zw  der  rechten  selten  stan,  dij  engell  sw 
der  linken  Seiten,  der  korher  for  maria  kniett,  petms  unden.» 
Lippmann  hält  dafür,  die  oben  erwiihnte  Haudzt  ii  hming  des  Ber- 
liner Kupferstich-Cabineta  sei  der  Entwurf  dieses  bei  Dürer  von 
einem  Chorherrn  bestellt! n  Gemäldes;  doch  bleibe  untiestimmt, 
ob  der  Meister  je  diese  Arbeit  ausgeführt  hat. 


T7VOABNB  8TBÜEB8Y8TIM  IM  JAHSE  1760. 


335 


Bei  allen  ErfoI«:en  ist  es  Dürer  nicht  vergönnt  gewesen,  in 
der  Monumentalinalerei  etwas  dem  Schaffen  der  gleichzeitigen 
Meister  des  C^qüecento  £beiKbürtige8  an  die  Seite  zu  stellen ;  in 
seinen  Gonceptionen  aber  für  den  Stieh  nnd  Schnitt  ist  er  den 
Italienern  weit  überlegen.  Hier  hat  seine  Ennst  der  Phantasie 
und  dem  Gemute  iinverjrän<^']iche  Werke  zii^refuhrt.  Was  ißt 
durch  alle  Zeiten  hindurch,  in  Palasten  und  Hütten,  in  Schule 
nnd  Hans  die  erhabene  Gestalt  seines  Schmerzensmannes  für  eine 
stille»  gewaltige  Predigt  geworden,  wahrhaft  volkstämlich  tmd 
herzerquickend!  *  Josef  Dank6. 


UNGAKNS  STEUERSYSTEM  IM  JAHRE  1780. 


Die  ungeheure  Masse  des  historischen  Stoffes  scheint  dem 

Forscher  die  Aufgabe  zu  erleichteni,  ein  treues  Bild  von  I  nfjarn, 
wie  es  vor  hundert  Jnhren  war,  zu  liefern,  aber  es  felilt  auch 
nicht  an  Factoren,  welche  die  objective  Anschauung  erschweren. 
Kaum  gibt  es  auch  nur  ein  Moment  des  öffentlichen  Lebens  von 
damals,  das  rein  nur  historisches  Interesse  böte;  die  meisten 
Ideen  und  Interessen,  für  welche  die  ungarische  Nation  vor  einem 
Jahrhundert  ksimpfte.  leben  noch  heute,  wenn  auch  umgestaltet. 
Auf  Schritt  und  Tritt  fühlen  wir,  dass  wenn  wir  auch  nicht  von 
der  Stufe  berichten,  auf  der  unser  Volk  heute,  nach  der  Arbeit 
eines  Jahrhunderts,  steht,  wir  doch  die  Faetoren  behandeln,  welche 
den  heutigen  Zustand  und  das  jetzige  Leben  hervorbrnchten. 

Es  ist  bekannt,  dass  das  moderne  [  ngarn  in  Folge  der 
Initiative  des  Grafen  Stefan  Szj^chenyi  zuerst  in  wirtschafthcher 
Beziehung  reformirt  wurde.  Und  wenn  wir  auch  nicht  der  Ansicht 
huldigen,  welche  alle  geistige  Bildung  und  Regsamkeit  nur  als 

*  Wie  tuau  Uürer's  kleine  Paßsiou  schut/te  geht  auch  daruiis  hervor, 
dass  dieselbe  oft  nachgeahmt  wurde.  So  bat  «1er  als  Bildner  vorteilhaft 
bekannte  Hans  Brttggemann,  1514—2],  tan  Altarwerk  nach  den  Motiven 
der  kleinen  Paanon  geschnitzt,  welches  jetzt  im  Schlesniger  Dome  sich 
befindet  VergL  L.  Eanfinann,  A.  Dflrer.  Köln,  188],  S.  98. 


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^  QNOAIINB  8TBUEB878TBM  IM  JAHBB  t7M. 

ErgebnisH  der  materiellen  Güter  eines  Staates  betrachtet,  ist  es 
doch  gewiss,  dass  der  wirtschaftliche  Zustand  eines  Volkes  dessen 
ganses  Leben  und  Entwickelung  am  trenesten  wiederspiegelt  und 
erläutert 

Die  Uin^,'t'staltuni;  auf  dem  wii-tschafthcheu  Gebiete  geht 
immej:  am  legelmässigsten  von  Statten  und  ist  dem  Auftreten 
einzelner  groeser  Männer  oder  den  Zufällen  der  auseeren  Politik 
veniger  auagesetzt,  als  die  constitutionellen,.  militärischen,  ja 
sogar  die  literarifichen  Verhältnisse.  Die  Darstellung  ist  dabei 
leiclit.  Alles  liisst  sich  auf  Zahlen  zurückführen,  und  es  ist  ein 
alter  Satz,  dass  Zahlen  nicht  nur  die  Welt  regieren,  sondern  auch 
zeigen,  wie  sie  regiert  wird. 

Unser  Zweck  aber  ist  ein  geschichtlicher,  nicht  ein  statisti- 
scher.  Bei  der  Darstellung  wirtschaftlicher  Zustände  ergibt  sich 
leicht  der  Missgrifif,  dass  wir  etwas  als  nationale  Eigentümlichkeit 
betrachten,  was  ein  allgemeiner  Charakterzug  einer  gewissen  öcouo- 
mischen  Stufe  ist.  Jedermann  weiss,  dass  man  insbesondere  bei 
uns  viele  solche  allgemeine  Zuge  für  specifiseh  ungarische  ange- 
sehen  hat.  —  Wir  streben  nicht  nur  das  zu  beschreiben .  was  war. 
sondern  auch,  wie  es  sich  entwickelte.  Unser  Endziel  aber  kann 
nur  sein,  nach  der  Schilderung  der  einzelnen  Momente  der  Ent- 
wickelung, sowohl  im  wirtschaftlichen  wie  im  politischen  und  auch 
dem  vorzugsweise  sogenannten  geistigen  Leben,  den  organischen 
Zusammenhang  Aller  nachzuweisen.  Vor  dem  Volkswirt,  dem 
Gesetzgeber  oder  dem  Schriftsteller  kann  auch  das  einzelne  Datum 
Ton  Wichtigkeit  sein.  In  den  Augen  des  Historikers  kömmt  es 
nur  insofern  in  Betracht,  als  es  einen  Teil  des  frisch  pulsirenden 
nationalen  Lelieus  biKit  t.  So  will  uuseri-  Arbeit  ein  bescheidener 
Beitrag  sein  zur  Begründung  der  Ueberzeugung,  wie  notwendig 
die  Verbindung  zwischen  der  sogenannten  Culturgeschichte,  an 
deren  Namen  man  so  viele  falsche  Vorstellungen  geheftet,  und 
der  streng  genommen  politischen  Geschichte  sein  muss. 

Wenn  auch  das  Land,  als  Ganzes,  sich  verhaltnissmiissig  nur 
wenig  geiindert  hat,  ist  doch  das  Verhaltuiss  der  einzelnen  Landes- 
teile zu  einander  ein  gründlich  anderes  geworden. 


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UNOABMB  8TBUBRfiT8TElI  lU  JAHRE  17M. 


337 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Darstellung  ist,  was  im  Mecha- 
nismus des  alten  Ungarn  das  einfachste  war :  die  in  Geld  zahlbare 
Last»  welehe  der  Staat  seinen  Einwohnern  aufbürdet :  die  Steuer. 
Die  Verfassung  ist  eine  ständische,  der  geistliche  sowie  der  welt- 
liche Adel  sind  von  der  directen  Geldsteuer  befreit,  da  sie  dem 
Staate  ihre  Schuld  durcli  die  Wehrpflicht,  den  bewaffneten  Auf- 
stand, hier  zu  Lande  «Insurrectiot  genannt,  abtragen.  Der  Adel 
sahH  gar  keine  direote  Auflage,  von  den  indirecten  geht  ihn  auch 
nur  der  Preis  des  Salses  an,  welchen  die  Begiemng  und  derLand- 
tag  zusammen  festsetzen.  Die  königliche  Regiemn^r  war  unter 
dem  Einflüsse  der  allgemein-europäischen  Strömung,'  wohl  bestrebt, 
dieses  Vorrecht  zu  verkürzen,  aber  die  Stände  boten  für  dessen 
Behauptung  Alles  auf.  Im  Landtage  von  1728 — 9  erfochten  sie 
nach  harten  Kämpfen  die  Anerkennung  des  Frincipes:  «ne  onus 
inhiereat  fundo*.  Diesem  Satze  verlieh  der  8.  Artikel  1741  Ge- 
setzeskraft und  machte  ihn  für  alle  Zeiten  verpflichtend.  Es  w-ar 
dies  sozusa^^H  D  der  Lohn  für  die  machtig  für  Maria  Theresia  ins 
Gewicht  fallende  Insurrection  dieses  Jahres.  Als  der  Adel  dem 
Vaierlande  den  letzten  grossen  militärischen  Dienst  erwies,  wollte 
er  zugleich  seine  Privilegien  für  immer  sichern.  Ein  Jahrhundert 
lang  war  die  Steuerfreiheit  des  Adels  für  Ungarn,  was  einst  das 
Theorikon  im  alten  Athen  gewesen  ist.  Dort  bildete  es  den 
Schlussstein  der  zur  Herrschaft  gelangten  Demokratie,  bei  uns 
den  der  Aristokratie.  —  Nur  ein  Demosthenes  konnte  das  eine, 
nur  ein  Eossuth  das  andere  stürzen. 

Der  Landtag  von  1 715  bewilligte  zuerst  die  ständige  Contri- 
bution  zur  Erhaltung  des  kaiserhch- königlichen  Heeres.  Diese 
Contribution  drückte  ausschliesslich  auf  die  königlichen  Fk  istädte 
und  auf  die  Schultern  der  «miserai  contribuens  plebs».  Im  Jahre 
1724  ward  die  Ertegssteuer  auf  iS.13S,000  fl.  festgesetzt.  Vier 
Jahre  später  kamen  118,652  fl.  dazu  zur  Ablösung  des  Fleisch- 
kreuzers. '   Der  Landtag  von  17:i8 — 9  erhob  die  Summe  auf 

*  Die  m  Ungarn  gamisonireude  Mannschaft  hatte  dae  Reoht,  für 
einen  Kreiuer  von  dem  Qnartiergeber  Fleischkost  zu  fordern.  Da  dies 
ntttttzticfa  m  vielen  Besehwwden  Anlass  gab,  wurde  die  Ablösung  bewilligt. 


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238 


UN0ARN8  BTBCTBB8T8TEM  DI  JAHBB  1780 


!2.5OO,00O  fl.  Unter  der  Begierung  Maria  Thereaia's  veremigten 

sich  die  Stände  zuerst  auf  3.200,(X)0  fl.  (1751),  dann  nach  den 
grossen  Ausgaben  des  siebenjährigen  Krieges  auf  3.900,000  ti. 
(1765),  wobei  aber  die  Kosten  zur  Erhaltung  der  königlich  unga- 
rischen adeligen  Leibgarde  (1^0,000  fl.)  mitgereehnet  waren.  Als 
das  Land  immer  mehr  von  seinen  alten  Territorien  zurückgewaim, 
wurden  auch  diese  reincorporirten  Gebiete  besteuert.  Das  im 
Jahre  17öl  reincorporirte  Nieder-Slavouien  zahlte  89,287  fl.,  die 
im  Jahre  1772  von  der  Krone  Polen  zurückerlangten  13  Zipser 
Städte  nach  :£5  Porten  17»2äO  fl.  50  Denar,  ausserdem  noch  die 
1776  einverleibten  Städte  Lablö,  Podolin  und  Gneada  1377  fl. 
40  Denar  nach  2  Porten.  *  Das  im  Jahre  1780  unter  die  unga- 
rische Fiuanzdirection  kommende  Croatien  und  Ober-Slavouien 
vermehrten  die  Steuer  um  109,707  fl.,  die  im  Jahre  1782  ganz 
vereinigten  drei  Conjitate  des  Banats  mit  runden  372,000  fl.  So 
hätte  die  ganze  Contribution  4.404,079  fl.  46V4  kr.  ausgemacht, 
hätte  man  nicht  im  Jahre  1767  von  Sjrmien  und  1783  Tom 
Krassöer  Comitat  mehrere  Dörfer  zur  Mihtargrenze  geschlagen 
xmd  also  der  Laudessteuer  enthoben,  so  dass  dadurch,  die  Haupt- 
summe auf  4.39i,91 1  fl.  53*/i$  kr.  herabsank. 

Mit  heutigem  Maasse  gemessen  erscheint  diese  Summe  als 
verschwindend  klein.  Auch  damals  betrachteten  sie  die  Staats* 
luaiiurr  m  Wien  als  solche,  und  wenn  sie  iu  Zoll  und  Handel  die 
Interessen  unseres  Vaterlandes  unerbittlich  denen  der  deutschen 
Erbländer  unterordneten,  konnten  sie  ihr  Verfahren  damit  be- 
gründen, dass  die  Last  Ungarns  eine  leichtere  sei  als  die  der 
anderen  Länder.  Auch  Josef  II.  gab  dieser  üeberzeugung  oft  Aus- 
druck ;  sie  war  einer  der  wirksamsten  Motive  seiner  Politik.  Aber 
für  die  belasteten  Classen  selbst  war  sie  keinesfalls  gering  zu 
nennen.  Die  Landtage  von  1751  und  1765  übei-trieben  nicht,  als 
sie  darstellten,  das  Land  könne  keine  grössere  Auflage  ertragen. 

*  Porta  psUtinalis  hiess  in  Ungarn  schon  seit  dem  XIV.  Jahxhnnderte 

die  Steuereinheit.  Früher  bedeutete  das  Wort  einen  ganzen  Hof.  Später 
war  es  die  bestimmte  Stimme  Yom  688  d.  TiO  kr.  Die  Auflohen  der  einzelnen 
Oomitate  und  Städte  werden  immer  nach  Porten  bezeichnet. 


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ÜNOABKS  8TBÜBB8T8TEH  IM  JAHBE  1780.  3^ 

"Nicht  der  Wert  an  und  für  sich  war  so  überwältigend  gross,  son- 
dern der  Umstand,  dass  der  Bauer  seine  Zahlung  in  Baargeld  zu 
leisten  hatte.  Baares  Geld  aber  war  im  Laude  so  selten,  dass  das 
Ck>mitat  Siros  1 783  die  Befürchtung  auBspriehti  es  könne  wieder 
za  einer  Aera  des  Tanschhandels  kommen.  Und  im  selben  Jahre 
geben  mehrere  Gomitate  das  Gntachten  ab,  das  Militär  solle  Fro- 
dncte  an  Zahlungsstatt  annehmen. 

Der  Landtag  setzte  nur  die  Hauptsnmme  der  Contribution 
fest»  weiche  dann  bis  snm  nächsten  Landtag  eingehoben  wurde ; 
dann  bestimmten  besondere  Commissionen,  wie  die  Last  unter 
die  einzelnen  Munieipien  yerteilt  werden  soUe.  Der  alte  Name  der 
«porta  palatinalis»  verblieb  als  ideale  Einheit,  688  fl.  50  Denar. 
Die  neue  Aufteiluujj:  zwischen  den  Comitaten  hiess  «rectificatio 
portarum».  Es  ging  sehr  schwer,  einen  Ausgleich  herbeizuführen, 
jedes  Comitat  war  bestrebt,  seine  Armut  vorsehütsend,  die  Last 
anf  seine  Nachbarn  abzuleiten.  Sohon  ün  Jahre  1737  fahrt  Graf 
Alexander  Efirolyi  Klage,  wie  viel  Mühe  ihm  die  Porten  verur- 
sachen. Besonders  erschwerend  war  der  Mangel  eines  bestimmten 
Stouerobjectes,  so  dass  man  zu  künstlichen  Steuereinheiten,  den 
sogenannten  «Dika»  greifen  mussAe,  nm  die  Last  auf  die  einseinen 
Gomitate,  dann  die  Gemeinden  und  dielmzelnea  nt  verteilen. 
Man  muss  aber  bemerken,  dass  der  SteuerscUnssel  bei  aller 
Künstüchkeit  ein  ziemlich  rationeller  wai-,  und  auch  der  englische 
Reisende  Townson  ihn  als  solchen  anerkennt.  *  Der  Bauer,  seine 
Familie,  allerlei  Vieh,  die  Herbst-  und  die  Frühlingssaat,  das  Heu 
u.  s.  w.  bildeten  alle  solche  Einheiten  oder  deren  Teile. 

Da  aber  der  Geldwert  der  Arbeit  oder  der  Ernte  in  den  ver- 
schiedenen Teilen  des  Reiches  sehr  ungleich  war,  ist  es  natürlich, 
dass  die  Belastung  einer  «Dika»  beinahe  in  jedem  Com itate  eine 
andere  war.  Der  Hauptgesichtspunkt  ist,  die  Leichtigkeit  Geld  zu 
erwerben,  die  Verwertung  der-Producte.  Daher  ist  die  Steuer  jener 
Munioipien  und  Ortschaften  verhaltnissmässig  die  grösste,  die 

*  Towxuon  bereiste  Ungarn  im  Jahre  1793.  Sein  Werk  TraoeU  in 
HvM§ainf  eiBchieii  1797  in  London.  4". 


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S40 


WGABNfl  8TBUBB8Y8TSM  IM  JABB8  1T80. 


nahe  und  sichere  Consumenten  hahen.  In  den  Städten  aber  ent- 
scheidet die  Ausbreitung  und  der  Ertrag  des  Handels  und  der 
Gewerbe.  Hier  gibt  es  auch  eine  ständige  bestimmte  Gnmdia^e : 
die  BaiiBstener.  Alles  in  Allem  zahlten  die  königlichen  Freistadte 
als  Handels-  nnd  Indnstrieorte  548V8  Porten,  also  nnr  etwas 
mehr  als  den  zwölften  Teil  der  ganzen,  r)344^/4  ausmachenden 
Hauptsumme.  Und  dabei  muss  man  noch  in  Betracht  ziehen, 
dasB  für  mehrere  Städte  die  Landwirtschaft,  insbee^mdere  der 
Weinbau,  eine  grossere  Bedentong  besass  als  die  wirklieh  städti- 
schen Gewerbe.  Andererseits  ist  es  auch  wahr,  dass  grosse  indu- 
strielle Ortschaften,  wie  Kecskemet,  Miakolcz,  Yeszprim  u.  s.  w.,. 
das  Stadtrecht  nicht  hatten. 

Groatien  genoss  schon  seit  der  Zeit  Uladislaus  IL,  also  vom 
XV.  Jahrhundert  her,  ein  sehr  bedeutendes  Vorrecht,  das  es  bis 
zum  Jahre  IS47  behauptete:  dass  es  nämlich  zu  der  Contributiou 
verhältnissmassit,^  nur  die  Hälfte  von  dem  beitrug,  was  die  Last 
der  andern  Landesteüe  war.  I^as  Vorrecht  dauerte  also  viel  län«- 
ger  als  der  Grund,  durch  den  etf  erworben  ward :  nämlich  die  fort- 
währende Türkengefahr. 

In  der  Zeit,  in  welcher  die  Ansprüche  des  Staates  friiher 
fühlbar  sind  als  die  Dienste,  die  er  seinen  Bürgern  erweist,  in  der 
Zeit,  da  das  sich  mehrende  Heer,  die  Aemter  und  die  stets  stei* 
genden  Bedürfoisse  des  Hofes  sswar  Bedeckung  fordern,  aber  die 
Lasten  der  Hierarchie  und  des  Lehenswesens  noch  nicht  aufjje- 
büben  haben,  kam  die  Steuer  keinem  Volke  leicht  an.  Schon 
MacohiaTelli  erzählt  über  den  Steuerdruck  in  Frankreich  und  die 
Gorrespondenz  des  grossen  Colbert  ist  roll  mit  Klagen  über  die 
schlechten  Steuerzahler.  Er  verordnet  zwar,  dass  der  Steuer- 
Execiitor  die  nötigsten  Werkzeuge  und  das  Arbeitsvieh  des  Lan<l- 
mannes  nicht  in  Beschlag  nehmen  dürfe,  schreibt  aber  zugleich 
vor,  dass  dies  im  Geheimen  bleiben  müsse,  da  sonst  die  Leute 
zum  Zahlen  nicht  zu  bewegen  wären.  Auch  dies  ist  einer  jener 
Züge,  die  mit  einem  gewissen  Entwicklungsgrade  der  Volkswirt- 
schaft verknüpft  sind  und  nicht  als  lür  L'ngarn  charakteristisch 
angesehen  werden  können.  Auch  in  Ungarn  ist  die  Klage  der 


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UNGARNS  8TBÜBR8TBTBM  IM  JABRB  1780. 


S41 


Begiernng  über  die  Restantien  oine  so  alte,  wie  die  des  Volkes 
über  den  Steuerdruck.  Und  dann  war  bei  uns  dem  Steueruicht- 
sftblen  eine  ge^dase  nationale  Färbung  eigen :  die  Steuer  diente 
dasn,  ein  fremdes,  knechtendes  Eriegsyolk  zu  anterhalten,  sie  diente 
zur  Erhöhung  der  Praeht  in  einer  fremden,  nieht  nngarisehen 
Hauptstadt.  In  den  Jaliren,  da  iidelif^^e  Dichter  das  Loob  des 
Landmaunes,  des  Natnrsolmes  verherrlichen,  klagt  der  Bauer, 
dass  Kraut,  Schlehen,  Holzbirnen  seine  Speise  sind,  daas  er  vor 
Schulden  keinen  Wein  trinken  könne.  Die  Gontiibation  (Porosiö) 
und  der  Vorspann  (forspont),  den  er  mit  seinem  Vieh  dem  Militär 
schuldete,  wurden  zu  lebenden  Personen  in  der  unf^arischf  n  Volks- 
dichtung als  «Forspont  Peter»»  und  «PorczioPäl».  Die  Möglichkeit 
eines  Bauernaufstandes  bricht  immer  hervor:  das  Blatt  kann  sieh 
noch  wenden.  Wie  Volkslieder  klagen,  hat  der  Bauer  nicht  einmal 
die  Seele  frei,  alles  ist  er  schuldig.  lEr  erwartet  einen  Tag  nach 
dem  andern  mit  Zagen,  denn  jeder  Ta^  bringt  dem  Unschuldigen 
neues  Unglück ;  die  Execution  ist  über  ihm  wie  der  Tartar.  Oft  ist 
das  ganze  Dorf  nur  mit  einem  Groschen  im  Bückstand,  der  Bichter 
wird  mit  dem  Stock  und  dem  Eisen  bedroht,  man  fuhrt  sie  in 
Wagenladungen  ins  Geföngniss  und  doch  können  sie  nicht  zahlen, 
und  wenn  du  sie  umbrinsi^t.  »  Der  Gnmd  davon  ist,  dass  «Viele 
das  Geld  nicht  einniul  der  Form  nach  kennen».  Und  nicht  von 
einem  oder  zwei  Fällen  singt  das  Lied :  «Kaum  gibt  es  einen  Ort 
oder  ein  Dorf  im  ganzen  Vaterland,  wo  dies  nicht  gang  und  gäbe 
ware.t 

Wir  können  aber  schon  hier  bemerken,  dass  im  Allgemeinen, 
einzelne  Missjahre  und  die  unfruchtbarsten  Gegenden  ahgerechnet> 
die  Execution  und  die  grossen  Restanzen  in  einem  grossen  Teile 
des  Landes  gar  nicht  vorkamen.  Um  das  Jahr  1780  htten  fast  nur 
die  nordwestlichen  Comitate  unter  ihnen.  In  den  anderen  war  die 
Last  nie  so  drückend.  Einzelne  Territorien  mussten  stets  unter 
detn  Wechsel  (h  s  Verkehres  und  der  Handelsverhaltui.sse  leiden. 
Man  konnte  n;imlich  nur  schwer  die  Auflagen  verändern.  Die 
Satze  des  Landtages  von  1765  blieben  im  Grossen  und  Ganzen 
bis  ans  Ende  der  Begierung  Josefs  IL  in  Giltigkeit,  und  wenn  • 

OafuiadM  Bm«»  1882,  m.  Htft.  ig 


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UNGABMB  BTBUBBBTBTBM  IM  4AHBB  17M. 


auch  die  Last  einzelner  Ortschaften  erleichtert  wurde,  blieb  doch 
auf  dem  Comitat  die  ganze  Steuer  haften.  Die  wirtschaftlichen 
Verhältnisse  aber,  die  zur  Basis  des  Steuersystems  dienten,  waren 
mit  niohten  unwandelbar. 

Wenn  wir  die  Verteilting  der  Porten  yon  1724^1780  im  All- 
gemeinen l)etrachten,  erscheinen  uns  die  Hauptgegenden  Ungarns 
in  folgenden  Umrissen.  Verbältnissmässig  sehr  viel  Porten  haben 
die  Oesterreich  benachbarten  Gomitate:  Pressburg  (Possonj), 
Nyitra,  Oedenbnrg  (Sopron),  Wieselbuig  (Mosonj)  und  Eisenburg 
(Vas).  Nicht  nur  weil  sie  bis  heute  den  am  besten  berdlkerten 
Teil  des  Reiches  bilden,  und  es  damals  noch  weit  mehr  waren, 
auch  nicht  nur  ihrer  Fruchtbarkeit  halber.  Es  war  von  Gewicht, 
wie  leicht  man  von  dort  Getreide,  Vieh,  Wein  und  Heu  nach 
Oesterreich  ausführen  konnte  und  wie  gross  der  Vorteil  war  den 
anderen  Comitaten  gegenüber,  wo  man,  wie  s.  B.  in  Somogy,  die 
Schweine  mit  Weizen  futterte,  da  man  ihn  doch  nicht  wegführen 
konnte.  In  jenem  Gebiete  lag  Pressburg,  der  Hauptsitz  der  Landt  s- 
amter  und  Wohnort  vieler  Magnaten,  Tymau  mit  der  Laudes- 
Universitat,  die  weinberühmten  Städte  Oedenburg,  Bust  und  Set. 
Georgen  und  viele  kleinere  gewerbetreibende  Flecken.  Die  Um- 
gegend vonMiava  im  Nyitraer  Comitat  braucht  den  Vergleich  mit 
den  Manufacturbezirken  des  Continents  nicht  zu  scheuen.  Die  im 
Lande  verbrauchten  gewöhnlichen  Stoffe  wurden  da  verarbeitet. 

Mit  der  heutigen  Lage  verglichen  erscheint  die  Last  noch 
grösser  in  den  Comitaten  Trencsen,  Liptau,  Turöcz  und  Arva,  im 
unwirtlichen  gebirgigen  Norden.  Aber  das  Volk  ist  fleissig,  seine 
Arbeit  findet  Absatz ;  auch  Herren  tragen  in  ruebo  (im  Trencsener 
Comitat)  gewebte  Kleider.  Die  Urwalder,  die  Arzneikrauter,  Lein- 
und  Flachsbau  tragen  alle  daau  bei,  Gelderwerb  mögUch,  Arbeit 
nutsbar  su  machen.  Noch  viel  später  ist  in  dieser  Gegend  bei  den 
Bauern  das  meiste  Gold  und  Silber  im  Umlaufe.  Einer  Angabe 
nach  gingen  im  Jahre  ITSO  nur  au  3oOü  slovakische  Oelhäudler 
in  aller  Herren  Länder  hausiren. 

In  den  Landschaften  um  das  Erzgebirge  tragen  die  Bergwerke 
und  die  sahhreiche  Beamtenschaft  zur  Nahrung  bei.  Schenmiti 


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VNGAm»  8TBÜXRBT8TB1I  IM  JAHRS  IfSO 


t«3 


\%-ird  uooli  im  Jahre  1 787  von  dem  königlichen  Commissar  Baron 
Ladislaus  Pronay  als  sehr  blühend  bezeichnet.  Den  Ertrag  der 
GruboD  scbätste  man  von  1 740 — 1/73  aaf  70  Millionen,  also  betrug 
der  DorcbBchniitsertrag  beinahe  Ifillionen  Gulden  jahrlich. 
Nensohl  ist  zwar  arm,  bat  aber  dennoch  eine  entwickelte  Indnetrie, 
man  verfertigt  dort  ausgezeichnete  Klingen  und  die  Zahl  der 
Färber  ist  sehr  Ln^vss.  Und  da  nun  die  Bergstiidte  einen  nahen 
tind  Stehern  Markt  darbieten,  ist  aacb  die  Contribution  der  Comi* 
täte  Zölyom,  Hont  und  Bars  eine  hohe. 

Die  Zips  und  das  Gomitat  Siros  sind  auch  stark  besteuert. 
Hier  steht  die  Tjeinwaudspinnerei  in  der  Blute.  Die  Städte  Kes- 
märk  und  Eperjes  haben  den  grössten  Teil  an  dem  gewinnbrin- 
genden Weinhandel  nach  Polen.  Einzelne  Familien  schwingen 
eich  ZQ  ungeheurem  Beichtume  auf.  Das  ganze  Gomitat  Siros  ist 
mit  herrschaftlichen  Schlössern  imd  Lustgärten  besäet.  Mit  einem 
Worte  :  teils  durch  die  Naturgaben,  teils  weil  du-  Industrie  die 
Wirkung  auswärtiger  Concurrenz  noch  nicht  empfindet,  nehmen 
diese  Gegenden  im  öconomischen  Systeme  Ungarns  eine  sehr  her- 
vorragende aotive  Stelle  ein. 

Unbedeutender  ist  die  Berggegend  von  Marmaros  und  Szat- 
mar,  aber  auch  sie  übt  ihre  Wirkung.  Auch  dort  ist  die  Zahl  der 
Porten  eine  hohe. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Hauptgeldquelle  des  Landes  damals 
in  der  kleinen  Ebene  *  und  in  den  Bergen  und  Tälern  der  Land- 
schaften, welche  seine  Nordgrenze  bilden.  Die  hier  liegenden 
Comitate  und  Städte  sind  nicht  nur  als  Producenten,  sondern 
auch  als  Abnehmer  von  grosser  Wichtigkeit.  Die  Steuerbezirke 
von  Pressburg,  Neusohl  und  Kaschau  mit  dem  zu  dieser  Gegend 
gehörenden  Teil  des  Steuerbezirkes  von  Oedenburg  zahlen  gerade 
die  Hälfte  der  ganzen  Landessteuer. 

Interessant  ist  es,  dem  die  Steuerverhältnisse  der  grossen 
Ebene  und  des  siidlichen  Teiles  des  jenseits  der  Donau  gelefjjeneu 
iüreises  entgegenzustellen.  Jetzt  liegt  der  wirtschaftliche  Schwer- 

*  Von  Ptwabnrg  bis  Komom. 

16* 


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844 


UNGARNS  STEUEBBTSTBM  IM  JAHBB  ntO. 


punkt  Ungarns  in  dieser  Gegend,  damals  aber  war  sie  unbewohnt^ 
grossenteils  Ton  Wäldern  oder  Sümpfen  starrend.  Der  Haupt- 
Erwerbszweig,  die  Viebzaehti  konnte  natargemäss  nur  sehr  wenig 
Bewobner  ernähren.  Die  grossen  Grundbesitzer  anf  ihren  Prädien 

(Puszten)  })etreibeii  ibn  viel  mehr  als  die  Bauern.  Aber  die  Be- 
Kiedelung  schreitet  vor,  die  Verkehrswege  werden  gangbarer.  Kacb 
1 740  hört  die  Alles  lähmende  Türkenforoht  anf.  Eine  rasche»  an 
Amerika  erinnernde  Entwickelnng  maeht  sich  bemerkbar. 

Die  Steuer  des  Comitates  Pest  macht  im  Jahre  1 723  noch 
nicht  das  Drittel  der  vom  Comitat  Pressburg  bezahlten  Öuuime 
aus,  im  Jahre  1780  ist  es  schon  mehr  als  die  Hälfte,  im  Jahre 
1847  hat  das  leitende  Munidpium  der  grossen  Ebene  das  des 
kleineren  Donaubeckens  auch  an  Steuer  sehon  überflügelt.  Das 
Comitat  Neutra  zahlt  im  Jahre  173'.^  sechsmal  mehr  als  Bäcs- 
Bodrog,  im  Jahre  1780  nicht  einmal  mehr  dreimal  so  viel,  und 
1847  hat  schon  Bäcs-JBodrog  um  66  mehr  Porten.  Liptau  zahlt 
im  Jahre  1724  doppelt  so  viel  Steuer  als  das  sehon  stark  gestei- 
gerte Comitat  Tolna.  Im  Jahre  1780  zahlt  sehon  letzteres  mehr, 
und  im  Jahre  1847  schon  viermal  so  viel  als  ersteres.  Und  so 
kann  man  die  Vergleichung  weiter  führen. 

Das  Landvolk  zahlt  ausser  der  Kriegsstener  auch  noch  die 
Domesticalsteuer,  trotzdem  alte,  aber  nicht  befolgte  Gesetze  auch 
dt  n  Adel  zum  Mittragen  dieser  Last  verhielten.  T)ie  Doiiiestical- 
bteuer  diente  zur  Erhaltung  der  Comitats-Selbstverwaltung  und 
zur  Deckung  der  Municipalausgaben«  und  betrug  gewöhnlich  ein 
Fünftel  oder  ein  Viertel  der  Kriegsstener.  Grosse  Gomitate  trugen 
sie  leichter  als  kleine  und  arme,  denn  der  Beamtenstand  war  ja 
in  allen  boiu;iijt'  gleich  an  Zahl  und  gleich  besoldet.  Im  Conutate 
Oedenburji  zahlte  jede  Dika  (es  gab  zusammen  127,371  und  ^,  6 
solcher  Steuereinheiten  im  Gomitate)  1  fl.  63  kr.  Kriegssteuer  und 
37  kr.  in  die  Domestical-Gasse. 

Die  Fruchtbarkeit  des  Jahres,  oder  der  Misswache,  die  Eröff- 
nung neuer  Wege,  oder  die  Sperruug  der  zu  den  cousumirenden 
Gegenden  führenden, Elementarunfälle  u.  s.w.  waren  auch  damals 
von  Einfluss  darauf,  ob  einzelne  Landschaften  ihren  Pflichten 


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UNOARNS  STBüERSYälEM  IM  JAURE  1780.  W 

nachkommen  konnten  oder  nicht.  Wie  wir  schon  hervorgehoben, 
waren  die  Steaerrüekstände  im  AUgemeinen  unbedeutend.  In  dem 
Militaijahre  1778—1779  bUeb  man  zwar  mit  132,619  fl.  im  Buck- 
stande,  man  konnte  aber  anderwärts  939,483  fl.  noch  äber  die 

Aufla;:;!'  einhebeu.  so  (la<s  noch  ein  Ueberschnss  von  1(M'),8(>4  fl. 
verblieb.  *  Doch  nimmt  die  Summe  der  Rückstände  in  den  näch- 
tten  Jahren  immer  au,  beträgt  am  Ende  des  Jahres  1784  schon 
eine  halbe  Million  und  sinkt  erst  1787  wieder  herab. 

Darin,  welche  Comitate  ihre  Steuer  regel massig  abliefern 
und  weicht  nicht,  gibt  sich  eine  gewisse  Beständigkeit  kund.  Die 
Comitate  Pressburg,  Nyitra  und  Trencsen  hh  il»t'U  stets  im  Kück- 
stande  und  mehr  oder  minder  alle  Comitate  der  Steuerhezirke 
Fressburg,  Eaechau  und  Neusobl.  Die  Städte  aber  sind  auch  dort 
bessere  Zahler  als  die  Comitate.  Von  der  Ende  178!2  im  Gkmzen 
47:2,H34  fl.  ausmachendtn  Rvickstandssuiimie  falh^u  auf  diese  drei 
Bezirke  3Ur>,(K)0  Ii.  also  S4  ^.  o.  Die  Bezirke  von  Üedenburg,  Fünf- 
kirchen, Ofen,  Debreczin  und  Syrmien,  die  eben  so  viel  Steuer 
bezahlen,  haben  nur  60,000  fl.  Bestanzen.  Von  den  neuincorpo- 
rirten  Landesteilen  haben  die  drei  Comitate  desBanats  auch  mcht 
einen  Kreuzer  Rückstand,  auch  die  syrmischen  Comitate  sehr 
wenig.  Croatien  dagegen  gehörte  immer  zu  den  schlechten  Steuer- 
zahlern. Die  restirenden  Comitate  mussten  dann  die  Executionen 
erleiden,  deren  Zahl  im  steten  Zunehmen  begrififen  war  und  über 
700  jährlich  betrug. 

Wir  sehen  also,  dass  jene  Comitate  die  meisten  Bückstande 
luihen,  deren  wirtschaftliche  Bedeutung  seitdem  stillstand  oder 
geradezu  sank.  Auf  dem  Alföld  und  in  den  Comitaten  der  Phitten- 
seegegend  kommen  Bückstände  oder  Executionen  nicht  einmal 
Tereinaelt  vor.  Im  Steuerbezirke  Ofen,  der  ausser  dem  Comi- 
tate Pest  noch  die  Comitate  Kögräd,  Gran,  Stuhlweissenburg, 
Csongrad,  Csanad,  Bekes,  Arad,  die  Gehiete  der  Jazygen  und 
Kumanier  und  die  in  deren  Grenzen  eingeschlossenen  Städte  in 

*  Düa  Militiirjahr  begauu  mit  deiu  1.  Nuveiuber  und  wahrte  bis  zum 
31.  Ootober  des  Büchtten  Jahres. 


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M6  CNOARNS  8TEUEB6T8TEM  IM  JAHBB  lf8«. 

sich  begriff,  betrug  der  Rückstand  nur  8475  fl,,  wovon  GUOO  auf 
N6gräd,  1574  auf  Gran  entfielen.  *  Zala,  Somogy,  Tolna,  Baranya, 
Oedenburg  srnd  ganz  rein,  und  aueh  die  Gomitate  Eisenburg  und 
Veszprem  sind  nur  10,489  fl.  Schuldig  geblieben.  Daf?egen  hat 
Gömör  51,000  ti.,  Presbburg  49,900,  Nyitra  43,000,  Wieselburg 
46,000  il.  Bücksttinde. 

Nicht  nur  die  Naturverhältmese  gestatteten  das  rasche  Ge- 
deihen der  neubesiedelten  Landesteile,  aueh  bei  der  Einhebung 
der  Steuer  ward  ihnen  {grosse  Erleichterung  gewahrt.  An  den  Süd- 
grenzen des  Landes  ^lagert  noch  immer  zahlreiches  Kriegs volk, 
besonders  Cavallerie,  und  die  von  ihm  besetzten  Gomitate  können 
also  zum  grossen  Teil  ihre  Steuer  in  Naturalien  einliefern,  die 
den  Bedürfnissen  des  Heeres  dienen.  Die  gelieferten  Nahrnngs-- 
mittel  und  das  Futter  wurden  nämlich  nach  dem  noch  giltigen 
Militar-Kegulament  vom  Jahre  1757  in  die  Steuer  eingerechnet. 
Es  ist  gewiss,  dass  das  Regulament  für  Getreide,  Hafer  und  Heu 
einen  sehr  geringen  Preis  ansetzte.  Selbst  Ausländer  mussten 
über  die  Geduld  der  Ungarn  staunen,  die  ein  so  zahlreiches  frem- 
des Heer  unterhielten.**  Wo  es  aber  keinen  anderen  Verkehr  gab, 
war  das  Militär  der  einzige  Gonsument.  Viele  Gomitate  baten 
sogar,  man  möge  Militär,  besonders  Reiterei,  in  ihr  Gebiet  senden. 
Die  Entrichtung  der  Steuer  in  Producten  war  noch  ein  Erbe  der 
alten  Naturalienwirtsclmft  uiiti  war  mIso  in  den  am  wenigsten  ent- 
wickelten Territorien  am  meisten  im  Schwange.  Die  Gomitate 
Nieder-Slavoniens  entrichteten  von  120,000  fl.  Steuer  nur  20,000 
in  Baargeld;  das  Gomitat  Somogy  von  70,261  blos  15,660  fl.  In 
den  Berg-  und  Industriebezirken  dagegen  macht  die  Natural- 
iieferung  kaum  1 — 2  <*/o  des  ganzen  Quantums  aus.  Dort  wiire  es 
auch  gar  nicht  rationell  gewesen,  zahlreichere  Mannschaft  zu 
gamisoniren,  da  die  Lebensmittelpreise  viel  höher  waren,  auch 
erforderten  es  die  politischen  Verhältnisse  nicht. 

^  Diese  Comttate  geliören  ihrer  Bodeubeschafleuheit  und  Bevölkeniiig 
nadi  zum  Teil  nodi  sum  nordwestliidieii  Gebiete. 

**  Gespräche  im  Reiche  der  Todten  swisdhen  Ihren  M^jeetäten  Franz  L 
und  Maria  Theresia.  Wien,  1781,  Seite  8S. 


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UNOABKS  BTSUEB8YSTEM  III  JAHRE  1780. 


247 


Auch  jene  Einriohtiiiig  hatte  das  Wohl  der  prodaeirenden 
Glaase  im  Auge,  welche  vorsehrieb,  man  solle  drei  Viertel  der 

Jahressteuer  schon  im  Wintt rhuUtjiihr  (Mnheben.  Der  Leibeigene 
kam  durch  Ernte  und  Yieh  damals  zu  Oelde. 

Das  alte  Steuersystem  hatte  jedenfaUe  das  Verdienst:  die 
Bevöllcening  und  das  Gedeihen  des  Alföld  durch  übertriebene 
Lasten  nicht  sn  hemmen.  Auch  der  Österreichische  Zoll  druckte 
mehr  auf  den  Wein  als  auf  Getreide  und  Schliiclitvit  h,  Die  Strasse 
von  Karlstadt  nach  Fiume  wird  eröffnet.  Die  Schiffbarmachung 
der  Save,  dieser  Verkehrsstrasse  ersten  Banges,  beschäftigte  die 
Regierung  seit  ]7Ho  ununterbrochen.  In  Folge  des  nordamerikani- 
schen Freiheitekampfes  kam  ein  neues  Product  der  Ebene,  der 
Tabak,  auf  dem  Weltmarkte  zu  voller  Geltung.  Unter  Maria 
Theresia  und  noch  mehr  unter  Josef  II.  selbst  kamen  die  fleissigen 
Colonisten  zu  Tausenden  und  'wurden  mit  allen  möglichen  Vor- 
teilen bedacht.  Kurz :  wenn  Ungarn  auch  noch  nicht  alle  Spuren 
der  zweihundert  Jahre  dauernden  Verwüstung  verwischt  hatte, 
wirkten  doch  schon  damals  alle  Elemente  des  späteren  Aufblühens 
zusammen. 

Aber  zugleich  zeigen  pich  die  ersten  Symptome  des  Verfalles 
der  nordwestlichen  Gegenden. 

Zum  Teile  wirkte  dabei  auch  die  Begierung  mit.  Von  einem 
anderen  Gesichtspunkte  aus  ist  die  Institution  Josefs  II.,  dass  er 
alle  Hauptämter  des  Landes  in  Budapest  vereinigte,  Epoche 
machend.  Hier  kömmt  sie  nur  so  weit  in  Betracht,  als  sie  auf  die 
Contribution  zurückwirkte.  In  Folge  der  Umsiedelung  der  Aemter 
ward  die  Contribution  der  um  Pressburg  liegenden  Comitate  und 
Städte  um  ASVt  Porten  erleichtert,  die  der  um  Ofen  liegenden  um 
ebensoviel  erhöht. 

Aber  die  Ursachen  des  Verfalles  wurzelten  tieler.  Als  Josef 
1785  das  Königreich  in  zehn  Kreise  zerteilte,  gab  er  Josef  Ürmenyi, 
einem  der  hervorragendsten  Staatsmänner  jener  Zeit»  dem  Gom- 
missär  des  Nyitraer  Kreises  den  Auftrag,  die  Ursachen  der  Ver- 
armung diöses  Landesteiles  zu  ergründen.  Ürmenyi  kaiu  dii'sem 
Auftrage  in  einem  gründlichen  und  schön  ausgearbeiteten  Vor- 


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348 


UNOARMS  8TBUER8T8TEM  IM  JABBB  1780. 


trage  nach.  Später,  in  seinem  Berichte  vom  Jahre  1787  kömmt 
er  wieder  auf  diese  Frage  zurück. 

Er  bezeichnet  iils  Gründe  des  Verfalles: 

1.  Die  ungarische  Weinausfubr  nach  Schlesien  hat  aufge- 
hört. Im  Gegenteil»  man  führt  sogar  nach  Pressbmrg  und  Oeden- 
borg  wohlfeile  Weine  ans  Oesterreich  ein. 

2.  Früher  hat  das  Gomitat  Nyitra  die  gebirgigen  Bezirke  mit 
Getreide  \  ersehen.  Seit  der  üccupation  Gahzienö  beziehen  sie  von 
dort  ihr  Brod. 

3.  Die  zahlreiche  Judenschaft  richtet  in  den  Wirtshänsem 
das  Volk  durch  Trunk  zu  Grunde. 

4.  Das  Gomitat  Trenesen  ist  sehr  verschuldet.  Die  einzelnen 

Gemeinden  haben  zusammen  iiber  70,()00  Ii.  Schulden. 

5.  Bei  der  Lebensweise  des  Volkes,  der  gemäss  es  nur  im 
Sommer  Geld  erwirbt,  ist  die  Einhebung  von  */4  Teilen  der  Steuer 
im  Winter  hier  von  Nachteil  und  leistet  dem  Wucher  Vorschub. 

Ans  anderen  Quellen  erfahren  wir,  dass  auch  die  Bergstädte 
an  grossen  Gebrechen  kranken.  Der  Segen  des  Bergbaues  fängt 
an  al)zunelimeu.  r)ie  Elementarschluge,  unter  deren  Wirkung 
besonders  Kremnitz  leidet.  Feuer  und  Ueberschwemmung^  sind 
sehr  häufig  und  verwüstend.  Die  Stadt  Karpfen  lebt  zumeist  nur 
mehr  vom  Wein-  und  Obstbau. 

Seit  Polen  zerstückelt  ist  und  Preussen  sich  mit  schweren 
Zöllen  abgeschlossen  hat,  liort  die  grosse  Ausfuhr  ol)erungari8cher 
Weine  (Hegyalja)  nach  Nord-Europa  auf.  Nicht  nur  das  produci- 
rende  Gomitat  Zemplen  muss  dies  empfinden,  auch  die  vermit- 
telnden Handelsplatze  Eperies,  Bartfeld,  Eäsmark  und  Leutsehau. 

Das  Leinwandgewerbe  in  der  Zips  und  in  Säros  besteht  zwar 
uocli,  hat  aber  aufgehört  eintraglich  zu  sein.  Fremde,  besonders 
griechische  und  raizische  Handelsleute,  kaufen  die  bittere  Arbeit 
der  armen  Leute  zu  Spottpreisen  zusammen  und  bereichem  sich 
damit  ausserordentlich. 

Es  gibt  aber  einen  noch  wichtigeren,  allgemeineren  Grund 
dieses  Xieder.Lranges.  in  dessen  Besprechung'  sich  \ved<er  Urmeuyi 
noch  die  anderen  Staatsmänner  und  Schriftsteller  einlassen. 


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UNGARNS  8TBUEB8Y8TBM  IM  JAHBB  1780.  ^ 

In  der  ersten  Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts  waren  diese 
industriellen  Landschaften  wie  an  Sprache  ßo  auch,  was  die  Er- 
werbsverhältuisse  anbelangt,  nur  wenig  von  dem  benachbarten 
Mahren  und  Böhmen  versohieden.  Noch  Maria  Theresia  läset 
anfangs  beiden  gleiche  Gnnst  zn  Teil  werden.  Ihr  Gemal,  Kaiser 
Franz  I.,  gründet  in  Hohes  (Nvitra)  eine  blühende  Poreellan-  und 
Majüiiku-Fabrik.  In  Presslaii  j^.  Sassiu  (Schossberg),  Ungarisch - 
Altenburg  und  Neusohl  erheben  sich,  prossenteils  mit  der  Unter- 
stützung einzelner  Mitglieder  des  Herrscherhauses,  grosse  Webereien 
und  Lederfabriken.  Die  im' Jahre  1766  in  Gseklesz  gegründete 
Ksttnnfabrik  begann  ihre  Tätigkeit  mit  einem  Capital  von 
iKt.oCH)  H.  Y.a  waren  hier  alU-  XOrbedingungen  einer  nicht  nur  be- 
j^innenden,  sondern  auch  einer  nach  den  Ideen  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts sich  entwickelnden  Industrie  vorhanden.  Die  Dampf- 
maschine hatte  das  Werk  der  Centralisation  und  der  Nivellirong 
noch  nicht  vollbracht.  / 

Schon  in  den  letzten  Jahren  der  grossen  Königin  ist  es 
augenscheinlich,  dass  sie  die  Industrie  der  österreichischen  Erb- 
länder mehr  begünstigt,  besonders  seit  dem  Landtage  von  1765, 
da  sie  einsehen  musste,  dass  der  Adel  sieh  keine  Steuer  anf  bürden 
wül.  Unter  Josef  II.  tritt  schon  ein  vollständiger  Umschwung  ein. 
Er  .si)richt  es  klar  und  uuverhuh-n  aus.  dass,  so  lauge  in  der  Con- 
tribution  keine  griindiiclh-  Keform  zu  IStaude  komme,  das  heisst, 
BD  hinge  der  Adel  steuerfrei  ist,  man  an  die  Begünstigung  der 
ungarischen  Industrie,  insbesondere  wo  von  Ooncurrenz  mit  den 
Erbländem  die  Bede  sein  kann,  auch  nicht  denken  dürfe.  Grerade 
seine  Einrichtungen,  als  er  durch  Schutzzölle  die  österreichische 
Industrie  in  den  Stand  setzte,  sell>st  gegen  die  englische  und  fran- 
zösische zu  bestehen,  stärkten  die  österreichischen  Manufacturen 
in  emem  solchen  Maasse,  dass  die  ungarischen  ihnen  nicht  mehr 
gewachsen  waren.  Der  Verkehr  hob  sich.  Immer  grösser  ward  die 
Zahl  derer,  die  in  fremden,  feinen  StotlVn  einliergingen  und  die 
inlimdischen  Manufacte  verschmähten.  Der  ganze  Adel  Ungarns 
und  Siebenbürgens  und  die  wohlhabenderen  Bürger  kauften  ihre 
Kleider  in  Wien.  Die  gewerbdeissige  Bevölkerung  der  Comitate 


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SSO 


UN0ABN8  8TSCBB8YBTBH  IM  JAHRE  iT»i. 


Pressburj?,  Nyitra  tind  Trencsen  sah  ihren  Markt  von  Tag  zu  Taj^ 
Kchwinden.  Von  Wichtigkeit  war  auch,  dass  in  der  grossen  Ebene, 
wo  sie  bis  dahin  einen  sichern  Absatz  fand,  seit  der  Zeit  Josefs  IL 
immer  mehr  fremde  Handwerker  sich  niederlasseD,  so  dass  aoch 
das  Volk  in  der  Lage  ist,  sich  an  Ort  nnd  Stelle  mit  dem  Notwen- 
wendigen  zu  versehen.  Die  Herren  aber  geben  ohnedies  in  aus- 
ländischen Stoffen. 

Alle  diese  Gründe  wirkten  zusammen,  und  das  unfruchtbare 
Land  konnte  seine  sich  rasch  vermehrende  Bevölkerung  nicht 
ernähren.  Die  Auswanderung  nach  'den  südlichen  fruchtbareren 
Gegenden  nimmt  grosse  Dimensionen  an.  Die  von  1787  bis  1847 
stattfindenden  Volkszählungen  zeigen  demgemiiss  ein  Sinken  oder 
ein  Stehen  der  Bevölkerung  sowie  der  Porten.  Die  der  Ebene  und 
im  Allgemeinen  die  der  Tormals  türkischen  Gebiete  heben  sich,  oft 
in  ungewöhnlich  starkem  Maasse.  Besonders  ins  Auge  fallend  ist 
die  VerÄndemng,  wenn  man  die  Städte  beider  Territorien  betrach- 
tet. Zur  Vergleicliung  setzen  wir  die  Volkszahl  und  die  Zahl  der 
Porten  in  den  Jahren  1787  und  1847  her. 

Öroise  Ebene  und  Hügelland. 


BOTflUiirong   Pottm 


ComUat 

I7R7 

lBi7 

1723 

1780 

1847 

Jozygieu  uud  KuinaDien 

195,233 

67»'- 

83 

125 

Heves  .   

180.856 

296,8  Iß 

95^  3 

123'/a 

14v8 

CHniiin"ü'^  .   

GP.IS«! 

137,883 

58»/4 

107 

S/.al»olcB   

108,6i5 

9iiV2 

73»/4 

70 

Haiduken-Stäilte  

28,470 

66,521 

35V4 

87»/* 

31«/« 

Soniogy    

165,939 

j31,359 

90 

109 

193 

^ToljUk  *••        M*  •••  ■•• 

133,734 

197,381 

97«/« 

68 

198 

FehAr  „.  ...  ...  ...  ~  ...  ... 

110,317 

184,393 

56 

87 

III 

Cisnid      ...  ».  

95,793 

75,379 

i5 

91 

39 

B^IL^S          ...                 ...      ...     M.     mmm  ... 

71,638 

155,056 

20 

39 

84 

A    \.       ^    ^                            M*               •»«     9mm  »mm 

319,794 

oOo.OOO 

137»/« 

249 

363 

B4cs-Bodrog...   

228.20S 

4i»;;.is6 

66 

159 

386 

Summe  ...  

"^1.5^7,069 

^844,i>i9 

741V4 

J096»/4 

1714Sa 

UNGARNS  STEUEBSYSTLM  IM  JAHRE  1760. 


251 


Nordwestliches  Bergland  und  die  kleine  Ebene, 


BcTiMkernne 

Porton 

Comitat 

1787 

1847 

1723 

1780 

1847 

AfVft  M«    mm  »•« 

74,515 

84^156 

71Vt 

63 

54 

Zölyom              —  ... 

69,693 

88,130 

106*/4 

103Vs 

73 

IVbdcbIh  ^   M. 

.  393,310 

380,334 

334V« 

903 

133 

Ijpt6  —    ... 

67,923 

76,548 

64^/4 

51 

34 

TnnSez 

37,606 

44^810 

46Vi 

46 

34 

m^jM'W^wBvmm  4M 

394,685 

364^351 

3l.0';t 

3l3*/4 

399 

^iir*oft,««             *»•  **i 

197,818 

1«.6V« 

llfi 

89 

i^^^^    ■■•  •*» 

107,fJ71 

1 30,218 

160V  4 

14.9'  4 

98 

Hont  

I2o,o7ß 

110,218 

1 75-/2 

173 

Pozeony  (Pressburg  

231,21« 

295,048 

44-1  ^  4 

392^  4 

209V» 

Mosony  iWieselbiirfji... 

53,6Ü<> 

(»1,862 

153V  4 

162 

120 

8oproin(  »edenburg)  ... 

159.98K 

2 10.0 10 

.387-' « 

31.9'  a 

225 

Suniint^  

~  i.r,89.<>f;3 

1.912.920 

23i9 

2 I 22' 4 

113  t~i 

Die  Bevölkerung  der  hier  angeführten  zwölf  Comitute  lieider 
Gegenden  war  im  Jahre  1 787  gleich,  ja  die  der  nordweBtlichen 
war  noch  nm  etwas  höher.  Im  Jahre  1847  sind  schon  die  süd- 
Heben  den  nördlichen  um  90(),(X)0  voran«.  Die  Bevölkerung  der 
Comitate  im  Alfold  und  jenseits  der  Donau  hat  sicli  wahrend  » 
dieser  6()  Jahre  beinahe  verdoppelt,  die  des  Berglandes  und  der 
kleinen  Ebene  aber  sieh  kaum  nm  ein  Viertel  erhöht.  Und  selbst 
▼on  dieser  Vermehmng  von  353,000 Seelen  fallen  anf  die  Comitate 
Pressburg,  Nyitra  und  Oedenburg,  also  die  flachere  Gegend,  185,000, 
also  mehr  als  die  Hälfte. 

Diese  Yergleichnng  weist  anch  in  einer  anderen  Beziehung : 
m  Hinsieht  anf  die  Nationalitäten,  ein  sehr  wichtiges  Ergebniss 
auf.  Die  von  uns  in  den  südliehen  Landesteilen  oben  Angefahrten 
Comitate  sind  am  reinsten  ungariscli.  Die  im  Nordwesten  dagegen 
sind,  gerade  mit  Ausnahme  von  Oedenburg,  Pressburg  und  Xvitra, 
beinahe  rein  von  Blaven  und  Deutschen  bewohnt.  So  haben  die 
natörlichen  und  wirtschafÜichen  Verhältnisse  selbst  die  Hegemonie 
des  ungarischen  Elementes  vorbereitet. 

In  un.seren  Tagen,  da  die  Politik  bei  der  Beurteilung  aller 
Fragen  den  Ausschlag  gibt,  kann  die  Frage  auftauchen,  ob  die 
Belastung  der  eine  fremde  Sprache  sprechenden  Bevölkerungen 
nicht  eine  bewnsste  und  berechnete  war,  zu  Gunsten  der  rein 


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252 


UN0ARM8  STEUERBYSTEM  IM  JABBE  1780 


ungarischen  Gegenden.  Diese  zu  erwartende  Frage  wollen  wir 

beantworten. 

Wir  dürfen  getrost  behaupten,  dass  Ungarn  im  XVIII.  Jahr- 
hundert die  Nationalitätenfrage,  im  heutigen  Sinne  genommen 
nicht  kannte.  Die  herrschende  Classe,  der  Adel  und  der  Glems, 
bildeten  eine  solidarische  Einheit,  ohne  Rücksicht  auf  die  Sprache, 
wie  dies  ja  in  allen  feudalen  Ländern  Europa  s  der  Fall  war.  Sie 
waren  alle  Mitglieder  der  «Sacra  corona»,  der  croatische  Edel- 
mann ebenso  wie  der  slovakische  oder  ungarische,  nur  dass  natür- 
lieh  die  Zahl  und  Bedeutung  des  ungarischen  Teiles  sehr  über- 
wiegend war. 

Der  Adel  und  die  Städte  beschlossen,  als  Gin  der  der  heiligen 
Krone,  auch  im  Namen  derjenigen  und  über  die,  welche  als  unter- 
worfene Classe  die  fmisera  contribuens  plebs»  bildeten.  Und  da 
gab  die  Nationalität  wieder  nicht  den  Ausschlag.  Der  ungarische 
Bauer  in  Scuno«zy  oder  He%*es  stand  ebenso  ausserhalb  der  Ver- 
fassung wie  der  deutsche  in  Wieselburg  oder  der  slovakische  in 
#  Turdcz.  Andererseits  gab  es  ganze  walachische  und  slovakische 
adelige  Dörfer  ebenso  wie  ungarische.  Der  Grundbesitzer  aber  hat 
nicht  nur  das  Recht  über  seine  Leibeigenen  zu  beschliessen :  sein 
Interesse  fordert  es,  dass  sein  Bauer  möglichst  gedeihe  und  den 
Lasten  nicht  unterliege.  Da  das  Vermögen  des  Bauers  eigentlich 
zum  Besitze  des  Edelmanns  gehört,  ist  die  Besteuerung  des  Volkes 
sozusagen  eine  indirecte  Steuer  auf  die  Herren.  Dies  wurde 
immer  so  aiif^esehen.  und  besonders  fasste  der  Laiidtau;  von  1765 
die  ganze  Steuerangelegenheit  in  diesem  Sinne  auf.  Die  Comitate 
sind  zwar  bestrebt,  die  Last  auf  die  Schultern  ihrer  Nachbarn  zu 
wälzen,  aber  nicht  weil  sie  nicht  ungarisch  sprechen,  sondern  um 
ihre  Bauern,  d.  h.  ihr  Gut  zu  verschonen.  Die  nordwestlichen 
Comitiite  waren  aber  damals  in  Wirklichkeit  reicher,  als  das  l)ei- 
nahe  unbewohnte  Niederungam.  Dort  vermehrte  eine  zahlreiche 
Bauernschaft  und  ein  blühendes  Gewerbe  die  Zahl  der  Dika ;  hier 
rubte  die  Wirtschaft  noch  grösstenteils  auf  Viehzucht,  die  Binder- 
und Pferdeheerden  aber  gehören  den  Herren,  die  nicht  zahlen. 

Und  gerade  im  Nordwesten  und  iu  der  kleinen  Ebene  liegen 


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« 


UNOABNB  STEUERSYSTEM  IM  JAHBB  1700.  358 

• 

die  Besitzungen  derjenigen,  die  ihr  Intcresso  und  das  ihrer  Bauern 
am  besten  geltend  zu  machen  im  Stande  waren.  Die  alten  grossen 
Ifagnaien-Familien,  die  Esterhäzy,  Batthyinyi,  P&lffy,  lUeehäzy, 
ZohSaj,  die  das  Steuer  des  Landes  in  starker  Hand  halten,  haben 
sich  dort  erhoben,  dort  erstrecken  sich  ihre  Besitzungen.  Ebenso 
sind  dort  die  zahlreichsten  Güter  ihr  hohen  Geistlichkeit,  in  erster 
Linie  die  des  Primas.  In  der  Ebene  und  jenseits  der  Donau  ist 
der  Grundbesits  meistens  in  der  Hand  der  Gentry  und  der  neuen 
Familien.  Die  drei  Gomitate  desBanates  und  der  nordöstliche, 
von  Rnthenen  und  Rumänen  bewohnte  Teil  des  Landes  sind  bei- 
nahe ganz  im  Besitze  der  königlichen  Kammer  und  einiger 
Fremden. 

Die  folgenden  Zahlen  mögen  einigermassen  die  Besitzverhält- 
msse  erläutern.  Es  wird  vielleicht  mit  ihrer  Hilfe  gelingen,  diese 
60  sehr  Ternachlassigte  Seite  unserer  Gesehiehte  anfsufaellen,  — 

obwohl  wir  nur  die  Zahl  der  einzelnen  Guter  vergleichen  können, 
nicht  ihre  Ausdehnunfj. 

Die  Geistlichkeit  und  der  hohe  Adel  besitzen  58  Vo  der  Güter 
in  der  kleinen  Ebene,  der  kleine  Adel  nur  9  ®/o,  24  Vo  gehören  Com- 
possessoren,  6  Vo  der  Kammer  und  der  königlichen  Familie.  In 
der  slovnkischen  Gegend  sind  41  ^  o  im  Besitze  der  Geistlichkeit 
mid  der  Magnaten,  der  kleine  Adel  besitzt  29  Vo,  die  Composses- 
soren  9  Vo, 

Dagegen  sind  in  dem  nördlichen  Teile  der  grossen  Ebene 
nur34Vo  in  den  Händen  des  hohen  weltlichen  und  geistlichen 

Adels,  der  kleine- Adel  besitzt  M  u,  die  meisten  zu  ihm  f;t'liörin;en 
Compossessorutf  l'S 0.  Der  südliche  Teil  ist,  wie  schon  gesagt, 
noch  grösstenteils  Domäne. 

Eb  ist  iAao  sichtbar,  dass  der  am  meisten  besteuerte  Landes* 
teil  Diejenigen  zu  Grundbesitzern  hatte,  deren  Wort  zu  seinen  Gun- 
«ten  ins  Gewicht  fallen  konnte.  Denn  das  XVIII.  Jahrhundert  ist  in 
Ungarn  die  Zeit  der  Herrschaft  der  hohen  Geistlichkeit  und  des 
hohen  Adels,  der  Kitterstand  konnte  sich,  was  politisches  Gewicht 
nnd  Verdienste  anbelangt,  ihnen  nicht  vergleichen.  Wenn  also  die 
Boidwestlichen  Gomitate  zur  Zeit  der  Bectificatio  Portarum  über- 


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254 


UNOABl»  STBUBRmTBH  IH  JAHBB  1780. 


lastet  erscheinen,  haben  sie  au  gewichtigen  Fürsprechern  keinen 
Mangel.  Und  wenn  das  Yerhältniss  im  Laufe  des  Jahrhunderts 
sieh  nur  wenig  verändert,  so  ist  das  nur  ein  Beweis  dafür,  dass 
auch  die  wirtsohaftliehe  Grundlage  gleich  blieb.  Die  Zeit  war  noch 

nicht  fern,  wo  3i  Comitate  die  Last  des  ganzen  Landes  tragen 
mussten. 

Und  damit  sind  wir  auf  einen  allgemeinen  Standpunkt  ge- 
langt. Die  ganze  Weltgeschichte  ist  ein  Beweis  des  Satteo,  dass 
nur  Der  herrschen  wird,  der  den  Anderen  dient.  Im  XVIII.  Jahr- 
hundert führt  bei  uns  der  hohe  Adel  die  Reichsangelegeuheiteu 
nicht  nur  mit  Wort  und  Tat,  sondern  seine  Güter,  seine  Leib- 
eigenen haben  auch  die  materielle  Last  des  Staates  zu  tragen. 

Es  ist .  gewiss,  dass  im  vorigen  Jahrhunderte  die  Sicherung 
und  Besiedelung  der  grossen  Ehoue  das  grösste  Ereigniss  unserer 
Geschiebte  war.  Der  notwendige  Erfolg  dieser  neuen  Anpflanzung 
aber  war,  dass  wie  die  Last  auch  der  Lohn,  wie  der  Dienst  auch 
die  Herrschaft  in  die  Hände  des  rein  ungarischen  mittleren  Adels 
gelangte.  Denn  mit  Ausnahme  des  Banates  ward  und  wird  das  ganze 
neu  colouisirte  Gebiet  ungarisch.  Die  deutscheu  und  slavischen 
Colonien,  welche  das  ethnographische  Bild  Ungarns  noch  am  Ende 
des  XVIII.  Jahrhunderts  so  bunt  gestalteten,  verschmolzen  immer 
inniger  mit  dem  herrschenden  Stamme. 

Unter  diesen  Colonien  nahmen  an  Zahl  und  Wichtigkeit  jene 
eine  hervorragende  Stelle  ein,  die  wegen  des  Verfalles  der  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  aus  den  nordwestlichen  Comitaten  aus- 
wandern mussten.  Denn  nicht  die  mangelnde  Vermehrung  ver- 
ursachte dort  die  Stagnation  der  Bevölkerung.  Ungarn  war  noch  in 
der  gliicklichen  Lage,  nicht  nur  Fremden,  sondern  am  li  seineu  eige- 
nen Kindern  als  Amerika  zu  dienen.  Die  arbeitsamen  und  iebenafri- 
sehen  Schaaren  aus  dem  slavisch-deutschen  Berglande,  wie  sie  nur 
ungarische  Sprache  und  Sitte  aimahmen,  wurden  zu  einem  wichtigen 
und  wirksamen  Element  der  modernen  Entwicklung  des  Landes. 

Heinrich  Mabczali.* 

*  Atu  des  Verfiusen  im  Anftrage  der  nngariaoheu  Akademie  ansge* 
arbeiteten  cOesohiehte  üngams  im  Zeitalter  Josefr  ILt 


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PBNXBKDB  AUF  DT.  ADOIiF  DUZ. 


166 


DENKREDE  AUF  Dr.  ADOLF  DUX/ 

Entsteige  dem  Grabe,  du  guter  alter  Freund,  entsteige  dem 

Grabe,  in  das  wir  dich  zur  letzten  Ruhestätte  an  einem  düstern, 
nebligen  Herbstinorgeu  gebettet.  Entsteige  dem  Grabe  und  nimm 
wieder  deinen  Platz  ein  in  diesem  Saale,  in  welchem  du  ein  gut 
Teil  deines  Erden^lens  verbracht«  in  diesem  Kreise,  in  welchem 
do  mit  dem  besten  Teil  deines  geistigen  Schaffens  wurzelst.  Ent- 
steige deinem  Sarge,,  in  dem  du  den  ewigen  ScVilaf  an  der  Seite 
der  Trefflichsten  deiner  Glaubensgenossen  schläfst.  Du  kannst 
getrost  erscheinen,  denn  ich  will  dich  nicht  verherrlichen ;  nur 
sprechen  will  ich  von  dir  und  eraählen  möchte  ich  blos,  was  das 
Werk  deines  Lebens  in  diesem  Saale,  in  diesem  Hause,  unter  der 
Ae^ide  dieser  Gesellschaft  gewesen.  Doch  fürchte  ich,  dass,  wenn 
ich  erzählt,  was  und  wie  du  gewirkt,  wenn  ich  dein  Streben,  deine 
Rümpfe,  deine  Erfolge  und  auch  Misserfoige  geschildert,  dass  ich 
dich  dann  doch  verherrlicht  haben  werde  und  dass  du  durch  mich 
jenes  Schicksals  teilhaftig  wirst,  dessen  du  die  Besten  unserer 
Literatur  ein  Menschenalter  und  darüber  teilhaftig  werden  liessest. 
L'nd  ich  fürchte,  dass  du  deine  klugen  Augen  dann  vorwurfsvoll 
auf  mich  richtest,  dass  deine  Lippen  jenes  spöttische  Lächeln 
umspielt,  das  sich  in  deine  Feder  nie  verirrt  hat,  und  dass  du  dein 
graues  Haupt  schüttelnd,  deinem  Unbehagen  darüber  Ausdruck 
sibst,  dasB  nun  ich  im  Begriffe  bin,  die  Reihe  unserer  literarischen 
Grössen,  die  du  ohnehin  ^'enug  lang  ausgedehnt,  noch  weiter 
lortzospinnen.  Doch  verzeihe,  gütiger  Geist,  dieses  Beginnen; 
denn  an  diese  Beihe  füg*  nicht  ich  dich  an,  deine  Aufnahme  in 
derselben  ist  die  spätgereifte  Frucht  deines  eigenen  segensreichen 
Schaffens  und  Wirkens. . . . 

UmsoDst,  unser  guter,  alter  Freund  will  nicht  verweilen ;  er, 

*  Gehalten  in  der  Sitrong  der  Ki8fidad7*0eMll8cliftft  vom  Sf .  Febmar 

188t. 


L^iyiii^uü  Uy  Google 


256  DBNKBBDE  AUF  Dr«  ADOLF  BUX. 

der  Andere  so  p^erne,  mit  so  viel  Warme  und  Bcgcisterunf^  .!?eprie- 
Ben,  er  hat  sich  selbst  niemals  gelobt  und  er  kann  es  auch  jetzt 
nicht  dulden,  dass  ihn 'ein  Anderer  lobt.  Er  konnte  aus  dem  Leben 
scheiden,  ohne  die  Anerkennung  zu  hören,  welche  das  Land  dem 
Erforscher  der  Originalgedichte  Simon  Pecsi's,  des  sabbatharischen 
siebeubürgischen  Kanzlers,  gezollt  hätte,  und  die  Laufbahn,  die  er 
BD  erfolgreich  beschlossen,  enthält  in  jedem  ihrer  Abschnitte  viel, 
gar  viel,  was  des  Lobes,  ja  des  höchsten  Preises  würdig  wäre. 


Weit,  sehr  weit  ißt  der  Weg  von  dem  aiissersten  Ende  der 
Pressburger  Judeugasse  bis  zu  jenem  Ehrensitze,  auf  den  die 
geistigen  Nachfolger  Karl  Kisfaludy's  Adolf  Duz  erhoben  haben. 
Der  Weg  ist  so  weit,  dass  zur  Zurückleguog  desselben  ein  wohl- 
angewandtes Leben  notwendig  ist.  Und  Adolf  Dux  hat  sein  Leben 
wohl  angewandt.  Was  er  geworden,  dazu  machte  er  sich  selbst; 
dem  Schicksal  hatte  er  nur  wenig  zu  danken.  Selbst  die  W^iffen 
im  geistigen  Daseinskampfe  mnsste  er  sich  selber  erwerben.  Waa 
dem  Ungar  der  Tiefebene  wie  Wasser  und  Luft,  wie  die  selbstyer- 
stündliche  Gabe  der  Natur  erscheint,  die  Kenutniss  der  vaterbin- 
dißchen  Sprache,  er  konnte  sich  dieselbe  nur  mit  Mühe  und  Nüt> 
nur  mit  Fleiss,  Ausdauer  und  einer  gewissen  Selbstverleugnung 
verschaffen.  Eines  armen  Juden  Sohn,  in  dem  Pressburg  der 
zwanziger  Jahre  geboren,  wie  gabst  du  dich  der  ungarischen  Idee  so 
zu  eigen,  was  hiess  dich,  dein  Leben  di  in  Berufe  widmen :  deinem 
Vaterlande,  das  dich  nicht  als  seinen  Bürger  anerkannte,  deiner 
Nation,  deren  Lieder  über  deiner  Wiege  nicht  ertönten,  Ehre  und 
Bnhm  im  Auslande  zu  erringen?  Was  weihte  dich  zum  Apostel 
der  nationalen  Idee,  dich,  dem  es  so  schwer  geworden,  selbst  zum 
Bewusstst'in  dieser  Idee  zu  gelangen  ? 

Als  Antwort  wirst  du  auf  die  glänzenden  Gestalten  unserer 
Dichtung  hinweisen,  die  dich  Begeisterung  in  einer  Zeit  lehrten, 
wo  diese  Begeisterung  so  selten  war ;  die  dich  in  ihren  Zauber- 
bann zogen  und  ihre  Ideale  zu  den  deinigen  machten ;  du  wirst 
auf  unsere  grossen  Dichter  hinweisen,  die  innerhalb  und  ausser- 
halb des  Landes  für  dasselbe  Eroberung  machten  und  als  deren 


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DBNK&EOS  AUF  DA.  ADOLF  DUX. 


257 


Emmgenschaft  aaoh  da  auf  den  Blättern  der  Literatorgesehichte 
enchemst. 

Ihun  die  jrrossen  StaatsmanncT  und  flamraenzünfijipen  Red- 
ner, die  wir  in  jenen  Decennien  besassen,  in  welche  die  Lehrjahre 
Adolf  Dax'  fielen,  sie  wkten  auf  keinen  allzngroBsen  Kreis  ein; 
bei  den  primitiven  Verhältnissen  der  dnroh  eine  brutale  Censnr 
geknebelten  Presse  drang  ihr  Wort  oft  nicht  weiter  als  ihre  Stimme 
oder  als  der  Zauber  ihrer  Persönlichkeit ;  die  einheimischen  Insti- 
tutionen gemahnten  noch  an  den  alten  Feudalsta:it ;  das  verstei- 
nerte System  priviiegiirter  Stände  stand  schroff  den  Menschen- 
reehten  gegenäber,  welche  das  Jahr  1789  als  Weltgesetz  proclamirt 
bstte;  der  Wohlstand  war  nicht  allgemein  und  das  Kleinliclie  der 
Verbaltnisse  dämmte  das  Denken  und  Fühlen  in  enge  Schranken 
ein.  £e  gab  damals  nichts  oder  nur  sehr  wenig,  was  die  nationale 
Idee  den  nicht  ungarisch  sprachigen  Bürgern  Ungarns  hätte  sym- 
pathisch machen  können.  Darum  schmäht  dieses  Pressbnrg  nicht» 
Weil  es  in  den  ersten  Decennien  dieses  Jalirhunderts  sicli  dem  natio- 
nalen Gedanken  gegenüber  indifferent  benahm,  weil  seine  Bürger 
vielleieht  nicht  einmal  ungarisch  verstanden ;  schmäht  es  nicht 
ond  macht  ihm  daraus  keinen  Vorwurf ;  denn  nicht  anders  sah  es 
in  den  übrigen  Städten  Ungarns  aus,  deren  Mauern  niclit  von  der 
Hochflut  der  lebenden  nationalen  Sprache  bespult  wur<len. 
Schmäht  sie  nicht,  sondern  rühmt  die  Söhne  dieser  Städte,  die 
och  trots  ihrer  kühlen  Umgebung,  fast  gegen  den  Strom  schwim- 
mend, fär  die  nationale  Sache  begeisterten,  und  preist  vor  Allem 
die  Dichter,  deren  Genie  selbst  politische,  hürf^erliche  und  <:,'esell- 
schaftlicbe  Proletarier  für  die  heilige  Idee  des  Patriotismus  zu 
galvanisiren  verstanden. 

Und  Adolf  Duz  vereinigte  in  sich  in  den  vierziger  Jahren  all* 
diese  drei  Arten  des  Proletariertums ;  er  war  ein  politischer  Pro- 
letarier, weil  er  nicht  adelig,  ein  bürgerlicher,  weil  er  ein  Jude, 
ein  gesellschaftlicher,  weil  er  arm  war.  Doch  all'  dessen  vergase 
der  zwanzigjährige  Jüngling,  als  er  Eötvös*  erste  Bomane,  als  er 
PetAfi's  erste  Gedichte  kennen  lernte ;  es  liess  ihn  daran  vergessen 
die  erhabene  Gerechti^'keitsliebe  und  der  edle  flumanismuB  des 


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S38 


D£NKRED£  AUF  DU..  ADOLF  DUZ, 


Dichters  des  «Earthäuserst  und  des  iDorlhotänt,  und  es  liess 
ihn  daran  vergessen  die  blendende  Offenbarung  des  nationalen 
Oenius,  die  er  in  Petöfi  erkannte.  Als  ob  er  durch  den  Zauber* 

Spiegel  der  schwer  fjenug  erlernten  ungarischen  Spraclie  eine  jranz 
neue  Welt  erschaut  hätte,  so  heeilte  er  sich,  seine  Entdeckung 
Jenen  mitzuteilen,  die  er  ohne  diesen  Zauberspiegel  wusste,  und 
80  entstand  seine  erste  Fetöfi-Uebersetzung,  *  die  er  als  S  ij  ähriger 
•Tüngliug  herausgah  und  deren  sich  der  23jährige  Petöü  so  unbän- 
dig freute. 

Mit  welch'  zärtlicher  Liebe  ist  nicht  die  Skizze  der  ungari- 
schen Literatur  geschrieben,  mit  der  er  diese  Uebersetzungen 
einleitete!  Wie  ergreifend  schildert  er  da  das  feurige  Streben  der 

erwachenden  Nation  nach  grossen  und  erhaheuen  Zielen;  wie 
überzeugend  entschuldigt  er  die  Scli wachen  des  vorwartöstürmen- 
den  Uebereifers  und  die  Lücken  der  nationalen  Bildung  auf  einem 
und  dem  anderen  Gebiete ;  wie  männlich  macht  er  Front  gegen 
einzelne  Auswüchse  der  nationalen  Idee,  die  (wie  Ignaz  Nagy  in 
seinen  «Pester  Geheimnissen»  ^  Reinen  Glaubensgenossen  die  Men- 
schenwürde streitig  macheu  wollten,  und  mit  welch'  freudestrah- 
lendem Angesichte  erzählt  er  schliesslich  von  seinen  eigenen 
Lieblingsdichtem ! 

Von  jenem  Tage  an  ist  Adolf  Dax  ul»cr  jene  iuuereu  Kampfe 
des  sprachliclieu  und  nationalen  Amphibientums  hinaus,  die  er 
in  seiner  Erzählungs-Sammlung  «Deutsch- Ungarisches»  (Wien, 
1871)  und  später  in  seiner  Studie  über  den  Dichter  Friedrich 
Eerenyi  (Ghristmann)**  so  ergreifend  schildert;  er  hatte  es  als 
seineu  Beruf  erkannt,  dem  Auslande  die  Anerkennung  für  die  Cul- 
turbestrebungeu  seines  stiefmütterlichen  Vaterlandes  abzuringen, 
und  wahrlich,  wenn  Jemandem,  so  ist  es  ihm  zu  danken,  dass  der 
deutsche  Sangesbmder  Petöfi*8  schon  im  Jahre  1 849  singen  konnte : 

«Wenn  loh  den  Namen  Ungar  höxe, 
Wird  mir  das  deutsche  Wamms  su  enge.» 

*  Wien,  Capeller'a  Verlag  1846  uud  1867. 

^''^  Ans  Ungam,  literator«  und  cnltnrgeschichtlicfae  Studien  von  Adoli 
Dnx.  Leipsig,  Hermann  Fols, 


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DENKREDE  AUF  DR.  ADOLF  DUX. 


Diesen  Beruf  hat  er  getreulieb,  mit  uuermüdlichcm  Fieisse  und 
imerscbütterlicber  Ausdaaer  erfüllt.  Beine  eigenen  Versuche  auf 
dem  Gebiete  der  Humoreske,  der  Novelle  und  des  Lustspiels  sind 
Belege  dafür,  dass  er  selbst  der  Originalität,  Erfindung  und 
scböpferischen  Kraft  nicht  j^anzlich  entbehrte  und  dass  der  Lorber 
auch  für  ihn  nicht  unerreichbar  gewesen  wäre;  seine  literar- 
imd  eulturbistoriscben  Studien  bezeugen,  dass  er  in  hohem  Maasse 
die  Gabe  der  Beobachtung  inne  hatte,  dass  er  selbständig  zu  den- 
ken und  die  ErRcht* inuu)j;en  bis  zu  ihren  K  tzten  Gründen  zu  ver- 
fol^^tn  verstand ;  doch  er,  der  auch  materielle  Entbehrungen  so 
leicht  ertrug,  er,  der  sein  ganzes  Leben  lang  die  Lehre  der  Stoa 
befolgend,  seine  Meisterschaft  im  Entsagen  betätigte,  er  entsagte 
aoeb  der  Hoffnung,  seinen  eigenen  Buhm  zu  begründen  und  wurde 
der  selbstlose  Herold  fremder  Namen  und  Taten.  Er  wurde  üeber- 
setzer  «von  Profession«». 

Seine  Uebersetzer- Laufbahn  war  es,  auf  der  er  seine  meisten 
Erfolge  erntete,  und  da  muss  wohl  oder  übel  bemerkt  werden, 
ds8S  er  in  der  Wieder<;ai)e  der  ungarischen  Prosa  viel  glücklicher 
war,  als  in  der  wirksamen  Wrdolmetschung  der  gebundenen  Rede. 
Er  war  viel  zu  gewissenhaft  und  zu  scrupulös,  als  dass  er  ein 
echter  Kunstübersetzer  hätte  sein  können.  Jeder  Ausdruck,  jede 
Wendung,  jedes  epitheton  ornans  des  Originals  waren  ihm  eben 
BOTiele  unantastbare  Heiligtümer  und  eher  tat  er  der  Sprache,  in 
die  er  ubersetzte,  Gewalt  an.  als  dass  er  die  geringste  Nuance  des 
Ovigmals  auff^geben  hätte.  Doch  wenn  er  auch  nicht  jenes  sou* 
renne  Gefühl  des  Künstlers  besass,  der  jeden  Dichter  für  seines- 
gleichen  haltend,  sich  alsUebersetzer  für  dessen  gleichberechtigten 
Mitarbeiter  ansieht,  so  ragte  er  doch  riesenhuch  über  jene  wohl- 
g^niemton,  aber  bald  unbeholfenen,  bald  geradezu  komischen 
Uebenetzungen  hinaus,  die  eine  grosse  Zeit  lang  den  deutschen 
Markt  überfluteten  und  dadurch  der  Unverwüstlichkeit  unserer 
Dichter,  welche  selbst  solche  l'ebersetzungen  nicht  zu  comprimit- 
tirt-n  Vermochten,  ein  bleibendes  I  )enkuiul  errichteten. 

Diese  grosse  Gewissenhaftigkeit  im  Vereine  mit  einer  bedeu- 
tenden Sprach-  und  Formgewandtheit  war  es  aber,  welche  seinen 

17* 


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M  DBNKÄBBE  AUF  DR.  ADOLF  DCX. 

prosaischen  Uebersetzungen  den  Stempel  des  Miistergiltigen  ver- 
lieh. Er  fühlte  die  ersten  Bomane  Eötvös'  und  Jökai^s  mit  Erfolg 
in  die  deatsohe  Literatur  ein«  er  zwang  das  Ausland,  die  Genies  za 
respectireD,  welche  die  nnf^rische  Nation  hervorgebracht,  und  er 
zeigte  st  inen  doppelsprachigen  Epigonen  den  Weg,  auf  dem  sie 
das  zweifelhafte  Geschenk  ihrer  vielfachen  Muttersprache  auf 
das  Verdienstlichste  verwerten  können.  Doch  erschöpfton  seine 
üebersetzungsarbeiten  keineswegs  den  Inhalt  seines  so  arbeitsamen 
Lebens.  Keine  einzige  Gelegenheit  liess  er  vorbeigehen,  ohne  das 
Ausland  über  die  vaterländischen  Verhältnisse  aufzuklaren.  Er 
stand  fortwahrend  in  Bereitschaft,  um  von  dem  schlecht  informir- 
ten  Ausland  an  das  besser  zu  informirende  Ausland  zu  appelliren 
und  jedes  deutsehe  Lexieon,  jede  Zeit-  und  ünterhaltungsschrift 
im  Keiehf  draussen  diente  seinen  diesltezüglichen  patriotischen 
Bestrebungen  als  williger  Ablageriingspiatz. 

Es  sei  mir  jedoch  gestattet,  das  Hauptgewicht  seines  Wirkens 
nicht  in  den  Arbeiten,  die  er  für  das  Ausland  schrieb  und  über- 
setzte, sondern  vielmehr  darin  zu  suchen,  was  hier  im  Lande  sei- 
nen Alltagsberuf  ausmuihte,  in  seiner  journalistischen,  und  zwar 
in  seiner  deutsch-journalistischen  Tätigkeit. 

Der  Beruf  des  deutschen  Journalisten  in  Ungarn  ist  oft  ver- 
kannt, selten  anerkannt  worden.  Man  sah  es  nicht  überall  ein, 
dass  eine  deutsche  Presse  für  Ungarn  ein  Lebensb«  diirfniss  sei,  so 
lange  es  noch  im  Lande  viele  Zehntausende  lesbegieriger  Menschen 
gibt,  die  nur  der  deutschen  Sprache  mächtig  sind.  Ueberflüssig 
wäre  sie,  wenn  ihr  Aufhören  der  nationalsprachigen  Presse  zum 
Vorteil  gereiehen  wurde.  Doch  steht  die  Sache  nicht  so.  Das  plötz- 
liche Aufhören  der  deutsch -ungarischen  Presse  in  Folge  von  ge- 
waltsamer Unterdrückung  oder  spontaner  sozusagen  patriotischer 
EntSchliessung  würde  nicht  zugleich  das  Bedürfoiss  nach  deutscher 
Zeitungslektüre  verschwinden  machen,  würde  nicht  den  Leserkreis 
der  nationalsprachigen  Blätter  vermehren,  sondern  würde  geradezu 
von  gefahrlichen  und  schädlichen  Folgen  sein,  indem  hiedurch  die 
Einfuhr  auslandischer  Zeitungen  gefördert  würde,  so  dass  unsere 
Deutschen  eine  Leetüre  erhielten,  welche  sie  in  ihren  patriotischen 


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DENKREDE  A.UF  DU.  ADOLF  DÜX. 


S61 


Neigungen  nicht  bestärken,  souderu  dieselbeD  im  Gegenteil  mit 
Stampf  und  Stiel  ausrotten  würde.  Da  uns  also  hierzulande  eine 
deatsehe  Presse  not  tut,  müssen  wir  es  mit  Freuden  begrüssen, 
das8  dieselbe  eine  patriotische  Richtun«:;  befolßi;  und  ihren  Leser- 
kreis mit  der  ungarischen  Staatsidee,  mit  den  vaterländischen 
Einrichtungen  und  nationalen  Aspirationen  zu  befreunden  sucht ; 
daher  übertreibt  man  auch  nicht,  wenn  man  sagt,  dass  die  gute 
eoireete  und  patriotische  Haltung  der  ungarländischen  Deutschen 
Torzogsweise  der  Tendenz  und  dem  Geiste  ihrer  politischen  Lec- 
türe  zu  danken  ist. 

Diese  deutschsprachige  Ungarpresse  ehrte  nun  in  Adolf  Duz 
einen  ihrer  berufensten- Vertreter.  In  den  drei  Jahrzehenten,  da  er 
die  Literatur-  und  Kunstrubrik  des  ältesten  und  einflussreichsten 
politiöcheu  Tageblattes  Ungarns  *  leitete,  wirkte  er  in  einer  ganz 
besonders  erspriesslichen  Weise ;  er  machte  die  deutschsprachi«^en 
Borger  des  Landes  Tertraut  mit  den  Erscheinungen  und  Hervor- 
brtngungen  ungarischer  Literatur  und  Kunst,  mit  den  Fortschritten 
unserer  Wissenschaft,  mit  allen  Momenten  unseres  «geistigen  Le- 
beii>;  seine  Buch-  und  Theaterkritiken,  seine  Berichte  aus  der 
Academie  und  anderen  gelehrten  und  schönwissenschaftlichen  Ge-. 
lellschaften  spiegelten  ebenso  das  Wohlwollen  wieder,  das  ihm  die 
Böcksicht  auf  sein  besonders  geartetes  Publicum  auferlegte,  wie 
auch  die  wissenschaftliche  Geschlossenheit  und  den  Ernst,  die  ihm 
in  so  hohem  Maasse  zu  eigen  waren.  £r  besass  nicht  den  Hoch- 
mut der  Kritik,  die  auf  ihren  Gegenstand  von  TomhereinTomehm 
hecsbblickt,  noch  die  Schadenfreude,  die  jede  Bresche  und  Lücke 
mit  Hohu^'elachter  l)egi-Ü8st ;  im  Gegenteil,  seine  Freude  machte 
es  aus,  wenn  er  Lobenswertes  fand,  und  wenn  ihm  ein  junges 
Talent  begegnete,  das  er  nach  Herzenslust  hätscheln  konnte. 
Einen  ganzen  Stoas  machen  die  Hefte  ans,  in  denen  er  seine  No- 
tisen über  die  zu  kritisirenden  Werke  und  Stücke  yerzeiehnete,  und 
diese  fleissigen  Notizen,  die  seihst  hei  den  ersten  Versuchen  rosiger 
Anfänger  oft  mehrere  Seiten  in  Anspruch  nehmen,  bilden  wohl 

r 

*  Peeler  Llojd. 


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DENKKEDE  AUF  DR.  ADULF  DUX. 


einen  eclatanten  Contrast  zu  jener  Kritik,  die  sich  nicht  einmal 
die  Mühe  gibt  ein  Buch  aufzuscbneiden,  wahrscheinlich  ans 
Fnrehti  sie  würde  sich  sonst  von  dessen  Inhalt  in  ihrem  Urteil  be- 
einflussen lassen.  Da  er  zu  keiner  politischen  Partei  und  zu  keiner 
literarischen  Coterie  gehörte,  konnte  er  sich  auch  bezuglich  der 
Personen  jene  Objectivität  bewahren,  die  wir  bei  rein-literarischen 
Fragen  oft  so  schmerzlich  vermissen ;  da  er  sich  nicht  för  einen 
Apollo  dnnkte,  braaehte  er  aneh  keinen  Marsyas,  und  diese  sym- 
pathischen Züge  seiner  Persönlichkeit  schützten  seine  Kritik  vor 
der  herechtigten  Anklai^e  der  Pai*teiliclikeit  und  verliehen  ilir  viel- 
mehr jene  lehrreiche  und  befrachtende  Bichtung,  ohne  welche  jede 
Kritik  ein  steriles  nnd  überflüssiges  Unding  ist. 

Diesem  gewissenhaften,  pflichtbewussten  und  hochgebildeten 
Journalisten  gegenüber  entledigte  sich  nun  die  Kisfaludy-Gesell- 
Schaft  eine  geraume  Weile  nach  ihrer  Neubegründong  einer  drin- 
genden Schnld»  indem  sie  ihn  im  Jahre  1867  zn  ihrem  auswärtigen 
nnd  drei  Jahre  darauf  zn  ihrem  internen  Mitgliede  wählte.  Das 
neue  Mitjjlied  beeilte  sicli  denn  auch,  deu  Erwartuuf^en  zu  ent- 
sprecheu,  welche  mau  angesichts  eines  solchen  Mitglieds  zu  hegen 
berechtigt  war; 

•Mit  der  Baschheit  der  Eisenbahnen  trägt  den  Journalisten  sein 
Benif  fort,  und  wenn  er  im  Fluge  ein  Feld  erblickt,  dessen  Pflege  zn 
einer  schönen  Ernte  berechtigte  und  das  zu  pflegen  er  auch  N<'it,nuifT 
in  sich  verspürte :  er  kann  nicht  weilen,  er  kann  auf  das  Feld  nur 
hinweisen  nnd  mnss  weiter  nnd  weiter  ziehen.»  Mit  diesen  Worten 
leitet  er  seine  Abhandlung  «das  Theaterwesen  als  öffentliche  An* 
gelenheit»  tiu.  welche  ihm,  dem  auswärtigen  Mitgliede,  zum  An« 
trittsvortrag  diente,  und  inwelclier  er  einerseits  die  kräftige  Unter- 
stützung der  Schauspielkunst  der  Aufmerksamkeit  der  Municipien 
empfiehlt,  andererseits  aber  die  Beform  des  Volksstückes  in  jener 
Biehtung  beantragt,  welche  bereits  durch  die  Bereicherung  vorge- 
Bchrieben  ist,  die  der  IJe^a-iti'  Volk  seit  dem  Jahre  1 848  in  poli- 
tischer und  socialer  Beziehung  erfahren.  In  demselben  Jahre  ge- 
wanner mit  seiner  Abhandlung  tüber  das  Komische»  den  Preis  der 
Gesellschaft,  und  nach  einer  Weile  wählte  er  zum  Thema  seines 


üiyilizuü  by  GoOglc 


DENKREDE  AUF  DB.  ADOLT  DDX. 


S63 


Aiitritt8vortra<!:e8  als  internes  Mitf»lied  den  Darwinismiis  in  sei- 
ner Anwendbarkeit  auf  die  Aesthetik,  in  welchem  gedankenreichen 
Essay  er  den  Idealismus  mit  dem  Idealismus  zu  versöhnen  bestrebt 
ist  Bei  dieser  Gelegenheit  war  es  auchi  dass  August  Gbeouss  das 
Dens  interne  Mitglied  mit  einer  Bede  begriisste,  welche  die  Ver- 
dienste von  Adolf  Dux  und  dessen  Mission  zu  eclatant  anerkennt, 
als  dass  es  nicht  angezeigt  wäre,  hier  einige  Sätze  ans  derselben 
la  wiederholen. 

f  Indem  Adolf  Dux  seinen  Plate  in  unserer  Mitte  einnimmt — 

so  Gre^uss  —  und  indem  ich  ihn  ans  diesem  Anlasse  einführe, 
futsprechen  wir  nur  dem  Buchstaben  der  Statuten;  denn  braucht 
man  wohl  Jemanden  einzuführen,  der  in  unserem  Kreise  besser 
gekannt  ist  als  so  manche  unserer  älteren  Mitglieder?  Und  braucht 
vohl  Jemand  einen  Antrittsvortrag  zu  halten,  der  schon  so  viele 
seiner  Abhandlun<,^eu  hier  vortrug  und  so  viel  Berichte  über  ihm 
gewordene  Mi^-sionen  abstattete  ? 

•Es  ist  bekannt,  dass  die  Eisfaludy-Gesellschaft  Adolf  Dux 
SQ  ihrem  auswärtigen  Mitglied  gewählt,  weil  er  die  Hervorbrin- 
gongen  unserer  Gultur  durch  Publicationen  und  Uehersetzungen 
seit  zwei  Jahrzehnten  mit  <:erec}item  Erfolge  in  der  Literatur  joner 
Nation  heimisch  gemucht  hat,  die  durch  ihre  Nachbarschaft,  durch 
ihre  Grösse  und  durch  ihre  Bildung  seit  Jahrhunderten  ihre 
Wirkung  auf  uns  ansäht.  • 

Nachdem  Redner  dann  des  Kampfes  gedacht,  den  die  unga- 
rische Nation  fiir  iiire  staathche  und  geistige  Existenz  zu  führen 
gezwungen  sei,  fuhr  er  fort : 

« Wur  müssen  fortwährend  beweisen,  nicht  nur,  dass  wir  leben, 
sondern  dass  wir  des  Lebens  auch  wert  sind.  Und  wie  können  wir 
das  am  augenfälligsten  beweisen  ?  Doch  wohl  nur  diu"cb  die  Gel- 
tendmachung des  wirksamsten  F  actors,  unserer  geistigen  Souve- 
rinetät. 

«Das  aber  ist  vor  allem  Ihre  Aufgabe,  geehrter  College;  da- 
rum bitten  wir  Sie,  bleiben  Sie  auch  ferner  das,  weBhalb  Sie  die 

Kisfuliidy-Gesellschaft  in  die  Reibe  ihrer  auswärtigen  Mitglieder 
aufgenommen,  der  Dolmetsch  unserer  Literatur  bei  den  Deutschen, 


264. 


DEMKBKDE  AUF  DR.  ADOLF  DUX. 


aber  bleiben  Sie  dabei  auch  femerbin  ein  wirkliebes  internes  Mit- 
glied unserer  Gesellsohaft,  der  Pfleger  unserer  eigenen  Literatur ! » 

Oftmals  haben  wir  ancb  seither  unseren  guten  alten  Freund 
am  Vortragstische  Platz  nehmen  sehen ;  seine  ästhetischen  Stu- 
dien, welche  sein  gesummtes  Denken  und  die  ganze  Zeit,  die  er 
sich  vom  Broderwerb  abkargte»  in  Anspruch  nahmenj  yereinten, 
sich  mit  den  naturwissensebaftlicben  Arbeiten,  denen  er  sich  als 
Dilettant  hingab,  um  ihm  bei  Verfassung  seiner  Abhandlung  tPsy- 
chologie  des  Komischen  und  Physiolo*;ie  des  Lachens»  behilflich 
ZU  sein.  Er  hielt  in  unserer  Gesellschaft  die  Denkrede  über  un- 
seren halben  Landsmann  und  treuen  Förderer  unserer  Literatur» 
den  eyangetischen  Pastor  zu  Bättebtedt,  Gustav  STEniAOKKB,  und 
vor  kaum  zwei  Jahren  erstattete  er  an  dieser  Stelle  Bericht  über 
ein  noch  unViekanntt-s  Schreilien  des  Mannes,  dessen  Namen  unsere 
Gesellschaft  auf  ihre  Fahne  geschrieben.  Die  letzten  Arbeiten  sei- 
nes Lebens  bezogen  sich  auf  die  Ermittelung  dessen,  welche  Ge- 
sänge in  dem  Lieder-  und  Gebetbuch  der  siebenbürgischen  Sabba- 
therier  Umarbeitung  und  üebersetzung  hebräischer  Texte*  und 
welche  Gr  ginal ,  namentlich  Griginaldichtungen  Simon  Pecsi's, 
des  einstig'»  !!  Kanzlers  von  Siebenl)üigen  der  als  einer  der 
Hauptgründer  dieser  Secte  gilt,  angesehen  werden  können.  Nur 
sein  allzufrühes  Ableben  verhinderte  ihn  an  der  Beendigung  dieser 
Arbeit,  die  er  ebenfalls  für  die  Editionen  dieser  Gesellschaft  be- 
stimmt hatte.  Braucht  es  also  noch  mehr  der  Worte,  um  uns  ins 
BewusKtsein  zurückzurufen,  was  uns  Adolf  Dux  gewesen  und  was 
wir  in  ihm  verloren  haben  ?  * 

Wenn  wir  Adolf  Dux  als  Kunstübersetzer  von  ausgesproche- 
nem Beruf  und  unermüdlichem  Fleiss,  wenn  wir  ihn  als  patrioti- 
schen Publicisten  und  feingehildeten,  unparteiischen  Kritiker  ge- 
würdigt, wenn  wir  scliliesslieh  die  Tati<Tkeit,  die  er  als  externes  und 
internes  Mitglied  dieser  Gesellschaft  entwickelt,  uns  vor  Augen  ge- 
halten haben,  so  bleibt  uns  noch  immer  eine  erfreuliche  Aufgabe 

^1  Derselbe  lebte  iiud  wirkte  gegen  Ende  des  XVI.  und  gegen  Anfimg 
de«  XVII.  Juhrhuuderts. 


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DBRKBBDB  ADF  DR.  AFOLF  DÜX. 


S65 


iihrif;,  und  die  wäre,  den  MeDschen  in  ilnn  in  Au^^enschein  zu 
ncdimen.  Es  ist  dies,  wie  gesagt,  eine  erfreuliche  Aufgabe,  denn 
selten  wird  was  Gelegenheit»  eine  glücklichere  Harmonie  zwischen 
Beruf,  Talent  und  Charakter  wahrsunehmen,  als  sie  die  Persön- 
lichkeit Adolf  Bux*  aufzuweisen  vermofchte.  Wohl  ging  sowohl 
seinem  äusseren  Mensclien  wie  auch  seiner  Feder  jener  j^hitte  Zug 
ah,  der  gemeinighch  Liebenswürdigkeit  genannt  wird;  ein  manch- 
mal märrisch  und  fast  sauertöpfisch  erscheinendes  Aeussere  und 
sein  oft  schwerfälliger  und  kerniger  Styl  entbehrten  der  Leichtigkeit 
und  der  einschmeichelnden  Eleganz.  Aber  er  war  kein  mürrischer  ^ 
und  sauertöpfischer  Gesell;  er  iia in itt- vielmehr  ein  heiteres  und 
fröhliches  Gemüt  sein  ei^^t.n.  und  er  war  nicht  jener  bedauerns- 
werte, unglückliche  Mensch,  den  Femstehende  in  ihm  zu  erkennen 
glaubten.  Er  führte  ein  schönes  Leben,  ein  xaXov  ßtov  im  edleren 
Sinne  des  Wortes,  indem  er  sich  stets  glücklich  und  zufrieden 
fühlte  und  des  frivolen  Lächelns  der  Ällerwelts-Glücksgöttin  leicht 
entraten  k^mnte.  r>ie  Kampfe,  an  denen  sein  Leben  nicht  eben  arm 
war,  vermochten  ihn  weder  zu  erbittern,  noch  auch  ihn  zum 
Zweifler  an  den  Menschen  und  an  der  höheren  Ordnung  der 
Dinge  hienieden  zu  machen.  Er  fühlte  sich  glücklich,  da  er  ausser 
seinem  täp^lichen  Brede  stets  soviel  erwarb,  um  armen  Verwandten 
Gutes  tun,  um  den  Lebensabend  seiner  betaj^ten  Eltern  vor  Sori^en 
bewahren  zu  können,  und  er  fühlte  sich  mehr  als  glücklich,  als  er, 
auch  Ton  diesen  Sorgen  befreit,  ein  gleichgestimmtes  Weib  an 
seine  Seite  fesseln  durfte,  ein  Weib»  das  ihn  verstand  und  seines 
Lebens  würdige  Gefährtin  ward.  Er  hatte  nur  zwei  Leidenschaften : 
Geistiges  in  sich  aufzunehmen  und  dasselbe  wieder  mitzuteilen ; 
er  las  und  schrieb  gern,  und  zur  Befriedigung  dieser  beiden 
Leidenschaften  boten  ihm  sein  Beruf  und  sein  täglicher  Wirkungs- 
kreis Gelegenheit  die  Hülle  und  JTülle.  Selbst  körperliche  Leiden, 
die  ihn  in  denietzten  zwei  Jahren  seines  Lebens  mehr  als  billig 
heimsuchten,  vermochten  die  Harmonie  seines  Gemüts  nicht  zu 
fttören,  und  er  freute  sich  fast  srints  Leidens,  das  ihn  dazu  zwang, 
nach  Italien,  dem  Laude  seiner  Sehnsucht,  zu  reisen;  seine  Ge-- 
burtsBtadt,  das  finstere  Haus,  in  dem  seine  Wiege  gestanden,  die 


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% 


S66  DBNXKEDB  AUF  DB.  ADOLP  DUX. 

Um^'ebung  Pressburgs,  sie  alle  erweckten  in  ihm  stets  die  aller- 
freimdlichstt'ii  Krinnerim<:^en.  Ein  bogeisterter  Freund  von  Natur- 
ßchönheiten.  machte  er  alljjihrlicli  die  Wanderversammlungen  un- 
garischer Aerzte  und  Naturforscher  mit,  nnr  um  sich  an  den  man* 
nigfachen  und  abwechslungsreichen  landschaftlichen  Schönheiten 
seines  Vaterlandes  ergötzen  zu  können.  Diese  Gennsslrendigkeii 
blieb  ihm  ebenso  wie  die  Arbeitshist  treu  bis  ans  Ende.  Mit  dem 
Kopfe  und  mit  der  Feder  arbeitete  er,  so  lange  er  eben  lebte;  als 
seine  Hand  schwach  geworden  und  zu  versagen  drohte,  dictirtc  er 
seine  letzten  Feuilletons,  die  von  der  alten  Frische  seines  Geistes 
zeugten.  In  einem  hohen  und  weiten  Gemache  eines  Zinspalastes 
der  Ofner  Donaufroni  stand  der  Lehnsessel,  in  dem  er  seine 
letzten  Tage  verbrachte.  Von  da  konnte  er  hinabsehen  auf  den 
miijestätischen  Strom,  auf  die  herrhche  Kettenbrücke,  auf  die 
Akademie  am  jenseitigen  Ufer  und  auf  das  ganze  junge  Fest.  Der 
irdischen  Sorgen  ledig,  die  Zukunft  seines  geliebten  Weibes  gesi- 
chert wissend,  so  sass  er  da,  schöne  und  erhabene  Gedanken  den- 
kend, "  und  in  .seiner  scherzenden  Manier  vergHch  er  wohl  auch 
seinen  erhabenen  Standpunkt  und  seinen  weitreichenden  (iesichis- 
kreis  mit  jenem,  den  sein  Geburtshaus  in  der  Pressborger  Juden- 
gasse gewahrte.  So  sass  er  sinnend  da  und  so  starb  er,  Tor  dem 
Tode  nicht  erzitternd,  denn,  wie  er  vor  einigen  Jahren  tröstend 
seiner  Gattin  ^reschrieben : 

«uiH  All  /iiriickyt'kelirt  m\h\  die  (ieweseiu  ii,  • 

Diese  Worte,  welche  auch  auf  seinem  Grabsteine  sichtbar  sein 
werden,  mögen  sich  auch  unserem  Gedenken  einprägen,  in  welchem 
sich  Adolf  Dux  eine  würdige  und  bleibende  Statte  gesichert  hat.  Er 
ist  nun  in  das  All  zurückgekehrt,  das  dem  Vaterlande  noch  Viele 

Seines  Gleichen  bescheeren  möge.  **  Albbut  Sturm. 

I)ieseU)en  Hind  am  Tage  nach  meinem  Tode  Aber  Bein  aiudrttck- 
liciieK  Ersnclieii  im  •  Tester  Lloyd»  erschienen. 

**  Ausser  den  obtjenjinnten  Kditionen  wollen  wir  von  den  wioliti^eren 
Werken  l>r.  Adolf  Dux'  hier  nocli  nachfolgende  verzeichnen;  «üngaiische 
Dichtungen»,  l'i-essbiu'g  und  Leipzig  IS."»!-.  —  Biinkhuni,  Driiina  von  .losef 
Kalona,  Leipzig  l^^öS-  —  «Das  ungarische  Natiouaimuseuiu»,  Test  1858.  — 


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267 


FKANZ  PULSZKY'S  MExMOIEEN.  * 

Kustig  schafft  Franz  Pnlszky  an  Bciuem  Memoirenwcrk»-  lort,  \on 
dem  uns  nun  schon  der  dritte  Band  in  ungarischer  Spraclie  vorliegt 
und  dessen  deutsche  Ausgabe,  wie  wir  liören,  gleichzeitig  mit  dem 
ErFclieinen  dieser  Besprechung  das  Licht  der  Welt  erleben  dürfte. 
•  Mein  Leben  und  meine  Zeit»,  das  ist  der  Titel,  den  Pulszky  stijien 
Memoiren  gegeben,  d^^ren  erster  Band  bekanntlich  den  Schilderungeu 
der  ungarlüudischeu  Verhältnisse  vor  der  Picvolution  gewidmet  war. 
Die  Ereignisse,  welche  die  Revolution  vorbereiteten  und  die  Geschichte 
des  Freiheitskrieges  selbst,  waren  der  Inhalt  des  zweiten  Bandes,  von 
dem  man  mit  Recht  sagen  kann,  dass  er  ebenso  hochwichtig  war,  wie  der 
erste  Band  interessant  gewesen.  Der  uns  nun  vorliegende  dritu  Band,  der 
den  Subtitel  ,,Wdliren'l  <ler  Vi  rbununno  in  Auwrika  iufl  f'it'iliinil"'  fiihrt, 
vereinigt  die  Charakteristik  seiner  beiden  Vorgiinger  in  sich:  er  ist 
interessant  und  wichtig  zugleich.  Interessant,  weil  tr  uus  i  inen  tielVifu 
Einblick  in  jene  kuriose  Welt  raachen  lässt,  welche  man  Fmigrutiou 
im  Allgemeinen  und  ungarische  Emigration  insbesondere  nannte, 
abgesehen  davon,  dass  er  uns  amiisante  Excursc  in  das  englische  und 
amerikanische  Leben  gestattet,  —  wichtig,  weil  er  uns  nicht  zu  unter- 
schätzende Aufschlüsse  über  noch  immer  nicht  genug  aufgehellte  Par- 
tien der  Zeitgeschichte  gibt.  Einige  Briefe  Li  dwig  Kossi  th  s  und 
Fhanz  Deak's  bilden  die  kostbaren  Zugaben  dieser  Pul'lifatioii,  die 
uns  vorläufig  nur  bedauern  lässt,  dass  wir  auf  die  Fortsetzung  dersel- 
beD,  auf  den  IV.  Baud  iiümlich,  wieder  ein  Jahr  laug  warteu  müsseu. 

I. 

Der  Tag  von  Vilägos  hatte  den  Sieg  der  Beaction  in  ganz  Europa 
besiegelt.  Frankreich  war  nur  dem  Namen  nacli  Republik,  in  Deutsch- 
land war  das  Parlament  gesprengt,  in  Italien  halten  ^ieh  Sicilien,  Horn 
nn<l  V«  nr(l ig  ergeben,  die  Reaction  feierte  überall  ihre  Siegesorgien 
und  nur  England  bot  den  flüchtig  gewordenen  Opfern  der  Revolution 
ein  sicheres  Asyl.  Franzosen,  Russen,  Deutsche,  Italiener.  Walachen, 
Polen  und  Ungarn  Üücbteten  über  den  Kanal.  Nur  KoBsutb  uud  seine 

•l>iebtiing0n  von  Jobi|nu  Arany»,  Pest  1861.  —  «Für  den  Glanz  di  s  Hauses», 
Roman  von  Baron  Josef  K()tv«is,  bearbeitet  und  t  rtrauzt  von  Adolf  Dux, 
Loipxig  1873.  —  «VaUus  es  tudomäuy*  (Behgiun  uud  \\  i.ssenschaft),  Buda- 
pest 1976  IL  8.  w.  n.  8.  w. 

*  Siehe  «Literarische  Berichte.  IV.  Band,  IIL  Heft  (1880)  und 
•XJngariache  Bevue*  Februar-        Heft,  1881. 


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^68 


FRUfZ  paL8ZCT*8  MEICOIBBN. 


Getreuen  Bcliiunchteten  in  den  ciliciBcben  Bergen,  bis  endlich  die  nord- 
amerikunisclH^n  Freistaaten  Europa  von  der  Gefahr,  welche  dieselbe  in 
KosRuth's  Einfluss  erblickte,  befreite.  Kossiith  ging  aber  nicht  tlirect 
uacli  Amerika.  Hoiiderii  liereiste  zuerst,  ubenill  mit  mehr  als  königliclieu 
Eliren  empfangen,  England,  und  erst  später  begab  er  sich  nach  Ame- 
rika, no  er,  von  Franz  Piilnzky  begleitet,  Triumphe  feierte,  wie  sie  der 
•  Gouverneur'«  eines  unterjochten  Volkes  wohl  noch  niemals  gefeiert 
hat.  •  Niu  h  England  zurückgekehrt,  mussten  wir  uns  dem  bürgerlichen 
Tieben  anpassen  ;  wir  mussten  leben,  um  conspiriren  zu  können,  bis 
wir  endlich  unseren  Glauben  aii  die  Conspiration  selbst  verloren.» 
Das  war  die  erste,  zehn  Jahre  währende  Epoche  der  Emigration, 
welche  mit  dem  Frieden  von  Villafranca  abgeschlossen  erscheint,  eiu 
Fnedensscliluss,  der  die  Hofü  uugen  der  ungarischen  Emigration  auf 
die  Befreiung  Ungarns  durch  eine  neuere  Revolution  zu  Grabe  tru«;. 

«Meine  Erlebnisse  ans  jener  Zeit  will  ioJi  in  den  folgenden  IMiit- 
tern  allen  Jenen  erzählen,  die  Auteil  nehmen  an  meinem  nnd  au  der 
nngarisehen  Verbannten  und  Emigranten  Schicksal.  Die  Engländer 
haljen  uns  viele  Gefälligkeiten  erwiesen,  sie  wurden  aufrichtige  Freunde 
der  ungarischen  Sache  und  der  dieselbe  vertretenden  Persönlichkeiten  ; 
viele  Freundlichkeit  erwiesen  uns  auch  die  Ituliener,  die  uufere  Tätig- 
keit öfters  in  Änppmch  nahmen.  Unsere  Odyssee  versohaffte  dem 
nngarisohen  Namen  aacli  jenseits  des  Oeeans  Aebtnng;  wenn  wir 
gelitten  haben,  so  blieben  unsere  Leiden  doch  nur  individuelle,  wäh- 
rend die  ungarische  Nation  dureh  unser  Missgepchick  auch  dort  be- 
kannt wurde,  wo  man  bis  dahin  nicht  einmal  ihren  Namen  gekannt 
hatte.» 

Die  Schicksale  der  Emigration  selbst  schildert  Pnlnsky,  ohne 
etwafi  beschönigen  su  wollen,  was  nicht  beschönigt  zu  werden  braueht. 
In  London  war  seit  An£ang  des  Jahres  1849  ein  «Centraibureau  für 
ungarische  Angelegenheiten»  errichtet,  welchem  Franz  Palszky  vor- 
stand. Obwohl  aahlreiche  hervorragende  Emigranten,  wie  Edmwd 
fisöTHT,  Graf  Paul  EsztbrbIzt,  General  Vetter,  Oberst  Baron  Wolf- 
OANo  Kem^ny,  Oberstlieutenant  JcfAsz,  General  Klapka  mit  den  beiden 
SzABö  und  mit  Mednyäwbzktt,  im  Laufe  der  Zeit  nach  London  kamen, 
hatte  Pul^zky  nahezu  allein  für  die  grosse  Menge  der  aus  Ungarn  ver- 
bannten Kevolutioniue  zu  sorgen.  Dies  machte  ihm  viel  Aerger  und 
Plnge.  aber  schliesslich  gelang  es  doch,  mit  Hilfe  der  Engländer, 
welche  den  Emigranten  Geld  lur  die  l'eberfahrt  nach  Amerika  und  zu 
eiumonatlicliein  l'nterhalte  daselbst  vorstreckten,  die  Schützlinge  unter- 
zubringen. Kr  scbreibt  hierüber:  -IHe  Beförderung  nach  Amerika, 
mit  der  sehr  Viele  einverstanden  waien,    betrachleteu  Andere  aia 


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FBANZ  msaKY*9  MEMOIBBN. 


m 


Deportotioo ;  mit  Einem'  Worte,  die  Emigranten  vernreachten  mir 
wnrilhlige  Unannehinliehkeiten.  Die  Juden  Melten  sieh  am  besten.  Sie 
entwiekelten  viel  mehr  Lebensklngheit,  und  fast  alle  hatten  binnen 
drei  Monaten  irgend  eine  Stellung  gefanden,  die  sie  vor  Not  nnd  Elend 
sicherte.  Die  Uneinigkeit  unter  den  Emigranten  wuefas  mit  ihrer  Zahl ; 
manche,  die  ihrer  Pflicht  dem  Yaterlande  gegenüber  ein  Jahr  lang 
Genüge  geleistet  hatten,  glaubten  dadurch  vollen  Ansprach  darauf 
erworben  au  haben,  dass  von  nun  an  Andere  für  ihre  Zukunft  und 
Eidstent  sorgen.  Da  man  Jene,  die  genügende  Existensmittel  nicht  - 
nachweisen  konnten,  in  Paris  nicht  duldete,  so  kamen  die  Unbeholfen* 
sten  nnd  Unfiihigsten  und  eben  deshalb  AnsprnchToUsten  und  Unver- 
schümtesten  pftmmtlich  nach  London,  wo  sie  mir  oft  sehr  lästig  fielen. 
Ein  gewisser  Mzbalöozt,  dem  ich  meinen  Bock  geschenkt  hatte,  benahm 
sich  dermassen  frech,  dass  ich  ihn  aus  dem  Zimmer  werfen  lassen 
mneste.  Hierauf  forderte  er  mich  zum  Zweikampf  heraus,  und  da  ich 
erwidert  hatte,  ich  könne  doch  nicht  meinen  eigenen  Bock  durch- 
löchern,  drohte  er  mir  fortwährend  und  fiel  mich  auch  einmal  auf  der 
Qasse  meuchlerisch  an,  als  i<di  Nachts  mit  meiner  Frau  und  mehreren 
Bekannten  von  einem  ungarischen  Meeting  nach  Hause  ging.  Ich  liess 
ihn  vor  das  Polizei gericht  citireo,  und  dort  musste  er  Bürgschaft  lei- 
sten, den  Königsfrieden  nicht  mehr  zu  stören.  Oberst  Emerioh  Szabö 
aber  redete  mir  unaufhörlich  zu,  mich  mit  Mihalöczy  zu  schlagen,  denn 
wie  niederträchtig  er  auch  immer  sei,  so  sei  er  doch  Honvöd-Offioier 
gewesen.  Ich  erklärte  mich  endlich  einverstanden  ;  aber  in  London  ist 
es  nicht  so  leicht  sich  zu  schlagen,  wie  anderswo ;  nur  mit  vieler  Mühe 
verschafften  wir  uns  Säbel.  Mein  Secundant,  Graf  Julius  ANORissY, 
brachte  einen  vom  Herzog  von  MANCBBsna,  einen  zweiten  erhielten 
wir  von  einem  HonvM'Offieier.  AndrAssy  mietete  in  einer  Vorstadt 
zwei  Zimmer ;  an  diesem  ziemlieh  verdächtigen  Orte  kamen  wir  zu- 
sammen. SxzvAM  TcBB  war  Mihalöczy's  Secundant;  während  wir 
fochten,  bearbeitete  der  Arzt  mit  aller  Kraft  das  im  Nebenzinmier 
befindliche  davier,  damit  man  das  Säbelgeklirr  weder  im  äause  noch 
auf  der  Gasse  vernehme.  Mihalöczy  erhielt  eine  starke  Hiebwunde  am 
Arme,  ich  wurde  nur  schwach  geritzt.  Sobald  mein  Gegner  wieder  her- 
gestellt war,  ging  er  nach  Amerika,  wo  er  sich  dann  anständig  benahm. 
Ais  ich  mit  Kossuth  in  der  Union  ankam,  war  er  dner  der  Ersten,  der 
mich  um  meine  Protection  ersuchte ;  im  Secessionistenkriege  diente  er 
bei  den  Nordstaaten  und  fiel,  wenn  ich  mich  gut  erinnere,  bei  Vicks- 
burgh.» 

Interessant  ist  eine  Stelle  in  den  Memoiren,  welche  von  den 
ersten  literarischen'  Leistungen  des  naohmaligen  (und  ehemaliguu) 


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S70  FRANZ  PUL8ZKT*8  IIBMOIBBN. 

> 

dBterreiohisch-UDgarisehen  Ministers  des  Aeussem,  Orafen  Jaliiis 
AndrAssy,  spricht.  Die  betreffende  Stelle  Uutet:  «Julias  Andrissy 
hatte  eine  Stndie  über  die  ungarischen  Verhältnisse  geschrieben  and 
ersuchte  mich,  deren  Yeröffentlichmig  in-  der  «Edinburgh  Review» 
durchzusetzen ;  dies  gelang  mir  jedoch  nicht,  die  Studie  erschien  später 
in  der  •Ecclectic  Review». 

Piilszky  traf  übrigens  auch  mit  den  deutschen,  spauiFcheu,  ita- 
heni^ch^-'ll  und  tVanzosisclien  Emigranten  zn«ammen,  und  er  erziihlt 
sehr  liübsche  Ziige  von  Ledru-RoUiu  und  Mazzini.  «Von  deutschen 
Emitjranteu  lebten»  — wie  Pnlszkv  schreibt —  »damals  in  London: 
der  Dichter  Frk.ilk.rath,  als  Buchhalter  in  einem  englischen  Handlungs- 
hause ;  Blind  wurde  spater  sozusagen  Engländer  ;  der  geniale  Architekt 
Skmi'ER  lebte  im  Elend,  bis  er  später  zum  Zeichenlehrer  in  Maribo- 
rougii-House  ernannt  wurde.  Kinkel,  den  seine  Frau  und  sein  Schüler 
Karl  Schurz,  s^pater  in  der  nordamerikanischen  Union  Minister  des 
Innern,  aus  der  Festungshaft  mit  Geschick  und  grosser  Kühnheit  be- 
freit hatten,  erregte  bei  den  Deutschen  Londons  sowohl  durch  sein 
romantisches  Schicksal  als  auch  durch  seiue  männliche  Schönheit  und 
s^oen  herrlichen  Vortrag  Aufsehen.  Kuoe,  einem  Hauptvertreter  der 
nen-hegehscheu  Schule,  ward  es  nicht  so  leicht,  für  seinen  Unterhalt 
zu  sorgen :  mau  kümmerte  sich  wenig  um  ihn.  Dr.  GoLDSTi'CEER  war 
Professor  für  Sanskrit  am  University-College  und  wurde  als  der  gründ* 
lichste  Sanskritist  ganz  besonders  hochgeachtet.  Lothar  Bucher,  jetzt 
der  treueste  Berater  des  Fürsten  Bismarck,  lebte  damals  gleichfalls 
als  Verbannter  iu  England ;  er  war  mein  Nachbar ;  wir  kamen  häufig 
zusammen,  bald  bei  mir  aum  Thee,  bald  bei  üun,  um  uns  an  pommer- 
aehen  Gänsebrüsten  gütlich  zu  tun.  Auch  der  schleswig-holsteinische 
Fürst  NoBB  und  sein  Sohn  lebten  in  London,  der  Letztere  war  häufig 
unser  Gast ;  aber  es  war  unmöglich,  die  deutsehen  Bevolutionäre  unter 
Einen  Hut  zu  bringen ;  der  Partieularismus  äusserte  sich  bei  ihnen 
auch  in  der  Verbannung,  und  zwar  viel  stärker  als  bei  den  Italienern, 
die,  wenn  auch  versohiedeneu  Ländern  angehörig,  die  Idee  der  Einheit 
Italiens  innig  verband.» 

n. 

Das  Hauptbestreben  der  ungarisohen  Emigration  war,  Kossüth, 
der  iu  Kiutahia  intemirt  war,  befreit  zn  sehen  ;  aber  alle  Schritte  bei 
der  englischen  Begierang  waren  vergeblich.  Eossuth  selbst  fühlte  sich 
in  dem  fernen  asiatischen  Neste  sehr  unbehaglich  und  gibt  dem  in 
seinen,  vom  April  1850  datirten.  au  Ladislaus  Teleki  nud  Pulszkv 
gerichteten  Briefen  iebhulteu  Ausdruck.   Endlich  kam  von  Amerika 


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FBAN^  PUUKST'S  MUf  OlBEN. 


W8  Hilfe.  Im  dortigen  Senate  hatte  Foon«  der  Senator  des  Staates 
Mississippi,  den  Antrag  eingebracht,  die  Kegieruug  der  nordamerikani> 
sehen  Union  möge  Eossnth  als  Gast  zn  sieh  einladen,  seinen  Gefikhrten 
ein  Asyl  anbieten  und  ein  eigenes  Kriegsschiff  aaeh  Asien  entsenden, 
um  die  Bitemirten  nach  Amerika  za  bringen.  Der  Autrag  wnrde  ein- 
stimmig, mit  lebhafter  Begeisterung  angenommen.  Das  Schiff  ging  auf 
der  Büdcfidirt  nach  Amerika  im  Hafen  von  Spezzia  vor  Anker,  aber 
die  piemontesische  Begiemng  erlaubte  Kossath  nicht,  auszusteigen, 
denn  das  Volk  hatte  sehon  auf  die  Haehrieht  von  dessen  Ankunft 
ringsum  auf  den  Bergen  Freudenfeuer  angezündet  und  im  Hafen  brau- 
sende Evviva's  gerufen.  Auch  die  französische  Regierung  verbot  Eos- 
sntb,  durch  Frankreich  nach  England  zu  reiseu,  ja  in  Marseille  durfte 
Niemand  sich  dem  amerikanischen  Kriegssehiffö  nähern.  Ein  Arbeiter 
machte  die  Sache  kurz ;  er  sprang  ins  Meer,  schwamm  zum  Schiffe 
hin,  um  Kossuth  die  Hand  schütteln  zu  können,  und  als  dieser  sich 
über  die  Kühnheit  verwunderte,  rief  der  schlichte  Arbeiter :  «Nichts  ist 
dem  unmöglich,  der  einen  Willen  hat !  *  Dies  Wort  gefiel  Kossuth 
ungemein  und  er  wühlte  es  fortan  zur  Devise.  Er  fuhr  nun  nach 
Gibraltar,  wo  er  von  der  englischen  Festungsbesatzuug  festlich  empfan- 
gen  wurde.  Hier  erklärte  er  dem  amerikanischen  Capitüu,  er  werde 
mit  einem  englischeu  Schiffe  nach  Sonthampton  reisen,  aber  sehr  bald 
eciocn  Gefährten  nach  Amerika  nacheilen. 

Der  Empfang  in  Southamiiton  war  ein  grossartiger  und  die  eng- 
lische Bede,  welche  Kossuth  hielt,  versetzte  die  Engländer  «^erarlezu  in 
Ekstase.  Als  die  Nachrichten  hierüber  nach  London  gelaugten,  tele- 
graphirte  man  von  dort,  Kossuth  möge  noch  zwei  Tage  in  Sonthampton 
bleiben,  damit  man  in  der  Hauptstadt  Zeit  gewinne,  einen  würdigen 
Empfang  vorzubereiten.  So  wurde  denn  in  Southampton  noch  em 
Resses  Banket  veranstaltet,  bei  welchem  Richaud  Cobüen  einen  Toast 
«nf  Kossuth  aufbrachte  und  ihn  bat,  Aufklärungen  über  das  Verhältniss 
l'u!4;iiu9  zu  Oe.sti  ireich  zu  geben.  Kossuth  gab  diesem  Verlangen  in 
einer  zweistündigen  Hede  nach,  welche  die  grösste  Wirkung  hatte  und 
von  der  Col'den  selbst  sagte,  sie  reihe  sich  würdig  den  besten  oratori- 
J^clicn  Leistungen  Peel's  an.  Der  KiuptauL:  ni  London  war  feierlich  und 
grossartig,  wie  beim  Einzüge  des  Lordmiiyor  und  hier  wie  in  anderen 
englischen  Städten,  wohin  Kossuth  >icli  auf  wiederholte  Einladungen 
begeben  musste,  fanden  seine  Punlen  Bewmi'U  ruug  und  Zustimmung. 

Gegen  Ende  Octobcr  begab  sich  Kus>uth  auf  den  Weg  nach 
Amerika.  Auf  dem  Schitl'e  bet'iuultui  sieh  Pi  ls/kv  und  -eine  Frau. 
Ihäsz,  Giuatou  Pf.tiilkn,  Pai  l  IIa.tnik,  Pf.tf.r  Na«;y  und  einige  II  uived- 
Ofliciere,  welche'  den  Gouverneur  vuu  Kiutaliia  aus  begleiteten.  Auf 


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973 


FRANZ  PULSZKY's  MEMOIBEH. 


demselben  Dampfer  fohr  auch  die  einet  berühmte  Tänzerin  Zjoxjl 
MoMTBZ  nnd  fiel  Kossath  durch  ihre  Zudringlichkeit  zur  Last.  Pnl^sky 
versprach,  ihn  bald  von  deu  Annäherungen  der  Dame  zu  befreien  und 
fand  auch  die  günstigste  Gelegenheit  dasu.  Eines  Tages  sagte  nämliob 
Lola  Montez  zu  Kossuth : 

—  General,  wenn  Sie  wieder  einmal  gegen  Oesterreich  Krieg  füh- 
ren, dann  geben  Sie  mir  ein  Husarenregiment  1 

Pulszky  replicirte  sofort : 

—  Ich  bin  überzeugt,  mein  Fräulein,  dass  ein  geringeres  Corp« 
Sie  nicht  befriedigen  kann.  Diese  starke  Lection  nutzte. 

Auf  dem  Schiffe  arbeitete  Kossuth  jene  Bede  aus,  welche  er  in 
New-York  halten  wollte,  wohin  die  Beise  von  Southampton  aus  zwei 
Wochen  dauerte.  In  Staten  Island  hielten  sie  einen  Tag  Bast  nnd 
hatten  immerfort  Deputationen  zu  empfangen.  Seibat  die  Freimanrer 
erschienen  und  zwar  im  vollen  Ornate  mit  allen  ihren  Abzeichen.  Auch 
der  Mayor  von  New-Tork  kam  dahin  und  benachrichtigte  Kossuth, 
dass  die  Bevölkerung  eine  Bede  erwarte.  Bei  der  Ankunft  in  New* York 
wurden  sie  mit  hundert  Salutschnssen  empfangen,  die  gesammte  Be- 
völkerung war  ihnen  entgegen  gekommen.  In  Castel  Garden  bestieg 
Kossuth  eine  Tribüne  und  wollte  sprechen,  aber  er  konnte  vor  den 
donnernden  Hurrahrufen  drei  Viertelstunden  nicht  zu  Worte  kommen 
und  mnsste  endlich  die  Tribüne  vörlassen,  ohne  die  Bede  gehalten  zu 
haben,  welche  dann  in  den  Zeitungen  erschien.  Ueber  die  Bede,  welche 
Kossuth  in  Amerika  hielt,  berichtet  der  «Esgouverneur*  selbst  im 
ersten  Bande  seiner  vor  zwei  Jahren  erschienenen  Memoiren.  Der 
Gesammtertrag  der  Beden  Kossuth's  auf  seinem  Triumphzuge  durch 
Amerika  belief  sich  auf  96,000  Dollars,  welche  er  zum  grössten  Teile 
der  Unterstützung  der  Emigration  widmete,  während  er  für  sich  selbst 
kaum  20  Percent  der  Summe  behielt,  obgleich  die  Amerikaner  den 
Wunsch  aussprachen,  Kossuth  möge  mit  diesem  GMde  sone  und  seiner 
Familie  Zukunft  sichern. 

Die  Schilderung  von  Land  und  Leuten  in  Amerika  gehört  nicht 
nur  zu  den  besten  Partien  dieses  Buches,  sondern  zu  dem  besten  über- 
haupt, was  über  Amerika  je  geschrieben  wuirde.  Folgen  wir  dem  amü- 
santen Erzähler  bei  der  Schilderung  seiner  Ankunft  in  New- York : 

Man  empfing  Kossuth  mit  grosser  Begeisterung  und  bat  ihn,  einen 
Tag  hier  zu  verweilen,  damit  man  iuNew-York,  wo  man  erst  in  diesem 
Augenblicke  seine  Ankunft  erfahre,  die  nötigen  Vorbereitungen  zu 
einem  feierlichen  Empfange  treffen  könne.  Hierauf  entwickelte  sieh 
eine  gemütliche  Conversation ;  der  Major  wendete  sich  an  mich  und 
titulirte  mich  General ;  ich  erwiderte,  dass  ich  das  nicht 


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FRANZ  PULSZKY's  MEMOIREN.  f  3 

—  -Al.so  Herr  Oberst  — 

—  Auch  (las  bin  icli  nicht,  ich  war  niemals  Soldat. 

—  Also  lieber  Connt  Pulszky  — 

—  Auch  das  nicht ;  blos  Mr.  Pulszky,  nicht  mehr  und  nicht 
weniger. 

—  Das  kann  nicht  sein  :  ein  Manu,  dessen  Namen  wir  hier  in 
Amerika  schon  kennen,  kann  nicht  ein  einfacher  Master  sein.  Wie  sehr 
Sie  sieb  auch  dagegen  sträuben  mögen,  so  lange  Sie  in  Amerika  bleiben, 
sind  Sie  Count  Pulszky,  für  uns  sind  Sie  es. 

Und  so  war  es  auch  in  der  Tat ;  ich  erinnere  mich,  dass  ich 
einem  Dr.  Hotfmann,  der  Piechtslehrer  an  der  pennsylvanischen  Univer- 
sität war  und  der  von  mir  Aufkhirungen  über  europaische  Etiquette 
und  Titulaturen  wünschte,  eine  halbe  Stunde  lang  die  Verhaltnisse, 
Hechte,  Grade  und  die  sociale  Stellung  des  europäischen  Adels  erläu- 
terte und  dabei  hervorhob,  dass  ich  zwar  von  ungarischem  Adel  sei, 
aber  dennoch  keinen  Titel  fülire  ;  als  ich  ihm  dann  noch  die  ehemaligen 
Privilegien  des  ungarischen  Adels  und  die  jetzige  Stellung  unserer 
Magnaten  auseinandergesetzt  hatte,  sagte  er  endlich  : 

—  Nun  verstehe  ich  Sie,  Herr  Count,  und  kenne  Ihre  Stellung. 
Ich  sah,  dass  alles  Protestiren  umsonst  sei  und  Hess  mir  nun  den 

Titel  Count  in  dem  Lande  gefallen,  in  welchem  trotz  aller  republikani- 
schen Ideen  Jedermann  seinen  Titel  führt.  In  Amerika  gibt  es  mehr 
Excellenzen  als  in  Europa,  jeder  Minister,  jeder  Senator,  jeder  Gou- 
verneur beansprucht  diesen  Titel ;  weil  nun  diese  immer  nach  drei, 
vier  und  sechs  Jahren  wechseln,  so  wimmelt  es  in  der  Union  von 
Excellenzen.  Allen  Mitgliedern  des  Congresses  und  der  zweiten  Kam- 
mern der  einzelnen  Staaten  gebührt  der  Titel  Honorable,  der  Governor 
und  Judge  gibt  es  unzählige.  Die  Eeihe  der  Generale  und  Obersten  ist 
endlos  ;  in  allen  Städten  befinden  sich  Milizregiraenter,  die  ihre  Offi- 
eiere  selbst  wählen,  und  da  werden  denn  geinröhnhch  die  hervorragen- 
den Hotelbesitzer,  die  vor  der  Wahl  dem  ganzen  Regiment  ein  Festmahl 
geben,  zu  Obersten  gewählt.  Ich  gewöhnte  mich  sehr  bald  daran,  in 
jeder  Stadt,  bei  jedem  Hotel  nach  dem  Obersten  zu  fragen.  Einmal 
aber  kam  ich  übel  an.  In  Cincinnati  hragte  ich  in  dem  ersten  Hotel 
nach  dem  Obersten,  worauf  der  Kellner  verächthch  fragte  :  was  für  ein 
Oberst,  Sie  suchen  wahrscheinlich  den  General  ?  Ich  entschuldigte 
mich  und  unterhandelte  dann  mit  dem  General  —  dem  Hoteher  — 
wegen  der  Anzahl  der  Zimmer  und  teilte  ihm  unsere  Wünsche  mit. 

üöchst  amüsant  ist  in  der  Pulszky'schen  Darstellung  auch  die 
Geschichte  des  Generals  Houston,  von  dem  er  Folgendes  erzählt :  Sein 
Vater  hatte  in  VirguuA  gelebt  und  war  materiell  sehr  herabgekommen ; 

üaiMiMilM  BOTBt»  1881,  HL  H«(b  «o 


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FRANZ  PULBZKY*6  MEMO  IBEN. 


iiacli  seinem  Tode  verkaufte  die  Witwe  die  übrigen  Landereien  und 
h.iedelte  sich  in  Tennessee  an.  wo  der  Sohn  heranwuchs,  eich  al? 
Advocat  ein  Vermögen  erwarb  und  endh'ch  zum  Gouverneur  des  Staa- 
tes gewählt  wurde  ;  aber  seine  Frau  quälte  ihn  derart,  dass  er  seioeu 
Gouverneurposten  im  Stiche  Hess  und  zu  den  roten  Indianern  floh,  wo 
or  9{ch  in  Tierfelle  kleidete  und  bald  zum  Häuptling  gewählt  wurde. 
Als  die  Bevölkemng  von  Texas  daroh  stete  Einwanderung  ans  der 
Union  sehr  aagewaclisen  war  und  nun  den  Unabhangigkeitskampf 
$;egen  Mexiko,  unter  dessen  Botmässigkeit  sie  stand,  begann,  <ln 
braobte  sie  die  mexikanische  Armee  in  nicht  geringe  Verlegenheit, 
denn  diese  eroberte  einen  Teil  des  Gebietes  von  Texas.  Die  Aofotindi- 
f-ohen  sendeten  eine  Deputation  nach  Washington  zu  dem  gewesenen 
Präsidenten  General  Jackson,  um  diesen  zu  bitten,  er  möge  ihnen  einen 
General  anempfehlen,  der  ihnen  zum  Sieg  verhelfen  könnte.  Jackson 
sagte,  einen  besseren  als  Houston  könnten  sie  nicht  finden. 

—  Was  ?  der  ist  ja  ein  halb  Wilder,  er  trägt  nicht  einmal  Panta- 
lons  und  kleidet  sich  in  Büffelfelle. 

—  Ich  sehe,  dass  Euere  Lage  noch  keine  sehr  ge&hrliche  ist  und 
will  Euch  daher  die  Adresse  des  besten  Schneiders  in  Washington  ver- 
schaffen, der  kaon  Euch  dann  Auskunft  geben,  wer  die  tadellosesten 
Pantalons  trägt.  Wenn  Ihr  aber  einmal  in  eine  Lage  kommt,  in  dsr 
Euch  der  Verstand  mehr  gilt  als  Pantalons,  dann  wendet  Enoh  an 
Houston. 

Die  Deputation  wendete  sich  nun  doch  an  Houston,  der  die  Füh- 
rerschaft annahm  und  die  Ti  xaner  so  glücklich  führte,  dass  sie  bei 
San  Jaciuto  die  ganze  mexikanische  Armee  sammt  dem  Priisidenti'ii 
von  Mexiko,  dem  (xcaeral  Santa  Anna,  gefangen  nahmen  und  dadiircli 
ihre  Unubhuu.fjigkeit  eiulgiltig  sicherten.  Sie  wollten  nun  Houston  zu 
ihrora  Präsidenten  wühlen  :  in  der  Volkbveröammlung  hielt  er  eine 
liede  beiliiutig  folgenden  Inhalts  : 

•fBürjjrer!  Mit  Stolz  blicke  ich  auf  Euch  !  Mit  solchen  Männern 
hat  Komnhis  Rom  «^en^rundet  ;  denn,  so  scheint  es  mir.  siimmtliehe 
Mörder,  Räuber,  Falsch-^pielor,  bankerotte  Verschwender  «icr  Union 
sind  hier  .aisammengekommen,  kein  einziger  ist  zuriickj^eblieben.  Ihr 
Hoid  ein  \'olk,  das  im  Stande  ist,  jede  Armee  civilisirter  Völker  zu  be- 
biegeu,  zu  vernichten,  aber  zu  regiereu  seid  Ihr  nur,  wenu  Ihr  den 
Druck  einer  eisernen  Hand  auf  Euerem  Nacken  fiihlt.  Wenn  Dir  mich 
zu  Euerem  Präsidenten  wählt,  so  sollt  Ibr  die  eiserne  Hand,  die  Euch 
Ordnung  lehrt,  fühlen,  das  schwöre  ich  bei  Gott.» 

Dieser  Rede  folgte  beifälliges  Vivatrufen  und  alsbald  auch  die 
Wahl  Uouston's  zum  Präsidenten.  Er  selbst  erzählte  mir,  dass  er  drei 


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FBANZ  PULSZKV'S  MEMOIEBN. 


i7b 


Jihre  hindaroh  so  streng  und  rücksiobtolos  regiert  habe,  wie  irgend 
ein  enrop&iecber  Tyrann.  Das  Volk  duldete  dies,  aber  nach  diesen  drei 
Jahren  erschien  eine  Deputation  des  Senates  und  de«  Bepräsentanten* 
haiues  bei  ihm,  die  mit  Pistolen  bewaffnet  ins  Zimmer  trat  und  ihm 
in  energischer  Weise  erklärte,  dass  das  Volk  von  nnn  an  eine  anstän» 
digere  Behandlung  fordwe,  sonst  würden  sie  ihn  wie  einen  Hundnieder> 
sdiiessen.  Der  Prftsident  ging  ihnen  hierauf  entgegen,  umarmte  den 
Sprecher  und  sagte,  dass  dies  der  glücklichste  Tag  seines  Lebens  sei, 
da  er  sehe,  dass  in  den  Texanem  endlich  das  Ehrgefühl  erwacht  sei;  er 
lege  hiemit  seine  Stelle  als  Präsident  nieder,  Yon  nun  an  könne  eine  mil- 
dere Persönlichkeit  dieses  Amt  versehen,  da  sie  bewiesen  hätten,  dass  sie 
Ehr-  und  Selbetgefuhl  besässen  und  Ahig  seien,  sieh  selbst  zu  regieren. 
Auch  diesmal  folgten  seinen  Worten  begeisterte  Vivatrufe  und  bei  der 
nächsten  Wahl  wurde  er  wieder  zum  Präsidenten  gewählt.  Während 
seiner  zweiten  Präsidentschaft  setzte  er  die  Aufnahme  Texas'  in  die 
noidamerikanische  Union  durch  und  vertrat  seit  jener  Zeit  diesen 
Staat  als  Senator  in  Washington. 

m. 

Nach  der  Bückkehr  aus  Amerika  traf  Koseuth  oft  mit  ICazzini 
und  Ledm-Bollin  in  London  zusammen ;  hierauf  liess  das  englische 
Ministerium  des  Aeussern  eine  Hausdurchsuchung  bei  Eossuth  anord- 
nen, aber  der  damit  betraute  Polizeimann  meldete  dies  am  nächsten 
Tage  in  einer  localen  VolksTcrsammlnng,  diese  sprach  Lord  Palmerston 
ihre  Miasbilligung  aus,  diese  Sache  kam  auch  vor*s  Parlament,  aber 
der  Polizist  wurde  weder  amovirt,  noch  bestraft.  Kossuth  schrieb  nun 
einige  Zeit  die  Leitartikel  für  die  «Sunday  Times»,  aber  da  diese  nicht 
den  Erfolg  hatten«  den  er  erwarten  dürfte,  gab  er  es  bald  auf.  Später- 
hin hielt  er  in  einzelnen  Städten  Englands  und  Schottlands  Vorträge, 
welche  immer  zündend  wirkten. 

  *   

Während  Kossuth  zurückgezogen  lebte  und  mit  der  grossen  eng- 
lischen Gesellschaft  wenig  verkehrte,  stand  die  Familie  Pulszky  in 
lebhafter  Verbindung  mit  den  vornehmsten  Girkeln  der  englisehen 
Hauptstadt  und  war  mit  den  bedeutendsten  Schriftstellern  eng  b^freun- 

Mit  DicKBNs  und  Tbackerat  verkehrten  sie  oft  und  hatten  Gele- 
g^nheit,  den  nie  versiegenden  Humor  des  Letzteren  zu  bewundem. 
Einmal  sprach  man  von  Lord  Ellenborongh ;  Hayward,  der  sich  gern 
mit  seben  aristokratischin  Bekanntschaften  brüstete,  erwähnte,  er 
'Werde  am  Freitag  dort  diniren.  Schön,  sagte  Thackeray,  das  trifft 
sich  vortrefflich,  ich  bin  auch  für  Freitag  geladen,  wir  können  zusam- 
men hingehen.  Hayward  schwieg  einen  Moment  und  sagte  dann,  als 

18* 


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976 


FRANZ  PULSZKY'S  M8M0IRBN. 


ob  CB  ilim  ebeu  erst  einfiele  :  «Nicht  für  Freitag  bin  ich  zu  Ellenbo- 
rough  B  geiudea!»  worauf  Thackeray  trocken  bemerkte:  tJch  auch 
nicht ! » 

Volle  elf  Jahre  wolmte  die  Familie  PuLszky  iu  London.  Aus  jeder 
Seite  des  BucIh  s  *  r^-ii  ht  luan  es,  dass  Franz  Pulszky  die  englische 
Gesellschaft,  ihre  Sitten  und  Brauche,  die  engli-^chen  Institutionen, 
die  wifisenschaftlichen  und  politischen  Verhältnisse  besser  kennt  als 
irgend  Jemand  auf  dem  Continent  ;   nach  dieser  Richtung  bin  l'ietet 
sein  ^Verk  eine  reiclie  Fundgrube  zum  practisch  raschen  Verständnisse 
der  englischen  Verhiiltnisse.  Von  London  begab  sich  Pulszky  mit  seiner 
Familie  nach  Italien,  wo  f^ben  der  Krieg  ausbrach,  der  bekanntlich  die 
Hoffnungen  der  ungarischen  Emigration  aufs  Neue  schwellte.  Die 
Briefe,  die  Kossuth  an  seinen  Freund  Pulszky  nach  dem  Friedens- 
ßchlusse  richtete,  führen  eine  erscliütternde  Sprache  ;  sie  zeigen  die 
tiefe  Leidenschaftlichkiit.  den  stolzen  Patriotismus  und  die  Politik 
Kossuth's.  An  einer  Steile  sagt  er  wörtlich  :   «Die  ungarische  Frage 
steht  zu  unserem  Glücke  in  inniger  Verbindung  mit  jeder  Politik,  die 
sich  auf  das  Wohl  der  Türkei  Itezieht.  Auf  diese  letztere  müssen  wir 
unsere  ganze  diploniHtiselie  Geschicklichkeit  conceiitriren,  von  uns 
selbst  müssen  wir  schweigen.    Wenn  wir  es  durchsetzen,  dass  sich 
England  mit  der  Türkei  verbündet,  so  brauchen  wir  nicht  mehr,  unser 
Vaterland  ist  dann  gerettet.» 

Eine  riihrendere  Sprache  führen  aber  die  vom  Marz  1859  datii  teu 
zwei  Briefe,  die  Franz  Deäk  an  Fi;.\nz  Pulszky  gerichtet  hat.  Wir 
können  uns  nicht  enthalten,  die  Hauptstellen  derselben  hier  zu  ver- 
ötf entlichen  : 

«Als  Prosaiker  (Pulszky  hatte  in  scherzhaften  Hexametern  ge- 
schrieben) folge  ich  Deinem  Beispiele  nicht  und  schreibe  sowohl  von 
mir  als  auch  von  Anderen.  Freund,  ich  werde  alt.  Die  wirklichen  und 
eingebildeten  Krankheiten  des  Alters  sind  mein  Gefolge.  Meine  Besitzung 
verkaufte  ich  für  eine  Lebensrente  an  die  Griiün  Stetan  Szechenyi, 
lebe  von  meinen  bescheidenen  P^inkünften,  sieben  Monate  in  Pest,  den 
Sommer  und  die  Hälfte  des  Herbstes  verbringe  ich  in  Zala  und 
manchmal  in  einem  oder  anderem  Badeort  —  als  lediger  Mensch. 
Klaüzäl  ist  verheiratet,  wie  du  weisst.  Er  hat  einen  Sohn,  eine  T(K-h- 
ter,  in  Kleiu-Teteny  einen  prsichtigen  Weingarten  und  einen  Obst- 
garten, er  ist  ein  grosser  Weinzüchtcr  und  Gärtner  und  lebt  ganz 
dieser  Wissenschaft  und  seiner  Familie  und  gibt  sehiem  klein»>u  Kinde 
selbst  zu  trinken  (natürlich  nicht  von  seiner  eigenen  Milch).  Sein  Ge- 
sundheitszustand ist  nicht  ärger  als  früher,  ja  sogar  besser  als  im 
Jahre  1848,  doch  leidet  er  auch  jetzt  viel  an  Blutwaliungen.  Eötvök 


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FBANZ  PULBZKT*8  MEMOIREN. 


«77 


«rzieht  seine  Kinder,  schreibt  und  präsidirt  in  der  Akademie.  Er 
"wohut  in  Pest,  klagt  viel  über  sein  Leberleiden ;  seine  Kinder  —  er 
bat  viere  —  entwickeln  sich  prächtig.  Tbefort  hat  auch  den  Winter 
hier  in  Pest  verbracht,  er  schreibt  wenig,  klagt  aber  viel  über  öcono- 
mische  Missstände.  Graf  Stefan  SztcHKNvi  s  Gesundheit  ist  hergestellt, 
er  hat  aber  die  Heilanstalt  noch  nicht  verlassen.  KEMfeNY  vertieft  sich 
bis  über  die  Ohren  ins  Zeitungsredigiren  und  Romanschreiben,  dabei 
ist  er  so  zerstreut  wie  früher  und  gemütlicli  wie  sonst.  Csenoery  ist 
trotz  hcines  schwachen  Gesuudheitszustuiides  sehr  tätig.  Die  Buda- 
pp sti  Szemle»,  welche  er  redigirt,  wird  mit  grosser  Anerkennung  auf- 
genommen. —  Dies  sind  von  unseren  alten  Freunden  Diejenigen, 
welche  wemgsteuh  einen  Teil  des  Jahres  hier  verbringen,  von  den  Ab- 
wesenden erfahren  wir  selbst  wenig.  Gott  mit  Dir,  mein  lieber  Feri, 
Deiner  lieben  Gattin  richte  in  meintui  Namen  sehr  herzliche  Grüsse 
aus.  Deine  Kinder  küsse  statt  meiner.  Icii  umarme  Dich  !  Dein  treuer 
Freund  Fkanz  Deak.» 

Das  nächste  Mal  schreibt  Franz  Deak  : 

«Mit  ausserordentlichem  Intiieese  und  inniger  Teilnahme  las  ich, 
was  Du  über  Deine  Kinder  schriebst  ;  iln'  Fleiss  und  Fortschritt 
erfreute  mich  wohl,  überraschte  mich  aber  nicht,  denn  ich  erwartete 
nicht  Geringeres  von  Euern  Kindern.  Du  hast  nicht  genug  Vermögen, 
bchreibst  Du,  um  Deinen  Kimkiii  einen  Erzieher  zu  halten,  Du  und 
Deine  Gattin  unterrichtet  und  erzieht  sie  selbst.  Freuud,  dieser  Man- 
gel, denke  ich,  ist  für  Eure  Kinder  ein  wahrer  Segen,  denn  sie  könnten 
keinen  besseren  Händen  anvertraut  werden.  Ich  weiss,  dass  Ihr  selbst 
unter  den  glänzendsten  Verhältnissen  die  Erziehung  Euerer  Kinder 
geleitet  hättet,  aber  so  ist  es  doch  besser,  denn  die  Erziehung  ist 
gleichmussig,  keine  fremde  Hand  wird  in  dieselbe  störend  oder  verän- 
dernd eingreifen.  Auch  freut  es  mich  herzlich,  dass  die  Kinder  Lt  dwio 
Kossi  th's  im  Lernen  vorzügliche  Fortschritte  machen  ;  schon  in  ihrer 
zarten  .Jugend  verrieten  sie  die  Entwickelung  ausgezeichneter  Fähig- 
keiten ;  dnmals  zeigte  sich  beim  Kleineren,  wenn  ich  nicht  irre,  ein 
leibhafterer  (Jcist  als  beim  Grösseren.  Du  schreibst  mir,  dass  Ludwig 
grau  geworden.  Dies.  Freund,  wundert  mich  nicht,  bei  den  vielen 
SchicksalsRchliigeu  uiul  Unglücksfällen,  die  ihn  trafen.  Er  ist,  glaube 
icii,  um  einige  .Talire  älter  als  ich,  und  die  Zeit  ist  auch  an  mir  nicht 
olme  Spur  vorübergeeilt  und  selbst  Pepi  Eötvös,  der  doch  um  zehn 
JaJire  junger  ist  als  ich,  trägt  Spuren  des  herannahenden  Alters  .  .  . 
Ich  kann  es  wohl  begreifen  und  verstehen,  dass  Kinder  ihren  Eltern 
bei  vielen  Sorgen  auch  viele  Freuden  bereiten,  aber  ich  bereue  es  den- 
Doch  nicht,  dass  ich  Klauzäl  s  Beispiel  nicht  befolgte  und  mich  im 


278 


DBB  «UMSS  DAdCUS» 


fönfeigsten  Jahre  nicht  verheiratete.  Ueber  fünfzig  Jahre  hinaus  kann 
sieh  Niemand  viel  Lebensjahre  mehr  verspreehen.  nnd  wie  druckend 
dänkt  mir  die  Besorgniss,  nnmfindige  kleine  Kinder  hinterlassen  sn 
müssen,  die  eosuBagen  in  die  Welt  gestossen,  einem  ungewissen  Sehick* 
sale  preisgegeben  sind.  Ob  mir  sechs  Kinder  in  den  Schoss  passen 
würden,  kann  ich  nicht  beurteilen,  aber  es  ist  mir  recht,  dass  ich  keine 
habe.  Gott  mit  Dir,  mein  Freund  f  Ueberbringe  Deiner  Gattin  meine 
anfrichtigstou,  herzlichsten  Grüsse.  Grüsse  imsere  Freunde  und  liebe 
Deinen  wahren  Freund  Deäk.» 

Den  Schlnss  dieses  Bandes  bildet  eine  mehrere  Druckbogen  starke 
Abhandlung  Pubzky's  :  <  l)ie  ungari.Nclieii  Bildungssilben  und  Suflixe 
im  Lichte;  des  Sprachsystems  des  Sanskrits-.  l)ie-e  Abljjindlnng,  in 
deren  Interesse  sich  Pulszky  an  Deak  wandte,  hatte  er  als  Directioji-^mit- 
glied  der  Londoner  Philologischen  Gesellschaft  in  einer  Sitzung  derselben 
gehalten  und  sandte  sie  nun  der  ungarischen  Akademie,  deren  Mitghed 
er  war,  behufs  Publication  ein.  Aber  es  kam  lange  keine  Antwort ; 
später  erfuhr  er,  dass  die  ungarische  Akademie  in  grosse  Verlegenheit 
geraten  war,  da  sie  einerseits  die  Abhandlung  iiicht  unterdrücken 
durfte,  andererseits  aber  die  Connivenz  mit  einem  iBevolntionär*  in 
der  damaligen  Zeit  noch  gefährlich  war.  Endlich  liess  sie  dieselbe  aber 
doch  im  t Neuen  Ungarischen  Museum»  unter  dem  liamen  Frans  P. 
V.  LüBocz  (das  Adelsprädicat  Puls/ky's)  erscheinen  nnd  so  waren  denn 
Ziege,  Kraut  und  Wolf  unversehrt  über  das  Wasser  gekommen. 

Der  nächste  Band  der  Memoiren  dürfte  uns  über  die  zweite  nnd 
letzte  Epoche  der  ungarischen  Emigration,  die  sich  bis  1867  hinzieht, 
interessante  x  nd  anziehende  Anfechlnsse  geben. 


DER  «LIMES  DAGIOUS». 

Die  von  Kahl  Tobma  im  Jahre  1858  entdeckte  Inschrift  auf  einer 
ara  Totiva  in  Kapjon  (Comitat  Szolnok-Doboka)  ist  die  wichtigste 
Inscription,  die  seit  Jahrzehnten  auf  dem  Gebiete  Daciens  gefunden 
wurde.  Sie  spricht  von  einem  Valium  nnd  dem  Vorlande  desselben, 

einer  Region  Daciens,  über  welche  wir  bis  jetzt  keine  einsige  Nachricht 

hatten.  Dieselbe  ist  im  Corpus  Inscriptionum  Latinarum  (III,  165, 

Nr.  S*27)  abgedruckt  und  bildet  den  Ausgangspunkt  zu  den  Unter* 
Buchungen  über  den  Limes  l)acicus.  Als  der  Entdrcker  die  Inschrift 
Momiusen  mitteilte,  antwortete  dieser  unter  Anderem  :  tDas  Vallnm 
uud  sein  Vorland  wird  Ihnen  genug  zu  denken  geben.»  Der  Meister 


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DER  «LIMES  DACICUSt. 


279 


hatte  nur  aUsQ  recht.  Torma  gelang  es  jedoch  schon  im  Jabre  '1862 
die  Sporen  d«e  Valium  zu  entdecken.  Die  Beenltate  seiner  Forsohnn- 
gen  hat  das  gelehrte  Ausland  im  Grossen  nnd  Ganzen  angenommen ; 
jedoch  wnrde  das  Vallnm  von  Theodor  Ortvay  in  seiner  «Auf  dem 
Gebiete  Daciens  und  Mösiens»  betitelten  Abhandlung  (Arohsologiai 
firtesittf  1875)  als  nicht  römisch,  sondern  als  das  Werk  der  Barbaren 
erklärt,  mithin  seine  Identität  mit  dem  Limes  Dacions  bestritten. 
Derselben  Ansicht  war  auch  B6mer.  Ortvay's  Beweislohning  stützt 
tjieb  anf  die  nennte  Zeile  der  Inschrift,  wo  er  statt  des  verstömmelten 
ngio  troHwalflum),  tran»val(lm)  lesen  will,  mithin  jeder  Hinweis  anf 
ein  Tallnm  falsch  ist.  Die  von  Torma  nachgewiesenen  Propngnacnla 
und  Castra  anf  nnd  neben  dem  Valium  beweisen  nach  Ortvay  noch 
nicht,  d«s8  diese  Befestigung  ein  römisches  Werk  war,  viel  weniger 
sind  es  Teile  des  Limes  Daciens.  Torma  nahm  daher  seine  Forschun- 
gen wieder  anf.  Im  Jahre  1879  durchforschte  er  aufs  Neue  und  noch 
viel  grundlicher  den  oberen  Teil  des  Limes  und  reine  Resultate  liegen 
nun  in  einer  acht  Bogen  starken  Abhandlung  vor,  welche  jedoch  nur 
den  ersten  Teil  seiner  Untersuchungen  enthält,  da  die  Forschungen  über 
den  unteren  Teil  des  Limes  ihn  noch  gegenwärtig  beschäftigen. 

Die  vorliegende  Arbeit  zerfällt  in  vier  Teile.  Der  erste  behandelt 
die  Gegend  des  Samus^Flusses  (SzamoB),  reepective  den  Ager  Napo- 
eensis  und  dessen  Verhältniss  zum  Limes.  Mommsen  hat  nachgewie- 
aen,  dass  anf  dem  Platze  des  heutigen  Klausenburg  die  römische 
Golonie  Napoca  stand.  Hier  beginnt  Torma  seinen  Excurs.  Zuerst 
bespricht  er  den  Ager  Napocensis.  Von  Napoca  fahrten  mehrere 
Strassen  gegen  das  Valium,  beziehungsweise  durch  den  AgerNapo- 
eensis,  von  denen  Torma  sechs  nachweist:  die  Strasse  von  Napoca 
nach  PoroHssum  (Klausenburg — Torda),  diejenige,  welche  sich  von 
Napoca  gegen  Szamosfalva  wendet  und  zum  Szamos-  und  8aj6>Flu8se 
fährte,  nach  Porolissum  (Mojgräd)  und  die  gegen  Besculum  (Kis-Sebes) ; 
ferner  die  Heerstrasse  von  Porolissum  nach  Värmezö,  dann  jenevonZutor 
über  Nyercze  und  Nag}'-Hajtolcz  nach  Värmezö,  endlich  die  von  Zutor 
über  Közöplak,  Nagy  Almäs  und  wahrscheinlich  Közöp-FüldnachBescu- 
lum  führende.  Aji  diese  Strassen  scliliessen  sich  jene  99  Ortschaften, 
"welche  Spuren  der  römischen  Colonisation  tragen.  Der  Verfasser  be- 
spricht jede  einzeln  und  bestrebt  sich,  eine  genaue  Topographie  des 
Ager  Napocensis  zu  geben.  Eine  ausführliche  Erklärung  der  erwähn- 
ten Inschrift  und  die  Befetimmuiig  der  Regio  des  Samus,  welche  nach 
Torma  jener  Landstrich  war,  der  sich  zwischen  Kis-Sebes,  Mojgräd, 

^  A  Limes  Dacicus  lelbo  r^K/e.  Toriua  E4rolyt61.  Akademie-Verlag. 


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280 


DER  tUMSB  OACI0U8». 


Tihd  und  Also-EosAly  in  der  Biohtang  des  Valloms  tuid  des  nftior- 
liehen  Limee  ausdehnte,  sehHesst  diesen  Teil  der  AbhandluDg.  Das 
VerhältnieB  des  Ager  von  Napoca  zum  Limes  gestaltet  eich  folgender- 
massen  :  Napoca  wurde  von  Trajan  gefjründet,  jedoch  hatte  die  Colonie 

eiuea  biirgerhcheii  Charakter ,  denn  die  Haiipt-MiHtärBtation  des 
nördHcheu  Dacieu  war  die  ebenfalls  von  Trajan  gegi-ündete  Stadt 
Potaissa.  Dort  lagerte  die  Legio  V  Macedonica  bis  zur  Uebergabe 
Daciens.  Die  meisten  in  Torda  gefundenen  luschrilten  beziehen  sich 
anf  Soldaten  dieser  Logion  und  die  gestempelten  Ziegel  der  Leg-ioii 
konimou  massenliaft  znni  Vorsehein.  Diese  Legion  versah  auch  deu 
Limes  mit  der  nötigen  Waciie  und  im  Notfalle  mit  Hilfstruppen  und 
bildete  die  strategische  Basis  der  Grenze.  Aus  deu  bisher  entdeckten 
Inschriften  kann  man  mit  Bestimmtheit  schliesseu,  dass  der  Sitz  der 
bürgerlichen  Verwaltung  des  nördlichen  Daciens,  d.  i.  der  provniciaPoro- 
Usseusis.  Napoca  war,  während  die  militiirische  Behörde  in  Potaissa 
residirte  ;  deshalb  ist  diese  letztere  Stadt  und  nicht  Napoca  als  Basis 
der  Verteidigung  des  oberen  Teiles  des  Limes  Dacicas  zu  betrachten. 

Der  zweite  Teil  bringt  den  Kern  der  Abhandlung,  nämlich  das 
Castrum  von  Sebesväralja  und  das  Valium  Kis-Sebes — Tibö,  d.  i.  den 
nordwestliehen  Teil  des  Limes.  Mit  Interesse  folgen  wir  dem 
Wege,  den  Torma  geht.  Die  detaillirte  Beechreibong  des  Castrum 
von  Sebesväralja  nebst  den  daselbst  gefundenen  Inschriften, 
welche  in  den  «ArchsBologisch-epigraphischen  Mitteilungen  ans  Oester« 
reicht  und  cBevidirte  und  neue  Inschriften  sn  Oorpns  Inscriptio* 
nnm  Latinamm  HE  (Dada)»,  erschienen  sind,  liefern  den  Beweis, 
dass  der  Name  dieses  Castrnms  Bescolnm  und  der  nnter  seinem 
Schatze  stehenden  Ortschaft  vicus  AficaBnornm  oder  Afigtenomm 
war.  Dieser  Ortsname  bereichert  die  Topographie  Daciens  mit  einem 
wichtigen  Platze,  nicht  nur  weil  wir  von  sehr  wenigen  römischen  ^ 
Oastris  Daciens  den  Namen  und  die  Lage  kennen,  sondern  hanptsäoh- 
lieh  darum,  weil  wir  nun  den  Namen  eines  wichtigen  strategischen 
Punktes  des  Valium  am  südlichen  Ende  des  Limes  wissen.  —  Nun 
folgt  das  Valium,  dessen  fünf  Teile  genau  besehrieben  werden,  woran 
sich  die  Befestigungen  Porolissums  und  die  römischen  Spuren  der 
Umgebung  Tihö's  ansehliessen.  Nach  dem  Vergleiche  mit  Hadrian's 
britannischem  Walle,  dem  sogenannten  Picts  Wall  oder  Limes  Britan- 
niens, mit  Antoninus  Pius'  caledonischera  Walle,  dem  sogenannten 
Grahams  Dyke  oder  Limes  Caledonicus  und  dem  Limes  Germanicus. 
kommt  der  Verfasser  in  Betrefi'  des  oberen  Teiles  des  Limes  Dacicus 
(Valium  Kis-Sebes — Tihö)  zu  folgenden  Kesultaten  :  Die  C'onstruction 
des  Valiums  ist  verschieden.  Von  Kis-lSebes  bis  zum  Karpiu  schen  (Nr.  1 ) 


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OBR  «LIMB8  DA0ICD8» 
I 


381 


Propugnaculum  führt  eine  mit  Baukalk  errichtete  Steinmaaer ;  Ton 
hier  bildeten,  wahrscheinlich  wegen  örtlicher  HindemiHse,  nicht  ein 
Tallum,  sondern  Pfahlbauten  den  Limes  bis  zum  Pusztakerter  (Nr.  18) 
PropQgnaculum ;  die  Richtung  geben  die  Wachtürme  und  besonders 
die  Strasse,  welche  vom  11.  bis  zum  18.  Wachturm  sichtbar  ist.  an. 
Von  diesem  Propugnaculum  bis  zur  W'asserscheide  oberhalb  Värteleks, 
gegenüber  von  Porolissum,  zieht  sich  teils  ein  mit  Graben  versehener 
Damm,  teils  nur  der  Damm  allein  ;  von  der  Porta  Meszesina  bis  zum 
Pogujorer  (Nr.  2ti)  Cnstellnni  finden  wir  wieder  die  Steinmauer.  Dieses 
Castellum  wurde  mit  dem  Mouastirer  Propugnaculum  durch  Pfahl- 
bauten verbunden,  deren  Richtung  die  Strasse  neben  dem  Limes  be- 
zeiclinet.  Vom  Mouastirer  Wiichturm  bis  zum  letzten  Propugnaculum 
am  ( )rmoz6er  Berge  gegenüber  von  Tihö  führte  ebenfalls  ein  Dumm, 
endlich  uherhalh  Tihö's  bis  Al«6  KosiUy  bildete  (kr  Szamos-Fluss  den 
natürlichen  Limes.  -  Der  Agger  war  nur  aus  Erde,  ohne  dazwischen 
gelegte  Steine.  Die  innere  Seitenhöhe  des  Dammes  wechselte  zwischen 
2"50  und  »),  die  äussere  zwischen  3'üO  und  7.  die  Breite  -Icr  Basis 
zwischen  11 -."jO  und  12,  die  der  OberHache  zwischen  1  "40  und  2'.% 
Meter.  Die  verschiedene  Höhe  des  Agger  rührt  wahr>ehtiiilich  daher, 
dass  an  dt  n  exponirten  Stellen,  d.  h.  dort,  wo  hiiufige  Einfalle  der 
Barhurt-n  zu  befürchten  waren,  der  Damm  hoher  war,  wahrend  an  ilen 
anderen  Stellen  der  niedrigere  Agger,  oder  die  einfachen  Pfahlhauten 
genügten.  Mit  einer  Fossa  wurde  der  Damin  nur  dort  versehen,  wo 
der  iii>ti<7e  Platz  vorhanden  war.  ja  seihst  dann  nicht  immer,  weil  der 
Berj^auckeu  des  Meszes,  an  dem  ilas  Valium  entlung  läuft,  so  steil 
ist,  dass  die  Graben  überllüszig  sind.  Wo  eine  Fofcsa  war,  lief  parallel 
mit  dem  Agger  nach  aussen  eine  terassenartige  3'70  bis  4  Meter  breite 
Stiege,  von  innen  entweder  eine  ahnliche  Terras.se  oder  ein  4  Meter 
breiter  Laufgraben.  Die  Breite  der  Fossa  variirt  o})en  zwischen  1.20 
und  2,  unten  zwischen  3  und  5,  die  Tiefe  hingegen  zwischen  1  und 
3-3ü  Meter. 

Auf  der  ganzen  Linie  des  Limes,  oh  Valium  oder  Pfahlhauten 
denselben  bildeten,  standen  niei<t  auf  dominirenden  Punkten  meiner 
Entfernung  vonS(X) — KXK)  Schritt  kleinere  und  grössere  Propu,i;nucula, 
welche  wahrscheinlich  krei>förnng  waren.  Hier  camjiirten  kleinere  Sol- 
daten-Abteilungen, welche  den  Limes  zu  bewaclien  hatten.  Nach  dem 
Umfange  der  Propugnacula  zu  schliess-en.  bestand  eine  solche  Wache 
etwa  aus  20  Mann,  die  abwechseln«!  auf  .lern  bestimmten  Baume  di-- 
Wache  besorgten.  Die  meisten  waren,  wie  es  scheint,  aus  Holz  erbaut, 
nur  der  (irund  war  aus  Stein.  Zu  den  im  Durchschnitte  1  BiJ  Meter 
dicken  Mauern  heferte  der  Bergrücken  d'-~  Meszes  das  Gestein  ;  die 


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DER  «LlMEfi  DACICUSI. 

Tinbehanen«!!  Steinmassen  hielt  der  starke  Baukalk  »nsammen.  Das 
hölzerne  Dach  war  wie  gewölmhch  mit  Ziegeln  gedeckt,  was  die  zahl- 
reichen Ziegel-Bruchatüoke  der  Biünen  beweisen;  jedoch  scheinen 
mehrere  AVachtürme  nur  mit  Brettern  oder  Sehindehi  gedeckt  geweeeo 
an  sein.  Die  Propugnacnla  waren  meist  in  den  Damm  eingebaot, 
derart,  dass  dieselben  ein  vrenig  hervorstachen ;  ob  dieselben  auch  ein 
gegen  das  Land  der  barbarischen  Vdlker  geriehtetee  Tor  hatten,  wer- 
den  erst  Nachgrabnngen  zeigen.  Wahrschemiich  ist  dies  nicht ;  da  das 
Valium  einen  mehr  defensiven  als  offensiven  Charakter  gehabt  hat 

Die  Oesammtzahl  der  Propugnacnla  des  Kis-Sebes — Tihöer  Val- 
iums l&sst  sich  heute  noch  nicht  bestimmen.  Wenn  man  nach  der  65 
Kilometer  oder 81 ,250  Schritt  langen  Ausdehnung  des  Valiums  schliesst 
und  auf  je  1000  Schritt  ein  Propngnaculum  annimmt,  so  müssten  auf 
den  oberen  Teil  des  Limes  Dacicus  80—81  Propugnacnla  fallen ;  da 
aber  an  manchen  Stellen  die  Entfernung  mehrere  tausend  Schritte 
betrug,  so  können  wir  im  Durchschnitt  40—41  Wachturme  annehmen» 
von  denen  Torma  S3  nachgewiesen  hat ;  die  Lage  der  übrigen  würde 
«ich  durch  fortgesetzte  Untersuchungen  gewiss  auch  bestinmien  lassen» 
Auf  jedes  der  sieben  Castra  kamen  also  sechs  Ftopugnacula,  welche 
man  mit  stehender  Besatzung  versehen  musste ;  rechnet  man  für  jeden 
Wachturm  20  Mann,  so  kamen  von  den  Castra  Stativa  —  die  aus  einer 
Cohorte  von  500  liann  bestanden  — je  120  Mann  als  Wache  für  das 
VaUum,  während  die  übrigen  Gamisonsdienste  leisteten.  —  Die  Mauer 
(murus)  war,  nach  den  Ueberresten  des  Eis-Sebeser  Castallum  zu 
sbhliessen,  am  südlichen  Ende  des  Valiums  0*85  Meter,  beim  Pogn- 
jorer  Castellum  au  der  Biegung  des  Valiums  gegen  Osten  hingegen 
1*40  Meter  dick  und  bestand  aus  opus  ineert»m,  —  Pfahlbauten  waren 
zwischen  jenen  Propugnacnla,  welche  grosse  Abgründe  von  dnander 
trennten  (wie  die  von  Nr.  1 — 5),  oder  wo  man  den  Agger  nicht  auf- 
werfen konnte.  Diese  Orte  waren  den  feindlichen  Angriffen  weniger 
angesetzt.  Der  die  Palissade  von  innen  schneidende^  3—4  Meter  breite 
Weg  war  mit  Schotter  bedeckt. 

Durchgänge  lassen  sich  am  Limes  vier  unterscheiden  und  zwar : 
1 .  beim  Kis-Sebeser  Castellum,  2.  bei  dem  Pogigorer  Castellum  an  der 
porta  Meszesina,  die  sogenannte  Soola ;  3.  bei  dem  Doppel-Propugna- 
culum  an  der  Arsure  (Kr.  10)  und  4.  bei  dem  SuvArer  Wachturm 
(Nr.  20).  Der  erste  war  bei  der  Krümmung  des  Limes,  d.  i.  dort,  wo 
derselbe  ins  Biharer  Comitat  auszweigt,  ein  wichtiger  Durchgang  zum 
barbarischen  Gebiet  imd  wahrscheinlich  auch  statio  portorii;  der 
zweite  bildete  dasjenige  Haupttor,  durch  welches  der  nordwestliche 
Teil  der  Provinz  mit  der  regio  trans  vallum,  respective  mit  den 


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.  DER  «LIMES  DAOIGUSt. 


S83 


Barbaren  verkehrte.  Diese  Strasse  verband  Dacien  mit  dem  pannoni- 
schcn  Hochland  nml  wahrscheiuhch  mit  dem  Csörszgrabeu  selbst,  und 
war  die  scola  die  statio  portorii  dieser  Verkehrslinie.  Der  dritte  und 
vierte  Durchgang  diente  zu  untergeordneteren  Zwecken.  Der  Engpass 
des  Egregy-Tales  bildete  bei  Borzova  ebenfalls  einen  Linies-Dnrcli?ang 
und  spätere  üntersuchnngen  werden  die  Spuren  de<  dortigen  Castel- 
lums  gewisB  zu  Tage  fördern.  Die  Mündungen  des  Almas-  nnd  (lorbo- 
Fliisses  neben  dem  Tihoer  Castrum  Bind  als  grössere  uod  freiere  Aditus 
des  Limes  zu  betrachten. 

Innerhalb  des  Valiums  standen  in  ungleicher  Entfernung,  jedoch 
immer  in  paralleler  Linie  die  Caslra  stativa,  deren  Kette  die  strate- 
gische Basis  der  Limes-Verteidigung  bildete.  Diese  Castra  versorgten 
die  Propugnacula  des  Valluma  mit  der  notwendigen  AVache  und  zwar 
derart,  dass  die  Besatzung  eines  jeden  Castrums  die  Wache  für  die 
naheliegendeo  Propngnaenla  stellte.  Diese  Castra  stativa,  welche  eine 
Heeres- Strasse  mit  der  andern  verband,  sind  folgende  :  1 .  das  Sebes- 
f&nüjaer  (Besculum),  ungefähr  3  Kilometer  entfernt  vom  Valium, 
respecÜTA  vom  Kis^Sebeser  Castellum  ;  2.  das  Värmez<!>er  a ;  3.  das 
8BSD(*Pöterlkü.Taer  5 ;  4.  das  Magyar-Egregyer  (Largiana)  7^4 ;  5.  das 
Bomlotter  (Certia)  7Vs ;  6.  das  Mojgr&d-ZsAkfalTaer  (Porolissam)  V/t, 
nspeetive  3V«,  und  endlich  7.  das  Tih6er  am  Ende  des  YaUnins  SV« 
KiUnneter  entfernt.  Die  Castra  mnssten  wegen  topischer  Schwierig- 
keiten ein  wenig  entfernt  vom  YaUum  erbaut  werden,  und  zwar  unter 
den  südöstlichen  Abhang  des  Messes-Qebirges  in  das  Egregy-Tal, 
rsspective  am  Eörös-  und  Almds-Flnsse.  In  den  schmalen  Bergkanten 
war  überhaupt  kein  Platz  für  diese  Castra ;  lagen  sie  doch  ohnedies 
genug  nahe  dem  Valium.  Der  römische  Stratege,  der  die  Lage  dieser 
Ctstra  bestimmte,  dachte  kaum  daran,  dass  eine  Zeit  kommen  wird,  in 
der  man  Zweifel  errege  gegen  den  römischen  Ursprung  seines  VaUums, 
dsahalb,  weil  die  Castra  nicht  eng  am  Valium  liegen.  Wenn  wir  dae  • 
IfeezeS'Gebirge  erenauer  betrachten,  werden  wir  sehen,  dess  er  anders 
gar  nicht  verfain  en  konnte.  --  Porolissums  Befestigungen  am  nord- 
westlichen P^nde  des  Limes  hiiugen  mit  diesem  aufs  Enge  zusammen. 

Weun  wir  nun  die  Stiuctur  des  oberen  Teiles  des  Limes  Ducicus 
sowuh!  im  Cianzen  als  in  seinen  Teilen  mit  dem  britischen,  kaledoui- 
sclien  und  iianptsäehlich  mit  dem  germauisciien  Limes  vergleichen,  so 
überzeugen  wir  uns,  dass  siimmtliche  nach  denselben  strategischen 
Principien,  zu  demßelben  Zwecke  und  —  abgesehen  von  den  durch  die 
Ttr>cliiedenen  Verhiiltnisse  und  die  Lage  der  Provinzen  [,'eboteiien 
kleineren  Aeuderung»  n  —  nach  derselben  Art  errichtete  IJefestigungs- 
werke  waren,  obwohl  sich  zwischen  dem  britannischen  Limes  und  den 


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DER  •  LIMES  DA0I0U8». 


Übrigen  durch  die  parallel  laafenden  doppelten  BefestigimgsliDien 
jenes,  der  zugleich  zu  defensiven  und  oflEensiven  Zwecken  gedient  haben 
mochte,  eine  gröseere  Divergenz  ergibt ;  jedoch  erforderten  die  strategi- 
Bchen  Verhältnisse  jener  Provinz  dieselben.  Unser  Valium  ist  eben  ein 
so  römisches  Werk  ab  die  anderen.  Die  analoge  Structor,  die  näm- 
liche Disposition  der  Castra  stativa,  das  Vorfinden  römischer  Alter- 
tümer anf  der  ganzen  Linie  des  Vallnrns:  all  dieses  beweist  zur 
Evidenz,  dass  dieses  selbst  in  seinen  Buinen  bevunderongswnrdige, 
imposante  Valium  das  Werk  römischen  und  nicht  barbarischen  Geistes 
ist.  Gegen  wen  hätten  wohl  die  Barbaren  diese  Schutzmaner  dorthin 
'  gebaut;  wo  sie  steht,  und  ganz  nach  römischen  strategischen  Principien 
errichtet,  von  denen  sie  nichts  verstanden  ? 

Der  dritte  Abschnitt  befiasst  sich  mit  der  Regio  transvallum. 
Nach  der  erwähnten  Inschrift  war  dies  jenes  Gebiet,  welches  jenseits 
des  oberen  Teiles  des  Limes  Dacicns  lag.  Wenn  es  auch  nicht  zur  Pro- 
vinz gehörte,  so  stand  es  doch  unter  römischer  Clientel,  wie  dies  die 
Inschrift  bezeugt,  nach  welcher  man  im  Jahre  239  n.  Chr.  in  der  Begto 
transvallum  den  census  zusammenschrieb.  Diese  Clientel  war  aber 
keine  beständige,  denn  das  Gebiet  entzog  sich,  wie  es  scheint,  oftmals 
der  Obhut  der  römischen  Gewalt.  Atifangs  bewohnte  ein  kriegerisches 
Volk,  nach  Torma  die  Metanaster  Jazygen,  diese  Begio,  gegen  welches 
man  die  Grenzen  der  Provinz  schützen  musste ;  später  entwickelte  sich 
jedoch  der  Verkehr,  und  die  Handelsverbindungen  führten  endhch  zum 
Patronat  und  zum  Steuerzahlen.  Die  Ausdehnung  dieser  Begio  können 
wir  nur  mutmassen.  Torma  ist  überzeugt,  dass  der  Limes  Dacicns 
westtich  von  Kis-Sebes  gegen  das  Biharer  Comitat  in  einem  geraden 
Winkel  abbrach,  da  denselben  bis  gegen  Grosswardein  der  Eörös  bil- 
dete, und  dass  man  von  hier  aus  die  Fortsetzung  des  Valiums  gegen 
Arad  und  Temesvär  suchen  muss,  einerseits  in  dem  sogenannten 
Csörszärka  (Ceörsz-Graben)  im  Biharer  Comitat,  andererseits  in  dem 
trömisdie  Schanzen  •  genannten  Damm.  Unterhalb  Grosswardeins, 
um  Püspöki,  musste  sich  die  Csörszärka  in  der  Gegend  von  Csatär, 
Siter,  Nagy  Tötfalu,  Fegyvernek,  Szalärd  um  den  Berettyö-Fluss, 
femer  um  Verzär,  Baromlak  und  Sz^lak  gegen  Zälnok  und  Eegye 
ziehen.  Demgemäss  ist  als  äussere  Grenze  der  Begio  transvallum 
(denn  die  innere  bildete  das  Eis-Sebes-Tihöer  Valium)  diese  Linie  der 
Csörszärka  zu  betrachten.  Torma  meint  nämlich,  dass  der  ursprüng- 
liche Plan  der  Bömer  die  Umgrenzung  Daciens  mit  einem  von  der 
Donau  auslaufenden  bis  zum  oberen  Flusse  der  Theiss  sieh  ziehenden 
Valium  war.  Dieser  Plan,  der  wahrscheinlich  von  Tnyan  ausging, 
konnte  jedoch  nur  teilweise  realisirt  werden;  Daciens  westlicher 


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DEB  tUMEB  DACICU6». 


3b&. 


Grin/wall  konnte  nur  teilweise  erbaut  werden  und  wurde  aus  unbe- 
kannten Gründen  .sistirt.  Die  Römer  waren  demnach  gezwungen,  den 
Limes  Dacicns  wenigstens  oberhalb  des  Koros  weiter  einwärts  zu 
ziehen,  respective  mit  einem  Valium  zu  befestigen.  Die  IJegio  trans- 
valliim  wurde  von  den  Römern  nie  besetzt,  obwohl  dieselbe  unter  iiirer 
Obrigkeit  stand;  dies  beweist,  dass  ausser  der  Linie  des  Valiums  bis 
jetst  noch  keine  römischen  Altertümer  (von  der  Zeit  vor  der  Völker- 
Wanderung)  gefunden  wurden.  Diese  Regio  bestand  demnach  ans  dem  ' 
Gebiete  zwischen  dem  Körös-,  Berettyo-,  Kraszna*  und  Szamos- Flusse. 

Hierauf  bespricht  Torma  die  Altertümer,  welche  an  der  Linie 
des  äussern  Yailnms  anf  barbarische  and  Metanaster  Jasygen-Wohn- 
ntie  denten. 

Im  letzten  Abschnitte  stellt  der  YerfiMier  die  Heeresstrassen  des 
nfirdliehen  Badens,  die  an  ihnen  aufgestellten  Gastra  und  die  gamiso- 
oirenden  Truppen  snsammen.  Nachdem  er  die  Bichtang  der  beiden 
Hauptstrassen :  der  Napoca-Porolissnmer  und  der  Szamos-Sajö-Maroser  * 
geieiehnet  hat,  folgen  der  Beihe  nach  die  Castra  und  die  Truppen. 
Dieselben  sind :  Potaissa  =  Torda  seit  Septimins  Severus  mit  der 
kgio  y  Macedonica;  Macedonica  =  Ssucsäg  mit  der  legio  XIII  gemina; 
Optotiana  s=  Zutor  mit  einer  unbekannten  Ala  miliaria ;  Largina  = 
lisgyar  Egregj  abwechsefaid  mit  der  Cohors  I  Batavorum,  der  Cohors 
\1  Tr(ibocQ«rum)  und  der  Cohors  H  Hispanomm ;  Certia  =  Bomlott 
mit  der  Cohors  I  Batavorum  und  der  Cohora  II  Britannica ;  Porolis- 
sam  =  Mojgräd-Zsäkfalva,  anfangs  mit  der  legio  XIII  gemina,  später 
mit  der  Cohors  I  Vangionum  Antoniniana ;  Vdrmezö  mit  der  Cohors  II 
Nnmi(iiirum  ;  Resculuin  =  Sebesvaralja  abweclischid  mit  der  Cohors  I 
Aigyj.tiorura,  Cohors  I  und  II  Hispauorum;  Tihö  mit  der  Cohors  I 
Cypria  ;  Szamosujvar  mit  der  Ala  II  Pannoniorum  ;  Alsö-Kosaly  mit 
der  Cohors  I  Britannica  miliaria,  früher  waren  wahrscheinlich  regulilre 
Truppen  der  legio  XIII  gemina  und  legio  V  Macedonica  hier ;  Alsö- 
Ilosvii  mit  der  Ahl  I  Tuugrorum  Frontoniana  und  der  Cohors  II  Bri- 
tannica miliaria  ;  Viirhely  mit  der  Cohors  I  Alpinorum  e<initata ;  end- 
lich Vecs  mit  der  ala  nova  Illyricorum.  Die  Besatzung  dea  bzeut- 
Peterfalvaer  Castrums  ist  unbekannt. 

Dies  sind  in  Kurzem  die  Resultate  des  unermüdlichen  Forschers, 
dem  wir  zu  seinen  weiteren  Untersuchungen  über  den  unteren  Teil  des 
Limes  und  über  das  Alter  des  ganzen  Befestigungswerkes  auch  weiter- 
hin Gluck  wünschen. 


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^  MKUBBE  AUSaBABUMOBN  IN  ALTOFBK. 


NEUERE  AUSGRABUNGEN  IN  ALTOFEN. 

Seitdem  Karl  Torma  uordwestlicb  von  Altofen  mit  ebensoviel  Glück 
als  Sachverntilndniscr  die  Ruinen  eines  bedeuteudenAmphitheaters  aufge 
deckt,  bekundet  man  allseitig  reges  Interesse  für  die  römische  Gescbichts- 
Periode  unserer  Hauptstadt.  Der  verdienstvolle  Erforscher  des  Amphi- 
theaters setzt  auf  der  einen  Seite  seine  Ausgrabungen  rüstig  fort,  und  hat 
die  Genagtnuug  das  Wiederaus  Tageslicht  gebrachte  Denkmal  römischer 
Baukunst  auf  Landeskosten  vor  ferneren  Zerstörungen  der  Zeit  bewahrt 
zu  sehen,  auf  der  andern  Seite  wieder  legt  er  die  Besultate  seiner  For- 
schungen in  gelehrtön  Abhandlungen  nieder,  welche  auch  die  Aufmerk- 
samkeit der  Fachleute  im  höchsten  Grade  zu  erregen  wissen,  die  nicht 
blos  aus  localem  Interesse  an  diesen  Trümmern  einer  längst  veigan- 
genen  Gultur  Gefallen  finden.  Das  Hnnicipinm  der  Hauptstadt  Buda- 
pest, stets  bereit  für  die  Wissenschaft  in  liberalster  Weise  zu  opfern, 
beeilte  sich  schon  vor  mehr  als  zwei  Jahren  für  archäologische  Zwecke 
2000  fl.  in  sdn  Jähresbudget  aufzunehmen  und  eine  eigene  GoDmtission 
mit  der  Veranstaltung  diesbezüglicher  Untersuchungen  zu  betrauen. 
Noch  im  Jahre  1879  untersuchte  diese  Oommission,  an  ihrer  Spitze  ihr 
Präsident,  Alexander  Havas,  die  Umgebung  von  Alt-Ofen,  bestimmte 
diejenigen  Stellen,  wo  richtig  geleitete  Ausgrabungen  von  Erfolg  sein 
dürften.  Hiebei  lenkte  sich  ihre  Aufmerksamkeit  besonders  auf  den 
«Kirchfjrund-  (papfölde,  « Pfatfenfeld» ),  gegenüber  den  Ruinen  des 
Amphitheaters,  em  ±2  Joch  grosses  Feld,  welches  schoji  durch  seine 
Bodeuforinution  verrat,  dass  hier  Kuiuen  von  grosser  Ausdehnung  iuj 
Schoosse  der  Erde  verborgen  liegen. 

Am  1.  Juni  ISSl  begann  hier  Professor  Jmsf:i  Hvmpkl  im  Auftragt 
der  Hauptstadt  die  systematischen  Ausgrabungen,  welclie  er  dauu  zwei 
Monate  hindurch  an  49  Wochentagen  mit  durchschnittlich  28  Arbeiteru 
bei  einer  Arbeitszeit  von  tiiglich  eilf  Stunden  rüstig  fortsetzte.  Dem 
Vorberichte,  welchen  Hampel  vor  Kurzem  der  erwähuten  Commissiou 
unterbreitete  ''},  entnehmen  wir.  dass  er  erst  von  Nord  nach  Süd  einen 
i  l>is  ()  Fuss  tiefen  Laufgraben  ziehen  Hess  und  dadurch  in  Erfahrung 
brachte,  dass  sich  in  römischer  Zeit  am  nördiiohen  Ende  des  Ausgra- 
bungsterrains Gassen  und  Plätze  mit  einigen  PriTathäusern  befanden. 

JelenU$  az  0-hudii  papföldi  asafäsröl,  1881,  Budapest.  (Bericht  über 
die  Ausgrabungen  am  Kiroli(;nmde  y.n  Altofen  1881.)  Ks  ist  begründete  Hotf- 
uuug  vurhaudeu,  dass  Hampel  die  liesultutc  seiner  vurjuiirigeu  Ausgrabuugeu 
bald  in  einem  der  Hauptstadt  würdigen  Praohtwerk  wird  Teröffentlicnen 
können. 


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NEUERE  AUSGRABüNGtN  IN  ALTOFEN.  ^87 

All  manchen  Stellen  sieht  man  noch  die  Spur  von  \Vjigen  in  da-^ 
aus  breiten  Steinplatten  zusammengesetzte  Pflaster  eingedrückt  und 
finden  sich  noch  —  wie  in  Pompeji  —  die  Trittsteine  für  Fussgänger 
vor.  Etwas  weiter  nach  Süden  stiess  man  auf  grossere  Baiireste,  welche 
zur  Vermutung  berechtigten,  dass  sie  von  einem  grösseren  ofieutlichen 
Gebäude  herrühren  ;  auf  diesen  Punkt  also  concentrirte  Hampel  alle 
ihm  zu  Gebote  stehendeu  Arbeitskrilfto.    Und  schon  in  der  zweiten 
Woche  der  Ausgrabungen  war  es  ihm  klar,  dass  an  der  Stelle,  wo  be- 
rufene Kenner  des  alten  Aquincum  römische  Befestigungs werke  vermu- 
teten, auf  einem  freien  Platze  das  architektonisch  schön  geschmückte 
Hauptbad  Aquincums  lag.  Die  Colonie  war  überhaupt  nicht  arm  aa 
Bädern,  reicher  als  die  meisten  übrigen  Städte  der  römischen  Provinzen 
von  ähnlicher  Grösse.  Auf  der  Werfte-Insel  fand  man  Spuren  von  zwei 
Badern,   auf  dem  Floriani-Platz  entdeckte  vor  einem  Jalirhundert 
Schönwisner  ein  Hypocaustum,  aucli  südwestlich  von  der  durcii  die 
neueren  Ausgrabungen  wieder  bekannt  gewordenen  Krempl-Mühle  und 
anderswo  haben  sicli  Spuren  dessen  erhalten,  dass  die  alten  Römer  den 
Schatz  an  warmen  Quellen,  den  die  Umgebung  von  Aquincum  besitzt, 
wohl  zu  würdigen  wussten.  Doch  ist  das  von  Hampel  aufgedeckte  Bad 
unstreitig  das  grösste,  welches  wir  aus  dem  alten  Aquincum  kennen,  ja, 
wenn  wir  von  den  zwar  grösser  augelegten  aber  w  eniger  gut  erhaltenen 
Bischofsweiler  Bädern  abseben  wollen,  das  grösste,  das  römische  Bau- 
kunst in  Nortcum,  KhaBtium,  Vindelicium  und  Deutschland  jemals  er- 
richtet bat.  Es  ist  zwar  noch  nicht  ganz  ausgegfraben  —  nach  West  und 
Süd  hat  man  die  äusseren  Umfassungsmauern  noch  nicht  erreicht  — 
doch  lässt  sich  schon  jetzt  ein  ^ter  Ueber])lick  über  einen  bedeutenden 
Traet  des  Gebäudes  gewinnen.  Von  Norden  treten  wir  über  die  ur- 
Bprungliche  Schwelle  in  den  grossen  Wartesaal,  dessen  Mauern  sieh 
noch  3 — 4  Fuss  über  den  mit  kleinen  Biacuitteziegeln  mosaikartig  be- 
deckten FuBsboden  erheben.  Eine  enge  Türe  nach  links  (Osten)  führt 
in  ein  kleineres  Zimmer,  welches  gleichfalls  der  Unterheizimg  entbehrt, 
eine  andere  nach  vorne  (Süd)  in  düs  ursprünglich  mit  Stucco  schön  ge* 
schmäokte,  grosse  Frigidarium,  das  kalte  Bad.  Diesen  beiden  Zimmern 
sehliessen  sich  nach  Süden  vier  andere  Räumlichkeiten  an,  welche  mit 
einem  durch  1— IV»  Fuss  hohe  Trachytpfeiler  gestützten  schwebenden 
Boden  versehen  sind;  es  sind  dies  die  Tepidarien  und  Caldanien, 
die  lauen  und  warmen  Bäder,  die  aus  den  mit  den  eben  erwähnten 
Trachytpft  ilern  versehenen  Hypocausten  direct  durch  den  Fussboden 
und  auch  durch  ^'ermittlung  von  Bleiröhren  geheist  worden.  Noch 
weiter  nach  Süden  finden  wir  ein  kleineres  Hypocaustum  mit  einigen 
NebenlocaUtäten  angebaut,  doch  werden  erst  die  fortgesetzten  Ausgra- 


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S88 


NEUBBE  ACSORABtmOBN  IM  ALTOVBK. 


bnngen  dartim,  ob  wir  es  liier  vielleicht  mit  der  weiblichen  lirtdc- 
abteilimg  zu  tuu  haben  oder  mit  einem  nicht  zum  ursprünglichen  Plaue 
gehörigen  Anbau,  der  mit  dem  Hauptbau  blos  die  Centralheizkammer 
gemeinnam  hatte.  Auch  letztere  wurde  noch  nicht  aufgefunden  ;  doch 
ist  sie  mit  Gewisüheit  in  südlicher  liichtung  zu  suchen,  und  wird  aich 
bei  ihrer  Auffindung  wohl  auch  ergeben,  anf  wclclie  Weise  unser  Bad 
mit  der  kaum  eiiiiue  hundert  Schritte  entfernten  grossen  Wasserleitung" 
Aquincums  zusaumienhing.  In  der  Nahe  des  sogenannten  Pulverturmes 
entsjiringen  namlich  dem  IJoden  fünf  (Quellen  mit  mineralhaltigem 
bläulichem  Wasser,  deren  constante  Warme  1 R.  beträgt.  Ihr  Waaser 
vereinigt  sich  noch  jetzt  in  dem  grossen  Becken,  welches  vor  mehr  als 
150(J  Jahren  von  römischer  Hand  gegraben  wurde,  und  Üieast  erst  in 
südlicher,  dann  in  östlicher  Kicbtimg  der  Donau  EU,  wobei  ee  vier 
Mühlen  treibt.  Zur  Zeit  der  Börner  wnrde  ihr  Wasser  durch  die  grosse 
Wasserleitung,  deren  Pfeiler  noch  jetzt  in  gewältigen  Ueberresten  er- 
halten sind,  nach  Aqaincum  geleitet,  und  ist  es  nicht  anders  denkbar» 
als  dass  auch  unser  grosses  Bad  aus  dieser  Leitmig  mit  dem  oötigen 
lauwarmen  Wasser  versehen  wurde,  welches  dann  mit  der  grössten 
Leichtigkeit  —  da  das  Bad  auf  dem  höchsten  Punkte  der  Ebene  von 
Aquinonm  gelegen  ist  —  entweder  in  die  Donau  oder  auf  einen  tiefer 
gelegenen  Ort  der  Umgebung  abgeleitet  werden  konnte.  Jedenfalls  war 
die  Lage  des  Bades  mit  dem  den  Böoaem  eigentümlicheu  Scharfblick» 
auf  das  sweckmässigste  ausgesucht. 

Leider  können  wir  aber  den  Zeitpunkt  nicht  bestimmen,  wann 
dieses  Bad  erbaut  wurde.  Als  bester  Anhaltspunkt  dienen  noch  die  auf 
dem  Ausgrabungsfelde  gefundenen  achtzehn  Stück  alte  Mfinsen,  vom 
Anfange  des  zweiten  bis  zur  Mitte  des  Tierteo  Jahrhunderts.  Sie  bestft- 
tigen  die  Annahme,  auf  die  man  auch  sonst  notwendigerweise  verfallen 
mässte,  dass  unser  Bad  nicht  aus  dem  ersten  Jahrhundert  der  christ- 
lichen Aera  herrührt,  wo  Aquincnm  noch  eine  kleine  Stadt  war.  Erst 
im  zweiten  Jahrhundert  erhielt  es  die  Selbständigkeit  eines  Munici- 
piums,  und  erst  unter  Septiraius  Severus  wurde  es  zum  Range  einer  L'o- 
lonie  erhoben.  Wahrscheinlich  müssen  wir  die  Erbauung  dieses  Com- 
muualbades  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  zweiten  Jahrhunderts  setzen; 
eine  ara  votiva,  welche  wir  tief  in  die  Wand  des  Tepidariums  einge- 
mauert tiii<l('n,  scheint  zu  bezeugen,  dass  man  sich  schon  um  die  Mitte 
des  zweiteü  Jahrhunderts  so  wenig  um  das  Andenken  des  Acdilis  colo- 
nia-  A.  Ponipeius  kümmerte,  dass  man  sich  nicht  sclu  utc.  das  von  ihm 
errichtete  Zeichen  der  Andacht  als  schätzbares  Material  beim  Umbau 
des  Bades  zu  gebrauchen. 

Ferner  ist  noch  nicht  festgestellt,  ob  wir  dem  Bade  einen  civilen 


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I 

KUBZEB  BITZUNORBBBIOHT. 


S89 


oder  eioen  militftriFohea  Cbaraktor  beilegen  dürfen.  Wenn  die  Annahme 
htTTorragender  Gelehrter  richtig  iBt,  dass  sich  nämlich  das  Lager,  da» 
Ca^trom  Stativum  der  Garnison  von  Aquincum  in  dieser  Gegend  be- 
fluid,  könnte  man  eine  Insohrifb  vom  Jahre  welche  besagt,  dass 
die  BU  Aquincum  gelegene  Legio  II  Adintrix  die  Restauration  «der 
grösseren  Bäder»  besorgte,  auf  den  Umbaa  dieses  unseres  Bades  be- 
ziehen ;  doch  scheint  dieser  Annahme  der  Umstand  zu  widersprechen, 
dass  sich  im  ganzen  Verlaufe  der  diesjährigen  Ausgrabungen  nielit 
tnehr  als  vier  Ziegel  mit  dem  Stempel  der  genannten  Legion  und  über-  • 
haupt  kein  Merkmal  gefunden  hat,  welches  r.ns  berechtigen  würde,  den 
Bau  oder  auch  nur  den  Umbau  unseres  Bades  den  Garnisonfstruppen 
zuzuschreiben.  Viel  sicherer  ist  die  andere  Vermutui]^'  llHiuperR.  dass 
das  Bad  noch  während  der  Henscliaft  der  Römer,  viel  i'riilior  als  das 
benachbarte  Amphitheater,  dem  Verfalle  rtnlit'iinii(d  und  auf  gewissen- 
lose Weii^e  seiner  notweudigsten  Einricbtnnf^sstiieke  bemüht  wurde.  Auf 
Schritt  und  Tritt  linden  wir  Spuren  dessen,  dass  die  Bleirohren,  welche 
die  wanne  TiUft  aus  den  IJypocuusfa  in  die  Badezimmer  li'iti'ten,  ge- 
waltsam entfernt  wnrden  ;  an  anderen  Stellen  sind  die  den  Fussboden 
stützenden  kleinen  Traeliytpfeiler  bei  Seite  gcschatTt  worden,  lauter 
Objecte,  für  welche  nur  ein  römischer  Baumeister  Verwendung  finden 
konnte.  Doch  können  wir  noch  nicht  einmal  vernniten,  was  diese  auf- 
fallende Zerstörung  eines  so  gemeinnützigen  Communalbaues  veran- 
lasste; wir  hoffen,  dass  die  weiteren  Ausgrabunfren,  zu  welchen  die 
Hauptstadt  gerne  die  nötigen  Kosten  beisteuern  wird,  auch  iiber  diesen 
dunkeln  Punkt  der  Geschichte  des  alten  Aquincum  wenn  auch  nicht 
völliges  Licht,  so  doch  Anhaltspunkte  fiir  einigermasseu  wahrschein- 
liche Vermutungen  an  den  Tag  iurderu  werden.  £.  Abel. 


KÜRZEil  SITZUNGSBERICHT. 

—  Akademie  der  Wissenschaften,  in  der  (Jesammtsitzung  am 
30.  Januar  hielt  STKFANKAroi.NAi  eine  Denkrede  auf  das  am  15.  Januar 
1881  verstorbene  corres}>()ndirende  Mitglied  Johann  Korponay,  der  sich 
als  Verfasser  militärwissen'  chafthcher  Werke  Verdienste  erworben  hat. 

Hierauf  referirte  der  Generalsccretiir  über  laufende  Angelegen- 
heiten, von  denen  wir  die  financiellen  Mitteilungen  hervorheben.  Das 
Vermögen  der  Akademie  betrug  Ende  1S80  1.8ii3,80S  tl.,  Ende  18SI 
1.8i8,8ß7  fl.,  die  Zunahme  beträgt  also  jri.oriO  fl. ;  die  Einnahmen  im 
verflossenen  Jahre  betrugen  136,482  fl.,  die  Ausgaben  1 1 1,422  fl. ;  die 

ÜnSMlMlM  B«vm,  188t,  III.  H«ft.  19 


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290 


VBBMI8CHTEB. 


Einnahmen  des  bcsoiulors  verwalteten  Editionsgeschuftos  botrnj^cii 
15,;{77  fl.,  diu  AiKsgaben  10,i2«>t  H.  Zu  rein  wissenschaftlichen  Zwecken 
wurden  veruusgabt :  An  Schriftf?t<?ller- Honoraren  "24  ,938  H.,  an  Unter- 
stützung wissenschiiftliciier  Forschungen  iilO  ti.,  an  Unter  Stützung 
von  ZeitBchrifteu  und  gelehrten  Unternehmungen  11,7(K)Ü.,  anpreisen 
2925  ri.,  an  Druckwerken  und  Kunstheilngf  ii  ;U  .()7<>  Ii. 

Für  das  Jahr  1882  sind  prjiliniinirt  :  als  Einiuihmen  ll(»,r>(M>  tl., 
als  Ausgaben  1  ir),(JÜ(j  H.,  und  zwar  für  das  Jahrbncli,  den  Ahnanac  h 
11.  8.  w.  2(.)0()  Ii.,  L  Claf^se  und  Coinmissionen  1  l,V(J<)  fl..  11.  Classc  und 
Commis.sionen  2(i,r)(K)  fl.,  III.  (  lasse  und  Unnimissionen  22,5« HJ  H.  ; 
Unterstützung  des  Verlagsiniti  rnehinens  und  Herausgabe  der  S/(''ehc- 
nyi" sehen  Scln-iften  .jOOO  H.,  Trcise  4(K)()  tl.,  Bibliothek  5(HK)  tl.,  .liuda- 
pCKti  Szemle»,  «Ungnrische  Revue",  »Kevue  Hongroise»  i3(Ki  ti.,  per- 
Bönliche  Bezüge  2v»,iJ0011.,  Gebäude,  Steuer  u.  b.  w.  l.j,7U0ti.,  zusammen 
115,UUU  11. 


VERMISCHTES. 

—  Ungarisohe  Jonrnalistik  im  Jahre  1882.  Nach  dem  jiiugHteQ 
Ausweise  des  bekannten  Bibliographen  Josef  Szinnyei  in  der  5.  Nummer 
der  Va$arnaj)i  Ujsag  (Illustrirte  SonntAgä-Zeitnngl  eriicbeinen  gegenwartig 
412  ungarische  Zeitungen  und  Zeitschriften. 

Von  diesen  sind: 


1861 

188i 

Diffenos 

1.  Politische  Tii«,'(sbl;ittfr   

23 

21 

2.  PolitiöcliH  Wochenblätter  

25 

30 

-h 

m 

O 

3.  lllusfrirtc  JUattor    ... 

5 

5 

4.  Kirclicii-  uiiil  Sclmibiutter   

23 

29 

-f 

a 

h.  Bf  lletn>tisc]ie  BlatUr   

20 

22 

(».  Huiuoric^ti^che  »   

4 

8 

+ 

4 

64 

77 

13 

8.  Nichtpolitische  Provinzblätter  ... 

78 

93 

15 

9.  Inseraten-Blätter   

Ii 

4 

1 

10.  Zeitschriften  

!*7 

101 

+ 

7 

11.  Vermischte  Beilagen  

M 

19 

+ 

5 

Znsainmon   

3.56 

4lä 

561 

Von  diiMii  Iii'  ioiimalen  erscheinen  182  (-f  14)  in  der  Hauptstadt, 
220  (+  41)  in      (4-  13)  verschiedenen  Städten  in  der  l'rovine  (eines  in 

Wien). 

Ausser  diesen  iin'j<iri.srln  ti  .biuriialcii  ersclieiiien  in  Ungarn  im  üau- 
zeu  174  Zeilungcu  und  ZeitHchnltLii  iu  uudenii  Sprarhin.  und  /.war: 


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VERMISCH  TBB. 


S91 


18B1 

1882 

Differonz 

1 .  deutsche  Jonnmle         ^.  ... 

  180 

104 

—  16 

66 

4f 

—  14 

3.  mmftniBebe  »   

SO 

98 

+  2 

4.  italienische  »   

...  3 

3 

5.  hebräische    »   ^,  ... 

  1 

1 

6«  fimnsösische  *   

8 

ZasasDmeii   

808 

174 

—  88. 

Die  Gesammtsiimme  der  in  Unoram  erscheinenden  Zeitungen  und 
Zeitisclirifton  l.otrii'jt  dalior  n.so  2S». 

Ks  (-ntfalt  (IciiUKicli  ii.icli  den  lifsnituten  der  nonoHtcii  Volksxabluug : 
cinv  Zeitung  oder  Zeitschrift  auf  23,I)S,S  Einw uhuer 

ciu  uuf^nrischea  Bhitt  auf   li,H<J4  Ungarn 

»  deutHches       »      •     ^  ...     17,!ü92  Deutsche 

>  slavisohes       •     •    66,655  Slaven 

i  nunäniscbofl    »     b    106,687  Bnmänen. 

l!^it  dem  Jalire  1780,  da  die  erste  ungarische  Zeitung,  Magjfar  Sir- 
mondö  (Ungarischer  Courier),  in  Pressbnxg  ins  Leben  trat,  also  im  Laufe 
der  letzten  hundert  und  zwei  .Tnhro,  erschienen  in  riiu':irn  im  Ganzen  im) 
Jonniale  in  ungarischer  Sprache,  und-  zwar  1018  in  der  Hauptstadt,  834 
in  der  Provinz. 

I)ie  zweite  nngarische  Zeitung  erschien  im  Jalne  1788  in  »h-r  Huiii)t- 
stadt.   Jm  .lahre  hetrug  die  Zahl  der   unguriHchen  Journah«  10,  im 

Jahre  IStO:  2ü,  —  18i*0:  9,  —  1861;  52.  —  1870:  146,—  1880;  368. 


WIEDERSEHEN. 

Vou  Paul  Gyul.m. 

O  tiiuHch  mich  nicht,  o  täuHcli  mich  nicht, 
Lichthlauer  Himmel,  lauer  Strahl, 
l>u  gnine.s  Lauh,  du  l'lmne  rot. 
Du  Vöglein,  einsam  hier  im  Tal !  — 
Du  hist  kein  Lenz,  hi^tt  llDltumig  uicht, 
Dein  Lebensrot  ist  Farbe  nur; 
Herbst  bist  du,  die  Erinnerung, 
Ergrttnend  auf  der  Gräber  Spurt 

1%  tili-,'»-  iiirlit  dich  ."^ellist.  mein  Her/.; 
(ihuji),  Teure,  nimmer  meinem  Wort: 
Mir  in  der  Seele  /.ittert  nur 
Des  alten  Lietle.H  Kcho  fort- 
Ich  pflocke  ein  paar  Blumen  nur 
Auf  todter  Vorseit  welker  Au, 
Und  was  in  ihrem  Kelche  blinkt, 
Getauter  Reif  ist*s  bh>s,  —  nicht  Tau 


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992 


▼ER1II80HTE8 


Kdnnt  ich  dich  lieben  noeb,  wie  einsfc, 
—  War  gross  anoh  meiner  Wunde  Pein  — 
Und  raöoht  mein  Loa  noch  trauriger. 
Dein  Herz  auch  melir  noch  sündig  sein; 
Ich  segnete  die  granse  Qual, 
Dein  Stolz  selbst  schüfe  mir  Oennss,  — 
Und  sieh,  iln  stellst  erniedrigt  hier, 
DasB  ich  dich  tief  bedauern  muss. 

Nicht  klacr  ich  Uioli  des  Truffea  an, 
Nur  hast  du  nie  mich,  nie  jjehold, 
l>ücli  dicli  hetroLT,  (hn  du  )hk]i  hebst, 
l'nd  fühlst  (he  iViii,  lUe  Litd»e  «<ibt, 
l)u  (h'n,  dem  unser  I1:ish  <,'ebührt 
Wir  über  alb   holten  lieiss, 
Und  da  nicht  iiuÜeu  darf  dies  Herz, 
Das  nimmer  eu  vergessen  weiss. 

Auch  ich  hab  Gleiches  einst  gefühlt,  — 
Nun  ist  mein  Hen  cur  Buh  gebracht 
Ein  traurig  Hirtenfeuer  nur 
Glimmt  dort  in  tiefer,  tiefer  Nacht. 
Doch  nun  ich  wieder  dich  gesehn. 
Doch  nun  des  Lehens  Afut  <hr  sehwand. 
Loht  auf  von  deiner  heissen  Pein 
Der  Asche  liest  zum  Uölleubrand. 

Komm,  ruh  an  meiner  lUust,  an  der 

l)u  (inst  gt-rulit  7M  süssem  (Ihick; 

Hat  kerne  Liebe  auch  mein  Herz,  * 

Noch  bheb  iiiui  so  viel  Selmuiv.  zurück, 

Dass  es  versteh  und  iuhl  dem  Leiii, 

Dich  tröstend  einen  Augenblick!  — 

Oh,  keine  Macht  der  Erde  mehr 

Kann  wenden  unser  Missgeschick  I 

Adolf  voh  dbb  Hakdb. 


MEIN  CAriTÄN. 

Von  Paul  Gvulai. 

«Mein  Capitäu,  mein  Capitänli 
««Nun  Junge,  was  ist  dir  geschehn?»» 
«Von  Eurem  Itock  rinnts  rot  zum  Grase  .  .  .» 
««A  bah,  ich  blut  wohl  aus  der  Nase.»» 


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▼ERMI8CHTE8. 


•  .Mein  CupitHii,  mein  Capitän! 
Dir  Wiiukt  t  ja.  könnt  kuiim  molir  stt^hn  .  .  .» 
««Mir  kam  ein  Stein  just  in  die  Quere  — 
Kur  vorwärts  —  fallet  die  Gewehre  t»» 

Die  ManiuelMit  neht,  der  FtUirer  sinkt. 

Aus  seiner  Brost  ein  Blntstrom  dringt 

•Mein  Capitän«  o  Gott,  geschwinder  I  ...» 

t«Nnr  vorwärts,  vor-^^wärts,  meine  Kinder <—  — 

Laoislaos  Nbooebaukb. 


GLOCKEN-TRAaÖDIE. 

Bullade  von  Joskk  Kiss. 

Ein  Brnvobe  war^s,  ein  branner,  den  sie  in*8  Herze  scliloss, 
Ilir  Vater  duch  verwehrte  den  Bund  erbannungslos, 

Gab  sie  dem  andern  Freier  — 
Sie  wob  ins  Haar  sich  Myrten  und  warf  sich  in  den  Weiher. 

Hin  arinor  Fisclic)  lu<^tc  drei  Tatjo  nach  ilir  aus. 

Am  viert*'n  hraclil"  er  ti:inii}<  ili»'  Leich'  ins  Vaterhuu.s, 

Vom  Kirchturm  adizt  es  huuf^e  — 
Das  war  am  fünften  Tage  —  zu  iln'em  letzten  (Jange. 

Man  weckt  des  Dorfes  Käte  beim  ersten  Hahnenschrei: 

•Wacht  anf,  wacht  anf;  Ihr  Herren !  Ihr  soll't,  so  fir&h's  auch  sei, 

Zum  alten  Hans  Euch  sputen  — 
Er  liest  an  sich  Euch  bitten  —  für  wenige  Minuten.«  — 

•«So  sdiweig  doch,  schweig.  Zigeunert  Siehst  Du  nicht,  wer  da  nalit? 
Des  Dorfes  wohlgebomer  und  hochgelehrter  Bat: 

Notar  und  SchöfT  und  Kichter  — 
Bei  Gott!  die  ganse  Bude  der  würdigen  Gesichter  1 

Zigeuner,  hu?se  Fiedel  Tuid  Brummhass  mir  in  Ihih  ! 
Was  taugt  (his  Musiciren,  der  Klingklaug  mir  wozu! 

Ht>r  ich  tidili  all::rH  unnu  r 
Dort  jener  grus»eu  Glucke  wehklagendes  üewiuimer ; 

Sie  droliut  un^l  stohut  und  uclizet  und  hriillt  in  wilder  Wut, 
hie  withlt  in  meinem  Fleische,  sie  saugt  an  meinem  Blut, 

Sie  will  miifs  Hizn  versengen  — 
Und  was  da  tönt  auf  Erden,  erstirbt  vor  ihren  Klängen  .  .  . 


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UNOARIflOHG  BIBLIOOBAPHIE. 


Wohlan  Ihr  Hflrr*ii  vernehmet,  weshalb  ich  Euch  verlaogt: 
Verkauft  mir  doch  die  (! locke,  die  dort  im  Tnrme  hangt 

Bin  reich  an  jidcr  ÜüIm'  -r- 
An  Aeckem,  Schafen,  Tferdeu  —  und  's  Kind  liegt  mir  im  Gräbel 

Für  F.ure  G locke  gel/  ich  Euch  Iloerdcn  ohne  Zulil  ; 
Nicht  lang  bedacht !  Ihr  findet  ja  keine  besAre  Wahl, 

Doch  —  hol'  das  Vieh  der  üeier! 
Tut's  Not,  nehmt  meine  Aeeker  —  kein  Preis  iat  mir  m  teuer  t 

Und  Eurer  alten  Olooke  kein  Leide«  tun  ich  mag, 

Von  mir  ans  kann  sie  hangen  dort  bis  cum  jOngsteu  Tag, 

lux  Sonnenglanze  gleisRcn  — 
Nur  ihre  grause  Zunge  will  ich  heraus  ihr  reiasen  .  .  . 

Nun  steht  der  Kauf,  ihr  Herren?  Schlacht  »in  -  -  ein  Wort,  ein  Mauul 
Was  <,düt/t  den  alten  Hannos  Tlir  so  verwundert  an? 

Mich  rent  nicht  mein  llefjiiuien 
Ks  ist  ein  glatter  Handel  .  .  .  ich  bin  bei  volhn  Sinnen»*  .  .  . 

—  Da  plötelich  es  vom  Kirditurm  zur  Morgenmette  sehallt 
Und  diesmal  läutete  wirklich  /  .  .  .  Das  Blut  des  Alten  wallt  — 

Hussa!  Mit  Einem  Satse 
Ist  er  davon,  —  lässt  Bande  und  Bat  verblüfft  am  Platze; 

Hinatif  den  Kirchturm  reimt  er:  <— Stirl»  M.nderin  zur  Stell!»» 
Die  Gloeke  scliwin^^  und  diolinet:  «]>aK  Uaupt  ich  Dir  zerscheUl» 

Da  tlchfs        —  ans  (irabesarnien : 
«Für  ujeinüu  gieiseu  Vater,  o  Uiiumel,  hab'  Krhurmen!!» 

Ladislaus  Neloeuaukr. 


UNGAIÜSCHE  BIBLlOGlUriilE.  * 

Alionyi  L„  Ag  öxvegy  feh/nheje  (Die  Kuh  der  Witwe,  ErzÄhhni'j:  von 
Ludwig  Auonyi).  llndaiiest,  1SS2.  Hevai.  Iii  S. 

Alcsani/'  i  ]',.,  Klint  I  Kant  s  I.ehen.  V!nt wickelnii;,'  niid  riiilosoplÜG 
vou  lienili.  Alexander.  1.  Jiand).  Jiudajiest,  18M,  Akademie,  iö9  8.  und 
Kant's  Porträt. 

Inhalt:  f.  Die  «xeisti'jen  ljewe<rnn}(eu  de^  Will.  Jahrhunderts.  — 
II.  Kaut  H  Leben.  —  III.  Kaut's  uatiu-wissenachafthche  Forschungen.  — 

*  Mit  AusschluHs  der  Schulbücher,  Erbanun^^'sschriften  nud  UeberseizuDMen 
aus  fretu(h-n  Sprachen,  ihiKeKen  mit  BeräokHichti^iuif;  der  in  fremden  Spraeoen 
emhienenen.  auf  UnKuni  Im  /.u^'lich«  n  Schriften.  —  Die  mit  einem  *  bezeichneten 
Schriften  werden  wir  ausführlicher  beHprccben. 


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I 


ÜN(iAIiISCHE  BIBLIOGRAPHIE  2^5 


Kant8  piiili.sophiscla'  Eiitwickehui}^.  —  V\  Dio  neue  Tlicoric  der  Sinn- 
lichkeit. —  VI.  Dit!  neue  TluMnif  tler  Vernunft  —  Kiu  zweitt'r  ]Jan«l  wirtl 
dM  betleut^'iKle  Werk,  das  Hilf  den  gründlichsten  Studien  foMi  nntl  in  an- 
spreclif  iidstcr  I'orni  al )•.■(■  Ciu-: st  ist,  zum  Absclilusst'  l)ring('n. 

liallo  M.,  BndapcM  f  vuros  inwizti  Trinkwasser  Budapests  ans 

livgieuiseiien  (iesichtspunkteu  und  Anulysc  einiger  Mineralwasser  von 
Malh.  BaU6).  Budapest,  1881,  Akademie,  53 

Cnapliir  /?..  Jicvdi  Mifili's  riefe  (Nicolans  Kevai's  Leben  von  Benodict 
Csaplür.  I.  Bandi.  Budapest,  ISM,  Aijiuer,  '.Ihl  S.  und  iJovai  s  Portrait. 

l>cr  erste  Bond  einer  umfasseutlun,  aui  ileii  gründlichsten  Quellen- 
studien fnssenden  Biographie  des  grossen  ungarischen  Sprachforschers 
|17I9— lM»7i.  znj,'Ii  icli,  in  l  ol«,'«-  seine«  weiten  Gesichtskreises,  ein  wertvoller 
hU'itrag  zur  Lit<  ratnr-  und  1 '■ildun<,'s«;«  schielite  T'n^'arns  in  der  zweiton 
Hallte  »les  vorigen  und  des  eiöten  Jahr/elints  des  gegenwärtigen  Jahr- 
hunderte. 

Bdiczaij  Joruis,  MarsitjH  rhtc  r.s  iiiunhii  (^farsigli^S  Loben  und 
Werke  von  Jonas  Bclit/ayt.  Budapest,  Akademie,  S. 

Borbn»  l'.,  BekrHvtrmetjyc  ßoroja  (Die  Flora  des  Bekescr  Comitates 
von  Vinoenz  Borb4s).  Budapest,  1881,  Akademie,  105  8. 

Fikrfe  Z»iym,  Okazerü  vixniiivrhlian  (Hationelle  Hydraulik  von 
^?i>:niund  Fekete.  I.  Band).  Budapest,  1881,  Aigner,  31^2  S.  und  9  Steiudruck- 
Tabelleu. 

'^Fraknoi  K,  A  ntngyar  orazäggyiUetelc  iiirUneU  (Geschichte  der 

:i  -  trisclien  Reichstage  von  Wilh.  Frokn6i).  VI.  und  VlL  Bd.,  Budapest, 

li>^^,  Aka<lemie,  \)i  und  lü'J  S. 

■  Goldzihcr  lyn.^  As  iszlmn  (Der  Jslam.  Studien  zur  ücbchiclite  der 
oiuhammedaniRdien  Beligion  von  Ignaz  Goldxiher).  Budapest,  1^1,  Aka> 
demie.  ilt!  S. 

Inlmlt :  I.  J  »ie  llt  ligion  der  Wüste  und  ih  r  Islam.  —  II.  Die  Tradi- 
tionen des  Islam.  —  III.  Der  Heiiigeu-Cultus  und  die  liest«  der  alteren 
Rehgion  im  Islam.  —  IV.  Die  Baudenkmäler  des  Islam  im  Zusammen- 

bange  mil  il'  r  nnilianniu  il.iniselien  WeltansrlminniL,'.  \'.  Mubatnmedani- 
SChes  }i<n•h^<■lndielM•n.        \  1.  l'alsche  Ansicbteii  über  den  I.-lam. 

GreguHH  Ay.  vtruci  (Gedichte  von  August  tiregussj.  Budapest,  18S2, 
Athenaeum,  SSO  8. 

Hunyady  ./,.  A  Steinerfeie  Irilt  rinmrol  (L'eber  das  Steinei'sche 
Kriterimu  in  d«  r  i  beorie  der  Kegelschnitte  von  £ugen  Hunyady).  Buda- 
pest, IbN),  Akademie,  13  S.  ^ 

Hunyady  A  pantokhdl  vayy  erintSkhdl  »  a  mnjufftilt  hdrotmzvg- 
bi'l  mtghalurozolt  küptaelet  li  eber  tk  n  Kegelscbnitt,  der  aus  Punkten  oder 
Tangenten  und  dem  conjugirten  Dreiecke  bestimmt  ist,  von  Ellgen  Hnnyacly). 
BadApest,  18bl,  Akademie,  17  S. 

Kiipolnai  Pauer  /s/v.,  A  hadtudomäny  viazonya  a  (iihhi  iudomd- 
nyohh<n  iDas  Verliältniss  der  KriegnwiN-t  nscbaf't  v.\x  den  übrigen  Wissen- 
schaften von  Stefan  Pauer  v.  Kapolnal.  Budapest,    b*<8l,  Akademie,    17  S. 

*Kis9  Aron^  A  X\'I.  itzdzadban  iarlotl  retorm.  zsinalok  vegzesei 
(Die  Beschlüsse  der  reformirten  S3moden  des  XVf.  Jahrhimderts.  Gesamt 
melt  und  erklj&rt  von  Aron  KisB).  Budapest,  ISSl.  Franklin,  7.36  IS. 

Knn'nj  Gif.,  Hdinilfrnif'lf  renfianick  iDie  Iluniilton  sclun  Systeme 
und  (bc  allgemeine  Tlieohe  der  ])artiellen  DiÜereutialgleicbungeu  erster 
Ordnung  von  Jul.  König).  Budapest,  1881,  Akademie,  72  8. 

*  Korösi  Jozfi.,  Budapesi  fCwurona  n::  1681.  evhtn  (Die  Hauptstadt 
luulapcfit  im  Jalire  1S8!.  Die  Be-ult;ttf  der  N'olksziiblung.  Von  Josef  Kön)si. 
V.  Heft).  Budapest,  1^81.  Statiütiscbes  Bureau  [M.  liatlij,  175  b.  und  eine 
Tabelle. 

KtKUfai  J.,  Me::ögazdasägi  vizmutan  (Landwirtschaftlicbe  Hydraulik, 
von  der  ungarischen  Akademie  der  Wisscnschalten  mit  dem  Fay-Freis 


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S96 


UNOABIBCHB  BIBLIOGRAPHIE. 


[^000  fl.]  uusgezeicbnete  Preisscfarift.  Technischer  Teil  mit  zah!reieh«ii 
IlliiBtrationen.  I.  Heft).  Budapest,  18X1,  M.  Knth,  192  B. 

*Lnn(f  Laj.^  A  hnz(jazda>'iUf  clmtlclc  ('riioorie  der  Volkswirtschaft 
von  Ludwig  Lang).  Budapest.  1S8I,  Fr.  Kilian,  21(i  Ö. 

Lengyel  B.,  A  mohai  Ayuesforms  (Clieniinche  Analyse  der  Mohaer 
A<;no.s(]uelle  im  WeisBenbuiger  Comitat  von  B^a  Lengyel).  Budapest,  1881, 
Akadfinio.  l'J  S. 

L'uyyel  Ji^,  Ktfij  ujabb  aztrkc^chi  vizmivat/ yuval  combinull  higantf- 
legHzivattyurol  (Ueber  eine  mit  einer  neu  ccuHtruirten  Wauserpumpo  coiii- 
binirt«  Quecksilber  Luftpumpe  von  Bela  Lengyel).  Budapest,  1881,  Akaileuiie, 
8  b.  und  eine  Tabelle. 

Molieres  Lunlspiele  in  ungarincher  Vehertelznng  ^  lierausgcgel>en 
von  der  Kisralutlv-OisoIIscliHlt,  IUI.  I— III,  3.  Anfl.,  Bndapest,  1881,  Atbe- 
naeuni,  XXVII,  MJs.  'IUI  ±1^  S. 

Iiiliult:  1.  TartuÜc,  übers,  von  üabriul  Kazinczy.  —  II.  I>er  Geizige 
und  George  Dandin,  {iber^.  von  dem«.  —  III.  Der  Misanthrop,  übers,  von 
Karl  8z&W.— >  I>ie  {»clelirton  Frauen,  iibors.  von  Lud.  Arany. 

Neil  wann  l\'h\  A  »tn]i<i  nn/it  (I>in  .Inzxrf-inuntia  (Ursprunf^  un»l  Fnt- 
wickeluug  der  nioliuiiiuieduuibclieu  JutielKSUge  von  Eduard  Neuniauu).  lUida> 
pest,  1881,  Fr.  Kilian,  13S  8. 

Ornios  Zsifjmond,  Arpiidkori  muvft'idesünl;  fnricnrtr  (('ultur<^rschichte 
UnganiB  im  Zeitalter  der  Ar|}&deu  von  Signiimd  Uruios).  Budapest,  1881, 
Atheuaeuiu,  5(>0  S. 

Poloifäe  Ft  Az  cn  ede»  otthonom  (Mt  in  teures  Heim,  Bilder  und 
Skizzen  aus  dem  Volksleben  von  Faustin  Talotas).  Budapest,  1881,  Aigner, 
189  ä. 

K.  Papp  MiltUs,  Itt  ia  oft  (t.  KiaSja  a  PHöß-ttintutig  (Hier  und 
dort.  Kkiy./.eti  m'h  Xicolauß  K.  Papp.  Herausgegeben  von  der  Petöfi^Oesell* 
Schaft).  Hud.ij.esr,  jssl.  Ai-rner,  S. 

PaultkovuH  Jj.,  Baltufna  ZnuzMiHna  (Susutiua  von  iialaesa.  Historische 
Erzählung  ans  dem  XVII.  Jahrbnndert  von  Lndw.  Panlikovies).  Kaschan, 

1880,  Maurer,  207  S. 

Ptihzlif  F.,  Khdt'm  es  koroin  (kleine  Zeit  unil  iiM-iii  Ix'bon  von 
Franz  l'ulszky.  III.  Bd.  ]>ie  Zeit  dos  Exils  in  Amerika  luul  England).  Buda- 
pest,  1881,  M.  Rath,  355  8. 

S.  dieses  Heft,  oben  S.  2ß7— 278. 

Schüller  AlaJ.,  A  viznek  kepzödeai  mclegt  röl  lUuber  die  Bildung»- 
warme  des  Wassers  von  Alois  Schuller).  Budapest,  18S1,  Akademie,  8  S. 

Szabo  Fr.^  A'  Carludovira  ca  a  Canna  gummijäraaairol  (Ueber  die 
riniinnirr;Hii:c  der  (^trludovicu  inid  der  ('anna  von  Frans  baabö).  Budapest, 
IbhJ,  Akademie,  Ih       und  eine  Tabelle. 

Törtik  A,^  Mfifftjttr  tufrlvbuvärlatok  (Ungarische  Sprachforschungen 
von  Ar]i;i  1  Török».  Dudancst.  1881,  K6kai,  bisher  3  Hefte  zu  je  ici  S. 

Wniiht'ry  A.,  A  Iryiijnhb  »^jmntdnrhiai  mc-zgahnal;  hfli  fru  iHio  neue- 
sten Völkerwanderungen  im  Ost«n,  Vortrag  von  Hemi.  \  iuul>erv».  Budapest, 

1881,  Naturwissenschaftliche  Oeselkcbaft  [Fr.  Kilian],  11  8. 


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RArilAEL  SANTI 
IN  DER  UNOARISCHEN  REICHS-GALLERIE. 

1. 

Madonna  mit  dem  Kinde.  Perugia.  Ende  des  XV-ten  Jäkrhundetis, 

licirhiigaUe^'ie.  Nro.  4f^. 

DIR  UHBRISCHB  Kunstrichtung,  ans  welcher  Raphael  entwuchs,  ist 
in  der  nngarischen  Reiehagallerie  durch  ein  einzigen  Bild, 
einer  Madonna  mit  dem  Kinde,  vertreten. 

Der  neue  Katalog  nennt  keinen  Meistemamen,  er  sagt  zur 

Orif'ntirniig  dos  Bp,<!chaiiors  blos  dass  dies  Bild  gegen  das  Ende  des 
W.  Jalirli.  in  Perugia  gt'inalt  wordon  sei. 

Er/bischof  Pyrker  hat  mit  .scinor  (lallerio,  auch  dieses  liild 
der  ungarischen  Nation  geschenkt.  Es  hat  demnach  vom  lahre  1844 
an  im  Nationahnusenm  gehangen,  von  wo  es  1875  mit  den  Übrigen 
alten  Gemälden,  in  die  Reichsgallerie  Uberging.  Von  seinen  yorher- 
gegangenen  Schicksalen  ist  keine  Kunde  auf  uns  gekommen.  Wir 
können  höchstens  yermnthen,  dass  es  der  ehemalige  Patriarch  von 
Yenedig  in  dieser  Stadt  gekauft  habe,  da  im  ältesten  ~  von  Gab- 
riel Mtftray  angeferHgten  —  Katslog  ein  Werk  des  fkfih-Tenesia- 
nischen  Malers  Luigi  Vivariiii  genannt  wird.  Im  neueren  —  1870 
von  Anton  Ligeti  verfassteu  —  Katalog  trägt  es  den  Namen  Piii- 
toricchio  M ;  was  dem  Richtigen  näher  kommt. 

Dieser  Name  stimmt  in  der  That  zu  den  kleinen  Bildern  in 
den  alten  Theilen  des  Kähmens  :  dem  Englischen  Gruss.  Die  Fignr- 
chen  sind  mit  Tempera  angefertigt ;  die  Wangen  und  Hände  mit 
GrQn  untermalt,  (Ue  frische  Hautfarbe  aber  ist  durch  rothe 
Pinselstriche  hergestellt,  welche  der  KQnstler  an  den  lichten 


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298 


RAPHABIi  SANTI  IN  DKR  UNOARISCHKN  REU'HSOAI.LKttlR. 


Engel  Gabriel  (UeicbHgallerio). 


Theileü,  selbst  längs  der  Contouren,  anhringt,.  Das  Haar  Maria's  ist 
etwas  mehr  aschblond  als  der  Lockeukopf  dos  Engels  Gabriel.  Bei 

keinem  von  beiden  entgeht 
der  Künstler  einem  gewöhn- 
lichen Mangel  der  Tempera, 
ja  der  frühen  Oelmalerei  : 
dass  das  Haar  keine  leichte, 
schwebende ,  weiche  Ober- 
fläche zeigt,  sondern  die  be- 
leuchteten Theile  desselben 
sich  von  den  übrigen  wiw 
Dralit  abtrennen.  An  den  Ge- 
weben —  ob  sie  nun  blau, 
roth  oder  gelb  —  deutet  der 
Maler  die  Kanten  der  Falten 
durchweg  mit  gelb  an. 

Maria's  Kleid  ist  sehr 
einfach.  Sie  ist  in  die  alten  symbolischen  Farben  —  des  Glaubens  und 
der  Liebe  —  gekleidet :  ihr  Mantel  ist  blau,  ihr  Leib  roth.  Der 

Abgesandte  des  Himmels  er- 
scheint schon  in  einem  präch- 
tigeren Anzug.  Sein  weites, 
faltenreiches,  gelbes  Gewand 
lässt  an  der  Stelle,  wo  der 
den  Oberarm  bedeckende,  an- 
liegende Ärmel  sich  auf  die 
Schulter  hinüberzieht  untl 
einen  zweiten  äusseren  Ariuel 
bildet,  ein  rothes  Unterfutter 
sehen.  Der  Kragen  ist  braun , 
Den  Unterarm  deckt  ein  dun- 
IJ  kel  bläulichgrüner  enger  Är- 
mel, aus  dessen  Schlitz  da« 
weisse  Hemd  hervorschim- 
mert. Über  die  rechte  Schulter  hat  er  einen  rothen  Mantel  gewor- 
fen. In  seiner  Hand  trägt  er  die  herkömmlichen  blühenden  Lilien- 
stengel. 


nelHKO  JniiKfniu  (RoicliHRaUerio). 


t  RAPIUKL  SANTI  IN  DEB  aMGABISCRSN  RKICnsaALLBBIB.  299 

An  beiden  Gestalten,  erkennen  wir  Pintoriccliio'8  chiirak- 
teriiitische  Züge.  Der  Künstler  strebt  nach  Anmuth  in  der  Haltung 
lind  daher  überschreitet  er  beinahe  die'Grenze  des  Gekünstelten ; 
im  Ausdruck  sacht  er  Innigkeit  iind  Andacht,  und  erreicht  &sst 
nur  Kraftlosigkeit,  Süsslichkeii 

Der  gegenwSrtige  Rahmen  hat  ursprünglich  nicht  zu  dem 
liiklo  gehört,  da  er  um  drei  Centinieter  höher  und  br(»iter  ist. 
Daraus  also,  dass  wir  den  Meister  des  Eiii^lischeu  Onisses  mit 
ziemlicher  WalirsclK'inlichkeit  hestimmeu  köiiueu,  gewinnen  wir 
gar  nichts  t'ilr  die  Bestimmung  des  Hauptbildes.  Der  erste  verglei- 
chende Blick,  den  wir,  unsere  Augen  von  der  kleinen  Annunziata 
emporhebend,  auf  die  halblebensgrosse  Madonna  werfen,  überzeuj^ 
uns,  dass  sie  ihr  zwar  ahnlich,  aber  doch  das  Werk  einer  anderen 
Hand  sein  muss.  Die  in  ümbrien  so  beliebten,  hochgew^bten 
Augenbrauen,  die  offene  Stirne  finden  wir  bei  beiden  vor.  Die  Wan- 
gen der  Madonna  sind  aber  voller,  ihr  Kinn  stärker ;  dies  macht 
den  Urariss  des  Antlitzes  so  manigfaltig.  Der  Ausdruck  ihrer  Li]»- 
\ten  ist,  trotz  ihrer  ( ieschweiftlieit,  weicli  und  sie  spitzen  sicli  dt  »eh 
nicht  derart  zu,  wie  jene  der  kleinen  Maria ;  ihre  fiache  Nase  ist 
minder  spitzig  als  diejenige  der  letzteren. 

Der  Künstler  hat  die  voll  entwickelten,  aber  noch  glatten, 
schwellenden  Formen  der  Jugend  getroffen ;  welche  auch  durch  den 
schlanken  Hals  und  die  weichen  blonden  Haarlocken,  die  längs  des 
Antlitzes  herabschlangeln,  angedeutet  wird.  ^Ein  dünner,  durchsich- 
tiger, weisser  Schleier  sieht  unter  dem,  das  Haupt  umhüllenden  grau- 
lich-violetten Tuch  hervor.  Ein  schwerer,  dunkelblauer  Mantel 
be>l«'(  kt  die  Scliiiltern  der  Jungfrau  und  vcrliülU.  da  er  unter  ilireji 
Annen  in  <len  (Jiirtcl  gf'schür/i  ist,  ihre  'iestult;  die  stumpfV»n  Fal- 
ten derscdben  deuten  auf  Ihiterfutter,  welches  hie  und  da  an  den 
Kändem  dunkelgrün  hervortritt.  Das  anliegeiule  Kleid,  mit  engen, 
bis  zum  Handgelenk  reiclienden  Ärmeln,  ist  karminroth.  lin'ite, 
mit  fdn  eingeritzten  Arabesken  gezierte  Goldborten  bilden  die 
Säume  des  Mantels  und  des  Kleides. 

Das  Jesukind,  dessen  Leib  nur  in  ein  feines  Linnen  gehüllt 
ist,  sitzt  auf  den  beiden  Händen  der  Jungfrau.  Seine  linke  Hand 
niht  auf  seinem  Knie ;  mit  der  rechten  segnet  es  den  Beschauer, 
auf  den  es  aus  dem  Bilde  herabsieht.  »Sein  v(dl«'s,  rundes  selbst- 

20* 


300 


RAPnAEIi  SANTl  IN  T>ER  ITNQARISCHEN  RRICHSGALLKRIE. 


bewiisfltcs  Antlitz,  und  sein  entsclii(;(lener  Blick  bilden  zn  dorn 
untorwüi-figen,  jungfräulichen,  unbewussten  Ausdruck,  der  sich  in 
jedem  Zuge  der  Mutter  entspiegelt,  einen  scharfen  Kontrast ;  sie 
schmiegt  sich  gesenkten  Auges,  zärtlich  an  den  Heiland. 


M»<1onna.  (RclchnRallorlo  Nr.  -18.) 


Die  göttliche  Gruppe  steht  inmitten  strahlenden  Glanzes.  Die 
Strahlen,  zwischen  welchen  rothe  Flammenzünglein  emporsclilag^'n. 
fasst  ein  dunkler  Streif  zur  Mandelglorie  zusammen.  Ihn*  Aussen- 
ränder  haben  ehemals  in  llegenbogenfarbon  geschillert :  aber  dor 
erbarmungslose  Pinsel  eines  alten  He««t}un*at<M's  hat  dieselben  theil- 
weise,  den  Goldgrund  der  Ecken  vollständig,  mit  Schwarz  überdeckt. 


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BlPBAKIi  SAKTI  IM  USB.  irMOABItiCIIBll  BKlCHBOAIiLEBlE,  801 


Acht  Seraphien  mit  je  sechs  rotheiif  gelben,  blanen  tind  violetten 

Flügeln  verleilu'U  der  Muiidelglorie  ein  buntes  Ausscheu. 

Es  ist  wahr,  dass  die  Komposition  nnseres  Bildes  and  die 
Details  der  Figuren  weder  in  Anffassong,  noch  in  Anordnung 
wesentlich  Yon  den  zahlreichen  gleichzeitigen  Abbildungen  der 

Madonna  abweichen  ;  aber  die  sichere,  die  Formen  so  richtig  cha- 
rakterisireiule  Zeichnung  und  PljLstik,  die  wahre  Eiuptiiidung  der  Ge- 
sii-lits/J'tg«'  und  Bewegungen,  legen  Zeugniss  von  der  entschieden«')! 
ludividuulität  des  Malers  ab.  Dieser  Künstler  hat  nach  alter  Art 
gearbeitet ;  so,  wie  es  noch  zu  Anfange  des  fünfzehnten  Jahrhun- 
derfcs Gennino  Cennini  lehrt :  .firfreue,  Tergnflge  dich  unermüdlich 
mit  den  besten  Sachen,  die  du  von  Händen  grosser  Meister  finden 
kannst . . .  Dann  wird  es  geschehen,  wenn  dir  die  Natur  nur  ein 
bischen  Phantasie  verliehen  hat,  dass  du  eine  dir  selbst  eigene 
Manier  wühlst  und  sie  wird  nicht  anders  als  gut  sein  können,  da 
deine  Uuud  und  dein  Verstand,  stehts  gewohnt,  lilumeu  zu  piiük- 
ken,  schwerlich  Disteln  nehmen  werden.* 

Welcher  von  Perugino's  Zeitgenossen  mag  dieses  Bild  wohl 

gemalt  haben?  —  denn,  dass  es  Einer  von  ihnen  gewesen,  darüber 
lüsdt  die  Zeichnung  und  die  Kumposition  keinen  Zweifel. 

Einigen  Fingerzeig  giebt  die  Behandlung  der  Farben.  Der 
Künstler  hat  das  Bild  zum  theil  mit  Tempera,  zum  theil  mit  Oel- 
&rbe  gemalt ;  jene  hat  er  zu  den  Leibern  benützi  Den  geglätteten 
Gy])sgnind  hat  er  gleichm^ssig  mit  graulichem  Ghrfln  fiberzogen ; 

dieses  dient,  wo  er  es  unbedeckt  lilsst,  als  Halbschatten  ;  die  lich- 
t»»n  Theile  bringt  er  mit  roseiirothen  und  blassgelben,  die  Glanz- 
lichter  mit  dünnen  weissen  »Strichen  hervor.  Die  wenigen  tiefen 
Schatten  und  die  Umrisse  zeichnet  er  mit  Braun.  Die  ganze  Ober- 
flache ist  spiegelglatt  Die  übrigen  Theile  aber  stehen  sämmtiich 
h5her  und  bilden  keine  Fläche,  sondern  die  Lichteren  liegen  tiefer, 
die  Schatten  aber  sind  erhöht  In  alledem  können  wir  die  Bfanier 
der  Oelmalerei  des  ftlnfzehnten  Jahrhunderts  erkennen ;  —  dieses  , 
gemischte  Verfahren  war  ja  bei  den  älteren  Geschäftsgonossen  Te- 
rugiuü's  iiblich. 

Andrea  Alojsii  Ingegno  ist  der  Malemame,  den  ich  unserem 
Bilde  hatte  beilegen  können,  wenn  ich  mir  bei  der  Anfertigung 


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302  UAPBAEL  SAMTI  IN  DKK  OMOABItfCHBN  KBICHBtfALLRllIK. 

(U'H  Kataloge«  der  Laudesbildergallerie  mich  mit  den  landlSiitigen 
15t  /.('i(  linui)ge?i  begiiüngt  hätte.  Ich  könnte  mich  auf  hervornigende 
au^jlüutlisclie  Autoritäten  berufen — was  unsere  „eriisteu  Fachge- 
lehrten" immer  besser  Überzeugt,  ak  irgend  ein  aui'  selbststän- 
diger Forschang  ruhendes  Ergebuiss  —  ani'  PassaTant,  den  Bio- 
graphen Raphaeb;  auf  Womnm,  den  Caatos  der  Londoner 
National-Gallerie,  der  den  Katalog  mit  grosser  Sorgfalt  ange- 
fertigt hat;  auf  Charles  Blanc,  der  «Membre  de  llnstitut* 
und  ganz  gewiss  einer  der  namhaftesten  französischen  Kunst- 
historiker ist ;  auf  Ciowe  und  Cavalcaselle ,  die  europabekaiin- 
teu  Verfasser  der  Geschichte  der  italienischen  Malerei. 

Sie  führen  insgesammt  die  in  den  Bildergallerien  Torfindli- 
eben  Kopien  unserer  Madonna  unter  Ing^no's  Namen  auf.  Sie 
erwähnen  sieben  Exemplare  :  ein  Sir  Anthony  Stirling  in  London 
gehöriges;  eines  in  der  National-Gallerie  (Nro.  702);  zwei  im 
Louvre  (gegenwärtig  ist  nur  eines  davon  aufgestellt,  Nro  435,  da« 
andere  war  im  Musee  Napoleon  III.  Nro  175);  das  neapolitanische 
(ehedem  Nro  74) ;  das  in  der  Brera  zu  Milano ;  das  im  JSt. 
Klarakloster  zu  ürbinc».  Das  achte  ist  das  Exemplar  unserer 
Reichsgallerie.  Wenn  wir  indessen  die  Zeilen  aufmerksam  durch- 
lesen, welche  die  hochansehnlichen  Autoren  diesen  Bildern  und 
deren  angeblichen  Schöpfer  widmen,  so  überzeugen  wir  uns 
sehr  baldf  dass  sie  sieh  nicht  nur  —  bei  dem  Mangel  einer  siche- 
ren (irundlage  —  keinen  bestimmten  Begriff  von  den  Eigentliüm- 
liciikeiteu  des  Meisters  bilden  konnten,  sondern  dass  die  erwähnten 
Bilder  nicht  einmal  sorgfältig  mit  einander  vergüchen  wurden. 

Crowe  und  Cavalcasselle  sprechen  bestimmt  genug  :  das  beste 
▼on  sämmtlichen  genannten  und  offenbar  das  Original  der  übrigen 
be&nd  sich  bis  vor  kurzem  in  London  bei  Sir  Anthony  Stirling : 
Madonna,  Halbfigur  in  einer  halben  Mandelglorie  mit  acht  Gherub- 
köpfen  und  in  den  Goldgrund  eingegrabenen  Stralen ;  sie  tragt  das 
segnende  Kind  auf  dem  linken  Ann.  während  dassel])e  auf  deu 
anderen  Bildern  rechts  steht.  Unser  Bild  hat  mehr  Weii  lüieit  und 
Zartheit  in  Bewegung  und  Ausdruck,  die  Formen  sind  genauer 
gebildet  und  die  Züge  sprechender ;  auch  der  Faltenwarf  ist  natür- 
licher und  besser,  die  Farbe  ansprechender,  die  Zeichnung  richti- 
ger, so  dass  es  sich  dadurch  als  Vorbild  der  Torgenannten  ausweist, 


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I 


B1PMA8L  SANTI  IM  llEK  UMUABWUlUX  BElCHSaiLUCIUE.  806 

tli«*  von  vt'rschiedejii'ii  lländen  lierstjuiimeii  luifl  sich  im  Werth 
fh  rartig  folgen,  dass  au  zweiter  Stelle  dus  Bild  in  Url)ino,  au 
dritter  das  der  Natioualgallerie  in  Loudon  ateht  und  nach  dieser 
«Iiis  iu  Paris,  in  Neapel  und  in  Mailand  kommen.  Das  Stirliug'sche 
Hild  ist  mit  vollem  iiecht  dem  Pintoricchio  zngesclirieben,  hat  aber 
dabei  alle  Merkmale,  welche  beweiBen,  dass  er  seinen  Stil  von  Fio- 
rtmzo  herleitete.  Sämtliehe  Madonnenbilder,  die  wir  aufgeführt,  wei- 
sen  auf  Fiorenzo  zurüek,  aber  durch  Yermittelong  Pintoricc1iio*8 . . . 
^at  man  die  Mehnsahl  der  obigeu  Bilder  wirklich  dem  lugi  gno 
zu/.uschreibeu,  dann  ist  wenigstens  so  viel  sieher,  das8  der  Muler 
ein  Schüler  des  Fiorenzo  und  Genojwe  de«  Pintoricchio  war. 

Hiernach  sage  nun  Jemand,  was  die  Meinung  der  ehrenwer- 
ten Verfasser  sei;  ob  Fiorenzo,  Pintoricchio  oder  Ingegno  die 
Bilder  gemalt  habe?  Denn  die  einige  Zeilen  nachher  gegebene 
Erklärung  :  ^.Immerhin  dient  Tngegno  Torläntig  als  ChHnnijsbajnff', 
unter  dem  sieh  eiue  grosse  Zahl  von  Bildern  iu  europäischen  Gal- 
leriiMi  befinden. **  kann  doch  kaum  etwas  Anderes,  als  eine  Umge- 
iiung  der  zu  lösenden  Frage  genannt  werden« 

Ingegno  hat  ganz  gewiss  ezistirt  Nicht  nur  Vasari  erwähnt 
ihn;  auch  Urkunden  sind  vorhanden,  die  er  unterschrieben  hat. 
Wir  dfirfen  ihn  demnach  nicht  als  Grattniigsbegrill'  gebrauchen. 

•  Wenn  kein  nachweisliches  Werk  von  ihm  auf  uns  gekommen  ist, 
sollen  wir  uns  von  seiner  Individualität  keinen  verkehrten  Hegritt* 
aus  Hildcrn  l)ilden  die  ein  und  derselbe  Mensch  kaum  geschalVen 
luiben  kann.  Soviel  Wahrheitsinn  darf  jeder  geistige  Arbeiter  von 
der  Nachwelt  fordern. 

Aber  nicht  nur  dies  ist  unversländlich  in  Crowe^s  und  Gaval- 

caselle's  Auseinandersetzung.  Aus  ihrem  Text  wird  es  eniem  nicht 
einmal  klar  ol)  diese  Bilder  in  der  That  nur  in  unwesentlichen 
Kleinigkeiten  von  riiiandcr  abweichende  -  Wiederholungen  ein 
und  derselben  Koni])osition  seien?  vSie  scheinen  das  Bild  der 
Natiomil-CJallerie  (Nro  702)  mit  dem  von  ihm  völlig  verschie- 
denen Nachbarbüde  (Nro  703),  einem  Werke  Piutoricchio's,  ver- 
wechselt zu  haben,  auf  welchem  wir  die  Madonna  inmitten  einer 
Landschaft  sehen,  hinter  einem  teppiehbedeckten  Steingesims,  auf 
welchem  das  Kind  stelii 


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304 


UAIMIAEL  rjANTI  JN  UEK  UNUAKlsjfHKN  UEltH.SüAU.KUlE. 


Der  HiiikTgriind  de«  Ur))iuoer  Bildes  i«t  aiuli  eine  l^uid- 
schutt  und  die  Serai»hkt3pfe  mit  der  Mandelglorie  fehlen ;  im 
Übrigen  aber  stimmt  die  Besehreibung  desselben  mit  der  Madoima 
unserer  Ueichsbildergallerie. 

So  ungenau  zusammengeHtelltem  Material  gegenüber  bleilit 
uns  nichts  Anderes  übrig,  als  ausschlieslich  unseren  eigenen  Augen 
zu  trauen.  Die  Exemplare  der  Nationalgallerie  (Nro  702)  und  de.s 


Louvre  (Nro  435)  kenne  ich.  Ihre  Composition  und  Farbengebung 
sHnimt,  sogar  noch  in  den  Details  der  Draperie,  mit  derjenigen 
der  Budapester  Madonna.  Die  Abweieliungen  sind  in  der  That  nur 
unwesentlich  :  auf  dem  Londoner  Hilde  ist  die  rechte  t^hulter  der 
Madonna  und  die  Mandelglorie  mit  Öt^^ruen  geschmückt ;  auf  dem 
Pariser  Bilde  sind  in  den  beiden  oberen  Ecken  noch  zwei  Senipli- 
köpfe  sichtbar.  Auf  beiden  ist  die  um  die  Leibesmitte  des  Jesu- 
kiudes  gehende  Hülle  ein  viel  stärkeres,  weniger  durchscheinendes 


UAI'UAEL  äANTJ  IN  D£U  LNUAUlSCllEN  KKIt'UäUALLKlilE.  805 

(iewebe,  al»  auf  unserem  Exemplar.  Die  Formen  sind  bei  uuserer 
MiidoimH  edler,  der  Ausdruck  inniger,  als  bei  ilcr  Londoner  und 
Pariaer.  Ob  die  unsrige  das  Original  ist  oder  alle  drei  nach  einem  ge- 
meinsamen Vorbild  angefertigt  sind  ?  das  ist  eine  Frage,  auf  welche 
nur  Urkunden  oder  auf  den  Bildern  befindliche  Jahreszahlen  be- 
stimmt antworten  könnten ;  eines  solchen  Beweissmittels  entbehren 
wir  aber  vollständig.  Wir  müssen  uns  daher  begnttgen  festzustellen, 
Ulis  welcher  Umgebung  diese  Werke  liervorgcgangeii,  in  welclier 
Zeit  sie  verfertigt  worden  seien.  Und  wenn  wir  diimit  die  ])ereeli- 
iigte  Neugierde  des  Beseluuiera  auch  nicht  ganz  befriedigen  können, 
—  muthen  wir  wenigstens  Niemandem,  das  Werk  eines  Anderen  zu, 
welches  er  yielleicht  seiner  nicht  wördig  erachtet  haben  würde ; 
mid  fiUschen  wir  wenigstens  das  Bild  seiner  Individualität  nicht 
dmnh  Züge,  dicrihm  ftemd  sind  und  thun  wir  somit  der  Pietät  Ge- 
nüge, welche  wir  den  alten  Meistern  schulden. 

IL 

Federzeichnung,  FassaoafU  iido. 

Die  wichtigsten  unter  den  Bildern  aus  Raphaels  erster  unab- 
hängiger Wirkungszeit  1502  — 1504  sind  die  vier  Altarbilder:  Die 
Verklärung  des  heil.  Nieuluus  von  Tolentino,  der  Gekreuzigte,  die 
Kröiuing  Miiriii  und  Maria  Vermälihing  mit  Joseph.  Die  Entwicke- 
luiig  des  Künstlers  lässt  sich  am  besten  aus  der  Krönung  Maria  s 
erkennen  —  welche  er  laut  Yasari,  auf  Bestellung  Maddaleui  delii 
Oddi'»  für  Sau  Francesco  in  Perugia  malte  —  denn  su  diesem 
Bilde  sind  dreizehn  Hand-Zeichnungen  auf  uns  gekommen. 

Im  Thale  Jehosaphat  ateht  d{i8  Steiiigral) ;  um  dasselbe  sehaa- 
ren  sich  die  Apostel  :  links  sechs,  Petrus  an  der  Spitze ;  rechts 
fiiuf,  mit  Paulus,  der  dem  ApostelfUrsten  gegenüber  steht,  und  mit 
Johannes  am  vornehmsten  Platze  des  Vordergrundes.  Mitten  hinter 
dem  Sarkophag  sehen  wir  den  ungläubigen  Thomas.  Auf  sein 
DriUigen  haben  sie  den  Deckel  des  Grabes  abgenommen  und  ge- 
wahren nun  mit  Staunen  an  der  Stelle  des  Leichnams  Mariä  blü- 
hende Lilien  und  weisse  Bosen.  Zur  Beglaubigung  des  Wunders 
fillt  auB  der  H$he  in  die  Hand  des  Thomas  der  Gürtel  der  heiligen 


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1 

306  BAFHACL  äANTI  IN  DKK  UNtfAKltfOaitN  UKlüUMtiALUIBlK. 

.IuiiL(tVau  lierul»  iin«l  die  (liiduivh  autiiicrksain  afev\ or(l»Mi«Mi  Apo.st^'lii 
ln!wiiinlri  n  i'i[</,iu  kt  die  hiiniulisclie  Ersclicinnii^  :  oIkmi  am  I lini- 
luelsgewülbe  crtüllt  Christus  seiu  VerMprechen  :  er  krönt  -di«-  Hraut 
vom  Libanon**.  Eugel  begleiten  die  feierliche  Haudlung  mit  Musik- 
klüugen;  aus  den  Wulken,  zu  Füssen  des  erhabenen  Paares,  tauchen 
anbetende  Engelskinder  empor;  über  demselben  aber  sehwebt  der 
Chor  der  Seraphim. 

Zu  drei  Apostelgestalten  finden  wir  Skizzen  unter  Raphael» 
Zeichnungen :  zum  heil.  Thomas  auf  einem  Blatte  im  Wiear*8chen 
Nachlass  in  Lille  (Nr.  384  in  Passavant^s  Katalog  RapliaePscher 
Zeichnungen);  /Aim  Haupt,  dem  Hals  und  den  den  (türtel  hulÜMideii 
Händen  des  Apostels.  Der  heil.  Johannes  kommt  viermal  vor :  in  Lille 
(Passuvaut  Nr.  385  verso)  eine  fStudie  zum  Faltenwurf  des  Gewandes ; 
y  in  Venedig  das  Haupt,  der  Hals  und.  leicht  liiugeworfen,  der  nackte 
Oberleib  (Passavant  Nr.  57),  das  Antlitz  ist  hier  Ton  rechts  nach 
links  gewendet,  während  es  auf  dem  Bilde  umgekehrt  steht;  —  in 
Oxford  derselbe  Kopf  und  Hals  (PassaTant  Nr.  555) ;  und  in  John 
Maloolm*s  Sammlung  wieder  derselbe  Kopf  (PassavantNr.dO?),  nur 
das»  der  Künstler  hier  den  Kleidsanm,  dem  Bilde  ganz  entsprechend, 
angedeutet  hat.  Die  lieiden  letztgenannten  Zeichnungen  hehainhdii 
die  l)isherigen  For.scher:  Passavant,  Kobinson  und  luilaiul  als  Studie 
zum  Kopf  des  heil.  .Jakob,  der  auf  dem  Hilde  dem  heil.  .lohanues 
gegenüber  im  Vordergrunde  steht.  Der  Hauptunterschied  zwischen 
den  beiden  Figuren  besteht  darin,  da-ss  die  Haltung  des  Johannes 
eine  viel  leidenschaftliehere  ist;  er  ist  soeben  yorwärts  geschritten 
—  das  Gewicht  seines  Körpers  ruht  noch  ganz  auf  dem  rechten 
Fuss ;  er  drückt  die  Linke  an  seine  Brust ;  die  Rechte  öffiaet  er  un- 
willkürlich und  hat  sie  nach  hinten,  abwärts  ausgestreckt  Er  hat 
plötzlich  emporgeblickt,  indem  er  sein  Haupt  nach  rückwärts  bo«», 
so  dass  wir  den  Hals  in  voller  Vorderansicht  sehen.  Ans  jdlen 
seinen  iJewrgungen  leuclitet  sclnvärnierische  Hingebung  hervor. 
Am  heil.  .Jacobus  spiegelt  sich  vielmehr  die  Ueberraschuug  :  ersteht 
ruhig  auf  beiden  Füssen :  seine  Rechte  hat  ein  Buch ;  die  Linke 
hebt  er  verwundert  in  die  Höhe ;  er  liält  mehr  seinen  Blick,  als  sein 
Antlitz  nach  oben  gerichtet,  dessen  Profil  demzufolge  fast  senk- 
recht steht.  Die  verkürzte  Zeichnung  des  Kinns  stimmt  auf  den 
erwähnten  drei  Studien  mit  dem  Antlitz  des  heiL  Johannes  auf  dem 


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lUPHABL  SAHT]  IM  DBtt  QKOABIBüHBN  KSlClUtiALIiBlUS.  807 

Hililt'  so  sehr  zusanimeu,  da»»  es  bei  einer  genauen  Vergleichuug 
im  verkeil  nhar  ist. 

Die  kleine  Kreidezeiclinuug  der  Lilleer  vSiininlung  (Wicar- 
katalog  Xr.  720)  beschreiben  Passavant  (Nr.  412)  und  Buland 
(S.  331,  U.  A.  Xll)  zwar,  haben  aber  nicht  erkannt,  dass  auch  sie 
zur  Krönung  Märiens  gehört.  Sie  ist  eine  sehr  ins  Detail  ausge- 
ffthrte  Stadie  des  Kopfes  des  alten  langbärtigen  Apostels,  der  gleich 
neben  dem  heil  Jacobus,  von  Petrus  aber  an  dritter  Stelle  steht. 
IHeselbe  ist  nicht  mehr  unmittelbar  nadi  der  I^atur  angefei-tigt, 
«ondern  nach  genauer  Bestimmung  der  aufeinander  bezogenen 
Stellungen  der  Figuren,  indem  das  rechte  Ohr  und  der  Hurtruiid 
des  Apostels,  durch  das  Protü  des  heil.  Jacobus  verdeckt  wird  und 
die  Zeichnung  leer  bleibt. 

Zum  oberen  Theile  des  Hildes  kennen  wir  sieben  JStudien- 
Blatter.  Eines  derselben  befindet  sich  in  der  Sammlung  zu  Lille 
(PaasaTant  Nr.  384  verso) ;  es  stellt  die  Mittelgruppe  dar:  Christus, 
vrie  er  Maria  krönt  Der  Kflnstler  hat  auf  diesem  Bilde  die  Bewe- 
gung der  Figuren  gesucht  Er  hat  awei  junge  Menschen  in  die  ent- 
sprechende Stellung  hingesetzt  und  sie  auch,  so  wie  sie  waren, 
treu  auf  sein  Papier  hingeworfen :  iu  ihren  anliegenden  Klei- 
dern ;  mit  den  weiten  Aermeln  am  Oberarm ;  mit  dem  })reiten 
( »iirtel  und  seinen  runden  Schnalleu.  In  Marians  Figur  hat  er  voll- 
ständig das  getroft'en,  was  seiner  Fantasie  vorschwebte;  Christus 
dagegen  hat  er  in  der  Ausführung  etwas  abgeändert,  ihn  dem 
Beschauer  etwas  mehr  gegenüber  gestellt;  die  Figur  ist  dadurch 
breiter  geworden :  sie  macht  einen  würdevolleren  Eindruck. 

Auf  der  Zeichnung  des  British  Museum  (Passayant  Nr.  440) 
hat  Raphael  den  Kopf  und  die  rechte  Hand  des  äussersten,  geigen- 
den Engels  in  der  Stellung  studirt,  welche  er  schliesslich  heibe- 
lialten  hat.  Auf  der  Lilier  Zeicdunuig  (Passavant  Nr.  383)  sehen 
wir  die  ganze  F^igur  desselben  Engels,  doch  wendet  er  uns  sein 
Antlitz  hier  nicht  entgegen,  sondern  blickt  grade  vor  sich  hin,  so 
dass  wir  ihn  von  der  Seite  sehen.  Daneben  hat  ihn  iiaphael  in  ähn- 
licher Stellung  wiederholt,  indem  er  ihm  anstatt  der  Geige  eine 
Guitarre  in  die  Hand  gab ;  auch  hier  hat  er  irgend  einen  seiner  Ge- 
holfen, in  seinem  engen  Kleide,  ab  Modell  gehraucht  und  das  wal- 
lende weite  Gewand  des  Engels  s^mter  darflber  gezeichnet  Ein 


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30ti  lUPHAKIi  SAim  IK  UEH  UMUAKHCUBN  BKlCUdtiAUJSBIX. 

anderes  Blatt  (Paesayant  Nr.  885)  enthält  wieder  eine  Eugelskopf- 
•  Mtudie ;  auf  einem  dritten  (Passavant  Nr.  407)  erkennen  wir  in  dem 

Antlitze  des  jungen  Knaben,  dessen  Kopf  eine  Kappe  bedeckt,  den 
Kopf  des  Engels  mit  der  'i'ambunu 

lu  Oxford  finden  wir  jsorgt altige  Zeiclmungeu  uaeli  der  N:itur 
zu  zwei  Engeln  (Passavant  Nr.  ID.i).  Der  vuio  siebt  ebenso  wie  auf 
dem  liilde  der  äusserste  links  und  selilägi  ebenfalls  dns  Tamburin  ; 
die  Haltung  der  Hände  bat  dem  Künstler  die  meiste  Miilie  gemacht; 
er  hat  sie  deshalb  nochmals  in  vergrössertem  Alassstabe  hinge- 
zeichnet nnd  die  glanzlichter  besonders  mit  weiss  angedeutet  Der 
andere  Engel  spielt  eine  Mandoline ;  er  ist  aber  völlig  yon  dem- 
jenigen  yerschieden,  der  auf  dem  Bilde  dasselbe  Instrument  spielt, 
«timrat  dagegen  in  allen  Punkten,  in  der  Haltung  des  Kopfes,  der 
Jiiiiide,  der  Füsse  mit  <leiiiieiiigen  übereiii,  der  auf  der  Haudzeich- 
nuug  der  IJeicbsbiliU  r^^ullerie  die  (ieige  sjtielt. 

Die  Zeichnung  der  lieiehsbildergallerie  (Piiüsavant  Nr.  'J40) 
eine  0*157  m.  hohe,  n-llj;;  m.  breite  Sepia-Haudzeichnung  —  stellt 
den  ganzen  oberen  Theil  des  Bildes  vor;  aber  nicht  die  Krönung, 
sondern  die  Himmeliahrt  Maria.  Die  heilige  Jungfrau,  —  in  einem 
auch  das  Haupt  einhüllenden  langen  Mantel,  welchen  am  Hals  eine 
Schnalle,  am  Leib  ein  Qürtel  zusammenhält  —  steht  in  der  Mandel- 
glorie mit  zusammengefalteten  Händen.  Oben  an  der  Spitze  der 
Mandelglorie  ist  ein  Seraph  an  den  Seiten  und  unten  je  zwei  Sera- 
phim sichtbar;  der  Madonna  zu  Füssen  al)er  taiiLliiii  zwei  Engel- 
kinder hervor.  Vier  Engrl  mit  Taml)ura,  («(ige.  Harfe  und  Man- 
doline bilden  auch  hier,  wie  auf  dem  Bilde,  diu  Begleitung 
der  Maria. 

Unter  den  Skizzen  des  für  Maddalena  degli  Oddi  gemalt^'u 
Bildes  steht  die  Zeichnung  der  Reichsbildeigallerie  yereinzelt  da. 
An  den  übrigen  zwölf  Zeichnungen  können  wir  Raphaels  damaliges 
Verfahren  bei  der  Schaffung  einer  Einzel6gur  beobachten.  Die 

Figuren,  die  Bewegung(  n,  die  Hand-  und  Fussstellungen,  welche 

Perugino  und  Pintoricchio  festgestellt  hatten  und  die  umbri- 
schen  Maler  allenthalben  anwandten,  erfüllten  aiu  li  IJapbaels  Fan- 
tjisie.  Aber  während  die  übrigen,  auch  die  beriilimten  altnu 
Meister,  die  einmal  gezeichnete  Fiu;ur  wieder  nnd  wieder  verwende- 
ten, begnügte  sich  iSauti  mit  der  sklavischen  Wiederholung  nicht, 


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KAPIIAEL  SANTI  IN  DER  FNOARISHTEN  REirnsOALLERTE. 


309 


.son<lf»rii  sf^llte  sein  Moiloll  ein ;  er  henl)aclitet  die  Veiiheihiiig  der 
Beleuchtung  an  der  Gestillt  und  zeichnet  die  einzelnen  Formen  genau 
nach  der  Natur :  Alles,  was  er  nur  erblickt.  Er  lüsst  nicht  einmal 


ilie  Kappen  nml  Schuhe,  ja  nicht  einmal  die  zufälligen  Oehrechen 
«fiiifr  (iehiilfen  —  z.  B. :  auf  der  Liller  Zeichnung  (Paasavant 
Xr.  107)  die  W  niid»»  am  Augeidiede  des  kleinen  Knaben  —  hinweg. 


310 


BAPIIABL  SANTI  IN  r«R  OVOABIACHEN  RBICH.S4UT.LERTB. 


Die  Ski/zc  der  ileiehsbildergallcrie  chigegeu  verrütli  die 
heimuiflse  der  Bildsdiönfuiir^.  Sie  ist  das  erste  Heispiol  jenes  (Ge- 
dankenganges, welchen  Kaphael  auch  später  befolgte,  und  zwar  bei 
Gelegenheiten,  wo  er  alle  seine  Kräfte  anstrengte :  bei  der  Grab- 
legung Christi  für  Atahinta  Baglioni  —  wo  er  sich  auf  den  ersten 
Skizzen  mit  der  Beweimmg  Christi  befiisst,  dem  Bilde,  mit  wel- 
chem er  in  Florenz  Riilim  zu  erringen  strebte ;  und  bei  seinem 
letzten  Werke  :  der  Verklarung  Christi  —  mit  welchem  er  «rejxen 
Michel  Angelo  und  Sebastian  del  Piorabo,  welche  zusammen  die 
Auferstehung  des  Lazarus  malten,  in  die  Schranken  trat ;  —  auch 
hier  war  seine  erste  Absicht  eine  andere  :  er  wollte  dieAnfer- 
stehnng  Christi  malen. 

Die  Krönung  Marians  erwähnt  weder  die  dem  Johannes  Theo- 
logus,  noch  die  dem  Joseph  von  Arimathia,  noch  die  dem  Bischof 
von  Sardes,  Melit,o,  zugeschriebene  apokryphe  Schrift,  nocli  eiidlirh 
das  Buch  des  .Jacr>bus  de  Vonigine,  in  Italien  die  verbreitetste  Quelle 
für  (las  [.eben  der  Heiligen.  Alle  diese  handeln  von  der  Himmel- 
fahrt Maria.  Mit  der  Verbreitung  des  Christenthoms,  als  die  sdne 
Entstehung  begleitenden  Begebenheiten  immer  grösseres  Interesse 
erweckten,  geschah  es  nothwendigerweise,  dass  der  im  Volke  leben- 
dige epische  Drang  das  Schicksal  der  handelnden  Personen,  Ton 
welchem  die  heilige  Schrift  schweigt,  aus  ihren  bekannten  Charak- 
terzi'jgen  detaillirt  entwickelte.  Von  Maria's  Martyrium  ist  nirgends 
eine  Spur,  von  ihrem  Tode  nirgends  eine  Erwähnung.  Die  natür- 
liche Ursache  dieses  Stillschweigens  ist,  dass  der  Heiland  seine 
Mutter  Tor  der  Verfolgung  und  yor  dem  Tode  bewahrte,  und  ihre 
langwierigen  Leiden  damit  belohnte,  dass  er  sie  geradeswegs  an 
seine  Seite  in  den  Himmel  nahm.  Aber  nicht  blos  ihre  Seele  fuhr 
zum  Himmel.  Denn  wie  könnte  ein  denkendes,  frommes  Gemüth 
gbauben,  dass  der  Leib  derjenigen,  die  einst  den  Herrn  unter  ihrem 
Herzen  getragen,  dass  dieser  gelieiligt«»  l?eli(|niensclirank  ein  Fmss 
der  Würmer  werden,  verwesen  und  in  Staub  zerfallen  soll,  wie  der 
Leichnam  eines  sündigen  Menschen !  Und  Zeugen  dieser  Verklärung 
zu  sein  :  das  muss  unzweifelhaft  eine  der  begeisternden  Wonnen 
'  gewesen  sein,  welche  den  treuen,  opferbereiten  Jüngern  zu  Theil 
wurden.  »€^ott,  der  Du  in  Deiner  grossen  Güte  Deinen  eingebomen 
Sohn  vom  Himmel  herabgesandt  hast,  dass  er  in  meiner  niedrigen 


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RAPHAEL  SANTI  IN  »ER  UNUAKLSCIiBN  RBICilSGALLEKIK.  -  311 

Person  weile,  und  so  gnädig  gewesen  biüt,  Ilm  durch  mich,  deine 
nie(lri«i^e  Magd,  geboren  werden  zu  lassen  :  sei  barmherzig  gegen 
die  Welt  and  gegen  jede  Seele,  die  deinen  Namen  bekennt!  Unser 
Herr!  König  des  Himmels!  Sohn  des  lebendigen  Gottes!  nimm 
jeden  an,  der  deinen  Namen  bekennt,  auf  dass  deine  Gehnrt  g<?* 
pneeen  werde.  Unser  Herr  Jesns  Christus,  der  dn  allmächtig  bist 
auf  Erden  und  im  Himmel,  ich  berufe  mich  mit  dieser  Bitte  auf 
deinen  lieiligen  Xumen  :  heilige  jede  Zeit  und  jede  Oertlichkeit,  in 
"vveltdier  iiu-in  Name  genannt  wird,  und  verherrliche  diejenigen,  die 
mit  meinem  Namen  dich  verlierrlicheu,  und  nimm  von  Solclien  ein 
jedes  Gelid)de,  ein  jedes  (Tcbet,  eine  jede  Bitte  gnädig  auf*,  also 
betf»t,  auf  die  Bitte  der  Jünger,  Maria  in  ihrer  Todesstunde.  Und 
der  Herr  antwortet :  «Dein  Herz  frohlocke  nnd  frene  sich,  denn  dir 
'ist  gewähret  worden  jegliche  Gnade  nnd  jegliche  Gabe  durch  meinen 
Vater,  der  da  ist  im  Himmel,  nnd  durch  mich,  und  durch  den  hei- 
ligen Geist :  die  Seele,  welche  sieh  auf  dich  bemffc,  bleibt  nicht  in 
Schanden,  sondern  findet  Barmherzigkeit,  Trost,  Beistand  und  Auf- 
nnijitorung  vor  dem  Angesielit  meines  Vaters,  der  da  ist  im  Him- 
mel, sowolil  in  der  Welt,  j»'tzt  ist,  als  auch  in  derjenigen,  die 
da  seiji  wir«l  ....  komm  Braut  vom  Libanon,  komm  und  du  sollst 
j^ekrönet  werden."  Wer  könnte  d.iran  zweifeln,  djiss  der  llerr  seine 
Verheissung  erfüllt  hat?  Das  fromme  Volk  zweifelte  an  dieser  Er- 
fOUnng  nicht;  die  Maler  malten  sie;  die  Kirche  erkannte  sie  an, 
indem  sie  auf  zahllose  Altare  die  Kr5nung  der  heiligen  Jungfrau 
hinstellte. 

Maddalena  degli  Oddi  hatte  Marians  Verklärung  bestellt.  Die 

Skizze  unserer  Landesgallerie  beweist,  dass  der  Meister  bei  der 
Ltisung  der  Aufgabe  zuerst  an  dir  lliiniiieli'ahrt  daclit«'.  Er  b^vschäf- 
ti<rtr  sieh  mit  dieser  Seen»'  so  (unm'hend.  dass  (»r  bereits  die  d;r/u 
j^ehörigeu  Engel  uacli  der  Natur  zu  zeichnen  begann  (Oxforder 
Zeichnung,  Passavaut  Nr.  493) ;  dann  aber  laset  er  sie  fallen  und 
malt  die  Krönung. 

Wenn  wir  die  beiden  Scenen  mit  einander  yergleiehen,  so 
entdecken  wir  die  widffscheinliche  Ursache  dieses  Entschlusses 
Raphaels.  Bei  der  Himmelfahrt  vertheilten  sich  die  handelnden 
Personen  in  drei  tlhereinander  stehende  Reihen :  unten  die  das  (Irab 
umstehenden  Jünger ;  über  ihnen  Maria  von  musizireudeu  Engeln 


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»    31d  RAFKAIL  SANTI  IK  DXB  UVOAMRCIIBN  BUCHSOAliLIRn. 

iini^('l)eii ;  oben  eiullicli,  inmitten  <lor  Seraphiraschnar,  der  Hrrr, 
(k-r  die  V'erklärU^  SfgiieiHl  <'nipfVuigt.  Bei  der  Kniiiun^  kommen 
die  Hauptfigliren  und  ilir»'  Begleiter  obeu,  nebeneinander  zu  stehen  ; 
nur  diese  dm  Gruppe  fesselt  die  Aufmerksamkeit  der  auf  der  Erde 
Zurückgebliebenen :  sie  bedingt  jegliche  ihrer  Bewegungen. 

Raphael  manifestirt  sein  starkes,  dramatisches  Geftlhl,  indem 
er  die  Himmpl&hrt  Marians  fallen  Iftsst  und  dafftr  ihre  Krönung  zur 
Daratentin^  wählt;  indem  er  anerkennt,  djiss  die  Handlung  je  ein- 
facher, desto  wirkungsvoller  sei ;  dass  er  den  Beschauer  desto  nielir 
interessirt,  je  mehr  er  die  Handlung  eoncentrirt,  je  begreiflicher  er 
den  Zusammenhang  zwischen  ihr  und  den  Bewegungen  der  Per- 
sonen macht  In  diesem  Werke  beweist  vSanti,  dass  er  bei  seinem 
AuHtritt  aus  Perugino\s  Werkstatt  nicht  allein  bereits  gut  zu  malon, 
Aondem  seine  Vorwürfe  auch  gehörig  2u  gestalten  versteht. 

ra. 

Bihlniss  eines  Kardinals  (?)  Nr,  öS,  Madonna  Eseterhdey  Nr,  öl. 

Als  Raphael  sich  in  Firehze  niederliesit,  wurde  sein  empfäng- 
liches GeraQth  durch  den  geheimnisvollen  Zaulier  der  Werke  Lio- 

nardo's  uiiwiederstehlich  ange7,o;^en.  Seine  nach  Harnioiii»' strebend«' 
Natur  <lu]det('  nur  die  stufenweise  Entwickelung.  Miclidangelo,  (Ut 
damals  die  Mittel  der  Kunst  als  Zweck  ansah,  hatte  daher  auf  ilni  v(»r- 
läufig  keinen  EiuHuss.  Als  ersieh  von  PiNTUgino  trennte,  bemühte»  «t 
sich,  den  angelernten  Formen  Lehen  einzuhauchen,  indem  er  da^  Pr»- 
tail  der  Natur  ablauschte,  und  dies  machte  ihn  reif  für  die  Ofifenba- 
rung,  die  aus  Lionardo^s  Werken  leuchtet :  dass  mit  den  menschlichen 
Formen  nicht  allein  Handlung  und  Leidenschaft,  sondern  auch  em- 
pfindendes Gemüth  ausgedrOckt  werden  soll.  Dass  er  den  iiefidrhen- 
den  WerÖi  der  OflFenbamng  erfasst  habe,  bezeugen  seine  Zeichnun- 
gen, insbesondere  die  Studie  zum  Porträt  der  Maddalena  Doni,  die 
uns  gegenwärtig  unter  d»'n  Sehätzeu  des  Louvre  entzückt. 

Das  Interessante  und  die  gewaltige  Ausdnicksfahigkeit der  in- 
dividuellen Züge  im  (regesatse  zu  den  von  den  Vorgfingem  fihemom- 
menen  Eopfmodellen,  in  die  jeder  Kttnstler  höchstens  sein  eigenen 
Schönheitsideal  hineinlegte,  erfasste  Raphael  eben  au  derselben  Zeit 


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RAPRAKL  3ANTI  TN  nKF  TTNOARISCHUN  RElCTTSOAUiERlE.  31-^ 


und  von  df^inselhen  Eiiiflnss  angeregt.  Er  bat  wUhreml  seiner  zwan- 
zigjährigen Thätigkeit  —  so  viel  wir  wissen  —  ueunundzwanzig 
Porlrrit>!  gemalt  und  von  diesen  sind  zehn  in  der  Zeit  von  1504  bis 
V)07  in  Klorenz  entstanden.  Passavant  und  Unland  zäblen  zu  diesen 
mit  ß«cht  das  Porträt  des  jungen  Mannes  in  unserer  lleicbsbilder- 


Hunrt/.cichnnnp  im  r.onvro. 


j^allfrie.  Sie  wähnen  darin  die  Züge  des  Francesco  Maria  della  Rovcre, 
Thronerben  von  Urbino,  zu  erblicken.  Doch  wir  müssen  diesen 
Namen  sofort  fallen  lassen,  wenn  wir  erwägen,  dass  der  junge 
Prinz  1491  geboren  wurde,  demnach  selbst  1508  erst  sein  sieben- 
zfthntes  Lebensjahr  vollendet  hatte.  Auf  unserem  Portrat  selien  wir 
«lagpgen  einen  vollendeten  jungen  Manu,  mit  vollentwickelten  Scbul- 

Coffarittehn  Rovno.  lf<Ä'i.  IV.  Hoft  21 


814    >  RAPHAEL  SANTI  IN  I»ER  ONGAKISCHEN  REIC'USOALLEUIR. 


lUpbael.  Portrait  Beicbabildergallerio  Nr.  5a. 


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« 

BAPHAEL  SASTI  JN  DKK  UNOAUISCHEN  HEICH.SGAU.EKIE.  315 

bt  rii,  tt'.stuusgel>il(leteu  Zilgeu  und  nüchteriR'iii,  überlegtem  Gesiclits- 
Äuadnu'k.  Auch  auf  »einen  Lippen  thront  das  angehende  Ijiicheln  — ■ 
nicht  der  Vorläufer  des  infolge  bestimmten  Einfalls  hervorbrechenden 
Lachens,  sondern  vielmehr  das  Zeichen  zu&iedenen«  liebenswürdigen  '  " 
Gemüthes.  Die  Sifcnation  der  Figur  auf  der  BildflSehe  ähnelt  so 
anffiillend  dem  Portrat  AgnoloDoni*8,dass  dies  allein  genug  Beweis 
fllr  die  gleichzeitige  Entstehung  der  beiden  Bilder  ist.  Der  Jfing- 
Hng  lässt  seinen  Arm  auf  dem  am  Rande  des  Bildes  angebrachten 
Steinsims  rnhon  ;  im  Hintergrund  blicken  wir  in  eine  Landschaft: 
auf  in  der  Ferne  blauende  Berge,  auf  einen  Hügel,  dessen  Gipfel  ein 
Sommersitz  krönt  und  zu  dessen  Füssen  sich  eiusclilängelnder  Fluss 
in  einen  See  ergiesst,  —  eine  Gegend,  die,  wenngleich  sanfter,  den 
▼on  Lionardo  beliebten  ähnelt  Der  junge  Mann  trägt  ein  braunes 
ärmelloses  Gewand  und  darunter  ein  rothes  Kleid,  welches  der  Saum 
eines  Krausenhemdes  vom  Halse  trennt  Sein  Haar  hangt  beinahe  bis 
auf  die  Schulter  herab  und  bildet  einen  dunkeln  Rahmen  su  dem  lan- 
gen Antlitz.  Auf  seinem  Haupt  hat  er  ein  rothes  Biretnin;  ganz  von 
der  Art,  wie  es  die  Kardinäle  tragen.  Dasselbe  unterscheidet  sich  von 
der  damals  üblichen,  gewöhulichcu  Berretta  dadurch,  dass  es  keine 
Krempe  hat  und  dass  vier  Kanten  seinen  viereckigen  Grundrisa  be- 
zeichnen. Auf  den  dieser  Zeit  angehörigen  Porträts,  welche  ich  be- 
hufs Feststellung  der  damaligen  Mode  durchmusterte,  £uid  ich  diese 
Kappenform  nur  bei  kirchlichen  Würdenträgem,  —  um  ein  nahe  lie* 
gendes  Beispiel  zu  erwähnen,  bei  Bernardo  Dovizio  da  Bibiena,  den 
Raphael  in  Rom  malte. 

Wenn  wir  in  diesem  Jfingling  in  der  That  einen  GeistUch^en 
erkennen  müssen,  so  würde  dies  als  Ausgangspunkt  für  die  sichere 
Bestimmung  der  abgebildeten  Person  dienen  und  möglicherweise 
Licht  v^'rbreiten  können  über  den  dunkelsten  Punkt  in  Kaphaels 
Künstlerluufbahn  :  über  seine  Verbindung  mit  dem  päpstlichen 
Uofe,  welche  den  Grund  zu  seiner  Berutung  nach  Rom  und  seinem 
raschen  Fortschreiten  in  der  Gunst  Julius  des  II.  abgeben  konnte. 
Wir  dürfen  indessen  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  das  Biretum  erst 
um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ein  integrirender  Be- 
standtheil  der  Kardinalstracht  wurde ;  es  ist  möglich,  dass  es  vorher 
auch  yon  Weltlichen  getragen  wurde.  Eben  weil  wir  auf  diese  Be- 
stimmung wichtige  Muthmassungen  bauen  könnten,  ist  es  unsere 

21* 


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316  RAPHABL  SAKTI  IN  »BB  ÜNOAHliKlISir  lUIClISOAUiERlB. 


Pflicht,  mit  (lopiK'lt.'r  YorHieht  vorzui^i'lu'ii  und  den  Jiin^liiiij;  '-rsf 
dann  zu  hpiu'iint'n,  wenn  uns  oin  «(iinstii^cr  Zulull  ein  mit  Inscliri  1 1 
versehenes  Porträt  desselben  in  die  Haud  spielt,  welches  jeileu 
Zweifel  an  seiner  Identität  aussei iliosst. 

Unter  den  Madonnenbildern  Bapbaels  aus  seiner  Florentiner 
Zeit  sind  diejenigen  die  bedeutendsten,  in  welchen  er  gleichzeitig 
bemüht  ist,  sein  dichterisches  Sinnen  zu  entwickeln  nnd  eine  schwie- 

'  rige  malerische  Aufgabe  zn  lösen.  Diese  yollendetsten  Frfichte  seiner 
Florenzer  Thätigkeit  sind  :  «Madonna  nel  verde*  in  Wien,  die  «Ma- 
donna del  Card»  düno"  in  h'lorenz,  die  ,  Rolle  Jardiniere*  in  I\iris 
und  die  Madonna  in  Hudapest.  Atif  alU'U  vieren  sitzt  Maria  mit  dom 
Kinde  im  Freien  und  Joliaunes  der  Täufer,  der  kleine  Gefäliri«^ 
Je<u,  ist  ihnen  l)eifrosellt,  bald  zur  Hegrüssung  des  Jesukindes 
das  Knie  beugend,  bald  zu  dessen  Unterhaltung  ein  Spielzeug  brin- 
gend: ein  Vögelchen  oder  ein  Kohrkrenz.  £ine  ganze  Serie  von 
Zeichnungen  beweist  auch  hier,  wie  Raphael  die  yersehiedenen  Si- 
tuationen ans  einander  entwickelt,  mit  einander  verbunden  und 
wie  er  sie  wieder  zn  einer  neuen  Komposition  arrangirt  hat;  wie 
er  das  bereits  verarbeitete,  aber  noch  nicht  erschöpfte  Sujet  wie<ler 

.  aufj^rnoninien  und  mit  unbedeutender  Andening  zu  einem  neuen 
Meisterwerk  «'estaltt-t  li;it  . 

Auf  dem  Wiener  Bilde  sitzt  Maria  und  unterstützt  mit  ihren 
Banden  das  Jesukind,  welches  das  vom  knienden  Johannes  ihm  dar- 
gereichte Kreuz  ergreift  Auf  dem  Florenzer  stehen  beide  Kinder ; 
Jesus,  an  die  Knie  seiner  Mutter  gelehnt,  streichelt  das  Vöglein, 
welches  ihm  sein  Spielgenosse  überreicht.  Auf  dem  Pariser  schmiegt 
sieb  Jesus  ebenfalls  an  Maria  und  blickt  schmeichelnd  zu  ihr  empor, 
nicht  auf  den,  knieend  zn  ihm'  aufschauenden  Johannes.  Auf  dem 
Budapester  kniet  Maria  und  hält  das  auf  «'im^m  Hüfjjel  sitzende  Je- 
sukind,  das  seine  Hände  gegen  den  ebenfalls  knienden  Johannes 
aussti-eckt. 

Zwei  Skizzen  bilden  das  Bindeglied  zwischen  der  »Belle  Jar- 
diniere"  und  unserer  Budapester  Madonna.  Auf  dem  einen  (Passa- 
vant, im  Kiitalog  der  Zeichnungen  des  Königs  Wilhelm  von  Hol- 
huid  dd.  RuUnd  :  S.  61.  XXIL  10.  Philpot  Photographien  1124. 
Dieselbe  Composition,  nur  mehr  ins  Detail  ausgearbeitet,  war  1879 
in  Paris  unter  dem  Namen  Timeteo  delle  Vite  ausgestellt  Braunes 


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\ 


KAPH^VEL  »ANTJ  IN  ;>EK  UN<iAKJSUHEN  KBlCIlsliALLEUlB.  317 

Pbotcigrutien  Nr.  12(3.)  sitzt  Miuria,  so  wie  die.  , belle  Jardiuiere/ 
nnr  wendet  sich  ihr  Oberkör]>er  mehr  von  uns  ab  :  wir  sehen  auf 
ihre  linke  Schulter;  ihr  Kopf  aber  wendet  eich  gegen  uns  zu^ck, 
indem  sie,  auf  den  ihr  zu  Ffissen  knieenden  Johannes  blickt,  so  dass 
wir  sie  en  face  sehen.  Und  dieselbe  komplizirte  Haltung,  —  wo  die 
Axe  jedes  einzelnen  Körpertheiles  in  anderer  Richtung  steht,  wo« 
ilunli  auch  die  ruhige  IJeweguug  eiue  das  Auge  beleidigoudc 
IMaiinigfaltigkeit  gowiniit,  —  fiudoii  wir  noch  Ix-ssf-r  aungflx-utct 
l)oi  der  Maria  unserer  Iieichsl)iklergallene.  Johaiiix's  eriuert  auf 
der  Zeichnung  wieder  theils  au  das  Pariser,  theils  au  dasBuda|M>st('r 
Bild ;  die  Heine  und  den  uns  näher  liegenden  Arm  desselben  hat 
Raphael  darauf  ebenso  angeordnet,  wie  auf  dem  letzteren ;  sein  Blick 
aber  ist  Jesus  zugewandt,  wie  auf  dem  Pariser  Bild,  wo  wir  eben- 
falls sein  Profil  sehen.  Das  Jesnldnd  der  Zeichnung  und  der  »Belle 
Jardini^re*  stimmen  darin  Uberein,  dass  sie  auf  der  Erde  stehen; 
aber  die  ueckische  Bewegung  desselben  auf  der  Skizze,  mit  der  es 
sich  halb  hinter  das  Knie  der  Mutter  verkriecht  und  (hiss  seine 
Aufmerksamkeit  auf  seinen  Kanuradcii  g^'riclitet  ist,  l)riiigt  es 
wieder  um  einen  Schritt  der  Madouna  unser  Landesbiklergalierie 
näher.  Wie  auf  dieser,  hat  Johannes  auch  uuf  einer  Florenzer  Zeich- 
nung (Passavant  1 17)  einen  Hund  mitgebracht;  die  Stellung  Ma- 
rias und  Johannes  weicht  hier  zwar  von  derjenigen  ab,  die  wir  auf 
den  erwähnten  Bildern  sehen,  diejenige  des  Jesukindes  dagegen, 
nähert  sich  derjenigen  des  Budapester  Bildes;  Maria  hat  das  Kind 
auf  ihren  Arm  genommen  und  es  streichelt  mit  beiden  Händen  den 
Hnnd,  den  .loluinnes  mit  Anstrengimg  zu  ihm  em])orhe))t.  (lanz  die 
Komposition  der  Buda])ostrr  Mudouna  finden  wir  auf  c'uwr  ande- 
ren Floreuzer  Zeichnung  (Passuvant  114.);  dit-  einzige  wesentlich«' 
Abweichung  zeigt  sich  in  der  Anordnung  der  Landschaft,  welche 
auf  der  Zei'  bTinng  liöher  hinauf  reicht,  SO  dass  die  Hügel  dem 
Haupte  Maha's  als  Hintergrund  dienen,  während  wir  auf  dem  Bilde 
liinier  demselben  den  heiter  blauen  Himmel  sehen. 

Noch  zwei,  ebenfalls  in  Florenz  befindliehe  Zeichnungen,  auf 
beiden  Seiten  desselben  Papierblattes,  beziehen  sich  auf  das  Buda- 
pester Bild.  Passavant  (116.)  und  Ruland  (S.  95.  XXX.  s.  1.,  2.) 
halten  dieselben  für  lOuLTrlkopfstudicn  ;  si»-  wurd<'n  sirhcrlich  durch 
das  wallende  Haar  irregeführt,  welches  der  Art  aufgelöst,  bei  Engeln 


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318  UAPHAKL  SAMTl  IH  1>KU  LN(iAKläCH£N  UEltUäiiALUEUlE. 


häutig  vorkommt.  Die  charakieristiHche  Haltung  des  Kopfes  und 
der  Schultern  indessen,  ja  selbst  der  lluuipfaussclinitt,  der  mit 
demjenigen  des  Gewandei  der  Maria  auf  dem  Bilde  ttbereinsiimmi, 
laagen  keinen  ZweiÜBl  darüber,  dass  wir  es  hier  in  der  That  mit 


UAud2elcUuuiig  ia  Floreuz. 

äner  sargfiUtigen  Studie  des  Kopfias  der  Maria  nach  einem  leben» 
den  Modell  zu  ihnn  haben. 

Die  Madonna  der  Reichsbildergallerie  ist  unvollendet  geblie- 
ben ;  sie  ist  blos  untermalt  ;  die  Formen-  und  die  Parbengebnng 
ist  halb  fertig.  Dieser  Umstand  hat  bisher  als  Fingerzeig  für  die 


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KAFHiEL  ijAMTl  IN  DEK  UNUAKISCHEM  UEICUoUALLEBIt.  319 

Bestimmung  ihrer  Eutstehuiigsz'Mt  gedient.  Vusari  bemerkt,  dass 
K5il)hfl  Im'I  seiner  Abrciso  nach  Rom  —  Ende  1508  —  seine  Ar- 
beiten in  Florenz  nnvoUendet  zurückgelassen  habe  :  s.  B.  die  naeh 
Siena  bestimmte  Madonna  —  wahneheinlieb  die  «Belle  Jardinite* 
—  nnd  dae  Air  Baldaaaare  da  Pesda  begonnene  grosse  Altarbild. 
Diesen  wird  mit  grosser  WahrscEeinlichkeit  auch  nnser  Bild  bei- 
gezahlt. 

IV. 

HandMeit^mmigm  mt  DispcifA 

Der  Gei^t  der  Renaissance  gelangte  mit  Tommaso  da  Sar- 
zana,  Nicolans  V.,  auf  den  päpstlichen  Thron.  Seine  anmittelbaren 
Vorgänger,  Eugen  IV.  und  Martin  V.,  erfreuten  sich  zwar  bereits 
des  Friedens  der  Kirche ;  sie  mnssten  aber  all  ihr  Streben  darauf 
richten,  Rom  wieder  wohnUcb,  zur  sicheren  Residenz  des  Papstes 
9EU  machen.  Dass  es  wieder  die  Hauptstadt  der  gebildeten  Welt 
werde,  machte  erst  Nicolaus  zur  Aufgabe  und  Pflicht  der  Kirchen- 
oberhäupter. So  lange  er  regierte,  strebte  er  ohne  Unterlass  diesem 
Ziele  zu  :  er  versammelte  um  sich  die  hervorragendsten  Gelehrten, 
Schriftsteller  und  Künstler ;  er  gründete  eine  Bibliothek ;  er  begann 
den  Bau  eines  der  päpstlichen  Würde  entsprechenden  Palastes  — 
des  Vaticans  —  und  eines  der  Macht  der  römischen  Kirche  ent- 
sprechenden Tempels  —  der  Peterkirche;  und  liess,  was  von  aUe- 
dem fertig  wurde,  dnrdi  die  anerkanntesten  Meister  seiner  Zeitans- 
schmtlcken.  Die  kurzen  acht  Jahre,  die  er  auf  dem  Stuhle  des 
AposteHttrsten  sass,  reichten  zur  Ausführung  seiner  BiesenplSne 
nicht  aus.  Es  war  daher  eine  Hauptsorge  seiner  Sterbestunde,  den 
üeberlebenden  die  Fortführung  seiner  Unternehmungen  auf  die 
Seele  zu  binden ;  sie  zu  ül)('rzeugen,  dass  dieselben  nicht  Erzeug- 
nisse einer  individuellen  Passion,  sondern  einer  durchdachten  Po- 
litik seien  ;  ^öret,  höret,  icli  sage  Euch,  ehrwürdige  Brüder,  er- 
waget die  Ursachen  und  Absichten,  die  uns  zum  Bauen  und  Schaffen 
bewogen  und  unsere  Aufmerksamkeit  in  so  hohem  Masse  darauf 
gerichtet  haben' ;  ~  also  spricht  er  in  seinem  Testamente  zu  den 
Kardinalen  —  .wir  wflnschen,  dass  Eure  Ehrwttrden  dies  wissen 
nnd  yerstehen.  Unsere  Bauten  hatten  zwei  Hauptursachen :  die 
ganze  Hohe  und  Grösse  des  Ansehens  der  römischen  Kirche  be- 


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820 


KAFBAIL  8AHTI  IN  DBK  UVOABISCBBN  KBlCUäaAUJIRIE. 


greifen  nur  cUejenigeii,  die  ihren  Ur.s]»rüng  uml  ilir  ^Vut•h.sthulll  au> 
dem  Studium  «1er  Geschichte  kennen  gelernt  hal)eu ;  die  ühri^e 
Menscheit  aber  in.sge.sammt,  der  ganze  grosse  Haufe,  ist  imhvwnu- 
dert  in  der  Wissenseliait,  ja  er  ernuuigelt  derselben  Yoilstäudig.  äie 
hören  zwar  oft  Ton  weisen  und  gelehrten  Männern,  auf  welche 
Weise  die  römische  Kirche  entstlmdenf  su  welcher  Grosse  sie  em- 
porgewachsen sei ;  sie  nehmen  eine  solche  Meinung  auch  als  wahr 
und  gewiss  an ;  dessenungeachtet  steht  ihr  Glaube  auf  einem 
schwachen,  hinfälligen  Fundament^\  und  schwindet  im  Laufe  der 
Zeit  dermasseu,  dass  er  gewisslich  allinählig  vollständig  zunickt« 
wird,  wofeme  nicht  augenfällige  Schauspiele  auf  sie  einwirken. 
Eine  erstaunliche  Anhänglichkeit  entwickelt  und  wurzelt  sich 
fest,  wenn  die  auf  den  Aussprüchen  gelehrter  Männer  beruhende 
öffentliche  Meinung  tagtäglich  ohne  ünterlass  durch  gprossartige 
Biiuteu,  bleibende  Denkmäler,  gleichsam  gotterschaffene,  ewigwah- 
rende Zeugen  bestätigt  und  bekräftigt  wird,  »^o  kann  sie  sich  vererben 
von  Generation  zu  Generation,  welche  gleichermassen  Augenzeugen 
der  wunderbaren  ächüpfaugen  äiud;  so  kann  sie  ungeschmälert 
bleiben,  so  kann  sie  grosser  werden.  Je  hervorragender  und  ehr- 
würdiger unter  allen  übrigen  die  ewige  Stadt  ist,  je  mehr  sämmt- 
liehe  Christenvölker  dieselbe  mit  höchster  Hingebung  yerherrlichen 
ar\i\  bewundem,  desto  nothwendiger  hat  uns  ihre  Sicherung  und 
Ausschmückung  geschienen;  vor  allem  Andern,  weil  wir  nicht 
ausser  Acht  lassen  durften,  dass  der  allmächtige  Gott  sie  zur  l)K'i- 
benden  Residenz  des  Fürsten  der  Kirche,  zum  ewigen  Schauplat/.e 
der  Heiligkeit  des  Papstes  auserwählt  hat ....  In  Folge  solcher 
Ursaclien  sind  in  unserem  Geiste  und  unserem  Herzen  die  Pläne 
zu  80  grossen  und  so  prächtigen  Bauten  erwachsen  :  nicht  aus 
Ambitioni  nicht  aus  Prachtliebe,  nicht  aus  eitler  Ftehlerei,  nicht 
aus  Ruhmbegier,  nicht  um  das  Andenken  unseres  eigenen  Namens 
zu  erhalten ;  sondern  damit  das  Ansehen  der  römischen  Kirche  zu- 
nehme, damit  die  Würde  der  Apostelresidenz  in  den  Augen  sämmt- 
lieber  Christen  Völker  wachse  .  .  . 

Oben  im  Saale  des  zweiten  Stockwerkes  des  Vaticans,  wo  wir 
jetzt  Kaphaels  berühmte  Wandgemälde  bewundern,  schmückt  den 
Schlussstein  der  Wölbung  das  Wappen  des  bescheidenen  Papstes 
Nicolaus,  —  der  in  sein  Wappen  kein  Familienemblem,  sondern 


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RAPHABL  SAHTI  IN  DBK  UNüAUlSCIOtN  XEI(;UtiÜAIJ.BBJX.  821 

die  Schlüssel  des  heil.  Peiams  setzte  —  verkündend,  dass  bei  den 

Siolzesten  Schöpfungen  der  Renaissance  der  LSwenantheil  der  Ini- 
tiative ihm  gehühre.  Die  Wände  staiul»!n  nicht  insgesaiiiml  leer 
da,  als  Kaithuel  1508  nach  Koni  kam.  Dort  urheitcte  ITir  Nicoluiis 
bereits  Beuedetto  Buoufigli,  der  Nestor  der  perugiaer  Meiste i- '» 
Andrea  di  Castagno,  einer  der  kühnsten  unter  den  gelehrten  Flo- 
renzer  Malern ;  Bartolomeo  di  Tommaso  ans  Foligno ;  Piero  della 
Francesca,  der  geniale  Begründer  der  Perspektive.  Ein  reges  Künst- 
lerleben bewegte  sieh  in  den  Sälen  des  Vaticans  Jolins  II.,  der 
seinen  Wohnsitz  hieher  verlegte,  nm  nicht  einmal  zwischen  den 
Maaem  leben  zn  müssen,  welche  das  Andenken  Boderigo  Borgia*s 
besudelte.  Perugino,  Antonio  Bazzi,  Laca  Signorelli,  Bramantino 
Suardi,  Lorenzo  Lotto  und  Jan  Iluyach  arbeiteten  hier  von  1507 
angefangen. 

In  der  türstlich  Eszterliazy'sclieii  Sammlung  fiihrte  das  auf 
•  Seite  322 — 323  mitgetheilte  Blatt  den  Namen  Raphaels.  Auf 
beiden  »Seiten  dessell^ßn  befinden  sich  Figuren.  Passavant  erwähnt  es 
in  seinem  Katalog  BaphaeFscher  Zeichnnngen  nicht ;  wahrscIleinHch 
hielt  er  es  nicht  für  ein  Werk  dieses  Meisters.  Derselben  Ansicht 
scheinen  anch  Jene  gewesen  zu  sein,  die  1878  die  Skizzen  der  be- 
rBhmtesten  Meister  aus  unserer  Beichsbildergallerie  auslasen,  um 
auf  der  Wiener  Weltausstellung  das  fachkundige  Pubhkum  von  der 
Ik'achtungswürdigkeit  unserer  Sammlung  zu  überzeugen :  sie  nah- 
int'ii  dieses  Blatt  in  ihre  Auswahl  nicht  auf.  Die  mehr  in  die  Augen 
fallende  der  beiden  Zeichnungen  desselben  lässt  uus,  ihrem  Vor- 
warf zufolge,  in  der  That  nur  schwer  an  Baphael  denken.  Sie 
scheint  eine  Studie  zu  einem  Skulpturwerk  zu  sein.  Sie  stellt  einen 
birtagen  Mann  dar;  die  erhobene  Bechte  desselben  halt  ein  Lau- 
senende  ( ?  oder  einen  Blitz) ;  seine  Linke  stemmt  sich  auf  die  Hüfte ; 
Mn  Blick  ist  seitwärts  gewandt;  sein  Schritt  resolut;  die  Bewe» 
gung  seines  schlanken  Körpers  reich  an  Abwechslung ;  seine  Hal- 
tung kühn,  herausfordernd.  Zu  seineu  Füssen  liegen  Waffeu  :  ein 
Panzer,  ein  Schild.  Er  steht  auf  einer  »Stiegenstufe,  die  auf  breitem 
Untergestell  ruht.  Aui  Kande  des  letzteren  sehen  wir  einen  g<'- 
tiügelten  Knaben,  der  irgend  einen  Schaft  in  der  Hand  hält.  Das 
obere  und  untere  Gresinis  des  Untergestells  springt  stark  hervor. 
Die  £ckenTerzierung  hat  der  Zeichner  in  zwei  Varianten  Tersucht; 


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322 


BIP^ABL  SAMTl  lH  LKU  UKtiABlSUUEN  JlEltU£»GALL£&l£. 


links  nistet  ein  menscheiiköpfiger  Drache ;  rediis  aber  liegt  ein 
ScMdeL 

Wir  yermögen  diese  Darstellung  mit  keinem  Werke  Raphaels 
in  Verbindung  su  bringen ;  Bkulptor-Studien  sind  bei  ihm  ausser^ 

^^('wöhnlich  —  kaum  auf  zwanzig  von  seinen  nahezu  sechshundert 

JSkizzen  tiudeu  wir  derlei;  —  unsere  Federzeichnung  ist  aber  so 


Hudwtolmniig  tn  Budapest. 


leicht  mit  Sepia  hingeworfen,  dass  wir,  bei  dem  Mangel  eines  Beleges, 
blos  ans  dem  Zuge  der  Hand  urtheilend,  es  kaum  wagen  würden, 
fttr  sie  den  Namen  des  grossen  Meisters  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Der  nothweiidige  Beleg  ist  gliieklicliLTweiHe  vorliaiideii :  in  den  an- 
spruchslosen Figuren  der  anderen  Hlattseite,  deren  Bedeutung  die 
bisherigen  Forscher  nicht  bemerkt  haben. 


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324    '  KA1'HA£L  SAUri        UEK  fK'.AKLSC liKK  Ü£lL li>«.ALLEKiK. 

Iii  der  ol)ereu  Ecke  links  —  ul)erhu11>  eitler  .schräg  uiiiwarU» 
^••lu'iitlen,  uuierbrocIlciieuScIleidelinie  —  dräiijj^en  sich  nenn  £ugel- 
kiiider  zuaammei].  Weiter  unten  sehen  wir  den  Oljerleib  eines  aus- 
gewachsenen Jünglings  nur  kaum  mit  einigen  Strichen  angedeutet ; 

•  *. 


Baudieichiiiiiig  su  Oxford. 

aber  das  wallende  Haar  und  die  charakteristische  Haltung  des 
Nackens  reicht  doch  zum  Ausdrucke  einer  ungestfimen  Bewegt  niif 
liiii.  Wer  IJapliaels  iraiul/.eiclniinii^en  pfenuu  kennt,  «»rinnert  sich 
dem  Anblicke  liesselbeu  soiurt  einer  »Studie  liaphaels  y.u  deii  iungebi 


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RAPITAEL  SANTI  IN  DEK  TTNriARISCIIEN  REICHBOAl^LBBIS.  '     325  ' 

seiller  Disjnita  in  der  Oxt'order  ►Sammlung  (Passavant  50^3,  Jiuland 
8.  182,  Ol),  auf  welcher  wir  «lieselbe  Figur  etwas  mehr  ansgpfiihrt. 
findeii.  Damit  schwindet  jeder  Zweifel  darüber,  wohin  unser  Blatt 
'  gehdre,  und  wenn  wir  das  Wandgemälde  genau  untersuchenf  fiber- 
zeogen  wir  uns  alsbald,  das  die  in  der  oberen  Ecke  der  Zeichnung 
skizzirten  Kinder  Studien  zu  den  auf  dem  Fresko  sich  zwischen  den 
Lichtstrahlen  um  den  Gottvater  sehaarenden  Englein  seien ;  das- 
jenige, welches  vorne,  mit  dem  IJiicken  gegen  den  Beschauer  sit/t 
lind  den  Kopf  zurückwendet,  ist  auch  auf  dem  Bilde  unverändert 
^ebli*'1)<Mi. 

In  der  iland/eichnuugen-Sammlung  unserer  Keichsbilder- 
gallerie  befindet  sich  noch  eine  zweite,  auf  die  Disputa  bezügliche 
Studie.  Diese  ist  schon  lange  als  solche  erkannt  worden.  Passavant 
führt  sie  unter  Nr.  21  seines  Eataloges  an.  Ruland  besehreibt  sie 
unter  Nr.  III  auf  S.  183  seines  Werkes  mit  folgender  Bemerkung: 
«wahrscheinlich  eine  alte  Kopi(>  einer  der  vorhin  erwähnten  Zeich- 
nungen" —  nSmIieh  der  in  der  Sammlung  des  Herrn  Gase  in  Paris 
oder  dor  in  der  Siiininlung  des  Herzogs  von  Devonshire  in  Chas- 
worth  Ix'findliclu'n.  Damit  lenkt,  er  unsere  Aufmerksamkeit  auf  eine 
Thatsaehe,  welche  auch  A.  Springern  in  seinem  Werke  über  Raphael 
und  Michel  Angelo  eben  bei  der  Behandlung  der  Disputa  aufge- 
fallen ist.  Er  sucht  dieselbe  mit  folgenden  Worten  zu  erklären : 
Alsbald  werden  Raphaels  römische  Skizzen  als  praktische  Zeichen- 
schule benützt ;  die  jüngeren  Künstler  kopiren  dieselben  mit  grosser 
Sorgfalt  und  Genauigkeit.  Die  zur  Disputa  gehörigen  Studien 
scheinen  sie  mit  Vorliebe  wiederholt  zu  haben,  sowohl  die  auf  ein- 
zelne Figuren,  als  auch  die  auf  den  linken  unteren  Theil  des  Bildes 
bezüglii'lK'n.''  Die  Erklärung  ist  in  der  Tliat  die  allein  wahrschein- 
liche, wenn  wir  einer  und  derselben  Studie  wiederholt  begegnen, 
und  die  einzelnen  Exemplare  Zug  für  Zug  übereinstimmen,  ohne 
dass  der  Zeichner  den  Zug  seiner  eigenen  Hand  zu  verbergen  be- 
strebt wäre ;  dies  schUesst  die  Annahme  aus,  dass  wir  Falsifikate 
vor  uns  haben.  Man  wfirde  zu  interessanten  Ergebnissen  gelangen, 
-  wenn  man  die  aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  auf  uns 
gekommenen  Handzeichnungen  prfifen  und  einzeln  die  jungen 
Meister  zu  bestinnmen  suchen  würde,  die  Raphaels  und  Michel  An- 
gelo's  Zeichnungen  Studiums  halber  wiederholt  haben  ;  wenn  man 


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t 

\ 

BAPHABL  8Aim  IN  VBR  CHOABISCHSN  RKICHBOAUXKIS.  $27 

die  Oompoisitioiieii  /u.sammei).si«*ll«'n  wiirdc,  l'ür  welche  sie  «ich  am 
lueisteu  iiitereHsirteii.  Daraus  wiinlen  wir  uns  klare  Hecheiischat't 
geben  können  Uber  die  Einzelheiten  des  Ziistiindekoniiuens  jener 
grossen  Yeründerun«^,  welche  die  Kunst  erlitt,  als  sie  aus  den  Händen 
Kupbsiels  und  Michel  Anf^elo's  in  diejenij^on  BenvenutoCellinrs  und 
Giorgio  Yasari's  überging.  Betreffs  der  HandzeichnuDg  in  unserer 
Landesbildergallerie  glaube  ich  nicht  irre  zu  gehen,  wenn  ich  Rn- 
lands  Bemerkung  dahin  er|^nze,  dass  ihr  Autor  Giovan  Battista 
Franco  sei.  Ich  habe  indessen  hier  nicht  die  Aufgabe,  diese  Zeich- 
nung aus  dem  eb*»Ti  ani^edeuteten  Gesichtspunkte  zu  würdigen,  son- 
«l«*rn  ihre  oder  vielmehr  ihres  Ori<jfi)mh'.s  —  SUdle  inid  Beden- 
tuiig  in  der  lieihe  der  vorbereitenden  »Studieu  zur  Disputa  zu  be- 
stimmen. 

Wir  kenneu  die  Entstehung  keines  ein/igen  liaphaersclien 
Werkes  so  genau,  wie  diejenige  der  Disputa.  Unland  erwähnt  40 
Studieublätter ;  zu  diesen  dürfen  vrir  aus  dem  in  Photographien 
pnblizirten  Zeichnongen-Yorrath  noch  mindestens  vier  hinznfOgen. 
Die  erste  Idee  lernen  wir  auf  drei  Blattern  kennen :  auf  dem  Wind- 
sorer  (Passa?ant  429,  Rnland  S.  180,  Nr.  69)  sehen  wir  die  linke 
Seite  der  Composition;  auf  dem  Oxforder  (Passavant  501  ^  Ruland 
S.  1S*2,  Xr.  73)  den  oberen  Theil  derselben  ;  auf  d«'nijenio(  n  des 
Herzogs  Anmale  (Passavant  :ir,r.,  Rnland  S.  182,  Nr.  98)  den  nn- 
teriMi  Theil.  Aus  der  Vergieieliung  derselben  ersehen  wir,  dass 
lUphael  anfänglich  die  im  Himmel  befindlichen  Ji'iguren  in  drei 
Reihen  über  einander  —  nieht  in  zweien,  wie  auf  dem  Wandge- 
mälde selbst  —  placireu  wollte  :  oben  den  Gottvater;  in  der  Mitte 
Christus,  in  voller  Glorie,  zur  Rechten  Maria  und  zwei  Heilige,  zur 
Linken  Johannes  den  Täufer  und  wieder  zwei  Heilige;  unten, 
unterhalb  Christus,  den  heiligen  Petrus  und  Paulus  mit  je  zwei 
Evangelisten  zur  Rechten  und  zur  Linken.  Unten,  auf  dem  Hofe 
einer  im  Bau  begriffenen  Säulenhalle,  welchen  hinten  eine  niedrige 
Schranke  umschliesst  —  so  dass  wir  darüber  hinweg  auf*  eine  hüge- 
lige Landschaft  hinaus  blicken  — •  sitzen  die  vier  Doctoren  der 
Kirclie ;  hinter  ihnen  gruppiren  sich  die  stehenden  Figuren.  Die 
Kirchenväter  blicken  in  ihre  liücher  oder  empor  zum  Himmel;  ihre 
Begleiter  beobachten  entweder  ihre  Bewegungen  oder  stehen  in 
Gedanken  versunken  da.  In  der  Mitte  der  Halle  steht  ein  Jflng- 


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\ 


328  1ULPn  \EL  SANT1  m  nSR  üiraARI.SLIIEN  REK-nsOAUiERIE. 

liiig ;  er  dcntof  ein  auf  das  Kapital  einer  Säule  ))etestigtes  Wap}»en : 
er  ist  vom  Bilde  weg,  dem  ßeschauer  zugewandt  and  kümmert  sich 
nm  die  auf  dem  Hofe  Befindlichen  ebensowenig,  wie  diese  sieh  um 
ihn.  Die  Figuren  der  Scene  hangen  miteinander  nicht  Knsammen : 
ihre  Bewegungen  sind  in  keiner  Weise  motivirt;  der  Sinn  der- 
selben ist  zwar  begreiflich,  aber  eigentlich  nicht  ausgedrückt  Die 
ewige  Kirche  thront  oben  im  Himmel ;  unten  sind  diejenigen  ver- 
sammelt, die  auf  der  verfrimglicheii  Welt  für  ihren  Sieg  gekämpft 
haben ;  der  Papst  aber  errichtet  zur  Verkündigung  des  Ruhmes  der 
römischen  Kirche  einen  Prachtbau. 

Baphael  begnügte  sich  nicht  mit  dieser  Form  der  Darstellung; 
dessenungeachtet  studierte  er  bereits  einzelne  Köpfe,  Bewegungen 
und  Faltenwürfe  nach  der  Natur.  Dies  beweist  —  wenn  ich  nicht 
irre  —  das  ehemals  in  der  Sammlung  von  His  de  la  Balle,  gegen- 
wärtig im  Louvre  betiiulliclie  Bliitt  (Passavant  3G1,  Unland  S.  31]?», 
XXVII),  auf  welchem  wir  den  Alten  mit  dem  rasirten  Gesichte  er- 
kennen, der  auf  der  Aumale^schen  Zeichnung,  nach  vorne  geneigt, 
in  das  Buch  des  heiL  Ambrosius  blickt. 

Im  StaedePschen  Institut  zu  Frankfurt  finden  wir  eine  Studie 
(Passavant  280,  Ruland  S.  182,  Nr.  101),  auf  welcher  die  Anord- 
nung der  schliesslich  zur  Ausffthning  gelangten  schon  weit  naher 
kommt,  mIs  auf  den  ebenerwähnten.  Der  Meister  l)eschäftigte  sich 
mit  der  linken  Seite  des  unteren  Theiles  der  8ceue ;  die  Konn>o- 
sition  ist  noch  sehr  verschieden  von  derjenigen  des  Wandgemälde:* : 
siebzehn  Figuren  bilden  hier  die  Gruppen,  in  welchen  später  drei- 
undzwanzig figuriren;  dennoch  sind  die  wesentlichsten  Abände« 
rangen  hier  bereits  yollzogen.  Das  den  Raum  hinten  begrenzende 
GebSude,  nebst  der  darin  stehenden  weiblichen  Figur,  ist  wegge- 
blieben. Auf  der  Windsorer  Handzeichnnng,  wo  wir  ebenfalls  blos 
die  linke  Seite  des  Bildes  sehen,  ist  die  irdische  Kirche  l)]os  durch 
eilf  Männer  repräsentirt.  Raphael  aber  hat  nicht  blos  ihre  Zahl 
▼ermehrt,  sondern  auch  ihre  Anordnung  gründlich  verändert  :  Aul 
seinen  ersten  Skizzen  grnppirt  er  sie  auf  eine  Ebene ;  die  Stelle  der 
Hauptfiguren,  der  Kirchenvater,  fallt  in  die  Linie  des  Halbkreis- 
bogens :  auf  beiden  Seiten  sitzt  der  eine,  dem  Beschauer  den  R&cken 
zukehrend,  im  Vordergründe ;  der  andere,  ihm  entgegengewendet, 
im  Mittelgrunde;  vor  ihneji  bleibt  ein  leerer  Raum,  die  übrigen 


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lUPHABI.  SAVTX  IN  DER  ITNOAttlflCRBN  BRICHSOALLSBIE.  SÜt^ 

skehenden  Figuren  drüngen  sich  hinter  ihnen.  Mehr  Raum  l&r  die 
ÄBordnmig  der  Figuren  xn  gewinnen,  dem  (Jemfilde  eine  grössere 
Tiefe  sn  geben,  damit  die  Grandlinie  der  Komposition,  der  Halb- 
kmsbogen,  länger  .sei,  nnd  so  wirke,  selbst  wenn  er  ihn,  behnfs 

Belehiiug,  durch  Veründoning  zulilreicher  Figuren  wieder  und 
wieder  durchl)richt  :  das  war  es,  was  der  Kfinstler,  nach  dem  Zeug- 
nisse des  Frankfurter  Blattes  anstrebte.  Hieronymus  und  Gregorius 
haben  jetst  nebeneinander  auf  der  erhobenen  Ebene  Platz  ge- 
nommen, TO  welehor  Ton  allen  Seiten  eine  freie  Treppe  führt  Hinter 
ihrem  Stahle  stehen  drei  Figuren,  Tor  ihm  knieen  ihrer  drei  aaf 
der  folgenden  Stafe,  nnd  auf  dmelben,  im  Hintergrande,  stehen 
wieder  drei ;  unmittelbar  vor  den  KirehenTatem,  in  der  Mitte  des 
Bildes  kommen  zwei  Männer  im  Zwiegespräch  von  hinten  die 
TrepjK.'  herauf.  Die  linke  Ecke  des  Vordergründe.^,  welche  jetzt  frei 
geblieben  ist,  nehmen  vier  Männer  ein ;  sie  sind  im  Zwiegespräch 
miteinander ;  mit  der  Hauptgnippe  .sind  sie  blos  dadurch,  dass  sie 
die  Treppe  hinanfetiegen,  and  doreh  ihre  aaf  sie  hinweisenden 
Hsndbewegongen  yerbnnden.  Da  sie  ans  am  nSehsten  stehen, 
zeigen  sie  die  grössten  Masse ;  sie  Überwiegen  aber  trotadem,  auch 
fonuell  nicht,  die  intellektuellen  Hauptfiguren,  indem  diese,  ob- 
j?leich  .sie  im  Mittelgründe  sitzen,  durch  die  Stufenhöhe  Uber  jene 
l^t'holien  werden.  Die  Figuren  -^ind  hier  sämmtlich  nackt  abge- 
bildet :  der  Ktinstler  berechnet  gewissenhaft  die  wirkliche  Lage  - 
jedes  einzelnen  Gliedes,  damit  er  nicht  nachher,  wenn  dasselbe  yom 
Gewände  Terdeekt  ist,  Edpfe  and  Extremitäten  dorthin  male,  wo 
der  entsprechende  Leib  in  Wirklichkeit  nicht  Ranm  hai 

Der  schUesslichen  Lösung  kommt  Raphael  wieder  am  einen 
^Mihritt  näher  auf  jener  Studie,  von  welcher  wir  vier  Exemplare 
kennen:  das  des  Herzog.^  von  Devonshire  (iiuland  S.  183,  Nr.  108); 
das  des  Herrn  Gase  (Ruland  S.  183,  Nr.  109);  das  des  Louvre 
(Ruland  S.  183,  Nr.  III),  und  das  unserer  Reichsbildergallerie 
(PsssaTant  241,  Rnhind  8. 183,  Nr.  110).  Er  dentet  die  Schranke, 
tof  welche  sich  spftter  die  Hanptfigur  der  in  der  linken  Ecke  stehen- 
den Gruppe  stützt,  bereits  an ;  die  Grappe  selbst  hat  er  anabhan- 
giger  gemacht  —  sie  ist  abgerundeter  :  die  uns  am  nächsten  ste- 
hpiide  Figur  weist  mit  ihrer  Linken,  nicht  mit  ihrer  Hechten,  nach 
dem  Mittelpunkt,  und  so  ist  die  grosse  Geste,  zufolge  welcher  ihr 

^  üatMtoeh»  Bevoe^  U8X  IT.  Boll.  22 


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880  KAPHAIL  SARTI  IN  DIB  ÜHOARISCHUI  BS^CHSOALUIRIB. 

.  Arm  zwischen  die  mitteleien  Grappen  hineinreiclite ,  hinwegge- 

blieben ;  im  Hintergrunde  ftihren  jetzt  vier  Fignren  ein  Gesprach, 
wodurch  die  bisher  zwischen  dem  Vorder-  und  Mittolcrniiido  klaf- 
fende Lücke  ausgefüllt  ist.  Hinter  dem  Stuhle  des  (^regorius  knien 
und  stehen  auch  hier  je  drei,  wie  auf  der  Frankfurter  Zeichnung ; 
auch  ihre  Bewegungen  sind  nur  kaum  verschieden.  Die  beiden 
Kirchenväter  sitzen  jetzt  ein  wenig  entfernter  von  einander  und 
zwiBchen  ihnen  ist  hinten  ein  Kopf  8icht])ar;  hinter  dem  Hiero- 
Djmos  aber,  wie  auf  der  Frankfurter  Zeichnong,  ebenMls  zwei, 
jedoeh  andere  —  mehr  in  die  Angen  fallende. 

Der  wichtigste  Fortschritt,  den  wir  auf  dieser  Zeichnung  wahr- 
nehmen, ist  der,  dass  Raphael  den  Mittelpunkt  des  unteren  Theiles 
des  GenüUdee  —  ebenso  formell  wie  intellektuell  —  jetzt  zum 
erstenmal  bestimmt  :  yor  den  KirchenT&tem  steht  der  Altar  mit 
dem  Kelch  und  der  Hostie. 

Der  Meister  ist  auch  damit  nicht  zufrieden;  die  Gmppining 
hat  noch  nicht  genug  Abwechslung :  vorne  sehen  wir  laut^er  stehende 
Figuren,  in  der  Mitte  die  drei  knieenden,  hierauf  die  sitzenden  ;  — 
das  Gektinstelte  ist  allzu  augenfVillig.  Er  sucht  die  glücklichen  Ein- 
falle der  älteren  Skizzen  von  Neuem  hervor :  von  den  vor  dem  Throne 
des  Gregorias  Knieenden  richtet  sich  der  Hinterste  empor  und  bengt 
sich  aber  seine  Gefährten,  wie  auf  den  allerersten  Studien.  Den  schö- 
nen JOngling,  der  hier  zwischen  den  Säulen  auf  das  Wappen  des  Paps-« 
tes  hingewiesen  hat»  bringt  Raphael  jetzt  weiter  hervor,  an  den  Rand 
der  im  Vordergrund  stehenden  Ghruppe,  —  an  die  Stelle  desjenigen, 
der  dem  Beechauer  den  Rücken  wandte ;  diesen  aber  stellt  er  zwi- 
schen die  Knieenden  auf  die  dritte  Treppenstufe^  Von  den  hinter  dem 
Throne  konTersirenden  drei  Männern,  nimmt  er  den  Mittleren,  der 
mit  einer  gewaltigen  Geste  seiner  Hand  auf  den  Altar  weist,  heraus 
und  stellt  ihn  neben  Hieronymus  ;  dadurch  macht  er  die  (iruppe 
voller  und  lenkt  die  Aufmerksamkeit  des  Beschauers  entschie- 
dener auf  den  Mittelpunkt.  Dieses  Sta4lium  <ler  Anordnung  finden 
wir  auf  der  Wiener  (Pussavant  199.,  Ruland  S.  183  Nr.  113),  Mai- 
länder (Rtthind  S.  183  Nr.  112),  Turiner  (Ruland  S.  184  Nr.  115) 
und  Florenzer  Zeichnung  (Ruland  8.  184  Nr.  110). 

Auf  dem  Wandgemälde  endlich  erscheint  die  Gruppe  des 
Vordergrundes  wieder  Termehrt  Raphael  Terwendet  neuerdings  Fi- 


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»APRABb  BAHTI  IN  VfBB  UNOABIROinni  BnOHSOALLntlK.  881 

fl^reii,  wflcho  or  im  Verlaufe  der  Aiiordnimf^  fallen  gehis.sen  hatte. 
Aiit"  der  Frank l'nrter  Zeichnung  iuitten  wir  hinter  liieroii} mus  zwei 
Männer  g(\^e]ipn,  von  denen  der  eine  iiufwärts  und  auf  seinen  Ge- 
fährten znriickldicltt,  der  gegen  ihn  gel)eugt  zu  ihm  redet.  Diesen 
lehnt  der  Künstler  jetzt  ganz  vonie  an  die  Schranke  und  giebt  ihm 
ein  Buch  in  die  Hand,  in  welches,  über  seine  Schulter  hinweg,  der 
andere  hinein  blickt.  Hinter  ihnen  tauchen  noch  drei  andere  Köpfe 
anf^  80  dass  die  anfänglich  ans  vier  Figaren  bestehende  Gruppe  jetat 
deren  nenn  zählt  Der  ^ÜnsÜer  ist  demoaeh  fortwahrend  bemflht 
die  Gruppen  lebendiger  zu  maehen,  wahrend  er  dagegen  die  leb- 
losen Gegenstände  immer  mehr  vereinfiicht,  alles  augenfalligeQ 
Sehmaekes  entkleidet.  Die  Schranke  steht  in  den  Zeichnungen  auf 
zierlich  gegliederten  Sttktzen  :  auf  dem  Bilde  sind  diese  zu  glatten, 
viereckigen  Pfeilern  vereinfacht.  Die  Treppe  hatte  auf  den  Zeich- 
nungen vier  Stufen;  die  letzte,  höchste,  auf  welcher  die  Thronse.ssel 
stehen,  theilt  sich  in  der  Mitte,  vor  dem  Altar,  um  l)equeraer  zu  sein, 
in  drei  kleinere  :  auf  dem  Bilde  ist  auch  die><  einfacher;  die  Tn'inx' 
hat  bloss  drei  Stufen  und  die  oberste  theilt  sich  iu  der  Mitte  blos  in 
zwei.  Der  Altar  ist  auf  der  Budapester  und  Wiener  Zeichnung 
wiiklich  reich  :  wir  sehen  auf  gesimstem  Untersatz  an  der  Ecke 
einen  Sngel,  auf  dessen  Kopf  die  Tischplatte  ruht ;  auf  dem  ersten 
Felde  desselben  sehen  wir  eine  Tafel  mit  Inschrift  vor  einem  mit 
•  ein-zwei  Ingeln  befestigten  Gewebe,  Aber  welchem  ein  Seraphkopf 
geschnitzt  ist;  auf  dem  Bilde  ist  der  Altar  ein  ^D&eher  Würfel,  be- 
deckt Ton  einem  glatten  Tuche  mit  eingewobenem  Zierat 

Auch  die  Bedeutung  der  Darstellung  wird  auf  dem  Bilde  be- 
stimmter :  auf  dem  Altar  stehen  nicht  K»'k'h  und  Hostie,  wie  auf 
d»'n  Zt'iclinnngen,  sondern  die  Monstranz,  in  welcher  vor  unseren 
Aug<'n  die  Transubstantiaton  vor  sich  geht.  Raphael  ist  consetjuent 
bestrebt,  seinen  Gestalten  eine  je  lebendigere  Bewegung,  eine  je 
natürlichere  Gruppirung  zu  geben.  Er  möchte  den  Urundriss,  auf 
welchem  er  seine  Komposition  anbringt,  in  möglichst  abwechs- 
lungsreicher Weise  ausbeuten ;  gleichzeitig  bestrebt  er  sieh  aber  auch 
den  Gedanken  deutlicher  zu  entfalten  und  durch  genauen  Ausdruck 
anziehender  zu  gestalten.  Er  scheint  sich  in  diesem  Bilde  die  Auf- 
gabe gestellt  zu  haben,  den  Bau  der  Set  Peterskirche,  der  monumenr 
talen  Terkörperung  der  römischen  Kirche,  zu  Yerherrlichen.  Das 

22* 


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882  RAPHASI*  SAim  Df  IttB  IINOiBISOBXN  BSICH80ALUSR1B, 

grosse  Unternehmen  zu  feiern  erschoint  am  Himmelsgewölbe  die 
triumphirende,  und  es  versammelt  sich  auf  Erden  die  streitbare 
Kirche.  Dies  sahen  wir  auf  den  ersten  Skizzen.  Die  verschiedenen 
Studien  beweisen,  dass  Raphael  das  IJnkünstlerische  dieses  Oearpu- 
standes  empfanden  hat  Die  Unsterblichen  mit  einem  vorübergehen- 
den Vorgänge,  wie  das  Bauen,  in  Verbindung  zu  bringen,  ihr  Er- 
scheinen dadurch  asn  motifiren,  is  für  ein  monumentales  Gemälde 
unpaeaend.  Dagegen  begreifen  alle  diejenigen,  denen  die  Thatsache 
bekannt  ist,  die  Besiehung  anf  dieselbe  auch  ans  einer  kleinen  An- 
deniong.  Der  EflnsÜer  yerwarf  denn  auch  seinen  ersten  Gedanken  : 
die  sich  erhebenden  Hallen  augenfällig  dannsteUen.  Wir  sehen  auf 
dem  Freskobilde  nur  fem  im  Hintergründe  die  im  Bau  begriffenen 
Mauern,  und  dies  genOgt,  uns  an  das  grossartige  Unternehmen  des 
Pabstes  Julius  II.  zu  erinnern.  Das  höchste  Ziel,  welches  der  Künst- 
ler sish  vorsteckte,  war  :  seine  Gestalten  wirklich  verständlich  zu 
machen.  Seit  Jahrhunderten  war  es  gebräuchlich  gewesen,  derartige 
Versammlungen  dadurch  durzustellen,  dass  die  von  der  Tradition 
geheiligten  Hauptfiguren  nebeneinander  gescliaart,  die  Erkeunungs- 
seichen  ihnen  in  die  Hände  gegeben  oder  an  die  Seite  gestellt  ^  iu 
Ermangelung  solcher  ihre  Namen  ihnen  beigeschrieben  wurden  :  so 
konnte  der  Beschauer  begreifen,  was  sie  susammen  genommen  be- 
deuten. Der  in  der  Symbolik  bewanderte  Eatholik  wnsste,  dass 
jener  Kardinal  mit  dem  Löwen  der  heiL  Hieronymus,  jener  ffischof 
mit  der  Peitsche  in  der  Haiid  der  grosse  Ketaerrerfolger  Skt.  Am- 
brosius, jener  andere  Bischof  mit  dem  flammenden  Hersen  in  der 
Hand  der  heil.  Augustinus,  jener  Papst  mit  dem  Vogel  auf  der 
Schulter  der  heil.  Gregorius  sei ;  und  er  wusste,  dass  diese  nun 
zusammen  die  streitbare  Kirche  vorn  teilen.  Raphael  war  mit  einer 
dei  jirtigrn  Darselluug  nicht  zufrieden  ;  er  stellte  das  sichtbare  Mo- 
tiv der  Versammlung  hin  :  den  Kelch  und  die  Hostie,  als  die  Werk- 
zeuge des  heiligen  Abendmahles,  der  obersten  Ceiemonie  des  christ- 
lichen Gottesdienstes.  Über  ihre  Bedeutung  sinnen,  mit  ihrer  Deu- 
tung bemtthen  sich  die  sammtlichen  Versammelten. 

Schliesslich  drückt  sich  der  Künstler  noch  bestimmter  aus : 
auf  dem  Altare  prangt  die  Monstranz  und  darin  verwandelt 
sich  die  Hostie  in  das  Blut,  in  den  Leib  des  Herrn.  So  wird 
das  Schreiben  mit  Gestalten,  welches  der  mit  den  Einzeln- 


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BAPSAXL  SJLVn  IV  DKE  DVOABISCBBH  BBICBSOALLBBIB.'  888 

heiten  der  flberlieferung  unvertiAute  Besclianer  nur  sebr  schwer 

entziffern  mag,  in  seinen  Händen  zur  unmittelbar  verständlichen, 
lehensvollen  Scene ;  so  vernichtet  er  die  angeblichen  Schranken, 
wflclic  (üp  sog»^nannte  symbolische  und  die  .sogenannte  realistische 
Kunst  Voll  einander  scheiden  ;  so  wirft  er  mit  seinem  schöpferischen 
Genie  die  aus  Buchstaben  und  Wörtern  zusammeiigeflickteii  Lehren 
der  modernen  Ästhetiker  über  den  Haufen. 

V. 

Ilatuhcichnutig  zw  Roxane. 

Ein  ialent?oller  Maler  des  sechzenten  Jahrhundert^  Giovanni 
Paolo  Lomasso,  der  sein  Augenlicht  schon  im  dreissigsten  Lebens- 
jahre yerlor,  suchte  der  Kunst,  der  er  bis  dahin  sein  Leben  geweiht, 
dadurch  auch  weiter  zu  dienen,  dass  er  die  Ergebnisse  seiner  Er- 
fahmng  niederschrieb.  Seine  Bücher  interessiren,  nbgesehen  von 
den  zahlreich  darin  vorkommenden,  auf  grosse  Meister  bezüglichen 
Angaben,  insbesondere  dadurch,  dass  sie  die  Kunsttheorieu  seiner 
Zeit  treu  wieders|)iegeln.  In  der  Idcd  dcl  Temp'w  dclla  Vif  turn, 
welche  er  1590  in  Milauo  schrieb,  kleidet  er  seine  Betrachtung  in 
ein  fantastisches  Gewand  :  er  stellt  sich  die  Malerei  als  einen  Tem- 
pel vor  und  erklärt  sie,  indem  er  die  Theile  desselben  schildert : 
»Gleichwie  sieben  Planeten  die  Welt  regieren,  —  als  sieben  Säulen, 
deren  jede  yom  Urlichte,  Ton  Gott,  ihren  Glans  erhalt  und  hienle- 
den,  zum  Wohle  der  geschaffenen  Dinge,  allenthalben  Terbreitet :  — 
also  regieren  und  stützen  auch  diesen  meinen  Tempel  sieben  Re- 
genten, gleich  sieben  ^ulen.  —  Ich  stelle  ihre  Standbilder  im  Kreise 
auf  ....  ich  stelle  sie  lebenstreu  dar ;  ich  gehe  ihnen  die  zur  Her- 
vorbringung  ihrer  Werke  gebrauchten  Werkzeuge  in  die  Hände ; 
ich  verwende  zu  ihrer  Anfertigung  das  Material  von  derjenigen 
Natur  und  Eigenschaft,  welche  dem  von  ihrer  Natur  und  Eigen- 
schaft beherrschten  Planeten  entsprechen  ....  Kaphael,  der  fünfte 
Recront,  ist  Kupfer;  was  auf  sein  anmuthiges  reizendes,  liebens- 
würdiges, holdseliges  Wesen  hindeutet . . .  Raphael  hat  die  Ver- 
hältnisse des  Yennsstemes  angenommen,  die  richtigsten  und  ent- 
sprechendsten unter  allen.  Die  uralten  babylonischen  Mathematiker, 
die  jedem  Planeten  dn  seiner  Natur  entsprechendes  Thier  zutheil- 


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884  RAPBABL  SAIITI  IN  DBB  DKOABIDCHeN  BBICliifGAUiEiaB. 

ten,  weiden  ebendesbalh  der  Venui  den  Menseben  za.*  Unser  Autor 

nennt  Raphael,  im  Vergleich  mit  den  übrigen  Meistern,  mit  R<»eht 
einen  Menschen  —  einen  Menschen  nach  der  Auil'ussnng  der  Hu- 
manisten. Im  Gegensatze  zu  allen  übrigen  Wesen,  die  je  eine 
Eigenschaft  repriisentiren.  ist  der  Mensch  universal.  In  Kajihael 
erkannte  schon  seine  Zeit  diese  Universalität,  diese  Empfänglichkeit 
•  ftlr  jede  Idee  und  Richtung,  diese  Fähigkeit,  die  Ergebnisse  der 
Vergangenheit  objektiv  zu  erfassen  —  so  müssen  wir  Lomazzo's  scho- 
lastisches  Gleichniss  verstehen;  —  die  Nachwelt  aber,  findet  in 
dieser  seiner  neugestaltenden  FSbigkeit  den  Grand  dazu,  dass  allezeit 
er  als  der  vollkommenste  Personifikator  der  Renaissance  ersebeinL 
Als  Raphael  in  Rom  anlangte,  hatte  er  sidi  in  Perugia  unter 
den  religiösen  Blalem  ümbriens  den  ersten  Rang  errungen;  in 
Florenz  hatte  er  sich  die  von  Jahrhunderten  gereifte  Frucht  der 
monumentalen  Malerei  gepflückt ;  er  niusste  sieh  noch  die  Traditionen 
der  klassischen  Kunst  erobern,  damit  ihn  seine  Zeit  als  den  Verwirkli- 
cher des  Ideals  der  Kunst  ])etraclite.  Das  Vorbild  der  Renaissance 
war  das  Alterthuni ;  ihr  Streben  aber  nicht,  es  zu  kopiren  —  dies 
erlaubte  schon  ihr  »Selbstgefühl  nicht  —  sondern,  seine  von  «bn* 
Barbarei  unterbrochene Entwickelung  fortzusetzen  ;  den  Wettstreit 
mit  ihm  aufnehmend  es  sogtir  zu  übertreffen.  Raphael  selbst  spricht 
es  in  seinem,  an  den  Pabst  Leo  X.  geriehteten,  die  Erhaltung  der 
alterth&mliehen  Ennstdenkn^er  Roms  betreffenden  Berichte  aus  : 
,In  der  Reihe  der  Anfjgaben  Eurer  Heiligkeit,  ist  mit  Recht  nicht 
die  letzte  die  Bewahrung  jenes  Wenigen,  was  von  der  XTrmutter  dee 
italienischen  Namensund  Ruhmes  auf  uns  gekommen  ist.  Es  ist  ja 
ein  Zeugnis»  der  Hoheit  jener  Männer,  die  auch  heute,  mit  ihrem 
blossen  Andenken,  die  unter  uns  lebenden  Talente  erwecken  und 
zur  Kraftentfaltung  anspornen.  Es  niuss  gerettet  werden,  damit 
die  Bösen  und  Unwissenden  es  niclit  spurlos  vertilgen  und  zerstören. 
Bis  jetzt  hat  man  schon  allzusehr  die  Männer  gekränkt,  die  der 
Welt,  unserem  Vaterlande  und  uns  mit  ibreni  Blute  soviel  Ruhm 
gebracht  haben.  Eure  Heiligkeit  lasse  die  aus  dem  Alterthume  übrig- 
gebliebenen Vorbilder  stehen ;  strebe  rasch  sie  zu  erreichen  und  zu 
übertreffen.  Dies  thut  Eure  Heiligkeit  ohnehin  mit  den  grossarti- 
gen  Bauten,  mit  der  Ennnnterung  und  TTntersttttEung  der  Bestre- 
bungen, mit  der  Erweckung  der  Talente  und  mit  der  Ausstreuung 


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BAPHiBL  8ABTI  »  DBB  T7M0ABISCHBH  BB1CH80ALLBBIB.  886 

dea  hcriligen  Samen»  unter  den  christlichen  FOniten.  Das  Unheil 
des  Krieges  gebiert  Verderben,  den  Untergang  jeder  WisBensdiaA 

nnd  Knnst;  ans  Frieden  und  Eintracht  erwächst  und  gedeiht  Sü 
s»'ijier  Somieiihöhe  das  Glück  der  Nationen.  Von  Eurer  Heiligkeit 
gottgegebeiier  \N\'islieit  und  Macht  erwarten  wir  Alle,  dass  dies  in 
unserem  Jahrhundert  geschehen  wird.* 

ir  müssen  uns  allemal  an  diese  selbständige  Auffassung 
erinnern,  wenn  wir  die  italienische  Renaissance  verstehen  wollen. 
Wir  suchen  hier  vergebens  knechtisches  Kopiren  antiker  Formen. 
Wer  sie  nicht  aus  Büchern,  sondern  ans  den  Denkmalem  jener  Zeil 
kennen  lernt,  ttbensengt  sidi  mit  Überraschong  von  der  geringen 
Ähnlichkeit  Bwischen  der  Kunst  TonFloreus  und  Venedig  und  deijeni- 
gen  von  Athen  und  Klein^Asien.  Die  Benaissanee  hat  die  Statuen  nnd 
GemElde  des  Alterthums  nicht  TerrielfSltigt,  sondern  —  weil  sie 
mit  einer  neuen  Weltanschauung  bekannt  wurde,  als  sie  die  antike 
Kultur  von  Neuem  entdeckte  —  ihrer  Kunst  ein  von  den  bisherigen 
verschiedenes  Ziel  vorgesteckt.  Die  christliche  Welt  hatte  das  Le- 
ben als  fjeideu  betiaclitet,  die  lienaissance  lernte  es  von  den  Heiden 
als  Cieuuss  betrachten;  sie  sah  als  höchste  Tugend  nicht  die  Entsa- 
gung, sondern  den  Erwerb  durch  geistige  Arbeit  an ;  ihre  Gedan- 
ken waren  nicht  auf  die  Deutung  iiberweltlicher  Mysterien,  sondern 
auf  das  Yerstäudniss  irdischer  Erscheinungen  gerichtet.  Die  Auf- 
gabe der  Kunst  war  also  nicht  mehr  die  Verherrlichung  Gottes, 
sondern  die  Befriedigung  des  Fonnensinnes  der  Menschen ;  nicht  - 
mehr  die  Popularisirung  kirchlicher  Lehren  und  Wunder,  sondern 
die  OiFenbahrung  der  Schönheit  des  mensehliehen  Körpers  und 
6et  Natur. 

»Die  Vollendung,  jenes  gewissen  Etwas,  welches  noch  fehlte, 
sagt  Vasari  —  fanden  die  Künstler,  als  die  schon  von  Pliuius  ver- 
lierrlichten  Statuen  des  Altertluims  aus  der  Erde  zu  Tage  kamen  : 
der  Laokoon,  der  Herkules,  der  grosse  belvederische  Torso,  die  Ve- 
nus, die  Kleopati-a,  der  Apoll."  Die  Funde  wurden  gerade  zur  Zeit 
der  Ankunft  liaphaels  inEom  gemacht}  ja  auch  von  der  Malerei 
nnd  Dekorationsmanier  des  Alterthums  gab  eben  damals  die  Auf- 
findung der  Thermen  des  Titus  einen  klaren  Begriff.  Wir  würden 
jedoch  irren,  wenn  wir  das  Zustandekommen  der  den  Geist  der 
Renaissance  am  charakteristischesten  verirörpemden  Bjinstwerke 


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836.  RiPHAKL  0Aim  m  DKit  UHOABIBCHBK  BBlCUSQlLLBBlE. 

diesem  gltteUidieii  Ungefälur  zusdireibeii  wollten.  Ereignisse  Ter- 
ändern  den  Lauf  der  Eoltnr  meht,  wmm  ihnen  eine  gewaltige  Indivi- 
dualität nicht  das  wirksame  Gewicht  verleiht.  Die  Wnnder  der  an« 

üken  Kunst  hätten  viele  von  Raphaels  Vorgängern  und  Zeit- 
genossen mit  Augen  sehen  köuueii.  Sie  sahen  aber  nicht  über 
die  von  Überlieferung,  Voreingenommenheit,  Gewohnheit  geschaf- 
fene Grenze  hinaus ;  sie  gewahrten  nicht  die  fruchtbaren  Land- 
Schäften  in  ihrer  unmittelbaren  Nachbarschaft,  auf  welchen  eben 
jene  Blumen  blühten,  jene  Früchte  reiften,  welche  sie  aut  dem  von 
Alters  her  gewandelten,  im  Kreis  laufenden  Pfade  vergebens  gesucht 
hatten*  Nur  sehr  Wenige  ahnten«  wo  das  sehnlich  erharrte  Wort 
verborgen  liege,  wenige  entzifferten  es  und  kanm  Einige  widmeten 
sich  nebst  dem  Meister  von  Urbino  der  vollkommensten  Angabe 
des  Zeitalters  :  der  VerkOndigung  des  EvangeEoms  der  schSnen 
Formen. 

Wie  Satnnras  seine  ihm  Gefahr  drohenden  Kinder,  so  ver- 

schlingen  die  aus  der  Menschen  Mitte  hoch  emporragenden  Gestal- 
ten das  Andenken  ihrer  Nebenbuhler.  Der  Anthropomorphisnuis, 
der  die  Völker  veranlasste,  die  Naturphänoraene  in  ihrer  Religion 
durch  Eigenschaften  und  Handlungen  menschenähnlicher  Wesen 
zu  erklären,  macht  sich  auch  in  der  herkömmlichen  Auffassung  der 
Geschichte  geltend  :  wenn  wir  von  Epochen,  Entwickelungsphasen 
reden,  schwebt  uns  allemal  das  Bild  bestimmter  Individuen  vor 
Augen.  Dieses  Bild  seigt  aber  in  der  Regel  mehr,  als  den  in  Wirk- 
lichkeit vorhanden  gewesenen  Persönlichkeiten  eigen  war ;  denn 
wir  dichten  ihnen  alle  charakteristischen  Zfige,  alle  grossen  Ergeb- 
nisse, VorsQge  und  FeUer  ihres  Zeitalters  an.  Die  Saat  war  Iftngsfc 
aufgewachsen,  in  Ähren  geschossen,  gereift ;  nicht  äe  haben  sie 
gesäet ;  sie  haben  sie  nur  geemtet.  Wenn  von  der  Kunst  der  Re- 
naissance die  Ilede  ist,  pflegen  wir  nur  an  drei  Gestalten  zu  denken  : 
an  Lionardo,  Raphael,  Michelangelo.  Der  Begriff,  der  so  Ausdruck 
gewinnt,  ist  richtig  :  sie  repräsentiren  in  der  Tbat  die  höchsten 
Kunstbestrebungen  ihrer  Zeit.  Doch  entspricht  ihre  von  uns  gedachte 
Gestalt  nicht  der  Wirklichkeit :  sie  sind  zugleich  kleiner  und  grös- 
ser gewesen,  als  wir  sie  uns  vorzustellen  pflegen,  weil  sie  mensch- 
licher, individueller  gewesen  sind.  Je  eingehender  wir  ihre  Ge- 
schichte studiren,  desto  interessanter  erscheinen  sie  uns :  wir 


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liAi'UAEL  öAüTl  IN  DEK  UNOAUISCHKN  KKlt'USÜAUJilKlE. 


337 


gewiliiieu  die  Überzeugung,  duss  die  Bedingungen  ihres  Wirkens 
doreh  das  Torhergegangene  Wirken  vieler  KOnstlergenerationen 
gttchafen  worden  sind ;  dass  sie  den  Vomuig  nieht  leicht  erruii-  ^ 
gm  baben ;  dass  sie  mit  würdigen  NebenboUem  zu  ringen  hatten, 
die  ihren  8ieg  lange  zweifelhafk  maehten,  welcher  eben  dadurch 
noch  glänzender  wird.  Wir  können  sie  nur  dann  gründlich  würdi- 
gen, wenn  wir  nieht  nur  die  Schlussergel)nisse,  sondern  auch  die 
Nebenumstände  ihrer  Küu8tlerlaufl)ahu  in  Betracht  ziehen. 

Giovanni  Antonio  Bazzi  —  il  Sodoma  hat  in  seiner  Entwicke- 
long  ond  Kunst  mit  Raphael  Ähnlichkeit  und  ist,  einen  Weg  mit  ihm 
Handelnd,  anch  nnr  nm  ein  Weniges  hinter  ihm  zurückgeblieben.  Er 
wurde,  wahrscheinlich  1477,  in  dem  Ton  den  Mittelpunkten  der  Kunst 
■bgelegenen  Vercelli  in  Savoyen  geboren,  wo  er  von  dem  kaum 
lokale  Bedeutung  beanspruchenden  Ilundwerksmaler  Martino  8p;ui- 
zotti  blos  die  Anfangsgründe  der  Kunst  lernen  konnte.  Die  ältesten 
seiner  uns  bekannten  Arbeiten  beurkunden  Lionardo  da  Vinei^s 
Einflnss;  es  ist  wahrseheinlieh,  dass  er  während  der  Jahre  1497 
bis  1500,.  aus  welcher  Zeit  uns  alle  Angaben  Aber  ihn  fthlen,  in 
fiülano  gelebt  hai  1501  gelangt  er  schon  nach  Siena  und  kommt 
Iiier  in  unmittelbare  Berübning  mit  zwei  Hauptmeistern  der  umbri- 
schen  Kunst  :  Piiitorieehio,  der  die  Bibliothek  Piccolomini  mit 
seinem  grossen  Wandbildercyclus  ausschmückt,  und  Luca  Siguo- 
reUi,  mit  welchem  vereint  er  im  Monte  Oliveto  Maggiore  bei  Chiu- 
suri  arbeitet  1507  oder  1508  nimmt  ihn  der  steinreiche  Banquier 
Agostino  Chigi  nach  Rom  und  gibt  ihm  Beschäftigung,  als  er  im 
Vatikan  mitsammt  seinen  (Übrigen  Kunsigenossen  vor  Raphael 
dss  Feld  räumen  muss. 

Die  Wände  der  heute  unter  dem  Namen  der  Farnesina  be- 
kannten Villa  Chigi  schmückt  die  Hochzeit  Alexanders  des  Grossen 
mit  Koxane ;  ein  Bild,  dessen  Schöpfer,  selbst  wenn  er  nichts  ande- 
res schuf,  sich  schon  damit  seinen  Platz  unter  den  Vorzüglichsten 
der  Künstler  gesichert  hai  Die  Wahl  und  Ausführung  des  Vor- 
wurfes bietet  gleicherweise  ein  charakteristisches  Beispiel  für  das 
VeihaHniss  der  Renaissance  sur  Antike.  Aus  Lukianos  Schil- 
derang {AETiQN  H  HP0J0T02)  kennen  wir  Aetions  berühm- 
tes Bild  :  „Wir  sehen  darauf  ein  prächtiges  Gemach,  darin  ein 
Biauibett ;  auf  demselben  sitzt  die  reizendste  Jungfrau,  Egxane  : 


338  IIAI'HAEL  .^ANTI  IX  DEU  INliAKIÖtUEX  UEIt'H.süALLEKlE. 

iliiT  AugüU  silul  vor  ileni  «'iiitrett'iKk'ii  AleXtindcr  selmiiihuft  zu 
Boden  gesenkt.  Das  Paar  ist  vou  lächeliidon  Liebesgöttern  umge- 
ben :  einer  derselben  steht  hinter  ihr,  zieht  ihr  den  Brantsehleier 
vom  Hanpt  and  seigt  sie  dem  Brantigam;  ein  zweiter  eilt  ihr 
dienstfertig  die  Sandalen  Ton  den  Fttssen  zn  nehmen,  damit  sie  sieh 
niederlegen  könne ;  ein  dritter  hat  Alexander  am  Mantel  gefasst 
und  zieht  ilni  juis  allen  Kräften  zu  lioxane  hin.  Der  Könij'  selbst 
reicht  der  Jungfrau  eine  Krone  dar.  Als  Bräutigamsfiihrer  steht 
Hephaistion  neben  ihm,  eine  brennende  Fackel  in  der  Hand,  auf 
einen  liebreizenden  Jüngling  gelehnt  —  den  Hymanaios,  wie  ich 
yermnthe.  Auf  einer  anderen  Partie  des  Bildes  spielen  die  flbrigen 
Eroten  mit  Alexanders  Waffen;  zwei  derselben  tragen  seine  Lanze, 
sich  wie  Zimmerlente  geberdend,  die  mühsam  einen  schweren  Bal- 
ken auf  den  Scliulti-rn  schlejipen ;  ein  anderes  Paar  zieht  eiiuMi 
dritten,  der  den  Kr)ni;^  Hell)st  vürst<'llt,  auf  dem  an  den  Handlialicii 
gefassteri  Schilde,  wie  auf  einem  Wagen,  heran.  Noch  ein  anderer 
ist  in  den  rückwärts  liegenden  Panzer  gekrochen,  wo  er  zu  lanem 
scheint,  um  das  letztere  Paar,  wenn  es  in  seine  Nähe  kSme,  so 
erschrecken.* 

Aüf  Sodomas  Gemälde  finden  wir  alle  wesentlichen  Zfige 
der  antiken  Beschreibung  wieder;  er  schmückt  die  Scene  nur 
noch  mehr  aus,  wie  der  \  icdiuvirtuose  die  einfache  Melodie. 
Wir  sehen  durch  die  olfnu-n  Saalthüren  auf  Säuleuhalleü 
hinaus  und  in  eine  ferne  Hügellandschaft,  die  ein  von  FrUhlings- 
gewässern  angeschwollener  Bach  dnrchschneidet  Die  geschnitzten 
Simse  des  Prachtbettes  zeigen  Reliefs  von  Nymphen,  Seepferden 
und  Kentauren;  die  Draperie  des  Betthimmels  halten  Versteck- 
spielende Eroten;  ihre  Genossen  aber  durchschwilnnen  die  Luft 
und  zielen  mit  iliren  siissverwund(Mi(len  Pfeilen  auf  das  Liebespaar. 
Roxane  sitzt  mit  gesenkten  Blicken  auf  dem  Bett;  sie  i?it  nur 
noch  in  ein  dünnes  Schleiergewand  gehüllt;  auch  dit'sos  gleit**t 
bereits  von  ihrer  Schulter  herab  und  nur  ein  neben  ihr  stehender 
kleiner  Eros  halt  es  noch  einen  Augenblick.  In  ihrer  jungfrauli- 
chen Befangenheit  gewahrt  sie  es  gar  nicht,  dass  der  Sros,  der  ihr 
•  den  Schuh  yom  rechten  Fasse  zieht,  seine  Arbeit  mcht  ernst  nimmt, 
sondern  mit  komischer  Anstrengung  nur  verzögert;  auch  da« 
nicht,  wie  der  andere,  der  ihren  linken  Fuss  streichelt,  schelmisch 


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RAi'ILVEL  .SAMl  IN  DEK  INUABISCÜKN  KEItlUSliAliLBRIB. 

riiekwärts  hlickt  auf  div  tortgclu'iKlcii  Z«»lrii,  von  deiioii  dii'  riiu', 
eine  Negerin,  zurückgewauclt  und  «'iregt,  bewundernde  Blicke  auf 
den  Bräutigam  wirft,  der  ebenfalls  befangen  stehen  geblieben  ist. 
Alexander  tiberreicht  seiner  Braut  huldigend  die  Krone ;  ein  Eros 
sieht  ihn,  den  Zipfel  seines  weiten  Mantels  erfassend,  vorwärts. 
Seine  Büstting  hat  er  abgelegt ;  anch  ihrer  bemächtigen  sich  Ero- 
ten ;  einer  hebt  keuchend  .hinter  dem  E5nig  ein  Stück  derselben ; 
ein  zweiter  schleppt  die  Lanze ;  zwei  tragen  den  Schild,  von  dem 
ein  dritter  herunterpurzelt,  weil  sich  die  Trager  plötzlich  nach 
ilirem  Kameraden  umgewandt  haben,  der  sie,  im  schweren  Har^ 
niscli  st«Akend,  eben  erst  einjjjeholt  hat.  Zwischen  ilinen  stehen 
Alexanders  Begleiter  Hephaistion  und  Hymciutios. 

tSodonia  erklärt  mit  dem  Ausdrucke  der  Bejj;leitnng  die  TTr- 
saclieu  der  Alexander  und  Roxane  berauschenden  Erregiin«.;, 
welche  sich  auf  den  Gesichtern  der  Zofen  und  Begleiter,  im  Spiele 
der  Eroten  wiederspiegelt.  Er  betont  nicht,  wie  Lukianos,  den 
komischen  Kontrast  derselben  zum  Ernste  der  Hauptfiguren.  Der 
Auffassung  des  alten  Autors  b^guen  wir  auf  einem  anderen 
Werke  der  Renaissance,  welches  in  einem  Freskogemaide,  einem 
Stich  und  drei  Exemplaren  einer  Handzeichnung  auf  uns  gekom- 
men isi  Das  Gemälde  befand  sich  einst  in  der  sogenannten  Villa 
Ra&ele ;  gegenwärtig  ist  es  Eigenthum  des  Herzogs  Borghese.  Es 
leidet  keinen  Zweifel,  dass  es  ein  Schüler  Raphaela  gemalt  hat. 
Den  »Sticli  liat  Jacopo  Caraglio,  ein  Schüler  Marcantonio's,  verfer- 
tigt. Unter  den  Hundzeichnunf^en  wurde  das  in  der  Alljertina  in 
Wien  aufbewahrte  Exenijtlar  iniiucr  als  Rajdiacls  Werk  anerkannt. 
Erst  neuerlich  hat  Morelli  VVieders)»ruch  erho))eu  und  die  Zeich- 
nung Sodoma  zugeschrieben  :  er  hält  sie  für  eine  Studie  zum 
Frescobilde  in  der  Villa  Chigi.  Morclli's  Geschick  in  der  Bestim- 
mung von  Haudzeichnungen  ist  so  bekannt,  dass  wir  seiner  Autoritöt 
mit  einfachem  Leugnen  nicht  entgegentreten  können,  wie  Lfibke 
und  Fdrster  thaten,  indem  sie  in  ihren  seither  erschienenen  Wer- 
ken an  der  alten  Auffassung  festhalten.  Ein  Berliner  Gelehrter 
(wahrscheinlich  Lippmaun)  theilt  diese  Ansicht;  er  sucht  sie  darauf 
zu  stOtzen,  dass  die  Raphael  zugeschriebene  Anordnung  auf  einer 
alten  Composition  (Miliin  541)  fusst,  und  dass  eine  derartige  Be- 
nützung eines  alten  Kunstdenkmals  bei  Raphael  häufig  vorkoninit. 


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840 


%  • 

KAPHABL  SAim  IN  DEB  UNOABISCBKN  BlIüHSOALLBBIB» 


hvi  .Sodoiiia  dagegen  in  kciiiciu  »'iiizigtMi  Kalle  envieseii  ist.  Die 
Aliiiliclikeit  zwischen  ihm  Werke  des  Alterthums  und  der  Renais- 
sauce  ist  indessen  eine  so  geringe  —  wie  uns  eine  sorgfältige  Ver- 
gleichung  sofort  überzeugt  —  dass  sie  kaum  das  Uecht  gibt,  auf 
einen  Zusammenhang  zwischen  beiden  zu  schliesBen. 

Ich  glaube  indessen  ein  entscheidendes  Zcugniss  in  den  Wor- 
ten des  aeitgendssisclien  Schriftstellers  Lodovico  Dolce  zu  finden.  In 
seinem  Aretino  betitelten  Dialog  spieehen  Pietvo  Aretino  und 
Francesco  Fabrini  folgenderweise  miteinander : 

Aretino :  .Habt  ihr  bei  unserem  Freunde  Dolce  die  2jeich- 
nnng  der  Roxane,  ein  Werk  von  Raphaers  Hand,  welches  auch 
schon  in  Kupfer  gestochen  worden  ist,  gesehen?' 

Kabrini  :  „Ich  kann  mich  dessen  nicht  erinnern.* 

Darauf  folgt  eine  lange  Beschreibung  der  Iland/X'ichnung,  und 
dieselbe  lilsst  keinen  Zweifel  übrig,  dass  dem  Autor  in  der  That 
eines  der  auf  uns  gekommenen  Exemplare  —  yielleicbt  das  jetzt  im 
Louvre  befindliche  —  vorgelegen  hat. 

Das  Buch  Lodovico  Dolce*s  ist  1557,  im  Todesjahre  Pietro 
AretinoVs,  erschienen,  der  zn  dem  Werke  —  dessen  Spitze  sich 
gegen  Michelangelo  richtet  —  die  Inspiration  gegeben  und  die 
Handschrift  desselben  sicher  gekannt  hat.  Aretino  war  ein  guter 
Freund  Sodomas,  kannte  auch  Raphael ;  er  lebte  mit  ihnen  in  Rom, 
im  Hause  seines  Gönners,  Agostino  OhigL  W&re  die  Handzdch- 
nung  Sodoma*s  Werk  gewesen,  er  wlirde  den  venezianisehen  Autor 
sicherlich  berichtigt  haben. 

Wen  ich  nun  auf  Grund  dessen  die  Wiener  llandzeichnnng 
mit  Beruhigung  Raphael  zuschreiben  kann,  so  kann  dies  zugleich 
als  JJeh'g  dienen,  dass  wir  in  der  llandzeichiiung  unserer  Iveichs- 
bildergallerie  —  der  reizenden  kleinen  weiblichen  Figur,  welche 
eine  Studie  zur  lloxane  nach  einem  lebenden  Modell  ist  —  eben- 
falls ein  Werk  Raphael's  besitzen.  Unland  erwähnt  die  Handzeich- 
nung in  seinem  Katalog  (S.  317,  Nro  XXXI),  aber  er  hat  nicht 
erkannt,  was  sie  vorstellt.  Der  Kopf,  der  Oberleib,  die  Haltung  des 
linken  Armes  stimmt  vollständig  mit  der  Wiener  Rozane  Qberein ; 
die  vollen  Formen  ähneln  einander  Zug  für  Zug,  die  abweichende 
Haltung  des  rechten  Armes  und  der  Beine  aber  ist  dadurch  motivirt, 
dass  Rozane  auf  der  Budapester  Zeichnung  steht,  auf  der  Wiener 


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RAPHAEL  SANTI  IN  DER  TJNfiARISCHKN  BEICHöOALLEBIE. 


841 


diigogfii  sitzt,  weil  auf 
die  übrigen  Figuren 
schou  gezeichnet  sind. 

In  Agostino  Chigrs 
Öalen  konnten  die  gros- 
sen Meister  der  Ke- 
naksanoe  nnbeselirilnkt 
sdiaffen.  Hier  konnten 
sie  ihre  individuellen 
Qeft&hle  unmittelbar  of- 
fenbaren. Hier  legten 
ihnen  keine  Rücksich- 
ten auf  einen  Herrscher, 
auf  ein  Amt,  auf  die 
AufFassung  eines  Bestel- 
lers Zwaug  an.  Ago- 
stino ist -in  seiner  Villa 
nicht  einmal  Banqoier, 
—  daheim  ist  er  aus- 
schliesslieh  Humamst : 
kein  einsiges  Bild  hat 
bei  ihm  Bezng  anf  den 
Handel ;  Poseidoni  Her- 
mes figofhen  nnr  mit 
den  übrigen  Göttern 
zusammen.  Er  wollte 
dou  prächtigen  Luxus 
des  Altertliums  zu  fri- 
schem Leben  erwecken ; 
nicht  allein  durch 
Sammlang  alter  Kunst- 
werke ,  sondern  auch 
dnreh  Schaffung  ihnen 
Shnlicher.  In  seinem 
Hause  Tersammeltesich 
die  BUte  der  rfimischen 
GeseUschaft,  nnd  wenn 


dieser  die  Kumposition  vollendet  ist«  auch 


BMidwfehmrag  m  BndiHPn^ 


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:TI2  RAPHAKTi  SANTI  IN  DT.K  rNOAlttSf'HEN  REKilSOALLBRlE. 


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BAPHASL  SAÜTI  IN  T)RR  1TN4lAB»CIIBir  BUICRBOALLVRIB.  848 

er  das  Tuleut  seiner  G^ie  in  Anspruch  nahiu,  spielte  er  nicht  die 

Holle  des  steinreii  lieu  Miicens,  sondeni  diejenige  des  Freundes,  der 
die  Sehafflust  des  Künstlers  mit  seinem  verwandten  Geschmack 
erhöht,  ihn  mit  verstiindigem  IJathe  unterstützt,  ihm  mit  seinem 
TJrtheil  beim  Schaffen  Richtung  gibt.  Dies  berechtigt  uns,  in  den 
hier  dargefitellten  G^enstäuden  die  frv'w  Wahl  der  Künstler  zu 
beobachten;  und  ans  ihnea  auf  ihre  dichterische  Begabung  zu 
schliessen. 

Michel  Angelo*a  erste  bedentungsTolle  Schöpfung  ist  der  Kampf 
der  Lapithen,  —  smne  letzte  das  Jflngste  Gericht.  —  Baphael*8 
erste  die  Madonna,  eine  seiner  letzten  die  Geschichte  der  Psyche.. 
Der  Fiorentmer  Meister  beginnt  mit  der  Darstellung  des  Kampfes 
—  der  TJxbinese  mit  derjenigen  der  Andacht ;  jener  schlieast  mit 
dem  Gericht,  dieser  mit  der  Liebe.  Aber  Raphael  verherrlicht  nicht 
jene  Liebe,  welche  die  Künstler  Venedigs  zu  so  vielen  und  so 
bezaul)eniden  Werken  entzückte  :  er  malt  nicht  die  verhängniss- 
volle,  verborgene  l.iebe  der  Venus  und  des  Paris,  welche  Zwietracht 
und  Hader  der  Menschen  und  Götter  entfacht ;  sondern  die  Ver- 
'einignng  Cupidos,  der  welterobernden  Macht  des  Mannes  mit  dem 
opferbereiten,  zarten  Gemüthe  des  Weibes  —  mit  Psyche.  Eben 
darin  liegt  das  Goheimniss  des  bestrickenden  Zaubers,  welchen 
dieses  Werk  Raphaers  aaeh  jetzt  noch,  Terblichen,  von  Stfimper^ 
-  banden  entstellt,  auf  den  Beschauer  übt :  dass  hier  nicht  malerische 
Darstellung  die  Ehuptsache  ist»  sondern  dichterisches  Schafften ; 
dass  hier  nicht  Pinselgewandtheit  ergdtzt,  sondern  wahre  Empfin- 
dung hn  Beschauer  verwandte  Regungen  wachruft. 

Und  der  Maler  krönt  sein  Werk  würdig  mit  der  Darstellung 
eines  von  der  Befangenheit  eines  Zeitalters,  von  der  ( le.sclii(  lite 
einer  Nation,  von  der  Anffassnng  oiner  8ekte,  von  detn  <  M  schtiinrk 
eines  Lidividunnis  uinildiiliigigen  Vorwurfes,  in  der  rei/eiidsten 
Form  diejenigen  Fmptindungen  verherrlichend,  die  den  innersten 
Kern  jedes  Menjichengeinüthes  bilden. 

Karl  v.  Pulszky.  * 

*  lux  Au«*zug  auB  «leui  1.  iiiiiide  der  neuen  Folge  de^  Ai'chacologiai 
ErtcKitö. 


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344 


WORBft  DEH  RAflä  OlOm  ÜSOABM. 

<  • 


WOHER  DER  HASS  GEGEN  UNGARN. 

1. 

Es  ist  gewiss  eine  sonderbare  Erscheinung,  der  weitverbrei* 
tete  Hsss  gegen  Ungarn.  Als  wäre  unser  Land  der  einzige  Stören- 
fried in  Eufopat  so  wird  es  von  allen  Seiten  mit  Misstranen  be- 
trachtet» nnd  Fanste  ballen  sich,  offen  nnd  verdeckt,  nm  auf  den 
Störenfried  lomscblagen.  Was  hat  denn  diesen  Haas  erregt?  darf 
man  wohl  fragen;  nnd  nm  eine  zutreffende  Antwort  geben  xu 
können,  muss  man  den  Quellen  des  Hasses  nachgraben. 

FVanz  Palacky  stellte  1836  im  I.  Bande  seiner  »Geschichte 
von  Böhmen"  eine  allgemeine  Hetrachtnng  über  die  slavisclie  Wt'lt 
t(e<reii  den  Ausgang  des  IX.  Jabrliuiiderts  an,  und  fand,  dass  sieli 
in  Mitte  des  weitverbreiteten  Slaveutums  unter  den  Fiirsten  IJatis- 
lav  und  Svatopluk  ein  höchst  fruchtbarer  Kern  einer  eigentümli- 
chen nationalen  Cultur  gebildet  hatte,  der  die  grossartigsie  Entwi- 
ckelnng  versprach  ;  tmd  dass  sich  an  diesen  Kern  mit  der  Zeit  alle 
slavischen  Stämme  hätten  anschliesscn  mflssen.  Wie  im  Westen 
unter  dem  römieehen  Einfluss  sieh  das  irankisehe  (und  darauf  das 
deutsche)  Reich  entwickelt  hat:  so  hfttte  sieh  im  Osten  unter  byzan- 
tinischem Einfluss  ein  slaYisehes  Reich  entwickelt,  und  dieser  Theil 
Europa^s  wäre  um  ein  Jahrtausend  frtther  zu  einer  ▼orzllglieheni 
Stellung  gelangt,  als  die  gegenwärtige  ist  Allein  diese  Hoffnung 
wurde  durch  das  Vordringen  der  Ungarn  in  diesen  Kern  auf  ewige 
Zeit«'H  verniohtet.  Die  Niederlassung  der  Ungarn  in  der  Mitte  Eu- 
ropaVs  ist  demnach  das  allergrösste  Unglück,  welches  die  slavische 
Welt  im  Laufe  der  Zeiten  betrotlen  hat. 

Ähnliche  Hetrachtungen  und  Folgerungen  erlauben  sich  auch 
andere  Geschichtsschreiber;  es  ist  allgemein  bekannt, dass  deutsche 
Historiker  auch  die  Reformation  für  ein  grosses  Unglück  dea 
Dentschtum's  halten.  Wenn  nämlich  statt  der  geschichtlichen 
Ereignisse  das  geschehen  wibre,  was  wir  uns  yorsteUen,  so  wäre 
notwendigerweise  vieles  anders  geworden  :  allein  wenn  sich  denn 
doch  nicht  unsere  Vorstellung  Terwircklicht  hStte,  was  wäre  dann 
geschehen?  Wir  sehen,  dass  dergleichen  historisches  Philosophiren 
an  und  fQr  sich  eitel  Geschwätz  ist  :  es  kann  sich  aber  zu  einer 


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WOHKB  DEB  HAÖf«  GEOEK  UNüABH.  345 

Ansicht  verdichte»!,  wolcho  dio  Masse  der  (iIüubi»j;eTi  zum  Dogma 
irhebi  Die  Hiuiderttaaseiicle  unter  den  80 — 90  Millionen  Slaven, 
welehe  lesen  ond  «ehreiben,  haben  sieh  die  Sehlassfolgemng  der 
Palaeky*schen  Betrachtniig  angeeignet,  nnd  sie  sehen  in  den  Un- 
garn die  Fnitdaner  jenes  allergrrissten  slaTischen  üng'IOekes,  und  ' 
ilas  Hiiuloriiis.s  ciiior  sluvisclu-n  Zukunft,  di^  sicli  in  der  IMuiiitaaie 
wunderschön  abspiegelt.  \V  as  ist  natürliclicr  l  iir  jech'U  Slaven,  als 
der  \VuU8ch,  dieses  Ilinderniss  weggeräumt  %u  wissen  ?  i^ud  wei- 
iev,  was  ist  natürlicher,  als  der  aus  diesem  Wunsche  entspringende 
Hsfls  gegen  die  Ungarn,  die  noeh  immer  da  sind,  wo  sie  sind  ? 
Ako  eine  scheinbar  ganz  unverfängliche  Betrachtung  wurde  zur 
Quelle  eines  nnge rechten  Hasses,  der  an  Stärke  zu  wachsen 
scheint. 

Und  dieser  slavisrhe  Jfass  hesehränkt  sifli  nieht  melir  auf  die 
Ungarn,  er  uuifasat  schon  »lie  ganze  öst^^rreichisch-ungarische  Mon- 
rvnliie.  Xieht  selten  ersehallen  Stimmen  aus  Uiissland,  dass  der 
Weg  nach  Konstantinopel  Uber  Wien  und  Budapest  führe.  Un- 
längst soll  der  russische  Generalkonsul  in  Sophia,  Hitrowo,  in  einer 
Rede  sieh  den  Ausspruch  erlaubt  haben,  die  Tage  Österreich-Un- 
^m^s  seien  gezahlt !  Umsonst  werden  dergleichen  Ansbrflche  wi- 
derrufen oder  ni issbilligt  :  sie  stecken  im  slavischen  Gewissen,  da.s 
Franz  I^alacky  wachgerufen  hat. 

Die  Anthropologie  und  Sprachwissenschaft  in  dem  Sinne,  den 
iie  heute  haben/ sind  Wissensehaften  der  neuem  Zeit,  und  hahen 
such  noch  nieht  die  wünschenswerte  Bestimmtheit  und  Vollstän- 
digkeit erreicht,  die  Tielleicht  auch  gar  nicht  erreicht  werden  kann. 
Was  namentlich  die  Anthro])ologie  anbelangt,  so  ist  es  durchaus 
nnch  nicht  ansgeiu.ieht,  ob  sie  auch  Ethnologie,  d.  h.  Lehre  von 
ilfui  Entstehen  und  dem  Wesen  der  V«jlker  sein  könne,  oder  ol>  sie 
«ich  auf  die  physischen  Merkmale  der  Menschen  heschränken 
mrisse,  also  bloss  Zoologie  des  Menschengeschlechtes  sein  dürfe. 
Als  «solche  mag  sie  kühn  das  ganze  Geschlecht  in  Kassen  einteilen. 
Die  Bassen  haben  aber  für  die  Völkerkunde  gar  keine  Bedeotung, 
ds  auch  der  verhärtetste  Materifdist  und  Monogenist  zugeben  muss, 
dass  der  eigentliche  Menaeh  mit  der  Sprache  beginnt,  und  dass  die 
Sprache  —  wir  meinen  nicht  das  Sprrrhvermöffen.  sondern  wirk- 
hche  Sprachen,  wie  das  Sanskrit,  das  Griechische,  das  iiehräische 

VatulMhe  Bewck  UM.  IV.  BMI.  28 


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346 


WOHRR  DEB  IU.S8  (iKUEN  ÜNOABN. 


u.  s.  w.  —  mit  dem  Knochengerüste  und  den  Sprechonjanen  in  VA- 
ner  metaphysischen  Verbindung  steht.  Denn  fände  eine  solche  \  er- 
bindung  staifc  :  dann  würde  jede  Menecbenrasse  eine  und  dieselbe 
Sprache  reden,  die  besondere  Sprache  wäre  dem  Menschen  ange- 
boren ;  nnd  er  irkte  physiologisch  '^ar  nicht  im  Stande,  sich  aoeh 
eine  andere  Sprache  anzueignen. 

Wie  sehr  man  noch  in  der  Charakteristik  der  Menschenrassen 
schwankt  und  wie  willkürlich  man  in  <ler  Aufzählung  dersell)en 
verfährt,  so  dass  das  ganze  Geschäft  mehr  für  eine  Spielerei  mit 
Worten  und  Nomendaturen,  als  f&r  eine  wissenschaftliche  Classifi- 
cation genommen  werden  mnss,  Migen  die  Gompendien  der  Vdl- 
kerknnde  oder  der  Ethnologie.  Im  Allgemeinen  nimmt  man  ftr 
Europa  nnd  Asien  —  die  arktischen  Völkerschaften  abgerechnei 
—  zwei  Rassen  an  :  die  Mittellätulisrhc  und  die  Moncfolischr.  Zur 
Mittelländischen  Rasse  zählt  man  die  Vfilker  der  ariselien  und  semi- 
tischen Sprachen,  die  Basken  u.  s.  w. ;  zur  Mongolischen  Hasse  Aw 
Japanesen,  Chinesen,  Mongolen,  Türken,  die  Völker  der  finnischen 
nnd  der  ngrischen  Sprachengmppe,  also  auch  die  Ungarn.  Wa- 
mm  man  aber  die  Westfcürken  nnd  die  Ungarn  am  dieser  Basse 
'  dLhlt,  das  wissen  eigentlich  die  Anthropologen  und  Ethnologoi 
selbst  nicht.  ,,Die  westlichen  Türken  sind  so  stark  mit  arischein 
und  semitischem  Blute  gemischt,  dass  ihre  ursprünglichen  Köryier- 
merkmale  bis  auf  dio  letzten  Spuren  verloren  worden  sind  und  nur 
die  Sprache  noch  ihre  ehemalige  Ahkunft  bezeugt*",  lesen  wir  in 
PeschePs  Völkerkunde.  *  Da  aber  die  Sprache  durchans  nicht  sur 
Charakteristik  der  Basse  gehört,  so  Mgt  man  mit  Verwondernng, 
nach  welchem  Ghmnde  die  westlichen  Türken  dennoch  snr  mongo- 
lischen Rasse  gesählt  werden  müssen  ? 

Und  wo  steckt  das  Mongolentum  der  Ungarn  ?  in  den  Kör- 
permerkmalen oder  in  der  Sprache?  „Einer  Vermischung  des  zur 
monirolischen  Rasse  gehörenden  Stammes  der  Ungarn  mit  Slaven 
und  (iermauen  verdankt  das  kräftige  und  ritterliche  Volk  der  Ma- 
gyaren seinen  Ursprung*,  behauptet  Friedrich  Müller.  **  Aber  wir 

*  Völkerkunde  Ton  Oscar  PMchel.  Zweite  Auflage.  Leipsig,  187&. 
Seite  405. 

Allgemeine  Ethnographie  von  Friedrich  Müller.  Zweite  Auflage. 
Wien,  1879.  Seite  62. 


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J 


WOHKR  DKR  JIASS  «KfJKK  TNt^ARN.  847 

mflsHeii  tnigeii  ;  zeigen  denn  noch  wirklicli  Kör]iernierkiuali',  dass 
die  Ungarn  mongolisclier  Ka,sse  seien  ?  Znm  leiblichen  Typus  der 
niongolisehen  Rasne  gehört  nach  demselben  Etlmograplieu,  Fr. 
Maller,  Folgendes  :  «Das  üaupthaar  ist  schlicht,  grob  und  schwatz 
glänzend.  Der  Bart  wt  schwach  entwickelt,  dfinn  und  Ton  sehwar^ 
zer  Farbe ;  er  wächst  in  der  Regel  nur  nm  die  Lippen  nnd  die  un- 
tern Teile  des  Kinnes.  Bw^mhärte  sind  innerhaßt  der  numgoUtehm 
Rasse  etwas  Unerhörtes,'^  *  Nun  was  passt  von  all  diesem  auf  die 
Ungarn,  und  zwar  nicht  nur  auf  die  Kunstmagyaren  (ein  allemeu- 
ester  terniinus  teclinicns),  sondern  auf  die  geraeinen  Magyaren? 
Gar  niclits.  Wir  sehen  hier  y.u  Lauch'  krausliaarige  und  schlicht- 
haarige, hraiinliaarige  und  hlond-,  ja  sogar  rothaarige  Magyaren  ; 
was  aber  (h»n  Hart  und  l  >ackeii])art  anbehmgt,  so  ist  es  ja  allbekannt, 
daas  kein  Witzblatt  in  Europa  eine  nr^järtige  Carricatur  des  Ma- 
gyaren geben  könnte.  Sollte  also  nicht  auch  von  den  Ungarn  gel- 
ten, dass  sie  so  stark  mit  slavischeni  nnd  deutschem  Blute  gemischt 
sind,  dass  ihre  etwaigen  mongolischen  (?)  Körpermerkmale  «bis  auf 
die  letzten  Spuren  yerloren  worden  sind*,  und  dass  sie  demnach  zur 
Mittelländischen  Rasse  gezählt  werden  müssen?  Zwingen  zu  diesem 
Schlüsse  nicht  selbst  die  Schädelmessnngcn,  die  in  der  Anthropo- 
logie Ton  entscheidender  Wichtigkeit  sein  wollen?  Nach  die- 
sen ist  der 


Breitenindez 

Höhenindex 

Diffcrens 

der  Örtemicher 

.    .  79 

75 

4 

,  Italiener  . 

.    .  79 

75 

4 

«  Franzosen 

.    .  79 

75 

4 

„    Polen   .  . 

.    .  79 

75 

4 

„   Baiern  .  . 

.    .  80 

74 

ü 

,  Magyaren 

.   .  80 

7(i 

4 

n   Rmiiiiueu  . 

.   .  80 

7(i 

4 

«  Hlovaken  . 

.   .  81 

7G 

5 

w  Kroaten  . 

.   .  82 

78 

4u.s.w. 

.  Welcher  kraniologische  Grund  nötigt  also  die  Ungarn  zu 
einer  andern  Rasse  zu  zählen,  als  die  ()sterreicher,  Franzosen, 

*  Ebonda,  Srito  412. 

**  AuR  WoUker's  Kraniologiachon  Miticilnnuren.  in  PoDcher«  Völker- 
kande,  Soite  559.  ^ 

23* 


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\ 


S4S  WOHER  DF.R  HASH  GEGEN  UKOAKN. 

Baif^ni,  Polen,  Rumäuen  u.  s.  w.  ?  Sollte  nicht  der  ]iliilo.s<>pliischp 
Denker  sieh  ^czwuiicrpn  fühlen  z»  beliaupUMi  :  die  Ungarn  sind 
mit  Haut  nnd  Haar,  un»l  vom  Sehädel  bis  zur  Fusasohle  j^enoniniftu 
HO  gut  Europäer,  wie  alle  Andern  ?  Aber  die  Sprache!  wendet  man 
ein.  Out,  wir  kommen  anf  die  Sprache  snrfick ;  hier  roflfnen  wir 
aber  da»  Keraltat  der  anthropologischen  Fornchnngen  geltend  ma- 
chen« dass  die  SpfW^  in  gar  kntter  Verbindung  mit  der  Rasfie  steht 
und  nieht  stehen  kann.  Jedoch  das  VergnOgen  der  deutschen  Philo- 
sophen von  den  Ungarn  sagen  «n  dflrfen,  sie  gehörten  nicht  aar 
mittelländischen,  sondern  xnr  mont^olischen  Rasse,  seheint  eben  so 
gross  oder  noch  grösser  zu  sein,  als  das  der  blinden  Orthodoxen,  von 
ihren  Na<'lil»arn  satten  zu  dürfen,  sie  seien  Ketzer.  Es  «^ibt  »hircliaus 
gar  nielits  SicliUmn's,  wonueli  man  die  Ungarn  zn  den  Monj^olen 
zäiilt,  was  bei  dem  weit  verl>reiteten  slaviscben  Stamme  uml  bei 
einem  grossen  Teile  der  Deutschen  nicht  aucb  erscheint.  Aber  je- 
mand hat  einmal  deu  Ausspruch  getan,  dass  die  Ungarn  Mongolen 
seien,  und  seit  der  Zeit  klammem  sich  die  deutschen  Philosophen 
wie  ächte  Kapuxiner  an  diesen  Glauben,  fis  schmeichelt  der  Eigen- 
liebe derOlanhe:  ich  bin  orthodox«  aber  jener  ist  ein  Eetaer,ich  bin 
Arier«  jener  aber  ist  nur  ein  Turamer  !  Was  denn  aber  an  diesem 
Tnranier  das  eigentliche  Mongolische  sei?  darum  kümmert  sich  der 
Glaube  nicht;  auch  will  er  es  ja  nicht  wissen,  denn  er  besteht  eben 
im  Nichtwissen. 

Der  (flanl)e  das  Minigolentinn  »b-r  l  )i)i;ain  scliien  anfangs 
eben  SD  nnverliiiit^licb  zu  sein,  wie  die  I 'alack v'srlic  IJetraeldiing. 
Aber  wie  aus  dieser  der  sfarisrhr  Hass  «;e(r«Mi  die  l  ngarn  ,  so 
entpuppte  sieb  ans  dem  authropologischeu  Glaul>en  der  deuiache 
Hass  gegen  dieselben. 

IL 

Im  Jahre  18C6  kam  der  Ausgleich  zu  Stande«  in  Folge  dessen 
die  heutige  »Österreirli-Ungarische  Monarchie*  ein  diplomatisch 
anerkannter  Dualismus  ist.  In  Europa  und  besonders  in  Österreich 
wird  dies  als  eine  Neuemn^betrachtet«  weil  man  vergisst,  dass  der 
Dualismus  in  Wirklichkeit  seit  15^7,  wo  Ferdinand  I.  7.um  ungari- 
schen Könige  gekrönt  wurde,  bestand,  I  ny^arn  batte  .seit  dieser  Zeit 
eine  eben  so  unabhängige  Gesetzgebung  und  Administration,  wie 


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vor  1527.  Aiuli  «Ins  aI»i(«'trt'iiiiU'  kSiclH  iilüir^^Mi  betrHclitete  .sicli 
uiiuiit«'rlir(nln'ii  h1>  eiut-n  inlc^JirireiKlfii  Teil  drs  Köiii<^r»Mi'h.s  Uii- 
j^ani,  und  Lt  (»i»i>l(l  1.  iihIuii  c«  1  (iUO  als  Köni^  von  Ungarn  iu  Besitz. 
Zwiachea  den  8eli)ststündigen  Laudent  dfr  ini^Mris<]it>n  Krone  und 
den  sogenauutttn  Kr)>8tuaten,  welche  Tcik  des  duUscIyn  Hcichra  wa-  . 
ref»,  l>eMtand  kein  anderer  Verband,  als  die  Gemeinscbaftlichkeit 
des  regierenden  Hauses,  was  die  «Pragmaiisohe  Sanction^  gans  ge- 
nau auch  dadurch  ausdrückte,  dass  Ungan  mit  seinen  Nebenlän- 
dem,  nach  dem  etwaigen  Aussterben  der  m&nnlichen  und  weibli- 
chen Linie  der  Dynastie,  frei  und  ohne  Rücksicht  auf  die  «Erb* 
Staaten*  Aber  sich  verfügen  kann. 

Aber  trotz  der  Selbstständigkeit  der  ungarischen  Lüiuler, 
niiis.ste  die  (Jenieinschattliclikeit  der  Dynastie,  nocli  mehr  aher  die 
t/i  off/  apJii.^r/ic  ('(intinuitäfn,  genieiiisohaftliclie  Ang('l«'<^euluMteii  «*r- 
/.en^a'ii.  Die.se  warei)  bis  iSlS  nicht  genau  uuiHchrii'ljen,  noch  we- 
niger war  die  Form  der  Behandlung  l'eatgestellt.  Der  regierende 
König  von  Ungarn  beschloss  mit  dem  ungarischen  Reichstag  Über 
dieselben,  aber  als  unumschränkter  Herrscher  konnte  er  iu  den 
£rbstaaten  ganz  frei  entscheiden.  Als  nun  durch  die  europftiBche 
Bewegung  Ton  1848  das  conttitutionelle  Leben  auch  in  den  £rb- 
ataaten  erwachen  wollte  :  da  trat  sofort  die  Notwendigkeit  zu  Tsge, 
die  gemeinschaftlicheu  Angelegenheiten  genau  zu  umschreiben  und 
ihre  Behandlung  durch  bestimmte  Oi-gane  fest  zu  stellen.  Es  hätte 
auch  sogleich  geschehen  können,  »si  mens  non  laeva  fuisset*  hfi- 
l)«*n  und  drüben.  AIxt  es  geschah  erst  IS«»»»,  und  zwar  ii!it»T  der 
ausdriicklicheu  lk'«lii>«^uiifi[  von  Srite  l  n^ariTs,  «lass  ancli  in  d»'m  , 
sogenannten  „Cisleithaiiieii'*  di»'  ( 'onstitutitnu'lb*  bN'^^n  rungsforui 
eingeführt  werde.  Diese  Bedingung  mag  <'in  politisclier  Fehk'r  ge- 
wesen sein  :  a)>er  sie  kann  Tor  dem  Hichtersituhl  der  Geschickte  den 
Ungani  nicht  als  8ttude  angerechnet  werden. 

ieHx  Austria  nube"  hiess  es  im  XVI.  Jahrhunderte  Im 
XVm.  und  XIX.  Jakrhundert  hatte  dieser  Spruch  in  der  Meinung 
der  Österreicher  eine  solche  Bedeutung  erhalten,  als  wären  sie, 
die  Österreicher,  der  Bräutigam  gewesen,  und  Ungarn  wäre  ihr 
angeheiratetes  Gui  Sofort  nach  dem  Ausgleich  erhoben  sich  Stim- 
men über  ihre  Vergewaltigung  durch  die  Ungarn,  nnd  Über  die 
Beraubung  ihres  Eigentumes.  Au  diese  btinuaen  schlössen  sich  die 


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850  WOfiBR  DBB  HA88  OBOBV  UNGABK. 

•Kittgen  der  Siebenbfliger  öachBen,  welche  es  uneriräglich  tandeo, 
dass  ihre  Sonderprivilegien  eben  so  aufgehört  haiiten,  wie  alle  andern 

Privilegien  der  gesammten  Provinzen.  Sie  acceptireu  sehr  »reriie 
die  Gleichheit  des  Hechtes  für  die  übrigen,  nur  sie  sollten  ein»- 
Ausnahme  machen  dürfen.  Die  IStimmen  und  Klagen  verbreiteten 
sieh  in  der  oesamniten  deutschen  Presse,  und  um  sich  mehr  Gewicht 
vor  der  öffentlichen  Meinung  zn  yerschatfen,  nahmen  sie  gewisse 
Aasdrfieke  zn  Hilfe,  welche  die  gesammten  Germanen  erschrecken 
mnssten.  Die  Vergewaltigung  und  Beraubung  der  Österreicher  nnd 
das  ^Erwürgen*  der  Siebenbttrger  Sachsen  wird  durch  „Mongolen* 
verül)t  I !  Ja  wenn  die  Ungani  Arier  wären,  wie  etwa  das  r'uUiir- 
vulk  der  Krivosciijaner  oder  der  Herzegoviner,  dann  wäre  es  etwas 
anderes  :  aber  sie  sind  Mongolen  I  Und  weil  niemand  recht  wamste, 
warum  die  Ungarn  Mongolen  seien,  so  fügte  man  die  Erklärung 
hinzu  :  sie  sind  Allophjlen.  Das  verstanden  alle,  es  ward  nun  dem 
deutschen  Lesepnblikum  klar,  dass  die  Ungarn  eigentUeh  kein 
Recht  haben  in  Europa  zu  wohnen ;  sie  mOssen,  wie  die  Türken, 
hinausgestossen  werden.  Das  slavisehe  Vorurteil  und  der  slavische 
Hass  begen;nen  hier  dem  aiithrojxdogischen  Vorurteil  und  dem 
deutschen  Hasse ;  viribus  unitis  stürmen  sie  auf  die  Ungarn  los. 

Und  nun  entdeckte  man  auch  das  unendlich  hohe  Alter  d'^r 
Ungarn,  welches  sie  zu  jeder  politischen  Action  unfähig  mache. 
Paul  de  Lagarde  vericfindete  «urbi  et  orbi*,  dass  er  bereits  im  No- 
vember 1853  das  physische  Alter  der  ungarischen  Nation  geltend 
zu  machen  suchte,  ^welchfs  von  vome  herein  vermtft^n  hei^^  dass 
dics(jlhe  (jefjmwärtHj  ccrhrduchf  ist*  Damals  hatte,  wie  es  scheint, 
das  deutsehe  Puljlikum  hiefür  noch  kein  Verständniss ;  aber  seit 
1801)  ward  es  zur  Auf-  und  Annahme  solcher  sil>yUischen  Weisheit 
befähigt.  Darum  erzählte  ihm  Paul  de  Lagarde  1870,  dass  er  „im  No- 
vember und  Dezember  1844  mit  Max  MttUer  bei  Friedrich  Bttckert 
peraisch  horte,  und  dass  damals  dieser  Meister  auseinandersetzte, 
dass  die  Sprachen  Südindiens  mit  den  turanischen  Idiomen  Hoch- 
asieus  tdeell  verwandt  seien,  wonach  dann  die  Indogermanen  und 
Semiten  als  ein  Keil  zwischen  den  turanischen  Stäniuien  ('rnrauier 
und  Südindier),  als  die  älteste  Lagerung  der  geschichtlichen  Vi'H- 
ketbil(lmi<f  gelten  könnten.**  «Ist  nun  diese  Anschauung  Rückerts 
richtig,  meint  de  Lagarde»  wie  sie  es  ohne  Frage  ist,  so  gehören  die 


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I 


WOHBB  DBB  HABS  6B6BH  ÜBOABH.  351 

Tiimnier  (also  auch  die  Ungsrn)  einem  Altertume  an,  das  vor  aller 
semitischeil  und  indogermanischen  Entwickeluug  liegt.*  Die  Un- 
garn gehören  also  zu  den  prähistorischen  Völkern,  die  schon  ver- 
schwunden oder  im  Verschwinden  begriffen  sind.  „Den  Ungarn 
eine  politische  Rolle  unter  den  historiselion  Völkern  zu  erteilen, 
kann  eben  so  wenig  ern.stliuft  gemeint  nein,  als  wenn  ein  Arzt 
einen  Achtziger  zum  Heiruteu  und  Kinder  erzeugen  auhalteu 
wollte.-  * 

Paul  de  Lagarde  stellt  sich  die  Nation  der  Ungarn  wie  einen  , 
alten  Raum  Yor,  dessen  Mark  längst  modert,  dessen  Zweige  abdor- 
ren und  der  Ton  aussen  und  von  innen  keine  neue  Lebenskraft 
erhalt.  Er  kennt  nicht  die  Noth  der  Anthropologen,  die  in  den  Un- 
.  gam,  m^m  deren  starker  Vermmhung  mit  iSZatwn-  und  C^ermanen" 
biiU,  das  Mongolentum  nicht  herausfinden  können,  das  sie  dem 
anäiropologischen  Credo  gemäss  suchen.  Gerade  aber  diese  Blut- 
vermischung  beweisst,  dass  die  Ungarn  die  allerjüugste  christliche 
Nation  in  Europa  sind.  Das  physische  F ortbestehen  einer  Nation 
liäugt  durchaus  nicht  von  der  Sjirache  ab,  tn)t/  lUni,  dass  diese 
das  psychologische  Princii)  derselben  l)il(h*t  und  ihr  ethnisches 
Fortbestehen  bedingt.  Es  ist  nicht  nur  (l('iikl)ar,  sondern  historisch 
erweisbar,  diuss  das  Blut  der  Arpaden  und  ihrer  bchaaren  heute  den 
weit  geringsten  Bestandteil  der  Nation  ausmacht ;  aber  die  frem- 
den, slavischen,  germanischen  etc.  Zuschlisse  sind  Ungarn  gewor- 
den, uud  die  Nation  besteht.  Es  ist  aber  auch  denkbar,  dass  das 
Blut  der  Arpaden  und  ihrer  Schaaren  unTermischt  hätte  bleiben  • 
können,  .und  dennoch  wäre  die  Nation  erloschen,  wenn  die  Indivi- 
duen des  unvermischten  Blutes  nach  und  nach,  etwa  zur  Zeit,  als 
sie  das  Christentum  annahmmen,  oder  als  sich  die  Reformation 
unter  ihnen  yerbreitete,  die  ungarische  Sprache  verlassen  und  oine 
andere  sich  angeeignet  hätten,  was  mit  vielen  andern  Nationen 
wirklich  geschehen  ist.  Die  Sprachen,  oder  die  Seelen  der  Nationen 
sterben  nur  so  al),  dass  die  redenden  Iiulividuen  sie  verlassen  uiul 
vergessen.  Das  Christentum  hat  aber  die  ungarische  Sprache  nicht 
iu  die  Vergessenheit  geätoäsen,  die  iiet'ormatiou  hat  sie  im  Uegeu- 

*  Über  die  gegenwärtige  Lage  des  deatechen  Beiche,  ein  Bericht, 
erstattet  von  Paul  de  Lagarde,  Dootor  der  Theologie  a.  Philosophie  n.  §.  w. 
Gottdngen,  1876.  Seite  11. 


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852  WOHBB  Vm  BASS  eEGKM  VNGABK. 

teil  gewaltig  gefördert,  ao  wie  ihr  die*  Bildung  der  neuesten  Zeit 
nicht  nur  keinen  Abbruch  Terursacht,  sondern,  sie  Tielmehr  kraftigt 
und  ausbreitet. 

lU. 

Es  ereignete  sich  aber  etwas  Ungeheures.  Die  Repräsentanz 
▼on  Budapest  beschloss  mit  einer  Stimme  Mehrheit  die  Sperrung 
des  deutschen  Theaters.  Wir,  hier  in  Budapest,  betrachteten  diesen 
Beschlnss  der  Repräsentanz  als  eine  betise,  die  früher  oder  später 
aus  dem  Wege  geschafft  werden  mnss  und  werden  wird.  Aber  nicht 
s(»  Audere.  Als  wäre  ein  Pfeiler  des  Firmaiiieiits  »geborsten  und  als 
jiiiisste  man  augtMiblieklicli  tiirchteii,  <las,s  das  IJiniiiit'lsgewöllir  ein- 
stürzt, .fractus  illaltatiir  orhis*  —  so  <n"liehteii  die  50  Millionen 
Deutselie.  Und  die  Redacteure  der  Zeif scliritten  <^alten  sirh  das  }^e- 
geuseitige  Verspreelien,  die  Ungarn  y,u  ignorireii,  ausser  man  wollt« 
ülier  sie  8chittij)ien.  Nun,  <]ie  Ix-tis«'  ist  längst  gut  gemaeht  vv<u-- 
den;  liessen  sicli  doch  alle  politiselien  Felilgritt'e  und  Fehltritte  überall 
SO  leicht  gut  machen!  —  die  Vorstellungen  im  deutst  hen  Theater 
haben  ihren  ungestörten  Verlauf,  mit  und  ohne  »Meiuinger* ;  der 
AehilleflKom  der  deutschen  Redacteure  verkocht  anch  nach  und  nach : 
aber  «manet  alia  menterepoetum  Judicium,*  dk  Schliessung  des  detd- 
sehen  Theaters  htetU  doch  unvergesdich.  —  In  letzter  Zeit  wird  Un- 
garn so  behandelt,  als  siSnde  es  wirklich  unter  der  Vormundschaft 
voll  Deutschland,  und  als  wäre  Ungarns  Kr»nig,  Franz  Josef  I.,  nichts 
auderes,  als  ein  Kosakeiilietinan,  oder  ein  iiidianisrlicr  Knzihf!. 

^Lhyjarn  ist  ein  Stück  deitf scher  und  i.nivntnl'isrlirr  Friujr.  Mit 
der  Ht'freiiuig  der  Länder,  di»*  unter  türkischer  Herrschaft  standen, 
und  die  mit  Hülfe  Europa's  frei  wurden,  ist  die  Aufgahe,  die  Kuropa 
dort  liat,  nicht  zu  Ende  geführt.**  »Wie  mau  sich  um  die  Junerver- 
hältnisse  von  Hosnien,  Bulgarien  u.  s.  w.  bekümmert,  so  muss  niaa 
sich  in  gleichem  Masse  um  die  von  Ungarn  bekümmern.''  —  ,,In  Uu- 
gam  gehören  die  Magyaren  su  den  ingrimmigsten  Feinden  Deutsch- 
lands.* —  ,Es  ist  keine  Frage,  dass  im  Augenblick  schwerer  äusserer 
Gefahr  der  Hagyare  nicht  zu  den  Freunden  Deutschlands  sich 
stellen  wird."  * 

Der  y«r&8ter  dieses  Artikek  greift  weit  surllck  in  der  orien- 
*  Allg.  Aogtb.  Zeitnng*  ^  November,  1881. 


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WOmB  DBB  EASS  CSOBH  UliOABV.  S58 

t 

talischeii  Fra^t*.  S«»it  die  Türken  aus  Ungarn  vertrieben  wor«1eii 
sind,  hat  sieli  manches  ereignet,  was  <lie  deutschen  <ielehrten 
niehf  vergessen  söllten.  Aher  aueh  zur  Betrt  iiing  TugarnH  von  der 
Türkenherrsehaft  hat  Europa  sehr,  sehr  weuig  beigetragen.  Die 
deutsclien  Fürsten  thaten  wohl  dazu,  aus  Schuldigkeit  gegen  deu 
Kainer,  der  freilich  auch  König  von  Ungarn  war  :  allein  sie  liessen 
sieh  ihre  Dien.ste  gar  theuer  hezahleii.  Doeh  aUe«  dies  ist  vorüber.  — 
Nun  folgte  der  Krieg  um  diuErbtheil  Maria  TheresiaV  Alle  Mächte 
Euiüpa's,  zumal  alle  Ffirsten  DeutiEichlands,  Prenssen  an  der  Spitse, 
hatten  die  Pragmatbche  ISanction  garantirt,  ho  wie  sie  aueh  die 
ungarischeii  Stände  angenommen  hatten.  Und  siehe  da,  alle 
Mächte,  Preussen  an  der  Spitze,  wurden  wortbrQchig  :  nur  die  unga- 
rischen „Mongolen*  hielten  nicht  nur  ihr  Wort,  sondern  zogen  auch 
das  Sehwert  für  Maria  Tlieresia  gegen  Prcusseu,  iiuioni  u.  s.  w. 
Wi  Y  wollte  damals  den  Orient  in  Verwirrung  bringen  und  wer  ret- 
t«de  damals  den  (isterreichiseh-nngarisehen  Orient?  —  l  nd  als  sieh 
der  Herzog  von  Hraunseliweig  die  iStietVl  und  Sporen  putzen  Hess, 
um  nach  l'aris  zu  reiten  :  war  es  nicht  wieder  l'reussen,  das  Leo- 
pold II.  drUngte  einen  nachteiligen  Frieden  mit  deu  Türken  zu 
schliessen  und  diesen  das  grosse  „ungarische'  Bollwerk,  Belgrad, 
zurückzugeben  ?  —  Und  abermals  auf  den  Schlachtteldem  gegen 
Napoleon  verblutete  nicht  Österreich-Ungarn  mehr  ftlrDeutschlandt 
als  flßr  sich  selbst?  Doch  auch  das  ist  TortLber. 

Wie  stellt  sich  nun*  der  Verfasser  des  angezogenen  Artikels 
die  fjosnng  der  orientalischen  Frage  vor?  Etwa  so,  dass  in  Buda- 
pest nicht  ungarisch,  in  Agrani  nicht  kroatisch,  in  Bukarest  nicht 
runiiiniseh,  in  S(  rhien  nicht  serbiscii,  in  Bulgarien  nicht  bulgarisch 
verhantli'lt  u crdi'n  soll?  Oder  s(dl  hios  in  Uudajiest  das  Tugarische 
gestrichen  werden,  denn  nur  liier  wohnen  Mongolen,  in  den  amlern 
genannten  Ländern  aber  lauter  \  ölker  mittelländischer  Kasse,  lauter 
pure  Culturvölker?  Besteht  darin  die  Lösung  der  Orient4dicheu 
Frage?  Ja!  jal  muss  es  heissen,  denn  „in  Ungarn  gehören  die  Ma- 
gyaren zu  den  ingrimmigsten  Feinden  Deutschlands."  Was  hat  deu 
,  deutschen  Gelehrten  diese  Überzeugung  beigebracht  ?  Mochten  sie 
doch  heikommen  und  unter  uns  nur  einige  Monate  leben  und  sie  wür- 
den eines  anderen  fiberzengt  werden.  Lasst  euch  nicht  durchDr.Kudolf 
Heinze  abschrecken,  der  tou  »stner  amteroräml^chm  SjHmmeÜe 


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854 


WOHBB  DIB  BASS  GStOKS  DH01B5. 


der  cthnoyraphisckcn  Vcrsi'hicdcnJmt'^  /wisclifn  den  Uiifj^arii  uud  deu 
Deutschen  aiis  irgend  ein eu  Compeudium  etwas  gelesen  hat  und  nun 
damit  und  mit  ähiilichem  Zeuge  seine  Klageschrift  spickt*  Er 
findet  in  dieser  Verschiedenheit  einen  tiefer  liegenden  Grund  aaeh 
der  Niehtversdbmelzong  der  verschiedenen  Volksindividuen  in  Un- 
gacn  :  denn  als  Gelehrter  hat  er  natOrlich  nirgends,  nicht  eimnsl 
in  Deutschland,  das  Volksleben  unmittelbar  kennen  gelernt  Der 
Bauernstand  ist  überall  excluöiv,  selbst  wo  die  Confession  uud  Sprache 
keine  Scheidewand  bilden;  der  Bürgerstaud,  der  Stand  der  Industrie, 
des  Handels,  der  (ielehrtenstand  lassen  sich  durch  die  erwiilmte 
Scheidewand  nirgends  absolut  trennen.  Der  Adel  vollends  keuni 
keine  Schranken ;  die  deutsche  Baronin  hat  von  jeher  den  ungari- 
Baron  sehr  gerne  geheiratet  und  umgekehrt,  aumal  wenn  Grundbe- 
sitz oder  Kapitalien  den  procus  machen.  Kommen  Sie  also  getrost 
her,  Sie  Gelehrten  Deutschlands,  und  um  sichere  Beobachtiin;^»'!! 
machen  zu  können,  lassen  Sie  ihre  Köpfe  durch  Virehow  in  Berlin 
oder  durch  v.  Holder  in  Stuttgart  messen,  und  bringen  Sie  die  Masse 
mit,  um  sie  au  die  sabnormeu  und  un europäischen"  Köpfe  der  Ma- 
gyaren anlegen  zu  können,  uud  selbst  die  ausserordentliche  Spann- 
weite der  ethnographischen  Verschiedenheit  su  constatirenl 

nTls  ist  keine  Fragen  behauptet  der  angezogene  Artikel  der 
Allg.  Augsb.  Zeitung,  dass  im  ÄuycnhlicJc  äusserer  Gc/'alir  der  Ma- 
gyarc  nicht  zu  den,  Freunden  DeutscIiJands  sich  stellen  tvtrd*^  —  Doch! 
meine  Herren,  es  ist  das  eine  Frage,  auf  welche  teils  die  TTeschichte, 
teils  auch  die  Gegenwart  eine  Antwort  zu  geben  wagt.  Uftgam  ist 
<^ne  die  herrschende  Djfmetie  nkiht  denkbar ;  Böhmen  und  Österrdch 
aber  sind  ohne  dieselbe  wohl  denkbar. 

Das  slavische  Vorurteil  uud  der  slavische  Hass  gegen  Un- 
garn braucht,  auch  selbst  vor  deutscheu  üeleiirten,  nicht  bewieseu 
zu  werden. 

Was  ist  also  in  der  Zukunft  die  notwendige  Stellung  der 
Ungarn?  Es  ist  die  Stellung  der  herrschenden  Dynastie!  Und  noch 
mehr  wagen  wir  zu  prophezeien.  Wenn  der  Ur-Urenkel  des  Herrn 
Franz  y.  Löher  die  Grabstatte  der  siebenbürge r  Sachsen,  deren  «Er- 

*  Hnngariua.  Eine  Klu^auchrift.  Vou  Dr.  Rudolf  Hoiuze. 
Hungarica.  Seite  21. 


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VrOESSt  DS&  HABS  080SH  UNOABN.  *  85& 

würgiing"  s»'iii  Ahn  als  «mii  zweiter  Jeremias  beklagt  Imtt^,  besu- 
uheii  wird,  und  tr  in  Huil;ij)L'st,  mit  einem  Worte  in  Ungarn,  noch 
herrschende  Mong(tlen  vorfindet  :  dann  werden  ihm  gewiss  in  Iler- 
nianstadt  deutsche  Jinigtii  ,Sie  sollen  ilin  nicht  haben!"  und  „Was 
ist  des  Deutschen  Vaterland  ?*  entgegen  singen ;  findet  er  aber  hier 
keine  herrschende  Mongolen,  da  wird  ihn  sicher  kein  deutsclior 
Grnss  in  Siebenbürgen  empfangen.  Denn  gewiss,  nicht  Deutschland 
würde  durch  Ungain  und  Siebenbürgen  vergrössert  worden*  sein  l 

IV. 

Die  Sprache  der  ungarischen  Reichstage  und  dea  dffentlichen 
Lebens  in  der  Administration  nnd  der  Rechtsi)Hege  war  seit  1527 

lateinisch.  Das  Latvinische  war  im  XVI.  XVII.  Jahrhundert  auch 
anderwärts  die  Sprache  des  Staates,  der  Kirche,  der  Wissenschaft. 
Zuerst  verliesseu  die  roinaniehen  Völker  und  das  stark  romanisirte 
England  die  lateinische-  Sprache ;  zuletzt  auch  Deutschland.  Der 
ungarische  Reichstag  verhandelte  zuerst  179%i  in  ungarischer 
Sprache,  doch  die  iiesetze  wurden  bis  1832  lateinisch  verfasst;  seit- 
dem wnrde  die  ungarische  Sprache  zur  diplomatischen  erhoben. 

In  Siebenbfirgen  war  die  Sprache  der  Landtage  nnd  der  Ge- 
setze Ton  1550  bis  1690  ungarisch.  Aus  Unwissenheit  oder  Vorsatz 
schreibt  z.  6.  W.  St.  Tentschlander,  dass  in  Siebenbürgen  nnter  den 

bcsondem  Fürsten  die  Geschäftssprache  Iciteinisch  war.  *  Nur  die 
wenigen  Lautltage  von  1000 — 1840  verfassten  ihre  Beschlüsse 
lateinisch ;  die  letzten  Landtage  waren  aber  wieder  ungarisch.  Die 
heilige  vScheu  vor  dem  Un<j;arisclien,  welche  die  Siebenbürger  Sach- 
sen iu  unsern  Tagen'  ail'ectiren,  war  vordem  mclU  sichthart  und  sie 

*  Michael  der  Tapfere.  Ein  Zeit-  und  Charakterbild  aus  der  fle- 
scfaichte  Rumäniens  von  W.  St.  Teutschländer.  Wien  1879.  Seite  2.  Diese 
Behauptung  Teutschläiulcr'a  ist  um  so  iinfVallfinlor,  da  er  sich  in  der  siebcn- 
Itürginchcn  GeHchichti'  1)>  wandert  zeigt.  Udor  \r,\iU'.  er  wirklich  keine  Notit« 
von  den  unzähligen  .sielioiibürgischon  ]>umUagcn  von  Johann  iL  bis 
Apafi  ?  und  hätte  er  auch  nie  die  „Approbata"  und  „Couipilata"  gesehen? 
84nn  Held  selbst  correspondiHe  ungarisoh  mit  den  stebunbirgisehfln  (Shos- 
sun  und  dem  Pürsten.  Oder  sind  dies  alles  non-entia  in  den  Augen  des 
deatsch-scbreibenden  TentschUbider*s  ? 


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356 


WOHBB  DD  SiS8  WEM  OVOAlUr. 


hatten  sich  auch  wirklich  durch  die  KcuntniH«  des  Ungarischen 
nicht  (legi'üdirt,  was  sie  jetst  zu  hefürchten  scheinen. 

»Die  lateiiiischo  Spracht?  war  ein  neutrales  Territorium*  fl\r 
alle  Nationalitäten  in  Uiigani,"  sa^t  iin<l  .s('lin'il)t  man.  <ianz  rich- 
tig. Al>er  wer  nalnn  iiiid  komitf  an  dit'si m  lu-iihalen  Tcnitoriuni 
Anteil  nehmen?  Doch  nur  die  (h^sclmltcu,  tilkr  SationaliUkkn.  al.so 
die  (jeruujstc  Zald  der  Gcsammtbcvulkei  nny.  Datt  eigeutiicke  VolJ^ 
aller  Natioualitilteu  war  auHgeschluMsen. 

Nun  tritt  die  ungarische  Sprache  au  die  Stullü  des  Lateinischen. 
Wer  kann  jetat  von  den  13  Millioneu  —  denn  Kroatien  nnd  wan 
daran  hängt  steht  mit  seinen  2  Millionen  in  dieser  Hinsicht  ttir 
sich  da  —  wer  konn  jetct,  wiederholen  wir,  yon  den  13  Blillioneu 
an  dem  öfientlichen  Leben  Anteil  nehmen  ?  Erstens  die  Geschul- 
ten der  ü  Millionen  Ungarn,  zweitens  die  Geschulten  aller  andern 
Nicht-Ungarn,  mit  dem  grossen  Unterschiede  jedoch,  dass  die 
Sprossenleiter  aller  dieser  Geschulten  viel  tiefer  herabreiclit,  als  tlieje- 
nige  der  in  der  latciiiisclien  Sprache  (Jeschulten.  Schon  heute  gil>t  e.s 
in  Ungarn  sehr  wenige  <«e.scliulte  -  -  ausser  den  siehenbürger  Sach- 
sen und  denjenigen  Slaven,  deren  Blicke  anderwärts  ihr  Mekka 
suchen,  in  denen  aber  nur  der  blinde  Magyarenhass  des  ,  Deutscheu 
tSchulverein's"  uud  des  gesamniten  deutschen  (ieh  hrtenstandes  „im 
Augenblick  »chwerer  äusserer  (Jefahr"  warme  Freunde  DentscU- 
lands  sieht  —  schon  hente  gibt  ee  in  Ungarn  sehr  wenige  Geschulte, 
denen  die  angarische  Sprache  fremd  ist  Dadurch  also,  dass  dus 
ungarische  Sprache  a»  die  SMe  des  LateimscheH  getreten  ist,  gesehak 
Niemandem  der  geringste  Alfbruch. 

Es  ist  aber  dies  nur  eine  Übersetzung  der  Germanisation  in 
das  Magyarische,  die  unter  Joseph  II.  und  Franz  Joseph  nicht  ge- 
lingen  wollte,  beliauptt't  Dr.  IJudolt  llein/.e,  und  /war  eine  Uber- 
setzung bereichert  mit  Unbill  und  Hedriickungen  »dine  Ende.* 
Lassen  wir  die  Zeiten  Josei)li'.s  II.  aus  dem  Vergleirbe  weg,  denn  d«;r 
Widerstand  gegen  dessen  lLeiV)ruien  loderte  zuerst  in  den  Niederlan- 
den auf,  und  auch  die  siebenbürger  Sachsen  erkobeu  ein  gar  kläg- 
liches Gejammer  dagegen,**  nnd  vergleichen  wir  bloss  die  Zeit 

*  Hungarica,  Seite  7. 

**  Siehe  .Die  politiMche  Roformbewegnng  in  Siebeabflrgen  lur  Zeit 
JoMph*t  IL  und  Leopold*«  II.  Von  Dr.  Ferdinaiid  von  Zieglaaer.  Wien, 


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WOHER  DER  UASH  OBOKN  UNOABN  ßT»? 

1H:,0— 1S60  mit  tW  Zoit  nach  1S(57.  Iii  <l.'n  .luliivii  IH'.U— l.sr.O 
iliirttf»  kein  Blatt  }^<^K*''i  il«-**  Ihm  rscluMule  System  so  .sclireibeii  wie 
hont*»  (las  *Siel)enbUrgisch-Deufscl»e  T.ijrblaft"  «^e«»eii  die  ^uiugyari- 
Ache Tyrannei*^  schreibt;  damals  (hirlte  sich  Niemanil  so irei  änsseni, 
wie  man  sieb  beute  im  nncrarinchen  H^iehfitage äussern  kann;  wenn 
es  ein  ungarischer  Zay,  Wolf,  8teinacker  u.  s.  gewagt  hatte 
gegen  das  System  nnr  in  einer  Kneipe  so  zn  wispeln,  wie  sie  heute 
im  ungarischen  Reichstage  laut  und  mit  einer  gewissen  Ostentatton 
declamiren,  wäre  er  flugs  hinter  Schloss  und  Riegel  gesetat  worden. 
Sie  sehen,  Herr  Doctor,  die  Obersetzung  in  das  Magyarische  er* 
reicht  bei  Weitem  nicht  das  deutsche  Original. 

ITnil  iler  Vergleicli  liinkt  auch  sonst  noch  gewaltig.  Damals 
wartlas  Deutsche  von  2  Millionen  Einwohnern  gegen  11  Millionen 
Nicht-Deutsche  zur  diplouiatisclien  Sprache  gemacht  denn  aucli 
hier  wollen  wir  die  Kro.it^^'n  bei  Seite  stellen  —  ;  heute  ist  das  Uu- 
garischo  von  G  Milli{»nen  Staatssprache  gegen  7  Millionen,  die 
aber  deutsch,  slowakisch,  walacliisch,  kroatisch,  serbisch,  ruthenisch 
a.  s.  w.  sind.  Herr  Hein/e  glaubt  sich  wohl  zu  der  Annahme  berech- 
tigt, dass  bei  der  Volkszählnng  am  31.  Desember  1880  ^dUe  Hebel 
und  Künäe,  vielfach  auth  TäuM^ngen  und  Drohunffen  in  Bette- 
gmig  geseM  worden  nnd,  tm  die  mag^iseJten  Rubriken  aufgU' 
homehenj*  allein  er  yerabsäumt  es  Beispiele  solcher  Hebel  und 
Künste,  solcher  TäMschmtfen  und  Drohungen  her  zu  zählen,  die 
ihm  doch  wenigstens  aus  «dem  Laude  der  Sachsen"  in  grosser 
Menge  mussten  mitgeteilt  worden  sein.  Das,  was  er  in  der  Note 
(Seite  S)  über  Ihnlapest  anfiilirt.  ist  durchaus  nicht  hinreichend, 
seine  Aunalune  von  dem  \ Orwurfe  der  Verläumdung  /u  reinigen. 
Aber  er  selbst  muss  gestehen,  <lass  für  die  6  Millionen  Ungaru 
nicht  uur  das  historische  liecht  plädirt,  soudem  auch  das  Hesit/- 
thum  und  die  Societät,  wie  sie  nun  einmal  bei  uns,  gut  oder  schiecht, 
beschaffen  i.st 

Nichts  desto  weniger,  meint  Dr.  Heinze,  hat  Ungarn  doch 
kein  Recht,  das  Ungarische  zur  Staatssprache  zu  machen,  denn  es 
ist  nur  ein  prähistorisches  Fossil,  hingegen  das  Deutsche  der  2 

l^'^l.  St'it«^  nt.  r,o,  ."."^  n.  <<.  w.  ..riisi'i'-  f^fliloji  siml  ^\'\o  scliincrzli;irt«stcii 
tunl  nnsl  rt'  nii \  i  rdn  nt i  n  l>rangsale  »iiid  uubt'.sclueiiilich  niederbeugend," 
so  jauimerten  «ie  17{<9. 


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358 


WOHBB  DER  HASS  OKOBN  imeABN. 


Millionen  Eiuwolmer  Uii^arif  s  liat  50  Millionen  ändert^  Deutsch*' 
mit  einer  nberreichen  Literatur  zur  StUts^. 

«Wie  die  uralaltuische  Sprachengruppe  überhaupt,  ist  das  Ma- 
gyarische auf  einer  Stufe  der  sprachlichen  Ansbildong  nnd  Aos- 
druckweise  zurückgeblieben,  welcA«  verglichen  mU  der  EniwiiMmig 
anderer  Ijmdeitspraehen  einen  prähisforischen  Charakter  an 
trägf^  (Seite  10).  So  spricht  der  an  lUrxlsinn  reichende  arische 
Hochdünkel,  der  U'idor  auch  der  Wissenschaft  nicht  fem  hh'i))t. 

»Als  nächste  Verwandte  der  Magyaren  gelten  die  Ostjaken 
und  die  Wogulen ;  ihrer  Sprache  stehen  in  Europa  am  nächsten  Fin- 
nen, fisthen,  Liven,  Lappen.*  Dies  soll  natürlich  die  Wertschätsnog 
der  »Magyaren*  Terringera. — In  der  stolzen  Verachtung  der  Finnen, 
Esthen  u.  s.  w.  begegnet  Herr  Dr.  Heinze  einer  bedeutenden  Zahl 
von  Vollblutmagyaren,  die  ihre  Nichtkentniss  für  Wisflensehaft 
Ii  alten,  wie  der  Herr  Doctor.  —  Es  steht  auch  durchaus  nicht,  was 
er  uaclilier  beliauptet,  dass  das  I.ateinische  seit  l^  erdinand  1.  th's- 
wegeu  als  Staatssprache  gegolten  hat,  weil  keine  der  lebenden  Lan- 
dessprachen für  den  allgemeinen  Gebrauch  geeignet  und  ausreichend 
schien.  Der  ungarische  Stil  des  XVI.  Jahrhunderts  war  gewiss  dem 
Stile  Martin  Lnther^s  vergleichhar ;  der  ungarische  Stil  des  Xvil. 
Jahrhunderts  aber  Übertraf  den  deutschen  Ourialsiil  desselben 
Jahrhunderts ;  die  Sprache  der  damaligen  ungarischen  und  deut- 
schen Wissenschaft  könnte  sich  külni  die  Stange  halten.  Nur  hat 
der  Herr  Doctor  auch  liier  das  Vorrecht  mir  nicht  zu  glauben,  denn 
er  kann  seine  Unkenntniss  für  Wissenschaft  halten. 

Er  stellt  der  ungarischen  Sprache  auch  damit  ein  »testimo« 
nium  paupertatis*  aus,  dass  sie  keine  Dialecte  erzeugt  hat  Nun  die 
Volksdialecte  neben  der  Schriftsprache  sind  wie  die  Feldblumen. 
Diese  haben  für  die  Botanik  grossen  Werth,  die  Oekonomie  be- 
trachtet sie  aber  als  Unkraut  und  jätet  sie  aus.  Auch  die  Dialccto 
haben  für  die  Sprachwissenschaft  einen  hohen  Werth  :  der  Cultur 
des  Volkes  sind  sie  aber  nicht  förderlich,  sondern  hinderlich,  darum 
jätet  sie  die  Schule  überall  aus.  Dass  die  Sprache  der  ü  Millionen 
Ungarn  auch  Schriftsprache  ist^  hat  einen  nicht  genug  zu  scha- 
taenden  Vorteil  ftlr  ihre  Cultur.  Das  Uebel  der  Dialectaersplitte- 
rung  fühlen  bei  uns  die  zahhreichen  Slayen ;  hat  man  doch  Mfih«» 
herauszufinden,  welcher  Dialect  wohl  den  Meisten  verständlich  ist 


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WOHER  DBB  HARB  OBCHm  ONOABN. 


359 


,£)ie  Dürftigkeit  des  magyurisehen  Idiome  hafc  nichtt  wie  die 
westeuropäischen  Sprachen,  swei  Tenchiedene  Worte  für  »nnga-. 
riseb*  nnd  «magyarisch*. 

.  Es  lastet  wie  ein  VerhSngniss  anf  dem  yielepnichigen  Reiche 

nnil  (lesscn  Hürgoni,  dass  cli(»  ^unj^^efüge"  »Sprache  des  herrscheiideii 
Stammes  die  Vorstellung  von  einem  l  nfcerschied  zwischen  diesem 
seinem  Stamm  und  der  Gesummtkeit  gar  nicht  aufkommen  lässt. 
Die  magyarische  Sprache  hat  für  «ungarisch*  kein  Wort*  * 

Kaiser  Sigmund  soll  sich  einmal  das  Recht  angemasst  haben, 
das  «xrammatische  (^enns  der  lateinischen  SubstanÜTa  2u  bestimmen, 

sei  er  doch  genug  Kaiser  dazu.  Die  deutschen  Gelehrten,  vcrniuth- 
lich  von  den  8ie])en])iir<^er  Sachsen  ermuntert,  wollen  nun  den 
Sprachgebrauch  der  verflossenen  zehn  Jahrhunderte  rrtormiren; 
sie  dürfen  doch  dazu  genug  Gelehrsamkeit  haben  !  Die  occiden- 
talischen  und  byzantinischen  Schriftsteller  des  IX.  und  X.  Jahr- 
hunderts benannten  das  neue  Volk  Ungern  (fälschlich  »Ungarn*, 
wie  es  jetzt  gebrftuchlich  ist),  ungerii,  olyyQoi,  und  das  von  ihnen 
occupirte  Land  Ungern,  Ungarn.  Unter  diesem  Namen  verstand 
und  versteht  man  iiit'iiiaud  andern,  als  die  „Magyareu.''  I)a.ss 
das  Land  und  das  Königreich  Ungern,  Ungaria,  Hnngaria  benannt 
wiir(l(>,  hat  seine  historische  Wichtigkeit,  die  sich  nicht  w^iäugnen  ^ 
lässt ;  dass  man  aber  unter  dem  Namen  Ungern,  Ungarn,  nur  die 
Magyaren  yerstanden  hat  und  yersteht,  das  kann  auch  niemand 
lingnen.  Nun  wollen  die  deutschen  Gelehrten,  dass  die  Sieben- 
bQrger  Sachsen,  die  ungarischen  Deutschen,  Slaven  u.  s.  w.  «Un- 
garn" genannt  werden  sollen.  Dagegen  haben  wir  keine  Ein- 
wendung. 

Es  ist  ferner  nicht  /u  läugnen,  dass  die  ungarischen  lieichs- 
tage  mit  ihren  Königen  die  Gesetze  nicht  für  Deutschland,  f«ondem 
für  Ungarn  geschaffen  haben,  und  auch  kOnftig  nur  fOr  dasselbe 
schaffen  werden.  Aber  die  deutsehe  Wissenschaft  dient  uns  eben 
so  wie  die  französische,  die  englische  u.  s.  w.  und  wir  trachten  uns 
die  Gedanken  und  Ideen  derselben  anzueignen.  Die  europäische 
Wissenschaft,  ob  sie  in  deutschem,  französischem  oder  englischem 
oder  italienischem  u.  s.  w.  Gewände  erscheint,  leuchtet  allen,  wie 

*  Hongarica,  Eine  AnklagesohrifL  Seite  15,  16. 


360 


WORIB  DIE  SA8B  OMIll  ÜIIOABN., 


ilie  Soinic.  an  dcn'ii  »Strjihleii  wir  uns  wärinen.  Trotz  tlioser  ffe- 
iiH'insrli.ittliclipn  Erwiirmiin^  niüssj-n  wir  »loch  in  Un^^ani  nianch- 
in:il  l't'l/,*'  tra^rii.  wenn  solcli»'  uikIitsiwo  iinaussf (^Iilicli  Ikmss  niaclion. 
iJi«'  Kleidung  njuss  sich  dem  loealon  Klima  anpassen,  sowie  tlie  un-. 
gariache  Geflet/gehiiu^  den  particuiaren  Verliältnisson  zn  ent- 
fiprßchen  versucht.  Dazu  IxMiiUzt  »ie  wohl  tVip  ^rogs^n  Literatnren 
Enropa*«,  aber  sie  darf  uie  für  die  Länder  dieser  Literaturen  ar- 
beiten. 

'  »Die  deutsche  Sprache  wird  der  andern  Hälfte  der  Monarchie, 
dem  Heer  und  der  Dynastie  zum  Trofx  mit  Fnssfritten  behandelt*'*' 

—  Dip  andere  Hälfto  dpr  Monaroliie  hat  iliro  rijjrenen  Sort^en,  wir 
wollon  ihr  die  »iiiseri«_(en  ni»  ht  atit "hi'irden.  —  Heer  ist  kein 

<leut~s(  hos,  sonch'rn  ein  (isterreieliiseh-nii^arisrlips  llej»r,  in  dem  nirlit 
nur  von  Ueehtswegen,  sondern  auch  aus  Itüok-^iohi  für  das  W»dd 
der  Arme«  kein  deutscher  Offizier  eine  8teUe  finden  sollte,  der  mit 
seiner  Mannschaft  nicht  in  deren  Sprache  reden  kann.  Die  Hohe 
Dynastie  gar  nicht  zn  erwähnen,  wäre  das  Allerschickliehste.  we- 
nigstens solange  Frans  Joseph  I.  lebt.  Die  Hohe  Dynastie  lässt  seit 
einem  halben  Jahrhundert  die  Prinzen  in  der  ungarischen  Sprache 
unterrichten.  Kaiser  und  K$nig  Franz  Joseph  —  mSge  er  ddch 
.  noch  recht  lange  leben  I  —  ist  den  Deutschen  sehr  wenig  Dank 
schnldig.  Denn  wo  waren  denn  alle  deutschen  Gelehrten,  als  man 
die  Hohe  Dynastie,  trotx  ihrer  nr-uralten  Rechte,  ans  Deutschland 
verdrängte?  Und  jetzt  «Irohen  sie  »mit  dem  Drucke  einer  mäch- 
tigern Hand!**  Ja,  im  Artikel  der  ..All'^em.  Au^^sh.  Zeituno^"  vom  i'O. 
Pebr.  1882  spriclit  es  Dr.  Heiuze  tijanz  deiitlicii  aus:  „Asiaten  woIKmi 
als  Asiaten  hetraeiitei  und  behandelt  w«M'den,  auch  wenn  sie  in 
Europa  wohnen  !'*  —  Ungarn^  oder  wenn  ISie  wollen,  Magyarien,  kann 
ohne  die  Hohe  Dynastie  niclit  gedacht  werden.  Wem  gehört  denn 
die  mächtigere  Hand,  deren  Druck  auch  Ungarns  König  empfinden 
müsste  ?  Und  wer  soll  die  Asiaten,  d.  h  König  und  Ungarn,  asia- 
tisch behandeln  ?  Hat  wohl  der  Herr  Doctor  alier  Rechte  bedacht, 
was  seine  Drohung  bedeutet?  Ist  der  König  von  Ungarn  euch 
deutschen  Gelehrten  nur  ein  Kosakenhetman,  ein  indianischer 
Kazike?  Nun  so  werden  wir  ihn  als  unsem  König  gegen  Euch  ver^ 

*  Hungarica,  Seite  22. 


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'WOBBB  DER  HASS'OMm  HHOAlir.  361 

theidigeii,  und  in  diesem  Kuini[tfe  werden  sich  gewiss  alle  Deutsche 
Ungarns  an  die  Magyaren  unschliessen  und  mit  ihnen  wetteifern! 
Sehen  Sie,  Herr  Doctor,  was  Sie  da  so  leichtiiin  geschrieben  haben, 
überwiegt  bei  Weitem  alles  Geschwätz  politisch  unzurechnungs- 
fehiger  Narren,  das  Sie  so  fleissig  in  ihrem  Buche  gesammelt  haben. 

Und  dennoch  sind  Sie  noch  zu  entschuldigen,  man  hat  sie  • 
mit  iQgneriflchen  Naehriehten  getäiucht  In  einer  Stelle  Ihres  Buehes 
behaupten  Sie,  die  ungarische  Regierung  hätte  auch  die  Spemmß 
des  hemanstädter  Theaters  versucht!  Das  kann  ich  nicht  glauben, 
es  scheint  mir  einfach  unmöglich  zu  sein.  Doch  ich  kann  das 
Gfgentheil  nicht  behaupten,  weil  ich  mich  darüber  in  Hermanstadt 
nicht  erkundigen  kann.  Sie  schreiben  aber  in  Ihrem  Artikel  vom 
20.  Febr.  1882,  y,dass  der  lutherische  Geiieralconvcnt  des  eicjenttichen 
IJrujarns  jüngst  tcirJclich  das  DnUscJie  aus  dem  Lehrjüan  'deiner  MH- 
tdsrladen  gestriclwn  Jiahc."  Damit  hat  Sie  jemand  abscheulich  an- 
gelogen. Ich  bin  Mitglied  des  lutherischen  (u'neralconyente.s,  noch 
mehr,  ich  i'Uhre  den  Vorsitz  in  dem  Ceutralausschuss  der  vier  Snper- 
intendenzen  über  das  Gymnasialwesen  derselben.  Ein  solcher  An- 
trag wäre  nothwendiger  Weise  zur  Begutachtung  dem  Gentralaus* 
schuss  Toxgelegt  worden.  Ich  weiss  nichts  you  einem  solchen  An- 
trag, und  der  GeneialconTent  bat  gar  keine  Ahnung  davon,  was  Sie 
über  ihn  berichten.  Es  ist  einfiach  eine  grobe  Lfige. 

In  nnserm  öffentlichen-  und  Privatleben  giebt  es  gar  Vieles, 
das  Tadel  verdient,  und  wir  selbst  sind  gar  nicht  in  ^e  eigenen 
Fehler  verliebt  Aber  einen  Hass  gegen  das  Deutschtum,  gegen 
deutsche  Wissensclmlt,  deutsche  Tüchtigkeit  dürfte  doch  Niemand 
als  Charalcterzng  weder  dem  öü'eutlichen  noch  dem  Privatleben  in 
Ungarn  vorwerfen.  Wohl  haben  wir  der  politischen  Narren  und 
gedankenlosen  Schreier  genug,  vielleicht  sogar  mehr  als  es  an- 
derswo giebt,  weil  wir  eher  zu  viel  als  zu  wenig  Freiheit  besitzen. 
Anderseits  aber  wagen  wir  zu  liehaupten,  dass  sich  unter  um  hein 
ernster  Maum  finden  dnrftey  der  in  solcher  Weise  Hass  gegen  dos 
deutsche  Weeen  verkflnden  und  verbreiten  wollte,  in  welcher  Weise 
angesehene  deutsche  Gelehrte,  die  man  doch  für  ernste  Männer 
halten  muss,  gegen  Ungarn  Hass  predigen. 

Paul  Hdnfalvt. 

Ihiattliehe  Beme^  IWB.  ZV.  Beft.  24 


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362 


DU  ifeDiiAamstBORiN  vnHUfiiiaBi  tmoAii». 


DIE  EliDMAüNETISCHEN  VERHALTNISSE  UNGARNS. 

WoU  Kiemaiiclem  dürfte  es  hente  in  den  Simi  kommfln,  die  Fhge 
ni  stellen,  wosn  denn  eigentfieb  die  Beobecbtongen  des  Ürdnwgnelis- 

muH  dienen,  und  ob  sie  überhaupt  auch  praktische  Bedeutung  haben. 

Stehen  doch  Krdmag1leti^)muH  nm\  amlere  kosmische  Erscheinan- 
gen  4or  Erde  erfahrnngsgemäss  in  unverkennbare ni  Zusammenhange 
und  nnus  es  doch  als  eine  der  wichtigsten  wissenschaftlichen  Aufgaben 
betrachtflft  wwden,  die  VertheUnng  und  Ändempg  sowie  die  Gesete- 
mlsaiglceit  des  Brdmagiietismiis  an!  dem  gansen  Erdball  feetEOsteUen. 

Ja»  der  Peldmesser,  derPorstmaim,  der  Bergingenieur,  der  oft  nur 
mtt  der  Bonssole  arbeiten  kann,  woher  entnimmt  er  denn  die  Angaben, 
mittels  welcher  er  seine  Messungen  auf  den  Meridian  rednziren  kunn, 
wenn  nicht  aus  den  Resultaten  erdmagnetischer  Beobachtungen?  — 

Sehen  wir  nun  zu,  wie  es  mit  der  Kenntniss  der  erdmagnetiachen 
Verhältnisse  Ungam's  in  firttherer  Zeit  bestellt  war,  und  wie  wir  gegea* 
wlrüg  damit  stehen. 

Ober  die  erdmagiietisefaeii  Verfalltmsee  Üagani*8  sind  ans  lUerer 
Zeit  nur  sehr  wenige  Daten  bekannt.  Hansteen  gibt  In  seinem  an^ 
dehnten  Werke  *  die  magnetische  Deklination  von  vier  Ponkten  Un- 
gam*8  ans  dem  Jahre  1696,  und  zwar  : 

„Biya  10**  19' 

Erlau  (Agria)  9°  30' 

Ofen  (Buda)  10''  .  0' 

Segedin  10*  (K.« 

Leider  ist  die  Qoell^  ans  welcher  Hansteen  diese  Daten  entnahm, 
nicht  angegeben,  ebenso  wenig  der  Beobachter;  es  ist  jedoch  sehr 
wahrscheinlich,  da^s  sie  Ileisebeobachtungen  waren. 

In  demselben  Werke  befinden  sich  die  Werte  der  raagnetis»  he 
Deklination  von  Ofen  für  den  Zettraum  1781 — 1788.  Auch  hier  i^t  der 
Beobaohter  nnd  der  Beobachtnngsort  nicht  genannt,  doch  Iftsst  sich 
leiebt  nacbweiBen,  dass  die  Daten  ans  dem  Obsenratorium  der  Uni? er* 
sitst  an  Ofen  hentammen. 

Als  nflmlieb  diese  UniTOfsitlt  von  Tyman  (Nagy-8zombst)  un 
Jahre  1777  nach  Ofen  verlegt  wurde,  erhielt  sie  in  der  königlichen 

*  Untomielmageii  über  den  M agnetiamua  der  Lrde.  Chhütiania  1819. 


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DIE  £&DMAONKT]SCHEH  VEBUÄLTNldSK  UNäASllS.  863 


Barg  am  Festuagsbeige  ein  astronomUches  und  meteorologisches  C)l>- 
ffirvatoriiuii. 

Der  damalige  Astronom  und  Vorstand  war  Pater  WeiiB,  S.  J. ;  nach 
dessen  im  Jalire  1785  erfolgtem  Tode  ftbemalmien  die  Eigesniten  Pater 
Frans  Totidber  und  Pater  Frans  Bruno  die  Leitung  des  Obüenratorinm's. 

Die  Original-BeobachtangM  gingen  indess  verloren,  wshrschein- 
Vu  h  Wiiliieuil  der  Zerstörung  von  Seite  des  I'öbels,  deui  nacli  Kiniiahuje 
der  Festung  Ofen  am  23.  Mai  1849  auch  die  ätemwarte  tun  Gerharda- 
(Bloiks-)  berge  bei  Ofen  zum  Opfer  üel. 

Als  im  Jahre  1780  in  Mannheim  die  KSocietas  meteorologica  Pala» 
tina**  entstand,  war  Pater  Weiss  einer  der  ersten  die  lieilrateo.  Die  Instra- 
mente  worden  von  der  chnrRkrstlichen  Akademie  ans  Mannheim  ange- 
schafft, und  die  meteorologischen  BeoHachtnngen  sn  Ofen  begannen  am 
8.  November,  die  luagnetiüchen  um  14.  Dezeml'er  1781,  also  vor  fast 
genau  hundert  Jahren. 

Diese  Aufzeiohnungen  blieben  glückliclierweise  in  den  »Epheme- 
rides  Societatis  meteorologicae  I*alatinae,  Mannbeimü^  erhalten;  und 
in  dieser  Zeitschrift  finden  wir  auch  NSheres  über  den  Stand  und  die 
Einriehtang  der  Inatnunente* 

Zur  Beobachtung  der  Deklination  diente  eine  Bonssole  mit  einer 
8  pariser  Zoll  langen  Nadel,  die  auf  einem  Gnoinon  postirt  war.  Dia 
Äblo-ung  gcsebah  mittels  eines  Xoniusses  bis  zu  3  Bogenminuten  genan 
und  zwar  Vonnittagd  7  Uhr,  Nachmittags  zwisrhen  2  und  9  Uhr. 

Die  ßou^f<ole  war  in  einem  sieben  Klafter  breiten  Saale,  im  vier- 
ten Stockwerke  des  Observatoriums  aafgestelllJBslftsst  sieh  voraossetsen, 
daas  die  Mittagslinte  mit  derjenigen  Genauigkeit  bestimmt  worden  war, 
welche  das  Instrument  gestattete,  indess  konnten  die  in  der  Sternwarte 
TorfaandAnen  Eisenmassen  (es  befand  .sich  dort  ein  seeh^fOssiger  Hftuer- 
qnsdrant  aus  Kisen)  nicht  ohne  störenden  Einfiuss  auf  die  Angaben 
dfr  Nadel  wirken.  Leider  wiäseu  wir  nicht  ob  dieser  l*2iniiu^  erforscht 
und  die  Beobarbtungen  davon  befreit  wurden. 

Die  Mittelwerthe  der  Deklinationi  die  wir  aus  dem  grossen 
Werke  des  Direkteres  der  k.  nng.  meteorologisflien  und  erdmagneti* 
sehen  C^tralanstalt,  Dr.  Guido  SohenaPs  entnehmen  *  waten  wie  folgt : 

*  ßeitrftge  zur  Kenntnias  der  erdmagneti  sehen  Yerhftltniase  in  den 
liänderu  der  ungarischen  Krone;  Budapest,  Verlag  der  k.  nng.  Natnrwiss. 
QeMibchalt.  i88L 


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364 


DIE  ERDMAOKBTISCIIEN  VKKHÄLTMövSE  ÜKGABNS. 


Jahre                                     Deklination  gegen  Weet 

1782    15°  31' 

1783    15  36 

1784    15  8j» 

1785    15  48 

1786    15  58 

1787    15  55 

1788    10  4 

1789    16  2 

1790    16  3 

1791   16  4 

1792    16**  6' 


Die  meteorologischen  und  magnetischen  Beoboehtnngen  am  ObM^ 
vatorinm  zn  Ofen  worden  anch  nach  AnflOsung  der  mannheimer  OeaeU' 

fichaft  fortgesetzt,  nnd  mir  ans  dem  Grande  nicht  publiziii.,  weil  hieai 
kein  geeignetes  Organ  vorhanden  war. 

Aus  den  Bruchstücken  der  meteorologisichen  iSrhriften,  die  Her 
Zerstörung  im  Jahre  184:i>  entronnen,  ist  ersichtlich,  dass  am  22. 
Januar  1800  eine  neue  BeobachtongSFeihe  begann,  die  sich  anf  7  Uhr 
Voimiitaga  nnd  3  nnd  8  Uhr  Nachmittags  besog.  Wie  lange  die  Auf* 
zeiohnnngen  fortgesetzt  wurden,  ist  nngewiss ;  jedoch  kann  mit  Sicheiheit 
behauptet  werden,  ,  dass  sie  schon  im  Jahre  1810  unterbrochen  wurden. 

Da  von  keinem  dieser  Jahre  eine  vollständiiire  ]ieoba<  htunsjffreilie 
voilianden  ist,  tlieilen  wir  hier  nur  zwei  Monatsmittei  der  DeklinatioD 
auH  1800  und  1802  mit : 

1800  Juni  15''  53' 

1802    n  15**  47-5' 

Aus  diesen  Daten  scidie'st  Dr.  Schenzl,  dass  die  westli«  iie  Dek- 
lination zu  Ofen  ihren  ijrüssten  Wert  um  das  Jahr  1795  erreiilite, 
während  v.u  Paris  da»  Maximum  der  westUcben  Abweichung  im  Jabre 
1814  beobachtet  wurde. 

KOn.  Beigrath  Julius  lUinay  verglich  Altere  GrubenplAne  mit 
neueren  Messungen,  nnd  stellte  daraus  iür  Nagy^BAnva  (BeigHtadt  an 
1Tngam*8  Östlicher  Grenze)  folgende  Reihe  zusammen  : 

Jahre  Dckhnation  go^'rn  West 

17S5  15°  30' 

1788    15  24 


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On  EBDIUOMKrillCHBll  TBBHALTHISSB  yMOABNS.  865 


Jabie  DekUoatioB  gegen  West 

1796  .    .   .   .  ♦   14**  61-5' 

1806   Ii  22*5 

1812    12  55-5 

1816    12  49-5 

1835    11  100 

1844    9°  13-5' 


Demnach  fit-l  dus  Muximum  der  wostliehen  Abweichung  in  Nagy- 
Bänya,  das  um  4^  34'  östlicher  als  Budapest  liegt»  in  das  Jahr  1785 
oder  noch  früher. 

Dies  ist  Alles,  was  wir  an  Batan  über  die  erdmagnetisehen  Ver- 
hültnisse  Ungam's  ans  den  früheren  Jahrhunderten  und  der  ersten 
Hälfte  des  gegenwartigen  Jahrhunderts  beeitsen. 

Dr.  Karl  Kreil,  Direktor  der  8t6mwarte  zu  A'ag,  spBter  der  k.  k. 
Centralanstalt  für  Meteorologie  und  Erdmagnetismus  zu  Wien,  der  in 
nielii  weniger  als  229  Stationen  die  ordmagnetiscben  Konstanten  be- 
stiimntv;,  bereiste  in  (ba*  Zeit  1847 — 1857  Ungarn  t>iel»ennuil  und 
stellte  an  fünfzig  iingari-clien  Stationen  genaue  Ueobaclitungen  an.  * 
Die2»e  Stationen,  von  W«'st  gegen  Ust  ge/.HliH,  sind  die  folgenden  : 

Fiunio,  Kai'lstadt,  Agram,  Steinaraanger,  Petrinje,  Warasdin, 
Odenburg,  Bellovsir,  Pros/.biirg,  Neii-Gradiska.  Trencsin,  Keneso,  Neu- 
SKÖny,  Fünfkirchen,  Esseg,  Tolna,  Scheninitz,  Ofen,  Liptö-Szt.- Wiklös, 
Losoncz,  Karlovicz,  Szegedin,  Ssolnok,  Erlau,  Semlin,  Kftsmark,  Leut- 
schan,  Temes^Ar,  Kasohau,  Arad,  Weisskirelien,  Tobg,  Debresin,  Gross- 
wardein,  Karansebes,  Ungvir,  Orsova,  Mebadia,  Dobra,  MunkAcs,  8sat- 
tair,  Vereozke,  Nagy-Bänya,  Gjula-Feh^ir  (Alba  Julia),  Klausenburg, 
Hennannstadt,  Bistrits,  Marofi^Väsirbely,  SchSssburg,  Fogaras. 

Kreil  gab  die  auf  den  1.  Januar  1850  reducirten  drei  erdmagne« 
tisdien  Elemente  in  Tabellenform  und  mac  hte  diese  Verhältnisse  auf  drei 
Karten  ei-sicbtlich,  deren  erste  die  Isogouen,  die  zweite  die  fsoklinen, 
die  dritte  die  Tsodynamen  <larstellen.  Pie  Isogonen  haben  im  Allgemeinen 
einen  zum  geographischen  Meridian  nahezu  parallelen  Verlauf;  nur  in 
Siebenbürgen  ist  eine  interessante  Anomalie  zu  bemerken,  wo  die  Iso« 
gone  um  die  Orte  Maros-VAsärbely,  Schttssbuig  und  Silchsisch-Begen 

*  Magnetiaehe  und  goographisclx?  Ortsbrstinuitungen  im  üsterroi- 
chischen  Kaisers tatate,  im  südöstlichen  Europ.i  und  einigen  Kü8tenpunkt<>n 


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-  366 


DB  1BD1IA0HBTI8CHEN  VEBHlLTinSSE  ÜMÖABV8. 


eine  föi  nilirho  Schlinge  ?>ilflpt.  I>er  X  erhuif  lUsr  rs<»klinen  un<l  Isodjna- 
tuen  ist  im  <  aussen  pai  jillel  «len  u;eogi  jijiIh-m  hen  Parallolkt  eisen. 

Von  den  Kreil'schen  Daten  heben  wir  nur  eine  hervor.  Di«;  auf 
den  1.  Januar  1850  reduxirte  Deklination  für  Ofen  beträgt  12^  26't>', 
wihreiid  dieselbe  m  Anfang  des  Jahrhundert'«  15'^  50'  war:  die  Ab- 
nahme der  Deklination  betrog  albo  wtthrend  fttnfxig  Jahre  etwa  d*^  24'. 

Nach  Kreil*«  Belsen  trat  in  der  Erforsohnng  der  erdmagaetischen 
Verhiltnine  abermals  eine  Pause  ein,  die  aber  glftcUichenreise  keine 
80  lange  war,  wie  die  vorige. 

Die  üng.  Akademie  bevchaüte  nltmlich  im  Jahre  1868  für  das  in 
der  Bealsehnle  zu  Ofen  anfgestellte  meteorologisehe  ObBenratorinm 
mehrere  Apparate  ftir  Erdmagnetismus,  und  es  begannen  auch  dann 
thatsÄchlieh.  unter  Leitung  des  damaligen  Direkt<tr's  der  Realsc  liiil»'.  Dr. 
(Jnidn  Srhenzl.  erdmagnetif^che  IJcobjichtnngftn,  die  seitdem  (von  1870  an- 
gefangen schon  in  der  besonderen  staatlichen  Centraianstalt  für  Meteoro- 
logie und  HrdmagnetismasI  in  ununterbrochener  Folge  anj^estellt  werden. 

Die  Unterstnteungen  der  ung.  Akademie,  spUtcr  die  Massnahmen 
.des  StaateR  und  das  Eingreifen  der  k.  ung.  N^t.  Gesellschaft  brachten 
schliesslich  diese  Angelegenheit  in  ein  Stadinm,  das  sowohl  der  Wichtig- 
keit dieser  Wisseasohaft  ab  auch  der  Wftrde  des  Staates  in  gleicher 
Weise  gerecht  wnrde. 

Dr.  Schensl  ftshied  nun  bald  tob  der  DirektioB  der  Bealsehnle, 
nm  als  Direktor  der  Laades-Centralanstalt  Ahr  Meteorologie  nnd  Brd- 
magnetismn!)  seine  ganze  Kraft  und  Zeit  derartigen  Untersuchungen 
zu  widmen.  Schon  in  der  Mitte  1864.  als  Bchenzl  im  Verein  mit  Prof. 
St.  Knieper  zur  Versammlung  der  ung.  Är/.le  nnd  Naturforscher  n?ich 
Mai  osvasfirhely  reiste,  ma«  htcn  sie  iintei  wej^f-  mehrere  geographis'  he 
und  erdraagnetische  Ortslu-siimmun-^en.  Die  Anerkennung,  welcher  die- 
ser erste  Versuch  in  Fachkreisen  begegnete,  veranlasst«  Dr.  Schonzl  in  den 
folgenden  Jahren  1865,  186t;,  1867,  1869  nnd  1871  in  Gemeinschaft 
mit  VtoU  8t  Krusper,  später  Prof.  Kondor,  femer  Prof.  6.  Ruvoffh 
in  Kecskem^t,  A.  JRoUer  in  Budapest,  I.  KwUMeTf  Observator  der 
Anstalt,  Dr.  R.  Sekrader,  Astronom  der  Sternwarte  m  Ö-Gyalla,  —  die 
besonders  interessant  scheinenden  Gebiete,  nlmlicfa  im  Norden  die 
hohe  Titra,  im  Süden  die  Kohlenlager  Iftngs  der  nntem  Donaa  in  den 
Kreis  seiner  Untersuchungen  zu  ziehen. 

Alle  diebe  späteren  Reihen  geschuh^ja  mit  materieller  UuteiHtüz. 


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* 


sä  BBNUiOvinscnnr  jwutLnuu  mradUun.  M7 

21111g  der  mig.  Akademie  «ad  enehienen  die  ▼oriftnfigea  Beentteto  der  Be- 
obechtnngeii  von  Zeit  su  Zeit  in  dea  MitheUungeD  der  Akademie  «nd  ein 

Brucbtbeil  in  den  geeigneten  auslSadiachen  Fachjournalen.  Es  bestand 
dumals  noch  nicht  die  Absicht,  diese  UnteiftUchungen  auf  «la«  ganze  - 
Gebiet  der  Ungarischen  Krone  autsziidehnen,  man  begnügte  sich  mit 
der  Aufzeichnung  einzelner ,  Biuammenbanglofier  Daten  und  deren 
sporadischer  Mittheilung. 

Kine  entschiedenere  Wendung  erhielt  diese  Angelegenheit  im 
Jahre  1Ö72,  ab  die  k.  ung.  Natnrwisäenschat'Uiohe  Gesellschaft  aus  der 
▼om  Reioheiage  bewUligten  Laadeanaterataitiiiig  Dr.  Guido  Sckenal 
mit  der  Uiiter^achiiiig  wid  der  BeMhreibiiiig  der  erdmagnetaacbeii  Ver* 
hlltmaee  dee  ungarifelieB  Beiehes  betraata,  aad  ihm  daaui  Gelegenheit 
gab,  die  sahlreieb  yoifumdeaea  Lftekea  der  iMsherigea  Statioaeii  ajate- 
malisch  la  ergMmea,  die  interesaaateien  Gebiete  wieder  la  bereieea 
aad  la  erforachen,  aUe  BaobaehfoageB  fllr  daaaelbe  Jahr  sa  berechnen 
und  da^  gerammte  Material  planmttssig  in  Form  einer  xusammenhän- 
genden  grossen  Monographie  zu  veriirbeiten. 

Jedoch  wurde  die  Erwartung,  da«8  die  Arbeit  innerhalb  dreier 
Jahre  vollendet  werde,  nicht  erRillt.  Im  Jahre  1872  -  1873  war  e«  die 
Cholera,  die  mehrere  Gegenden  de«  Landes  verheerte,  später  die 
an  der  Südgrenze  entstandene  Insurrektion  and  deren  Folgen,  die  die 
Arbelten  ven&dgerten  und  unterbmchen,  ao  daas  dieflelbea  erat  im  Jahre 
1879  xam  AbeohlaaB  gelangten. 

Eadliefa  konnte  daa  groese  Werk  im  Sommer  1881  eneheinea. 
Sein  beacheidener  Titel  laatei :  « JidoMM  a  magTar  korooilhoB  tartoao 
orsiigok  Aldmtfgnessflgi  nnonjainak  iameret^ea"»  j,Bßiträge  .rar 
Keaatniw  der  erdm^etiaeken  Veiliiltaiase  in  den  Ltodem  der  «aga- 
*  fiedien  Krone"!  mit  sw«i  Tabellea  aad  aeehs  Kartea,  im  Aallnige  der 
k.  ung.  NatarwiineaschaftUchen  (Gesellschaft,  Ton  Dr.  G.  8chenil. 
Dieser  be.<?cheidene  Titel  läKst  die  Ausdehnung  und  Vollständigkeit  des 
Werkes  kaum  verinuthen.  Da^sselbe  hat,  wie  alle  auf  die  ungarischen 
Naturverhältnisse  bezüglichen  Publikationen  der  k.  ung.  Naturwissen- 
schaftlichen Gesellschaft,  kolumnenweise  ungarischen  und  deutschen 
Text  and  betrttgt  69  liogen  in  Gross-Quart.  Die  erste  Tafel  enthält 
Kr&üs  Aufnahmen,  die  zweite  diejenigen  SchensPs ;  ebenso  enthalten 
die  drei  ersten  der  sechs  Karten,  Kreü*s  magnetische  Karreni  die  leta- 
teraa  drei,  die  ana  8eheBsl*a  If eaeaagen  folgenden  Linian. 


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868 


* 

DIB  BBOMAOintTlBCHBN  VSBHil/llllBSB  UKOAlfflS. 


In  der  ausgedehnten  Einleitung  gibt  Schen/-1  eine  liistoi  istlie 
Obersicht  der  bidherigen  enl magnetischen  Me^;^ungen  in  Ungarn ;  hier- 
auf folgt  die  Beschreibung  der  bei  seinen  Messungen  benützten  Apparate, 
der  befolgten  Methoden;  die  Mittheilnng  der  Formelii,  die  der  Berech- 
nnxig  zu  Onmde  gelegt  wurden.  Anf  Seite  25 — 521  ist  das  riesige 
Beobadhtiingsmateiiel  gegeben,  nnd  xwor  mit  einer  AnsfElbrliohkeit» 
die  jede  Zahlenangabe  des  Verfassers  zn  verfolgen  nnd  m  IrontrolireB 
gestattet.  Nicht  weniger  als  1^0  vollstän<lige  Aufnahmen,  die  sich  auf 
IJf^  Stationen  beziehen,  sind  detaillirt  mitgetheilt ;  die  Differenz  von  13 
ergibt  sich  durch  zwei-  oder  mehrfache  Aufnahmen  derselben  Station. 
Unter  diesen  113  Stationen  finden  sich  die  obigen  fün&ig  Stationea 
Ereü*s  fiMt  ausnahmslos  wieder,  die  übrigen  sind  neue  Stationen,  in 
welchen  bis  dahin  noch  keine  erdmagnetischen  Me^songen  angestellt 
waren.  Es  sind^diee,  wieder  von  West  nach  O^t  geiahlt»  folgende  Orte : 

Sissek,  Oünz,  Herenj,  Gross-Kanizsa,  Klein-Zell,  Kessthelj,  Alt- 
(iradiska,  'J'yniau,  Bakouybel,  Herend,  Pannonhalma,  Kaposvar,  Pöstyen, 
Tihany,  Vespriui,  Brood,  Neutra,  Komom,  0-Gyalla,  Nedanöcz,  Greg- 
Tagyos,  Stuhlweissenburg,  Gran,  Zsolna,  Düna  Szekcso,  Vinkovce,  Krem- 
nitz,  Biga,  Kalocsa,  Zombor,  Waitzen,  Balassa-Gyarmat,  Szada,  Arva- 
Ujhelj,  BreznÄbinja,  liaria-Theresiopei,  Hatran,  Kecskem^t,  Salgo- 
Tm4a,  Nensate,  Buna-Siombat,  Schmeka,  Gross-Kikinda,  Bosenan, 
Miskolcs,  B^k^Osaba,  Eperies,  Werschets,  Badna,  Oravicsa,  Gsiklova, 
Gurahoncz,  Maros  lllye,  Csucsa,  Hnszt,  Petrozseny,  Felvincz,  Miramaros- 
Szigeth,  Dees,  Medgyes,  Abafäja,  Szekely-Udvarhely,  Kronstadt,  Cäiksze* 
reda,  Kessdi-Väsarhely. 

Im  folgenden  Kapitel  erlUuteit  der  Verfasser  die  Methode,  welche 
er  TOT  Umreohnnng  der  Beobaehtongen  anf  eine  bestimmt^  Pexiodfl^ 
und  zwar  den  1.  Jannar  1875  benützte.  Schenzl  wShlte  diessn 
Zeitpnnkt,  weil  er  von  der  Kreirschen  Periode  gerade  ein  yiertel  Jahr- 
-hundert  entfernt  ist  Wenn  nnn  nach  Ablanf  eines  viertel  Jahrhnnde^ 
tes,  etwa  um  tlas  Jahr  1900  wieder  eine  erdmagnetische  Landesver- 
messung veranstaltet  werden  sollte,  kann  vielleicht  das  Gesetz  der 
säcularen  Änderungen  der  magnetischen  Elemente  erforscht  werden ; 
*  jetzt  sind  wir  jedoch  nur  in  der  Lage,  da^  jährliche  Mittel  dieser  Ande- 
rangen  aus  den  einen  grosseren  Zeitraum  umspannenden  Daten  za 
berechnen.  Von  1850  bis  1875  betrSgt  die  jährliche  Abnahme  der  De- 
klination in  Ungarn  etwa  7Vs  Bogenminuten,  die  ganze  Abnahme  etws 


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DIE  EBDJtfAGMETlSUHBN  VEUHALTNlfvSE  UNGABH8.  369 

rlrei  Grad  ;  die  jährliche  Abnahme  der  Inklintttioa  iäi  viel  geringer,  für 
Badapesi  etwa  1*4  Bogenminutes. 

Wir  wollen  Uer  die  absoluten  Werthe  der  Deklination  und  Inkli- 
oation  Ar  Bodapeet  mittelen.  Wie  schon  erwKfant»  erreiobte  die  De- 
klination nm^s  Jahr  1795  das  Maximnm  16^  10' ;  yon  da  ab  sank  sie 
1800  auf  15^  58',  1848  auf  12*26',  1857  anf  11**  28'  1875  auf  9» 
23'.  gegenwärtig,  1881.  betrugt  sie  nur  8°  40'.  Die  Inklination  war  1848 
63^  20',  1875  62°  39'  und  gegenwärtig  02°  31'. 

Im  letzten  Kapitel  sind  die  Anomalien  der  magnetischen  Kurven 
(Brian,  Sohemniti,  Tok^j,  Peterwardein,  Orayieia,  Nagybdnya,  und 
jenadtB  des  Kdnigssteigee  in  der  Umgebung  Schtosbnrg's)  detnillirt 
behandelt  und  deren  lokale  Ursachen  analysirt  Zahlreichere  künftige 
Beobachtungen,  mit  vollkommeneren  Appai^aten  angestellt»  werden  sicher- 
Itcb  zur  Lösung  solcher  Fragen  tühreii.  die  in  diesem  Kapitel  gerade  nur 
angedeutet  sind.  Die  späteren  Beobachter  werden  wenig.stens  orientirt 
sein,  auf  welche  Punkte  sie  ihre  Aufmerksamkeit  besonders  zu  rieb- 
im  haben.  — 

AJber  nicht  bloss  die  räumUdie  Vertheüung  des  firdmagnetismiis 
ianerhalb  Uogani*8  Chrenzen  untersuchte  Sehend,  sondern  er  verfolgte 
and  beobachtete  seit  1861  konsequent  die  seitlichen  Änderungen,  für 

Badape-üt,  wodurch  im  Anschlnnse  an  andere  Observatorien  die  Lösung 

der  Frage  über  die  Periodicität  der  erdmagnetiscben  Kraft  und  ihr  Zu- 
äammcnliang  mit  anderen  periodischen  Erscheinungen  der  Natur  ange- 
bahnt wird. 

In  dkeem  stattlichen  Bande,  mit  dem  Guido  Schenxl  Ungam's 
Lüentnr  berekhertef  liegt  die  ununterbrochene  Arbeit  von  sechssehn 
Jahren  vor  uns.  Wenn  wir  bedenken»  welch*  grosse  geistige  Arbeit,  wie 
▼id  Beisemfthen  aus  diesen  Zeilen  zu  uns  sprechen,  und  wenn  whr  dieje- 
nige Arbeit,  die  in  Italien  ein  Denza  mit  vier  Assistenten  und  einer 
Staatssubvention  von  16,000  Fi-s  vollführte  vergleichen,  mit  der,  welche 
bei  uns  ein  einfacher  Ürdensgeistlicher  *  mit  einem  oder  dem  anderen  gu- 
ten Freunde,  und  einer  vom  Staate,  von  der  Akademie  und  der  Natur- 
wissensohaitlichen  Gezelisohaft  einzeln  erbetenen  Subvention  von  zu- 
ssaunen  2000  fl.  und  einer  Summe  von  etwa  1500  fl.  aus  eigenen 
Mittebi,  an  doppelt  so  vielen  Stationen  in  zweifiich  gr(toserer  Ausdeh- 

*  Dr.  Guido  Schenzl  ist  Capitular  der  Skt.  Benedikte-Abtei  au 
Admont  in  Steiermark. 


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870  KVBEi  snsciTomiiüin. 


niing  zu  St^mle  brachte,  ergreift  uns  ein  tiefes  Geffthl  <ler  Achtuui^ 
für  «liesen  Mann,  der  seine  I'flichten  pef^en  sein  Adoptivvatei'land  in  so 
edler  Weise  uad  reichlichstem  Mattöc  erfüllte. 

Pkof.  Kuloman  V.  SZILI. 


KÜRZE  SiTZUNGSBEKICHTE. 

VolkmvirtlMolitftliolit  imd  ititittiiolie  CMimittioii  der  Akideiiiie. 

iSitxuag  vom  19.  Jamiar  1882.  —  Gegensland  :  ReichstagMal^ordtteier 
AuxAMDBE  HtoiDüs  referirt  aber  die  inißniaiionale  MiMunferm». 

Voraiixeiider  Graf  IfoiiC-moB  TAHXAr,  —  Amwesend  waren  :  Lso 
Bfatht,  Oraf  AüRin.  Dbssbwfpy,  Dr.  Julius  Qwa/tCEY,  Johann  Hunfalvv, 
Dl.  Jllil>  Kautz,  Kakl  Kelkti.  —  Schriftführer  :  Dr.  Bkla  Földk.-!  (Weisz). 

Der  Vortragende  erläutert  jenes  Referat,  welches  er  iils  Vertreter 
Her  ungarischen  Regierung  auf  der  inteniationalen  Mün/konferenz  zu 
Paris  an  den  ungarischen  Finanzminister  richtete.  Er  findet  eine  der 
Hauptn rsachen  des  Misslingen^  der  Conferenz  in  dem  ümstandei  dass 
die  Gonferens  niohi  mit  einem  bestimmten  Zweck  und  mit  einem  be- 
stimmten Phigramm  einbemfen  wurde ;  Mitglieder  der  Gonferens  waraa 
thefls  (belehrte,  theils  Diplomaten,  theils  von  den  betreffenden  Regie- 
mngen  änfgelbrderte,  saftUig  in  Paris  anwesende  Personen»  Die  Gbn* 
ferenx  war  ftberhaupi  nieht  entspreehend  ?orbereiiet  Beforent  bieli 
sieb  streng  an  die  Weisung  des  Finananinisters,  welebe  eine  reservirte, 
beobaebtende  Stellung  gebot,  wie  die<r  ancb  von  Seite  der  öslerrdcbi- 
Bchen  Regierung  geschah.  Referent  hält  vom  wi.ssenscbaftlichen  Stand- 
punkte blos  den  Monometallismus  für  ^'ererhtfei  tigt,  cla  beständiges 
Werihmaa^ss  nur  ein  Metall  .sein  iiann  ;  der  Himetallisinus  besitzt  keine 
wi8sen8chaftliche  Hasis  ;  .^eine  ijedeutendsten  Vertreter,  Arendt  in  Deutscli- 
land  und  Cernuschi  in  Frankreich,  vermögen  nicht  desi^en  innere  Oo' 
rechtigung  zu  beweir^en ;  der  £ine  weist  nnr  nach,  dasn  bei  der  deutschen 
Mttnireform  Fehler  begangen  wurden ;  der  Andere  beweist,  dass  die 
Depredation  des  Silben  ein  grosses  Uebel  ist ;  aber  keiner  von  Beiden 
bew^t»  dass  die  Doppelwibrung  und  namentUeb  das  Verblltniss  von 
1 :  15  Vt  zwischen  Silber  und  Gold,  die  berrsehenden  Uebel  an  beseitigen, 
resp.  die  zukllnftigen  an  veriiindem  vermöditen.  Es  unteiUogt  aatfirlioh 
keinem  Zweifel,  dass  die  Depredation  des  Silbers  eine  Calamittt  Ist»  uad 


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KÜBZZ  äIT2UM0SBESICHTl.  871 

das8  es  wünsch en-swertb  wäre»  die^e  (  'Hluiuttäi  wenig:itens  nicht  weitei' 
greifen  zu  hwsen ;  da-ss  es  aber  möglich  wäre,  das  Werth verhältniss 
beider  Edelmetalle  auf  die  frühere  ßeiaiion  zurückzuführen,  gUabt  der 
Vortragende  nicht.  Dass  aii«jh  bei  monometalUstischein  System  mehr 
Silber  in  den  Verlrahr  eindringe,  das  hilt  er  ancb  dorcb  andere  Mai«*  , 
regeln  für  erreicbbar.  Der  eine  Weg  wtre  der  dnroh  die  dentäche  Be- 
gierong  voi^eecUagene  Weg,  die  goldenen  Fttnftnarkstflcke  ond  die 
kleineren  Papieneioben  einnuieben  ond  durob  Sflberstfloke  ta  ersetzen. 
Femer  die  Annahme  eines  andern  PrägnngsverhSltnisses.  Ein  gleichem 
Kx|)€<liens  wäre,  wenn  die  englische  LJank  gemiis^  der  Feelukte  wirklich 
ein  Fünttel  ihrer  Noten  mit  Silber  decken  würde.  Auch  in  den  andern 
SUiaten  .-iollte  das  SilltergeM  vermehrt  weiden  und  zwar  gleich lalU 
durch  Einziehung  der  kleineren  Cteldmünzen  und  i'apiergeldzei»  iicn. 
Diese  Verfügungen  würden  den  Preis  de:;»  Silbers  heben  und  da  hie- 
durch  ein  bedeutendes  Quantum  Gold  frei  würde,  wäre  die  Durchfüh- 
mng  der  Goldwährung  erleichtert.  Beferent  hält  es  für  onwabrscbein* 
livb,  dass  aacb  ein  alle  civilisirte  Staaten  umfassender  Münzbnnd  em  festes 
Verhältniss  zwischen  Silber  nnd  Gold  zu  diktiren  TermOchte ;  denn  das  • 
in  Binden  der  Speculation  nnd  der  Indnstriellen  befindliche  Edelmetall 
ist  bei  weftem  grosser,  als  das  von  Seiten  des  Staates  für  die  Mttnz* 
prägung  benötbigte  Quantum,  und  so  können  diese  Faktoren  das  Wertb- 
verhftltniss  jedesmal  slteriren,  sobald  die  Produktion»-  nnd  Verkehr»- 
verhältni.s>e  der  Kdelinctalle  hiezu  (Jelegonheit  bieten.  Redner  er- 
blickt einen  Grund  des  Mis.>lingens  der  Konferenz  in  «leiii  Umstände, 
da^s  die  fanatischsten  Binieialli^ten,  wie  Arendt  und  Cernuichi,  ihre  Ke- 
gierungen  vor  einer  unvoisit  htigen  Ausprägung  von  Hilbcrmünzen 
warnen.  Auch  gleiche  Uestimmungen  der  Legirungsverhälthisse  und 
eine  Verbreitung  des  CheqUesystems  wären  wünschenswerih.  Kr  hofft, 
dass  bei  einer  Vermehrung  des  Metallgeldes  auch  latentes  Gold  und 
Silbergeld  zum  Vorschein  kttme.  Jedenfiüls  kann  eine  endgUtige  Bege- 
hmg  nnr  anf  Basis  des  Monometallismus  erfolgen. 

Prof.  Dr.  Kauts  findet  es  erfireulich,  dass  der  Monometallismus  auf 
derPeriserConferenz  energisch  betont  wurde.  Er  bedauert,  dass  die  nn« 
gariscbe  Regierung  eine  so  einscbrSnkende  Direktive  ihrem  Vertreter 
gegeben,  was  mit  dem  bewussten  Vorgehen  der  ungarischen  und  Öster- 
reichischen Kegierung  im  Jahre  1867  im  Widerspruch  steht.  Das 
ÖcheiLem  der  (Jonferunz  erklärt  er  aus  den  heterogeueu  Interessen  der 


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» 


872  XUBSS  SmoVOiniBBICBTB. 

I 

tiidlnehmenden  Staateiii  nunentlieh  daraus»  dass  die  Vereitiigteii  Staaten 
und  Franlcreioh  die  Gonftiraiiz  benützen  wollten,  um  aoe  ihren  Silber- 
kalamitllten  heransznkonunen.  Die  Ergebnisse  der  Conferenz  beetttiigen 

die  Ton  so  bedeutenden  Fadimttnnem  wie  Ctöschen,  Fawcett,  Oiffen,  Knies, 
Nasse,  Roscher.  Soeibcer,  Leroy-Beaulieu  und  A.  vertretene  Theorie  des 
Monometallismus  und  beweisen,  dass  der  Bimetallismus  der  Wulowski, 
Arendt,  Cernuschi,  Dana  Horton  auch  in  internationaler  Form  undurch- 
tuhrbar  i^it.  Er  unterschiitzt  nicht  die  Schwierigkeiten  des  reinen  Mo- 
nometallismus, und  bedauert  gleichfalls  die  Depreciation  des  Silbers. 
Oodi  wäre  dem  letztern  durch  die  von  dem  danischen  Staatsrath  Levy 
vorgeschlagenen  Mittel,  sowie  dnrch  jene  Verfügungen  abiznhalfen, 
welche  er  in  seiner  Arbeit  «a  Umginz  valutäröl**  (ftber  die  MetaUmünx- 
frage)  Torschlng.  Znm  S^hlnas^  drückt  er  den  Wunsch  ans,  es  möchten 
die  beiden  Begiemngen  Oesterreichs  und  Ungarns  Torbereitende  Be- 
rathnngen  einleiten,  dass  ans  eine  etwaige  LOsnng  der  Frage  nicht  un- 
vorbereitet treffe. 

Kasl  Keleti  theOt  nicht  die  Ansicht  Hegedfis^s,  dass  nur  der  Mo- 
nometalli5«mus  wijjsenschaftliche  Berechtigung  habe;  eine  Theorie,  die 
80  unüber\vintlli(  he  Schwierigkeiten  in  der  Praxis  verursacht,  hat  keine 
Berechtigung.  Auch  ist  die  Behauptung  unrichtig,  da.s.s  das  (leid  nur 
VVerthmesser  sei ;  es  ist  auch  Verkehrsmittel  und  als  solches  hat  auch 
das  Silber  seine  Berechtigung.  Der  Feliler  des  Bimetallismus  liegt  nur 
darin,  dass  er  das  den  Umständen  nicht  entsprechende  Verhältniss  von 
1 !  15^1  aufrecht  erhalten  wiU.  Es  mnss  ein  anderes  Verhfiltniss  aocep- 
tirt  werden  nnd  anch  dieses  rnnss  wieder  gelndert  werden,  wenn  es 
die  UmstSnde  erfordern. 

Dr.  BtLk  FöLDBB  hätte  ein  energischeres  Auftreten  der  Osterndchi- 
schen  und  ungarischen  Vertreter  auf  der  Conferenz  gewflnscht»  da  diese 
als  unparteiische  Tfaeflnehmer  einen  ESniluss  auf  die  Versammlung 
hfttten  gewinnen  können.  In  dem  Vortrage  vermisst  er  die  Beant- 
wortung dessen,  welcher  Valuta  sich  jene  Staaten  bedienen  sollen,  welche 
bei  dem  begränzten  Quantum  an  Geld  diese  Währung  nicht  einführen 
können.  Die  Gefahr  des  Bimetallismus  liegt  dai-in.  dass  er  ein  vorüber- 
gehendes üebel  durch  ein  bleibendes  heilen  will.  Denn  die  Ursachen 
der  Depreciation  des  Silbers  sind  voräbergebende ;  die  Werthschwan- 
kungen  bei  Doppelwährung  würden  dagegen  fortwährend  drohen.  l>er 
BinietaUismns  kann  nur  dann  sein  Ziel  erreichen,  wenn  er  mit  den  Ver* 


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EOliKi  BITEDHOSB^CflTB.  '  878 

* 

bSltnissen  im  EinUang  ist, -und  dann  ist  er  nicht  notiiwendig.  Die 
Losung  der  Valutafrage  kann  nicht  gelingen,  insolange  in  den  Produe- 
tions-  und  Consumtions-Verhältniääen  der  Edelmetalle  keine  grössere 
Stabilität  eintritt. 

Graf  MEi.cinnR  Lönyay  weist  nainentlit  li  auf  den  Vorgang  zur  Zeit 
der  Münzconferenz  vom  Jahre  1867  hiu,  wo  er  als  ungarischer  Finanz- 
minister die  Direktive  der  Vertreter  festsetzte.  Gegenwärtig  spricht  er 
sich  zu  Gunsten  der  Doppelwährung  ans.  Das  Gold  allein  genügt  nicht» 
um  dem  Bedfirfniag  das  Verkehrs  in  genfigen.  Die  EinfÜÜining  der 
Ooldwihrang  bedeutete  Ar  Ungarn  die  Erhöhung  aller  OfTentliehenund 
Priyatschnlden.  Von  dem  Hervortreten  des  von  Hegedfla  erwihnten  b> 
tauten  Gbldes  erwartet  er  in  Ungarn  nicht  viel :  auch  nidit  vom  Cheque- 
und  Olearing-Sjstem,  welches  nur  in  den  grossen  Verkehrscentreu  zu 
einiger  Bedeutung  gelangen  kann.  Er  wünscht,  dass  die  Regierang  sich 
eingehend  mit  der  Valutafrage  beschäftige. 

—  Sitzung  vom  23.  Februar  1882.  —  Gegenstand  :  Dr.  Földes' 
(Weis7.)  Vortrag  über  dafi  Staat'^hahnsysfem  mit  hcj^onclerer  Berück- 
sichiigung  des  Votums  der  italienlsrhen  Eisenhahnenqtiete. 

Vorsitzender  :  Graf  Melchiou  L6nyav.  —  Anwesenrl  waren  :  Leo 
FiF.  miv,  WoLFOANG  Deäk.  Graf  Ai  kel  Desewffv.  Dr.  Ji  lii  s  (iEKLücxT, 
Dr.  Julius  Kautz,  Josif  K6bö8L  —  Schriftführer  Dr.  Foldbs. 

Baferent  begimit  mit  dem  Hinweiss  daraur,  dass,  als  setnenseit 
die  ersten  Ooncessionen  zum  Bau  von  Eisenhahnen  ertheilt  wurden, 
man  Aber  die  Bedeutung  dieses  Vehikels,  sowie  fiber  dessen  volks- 
wirthsehafttiche  Natur  nicht  im  Reinen  war.  Bald  aber  zeigte  die 

Erfahrung,  wie  tief  dieses  Mittel  ins  wirthschaftliche,  ja  ins  geistige, 
politische  Leben  der  Völker  eingreift.  Als  man  dem  gegenüber 
wahrnahm,  da*!S  dieses  Institut  in  erster  Reihe  enj:lKr/igen  Privat 
intfressen  dient  und  diese  Interessen  dun  li  ^Wc  rnin  urrpii/.  ni<  lit  kon- 
trollirt  werden,  da  die  Bahnen  zumeist  ein  wirthschaftliches  Monopol 
besitz^  so  drang  inuner  mehr  der  Gedanke  durch,  dass  die  Bahnen 
unter  strenger  Gontrolle  das  Staate^  oder  direkt  durch  das  Eigenthums* 
recht  den  allgerndnen  Interessen  dienstbar  gemacht  werden.  Dieser 
Gedanke  fhnd  namentlich  in  neuester  Zeit  Wiederhall.  Inmitten  die- 
ser S^mung  geschah  es,  dass  die  italienische  Begierung  eine  Enquftte 
im  Jahre  1878  zu  dem  Zwecke  einberief,  um  die  verschiedenen  Blibn* 


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894  '  Kfm&  dmuKosBEBtcort. 

agrsteme  xa  prüfen.  Die  Enqudte  bat  ihre  Arbeiten  vulleiulet  und  in  7 
atftrlceii  Binden  dem  Parlament  YOrg«!^  Trotidem,  daes  die  £nquöie 
zugeben  mvM,  daM  das  Siaatsbahnsyetem  in  Italien. —  der  gr^SesteTbeil 
der  Bahnen  ist  daselbst  im  Staatsbesita  ~  dnrehans  keine  nngOiutigeB 
Besnitate  anfweist,  gelangt  sie  an  der  Oonelnsion»  dass  das  Priratbahn- 
»jstem  das  TGraOglichere  ist  Die  EnqoAte — deren  Aensserongen  der  Vor- 
tragende eingebend  wiedergiebt  —  befllrcbtet  namentlich  die  mit  diesem 
System  verbundenen  politischen  Gefahren  :  die  Uebermacht  der  Regie- 
rung, die  Beeinflussung  und  Abhiingigkeit  der  Bevölkerung,  das  Hinein- 
tragen von  Privatinteressen  ins  Parlunient.  die  Schwierigkeit  der  parla- 
mentarischen Controle,  die  Scliwieriürkeit  der  Festsetzung  »»ines  halb- 

,  Wegs  sicheren  Budgetvoranscblages.  Aucb  hebt  sie  mandie  Unzukoium- 
1i(  bkeiteu  her?or,  welche  daraus  entstehen,  dass  der  Staat  so  gronne 
Untemehmnngen  in  seinen  Händen  concentrirt.  Der  Vortragende  wür* 
digt  die  you  der  KnqaAte  berrorgehobenen  Qe£shren  des  Staatsbabn- 
systems,  aber  aneh  die  dieses  System  befBrwortenden  Qrttnde  und  skisnrt 
die  neuesten  Erfolge  des  Staatsbahnsystems.  Seiner  Ansieht  nach  kann 
von  einer  Wahl  swischen  beiden  Systemen  nur  dort  die  Rede  sein,  wo 
sieb  reines  Ftivatbahnsystem  nnd  reines  Staatsbahnsystem  gegentlber- 
stehen.  Bei  nns  ist  dies  nicht  der  FalL  Unser  Bahnsystem  erfordert 
ansserordentliche  Opfer,  ohne  uns  die  Wahrung  unserer  volkswirth- 
sc!iaftli<  ben  Interessen  zu  gewalirleisteii.  Dabei  ist  auch  jetzt  s"  lion  der 
Regierung  eine  weitgehende  Intervention  gesichert  und  ist.  das  FiUlK'et 
auch  von  den  Bilanzen  der  Hahnen  iieeintiusst.  Unsere  wirfbschartlii  he 
und  tinan'/ielle  Lage  nüthigt  uns  aber,  wenigstens  für  die  Hauptlinien 
das  ätaatsbahnsysteoi  zu  adoptiren.  Ueberdies  erinnert  der  Vortragende 
daran,  dass  ja  in  den  meisten  kontinentalen  Staaten  das  Staatsbahn* 
qrstem  mit  Ablauf  der  Concessionen  gewissermassen  Ton  selbst  ein- 
treten wird.  Aneh  daran  darf  nicht  yergessen  werden,  dass  die  Bahn- 
frage heute  schon  au  den  internationalen  Frsgen  gebort,  namentlioh  für 
die  kontinentalen  Staaten.  Wenn  lR.  Deutschland  mittelst  der  Verstaat- 
lichung der  Bahnen  den  Kampf  gegen  unsere  Getr^ideprodnoenten, 

•  gegeu  unsere  Weinproducenten,  gegen  unser  Mehl,  unser  Holz  etc. 
fahren  will,  dann  können  wir  nicht  darauf  verzichten,  gleiches  zu  ibun. 
Aber  an  zwei  Dinge  sagt  der  Vortragende  sollen  wir  ganz  be'^ondera 
erinnert  werden.  Ks  genügt  uii  ht,  das  Stjiatsbahusy>tem  auszusprechen, 
sondern  es  mutts  auch  organiäirt  werden.  Das  Beispiel  hiefür  zeigt 


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Kottti  8tnujeäiiiiBlcttr&  -  375 

■ 

PMsseB.  Es  tntlsseii  localo  Ünstuixeii  geschaffen  werden,  um  dn  In- 
teresse der  einselnen  Gegenden  sn  sidiem ;  es  ninse  aneh  möglichst  liftufig 
Ar  die  Berfihning  der  Bahndirektionen  mit  den  Yeitretern  der  einzel- 

uen  Interesaengruppen  gesorgt  werden.  Die  Stautsbahufragü  lösen,  heisst 
nicht,  die  Bahnen  zusammenzukaufen,  sondern  alle  Garuntien  am  schaffen, 
dass  dieses  Institut  a\  irklieh  seine  grossen  Dienste  für  das  wirthsihaft - 
liehe  Leben  des  Volkes  eritiUe.  Dann  erinnert  der  Vortragende  daran, 
dass  das  Bahnsystem  auch  eine  grosse  Consequenz  f  •  rdere.  ÄUCepHrm  wir  , 
dtis  Staatssystem^  dann  dürfen  wir  so  wichtige  Linien,  wie  die  am 
rechten  Donamfer  gegen  Wien  zu  bauende  nicht,  oder  mmMindeeten 
meht  dme  feste  QarmUie»dem  MvaMriebUbeHauen.  Das  wSre  ein 
grosser,  nnTeraeihHcher  Fehler.  Der  Vortragende  hebt  noch  einen  hOchst^ 
hemerkenswerflieii  Yorschhig  der  itaUeniiMihea  Enquete  Komission  hervor, 
deiaiiMiBj^h,das$ierShatimehheim  PrieaMknsjfeiem  accft  daeBeckt 
sichern  edtte,  dk  Tarife  herabeueetien,  wenn  es  eieh  um  ein  groms  • 
wirthschaftliehes  Interesse  kandeUf  sofern  der  Staat  den  eventuellen 
Verlust  iihernimttü. 

Graf  LoNYAY  spricht  dem  Vortragenden  .seineu  Dank  für  den  Vor- 
trag aus,  in  welchem  er  einen  theoretischen  und  j)raktischen  Theil  un- 
terscheidet. Er  hält  die  Frage  des  Bahnsystems  für  eine  relative.  Die 
Tb&tigkeit  der  staatlichen  Organe  ist  mangelhail  und  entspricht  der 
Natur  dieses  Betriebes  wenig.  Unter  unsem  Verhältnissen  ist  er  ent- 
ecbieden  für  das  Staatsbahnsystem  n.  s.  in  dem  Sinne,  dass  die  Haiipt< 
lienien  unbedingt  dem  Staate  gehören  sollen.  Auch  nOthigen  un«  schon 
die  Ton  den  Bahnen  in  Anspruch  genommenen  Zinsengarantien,  das 
Stastsbahnsystem  su  propagiren,  da  ja  unsere  Frivatbahnen  eben  des- 
halb eigentlich  Staatbahnen  sind,  weil  sie  ja  nicht  bald  die  Zinsenga- 
rantie  entbehren  werden  hOnnen. 

Graf  AuvKL  De^kwfpy  :  Die  'l'heorie  mag  Tielleicht  viel  Gründe 
lür  das  rrivatbalinsystem  kennen,  für  Tingarn  ist  das  Staats! adinsy stein 
das  allein  gebotene.  Schon  aus  dem  einen  Grnnde.  weil  bei  der  Zoll- 
gemeinschaft  mit  Österreich,  die  Bahnen  zu  jenen  wenigen  Mitteln  ge- 
hören, mit  welchen  wir  Manches  im  Interesse  unserer  N  ulLswiithschaft 
thun  können.  Bezüglich  der  gegen  Westen  zu  bauenden  Bahn  hält  er  es 
namentlich  mit  Rürksicht  darauf,  dass  wir  sowohl  dar  Osten*.  Bahn  als 
der  Donaugesellachaft  nicht  gut  zu  Leibe  kSnnen,  f&r  wllnachenswerth, 
dass  dieselbe  als  Staatsbahn  zu  Stande  komme.  Sollte  dies  jedoch  aus 


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.376  OKOAlitdCBB  nBLIOOBAPBlB. 

•  * 

finanziellen  Gründen  nicht  möglieh  sein,  so  mOge  der  Staat  sie 

einer  Privatbaha  übergeben,  aber  für  nachdrückliche  Eittflnaanalime 

Sorge  tragen. 

P.  B.  Wkisz  spricht  sich  für  cla:s  Staatsbahusystetn  aus  und  legt 
namentli(.]i  auch  aus  Eücksichten  der  Vertheidignng  und  KriegTüh- 
rang  hierauf  Gewicht, 

Prof.  Kautz  :  Von  allen  wirthschafÜichen  Fragen  gehört  gewiss 
die  Eisenbahnfrage  zn  jenen,  welche  eine  absolnte  LOsung  nicht  zulas- 
sen. Er  freut  dch  sehr,  dass  der  seit  Jahren  propagirten  Idee  der  Ans* 
dehnnng  der  Staatsthltigkeit  anf  den  Teisohiedensten  Gebieten  in  dem 
Votum  der  itaüenisehen  Enqnetekommission  entgegengetreten  wird. 
^  Hit  Bücksicht  auf  Ungarns  geographische  Lage»  staatliche  und  nationale 
VerhSltnisse,  nnd  atu  Gründen  des  internationalen  Verkehrs  ist  in  Un- 
garn das  Staatsbahnsystem  TorzDuehen.    ^  ^^^^  Földes  (Weisz). 


UNGARISCHE  BlBLIOGBAPHIfi. 

*Badlcs  Forencz,  tiaal  Jözsef  61etc  es  niuukäi.  (Josef  Gn;irs  Lebcu 
und  Wnrkc  von  Dr.  Franz  Badics).  Bndapest,  1881,  Aigner,  1112  S. 

Ueikk  F.  besz^dei  Ig2«-1H47  (Franz  Deäk's  Reden  1829—1847,  ge- 
sammelt von  Emannel  Könyi)  Budapest,  1882,  FlraaUia,  628  S. 

Onln  TIT.,  Ead«kbeis«d  wniiam  Stephen  Afklnson  felett  (Denk- 
rede flher  das  auswärtige  Mitglied  William  Stephen  Atkinson  von  Theo- 
dor Duka).  Budapest,  1881,  Akademie,  17  8. 

Klamarik  J.,  k  ningyarorsz&gl  kSz^pIskoUk  ssenrez^se  (Die  Orga- 
nisation and  Praxis  der  ungarischen  Mittekchulen.  Sarainlong  silmnitliclior 
•  anf  die  GyninaBien  und  Realschulen  bezüglicher  Gesetze.  Verordnun;^ron, 

Ht-skriptc,  Instruktionen  u.  8.  w,  von  Dr.  Johann  Klainarik).  Budapest, 
1881,  Kggenbcrger,  511  S. 

'flUkszAth  K.y  A  tut  atyafiak  (Unsere  ülowakiscben  Landsleute.  Er- 
zählungen nnd  Skiisen  von  Eoloman  Mikszdth).  Budapest,  1881.  Grimm,  189  S. 

Ptorsias  Snlpleia  MtlrÜ  (Die  Satiren  des  Anlns  Pendaii  FhuKos 
und  der  Snlpicia,  flbereetst  von  Dr.  Ignatz  Bama).  Bodapest,  1881, 
Tettey,  Ol  S. 

TIbuIlns  ElegfÄi  (Die  Eb  gim  de»  Albius  Tibullus ,  übenetzt  nnd 

erklärt  von  Michael  Latköczy).  Budapest,  1882,  Aiguer,  S. 

*V^da  .Unos  osszes  koltoni6njei  (Smnmfliclio  Dichtungen  von  .lo- 
hann  Vajda,  2  Hde,  1.  Klein»'ro  G<  dichte,  11.  Krzühlende  Dichtungen).  Bu- 
dapest, 1882,  Aigner,  203  uud  3*»»  S. 


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DIE  BILDENDE  KL  NST  IN  UNGAllN.  *) 

WÄHHEND  Bich  die  nationale  Poesie  in  üngum  in  den  ersten 
Deasennien  dieses  Jahriinndertes  anf  die  Höhe  der  politischen 
Sntwicirelang  emporschwang,  hat  die  Nation  in  neuerer  Zeit  uul" 
dem  Uel^iete  der  bildenden  Kunst  einen  Aufschwung  genommen,  . 
wie  er  nur  in  den  glänzendsten  Epochen  der  nationalen  Selbst- 
ständigkeit beobachtet  werden  konnte,  und  wie  er  seit  den  Königen 
au<»  dem  Hause  Arp^d^s  und  Anjou's  nicht  erreicht  wurde,  da  Dome 
päd  Basiliken  gebaut,  da  in  den  Konstsehnlen  nnd  Banhtttten  der 
Mflnster  nnd  Gathedrale  vaterlftndisehe  Eünsüer  gebildet  wurden, 
ond  da  —  nnier  dem  Ungarkönig  Mathias  —  die  italienische  Re- 
naissance auch  bei  uns  in  voller  Blüthe  stand. 

Wenn  sieh  nun  auch  die  Erinnerung  an  diese  glänzende 
Kunstvergangenheit  in  dem  Bewusstsein  der  Nation  nicht  erhalten 
bat,  wenn  selbst  die  Wissenschaft  über  dieselbe  bisher  nur  wenig 
Anfsehlnss  gibt,  so  ist  es  doch  nachweisbar,  dass  sich  die  Fäden 
der  nationalen  Kunst  durch  unsere  ganze  Vergangenheit  durchzie- 
hen und  dass  wir  auch  in  dieser  Besiehung  bereits  ein  Gestern  haben. 
Ohne  das  Bewusstsein  dieser  Vergangenheit  ist  aber  eine  wahre 
nationale  Kun.stentwiek*4ung  nicht  donkbar.  Und  iin.seru  Kunst 
hat  bereit«?  die  .Stufe  der  Grossjährigkeit  erreielit.  auf  welcher  ihr 
das  nationale  Erbe  nicht  länger  vorenthalten  werden  kann ;  dieses 
Krbe  ist  der  Genius  der  selbstbewussten  nationalen  Kunst,  welcher 
ihr  den  Boden  gewahrt^  in  dem  sie  Wurzel  lassen,  die  Quelle,  aus 

•  Nach  der  ErOfiEaongsredo,  wclelic  Bischof  Arnold  Ipohji  als  Prä- 
sident des  Landesversiat  für  bildende  Kttnate  in  der  letzten  Jabresver- 
«aminhing  dieses  Vereins  gehalten  hat. 

UoitriMbsReni»,  188S.  y.H^ft.  25 


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878 


DIK  BILDENDE  KUKST  IN  UNOABH. 


wcloht-r  der  KimstltT  Leben  «nd  Er^uickuug  schöpfen  und  der 
Nation  mittlieilen  kann. 

Doch  während  in  der  Vcrgangeiilieit,  in  der  glänzend»Mi  Fiiuu  iie 
nationaler  Kunst,  in  dem  Zeitalter  der  grossen  mittelalterlichen 
Kunsistyle,  Kunst,  Geschmack  und  Künstler  znmpist  importirt 
waren  und  unser  Vaterland  den  französischen  und  deutschen  Mon-  • 
chen,  den  Italienern  Masolino  nnd  Lippe  kaum  einen  Michael  Hon- 
garne,  kaum  einen  AquilaTonRegede,  einen  Nikolaus  YonLentschan 
und  eine  kaschauer  Seliule  zur  Seite  «teilen  kann,  gehört  es  zu  dem 
Gharacterzuge  der  gegenwärtigen  Epoche,  das  sie  bereits  ezportiren 
kann.  Und  wir  exportiren  heute,  wenn  auch  nicht  ung.  Eunstf  so  doch 
nng.  Eunsttalente,  von  denen  manches  so  ausserordentlicher  Artist, 
dass  der  Export  uns  fast  schon  zum  Nachtheile  gereicht.  An  150  he- 
trägt  zur  Stande  die  Zahl  unserer  Maler,  Bihlhauer  und  Architekt»'ii, 
die  auf  den  Künstlernamen  gerechten  Ansprucli  halben.  Es  ist  dies  je- 
dt'nfiills  mehr,  als  unser  im  Ul)rigen  unkünstlerisclies,  ütfjmtliches  Lo- 
ben vertrügt  und  mehr  als  unser  Kunsthedürfniss  beschäftigen  kann. 

Was  Wunder  daher,  wenn  die  Hälfte  unserer  Künstler  aus- 
wärts Beschäftigung  und  Ruhm  sucht,  während  die  andere  Hälfte 
zum  gprossen  Theil  unbeschäftigt,  oft  wider  Willen  feiern  oder  sich 
anderen  Bahnen  zuwenden  muss,  die  ihrem  Talente  und  ihrer  Nei- 
gung weniger  entsprechen,  ohne  sich  den  nicht  weniger  ehrenvol- 
len Gebieten  der  dekoratiTon  Kunst  und  dem  Kunstgewerbe  zu- 
wenden zu  wollen,  auf  welchem  wir  noch  immer  zu  imporüren 
gezwungen  sind. 

Wird  aber  das  ung.  Kunstgewerbe  von  den  einheimi- 
schen Talenten  noch  allzuwenig  gepfle<jct.  so  kann  sich  doch  die  ung. 
Kunst  zur  Stunde  mit  Namen  und  Erscheinungen  In'üsten,  die 
keineswegs  zu  den  Alltäglichkeiten  gehören.  Das  epochale  Hihi 
eines  der  grössten  Meister  der  Gegenwart  zieht  gegenwärtig  im 
Triumpfe  durch  die  Welt ;  einer  unserer  Künstler  hat  die  höchste 
Auszeichnung  der  französischen  Kunst  errungen,  ein  anderer  hat 
soeben  Schiller's  Glocke  nnd  Goethe's  Faust  mit  einer  seltenen 
kfinstlerischen  Vollendung  illustriri  Unsere  Landsleute  sind  Di- 
rektoren und  Lehrer  an  Kunstschulen  von  europäischem  Ruf ;  sie 
sind  Künstler  an  Höfen  fremder  Fürsten  und  fremde  Nationen  sehen 
mitstolz  ihrenSchdpfifngen  entgegen;  un^re  Künstler  erscheinen  auf 


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DIB  BILDBMDB  KUNST  IN  imOABN.  879 


allen 'AoBBtellmigeii,  sie  arbeiten  in  den  Ateliers  und  Ennstschnlen 
TOD  FlBriB  und  Rom,  yon  Münclien  und  Wien,  nnd  in  Rom  ist  e6 
desgleichen  einer  der  ünserigen,  der  als  einer  der  ersten  in  der 

alten  korrekten  Heili^enmalerei  gilt.  Ausserdem  aber  haben  wir 
anch  zuhause  ausgezeichnete  Meister,  die  berufen  sind  zum  Baue 
und  sur  künstlerischen  Ausschmückung  unserer  Kirchen  und  Pa- 
läste, znr  Schaffang  yon  Monumenten  für  unsere  grossen  Manner. 
Mit  einem  Worte,*  die  nng.  Knnst  zeigt  sich  heute  der  grössten 
Aufgaben  gewachsen.  Aber  das  Land,  die  Oesellschaft  bieten  ihr 
nidit  Gelegenheit,  sich  in  ihrer  Tollen  Bntftdtnng  sn  zeigen. 

Der  Ilauptfaktor  der  Kuiistfiitwickelung  in  Ungarn  ist  noch  ' 
iTOmer  der  Landesverein  für  bildende  Künste,  der  auch  in  materi- 
eller Weise  erfreuliche  Fortschritte  macht.  So  betrugen  seine  ord, 
Einnahmen  im  y.  J.  (bei  einem  Präliminare  von  56,093  H.)  05,974  fl^ 
seme  aosserordentlichen  Einnahmen  (bei  einem  Präliminare  Ton 
22,000  fl.)  32,581  fl.,  die  ord.  Ausgaben  pr&liminirt  47,841  fl.,  in 
WiiUiebkeit  65,748  fl.,  die  ausaeroidentliehen  Ausgaben  praliminirt 
11,846  fl.,  in  Wirklichkeit  6,313  fl.  Dieser  Verein  ist  seit  Jahr  und 
Tag  bemüht,  Regieming  und  Gesellschaft  zur  Errichtung  einer  Aka- 
demie der  bildenden  Kiinste  zu  bewegen,  und  es  ist  gegründete  Hoff- 
nung vorhanden,  dass  die  Errichtnnu^  einer  solchen  Anstalt  nicht 
lange  wird  auf  sich  warten  lassen,  welche  sans  phrasc  einem  dringen- 
de Bedfirfiusse  entsprieht.  Denn  die  Musterzeichensehule  und  die 
Zeiehenlehrer-Ptäparandie,  die  einstigen  nng.  Bildungsst&tten  die- 
ser Art,  haben  bereits  eine  Überproduktion  anSchtÜem  zuwege  ge- 
bracht, die  mit  sich  nichts  anzufangen  wissen,  wenn  ihnen  ihre 
Mittel  den  Besuch  auswärtiger  Akademien  behufs  Beendigung  - 
ihrer  Studien  nicht  erlauben.  Es  thut  daher  eine  Anstalt  noth, 
welche  als  Krönung  des  Kunstunterrichts  zu  betrachten  wäre  und 
anch  tmseren  Meistern  Gelegenheit  gäbe,  ihr  Wissen  und  Können 
dem  hoflhungsYoUen  Naehwunsch  mitzutheilen.  Dann  w8re  auch  yiel 
Tou  der  Wechselwirkung  zu  erwarten,  welche  Schule  und  Leben 
auf  einander  üben.  EunstbedÜrfhiss  und  Kunstgesehmack  wttrde 
der  Akademie  auf  das  Publikum  ausgehen  und  andererseits 
würde  auch  der  wachsende  Geschmack  des  Publikums  die  Künstler 
zur  Erreichung  des  Höchsten  anspornen. 

Bis  aber  die  Akaclemie  der  bildenden  Künste  errichtet  wer- 

.25* 


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0 


380  DIB  BILDKHBB  KUMOT  IN  UNOABlT. 

'  den  kann,  ist  es  notliwendig,  die  vorhaiidenen  wirklichen  Künstler 
zu  beschäftigen  und  in  dieser  Beziehung  wetteifern  bereits  die 
Regierung,  die  Hauptstadt  und  andere  Munizipien,  die  Akademie 
der  Wissenschaften,  wie  auch  einzelne  wenige  Private  -  rari 
nantes  —  mit  einander,  um  Arhitekten,  Malern  und  Bildhauera 
Arbeit  zu  geben  ;  es  ist  all'  dies  nicht  viel,  aber  es  ist  doch  Etwas 
nnd  jedenfalUi  hundertmal  mehr,  als  seit  einem  Jahrhundert  in  die- 
ser Besiehtmg  in  Ungarn  geschehen  ist  Den  wohlthStigsten  Ein- 
flnsa  auf  Förderung  yon  Geschmack  nnd  Ennstsinn  ttht  jedoch  der 
oft  erwShnte  Landesrerein  durch  seine  periodischen  AnssfceUungen, 
weldie,  wie  bekannt«  Ton  vielen  bedeutenden  Ellnstlem  des  Aus- 
landes schon  regelmässig  beschickt  werden.  Auch  das  materielle 
Erträgniss  dieser  Ausstellung  ist  keineswegs  zu  ignoriren.  Im  v.  J. 
wurden  daselbst  Bilder  ung.  Künstler  im  Werthe  von  18,172  H.,  Bil- 
der auswärtiger  Kiinstler  im  Werthe  von  15,233  fl.,  zusammen  also 
flir  33,315  fl.  verkauft.  Auch  die  Preisausschreilmngen  des  Vereins 

.  erfreuen  sich  günstiger  Resultate,  indem  die  drei  ersten  Preise  im 
Tcrflossenen  Jahre  wirklich  trefflichen  Bildern  zuerkannt  werden 
konnten.  Auch  erhält  der  Verein  regelmässig  Einladangen  zur  Be- 
sehioknng  der  grösseren  auswärtigen  Kunstausstellungen,  auf  de- 
nen die  ung.  Bilder  stets  gute  Platze  und  gute  Preise  erhalten, 
kurz,  es  ist  ein  Fortschritt  sowohl  eztensiyer  wie  intensiver  Natur 
auf  allen  diesen  Gebieten  der  Kunst  zu  konstatiren. 

Als  das  gtibizendste  Ereigniss  unserer  Ausstellungen  muss 
srohldas  Erscheinen  von  Munktfcsy^s  »Christus  vor  Pilatus*  au^ge- 
ihsstwerden,  welches  Gemälde  von  der  Kunstkritik  so  überaus  hoch- 
geschätzt wird  ;  das  Verdikt  derselben  lauü't  daliin,  dass  die  Kunst 
des  XIX.  Jahrhunderts  nichts  Bedeutenderes  gesehaÜ'en  hat ;  dass 
seit  Rembraudt  kein  grösseres  Meist^^rwerk  zu  Stande  gekomnu  u 
und  dass  der  Name  Munkacsy's  neben  Michel  Angelo  und  Bafael 
genannt  werden  darf.  Es  ist  nicht  unser  ITrtheii,  welches  da  nur 
leicht  in  die  Waagschale  fiele,  sondern  das  Urtheil  Solcher,  die  sich 
für  uns  sonst  nicht  sonderlich  begeistern.  Und  es  ist  dies  das  Lob 
Jener,  die  die  Werke  unseres  grossen  Landsmannes  auf  ihrem 
Triumpftng  dies-  und  jenseits  des  Ozeans  mit  Enthusiasmus  anfiieh- 
men  nnd  mit  riesigen  Summen  bezahlen,  und  es  ist  dies  das  Urtheil 
jener  eiinsten  und  bedachten  Faehm&nn%r,  eifersfichtiger  Kflnstler 


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DIE  filLDJ:,NL>K  KU^ST  IN  UliUAKll«  Söl 

und  strenger  Kuiiatkritikervdie  ihrer  Nation  und  deren  Kunst  gern 
den  höchsten  Preis,  in  dem  geistigen  Weftkampf  zuerkennen.  Mit 
patriotiBchein  Stolze  erwähnen  wir  diese  fremden  UrÜieile,  damit 
wir  nicht  der  snperfötatiyen  patriotischen  Begeisterung  oder  der 
beschzinkten  Befengenheit  des  Oharndnismns  geziehen  werden, 
indem  wir  selbst  unseren  Stolz  über  Munktfcsy's  Leistungen  zum 
Ausdruck  bringen. 

In  der  Metropole  der  Kunst,  dort  wo  mau  in  olympischen 
Spielen  gegenwärtig  um  die  höchsten  Preise  ringt,  hat  unser 
Künstler  diesen  höchsten  Preis  schon  vor  Jahren  errtingen ;  doch 
durch  sein  neuestes  Werk  hat  er  sich  selbst  über  seine  bisherigen 
Schöpfungen  erhoben.  Paris  hat  das  Erreigniss  anerkannt  und  ge* 
feiert.  Man  TcrkÜndete  seinen  Ruhm  in  Ptosa  und  in  Versen,  in 
Leitartikeln,  Feuilletons  und  in  Gedichten.  Doch  wSre  nus  all'  sein 
Ruhm  ein  kalter  Strahl,  eiu  hohler  Glanz,  verbände  sich  in  Mun- 
kacsy  nicht  der  Genius  der  Kunst  mit  dem  Genius  der  Nation,  und 
wäre  er  nicht  ein  treuer  Sohn  seines  Vaterlandes.  Und  deshalb 
imisste  anch  der  französische  Dichteir  Ton  ihn  singen  : 

„Stolier  Meister,  der  dn  Chnstna 
Voller  Andacht  hast  gemalt, 
Klio  schrieb  schon  deinen  Namen 
In  das  Buch  der  Ewigkeit, 
üngain  sind  es  imd  Fransosen, 
Deren  Stols  du,  Meister,  bist 

^  _     II 

Und  ein  anderer  Dichter  singt : 

»Nicht  wahr  ist's,  dass  Altäre  gesunken  all'  in  8taiil>, 

Dass,  was  prross  und  erhaben,  bereits  der  Zeiten  Raub. 

Noch  lebt  in  unserem  Herzen  des  Gottos  Herrlichkeit, 

Noch  opfert  man  auf  seinen  Altären  weit  und  breit. 

Der  Genins  der  KOnste,  er  lebet  ewiglich 

Und  Ungarn  und  Fraasosen  sind  beide  stols  anf  dich. 

Und  wieder  auferstanden  seh*n  wir  die  Ahnen  gross. 

Es  öflnet  sich  die  Kette,  die  sich  mit  Sembcandt  scUoss. 

Haan,  Michel  Angelo,  sie  Offinen  Ihre  Beih^n, 

Sie  heissen  dich  willkommen,  sie  sagen  dir  :  „Ititt  ein !" 

Solche  Dithyramlien  preisen  in  Munkacsy  nieht  nur  den 
Künstler,  sondern  auch  den  Patrioten ;  doch  verlas.seu  wir  den  Sa*- 


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882  vis  BILDENDE  KUV»T  Ol  TISrOABN. 

genkreis,  der  sich  um  den  Efinstler  zn  bUden  beginnt  und  beschäf- 
tigen wir  uns  mit  seinem  (Gemälde,  in  welches  Viele  die  Tendenzen 
der  Zeit  hinein  rerlegen  zu  dürfen  glaubten.  Wir,  die  wir  das  Kid 
gesehen,  die  wir  die  Geschichte  seiner  Entstehuug  und  Wandlun- 
gen kennen  und  die  wir  es  nicht  durch  das  Glas  flüchtiger  Tagesfira- 
geii  imd  Ideen  betrachten,  sondern  es  mit  dem  Apparate  tiefer  und 
gründlicher  Kunstkenntnisse  und  auf  (Jrund  der  ikonologisch- 
typologischen  Studien,  welche  wir  an  religi(")sen  Bildern  gemacht 
beurtheilen,  wir  können  auch  beziiglich  dieser  angeblichen  Ten- 
denz des  Bildes  bald  ins  Klare  kommen.  Aber  ohne  diese  Studien 
kann  nur  der  individuelle  Geschmack  oder  die  beschränkte  Auf- 
fassung, kann  nur  das  geistreichelnde  Apercu  angesichts  dieser 
Schöpfung  zum  Ausdruck  gelangen,  und  immer  wird  es  dann  der 
Geist  d^  Beschauen  sein,  der  sich  in  dem  Bilde  widerspiegeln  zu 
können  glaubt,  der  Geist  des  Bildes  wird  yon  diesen  aber  gewiss 
nicht  erkannt  werden. 

In  der  Ghristos-Bconologie  des  Gottmenschen,  angefangen 
Ton  den  byzantinischen,  romanischen  und  gothischen  primitiYen 
und  erhabenen  Typen,  von  den  Bildern  Giotto's  und  Angelico's, 
Michel  Angelo's  und  Rafaers,  Leonardo  da  Vinci's  und  Guido 
Reni's  bis  7,ur  neuesten  Zeit,  gibt  es  keine  erhabene  und  gibt  es 
keine  Zcngestalt,  welche  Meister  und  Stümper  bei  der  unerreich- 
baren Darstellung  dieser  allerhehrsteu  Gestalt  nicht  angewendet 
hätten.  Doch  bleibt  es  zweifellos,  dass  auch  die  beste  Darstellung 
fern  blieb  von  dem  würdigen  Ausdruck  des  unerreichbaren  Ideals, 
und  konnte  demselben  stets  nur  ein  individuell  mehr  minder  mei- 
sterhafte oder  menschlich  gefällige  Gestalt  verliehen  werden, 
denn  das  Göttliche  konnte  nur  durch  mehr  minder  gelungene 
menschliche  Gestaltung  wiedergegeben  werden.  Die  Gestaltung 
Munk4c8y*s  nähert  sich  nun  in  der  Familie  dieser  Bilder,  ikonolo- 
gisch  genommen,  am  Ehesten  jenem  Typus,  welcher  seit  dem  Mit- 
telalter den  im  Garten  zu  Gethsemane  leidenden  Erlöser  mit  dem 
Ausdruck  dt's  Schmerzes  un<l  mit  dem  vSelbstgefühl  göttlicher  Kraft 
und  Gerechtigkeit  darzustellen  pflegt.  Diese  Auffassung  wiire  nur 
insofern  motivirt,  als  Jesus  aus  dem  Garten  zu  (iethseniaiie  zu  sri- 
sem  iüchter  geführt  wird,  wo  sich  der  Schmerz  des  Dulders  mit 
seiner  göttlichen  Kraft  und  mit  dem  Ausdmck  seines  Gerechtig- 


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^  ME  BIIiDENDB  KUIfST  IM  ilMGABN.  383 

keitsgefQhls  Tereiiugt  Diese  Wirkung  ttbt  die  Gestalt  auf  jenen 
aus,  der  sie  vom  Gesiditspunkte  kunstgeschichtUcher  Studien  tuid 
der  religiösen  ikonographischen         betnkchtei  * 

Wesentlicher  ist  es,  wie  uns  in  diesem  Werke  die  grossen 
Fragen  des  künstlerischen  IdeaHsmns  und  BealisninB  entgegentre- 
ten. Die  geschichtliche  und  kirchliche  Malerei,  die  wirkliche  grand 
art  kilmpft  stark  gegen  diese  Tendenzen' an.  Die  realistische  Auf- 
fassung, die  naturgetreue  Reproduktion,  die  lebensvolle  Copie  des 
Modells,  sie  hat  als  Errungenschaft  und  Tendenz  der  heiligen 
Kunst  die  liichtung  jener  Meister  verdrängt,  die  nach  der  alten 
klassischen  Idealisiiniug  und  nach  dem  Erhabenen  strebte.  Doch  ist 
der  erhabene  Geist  und  die  ideale  Auffassung  durch  diese  reale 
und  materielle,  wenn  auch  meisterhafte  Darstellung,  ebensowenig 
wie  durch  die  yoUst&ndige  Vernachlässigung  des  Realen  und  Na- 
turgetreuen zufidedenzustellen,  und  dies  umsoweniger,  je  stärker  in 
ihm  das  Geffthl  des  Idealen  ist  und  je  starker  sein  Wunsch  ist,  sich 
in  die  Höhe  und  zu  dem  Ideale  zu  erheben. 

Dabei  ]>leil)t  aber  die  Berechtigung  der  Natiu'troue  und  des 
Modellstudiums  ausser  allem  Zweifel.  Doch  ist  dies  bloss  ein  Theil 
des  Ganzen,  welches  durch  den  geistigen  Ausdruck  des  naturge- 
treuen Körpers  und  durch  die  ideale  Erhebung  gebildet  wird ;  bloss 
diese  höhere  Synthese  und  Vereinigung  des  Idealen  mit  dem  Na- 
turgetreuen ist  im  Stande,  der  idealistischen,  geistigen  und  materi- 
ellen Natur  des  Menschen,  seinem  geistigen  Ideale  und  seinen  realen 
Erfidirungen  und  Kenntnissen  zu  entsprechen.  Es  ist  dies  eines  der 
grossen  Probleme  der  Menschheit,  zu  deren  Ldsung  auch  die  Kunst 
berufen  ist  So  oft  wir  daher  den  Genius  der  Kunst  in  diesem  Stre- 
ben begriffen  finden,  können  wir  ihn  stets  getrost  begrüssen. 

Und  das  ist  es  was  wir  auch  in  (\tnn  Meisterwerke  unseres 
grossen  ung.  Meisters  begrüssen  können,  der  die  Kunst  auf  jene 

*  Von  anderen  Gesiclitäpunktuu  der  kirchlichen  und  religiösen  Ma< 
lerei  betnushtet  das  Bild  Laversant  in  seiner  geistvollen  Schrift  :  „Le 
Christ  devant  Pilatej  de  Miehel  de  MunkAosy."  Lavennuit  hielt  nämlich 
in  der  Pariser  Geaellschsft  sum  h.  Johannes  eine  Reihe  von  Vortragen, 
welche  die  religiöse  Bedeutung  des  Bildes  erklärt  nnd  nachweist.  Wie 
sehr  dieses  Werk  mm  auch  gelungt  n  f*oin  mag,  halten  wir  den  oben  ski- 
.xirten  Amgangspnnkt  dennoch  fär  motivirter. 


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DIS  ULSIOIDE  KUNST  W  UliGA£N. 


Höhe  gehoben  hat.  auf  welcher  sich  das  reale  Leben  mit  dem  geisti- 
gen Twlnndet  ond  die  allerhehrsten  Ideale  und  Probleme  dör  Reli- 
gion nnd  des  historischen  Lebens  sich  nmschlingen.  Dem  Genius 
der  nationalen  Kunst  bleibt  nur  noch  Ehnes  zu  wünschen  übrig, 
dass  nämlich  der  Ellnstler  das  verwirkliche,  was  der  Kunst  seines 
Vaterlandes  noch  abgeht,  und  was  wir  als  patriotisches  Opfer  von 
ilim  noch  erwarten,  dass  er  nämlich  mit  seiner  Kunst  einzelne 
ruhmwi'mligo  Szenen  aus  der  vaterländischen  (jtscliiclite  ver- 
ewige. Michael  Munkacsy  hat  seine  Laufbahn  mit  der  gefühlvollen 
Darstellung  des  ung.  Volkslebens,  das  er  sich  aufgennramen,  begon- 
nen und  damit  sich  einen  Namen  gemacht.  Wir  glauben  da- 
her mit  Recht,  dass  er  seinen  Ruhm  durch  die  erhabenen  Bilder 
seiner  vaterländischen  Geschichte  krönen  wird.  Damit  wird  er 
die  wunderbare  Vergangenheit  seiner  Nation  illustriren,  die  im 
Stande  war,  durch  heroische  Sntschlossenheit  und  durch  ihre 
staatenbildende  Kraft  mit  einer  HandToll  Menschen  inmitten  der 
grSssten  und  gebildetsten  Völker  eines  der  schönsten  Länder  au 
erobern,  daxin  einen  Staat  au  grttnden  und  denselben  inmitten  so 
▼ieler  Geihhxen,  tausend  Jahre  hindurch  zu  behaupten,  die  im 
Stande  war,  sich  auf  jene  Stufe  der  Bildung  emporzuschwingen, 
welche  von  den  sie  umgebenden  Völkern  nur  noch  eines  einge- 
nommen hat  und  auf  welcher  sie  der  Welt  solch'  einen  Künstler 
schenken  konnte.  ^'ielIeicht  nirtl  uns  aus  seinen  Bildern  die  Welt 
besser  verstehen  als  aus  unserer  loOO  jährigen  Geschichte  und  aus 
den  Bestrebungen  unserer  Literatur  und  unserer  Staatsmänner.  Und 
vielleicht  wird  es  schliesslich  unserer  Kunst  gelingen,  eine  Schule 
der  ung.  Historienmalerei  zu  begründen  und  so  ein  neues  und 
glttckliches  Gebiet  der  Qestaltungen  zu  betreten.* 

Vielleicht  wird  es  unserer  Kunst  gelingen,  der  Welt  zu  erUft- 
ren,  was  unsere  nicht  fiberall  verstandene  Literatur  und  was  unsere 
nationale  Selbstständigkeit  und  unser  Staatsleben  ihr  nicht  begreif- 
lieh maohen  konnten,  wie  dies  auch  Italien  gelang,  als  es  ein  eige* 
nes  staatliches  Leben  entbehrte  und  unter  der  Fremdherrschaft 
seufzte,  und  wie  dies  den  Niederlanden  gelang,  da  ihre  Kunst  die 

*  Miehael  Munbicsy  hat  sich  scitlier  beit  it  orklilrt,  ftir  den  Prank- 
aaal  der  ung.  Akademie  der  Wissenschaften  ein  Bild  :  »KOnig  Mathia* 
unter  seinen  Dichtem  and  Gelehrten'^  malen  zu  wollen. 


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AMTIKB  BLKICFSOBBSTAKDB  IM  UN0AU8CHEB  SATIONAUfDSKLll.  385 

Welt  beherrscbte.  Möglich  da««  auch  tmsere  künstlerischen  Talente 
mit  der  Änderung  der  Cultiirriehtung  nach  einigen  Jahrzehnten 
schon  eine  Ahnahme  erfahren  werden,  wie  wir  dies  l>ei  nnHercii 
politisi'lien  und  dichterischen  grossen  Talenten  nach  einigen  Jahr- 
zehnten kurzer  Blüthe  erfahren  liaben.  Ergreifen  wir  dalier  die  (le- 
legenheit,  jetzt,  da  sie  iu  solchem  Glänze  auftauchen,  ihnen  Arbeit 
und  Beschäftigung  zu  geben.  Errichten  wir  für  die  grossen  Meister 
und  für  ihre  zahlreichen  zu  so  grossen  Hoffnungen  berechtigenden 
Schiller  eine  Akademie,  damit  sie  die  nng.  Knnst  begründen  nnd 
der  Nation  monnmentale  Werke  scbaifen.  Schrecken  wir  von  den 
Schwierigkeiten  des  Anfangs  nicht  zurück,  sondern  kämpfe  ein 
Jeder  hoffhungsroll  fttr  die  bessere  Zukunft  auf  der  Stelle,  welche 
ihm  die  Yotsehung  als  Wiikungskreia  angewiesen ! 


ANTIKE  BLEKiEGENSTÄNDE  IM  UNÜiUUSCHEN 

NATIONALMUSEUM. 

Herr  Redakteur ! 

Das  Interesse  des  Ghemiker^s  an  der  Greschichte  der  Metalle, 
die  zugleich  ein  nicht  unwichtiges  Stü«^  der  Geschichte  menschli- 
cher Entwickelung  bildet,  führte  mich  diese  Ostern  in  Ihr  reichhal- 
tiges Nationalmuseum.  Mit  gütiger  Verstattung  des  Direktor*s  der 
Antikenabtheilung  musterte  ich  unter  liebenswürdigster  Beihilfe 
Seitens  des  Gustos^  Herrn  Dr.  Hampel,  die  dortigen  Schätze  nach 
Bleiobjeliteu  durch,  da  gerade  die  Bleifunde  (diesseits  der  Alpen 
iiberhaupt  selten)  bisher  mit  Ausnahme  der  ^Piombi"  nur  gerin- 
gere Beachtung  ncheinen  gefunden  zu  ha])en.  Als  ich  später  in 
einer  (  n>sell.schaft  mich  mit  Ihnen  über  diesen  (iegenstand  unter- 
hielt und  das  Gespräch  abgebrochen  werden  musste,  hatten  Sie  die  - 
Freundlichkeit  mich  aufzufordern,  ich  möchte  nber  das  fallen  ge- 
lassene Thema  —  den  Gehrauch  des  Bleies  bei  den  Alten,  namen- 
menüich  den  Römern  —  einige  Notizen  aufsetzen.  Dieser  Auffor^ 
demng  komme  ich  hiermit  nach,  obgleich,  wie  ich  gestehe,  mit 
einigem  Zögern  im  Hinblick  auf  die  Lückenhaftigkeit  meiner  bis- 
herigen Eenntniss  dieses  Gegenstandes. 


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386         AMTIKE  BLBlOKaSHSTÄNDB  II  miGAIUSGHBV  NATlOMALMUSBUll. 

Die  Leichtigkeit,  mit  der  sich  das  Blei  gewinnen  und  bearbeiten 
lasst,  seine  Weichheit,  sein  hohes  speeifisches  Gewicht  einerseits, 
aeine  Unansehnliehksit  anderseits  bestimmtenr  schon  bei  den  alten 

Völkern  seinen  Gebranch  zn  Zwecken,  denen  es  snm  Theil  noch 

iieute  dient.  Man  verwendete  es  so^ar  ausgiebiger,  als  heute,  wo  zum 
Theil  das  Eisen  und  manche  andere  Stoffe  dessen  Stelle  vertreten. 

Durch  die  oherwühnten  Eigenseluilten  taugte  das  Blei  für 
viele  technische  Zwecke  sehr  wohl,  als  Material  für  artistische  Ar- 
beiten dagegen  sehr  wenig.  In  der  letztern  Richtung  findet  man 
darum  auch  kaum  mehr  als  blosse  Produkte  des  Kunsthandwerks 
mittelmässigster  Sorte.  Ich  will  mit  der  Besprechung  dieser  Klasse 
Ton  Gegenstand«!  beginnen.  Sie  umfasst,  soviel  ich  bisher  davon 
gesehen  habe:  l.gans  flach  gearbeitete  Darstellnngen  yon  mensch- 
lichen Gestalten  nach  Art  der  Bleisoldaten  unserer  Knaben ;  2.  Plat- 
ten mit  figoralen  Darstellangen ;  3.  Gefftsse. 

Im  Bndapester  Museum  finden  sich  swei  weibliche  Figttrchen 
ersterer  Gattung.  Die  eine  (Seite  387  Fig.  7)  10  Vi  Om,  hoch,  hraun- 
lich  weiss  oxydirt,  ist  zu  Steinamanger  gefunden.  Die  Gestalt  ist 
ganz  unbekleidet,  was  besonders  deutlieh  an  der  ])esser  aiisgear- 
Ijoiteten  und  erhaltenen  Rückseite  ersichtlich  ist.  Ungeachtet  das 
Figürchen  ganz  flach  ist,  zeigen  sich  ►Schultern,  <  iesäss  und  Wa- 
den etwa  wie  im  Flachrelief  gearbeitet,  ganz  wohl  erkennbar.  Dtni 
Haarknoten  am  Uinterhaupte  bildet  eine  regelrechte  achtstrahlige 
Bosette.  Um  die  ganze  Gestalt  geht  ein  Streifen,  in  welcliem  die- 
selbe, wie  in  einer  Nische  steht  £a  ist  unzweifelhaft  ein  Venusbüd 
in  einem  Eapellchen. 

De  Meester  de  Rayenstein  fOhrt  in  dem  Verseichniss  des 
Mus^  de  RaTcnstein,  Bruxelles,  1880  zwei  ähnliche  Venusbild- 
chen  an  (Nr.  1490  und  1491).  Vielleicht  hatten  diese  Figuren  eine 
ähnliche  Bedeutung,  wie  die  Heiligenbilder,  welche  heutigen  Tages 
von  Wallfahrern  /um  Andenken  von  einem  Gnadenorte  h<'imf5e- 
bracht  werden,  oder  si»*  di»'nteu  als  Votivbihler.  Dass  der  Handel 
mit  !sok*hen  .Triupelchen**  ein  nicht  minder  sohwunojhafter  war, 
erfahren  wir  aus  der  Apostelgeschichte  c.  XIX.  v.  23  u.  ff.  —  Mit 
vieler  Lebendigkeit  wird  uns  erzählt,  wie  sich  die  (loldschmiede  zu 
Ephesus,  welche  »silberne Tempel  der  Diana"  machten,  gegen  Pau- 
lus wegen  Gewerbstörung  zusammenrotten,  weil  er  lehre,  es  gebe 


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ANTIKE  BLEl(iK«jENÖTANI»E  lU  UNGAKIt<tHKM  XATlONALMl >EÜ1J.  6bl 

keine  Götter,  welche  von  Händen  gemacht  sind ;  ihr  Handel  müsse 
dahin  geraten,  dass  er  nichts  gelte. 

Ich  erinnere  mich  eines  herciilanischen  Bildes,  das  eine  Szene 
aus  Iphigenie  auf  Taims  darstellt.  Darauf  sieht  man  ausser  den  hei-  * 


Autikc  Bleigcgcnstüudc  des  Nationalniuscums. 


den  gefesselten  Freunden  auch  das  Corpus  delicti  :  ein  Dianenhild, 
um  das  gleichfalls  so  ein  Tempelchen  augebracht  —  ein  runder 
Bogen. 

Dass  nicht  zahlreichere  Funde  dieser  Art  bekannt  sind,  mag 
zum  Theil  von  der  leichten  Zerstörbarkeit  des  Muteriales  herrüh- 


ANTIKK  BLEKJEßENSTÄKDF.  IM  UNiiAIlIbCHEN  NATIONAI^'SEUM. 


ren.  Manches  mag  ülirigens  uoch  in  den  Sammlungen  aun^ewahrt 
und  imbekannt  geblieben  sein,  weil  bisher  das  Augenmerk  darauf 
nicht  gerichtet  worden  ist.  Ich  kann  hier  die  Bemerkung  nicht  un- 
terdrücken, dass  das  Material  von  »Seite  der  Archäologen  bisweilen 
gar  keine  Beachtung  findet,  oder  das«  man  bei  der  Beurtheilung 
desselben  sich  bisher  fast  allein  vom  Augenschein  hat  leiten  lassen, 
wo  nur  chemische  Analyse  entscheidende  Aufschlüsse  geben  kann. 


Antike  Dleicc^eustündo  im  Nntiotialinnscnu). 


Blei,  Zinn  und  deren  Leginingeu  werden  noch  mit  einander  ver- 
wechselt. 

Zu  solchen  Votiv-  oder  Gedeukbildera  dürfte  auch  ein  klei- 
ner Neptun  zu  rechneu  seiu,  der  sich  nach  gefalliger  Mittheilmig  des 
Herrn  Direktor  Lipp  in  der  Sammlung  zu  Steinamanger  befindet. 

Die  zweite,  ebenfalls  flacli  gearbeitete  Figur,  die  im  ungari- 
schen Nationalmuseum  aufbewahrt  wird,  ist  eine  5  Cm.  hohe» 


ANTIKE  BLEIGECENSTÄNDE  IM  ITfOARISCHEN  NATIONALMUSEUM.  389 


kopflose,  mit  einem  faltenreicheu  Gewand  augctbaue  Gestalt.  Auf 
der  Rückseite,  entsprechend  der  Höhe  des  Gürtels  sind  an  der  Lehne 
des  Trousessels  sehr  deutlich  die  Buchstaben  CISON  in  erhöhter 
Schrift  zu  lesen.  (S.  387  Fig.  2  a,  8.  388  Fig.  2  b.)  Gestalt  und 
Inschrift  zu  deuten  muss  ich 
dem  Scharfsinn  der  Archäologen 
tiberlassen. 

Auch  von  der  zweiten  Art 
figuraler  Darstellungen  —  Flach- 
relief auf  Platten  —  finden  sich 
zwei  Exemplare  im  National- 
museum. Die  eine  Platte  misst 
77»  Cm.  im  Geviert,  die  andere 
ist  l^it  Cm.  lang  und  9— O'/a 
Cm.  hoch.  Die  Darstellungen 
auf  beiden  haben  Bezug  auf  den 
Mithras-Cultus,  und  sehen  sich 
bis  auf  einzelne  Kleinigkeiten 
ganz  gleich.  Die  eine  Platte  ist 
mit  einer  ganz  besonders  schö- 
nen gleichmässigen,  grauweissen 
Oxydschicht  überzogen.  Be- 
schrieben und  im  Kupferstich 
abgebildet  sind  die  Gegenstände 
in  Tudomanyos  Gyüjtemeny.  An. 
1818.  III.  p.  64.  (Aus  der  Bitt- 
nicz'schen  Sammlung  von  Stein- 
amanger). 

In  ähnliclier  Art  gearbei- 
tet fand  man  im  Amphitheater 
zu  Metz  eine  Bleiplatte  mit  der 
Darstellung  einer  Viktoria,  wel- 
che eine  Büste  der  Roma  bekränzt.  (Grivaud  de  la  Vincelle, 
Recueil.  p.  30.) 

Von  omamentirlen  Bleigefasseu  ist  wenig  bakannt  gewor- 
den :  eine  Vase  mit  Bacchus,  Silen  und  den  vier  Jahreszeiten  fülu-t 
Gerhard  an  (Antike  Bildwerke,  1.  87),  einen  lUeibecher  mit  auf- 


•4'. 


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I 

890         AHTIKB  BUIOBOBimrlNDB  IM  ÜN6aBI8CHRN  HATKHIAUlirSBint 


geprägten  Bildern  in  Medaillonfom  findet  man  in  Overbeck,  Pom- 
peji,  3.  AuH.  8.  548,  Fig.  812  abgebildet. 

Ausser  den  Objekten  der  drei  oben  angeführten  artistiscb- 
technischen  Richtungen  wären  ganz  kunstlose  Figürclien  von  Sol- 
daten, Reitern  (De  Meester,  l.  c.  Nr.  1492  und  1493).  (  iaukleru 
(Caylus,  VT.  \).  277)  u.  s.  w.  zu  erwähnen,  die  wohl  aU  Kinderspiel- 
Sachen  aufzufassen  sind. 


In  künstlerischer  Beziehung  werden  die  von  mir  bisher  auf- 
gezälilten  Gegenstände  weit  übertrofFen  durch  einen  kleinen  Wid- 
derkoi)f,  den  ich  in  der  roichen,  mit  der  lieben. swiirdi'^sten  Bereit- 
willigkeit mir  zugänglich  gemachten  Privatsammlung  des  Rathes 
vom  obersten  Gerichtshofe,  Herrn  v.  Rath  zu  sehen  Gelegenheit 
hatte.  Die  stark  gebogene  Nase,  die  gracilen  nur  einmal  nach  vom 
gekrümmten  Homer  erinnern  an  den  Typns  mancher  Widderkdpfe 


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.lul"  griechischen  Arbeiten.  Au  den  vorsprüngendon  Theilen  ist  der 
matte  Glanz  des  Metalls  gut  sichtbar ;  die  tiefereu  Partien  sind  mit 
weisaliehem  Oxyd  überzogen. 


Weit  wichtiger  ist  die  Bolle,  welche  das  Blei  auf  techni- 
schem Gebiete  spielte. 

4.  Das  Blei  diente  zunächst  wegen  seiner  Zähigkeit  als  Bin- 
demittel. Bei  Stdnhanten  goss  man  dasselbe  entweder  iu  die  Fugen 
zwischen  die  Steine,  oder  mau  trieb  in  Quadern,  welche  durch 
Eiaeuklauimorn  zusammengehalten  worden  sollten,  Löcher,  die  man 
mit  Blei  ausfüllte,  um  dadurch  den  Klammern  mehr  Halt  zu  geben. 
(Ver<^l.  Vitruv.  IT.  cap.  8.  §.  4  :  his  ansis  ferreis  et  plumbo  frontes 
vinctae).  Diese  letztere  Art  war  offenbar  sehr  alt,  denn  schon  He- 
rodot  spielt  auf  dieselbe  an.  Er  erzählt  (I.  186),  Königin  Nitokris 
hätte  die  beiden  Theile  Babylon's  durch  Überbrückung  des  Euphrat 
T^^einigt ;  die  Brücke  hatte  sie  aus  Quadern  errichtet,  wobei  sie  die 
letztem  mit  Eisen  und  Blei  verband  (öiovaa  robg  U&ovq  aiSfi^ 
t$  xtd  ftoX^ßdifi),  Beide  Arten  kann  man  noch  hent  an  Teischiede- 
nen  Bauten  des  alten  Rom  sehn ;  die  erst  besprochene  (AusfUUnng 
▼on  Fugen)  kam  gewiss,  wenigstens  stellenweise  am  Amphitheater 
zu  Aquincnm  in  Anwendung.  Die  Besucher  des  Museum*s  werden 
unter  den  dortselbst  gefundenen  Gegenständen  auch  ein  solches 
Stück  zerflossenen  Bleies  beuierkeu 

Auf  einem  ülmlicheu  Principe  beruhte  die  Anwendung  dieses 


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392  ANTm  BLBI0EGEN8TÄNDK  IX  UNGARISCHEN  NATIONALMUgEülf. 

Metalles  bei  Marmor-  und  Bronzewerkeii.  Bei  ersteren  wurden  die 
zusammeugeliörigeu  Marmorstücke  durch  Nägel  zusammengebal- 
ten,  welche  in  Löcher  derselben  mit  Blei  eingelassen  ¥rauren  (Ar- 

.  chaeoL  Zeitg.  N.  F.  I.  65) ;  bei  grOaseren  Bionzewerken  waren  die 
Lacken,  die  bd  dem  Zusammenpassen  der  Gnssstficke  flbiiggeblie- 
ben  sind,  mit  Blei  vergossen  (interque  omnes  sinns  conunissnia- 
rumque  juneturas  plumbuni  ire  suflPusum,  sagt  Amobius  in  den  Di- 
sputationes  uilversus  geutes  <>,  IH.)*  Auch  womU'te  mau  das  ge- 
schmolzene Blei  zum  Festlöten  von  Gegenständen  an.  Ol)  die  iu 
Dodoua  gefundeneu  BleistUcke  (in  den  Tempeln  und  im  Temen os) 
dazu  dienten,  die  Steine  zusammen  zu  halten  oder  Weihegescbeuke 
auf  ihrer  Unterlage  zn  befestigen,  lässt  Carapanos  (Dodone  et  ses 

'  Rnines,  Textes,  p.  106)  nneniscliieden. 

Endlich  wandte  man  die  bindende  Kraft  des  Bleies  sogar  bei 
hölzernen  und  eisernen  Bestaudstücken  landwirth schaftlicher  (Ge- 
räte an  z.  B.  bei  der  Ohlpresse  (Cato,  De  re  rustica,  18).  Auch  die 
Säule  der  Uhlmühle  (Trapetum)  empfielt  Cato  zuerst  mit  Weiden- 
holz zu  verkeilen  und  dann  noch  Blei  einzugiessen,  damit  sie  nicht 
wackle  (eo  plombum  effiindere  caveas,  ni  labet  columella) ;  ebenso 
wird  die  Nabe  mit  Bleireifen  umgeben  (modiolos  circumplumbato). 
Das  ganze  hiezu  nötige  Blei  kostete  zu  Gatows  Zeit  4  HS. 

5.  Um  Colossalstatuen  eine  grössere  Stabilität  zu  geben,  goss 
man  die  Füsse  derselben  mit  Blei  aus.  Ein  interessantes  Beispiel 
dieser  Art  hat  der  Custos  des  kaiserlichen  Antikenkabinettes  zu 
Wien  Herr  Dr.  Kener  die  Güte  gehabt  mir  zu  zeigen. 

6.  Wie  man  noch  heute  aus  edlem  Metall  angefertigten,  leich- 
ter gearbeiteten  Gegenständen  bisweilen  durch  Unterlage  von  ge- 
ringerem Material  mehr  Halt  gibt  und  sie  vor  Verbiegen  schützt, 
so  füllte  man  auch  manchmal  getriebene  Verzierungen  (emblemata) 
mit  Blei  aus.  Dergleichen  sieht  man  z.  B.  an  einem  Stück  des  Hil- 
desheimer Fundes  —  der  Schale  mit  dem  Belief  der  Kybele  (R. 
Schöne,  Zum  Hildesheimer  Funde.  Hermes.  DI.  477). 

Grosse  Gefösse,  vor  allem  die  irdenen  Fässer  (dolia)  wurden 

*  Siehe  O0ppert*8  interessante  HabiUtatioiiflKhrift  :  Ober  die  Be- 
deutung von  femuninare  und  adplombaie  in  den  Paadecten.  Breslau  1869. 
(Seite  34.) 


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ANURR  BUnOEOBKi^TAimR  IM  ÜNOABISCHBN  »ATIONALHUSSDM.  393 

mit  Blei  reifen  umgehen,  um  sie  haltbarer  zu  machen  (dolia  phimbo 
vincito,  vel  niateri(^  (|uernea  .  .  .  ulligato.  ('ato.  ed.  ^^Jesner.  40). 

Caveiloni  be:icheibt  (Bull.  d^lF  Jiistituto  archaeologico  1846, 
S.  34)  ein  l'>a<|ment  eines  solchen  grösseren  Gefasso^;,  an  welchem 
diese  Bindearheit  zu  sehn  ist.  Es  ist  an  mehreren  Stellen  durch- 
bohrt, in  die  Löcher  sind  Bleinägel  eingetrieben,  welche  dann  an 
der  Innen-  and  Anssenseite  mit  halbcylindrischen  Bleistreifen 
verbanden  sind,  indem  sie  so  ein  Netz  bilden.  Anf  Thera  fiuid  man 
auch  «'ine  wertloJ«e  Amphora  mit  Blei  «genietet  (Koss.  Inselreisen  I. 
67).  In  den  »Sammlunj^en  Huden  sich  solclu»  Gefusse  selten,  nicht 
weil  sie  überhaupt  nur  selten  aiilLretunden  werden,  sondern  weil 
die  Landleute,  wenn  sie  auf  solche  stossen,  sie  zerstören,  um  das 
Blei  zn  gewinnen.  Auf  diese  Art,  die  Fässer  zn  festigen,  bezieht 
CaTedoni  anch  die  Worte  des  Plinins  (XVIII.  64.  2)  «dolia  qnassa 
saidre  ipsommqne  laminas  scabendo  purgare  ant  novas  facere.*  Er 
rersteht  anter  sarcire  das  Anlegen  der  Bleistreifen,  and  bezieht  aaf 
sie,  da^s  sie  durch  Schaben  zu  reiuiV^eu  seien.  Mir  scheint  aber  doch 
warscheinlicher,  dass  das  sarcire  auf  das  Anlegen  von  Keifen  (nia- 
teries  queruea)  geht  und  dem  „alligare''  des  Cato  entspricht,  die 
laminea  aber  Fassdauben  sind,  die  entweder  zu  reinigen  oder  durch 
nea  eingezogene  zn  ersetzen  wären.  Üs  lag  nahe,  auch  serbrochene 
Tongeschirre  mit  solchem  Bleigeflecht  zu  umgeben  (wie  man  es 
bei  ans  mit  Eisendraht  thut),  ja  man  fügte  bisweilen  in  die  Ldcken 
Scherben  von  andern  Gefässen  ein  und  hielt  sie  dann  durch  Blei- 
klanimern  fest.  Ein  sehr  interessantes  Beispi«'!  ist  die  von  Gerhard 
al)gebildete  Vase  (Auserleseue  Vasenbilder.  II.  Nr.  145.  Beschrei- 
bung S.  180).  Das  Ausbessern  mit  Blei  scheint  ganz  gewöhnlich 
gewesen  zu  sein.  In  Ter.  Varro's  Saturarom  Menippearum  reliquise 
(ed.  Biese  S.  227)  fand  ich  die  Stelle  :  Sed  quae  necessitas  te  jubet 
aqoam  effnndere  domi  tua?  si  uasa  habes  pertosa,  plumbnm  non 
habes? 

Mit  Blei  befestigte  man  auch  Deckel  von  Gefässen,  die  be- 
sonders dicht  schliesst  n  sullteii,  z.  B.  an  M^dikamentenbüchsen  mit 
einem  Bleiring  oder  einer  Bleikappe  (Güp]>ert.  1.  c.  30). 

7.  Wenn  die  ßömer  auch  schon  das  «Verzinnen"  der  Innen- 
flache von  (Gegenständen  in  der  Weise,  wie  es  bei  uns  üblich  st, 
gekannt  haben,  so  Aberzogen  sie  doch  oft  die  erstem  mit  Blei,  da 

ÜngMiwlie  B«v»c.  im.  V.  Holl. 


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394     *    AMniB  BtAtOBOBNflTlKnR  IX  UNOAtttSCIIBN  VATIMAUIÜSEOM. 

dieses,  wenigstons  zn  Plinius  Zeiten  (XXXIV.  18.  2.)  um  mehr  als 
(las  elffache  hilliger  war,  als  Zinu.  Mau  kleidete  mit  Bleiplatteu 
ganze  Sär^^e  aus. 

8.  Eine  sehr  wichtige  Verwendung  hatte  das  Blei  zur  Her- 
stellung von  Waaserleitungsröhren,  die  Vitruv  (VIII.  7)  fistulae  im 
Gegensatz  zn  den  Tonrohren  (tuhuli)  nennt.  ^Fan  stellte  sie  aus 
Platten  her,  die  um  einen  Kern  gehogen  wurden.  Die  Ränder  wur- 
den auf  einander  gehämmert  und  dann  änsserKchTerlStei  Die  Plafc* 
ten  sollten  nicht  kürzer,  als  10  pedes(2'96  Meter)  gegossen  werden. 
Seit  Agrippa*8  and  Vitrav^s  Zeiten  bestand,  nach  Beseitigung  iUte- 
rer  Masseinheiten,  die  «quinaxia*  als  ,modalns.'  Nach  YitniT^s 
Angabe  (VUL  7)  meinten  die  pltimbarii  damit  ein  Bohr,  das  aus 
einer  5  digiti  breiten  Platte  ge))ogen  war.  (Ex  latitudine  autein 
lamnarum  quot  digitos  hahuerint  antequani  in  rotnmlitioneni  fleo- 
tantur,  magnitudiiiuni  ita  noniina  concipiunt  fistulao.)  Es  hätte  al«o 
eine  (^linar-Külire,  da  1  digitus  18*5  Millm.  (Hultseh.  Metrolo- 
gie) mass,  einen  Perimeter  von  92*5  Millm.  besessen.  Frontinus  (Do 
aquis  I.  25)  1)emerl<t  aber  ganz  richtig,  dass  eine  solche  Bestim- 
mong  des  Modulus  etwas  sehr  unsicheres  habe  (sed  hoc  incertam 
est  quoniam  cum  cireumagitor  [lamina],  sicnt  interiore  parte  adtra- 
hitnr,  ita  per  ülnm,  quae  foras  speetat,  extenditur).  Der  Qesammt* 
durchmesser  des  dünnsten  Rohres  hätte  nach  Vitrar  etwas  Uber  29 
Millm.  betragen.  Frontinns  (unter  Nerra  lebend)  hSlt  es  dagegen 
ftbr  das  waiseheinlichste,  dass  die  quinaria  ihren  Kamen  daher 
ftihre,  weil  ihr  Diameter  5  Quadranten  eines  Digitus  d.  h.  18*5  -1- 
4*6  =  23*1  Millm.  mass.  Während  die  Namen  der  Röhren  hei 
Vitruv  sich  nach  der  Breite  der  l*latte,  in  Zollen  ausgedrückt  rich- 
ten, werden  sie  nach  Frontinus  bis  zur  vicenaria  durch  die  Zahl  der 
t^hiadranten  des  Durchmessers  bestimmt;  also  z.  B,  senaria  bei 
einem  Durchmesser  von  "  <  digiti.  Von  der  nicenaria  an  wächst 
der  Diameter  Tiel  langsamer.  Die  Octogenaria  müsste  nach  dem 
bis  zur  nicenaria  befolgten  Prinzip  80  Qoadrauten  =  20  digiti  im 
Dianieter  messen,  tatsächlich  aber  mass  sie  nur  10  digiti  und  26 
seripuli  (Frontin.  1. 58.),  die  centenaria  hätte  25  digiti  Durchmesser 
haben  mfissen,  hatte  aber  bloss  11  digiti  und  80  seripuli  (Front.  I. 
62).  Das  dickste  Bohr  soll  nach  VitruT  einen  Umfang  Ton  100  di- 
giti gehabt  haben  d.  h.  1*85  Meter,  was  einem  Durchmesser  yon 


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ANTIKE  BLEIOEOENSTÄNOB  Uf  UK6ABI9CBBN  KATtONALMUSBUX.  ^% 

588  Millm.  entspricht!  Nach  Frontinus  war  von  den  seiner  Zeit 
gebraueliliolien  25  modnlis  der  weiteste,  dem  die  fistnla  centennm 
▼icenuin  (I.  03)  entsprach,  ^e  hatte  einen  Diameter  von  228*3 
MiTIm.  Die  Dimensionen  des  VitniT  sind  kaum  glaublich.  Dass  sie 

Pliiiius  (XXX J,  31)  auch  anführt,  kann  kaum  als  Bestätigung  gel- 
ten. Ich  glaube,  er  hat  das  ganze  31.  Kapitel  von  Vitruv  abge- 
schrieben. Selbst  bei  den  von  Frontinus  angegebenen  Massen  müs- 
sen Röhren brüche  nicht  gerade  eine  Seltenheit  gewesen  sein, 
namentlich  da  man  die  Bleirohren  mit  Vorliebe  dort  anwendete,  . 
wo  der  Wasserdruck  besonders  stark  war  (Plin.  XXXI,  81. 1). 

Das  Nataonalmusenm  bewahrt  eine  Röhre  von  etwa  52  Gm. 
Lange  (also  fast  nur  von  '/e  der  ursprünglichen);  sie  hat  einen 
Durchmesser  von  08  Millra.  bei  einer  Wandstärke  von  5 — 7  Millm. 
Sie  ist  also  nach  der  Terminologie  des  Frontinus  eine  „fistula  qui- 
nam  denum,''  deren  Durchmesser  69*3  Millm.  betragen  sollte.  Die 
Commiaanr  der  Plattenränder  khi£ft  ein  wenig.  Die  Röhre  ist  rauh, 
mSsdg  angenagt. 

Die  Tafeln,  welche  für  diese  Röhren  bestimmt  waren,  goss 
man  in  Formen,  in  denen  die  Inschriften  vertieft  waren,  so  dass  sie 
auf  der  Röhre  selbst  erhaben  erscheinen.  Sie  tragen  meist  Angaben 
ül)er  die  Consulen,  wie  die  zu  Lyon  befindlichen,  (von  Roissien : 
Insc.  ant.  de  Lyon.  1854  beschrieben)  .der  Kaiser  oder  Stadtnia- 
gistrate  in  deren  Auftrag,  der  Privatpersonen  (Leitung  des  Pop- 
paens  Hermes  zu  Bi^ae)  oder  Gesellschaften  z.  B.  der  Puellamm 
municipii  Gnmanomm  zu  Cumae  (Opere  dell'  Instii  areheoL  1838. 
p.  77—70),  auf  deren  Kosten  sie  errichtet  worden  sind.  In  andern 
Fullen  ist  der  Fabrikant  (plumbarius)  genannt  z.  B.  ex  ott'icina 
Martini  plumbarii  (Lanciani,  Ricerehe  topografit  lie  suUa  citii  di 
Porto.  Annali  dell'  Instit  archeol.  18<)8.  [».  192J;  die  liöhre  im  Pester 
Museum  tragt  keine  Aufschrift.  Vielleicht  stand  diese  auf  dem  ab- 
gebrochenen Stfioke,  das  sich  nicht  erhalten  hat.  Bei  dem  so  hoch 
entwickelten  Leitungssystem  der  Römer,  mnssten  nicht  bloss  in 
dem  ausgedehnten  Rom,  das  unter  Nerva  von  nenn  Wasserleitun- 
gen versorgt  wurde ,  sondern  selbst  in  Provinzialstädten  ausge- 
ln-f'it€^  -Röhrennetze"  bcstehn.  Der  aufmerksame  Tiesncher  Pom- 
peji'« findet  solche  dort  noch  zum  Theile  sehr  wohl  erhalteji. 

Yitruv  fQhrt  in  sehr  eindringlicher  Weise  den  Tonröhrcu  das 

26* 


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3a0         ANTIiTE  BLEIOBOENSXAKDB  im  mrOillSCBBll  KATtOSAIflnTBEini. 


Won  gogonüber  den  bhnorueii.  VITT.  7  :  mnlto  scaliil)rior  est  ex 
tubulis  (irdenen)  aqua  quam  per  fistulas  (bleierne  üöhren) ;  quod 
per  plombam  videtor  esse  ideo  yitiosa,  quod  ex  eo  cerussa  nascitor, 
liaec  autem  dicitur  esse  nocens  eorporibns  humanis.  Gleickwol 
wendete  man  sie  an,  and  liess  sich  nicht  abhalten,  es  selbst  dort  tu 
thuu,wo  die  ehemische  Wirknng  des  Mineralwassers  sie  bald  zerstS- 
reu  musste.  Pausaiiias  maclit  (IV.  35.  12)  die  interes.sante  Angabd 
tlass  zu  Dikaiarchia  (in  <ler  Nähe  von  Puteoli)  .^icli  seiner  Zeit  eiu 
heisses  Wasser  {r<)ioQ  acpiai  ö'tQfiöi')  finde,  welches  die  Bleirölue, 
dnrch  die  es  läuit,  (Öit^fju  yäQ  8ia  fioX^ßdov  ^ov)  in  wenigen 
Jahren  zernagt 

Bei  so  ansgebieiteter  Venwendnng  der  Bleiröhren  wird  es 
nns  nicht  Wunder  nehmen,  dass  die  Herstellnng  derselben  einen 
mächtigen  Geschäftszweig  gebildet  hat,  in  welchem  besonders  zur 
Zeit  der  Kaiser  zum  Theil  bedeutende  Vermögen  investirt  waren. 

9.  Sehr  auifüllig  ist  es,  dass  man  bei  der  zum  Theil  ganz 
richtij/  erkannten  Gefährlichkeit  des  Materials  doch  Kessel  zum 
£inkochen  des  Mostes  (sapa)  und  Scliüsseln  zum  Abmachen  des 
Brodteiges  anfertigte.  Einen  solchen  Kessel  £uid  man  in  einer 
Pompejanischen  Eineipo,  wo  er  vielleicht  zur  Herstellnng  der  Calda 
dienen  mochte,  yon  letztem  mehrere  Exemplare  in  einer  Backerei 
(Presuhn).  Proben  von  beiden  hatte  ich  Gelegenheit  zu  analysiren 
und  habe  darüber  au  einer  andern  Stelle  berichtet.  Es  gab  sogar 
dolia  plumbea. 

Bleigefässe  lienützte  man  auch,  um  darin  Pflaster  zu  kochen 
(Plin.  XIII.  3.)  und  andere  pharmacentische  Praeparate  darzustellen 
(Plin.  XXXTII.  35.  4.)  Bleimörser  {pioXvßSivti  d-vta)  znr  Bereitung 
yerschiedener  Medikamente.  (Dioscorid.  V.  95  nnd  Plin.  XXXIV. 
50,  2.).  Viereck i<^<  Küsten  aus  Blei  oder  doch  mit  Blei  geföttert 
dienten  oft  zum  AuftVngen  des  aus  d^  r  Presse  abfliessenden  Oliven* 
öhls  (Cohimelhi.  XII.  50).  Zuweilen  findet  man  ancli  Blcigefüsso, 
deren  Bestimmung  sich  nicht  mehr  ermitteln  läast.  Das  Musee  <le 
Ravenstein  bewahrt  (Nr.  1494)  ein  cylindrisches  (lefass,  das  bei 
Frascati  gefunden  ward  und  yon  de  Meester  f&r  eine  Aschenurne 
gehalten  wird.  Im  Nationalmuseum  befindet  sich  ebenfalls  eineyliu^ 
drisches  ganz  schmuckloses  Geföss,  dessen  Durehmesser  3  Gm.  be- 
trägt; der  obere  Rand  ist  ungleich  ausgebrochen.  Es  ist  6— 7Vt 


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AHTIKB  ÜLBIGEtigNäTiVDE  iM  UNUAKlüCBBa  HATIüNAUfUSBUM.  8U7 

Ciu.  liiich  und  bestellt  nach  meiner  Aiuilypi»'  uns  ri  incin  l>lei.  Viui- 
leicht  diente  es  zur  Aulbewuhruug  einer  Salbe.  Fundort  j' 

10.  Eine  wichtige  Rolle  spielte  ferner  das  Blei  im  Kriege. 
Man  go88  ans  demselben  die  Glandee.  Mommsen  (Corp.  Inaer.  lat 
I.  p.  188—194)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  sie  vor  allem  bei 
Belugerangen  in  Anwendung  kamen.  Sie  sollen  darum  aueh  am 
häufigsten  um  solche  StSdte  gefunden  werden,  welche  erwiesener* 
massen  harte  Belagerungen  zu  erleiden  hatten.  Die  römischen  sind 
überhaupt  seltener  als  die  griechischen  und  gehören  vor  allem  dem 
7.  und  d(  111  Aiil'aii^a*  des  8.  Jahrhunderts  der  Stadt  an.  Sie  waren 
wahrsclieinlit  li  iu  Tunlormeu  «gegossen  (glandes  tundero,  Bell.  Afric. 
cap.  20)  und  hatten  bisweilen  Inschriften  iu  erhöhter  Schrift.  Eine 
hübsche  (Tlaus  mit  schlanken  aculeis  (Liv.  38.  21)  und  der  Auf- 
schrift L.  XV.  fand  ich  in  der  bereits  erwähnten  Sammlung  des 
Herrn  v.  Rath.  Obgleich  der  Besitzer  über  die  Provenienz  keine 
bestimmten  Daten  hat,  so  darf  man  doch  annehmen,  dass  der  Fund 
Panonien  (im  weiLesten  Sinne)  angehört ,  da  wie  mir  Dr.  Hampel 
mittheilte,  die  XY.  Legion  eine  Zeit  in  Panonien  stationirt  war.  . 

Mau  schleuderte,  wie  en  scheint,  gauz  gewohnlich,  Glandes, 

auf  denen  Nachricht*»n  geschrieben  waren  :  besonders  verräthc- 
rische  Mittheilnugen  aus  helat^erten  Orten  konnte  man  so  den  Be- 
lagerern zukomnieu  lassen  (iudicium  glande  scriptum  misit  und 
mittere  glandem  inscriptam  solebat.  Bell  Hispau.  c.  13  und  1 8). 

Dass  die  Glandes  im  Fluge  geschmolzen  (liquefacto  plumbo. 
Virg.  Aen.  IX.  588  und  Lucan.  VII.  513)  oder  gar  rothglühend  ge- 
worden sind  (Lucret  VL  305  uff.  ignem  concipit  in  auris)  ist  na- 
türlich nur  poetische  Obertreibimg.  Liegt  doch  der  SehmebponU 
des  Bleies  erst  bei  334%  einer  Temperatur,  die  ein  abgeschossenes' 
Blei  nicht  annimmt,  noch  weniger  ein  aus  der  Hand  geschlendertes. 
Ich  kann  von  dem  Gegenstände  nicht  scheiden,  ohne  der  schwung- 
vollen nnd  durrh  Wfdlaut  ausgezeichneten  »Stellf  in  Ovid's  Meta- 
luürphosi'n  (11.  727)  zu  gedenkon.  Indem  er  da«  leidenschaftliche 
Ergliih'u  der  Liebesehusucht  schildern  will,  macht  er  den  V  ergleich : 

Non  .set'U.s  exarsit,  quam  cum  B.iit'uricii  iiluiubuiii, 
Funda  jacit.  Volat  illnd  et  incandescit  eundo. 
Bt  quof  Bon  habuit,  sub  nobibns  invenit  igne«. 


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30» 


Ausser  den  Glandes  scheinen  auch  einfache  Kugeln  (i>Ium- 
Y)ene  sc.  pilae)  geschlenderl;  worden  m  sein.  Als  Severus  in  der 

Schlacht  bei  Trimurtiuiii  (in  der  Gegend  von  L\'on  snr  Sanne)  mit 
seinem  Pferde  stürzte,  glaubte  man  ihn  von  einer  Hleikngel  t<5dt- 
lich  getroil'eu  (mortuus  ietu  plumbeae  credebatur.  A.  Spartiaui  Se- 
verus, c.  11.  2). 

Zu  Kriegszwecken  fand  ich  das  lilei  noch  zweimal  erwähnt. 
Einmal  drücken  Belagerte  den  an  ihren  Mauern  arbeitenden  Sturm- 
hock (aries)  durch  schwere  Bleigewichte  zur  £rde  (Liv.  42.  cap.  63. 
li.  4).  Kin  andermal  rath  man  dem  Scipio  Aemilianus  hei  der 
Belagerung  einer  Stadt  die  Furten  des  Flusses  mit  hleibeschwer- 
ten  Brettern,  die  Kägel  trugen,  (nach  Art  von  Fussangeln,  muri* 
ces)  zvL  belegen  (tahnlis  plumhatis  consternere),  damit  die  Belager- 
ten nicht  hinüberkommen  und  das  Lager  überi*umpe1n  könnten. 
(Valer  Maxim.  III.  cap.  7.  n.  2), 

11.  Iileikug<'hi  landen  noch  mancherlei  andre  Verwendung 
ebenso  wenig  harmloser  Art. 

Die  Pankratiasten  flochten  sie  in  ihre  Caeslus,  nni  die  Schläge 
wurhti'_,^'r  zu  macher  (Virgil.  Aen.  V.  loo).  Die  Plunibatae  waren 
wohl  mehrschwäuzige  Geissein  mit  Bleikugeln.  Weniyjsfens  fand 
man  in  dem  Grabe  eines  Märtyrers  su  Rom  eine  Peitsche,  die  ans 
mehreren  Kettchen  besteht,  an  deren  Enden  Kugeln  hangen,  frei- 
lich ans  Erz,  doch  ist  das  vermutlich  ein  verbessertes  Exemplar 
dieses  Folterwerkzeugs.  Aber  auch  die  regelmässige  Rechtspflege 
späterer  Zeit  schien  dieses  Justizapparates  schwer  entbehren  zu 
können.  (Vergl.  Codex  Theodosian.  9,  35.  2—11,  7,  3—12,  1,  80.) 

Endlich  werden  Bk'ikugeln  zum  Beschweren  von  Schnüren 
(am  Senkblei,  an  Augelächnüren)  sclion  in  ältester  Zeit  erwähnt 
(Homer). 

12.  In  ausgedentester  Weise  bedient««  mau  sich  des  Bleies 
für  Murken  (Tesserae)  verschiedener  Art,  die  man  heute  zum  Theil 
ans  Weissblech  oder  Messing,  Papier  u.  s.  w.  anfertigt.  Die  Zahl 
der  uns  erhaltenen  Gegenstände  dieser  Art,  besonders  römischen 
Ursprungs  ist  sehr  gross,  augenblicklich  nicht  einmal  zu  fibersehn. 
Schon  in  der  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  hat  Baron  Alex. 
Recupero  zu  Rom  eine  Sammlung  tou  mehr  als  2200  Stock  zusam- 
mengebracht Ihre  Bedeutung  ist  zum  Theil  noch  gar  nicht  er- 


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AHTID  BUSliSEQJaUTiVVE  IM  DiaiBlSClliai  MATlOKALUDSmil. 


kannt;  bei  manchen  kann  man  ihieu  Gebrauch  leichter  eich 

erklären. 

Manche  dienten  als  Eintrittsmarken  in  Cirkus,  Amphitheater 
und  Theater  (zwei  sulche  sind  durch  Abbildungen  in  Overbeck's 
Pompeji  auch  dem  grössern  Publikum  bekannt  geworden)  und  zu 
andern  Festvorstellungen.  Die  mit  Götterbildern  yersehenen  wur- 
den Tielleicht  als  Denkmedaillen  bei  religiösen  Au&ügen  und  an- 
dern grossen  Festen  unter  das  Publikum  yerÜheilt.  —  Wieder  an- 
dere (Tesserae  ftumentariae)  waren  Anweisungen  fÄr  die  Getreide- 
auwtheilung,  einen  Modiu.s  zeigend  mit  hprausragendeu  Kornähren, 
das  SvniV»ol  der  Annona.  Noch  andre  wurden  als  Eticjuetten  an 
( iegenstäude  z.  B.  Amphoren  befestigt.  Manche  sind  durclibohrt, 
hingen  also  offenbar  an  Schnüren  und  trugen  den  Siegelabdi-uck. 
Einige  dienten  als  Amulette,  andre  waren  Familienmedaillen.  Auch 


mögen  manche  als  Spielmarken  gedient  haben  (Stieglitz,  Archäo- 
log.  Unterhaltungen.  II.  S.  133).  Solche,  die  Münzen  ähnlich  sehn, 

lii«'lt  Stieglitz  (1.  c.  159)  für  Pr(d)e-rräguujj;en  neuer  Mün/stcmpel. 
J.  Friedländer  vermutliet,  dass  bei  alt-italienischen  Bronzemeduillcn 
(aus  dem  Cinquecento)  das  »Original-Modell,  da.s  Wachsmodell, 
zuerst  in  Blei  abgegossen  und  Yom  Künstler  selbst  ziseliert  wurde, 
und  dass  dann  solcher  Bleiguss  zum  Modell  für  die  Bronzegttsse 
gedient  habe.*  Könnte  bei  den  in  der  Technik  der  Bronzebearbei- 
tung 80  erfahrenen  Alten  nicht  etwas  ähnliches  üblich  gewesen, 
und  solche  Modrdle  auf  uns  gekommen  sein  ?  Femer  ist  bekannt, 
tl;i<<s  scll)st  Miin/.en  zum  Theil  gegossen  und  »lann  erst  unter  den 
Prügstock  gebracht  worden  sind.  Es  wäre  nicht  unstatthaft  anzu- 
nehmen, dass  uns  unter  den  „Piombi'^  auch  Bleimodelle  für  solche 
neue  Münzen  erhalten  seien. 

Die  Tesserae  sind  gewöhnlich  rund,  seltener  drei-  oder  vier- 


40U  AVTHB  BLBIOBGlSNaTANUB  IM  UKUAEISCICBN  HATIOSIALIfCBCÜM. 


eckig,  rautenförmig  oder  oval,  meist  Haeli.  auf  einer  oder  iH'iden 
Seiten  geprägt ;  einige  sind  kuglicli,  durchbohrt,  nur  auf  einer 
beite  die  Prägung  tragend.  Entsprechend  ihrer  Verwendung  hüben 
sie  meist  ein  rohes  Gepräge  :  einzelne  Buchstaben,  Monogramme, 
ganze  Worte  oder  unerklärte  Zeichen.  Andre  sind  hübsch  ausge- 
führt, zeigen  Köpfe  oder  anderweite  fignrale  Darstellungen  (Gail- 
lard  im  Katalog  der  spanischen  Nationalbibliothek  1852.  p.  24. 
und  Tav.  \\.  in  Spanien  bei  Lucena  gefunden).  Trotz  der  Weich- 
heit des  Metalls  sind  viele  wohl  erhalten. 

Hier  zu  erwähnen  wären  noch  runde,  münzförmige  Stücke, 
,  welche  die  innern  Kerne  (animae  numorum)  falscher,  silberplatir* 
ter  Münzen  bildeten. 

Von  den  Tesserae  und  Medaillen  verschieden  sind  jene 
«piombi,*  die  als  Boletten  dienten.  In  Hölungen  von  Marmor- 
blöcken eingelassen  und  mit  Kaiserbildnissen  geprägt  mochten  sie 
dazu  dienen,  solche  Blöcke  von  y\b«raben  zu  befreien  (tStieglitz.  1.  c. 
II.  139).  Mit  die,>^('n  nicht  zu  verwci-liscln  sind  Bleistücke,  welche 
man  in  kleinen  Hölungen  von  bäuien  u.  s.  w.  eingelegt  fand.  >ie 
tragen  Namen  yon  Privaten  und  waren  wohl  bestimmt,  das  Anden- 
ken des  Erbauers  der  Nachwelt  zu  übermitteln.  (Besonders  seit 
Trajan^'s  Zeit,  Stieglitz.  L  c  140).  Boletten  andrer  Bestimmung 
sammelte  Salinas  auf  Sicilien  (Descricione  di  una  racoolta  di 
Piombi  antichi  siciliani.  Annul.  delFInstit.  arch.  1864.  p.  343 — 355). 
Sie  tragen  griehische  Aurschriflen,  haben  zwei  durch  einen  sclima- 
len  Streifen  verbundene  Platten,  von  denen  an  einzelnen  Exem- 
plaren die  eine  mit  einem  <  onischen  Fortsatz  in  eine  entsprechende 
Hölung  der  andern  passte.  Mon.  dell'  Instit.  VoL  Ylll.  T.  1 1.  A.  n. 
1*  Ein  schönes  Stück,  aber  bereits  zusammengepasst,  sah  ich  im  k. 
Antikenkabinei  —  Da  Sicilien  durch  seine  Stoffihbrikation  sehr  re- 
nommirtwar,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  diese  Bleie  Fabriksmar- 
ken  sind,  die  dm  Stollen  ant;*t'li.'nkt  wurden,  ganz  in  der  Art,  wie 
es  bisweilen  noch  jetzt  grsdiieht.  Darauf  deutet  aiu  h  das  liiiufiufe 
Vorkommen  von  ganz  gleichen  Exemplaren  (l)is  zu  1"  Stück),  die 
offenbar  bestimmt  waren  Produkte  einer  und  derselben  Fabrik  zu 
bezeichnen.  Salinas  nennt  sie  darum  »piombi  mercantilL* 

13.  Obgleich  yon  allen  Metallen  das  Blei  das  ungeeignetste 
hiezu  war,  f<^rtigte  man  daraus  doch  Gewichte  an.  Auch  das  Natio- 


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ANTIKB  IMJHtiBUlKSTlBDB  IM  UNaAKISCilKN  NATlONALBfU.SBUH.  401 

nalmusettiii  besitet  ein  sehr  gut  erhaltenes.  Es  ist  viereckig,  eine 
Seite  miMt  16  Cm.  Auf  der  eiiu«  Fläche  steht  »uf  der 

indem  ^  erhöhten  Bnchstabeu.  (Abgebildet  in  den  Monu- 

ments epigrapliiijiips  du  Musec  national  IToiigroi«.  Tal).  XLIX.  Xr. 
239.  Im  Text  steht  irrigerweise  Alt-Ofen  als  Fundort  angege- 
ben. Vergl.  auch  Kiss  F.  in  Tudom.  Tär.  1839.  197).  Das  Gewichts- 
stöck  wiegt  3*25  Kilo :  10  libraesind  nach  den  genauesten  Bestim- 
mnngen  3*27  Kila  (Hultsch.  Metrologie,  p.  117.) 

14,  Blei  diente  als  Schreibniateriale.  Man  linirte  damit.  Wem 

fiele  nicht  Catullus  reitzende.s  Spottgedieht  auf  den  groben  Suttenus 
ein,  in  '.velehem  der  membrana  dereeta  phnubo  Erwälmuug  ge- 
schieht ?  Anderseits  schrieb  mau  auf  Bleiplatten. 

Auf  solche  (plnmbeis  volnminibns)  trag  man  nach  Plinins 
Angabe  (XUL  21)  in  ältesten  Zeiten  öffentliche  An^seichnnngen 
(pabliea  monnmenta)  ein.  Dem  Pansanias  zeigte  man  an  der  Hip- 

[»okreue  eine  stark  zerstörte  Bleitafel  (uö'/.irj ()()}>)  auf  welcher  He- 
siotrs  ^'Lnyci  sollen  geschrieben  gewesen  ^ein.  (Paus.  IX.  31.  4). 
Auf  Bleitäfelehen  waren  die  Verfluchungen  i^nuTuöiauoi)  eingetra- 
gen, von  denen  Tacitus  (Ann.  II.  61>)  spricht.  Solche  bleierne 
Flnchtafeln  aus  griechischer  Zeit  sind  in  einem  Grabe  bei  Athen 
gefunden  worden  (Boeekh.  C.  J.  Gr.  538  und  539).  Eine  ähnliche, 
ans  einem  Grabe  zu  Oumae,  stammt  ans  dem  2.  oder  3.  Jahrhun- 
derfc nach  (Jhr.  und  enthält,  in  griechischer  Sprache,  Verwünschun- 
gen wahrscheinlich  irgend  eines  gekränkten  Ehemannes  gegen 
seine  Gattin  Valeria  Codratilla  (Henzen.  Abgebildet  Annali  delV 
lustit.  1840.  T.  d'Agg.  G.)  Endlich  sind  hier  die  Überreste  des 
Orakelarchives  von  Dodona  zu  erwähnen.  Bleiplättchen  von  1 — 3 
Millm.  Dicke,  Anfragen  und  Gebete  yon  Völkern  und  Einzelnen  an 
das  Orakel  des  Zeus  Naios  und  der  Dione  enthaltend.  Die  yon  Ka- 
rapanos  und  Foucart  entzifferten  42  T^elehen  haben  den  manig- 
&chsten  Inhalt  :  Anfragen  politischen  Inhalts  Frieden garantien 
betreffend,  AnlVagen  wegen  gfstulileuer  Kopfkissen  und  Matra/zen, 
Anfragen  von  Kranken,  durch  welche  Opfer  sie  ihre  (usundheit 
wieder  erlangen  könnten,  von  Geschäftsleuten  ob  ihre  Unterneh- 
mongen  glücken  werden,  Ton  einem  misstrauischen  Lysianias  ob 


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Nyla  von  ihm  in  der  Hofinuug  sei,  werden  dem  Gotte  vorgelegt 
(Carapanos-.  Dodoue  et  ses  Ruines.  Pjiris  1878.)  Mehrere  solcher 
PlättcheD,  im  Besitse  des  Wiener  Teehändlers  Herrn  F.  Trau,  hatte 
ich  Gelegenlieit  zn  sehen.  Eine  der  Inschriften  gehing  es  Prol  W. 
GorUtt  zu  entziffern  (Archaeol-epigraph.  Mittheilnng.  ans  Öster- 
reich. IV.  61—64). 

15.  Zain  Schluss  bliehen  noch  einige  kleinere  Objekte  zn  er^ 
wähnen,  deren  Zweck  und  Bedeutung  schwer  zu  errathen  ist.  Hier- 
her gehören  i^wei  Ringe  desNatioiialmuseums.Der  eine  (Fig.  4,  S.  289) 
mit  einfacherer  Verzierung,  hat  5  Cm.  im  Durclimehser :  die  lireite 
de.s  Ringes  ist  OMilhn.  Der  andere(Fig.  5,  8.:*»88)  reicher  oi  uanientirt, 
hat  7*5—8  Cm.  Durchmesser,  ist  2'/3  Cm.  breit  und  von  4  im  <^2ui^- 
drat  gestellten  1  Cm.  weiten  Löchern  durchsetzt.  An  emer  Stelle 
der  Periferie  geht  ein  kurzer,  abgebrochener  Fortsatz  nach  ab- 
wärts. Beide  Ringe  sind  flach,  der  grössere  rothbraun  oxydirt.  So 
gering  das  Ansehn  des  Bleies  ist,  sdieinen  beide  Objekte  decorati- 
▼en  Zwecken  gedient  zu  haben. 

Das  henkellose  Erttglein  (Fig.  8,8.887  in  natQrlicher  Grdsse 
abgebildet),  stark  gelbbraun  oxydirt,  zuÖ-Szony  (Bregetio)  gefunden, 
besteht  aus  Blei  mit  sehr  geringen  Spuren  Ton  Zinn.  Es  durfte  wie 
das  zum  Vergleich  abgebildete,  aus  reinem  Zinn  bestehende  (I'ig.  <») 
vielleicht  ein  Weihegeschenk  gewesen  sein.  Man  kann  an  ihm  ziem- 
lich gut  sehen,  dass  es  in  einer  aus  zwei  Stücken  bestcluMiden  Form 
gegossen  ist.  Auf  Delos  fand  man  eine  Nachbildung  eines  Köchers 
aus  Blei,  solid  gegossen,  5*8  Kilo  schwer  —  ein  Voti?gescheuk 
(Urlichs.  Ann.  dell'  Inst.  1842.  S.  88  und  Tav.  d'ad.  K.) 

Es  erübrigt  noch,  die  Verwendung  des  Bleies  als  Beimischung 
von  MetalUegirungen  nnd  in  einigen  seiner  chemischen  Verbin- 
dungen anzuführen. 

16.  Das  Blei  ist  nicht  selten  zur  Beförderung  des  Flusses  beim 
Gasse  dem  Erze  zugesetzt  worden  (Mfiller,  Handb.  der  Archäol.  3. 
Aufl.  g.  306,  S.  423).  Später  mochte  man  diesen  Zusatz  in  betrüge- 
rischer Weise  Torgenommen  haben,  so  dass  endlich  im  8.  Jahrhun- 
dert n.  Ch.  Tacitus  Augustus  sich  genöthigt  sieht  die  Bestimmung 
zu  treffen  :  si  quis  miscuisset  m-ri  ))lumltuin,  eajiital  esset  cum  bo- 
norum j>roscrii>ti(>ne.  (Flav.  Vopiscus  :  Tacitus  c.  !l  §.  -l) 

17.  Eine  andre  Legirung,  die  mit  Zinn,  fand  viel  Verweu- 


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ABTTfKX  BUUOBGBNSTlNBB  IM  UlfäABISCBIH  NATIONALHUSBUM.  403 


diing  zum  Löten  (Femiminare,  nach  Göppert's  scharfsinniger  Be» 
firrnndung  dieses  tecliiiischeii  Auritlnick's  in  der  wiederholt  /itirten 
Habilitatioiissclu-iit).  Pliuius  keuut  zwei  luiserm  Schuellloth  ent- 
sprechende Mischnu^:en.  Nachdem  er  angeiiilirt,  dass  lUei  mit  Blei 
durch  Harz  (ghitinum  resiua  plumbo.  XXXllI.  30)  oder  Zinn  zu 
löten  sei  (plumbum  nigrum  albo  juugitor  XXXllL  30)  und  umge- 
kehrt (jtingi  inter  se  piumbam  nigram  sine  aiho  non  potest .... 
ac  ne  albiim  qnidem  Becnm  sine  nigro  XXXIV.  47)  beaprieht  er 
genauer  ihre  Legimng  (stannnm).  Ab  Loth  für  Bleiröhrra  nennt 
er  das  stannnm  tertiarium  ans  2  Theil  Blei  und  1  Theil  Zinn  beste- 
hend (XXXIV.  48. 1),  als  Lot  für  Bronze  nnd  Silber  das  stannnm 
argentarinm  (nach  Göppert^s  Vermnthnng.  L  c.  26.  Ann.  10)  aus 
gleichen  Theilen  beider  Metalle  gemischt. 

18.  In  römischen  Gläsern  findet  man  bisweilen  nicht  unbedeu- 
tende Mengen  lilei  das  der  Masse  offenbar  mit  Absieht  zugesetzt  ist. 

19.  Zwei  Bleiverbiudungen  dienten  vor  allem  als  Malerfarben : 
als  rothe,  von  Plinins  unter  die  colores  floridi  gerechnet  (XXXV. 
12),  die  Mennige  als  weisse,  zu  den  colores  austeri  gezählt,  das 
Blei  weiss.  Mit  Minium  strichen  die  Römer  an  Festtagen  das  Gesicht 
des  Jupiter  an,  mit  Minium  schminkte  sich  der  Triumphator,  nnd 
als  dies  in  späteren  Zeiten  aufhörte,  blieb  das  Minium  wenigstens 
ein  unerlasslieher  Bestandtheil  der  Salbe,  die  beim  Triumphal- 
mahle gebraucht  ward.  Leider  Iftsst  es  sieht  nicht  mit  Sicherheit 
enscheiden,  wann  die  Börner  damit  Zinnober,  wann  unsre  Mennige 
verstanden.  Letztere  ist  nach  der  Bereitungsweise  auch  unter  ee-  • 
TUssa  usta  (XXXV.  20)  zu  verstehn.  Die  feinste  war  die  asiatische 
(purpurea  genannt).  Das  Bleiweiss  (ceriissa  Hchlechtweg)  bereite- 
ten sie  nach  der  Weise,  die  noch  heut  als  , holländisches  Verfahren* 
geübt  wird.  Zu  Smyrua  fand  man  auch  cerussa  nativa,  die  bei  den 
Griechen  nach  dem  Grubenbesitzer  Theodotion  hieas  (Vitruv.  Yll. 
7,  4).  Cerussa  diente  den  römischen  Damen  als  Schminke  (Plin. 
XXXIV.  54).  bchon  Theophrasl  kannte  das  kohlensaure  Blei  und 
nennt  es  tf»fi^&tov> 

20.  Zum  Schluss  mag  noch  der  Anwendung  des  Bleies  in  der 
Medizin  kurse  Erwähnung  geschehn.  In  metallischer  Form  (als 
Bleiplatten)  empfielt  man  es  zum  Niederdrücken  Ton  Karben,  auf 
den  Unterleib  gelegt  gegen  Qneirogmus  (lascive  Traume  und  näeht- 


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4(M  ZUK  TBBATKEQlWCHlCIiTB  BUDANST^S. 

liehe  Pollutionen),  ttberhaapt  zum  Massigen  des  Geschli^chtstriebcs 
(Plinius,  Caelius  Aurelian.  V.  7  u.  s.  w.)  Als  feingeriebenes,  ge- 
schlemmtes  BleipuWer  wird  es  bei  unieinen,  schlecht  heüendexi 
Eiterangen,  bei  Teischiedenen  Hautkrankheiten,  chronischen  Au- 

gciikatarrhen,  endlich  auch  gegen  den  Biss  des  Skorpions  empfoh- 

\cn.  Cenissa  (oft  mit  Bleizucker  gemengt)  galt  als  kühlendes  Mittel 
uiitl  t'aiid  in  deu  eben  uufgeführten  Krankheiten  ihre  Verwendiiiij^. 
Als  Mennige  und  Cerussa  beuUtzto  man  das  Blei  zur  Herstellung 
von  Pflastern  und  Salben. 


Nununero  4. 


Ich  bin  mir,  geehrtestei  Herr  Doctor,  sehr  wohl  ])ewusst,  wie 
lückenhaft  diese  Notizen  sind.  Sie  stellen  nur  ein  Fachwerk  vor, 
das  weiterer  Ausfüllung  bedarf.  Wenn  ich  dessenungeachtet  sie 
Ihnen  Yorzulegen  mir  erlaube,  so  geschieht  es  Tor  allem  darum,  weil 
ich  dem  festgehaltenen  Gesichtspunkte,  welcher  —  wenn  ich  nicht 
irre  —  neu  ist,  einigen  Wert  beilege.  Von  ihm  aus  erhalt  man  nämlich 
Einblick  in  die  bisher  wenig  beachtete  Geschichte  eines  wichtigen 
Mei  alles. 

Graz,  10.  Juni  1881.  K.  B.  Hofmann. 


Züß  THEATERGESCHICHTE  BÜDAPEST'S, 

III.  (1817-1827.*) 

18J7  Nw.—lSlS,  Iis,  MarM.  Ueber  diese  143  Tage  —  wohl 
die  letzten  der  Direktion  dritten  Jahres  des  Grafen  Gedeon  Bdday 

fehlt  merkwürdigerweise  jeder  Nachweis ;  denn  das  Repertoire  im 

*  Die  beiden  ersten  Artikel  a.  S.  636—658  und  845—879  de«  ersten 
Bandes  (1881)  der  „Ungar.  Reyne."  Kertbeny  ist  indess  am  28.  Januar  d.  J. 
gestorben.  Das  Leben  und  die  Leistungen  des  Gesdbiedenen  behundeln  wir 
demnftohst  in  einem  selbständigen  Artikel  D.  Red. 


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ZüB  THBATEROBSOHtCBTB  BDDAP88T  ß,  405 

Jahrgang  1816—17  Piidet  mit  31.  Okt.;  das  dos  närhsfon  Alma- 
nachs  aber  geht  vom  23.  März  bis  31.  Okt.  1818  —  hat  also  nur 
222  Tage. 

33.  Märe  Ms  Sl.  Okt.  ,Theater-THsch«Mil.ucli  auf  das 
Jahr  ISIO."  Voji  Jos.  Ertel^  Franz  lliihcl  und  Job.  SchrecJJcbt 
Soulleurs.  Otea,  1819.  Anna  Laudcrer's  Druck. 

Kl.  12",  05  nnpaginirte  S.  —  Die  Ober-Direktiou  (ungenannte 
Grössen).  Direkiions-Sekretär  :  Witten.  Beehmmgsftthrer  :  Textor* 
Ober-ßegiMear :  Sehm^iimaam. 

Inspicient  der  Oper :  E.  Btmni ;  der  Scluuispiele :  Exner, 
Kapellmeister  und  Compositeor :  Tuegek,  KteinheUu  (alao  1818  zum 
Ersiemnale).  Orehestordirektor :  Karl  Mormcetg. 

Balleianeiflter  :  Vonäern-Beirg,  —  Sänger  und  Schauspieler  : 
30 ;  darunter  : 

Herren  t 

Tenor  Buhn'Kjn  (seit  9.  April  18 lö  (Migagirt). 
Hass  1)1  um  (giug  in  diesem  Jahre  ab),  nachdem  er  1810  neu 
engagirt  worden. 

Hariton  Detnini  (seit  1817). 

Sod  uiTi  JoimU,  MaUishy^  u.  s.  w.  Dagegen  Schinagel  fehlt  in 
diesem  Jahre. 

Damen : 

Fran  Ctbtdka  (Ostern  1815  nen  engagiri), 
Fran  Jandl, 
Fran  KUmeUeh. 

9ran  Spengler,  Und  noch  13  Damen.  • 

Das  Jahr  1818  brachte  zwei  fremde  Schauspii  lerincn  nach 
Pest,  die  sicli  durch  eine  lange  Kcilie  von  Jalirt  u  liei  uns  einbür- 
gerten, beliebt,  in  zahlreichen  Familien  bekauut  wurden,  zuletzt 
auch  hier  starben,  also  mit  zu  unserer  Stadtgeschiclite  gehören. 

Es  waren  dies  Frau  KUnietsch^  zuerst  jugendliche  Komikeriu, 
dann  komische  Alte ;  die  Pester  Haizinger  oder  Trieb- Blumauer,  blos 
nicht  so  fein  wie  diese,  sondern  derb  gemüthlich ;  und  als  Tragikeriu 
wie  im  Salonfeche.  Auguste  Dsny.  Eingehender  Ton  beiden  kann  aber 
erst  im  Nachtrag  gesprochen  werden;  denn  über  die  Kliroetsch sind 
nähere  Daten  versprochen ;  das  Leben  der  Deny,  das  sich  anf  00  Jahre 


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40C  2ÜR  THEATSBOBSCRICHTB  BÜDAPBStV. 

streckte,  war  aber  von  <ler  Wiege  h\n  ancr  Orab  ein  derart  absonder- 
lici»  tragisches,  dass  es  sit  li  iiitlit  in  ein  paar  Zeilen  erzählen  lässt. 

Das  Repertoire  23.  Miir/  )>is  31.  Okt.  181S  weist  ans  :  4-iual 
(rnUparzey^  Almfrau  (zuerst  ge.lruckt  :  Wien  181«>),  Inial  MiUl- 
nrr'ü  Schuld  (zuerst  Leipzig  181 G),  welche  beide  Stücke  für  Pest 
aber  1818  keine  NoTitäteu  mehr  waren;  denn  Mülhier's  Scliick- 
salsspuck  gab  man  bei  nns  zuerst  schon  181  f>,  und  Grillparzer's 
Schicksal 8 trag(") die  zuerst  wahrscheinlich  in  den  143  Interimsiagen 
1817—18,  darttber  das  Repertoire  fehlt 

1818  direkt  zum  Erstenmale  führte  man  —  2.  nnd  5.  Aug. 

—  den  Qfi&em  nnd  Festem  Q9Ms  Qdts  Yor,  der  also  45  Jahre  ge- 
braucht hatte,  bis  er  auf  einer  Btthne  Ungarns  erlaubt  wurde,  aber 
nicht  sehr  durchgegriflfen  zn  haben  scheint,  denn  eryersehwand 
wieder  vom  Repertoire.  Dagegen  gab  man  auch  dies  Jahr  wieder- 
holt die  Räuber,  Kabale  und  Liebe,  Carlos,  M.  Stuart;  (iötlie's 
Faust;  nicht  minder  Macbeth,  Hamlet,  Othello.  —  Linter  31  Operii- 
abenden  braclite  man  3  Novitäten;  nämlich  Paer's  Sophonisbe. 
und  Boieldieu's  sHuhm  und  Liebe;  sowie  Kapellmeister 
»Arabella",  das  waren  die  Opernnovitäten  dieses  Jahres. 

Gäste  gab^s  1818  nur  8,  und  zwar  die  Sängerinnen  :  Frau 
Neumann,  Frau  Grttnbaum,  Frau  Borgandio  (italienisch),  Fräulein 
Sessi;  sowie  das  Hofopemtheater-MitgUed  RSckel;  und  zwei  un- 
bedeutende Schauspieler.  —  Also  ein  sehr  armseliges  Theateirjahr ! 

—  Und  doch  war  es  das  erste  des  neuen  Pächters,  des  Grafen  Franz 
Brtmamk  —  Ton  dem  im  nächsten  Jahre  ausführlich  die  Rede  sein 
wird  —  der  sich  aber  nie  öffentlich  nannte,  sondern  von  1818 — 20 
hinter  dem  Titel  »Die  Oberdirektion*  wie  hinter  einer  Wolke 
tlu'onte. 

Noch  ist  zu  emähnen,  das«  l^L"^,  am  15.  Juni  der  damals 
2  Ijührige  Prai^er  Ignaz  Moschcles  —  darnach  Lehrer  Men<lelsohn\H 
uud  Thalbeig's  im  virtuosen  Klavierspiel  —  im  Pester  deutschen 
Theater  ein  Konzert  gab,  nacli  London  ziehend.  Mit  ihm  l>eganu 
das  moderne  Virtuosenthum  nnd  5  Jahre  darnach  hörten  die  Pester 
den  1 1jährigen  Knaben  Franz  Liszt,  ihren  Landsmann  —  Mo- 
scheies spielen.  Doch  davon  seiner  Zeit. 

1818  Nw.  bis  1819  OH,  •Theater-Taschenbuch  auf  das  Jahr 
1820.  Von  J.  Ertl  und  F.  Hybl.  Pest,  1820.  Druck  von  Job.  Thom. 


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2ÜB  THBATBBGBSCmitHTI  BQDAmia  407 

von  Tn.ftner.  Kl.  Ißo,  81.  S.  —  ,Di.'  Obcrdiicktion"  —  Dir.-Se- 
cretär:  Wiesen,  liecluiifligsluhrfr  :  Tr.i  tar.  \\\h\u)i\\v\ii\r '.C::cnvcnha, 
üperinspizieiit  :  E.  Demini.  Kayelliii'-ister  :  Klcinhcmz^  Tmzeli. 

Aus  dem  Männerpersouale  felileii  :  Tfahnigg^  Blum,  Schinagl. 

Geblieben  sind  :  beide  Demini,  Deny,  KUmetich,  JancU,  Ma» 
lÜMkjf  und  noch  20  Kollogon. 

Damen  :  Cibulkat  Dmnif  (bislidr  Wittvre  Spen^)^  Frau  KU- 
metsck  —  und  im  ersten  Jahre  die  dann  in  Pest  so  berObmte  als 
zuletst  berftchiigte  W<äku  —  Frau  Bosalie  JoikS  geb.  1763  in 
Prag,  starb  in  Pest  2.  April  1819. 

Im  8dkausi)iel  gab*s  an  NovitSten :  Voltaire*s  Tancred  von 
Ooethe ;  Lessings  Nathan  und  Grillparzer's  Sa})pho.  —  Dagegen  iu 
der  Oper  ))egauu  die  Herrschaft  BosMni's,  mit  der  Elisal>etli,  dem 
Otliello  und  dem  Italiener  in  Algier,  welche  schon  von  ISlo  — 10 
ihre  Triumpfzüge  über  die  Bühnen  Europa  s  angetret<*n  hatten.  — 
Dazwischen  hörte  man  aber  auch  noch  17  andere  neue  Opern,  von 
unserm  Landsmann  Weigl,  von  Volkert,  Kauer,  Wenzel  Müller? 
Hoildieu,  Isonard,  dem  alten  Schikaneder  und  zuerst  Bäuerle's 
«Falsche  Catalani"  mit  Musik  von  Ignaz  Sehuster;  sowie  Ton 
Tuczek  ein  biblisehes  Melodram. 

GSste  gab  es  zwar  22  —  aber  darunter  keine  mit  Namen,  die 
sich  in  der  Theatergesohiehte  erhielten. 

Die  WaXkk  aber,  die  bis  1826  in  der  Gunst  der  Pester  die 
BoUe  spielte,  welche  Frau  Blaha  in  unseren  Tagen  im  ungarischen 
Volkstheater  sich  gewann,  —  hatte  ihr  Engagement  am  20.  Sept. 
1819  augetreten. 

Sonst  ging  alles  den  alten  Schlendiian  ruhig  weiter. 

Jedoch  zwei  Thatsachen  erhoben  das  Jahr  1819  zu  einer  denk- 
würdigen in  der  Theatergeschichte  Budapests. 

Graf  Franz  Brunswik  von  Korompa  —  geb.  1776,  gest  1852, 
76  Jahr  alt  —  hatte  wahrscheinlich  schon  —  unmittelbar  nach 
Oraf  Gedeon  Rada/s  Direktion  1814—17  im  März  1818  das 
Pester  deutsche  Tbeater  «in  Pacht*  genommen,  nannte  sieh  aber 
nicht,  sondern  zeichnete  n^e  Oberdirektion^  und  zwar  no^h 
1819—20,  Tielleicht  sogar  noch  1820 — 21,  doch  letzterer  Älmanach 
fehÜ  —  Genug,  Graf  Franz  Brunswik  war  der  intime  Freund 
Beethoven^ s  —  dem  dieser  1806  das  Tripleconcert  Op.  57  —  ge- 


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408  ZÜB  TnEATKRGKSCmrnTE  BCDAPE3T'P. 

niiiiMt  „Die  Appassionata"  gHwidinof  liati»»  —  luul  seine  Scliwester, 
Grilfiii  Maria  Thrrcsia  —   goh.  1775,  gest.   I8«i0,  85  Jahre  alt, 
gilt  uoch  heute  als  die  „unsterbliclie  Goliebte"  an  die  der  grosste 
Tonhoros  unserer  Zeit  jenen  »^lühciulcn  Brief  „aus  einem  unga- 
rischen Badeorte.  6.  Juli''  (1806)  gerichtet  hntte,  welcher  sieh  1827 
mit  andern  wichtigen  Papieren  in  einem  alten  Schranke  Tor&Dd 
und  seither  in  den  „Briefen  Beethovens^*  (Stuttgart,  1865)  abge- 
drockt  ist  Graf  Franz  war  nämlich  Besitzer  der  Herrschirft  Mir* 
tony^sar,  die  er,  als  berOhmter  Landwirth,  zu  einem  Paradiese  nm* 
schuf;  Beethoven  hesnehte  1806  den  Grafen,  aber        sagt  uns 
nicht,  ob  in  Mürloiivasar  oder  in  Ofen  ?  In  Beethovens  Xai  lilass 
fand  sich  auch  ein  Oelliild,  das  I  ';.rtriu  der  (rräfin M.Therese Bnuis\\  ik 
vor,  nnd  zwar  mit  der  Aufschrift  ,T^<'ni  seltenen  Genie,  dorn  grossen 
Künstler,  dem  guten  Mt  nschen  von  T.  B."  —  Graf  Franz  nun  ver- 
mählte sich  erst  zu  Anfang  der  30er  »fahre  —  schon  nahe  an  50  — 
mit  Gidanie  von  Ju8th,  und  1 832  wurde  ihm  die  Tochter  Marie  — 
1881  noch  Ehren-Stiftedame  in  Brünn  —  nnd  15.  Aug.  1834  der 
Sohn  Graf  G^  Brunswik  geboren,  welcher,  1859  in  Prag  sich  mit 
der  Eomtesse  Josefa  Deym  vermShlend  —  die  ihm  3  Töchter  gebar 
—  noch  heute  auf  Schloss  Bf&tonvasir  bei  Pest  lebt  und  zahl- 
reiche Reliquien  Beethovens  besitKeu  soll.  —  GrSfin  Maria  Theresia 
a))er  —  meist  in  Pest  woiuieiid  —  verewigte  ihren  Namen  in  Ungarn 
auch  noch  dadurch,  dass  sie  die  Gründerin  der  jetzt  so  zalilreicheu 
Kleinkinderbewahranstalten  wurde.  Dagegen  die  jetzt  aiisgestor- 
beue  Linie  „Bruns wik-Forgäch-Nadasdy"  war  die  der  Nachkom- 
menschaft des  lleichsrichters  Grafen  Josef  Brunswik  (1787 — 1827), 
deren  älterer  Bruder  Anton  eben  Vater  des  Grafen  Franz  wurde. 

Also  Beethovens  Freund,  Graf  iVana  BrnnswÜf  hatte  1818— 
1820  das  Pester  deutsche  Theater  in  Pacht  Er  engagirte  1817 
Frau  Deny  nnd  Frau  EUmetsch,  1819  die  Walla,  1820  Fedor  Grimm. 
Nebenbei  bemerkt,  der  Graf  selbst  war  als  Violoncellist  in  Fkivat- 
kreisen  berühmt. 

Aber  es  sollte  sich  an  seinen  Namen  auch  eine  nationale 
That  knüpfen  ;  die  Erniöglichunj^  eine>  dritten,  und  nun  schon 
bedeut«Miden  Erfolges  des  ung(^risc}^en  iSeliauspiels  in  Budapest. 

Und  das  kam  also  : 

Als  1B15  —  nach  8jährigem  Wirken  in  der  lieichshauptstadt 


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ZUR  THKAimOBSdnOilTK  BUDAPBST*8.  409 

—  die  2weife  ungariadie  Theatelgesellschaft  Vida-Kulcsdr  von  Pest 
nach  Miskolcz  ausgewandert  war  —  ihit  ihr  die  damals  22jährige 
Derff  —  und  dort  gastfireimdlichste  Anfiiahme  fiind,  hatte  sich  in 
Chrosswardein  eine  andere  Wandertruppe  ans  den  Fester  nnd  Sieben- 
bfli^er  Resten  gebildet,  welche  sich  Mßepablik**  nannte  und  auf 
dem  Lande  umherspielte.  Doch  sie  verfiel  bald  in  Anarchie,  und 
um  sich  vor  Auflösung  zn  retten,  wählte  sie  einstimmig  den  schon 
♦Twähnteii  Komiker  und  Verfasser  des  Schiiuspiels  „(ieorg  Cserny* 
Stefan  Balotj,  /um  Direktor,  und  dieser,  v'm  sehr  fnergischcr  Mann, 
führte  denn  auch  Jahre  lan«(  diese  neue  Truppe  in  deu  Städten  au 
der  Tbeisz  und  Donau  mit  Glück  umher.  Diese  (»esellschaft  wurde 
nach  und  nach  die  beste  ihrer  Zeit,  und  gewann  1818  die  Protektion 
des  Komitates  Stuhlweissenburg,  besonders  durch  den  Oberrichter 
Paul  Eolozsyiiri.  Man  richtete  ihr  in  dem  8  Stunden  Ton  Pest  ent- 
fernten Stnhlweissenbuig  —  der  einstigen  Krdnungstadt  und  Grab- 
stätte der  alten  Könige  —  eine  htlbsche  ällhne  ein,  und  sie  spielte 
dort  schon  einige  Monate,  als  —  das  KisfoHudy-Ereigniss  eintiai 
Die  beiden  Kisfalndy  (sprich  :  Kischfaludi).  Ein  Edelmann 
alten  rieschlechh'S,  im  Koniitate  Eisenbur;^  am  Plattensee,  iiatte  im 
vorigen  Jalirliundert  1  SfJlme  und  1  Tochter,  Zwei  dieser  Scihne 
sollten  den  ^Gefeiertesten  Namen  in  der  uii<^arischen  Literatur  der 
ersten  drei  Dezennien  dieses  Jahrhunderts  erwerben,  der  Aelteste 
als  Lyriker,  der  Jüngste  als  Dramatiker. 

.  Alexander  KisfaMjf  —  geb.  27.  Sept.  1772,  gest.  28.  Okt 
1844  —  kam  1793  zur  ungarischen  Leibgarde  nach  Wien,  wo 
er  finanzösisch  und  italienisch  lernte,  auch  Musik  und  Malerei 
trieK  Ln  Jahre  1796  zum  Regiment  nach  Mailand  versetzt,  ward 
auch  er  Bonaparte*8  Kriegsgefangener  und  nach  Frankreich  ge- 
schickt, wo  er  mehrere  Monate  bei  Ayignon  und  Vaucluse  ver- 
bmchte.  Auf  Parole  lieimgelassen,  1798  nach  W ürtteml)erg  als 
01)erlieuteuaut  versetzt,  kämptte  er  dann  17111)  auch  in  der  Schweiz 
mit,  trat  aber  1800  aus  der  Armee.  Heimgekehrt,  vermählte  er  sich 
mit  iiosa  6zegedi,  und  lebte  auf  seineu  Gütern.  Plötzlich,  Ofen,  1801 
erschien  anonym  ein  Büchlein  mit  200  ungarischen  Liedern,  be- 
titelt :  M^es  Himfy  Liebesleben.  1.  Unglückliche  Liebe.^^  Weder 
früher  noch  später  haben  jemals  ungarische  Poesien  solch  einen 
Enthusiasmus  im  ganzen  Lande  hervorgerufen.  Der  ^grosse  Un- 

UngHtooto  Zovn».  188L  V.  Bell.  ^ 


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410 


ZüB  THBATEüaSöCiUCUTK  BlDAPBäT*8. 


bekannte^*  llimf'y  namito  .sich  erst  1807,  als  er  nnn  die  „Ulilckliehe 
Liebe,  auch  in  200  Ldedern/ond  im  selben  Jahre  zugleich  den  ersten 
der  7  Bde  nSagen  sob  ongarischer  Vorzeit^  erscheinen  Hess. 
Und  TOn  da  ah  war  der  Name  JUezander  Kisfalndj^  der  des  ersten 
modernen  Klassikers  der  Nation. 

Kad  KisfcUudy  —  geb.  5.  Febr.  1788,  gest.  17.  Not.  1830  — 
war  der  jüngf^tc  Bruder  des  gefeierten  Hiiiifv -Dichters.  Seine  Geburt 
kostete  seinfr  Mutter  das  Lebeuund  ihm  für  immer  die  Liebe  seines 
Vaters.  Den  Knaben  erzog  seine  Schwester  Therese.  Er  war  1801 
in  Pest  Kadet,  nahm  1805  au  dem  Feldzug  in  Italien  als  Fähndrich 
Theil,  ward  1800  in  München  Oberlieutenaut,  erschien  1810  iu 
den  literarischen  Kreisen  in  Pest  und  nahm  ohne  seines  strengen 
Vaters  Wissen  1811  Abschied  —  woftbr  ihm  dieser  Ton  da  ab  alle 
Beihülfe  endgflltig  enteog.  Zuerst  wendete  er  sich  an  seine  Schwe- 
ter,  damals  schon  Gattin  des  Kapitins  Gabriel  Parkas  in  Pressburg ; 
nahm  dann  Geld  auf  sein  mütterliches  Erbtheil  auf,  um  sich  Tellig 
der  Malerei  zu  widmen  und  ging  nach  Wien,  wo  er  einige  Jahre 
sich  durcli  Porträtmaku  erhielt,  aiicli  die  Akademie  besuchte,  und 
in  intimer  Freundschaft  mit  Theodor  Körner,  mit  dem  Schauspieler 
Ochsen  Ii  ei  mer  und  mit  seinem  Landsmanne,  dem  Baron  Vinzenz 
Berzeviczy  lebte,  der  so  sehr  Napoleon  L  ühnlich  sah  und  später  als 
„Johann  Horn'*  Schauspieler  am  Hofburgtheater  war  (ausge- 
zeichnet durch  Kaiser  Franz),  1828  aber  als  Intendant  dem  Theater 
in  Easchau  Torstand.  Genug  in  solch  geistanregender,  daueben 
auch  in  lustiger  Gesellschaft  verzehrte  der  26j&hiige  ungarische 
OberKeutenant  doch  allmählich  sein  geringes  mütterliches  Habe. 
Da  Terschwand  er  1817  spurlos  aus  Wien.  Man  weiss  nur,  dass  er 
Deutschland,  die  Schweiz,  Frankreich  nnd  Italien  bis  Rom  bereiste, 
sich  nicht  nur  durcli  deu  IMnsel  erhaltend,  sunderu  auch  werthvolle 
alte  Gemälde  er\verl)eud.  1817  erschien  er  bei  seiner  Scliwester  iu 
Pressl)nrg.  Docli  auch  sein  gefeierter  Bnuler  Alexander,  der  Himty- 
dichter,  konnte  ihm  die  Verzeihung  des  Vaters  nicht  erwirken.  So 
liess  er  sich  denn  1818  iu  Pest  —  als  Maler  nieder. 

Jedoch  Karl  Kisfaludy  hatte  schon  1811  geheim  eine  „vater- 
ländische Dichtung  in  5  A.**  geschrieben,  „Die  Tartaren  in  Ungarn**, 
welche  unter  seinen  Freunden  handschriftlieh  zirkulirt  hatte.  1818 
gerieth  eine  Kopie  des  StUckes  der  Balog^schen  Schanspielgesellsohaft 


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ä 

SUB  TBkATEBGEdCHtCirrE  bUUAP£dT*S.    ,  411 

.  in  StiihlwciHsenl»iir«jr  iu  die  HiiiuU',  wurde  ohne  Wissen  des  Verfassers 
gegebeu  und  rief  frem-tisehen  patriotischen  Enthusiasmus  hervor. 
Als  dieser  Erfolg  auch  in  Pest  bekauut  wurde,  lud  Graf  Franz 
Brutisunik  die  Gesellschaft  zu  Gastrollen  nach  der  ßeiehshauptstadt 
1819^18:^.  Die  SiMweisaenburger  m  Bsst  und  (He  Kisfc^ 
hid!f'3rfolge.  ünd  in  der  Thai,  es  findet  sieh  in  den  Almanaehen 
1818—19  ond  1819—20  der  dentsehen  Theater  Ton  Ofen  und  Pest 
folgendes  unfforisd^  Repertoir  ausgewiesen  : 

1819.  Mai  3.  Die  Tartaren  in  Unffarn.  10.  Die  Sonnenjung- 
fmu  (Kotzebue);  14.  Uolla's  Tod.  17.  Zrinyi's  Tod.  21.  Indianer 
in  England ;  23.  Verrath  und  Eifersucht ;  25  (in  Ofen)  Julius  von 
Saasen;  28.  Alexander  Bünduer;  31.  (in  Ofen)  Indianer  in  England. 

Juni,  1.  Die  Schuld  (M Uliner);  4.  Themistokles ;  8.  die  2Vir- 
taren  in  üfiffami  11. Karl  XlLin  Bender;  12.  die  Verschwöning ; 
16.  Bka. 

September  7.  Stüfor;  10.  Genna  und  Baohe;  11  (in  Ofen) 
Farteiwufh  (Ziegler);  14.  Die  Liebhaber  nach  der  Mode;  17.  Stefan« 
Ungarns  erster  König  (Kotasebue);  20.  Sieg  der  Trene;  24.  die 

Brautwerber ;  28.  B^la^s  Flucht ;  das  Landhaus  an  der  Heerstrasse 
(beide  Kotzeljue) ;  30.  (Ofen)  die  Gattin  zweier  Männer. 

Oktober  1.  Bis  auf  den  Meeresgrund:  5.  Ilka;  8  Stif)or ;  12. 
Jobanna  v.  Montfocou  (Kotzebue) ;  15.  Benyovszky  (Kotzebue). 

1820,  Mai.  2.  Marie  Ssechy.  5.  Die  Rebellen ;  8.  Simon  Kc' 
meny;  der  Mörder;  9.  die  Deuischritter  in  Nizza  (Kotzebue);  IG. 
Kind  der  Liebe  (Kotasebue);  19.  Sappho  (Grillparzer);  23.  die  Templer 
(Kotoebne);  26.  der  Taubstamme  (Kotzebue);  80.  Marie  Bätwy, 

Juni  8.  (Ofen)  K(hiig  Mathias  Korwin ;  7. 8tSH>r ;  9.  Auszug 
der  Ungarn  aus  Asien;  12.  die  ungarischen  Insurgenten  (1809); 
14.  die  Welt  der  Hora  in  Siebenbürgen. 

Sept.  27.  König  Mathias ;  28.  die  Tartaren  in  Ungarn. 

Okt.  2.  Zriu yi's  Tod ;  4.  (in  Ofen)  Stefan,  ungarisch ;  in  Pest : 
Stelan,  deutsch. 

Nach  E.  Vachot's  Angabe  sollen  die  Ungarn  auch  noch  1821 
auf  dem  grossen  deutschen  Theater  gespielt  haben ;  aber  leider  fehlt 
der  Almanach  1820—1821. 

Also  die  dritte  ungarische  Gesellschaft  in  der  Hauptstadt 
spielte  1819  an  80  Abenden  in  Pest,  und  zwar  in  4  Stfleken  — 

21* 


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412  ZUB  TEBATBB0S8CHICHTS  BUDAPBgT'B.  - 

Tartaron,  Ilka,  Stibor,  liraufcwerl>er  -  von  Karl  v,  Kiafaiitdy  zu- 
sammen 7-mal. 

1820  spielten  sie  an  18  Abenden  5  neue  Stücke  von  Karl 
Küfalndy  —  Maria  Szechy,  die  Rebellen,  Kemeuy,  Marie  B^tori, 
der  Mörder  —  4mal,  und  zum  drittenmale  die  Tartaren  ;  daneben  aljer 
aneh  nooh  5  angarisehe  Onginalstlloke  —  Zrinyi's  Tod  Yon  Daniel 
Horväih  ron  Petricaeyics ;  König  Mathias  Yon  LUwnwolgifi ;  die  Un- 
garn ans  Asien ;  ungarische  Insurgenten;  die  Welt  des  Hora. 

Somit  gab^s  non  bereits  ein  ungarisehes  Originalrepertoir  tod 
15  Stücken. 

Als  die  Ötulilwei-ssenburger  1819  nach  Pest  kamen,  besuchten 
sie  den  Dichter,  den  sie  als  Maler  fanden.  Er  gestattete,  dass  sie 
am  3.  Mai  mit  den  „Tartaren  in  Ungarn''  beginnen  sollten,  schrie!) 
einen  Prolog  hiezu,  und  liess  sofort  das  Stück  drucken.  Die  Auf- 
nahme war  eine  glühend  enthusiastische  und  es  fehlte  wenig,  dass 
man  den  Dichter  auf  die  Bühne  schleppte.  Dieser  Erfolg  schmei- 
chelte und  ennnthigte  den  Dichter.  Er  schrieb  in  4  Wochen  sein 
zweites  Stück :  tflUu,  oder  die  Einnahme  von  Belgrad*'  vaterländischefi 
Originaldrama  in  4  Akten  —  gedruckt  Ofen  1819  —  das  man  am  16. 
Juni  mit  nicht  geringerem  Erfolge  als  Abschiedsrorstellung  gab. 
Denn  die  (lesellschaft  musste  nach  diesen  triumpfreichen  ersten  15 
Vorstelliiii<reii  zurück  nach  Stuhlweissenburg ;  versprach  aber  im 
Herbst  wieder  nach  Pest  zu  kommen,  denn  sie  hatte  auch  gute  Ka.sse 
gemacht. 

Und  im  September  kamen  sie  auch  wieder. 

Küsfatudy  hatte  in  den  2  Monaten  rasch  notie  2  Stücke  geschaf- 
fen :  das  yaterlandische  Drama  in  4  Akten  «Woiwod  Stibor*  —  ge- 
geben 7.  Sept  n.  8.  Oki  —  machte  aber  das  Publikum  durch  seine 
demokratische  Richtung  stutaen;  um  so  mehr  gefielen  24.  Sept. 
«Die  Brautwerber*,  als  das  erste  theatersichere  Lustspiel  ungari- 
scher Bühne.  Auch  diese  Stücke  wurden  sogleich  gedrukt.  Dage- 
gen die  Dramen  „Klara  Zach*  n.  ^Köni«^  Salamon  von  Un«^;irn* 
gestattete  die  Zensur  weder  auf  den  Brettern,  noch  in  der  Presse. 

1820  aber  war  Kisfaludy  noch  fruchtbarer,  da  auch  dies  zweite 
Jahr  die  Stuhl  weissen  burger  wieder  eingerücJ^t  waren.  2.  Mai  das 
Drama  Maria  Szechi  oder  die  Belagerung  von  Mui-any  *  (gedruckt).  5. 
Mai  »Die  Uebellen*  Lustspiel  in  3  A.  (gedruckt),  welches  so  ausser- 


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ZUK  TUKAT>.KGhtitlli(.UJ£  bl  DAl'Eäl's. 


413 


onleutlich  gefiel,  dsiss  sofort  ganze  bzeneiL  wiederholt  wtmlen 
nmssten  ;  8.  M»i  «Simon  Kemeiiy'  hisi  Drama  (gedruckt)  und  das 
Lustspiel  .Der  Mdrder*  —  also  in  0  Tagen  4  Triumpfe  —  endlich 
80.  Mai  «Maria  Batori*  hisi  Drama.  Drucken  Hess  er  1820  noch 

sein  jetleiitiills  reifstes  Stück,  das  .^aktij^e  Trauerspiel  «Irene* 
ilas  aber  damals  nicht  mehr  auf  die  Hühnc  gelangte;  und  das  Lust- 
spiel .Als  es  knallte,  glaubte  ichs  nicht",  das  jedoch  nicht  im  Ori- 
ginal, sondern  aln  die  Ungarn  schon  fort  waren —  zweimal  deutsch 
in  der  Uebersetznng  von  Georg  Gaal  gegeben  wurde. 

Georg  Gaal  (1783—1855)  war  damals  in  Wien  Bibliothekar 
des  Ponten  Paul  Eszterhitey.  Er  gab  —  BrOnn  1820,  800  S.  — 
Karl  Kisfaludvs  .Tartaren*,  «llka"  und  «Stibor"  deutsch  heraus,  und 
hatte  durch  seine  Korresponden/ grossen  p]inHn8s  auf  seiin-n  Lands- 
uiaun,  <len  jungen  Dramatiker.  Kr  rieth  ihm.  ernstliait  der  Ileinuit 
(jieschichte  und  Shakespeare  zu  studieren.  Karl  Kistahnly,  der 
gerne  abenteuernd,  durchaus  nicht  die  gründliche  Schulbildung 
seines  gefeierten  Bruders,  des  Himfy-Dichters,  aher  entschiedenes 
dramatisches  Talent  und  grössere  Vielseitigkeit  besass,  eigab  sieh 
nun  um  so  eifriger  bist.  Studien  und  dem  des  grossen  Britten, 
ward  aber,  jcniehr  er  in  der  Selbst^'rk»  nntniss  fortschritt,  um  so 
entmuthigter  ;  auch  nun  liteinan  ilm  auf  die  f<'hlerhat  te  Handhabung 
der  uiigarischeu  iSjiraehe  antnif-rksani.  Endlich  gab  es  keine  I).ir- 
sleller  in  der  Hauptstadt,  die  ibu  durch  Erfolge  auf  den  Brettern 
weiter  enthusiasmirt  hätten.  Genug,  Uber  1820  hinaus  versiegte 
seine  dramatische  Muse.  Er  schuf  fiber  die  ersten  10  gedruckten 
grosseren  Stocke  hinaus,  im  nächsten  Dezenium  nur  noch  13  Ein- 
akter, die  nicht  vor  die  Krimpen  kamen.  Dann  von  1822 — 30  gab 
er  in  10  Jahrgängen  das  Tasclienbuch  , Aurora"  heraus,  das  der 
Zeutralpunkt  aller  jungen  Dichterkräfte  des  Landes  wurde,  für  das 
er  aber  nur  Romaue,  Novellen,  Humoresken  und  sehr  schöne  \  olks- 
lieder  lieferte,  bis  er  in  Folge  einer  Erkältung,  erst  42  Jahre  alt, 
dem  Tode  verfiel,  auf  dem  Sterbebette  die  Ernennung  zum  erstge- 
wählten Mitglied  der  eben  konstitnirten  Akademie  erhaltend.  Die 
Gesammtausgabe  seiner  Werke  in  10  Bden  erlebte  von  1831 — 74 
*»pch««  Editionen  und  seine  Lustspiele  irebßren  noch  dem  Keperkoire 
an.  Den  beiilen  Fb'iidern  zu  Klireu  «rriindete  Dr.  Toldv  18i{<»  die 
«Kisfaludy-Uesellschait'',  weh:be  1844  königlich  geueiuuigt,  seither 


414  8UB  THtiATSBUK^jCUlUITK  i^UDAl'E^T'd. 

zahlreiche  belletnstiflche  Werke  Jüngerer  herausgibt,  und  Preise 
Teriheilt. 

Uebrigens  yersiichte  sich  aach  der  altere  Bnider,  Aleun- 
der  Eisfidndy,  der  grosse  Lyriker,  im  Dramatisclieo,  Hess  1816 
und  1825  sechs  historisehe  Theater  dmeken,  sefadne  IHehtaugen, 

die  aber  auf  der  Bühne  nicht  zu  beleben  waren. 

Die  S/f^/i/M7e/55en^Mr/7cr  Wandertruppe,  welche  und  182»» 
der  ungarischen  Thalia  zum  dritten  iSiege  in  der  Reichshauptstadt 
verhalf,  und  Karl  Kisfaludp  zu  den  ersten  nnd  bedeutendsten  8 
Schöpfungen  seiner  Mose  ermnthigt  hatte,  zählte  4  Damen  —  Praa 
Muratiifi,  Frau  Bdog^  Frau  Nagy  and  vor  allen  die  grosse  Tragödin 
Frau  Kdnicr.  —  Die  12  Herren  aber  waren :  Farkas,  der  als  Lieb- 
haber und  jugendlicher  Held  so  beliebte  Köseeni.  der  Intriguant 
KomJo'^sy,  der  gut»*  Komiker  Pista  Nafjy;  sodann  Fder,  Szcüwj, 
Sziliujyi  Pal  (Vater  der  Frau  Bulyovszky),  Michael  Nagy^  Dcmjen, 
Cryörß,  KinUij  —  und  Aneder:  vor  allen,  der  ausgezeichnete  tra- 
gische Held  Jösef  Borvdik  —  Wir  werden  Ton  diesen  16  Bahn- 
brechern noch  Weiteres  bören. 

Aber  eben  1819  —  als  die  Siohlweissenbnrger  in  Ungarns 
Hauptstadt  der  ungarischen  Thalia  zu  Triumphen  verhalfen  — 
war  der  Bau  des  Xationaltheaters  in  Siebenbürgens  Hauptstadt,  in 
KlauHenburg,  ft*rtig  geworden  —  da«  erste  stabile  TiuMter  im  gan- 
zen Reiche  für  ungarische  Schauspielkunst  —  brauchte  aber  bis 
1821,  um  auch  im  Tnnern  vollendet  zu  sein.  Dieses  Momentes  har- 
rend, war  jene  1815  nach  Marosrisärhely  gezogene  Bestgesellscbaft 
1819  wieder  in  Elansenburg  eingetroffen  nnd  behalf  sich  einst- 
weilen damit,  dass  sie  im  Kreischen  Saale  abwechselnd  mit  der 
deutschen  Truppe  spielte,  bis  sie  ihr  eigenes  Haus  bezog.  Darüber 
existirt  ein  lustiges  Kapitel  in  dem  uiis(  h;it/,l)aren  Tagebuche  der 
Frau  Dn  tj,  auf  das  wir  seinerzeit  zurükkommeu. 

ISliß  Nov.  Iris  1820  Ohf.  »Theatertaschenbuch  auf  das  Jahr 
1821.  Von  Ertl  und  Hyld,  Soufleurs  der  k.  Stadt  Theater  in  Ofen 
nnd  Pesih.  Pesth,  1821.  J.  Th.    Trattners  Druck.  Kl.  24'  112  S. 

«Die  Oberdirektion*.  (Drittes  Pachijahr  des  Grafen  Brunswik). 

Intendant  der  beiden  Theater:  Eftferff.  —  Oekonom :  Wtesm,  ^ 
Operinspizient:  E.  Demini.  —  Bibliotliekar :  ('.:crvenka  -  -  u.  s.  w. 
Kapellmeister :  Kleinkcins^  Tuczek,  —  BuUetmeister :  Job.  ÜMicit,  — 


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ZOB  TBKATSBOESCBICHTE  BVDAPBST's. 


415 


Dekorationsmuler :  Kerker  (3-te8  Jahr).  —  ZetteHrä<^(  r  (soit  1815) 
der  eleu  Pestlieru  uuvergessliche  komibche  Josef  Sciuikl,  —  Per- 
soual : 

Männer  :  Tenor  Babnigg,  beide  Denimit  Qned^  Qrimt  Jandl^ 
ZlMnefed^  Konmiämery  MaUUhy  n.  8.  w.  (im  Gänsen  25.) 

Frauen  :  OiMX»,  Ekier$^  KUmästh^  WaUa  vu  s.  w.  (im  Gan- 
zen 15). 

Weitt;rs  :  14  Chorsänger,  12  Chorsängfrinfn,  10  Kinder,  Ö 
Knzer  und  Täuzerinen.  Abgegangen  üerr  uud  1-  rau  Deny, 

Babnigg,  der  1818  Pest  Terlassen  batfce,  nachdem  er  seit  1815 
hier  geglänzt,  kam  1820  im  Sept  zurück,  und  zwar  als  ,yom  k.  k. 

Hof-Operntheaterin  Wien*  und  trat  wieder  ins  Pester  Engagement. 

Vorher  sang  er  noch  als  Gast,  vom  13.  Sept.  ))is  ;]().  Okt.  lÜ-mal, 
lind  zwar  als  .losef,  Leicester,  Argir,  Graf  Armand,  Itamiro  uud 
Hjon  im  »Oberon**. 

Wie?  K.  M.  Webers  Oberon  ward  ja  erst  182(5  in  London 
komponirt)  und  kam  dort  am  12.  April  zur  Auff&hruug,  54  Tage 
Tor  des  grossen  Komponisten  Tod  ?  Immerhin  gab  man  am  19.  Okt. 

in  Ofen,  am  22.  Okt.  in  Pest,  die  1820  schon  ultc  Oper  , Oheron, 
König  der  Elfen*,  zum  Vortheile  des  Sängers  Treuhold,  und  lial)- 
uigg  saug  den  Hüon.  Also  es  gab  schon  vor  Weber  eine  Oper,  die 
den,  auch  von  Shakespeare  verewigten  N^amen  des  Fabeiiielden 
altfnoizdscher  Sage  trug?  Das  ist  für  die  Musikgeschichte  neu  und 
interesMOit. 

Gnech  Bassist,  vom  k.  k.  Theater  au  der  Wien,  war  in  Pesth 
scheu  1819  eugagirt  worden. 

Aber  Grimm,  wer  war  das  ?  Er  spielte  am  8.  April  im  Schutz- 
geist  den  Berengar,  am  9.  den  Franz  Moor,  und  spielte  oder  sang 
am  10.  April  im  Moses  den  Sesostris.  Aber  war  das  Bossinrs  Oper 
«Moise,'  eben  1819  komponirt,  oder  ein  Schauspiel  ?  War  daher 

dieser  Grimm  zugleich  Intriguant  und  Sänger,  und  was  die  Haupt- 
sache, —  war  es  Fedor  Grimm,  von  1824  an  Direktor  des  Pesther 
deutsciien  Tlieaters? 

Endlich  F.  L  KortUheuer,  der  in  Wien  so  gefeierte  Komiker  der 
Leopoldstadt,  schon  {roher  in  Pesth,  liesssich  im  Januar  1820  wie- 
der bei  uns  engagieren,  aber  freilich  nur  für  Ein  Jahr.  Er  war  ge- 


41(j  ZUR  THKATS&GKHCHICHTI  BUDApieST*». 


borner  Wiener  und  eben  41  Jahr  alt  Doch  er  brachte  es  nur  txm 
Fflnfziger  als  er  starb. 

1820  war  im  Repertoire  das  Rossini-Jahr.  Man  gab  an  46 
Abciiden  :  Tuncredi  (IBUJ);  Die  Italienerin  in  Algier  (IHM) ;  Eli- 
sabetli  V.  England  (1816);  Barbier  (1816);  die  diebisch«-  EUa-t 
(1817);  Moses  (1819);  so  wie  Riceardo  und  Zoraida  (1819) ;  die 
letzten  6  Opern  als  Novitäten.  Dawäre  es  denn  freilich  interessant 
SU  wissen,  wer  die  15  nwnnlichen  und  weiblichen  Hauptrollen  sang? 
Aber  das  elende  Soufleurmachwerk  lasst  uns  darüber,  wie  über 
Vieles,  im  Stich. 

Auch  noch  weitere  19  Operniiovitäteii  bot  dieses  Jahr ;  vor 
Allen  K.  M.  von  Wolters  heroische  Oper  «SylveuH",  von  der  man  je/1 
kaum  mehr  weiss,  und  neue  Kompositionen  von  Wenzel  Midier, 
Dresler,  l'avesi,  Volkert,  Mehuls  Helene,  Simon  Mayers  Essighändler, 
B'erdinand  Pär,  F.  Glaser,  usw.,  sowie  Z.  Wemer's  Attila  (1812)  mit 
'  Musik  des  Kapellmeisters  TucMek. 

Was  soll  man  aber  erst  m  den  zahlreichen  Schauspielnovita- 
ten  dieses  Jahres  sagen? 

Kffteebue  war  am  23.  März  1819  ermordet  worden.  Von  1795  — 
1820,  also  während  eines  Vierteljahrlninderts,  hatte  er  auch  dem 
Ot'ner  und  Pesther  dentschen  Repertoire  über  100  Stücke  geliefert; 
und  die  ungarischen  Wandertruppen  hatten  sich  t'aät  nichts  als 
Kotzebue  übersetzen  lassen,  denn  er  wirkte  am  sichersten.  1819 
führte  man  den  Pesthem  seine  lezten  Novitäten  ror  :  Der  gende 
Weg  der  beste;  Seelenwanderung;  Trunkenbold;  Cleopatra;  die 
Abendstunde ;  Grossmama ;  Mantel  und  Pelzmütze.  1 820  brachte 
nuin  noch  als  neu:  Der  hölzerne  Säbrl  und  Gisela;  und  von  da  ab 
versiegle  für  immer  dies««  lustige  Quelle.  Dt.uin  —  wie  Hr)rne  sehr 
richtig  sagte  —  dieser  karakteriose  rrivatmensch  hatte  als  Theater- 
dichter dui'ch  30  Jahre  Millionen  heitere  Abende  und  Tausenden 
▼on  Schauspielern  Leibrollen  yersehafft ;  und  was  man  immer  von 
der  Unsittlichkeit  seiner  Stücke  sagt,  er.  war  ein  harmloses  Kind, 
▼erglichen  mit  den  modernen  franzosischen  Comödienschreibem. 
Sogar  in  Italien  sind  seine  Lustsjiiele  noch  Volkslieblinge  und 
sogar  noch  im  Xachuiärze  gab  Laube  einige  davon  auf  dem  Hof- 
burgfheater.  Ludwig  Devrient,  Seydelmann,  Laroche,  Wilhehni. 
EszUdr,  Dessoir,  dogar  Dawison  und  zahlreich  Andre  zählten  aber 


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417 


Kotzebue'Hche  Figuren  zu  ihren  Glanzrollen,  und  in  Unguiu  Benke, 
bzeiitpetery,  MegyeiT. 

Das  Jahr  1820  brachte  —  wie  schou  gesagt  —  25  neue 
Opern,  und  53  neue  Stücke,  also  zusammen  78  Novitäten. 

Unter  den  dramaüselien  Werken  waren  die  bemerkenswert 
theeten:  Bäuerle's  «Reise  nach  Paris, ;  Marivauz  «falsche  Vertrau- 
lichkeiten* ;  Komtheners  «FttrstenglOck*' ;  Werners  „24-ter  Fe- 
bruar' ;  Miilhiers   „20-ter  Februar*  und  „Onkeley* ;  Ranpachs 

, Fürsten  Cliuw aiisky,  sowie  von  Fvönig  (iustav  HI.  von  Schweden 
(erschossen  1792)  das  Schauspiel  »Öiri  Brahe"  übersezt  von  F.  A. 
i-iruttschreiber. 

Schlieshch  gabs  auch  genug  der  Gästt?,  nämlich  32,  und  aus 
'  dieser  Liste  er&hren  wir  auch,  wer  dem  Kunstüache  nach  die  neu- 
engagirten  Mitglieder  waren :  Zixmiemfmn  Tenor ;  Grabow  Intrigen- 
fach ;  Ofted  Bassist ;  TreyhM  Bariton ;  Frau  Gr^er  zweiter  Sopran ; 
Geyer  Tenor ;  Ehler  erster  Tenor.  Femer  gaben  blos  Gastrollen 
die  k.  k.  Hofopemsängerin  Fräulein  Teyber;  Frau  Mümfcnmtnn 
als  Rappho,  Medea,  Lady  Macbeth,  Jungfrau,  Stuart,  Orsiui,  und 
eiidlicli  Jost  aus  Breslau  den  Lear. 

1820  Nov.  bis  1821  Okt.  fehlt  leider  der  Almanacb.  Somit  lässt 
sich  denn  auch  nicht  sieher  bestimmen,  ob  Graf  Franz  Brmswik 
auch  noch  in  diesem  vierten  Jahre  Pächter,  war. 

1821  Not.  bis  1822  Okt.  „Theatertaschenbuch  auf  1823.*  Von 
Brtl  und  Hybl.  Pest,  1823,  J.  Tb.  v.  Trattuers  Druck.  Kl.  24,  112  S. 

In  dem  Exemplare,  das  mir  vorliegt,  steht  handscliriltlich  bemerkt: 
His  L  April  1822  standen  die  Theater  von  Pesth  und  Ofen  unter  der 
Überdirektion  des  (jirafen  Bnm^^wiJc  laut  diesem  Aimanach. 

Der  Almauach  aber  begiout  auf  Seite  9  mit  der  Erklärung : 

f,Die  Oberdirektion  der  k.  st.  Theater  in  0.  und  P.  übernahm 
eine  Aktten-Gesellseliafl^  welche  mehr  als  100  Mitglieder  ans  dem 
Adel,  dem  Bürger-  und  Handelsiande  zähli  Ein  Ausschuss  dieses 
Yeteius,  bestehend  aus  Präses,  Viceprases  und  11  Beisitzern,  lei- 
tet das  Ganze  und  bildet  die  eigentliche  Direktion."  Aber  die  Ver- 
inuminten  iiaiinti'n  sieh  nicht. 

Inspektor  l)lieh  Tcxtor  \  Hechnungsführer  war  Franz;  l^iblio- 
thekar  Kurz  \  Theaterarzt  dies  Jahr  zuerst  der  nachherige  Proto- 


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418 


8UB  THBATBBGBüCHICHTB  EÜDAPBST*8b 


medikiis  von  Ungarn,  Dr.  Ignaz  v.  Stahly  (f  1849);  Regisseur  der 
Oper  Bahni(j(j ;  luipellmeister  CihKlJca  iniil  KU  inheinz  (also  TwBeh 
war  zurückgetreten  oder  entlassen).  Im  Orclieater  finden  wir  als 
Violino  Primo,  neben  Karl  Moravetz  und  Urbani,  SchiUinfjor, 
Fagotisten  Franz  Brauer  (seit  18 19),  fürs  Comi  Josef  jßrvmer.  Thea- 
termaler war  noeh  immer  Kerker.  Personal : 

Männer  :  Bahnigg^  beide  Bemini,  GrafHno,  Grinrn,  JamU, 
Klimetsch^  Mc^eUi^  MMshy^  Treu}ioldy  Zimmenmnn^  und  noch 
13  Namen. 

Damen :  CibuikayDmmi^  Den/y^  iMer5,Mde.  Uysd^  MUe.  Uysd, 
KUmeUehf  Frl.  Tßyher^  Mde.  WäUa  und  noch  6  Damen. 

Gred,  sowie  Herr  und  Frau  Geyer  waren  mit  noch  11  gerin- 
geren Mitgliedern  abgegangen. 

Opernnoyitäten  :  Webers  Freischütz  (vom  13.  Mai  an,  au  1(> 
Abenden);  Bossims  Torwaldo  und  Dorliska,  sowie  Armida; 
Faust;  nnd  6  Opern  von  W.  Müller,  2  von  Gläser,  2  Ton  Roser; 
sowie  je  eine  yon  Drechsler,  yon  Pixis,  und  „  Bettina*  von  Klein- 

heinz.  Schauspielnovitäten  44.  Darunter  :  Schülers  Demetrius 
Wallmsteins  Lager,  Klci'^fs  iSchroffenstein,  bearbeitet  von  Holbeiii ; 
HoutocUds  „Fluch  und  Segen*' ;  Birons  »Vampyr** ;  Töpfers  »Herzogs 
Befehl*  ;  und  sonst  noch  jezt  längst  vergessene  Stücke  von  F.  v. 
Heyden,  Lebrun,  Baron. Biedenfeld,  Frau  Weissenthum,  Bauerie, 
Heigel,  Bteigeniesch,  Theodor  BeU,  Knrländer,  Koch,  Pannasch, 
Klingemann,  W.  Tegel,  Holbein,  Grafen  Riesch  usw. 

Gäste  32,  darunter  Hofopernbassist  SVcte^rH  4-mal ;  Hofopern- 
sänger Bariton  Forfi  2- mal;  und  die  k.  baierische  Hofopemsäuge- 
rin  Fräulein  Siegl  9-maL 

In  diesem  Jahre  sollte  auch  Frau  Rosa  Bery  ihre  grSssten 
IMumpfe,  deutsch  vor  deutsehem  Publikum  feiern.  Doch  dieser  im- 
provisirte  Effekt  und  der  Anlass  zu  demselben  ist  schon  im  Zweiten 
dieser  Artikel,  im  Nachtrüge,  S.  8(39,  in  fliiclitigor  Lebonsskizze  der 
Diry  erzählt.  Hier  ist  also  bloss  eine  doi)pelte  Korrektur  nachzu- 
tragen. In  den  gedruckt  vorliegenden  2  Bänden  ihres  köstlichen 
Tagebuches  irrt  sich,  und  ich  kontrollirte  sie  g^enau,  die  79  jährige 
Erzählerin  in  Angabe  historischer  Daten  und  Xamen  fosst  nie,  Best 
sie  auch  echt  weiblich,  ganze  Kapitel  hindureh,  die  Jahreszahlen 


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I 

XUB  TBBATIKOBBOBICRTI  BÜDAPI8T*».  419 

vfcff,  was  sie  ja  selbst  bedauernd  im  Sclihisskapitel  gesteht.  Jedoch 
der  kroiiologischen  Reihenfolge  bleibt  sie  im  ganzen  Tagebiiche 
gewissen liat't  treu.  Um  so  auffalle lul er  ist  es  daher,  dass  sich  f^O'rade 
betreff  1822  und  gelegentlich  der  Erzählung  ihres  ersten  interna- 
tionalen Triumpfes,  zwei  Angaben  finden,  bei  denen  ihr  Gedächt- 
nias  sich  gleich  um  8 — 10  Jahre  vergreift.  Sie  sagt  nämlich,  Babmgg 
sei  1822  zu  okkapirt  gewesen,  Meyerbeers  »Robert  der  Teufel"  in 
Ssene  zu  setcen,  and  habe  sie  desslialb  ignorirt.  Aber  der  «Roberfc* 
kam  ja  erst  1830  in  Paris  auf  die  Bühne.  Direkt  unmöglich  aber 
ist  es,  dass  die  1822  im  Tankred  mit  A^nese  SehAegt  sang, 
auch  1827 — 28  unmöglich.  Denn  die  darnach  weltberühmte  Altis- 
tin und  Hivalin  der  Schröder-Devrient,  meiner  Jugend  Freundiu, 
A.  vSchebest  war  ja  1813  in  Wien  geboren,  also  1822  erst  10,  1827 
erst  15  Jahre  alt,  und  war  in  Pest  während  3  Jahren,  erst 
1832 — 1836  engagiri  Wer  sang  also  1822  mit  der  Dery  den  Tan- 
kred ?  Dem  Almanach  jenes  Jahres  zufolge  kann  dies  nur  Fräulein 
TeybOy  nachherige  Zotnb  gewesen  sein,  von  welcher  später  noch 
die  Eede  sein  wird.  Aber  wie  konnte  die  in  der  Provinz  umher- 
singende Dery  überhaupt  den  Namen  «Schebest*  kennen,  und 
zwar  die  deutsche  Altistin  sehr  richtig  karakterisirend?  Also  die 
Dery  muss  in  den  Jahren  1832 — 37  nicht  nur  irgendwann  in  Pesth 
gewesen  sein,  sie  muss  die  Schebest  auch  persönlich  kennen  gelernt, 
so^&Y  he\  irgend  einer  Gelegenheit  vereint  mit  ihr  gesungen  haben, 
idx'rliiiuft  mit  Lob  von  Seite  der  deutscheu  Kollegin.  Denn  im  ge- 
sammteu  Ta<^ebuche  findet  sich  keine  Spur,  dass  die  Der}'  Neigung 
hatte,  derlei  Angaben  zu  erfinden.  Sie  war  zu  überstrrimend  voll 
Ton  Erinnerungen  an  wirklich  Selbsterlebtes,  um  noch  dazwischen 
was  hineinzndichten,  und  gar  noch  Begegnungen  mit  Kiehtungarn. 
Es  ist  Schade,  dass  sieh  hier  nirgend  die  .Erinnerungen*  der  Sche- 
best finden,  von  denen  sie  mir  1860  in  Stuttgart  ein,  seither  leider 
verlorenes  Exemplar  schenkte.  Ich  entsinne  mieh  genau,  dass  in 
jenen  Erinnerungen  auch  von  der  D^ry  die  Rede  ist,  die  ich  1837 
auf  dem  damals  eben  eröffneten  Pesther  Nationaltheater  singen 
hörte,  daher  ich  mich  des  Namens  entsann.  Aber  i(  h  weis  nicht 
mehr,  \vn^  die  Schebest  von  ihr  rrzälilte.  Also  die  Tliatsac-he  steht 
fest,  dass  die  Dery  und  die  Schebest  sich  kanuteu ;  aber  nur  nicht 
schon  1822  oder  1827. 


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420 


zeit  TEBATSBGIttiC'Hlt'HTS  BQOAPBäT's. 


ISjii^  Nav.  bis  IfiJ^o  Oh.  Titelblatt  fehlt  an  dem  Torliegenden 
Exemplar,  das  in  Kl.  Ü  l  ",  uiul  128  S.  stark,  koiuplet  i«t. 

Oberilirektiou  :  Aktien-Gesellschaft  (2-tt  a  Jahr), 

Das  Administrationspersonale  wie  im  Jahre  vorher.  Ebenso- 
die  artistische  Direktioii  Babm^g,  Cibtdhot  Kkinhemg  usw. 

"Persoml  eben&Us  das  gleiehe.  Männer:  24,  an  deren  Spitse 
Babniyg^  beide  Ikminit  Qrmm^  KlmeUfh  n.  8.  jedoch  pl6tilich 
ist  der  Bassist  Blum  wieder  da,  welcher  1819  abgegangen  war. 
Aber  1821  kommt  er  nicht  mehr  vor. 

Frauen,  «gleichfalls  dieselben :  die  Cibiühi^  die  Dcnify  die  KU' 
wetsch,  Frl.  Tcißer^  die  Walla  und  noch  1 1  Andere. 

Jedoch  der  Schauspieler  Deny  ging  ab,  und  mit  ihui  noch  11 
Personen  minderer  Rollenfächer. 

Und  der  alte  Ja/näl  starb,  der  28  Jahre  den  beiden  Bfihnen 

als  Darsteller,  wie  als  Direktor  angehört,  dem  der  Alniauach 
aber  iiiclit  einmal  einen  Nachruf  widmete  ! 

Auch  Urbfmy,  ScJiiUingcr,  Josef  Bräner  und  noch  12  aus  (h-ni 
Orchester  gingen  ab  ;  dagegen  beide  Momwcfz^  Tahonky^  l)eide 
Hladkyt  Franz  Bräticr  blieben.  Und  noch  immer  war  Kerker  Deko- 
rationsmaler (ö.  Jahr)  und  SehM  im  9.  Jahre  Zettelausträger« 

Opemnovitaten :  Bomms  Dona  del  Lago,  Corradino,Zelmire; 
Kretäjsera  Libiissa;  QmeraHs  Baohanten;  Ihravanies  wandernde 
Virtuosen;  EhifBsBeBhe  Frau  und  Bireys  Oemsenjäger.  Sodann 

hatte  Bänerle  seine  Aline  oder  Wien  in  einem  andern  Welttheil, 
Musik  von  Wenzel  Müller^  in  „Pest  in  einem  anderen  Welttheil 
umgewandelt;  lio'^er  brachte  die  Pervonte ;   Gläser  ein  fantasti- 
sches Zeitgemälde  MeisPs,  also  insgesammt  11  neue  Opern. 

Im  Schauspiel 42 Neuigkeiten:  i£omer«fiosamunde,  die  6oa- 
▼emante,  die  Bnuit;  Kleists  Fehrbellin;  OeklensiMäffers  Ludlamer- 
höhle ;  KUngenumns  FOrstenwort ;  Claurens  Bräutigam  aus  Mexiko ; 
Gasthans  zur  Sonne;  AuffeHherys  Flibustier;  Die  Verbanten ;  und 
Ephemeriden  von  Lembert,  Pannasch,  Ziegler,  D'Arlinconrt,  Weid- 
mann, Tö])fer,  Häuerlc  u.  s.  w.  Mit  besonderem  Erfolg  wurde  aber  das 
8chauerrnelodram  ans  dem  Englisehen  ,Ein  Uhr,**  Musik  von  Baron 
Lanoys,  gegeben ;  und  dieses  JuJir  l)egegnen  wir  zuerst  Scribc 
uud  Melesüille  mit  der  «Ualuielle''  ;  sowie  Melesville  mit  der  »jun- 


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ZUB  THEATBSGB.SCIIIC'HTB  tiUPAPESX's.  421 

gen  Tante*  und  noch  zwei  Lustspielen  ^nacli  dem  l^Vaim^dBchen, 
?oB  GasteUi*.  Hier  beginnt  also  der  Einfluss  der  neuen  französi- 
seiien  Schale. 

Gäste  18.  Obenan  der  aue  Prag  gebürtige  Rosenfeld  als  Mo« 

ritz  Hott  »vom  Theater  an  der  Wien"  den  Jaroniir,  Teil,  Scharfeneek, 
Karl  Moor,  Amolph,  und  im  „Leben  ein  Traum"  den  Uoderich. 
Sodjinn  der  k.  k.  Hol'schauapieler  lleurter  den  Zrinyi,  Jaromir, 
Eselino,  Hugo,  Teil,  Faust  und  auch  den  Roderich.  Die  Hofopem« 
rängerin  Frau  Qrünbmm  sang  9-mal,  die  Kosiue,  Donna  Anna, 
Zelmire  n.  s.  w.  Die  übrigen  G&ste  sind  heute  unbekannte  Grössen. 

1823^1821  fehlt  wieder  der  Almanach.  Wahrscheinlich  war 
es  das  dritte  Jahr  der  ATeHm^G^eB^chaft'' ,  Aber  wir  haben  {Ür 
ilieses  Jahr  zwei  hübsche  Einhigen: 

„  Test  1823 f  1.  Mai.  Franz  JAazt  wird  im  grossen  Saale  zu  den 
»Sieben  Churfürsten",  unter  freundlicher  Mitwirkung  der  Herren, 
Babfiigg  und  Dr.  Teyber^  ein  Concert  geben.  Franz  Liszt  wird  sich 
in  Variationen  von  Eie$8  und  Moschdes,  sowie  in  freien  Fantasien 
hören  lassen,  und  bittet  das  p.  t.  Publicum  m  leztgenantem  Zweck 
schriftlich  nm  Themas.  Hoher  Adel!  löbliches  k.  k.  Militilr!  Ver> 
ehrungswürdiges  Publikum!  Ich  bin  Ungar,  und  kenne  kein  grös- 
seres Glück,  als  meiner  Erziehung  und  Ausbildung  erste  Früchte, 
vor  meiner  Abreise  nach  Frankreich  und  England,  auf  dem  Altar 
meines  Vaterlandes  niederzulegen,  als  erstes  Opfer  meiner  innigs- 
ten Anhänglichkeit  und  meines  Dankes.  Was  noch  fehlt,  werde 
ich  durch  ausdauernden  Fleiss  xu  ersetzen  suchen,  was  mich  zu 
höherer  Vollendung,  und  einst  rielleicht  in  die  glftckliche  Lage  zu 
Tersetzen  Termag,  dass  auch  ich  einer  der  Zweige  der  Thenxen  Hei** 
math  sein  werde.* 

Am  22.  Okt.  1881  feierte  man  in  Ungarn  wie  im  Auslände 
den  70.  Geburtstag  jenes  iiaidinger  Dorfkiudes,  das  11  Jahre  alt, 
am  1.  Mui  1823  in  seines  Vaterlands  Hauptstadt  zum  Erstenmaie 
seinen  Namen  Tor  die  Oeffentlichkeit  brachte.  Ungarn  stand  an 
der  Schwelle  seiner  nationalen,  politischen  und  socialen  Wieder* 
geburt,  und  der  Knabe  ging  mit  seinem  Vater  in  die  weite  Welt, 
auch  sich  eine  grosse  Zukunft  zu  bereiten.  Heute  können  Ungarn 
Qud  I  Vanz  Liszt  mit  Stolz  auf  die  58  zurückgelegten  Jahre  zurück- 
blicken. Der  Ungar  ist  wieder  eine  Nation,  seine  tSprache  die  her- 


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422  ZUR  THBATBfiOBSCmCHTS  BUDAPEST'». 

sehende,  soiiu;  Literatur  in  der  Weltliteiatar  eingebürgert,  sein 
Land  im  Verein  mit  Oesterreich  ¥deder  Groasnmeht.  Franz  Lint 
aber  wurde  ab  geniabier  IQanenrirtaos  nnseres  Jahrhunderts  eine 
Weltberühmiheit  und  hat  keine  Sekunde  nnterUween,  rieh  mit  Stolz 

Ungar  zu  nennen,  der  Heimath  getreu  zu  bleiben.  Durch  ihn  er- 
fuhr die  Welt,  dass  es  auch  eine  ungarische  nationale  Musik  gibt, 
und  offenbar  durch  seine  Erfolge  angeregt,  haben  seine  jüngeren 
Laudsleute,  wenn  auch  aof  anderen  Instrumenten  Virtuosen,  wie 
Joachim,  Bemäiyi,  Singer,  Auer  n.  s.  w.,  das  Ausland  daran  ge- 
wöhnt, anznerkennen,  daes  Ungarn  aneh  in  der  Mosik  keine  Mit- 
tehn&ssigkeiten  gebiert  Ale  aber  der  11  jährige  Franz  ÜBzt  1823 
ans  seiner  Heimath  sehied,  nahmen  sie  Ton  einander  noch  in  deut- 
schen Worten  Abschied.  Jedoch  1840  Ijcsaug  den  damals  zuerst 
Heimgekehrten  Vörö.<^marty^  der  Olympier  ungarischer  Poesie, 
den  gefeierten  Landsmann  in  einer  seiner  prächtigen  Oden,  un- 
garisch, und  sie  singt  noch  heute  das  ganze  Land  enthnrias- 
tiseh  nach. 

Doch  geben  wir  jezt  zur  Abwechslung  auch  etwas  Lustiges 
aus  dem  Jahre  1823. 

Nachdem  Rosa  DSry  am  29.  März  und  27.  Mai  1822,  auf  so 
geniale  Weise  improvisirt  in  Pesth  erscheinend,  auf  dem  grossen 
deutscheu  Theater  deutsch  gesungen  und  das  ihr  völlig  [fremde 
deutsche  Publikum  gleich  enthusiasmirt  hatte,  wie  schon  seit  15 
Jahren  ihre  Ungarn,  —  ward  sie,  fast  gefiungen,  znrQck  nach  Stuhl- 
wrissenbnrg  geführt  und  machte  mit  dem  dortigen  Intendanten 
wegen  ttbertretenen  Urlaubs  eine  stürmische  Scene  durch,  die  mit 
▼äterlicher  Vergebung  und  Versöhnung  endete.  Doch  noch  den 
Schreck  in  allen  Gliedern,  gab  sie  eine  Weile  klein  zu,  obgleich 
sie  schon  eine  Dame  von  29  Jahren  und  der  Juwel  aller  Theater- 
gesellschafteu  war.  8o  mag  der  Sommer  1822  vergangen  sein.  Frau 
D4Ty  ist  nämlich  fast  ohne  Ausnahme  in  allen  ihren  Angaben 
Ton  Namen  und  Sachen  flberrasehend  zuverlässig,  riesiges  Gredächt- 
niss  auch  fürs  geringste  Detail  verrathend,  nur  laset  rie,  echt  weih* 
lieh,  fittt  Überall  die  Jahreszahlen  weg.  Jedoch  es  muss  ihren  son- 
stigen Angaben  nach  im  Sommer  1822  gewesen  sein,  als  nie  bei  J^r 
Gesellschaft  Eders  in  Debreczin  gastirte,  dann  im  Herbst  über  Pest 
nach  Miskolcz  hinauf  ging,  wo  wieder  £der  mit  seiner  Truppe  war, 


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ZUB  TUSATSBfflBSCmCBTE  BD1>4PBST*S.  428 

und  dann  mit  diesem  zu  An&nge  des  Winters  nach  Erlau.  Hier  < 
passirie  es  ihr  denn,  dass  sich  geheim  die  Leiter  des  National- 
iheatera  in  Klausenburg,  Udvarhely  und  Josef  Sz^ely,  einstellten, 
abgeschickt  von  Magnaten  Siebenbürgens  und  reiciilicli  mit  CJekl 
versehen,  um  „die  Dery  gutwillig  oder  mit  Gewalt"  nach  Transylvu- 
nieus  Hauptstadt  zu  schleppen.  Es  erlolgteu  fürchterliche  Auftritte 
von  vSeite  Edeia,  der  solchen  Kontraktbruch  auch  gegen  reichliche 
£ntsehadigang  nicht  dulden  wollte,  bis  sich  endlich  die  Komitats- 
behSrde  dreinlegto,  und  sechswSchentlichen  Urlaub  dikiirte. 

Mitten  im  Winter  1822 — 23  fuhr  also  die  ^ungarische  Cata- 
lani"  mit  ihren  beiden  Begleitern  nach  dem  ihr  bis  dahin  völlig 
finemden  Siebenbfirgen  Nach  14  Tag  Reisen,  —  heute  mit  der  Eisen- 
bahn 1 V«  Tag  —  &st  erfroren,  traf  man  in  dem  ersehnten  IQan- 
senbnrg  doch  endlich  ein. 

A))er  lassen  wir  die  reizend  erzählende  Dery  selbst  reden, 
zugleich  als  Probe  des  Siyls  im  unTergleichlicheu  Tagebuch  einer 
79  jährigen  Frau : 

»Am  vierten  Tage  nach  der  Ankunft  —  bevor  ich  mir  noch 
die  Stadt  betrachtet  und  den  Intendanten  gesehen,  durch  dessen 
Fürsorge  ich  schon  eine  sehr  behagliche  Wohnung  hatte  —  sagte  ich 
zu  meinen  Entffthrern :  „Aber  jezt  setzen  wir  uns  zu  einer  kleinen 
Berathung  zusammen.  Wann  soll  ich  auftreten  und  in  was  ?  Die  Zeit 
des  Debllts  zu  bestimmen,  das  h&ngt  von  mir  ab.  Jedoch  in  was? 
Ihr  sagtet  mir,  Ihr  habt  ein  kompletes  Schauspielpersonal.  Aber  ich 
möchte  in  Singspielen  auftreten.  Giebt  es  hier  Säuger  und  San- 
geriueü?** 

«Ich  sah,  dass  Kollege  Sz^ely  sich  sehr  die  Haare  kraulte, 
und  dann  Terwirrt  sagte:  Sänger?  SSngerinen?  Solche  warhaftig 
i^ibt  es  hier  nicht." 

—  «Also  mit  Wem  soll  ich  denn  dann  singen  P*^  rief  ich  la^ 
chend  ans.  — 

—  »Da  wäre  hier  die  Oper  »Agnes  Sorel*  ;  die  ist  in  der  Bi- 
bliothek vorluinden.  Und  mau  hat  sie  auch  schon  gegeben.*  — 

—  »Man  gab  sie  schon  ?  Also  wie,  wenn  luau  keine  Säu- 
ger hat?«  — 


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424 


ZUR  THKATEUaKdCmCirrB  BUOA>>EST*.S, 


—  nNuu  du  int  der  gnädige  Herr  »Samuel  v.  Dea/Hf,  er  wird 

Alles  ins  Beine  bringen.*  — 

,Ds  klopfte  es  nnd  der  zweite  Kollege,  der  Schauspieler 
Udvarhelyi  trat  ein. — 

—  „Kommen  Sie  nur,  kommen  Sie!*  rief  ich,  „sagen  Sie  mir 
dooli,  wie  konnte  man  die  Oper  ,Agn<'.s  Sorel"  gel)en,  wenn  mau 
keine  Sänger  hatte?  denn  ich  lache  mich  sofort  zu  Tode!'*  — 

—  j,Ahf  sehr  bitterlich*  —  erwiederto  Udwhelyi  —  »meine 
Frau, sang  die  Agnes*.  — 

—  »Also  ist  Ihre  Frau  Sängerin  ?  — 

—  „Durchaas  nicht!  Nur  dass  das  Publikum  stets  naelj  Sing- 
stücken lärmte,  und  da  Herr  Samuel  v.  Deaky  ein  sehr  leiden- 
schaftlicher Musiker  und  ^nger  ist,  nnd  obgleich  beim  Gubemtnm 
angestellt,  sofort  ins  Orchester  hinabsteigt,  fehlt  ein  Instrument, 
und  es  spielt,  oder  aber,  singt  ein  Sänger  nicht  gut,  oder  gibts 
Oberhaupt  keinen,  er  es  ist,  der  hinter  den  Koulissen  die  ganze 
Rolle  herabsingt  ....  so  hat  er  denn  auch  die  Gesellschaft  beredet, 
sie  möge  nur  Opern  geben,  er  werde  sie  ihr  schon  einlernen.  Meine 
Frau  wollte  durchaus  nicht  singen,  weil  sie's  nicht  kann  ;  doch  Herr 
Deaky  tröstete  sie,  sie  niTtgc  sidi  nicht  fürciiten,  niclit  trauern,  es 
werde  schon  gehen,  denn  i  r  werde  dort  sein.  Den  ganzen  Tag  über 
trieb  er  sich  denn  auch  dort  mit  seiner  Geige  umher,  und  meine 
Frau  lernte  auch  die  Agnes,  soweit  Jemand  ein  GesangstUck  ler- 
nen kann,  der  noch  nie  gesungen,  X>oeh  wahrlich,  bei  der  Vorstel- 
lung ging  das  Alles  nicht.  Herr  Deäky  kroch  nun  ins  Souflenr- 
loch  und  sang  von  da  heraus  die  ganze  Rolle  der  Agnes.  Meine 
Frau  murmelte  ihm  dann  alles  nach,  wie*s  eben  ging.  — 

»Ich  brach  fast  entzwei  vor  Lachen.  —  »Uiid  saug  Herr 
V.  Deäky  die  Agnes  mit  männlicher  Stimme  ?*  — 

—  «Ah,  was  nicht  gar !  In  der  Fistel  !*  — 

—  »Ich  fand  diese  Sache  ungeheuer  lustig.  —  «Aber  einen 

Kapellmeister  hal)en  Sie  ?*  — 

„Das  nicht,  aber  hier  ist  ein  si^hr  vorzüglicher  Musiklehrcr 
und  Komponist,  Herr  BuMsicskaV)  den  pflegen:  wir  su  ersuchen 
nnd  er  kommt* — 


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r 


SUR  THIUTIBOISGHIOBTB  SüdÄPBBT*R.  42S 

—  ,ünd  dann  daä  OroWter  P*  —  frag  ieh  weiter. 

—  „Nun,  das  ist  wklich  vorzüglich  I  Durchgehend  gnä- 
dige Herren.  Alle  Mitglieder  des  Guberniums.  Sie  spielen  in  jeder 
Oper ;  denn  hier  gibts  keine  Maaiker  von  Profession/  — 

—  »XiiiL,  ieh  sehe  schon*  —  sagte  ich  —  t<hn8  wir  das  hier 
nieht  entseheideii  könneo,  wie  und  wann  das  Alles  sein  wird.  Doch 
Herr  Ssäkely  wird  so  ficenndlieh  seia,  die  Theatenniliglieder  ein- 
Büladen,  AUe  mögen  morgen  im  Frobensaal  sosammen  kommen 

—  vielleicht  fällt  uns  was  bei.*  — 

,  Andern  Tags  ging  ich  hinauf  auf  die  üühne.  Ich  war  wirk- 
lich überrascht,  als  ich  dieses  grosse  schöne  Gebäude  sah,  der  un* 
garischen  Thalia  ersten  stabilen  Tempel.  Ich  freute  mich  ausser- 
ordentlich dieser  Bühne.  Nun,  Ton  hier  kann  man  konragirt  die 
Stimme  ins  Publikum  fliegen  lassen.  ^  Da  erbUckte  ich  der  BOhne 
gegenftber  eine  praohtrolle  Loge ;  rother  Sammt,  schwere  Vorhänge, 
grosse  Spiegel.  «Was  ist  das?*  —  «Die  Loge  ihrer  EzcellenXt 
der  (jrattin  des  Gnbemator  Baron  Samuel  Jösika.*  —  »Nun  das  ist 
schon  etwas,"  erwiederte  ich  ermutkigt,  »dass  Klausenburg  solch 
ein  Publikum  hat."  — 

Nun,  die  De'ry  blieb  von  1823  an  nicht  blos  6  Wochen,  son- 
dern gleich  6  Jahre  in  Siebenbürgens  ungarischer  Hauptstadt,  die 
zu  betreten  sie  vordem  so  gebangt,  und  in  der  sie  ihr  Debüt  aller- 
dings anfimgs  als  Solosängerin  halten  musste.  Aber  schon  als 
solche  erregte  sie  solchen  Enthusiasmus,  dass  man  ihr  jede  Summe 
zugestand,  um  auf  ihren  Baih  hin  rasch  eine  complette  Oper  aus 
allen  Landestheilen  susammensutrommeln.  So  kam  der  Bariton 
Alexander  PtflyiTon  der  Wener  Hofoper,  ElSszegi,  Megyeri,  die  Mu- 
ranyi,  Esedi  u.  s.  w.  Genug,  in  einem  Jahre  hatte  man  ein  grosses 
Personal  und  so  ward  denn  Klausenburg  die  Wiege  auch  der  un- 
garischen Oper.  Die  Dery  aber  ward  der  zahlreichen  und  damals 
noch  so  reichen  Siebenbürger  Aristokratie  Abgott,  Mignon.  Die 
Häuser  der  Jdsika,  Teleki,  Desse\vffy,  Bethlen  und  Dutzend  anderer 
Magnaten  standen  ihr  weit  offen;  die  kleine  Fee,  die  noch  als 
Drdssigeciu  wie  ein  Kind  aussah,  aber  eine  Metallstimme  wie  eine 

*  Sjprifih:  nBuaohitachka",  der  ber&hmfte  Instromenüst  des  alten 
Bäkdcsymanohe«. 

UagMbeh»  BeTO«^  tm»     BMI.  28 


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■ 


IBDR  THgATBROSSCHlOHn  &ÜDiPB8T*B. 


Kie.siii  hatk',  ein  Uei)ertoire  aller  iieueu  Opern  des  Auslandes  sang 
und  auch  im  Schauspiele  ))rillirte,  ward  ühersrhüttet  mit  Schmuck, 
Kränzen  und  (  ledichten,  und  war  die  Seele  aller  Salons,  der  ver-  . 
traute  Liebling  in  allen  Familien.  Der  geniale  Tausendsasa  Deiky 
-ward  ihr  Priester. 

Doch  sehen  wir  nmif  mm  nnterdess  in  Ungarns  Haaptstadfc, 
was  mit  dem  grossen  dentsohen  Theater  in  Pest  Toiging. 

ISäS-'ld^d  fehlt  leider  wieder  der  Almanaeh.  Bs  wird  das 
dritte  Jahr  der  ^AktiengetdMu^*  nnd  All»  im  alten  SeUendrian 
fortgegangen  sein. 

Um  so  mehr  versprach  mau  sich  das  nächste  Jahr  1825,  unter 
völlig  neuer  Direktion  mit  fast  völlig  neuem  i'ersonule. 

18;.^ J  Nov. — lö^f)  21.  Derember.^VesUiY  Theater-Taschenbuch 
für  182()-.  Von  Kturl  Stern,  fcioulieur.  Pest  (182G),  Landerers 
Druck.  KL  24^  55  & 

Also  Ton  diesem  Jahre  an  stand  das  grosse  Pester  deutsche 
Theater  unter  selbständigor  Direktion,  das  Ofiier  Festungstheater 
war  in  den  Pacht  nicht  mit  einhexogen. 

Direktoren :  Anton  Balmi^,  Fedor  Qrmm, 

EapeUmastor:  Urhany^  Bo9er.  —  Generalinspizient:  TrmhM 
(hiess  eigentlich  Wagner).  —  Sekretär :  Czerwenha.  —  Bailot - 
im.'istfr  :  Beauval.  —  Chordirektor:  Menner.  —  Orchesterdirektor: 
Karl  Morawets.  —  Dekorationsmaler  :  MartincUi  u.  s.  w. 

Sänger  und  Schauspieler  :  16.      Sängcrinen  und  Schuaspielerincu  :  12. 

Artour.  I'rau  Deny. 

Eduard  Demim  (wieder  engagirt).  Fräulein  Leonore  Kcnäarusai 

Grabow.  (neu). 

Jlfeloftior  (neu).  Frauen:  MaründUf  Mdekior, 


Artour  spielte  sowohl  Jaroniir,  als  auch  Staberl;  —  Eduard 
Dein  'miy  der  Bruder  des  ungh'iclilicheu  Bariton  August,  gehörte  dem 
Schauspiel  ao.  —  Wilhelm  Grabdd  gleichfalls,  wie  auch  Melrhiar 


Trmhold. 
Watsifujer. 

August  FlscJ^er  (neu)  und  noch  G. 


Maeho  (neu). 

NöfMl  (neu). 


NSUH  (neu) 
Frau  Julia  WäUa. 
Fräulein  Schweiteer,  die  Aeltere 

(neu). 


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I 

kos  THt&llBOlSCttICBXI  mn>AFl8T*8.  '  427  ^ 

uml  Frau.  —  MaUfzky  war  seit  Juhreu  zweik'r  Komiker.  —  Madwy 
aus  der  Nähe  von  Wien,  war  in  Pest  mehrere  Jahre  beliebter  Ko- 
miker, machte  aber  noch  im  Vormärz  eine  Erbschaft  uml  lebt 
vielleicht  noch  in  Wien  als  —  Itentier.  —  I^ötsl  spielte  Heldeurol- 
len,  vrie  den  Zrinyi,  Mathilde  Notäl  die  Stuart  u.  d.  —  Leonora 
Kondortmi  soll  sehr  hübsch  gewesen  sein,  gab  in  Pest  einige 
Jahre  hmduroh  GnrhroUen,  lebte  noeh  in  den  50er  Jahren  in  Wien« 
als  Qattin  einen  yiel  jOngeren  Advokaten. 

Besonders  ins  Auge  zu  fassen  sind  die  beiden  Schwestern 
Schweitzer.  Töchter  einer  Wasserträgerin  in  Ofen.  1825  war  die  ältere 
im  Schauspiel,  die  jüngere  im  Ballet  berühmt ;  Letztere  ward  später 
die  vorzügliche  dramatische  Sängerin  Therese  Minh^  die  am  24.  Sept. 
1881  in  Wien,  als  ehemals  k.  bayer.  Kammersängerin,  69  Jahr  alt 
starb,  also  1812  geboren  war.  Doch,  von  ihr  wird  noch  die 
Rede  sein. 

Anch  mosz  WSM  Vater  —  der  Pesth  schon  1815  Yerlassen 

hatte  —  1824  wieder  engagirt  gewesen  sein ;  denn  er  kommt  im 
Almanach  1825  neuerdings  als  „abgegangen"  vor. 

Einzig  neu  im  ersten  Jahre  von  Grimm -Bahnigg  war  1825 
das  Tanzpersonal :  StöcU  und  die  Fräuleins  :  Millitz,  Müller,  Stelzer, 
Therese  Schweitzer,  Tuffwer  und  Frau  Stelaer. 

Dieser  Almanach  des  Sonflenr  Stenz  ist  noch  schlechter  redi- 
girt,  als  all  die  froheren.  Er  e&thalt  nicht  einmal  ein  Verzeichmas 

der  Gäste  und  der  Novitäten  dieses  Jahres. 

Nur  aus  dem  , Journal  vom  1.  Nov.  1824  bis  21.  Dez.  1825* 
ist  mühsam  zu  entnehmen,  dass  man  als  tk??^  blos  aufifUhrte  :  „Blaue 
Katze"  Zauberoper.  —  »Galeerensklave*  Melodram.  —  «Dorf  im 
Gebiig**  Oper. —  OddamMi^B  «Van Dyk."  Schauspiel.  —  „Meister 
Martin  der  Kttfer  und  seine  Gteaellen*  Lustspiel  —  QriXlpairteii^s 
Ottokars  Glack  und  Ende*  (8mal)  —  fi^poftt«  (?)  »Faust*  Oper  4 
Act  —  8p(miM^  «Ferdinand  Gortez'  —  und  das  war  Alles ! 

Als  Gäste  sah  und  hörte  man  :  Vaulyuw  Zrinyi,  Lear.  Teil  — 
Josef  Fischer  bayrischer  Kammersänger,  als  Don  Juan,  Barbier  — 
Mathilde  Kaim^  vom  Hoftheater  in  Florenz,  sang  Rosine,  Tancred, 
Agathe,  Desdemona.  —  Ferdinand  KeUler  spielte  Don  Carlos,  Don 
Casar,  Kojneo.  —  Und  endlich  KtUgianer    seit  18 1G|  mit  Frau,  fort 


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428  BDB  TRUTEBaiSCBICnB  BODAPin^fl. 

▼on  Pestii  —  spielte  im  Juli  nnd  August  wieder  8iiud,  Teil,  Ziiny, 
Abelino,  Hugo,  Loxd  Algemon«  Carl  Moor,  Bayard,  CSaspar  den 
Thoringer. 

1825  war  in  Presburg  der  berühmte  Regenerations-Reichstag, 
mit  dem  die  nationale  Wiedergeburt  Ungarns  begann,  die  Versöhnung 
mit  Franz  I.  stattfand,  der  am  18.  Sept  selbst  den  Reichstag  eröff- 
nete, während  am  25,  Sept.  seine  vierte  Gemahlin  als  Königin  ge- 
krönt wurde,  indess  am  7.  Not.  der  bis  dahin  völlig  anbekannte, 
35jährige  Hussarenkapitän,  der  nachher  so  grosse  Giaf  Stefan 
SMiekenif  die  denkwOrdigenRefomiworte  spraeh  alJngam  war  noch 
nicht,  es  wird  erst  werden*  nnd  seine  Jahresrente  Ton  60,000  fl.  snr 
GrOndnng  einer  ongaiischen  Akademie  der  Wissenschaften  her- 
schenkte. Am  30.  Des.  war  die  Dankadresse  an  den  K5nig  dehattirt 
nnd  der  Bmchstag  ging  nach  4  Monaten  auseinander. 

Die  Komitais-Stände  von  Stuhlweissenburg,  begeistert  durch 
diese  Gelegenheit,  hatten  auf  ihre  Kosten  eine  ungarische  Schau- 
spielergesellschaft nach  Pressburg  geschikt,  —  in  der  Balog  Istvan, 
Czelesztin,  Jos.  Szekely,  Alex,  üjfalusy,  Bartha,  Megyeri,  Telepki,  vor 
allem  der  Heldenspieler  Jos.  Horväih,  sowie  die  grosse  Tragödin 
Frau  Kantor  und  andre  7  Damen  glänzten  —  nnd,  im  dortigen 
deutschen  Theater  spielend,  erregten  sie  Enthnsiasmns.  Jedoch  die 
BeichsstÜnde,  eben  von  brennenderen  nationalen  Angelegenhieten  in 
Ansprach  genommen,  widmeten  der  ungarischen  Theaterfrage  noch 
nicht  soviel  Beachtung,  um  schon  jetat  rdehstBglich  einen  Fond 
8U  ihrer  Stabilisiruug  in  Pesth  zur  Bede  zu  bringen. 

Die  Stuhlweissenburger  grosse  Truppe  zog  also  über  Raab 
wieder  heim.  Bei  diesem  Rückzüge  mag  es  gewesen,  dasa  sich 
einige  MitgUeder  dieser  Gesellschaft  nach  Pesth  verschlugen  und 
so  den 

Vierten  Versuch  ermöglichten,  ungamnhes  Schauspiel  in  der 
Hauptstadt  einzubürgernf  denn  irgend  eine  ungarische  Gesellschaft 
gab  im  grossen  deutschen  Theater: 

1.  Sept  Ki8fühidy*8  Marie  B^oiy.  —  4.  Sepi  Die  Grafen 
Montebello.  —  5.  Sepi  Die  Templer  —  nnd  am  24.  Nov.  Die  sieben 
ungarischen  Anführer  im  Imperium.  Drama  in  4  Act. 

Die  Genehmigung  zu  diesen  4  Vorstellungsabenden  war  das 
Ganse,  womit  die  neuen  Direktoren   des  deutschen  Theaters 


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im  TUKATBUOIBCHICUTI  BCOlAPBn'*^ 


489 


Buhiiig^  luul  (u  immden  historiselieu  grossen  Moment  der  uatioua- 
leu  Wiedercnveckimg  Ungarns  feierten. 

1826  1.  Jan.  bis  30,  Ifav.  Theater-Almanach  d.  k.  st  Festher 
Theaters.  Von  Carl  Stene  und  Paul  Wüh^mi,  Soufleoxi.  P^th 
Landerers  Dnick  kL      48.  S. 

Zweites  und  letetes  Jahr  der  Direktion 

Kapellmeister :  ürhaßn^BMer — Generalinspektor  TrenAM  — 
Sekretair :  Cgenrikha  —  BaUetmeister :  Landtert-Beamall  —  Ghor- 
direktor :  Meimer  —  Dekorationsmaler :  Engert  (neu)  —  n.  s.  w. 

FcrsoDiil : 

-Artour,  Schauspieler  Frau  Dmy 

Aug.  Fischer^  Sänger  Frl.  llentd 

Franke,  Schauspieler  Frau  Klein 

Wilh.  Grabotv,  Schauspieler  Frl.  Kondormsi 

Franz  Kfönimg,  Schauspieler  Frauen :  Krönimf,  Melchior ,  Mik- 
Mdchior  thOde  NätO,  Tr^nkM 

Mditäsjf  Frl  Böser  und  ShiomUer  d.  Ä. 

Jfiidlo»  Komiker 

Chor  :  12  Hftnner,  12  Frauen, 
TVevUiM^  Schauspieler  darunter  die  jüugere  SchweUtfoir 

Watssinger  und  noch  5  (zuaam-        (später  Mink) 
men  16) 

Tauz  :  Franz  StöcJd;  die  Frl.  Emerle  und  TnfFner  und  l  Damen. 

1826  gingen  fort :  Julie  Walla,  Eduard  Demini  und  Familie; 
sowie  der  yieljährige  Soofleur  üSrtd, 

Mit  den  .A/iovitöfon  war*8  sehr  jämmerlich  bestellt  «Bihar 
Baakö  o.  Ungarns  erste  Krenafohrer.*  Schansp.  5  A.  (Nor  Imal)  <— 
Bo9inl^$  .Semiranis'  —  «Die  Hdhie  Soneha»  oder  die  40  Rftuber* 
Drama,  3  A.  (4mal)  —  ,Die  Belagerung  v.  Solothnrn*  Schansp. 
3.  A.  —  «Jacob  Callot  der  Fratzenmaler'  Schansp.  5  A. 

Aber  dies  Jahr  gab*8  schon  bedeutende  Gäste : 

Wilh.  Kumt,  KegisHeur  des  Münchner  Hoftheaters  (29  Jahr 
alt)  gab  im  Mai  und  Juni  :  Hanilet,  Karl  Moor,  Teil,  Don  Carlos, 
Jaromir,  Mola,  Fau8t,  Aba,  Herzog  Albrecht,  Friedrich,  Don  Caesar, 
Ferdinand,  Herzog  Heinrich,  Roderich,  Phaon,  Leice8ter,£8taT^ieli 
ja  er  sang  sogar  den  Sarastro ! 

8(^Mo  Sehrdder-KmH  (45  Jahre  alt)  k.  k.  Hof sehanspiele- 


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430 


ZUB  TBKiTlBCnSCniCHTB  BDDAIISt^S. 


n'n,  kam  zuerst  ilica  Jahr  nach  Pestli  und  spielte  zusammen  mit 
ihrem  dritten  Gatten  (von  dem  sie  sieh  1829  scheiden  Hess) 
19.  Juni  die  Sappho,  21.  Juni  die  Stuart,  25.  Juni  die  Monfaacoiii  und 
am  24,  Juni  allein  die  Jungfrau  von  Orleans. 

Heinrich  Anschüte  (41  Jahr  alt)  k.  k.  Hofschauspieler,  gab  im 
Juli :  Bssex,  Erbrerirag,  PoBa«  Ottokar,  Graf  Banelona,  WaUenalein, 
Lear,  Bayard,  Don  Gnittiere,  Nathan,  und  auf  Verlangen  noeb- 
mak  Lear. 

Clara  Siebert  and  Frans  Siebert,  ihr  Vater,  vom  Hof  theater  in 
Baden,  sangen  zusammen  im  April  im  Tancred,  Zauberflöte,  Frei» 
schütz  und  zweimal  im  Johann  von  Paris. 

Ludwig  WalJbach  vom  k.  k.  Ilofburgtlieater,  spielte  im  Mai: 
Graf  V.  Burgund,  Don  Carlos,  Corregio,  Gustav  Wasa,  den  jungen 
Klingsberg,  Tamino,  Jo8e£ 

LöMe  der  k.  bayr.  Kammersänger  sang  ün  Sept :  Lieiniaa, 
Max,  Apollo»  Franz. 

Ftan  Brede  vom  k.  wflrt.  Hoftbeater  spielte  im  Okt.  die  Fürstin 
Gbawanska,  Donna  Diana,  LadyMilford,  Sappho,  Medea,  EÜsabeth. 
Also  betreiF  der  Gftste  hatten  sieb  die  Pesther  dieses  Jahr  nicht 
üu  beklagen. 

Zum  Schlüsse  das  Sonderbarste : 

Eine  unf/ariscJte  Oesellschaft  —  also  die  fünfte  auf  Pesther 
Brettern  —  sang  11.  Sept  in  der  ung.  Oper  »Belas  Flucht"  und 
spielte  14.  Sept.  in  einem  Drama  :  «Stefian  Bocskay."  —  Was  war 
das  für  eine  Improvisation  ? 

Frans  Binder^  ans  Phigi  sang  erst  im  Oktober  den  Almaviva, 
Savgino,  Roderigo  im  Otiiello,  Max,  Asyr,  Georg  in  der  weissen  Fraa 
(3mal),  war  also  Tenor.  Ob  dies  woU  der  berühmte  Teaor  SAastian 
Binder  ans  Prag  war,  der  1845  in  Pesth  starb,  oder  vielkiebt  aem 
Bruder  ? 

Margaretha  Binder  van  der  Glogen  spielte  in  gleicher  Zeit 
mit  ihrem  Gatten  8mal  :  Gurli,  Käthehen,  Agnes,  Fanny,  Lottchen, 
und  sang  auch  die  Jenny  in  der  weissen  Frau. 

1826,  1.  De2.  Ins  1827,  30.  Nov.  »Theater- Almanach  u.  s.  w. 
von  Pesth"  Von  Paul  WUhehm  und  Franz  Leutner^  Soufleor.  Pesth. 
Joeefine  Patzko's  Droek.  KL  16. 48.  S. 

Fedor  Grimmas  Erstes  selbststSndiges  Direktionsjabr. 


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/ 


Anton  JJabiügg^  32  Jahr  alt,  verliess  Pestb,  nachdem  er  hei 
uns  von  1811  — 10  durch  6  Jahre  als  erster  Tenor  (damals  20—26 
Jahr)  brilliri,  und  1825  und  1826  Mitdirektor  des  Pesiher  deut- 
aelien  Tbesters  gewesen.  Geboren  in  Wien  10.  Not.  1794  moss  er 
schon  Mk  nach  Pesth  hexabgekommen  sein.  IfaiMos  Babnigg  war 
wahrscheinlich  sein  Vater,  ftir  den  er  am  20.  März  1826  eine  musi- 
kalische Abendunterhaltung  gegeben  hatte.  Anton  Babnigg  ging 
Yon  Pesth  nach  Linz,  Graz,  Prag,  und  wohl  1828  nach  Dresden, 
wo  er  als  k.  sächs.  Hofopernsanger  bis  1838  eine  Berühmtheit  war, 
Ton  der  man  noch  heute  spricht,  auch  Ubeiall  hin  Kunstreisen 
machte,  z.  B,  bis  Petersburg,  endlich  aber  Tichatschek  weichen 
mnsste.  Er  war  später  noch  öfter  in  Pesth,  wo  er  sogar  noch  1870 
gewesen  sein  soll.  Jezt  lebt  er  schwerlich  mehr,  oder  wäre  87  Jahre 
alt.  In  seiuer  Blüthezeit  nannte  man  nach  einer  seiner  Hauptpartien 
den  distinguirten  Restaurant  im  Klopfiuger'.schen  Hause  „Zum 
Licinins",  allerdings  aber  auch  Damen  ihre  Möpse  «Licinerl".  Uber 
seine  in  Pesth  gebome  Tochter  Emma  Babbnig  an  einer  ttideren 
Stelle. 

Kapellmeister  1827  waren :  Ürbamt  und  neuerdings  der  alte 

Cibulka,  der,  1817  zurückgetreten,  von  1827 — 1832  wieder,  aber 

nun  y.weit>er  Kapellmeister  war,  iudess  seine  Frau,  1807  —  182.'i, 
durch  16  Jahre  Erste  Sängerin,  von  1823  an  als  Gesaugslehrehu 
private  lebte. 

Kapellmeister  Roser  mit  Frau  waren  nach  Wien  übersiedelt. 
Das  Direktionspersonal  wie  1826,  TreuhM,  (kmomka^ 
Mmier,  K.  MoramoeUi,  Btgeri  —  nur  Balletmeister  war  nun  Bei' 

herger,  Operninspizient  Maeho,  Schauspieler  und  Sänger  zumeist 

auch  die  alten:  Artour,  A.  Fi'fcher,  Franke,  Melchior,  Miüitzhj, 
Maeho,  NöUl,  Treuhold,  Waitssmjcr,  Aber  neu  hinzugekommen  waren 
Latigcndorf^  Heldendarsteller 
Hagel  Sanger 
Bäger  Singer 

Sdtinni  dieser  Letstere,  Baasist  und  Komiker,  soll  Schusterssohn 
aus  Gran  gewesen  sein,  fignrirt  im  Personalstand  bis  18S5,  wurde 

aber  dann  —  ist  es  vielleicht  noch  —  Säuger  der  Primatialkapelle 
in  Gran. 

Schaospielehnen  und  Sängerineu  die  Irüheru:  Deny,  MA' 


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^02  Smt  TBlATKlieBäCHlCHTB  BUDATim*«. 

chior,  NöfsL  Treuhold,  Frl.  Koiidorussl.  Jedocli  neu  liinzukuuieii  S 
FrUuleiD,  die  bald  wieder  abgingen,  und  Frau  Baimum^,  —  Julie 
WaUa  fehlte  aneh*  in  diesem  Jahre ;  und  das  jOugere  Fruulaiii 
SehweitMer  sang  noch  im  Chor,  der  24  Penonen  »Ute.  Tsub- 
personale:  Fnma  8tlM  nnd  Beibeirgeri  die  Emerk  und  noch  3 
KoriphSen.  Die  Tuffner  fehlte. 

Das  ^(OttVä^ew-Repertoire  war  in  diesem  Jahre  ein  überra- 
achend  miserables.  Ausser  »Riiialdo  Riualdini"  uud  der  Posse  ^ Wis- 
per! und  Fisperl  gar  nichts!  1 826  Ferdinand  Balmunds  drittes  Volks- 
stück „Der  Bauer  als  Millionär",  und  f827  sein  viertes  aMoisasur^s 
Zanbexflach*  erregten  grossen  Enthusiasmiis;  dagegen  in  Peeth 
gab  man  in  diesem  Jahre  als  Novität  von  Kaimnnd  mt  dea» 
sen  zweites  ZaoberstQck  «Der  Diamant  des  GeisterkChiigs*,  das 
schon  seit  1824  populär  war.  FreiHeh,  zu  den  poesieyollen  Possen 
dieses  Wiener  Shakespeare  bedurfte  es  auch  Darsteller  wie  Raimund 
selbst  und  Therese  Kroues.  In  Pesth  fehlte  aber  gerade  in  diesen 
zwei  Jahren  Julie  Wattoy  von  der  es  hiess,  sie  geniesse  indess  Flit- 
terwoehen  mit  Metternichs  nachherigem  Schwiegersohne,  dem  un- 
ISagst  Teratoifoenen  Giafan  Moria  SMor^  der  1827  erst  17  Jahr 
alt|  dm;eh  seine  Exeentrioitaten  schon  ganz  Ungarn  Ton  sieh  spre- 
chen machte. 

Auch  au  fremden  Güsten  gabs  dieses  Jahr  nur  Eineu  Neu- 
nenswerthen,  den  reitzenden  Wiener  Hofschauspieler  Karl  FicJtJ- 
Mer,  der  im  Juni  im  Erbvertrag,  iu  der  Phädra,  im  Schüchtern  uud 
dreist,  in  der  Montfaucon,  im  Schauspieler,  im  Grafen  von  Burgund, 
dann  den  Ferdinand,  Hamlet  Beiisar,  Isidorj  inlezt  zweimal  den 
Fiesko  spielte, 

Kirchner  ans  Berlin,  der  berttehtigte  Weiberkarikisi,  gab  im 

August  dreimal  seine  , Falsche  Catalani"  uud  einmal  «die  falsche 
Sonntag''. 

Im  Oktober  sang  ein  Frl.  tipeisc^ßr  die  Agathe  im  Freischütz, 
worauf  noch  zurückgekommen  wird. 

•  Denn  so  unbedeutend  dies  Jahr  fürs  deutsche  Repertoire  war, 
mn  so  bedentender  war  es  fllr  die  Entwiekelong  des  mngoriichm 
Theaters. 

Irgend  eine  ^  U)^garische  GreseUschafl'^  spielte  nehmlich  schon 
im  April,  Juni  uud  Juli  in  zusammen  8  Stücken  —  Ki^almli  s  Ö. 


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SUB  TBEATEKGBSClllcmJ^  ÜUi^Ai'BbX't». 


Kemeny,  Fays  Alte  Münzen,  Stefan  Boeskai,  Matliias  Dmc.  und  in 
den  fibersetzten  Stücken :  Jolantha  von  Jerusalem,  Wald  bei  Her- 
mannstadt,  Fridolin,  die  getarnten  Liebenden  —  auf  der  Peetber 
dentscben  Böhne. 

Das  war  also  der  «ecA<<0  Versneh  der  Ungarn,  in  der  Hanpi- 
atadt  dnreliiadringen. 

Aber  es  sollte  in  diesem  Jahre  noch  bedeutender  konunen, 

Die  durch  Rosa  Dery  1822  sn  Klansenburg  in  Siebenbürgen 
geschaffene  Erste  ungarische  OpemgeselUchaft  schloss  sich  nemliph 
an  die  Dery  an,  als  diese  1827  mit  Direktor  David  KiUny  'i  kon- 
trahirte,  um  hinauf  nach  Ungarn  zu  kommen,  denn  er  wollte  mit 
grosser  Truppe  den  Winter  über  in  Miskolcz  und  Kascbau  Vor- 
stellungen geben. 

Man  spielte  und  sang  auf  der  Herreise  in  Szegedin,  Väsärhely, 
Temesrar,  Aiad.  Aua  lesterer  Stadt  beförderte  schlieealieh  die 
Ander  Komitatsbehörde  anf  ihre  Kotten  in  12  Reiaewagen  die 
mehr  als  dO  Gaste  bis  Peatfa,  um  von  dort  weiter  bis  Easdum  an 
ziehen. 

In  Pesih  besachte  Kil^nyi  mit  der  ganzen  Truppe  das  dentsche 
Theater,  mehrere  Bänke  füllend,  iudess  der  reiche  Kileuyi  durch 
seine  Diamanten  noch  besondere  Aufmerksamkeit  im  deutschen 
Publikum  erregte.  Es  war  dies  am  7.  Okt.  als  die  Speissegger  die 
Agathe  sang.  Kilenyi  flüsterte  der  De'ry  die  Frage  ins  Ohr,  ob  sie 
es  wohl  wagen  würde,  sich  mit  solch  einer  Sängerin  an  messen  ?  — 
«0  an  jeder  Zeit !"  war  die  Antwort.  —  »Also  dann  geben  wii-Vor^ 
atellimgen  in  Peeth*  sagte  Eil^yi  ~  «Sind  sie  Terrliekt?  wer 
wllrde  ans  denn  auftreten  lassen?*  —  »Das  ist  meine  Sache*  er- 
widerte der  Dhrektor ;  «im  EondtatsarchiT  liegt  das  Geseta,  dass  der 
deutsche  Direktor  durchreisende  ungarische  Schauspieler  drei- 
mal müsse  debutiren  lassen."  -•  Und  wegen  o  Abenden  sollten  wir 
abpacken  ?  meinte  Dery.  —  »0,  Sie,  Rosa  und  auch  die  Andern 
werden  derart  gefallen,  dass  auch  30  Abende  daraus  werden  !* 

Und  so  kam  s  denn  richtig !  Direktor  Fedor  Grimm  machte  . 
zwar  ein  saures  Gresicht  zu  dem  Paragrafen«  den  er  wohl  kannte, 
stellte  dafür  aber  auch  harte  Bedingungen  :  nur  zweimal  wöchent- 
lieh  und  bloss  halbe  Einnahmen;  an  Sonntagen  aber  Nachmittags- 
▼orstellungen. 

/ 


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V 


434  '  2UU  TUEATBJtGESCHlCllXK  BUDAPEST*». 

»So  begann  man  denn  am  27.  Oktober  mit  dem  ,Bar})ier.* 
Die  Dcry  die  Rosine,  Talyi  den  Almaviva,  Udvarhelyi  Basilin, 
SaUagyi  ßartolo,  Sserdahdyi  aber  unvergleichlicher  Figaro,  —  Da« 
Haus  gesteckt  voll,  der  Beifall  der  Deatschen  ein  nBgehenrer.  Be- 
sonders die  Dery  ward  Tergdttort 

Und  80  ginge  fort  Aach  noch  im  NoTember  und  Dezember 
1827  und  sogar  noch  im  Januar  nnd  Februar  1828. 

An  18  Abenden  Opern  mit  der  Dcry^  an  C  Abenden  »Schau- 
spiel} zusammen  also  24  Abende. 

Anna  Kantor,  die  grosse  Tragödin,  gel  »rauchte  in  jeuer  Zeit 
eben  da.s  Ofner  Blocksbad.  Sie  kam  sofort  lierüber,  schloss  sich  den 
Landsleuten-  an  und  spielte  zweimal  mit  grossem  Erfolg  die 
Preciosa. 

Der  Erfolg  war  ein  revoltanter,  das  Hans  andi  stete  überfüllt, 
die  Eiuiahmen  znr  Hälfte  dekten  buun  die  Bedürfnisse  von  30  bis 
40  Personen  wShrend  5  langen  Monaten. 

Welche  Anstrengungen  Grimm  machte,  die  Dirif  für  die 

deutsche  Bühne  zu  gewinnen,  ist  schon  im  Zweiten  dieser  Artikel 
S.  871  ausführlich  erzählt,  ebenso  der  Misserfolg  —  sonach  die 
, ungarische  Catalani*  nicht  zu  europäischem  Kufe  gelangte.  Und  • 
auf  jener  Seite  ist  auch  das  ganze  liepertoire  gegeben,  das  die  Un- 
garn im  Winter  1827 — 28  im  deutschen  Theater  in  Festh  sangen, 
detaillirt 

Immerhin  mnssten  sie  im  Februar  1828  weiter  nach  Miakolz 
undEBSchan. 

Aber  durch  dies  Gastspiel  ward  der  Hauptstadt  glänzend  be- 
wiesen, dass  die  Ungarn  aneh  besonders  für  Musik  befShigt  sind, 
nnd  Opern  besser  zu  singen  wissen  als  das  damalige  Opernpeisonale 

im  Tester  deutscheu  Theater. 

IVotzdem  mussten  sie  noch  10  Jahre  warten,  bis  sie  in  der 
Reichshauptstadt  diesen  Beweis  in  ihrem  eigenen  Nationaltheater 
antreten  konnten,  deren  Primadonna  1837  gleichfalls  die  dann  schon 
4^äluige  —  Dery  war. 

Nachtrag.  Friedrich  v.  Genta  und  seine  Tochter j  Frau  Deny,  Im 
J.  1764, 8.  Sept  in  Breslau  geberen,  studirte  der  junge  Ksuftnsnniwcihn 
Gentz  in  Künigsberg,  ging  nach  Berlin,  TermlOilte  sich  —  21  Jahre  alt 


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ZUR  TOBATBROSSCBICIITE  BUDAPBäT*8.  .  4^5 

—  dorf,  mit  liernhanline  von  (nWy,  wurtlo  178G  Sekretär  bei  der  Ge- 
neraiclirektion  und  liess  sich  gesetzlich  in  diesem  Jahre  von  seiner  ersten 
Gattin  scheiden.  Nun  Avieder  frei,  ward  er  der  Held  der  Berliner  „geist- 
rdehen  Zirkel"  jener  Zeit  and  besuchte  besonders  viel  die  Theater.  Da 
gab  er  die  80  sebdiie  als  geistroUe  Hoftchanspielerm  Friederike  Kock, 
Sie  war  die  Tocliier  eines  Baren  Vamia  oder  Vamim  ans  Königsberg, 
der,  obgleieh  ialenilosi  ans  Leidenschaft  som  Theater  lief,  in  Weim» 
die  Schauspielerin  Bomana  Koch  geehlicht  nnd  deren  Namen  ange- 
nommen hatte. ')  üm  diese  Zeit  hatte  die  Tochter  des  jüdischen  Arztes 
Levin  Markus  Bakei,  geb.  1771,  als  dessen  wohlhabende  Erbin  jenen 
Kreis  von  Künstlern  und  Schriftstellern  um  sich  zu  versammeln  be- 
gonnen, in  dem  auch  ihr  Freund  Prinz  Louis  Ferdinand  von  Preussen 
sich  befand.  Dort,  bei  der  nach herigenVamhagen  scheint  der  nun  schon 
26jährige  Gentz  Friederike  Koch  kennen  gelernt  zn  haben.  1789  hei« 
ratheto  er  sie,  und  sie  gebar  ihm  eine  Tochter,  die  nachberige  Frau 
Denj.  Letzterer  Tanftchetn  lautet : 

„Nach  Angabe  des  Tanfregisters  der  Lnisen-BSrehe  ist  dem  Ge- . 

lieiinen  Sekretär  Herrn  Friedrich  Gcntz  von  seiner  Ehefrau  Friederike, 
geborne  Koch  am  (ausgeschrieben)  9.  des  Monats  Januar  im  Jahre  1790, 
Abends  */*  ^  ^^"^  Tochter  geboren  worden,  welche  am  3.  Feber 
1790  die  h.  Taufe  und  den  Namen  Angoste  Wilhelmine  empfangen  hat 
Taufzeugen  waren  1.  Herr  v.  Begnelin;  2.  Herr  Conducteur  CJentz ; 
3.  Herr  6eh.*Sekretfir  Genta;  4.  MdmeWemits}  5.Mademoi8eUeKunst. 

—  Dieses  wird  glanbbaft  nnd  ordnnngsmAssig  biednrcfa  bescheinigt. 
Berlin,  7.  Febr.  1818.  Kobland.  m.  p.  (L.  8.)  Beyer,  m.  p.* 

Aber  auch  diese  zweite  Ehe  endete  mit  gesetzlicher  8chei- 
dnng  und  zwar  schon  1791.  Der  stets  egoistische  Gentz  ward  1793 
Geh. -Rath,  richtete  das  bekannte  öff  entliche  Schreiben  an  König  Friedrich 
Wilhelm  III.  bei  dessen  Thronbesteigung  1797,  und  heirathete  zum 
drittenmale  1800,  und  zwar  noch  in  Berlin,  die  jüdische  Bankierstochter 
Marianne  Mßtfer,  die  1797 — 99  mit  dem  Fürsten  Heinrich  XIV.  von 
Benss-Greiz  —  8obn  des  k.  k.  FeldmarschaUientenants  und  Gesandten 
in  Berlin,  Heinrich  XL  —  ▼ermihlt  gewesen,  erhoben  znr  Prinzessin 
YimSißienberg,  nnd  dessen  ^ttwe  geworden  war. 

*  Ihm  wurde  1770  in  Hannover  Friderike  geboren,  nnd  schon  mit 
18  Jahren  gUbiste  sie  auf  dem  Berliner  Hoftheater. 


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486  TBBiTltllO wcmcBTi  BUDinsr*!* 

Uentz,  dei'  mit  dem  damals  in  Preussen  herrschendem  Systeme 
nicht  übereinstimmte,  ging  1802  nach  Wien,  wurde  katholisch  und 
Hofrath  bei  der  Huf-  und  StaatskanzleL  Seine  dritte  Frau  folgte  ibiu 
dahuif  wo  sie  1814  starb,  Gentz  zum  Universalerben  einsetzend. 

Enederike  £oe4  jedoch  —  die  17dl  dnroh  die  Scheidung  dem 
Namen  (knts  entsagt  hatte  —  sog  sieh  tief  betrftht  Yon  der  Bflhne  sa- 
rüek,  und  mit  ihrem  TQchterehen  m  einer  Frsnndin,  Lydia  Matj/eri  nach 
Freienwalde  (6  Meilen  Ton  Berlin)  siehend,  —  wo  deren  Bmder  eine 
Fabrik  hatte  —  lebte  rie  nnr  ihrem  Kinde.  1796  war  Ifflsnd  Direktor 
des  Hoftheaters  in  Berlin  geworden.  Er  kam  öfters  nach  Frmenwalde  nnd 
redete  der  noch  so  jungen  und  schönen  Frau  zu,  doch  ja  wieder  die  Bühne 
zu  betreten,  ihr  Talent  nicht  in  der  Kinsanikeit  zu  verbergen.  Friederike 
Koch  nahm  denn  auch  ein  Engagement  ans  Hot'theater  in  Schwerin  an. 
Intendant  daselbst  war  ein  Herr  Kriecheberg  (nicht  n^on*'),  mit  dem  sie 
sich  nun  zweitenmale  vermählte,  noch  in  den  90er  Jahren.  Diese 
Ehe  war  selir  glücklich.  Einer  Familientradition  nach  soll  Sekiüer  dem 
jungen  Ehepaar  zum  Hochzeitsgescheiike  die  Handschrift  seiner  «Maria 
Stuart*  geschickt  haben,  welches  Drama  er  aber  erst  —  1800  dichtete. 
Doch  dem  sei,  wie  ihmwoUe.  Krieokeberg  ttbenmhm  später  dieThetaer 
Direetion  in  Bremen,  und  nm  1810  die  des  Hoftheaters  in  Hattnever, 
nnd  so  kam  Friederike  Koch,  nunmehrige  Krieokeberg,  zurück  in  ihr« 
Vaterstadt  Auch  ihi*e  Tochter  aus  der  einstigen  Ehe  mit  Gentz  führte 
nun  den  Namen  ihres  Stiefvaters,  und  da  sie  von  KindlieiL  au  ^Tosses 
Talent  fiir  Deklamation  zeigte,  widmete  sie  sich  gleichfalls,  als  Auguste 
Krieckcberg,  dem  Theater.  Damals  gab*8  in  Hannover  einen  Schauspieler 
Spengler,  der  geschieden  lebte  von  einer  Schauspielerin,  die  in  anderer 
Ehe  spVter  die  Mutter  der  gleichfalls  Pestis  deutscher  Theatergesohichte 
angehörenden  Frau  Klara  Qrül  geworden  war,  Dieser  Spengler  hm- 
rathete  in  «weiter  Ehe  Auguste  Krieckeberg,  Friederike  Koches  Toch- 
ter aus  dem  Bund  mit  Gents.  Jedoch  Spengler  muss  schon  vor  1818 
gestorben  sein. 

Denn  1818  kam  die  nun  2  8j ahrige  Wittwe  Augaste  Spengler 
'  nach  üngaiTi,  und  als  tragische  Schauspielerin  und  für  Salonrollen  anN 
grosse  deutsche  Theater  nach  Pest.  Das  war  unter  erstjähriger  Direk- 
tion des  Grafen  Franz  Brunswik.  Sie  wurde  da  mit  dem  Schanspieler 
Deny  bekannt,  der  im  gleichen  Jahre  mit  ihr  engagirt  worden,  nnd  mit 
dem  sie  schon  1819  in  die  Ehe  trat  Das  junge  Paar  verliees  Pest 


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ZUB  TinUTIROISCHICSTI  B0D1PB8T*R,  487 

und  wiu-  1820  in  Graz.  Aber  scliün  1821  zurückberulen.  war  Augiiste 
Deny  volle  59  Jahre  in  Ungarns  Hauptstadt.  Auch  ihr  zweiter  Gatte 
kam  mit  ihr  zurück  ins  Engagement,  ergab  «ich  jedoch  dem  Trünke, 
machte  ihr  das  Leben  zur  Hölle  und  starb  im  Säuferwahnsinn.  Kr  hinter- 
liess  ihr  eine  Tochter,  die  gleichfalls  Augusto  hieas,  gleichfalia  Schauspie- 
lerin wurde,  aber  sehr  talentlos  war. 

Friodrioh  von  Gente  dagegen  war  in  Wien  eine  Macht  geworden. 
Geadelt  schrieb  er  1806  f&r  Frenssen,  1809  und  1815  für  Oesterreich 
die  berObmten  Kiiegsmanifeste  gegen  N^ioleoii,  war  1815  beim  Wiener, 
wie  beim  Pariser  Kongress  erster  ProtokoUfUirer. 

Reich  geworden  und  Sybarit,  umgeben  von  Bhimen  und  Parfüms 
und  Heine's  für  Oesterreich  verbotene  Gedichte  lesend,  verliebte  sich 
der  65jährige  Staatsmann,  Metternichs  rechte  Hand,  trotz  seiner  weissen 
Haare  und  schwai-zen  Hornbrille,  noch  1829  in  die  damals  19jährige, 
allerdings  unvergleichliche  T&naerin  Fanny  £lBEler  und  starb  9.  Juni 
1882,  68  Jahre  alt. 

Angnste  Dmjf,  die  ihr  sweiter  Gatte  sehr  nnglfieklich  gemacht, 
beenchte  um  1880  ihren  Vater  in  Wien,  ih^  am  Hüfi»  anflehend.  Gents 
erwiderte  ilir,  er  bsibe  sich  schon  1791  yon  ihrer  Mutter  geseiaUch 
geschieden  nnd  dabei  dieeer  ein  Kapital  ansbeiahtt,  Ton  dem  man 
anstlndig  existiren  könne,  und  ftberdies  sei  Friederike  Koch  in 
zweiter  Ehe  Gattin  des  nicht  unbemittelten  Herrn  Krickeberg,  und  lebe 
noch  ohne  Notli  in  Hannover.  Dies  musste  Auguste  Deny  zugestehen, 
aber  habe  auch  ihre  Mutter  kein  Recht  mehr  auf  den  Namen  (ientz,  so 
gebühre  ihr  doch  der  Name  ihres  leiblichen  Vaters  aus  legitimer  Ehe, 
also  aach  das  Hecht,  sich  an  diesen  um  Hilfe  zu  wenden.  Gentz  wollte 
aber  davon  nichts  wisM,  und  gab  endlich  seiner  Tochter,  sie  als  solche 
nidit  anerkennend,  500  fl.,  um  sich  weiter  m  helfen.  Die  Deny  ging 
zorOck  ins  Engagement  nach  Pest,  nnd  in  tiefer  Verbitterung  ergriff  sie 
eines  Abends  ihres  Vaters  Liebesbriefe  an  ihie  Mutter  —  die  sie  als 
Belege  nach  ¥^en  mitgenommen,  —  nnd  warf  sie  ins  Fener.  Erst  als 
fiie  verkohlt  waren,  schreckte  sie  entsetzt  anf,  denn  erst  jetzt  fiel  es  ihr 
ein,  <la><s  sie  jene  500  fl.  in  die  Briefe  gesteckt  hatte. 

1832  starb  Gentz,  1842  dessen  erste  Gattin,  Frau  Deny's  Mutter. 

1838  verlor  Auguste  Deny  durch  die  Pe^ter grosse  Ueberschwem- 
mang  zuerst  den  grünsten  Theil  ihrer  Habe. 

1847  2.  Febr.  brannte  das  grosse  dentsche  Theater  in  Pest  ab, 


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438  SDR  TBBAmoiSCBICOTB  BODAPISf^S. 

und  dabei  verlor  die  Deny,  die  in  dem  Qebinde  wohnte,  all  ihre  KoetOine 

nnd  Wäsche  und  dazu  ihr  erspartes  Greld. 

1860,  im  Angust — ^  schon  70  Jahre  alt  —  reiste  sie  zu  ihrer  Tochter 
Auguste  nach  der  Schweiz.  Diese  hatte  in  Basel  einen  Muaiker  Schuster 
geheirathet.  Anfangs  nahm  sie  die  alte  Mutter  wenigätcns  friedlich  auf, 
doch  zuletzt  entblösste  sie  dieselbe  allen  Schmuckes,  der  der  Alien  noch 
geblieben,  nnd  drohte  ihr,  sie  dahin  polizeilich  zurückbringen  zu  lassen, 
wohin  sie  nutändig  sei  So  knm  denn  Fran  Bmj  im  April  1861  sorilek 
naofa  ihrer  zweiten  Heimat  Pest^  nnd  jeiit  traf  sie  der  hirteate  Sehlag.  Sie 
wurde  dnrch  TieleB  Weinen  idber  den  Undank  ihrer  Tochter  —  hlind» 

Einen  Pensionslbnd  hatte  des  Pester  deutsche  Theater  nicht.  Las 
Armenhaus  wollte  man  die  greise  Künstlerin  doch  nicht  geben.  So  er- 
hielten die  Blinde  nocli  19  Jalire  hindurcli  ihre  Freunde  und  Freun- 
dinen in  der  Stadt  Denn  sie  war  in  früherer  Zeit  sehr  beliebt  in  den 
besten  Kreisen  durch  ihre  geistreiche  Unterhaltung  und  ihre  vielseitigen 
Erinnerungen.  Auch  war  sie  sehr  belesen.,  besonders  in  wissenschaft- 
licher Idteretnr.  Frau  Wittwe  Marie  Giergl  hatte  die  Arme  in  ihr 
Hans  genommen,  pflegte  und  Tersoigte  sie  Jahre  hiadnreh,  und  dort 
starb  sie  aueh,  Tolle  90  Jahre  alt  geworden,  am  4*  April  1880. 

Ich  entsinne  mieh  persönlich  noch  sehr  gut  der  Augnste  Dsny.  Sie 
war  keine  geniale,  aber  eine  vortreffliche  Sehanspielerin  in  der  T^ragOdie^ 
dem  bürgerlichen  Drama  und  im  Salonstficke  Ar  Itters  Bollen  —  wenig» 
stens  schon  zu  meiner  Zeit  Nur  hatte  sie,  hervorgegangen  aus  derTradition 
Iftland'scher  Schule,  eine  höchst  monotone,  weinerliche  Vortragsw  eise. 
Monologe  jammerte  sie  völlig  herab.  Diese  Deklamationsweise  hatten 
übrigen"^  auch  so  viele  andere  deutsche  Schauspielerinen  ihrer  Zeit  zur 
Gewohnheit,  dass  sie  deshalb  nicht  getadelt  werden  kann, 

K.  M.  Kebibbht. 


DIE  PETÖFI-UEBERSETZUNOEN  ÖIUSEPPE 

CASSONEU*) 

Wir  haben  bereits  im  vorjllhrigen  Juni-Hefte  dieser  Zeitschrift 

die  gesammten  Petuti-Uebersetzungen  der  italienischen  Literatur  einer 

*  A.  PetAfi  :  Foglie  di  oipresRo  m  U  tomha  di  Etelke.  'nraduzione 
di  O.  Cauoiie,  socio  onorario  della  Pet5fi-Tftnaaäg  di  Budapest  Noto, 
Fr.  Zammit  1881.  8.  lif«. 


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.  •  Dkl  pMfi-vraiBsiniimoBR  giubipfb  oab8ohb*&  48d 

kurzen  Besprechung  unterzogen  un«!  niuniten  wir  auf  diesem  Gebiete 
den  ersten  Platz  dem  sicilianischen  Dichter  (riuscjipe  CaSROnc  ein.  Da- 
mals kannten  wir  von  iliin  verhältnissmüssig  noch  sehr  Weniges,  da  seine 
Uebersef Zungen  bis  dahin  blos  in  versehiedenen  italienischen  Zeitschrif- 
ten zerstreut  erschienen  waren.  Die  in  dem  erwähnten  Artikel  bereits 
aagekfindigt  gewesene  Sammlang  eines  Tbeiles  seiner  Uebersetziingen 
hat  nun  die  Presse  rerlassen,  nnd  nnserem  Yerspreolien  gemSss  beeilen 
wir  uns  somit,  die  ,|Foglie  di  cipresso  sn  la  tomba  di  Etelka*  —  'das 
der  Titel  seines  Büches  —  nach  Qebfihr  zn  würdigen. 

HanptsBcblich  ist  es  die  Treue  der  üebersetzungen,  die  wir  bei 
Cassone  besonders  hervorheben  müssen ;  er  fälscht  seinen  Dichter  nie- 
mals, er  hält  sieh  strenge  nicht  nur  an  den  Sinn,  Sondern  aurh  an  das 
Wort  des  Originals,  olme  sich  dabei  gegen  den  Geist  seiner  Muttor- 
sprache zu  vergehen.  Er  verzuckert  den  Fcuerwoin  retöfi's  nicht,  und 
tröpfelt  in  denselben  auch  keinen  Zitronensaft,  damit  er  Demjenigen, 
denen  er  in  fremdem  Geisse  kredenzt  wird,  Tielleicht  besser  mnnde ; 
er  bewahrt  das  „Aroma'*  des  köstlichen  Getrtnkes  nnd  mischt  es  nicht 
mit  seiner  eigenen  Fechsang.  Cassone  l»piiH  semen  Dichter ;  er  hegt 
nicht  die  Ansicht,  der  so  Viele  seiner  Kollegen  huldigen,  dass  nIniUeh 
bloB  der  Gedanke  beibehalten  werden  mfisse,  die  Form  des  Ansdmeks 
aber  na/  h  Belieben  geilndert  werden  könne ;  er  producirt  nichts  Neues, 
sondeni  stets  dasselbe,  was  Petöfi  bereits  zum  Ausdrucke  gebracht ;  für 
ihn  hat  sowohl  die  äussere  Form  der  Dichtung,  wie  auch  jedes  Wort 
derselben  eine  Bedeutung ;  er  bewegt  sich  fast  immer  in  dem  liahmen, 
der  ihm  im  Original  vor  Augen  schwebt,  er  erweitert  ihn  nicht  und 
meidet  auf  diese  Art  den  Schwulst,  macht  ihn  aber  auch  nicht  enger 
und  whNl  dedialb  niemals  geswnngen,  durch  aUxngrosae  Sparsamkeit  mit 
den  Worten  „der  Bede  Sinn*  sn  Terdunkeln. 

Nun  mnss  aber  eine  UebersetEnng  ausser  dem  Vomge  der  Treue 
noch  einen  anderen  besiiaen,  der  zum  Mindesten  ebenso  wichtig  ist,  wie  die- 
Rpr.  Sie  darf  uns  niemals  zu  sehr  darauf  aufmerksam  machen,  dass  dmr  Au« 
tor,  falls  ihm  durcli  das  Original  keine  Fesseln  angelegt  worden  wären, 
Hich  in  viel  schöneren,  viel  liiessonderen  Versen  hätte  ausdrücken  können. 
Und  eben  das  ist  es,  was  wir  in  so  mancher  Uebortragung  Cassone's  mer- 
ken. Tn  erster  Reihe  ist  es  der  Hiatus,  den  er  viel  öfter  anwendet,  als 
dies  selbst  in  der  italienischen  Metrik  erlaubt  ist.  Das  macht  dann  den 
Vers  ein  wenig  holperig,  hartklingend  |  es  treffen  sich  da  Zeilen,  wie  : 


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« 


440  Ott  FBT^n-inBiiBSBTiinicmr  oidhvpb  OAsaoim's. 

Dwnii  ta  pnoi,  o  mia  caia  (8.  56) 
Dal  eiel  se  paoi  ainteimi  (S.  68) 

Gioia  io  ne  avea»  come  se  il  ciel  dischioso  (8.  76) 
Seppi  che  auMrka,  o  gioia  mia,  eri  tu.  (S.  90) 
So  foaee  Tero,  o  bionda  mia  aogioletta  (S.  185) 

Da  bnncht  wohl  nicht  lange  deinonstrirt  zu  werden,  wie  sehr  an 
diesen  und  ähnlichen  Stellen  eine  Feile  am  Platze  gewesen  wUre.  In  tler 
Arbeitsstätte  der  Musen  sollte  ja  dieses  trefHiehe  Werkzeug  stets  bei  der 
Hand  sein.  Hütte  es  Caääone  öfter  benützt,  so  wären  aus  seinen  üeber- 
Setzungen  ausser  einigen  nnmelodischen  Zeilen  auch  viele  unpoetische 
Aosdr&oke  yerschwuidan,  die  so,  wi»  sie  bei  ihm  Torkommen,  siem- 
lieh  störend  wirken. 

Besondera  mfichten  wir  genie  Wortweadnngen  Termieden  sehen, 
wie  I»  B»  diese  : 

Percha  cadon  le  stelle  a  questa  sorta  ? 
he  lachme,  io  90  bent  per  una  morta! 

Derartige  Yeiplaitniigen  des  Ansdrackes  dnreh  Bindewörter  ete. 
finden  sich  auch  an  anderen  Stellen ;  man  lese  z.  B.  fieses  kleine  Lied  : 

Kri  il  mio  fiore,  e  poi  che  ti  pi^[aati 

Deserto  e  il  viver  mio ; 

Eri  il  mio  solo,  e  poi  die  tramontosti 

La  nette  nii  coprio  ; 

Ala  de  gU  astri  miei,  ^x)»  che  oadesti 

Jo  piü  non  roh  al  oielo; 

BoUor  del  saagne  mio  i  poi  ehe  ü  fetti 

81  fireddo  :  oh  oome  io  gelo. 

Anstatt  alfio  m  singen  :  „Warst  meine  BlamOi  bist  verwelkt  — 
verwüstet  ist  mein  Leben, explizirt  nns  CSassone  :  „Warst  meine 
Blume,  und  nadidem  du  mm  Terwelktest,  ist  mein  Leben  TerwQstet : 
warst  meine  Sonne,  und  neehdem  du  niedergingst,  bedeckte  mich  die 
Nacht*  Q.  s.  w.  Mut  Tersuche  einmal  nnd  streiofae  aus  der  obigen 
Ueber-setanng  die  poi  eke\  —  die  hinkenden  Zeilen  werden  sogleich 
steht  und  stramm  einbergehen,  ohne  dass  man  ihnen  die  Amputation 
anmerken  würde. 

Ein  simples  cosi  ist  es  auch,  das  den  Effekt  des  Liede»  „Alltain 
sirhalma  mellett"  zu  Grun<le  richtet.  Hier  bes(  hreil)t  PetoH  in  der  er- 
sten Strofe,  wie  er  an  Unm  Grabe  seiner  Geliebten  mit  niedergeschlagen 


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DIB  PBT^FI-ÜBBEBSIiTZUNäEH  GIDfiBPPX  CASBOHS's.  441. 

uen  Augen  dahin  br&tety  und  setzt  dann  in  der  zweiten  Strafe  hinzu  : 
„Es  steht  der  Schiffer  am  Strande,  und  bUekt  anf  das  weite  Meer,  das 
ihn  zum  Bettler  machte,  und  ihm  alle  seine  Sch&tze  raubte.*  Diese  bei- 
den Bilder,  in  kurzen  acht  Zeilen  neben  einander  gestellt,  sind  im  Ori- 
ginal tosserst  wirirangsvoll ;  Cassone  findet  es  jedoch  fllr  nSthig,  ihren 
ZiLsaiumenhang  zu  erklären,  und  schreibt  deshalb  :  „Ebenso  steht  der 
Schiffer"  etc. 

Verfehlt  ist  auch  die  Ueberset/ung  des  Gedichtes  ,Keket  inutat» 
nak  meg,"  wo  Cassone  nn  Stelle  der  fragenden  Form  die  bejahende  ge- 
brancht,  und  so  den  Grundgedanken  des  Liedes  in  Verlost  gerathen 
Iftsst.  Der  Dichter  irflgt  nämlich  hier,  ob  die  BAnme  noch  grünen,  o)) 
die  Flösse  noch  rauschen,  ob  das  Morgenroth  noch  glfiht?  Zum  Schlüsse 
motivirt  er  dann  die  Fragen :  „Der  kleine  Hfigel,  der  meine  Liebste 
deckt,  verbirgt  meinen  Augen  Erde  und  Himmel."  Wie  ersichtlich,  hat 
diese  Pointe  keinen  Sinn,  wenn  im  ersten  Theile  des  Gedichtes  keine 
Fragen,  sondern  blos  Befahungen  au^^gesprochen  werden. 

Ich  will  mich  in  keinen  Haarspaltereien  ergehen,  und  erwähne 
blos  noch  einen  einzigen  Fehler,  dem  aber  ebenfalls  eine  PoifUe  zura 
Opfer  fallen  niusste.  Am  Schlüsse  des  Liedes  „K  szobaban  küzködütt" 
spricht  Petoti  den  Wunsch  aus,  es  möge  ihn  aus  dem  Zimmer  seiner 
Geliebten  der  Rappen  St.  Michaels  hinaustragen.  Die  nngnrisclie  Mythe 
bezeichnet  nOmlich  die  Bahre  mit  äiietem  Ausdrucke.  Wenn  mithin 
Cassone  ausruft : 

Di  San  Michel  uii  porti  via  *1  destriero, 

wird  es  kernen  einzigen  Italiener  geben,  der  da  wissen  würde,  was  der 

Dichter  hier  eigentlich  gemeint ;  hingegen  vnrd  Jeder  darüber  mediti- 
ren.  wanim  Pei«")ti  den  Spazierritt  zum  Grabe  seiner  Geliebten  gerade 
auf  dem  Pferde  des  heiligen  Michael  machen  will  ? 

Doch  genug  des  Tadels.  Es  ist  eine  ülde  Eigenschaft  nicht  nur 
des  Kritikers,  sondern  aller  Menschen,  dass  sie  lieber  nach  Mängeln, 
als  nach  Vorzügen  spähen.  Wo  wir  /um  Rühmen  blos  zehn  Worte  fin* 
den,  finden  wir  zum  Hägen  hundert  Worte.  Da  wir  nun  schon  eine 
Probe  aus  den  minder  gelungenen  Uebersetsungen  CSassone^s  lieferten, 
mflssen  wir  auch  leigen,  welcher  Art  das  Oute  ist»  das  er  geschaffen. 
Und  da  wird  uns  die  Arbeit  betrBchtlich  erleichtert;  wir  brauchen  nicht 
lange  zn  suehen,  denn  fast  auf  jedem  zweiten  Blatte  treffen  wir  einzelne 

UagariHchc  Revue.  1882.  V.  Heft.  29 


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442  DIE  PBTUFI-UEBKBäBTZUKUKN  GIUSEPPE  GASSOME'S. 

StrofeUi  die  füglich  als  Musterübersetzungen  gelten  dürfen.  Vollkom- 
menes Iconute  Cassone  ebensowenig  liefern,  wie  jene  nnzfthligen  Peiöfi- 
Uebeneizer,  die  bisher  ausser  ihm  erstanden  sind,  nnd  von  denen  ihm 
blos  zwei  oder  drei  gleichkommen.  Gehört  er  doch  nnter  die  leider  nnr 
allzn  wenigen  Anslflnder,  die  nm  unseres  grossen  Dichters  willen  die 
ungarische  Sprache  erlernt  haben,  die  nicht  Pet6fi*s  Dolmetsche,  son- 
dern ihn  selber  verdolmetschen. 

üebei  -oizunf^cn,  wie  z.  J5.  ilie  liier  folgenden,  gereichen  der  Li- 
teratur, die  sie  hervorbrachte,  in  der  That  zur  Zierde. 

La  neye* 

Ia  neve,  lUnTemal  fimefteo  manto 

De  la  oampagna  morta 

Stanotte  il  oamposanto 

CSoprl  ; 

La  tmorta 

Luce  del  dl 

Rigguarda  tristaraonto 

11  mute  r^{no  de  resiinta  gente. 

Tatto  h  ooperto  il  campo;  e  pur  la  breve 

Zolla  dov'  h  Repolta 
L'  Ktelka  mia,  piü  neve 

Non  ha  : 

Ne  sciolta 

Ve  Thanno  gii\ 

Del  solo  i  caldi  rai, 

Ma  il  piiinto,  il  lungo  pianto  ch*io  versai 

Die  Art  und  Weise,  wie  Cassone  sich  hier  über  die  Schwierig- 
keiten der  ein  wenig  exzentrischen  Form  des  Originals  hinwegzusetzen 
wusste,  sowie  die  snsserordentliche  Treue  der  Uebersetzung  stempeln 
dieselbe  zur  besten  des  ganzen  Bandes.  Dir  Ulbert  sich  die  üebertra* 
gung  des  Liedes  „Littam  köt  hosszu  nap 

II  tno  freddo  ciulavere 
Duo  luughi  dl  guardai ; 
Onacdai  le  labra  taoite 
E  gli  oochi  sensa  rai. 

Baciui  l;i  fronte  vorgine, 

Fatta  discrto  Eduime  : 

Ua  bacio  —  il  primo  —  e  a  scuoterti 

ün  brivido  non  ▼enne. 


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Dn  FiTQFi*omB8BiiimQBii  QiuaBpPR  oAsmnnV  443  ' 

Bftciai  la  froiito  Candida» 

Mio  rovinato  altare 
Ed  a  quel  baoio  ranima 
Tutta  seniü  g«lac6. 

Baciai,  badai  *1  fonereo 
LensDol  de  la  tua  bam, 
Inviolabü  termlne 
Che  me  e  il  oiel  iepara. 

Vidi  i  torcctti  accendere 
AI  tuo  foretro  e  il  ncro 
Carro  de'  morti  niuovere 
In  via  del  cimitero. 

E  quivi  io  era,  e  orrilnle 
n  tonfo  a  me  ginngea 
De  la  terra,  che  tiarbaia 

Vanga  m,  te  spiiigea.  * 

K  tutto  que^^to,  oh  miscro ! 
Io  so,  ma  pur  no  U  credo, 
E  spesBO  anoor  nel  dnbbio 
~  Sogno  noa  M  —  mi  chiedo. 

In  casa  tua  con  ansia 
Vado,  qua  e  la  ri^ardo, 
Ma  non  veggo  il  tuo  splendido 
Cielo,  ü  tuo  dolce  sguardo. 

No  *1  Teggo ;  invano  ogni  aagolo 
IiM>  a  goaidar  rimaiigo, 
Foi  tomo»  qnad  etapido 
A  la  mia  staiua  e  {»iaiigo. 

Hier  ist  besonders  die  zwar  im  Wesen  getreue,  dennoch  aber 
echt  italienische  Form  hervorzuheben;  die  sogenannten  versi  sdnitcioH 
in  dar  ersten  und  dritten  Zeile  bilden  mit  den  Halbreimen  die  wohl- 
küiigendste  Harmonie. 

Die«e  und  viele  ähnlich  gute  Arbeiten  brachte  Cassone  anf  seinem 
Krankenlager  hervor,  das  er  fa^^t  seit  zwei  vollen  Jahrzehnten  nicht  ver- 
hisaen  bat.  Sie  sind  sein  Trost  im  Leiden,  seine  Arzenei  wHlirend  der 
Qxialen,  die  seinen  Körper  heimsuchen.  Den  Dank,  den  ihm  unser  Va- 
terland för  seine  Leistungen  schuldet»  hat  sowohl  die  Petöfi-,  wie  auch 
die  Kisfidndy-GesellBohaft  dadurch  zum  Ausdrucke  gebracht,  dass  sie 

29* 


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444  .  KUftZB  SlTZUVaaBEEICHTB. 

rien  verdienten  Mann  in  die  Reihe  ihrer  Mitglieder  auäiahmen.  M5ge 
diese  Anerkenniing  ihm  Aosdaner  und  Lust  m  weiterem  Schaffen 
Terleihen.  Amton  Rad6. 


KUBZE  SITZUNGSBEEICfiTE. 

Akademie  der  Wissenschaften.  I.  In  der  1.  Klasse  am  20, 
Februar  las  Hermann  Vambäky  über  die  Reise  Julians  in  Gross-Uih 
gam.  Es  ist  dies  ein  Kapitel  au&  des  Verfassers  grosserem  Werke  über 
den  Ursprung  der  Magyaren.  Es  ist  bekannt,  dass  unter  der  Regienmg 
IV.  mehrere  MOnche  nach  dem  Osten  wanderten,  um  die  ür- Heimat 
der  Magyaren  aufzufinden,  besonders  deshalb,  weil  sie  ▼emommeii  hat- 
t«n,  dass  die  in  Asien  gel)liebenen  Magyaren  noch  Heiden  waren.  Ihr 
Zwe(  k  war,  die^ellieu  /.um  Cliristenthum  zu  bekehren.  Unter  den  Hei- 
senden des  Dominikaner-Ordens  befand  sich  auch  Jalian,  der  sich  mit 

'  yier  Ordensbrüdern  auf  den  Weg  begab.  Zwei  kehrten  jedoch  baldzn- 
rück.  Julian  ssog  weiter  mit  seinem  Freunde  Bernhard,  der  unterwegs 
starb.  Julian  selbst  kam  nach  Groes-Üngam,  kehrte  Ton  dort  wieder 
zurtlck,  um  spttter  die  Heise  abermals  anratreten,  wurde  daran  jedoch 
durch  den  Tod  Terhindert  Seine  Beise-Be^chreibung  befindet  sich  hi 
der  Vatiranu  /ii  Rom;  im  Jahre  1778  erschien  der  lateinisch«'  Text  m 
Ofen :  Kurl  Szabo  übersetzte  dieses  Werk  nach  der  verbesäcrten  Aas- 
gabe Thkinek's  ins  Ungarische. 

Vamh^ry  bestreitet  nun  die  Richtigkeit  dieses  Doeument;«  der 

'  magyarischen  Urgeschichte.  Er  gibt  die  Oeachiohte  dieser  Reise  und  die 
einseinen  Daten  der  Beschreibung,  nach  weloher  sieh  die  MOnche  m 
Constantinopel  einschifflen,  38  Tage  reisten,  bis  sie  nach  Yichia  (sftdlieh 
vom  Azow^schen  Meere)  gelangen,  von  dort  durch  viele  Wüsteneien  sieh 
nach  dem  Nonlcn  wenden,  bis  endlich  Julian  nach  Gross-Ungarn  gelanfjt. 
Kr  trifft  die  Ma^ryarcii  im  wilden  Zustande,  versteht  jedoch  deren  S[)nit  lie, 
so  wie  sie  die  seiuige.  Der  barbarische  »Stamm  ist  geneigt,  das  Christen- 
thum  anzunehmen. 

Zuerst  legt  der  Vortragende  dar,  dass  diejenigen,  welche  die 
Reise  zwischen  das  Jahr  1286 — 89  legen,  irren,  da  die  KSmpfe  und 
sonstigen  Begebenheiten  der  Tarlaren,  welche  Julian  erwfthnt,  dieser 
Zeit  nicht  entsprechen  nnd  mit  den  damaligen  Zuständen  Asien's  gar 
niclit  haiiuoniren.  Weder  die  lie.sehreibungen,  noch  die  verworrenen 


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KUBBB  SmUHOSBIBfCBTB. 


445 


Augalieii  über  den  Weg,  noeli  was  Julian  von  flen  einzelnen  »Stiiinmen 
ijerichtet,  kann  vor  der  Kritik  l)estehen  und  mit  den  bo;/laubigten  'J'hat- 
äachen  in  Einiilang  gebracht  werden.  Julian  xiezmt  nur  lünt'  Städte« 
Namen,  jedoch  auch  diese  bezeichnen  Stämme  und  nicht  Städte;  er 
gelangi  früher  in  die  nördlich,  als  südlich  gelegenen  Sittdte.  Sehr  ver- 
wegen ist  anoh  die  Behauptang,  dass  Julian  die  Sprache  der  snrOckge- 
bliebenen  Magyaren  Tentand,  da  doch  mindesteBs  500  Jahre  verstrichen 
waren,  seitdem  sich  die  Ungarn  von  ihnen  getrennt  Wihrend  dieser 
Zeit  verflnderte  sich  ihre  Sprache  durch  den  Umgang  mit  Petschenegen,  , 
^  Ghasaren  und  Deutschen.  Auch  ist  es  nicht  glaablich,  dass  das  kleine 
Häuflein  Magyaren,  das  in  der  Ur-Heinuith  geblieben  war,  seine  Siira«  he 
unt-er  tlen  «zrossen  Kvolutionen  und  Schicksal.s.schliigen  des  Ostens  ganz 
rein  l-ehalten  liiitLe.  Wenn  Julian  wirkli<'li  die  TTr-Ma<jyaren  autgefunden 
hätte,  so  hätte  er  mehr  über  die- selben  berichtet.  Kr  erwähnt  aber  nui  , 
dass  sie  wild  seien  und  eine  äulche  Lebensweise  führen,  wie  sie  nach 
den  neuesten  Forschungen  kein  asiatisches  Volk  geführt  hat»  sondern 
noi*  in  der  Phantasie  der  Missionare  des  Mittelalters  entstanden  ist  — 
Nach  Vams^bt  ist  der  gaose  Bericht  Juliana  falsch.  Wahrscheinlich  war 
der  Verfittser  desselben  ein  ungarischer  MissionSr,  der  die  Au&eichnun- 
gen  des  Anonymus  üher  die  alten  Msgyaren  kannte  und  als  Patriot  der  na- 
tionalen Tradition  schmeicheln  wolltOi  Die  Erwfthnung  von  fflnf  geogra- 
phischen Namen,  viele  Widersprüche  und  sonstige  Oberfliichiiehkeiten 
machen  die::«e  Reise  üehr  problematisch ;  die  ätrenge  Kritik  darf  auf  die- 
selbe nicht  bauen. 

Nach  dem  Vortrage  entspann  sich  ein  reger  Wortwechsel  zwiticbeu 
Faul  HuKFALVY  und  dem  Vortragenden. 

HüMriLVT  anerkennt  die  Glaubwürdigkeit  der  Beise-Beschreibung. 
Julian  diktirte  auf  seinem  Sterbebette  seine  Erlebnisse  und  betrachtete 
nicht  die  Einzelnheiten  der  Beise,  sondern  die  Hervorhebung  seines 
Zweckes  als  Hauptsache.  Die  Beisenden  des  Mittelalters  hatten  keine 
gehörige  Bildung;  dies  beweist  auch  Schiltbbbobb,  von  dem  wir  be- 
stimmt wissen,  dass  er  jene  Orte  besucht  hat,  in  deren  Beschreibung  er 
so  oft  irrt.  Diese  Reisenden  erzählten  ihren  Weg  aus  dem  Gedächtnisse 
und  b'gten  nicht  viel  Wertb  darauf,  wohin  sie  zuerst  kamen.  Aus  <ler 
Sclirift  Julian's  ergibt  sii  h,  dass  er  ohne  bestimmte^  Ziel  viel  berum- 
irrte. Was  die  Sprache  anbelangt,  kann  er  eiienfalls  nii  bt  VAiiiißRY's 
Meinung  acceptiren.  Unser  ältestes  Sprachdenkmal  versteht  jeder  Ungar 


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446  KUBSK  utsuhosbebicbh. 

» 

auch  nach  vielen  Jaliihundeiieu.  (iross-Ungarn  (Magna  HungaiiaJ  hat 
exiatirt,  wie  dies  cUimalige  geographische  Daten  beweisen. 

Vämukky  bemerkte  hierauf,  tlass  Hunfalvv  nicht  so  leicht  berech- 
ügt  seil  ein  abteilendes  Urtheil  über  seine  Behauptungen  abzugel)en, 
denn  er  hat  die  Daten  ans  solohen  Quellen  (tartarischen,  persischen 
Handschriften  nnd  ans  nenasten  rassischen  Pnblicaiionen)  geschöpft, 
die  HuHFALYT  nicht  sehen  konnte.  Es  ist  dies  nnr  ein  kleines  Fragment 
ans  seinem  grosseren  Werke,  in  welchem  er  mit  den  Vertretern  der 
finnisch-ngrischen  Theorie  in  solche  Widerspräche  gerltb»  die  nicht  sn 
flherMeken  sind.  —  Gerade  dorch  SoBitTmaosR  kann  Julian  widere 
legt  werden.  Was  den  Namen  Magna  Hungaria  anbelangt,  bemerkt  er, 
dass  in  Asien  das  Wort  „(irosö'^  auch  von  .-olchen  Ländern  gebraucht 
wird,  welche  einst  existirten ;  Magna  Hungaria  hei-sst  also  nur  :  das  alte, 
gewesene  Ungarn.  Marco  Polo  diktirte  seine  Heise-Beschreibung  »ehn 
Jahre  nach  seiner  ßttckknnft  im  Kerker  zn  Pisa  nnd  seine  Daten  sind 
dennoch  richtig. 

Hierauf  las  Stefiu  Baetalüs  ,fBeiiräge  mir  Gfesehiehte  der  unffo- 
risehen  Musik*^  Die  Ansicht  des  Vortragenden  ist,  dass  wir  heute  die 
Vergangenheit  der  ungarischen  Musik  noch  nicht  genilgend  kennen, 
um  behaupten  zu  kdnnen,  wir  hitten  mit  der  Entwickelung  der  Musik 
anderer  Nationen  Schritt  gehalten.  Wir  wissen  von  Melodisten,  aber 
nichts  von  solchen  Tonkünstlern,  welche  die  Harmonie  und  Ck)mposition 
cultivirt  hätten.  Zwei  Namen  ragen  jedoch  hervor  ;  der  eine  ist  Valen- 
tin Bakfask,  den  man  den  ungarischen  Orpheus  nannte,  und  dessen 
Werke  in  der  Krakauer  Bibliothek  aufbewahrt  werden.  Bakfark  war 
ein  Siebenbftrger  Sachse,  der  nach  Krakau  an  den  Hof  des  Königs  Si- 
gismund ging;  er  bereiste  Deutschland,  Frankreich  und  Italien  und 
starb  in  Padua  im  Jahre  1676.  Seine  Werke  liess  König  Sigismund  im 
Jahre  1569  drucken.  Diese  Sammlung  besteht  iheils  aus  Liedeni  fran- 
zOeiBchen  Textes,  theila  aus  lyrischen  Gesingen  und  Phantasien  ohne 
Worte.  Ist  jedoch  sehr  sdiwer,  die  damalige  Notensdniffc  zu  ent» 
räthseln ;  der  Vortragende  konnte  bis  jetzt  nur  einige  umschreiben. 
Diese,  so  wie  Baki'ahk's  anderwUrts  erschienenen  Compositionen  bestii- 
tigen  die  Lobeserhebungen,  die  ihnen  zu  Theil  wurden.  —  Der  zweite 
ist  Herzog  Paul  Esztkrhäzy,  dessen  kirchliche  Lieder- Sammlung  „Har- 
monia  Coelestis'^  Tor  172  Jahren  erschienen  ist»  bis  jetzt  jedoch  anbekannt 
war.  Nur  Baetalus  und  Domherr  Bubics  zu|  Grosswardein  besitBen  je 


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KUBSB  ammiQSBnucBTJt.  447 

ein  Exemplar.  Der  Herzog  ist  wol  nur  Dilettant,  jedodi  als  ungarischer 

Compositeur  nimmt  er  einen  elmmwerthon  Platz  ein.  —  Die.>ie  zwtii 
Namen  vertreten  mithin  bis  /um  Anfang  dos  18.  Jahrhiintlets  die 
Technik  in  der  Musik.  Baktalcs  tmg  auch  einige  Stücke  auf  dem 
Klarier  vor. 

2.  In  der  Plenar-Sitrang  am  27.  Feber  las  Alezander  Komik  eine 
Denkrede  auf  Johann  Suhiajda  eorr.  Mitglied  der  Akademie.  Sühajda 

wurde  geboren  zu  Mi.skolcz  im  Jahre  1818.  Seine  öftentliche  Tliütigkeit 
begann  er  aLs  Katlisherr  der  Stadt  ^Vaitzen.  Im  Jahre  1848  wurde  er 
an  die  l'ester  Universität  berufen,  da  Yizkslbtx,  der  Landesspriiuhe  nicht 
mfichtigi  abdanken  mosste.  Suhajda  war  der  erate,  der  an  der  üniver- 
dttt  das  kanonische  Beoht  in  ungarischer  Sprache  yortmg.  Jedoch  die 
politischen  Unmhen  machten  seiner  Professoren-Laofbahn  ein  Ende. 
&  verlegte  sich  nun  auf  die  juridische  Lüeratnr,  wurde  aber  bald 
Präsident  des  Pester  Gerichtshofes ;  später  wirkte  er  in  Kecskemet 
und  Stuhl-Wcissenburg.  Immer  pflegte  er  die  juridischen  Fächer,  und 
wenn  er  auch  kein  epochales  Werk  geschaffen  hat,  so  trug  er  doch  die 
Bausteine  fleissig  zusammen  und  gab  sich  den  Interessen  der  Bechts-* 
pfl^e  hin,  die  er  auch  als  Kiohter  förderte.  Seine  Werke  fimden  grosse 
Verbreitung  bei  der  lernenden  Jugend.  Sein  bedeutendstes  Werk  ist : 
Ungarns  Öffentliches  Becht ;  das  System  der  ungarischen  Bechtsftbung, 
welches  in  filnf  Auflagen  erschienen  ist  Am  meisten  verbreitet  ist  sein : 
Sjsten  des  ungarischen  Privatrechts,  welches  in  6  Auflagen  erschien. 
Die  Akademie  wählte  ihn  im  Jahre  1864  zum  corr.  Mitgliede.  Suhajda 
hatte  auch  beim  Statthalterei-llath  eine  hervon-agende  Stellnng.  Im 
Jahre  1867  wurde  er  Sectionsiath  im  Justia^-Ministerium,  Mitglied  der 
Stiatfr-Prilfungs-Commission,  spSter  Richter  bei  der  Curie.  Er  nahm 
•tets  regen  Antheil  sowol  an  der  Ck)dification,  als  auch  in  den  juridischen 
Zeitsehriften ;  auch  war  er  einer  der  fleissigsten  Richter.  Er  starb  im 
September  1881.  Um  die  Kenntniss  des  ungarischen  Privatrechts  hat 
er  sich  grosse  Yerdienäte  erworben. 

3.  In  der  Sitzung  der  II.  Klasse  am  6.  Mttrz  las  Stefan  GtAkfäs 
Über  das  staaUiehe  Leben  der  Jag^gm-Kumanen  m  ZeUraum  van 
14Q0 — J4iJ9,  Es  ist  dies  ein  Kapitel  aus  des  Yerfiyasers  grösserem 
Weike  über  diesen  interessanten  Stamm,  dessen  inneres  Leben  im  18. 


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448  KüKZs  !:»rr2UMaäBK&ii;iiTK 

and  14.  Jahrhanilerte  der  Vortragen<lo  schon  fiüher  in  der  Akademie 
besproehen  hal  Diesmal  beq>raieh  er  cUe&i^-Oxganisaüon,  die  Wafien 
und  die  innere  Yerwaltang  der  Ja^ygen  in  der  eraten  Hülfte  des  XV, 
Jahrhoaderte.  Hieranf  behandelte  er  die  Stellnng  des  Palatins,  ate  ober* 
sten  Leiters  der  Kumanen,  das  Gerichtswesen,  die  Ausdehnnng  ihrer 
Oomitate  und  deren  Beftagntsse.  Besonders  ansfahrlich  besprach  er  das 
Steaer-System  und  die  verschie<lenfii  J-Jinkünftc  »ler  Krone,  rnter  »Ue- 
sen befand  sith  auch  die  Morgen_;iibe.  respective  die  Apanage  der  Kö- 
nigin. Auch  die  Justiz- Verwaltung' wurde  eingehend  dargelegt;  endlich 
die  Besitz- Verhältnisse,  die  Privilegien,  das  Erbrecht,  die  Lebensweise 
und  religiösen  fn^titutionen,  bei  welchen  PunKteu  der  Verfasser  stete 
*  eine  Parallele  mit  den  Sz^klem  zog.  Die  Studie  beruht  dnrchaiis  auf 
.  QuellenlorsehYingen  und  ist  reich  an  neuen  und  werthToUen  Daten. 

£ugen  SzsiiTKiiBAT  sprach  :  Über  die  deuUdte  Cciimisaam 
in  Säd-Ungam  unter  der  Beffiemng  Josefs  IL  Die  ersten  dentechen 
Cdonisten  erschienen  unmittelbar  nach  1716  in  der  Theiss-,  Donam- 
und  Maros-Gegend,  als  dieser  Theil  von  den  Türken  befreit  wurde  und 
von  üngran  getrennt  unter  dem  Titel  ./l  emeser  Banaf*  unter  öster- 
reichisch militäri-che  Regierung  kam.  Nach  der  Wiedereroberung  Te- 
uiesviir's  kam  ein  Theil  jener  Deutschen,  welche  im  Anfange  des  XVIII. 
Jhdts.  in  der  Umgebung  von  Pest,  Pills,  Promontor,  in  Szathmär,  Bereg  - 
tind  der  Baranya  wohnten,  nach  dem  Banat.  Graf  Claudius  Mebcy,  der 
erste  militftrische  GonTemenr  der  Proyinz»  f&hrte  zahlreiche  Würten- 
beiger,  Heesen,  Nassauer  und  rheinische  Colonisten  nach  dem  sftdlichen 
Ungara.  Man  findet  demnach  in  Sfld-Üngam  viel  frfiher  Deutsche»  aU 
dies  GusUiiNi  und  Oboekvio  behaupten.  Nach  dem  Passarowitzer  Frie- 
den eirculirte  ein  Colonisations- Aufruf,  der  zur  Folge  hatte,  dass  im 
Jahre  1728  schon  10  deut-che  D«ufer  im  Banat  existiren.  Die  Wiener 
Regierung  glaubte  im  Jahre  1735  noch  nicht,  da.ss  diese  l'rovinz.  wegen 
der  argen  kliuiaticsclien  Verhältnisse,  /u  colonisiren  wäre  und  gebrauchte 
sie  auch  nur  für  Str&flinge  als  Exil.  Damals  kam  die.Poena  arbitraiia 
in  Gebrauch  und  so  wurde  der  Schlacken  des  Volkes  nach  dem  Banat 
deportirt  Bis  zum  Jahre  1763  finden  wir  weder  eine  Otganisaüon, 
noch  sonüt  ein  regelmässiges  Vorgehen  bei  der  Colonisation  dieser  Pro- 
vinz. Maria  Theresia  Hess  wol  im  Jahre  1745  grossere  Anwerbungen 
in  den  oberrheinischen  und  fränkischen  Distrikten  bewerk8tel]%en,  und 
es  siedelten  sich  auch  zwischen  1749 — 1758  gröiisere  deutsche  Massen 


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p 

KUKZB  aiTZLNü.süEiacum  449 

in  dieser  Gegend  an,  jciloch  war  dieä  noch  keine  rationelle  Colonisation. 
Die  oisie  systematische  Colonisation  beginnt  mit  dem  Colonisations* 
Patent  ans  dem  Jahre  1768  (25.  Feber) ;  dies  ist  jedoch  adion  die 
swdte  Periode  der  deatschen  ÄnsiedlimgeiL  Im  Jahre  1768  wanderten 
bei  1600,  und  in  den  nSchstfolgenden  zwei  Jahren  1000 — 2000  dentsche 
Familien  ein.  Unsere  Historiker  setzten  die  Zahl  der  Einwanderer  vom 
Ende  des  siebenjährigen  Krieges  bis  gegen  Ende  der  Regierung  Maria- 
Therefiias  anf  25,000  :  wahrscheinlich  beträgt  aber  die  Zahl  sämuitlicher 
Colonisten  das  Doppelte.  Dies  beweisen  auch  die  Kosten  der  Colonisa^ 
tion,  welche  »ch  im  S&eitranme  von  1763 — 1773,  anf  swei  Millionen 
stellten,  welche  Summe  theils  als  Reise-,  theils  als  sonstige  Kosten  Ter* 
ihmlt  wnrda 

Die  bedeutendste  Periode  der  Colonisaion  ist  jedoch  die  dritte, 
welche  im  dritten  Regierangsjahre  Josef  II.  begann.  Diese  Coloni-aiionen 
tragen  aiu  h  einen  anderen  Charakter,  sowol  was  Umfang  und  Auafübrung, 
als  anch  die  Resultate  anbelangt. 

Josef  IL  siedelte  zwischen  den  Jahren  1784 — 86  7600  deutsche 
PamiUen  (88,000  KOpfe)  in  Ungarn  an,  was  dem  Aerar  4  IGllionen 
Gulden  kostete.  Von  diesen  Familien  wanderten  2988  in  die  Comitate 
Bftd-Ungams.  Wenn  wir  anf  eine  Familie  600  Gnlden  rechnen,  so  be* 
'  läuft  sich  die  Summe  nuf  1.494,000  Gulden.  Durch  die  Besitznahnjo 
der  Aerar-Ciüter  verlor  der  StaatssUkel  drittlialb  Millionen  Gulden.  In 
diesen  zwei  Jahren  hat  sich  die  Zahl  der  deutschen  Colonisten  verdoppelt 
Bis  nun  Tode  Josef  II.  wanderten  noch  bei  1500  Familien  nach  Süd* 
Ungarn  ein. 

in  Josef  IL  Gdonisation  erkennen  wir  sofort  die  politische  Ten- 
dens.  Badnrch  dass  er  den  Einwanderern  den  Boden  schenkte,  wollte  er 

sie  f&r  immer  ans  Land  fesseln  nnd  dadurch  an  der  südlichen  Creme 
des  Reiches  das  deutsche  Klement  vermelireu,  den  Landbuu  in  dieser 
fmchtbaren  Gegend  durdi  deutsche  Bauern  heben  und  endlich  die  Zahl 
der  mit  Blut  und  Geld  steuernden  Bevölkerung  vergrössem.  Das  hicisn 
geeignete  Volk  nahm  er  aus  dem  rOmisch-dentschen  Beiche,  von  dessen 
Irene  und  Anhtoglichkeit  er  überzeugt  war.  Am  21.  September  1782 
gab  er  das  erste  Cdonisations-Ffttent  herans  nnd  befahl  dem  firankftirter 
Beridenten  IKymLBiN,  dasselbe  zu  TerOffentlichen.  Alle  möglichen  Frei- 
heiten und  üntersf  üt/ungen  wurden  den  Auswanderern  zugesagt.  Jedoch 
auch  dieses  Patent  hatte  seine  politischen  Motive.  Das  Österreichische 


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450 


KÜBSB  SmUHOttBmCBR. 


Cabinet  wollte  die  Niederlande  in  zwei  Theile  tlieilen ;  den  ^'l  ö^^eren 
Tlieil  dem  bairischen  Kuriürsten  als  Tausch  für  Baiern  geben,  den 
kleineren  hingegeben  an  Frankreich  abtreten,  wenn  es  Üstt-rreich  in  der 
Vollfiihnmg  seines  Planes  behilflich  sein  würde.  Es  war  demnach  zweck- 
noAssig,  die  Unterthaaea  der  minder  verlAssUchen  deutschen  Ffinton 
dem  Wohle  des  Staates  dienstbar  zu  machen. 

Das  Patent  machte  seine  Wirkung.  Die  Bauern  des  oberrheinisdiea 
Kreises  wollten  sftmmtlich  auswandern.  Mit  der  Golonisation  wurde 
(iraf  Christof  NiczKY,  I'rlisident  des  StatthiUtereiraths,  betraut.  An  semer 
Seite  wirkten  :  Graf  Jankuvrh,  Graf  Szk(  iikn,  Bai  on  Si'Lknyi,  Baron 
MsüiiYiM8ZKV,  die  Grafen  Bbunsevik,  Bi^vay,  HaUiIia,  SzArÄay,  Baioa 
PoDHANicsKT,  KsMFBLBV,  Elobusicskt,  BuDMTiNSEKT  und  Andere.  —  Die 
Forsten  der  Bhein-Proylnsen  waren  jedoch  gegen  die  Auswaaderoog 
und  suchten  sie  auf  jede  Weise  au  hintertreiben.  Von  der  Kmkuü,  durch 
Flugschriften,  wurde  das  Yolk  gewarnt,  so  dass  die  meisten  Auswan- 
derer nur  versteckt,  als  Flüchtlinge,  ihrer  Heiiualh  entkamen.  Mit  der 
Colonisation  für  Süd -Ungarn  wurde  speziell  ein  Ungar,  Graf  l'eter  Kkvay, 
für  die  Jahre  1784 — 88  betraut.  Eine  Colonisations-Comulis^ion  der 
Teniesvarer  Administration  wurde  ihm  attachirt  Nach  seinem  Berichte 
liens  das  Aerar  im  Jahre  1184 — 88  1215  neue  Häuser  bauen,  welche 
mit  allen  Hausgeiftthen  und  Landbau-Bequisiten,  sowie  den  ndthigen 
Hausthieren  yersehen  wurden,  so  dass  die  Einwanderer  gleich  sor  Ar- 
beit sehen  konnten.  Jeder  bekam  so  viel  Land,  als  er  zu  bebauen  im 
Stande  war.  Unter  solchen  günstigen  Umständen  wanderte  das  deutsche 
Element  in  diese  fruchtbare  Gegenden,  in  den  Besitz  der  ungarischen 
Krone  ein,  von  wo  die  Macht  der  Waffen  die  legitimen  ungarischen 
Besitser  Terdrfiiigt  hatte.  Die  Kosten  der  Colonisation  bestrittdas  Aenur 
mit  jenem  Oelde,  welches  ihm  durch  die  Feilbietung  der  sUd  ungiri- 
scheu  Krön-  und  adeligen  Gfiter  sufloss. 

Im  Jahre  1785  nahm  die  ISinwaademng  derartige  DimensioBen 
an.  dass  die  Regierung  derselben  Einhalt  thun  luusste.  Sie  gestattete 
jetzt  nur  ausnalunsweise,  quasi  als  Benefiz,  die  Ansiedlnng.  Trotzdem 
beträgt  die  Zahl  der  Colonisten  vom  1.  Januar  1785  hm  zum  Mai  dieses 
Jahres  909 ;  das  Aerar  baute  ihnen  815  neue  Häuser,  und  f&r  die  zn- 
künftigen  Einwanderer  wurde  der  BauTon  1275  Hftusem  in  Yoischlig 
gebracht  Auch  die  Grundbesitser  S&d-Üngams  wurden  aufgeforderi, 
dass  sie  eüusebie  ESawanderer  in  ihre  Dörfer  unter  die  Leibeigensn 


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KÜRZE  älTZVNGSBBBICHm.  451 

aufnehmeii  mögen.  Aber  die  Comitate,  ilu  ihre  niunicipulen  Freiheiten 
von  Josef  ohnedies  sehr  beschränkt  wurden,  zeigten  wenig  Lust  dem 
▲afruf  EU  gehoreheot  denn  all  dies  geschah  ohne  JBinwiUigcing  dee  Laa* 
des,  ja  eogur  ohne  die  Komitai8<St8nde  zu  hefragen.  Die  Comitate  be- 
(Archteten,  da«  doreh  dieses  fremde  Element»  das  keinen  Sinn  f&r 
Yerrassmig  und  imgansche  BechtezvstSnde  hatte,  ihre  sdion  bedrohte 
Existenz  noch  mehr  aufs  Spiel  gesetzt  wikde.  Damm  meldeten  sich  von 
116  <üd-ungari8clien  Grundsbesitzem  Mos  LAzar.  Kiss.  Karäcsonyi,  die 
Stadt  Temesvdr,  Näkö,  Jankovics,  IUjzäih  und  Graf  DEisKOvicH,  um 
Golonisten  anfisnnehmen.  Am  13.  März  1787  worde  die  Colonisation 
big  auf  Weiteres  ^jstirt  —  Gleichseitig  mit  dieser  Colonisation  erfolgte 
die  Dislocining  der  hereitB  in  Ungarn  ansBssigeii  deutschen  Colonisten 
Bsch  dem  Sfiden.  Dadnrch ▼eränderte  sich  die  geographischoKarte  der  sftd- 
nngarischen  Comitate.  Die  alten  ungarischen  Ortsnahmen  wurden  germa- 
nisirt  oder  verdreht.  Die  Fluth  der  Colonisten  brachte  auch  da«  auslän- 
dische Proletariat  und  viele  arbeitsscheue  Individuen  mit  sich.  Die  Comi- 
täte  wurden  dadurch  gezwungen  den  Befehl  zu  erlassen,  dass^die 
anslindischen  Einwanderer  ohne  Pass  und  die  Hansirer,  welche  mefst  Tom 
Diebstahl  lebten,  gefimgen  nnd  zum  Militär  eingereiht  werden  sollen. 

SrnnLABAT  bespricht  hierauf  ^e  dTilisatonsche  Mission  dieser 
deutschen  Colonisten.  Er  findet,  dass  diejenigen,  welche  nach  deutschen 
Quellen  von  der  grossen  Cultur-Mission  dieser  Einwanderer  sprechen, 
die  Facten  verdreht  und  vergrüssert  darstellen.  Wenn  dieselben  auch 
einige  höhere  Begriffe  und  Ansichten  mitbrachten,  so  concentrirte  sich 
ihr  Wirken  dennoch  nur  um  den  Getreidehandel,  aber  im  Allgemeinen 
gsben  sie  der  Civilisation  keinen  höheren  Aulschwnng.  8ie  waren  nie 
die  Vorkämpfer  cnltnreUer  Ideen,  sie  trachteten  nur  sich  zu  bereichern, 
ohne  auf  ihre  Umgebung  einen  erziehenden  Einflnss  zu  Oben.  Abge- 
schlossen wie  ihr  Wesen  war,  haben  sie  nur  eine  locale,  aber  keine  na- 
tionale Bedeutung.  Von  den  Strömungen  des  Landes  blieben  sie  ferne, 
ihr  geistiger  Einflnss  ist  nie  bemerkbar  gewesen,  der  rege  üntemeh* 
mung^geiit  mangelte  ihnen.  Ffirs  Vaterland  opforten  sie  nie  etwas, 
auch  hatten  sie  auf  andere  Nationalitäten  keinen  Einflnss  nnd  ent« 
sprachen  auch  in  dieser  Hinsicht  nicht  den  Erwartungen,  die  Kaiser  Josef 
an  sie  knflpfte.  Im  Gegentheil ;  sie  schmelzen  immer  mehr  zusammen : 
sie  werden  Ungarn.  Dank  dem  nationalen  Bewusstsein  magyarisiren 
sie  sich  von  Tag  zu  Tag,  schicken  ihre  Kinder  in  ungarische  SchuleU} 


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452  KUHSB  amUNOtABBlOHni. 

laa^en  sie  in  nngarii^c  licn  Häu^ein  erzielien  und  vciübelichen  üie  auch 
mit  ungarisclien  Familien. 

Biese  »Icutsche  Colonisation  gewinnt  noch  mehr  an  Intero.s.se, 
wenn  wir  die  ungavisthen  Ansiedelungen  in  Hiul-üngam  des  Nfthem 
i»etraehten.  Unter  Josef  IT.  geschah  für  die  Verbreitnng  des  angarijscheii 
Elemente  in  die^n  Gegenden  gar  nichts.  Weder  das  Kabinett  nooh  der 
'  Statthaltereirafh  <hat  etwas  für  die  Ungarn.  Die  Ansiedelung  und  nu- 
abhftngigen  Besitse  widerstmbton  den  poUtiscben  Ansebaunngen  des 
'  Herrschers,  dessen  Tendenz  es  war,  dsss  das  sAdliche  Ungarn  von  einem 
kleinen  Österreich  umgehen  sei.  So  geschah  es,  dass  sich  In  Sfld-Ungain 
jede  Nationalitat  kräftigte,  gi'ossen  Grnndbesitz  inne  hatte  und  sich 
not  Ii  besonderer  Privilegien  erfreute,  willii  end  die  spiirli<  lien  Ungiirn 
in  ihrer  Hciniath  heimatlos  wurden,  ohne  IJosit/  und  Vermögen  ein 
kümmerliches  Leben  fristeten,  und  meist  im  Dienste  der  eingewander- 
ten Fremden  standen.  Die  wenigen  nngarisihen  Colonisten  wurden  von 
einigen  Grundbesitzern  aufgenommen ;  die  Regiemng  legte  für  sie  nnr 
kleinere  Gttrtnereien  an.  Neben  den  sahlreichen  deutschen  finden  wir 
nor  24  nngarische,  aber  anch  A&r  deren  Znknnft  war  nicht  gesorgt 
DieBegienmg  der  Kammer,  die  geadelten  grieohischen  nnd  armenischen 
GntsbesitBer  nnd  das  damalige  Leibeigenthnm  lastoten  schwer  aof  der 
ungarischen  Bevölkerung.  Die  Daten  der  Comitats-Protocolle  illnstriren 
am  besten  die  grosse  Noth  dieser  Armen,  während  ein  fremde^s  Element 
sieh  fortwUhrend  bereicherte.  Der  deutsche  Colouist  hatte  von  der  Re- 
gierung allerlei  Unterstützungen,  während  der  ungarische  Leibeigene 
unter  dem  schweren  Joclie  seiner  Herren  darben  musste. 

Endlich  überreichte  Alexius  Sslauka  eine  Abhandlung  unter  dein 
Utel :  Unser  Fotisehrüt  und  die  menschliche  QUicks^igkeit,  Der  Ver- 
fasser findet,  dass  swisehen  dem  Fortschritt  nnd  derGlflckseligkeit  nicht 
das  rechte  YerhSltniss  bestehe,  Ja  er  meint  sogar,  dass  durch  die  gei- 
stigen wie  körperlicheii  Gebrechen,  dnrch  die  fiüschen  Schlüsse,  die 
man  ans  der  Wissenschaft  sieht,  durch  die  Erziehung  nnd  Sitten  das 
Verhältniss  ein  umgekehrtes  sei.  Hierauf  bespricht  er  den  Ursprung  des 
Weltsehiner/es,  dessen  Grund  er  im  schwachen  moralischen  Gefiihle 
findet.  Die  Glückseligkeit  ist  nach  ihm  :  das  au>  der  Zufriedenheit  stam- 
mende Gefühl,  welches  unser  Schicksal  mit  dem  Weltenlauf  versöhnt. 
Die  Familie  mus  gereinigt  werden  :  dies  sei  das  Schlagwort,,  denn  ohne 
Moral  und  Glaube  sinkt  die  Geaellschaft 


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KÜBSf:  AmUMOSBEBICHTK.  45» 


4.  fri  der  Sit/ung  der  II.  Kla.s.se  am  6.  Febniur  las  liarOii  Bela 
Kadviinszky  einen  auf  durchaus  selliststüiuligen  »Studien  und  Forschun- 
gen beruli enden  Vortrag  über  die  ungarische  GMschmicdckunsL 

Die  häufigen  Bron<  ofuncle  in  nnserem  Vaterlande  \)ewei8en, 
daas  sich  bereits  die  Ureinwohner  mit  Bergbau  betassten.  Und  Hand 
in  Hand  mit  diesem  Gewerle  ging  anch  die  Goldsehniedelauist,  deren 
erste  Sparen  wir  bereits  unter  Stefim  dem  Heiligen  vorfinden,  unter 
dessen  B^gienmg,  wie  Babbi  Jehuda  Haoohen  Snssert,  die  Juden  mit 
bier  und  in  Bentscbland  Yerfertigten  Gold8ehmiede*Ärbeiten  Handel 
tiieben.  Im  11.  Jahrhunderte  hatte  diese  Kunst  in  unserem  Vaterlande 
l>eielt.H;  eine  hohe  Blüilie  erreielit  Am  Hofe  unserer  Könige  befanden 
sieli  Giililsclimiecle,  deren  Dienste  nicht  selten  durch  grosse  tiüter  be- 
lohnt wurden. 

Ausser  den  Hof- Goldschmieden  gab  es  selbstverstiindlich  auch 
Goldarbeiter,  die  auf  eigene  Faust  arbeiteten.  Von  den  Anjous  wurde 
diese  Kunst  nicht  minder  geehrt  und  ein  Goldsobmied  Karl  Robertos, 
Meister  Peter,  wurde  sogar  Viaegespan  des  Zipser  Komitates.  Auch  im 
Alfittd  finden  wir  die  Pflege  der  Kunst;  Albrecht  Dftrer^s  Vater,  recte 
Ajtdsi,  stammte  ans  BAte-Csaba,  und  Albrecht  entfernte  sieb  erst  1455 
▼on  hier  nach  Hamberg.  Und  der  Ruf  der  ungarischen  Kunst  muss 
weit  gedrungen  sein,  denn  Ivan  HI.  von  Russhind  erl)at  sich  1488  von 
Kr»nig  Mathias  Gold-  un<l  SilberaH»eiter.  T)ie  (ilanz/.eit  der  ungaris(  hen 
Kunst  fällt  jedoch  in  das  XVI.  resp.  das  XVII.  Jalirhundert.  Die  Thur- 
*  zös  und  die  Fuggers  Termittdlten  einen  bedeutenden  Au&chwung  in 
den  Wechselbeziehungen  zwischen  Deutschland  und  Ungarn,  was  auch 
auf  die  Goldschmiedekunst  fördernd  und  belebend  einwirkte. 

Unsere  Altvordern  legten  auf  Werke  der  Gddschmiedeknnst 
einen  grossen  Werth  und  sie  investirten  in  solche  auch  bedeutende 
Sununen.  Die  Ausstattung  Barbara  Gsiky^s  entbielt  solche  Werke  im 
Werthe  Ton  20,000  Dukaten.  Die  Sehatskammer  Christof  B&thory's 
entbielt  1580  über  dritth&lb  Wiener  Zentner  Silbergegenstände;  nicht 
minder  reich  waren  die  Schatzkammern  (ieorg  'riuir/.o's ,  (labriel 
Bethlen's  und  die  der  Uaköc/y.  Die  von  Helene  Zrinyi  im  Jahre  1G88 
ausgefolgten  lldköczi'schen  Mobilien  rei>räsentirten  au  Pretiosen,  Waf- 
fen und  Pferdegeschirren  einen  Werth  von  70.476  fl. 

Vortragender  spricht  nun  von  den  einzelnen  Schmuckgegenstin» 
den.  Zneriit  von  den  Ifantel*  und  Halsketten  (nyakba  vet6),  deren  erst» 


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454 


KUBZr  smUMOäBE&lCHTE. 


Bpawik  wir  1415  ankeffen.  Dieselben  bestondeii  ans  purem  Golde  und 
waven  mit  Edelstein  und  Email  gesiert;  toh  den  weiteren  HalsketteB, 
die  sich  nicht  eng  an  den  Hals  anschmiegten,  hingen  zomeist  «n  oder 
mehrere  Berloqnes  (nisfa)  herab,  in  deren  Verfertigung  unsere  Gold- 

schmiedekunst  besonders  exzeUirte.  Solch©  Berloques  wurden  einzelnen 
(ietreuen  von  den  Königen  verehrt  und  durften  solche  ausuaimibweise 
auch  an  den  Hüten  getragen  werden. 

Auch  in  OhrgehMngen  und  Brochen  wurde  grosser  Lnxos  getrie- 
ben, femer  bot  die  Ansschmüclrang  der  Mftdchenhanbe  mannigfiMhe 
Gelegenheit  znr  Anwendung  von  Werken  der  Goldschmiedelmnst.  Das 

üblichste  Ornament  war  die  emaillirte  Rosette,  wobei  der  Glanz  des 
Kmails  dur«  Ii  verschiedenfarbige  Edelsteine  gehoben  wurde.  Lange  Zeit 
waren  die  Damenkronen  in  Mode,  die  In  getriebener  Arbeit  verfertigt 
wurden  und  reich  mit  Perlen  nnd  Edelsteinen  geschmückt  waren.  Zu 
den  Schmnckgegenstfinden  der  Damen  gehörten  n.  A.  aoch  die  ans  (mit 
Perlen  oder  mit  Bnbinen  besetsten)  Bosetten  gefügten  KopfkriBM. 
Einen  besonderen  Scfamnck  der  Mflnner  bildete  die  ^Medaille''  ge- 
nannte Agraffe  auf  dem  Hute,  die  Anlas  s  zu  grosser  Lnxusentfidiimg 
bot.  Die  Damen  liebten  auch  Ketten  und  Gürtel  aus  rotben  und 
schwarzen  Korallen,  Perlen- Armbänder,  deren  es  die  verschiedensten 
Arten  gab,  temer  Ringe,  die  zumeist  am  Goldfinger  der  linken  Hand 
getragen  worden.  Die  Binge  waren  viel  reicher  gearbeitet,  als  sie  ss 
hentztttage  sind,  auch  waren  sie  zumeist  emaiUirt  Die  Brantringe  «nt- 
hielten  in  der  Regel  Brilknteii;  der  Stefim  Bocskaj^s  kostete 
z.  B.  4000  fl. 

Im  17.  Jahrhundert  kamen  auch  die  kleinen  Damenuhren  auf, 
die  man  an  goldener  Kette  trag.  Kostbar  waren  auch  die  Gürtel,  die 
beide  Gesohlechter  tragen.  Ausserdem  gab  es  in  den  Sehatskammem 
der  Grossen  viele  Kostbarkeiten  aus  Edefanetall,  die  keine  besondere 
Bestmunung  hatten  und  blos  als  Luxusgegenstftnde  dienten. 

Hierauf  las  Professor  Paul  Hoffmann  eine  civil-proce>>iuili>ihe 
^Studie  über  Cicero' s  Bede  pro  Roscio,  welche  dem  Vorti-agenden  Ge- 
legenheit bot,  ein  lebendiges  Bild  des  Bömischen  Gerichstverfohrens  m 
entwerfen. 


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UKOABISCHK  BIBUOOBATUIfi.  455 

UNGARISCHE  BEBnOGRAPHIE. 

Daniolik  Jän.,  A  Jog  alapja  6s  kntforrisa  (Die  Grundlage  und 
Qnel]c  dos  Rochtca  mit  Racksicht  auf  die  Scholaaüker  von  Job.  Danielik). 
Erlau,  1881.  39  S. 

 Közöpkori  ällttintan  (Mittolalterliche  Staatslehre  mit  Rück* 

Hicht  auf  die  Scholastikor  von  Ut'iuöclbeu).  Erlau,  lSb2,  52  S. 

Degr^  Alojos,  BökesQ  nssoris  (Der  Freigebige  Wuchrer,  Roman 
▼on  Alois  Dvgv4).  Budapest,  1882,  R^vai,  2  Bde,  149  und  164  S. 

FelTM4k7i  ProtevtMitItmis  4t  ptiitlaTtams  (Proteatantinniis  und 
PänalftTiimiiB  Yon  Felvid^ky).  Budapest,  1888,  Bfith,  160  8. 

'Qyiilal  P4I  k81tem4uyel  (Paul  Gyulai's  Gedichte,  2.  vermehrte  Auf- 
lage, mit  dem  Bildni.ss  des  Verfassers).  Budapest.  1882,  Franklin,  495  S. 

Hanyady  J.,  £gy  negyedrendQ  felillctrol  (Über  eine  Flüche  vierter 
Ordnung  von  Eugen  Hun3'ady).  Budapest,  1881,  Akndemio,  20  S. 

Jakab  Elek,  A  magyar  Flume  (Daa  ungarische  Fiume  von  Alexius 
Jakab).  Budapest,  1881,  Aigner,  36  S. 

Jendrassik  Jeuö,  A  mag&t<il  Borakoztato  csö-myographinm  (Da^ 
Myograpbium  und  seine  Anwendung  von  Prof.  Eugen  Jendrussik).  Budapest, 
1881.  Akademie,  44  8.,  in  40  und  6  Tafeln. 

Kmkelr  Mlkl.,  AdAtok  Jupiter  physikAjälioi  (Beiträge  nr  Physik 
des  Jupiter  im  Jahre  1880  von  Nikolaus  Konkoly).  Budapest,  1881.  Aka- 
demie, 41  S. 

 Napfoltok  megflgyeUse  (Beobachtung  von  Sonnenflecken  im 

Jahre  1880  und  mikrometrische  Messung  von  1382  Sonnenflecken,  Ton 
dems.).  Das.,  71  S.  und  2  Tab.'lbm. 

 Hnllö  csillagok  megllgyeltoe  (Beobachtung  von  Stemsdinup- 

pen  im  Jahre  1880  von  dems.).  Das.,  12  S. 

—  —  CsillagÄszati  megflgyel^sek  (Astronomische  Beobachtungen 
auf  der  Sternwarte  ixi  Ö-Gyalla  von  dems.).  Das.,  23  S. 

Liebermann  Leo,  Köslemönyek  as  iUntonrosI  tnnlnt4selMl  (Mit- 
iheilungen  aus  dem  chemischen  Laboratorium  des  Thieraroiei-Institnts 
▼on  Dr.  Leo  Liebermann).  Budapest,  1881,  Akademie,  8  S.  und  eine 
Tka>elle. 

*Moniinientn  Hnngnrlne  arehaeologlen  mtI  pracUstorld*  B*  Hjiry ' 
Jenö)  As  agfteleki  barlang  (Die  Höhle  von  Aggtelek  als  vorhistorische 

GrabstiUtc  von  Baron  Eugen  Nyäry).  Budapest,  1881,  Akademie.  Folio 
170  8.,  mit  einem  Plane,  diei  Photographischen  Tafeln,  und  335  UoU- 

schnitten  im  Text. 

Nagy  L.,  Zsadalnyl  IstvAn  (Das  ereignissreiche  Leben  des  Stefan 
Zsadilnyi,  Roman  von  Ladislaus  Nagy,  2  Bdc).  Budapest,  1882,  Aigner, 
528  und  419  S. 

Pnskny  67.9  A  hnniiin€ik4l  mnes  (Die  iwehmddreissig  Edlen,  his- 
torischer Roman  von  Julius  Ftakay.)  Budapest,  1881,  Orimm,  282  S. 


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45<S  .     iwoiinciii  muLKKiiAraii. 

SdnUer  Al^|.,  A  vlinek  MptMM  mdegfedl  (Über  die  Bildungs- 
wSime  dei  Wassere  von  Aloie  Schuller).  Budapest,  1881,  Akadoniie,  8  8. 

SIh^bTI  ZügmwAf  A  vagyar  kditadk  (Die  ungarisdieii  Binde- 
wörter, nigleioh  Syntax  des  aosammengesetaten  Salus.  !•  TheiL  Die  bei- 
ordnenden Bindoworter.  Von  der  Ungarischen  Akademie  der  Wissenschaf- 
ten gekrOnie  Preissohrift  von  Sigmund  Simonyi).  Budapest»  1881,  Aka- 
demie, 268  S. 

Steiner  Alb.,  SzliAcs  (ül  )fir  dip  natQrlichon  warmen  Hi''enbiidpr  und 
die  übrigen  Ileilquellen  von  SzliacB,  von  Dr.  Albert  Steiner).  Budapest, 
ltJ81,  LauftVr,  C8  S. 

SzAsz  K.,  A  rllAgiroUalom  nagy  eposzai  (Die  grossen  Epen  der 
Weltliterator  von  Karl  BUn,  L  Bd.)  Budapest,  1881.  Akademie,  681  S. 
■    >     Der  bisher  erschienene  erste  Band  dieses  gross  angel^ften  Wer- 
^  kes  behandelt  nach  einer  kunen  Einleitung  Uber  das  Wesen  und  die  Bni- 
ttehong  des  Epos  die  epische  Dichtung  des  Orients  und  der  alten  Welt, 
und  zwar  das  Epos  der  Inder  und  Iranier,  anhangsweise  auch  der  Flebnlor, 
die  homerischen  Epen  und  die  Aeneide  Vergils.  Der  Vorfa.ssor  gibt  überall 
auf  Grund  der  neuesten  Forschungen  eine  umfassende  Darstelinnsr  dor  Knt- 
stöhun}^.  dos  Stoffos  und   der  Ofschicbte  der  behandelten  liedichte  und 
führt  den  Leser  in  das  historische  und  ästhetische  Verständnis^  der  Dich- 
"   tungen  ein.  Besondern  Werth  und  Reiz  erhalt  das  Werk  durch  die  zahlrei- 
cheu,  in  den  Text  verliochtencn  Übersetzungen  aus  sümmtlichen  aualy.sirten 
Epen,  weiche  den  Verfasser  neuerdings  als  einen  der  berufensten  und 
sprachgewandtesten  Ühersetser  der  Gegenwart  erweisen« 

TeleU  S«  gr^f^  EgyWM  nisr^l  (Von  diesem  und  von  jenem,  Erin- 
nerungen von  Graf  Alexander  Teleki,  8  Bde).  Budapest,  1882,  B^vai,  316 
und  dO  i  S. 

VAmb6ry  Ärniny  Indlai  tHnd^nneaAk  (Indische  Feenmärehen  von 
Hermann  Vambery,  aus  dem  Englischen  von  Job.  Jön&s).  Budapest,  1881. 
Franklin.  2.  Auflage.  362  S. 


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GABIUEL  BETHLEN 

UND  Dlfc:  SCHWEDISCHE  DIPLOMATIE. 

FÜR   die  Aufhellung  der  diplomatischen  Thfttigkeit  Gabriel 
Bethlens  ist  in  nnserer  historischen  Literatur  xwar  anch  bis 

j<*tz  si'lioii  viel  gpsclu'hf'ii,  trotzdem  aiier  sind  wir  iirx-h  weit  eiit-- 
lernt  von  der  Möglichkeit  ein  voHstündi^es,  der  W  irklichkeit 
(Mitüjireclieudes  Bild  derselben  entwerten  zn  kiinnen.  Wir  kennen 
))lo8  Einzelheiten,  soztisagen  blos  Bruchstücke  dieser  Thätigkeii 
Uud  wenn  wir  Yon  derselben  auch  soviel  wissen,  um  uns  Ton  ihm, 
als  Staatsmann,  eine  Vorstellung  bilden  zn  können,  so  würde  es  uns 
doch  unmöglich  sein,  die  zusammenhängende  Kette  seiner  Wirk- 
samkeit in  ihren  gesaminteu  Eiuzelgliedern  vor  Augen  zu  legen. 

Und  dies  hat  seinen  ganz  natürlichen  (irund.  ]  )as  siel»eiil)ür- 
gische  Landesarchiv  ist  zu  Grunde  gegangen,  Coucept-Hücher  hal)en 
sich  blos  aus  den  ersten  Jahren  seiner  iiegierung  erhalten,  von  seineu 
diplomatischen  Akten,  Instruktionen,  Correspondenzen  sind  nur 
sehr  geringe  Brnchstacke  auf  uns  gekommen  und  anch  das  Übrig- 
gebliebene liegt  uns  nur  in  zusammenhanglosen  Fragmenten  vor. 
üm  diese  Lflcken  auszuftlllen,  sind  wir  daher  geuöthigt,  zn  den  aus- 
wärtigen Archiven  nnsere  Zuflucht  zu  nehmen. 

lijsbesonih^re  sind  es  die  letzten  Jalire  seines  Lebens,  von 
welchen  wir  am  wenigsten  wissen  :  die  Jalire,  welche  auf  den  Ab- 
schluss  seiner  zweiten  Ehe  und  des  Szönyer  Friedens  folgen.  Wenn 
wir  die  massenhaften  Denkmaler  seiner  ausserordentiichen  Thätig- 
keit  in  den  Toraufgeg^genen  Jahren  mit  den  Denkmälern  der  fol- 
genden Jahre  vergleichen  :  möchten  wir  glauben,  dass  ein  grosser 
Theil  seiner  Zeit  dnrch  HofFestlichkeiten  zum  Amüsement  seiner 
jungen  Gemahlin  in  Anspruch  geuomnien  worden  sei.  J)ie8  ist  je- 

ütisMiaclw'  U<>viifs  1882.  YJ.  Heft.  dO 


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458  OABBIBL  BBTHLBN  WD  DIB  80RWROISOHB  niPLOMATlB. 

(locli  nicht  der  I'all.  (irade  iu  diesor  Zeit  giug  er  wieder,  jetzt  le- 
reits  zum  vierten  Male,  an  jene  Sisyplms-Arbeit,  welche  er  bis  jetxt 
jedesmal,  wegen  der  Macht  der  Verhältnisse  oder  wegen  der  Fehler 
Anderer,  hatte  unterbrechen  mttssen,  —  welche  ihm  als  zu  ^erwiik- 
lichender  Plan  wie  ein  Traumbild  unablässig  vor  Augen  schwebte; 
er  ging  an  sie  mit  grosserer  Aussieht  auf  Gelingen,  and  in  dem  Gkn- 
ben,  endlich  den  Bundesgenossen  gefunden  zu  haben,  in  welchem 
er  sich  nicht  täuschen  würde. 

Dieser  Bundesgenosse  würde  aber  kein  Anderer,  als  sein 
Schwager,  der  Schwedeukönig  Gustav  Adolf  gewesen  sein. 

Es  ist  eine  höchst  natürliche,  sozusagen  von  selbst  yerstönd- 
liche  Sache,  dass,  wenn  zwei  so  hervorragende  Geister,  wie  Gustaf 
Adolf  und  Gabriel  Bethlen,  durch  das  Band  der  Schwagerschaft 
verbunden  werden,  dieselben,  selbst  wenn  sie  dnrch  ein  Meer  und 
zwei  Tiänder  von  einander  getrennt  würden,  mit  einander  in  Be- 
rühnni}^  kommen.  Und  dies  ist  inderThat  der  Fall  gewesen.  Einige 
Spuren  dieses  Kontaktes  haben  sich  zwar  in  unserer  Geschicht- 
schreibung erhalten,  dieselben  rednziren  sich  aber  auf  wenig  mehr 
als  einige  Indicien.  Jetzt  ist  es  uns  durch  Vermittlung  des  Henrn 
Ärp^  K^ol  ji  gelungen,  zu  höchst  werthvollen,  in  schwedischen  Ar- 
chiven aufbewahrten  und  dnrch  gütige  Veranstaltung  des  ausge- 
zeichnet^Mi  sehwedisclien  Historikers  Herrn  Dr.  Taube  für  uns  ko|»ir- 
ten  Urkunden  zu  «gelangen,  welclie  üb>*r  die  Verl»indun<(  <iabriel 
ßethlens  mit  Gustav  Adolf  tiu  ziemlich  helles  Licht  verbreiten. 

£s  kann  durchaus  nicht  behauptet  werden,  dass  das  Bild  auch 
so  schon  ein  vollständiges  geworden  wäre,  da  auch  diese  Urkunden 
bloss  Theile,  Bruchstttcke  grösserer  und  längerer  Unterhandlunges 
bilden.  Gleich  die  erste  derselben,  die  Dirschauer  Resolution,  ist 
iiiclits  aiuh'res,  als  ein  einfaches  Aniwf)rtschroil>t'n,  welches  7.war 
«'lückli<*li<  r\veise  ancli  di«'  FordernniXJ'n  tiabricl  Bethlens  enthalt, 
uns  jedoch  den  wünsclienswerthen  Aufschluss  über  die  interessan- 
ten Fragen  schuldig  bleibt :  wie  und  wann  die  ersten  Schritte  /,n 
diesen  Unterhandlungen  gethan  worden,  wer  dabei  der  Untcrhänd« 
ler  Gustav  Adolfs  und  derjenige  Gabriel  Bethlens  gewesen  sei? 
Noch  schmerzlicher  vermissen  wir  des  letzteren  Instruktionen  Ar 
Strassburg,  Strassburgs  erste  Kelation,  welche  die  Bouselleschen  Ver- 
handlungen zum  Gegenstand  hatte,  und  hauptsächlich  die  tod 


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GABRIEL  BETIILSM.  UND  DIE  SCHWEDISCUE  DITLOMATIE. 


45» 
I 


ihm  verfasste  Biographie  <  iabriel  Bethlens.  Aber  wenn  wir  gleich 
diese  ohne  Zweifel  hochwichtigen  Details  zu  unserem  Bedaaern 
entbehren  müssen,  so  ist  das  Gewonnene  doch  immeriiin  so  be- 
deutend, dftss  durch  dasselbe  unser  bishenlges  Wissen  erweitert, 
berichtigt,  geklärt  wird,  und  dass  es  Tcrdient,  io  ein  flbersiehtUches 
Büd  zusanunengefiisst  zu  werden. 

Wir  wollen  dios  versuchen,  indem  wir  uns  zu  diesem  Zwecke 
auch  derjenigen  Daten  bedienen,  welche  Wilhelm  FraJcnai  aus  dem 
kön.  Archiv  in  Koppeiiliaujen  im  vorletzten  Jahrgange  des  ,Törte- 
nelmi  Tar*  (Historisches  Magazin),  ferner  Heinrich Marczali  in  seinen 
»Regesten  in  ausllindischen  Archiven*  veröffentlicht  hat,  sowie  auch 
deijenigen,  welche  in  der  Section  aPolonica*  des  Wiener  Uehei- 
.  men  Archives  aufbewahrt  werden. 

1. 

Ghistav  Adolf  fahrte  am  25.  Not.  1619  Maria  Eleonora,  eine 
Tochter  des  ChurfÜrsten  Sigmund  von  Brandenburg  zum  Traual- 
tar. Gabriel  Bethlen  vermählte  sich,  in  Folge  englischer  Vermitte- 
lang,  am  2.  Wkn  1626  mit  ihrer  Schwester  Katharina.  Als  Gustay 

Adolf  getraut  wni-de,  befand  er  sich  im  Kriege  mit  Polen,  und  als 
Gabriel  Hethlen  sein  Iteilager  hielt,  rüstete  er  bereits  zu  einem 
neuen  Kriege.  Der  Krieg  des  Scliwedenkünigs  dauerte  auch  damals 
noch  fort  und  eine  schleunige  Beendigung  desselben  stand  —  an- 
gesichts des  mächtigsten  nordischen  Staates  —  um  so  weniger  zu 
gewiirtif^en,  als  der  Polenkönig  von  seinen  Fordeningen  nicht  das 
mindeste  nachzulassen  geneigt  war.  Das  Indielangeziehen  des 
Krieges  gereichte  indess  nur  dem  Schwedenkönig  «um  Vortheile, 
und  es  war  sehr  natOrlich,  dass  dieser  berechnende  Feldherr,  der 
die  ersten  Jahre  zur  Einttbung  seines  Kriegsheeres,  zur  Begründung 
einer  neuen  Taktik  bentttzt  hatte,  nun  mit  verdoppelter  Energie 
beflissen  war,  die  Lebensfähigkeit  seiner  Theorie  auch  praktisch  zu 
bewälm'n.  Und  jetzt,  als  er  zu  (iabriel  Betlilen  in  ein  schwüger- 
liches  Verhültniss  trat,  war  er  durch  diese  Verbindung  darauf  hin- 
gewiesen, mehr  oder  minder  l)edeutende  Dieiinte  seines  Schwagers 
in  Anspruch  zu  nehmen.  Aber  die  Natur  (b»r  Saclie  brachte  anderer- 
seits auch  das  mit  sich,  dass  sich  anch  der  Polenkönig  den  Beistand 

30» 


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4G0       *        GABRIEL  BETHLEN  UVD  OK  SCHWEDISCUB  DIPLOMATIE. 

des  ilim  verschwäf^erten  Kaisfrs  ausliafc.  Von  dalier  war  dann  nur 
noch  ein  einziger  Schritt  l>i.s  dahin,  dass  die  bisher  gesondert  ge- 
i'ührteu  zwei  grossen  Kriege  in  eine  einzige  Flamme  zusammen- 
lodem. 

Diese  Eventaalität  trat  jedoch,  insbesondere  in  Folge  der  Tlm- 
tigkeit  der  Diplomatie,  eine  lange  Beihe  von  Jahren  htndureh  nicht 
ein,  selbst  dann  noch  nicht,  als  der  in  Böhmen  ausgebroehene  Krieg 
seinen  looalen,  seinen  religiösen,  ja  selbst  seinen  deutschen  Charak- 
ter verlor  nnd  znm  enropaisehen  Kampfe  wurde.  Die  Sache  hing  Ton 
Prankreich  ab,  wo  während  der  Minderjährigkeit  Ludwigs  XIIl.  die 
schwache  Regentschat't,  mit  der  Politik  Franz  I.  nnd  llrinrioh.s 
brechend,  anfangs  den  kämpfenden  Protestanten  gegen n]>er  eine 
feindliche  Stellung  einnahm.  Als  jedoch  Kichelieu  die  Zügel  der 
Regierung  ergriö,  lenkte  er  wieder  in  die  Bahn  der  traditionellen 
Politik  ein  und  nahm  in  der  Kriegsfrage  gegen  Österreich  Stellung, 
natürlicherweise  innerhalb  der  Grenzen,  welche  einem  Kardinal 
nnd  Katholiken  seine  Stellang  und  Religion  gestattete. 

Dafttr  aber,  dass  er  dies  auch  innerhalb  dieser  Grenzen  thnn 
könne,  sorgte  die  österreichische  Regierung,  welche  ihre  Armee  auch 
nach  der  Tollstindigen  Niederwerfung  der  Protestanten  auf  dem 
Kriegrfusse  erhielt  nnd  Massnahmen  traf,  welclie,  ausser  der  Unter- 
jochung des  Protestantismus,  auf  die  Etahlirung  der  al)s()luten 
(iewalt  gerichtet  waren.  Die  auf  dieses  Ziel  lossteuernde  Tendenz 
der  miteinander  solidarisch  verbündeten  spanischen  und  deutschen 
Linie  des  Hauses  Habsburg  wurde  von  den  Zeitgenoasen  „  das  spa- 
nische System*  genannt,  nnd  wenn  Richelieu  sagte  :  es  ist  Frank- 
reichs Selbsterhaltungspflicht  hiegegen  zu  kämpfen,  weil  die  Habs- 
burger den  Katholizismus  nur  als  Verwand  für  die  VerwirUicliung 
ihrer  ehrgeizigen  Pläne  gebrauchen,  —  sagte  er  damit  in  der  That 
nur  etwas,  was  damals  ein  grosser  Theil  Deutschlands  empfand, 
glaubte  und  verstand,  und  was  auch  ausserhalb  Deutschlands  Wie^- 
derhall  fand  —  weil,  weuiigk  icli  die  Lehre  vom  europäischen  Oleicb- 
ge wicht  noch  nicht  ausgesprochen  war,  jedrr  Staat  fühlt«',  dass, 
wenn  dem  Hause  Habsburg  die  Unterjochung  Deutschlands  g'-lTnige, 
die  V  en'inigung  des  deutschen  und  spanisclu-n  Zweiges  desselben 
eine  Bedrohung  der  Unabhängigkeit  jedweder  Westmacht  werden 
könnte. 


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UAUKJEL  1{£THL£M  UND  DIE  .StUWEDlätHE  Dll  LOMATlK.  461 

0})^l('ic]i  (lies  indessen  die  |)rott'staDtischen  Stajit^'n  mehr  weni- 
ger empiaudeu,  obgleich  sie  uach  der  Schlacht  am  weissen  Berge 
aach  eine  Intervention  versuchten,  unternahmen  sie  doch  eigentlich 
ernstere  Schritte  nicht ;  denn  weder  ihre  Unterhandlungen  mit  der 
Pforte,  noeh  ihre  Übereinkunft  mit  Gabriel  Bethlen  waren  geeignet, 
dem  Laufe  der  Dinge  eine  Wendnng  za  geben.  Der  englische  Ge- 
sandte Thomas  Roe  sandte  seinem  Herrn  in  seinen  Briefen  viele 
weise  Rathschläge,  deren  Befolgung  diesem  die  Angelegenheit  der 
europäischen  Coalition  in  die  Hände  gelegt  haben  würde  —  aber 
der  Mann  war  keines  kUlmereu  Entschlusses  fähig.  Die  Dinge 
nahmen  eine  hedeutsunie  Wendung,  als  Kichelien  das  zu  thun  unter- 
nahm, WHS  Jakob  hätte  thun  sollen.  Die  Coalition  gegen  Oster- 
reich begann  sich  sofort  zu  organisireu.  Anfangs  standen  die  Dinge 
8o,dass  Sehwf'den  und  Dänemark  gemeinsam  auftreten,  die  deutschen 
Ffirston  sich  ihnen  anschliessen,  Fraukieieh  und  England  den  Krieg 
unterstützen  sollten;  die  hierauf  abzielenden  Unterhandlungen  mit 
den  beiden  nordischen  Königen  führte  der  GhnrfÜrst  von  Sachsen« 

Es  frag  sich  indessen,  wer  an  der  Spitee  der  UffensiTe  stebn, 
wer  der  Anführer  der  yerbttndeten  Heere  sein  sollte  ?  Es  galt  die 
Wahl  zwischen  zw»'i  nordischen  Königen  :  dem  Dänenkönig  Chris- 
tian IV.  und  dem  8chwedenkönig  (liistuv  Adolf.  Der  letztere,  fak- 
tisch in  Krie^  mit  den  Polen  verwickelt,  würd«'  es  nur  um  den 
preis  beträchtlicher  Opfer  haben  thun  können ;  der  erstere,  aucli 
sonst  ein  thatlustiger  und  ehrbc^^icriger  Manu,  hatte,  in  zwölfjähri- 
gem Genasse  der  Segnungen  des  BViedens,  Kraft  und  Vermögen 
gesanunelti  und  zeigte  sich  bereit,  die  Gelegenheit  zur  Erwerbung 
Ton  Buhmeslorbern  su  ergreifen.  Der  Plan  des  sachsischen  Ohur- 
fürsten,  dass  der  Eine  sich  dem  Andern  unterordnen  sollte,  fimd 
selbstverstiuidlich  bei  keinem  von  beiden  Gehdr.  Solcherweise 
scheiterte  das  Projekt  des  gemeinsamen  Auftretens  der  beiden  Noid- 
mächte  eben  an  der  Führerfrage,  und  als  die  Wahl  infolge  engli- 
Kch«'n  Einliusses  auf  den  Däuenkünig  fiel,  wurde  dieselbe  vom 
»Schwedenköui'j^  warm  bewillkommt ;  <t  sdlist  aber  /(>g  sicli  /urück. 

An  Bethlen  wurde  anfangs  weniii;  ^i'duclit.  Es  wurde  ihm, 
trotz  seiner  seinen  deutschiändischen  Bundesgenossen  geUisteten 
Dienste,  nur  eine  KoUe  zweiten  Ranges  zugedacht,  entweder  weil  sie 
ihm  nicht  vertrauten,  oder  weil  sie  bezüglich  der  Endziele  des 


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462 


GABRIEL  BBTRL£M  UND  DIE  SCHBDISCHK  DIPLOMATIB. 


Krieges  mit  ihm  nicht  eines  Sinnes  waren,  indem  er  als  solcli«  s 
die  Veruichtiing  oder  vollständige  Demüthignng  des  Haukes 
Hahslmrg  aufgestellt  haben  wollte,  während  die  Fürsten  ao  weit 
nicht  gehen  wollten.  ^  Als  indessen  die  Idee  der  Coalition  zu  rei£m 
begann,  sahen  sie  ein,  dass  sie  ihn  doch  nicht  entbehren  könn- 
ten, und  Jakob  sandte  seinem  Pforten-Gesandten  Roe  am  28.  Mai 
1624  die  Ordre,  ihm  in  Allem  beizostehen  nnd  in  die  Hände  zu 
aibeiten.  Aber  sie  waren  weit  entfernt  dayon,  das  Gewicht  zu  wfir- 
digen,  welches  er  bei  thafkr&fHger  ünterstUtBung  in  die  Waag- 
schale zu  werfen  vermochte,  nnd  erwiesen  sich  seinen  Absich- 
ten zwar  forderlich,  als  seine  Ünterhiauller  im  Interesse  seiner 
zweiten  Eheschlies8unt(,  di«^  auswärtigen  Höfe  besuchten,  Hessen 
^ber  seine  Bevollmächtigten  au  den  Allianz-Unterhandlungen  kei- 
nen Antheil  nehmen. 

Die  Coalition  kam  grade  in  den  Tagen  definitiv  au  Stande, 
.  als  seine  Unterh&idler  in  der  Heiratsangelegenheit  zum  zweitenmale 
am  Brandenburger  Hofe  weilten.  Einer  seiner  Agenten,  Quaad,  bot 
Mitte  Oktober  am  dSniscben  Königshofe  die  guten  Dienste  seines 

•  Herrn  an,  und  ein  Zweiter,  Siegmund  Zaklika,  hatte  einen  Monat 
später  daselbst  Audienz.  Christian  sandte  dem  l'ürsten,  seinem  zu- 
künftigen Schwager, '  anlässlich  seiner  l)evorstehenden  Vermä- 
lung  einen  warmen  (»russ  :  das  Bündniss  aber  wurde  doch  ohne 
ihn  geschlossen,  wiewohl  sein  Agent  Skultety  an  den  Verhandlun- 
gen theihiahm. 

Der  Bund  wurde  am  9.  Dez.  1625  zwischen  England,  Holland 
und  Danemark  abgeschlossen :  der  Schwedenkönig  und  Betiüen 
wurde  soweit  berflcksichtigt,  dass  man  dem  ersteren  die  Möglichkeit 
des  Beitritts  yorbehielt  (P.  XL),  den  letzteren  dazu  aufforderte 
(P.  XVI).  Die  Ratification  wurde  fttr  den  10.  Marz  1626  im  Haag 
anberaumt,  und  Christian  verständigte  Bethlen  hievon  mit  der  Auf- 
fordening,  auch  er  möge  zu  diesem  Termin  seine  bevolliuächtigt^^u 
Vertreter  dorthin  senden  und  sich  den  Verbündeten  anschliessen. ' 

'  Als  Sculteti  sich  beim  Braudeubuiger  Churfürsteu  auf  Brautschau 
befiMid,  sprach  er  dies  bei  der  ersten  Audienz  auch  aua.  S.  Marc«Ji  Re- 
gelten S.  154. 

*  Briefe  des  DSnenkOnigs  an  Bethlen.  T0rt.  T4r  1881,  S.  98.  fL 

*  Der  DSnenkönig  an  Bethlen  80.  Des.  1925.  a.  a.  0. 


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OABUIBL  BKTllLKN  UND  !>!£  .StUWKOISCilK  i*Ü  LuMAXUS. 

Hctlilt'ii  hatte  8ich  die  Bache  nicht  so  \  ur^e.stellt.  Er  wullte 
gleiclizeitig  mit  den  Verl)uiuleten  seine  ganze  Macht  in  die  Waag- 
schale werfen,  mit  einem  Corps  sich  ge«^en  die  polnischen  Grenzen 
sichern,  mit  einem  zweiten  die  Csepel-Insel  besetzen,  ein  drittes 
nach  Schlesien  weifen,  und  persönlich  g^n  Prag  ziehen.  ^ 

Er  drang  durch  den  im  NoTemher  hei  ihm  erschienenen  Ge-  * 
sandten  des  Dänenkönigs  darauf,  dass  ihm  die  Garantie-Akten  und 
erforderlichen  Hülfs^elder  rechtzeitig  zugesandt  werden,  der  Bchwe- 
(lenköiiig  aher  sich  zum  Anschluss  bereit  halten  möge.  Am  29.  Dec. 
schrie))  Herhistorff :  «Wenn  ilim  gleich  auch  die  Krönung  des  kai- 
serlichen Priu/.en  Ursache  zur  Offensive  geboten  habe,  würde  er  aich 
doch  nicht  in  Hewegnng  'petzen,  so  lauge  ihm  die  Conföderatiou 
keine  Bürgschatten  böte.  * 

Bethlen's  heyorstehende  Vermäluug  bot  eine  gute  Gelegen- 
heit zu  ünterhandlui%en  :  es  ersehien  ein  ganzer  Haufe  von  Abge- 
sandten an  seinem  Hofe.  Das  Geräusch  der  Vergnttgungen,  der 
Drang  der  Festlichkeiten  war  wohl  geeignet  die  Aufinerksamkeit 
von  den  geheimen  Verhandlungen  abzulenken.  Bethlen  erhielt  die 
Verheissung  von  monatlich  40,000  Reichstbalem  und  die  Zusiche- 
rung, «luss  Mansfehl  mit  zehn-  Ins  zwidttausend  Mann  seinen  An- 
.sehhiHs  in  Schlesien  erwarten  wenle,  Und  am  5.  Marz  —  drei 
Tage  nach  der  am  2.  März  sUitt;^elundenen  Vennählungsfeier  — 
wurde  auch  die  ßerathung  mit  den  Abgesandten  der  conföderirteu 
Mächte  abgehalten.  Bethlen  versprach  hier  nur  seinen  Vertreter 
nach  dem  Haag  zu  senden,  äusserte  sich  aber  noch  nicht  definitiv : 
es  war  natOrÜch,  dass  er  in  dem  Moment,  wo  so  Viele  yon  des  Kai- 
sers Partei  an  seiner  Hochzeitsfeier  theilnahmen,  aus  seiner  reser-  / 
virten  Haltung  nicht  heraustrete.  Erst  als  die  Festlichkeiten  TorOber- 
ijerauscht  waren  und  er  in  sein  Heim  zurückkehrte,  nahm  er  die 
Uuterliandlungen  erustlich  in  Angriff,  und  nachdem  er  am  2  —5.  April 
seine  Forderungen,  Besorgnisse,  Projekte  dargelegt  hatte,  beschloss 
er  definitiv,  Mathias  i^uaad  alä  seiueu  Bevollmächtigten  nach  dem 

•  Alarczah  Ho^'i  -f'  ii  l"»«"». 

»  Fraknoi'ß  Mittii.  iltmK'.  Tört.  'iar.  18«1.  S.  112. 

*  Brief  dea  Däneiikünigs  vom  30.  Jänner  1U26.  Tört  T6r.  1881.  S.  101 
und  Brief  des  fienogs  von  Weunar  an  den  BOhmenkOiiig  Friedrich  von  der 
PürI«  vom  27.  J&n.  1626.  Marcsali  Regeaten,  S.  144. 


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464  GABUIEL  UKiHLüN  UND  DIU  {»cnWKDISl  Hü  DIl'LUMAilE. 

Haag  zu  entseiulon,  damit  er  den  8cli1\i.ss  der  Verhandlungen  i)»- 
warte  —  seibat  aber  inzwischen  soviel  au  tirnn,  als  in  seiner  Knft 
stehe.' 

Und  als  diese  Beraihung  zu  Bnde  war,  machte  Bethlen  on- 
Tersttglich  Ansfulten  znr  EHnlSsnng  seines  Versprechens.  Er  lien, 

<jjleiclizeiti^'  mit  Qiiaad,  \v;ihrsche)nlieb  um  niclit  Aufselien  zu  err»»- 
gen  und  .seine  Al)sichten  zu  maskiron,  seinen  Netten  P*tcT 
Bethleu,  deu  17-jährigeu  iSohn  seines  Bruders  btepliciUf  in  Heglei- 
tung  von  Lehrern,  iStudiengenossen  und  eines  ansehnlichen  Gefol- 
ges, anf  die  Leydener  Universität  ziehen.  Kronstadt  am  15.  April 
fertigte  er  ft&r  dieselben  die  Instmktionen  und  Empfehlongs- 
briefe  ans.'  Am  18.  April  stellte  er  fttr  Mathias  Qnaad  von  Wichrodt, 
den  Kapitän  seiner  deutschen  Tru])pen,  das  Beglanbigungsschreiben 
aus,  worin  er  ilnn  \'olhnacht  ertheilt.  mir  den  im  Haag  versam- 
melten Gesandten  zu  verhandeln  und,  hezüglieh  alles  zur  F(»rderung 
der  Interessen  des  unterdrückten  Deutschlands  Dienlichen,  \  ertrüge 
za  schUesseAf '  —  und  gleichzeitig  schrieb  er  an  die  verbündeten 
Fürsten  und  an  die  Stände  der  Niederlande.  * 

Damit  war  es  entschieden,  dass  Bethlen  in  das  Bündniss  ein- 
treten werde,  nnd  um  dies  thnn  zu  k6nnen,  that  er  auch  bei  der 
IMorte  die  in  dieser  Hczieliuiig  nothwendigen  ^Schritt»'.  Er  glanhte 
noch  immer,  dass  aucli  Gustav  Adolt"  der  ('onfr^lmilion  l)eitret»'n 
und  mit  ihm  gemeinsam  operiren  werde  :  soviel  steht  fest,  da,ss  die 
diesbezüglichen  Unterhandlungen  damals  noch  nicht  ahgeschlossen 
waren.  Indessen  erfogte  sehr  bald,  was  vorausgesehen  werden  konnte: 
die  Hoffiiungen  auf  den  Eintritt  Gustav  Adolfs  in  die  Gonföden 
tion  erwiesen  sich  als  eitel. 

Es  war  das  Jahr  —  1626  —  und  ungefähr  eben  der  Zeit- 
punkt, wo  Gustav  Adolf  deu  Schauplatz  seiuer  Kriegsoperationeu 

'  Ober  die  sehr  intere^ante  Berathung  berichten  Marczali  Reget- 
ten  S.  158. 

*  Ifarcsali  Regesten  S.  156.  Peter  liest  rioh  am  85.  Jnli  an  der  Le}-de- 
Her  Universitilt  einschreilien.  Seine  HeisegenOMen  8.  Archiv  des  Vereiw 
fttr  iiebenb.  Landefkund.«.  N.  F.  X\  I.  8. 

'  S.  die  Vollmachtsurkunde.  Tört.  T4r.  1882.  S.  HL 

*  Marczali  a.  a.  0. 

^  S.  Törökina^yarkori  ällamokmäayt&r  (Diplomatarium  aus  der  Tür- 
kenzeit  in  Ungarn)  Bd.  1. 


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OAUHJKL  UKTlimM  UNI)  lüt  äCUWEUläCHK  DIPLUMAIIE. 


465 


vi'riiii(l»'rl(',  —  deu  Kri(»gsschHnplatz,  auf  dem  er  üIxt  secb«  Jahrr 
lang  gekämpft,  Livland  und  Kurlami,  verlies-s  uud  gegen  polnisch 
Preussen  zog.  Dies  war  eiu  Lehen  dea  Churfiirsten  you  Brandenburg, 
der  seinem  Schwager  das  Versprechen  gab,  dass  er  seiner  Laudung 
mir  scheinbare  llinderuisse  entgegensetzen  werde.  Der  Schweden- 
k5nig  brach  mit  12000  Mann  auf  nnd  stand  am  14.  Juni  mit  seiner 
Flotte  unter  Piltau.  Die  Geschütse  wurden  vom  Fort  abgefeuert, 
aber  sie  waren  nicht  mit  Kugeln  geladen.  Die  Flotte  landete  bei 
Passerg  und  ihr  Herr  hatte  binnen  fifonatsfxist  eine  ganze  Reibe 
von  Städten  in  Händen. 

Als  er  den  Kriegsschauplatz  verlegte,  reehiiete  er  aueli  auf 
seinen  »Scliwnji;!  !-  (iubrit  j  Jiethleii.  Li  Preussen  einfallend  und  in 
die  unteren  W  eiehselgegenden  luarschiereud,  kanieu  seine  Truppen 
Siebenbi'irgen  näher,  in  ein  (tcI»!«  !,  wo  Betlilen,  wenn  er  gegen  den 
Polenkönig  auftritt,  ihm  nützliche  Dienste  leisten  konnte.  Und 
Gustav  Adolf  stellte  an  ihn  auch  wirklich  das  Ansinnen,  ihm  bei 
der  Offensiye  gegen  Polen  hCÜfreiche  Hand  zu  leisten,  und  sandte 
zu  diesem  Zwecke  einen  Botschafter  an  ihn,  welcher  Mitte  Mai  in 
Karlsburg  eintraf.  Nun  hatte  Bethlen  die  Wahl,  an  welchem  von 
beiden  grossen  Kriegen  er  sich  betheiligen  wolle :  wenn  er  sieh  ■ 
den  ('ouluderirten  anschloss,  konnte  er  seinen  EiiiHnss  im  Westen 
vermehren,  wenn  er  seinem  Schwager  zur  Hülfe  eilte,  konnte  er  im 
Nordost«'!!  Schadenersat'/  erhalten. 

Aber  wie  gross  auch  die  Vortheile  waren,  welche  jeder  der 
beiden  Antrüge  bot  :  Hethlen  fand  eben  diese  Wahl  nicht  nach 
seinem  Sinne.  £r  hätte  den  polnischen  Krieg  gerne  beendigt  und 
die  Conföderation  sammtlicher  protestantischen  Mächte  gegen  die 
Habsburger  naarschiren  gesehen.  Zwar  band  ihn  noch  weder  ein  Ver- 
trag, noch  ein  Versprechen  an  die  Westmächte,  nnd  trotz  der  Abreise 
Quaads  war  ihm  die  Theilnahme  am  pcdnisehen  Kriege  noch  mdg- 
lieh ;  aber  er  fand  es  für  die  Unabhängigkeit  seines  Vaterlandes 
und  für  die  Interessen  des  Pi-(»teHtantis!nns  vortheilhafter,  sich  der 
Conföderation  auzuschliesen.  Er  war  also  in  dieser  Hinsicht  un- 
entschlossen —  aber  er  machte  noch  einen  Versuch  die  auseinan- 
dergehenden luterresseu  zu  vei-einbaren  und  dem  Zustandekommen 
dieser  Kinigung  wenigstens  für  die  Zukunft  den  Weg  zu  ebnen. 

Bethlen  billigte  es  nicht,  dass  der  Schwedeukönig  in  polnisch 


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466  OABBIBL  BtfTULKN  UBD  1)16  tiClIWBIIlSCill  DlPIiOJUm 


PreuBsen  einfiel,  weil  er  dadurob  die  polnische  Bepublik  angriff, 
während  er  bisher  blos  mit  dem  König  za  schaffen  hatte;  auch 

hinderten  ihn  die  zwischen  Ungarn  und  Polen  bestehenden  Vertmge 
undlocale  Schwierigkeiten,  sicli  dem  Schwedeiikünig  anzuRchliesseu. 
Er  schlug  diesem  vor,  der  Oder  entlang  nach  Schlesien  vorzudrin- 
geu  ;  in  diesem  Kalle  uükme  er  das  ange})otene  Büncbiiss  an. 

In  einem  Schreiben  vom  Juli  forderte  er  auch  den  Diineu- 
k5nig  auf,  je  eher  in  Deutschland  einzufallen  :  er  seiltet  wolle  dann 
mit  ganzer  Macht  in  Schlesien  einbrechen,  während  der  T<irke  den 
Kaiser  an  mehreren  Punkten  angreifen  würde.  ^ 

Es  war  zn  spät  Bethlens  Beyollmächtigter,  der  zugleich  mit 
dem  schwedischen  Gesandten  die  Botschaft  seines  Herrn  fiber- 
brachte, traf  den  Schwedenkönig  auf  der  offenen  See  und  schon  zu 
weit  vorgegangen,  um  noch  zurücktreten  zu  können,  indem  er 
Bruun.sberg,  Elbing,  Marienl)urg  )>ereits  in  seiner  Gewalt  hatto.  Sein«' 
Antwort  ist  Dirschau  am  20.  ,hili  datirt.  Er  spricht  darin  sein  Be- 
dauern aus,  nicht  frUher  darüber  unterrichtet  gewesen  zu  Hein, 
dass  Bethlen  der  prenssische  Feldzug  unangenehm  wäre  :  er  würde 
gerne  nachgegeben  haben,  wenn  er  einen  anderen  angemessenen  Lan- 
dungsplatz gefunden  hätte.  Er  setzt  umständlich  die  Grfinde  aus- 
einander, welcher  halben  er  die  Sache  nicht  ändern  könne ;  er  sei 
'  seinen  Freunden  gegenflber  bereits  gebunden.  Er  macht  auf  die 
Schlauheit  der  Polen  aufmerksam,  welche  den  König  von  der  Repub- 
lik trennen,  w'ahrend  doch  das  Land  selbst  den  Krieg  unterstütze. 
Kr  meint,  wenn  Hethlen  sich  ihm  mit  seiner  ungarischen  Reiterei 
an  der  Weiclisel  anschh'isse,  würde  er  damit  ein  Hanptglied  der 
spanisch-dentschen  Liga  treffen  —  und  er  hätte  dazu  auch  iiin- 
reichendeu  (inind.  So  würden  sie  vereint  die  polnische  Angelegen- 
heit rasch  in  Ordnung  bringen  und  sodann  vereiut  um  so  sicherer 
gegen  die  schlesischen  Erbhinde  des  Kaisers  vorgehen  können.  £r 
ennche  ihn,  und  hoffe  auch,  dass  er  sich  ihm  mit  seinem  Heere  an 
der  Weichsel  anschliessen  werde ;  sollte  ihm  dies  jedoch  unmöglich 
'  sein,  so  bitte  er  ihn  wenigstens,  tausend  ungarische  Reiter  in  seine 
Dienste  treten  zn  lassen. ' 

'  S.  Bethlens  Schreiben  an  den  Dilneidv  ui-.  Tört.  Tar.  1881.  S.  105. 
-  S.  tlos  S(  lnv(  (lonkönig!=i  Resolution  Dirschau  11.  Juli  ^24.  Juli  n.  St) 
1020.  im  Stockholmer  Archiv.  Vgl.  Törökmag^'ark.  Allamokm;injt.  1.  8.  446. 


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UABUI£L  B£I11LEN  DHD  DIE  ÖtinVHDläClIE  Dul  LOMA'JiK.  4(37 

Weun  es  aber  iUmu  Schweileuköuig  —  weioher  den  hauptsiicU- 
liehen  uad  allein  entscheidenden  Grund,  dass  er  TiHtnlirh  unter  dem 
DänenkSnig  als  Oberanffihrer  der  conföderirten  Heere  keine  subor- 
dinirte  Sielhmg  annehmen  könne,  mit  Stillschweigen  fiberging  ~  nn-  ' 
möglich  war,  seinen  Eriegsplan  zn  ändern,  so  war  anch  Bethlen  nicht 
in  der  Lage,  vom  hetrefeiirn  Wege  zurücktreten  /u  können.  Indessen 
ward  das,  worjiul'  er  st  iiieu  Kriet^splan  kalkulirt  hatte,  saiiimt  und 
sonders  zu  Wasser :  der  »Schwedenkönig  rülirte  sich  nicht  aus  pohlisch 
Preiissen;  bei  der  Pforte  ward  Gurcsi  Mehemet,  der  eifrige  Freund 
der  Union,  gestürzt,  und  nahm  Keczep,  ein  Gegner  der  Union,  seine 
Stelle  ein,  und  so  unterblieb  die  geplante  türkische  Offensivbewe- 
gaug;  selbst  der  neue  englische  König,  Karl,  der  Nachfolger  Jakobs, 
nahm  eine  zurückhaltende  Stellung  ein.  Endlich,  was  das  Schlimmste 
war,  wurde  dt*r  Diuienkönig  bei  Lutter  um  Baremberg  von  Tilly 
aufs  Haupt  geschlugen. 

Und  dies  geschah  am  20.  Aug.  1(326,  eben  in  der  Zeit,  wo  nur 
noch  er,  nebst  jener  Handvoll  müder  Truppen,  welche  die  Union 
unter  Mansfeld  nnd  dem  Herzog  Ton  Weimar  gesandt  hatte,  den 
Krieg  weiter  führte.  Dies  reichte  indessen  eben  hin,  um  die  Hoff- 
nung auf  künftige  Erfolge  aufirecht  zn  erhalten.  Und  nun  beeilte 
man  sich  auch,  Bethlen  in  die  Conföderatioii  hineinzuziehen,  weil, 
wie  Wake,  der  englische  Gesandte  in  ^'enedig,  schrieb.  ,nun  er  der 
Atlas  war,  auf  dessen  Schultern  die  Freiheit  ruhte."  Quaad  erhielt 
Tom  Dänenkönig  schon  unter  dem  Datum  des  9.  Sept.  ein  Empfeh- 
lungsschreiben an  den  König  von  England  ^  und  schloss  bereits  am  30. 
Not.  das  Bflndniss  zwischen  Karl  nnd  Bethlen  ab. '  Darauf  folgte 
am  9.  Feb.  1627  das  Bündniss  mit  den  belgischen  Stünden  und  am 
28.  Feber  der  Bund  mit  dem  Dänenkönig.  * 

Auch  dies  war  verspätet.  Er  schloss  schon  am  28.  Dec.  1620 
in  Lentschau  den  Frieden  —  uothgedrungen,  gegen  seinen  Willen, 
und  ganz  und  gar  in  der  HotVnuiig,  dass  er  Mittel  und  Wege  finden 
werde,  ihn  zu  brechen.  Aber  Alles  kam  anders,  als  er  erwartet  hatte. 
Die  Allürten,  die  ihm,  so  lange  ihr  Stern  leuchtete,  blos  eine  Rolle 

'  Marczali  Rcf,'esten  S.  146. 

^  Das  Orif^inal  im  Archiv  von  VrirfVsvur.  publizirt  in  meiner  Abhand- 
lung „Beiträge  zur  Goschirlifo  dur  ADi  in/t'ii  Gabriel  Bethlen«.** 
*  Beide  Aliiauaur künden  ebendaselbst. 


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40ti  UABIUBL  BblULKS  UND  1>]E  tfCllWEDIBCUB  DirLONATIK. 

zwj'ik'ii  h'anges  zuged.icht  hatten,  nahmen  ihn  jetzt  iiit  lit  nur  in  die 
Alliunz  aui^  sondern  erwarteten  von  ihm  die  K^^paratur  der  durch  sie 
verdorbenen  Angelegenheit.  iSie  sandten  ihm  Anführer  ohne  Sol- 
daten, Geld  aber  sandten  sie  gar  nicht.  So  war  denn  aneh  BetiüfiO 
nicht  im  Stande  die  Angelegenheit  sum  Besseren  zn  wenden.  Von 
den  bei  ihm  weilenden  beiden  Ünions-F^eldherren  starb  der  Herzog 
von  Weimar  während  der  Dauer  <ler  riiterhjindlnDgen,  und  der  an- 
dere, Mansleld,  eilte  aus  dem  Lande,  el)ent'all.s  —  um  zu  sierlM'n. 
Hierauf  folgte  der  Frietle  von  S/ön  v  und  dessen  Katifikation.  Bethlen 
säumte  auch  nicht,  den  Schwedenkönig  davon  zu  benachriclitignu  :  — 
«denn  der  Kaiser  werde,  —  schrieb  er  ihm  —  nun  von  allen  Seiten 
gesichert,  seine  ganze  Macht  daraaf  verwenden,  im  Reiche  die  Rohe 
herzustsUeu.* 

IL 

Die  llotfnungen,  welche  die  ju-otestaut-iache  Welt  aut  den  Da- 
nenkönig gebaut  hatte,  waren  sämmtlich  wieNehelhilder  zerronuen  — 
die  Kettung  der  an  den  Rand  des  gänzlichen  Unterganges  gelang- 
ten Angelegenheit  erwartete  auf  diesem  Wege  niemand  mehr.  Aber 
in  welchem  Verhaltnisse  der  Stern  Christians  sank,  in  demselb» 
eriiob  sich  der  Stern  Demjenigen,  der  seinetwegen  znrOckgesetst 
worden  war  :  der  Stern  (Instav  Adolfs.  Unter  den  nordöstlichen 
I^liiciiteu  stand  Polen  in  einem  gliinzrndenNimbus  da  —  die  ganze 
Welt  achtete  es  für  eine  Macht  ersten  Ranges.  Der  Kampf  mit 
Schweden  dauerte  schon  nahezn  ein  Jahrzehnt  lang,  und  wählend 
dieses  Zeitraumes  begann  sich  die  öffentliche  Meinung  Europas  in 
diesem  Punkte  allmahlig  umzugestalten.  Nach  der  Schlacht  von 
Riga  (1621)  nahmen  es  auch  die  Polen  selbst  schon  wahr,  dass  sie 
von  den  Schweden  im  Festnngskampfe  ttberflügelt  seien  :  aber  ne 
behielten  noch  das  liewusstsein,  dass  sie  in  offener  »Schlaelit  die  Olur- 
hand  haben.  Der  Feld/ug  von  llilitl  und  insbesondere  «lie  Schlacht 
von  Mewe  bewies  indeusen,  dass  die  schwedische  Infanterie  der 
polnischen  überlegen  sei.  1627  brachten  die  Schlachten  umDIrschan 
auch  der  schwedischen  Gavallerie  Lorbeeren,  und  nunmehr  behielten 
die  Polen  nur  noch  in  einem  einzigen  Punkte  die  Oberhand  fiber 
die  Schweden  :  ihre  leichte  Reiterei  verstand  sich  vortrefflich  auf 
kleine  Plänkeleien,  unvermuthete  Überraschungen,  Ermüdung  de« 


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OABRIKL  BBTHLEN  UM)  DIB  8CHWBni89RX  NPLOXATll.  4G9 

Cicirners  und  Erschwerung  der  Truppen \>'r]ifle«(im<jf.  Koniepolski  l)a- 
sirt«'  s«'iiien  ganzen  Feld/n «^spl an  auf  diesen  Yortlieil  und  verstand 
es  mit  grosser  Geschicklichkeit  den  Entöcheidungsschlachten  «aus 
dem  Wege  zu  gehen.  Für  diese  Weise  der  KriegfUhmng  war 
Gustav  Adolf  in  hohem  (irade  auf  die  Hülfeleistung  seines  Schwa- 
gers Gabriel  Bethlen  hingewiesen  und  deshalb  verlangte  er  von 
ihm  schon  firtther  und  wiederholt  in  dringender  Weise  ungarische 
Beitei^,  und  als  er  sich  endlieh  entschloss,  weiter  nach  unten  vor- 
Kodringßu,  that  er  aneh  die  entsprechenden  Schritte,  um  mit  Bethlen 
und  der  Pforte  in  eine  engere  Verbindung  zu  treten. 

Mit  der  Zuwegehriniifung  derselben  hetraute  er  einen  seiner 
intimsten  Käthe,  Faul  JStrassburg,  den  «»r /n  seinem  ständigen  (ie- 
sandten  in  Siebenburgen  ernannte,  und  dem  der  Kanzler  auch  eine 
wichtige  vollLSwirtschai'tliche  Mission  auftrug  :  von  HeUilen  zu  er- 
fuhren, ob  er  nicht  geneigt  wäre,  die  Kupferausfuhr  aus  seinem 
Laude  zu  verbieten  uudaus  derselben,  im  Einvernehmen  mit  Schwe- 
den, ein  Monopol  zu  machen?  Auf  diese  Weise  würden  diese  bei- 
den Länder  für  Europa  den  Preis  des  Kupfers  bestimmen.  *  Btniss- 
burg  machte  sich  auch,  nach  Entgegennahme  seiner  Instmktionen, 
.  am  23.  Juli  1628  von  Dirschan  auf  den  Weg. 

Er  eilte  dnrch  das  feindliche  Polenland  rasch  dem  Orte  seiner 
Hestimmung  zu  und  b«>fand  sich  Anfang  Sept.  l)ereits  in  Kascluui. 
Hier  »Mupfing  man  ilm  mit  der  Naeiiriclit,  da.ss  der  I''ür.st  mit  dem 
siebeiibürgischen  und  ungiirländischen  Adt'ls-  und  UeidacktMilirer, 
deRKen  Zahl  über  10,000  betrug,  kaum  zßlm  Meilen  entfernt  unter 
.  Muukäcs  stehe. '  Weshalb  ?  zu  welchem  Zweck?  darüber  vernahm 
er  einander  vollständig  widersprechende  Gerüchte. 

Er  wolle  dem  Sultan  gefällig  sein  und  ziehe  gegen  den  Kaiser, 

'  S.  Oxenstierna*»  Schreiben  vom  26.  Juli  im  Archiv  der  Univerüitilt 

Upsala. 

-'  niosor  Krio^srü^tuii^  Bethlens  tnwiihnt  dor  Uv'wi'  des  Polciikoiii^'H 
an  don  Kaiser  vom  11  Juni  1G28,  dessen  Uiij^iuiil  sich  unter  den  l'olonica 
des  Wiener  Geheimen  Archives  befindet :  „Hx  literis  Mtis  V»e  Pkagae  die 
13.  m.  ad  nos  datia  clare  peräpeximiu,  res  nostras  Mti  Vrae  eurae 
eiiRe,  dum  nos  de  hoBtili  Bethlenü  machinatione  certiores  faoit.  (Dieser  Brief 
des  Kaisers  ist  nicht  vorhanden)  I>e  Bethlenis,  quid  moliatur,  nihil  explora« 
tom  habemus :  certmn  est,  bellnm  ab  eo  snmma  cnra  parari,  qno  vol  Mtm 
Vram  vol  nes  oggrediator  etc. 


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470  OABItllL  BBTHLBir  Vjm  PIK  flCHWfiDtBCftS  DtPliOlUTtS. 

• 

'  um  die  jüngsten  Sehnrlen  an ^zuwetzen  and  dem  Vordringeii  Wallen- 
ftteins  einen  Damm  piitj^o  i^ehznsetzen  t  sa^n  Einige.  Er  wolle 
jnrh  mit  dem  Scliwedenk(Miig  vert'inigen  um  ihm  Hülfe  zu  leisten 
und  gemeiiisaiu  mit  ihm  die  Polen  anzugreifen  :  erzählten  Andere. 

Strassburg  aber  sagte  die  letztere  Deutung  zu  und  er  beeilte 
sich,  nach  gepflogener  Berathnng  mit  dem  Kaschaner  Seelsorger 
Peter  Alyincsj  and  dem  Kaschaner  Stadthauptoiann  Johann  Bor- 
nemisza,  Bethlen  von  seiner  Ankunft  zu  benachrichtigen  und  ntn 
Gewähmng  einer  Audienz  anznsnchen,  mit  der  beigefügten  dring- 
lichen Bitte,  er  möge  ja  bei  seinem  löblichen  Vorhaben  beharren. 
Die  Sache  hütti«  vielleicht  auch  dahin  auslaufen  können,  die  wirk- 
.  lirlif  rrsarhe  indessen,  welche  HetLleJi  l)ewogen  hatte,  an  der  Spitze 
«•ines  Heeres  nach  Munkacs  zu  ziehen,  war  die,  dass  er  einen  Ein- 
fall des  Moldauer  Woiwoden  Hernawski,  der  Kosaken  und  einer 
Tatarenhorde  bef£Lrchtete.  Der  Vorwand  aher,  unter  welchem  er 
die  Truppen  zusammenzog,  war' die  Bestattung  Gabriel  Bathoiy^s 
in  B^thor.  Und  nach  yoUzogener  Bestattung  sandteer  an  Strass- 
burg den  Bescheid,  dass  er  ihn  in  ^ansenbnrg  empfangen  werde 
und  machte  sich  selbst  nnverzüglich  auf  den  Rfickweg. '  Anch  die 
FQrstin  —  welcher  er  ebenfalls  seine  Ankunft  zu  wissen  gethan 
hatte  —  schrieb  ihm  unter  dem  16.  Sept. :  dass  der  Koramissar, 
welcher  ihm  auf  der  Ifeise  nach  Klausenburg  das  Geleite  gehen  .solle, 
licreits  die  Onlre  erhalten  liabe.  * 

Strassburg  eilte  denn  auch  nach  Klausenhurg,woihn  derOberst- 
hofmeisier  Franz  Miko  freundschaftlich  empfing  und  gleich  am 
folgenden  Morgen  vor  di-n  Fürsten  führte.  Die  Morgenandienz  rer- 
lief  unter  wechselseitigen  BegrQssnngen :  es  war  darin  blos  von 
den  Angelegenheiten  der  Fürstin  die  Rede.  Erst  Nachmittag  fand 
die  geheime  Audienz  statt.  Den  Gegenstand  der  Konversation  bil- 
dete die  preussische  Campagne  des  Schwedenkönigs,  über  welche 
sich  Ik'tliN'n  mit  sehr  wenig  \  i-rtrauen  äusserte,  wodurch  l^rasshnrg 
veranlasst  wurde,  den  Stand  der  Angcle<4t'n]ii'it  in  licllcrcm  Lichte 
darzustellen,  die  l^cs.trgnisse,  welche  lii'tlih'u  hezüj^dirli  der  ühcr- 
legenen  Macht  der  Polen  hegte,  zu  7<erstreuen  und  Gustav  Adolfs 

'  Siritssl.iirgH  Botschaft slx'iiclit  im  Stockholmor  Archiv. 
>  Original  in  der  Bibliothek  m  Upsala. 


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(lABBIlL  lOmrLKW  UVn  Dil  SCHWSmSCRK  HIFLOKAlm 


47i 


'  ruliTiiroichen  bVldzug,  hv'ww  })isln'rigpii  Triiiiiipli«'  umstiiiullic-li  zu 
or'/;ili1('n.  Dies  gab  Botlilen  ^  eraiihissung,  sicli  nach  (1»t  Kiirijs- 
tührunifsweiso  dos  ^^cliwedciikönigs.  poinor  Aniiec.  ilirt  r  Besolduug 
iiiid  VerpÜeguiig,  seiner  iSeeiiiacht  uudsemeu  wir i schaftlichen  Ver- 
hältniMen  zu  erkundigen. 

Bethlen  war  mit  dem  Vernommenen  sehr  znfirieden.  Er  war 
eben  im  Begriff  nach  Fogaras  zuTeisen  and  nahm  Sirassburg  mit 
sich.  Die  gemeinsame  Reise  gab  dem  Fürsten  Gelegenheit,  dem  Ge- 
sandten seine  Ansichten  Ulier  die  eiiropäischeu  Ilöfu  mitzutlieileii  und 
er  entwic  kelte  vor  ihm  seinen  Plan  mit  einer  Offenheit,  welclie  zcit^te, 
welch  pjrosses  <  Jewicht  er  darauf  lege,  ilin  dafür  zu  gewinnen.  Das 
allgemeine  Bild,  welches  er  von  der  4Amaligeu  »Situation  Euro})aa 
und  von  den  ;Wechsell)eziehnngen  der  kriegführenden  Mächte 
entwarf,  die  eingehende  Analyse,  in  welcher  er  die  Ursachen  der 
Erfolglosigkeit  aller  bisherigen  Untern^mnngen  der  Union  und 
Gonf!5deration  auseinander  setzte,  bewies,  dass  ihn  die  gemachten 
bitleien  Erfahrungen  zu  einer  klaren  Auffassung  der  Sachlage  ge- 
ftlhrt  hatten.  Er  zählte  ohne  jede  Übertreibung  auf,  in  welchen 
Hinsichten  und  in  welchem  Grade  er  den  Verbündeten  hätte  nütz- 
lich wenlcii  können,  wenn  sie  sich  seiner  Dienste  hätten  bedienen 
wollen,  wa:>  sie  indessen  systematisch  und  konsequent  abgelehnt 
hätten,  det/t  erübrige  das  Einzige,  dass  (lustav  Adolf  offensiv  auf- 
trete und  die  Reparatur  der  an  den  Rand  des  Verderbens  geführten 
Angelegenheit  in  die  Hand  nehme,  wobei  er  ihn  aus  allen  Kräften 
unterstützen  wflrde.  Er  vertraute  ihm  den  Zweck  seiner  Heise  nach 
Fogaras  :  er  wollte  einen  seiner  Terlässlichsten  Staatsmänner, 
Michael  Tholdalagi,  auf  die  Pforte  schicken.  Wenn  der  Friede  der 
Pforte  mit  Ferdinand  Tollzogene  Sache  sei,  mflsse  dahin  gearbeitet 
werden,  dsss  die  TQrken  ihre  ganze  Macht  auf  die  Polen  werfen, 
liber  welche  sie  weffen  des  Uberfalles  der  Tataren  durch  die  Kosa- 
ken  und  we<jjcn  der  Aufwiegelei  des  Mfildauer  \V()i\vodcn  Hernawski 
ungehalten  seien.  Und  dies  wäre  um  so  leiehler  erreichbar,  da  die 
Uesandteu  des  russischen  Czars  in  Konstantinopel  für  «  in  /wischen 
dem  Czar  und  der  Pforte  abznschliesseudes  Hündaiss  thätig  Heien.  ' 

Wie  aufrichtig  aber  auch  Bethlen  in  aUedem  war,  was  er  d<»m 

*  Paol  Straffifburg*«  Bericht  an  Oiutav  Adolf. 


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472  OABBIEL  BmUH  ÜID  DIB  SCHWBDISCB  DIPLOIUTIB. 

schwedischen  Gesandten  sagte  —  Älles  sa^te  er  iluu  doch  niclii. 

Denn  es  ist  zwar  f]jewiss,  dass  seine  Reise  nach  Fogaras  keinen  an- 
deren Zweck  hatte,  als  Thoklalagi  auf  die  Pforte  zu  schicken,  um! 
ebenso  ist  es  sicher,  dass  er  dem  scliwedisclien  ( Gesandten  den  *(röss- 
ieu  Theil  der  Mission  dieses  erfahrenen  »Staatsmaiiueä  luittlieiltc^ : 
einen  der  geheimen  Punkte  dieser  Mission  verschwieg  er  ihm  doch« 
denjenigen,  'der  es  seinem  Orator  zur  Aufgabe  machte,  den  Gross- 
▼ezier  zu  sondiren :  ob  in  dem  Falle,  dass  der  vom  Schlage  gerdbrte 
PolenkSnig  Ton  ungefähr  mit  Tode  abginge  nnd  man  ihn  anf  den 
polnischen  Thron  beriefe,  die  Pforte  semer  Wahl  Hindemisse 
in  den  Weg  legen  wttrde  ?  ^  Und  ausserdem  hatte  Tholdalagi  auch 
den  Auftrag,  mit  den  russischen  Gesandten  —  Thomas,*  wie  er  ihn 
nennt,  oiKt  Odokimosi  und  Vennuitevicze,  wie  Strasshurg  selireiht  — 
die  l»ereits])e<;()nnenen  rntt-rhandlniiL^en  tortzusetzen  :  wenn  Aussicht 
auf  Erfolg  wäre,  würde  er  gerne  eiuen  (gesandten  au  den  Czar  senden. 

Tholdalagi  empfing  seine  Instruktionen  am  21.  Okt.*  und 
maehte  sich  unverzüglich  auf  den  Weg.  Bethlen  kehrte  ebenfalls 
mit. Strasshurg  nach  Earlsburg  znrClck.  Hier  wartete  ihrer  eine 
erfreuliche  Nachricht:  die  Nachricht  TOm  Entsätze  Stralsunds.' 
Dies  war  der  letzte  feste  Punkt,  an  dem  sich  die  Protestanten  noch 
hielten,  und  dessen  Belagerung  Wallenstein  mit  der  stolzen  Äusse- 
rung unternahm,  dass  er  ihn  eiunehiiien  würde,  selbst  wenn  er  mit 
Ketten  an  den  Himmel  geschmiedet  wäre.  Er  nahm  ihn  trotzilem 
nicht  ein  und  dies  dünkte  den  an  Bethlens  Hof  weilenden  Kat  holi- 
ken so  unwahrscheinlich,  dass  sie  au  der  Wahrheit  der  Nachriclit 
zweifelten  —  bis  sie  durch  neue  Posten  bestätigt  wurde.  Und  auf 
sie  folgten  alsbald  auch  andere  Nachrichten  von  Siegen  Guatay 
Adolfs  in  pienasiBch  Polen,  wo  die  bedrängte  Veate  Strassbuig, 
trotz  der  yerzweifelten  Yertheidignng  ihres  Kommandanten  Mon- 
tagne,  im  September  starke  Prüfungen  bestand,  bis  sie  aehliesslich 

*  Wenigstens  erwähnt  dessen  Strassburg  in  seinem  Bericht  mit  kei- 
nem Worte,  während  es  einen  Pankt  der  Instruktion  Bethlens  för  Thol- 
dalagi bildete.  S.  TOrOkmagyarkori  äUamokm&nytdr.  II.  S.  91.  fF. 

'  Thomas  Ursus.  wie  Strassburg  an  Anderer  Stelle  «chreibt,  war 

„sobdelejfüiuf."  die  beiden  andern  Oberge»andtp. 

Kv  hatt*'  Ulli  1.  Aug.  I(i2!*  s  tat  ige  fanden}  die  Nachrieht  kam  alno 
nach  mehr  aU  zeku  Wochen  in  äie)>enl»Urgen  an. 


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GABRIEL  BETHLKN  UND  DIE  SCHWRDISCBE  DIPLOMATIE.  473 

doch  üeL  Uud  in  eben  diesen  Tagen  kehrte  auch  Peter  Bethlen  von 
seinem  mehrjährigen  Aufenthalte  im  Auslande  heim  und  brachte 
die  Beetiltigung  der  günstigen  Nachrichten.  ^  Aneh  der  Famt 
meldete  dieselben  nns&omlich  an  Tholdalagi '  snr  Damachach- 

tniig  -  unmittelbar  darauf  sandte  er  aber  auch  einen  Tntenranoins 
an  den  Cliurfürsteii  von  Brandenburg  und  durch  seine  Vermittlung 
an  den  Schwedenköuig. 

m. 

Der  Courier,  welcher,  wegen  Vervollständigung  des  Hofper- 
sonals der  Fürstin  Katharina,  zum  Churftirsten  von  Brandenburg 
al)ge.sandt  wurde,  war  Martin  Honczliidai.  Er  wurde  in  Warschau 
angehalten,  weil  man  argwöhnte,  dass  er  auch  an  den  Schweden- 
könig  eine  Commission  habe.  Da  man  nichts  dergleichen  heraus- 
bnngen  konnte,  liess  man  ihn  wieder  los,  gab  ihm  jedoch  ein  £o- 
saken-Qeleite  mit,  welches  ihn  beaofsichtigen  sollte.  So  erreiehte 
er  glücUich  Königsberg  und  vefstandigte  von  hier  aus  unter  dem 
29.  Jänner  1629  den  schwedischen  Kanzler  Axel  Oxenstierna,  duss 
er  Mittheilungen  an  ihn  habe,  jedoch  fürchte,  zu  ihm  zu  reisen, 
damit  ihm  unterwegs  nichts  zustosse.  Er  bitte  ihn  daher  um  Zu- 
sendung eines  TolUtändig  verlässlichen  Mannes,  dem  er  die  Botschaft 
seines  Herren  anyertrauen  könnte,  und,  da  sein  Pferd  unterwegs 
nmgestanden  sei,  zugleich  mnes  Pferdes,  auf  dem  er  in  seine  Hei- 
mat znrilekkehren  könnte.  * 

Der  Kanzler  fand  es  natOrlich,  dass  Bonczhidai  mit  ihm  nicht 
in  direkten  Verkehr  treten  wolle  und  sandte  Johannes  Nicodemi, 
eiih'ji  angesehenen  schwedischen  Bürger,  dessen  er  sich  auch  sonst 
zu  delikaten  Missionen  bediente,  von  Elbiug  nach  Königsberg  und 
ausserdem  auch  das  gewünschte  Pferd.  *  Der  Brief,  den  er  durch 
ihn  au  Boncaihidai  sandte,  diente  ihm  zugleich  als  Begiaubigungs- 
schreiben,  *  —  er  gab  aber  auch  ihm  selbst  eine  Instruktion  mit, 

'  S.  Strasaburgs  Bericht. 

'  S.  seinen  Brief  vom    12.  Dec.   Törökma^yar  AUam-OkiuÄnjt. 

IL  S.  93. 

'  Bonezhidai'H  Brief  vom  29.  Jän.  Ui2l)  im  Stockholmer  Archiv. 

♦  tVixeu  Hiatoire  de  Guntiiv  Adolf  8.  I<t2. 

*  Concept  im  Archiv  der  Akademie  zu  Upsala. 

UngMlKbe  Heyne,  1882.  VI.  Heft.  31 


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474  OABBISL  BKTHLEN  l'ND  DIR  SCrn\T,DI8f'IIE  DIPLOHL\TIK. 


I 


was  er  AIIps  anszutorsclu'U  halx'.  liislipsoiulfre  war  fr  )>pauftraj(t 
anszuforsclien,  wie  sich  die  türkischen  und  tatarischen  Augelegenhei- 
ten  verhalten,  wie  cr  nm  die  polnisch-türkischen  Bezielnmfren  stelv, 
m  welchem  Zwecke  der  Kaiser  einen  Abgesandten  nach  Warschau  ' 
gesehiekt  habe«  was  die  rassischen  Abgesandten  bei  der  Pforte  im 
Sachen  gehabt  haben  ? 

Aber  hei  dieser  ganzen  Abf:jesandtschaft  unterlief  eine  eigen- 
thUmliche  Täuschung.  Houczhidai  war  gar  kein  Ahgesan<lter,  son- 
dern ein  t'iiitaclier  C'ouricr,  mit  g<'iinir  delikaten  Instruktionen  /.war, 
aber  doch  nicht  derartigen,  wie  sein  Auftreten  sie  voraussetzen  lies-;. 
Ausserdem  war  er  ein  habsüchtiger  und  listiger  Mensch,  der  sich 
auf  die  Ausnutzung  der  Vorth  eile  seiner  Situation  wohl  verstand, 
wiewohl  er  nnr  eine  mittelmassige  Bildung  hatte  and  Latein  fliessend 
weder  schreiben  noch  sprechen  konnte,  so  dass  Nioodemi  gendthigt 
war,  sich  eines  Dollmetsch  za  bedienen,  der  denn  auch  alsbald  merkte, 
mit  wem  er  es  en  Üion  habe  :  »es  ist  kein  Mensch,  dem  der  aoch 
sonst  sehr  vorsichtige  Bethlen  Etwas  von  Bedeutung  anvertraut 
haben  konnte.*  Am  7.  Feber  in  Kiinigsberg  angekommen,  hatte 
er  mit  ihm  sogleich  eine  Zusammenkunft  und  begann  die.  drei  Tage 
hindurch  fortzusetzenden,  ermüdenden  und  unangenehmen  Ver- 
handlungen mit  ihm. 

'  Darüber  gielit  der  IJrief  Aiifschlusa,  den  der  Kaiser  unter  dem 
12.  Dec.  102^  an  seine  Schwester,  die  Könijfin  von  l'olen.  schrieb  (Concept  im 
Wiener  Geheimen  Arciiivj,  und  der  »ich  aul"  die  Fricdeudverhuiidlung  iy>i' 
sehen  den  Polenkönig  einerseitB,  den  Schweden  nnd  dem  Hause  Branden- 
burg anderseits  besieht.  Als  weise  Fflistin  k9nne  die  KOnigin  beartheilen: 
»Wann  mit  erstemantem  Gustave  allein  wo  nicht  gar  ein  Frieden,  dorh 
wenigst  aof  eine  Ans^l  Jahr  nur  Anstuid,  mit  Aussohliessong  des  Reichs 
gesu.  bt  und  getroffen  werden  woUti'.  dass  meine  Widwwftftige  hiebei  ihr 
Abuehen  ohne  allen  Zweift  l  dahin  gerichtet  haben  werden  :  wie  sie  sich 
al«dann  mit  ihm  Gustave  otiV-ntliih  eoniungiren,  und  den  ganzen  Krie^j 
wieder  mich.  «I  is;  röniisclie  Keicli  und  nns^  r  Kr/hans  ma><sen  i»  h  dann 
gewisse  Nacliriohtnng  erlangt,  dass  fie  y.n  dr-ni  Knd  bereits  ein  stiirke  Con- 
fbederation  und  Verbündtniss  miteinanth^r  aufgerichtet  haben  —  wieder 
einführen  mögen/  Deshalb  habe  er  auch  den  Churfürsten  von  Branden- 
burg bereits  ermahnt  und  bitte  jetat  auch  die  Königin  als  seine  Schwester^ 
dahin  an  wirken,  dass,  falls  die  Verhandlungen  faktisch  begonnen  hätten» 
das  Reich  bei  denselben  nicht  übergangen  werde.  Im  Übrigen  aber  bittet 
er  um  Nachricht  durch  einen  Courier.  (Impumm.) 


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GAIiRIEL  BBTilLEN  UND  DIE  SfilW^mHCIlE  DIPLOMA'ilK.  475 

Nicodeini  hiess  ihn  im  Namen  seines  Ilefreu  herzlich  will- 
kommen und  sagte  ihm,  daeeder  Kansbler,  in  WttrdigimgderGrrQnde, 
welche  dem  Erscheinen  des  fttretlichen  Gesandten  in  Elhing  ent- 
gegenstflnden,  ihn  beyollmftchtigt  habe,  die  Details  seiner  yertrau« 
liehen  Semlmig  zu  erfahren. 

Bonczhidai  ergoss  sich  in  schwülstigen  Timden  darüber,  da.s.s 
Kicodemi  zn  ihm  gesandt  worden  sei,  nm  za  erfahren,  was  ihn  hie- 
her  gebracht  hatte;  dass  aber  er  sich  seiner  Mission  mit  einem 
einzigen  Worte  entledigen  kdnne  :  er  habe  die  Sympathie  Bethlens 
fttr  den  Schwedenkoni^^  znm  Ansdm^  an  bringen  —  er  habe  das 
Herz  seines  Herreu  hit.'her  gel)racht. 

Nicodemi  nahm  anch  dies  noch  als  Höflichkeitsbezeugung, 
liethlcir»  Sympathie,  antwortete  er,  habe  im  Herzen  seines  Herren 
tiefe  Wurzeln  geschlagen  —  dies  sei  jedoch  eine  so.  allbekannte 
Sache,  dass  sie  der  Erwähnung  gar  nicht  bedürfe.  Weni^  er  ausser* 
dem  Tertrauliche  Mittheiluugen  zu  machen  hätte,  würde  er  dieselben 
mit  A  ergiiügeii  anhören. 

Bonczhidai  nahm  eine  ganz  beleidigte  Miene  an.  Ist  das  also 
nicht  genug,  wenn  ich  das  Herz  meines  Herren  überbringe  ? 

Ich  —  entgegaete  Nieodemi  —  bin  hieher  berufen  worden ; 
ich  muss  abwarteu«  ob  ich  nicht  noch  etwas  Anderes  zu  hören  l)e- 
komme. 

Schliesslich  stellte  sich  heraus,  was  Bonczhidai  verstimmt 
habe  :  er  hatte  wenigstens  eine  goldene  Kette  als  Geschenk  erwar- 
tet und  fimd  sich  mit  dem  Pferde  nicht  befriedigt  Das  Pferd  aber 
war  Yon  edler  Ra^e  und  hohem  Werthe  und  schliesslich  kamen  sie 

doch  überein  und  lionczhidai  wurde  mittheilsamer.  Aber  auch  dann 
ging  es  noeli  flcliwcr  vorwärts.  Nirodenii  wolltt^ttber  dio  türkischen, 
tatarisclipu,  russisclu'u  \'erhültnisso  Etwas  erfaln-en,  und  Boncz- 
hidai pries  die  Macht  Bethlens,  schilderte  sein  Verhältniss  zum  Sul- 
tan, dem  er  ein  Freund,  ein  Sohn  sei. 

Es  ist  wahr,  sagte  Nicodemi,  und  anch  ich  kenne  die  Macht 

deines  Herrei),  aber  ich  weiss  jiuch  und  zwar  direkt  aus  dem  Sclirei- 
boii  Strasshurj^s,  sein*»  Hoh«Mt  selie  es  uu}X«'rne,  dass  das  Haus 
Habsburg  die  übrigen  Herrscher  unterdrücken  wolle.  Und  ich 
zweifle  auch  gar  nicht  daran,  wie  anch  alle  Anzeichen  darauf  hin- 

81* 


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« 


I 


47Ü  OABKIKL  BBTHLKK  UND  1>IE  8CHWEDISCHK  DirLOMATIB.  ' 

deuten,  dasfi  du  einen  auf  diesen  Goj^enstand  be/figlirljen  Aufing 
habest,  —  warum  wilUt  Da  demielben  also  für  dich  behalten  ? 

Bonczhidui  erhob  sein  Haupt.  Es  ist  wahr,  mem  Herr  liit 

;,'i'gfn  Österreich  und  Polen  etwas  im  Werke  :  aber  er  will  sich 
des  Erfolgs  im  vorhinein  versichern. 

Mehr  als  dies  konnte  Kicodemi  ftlr  diesmal  aus  ihm  nicht 
herausbringen.  Bonczhidai  nahm  ihn  am  Arme  und  führte  ihn  zur 
Mittagstafel  Nach  dem  Mittagsessen,  als  sieh  die  übrigen  Gäste 
zerstreut  hatten  und  sie  selbander  geblieben  waren,  fing  Nioodemi 

das  Examen  von  vorne  an  und  Bonczhidai  antwortete  wieder  mit 
(lein  Her/en.  Wenn  mein  Herr  —  rief  er,  seinen  Sül>el  heraus- 
ziehend —  seinen  Säbel  geschickt  hätte,  würde  ich  diesen  gehriiclil 
haben.  Er  hat  sein  Herz  geschickt,  nehmt  damit  ?orlieb.  Damit 
ging  der  Tag  zu  Enda 

An  den  beiden  folgenden  Tagen  braehte  Nikodemi  denn  doch 
den  Zweck  seiner  Sendung  aus  ihm  heraus.  Er  brachte  eigentlich 
bloss  Nachrichten,  aber  diese  bestätigten  das,  was  Strassburg  schrieb: 
BeLhk'iis  Bestrebimgeu  beginnen  von  Erl"ol<^  gekruiit  zu  werden,  — 
es  ist  starke  Aussicht  vorhuuden,  tlass  dh^  Türken,  Russen,  Tuta- 
ren über  Polen  herfallen  werden,  liethiens  rforten-(ie8andter, 
Mikö,  hat  ausgewirkt,  dass  120UO  Janitscharen,  100,000  Tataren 
Ordre  bekamen,  auf  Bethlens  Ruf  bereit  zu  stehen.  Auch  die  Kosa- 
ken sind  gewonnen,  sich  auf  ihre  Seite  zu  stellen  oder  doch  neutral 
zu  bleiben.  Bethlen  hat  auch  in  Polen  viele  Freunde  :  den  Siarost 
▼on  Sandoiuir,  der  an  der  iirenze  Ungarns  luiust.  den  Palatin  Lecz-  ' 
noszky,  den  Kru kauer  Kastellan  iSbarasky,  den  Landesmarscliall, 
Uadzivil,  »Supieha  und  viele  andere.  V  on  einigen  hat  er  auch  Briete 
gebracht,  von  mehreren  aber  hat  er  sie  in  Warschau  vergraben, 
welche  er  nur  vorzeigen  wird,  wenn  er  in  Sicherheit  sein  wird.  Von 
nun  au  werden  häufiger  (iesandte  ab-  und  zugehn  —  einer  dersel- 
ben, BiQintfi,  wird  in  Breslau  festgehalten. '  Auch  Bethlen  selbst 
bereist  unter  allerhand  Vorwänden  die  Landesgrenzen. 

Nicodemi  wollt»'  noch  über  ein»Mi  l'unkt  liowi«.slu'i(  erlan^'cii  ; 
üb  «icii  Bethlen  nicht  zum  König  von  l*olen  wählen  lassen  wolle? 
Aber  Bonozhidai  kehrte  den  Spiess  um  und  stellte  die  uaiuiicbe 

'  Vgl.  Uftgf  ar  töii4neltni  tär  (ung.  bistor.  Magasinj  X. 


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UABK1£L  UliTllLBli  U^D  DJ£  äUUWEDJäCHE  üU'LUMATIi:.  477 

Frage  bezuglich  des  Schwedeukönigs.  Nun  fing  denn  Jeder  von 
beiden  an,  den  Gebieter  des  Andeni  mit  Lob  zu  ttberschClttea  — 
aber  Bonczhidai  verrieth  doch  soviel,  dass  sein  Herr  einer  solcben 
Eventnafitat  nicht  abgeneigt  sein  wQrde.  Zum  Schluss  warf  der 

Siebenbürger  auch  noch  bin,  dass  Bethlen  den  Schweden  gerne  zu 
Hölfe  kumnieii  würde  und  dass  sein  Wunsch  würo,  die  wachsende 
Macht  des  Kaisers  und  der  Spanier  zu  Ijrecheu. 

Damit  verabschiedeten  sie  sich  am  dritten  Tage  der  Verband 
long  Tollstandig  von  einander.  * 

Anf  das  Sehieiben.  welches  Bonczhidai  von  Strsssbnrg  mit- 
gebracht hatte,  antwortete  Oxenstierna  sogleich.  Er  bedauerte,  dass 
er  mit  dem  siebenbürgischen  Gesandten  nicht  sprechen  könne. 
Was  er  von  der  türkisclieii,  tatarischen,  russischen  Angok'nheit 
geschrieben  liuh«',  nehme  er  mit  Vergnügen  zur  Kenntniss  —  al)er 
in  der  Frage  des  pohlischen  Königthums  möge  er  vorsichtig  zu 
Werke  gehn.  Er  möge  schreiben,  wenn  er  merke,  was  der  Fürst 
wolle  :  ob  er  sich  selbst  oder  den  Schwedenkönig  aof  dem  polni- 
schen Thron  zu  sehen  wünsche  ?  Bis  dahin  möge  er  den  Forsten  nur 
anfenern,  Polen  anzugreifen  und  die  Russen,  Tfirken,  Tateren  zu 
gleichem  lliun  anzutreiben.  Er  gieht  ilmi  zu  wissen,  dass  Fahrens- 
baeh  in  schwedische  Dienste  getreten  sei  und  iu  einer  Mission  nach 
Siebenbürgen  gehe.  * 

Er  schrieb  diesen  Brief  geraume  Zeit  bevor  er  Nicodemi^s 
Relation  gelesen  hatte  :  damals  musste  er  darQber  bereite  im  Rei- 
nen sein,  dass  Bethlen  der  Annahme  des  polnischen  Königthums 
nicht  abgeneigt  sei.  Indessen  noch  geraume  Zeit,  bevor  Fahrens- 
bach  anlangte,  trafen  iu  Siebenbiirgeu  andere  wandernde  Diploma- 
ten ein. 

IV. 

Seit  Strassl)urg  mit  Bethlen  näher  Itekannf  wurde,  seit  er 
<t»'legenheif  mit  ihm  hänfiger  zu  verkelireu,   Zeuge  seiner 

Thätigkeit  war,  seinen  scharfen  Verstand,  seinen  festen  Charakter 
kennen  lernte,  sah,  wie  sicher  er  die  Fäden  der  diplomatischen 

'  Nicodcniis  R^^lation  an  Oxenatiema  Eibing  am  14.  Feb.  1628.  Original 
im  flchwed.  8taaUarcbiv. 

*  Otenstiema  in  Chiffem  geschrieben  Biief  an  Strawbaig. 


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478 


UAbUlEL  liblHLKK  UXD  DIE  äCllWBUlSCHE  MI'LoUATlB. 


Thätigkeit  in  den  Hiliuleii  hält  und  leitet,  und  iusbesuuiler-s  sah, 
welch  .schwierige  Aufgabe  er  zwischen  den  zwei  Mächten  habe, 
und  mit  welcher  Sicherheit  er  diese  Schwierigkeit  löse  :  wurde  er 
Ton  «aufrichtiger  Bewunderung  fQr  ihn  erfüllt  Er  setzt  in  einer 
seiner  Denkschriften  weitläufig  auseinander,  was  damals  am 
Hiebenbürgischen  Hofe  vorgegangen  sei  :  welche  Plaue  dortge- 
.sflimiedet  wurden,  und  wie  nahe  die  Eiuuiischung  iu  die  j)ohii.si-bf*n 
Angelegenheiten  bevorstehe  und  zwar  mit  Unterstützung  .seit»^ijfi 
der  Nachbarstaaten  in  einem  Masse,  welches  sozusagen  die  Bürg- 
schaft des  Erfolges  in  sieh  trug  und  welchem  zu  Folge  —  wie  wir 
aus  einem  Memoiristen  wissen  *  —  Bethlen  die  zur  Offensive  notk- 
wendigen  Anstalten  bereits  getroffen  hatte  und  auch  sein  Heer 
organisirte. 

Tholdalagi  kehrte  im  Jänner  1G29  heim.  Er  brachte  die  Eiu- 
willigung  zum  Angriff  i.i(  ht  mit;  um  diese  hatte  Bethleu  gar  nicht 
gebeten  :  aber  er  hatte  die  Stinmiung  dort  ganz  günstig  gefimdeu. 
Mit  der  Fortsetzung  des  von  ihm  Begonnenen  war  der  stöndige 
Gesandte,  DonlKth,  betraut ;  er  sollte  die  Unterhandlungen  mit  den 
Divanhaltenden  Vezieren,  dem  Patriarchen  Cyrill  und  mit  dem  Oe- 
sandten  der  vereinigten  belgischen  Stände,  Kornel  Hagai.  fort- 
führen. Die  »Sache  sollte  so  veranstaltet  werden,  dass  der  AugriÖ 
zu  gleicher  Zeit  von  allen  Seiten  her,  durch  die  an  Polen  gräuzeu- 
den  Staaten  erfolgen  sollte,  denen  sich  sofort  die  Kosaken  an- 
schliessen  sollten.  Die  Gewinnung  der  letzteren  war  die  Aufgabe  Cy- 
rills, welcher  den  Angelegenheiten  der  Protestanten  durchaus  nieht 
abgeneigt  war,  und  bei  welchem  Bethlen  auch  in  Betracht  der  Be- 
kehrung der  Walachen  Si  Inittc»  tliat.  Dieser  Cyrill  hatte  den  Pfor- 
tenge>»aTitlten  der  verbündeten  Mächte  auch  bereits  versprochen, 
dass  er  sich  in  dieser  Angelegenheit  alle  ihm  mögliche  Mühe  geben 
werde.  Andererseits  bestand  auch  die  Verbindung  mit  Russlaud  und 
war  auch  der  Ton  dieser  Seite  kommende  Angriff  in  den  Galeul 
einbezogen.  Auch  in  Polen  selbst  erwartete  eine  beträchtliche 
Partei  die  Stunde  der  Befreiung,  das  grösste  Ckwicht  aber  wurde 
auf  die  (Gewinnung  des  Fürsten  Radzivil  gelegt,  welcher  Litthanen 
hätte  zum  Ubertritt  bewegen  sollen.  Dieser  war  zwar  ein  von  Xa- 

'  Johann  Kemeny  Selbstbiographie.  S.  13G. 


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•    '  OABBIBL  BBTHLBN  TTBU  I)IB  SCBWlDIfiCiiE  BIPIiOlUTlB.  479 

ttir  furchtsamer  Mciun  —  seiu  Übertritt  wurde  trotzdem  nicht  für 
uuwjihrscheinlich  dehalteu,  uachdemdort  bereits  Vieh*  für  die  vSache 
gewüuuen  waren.  ^Nichts  würde  —  öcbrieb  Strasaburg  —  für 
den  Feind  schrecklicher  sein,  aLs  wenn  die  Macht  des  Ostens  und 
NordenB  gleichzeitig  ihre  ganze  Wucht  auf  ihn  wQrfe."  ^  Und  das 
Endresultat  dieser  Coalition  und  vereinigten  Offensiye  des  Ostens 
und  Nordens  hatte  sein  sollen,  dass  der  Polenköuig  seinem  Schwa- 
ger, dem  Kaiser,  keine  Hülfe  mehr  würde  geben  können.  —  Ja, 
weun  er  im  I>aut  tler  Ereigiii.sse  oder  seiner  Krankheit  wegen  seineu 
Thron  verlieren  würde,  würde  gerade  Polen  zum  mächtigsten  Oeg- 
iier  der  Liga.  Bei  »Stralsund  standen  der  Kaiser  und  der  «Schnee- 
könig^ (wie  Gustav  Adolf  von  Ferdinand  genannt  wurde)  einan- 
der bereits  gegenüber ;  sie  waren  zwar  noch  nicht  erklärte  Gegner, 
aber  die  Messung  der  beiderseitigen  Kräfte  hatte  bereits  ange&n- 
gen  and  die  Intervention  des  Schwedenkönigs  war  nur  eine  Frage 
der  Zeit.  Darauf  wartete  Gabriel  Bethlen,  dies  wünschte  und  be- 
reitete er  vor. 

Aber  Alles,  was  zu  diesem  Zwecke  geschah,  war  so  kühn,  so 
verwegen,  dass  es  wirklich  als  Uirngespinnst,  als  unausführbar  er- 
scheinen konnte.  War  doch  hier  von  nichts  Geringerem  die  Bede, 
als  von  der  Vereinigung  der  gegnerischesten  Elemente.  Es  ist  wahr, 

dass  die  Hauptsache  geschehen  war  :  der  Krieg  der  Pforte  mit  Per- 
sieii  war  beigelegt  uud  damit  die  Hoffnung  gegeben,  dass  sie  dem 
Kriege  mit  Polen  nicht  abgeneigt  sein  und  auch  Jietlilens  Jnter- 
yention  unterstützen  werde.  Damit  waren  iudessen  noch  nicht 
sammtliche  Schwierigkeiten  beseitigt  Die  Tataren  und  Kosaken 
kämpfen  seit  Jahren  nuteinander  und  machen  häufige  Einfalle  in 
ihre  beiderseitigen  Lander.  Fand  doch  der  einige  Jahre  vorher  ver- 
triebene Tatarenkhan  in  der  Ukraine  Zuflucht  und  Beistand.  So- 
dann sind  die  Kosaken  den  Poleu  unterthan  uud  diese  haben  den  Mol- 
dauer Woiwodt'ii  Beniawski  gewonnen,  ihm  das  Indigoiiat  verliehen. 
Was  die  Küssen  anbelangt,  so  war  ihr  Friede  zwar  im  Ablauf  be- 
griffen, ihre  Gewinnung  aber  würde  doch  nicht  ohne  Schwierigkei- 
ten abgelaufen  sein. 

Es  ist  gewiss,  dass  Betiilen  diese  Schvrierigkeiten  mehr  als  ir- 

'  Paul  Staneburgä  Denkachrift  im  Stockholmer-Staataarchiv-Original. 


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480  '  tilbJUSL  BBXÜLBM  UVD  i>lJ£  St'HW£mäCUE  UlI'liOHATJS.  • 

geud  Jemand  in  Reclmang  sog  und  auf  ihre  Beseitigung  i\k\\i 
erst  jetet  lunzaarbeiten  begann.  Er  stand  mit  dem  Patriarchen  Cyrill 
bereits  seit  Jahren  in  Verbindung,  und  schickte  durch  seine  Ver- 
mittlüDg  seinen  Gesandten  nach  Rnssland.  Bei  den  Eosakenerfreate 
sich  der  Patriarch  einer  unbedingten  Autorität ;  durch  ihn  arbei- 
tete Bethlen  an  ihrer  Gewinnung.  BGt  den  Pforten-Residenten  Eng- 
lands, Frankreichs,  IloUumls  verhandelte  er  fortwährend ;  sie  on- 
terstützteu  rortwäbreiul  seine  Angelegenheiten  und  er  die  ihrigen, 
und  auch  jetzt  hatten  Tkoldalagi,  Donath  ähnlich  lautende  In- 
struktionen. 

Die  Verheissungon,  welche  Tholdalagi  mitbrachte,  machten 
taue  Entfaltung  der  diplomatischen  Thatigkeit  in  noch  grosserem 
Massstabe  wtlnschenswerth.  Es  wurde  eben  darüber  berathschhigt, 
wen  Bethlen  suRadsivil  und  wen  er  an  die  Pforte  senden  sollte,  als 
das  Eintreffen  zweier  Ehrenden  Diplomaten  an  seinem  Hofe  die 
Frage  löste. 

Es  waren  dies  zwei  Franzosen :  Mar([uis  Karl  Ysideus  Tale- 
rand  und  Jac.  Rouselle,  die  Ende  Feber  in  Fogaras  anlaugt^^n,  ^ 
mit  Empfehlungsschreiben  vom  Herzog  von  Mantua,  vom  Fürsten 
Rohan  und  von  den  in  Venedig  residirenden  Gesandten  versehen. 
Zu  der  Zeit,  als  sie  ankamen,  kränkelte  Bethlen  bereits.  Er  war  schon 
seit  längerer  Zeit  unpässlich,  aber  am  16.  Feber  hatte  er  «inen  so 
heftigen  An&ll,  dass  man  für  seine  Gesundheit  emstlich  besorgt 
"  £u  sein  begann.  Der  Paroxysmns  liess  allm&hlig,  wenigstens  zeii- 
weilig  nach,  so  dass  er  sich  fähig  fühlte,  sie  zu  empfangen.  I^e  erste 
Audienz  machte  auf  ihn  einen  ausserordentlich  guten  Eindruck, 
er  wurde  davon  völlig  elektriairt:  seine  alte  Kraft  schien  noch  ein- 
mal zurückzukehren. 

Und  in  der  That,  die  beiden  Franzosen  schallten  ihm  manche 
genussreiche  Stunde.  Ysideus  war  der  Sprosse  einer  vornehmen 
französischen  Familie,  ein  schöner  Mann  von  distinguirtem  Betragen, 
gewandt  in  der  Conversation  und  ausser  seiner  Muttersprache  der 
italienischen  und  lateinischen  m&chtig.  Bonselle  war  ein  vielgereister 
Mann,  hatte  einen  grossen  Theil  Europas  gesehen,  besass  ein  brillan- 
tes-GedSchiniss,  faseinirende  Beredsamkeit  und  scharfes  ürtheil, 

)  TOrOkmsgyarkori  iUMnokmAnyUbr.  II.  8.  112. 


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QABUBL  BSTHLSH  TJMD  ÜtK  SCUWBOIÜt'BB  J>IPL0IIAT1B.  481 

WHr  insbesondere  mit  den  polnischen  Verhältnissen  yt-rtrani  Heine 

vertraulichen  Enthüllungen,  sein  gewählter  Vortrag  gewannen  ilie 
Neigung  des  Fürsten,  der  sich  in  seiner  rfesellschuft  hörlist  beliag- 
licli  fühlte.  Dessenungeachtet  gab  er  dem  ersten  Eindrucke  nicht 
nach,  ging  er  bedächtig  zu  Werke  Dinge  von  solcher  Wichtigkeit 
wollte  er  nur  bewährten  I.<euten  anvertrauen.  Er  unterhielt  sich  viel 
Hud  eingehend  mit  ihm  und  erkundigte  sich  nach  den  russischen  und 
polnischen  Angelegenheiten,  nach  den  tttrkisehen  Verhaltnissen, 
welche  dieser  sieben  Jahre  hindurch  studiert  hatte,  ünd  als  er  die 
Überzeugung  gewonnen  hatte,  dass  er  es  mit  einem  ernsten  und  Ter- 
lässlichen  Manne  zu  thun  habe,  beschloss  er  ihn  zum  Leiter  der  diplo- 
matischen Aktion  zu  machen,  jedoch  so,  dass  Kornel  Hagai  die 
IWhrung  der  Verhandlungen  mit  der  Pforte  in  seiner  llaud  behalte 
und  das.s  Strassburg  die  Verordnungen  und  Instruktion»  ii  ausfertige. 

Dieselben  wurden  am  2.  März  an  den  Sultan,  an  den  Tataren- 
chan, an  die  Könige  von  Frankreich,  Enghind,  Dänemark,  an  die 
niederländische  Bepublik,  an  die  helvetischen  Protestanten,  an  den 
Rath  von  Venedig,  an  die  Herzoge  von  Savoyen,  Mantua,  Oranieu 
auch  fertig.  Und  weil  Bethlens  Krankheit  bereits  Grqnd  zu  Besorg- 
nissen gab,  und  die  Ärzte  keine  Hoffiiung  zu  seiner  Herstellung 
hatten,  Hess  Strassburg  Rouselle  sich  eidlich  verpflichten,  dass  er 
die  Interessen  des  Schwedenkölligs  in  aller  Welt  mit  allen  ihm  zu 
Gebote  stehenden  Kräften  fördern  werde/ 

Der  Fürst  sandte  mit  den  Franzosen  Sigmund  Mikes  an  die 
Pforte,  und  diese  kamen  am  4.  April  dort  an.  Um  dieselbe  Zeit 
trafen  über  Ofen  auch  andere  (jresaadte  bei  der  Pforte  ein,  und  in 
der  zweiten  Hälfte  des  April  waren  hier  bereits  abenteuerliche  Ge- 
rüchte in  Umlauf  ;  BeÜilen  sind  15,000  Tataren  zugetheilt,  ein 
Heer  von  13,000  soll  Polen  angreifen.  Wenn  Ferdinand  BetUen 
angreift,  eilen  diesem  die  Saschas  Bosniens  und  der  unterworfenen 
Läudertheile  zur  Hilfe.  *  Die  Gerüchte  waren  verfrüht,  sie  kanieu 
aber  in  ihren  Verliandlungen  dennoch  vorwärts,  und  nachdem 
sie  die  ganze  Angelegenheit  ihrem  Wunsche  gemäss  wolil  hesorgt 
hatten,  verlieüdeu  sie  Ende  Juli  Konstautinopel,  reisten  jedoch  nicht, 

'  Sfrapsburg«  ohon  anf^ofiihrtf  Donkschritt. 

'  Kuefttteiufi  Beriebt  im  Archiv  der  Universitäte-Bibliothek. 


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482  UABUBIi  B£1IILE^  VKD  IIE  6CHWB0I6CUB  OIPLOIUIIB. 

BethleiiH  Anorcliiung  j^'eiuüss,  nach  Kiisslaud,  sondern  naeli  Hol- 
land. '  Dass  aber  ilu.s  Emlrcsiiliat  jeiien  llolliiiiiigcii  nicht  Put" 
H]>rai-]i,  zu  welclieii  man  sich  nach  deu  Autezedeiiti»'!!  bertchti^^ 
glauben  konnte,  haite  semen  Grund  in  der  hinrällig  gewurdenea 
Gesundheit  Beihleus,  in  der  zunehmenden  Hoffnungslosigkeit  sei* 
nes  Zustandes. 

V. 

Diese  TerhängnissvoUe  Krankheit  war  von  grossem  Einiiuss  auf 
die  politische  Aktion.  Sie  lähmte  die  Thätigkeit  derDiplonuten  de^ 
Fürsten  und  derjenigen,  die  das  Zusammenwirken  mit  ihm  in  ihre 

Kombinationen  aufgenommen  hatten,  andererseits  erliillte  sie  Ferdi- 
nands Hot' und  ungarliindiHeli*'  Part*M^;iu!j;er  mit  lloftiiungeii,  Erwar- 
tungen.* lustav  Adolf  hatte  jedoch  keine  Ahnung  hievon,  und  weil  bis- 
her  alle  seine  Friedensversuclie  an  Sigmunds  Halsstarrigkeit  scheiter- 
ten, legte  er  ein  Gewi(;ht  darauf,  Betblen  je  eher  in  die  Aktion  hereia 
zu  ziehen.  Er  liess  im  Winter  1628  einen  fisdirenden  Diplomaten  eine 
Rundreise  nach  der  Pforte  und  nach  Siebenbürgen  antreten. 

Dies  war  Wolmar  Fahrensbach,  einer  der  gescheidtesten,  aber 
verderbtesten  Abenteurer  des  dreissigjiihrigen  Krieges.  Einer  lit- 
thauisclum  Adtdsfamilie  entsprossen,  fiel  er  KiOl  in  sehwcdisolu« 
( iefangenschaft  und  verlebte  mehrere  dahre  in  diesem  Lande.  Ii<>>^- 
gekauft,  trat  er  in  kurläudische  Dienste,  ging  aber  von  dort  zum 
Schwedenkönig  über.  Gustav  Adolf  nahm  ihn  als  einen  tapfem 
Krieger  und  thatigen,  schlauen  und  gewandten  Diplomaten  got 
an£  Da  ihm  aber  seine  Unbeständigkeit,  ÜnTerlässlichkeit  und  sein 
Eigennutz  bekannt  war,  demzufolge  er  oft  von  beiden  Parteien  Geld 
nahm  und  keiner  von  beiden  diente,  liess  er  ihn  beobachten.  Dies 
merkend,  wurde  er  (10 14)  /.um  Verrät  her,  eutfloli  und  trat  in  pol- 
nische Dienste,  blieb  aber  auch  hier  nicht  Laug»',  somlt'i  n  kt  lirte 
wieder  zu  Gustav  Adolf  zurück,  der  ihm  verzieh.  Diesmal  hielt  er 
länger  bei  ihm  aus  und  wurde  am  15.  Nov.  1028.  in  einer  vertrau- 
lichen Mission  an  verschiedene  europäische  Höfe  geschickt. 

Er  ging  am  1.  Dez.  in  Gothaburg  an  Bord,  von  dort  nach  dem 
Haag  und  Uber  Boulogne  nach  Paris.  Von  hier  ging  sein  Weg  nach 

>  In  „Gabriel  Bethlens  leiste  Tage*'.  (Budapesti  S^mle.  N.  F.  Bd. 
YIl.  S.  218.  ff.)  ist  ihre  Oesandacliaft  ausfUhriich  beschrieben. 


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1  * 

aABBIlL  BKTULBM  UKb  DJB  atUWBi*Ii»tUK  VIVLOIUHE.  4t>3 

dVüt",  WO  er  am  17.  i'eljt  r  eintrat".  So Jaiin  reistt*  er  über  dit*  Stliweix 
iiat  li  Venedig,  wo  ihm  eiu  sehr  freundlicher  Empfang  ZU  Tlieil  ward. 
A.m  14.  April  weilte  er  in  Spalato.  Er  wollte  gradeswegB  nach  Sie- 
beubOrgen,  aber  der  Kaimakam  liess  ihn  wissen,  er  habe  strengen 
Befeh],  Jedermann  anzuweisen,  Torher  beim  Sascha  Ton  Ofen  yor- 
zusprechen.  Das  war  denn  aneh  mit  ihm  der  Fall,  und  er  langte  am 
7.  Mai  in  Üt'en  an.  Der  Bascha  eiuj>iing  ihn  freuiidseliaftlich  und 
drückte  sein  Heduuern  darüber  aus,  dass  er  nicht  zwei  Monate  frü- 
her gekommen  aei,  in  diesem  Falle  würde  der  diesjährige  Feldzug 
gegen  Polen  gerichtet  worden  sein.  Erst  auf  diesem  Umwege  konnte 
er  Anfang  Mai  seinen  Weg  nach  Siebenbürgen  nehmen. ' 

Eben  einige  Tage  Yor  seiner  Ankunft  Terliess  den  Hof  Beth- 
lens  Johann  Kery,  der  Gesandte  des  Palatins,  mit  der  Nachricht, 
dass  Bethlen,  sobald  er  genese,  zu  den  Waffen  greifen  werde,  weil 
er  auf  den  juilnischen  Thron  asj)irire,  und  dass  willucnd  seiner  Anwe- 
senlieitaii  seinem  Hofe  ein  schwedischer  (Gesandter  eingetroiVen  sei.'* 
Er  war  nicht  genau  ])enachrichtigt.  Falirensbach  befand äich  damals 
noch  unterwegs  und  traf  dort  erst  am  15.  Mai  ein. 

Bethlen  empfing  ihn  im  Beisein  Strassburgs  und  nahm  seine 
Beglaubigungsscbreiben  entgegen.  Es  war  von  der  OflfeusiYe  gegen 
Polen  die  Bede ;  Bethlen  sagte :  «der  König  m(")ge  sich  dessen  erin- 
nern, was  ich  ihm  diesbezüglich  durch  Dreiling  habe  sagen  lassen : 
Se.  Majestät  ist  in  der  Angelegenlie't  plum))eo  ])ede  vorgegangen." 
Die  Werbung  anl»elangend  entschuhligte  er  si»  h ,  wesshalb  er 
keine  Reiterei  habe  schicken  k(»nnen.  Und  auch  Fahrensbach  be- 
fttätigte,  dass  durch  den  letzten  Ausgleich  ein  grosser  Theil  der  freien 
Haidnken  unter  die  Botmässigkeit  des  Kaisers  gekommen  sei  und 
dass  auch  die  Oesinnungen  gegen  ihn  eine  grosse  Veränderung  er- 
litten haben,  so  dass  er  ohne  Wissen  und  Zustimmung  der  Pfortet 
besonders  jetzt  nach  dem  Abfall  des  M(ddaner  Woiwoden,  den  Krieg 
zu  beginnen  ausser  Stande  sein  würde.  '  Er  erwarte  die  Zustimmung, 
uud  sobald  sie  eiutn-tle,  werde  er  ])e.stimmteu  Bescheid  geben.  Wich- 
tiger, als  dies,  war,  dass  Bethlen  nicht  zuliess,  dass  Fuhrensbach  die 

*  Sein  norichf  an  (iustav  Adolf  im  Staatt^arcliiv  zu  Stockliolm, 

*  Ker^'s  Boricbt  iu  l'rays  i'rincipiitus  Uabr.  Bt  thl»  n.  II.  lOö. 

■  Von  «liescm  Gesinnuiigswechöel  der  Siebeubiirger  »chreibt  auch  Kery  : 
denelbe  hatte  Jedoch  kaum  einen  andern  Grund,  als  Bethlena  Kmakheit. 


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4S4 


UABKIEL  BmUini  UMb  DUt  Bt'UWKl>JbCS£  DIPLOMAT». 


für  ditrpolmscheu  Edelleute  mitgebrachten  Briefe  au  ihreu  Bestim* 
muugsort  gelangen  lasse.  Unter  solchen  UmstSiiden  fand  dieser  & 

uoth wendig,  die  begonnene  Unterhandlung  bei  der  Pforte  fortan- 

sttzen  und  bittet  um  l 'bersendung  der  hiezu  errorderliclieu  Mit(»d  - 
(icdd  uud  Vnllinaclit.  Er  l)liel)  bis  nach  dem  8.  Juui  bei  dem  Fürsten, 
welcher  sich  (gerade  in  diesen  Tagen  nach  Mühlbacli  zum  Landtag 
begab,  und  verliess,  nachdem  er  den  Major  Wit/.leben  mit  Instruc- 
tionen an  den  König  zurückgeschickt,  auch  selbst  Siebenbürgen, 
seinen  Weg  nach  Stambul  nehmend. 

Es  scheint,  dass  er  sieh  weder  selbst  wohl  befunden,  noch 
Vertrauen  einzuflössen  vermocht  habe.  Die  langwierige  und  schwere 
Krankheit  hatte  die  Kräfte  Bethlens  bereits  viel  zu  sehr  gebrochen, 
als  dass  ihu  dieser  i»  seine  Pläne,  Absichten  hätte  einweihen  kön- 
nen :  er  sah  nur  m(dir  die  Inline  des  jrrossen  Mannes.  Dies  ist  d^-r 
(irund,  dass  sowohl  Keiy  als  Fahrenabach  zur  Überzeugung  kamen, 
dass  Bethlen  seine  Popularität  einzubüääeu  anfange.  Die  alU'n 
Feinde  des  Fürsten  hoben  ihr  Haupt  in  d('nisell)en  Masse  höher 
empor,  iu  welchem  er  mit  seiner  schwindenden  Kraft  weniger  im 
Stande  war,  sie  zu  Paaren  zu  treiben  und  die  Zllgel  fest  in  den 
Händen  zu  halten.  Dies  verhinderte  ihn,  Bethlens  noch  immer  mäch- 
tigen Einfluss  bei  der  Pforte  seinem  yoUen  Gewichte  nach  würdigen 
zu  können,  darum  misst  er  demselben  eine  so  untergeordnete  Rolle 
bei.  Vielleicht  aber  auch  darum,  weil  er  als  Abenteurer  es  mit  der 
Wahrheit  nicht  genau  nahm.  Er  wollte  die  Sachen  in  der  Weise 
darstellen,  dass  das  Verdienst  der  voraussiclitlicdien  Erfolge  bei  der 
Pforte  zum  grossen  Theile  auf  «eine  Keclmung  falle. 

Dies  mag  auch  der  Grund  davon  gewesen  sein,  dass  er  sich 
mit  Strassbnxg  entzweite  und  diesen  bei  der  FOrstin  der  Art  an- 
schwärzte, dass  dieselbe  einen  wahrhaftigen  Anklagebrief  gegen 
Strassbuig  an  ihren  königlichen  Schwager  sandte.  Aber  sobald  er 
abgegangen  war,  kamen  seine  Verleumdungen  zu  Tage  und  Katha- 
rina nahm  ihre  Anklage  in  einer  feierlichen  Erklärung  zurÖck.' 

Dass  er  verleumdft  habe,  wurde  bald  auch  in  anderer  Weise 
offenbar.  £r  veräpielte  eine  grosse  iSunune  ihm  anvertrauten  Geldes 

'  Katharina»  Brief  vom  6.  Sept.  au  Gustav  Adolf,  im  schwedischen 
Staatsarchiv. 


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GABRIEL  BETIILEN  UND  1»IE  SCHWKni.HCHB  DIPLOMATIE.'  48.^ 

und  flüchtete  sich  zum  Kaiser  hinüber,  wo  (  tustav  Ailolf.s  Lelirlinge 
fremidliche  Aufiiahme  zu  finden  pflegten.  Als  eolcher  erhielt  auch  er 
eine  Verwendung.  Aber  sein  Übertritt  war  aneh  jetzt  kein  Tollständi- 
ger :  er  hielt  seine  Verbindungen  mit  den  Schweden  anfrecht  und 
machte  diesen  Tertranliche  Mittheilungen.  Darflber  ertappt,  wurde  er 
in  Regensburg  verhaftet  und  zum  Tode  verurtheilt.  Seine  Gemahlin 
wirkte  ihm  Begnadigung  aus,  doch  dieselbe  kam  zu  spät  au.  Als 
sich  nemlich  Fahrenshach,  von  Soldaten  umgeben,  dem  Kichtplatze 
näherte,  wollte  er  sich  mit  wahnsinniger  Verwegenheit  durch  die 
Menge  dorchhauen  und  fing,  seine  Httter  bei  Seite  stossend  und 
dem  Einen  das  Gewehr  entreissend,  zu  laufen  an,  wurde  aber  yon 
den  Soldaten  eingeholt  und  niedergesabelt ;  —  in  demselben  Momente 
langte  das  Begnadigungssehreiben  auf  dem  Bichtplatze  an. 

VI 

Rouselle  bereitete  bei  der  Pforte  Alles  gehörig  vor,  und  die 

erste  greifbare  Folge  davon  war,  dass  der  Moldauer  Wojwode  Ber- 
uavski  im  Muiiat  Juli  durch  den  Buscha  von  Bosiiieu  von  nciucui 
Stuhle  entfernt  und  an  .'seine  stelle  der  Wojwode  Alexand»r  ein- 
gesetzt wurde.  Auch  Bethlens  Truppen,  mit  denen  er  ül)er  die 
Theiss  ^hen  sollte,  sttinden  in  Bereif si  haft ;  bei  Szolnok  aber  er- 
wartete ein  türkisches  Heer  den  Marschbefehl  gegen  Folek  ^  Die 
freund«chaftliehe  Haltung  der  Pforte  gegenüber  dem  Schweden- 
könig wird,  —  meinte  Strassbnrg  —  auf  die  erfolgreiche  Durch- 
führung der  mit  den  Polen  begonnenen  Friedensunterhandluugeu  von 
Eintiuss  sein,  denn  die  erschrokenen  Polen  —  glaubte  er  —  werden 
in  der  Frage  der  Abtretung  Freussens  und  Livlauds  nachgiebiger 
werden.  Auch  ohnedies  sei  in  Polen  bereits  eine  mächtige  Partei 
gebildet  und  im  Falle  der  Erledigung  des  Thrones  werden  die  Nach- 
barstaaten darauf  bedacht  sein,  dass  denselben  Jemand  erhalte,  auf 
dessen  Freundschaft  sie  bauen  dfirfeu. ' 

Es  hatte  den  Anschein,  dass  der  Erfolg  dieser  diplomatischen 
Aetion  auch  durch  die  in  den  europäischen  Angelegenheiten  ein* 

'  StiaHslfUrgs  vorliliifi-^er  Bericht  im  sc-hwoiUBchen  Süiat«aichiv.  Vgl. 
„Osbriel  Hethlens  letzte  iHgc.'-  (Budapesti  Szeiule  Nr.  7.  VII.  S.  251) 
*  Strasgburgä  SchluBsbericbt.  Ebd. 


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48*>  GABRIRt  nSTIILEN  Uin>  HIB  SCIIWBniMIIR  UmAMltK. 

getret*;neii  IxMlciilsaiiu'n  W'ciulinvjr^Mi  g<'.si(  liert  \v<'h1<mi  würde.  I)a> 
TOm  Kaisf^r  am  Mllrz  1G2!>  erlassene  ,odictum  restitiitioiiis*'  öffnete 
auch  denjenigen  die  Augen,  die  bisher  nicht  einsehen  wollten,  wontnf 
das  Absehn  des  spanischen  Systems  in  Wirklichkeit  gerichtet  m. 

Der  am  22.  Mai  unterfertigte  Friede  tob  LflT^eek  seMed  dm 

Dancnk»*nii<i:  an.*«  dem  Verhande  der  Union,  Hess  aber  aneli  die  SMle 
des  Oberfeldherrn  unbesetzt,  welche  er  ausznfnllen  unveriiiögenJ 
war,  und  welche  bisher  eben  seinetwegen  keinem  anderen,  befäliig- 
teren  anverlraut  werden  konnte.  Wer  sein  Nachfolger  auf  dem 
Oberfeldhermposten  sein  werde,  darüber  konnte  kein  Zweifei  mehr 
sein,  als  Wallenstein  im  Frühling  1629  Amheim  nach  Frenssen,  in 
des  Poleuk5nigs  Dienste  sandte,  wo  dann  die  kaiserlichen  ond 
königlieh  schwedischen  Trupj>en  einander  bereits  gigenöber 
standen  :  das  war  das  Vorspiel  des  späteren  grossen  Kampfes. 

Eben  den  Augenblick,  wo  der  Kaiser  und  der  «Schnet  könig* 
einander  gegenüber  standen,  hatte  Bethlen  immer  herbeigeselint, 
und  als  dadnrch,  dass  die  Friedensverhandlungen  zwischen  GustsT 
Adolf  und  Sigmund  ernstlich  in  Angriff  genommen  wurden,  nur  schon 

ein  Scliritt  bis  dahin  war,  dass  der  Kriegsschauplatz  zwischen  den 
beiden  Mächten  nach  Deutschland  verlegt  werde  :  befand  .sich  1  Wil- 
len nicht  mehr  in  der  Verfassung,  Theilnehmer  am  Kampfe  werden 
zu  können.  £r  war  nicht  mehr  in  Stande,  sich  an  die  bpitae  seine^i 
Heeres  zu  stellen. 

Bei  Bethlen  begann,  infolge  des  langwierigen  and  angreifen- 
den Leidens,  neben  dem  Niedergang  der  körperlichen,  auch  die  intel- 
lektaelle  Kraft  zu  schwinden.  *  Die  Krankheit  gewann  die  Ober* 
liand  über  ihn  und  er  sah  es  auch  seihst  ein,  dass  lUr  ihn  das  Ein- 
treten in  die  Aktion  eine  T"nmr)gliciikeit  sei.  Er  fühlte,  dass  alle  «lie 
Pläne,  die  er  mit  solcher  Hingebung  gehegt  hatte,  an  seine  Person 
geknüpft  seien,  und  dass  nach  seinem  Ableben  Alles  das,  was  er 
von  der  Zukunft  gehofft  hatte,  in  Rauch  und  Dunst  aufgehen  weide. 
Aber  er  fühlte  auch,  dass  selbst  ein  Theil  seiner  Schöpfungen  wanke: 
es  war  ausbedungen,  dass  die  sieben  Komitate,  welche  ihm  der 
Nikolsburger  Friede  zugesprochen  hatte,  nach  seinem  Tode  zurück- 
fallen sollen.  »Sein  eventueller  Nachfolger,  wenn  er  seine  Politik 

*  StniMbargA  Donkschrift  im  Sfockholmer'ArchiT. 


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OABRIF.L  BETHLEN  TND  MK  S(  IIW  EI'ISCHB  DirLOMATIK.  4^7 

X 

-  befolgen  will  i'^t  gonnthi«^t  dort  zu  begiiuieii,  wo  or  l>f>g(>iii)Cii  hatte> 
Zu  seinem  Nachfolger  aber  war  seine  Gemahlin  noch  bei  seinen 
Lebzeiten  ge^^hlt  und  durch  die  Pforte  bestätigt  worden.  Er  hätte 
gewünscht,  dass  ihr  wenigstens  das  von  ihm  Erworbene  erhalten 
bliebe. 

Er  berieth  sieb  in  dieser  Angelegenheit  mit  Strassbnrg  und 
beschloss  die  nSthigen  Sehritte  zu  thnn,  dass  die  sieben  Komitate 

definitiv  zu  Siol)enbürgen  geschlagen  werden.  '  Tn  VerWiiidimg 
hiemit  aber  wollte  er  Alles  tlor  Art  einrichten,  dass  er,  falls  sein 
Tod  früher  einträte,  als  er  hoft'te,  Alles  iu  gehöriger  Ordnung  /.u- 
rQcklaasen  könnte. 

Am  31.  August  begann  er  seinen  letzten  Willen  zn  schreiben 
nnd  l)eschlo8S  an  die  Pforte  einen  Botschafter  zu  schicken.  Mit  die- 
ser Würde  bekleidete  er  Georg  Apafi,  dessen  Hauptaufgabe  die 
Erledigung  der  Frage  der  sieben  Komitate  war.  Gleichzeitig  wollte 
er  für  seinen  Plan  auch  dieTerlasslichsten  ungarlSndiscben  Grossen 
gewinnen,  und  berief  dieselben  zu  einer  Berathnng  nach  Gross- 
wardein,  wohin  er  sich  auch  selbst  begab. 

Strassbnrg,  welcher  einsah,  dass  sein  längeres  Vorl)leiben  an 
<ler  Seite  des  Sterlx-ndeu  keinen  Zweck  habf\  bat  nra  die  Erlaubniss 
zur  Heimkehr,  liethlen  erhob  keinen  Einspruch  und  auch  Katharina, 
welche  sich  überzeugt  hatte,  dass  er  von  Fahrensbach  schnöde  ver- 
leumdet worden  war,  sandte  am  6.  Sept.  an  ilu'en  Schwager  ein 
warmes  Empfehlungsschreiben  voraus. '  So  trat  Strassbnrg  am  15. 
September  seine  Heimreise  an,  aber  dnrch  die  gegnerischen  Lander 
konnte  er  nur  langsam  vorwärts  kommen.  Am  22.  November  traf 
er  in  Riga  ein.  Aucb  hier  mnsste  er  sich  längere  Zeit  aufhalten 
und  konnte  nur  auf  Umwegen  weiter  reisen.  Anfang  Januar  1630 
gelangte  er  nach  Upsala,  von  wo  er  seinem  Herrscher  durch  Salvins 
Xfichrichton  sandt«*.  Nachher  begab  er  sich  auch  selbst  zn  ihm  hin, 
un<i  erstattete  miuulHcli  und  scliriftlieh  Bericht.  Damals  war  Heth- 
leu  schon  längst  nicht  molir  unter  den  Lebenden,  und  auch  in 
Siebenbürgen  selbst  waren  uamhaite  Veränderungen  vorgegangen. 

'  Die  von  Str;iH"»burg  oiugoroichton  Punkte  im  schwediHuheu  ^^taiitü' 
Archiv. 

'  Original  im  gchwedischen  Rttatd- Archiv. 


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488  I)ENKBEr»B  AUF  WILUA31  ^TEPHliM  ATklNSOK. 

Strassblirg  spricht  in  s('in(  r  D<^jik.selmt't  von  Itethl«  !!  im  Tone 
dt'r  höclisteu  Anerkennung  uuil  Verehrung.  Er  hatte  während  sei- 
nes langwierigen  Verkehres  mit  ihm  seine  guten  Eigenschaften, 
5<eine  Thatkraft,  seinen  festen  Charakter  nud  seine  staatsmännische 
Weisheit  kennen  gelernt.  Da  er  die  Yerhältnifise  ans  der  Nahe  sah 
und  allm&hlich  in  einen  grossen  Theil  seiner  FiSxie  eingeweiht 
wurde,  war  er  in  seiner  Auffiissnng  billiger,  anerkennender,  als 
Diejenigen,  die  bloss  nach  den  Erfolgen  oder  nach  dem  Schein  lu^ 
theilten.  Er  wurde  aber  zugleich  mit  seiner  ganzen  Unigebimg,  mit 
Meinen  Tlofleuten  bekannt  und  gelangte  durch  diese  in  deu  Besitz 
vieler  werthvollen  Daten.  Auch  der  Fürst  selbst  würdigte  ihn  des 
ausserordentlichen  Vertrauens,  dass  er  ihm  seine  Memoiren  mit- 
theilte, und  er  beschloss,  auf  Grund  dieser  und  der  anderweit  ge- 
wonnenen Daten,  seine  G^ehiehte  zu  sehreiben  und  zu  verSifent- 
lichen.  «Ohne  Parteilichkeit,  mit  historischer  Wahrheit  wollte  er 
sie  schreiben;  er  wollte  der  Naohkomroenschaft  den  zwar  edel- 
geborenen,  aber  armen  Privaten  vor  Augen  führen,  der,  sich  über 
die  Wandelbarkoit  des  (ilückes  hiiiweghebeud,  ohne  Verwandten- 
bülfe.  Intriguen,  Protektion  und  Pnpnlaritiitshascherei,  aus  niedri- 
g(Mn  Loose  zur  höchsten  Stufe  des  Ruhmes  und  der  Würde  empor- 
stieg, was  in  der  Tluit  seit  .Tal irhunderten  nicht  geschehen  war.* 

Ob  er  dieses  Werk  habe  drucken  lassen,  wissen  wir  nicht. 
Dass  er  es  aber  geschrieben  habe,  beweist  das  erhaltene  BmchstQck 
desselben.  Die  Historische  Commission  unserer  Akademie  wird  so- 
wohl nach  diesem  Werke,  als  auch  nach  Bethlens  Commentarien 
forschen  las'ien.  Sollte  diese  Forschung  von  Erfolg  gekrdnt  werden, 
so  würde  dies  kein  alltäglicher  Gewinn  ftir  unsere  Geschichtsfor- 
schung sein.  Ar.EXANDER  ÖZIUGYI. 


DENKim^E  AUF  WILLIAM  ÖTEPHEJIi  ATKINSON. 

VoK  Dr.  THEODOR  DÜKA.* 

Geehrte  Akademie  l  Noch  nie  empfond  ich  tiefer  den  Mangel  an 
Kraft,  als  indem  ich  von  der  geehrten  Akademie  der  Wissenschaften 

*  Oelesen  in  der  r!(>s:iniiiit8iteuug  der  ungarischeu  Akademie  der 
Wistteodc haften  am  30.  Mai  lääl. 


uiyiii^cü  Uy  Google 


DBNEBBDI  IUP  WILLUM  8TIPBBS  ATKBMOK.  481^ 

(leu  ehreinv  »'ithen  Aul'tnig  erhielt,  icli  luÖge  eine  Denkretle  uut  ein 
ver^torbeues  Mitglied  balteu,  desseu  Nameu  und  Thütigkeit  wohl 
Mehrere,  den  aber  persöulich,  wenn  ich  nicht  irre,  ausser  mix  nie- 
mand kannte.  Auch  mein  Verhältniss  zu  ihm  war  nur  ein  entferntes ; 
nichtsdestoweniger  will  ich  dem  mich  ehrenden  Aufrufe  gehorchen, 
obwohl  ich  mir  der  Unfähigkeit,  dem  Gegenstande  vollkommen  zu 
'  entsprechen,  bewusst  bin.  Ich  thue  dies  nicht  blos  der  ehrerbieti- 
tjeu  Gefühle  halber,  welche  jeder,  der  mit  dem  verstorbenen  Ge- 
lehrten verkehrte,  gehegt  hat,  Huudern  weil  es  mir  auch  eine  ange- 
nehme (ielegenheit  bietet,  die  Krinnertmgen  jenes  Welttheiles 
wach  zu  rufen,  mit  dem  die  ))estoii  Jalire  meines  Lebens,  beinahe 
durch  ein  \'iertel-Jahrhundert  hindurch  verknüpft  waren,  und  an 
den  mich  noch  immer  so  viele  Interessen  und  das  liebe  Andenken 
so  vieler  Gefahren  fesseln.  Die  Erfahrung  lehrt  im  menschlichen 
Leben  oft,  dass  der  Glanz  des  Resultates  die  wirkungsvollen  und 
emsten  Bestrebun^n  des  menschHehen  Ringens  nur  seiton  mit 
schön»'ii  Krt'olgon  knhit.  Die  Erreichun«^  jenes  Kreises,  aus  dessen 
S|diiin'  der  Lorbeer  der  Unsterblichkeit  winkt,  pflegt  nicht  jedes 
ringende  Genie  mit  seinem  i)eneidenswerthen  Kranze  zu  zieren. 
Die  Kraft  bricht  vielleicht  an  der  Schwelle  des  Zielpunktes,  oder 
das  Leben  erir»8cht  bevor  der  nach  Gutem  und  Eldlem  strebende 
Sterbliche  die  Schwelle  des  Tempels  der  ewigen  Fama  erreicht 

Aus  diesen  Gesichtepunkten,  geehrte  Akademie,  mQssen  wir 
das  Leben  Atkinson^s  betrachten;  wir  mfissen  jene  einseinen  Re« 
snltate  des  rastlosen  Streben«  des  Verblichenen  sammeln,  die  er  in 
seiner  Stellung  aufzuweisen  hatte,  und  welche,  wenn  auch  keine 
bewun«lernswürdige  ( iliui/punkte,  doch  d:is  redliehe  Wirken  einer 
edlen  Öeele  und  den  eutaprecUeudeu  Nutzen  seiner  Lebensaufgabe 
klar  zeigen. 

William  Stephen  Atkinson  wurde  im  September  des  Jahres 
1820  in  Chesterton,  Distrikt  Suffolk,  in  England  geboren,  wo  sein 
Vater  Thomas  anglikanischer  Pfarrer  war.  Den  Klementar-Unter- 
richt  genoss  er  im  vaterlichen  Hause,  und  da  er  der  Erstgeborene 

war,  wurde  viel  auf  seine  Ausbildung  verwendet.  Früh  entwickelte 
^ieh  in  ihm  die  Liebe  zu  den  Xiiturwissenselialteii  und  diese  Nei- 
gung wurde  noch  stärker,  als  sein  Vater  in  die  benachbarte  Uu- 
geiej  Diöcese,  in  die  Umgebung  der  ausgebreiteten  Canuock- 

UagMfMk*  atme.  IMl.  VI.  Heft.  32 


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490 


nniRSKOB  AW  mUAAM  4TBPREX  ATKINWir. 


Chane-er  Kohleu-BiM-^werk«  venetet  wurde.  Hier  rerbraehte  der 

junge  Atkinson  die  ^^orcrenlosen  Jahre  seiner  Jugend,  und  hier 
legte  pr  jon»*  SehiiK'ttf^rliiig-Saminluii^^  an,  welche  später  so  gross- 
artij^  wiirrl«'.  in<l»Mu  sie  micli  die  Tiiieina-Kiasse  enthielt,  welch»* 
ilim  imter  einem  anderen  Himmelsstrich  einen  interessanten  (ie- 
geustand  zur  P^orschung  bot. 

Unter  der  Aufsicht  und  Leitung  seiner  Eltern  verbracht«? 
Atkinson  auch  seine  Jttnglingsjabre,  bis  er  im  19.  Lebensjahre  als 
Akademiker  ins  Trinity-Gollege  der  Cambridger  ünirersitSt  auf- 
genommen wurde  und  hier  wegen  seines  ausdauernden  Fleisses 
ein  Stipendium  bekam  und  drei  Jahre  spftter  1843,  auf  Grund  der 
Schlu.s.s}>rütiingeu  als  Wrangler  (mit  Auszeichnun<r)  des  mathema- 
•tischen  Tripos'  »gewürdigt  wurde.  Nach  dif'ser  t-rloli^reiclien  13een- 
diginiff  seiner  Üniver.sitäts-Laufhahn  blieb  er  iiocli  einige  Zeit  in 
Cambridge  als  Correpetitor.  Später  kam  er  nach  London  und 
wollte  sich  zum  Ingenieur  ausbilden.  Während  des  Aufenthalt<*s  in 
der  Hauptstadt  erhielt  er  einen  Antrag  aus  Ost-Indien,  die  Di- 
rection  des  La  Martini^re-CoUegrinms  in  Calcutta  zu  übernehmen. 
Hierauf  reiste  er  im  November  1854  nach  seinem  neuen  Bestim- 
mungsort gegen  Bengalien;  im  Juli  des  n&chsten  Jahres  wurde  er 
•  Mitglied  der  dortigen  Asiatic-Societj  und  einige  Monate  sp&ter 
zeichnete  ihn  diese  gelehrte  ^Tesellschaft  dadurch  ans,  dass  sie  ihn. 
als  Arthur  Grote  abdankte,  zu  ihrem  Secretär  wählte.  Der  Freund- 
lichkeit dieses  eben  «genannten  ehrenwerthen  Mitgliedes  verdanke 
ich  es,  dass  ich  die  zu  erwähnenden  Daten  benützen  konnte. 

Vom  Anfang  des  Jahres  185.*)  bis  Ende  1874,  also  ungefähr 
zwanzig  Jahre  wirkte  unser  Terstorbener  College  in  Ost-Indien 
und  zwar  auf  dem  schönen  aber  schwierigen  Gebiete  der  Erzie- 
hung. Die  ersten  fOiif  Jahre  yerbrachte  er  als  Direktor  des  La  Mar- 
tini^re-Collegiums  in  der  Hauptstadt  des  Reiches,  in  Calcutta,  die 
letzten  f(infzehn  Jahre  auf  einem  viel  glänzenderen  Posten  als 
Oljer-Direktor  —  ich  möchte  sagen  Minister  des  bengalischen  Lu- 
terrichts-Wesens. 

Jenes  überseeische  Kiesen-Reieh  (iross- Britanniens,  dessen 
Bewegungen  nicht  nur  die  Besorgniss  seiner  Herrscher,  sondern 
das  aUgemeine  Interesse  der  ganzen  Welt  wachrufen  können,  um- 
&8st  heute  schon  mehr  als  anderthalb  Millionen  englischer  Meilen 


OBKKXBDiS  IVF  WJIXUV  STRPHEK  ATKINSOK.  491 

mit  einer  BeTÖlkeruii^  von  übfr  250  Millionen,  welche  Menschen- 
Masse  »Inrch  ein  lliiuHein  (kunni  ir)(»,0OU)  Europäer,  also  durch 
ein  freiQiles  Element  regiert  und  beeiiiflusst  wird. 

Es  iat  dies  eine  einzige  Erseheinang  in  der  Weltgesehichte, 
die  am  besten  beweist,  dass  in  der  Gestaltung  der  Staats-Verh&lt- 

ni.'^sp  nicht  innner  die  zahlreiche  Nation,  sondern  vielmehr  ein  gut 
dnrclulachtcs  und  mit  grosser  (leschickiichkeit  geleitett-s  h'pgie- 
rungs-System  die  Massen  anzieht  und  selbst  dort  ein  friedfertiges 
Element  schalt,  wo  vordem  durch  Jahrhunderte  dauernde  Kämpfe 
and  Kriege  gewfithet  haben. 

In  dem  so  einti^erichteteii  Staate  ist  jedes  zur  Kegierungs- 
Kaste  gehörende  Individuum  ein  Fact4)r,  mit  dem  zu  rechnen  ist, 
und  seine  Wirkung  ist  in  einem  solchen  Masse  eingreifend,  dass 
man  sich  in  anderen  Ländern  unter  anderen  Staats- Verhältnissen 
kaam  einen  richtigen  Begrift'  darüber  machen  kann,  üm  also  den 
Wirkungskreis  Atkinson^s  des  Näheren  betrachten  zu  können, 
mnss  ich  um  die  Nachsicht  der  geehrten  Akademie  bitten,  indem 
ich  mich  zu  scheinbar  weiterliegenden,  aber  fttr  meinen  Zweck 
doch  erforderlichen  Bemerkungen  genÖthigt  sehe. 

Ich  erwähute  die  Hochschule  La  Martini^re,  an  der  Atkinson 
seine  ostindisehe  Laufbahn  begann*  Dieses  Institut  hängt  mit 
einem  Namen  zusammen,  der  nicM  nur  im  brittischen  Reiehe,  son- 
dern auch  in  seiner  französischen  Heimath  einigen  Ruf  hat;  es  ist 

der  Name  des  glückliehen  Abenteurers  und  Sonderlings  General 
Claude  Martin.  Er  spielte  zu  jener  Zeit  eine  Rolle,  als  die  Macht 
der  Portugiesen  in  den  östlichen  Meeren  durch  die  Franzosen  ge- 
brochen wurde,  und  diese  letzteren  einen  Kampf  auf  Tod  und  Le- 
ben gegen  den  immer  steigenden  Einfluss  der  Engländer  führen 
mussten.  Martin  wurde  zu  Lyon  im  Jahre  1735  geboren  und 
wurde  englischer  Kriegsgefangener,  —  gerade  so  wie  einige  Jahre 
nachher  der  spätere  schwedische  König  Bemadotte  in  der  Schlacht 
▼on  Caddalor  in  Misore,  wo  die  Franzosen  die  Verbündeten  des 
8ultans  Tippu  warcu,  um  25.  Juni  1785  als  Feldwebel  gefangen 
genommen  wurde.  Auch  Martin  wurde  als  (Jemeiner  mit  seinem 
Regiment  nach  Indien  geschickt,  trat  aber  nach  Ubergabe  der 
Festung  Pondichery  im  Jahre  1778  in  englische  Dienste,  ayancirte 

38» 


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4ft5f  nEXKREDE  AÜP  Wn^LIAM  STEPimN  ATKTNSON". 

stiiirnniässig,  bis  er  179(i  General  wurde  und  im  ersteu  Jahre  de« 
jetzigen  Jahrhundertes  in  Liickno  starb. 

Martin  hatte  sich,  so  wie  andere  europäische  Abenteurer  in 
jener  Zeit,  in  Ost-Indien  ein  riesiges  Vermögen  erworben;  in  den 
letzten  Jahren  seines  Lebens  war  er  Kaufmann  und  versorgte  den 
König  Ton  Oude  und  andere  indische  und  mohammedanische 
<^erende  Häuser  und  auch  reiche  Herren  Indiens  uiit  europäischen, 
l>esondHrs  französischen  Tjuxus-Artikelii.  Das  auf  diese  Art  p^esani- 
raelte  Vermögen  erschien  vselbst  im  Osten  als  fabelhaft,  denn  ilic 
Summe,  die  er  zur  rirlindung  einer  Hochschule  spendete,  betrug 
sammt  Zinsen  eine  Million  in  ßupi ;  nach  englischem  Werthe  wir 
dies  im  Jahre  1832  mehr  denn  100,000  Pfund  Sterling.  Dies  war 
aber  nur  ein  geringer  Theil  seines  immensen  Vermögens.  Zur  Cha- 
rakterisimng  Martinas  diene  noch,  dass  er  in  der  Stadt  Lnckno 
einen  befestigten  Palast  bauen  liess,  in  dem  er  mit  seiner  zahlrei- 
chen Familie,  welch«'  nach  Mohammedaner- Art  eint^erichtet  war, 
durch  mehrere  Jahre  in  Luxus  lebte.  Da  er  eriahren  hatte,  da!<s  ilcr 
König  von  Luckno  die  Aneignung  dieses  grussartigen  Baues  plante, 
so  spielte  er  ihn  derart  ans,  dass  er  in  der  Mitte  des  Palastes  den 
Plata  für  sein  eigenes  Grab  bestimmte,  wo  er  seinem  Wunsche  ge- 
mäss auch  begpraben  wurde.  Auf  diese  Weise  erreichte  er  auch  «ei- 
nen Zweck,  da  wie  man  weiss,  ein  treuer  Diener  des  Profeten,  and 
ein  solcher  war  auch  König  Oude,  sich  in  keinem  Hause  nieder- 
lässt,  in  dem  einmal  ein  todter  Körper  begraben  wurde.  Ein 
Schriftsteller  jener  Zeit  sagt,  dass  Ueneral  Martin  nach  christliflu-ii 
Begriiien  ein  unmoralisches  Leben  geführt  hat ;  in  seiner  Jugend 
war  er  wohl  römisch-katholisch,  aber  damals  bekannte  er  sich  xu 
keinem  Glauben.  In  seinem  sonderlichen  Testament,  welches  in 
schlechtem  .Englisch  abgefasst  ist,  gibt  er  einige  Voltaire^sehe  Ge- 
danken ttber  die  Lehren  des  Glaubens  und  dessen  Priester  mm 
Besten.  „Nachdem  ich  aber*,  sagt  er  unter  anderem  ^auch  die  Leh- 
ren anderer  Religionen  geprüft  und  auch  diese  ans  so  Ifteherfieben 
Ceremonien  l)t'stehejid  gefunden  habe,  wie  jene,  in  der  ich  erzogen 
worden  bin*,  so  kelirte  er  daher  wenigstens  dem  Namen  nach  /um 
(tlauben  seiner  Kindheit  zurück,  ohne  seine  Überzeugung  und  Le- 
bensweise geändert  zu  haben.  Da  er  sich  aber,  so  sagt  er,  in  Folge 
seiner  Studien  ttberzeugtei  dass  alle  Beligionen,  die  er  kennti  die 


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DENKREDE  AUF  WILLIAM  STEPHEN  ATKINSON.  493 

Baimherzigkeit  gegen  dit*  Annen  empl'elüeu,  uud  da  er  die  Fehler 
aeiiies  Lebens  in  dieser  Uiiinicht  offen  eingesteht :  so  verordnete  eri 
«Um  ein  Theil  seines  VennSgens  zu  ehnsfclichen  Eriuehungs- 
Zwecken  Terwendet  werde.  In  Folge  dieees  Testaments  Ufiht  eine 
La  Martiniero-Eniehnngsanstalt  in  seiner  Geburtsstadt  Lyon  uud 
zwei  in  Ost-Indien ;  an  das  berOhmteste  dieser  Institute  wurde  At» 
kiuson  als  Direktor  berufen. 

Im  Jahre  1860  eröffnete  .sich  ihm  ein  grosserer  Wirkungs- 
kreis. Fünf  Jahre  ))lieb  er  in  seinem  ersten  Amte  an  der  Martinii're, 
und  waltete  dessen  mit  solcher  AusKeichnung,  da^s  der  Gouverneur 
▼on  Bengalien  ihn  des  höchsten  Postens  der  Untenichts-Lauf  bahn 
würdigte.  So  wurde  er  als  Direktor  of  Public  Instmetion  mit  der 
höchsten  Leitung  der  Ersiehung  als  Ünterriehts-Minister  betraut 

Unter  der  Regierung  Lord  Pahnerston^s  im  Jahre  1854 
wurde  jenes  wiehiage  Ediet  erlassen,  auf  Grund  dessen  die  ostin- 
dische  Uegieriing  in  allen  drei  Gouvernements  ihres  Reiches,  näm- 
lich in  Bengal,  Madras  und  Hombay  zuv  Organisation  des  allge- 
meinen Volks-Ünterrichtes  angewiesen  wurde.  Ks  wurde  die  Kr- 
riehtung  von  drei  Universitäten,  von  Hoch-  und  Mittelschuleii  nach 
europäischem  Muster  und  der  Beginn  des  Elementar-Unterrichtes 
angeordnet. 

Es  ist  dies  ein  riesiger  Gedanke  und  noch  riesiger  ist  dessen 
Ausftdiranj^  durch  ein  fremdes,  kleines  Element,  besonders  wenn 

wir  in  Betracht  ziehen,  dass  die  indische  Gesellschaft  im  Allgemei- 
nen, bescmders  auch  die  Urentwicklung  jenes  Volkes  ihren  Ur- 
sprung  in  der  arisrJien  Geniehule-i  'onstitution  hat,  und  auch  heute 
noch  in  dieser  seine  nationale  Entwickeluug  fortsetzt. 

Menü,  der  uralte  Gesetzgeber,  begründete  vor  dreitausend 
Jahren  jene  einfnehe  gesellschaftliche  Einheit,  welche  Ton  der  indi* 
sehen  Kation  pietätsyoll  bewahrt,  die  Stfirme  so  vieler  Jahrhun- 
derte überdauern  und  in  ihrem  Chrnnde  bis  heute  unversehrt  beste* 
heu  konnte.  Diese  voiksthümliche  Institution  blüht  be.sonder8  in 
jenen  Provinzen  Hindostan'«,  wo  sie  vom  EinHuss  des  Islam  frei 
geblieben  ist.  Eijen  weil  dieser  Organismus  so  einfach  ist,  konnte 
er  sich  in  seiner  interessanten  Echtheit  erhalten.  Einige  Ähnlich- 
keit hat  mit  ihm  der  russische  Mir. 

Auf  den  unübersehbaren  reichen  Ebenen  Hindostan's  seiht 


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494  DENKBEDE  AUF  WILLIAM  .STEPHeN  ATKIN.<<OH. 

der  Waiuh^rer  kleiinTc  ntlcr  ^rösst  iv  [»anniLrnn<pen  in  der  Ferne, 
welche  meist  au«  den  Palraenbauiuen  üeus  rt  lif^iosu  nud  iudica, 
mango  mangifera  und  der  borassus  fiugelliformis  bestehen  :  man 
glaubt  es  waren  öde  Huiue,  in  Wirkliclikeit  sind  es  aber  schatten^ 
leiehe  Baume,  unter  denen  die  einfachen  Wohnungen  der  Bflrger 
der  indischen  Gemeinde  ein  Schutzdach  finden.  Eine  solche  Colo- 
nie  ist  ein  £drnlein  in  dem  Gemeinde-System  Menu*s. 

Die  Nothwendigkeit  der  Entwickelung  eines  derartigen  Sys- 
tems unter  dem  tropiscben  Klima  sieht  man  leicht  ein,  wenn  man 
bedenkt,  dass  dort  der  Kanipt"  des  Mensehen  mit  den  El«'in«'iiti  n  in 
mancher  Hezielninj:^  viel  wichti^rer  ist,  als  unter  den  nrudlicliereii 
Breitegraden.  Die  glühende  ►Sonne,  welche  in  der  heissen  Jahres- 
zeit von  £nde  März  bis  Anfang  Juni  unsere  Uuudstage  Ix  i  Wei- 
tem übertrifft,  sendet  ihre  Strahlen,  und  wenn  die  von  Nord-Ost 
kommeoden  Monsun* Winde  im  Juni  den  Himmel  nicht  mit  schwe- 
rem Gew6)k  bedecken  würden,  genügte  die  Hitze  einiger  Wochen  im 
Jnli  oder  gar  August,  um  die  Ernte,  die  Nahrungsmittel  so  vieler 
Millionen  zu  vernichten,  und  es  entstünde  jene  verheerende  tro- 
pische llungersuoth,  von  welcher  die  National-Oekonomen  zu  be- 
haupten rtnran;j;en.  dass  sie  im  Osten,  gerade  wie  die  Pest  und  der 
Krieg,  ein  natilriichcs  i*ostiilat  des  WeU-Svstenis  zur  Verhinderung' 
der  Übervölkerung  sei.  Die  gewöhnliche  regnerische  Jahreszeit 
dauert  von  Juni  bis  Ende  September  und  Uberschwemmt  alsbald 
die  Ebenen.  Der  Verkehr  in  Unter-Bengalien  geschieht  zu  dieser 
Zeit  meist  durch  Kühne;  das  Wasser  erquickt  die  Pflanzenwelt 
und  befruchtet  auch  die  in  Gärten  umgewandelten  höheren  Reis- 
felder. Wenn  daher  der  Landmann  seine  Saaten  brach  liegen  Hesse, 
so  würde  der  Tiger  und  das  Rhinoceros,  sogar  der  wilde  Elefant 
dieselbe  als  seine  Trheimath  in  Besitz  iiehnion.  Es  ist  also  leidit 
begreiflich,  dass  man  die  Elieneu  Heugaliens  nicht  in  Weiden  oder 
ausgedehnte  englische  Parks  mnändern  kann.  W  o  sich  der  Mensch 
niedergelassen  hat»  dort  muss  er  bleiben  und  ohne  Unterlass  seine 
Felder  bebauen,  —  schon  ans  Öelbstwehr  <^«'gen  die  wilden  Thiene. 

Die  Verfassung  der  uralten,  reinen  Hindu-Gemeinden  beruht 
auf  der  Gesammtheit  der  Familien-H&upter ;  diese  entscheiden  Über 
die  Rechtsfragen  der  Einwohner  in  den  Pantschajat  d.  i.  ans  fünf 
Friedensrichlem  bestehenden  CoUegien.  Der  Versammlungsort 


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vMmmim  Avt  wuaiam  sibprih  athssoh. 


495 


dieser  Pant.schajat  ist  der  kühl«'  Si-liutteii  eines  grossen  BuunicN  in 
der  Haii|)tM(ra8se  der  ( ioiiieiiide,  l)i<'  Zeit  der  Versammlung^  ist  der 
Irühe  Morgen  oder  eine  .späte  Abendstunde.  Die  Mitglieder  der  Ge- 
meinde sind  luisscbliesslich  Landlente;  einen  Gutsbesitzer,  nach 
ocddenialischem  Begriff,  gibt  es  nieht ;  wohl  aber  Vermittler  zwi- 
schen der  Regierang  und  Ffirsprecher  des  Volkes  bei  dieser,  die 
Mandaten,  die  die  Interessen  des  Volkes  yerÜieidigen.  Da  man 
durch  den  Landbau  allein  jeden  Bedarf  der  Gemeinde  nicht  decken 
kann,  so  werden  auch  Handwerker,  Religionsdiener  und  Lehrer  als 
ergänzender  Thcil  dieser  demokratischen  Republik  autgenommen. 

Heim  Eingänge  der  <M'meinde.  welche  wie  so  viele  Dörfer 
unseres  Tieflands,  aus  einer  Hau)»tstrasse  besteht,  l)eHn(let  sich 
auf  einem  kleineu  Hügel  die  Werkstätte  des  Tiipfers;  hier  betreil)t 
der  Töpfer  der  Gemeinde  von  Geschlecht  auf  Geschlecht  sein  Hand- 
werk ;  hinter  den  Hutten  sehen  wir  unter  blühenden  Baumalleen 
die  oinÜMshen  Webegeräthe,  derart  dass  sich  oft  mit  der  Farbe  des 
bunten  Gewebes  der  Wohlgeruch  der  herab&Uenden  Blumen 
mengt.  Auf  der  anderen  Seite  der  Gasse  formt  der  Kupferschmied 
sein  Erz  in  Form  einer  Schate  oder  yon  Tellern,  und  wenn  es  auch 
einen  Silbersehmied  im  Dorfe  gibt,  so  verfertigt  er  für  ilie  reit-he- 
reii  Familien  die  theueren  Schmncksaeben.  Am  KmU'  des  Durfes 
steht   der  Tempel  der  Gemeinde  mit  stinem  Pyramidal-Thurme, 
dessen  Zinne  die  dreizackige  Gabel  V' ischnu^s  ^iert ;  neben  dem 
Tempel  befindet  sich  auch  der  Teich  der  (Gemeinde,  dessen  Ober- 
iliche  meist  die  breiten  Lotus-Blätter  und  Blüthen  bedecken.  Hie- 
her kommen  die  Weiber  der  Gemeinde  in  den  Nachmittagsstunden, 
ihre  Gefisse  su  füllen,  die  sie  dann,  zwei  bis  drei  an  der  Zahl,  auf 
dem  Kopte  nach  Hause  tragen  :  gegen  Abend  treibt  der  Mann  die 
Kuli  und  das  Zugthier  nach  Hause,  die  Webe-Maschinen  werJen  in 
Ordnung  gel)ra(  lit,  die  \\  erkslätten  feiern,  die  Thiiren  der  Hiiusi  r 
werden  verschlossen:  die  Dämmerung  d;iuert  in  den  tropischen  Ge- 
genden nur  einige  Minuteji.  und  den  liusteren  Abend  erhellt  das 
Licht  des  einfachen  ()hltiegel8.  Nach  dem  Nachtmahl  werden  die 
heroischen  Lieder  des  Mahabrata  oder  Ramayana  gesungen,  bis 
endlich  alles  stille  ist  und  nur  die  wohlbekannte  Stimme  des  Nacht- 
wäehters  Temommen  wird,  znm  Zeugniss  dessen,  dass  auch  dielier 
treue  Diener  des  Dorfes  das  von  seinen  V&tern  geerbte  Amt  pflicht'- 


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496  D£NKK£ü£  AUF  WILUAM  STEPHXN  ATHNSON. 

I 

getreu  erfüllt.  Beim  Soimenautgiing  wÜHclit  nicli  jeder  Hindu,  wo 
möglich  im  Wasser  des  Gauga  oder  eines  andereu  heiligeuiötromes» 
betet  seine  Mantra's  zu  den  achützenden  Hausgöttem  und  setii 
seine  gestern  unterbrochene  Arbeit  fort. 

So  lebt  das  einfBche  indische  Volk  in  seinem  alteonstitatio- 
nellen  Dorfe,  an  dem  weder  die  gegenseitige  Fehde,  noch  die  dureh 
Jahrhunderte  dauernde  Fremdherrschaft  eine  empfindliche  Veran-  | 
deriing  verursachen  konnte.  Die  (Tlückseligkeit  des  Volke.s  besteht 
im  Keize  seiner  einfar  lien  und  sparsamen  Lebensweise :  die  C^icllc 
seiner  nationalen  Cultux  sind  die  heroischen  Lieder  seiner  ui*aheu 
Religion,  deren  strenge  Regeln  zu  beachten  und  dieselben  pflicht- 
getreu  zu  erfüllen,  die  einzige  Aufgabe  des  guten  Hindu  in  diesem 
Leben  ist ;  er  findet  im  Ramayana  und  Mahabrata  in  ganzer  Voll- 
kommenheit all  das,  was  nach  seinem  Begriffe  Literatnr,  Kunst, 
OiTilisation  in  sich  sehliesst.  Unter  solchen  Einflüssen  erstarkte 
jene  hundert  und  aber  hundert  Millionen  zählende  Menschen- 
fauiilie,  von  der  ein  neuerer  englischer  (lescbiehtsHchreiber.  abwei- 
chend von  Lord  Macaulay  sagt,  dass  wir,  alle  Umstände  in  Hj-trai  ht 
gezogen,  mit  Hecht  fragen  können,  ob  es  wohl  auf  dieser  Erde 
einen  zuTOrkommenderen  und  intelligenteren  Volksstamm  als  die 
'Bewohner  Ost-Indiena  gebe?  «Der  Hindu  ist  heiter,  nachgiebig, 
gesellig  und  meist  liebenswfirdig ;  unter  sich  behandeln  sie  ihre  Kin- 
der mit  ausgezeichneter  Liebe,  —  mit  yieUeicht  libertriebener 
Nachsicht ;  sie  bezeugen  tiefe  Ehrftircht  gegen  ihre  Eltern  und  die 
Greise:  die  Wohlthätigkeit  und  d;is  Erbarmen  ist  ein  strenges  •le- 
bot  ihres  (ilaul)ens;  unter  einaniler  sind  sie  aufriobtig,  in  ihrer 
Beschäftigung  Heissig  und  in  Sachen  des  Glaubens  —  wenn  sie 
nicht  ein  besonderer  Grund  zum  blinden  Eifer  verleitet  —  tole- 
rant* (Meadows  Taylor.)  Die  englische  Regierung  griff  daher  zur 
Lösung  keiner  geringen  Aufgabe,  als  sie  dem  durch  so  riele  Jahr- 
hunderte entwickelten  und  noch  heute  hunderte  von  Millionen  um- 
fiMsenden  alten,  wohl  nicht  genug  praktischen,  jedoch  in  sich 
selbst  VüllstäJidigen  nationalen  Leben,  die  tieniden  Tiinzipien  der 
westlichen  Cnltur  und  Erziehung,  wenn  auch  ]iicht  si  lmurstrak.s 
entgegen,  so  doch  zur  Seite  stellte.  Eine  sehr  schöne,  jedoch  riesige 
Aufgabe,  besonders  dort,  wo  man  mit  vierzig  Millionen  üanatischex 
Mohammedaner  rechnen  muss. 


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DENKKBDE  AU7  WILLUM  SIEPHRN  AXKU^N.  497 

i 

Bengaliens  Regierungsbezirk  m  if  fsst  2()0,000  englische  Q 
Meilen,  die  Sinwohnerzahl  betrug  im  Jahre  1860|  als  Atkinson  die 
Ober-Direktion  des  Unterrichtes  Obemalun,  40  Millionen.  Unter 
der  Aufsicht  der  Regierung  standen  damals  826  kleinere  und  grös- 
sere Anstalten  mit  50,714  Bchfllem.  Als  jedoch  Atkinson  nach 
♦iint/cliiijähriu^eni  Wirken  7.n  Anfang  des  Jahres  1875  in  seine  Hei- 
math zurückkehrte,  finden  wir  seinen  Wirkungskreis  verzeliutaeht ; 
die  Zahl  der  Hehulen  wuchs  auf  17,940,  die  der  »Scliiiler  auf 
517,000  :  jedoch  mus.s  zugestanden  werden,  dsiss  die  Volkssiähluug 
vonlJ^74  in  Bengalien  fiinfundsechzig  Millionen  Einwohner  aus- 
wies. Ich  fühle  es,  dass  ich  die  Geduld  meiner  geehi-ten  Zuhörer 
allzusehr  missbrauchen  würde,  wenn  ich  die  diesbezüglichen  Daten 
und  den  mir  selbst  so  interessanten  Gedankengang  noch  weiter 
fortsetsen  wollte,  obwohl  ich  nicht  bezweifle,  dass  die  Volkserzie- 
hnnp,  welchen  Welttheil  sie  auch  betreffe,  im  Schoosse  dieser  »^e- 
lelirten  Akademie  —  schon  des  Vergleiclis  halher  —  immer  das 
_  wärmste  Int4M'esse  erregen  kann  ;  anderseits  fühle  ich  al)er  auch,  dass 
OS  nur  meine  Aufgabe  ist,  den  Wirkungskreis  unseres  verblichenen 
Mitgliedes  zu  zeichueu,  damit  sein  Andenken  iu  desto  hellerem 
Lichte  erscheine. 

Betrachten  wir  nun  die  Thätigkeit  Atkinson^s  auf  dem  Ge- 
biete der  wissenschaftlichen  Forschung.  Als  er  im  Jahre  1855  in 
Galcutta  landete,  machte  die  ihn  umgebende  reiche  Fauna  des  tro- 
pischen Klimans  einen  bezaubernden  Eindruck  auf  sein  empfängli- 
ches Gemftth :  mit  der  Hilfe  und  dem  Rathe  seines  Fi'enndes  Arthur 
(?r()te  l)e(il)iicli(ete  er  tleissig  die  stufenweise  I  niitmlerung  und  Ent- 
wickelung  mehrerer  ( iattunircn  Küfer :  in  diesen  Studien  leistett-n 
ihm  jene  jugendHclieu  Erfaliruugen  einen  grossen  Dienst,  welche 
er  sich  aui'  diesem  Gebiete  schon  in  England  augeeignet  hatte.  Mr. 
8iainton  war  dazumal  in  England  die  grosse  Autorität  in  diesem 
Zweige  der  Naturwissenschaften.  Atkinson  machte  ihm  Mitthei- 
Inng  über  jene  interessanten  Entdeckungen,  welche  er  bei  Be- 
obachtung der  Tineina-Elasse  gemacht;  eine  schwere  Aufgabe, 
welche  bis  zu  dieser  Zeit  in  Ost-Indien  niemand  studirte,  und  es 
scheint,  das»  er  (1er  Erste  war,  der  die  Exemplare  der  Mikrolepi- 
dopteren,  näuilicii  di»*  von  der  Lithocolletis  Bauhiniae  Species  nach 
Europa  sandte,  weicht;  auch  you  Mr.  Stainton  beschrieben  und 


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496  •  OEXKBEDX  AUF  WILUAM  STi'PHEN  ATKINSON. 

publicirt  wunleii/  Dadurcli  wurde  .\tkiri«oii  zum  Mitgliede  der 
£iitomoIogical  Society  of  London  gewühlt.  £r  seb.te  seine  Lieb- 
Hngsstudien  mit  grossem  Eifer  fort,  Aber  deren  Umfang  wir  niu 
aas  den  Berichten  Stainion*8  übersengen  können,  der  25  neae 
Species  Ton  der  Klasse  der  indischen  Mikrolepidopteren  beschreibt 
und  bestimmt,  welche  alle  Atkinaon  eingesendet  hatte.  Eine  dieser 
Gattungen   fi  liielt   den   XcimüU  Atkiii.soiiia   ( ■lilerodendronella.  ^ 

Mr.  Stainton  legte  auch  eine  dritte  Arbeit  der  Entomological 
Society  vor,^  in  welcher  er  neun  neue  Gattungen  aus  dem  Genas 
der  Gracilaria  bestimmte,  von  denen  vier  Atkinson  verschaffl  hatte. 
Zeller  *  nennt  in  seiner  Abhandlung  :  «Monograph  of  the  Cram- 
bidae*  ebenfiills  fHnf  Species,  welche  aus  der  Sunmlung  Atkinson*! 
.staininleii,  niinilieh  :  8eirpopha<^a  AuriHua.  Scirpophaga  gilviber- 
bis,  Sclioenobius  puuctellus,  ISchoejiübius  minutellus  und  Calamo- 
tropha  Atkinsonii. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  alle  diese  kleinen  Nachtiaiter 
welche  Atkinson  mit  so  grosser  Sorgfalt  nach  England  gesandt,  an- 
ter seiner  Aufeicht  heranwuchsen ;  er  selbst  beobachtete  und  be- 
schrieb ihre  Larren.  Die  Schwierigkeiten  dieses  Vorganges  wQr- 
digte  Mr.  Stainton  selbst  in  einem  Briefe  yom  11.  Juli  1856,  in 
dem  er  sagt  :  .,B8  ist  äusserst  .schwer  mit  den  kleineren  Tineinen 
nmziigeln'n.  weil  unsere  Finger,  die  Werkzeuge  und  sonstigen 
(legenstände  in  der  feuchten  Hit/e  nass  werden  ;  wir  wissen,  dass 
man  in  Bengalien  ohne  Pnnka  (Fächer)  kaum  athmeu  kann;  man 
kann  sich  demnach  leicht  denken,  wie  schwer  es  ist,  diese  kleinen 
Insekten,  welche  nicht  grösser  sind  als  die  Nepticulen,  auf  Nadehi 
zu  stechen;  es  wird  daher  Niemand  Wur.der  nehmen,  wenn  ich 
sage,  dass  es  mir  hier  in  England  überhaupt  unmöglich  war,  die 
kleine  Pbvlloenistis  und  aiuleie  winzi<;kleiiK'ii  Thiere  aufzustechen. 
Die  ostindisrlien  Tiiieinen  sind  aber  noch  viel  kleiner,  als  die 
europäischen,  wa»  auö'alleud  ist,  weuu  wir  bedenken,  dass  die 

'  TranMactions  Entouiologicai  bociet^  ot  Ijondon  (New  Öeries)  vol. 
Hl.  pag.  301.  l?55<i. 

■  Trans.  Knt'niiol-  ."^oc.  ol  London  (New  Series)  Vol   V.  p.  III.  iN'»^ 

■  Tran»?.  Kutoinol.  Soc.  of  Lonilon  (:)-rd  Seriei*)  Vol.  I.  P.  p.  291. 
tit  seq,  1862. 

*  Chilonidanm  et  OmmbidiiruiB  Genera  et  Spectes.  Zeller.  ld9S. 


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DBNKKEDE  AUE  WILLIAM  STEPHEN  ATKINSOS. 


490 


Pflanzenwelt,  auf  der  .1i»  sr  Nuclitfalter  dort  yegetiren,  viel  üppif^er 
ist  und  die  ostindischeu  Tages-Lepidopteien  an  Grösse  die  der 
gemässigten  Zone  wirklich  übertreffen." 

Seine  kurzen  Herbstfeiien  verbrachte  Atkinson  meist  in  der 
Gregend  von  Galcntia  mit  entomologischen  Exciirsen.  Im  Jahre 
18H0  bpsuclite  er  zum  orstenmalf  am  östliclu'U  Iliiiinlayu  die  7000 
Fuss  hoch  liegojule  Station  1  )ariiliiiii:.  zu  d«'rc'ii  Füssen  die  (iienz- 
ströme  h'augit  und  TisUi  sich  vereinigen  und  das  l)ritische  Ost-lu- 
dien  östlich  von  Bhutan,  westlich  Ton  Nepal  und  nördlich  von 
Sikkim  trennen.  Sikkim  lie^t  an  der  <irenze  Tibet's;  sein  Herr- 
scher regiert  auch  über  eine  Provinz  Tibet^s  und  bildet  so  einen 
ergänzenden  Theil  Ghina^s. 

Die  Station  Darjiliug  im  nordöstlichen  Himalaja  am  Fusse 
der  mit  ewigem  Schnee  l)edeckten,  heinahe  30,000  Fuss  hohen  Ge- 
hirgskette  d«>s  Kiuoiiiiijinga  und  Everest,  ist  der  geehrten  Akademie 
kein  unhekanter  Ort.  Ein  edles  (Tcfiilil  der  patriotischen  i'ietiit  wird 
bei  der  Erwähnung  Darjiliug's  wach.  Wenn  wir  das  Andenken  un- 
serer Grossen  von  Zeit  zu  Zeit  auch  nur  mit  einem  einfachen  Seufzer 
erwecken,  so  thut  es  nicht  nur  den  Lebenden  wohl,  die  Saiten  der 
Sympatiiie  zu  rühren,  es  muss  auch  dem  Genius  des  Verstorbenen 
wohl  thun,  wenn  wir  bezeugen,  dass  wir  fortwährend  nur  mit  Pie- 
tät jenes  entfernt  liegenden  Punktes  gedenken,  unter  dessen  Schol- 
len l)einahe  seit  einem  halben  Jahrhunderte  die  (iebeiue  unseres 
Csoma  ruhen! 

Atkinson  verdankt  den  grüssteii  Theil  seiner  untomologi- 
ücheu  tiammluugen  seinen  zeitweili^^en  Excursionen  in  den  östli- 
chen Himalaja,  in  die  Gegend  von  Darjiling ;  liier  bediente  ex  sich 
einer  sehr  ein&chen  Erfindung  :  er  hielt  in  mondscheinlosen  Nach- 
ten eine  brennende  Lampe  vor  einen  weisslinnenen  Vorhang  :  die 
Nachtfalter  und  die  ganze  Schaar  fliegender  Tnsekten  zogen  zn  dem 
Liockmittel,  und  so  bereicherte  er  mit  immer  neuen  Speeies  seine 
Saninilnn<Ten.  In  diesen  Arbeiten  stand  ihm  seine  geistreiche  l''rau 
hillreich  zur  Seite.  In  Begleitung  des  Regie rungs-Custos  des  bota- 
nischen Gartens  zu  Calcutta.  Dr.  Thomas  Ander^jon,  unternahm  er 
eine  Ezcursion  in^s  Innere  des  Sikkimer  Kaja-Keiches,  wo  er  inter- 
essante Beobachtungen  machte:  er  erwähnte  derselben  oft  vor 
seinen  Freunden,  aber  leider  sind  seine  damaligen  Notizen  noch 


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I 
1 
I 


500  DENK&EDE  ALT  WILLIAM  STEPHEN  ATKINSOV. 

nicht  vorgefunden  worden;  sie  sind  gewiss  so  interessant,  wie  je- 
nes Tagebuch,  welches  er  von  seiner  Kaschmerer  Heise  im  Jahre 
1874  führte.  Von  seiner  Sikkimer  Ezcursion  haben  wirbisjeict 
nur  den  Nutzen,  dass  sie  Atidnson  befSUiigte,  den  von  HonfieH 
und  Moore  fttr^s  Galcuttaer  Museum  verfertigten  Catalog  an  meh- 
reren Stellen  wesentlich  zu  verbessern. 

Im  Jahre  18(i4  dankte  Atkins;ün  vom  8eki*etariat  der  A?ia- 
tic  Society  ab  und  wurde  Vice-Präsident  und  Trustee  des  .Indi- 
aicheu  Museum^s".  Dem  ostindischen  Hegieruugs-Beamten  lassen 
seine  amtlichen  l'eschät'tigungen  sehr  wenig  freie  Zeit:  diesem 
Umstände  und  der  abgesonderten  Lage,  in  welcher  der  Fachge- 
lehrte,  entfernt  von  seinen  Mitarbeitern  und  Büchern,  leben  mus?, 
ist  es  zuzuschreiben,  dass  auch  Atkinson  an  der  Classificinuig  und 
Pnblication  seiner  reichen,  interessanten  Sammlungen 
wurde.  Er  stand  in  steter  Correspondenz  mit  Mr.  Moore  in  London, 
der  aucli  im  Jahre  18*>r>  drei  S{iturni<len  heschriel»,'  welehe  Atkin- 
son gesammelt  und  zur  l^osi  lireil)ung  nacli  Hause  geschickt  hatt<'. 
11.  z. :  Oricula  drepanoides,  Saturnia  auna  und  Loepa  Sikkimia.*  In 
der  Zeitschrift  der  entomologischen  Gesellschaft  vom  selben  Jabie 
finden  wir  noch  eine  neue  Species  von  Atkinson,  nämlich  die  Loepa 
Miranda,  ebenfitdls  von  Moore  beschrieben. 

Auch  das  britische  Museum  |>articipirte  an  seinen  Sammlun- 
gen; im  Jahre  1865  und  1800  beschrieb  Mr.  F.  Walker  mehrere 
von  Atkinson  eingesendete  Pleteroeera  Lepidoptrrt  ii  und  jiuldifirte 
dieselben  in  den  Öupplementliet'ten  dieser  Jalne.  Xr.  iW  -3*». 
In  Hewitson's  ^Exotic  butterflies*"  sind  folgende  drei SSpecies  Atkin- 
son'^ beschrieben  : 

£rycinidae  :  Dodona  dipoea.  DaijiHng.  III.  Band.  1862 — 66. 

^       .       ( Hesperia  phoenices.  Daijiling. 

üesperidae  :  |       ^  Darjiling.  IV.  Band.  1867-71. 

Im  Jahre  1865  stattete  Atkinson  seiner  Heimath  einen  kiu-- 

zen  Hesuch  ab  und  wurde  mit  Mr.  Hewitson  persönlich  ))ekanDt, 
der  auch  in  seinem  pusthumen  Werke  eine  neue  Specie»  von  Atkin- 

"  Froccedings  Zoological  Society  of  London,  1865.  On  lepidopteiow 
Insects  of  Bengal.  p.  755. 

*  TransactioDi  Entomological  8odety  of  London.  Seriee  8.  vol.  IL 
p.  424.  1865. 


I 


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DKRKBRDK  AV?  WILLIAM  flTEPHKN  ATKINAOK.  .^Ol 

sou  ho.si'hril')),  niuiilicli  tlif  Myrinu  f^ymini,  Darjiliii;,',  welclu»  sieh 
im  Vlll.  Theüp  l^etiiulet  uud  abgehililot  ist;  wülu'eud  zwei  andere 
Spftcies  von  den  Hesperiden,  nämlich  die  Hesperia  oephala  und  . 
Hesiteria  Gyrata  in  den  noch  folgenden  Theilen  des  Werkes  hätte 
beschrieben  werden  sollen.  Aber  auch  Hewitson  starb  t  Nachdem 
jedoch  seine  cinsige  Sammlnng,  in  welcher  sich  Ton  Atkinson 
zwölf  neue  Speeles  der  Rhopalocera  befinden,  in  den  Besits  des 
British  Mnsenm  gekommen  ist,  steht  zn  hoffen,  dass  wir  die  Be- 
schreibung der  uuch  übrigen  Gattungen  von  dort  bekommen 
worden. 

Als  Major  Sladen  von  seiner  Vunaner  Mission  zurückkehrt**, 
über-^andte  Atkinson  der  Londoner  Zoological  Society  eine  Abhand- 
lung (welche  Dr.  Anderson  1871  vorlegte),  in  der  er  drei  neue 
Speeles  der  Tages-Lepidopteren  beschrieb,  welche  Anderson  im 
Jahre  1878  gesammelt  hatte.  Die  drei  abgebildeten  Speeles  sind 
die  folgenden :  Aemona  lena,  Zophoessa  Andersonia,  Plesioneora 
liliana.  Im  Jahre  1873  reichte  Atkinson  dieser  gelehrten  Gesell- 
schaft noch  zwei  Abhandhingen  ein;  in  dereinen  beschreibt  und 
bildet  er  eine  ])rachtvolle  Gattung  der  Schmetterlinge  ab,  welche 
Dr.  Lidderdale  ihm  ans  Butan  gesandt  hatte. 

Die  dritte  uud  letzte  Mittheilung,  welche  wir  aus  der  Feder 
Atkinson^s  besitzen,  erschien  in  der  Zeitschrift  der  Zoological  So- 
ciety; zwei  neue  Schmetterlinge  aus  den  Andamau-Inselu  sind 
dort  besehrieben  und  abgebildet;  n&mlich  eine  sehr  schöne  Species 
der  Papilio  Mayo  ans  der  Polymnestor  Klasse  und  die  Euploea 
Andamensis.Hier  beschrinkte  er  sich  nur  anf  die  einfiuhe  Beschrei- 
bung —  obwohl  niemand  berechtigter  war  als  er,  seine  Beobach- 
tungen über  die  gen.iuere  liestimnmng  der  einzelnen  Species  der 
gelehrten  Welt  mitzntheilon. 

Atkinson's  anitlielie  Wirksamkeit  in  Ost-Tndicn  als  Professor 
nnd  später  als  Ober-Studieu-Direktor  1{»  iii^alien's  —  Director  of 
Public  Institution  of  Bengal  —  habe  ich  den  Umständen  gemäss 
ausfuhrlich  genng  erwähnt,  iün  erschöpfendes  Zeugniss  Uber  die- 
selbe legen  jene  alljährlichen  Berichte  ab,  von  denen  jeder  ein  be- 
sonderes Buch  bildet  Wir  überzeugen  uns  ans  denselben,  dass  die 
Regierung  sein  Wirken  guthiess  nnd  nnterstfltzte.  Unsere  Folge- 
rung wird  nicht  unberechtigt  sein,  wenn  wir  ssgen,  dass  Atkinson 


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nRNKBlDIt  \Vf  HirXfAU  STIcPHEN  ATKIMSM>K. 


sownlil  als  ln'i*v(irni«;»'mU*r  Stuats-HeiUiitcr  Jiiit'  dem  (u'MetC  tler 
Vollvscr/ieliuni:;,  als  aneli  als  Fachtifelchrter  nicht  y.u  (Icn  alliägli- 
clieu  Taleuten  gezälilt  werden  dart".  VVeiin  er  mir  Zeit  gehabt  hätte, 
wenn  der  Tod  ihn  nicht  so  rasch  würde  abl)erufen  haben,  so  hätte 
er  die  Wissenschaft  gewiss  mit  einem  selbstständigen,  auf  seiner 
riesifi(en  Sstiimlung  basirendeii  Werke  von  bleibendem  WertKe 
bereichert 

Zu  Beginn  des  Jahres  1875  verliess  er  mit  einem  hingereii 
Urlaub  Indien  und  brachte  seine  «»ammtliclieii  Sehmetterling-Sannu- 
lungen  mit  sich,  um,  wenn  er  drei  .lahre  in  England  bleiben  künnt- . 
den  riesigen  Ötott'  aufzuarbeiten,  den  er  sich  durch  so  viele  Jahr»' 
mit  grossem  Fleisse  und  vielen  Opfern  gesammelt  hatte.  Er  kam 
jedoch  in  schwachem  Gesundheitszustände  in  seine  Ueimath;  seine 
Ärxte  und  Freunde  rietheu  ihm  daher,  bevor  er  an  seine  mQhsame 
Arbeit  gehe,  in  der  Winterzeit  unter  einem  wärmeren  Klima  seine 
Kr&fte  zu  sammeln.  So  entschloss  er  sieh,  die  kalte  Jahreszeit  in 
Italien  zuzubringen.  Im  Herbste  besuchte  er  seinen  Freund  Artlmr 
Grote,  theilte  ihm  seinen  Plan  mit  und  benachrichtigte  ihn  vrui  je- 
nen Anordnungen,  die  er  in  Betreff  seiner  ^Sammlungen,  die  viele 
Kisten  umfassten,  bereits  iX»Mnacht  hatte.  Atkinson  dachte  unt  fro- 
her Lust  an  seine  zukünftigen  Pläne  und  erwähnte  oft  der  grosj^eu 
Freude,  die  ilim  zu  Theil  werden  würde,  wenn  er  im  nächsten 
Frühjahre  seine  aus  Ost-Indien  gebrachten  Schätze  öffiien  werde ! 
Leider  sollte  dieser  beglQckende  Wunsch  des  edlen  Mannes  nicht 
in  ErfBllung  gehen. 

Im  Jamiar  187G  erkrankte  er  in  Kom  und  mich  einigen 
t|ualvoll('n  Tagen  miichte  eiin>  Lungen-Entzündung  am  IT),  dieses 
Monates  seinem  L('l)t'n  im  Alter  von  Til)  Jahren  <'in  Ende.  Seine 
Laufbahn  brach  vor  der  Zeit  al).  bevor  er  die  reifen  i'rüchte  seiner 
grossen  Wirksandxeit  für  die  Nachwelt  selbst  zubereiten  konnte. 
Die  mehrmals  erwähnte  reiche  Schmetterling-  und  Insekten- 
Sammlung,  welche  ungefähr  650  ^  ganz  neue,  und  bisher  unbe- 
kannte Species  umfasste,  kam  nach  dem  Tode  Atkinson's  in  den 
Besitz  Mr.  Hewitson^s  und  nach  dessen  bald  erfolgtem  Hinscheiden 

'  Im  folgenden  ITerhUtniBse  :  Bombyccs  200,  —  Hoctuae  90<^  — 
Qeometcae  200,  —  fyfales  50. 


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DWn»REr»K  AtTF  WirjJAH  STEPHEN  ATKINSON. 


503 


nach  I)eiitsclilaii<l ;  "'s  isf  jcdorli  ln'türclitcii,  clu.ss  si«*  in  Kriiiuer- 
liiinfU*  gelaiigeu  wird.  Für  die  englischen  Gelehrten  ist  ulso  dieser 
Scliat/.  tiieilweise  verloren,  aber  ps  scheint,  dass  die  bengalische 
Asiatic  Society  ein  ausftlhrliches  Register  der  Samoilungen  in 
einem  Bande  zu  drei  Heften  publiziren  wird,  zu  dem  die  Einleitung 
der  gewesene  Pi^sident  der  Society,  Arthur  Grote,  dem  ich  wie 
erahnt,  die  meisten  hier  vorgeführten  Daten  verdanke,  bereits  ge- 
schrieben hat. 

Atkiiisoii  war  von  zarter  Nahir  und  t'rliilltc  mit  svm|>a- 
thischeui,  wariiieiu  Getühle  .seine  Pflichten  als  Gatte,  Vater  und 
Fremitl.  Iltihmeud  erwähnte  er  oft  der  Auszeichnung,  die  iluu  die 
ungarische  Akademie  schon  im  Jahre  1863  zu  Theil  werden  Hess. 
Br  beabsichtigte  ihr  bei  seiner  Ankunft  in  Europa  durch  seine 
wissenschaftlichen  Arbeiten  auch  persöhnlich  seinen  Dank  abzu- 
statten ;  aber  auch  diese  Hoffiiung  wurde  durch  seinen  Tod  zu  un- 
8eieui  gro.sseu  \'erluste  vereitelt. 

Ich  bin  mit  meiner  Aufgabe  zu  Ende. 

Ich  wollte  dem  ehrenden  Vertrauen  der  Akademie  voll- 
kommen entsprechen,  jedoch  genOgte  meine  Kraft  nicht  Mein 
Bestreben  ist  jedoch  vielleicht  nicht  ganz  ohne  Erfolg  geblieben ; 
wollte  «ich  doch  die  Akademie  nur  piet&tsvoll  jenem  Genius  nä«* 
hem,  den  wir  tlieihveise  auch  den  unserigen  nennen  können.  Ob- 
wohl Atkinsoii  persiiiilieli  dieser  iHustreu  ( Jesellscluitt  uiilx'kannt 
war,  .*?ü  möge  er  nun  in  ihrem  AndeiiktMi  turtleljen,  so  wie  wir 
wünschen,  dass  einst  unser  Name  nicht  fremd  ^ei,  wenn  die  künf- 
tige Generation  auf  die  geistigen  Arbeiten  einer  vergangenen  Zeit 
dankbar  zurückblicken  wi^ 

Friede  seiner  Asche ! 


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f>A.S  l'NüARlSCHE  INTERKItHTSWESKN. 


DAS  UNGARISCHE  UNTERRICHTSWESEN 

IN  DER  r.  HÄLFTS  DES  XVIII.  JAHBHCJNDERTa  * 

Nach  zweihniulortjühri^rin  Mutigen  lliiiL^eii  gegen  die  Macht 
des  Halbmondes  und  naoh  l^eilcLjuiig  der  mit  den  Namen  Tökrdy's 
und  Rak<)C/,y'.s  verknüpften  \N'in"en  beginnt  in  Ungarn  eine  Epoche 
äaflserlichcr  Ruhe,  ein  Zeitalter  der  Sammlung  und  Erholung,  eine 
nothwendige  Vorbereitung  für  künftigen  materiellen  und  intellek- 
tuellen Aufschwung,  aber  an  und  ftlr  sich  eine  der  schlimmsten  Pha- 
sen, die  in  dem  Leben  eines  Volkes  vorkommen  können.  Nicht 
während  der  Aufregung  des  Kampfes,  sondern  während  der  nachfol- 
genden Abspannung  machen  sich  die  naehtheiligen  Folgen  der  flber- 
niässigen  Kraftvergeudung  geltend.  Welciien  Schaden  die  nngliiek- 
seligen  N'erhältnisse  des  XVI.  und  XVII.  .lahrhunderts  anrichtfteii. 
das  lä.s.st  sich  in  der  ersten  Hiilfte  der  auf  sie  folgenden  De/cnnien 
erkennen,  besonders  auf  kulturellem  (rebiete.  Vom  XVL  und  XVII. 
Jahrhuuderti»  kann  Alad^Molnar  mit  Recht  behaupten  :  « Vielleicht 
nie  hat  man  in  Ungarn  so  viel  für  Bildung  und  Unterricht  gethan, 
als  in  dieser,  seit  dem  Einbrüche  der  Tataren  meist  heimgesuchten 
Zeit»  inmitten  des  Elendes  türkischer  Eroberung  und  innerlicher 
Kampfe.*  Sobald  aber  fQr  das  aus  tausend  Wunden  blutende  Land 
die  so  nothwendige  Rnhe  eintritt,  zeigt  sich  im  Schulwesen  eine 
mindere  Uührii'keit.  Ks  ist  das  eine  auch  in  d«'r  nnj/arischen 
Literaturgeschichte  ül)el  berüclitigto  Ei)oclie ,  ilie  VerHaclnmg 
und  Mangel  an  produktiver  Kraft  kennzeichnet.  Soll  man  >ie 
de^balb  mit  Stillschweigen  übergehen  y  Nein !  Eine  solche  Ebbe 
des  geistigen  Niveauos  ist  vom  kulturhistorischen  Gesichtspunkte 
besonders  beachtungswerth.  Man  kann  einen  spätern  Aufschwang 
nur  dann  gehörig  würdigen,  wenn  man  ihn  mit  den  Zustünden 
des  VerfoUes  vergleicht.  Zur  Beurtheilung  des  geistigen  Lebens 
aber  dient  die  Geschichte  deii  Unterrichtswesens  gewiss  als  ein 
Docnment  hervorragendster  Wichtigkeit.  Wir  glauben  daher 
das    am    breitesten  ungelegte  Werk  de.s   allzu  Irüh  verschie- 

*  A  közoktatds  tört^net«  Mogyarorszigon  a  XVI  II.  ss&zadbaii,  irta 
Molnir  Alad&r,  a  m.  t.  akad^mia  iev.  tagja.  L  kötet  CMi(ia  a  m.  t.  aka- 
d^mia  törtäneti  bisotte^ga. 


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DA?»  ÜKUABIrfCHE  rNTEllKKHr.SUESEN.  505 

d«'ueu  verdieiistvolleu  Aladar  MolnÄr,  welches  jene  Gehclückte  be- 
handelt, einer  etwas  eingehenderen  Besprechung  untensiehen  zu 
sollen. 

Moln^  hatte;  freilich  nicht  die  Absicht,  sich  auf  das  Schnl- 
Wesen  der  Zeit  des  VerfSEilles  zu  beschränken.  .Es  ist  unsere  Anf- 
pabe",  so  beginnt  er,  „die  Geschit  lite  des  vaterläudischen  ünterrichts- 
wrjst'iis  im  XVlIl.  Jalirhiiiiderte  vor/utra«jft'n,  /u  erziihlen,  wie  die 
Xatiou  nach  der  \\  rjao;uiig  der  Türken  und  Beendigung  der  laug- 
wierigeu  üürgerkriege  und  Freiheitskämpfe  die  Zeit  des  Friedens 
aach  auf  dem  Gebiete  der  Bildung  zum  Öchaifeu  innerer  Ordnung, 
zur  Empomfifnng  ans  der  Zurückgebliebenheit  ausnützte;  .... 
bekannt  zu  machen  die  durch  Maria  Theresia  in  Gang  gesetzten 
grossen  Kiiltnrbewcgungen,  die  vielen  Schöpfungen  und  die  gross 
angeleimt«»  Organisation  des  Unterrichtswest'us,  die  so  zu  Stande 
gebracht  wurck'  .  ,  —  Der  Tod  hat  leider  den  Verfa.'^ser  verhindert 
den  zweiten  Theil  seines  Programmes  auszuführen.  Mit  Rücksicht 
hierauf  wäre  der  von  der  historischen  Commission  der  ungarischen 
gelehrten  Gesellschaft  herausgegebene  1.  Band  ein  Torso,  da  die 
Beoiganisation  des  Unterrichtswesens  unter  der  Regierungszeit  der 
E5uigin  im  zweiten  Bande  hätte  folgen  sollen.  Aber  als  Beitrag 
zur  Gesehiehte  eines  scharf  abgegränzten  Zeitalters,  sozusagen 
jenes  des  Winterschlafes  der  Xation,  hat  auch  die.ser  erste  Hand 
das  Gepräge  eines  selbststiindigeii  und  al>geschlossenen  Werkes. 

Ungefähr  den  dritten  Theil  des  Buches  nimmt  eine  austühr- 
liche  Darstellung  des  Humanisten-  und  des  .Jesuifen-Unterriclits- 
sjstems  ein.  Diese  Partie  ist  ein  gründlich  geschriebenes  und  recht 
interessantes  Kapitel  aus  der  allgemeinen  Geschichte  der  Pädago- 
gik, konnte  auch  nicht  ganz  wegbleiben,  weil  sowohl  protestantische  . 
als  auch  katholische  Schulen  Ungarns  in  der  ersten  Hälfte  des 
X\'I11.  .lahrlmuderts  den  EinHuss  der  Inuiiaiiistischen  Pädagogen  iler 
lieforniationszeit  erkennen  lassen ;  trotzdem  hätten  aber  Aip  icola, 
Frasmust,  Mf'kmrhton^  Sturm,  Trotsendorf  und  die  ^liatio  atqne  in" 
'  Muiio  stttdiorwn  Societatifi  Jesu''  eine  etwas  knappere  Behandlung 
▼ertragen  können.  In  fünf  Abschnitten  finden  wir  nach  dieser  um- 
fangreichen Einleitung  der  Reihe  nach  beschrieben:  die  Unterrichts- 
snstalten  der  Jesuiten  in  Ungarn,  die  Verfügungen  der  Staatsge- 
walt bis  1740,  «las  Schulweseii  der  Protestanten,  die  Anstalten  der 

DiMfviKhe  Bevae,  16a2.  VI.  Heft.  33 


J 

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% 

S(K)  0A9  PMaft]U8cns  uinrBBKic-UTswB!j«r. 

Piaristfn  und,  iiM^inem  kiirxeii  AUiisise,  Uas  Unterrieht«we.sen  .Sie- 
beübürgens. 

Anstatt  uns  un  diesf*  Ueihef'olgeii  zu  binden,  wollen  wir  zuerst 
die  nur  wenig  fordernde  Kinflnssnahme  der  Regierung  und  des 
LandtogMt  akizziren.  Den  Protestanten  war  dieselbe  nicht  nur 
nicht  förderlich,  sondern  geradezu  ein  Hindemiss.  Der  XXVI. 
G.  A.  Ton  1681  gestattete  nur  in  gewissen  Städten,  den  sogenannten 
Artiknlarorten,  die  Erhaltung  protestantischer  Schulen.  Ein  Erlam 
LeopcHd's  vom  Jahre  1701  erlaubte  in  den  von  den  Tllrken  zurück- 
eroberten Gebieten  nur  die  Ausübung  der  katholischen  Religion  und 
somit,  nur  katholische  Schulen.  1710  nnd  1711  verfügten  /. 
und  die  Kaiserin  Eleonora  in  Religions-  und  Unterrichtsangelegen- 
lieiteu  die  Wiederherstellung  der  Zustände  vor  dem  Ausbruche  der 
Tökölischen  Wirren.  Es  war  demnach  nnmöglich  neue  protestan* 
tische  Schalen  m  errichten ;  während  der  Revolutionszeit  entstan- 
dene wurden  verfolgt  und  aufgehoben.  In  denjenigen  Städten, 
wo  selbst  nur  ein  Theil  der  Einwohnerschaft  katholisch  war,  durf- 
ten die  Stadteinkftaifte  nicht  auf  protestantische  Schulzwecke  ver- 
wendet werden.  Ja  es  war  untersagt,  Protestanten  7ai  Schulzweckm 
mit  Abgaben  zu  l)elasten  und  deren  Schulen  erhielten  sich  blos  durch 
freiwillige  Spenden. 

Den  katholischen  Schulen  Hess  die  Regierung  schon  einige 
vaterliche  Fürsorge  augedeihen.  Karl  III.  liebte  die  Wissenschaften 
und  suchte  das  Unterrichtswesen  zu  befördern.  Auch  religiöse  In- 
toleranz war  ihm  persönlich  fremd,  wie  aus  der  huldvollen  Behand- 
lung erhellt,  die  er  dem  lutherischen  Geistlichen  und  Pftdagogen 
Mathias      angedeihen  liess. 

Die  ThStigkeit  der  LegiMive  auf  dem  Gebiete  des  Unterrichts 
war  keine  besonders  rege,  fehlte  aber  doch  nicht  ganz.  Die  Com- 
misson  des  Krünungslandtagfs  1712  — 1715  brachte  gleich  im  er- 
sten Jahre  die  EiTichtung  einer  Hochschule  in  Vorschlag,  was  aber 
nur  Projekt  blieb.  1714  richtete  der  Fürstprimas  die  Aufmerksamkeit 
auf  den  Unterricht  der  Protestanten,  doch  nur  um  diese  wegen 
Nichteinhaltung  des  XXVI.  G.  A.  1681  zu  denunzireu,  was  eine 
neue  königliche  Verordnung  zur  Folge  hatte,  die  die  protestanti- 
schen Schulen  auf  die  Artikularorte  beschränkte.  Der  XXX.  6.  A. 
von  1715  rief  die  sogenannte  Pester  Conmisaion  ins  Leben,  deren 


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l»A9  CKOABldCHB  rNTKKKKHTSWEHFK. 


507 


Rerathun;j[fii  erst  IToM  (Mi<li«j^t<'U  und  /.ui'  Cdrolin lachen  liesolution 
führten,  laut  welcher  Akafcholiken  niedere  TTnterrichtsaustalten  biB 
Sur  Cvnimmatik  inelasiye  an  Aridkalarorien  frei  errichten  durften, 
hinsichtlich  der  h5hem  Anstalten  aber  verhalten  wurden,  um  Pn* 
?3eg  und  Erlaubniss  des  Königs  nachsusnchen.  Zu  Letsterem  wa* 
ren  seit  i73-t  auch  die  Katholiken  verpflichtet,  was  aber  nieht  als 
l'aritiit  .luszulegen  ist,  denn  Katholiken  crhielteu  die  Erlaubnis» 
immer  leiehfc,  Proteshiuteu  selten  und  mit  liurter  Mühe. 

Wichti«^  ist  der  1.  §.  des  G.  A.  1715,  LXXIV,  welcher  der 
Krone  das  Aufsiehtsrecht  über  sämmtliche  Stiftungen  zu  Unter- 
riehtsaweeken  einräumt. 

EÜn  direktes  Bestreben,  die  ünterrichtszostftnde  zu  heben 
zeigen  die  Stftnde  1722.  In  mehreren  Adressen  an  die  Krone  behla» 
mm  sie  den  Verfall  der  Studien  und  die  Nothwendigkeit,  die  Jüng- 
liiigo  wegen  höherer  AusläUUuig  ins  Ausland  zu  schicken  und  we- 
isen .\[aii*^els  einheimischer  Kräfte  ausländische  Fachleute  in  im- 
mer grösserem  Masse  zu  verwenden ;  sie  wünschen  eine  bessere 
Dotation  der  üniversitäteu,  die  Errichtung  einer  politischen  Aka- 
demie; sie  raihen  im  folgenden  Jahre,  dass  der  zn  errichtende 
Statthaltereirath  die  adeligen  Familien  ewmge^  den  Kindern  eine 
bessere  Erziehung  zu  ertheilen,  für  die  vielen  Waisen  in  dieser 
Beziehung  Sorge  trage,  den  jungen  Leuten  durch  Herbeiziehung 
zum  öffentlichen  Dienste  und  zu  Hofe  Gelegenheit  gebe,  sich  prak- 
tisch anszubihlen.  Diese  Vorstellungen  und  Wünsche  fanden  die 
HilliguTig  der  Krone.  Es  ert^ing  an  die  Stände  die  Auffonlerung, 
iiinsichtlich  der  Austilhrungsniodali taten  concrete  Vorschläge  zu 
machen,  was  aber  leider  nie  geschah. 

Der  erwähnte  StatthdUereirM  {UntemdUsccmmsgion,  in  ne- 
gatio  stndiorum)  hatte  sämmtliche  XJnterrichtsangelegenheiten  zn 
besorgen.  Carl  III.  verlangte  am  7.  März  1733  einen  Bericht  über 
die  Art  und  Weise,  wie  man  am  Besten  die  studia  trivialia  ordnen 
kiinnt«».  Trotz  wiedorliolter  Auttorderung  unterblieb  der  erwartete 
Bericht  und  so  kam  in  Osterreicli  die  ,  Schulordnung  *  von  1735 
zu  Stande,  ohne  in  Ungarn  ein  Analogou  zu  finden. 

Wir  wenden  uns  nun  zur  Scbilderang  des  eigentlichen  Un- 
ierrichtswesens.  Die  katholische  Jugend  war  fast  ausschliesslich  den 
Jaratten»  in  geringem  Masse  Fiaristen  (Minoriten  u.  a.  w.)  aaver- 

88* 


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508 


DAS  ÜNOABISC'HE  nrTEBRU  HTSWESBN. 


'  traut.  J)«'r  Uiih'iTicht,  den  die  protestuntiscln'  Jiijjfeiul  genoss,wir 
sehr  Hbniich,  denn  daH  System  der  Jesuiten  int  denselben  humsüt- 
stischen  Pädagogen  des  XVI.  Jahrhunderts  entlehnt,  nach  det» 
Principien  anch  die  Protestanten  ihr  Schnlwesen  modelten.  Di» 

.Tosiiit*»n  fanden  die  fertige  nnabänderlicbe  Norm  in  ihrer  lUtip 
atqn»'  institntio.  Wir  i»;laul»*'ii  uns  «ler  Kritik  ülior  Miiiitxel  uinl 
Vorzüge  ihres  Systems  hier  <Mitha1ten  zu  kiMineii.  \u\<\  wollen  nur 
hervorheben,  <lass  Moliiar,  obwohl  Protestant,  ein  sehr  ol^jective.» 
und  unparteiisches  Urtheil  fällt.  Die  Protestanten  hatten  ihre  Pä- 
dagogik schon  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderte  yon  deutsches 
und  holländischen  TJniTersitäten  heimgebracht,  nnd  hewahrtm 
diese  Traditionen  auch  in  der  Epoche,  von  welcher  hier  «U» 
Rede  ist. 

Nicolaus  Oluh  berief  die  Jesuiten  nach  Ungarn,  1.561,  .Stefan 
BdfhOf'f/  nach  Siebenbürgen,  1.579.  Sie  standen  niiter  dem  ri>t'r- 
reichischen  Proviuzial,  was  ihnen  hierzulande  stets  übel  vermerkt 
wurde.  Im  Jahre  1716  yersahensie  28  Gymnasien  mit  Lehrkräften: 
sechs  dieser  Anstalten  waren  niitGonyictenTerbunden.  Diese  Zahlen 
erhöhen  sich  bis  zur  Auflösung  des  Ordens  auf  41  und  7.  Zwei 
XTniversitftten  (Tyrnau  und  Kaschau),  drei  CoUegien  (Ofen,  Kltu- 
senburg,  Raab),  ebenfalls  in  den  Händen  der  .Tesniten,  dienten  nh 
Hochschulen.  Die  Collegien  unterschiedon  sich  von  den  Universi- 
täten durch  die  geringere  Anzahl  der  Lehrkräfte  und  Lehrgegen- 
stände.  Zur  Heranbildung  von  Geistlichen  wurde  Theologie  und 
Philosophie  auch  an  den  Grosswardeiner,  Raaber  und  Waimn 
Gymnasien  dosirt.  Die  eigentlichen  Seminarien  waren  bis  sur 
Mitte  des  XVIIL  Jahrhunderts  fost  ausschliesslich  jesuitische 
Lehranstalten.  Eine  grfissere  Conenrren«,  als  auf  diesem  Oehiele. 
leisteten  die  Piarist-en  im  (^ymnasialnntorrirlite,  wovon  weiter  unten 
ausffihrlicher  die  Rede  sein  soll.  In  Arnd  und  Mid'olrg  finden  wir 
Miuoriten,  in  Papa  und  Segnia  Pauliner-Gymuasien. 

Bei  den  .Jesuiten  ertheilte  in  je  einer,  manelunal  auch  i» 
zweien  der  4  untern  Klassen  ein  Magister  den  Unterrichte  £fl  wur- 
den oft  auch  Laien  als  Lehrkräfte  verwendet.  In  den  obem  Klassen 
unterrichteten  Professoren.  Wir  finden  folgende  Klassen :  infinia 
grammatica  (mit  sswei  Abtheilungen  :  Parristen  und  Prinzipisten), 
media  grammaticao,suprema  granimaticac  (wiederum  zwei  Abtheilun- 


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DAS  UNGABItlCiaS  (/llT£ilBICiiI8WES£N.  509 

gen),  classis  poetariim,  rhetorices  classis.  Seit  1735  wurden  in  der 
österreichiaehen  Provinz,  also  auch  in  Ungarn  nur  solche  ZögHnge 
aufgenommen,  die  lateinisch  lasen  und  schrieben.  Es  war  demnach 

nothig,  an  mehreren  Orten  Elemeiitarcurse  zu  organisiren,  meist 
mit  weltlichen  Lehrern.  Die  Ratio  stuilioruni  kennt  bekanntlich 
keinen  besondem  L('hrgegenstand  der  GeHchichte  und  sehreibt 
gelegentlich  eiuzuÜechteude  historisclie  Kenntnisse  nur  in  den 
zwei  obersten  Klassen  vor.  Trotzdem  beflissen  sich  die  Jesuiten  in 
Ungarn  schon  in  den  unteren  Klassen,  die  Jugend  mit  den  Bege- 
benheiten der  römischen  und  biblischen  Geschichte  bekannt  zu  ma* 
chen.  Das  war  aber  nur  eine  geringe  Goncession,  die  sie  dem  immer 
lauter  werdenden  Verlangen  des  Piiblicums  nach  Fortschritt  nuicli- 
ten.  Da  sie  an  der  Ratio  studiorum.  die  für  das  XVI.  Jahrhundert 
pauste,  unabänderlich  fest  hielten,  ist  es  kein  Wunder,  dass  man 
an  ihi-em  Unterrichte  mehrere  Mängel  fand  ;  wie  z.  B.  die  Vernach- 
lässigung der  Landessprache,  des  Griechischen  und  der  Realien, 
Einige  Abhilfe  brachte  1735  die  yom  Provinzial  McUndes  heraus- 
gegebene jiInstmeHo  priwUa  sm  tffpus  mrsm  avmiL^ 

Die  JefPuiten  verstanden  es,  durch  Dedamationen,  Disputa- 
tionen und  öffentliche  Preisvertheilungen  an  die  lernende  Jugend 
l>eim  Pul)likum  Interesse  zu  erregen.  Sie  Hessen  häufig  Theater- 
stüeke  aufführen.  In  Tyrnau  waren  zwei  Theatergebäude,  und  allmo- 
natlich fand  eine  Jugend  Vorstellung  statt.  Die  Stücke  waren  la- 
teinisch oder  auch  ungarisch  geschrieben  und  behandelten  biblische 
und  moralische  Themata,  sowie  auch  die  Siege  Engens.  Die  Vor- 
stellnngskosten  bestritten  oft  hochgestellte  Qönner,  die  sich  gerne 
als  Zuschauer  einfanden.  Franz  Rdkdczy  IL  unterhielt  sich  in 
Kaschau  o  Stunden  lang  Itei  «'iner  derartigen  Vorstellung.  Manche 
Stücke  dauerten  a)i  7  Stunden.  Die  Insiriietit»  jirivata  sebränkte 
das  Theaterwesen  ein  wenig  ein  und  scIiaHte  da.s  Coatunie  ab. 

Die  feine  Behandliiug  der  Jugend,  die  Orilnuug  und  ilie  Dis- 
ciplin  der  Jesuitengymuasien  zogen  trotz  des  häufigen  Wechsels 
der  Lehrkräfte  die  Zdglinge  massenhaft  herbei.  Obwohl  alle  Stande 
Tertreten  waren,  ist  dennoch  erwähneuswerth,  dass  die  Mehrzahl 
der  Zöglinge  aus  Nichtacleligen  bestand.  Die  Adeligen  wurden  in 
den  Convirtcn  uiitergebra<  lii.  die  unter  <ler  Leitung  je  »nnes  Prä- 
fekten  standen,  bei  groä.ser  Anzahl  der  Zöglinge  auch  eigene  Lfehr- 


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510  '  DAS  U2iOAiUdCHE  UFrESRIGUTSWEfiEN. 


kräfte  hesasson  und  durch  n*cht  }>pd(Mitende  Fundatiouen  erhalten 
wurden.  Häufig  finden  sich  in  den  Jesuitengymnasien  die  Marim^ 
vereine  zn  andachtigen  und  asketischen  Zwecken. 

Di<'  Tj/ninucr  I  uifcrsifät,  von  Pa/,inaii  ^t'^riimlrt  (l^i.).")),  he- 
sass  autauju^s  weder  eiue  juridisehe  uoeh  eine  medizinische  Fakultät, 
erhielt  demzufolge  von  Paläste  aueli  kein  Univer»itätMprivilegiuni, 
wohl  aber  von  Ferdinand  II.  »Sell)stverwaltung  und  Jnrisdii  tion. 
Sie  war  den  Jesuiten  anirertraut ;  der  Kector  (als  Jesuit)  hing  daher 
vom  Pionncial  und  Genend  ab.  Ein  hochgestellter  Weltlicher  be- 
kleidete die  Würde  des  judex  academiae.  Die  drei  Fakultäten : 
Theologie,  Philosophie  und  facultas  lingvarum  (d.  h.  Gymnasium) 
bildeten  drei  einander  untergeordnete  Lehrstufen.  Coordiuirt  war 
von  l<i67  an  eine  juridische  Fakultät.  Es  wirkten  au  der  Üniver- 
sit-ät  der  Hector,  Kanzl«'r,  Dekane  und  Professoren  (2  für  Theologie, 
je  einer  für  fixegesis,  heilige  Sprachen,  Casuistik,  controverse  t^lau- 
benslehre,  ferner  je  elii  Professor  der  drei  philosophischen  Jahr- 
gängCi  der  Ethik  und  der  Mathematik ;  zusammen  11.)  Der  heil* 
Thomas  y.  Aquino  und  Aristoteles  galten  als  Hauptautoritäten.  — 
Die  Zahl  der  Studenten  betrug  1000—1200,  wovon  aber  die  Hälfte 
aus  Gymnasiasten  bestand.  Man  wurde  nach  beendeter  facultas 
lingTaram  Baccalaureat  und  am  Ende  des  UiiiTersitätslnirses  Ma- 
gister der  Philosophie  oder  Doktor  der  Theologie,  indem  mau  eiue 
öffentliche  Disputation  ))eätaud. 

Die  juridische  Faeultät  grflndeten  die  Primaten  Lodsy  und 
Lippay.  Ein  Jestut  mit  300  Gulden  Besahluug  trug  Kirchenreeht 
Tor.  Ausserdem  wirkten  zwei  oder  drei  yom  Primas  ernannte  welt- 
liche Professoren,  die  das  heimische  und  römische  Recht  lehrten 

und  300 — 500  Gulden  jälirlit  h  »-rhielten.  Hs  gal>  wenig  Hörer  der 
Rechte,  <lenn  theoretische  Rechtskenntuis.se  anszuwoisen,  war  hei 
keiner  öffentlichen  Lann)alin  )iöthig,  etwas  Veruunttrecht  wurde 
auch  im  (jrymiia.siiun  gelehrt,  und  den  Verböczy  studirte  man  durch 
die  Praxis  ein.  Die  Hörer  traten  in  den  akademischen  Verband 
ohne  festgesetiste  Vorbildung  und  blieben,  so  lange  sie  Lust  hatten* 
Die  Professoren  dozirten,  was  ihnen  zusagte.  Sie  wechselten  meist 
sehr  häufig. 

Wir  wollen  endlich  erwähnen,  duas  an  der  TjTnauer  üuiver- 


PAS  OHOABISCHI  nNTIBBICHTSWlffiBr.  Sil 

sitftt  4  SetninariQD  und  8  fromme  Gesellsohaften  bestanden.  Sie 
hatte  seit  1644  eine  eigene  Drackerei. 

Die  Kasehauer  ünhemtät  war  ähnlich  organisirt,  be-^tHtid 
bis  1777  als  alma  universitas  episeu}>itli.s,  mit  15  — l(i  Professoren 
uiul  40<)  -  5(10  Schülern,  nnil  zeichnete  sich  durch  die  Pflege  iler 
ungarischen  Sprache  aus.  £s  hen'schte  hier  mehr  Askese  als  iu 
Tyrnau. 

Dies  wäre  in  Kfirze  der  Zustand  der  jesuitischen  Uuterrichts- 
anstalten.  Mit  elementarem  Unterricht  befihssten  sich  die  Jfinger 
Loyolas  auch  in  Ungarn  sehr  wenig.  Wir  sollten  hier  noch  ihre 
bedentenderen  Pädagogen  Revue  passiren  lassen,  wenn  sie  deren 
anfznweisen  hätten.  Da  sie  aber  das  Lehramt  nur  als  gradus  ad 
majora  betrachteten,  überdies  ihren  Lelirplan  (Ratio  studiorum), 
ihre  Lehrbücher  (Alvarius,  Cyprian)  ein  für  allemal  festgesetzt 
hiitten,  bezeigten  sie  weder  Lust,  noch  fanden  sie  Gelegenheit  sich 
auf  schrittstellehschem  Uebiete  hervorzuthun.  En  versuchten  sich 
auf  diesem  nur  Wenige.  Wir  begnügen  uns  zu  erwähnen  Fram 
Kan^  den  Historiker  des  L  Jahrhunderts  der  Tymauer  Universitilt, 
und  Andreas  ßpaiigdr^  Verfasser  mehrerer  historischer  Werke 
(Magyar  krdnika,  Magyar  könyvt^.) 

Die  Erziehung  derjenigen  katholischen  Jünglinge,  die  keine 
Jesuitenanstallt  besuchten,  lag,  wie  schon  erwähnt,  meisten theils 
den  Piftrist<»n  ob.  Diese  wfiren  aus  zwei  Ursachen  beliebt.  Sie  leg- 
ten, dem  Geiste  d»'s  ( iri'inders  ihres  Ordens,  Calasaiiz  getreu,  grosses 
Gewicht  auf  den  elementaren  Unterricht,  mit  dem  sich  die  Jesuiten 
fast  gar  nicht  befassteu;  tenier  trugen  sie  den  Erfordernissen  der 
Zeit  weit  mehr  Rechnung,  als  die  durch  eine  unabänderliche  Vor- 
schrift, die  Ratio,  gebundenen  Jesuiten,  die  etwaige  Fortschritte 
nur  anf  Umwegen  einffthren  konnten.  Nachdem  die  Piaristen  in 
Polen  weite  Verbreitung  gefunden  hatten,  kamen  sie  aus  Podolin, 
einer  der  XVI  Zipser  Städte  zuerst  (1660)  nachPrivigye  und  brach- 
tnn  HS  bis  zum  Ende  der  llegieruug  KarFs  III.  jiut  18  Gymnasien. 
Ohne  Besitz,  aut  Stiftungen  und  die  Unterstützung  der  Städte  an- 
gewiesen, wirkten  sie  an£uigs  unter  Entbehrungen  mit  dem  Eifer 
▼on  Missionären.  Sie  waren  um  so  willkommener,  weil  auf  Dörfern 
eine  katholische  Elementarschule  höchst  selten  war.  ja  auch  in 
Städten  manchmal  fehlte  und  durch  Hapslehrer  abgeholfen  werden 


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512 


DAS  UVOAKISCIII  ÜHTBBBICVTSWBSBVr 


musst<».  Drr  C)nlt'n  wurde  1715  rezijtirt  und  l«i]<lt't<».  s(nt  172'»  eine 
eij^«*Tif*  liiigarisihf  l^mviiiz.  Karl  III.,  riii  <ir»iiiu'r  «Irr  l'iariHtcii. 
bestätigte  17;i3  uuter  Viirl)«*halt  königlicher  Geiuhiuigung  <la> 
ihnen  diircli  päpstliches  Breve  ertbeüte  Hecht  höhere  Anstalten 
zu  errichten. 

Der  Provinzial  stand  natürlich  an  der  Spitze  des  gesammtcB 
Unterrichte.  An  jeder  Anstalt  wirkte  ein  Rector  und  ein  Prafeki 
An  Lehrkiüften  war  manchmal  Mangel.  Bis  1741  wurden  theolo- 
gische und  philosophische  Wandervortrilge  gehalten.  Man  muflste 

jungt'  Leute  zum  Lehren  hrranzielM'n,  «Ii«'  noeh  iiieht  die  Philo- 
•«'pliie  ahsdlvirt  hatten.  Latein  hiklete  einen  I >estandtheil  sclion 
des  Lleinentaruiiterrichtes,  der  in  3  Klassen  errheilt  wurde  (Lesrii, 
Hclireihen,  Kechueu).  Das  Gymuasium  bestand  aus  5  Klassen  in 
i)  .lahrgängen.  Ein  zweijähriger  philosophischer  Cursus  (mit  Ma- 
thematik und  Physik)  und  das  dreijährige  Studium  der  Theologie 
krönten  das  Lehrsystem  der  Piaristen,  die  im  Ghrossen  und  Ganzen 
Ton  den  Jesuiten  nicht  besonders  abwichen. 

Indem  wir  uns  nun  zum  protestantiselieii  Hclmlweseii  wen- 
den, müssen  wir  vor  Allem  bemerken,  dass  hier  von  einem  einheit- 
lichen, allgemein  giltigen  Lehrsystom.  wie  das  der  deMiiten  keine 
Kede  sein  kann.  Es  gab  einzelne  llauptanstalten,  die  sich  selbstän- 
dig eutwickelteu,  und  an  die  sich  kleinere  l)enachbarte  Schulen  an- 
lehnten. Molnär's  Werk  gibt  daher  als  Geschichte  des  protestan- 
tischen Unterrichts  eine  Reihe  Monographien  lutherischer  und 
reformirter  Gollegien.  Junge  Leute  beider  Gonfessionen  besuchten 
behufs  höherer  Studien  ausländische  TJniTersitäten  und  brachten 
yerschiedene  Systeme  nach  Hause.  Manche  waren  vorher  im  Aus- 
lande angestellt  gewesen.  l>a  >ie  durch  <lie  Hilfe  bemittelter  (iönner 
in  den  Stand  gesetzt  wurden,  Deutschland.  England.  Holland  z". 
besuchen,  juussteu  sie  sich  schriftlich  veriillichten,  ihre  aussen  cr- 
worbenen  Kenntnisse  zu  Hanse  zu  verwerlhen.  Der  rege  Coutact 
mit  <lem  Auslande  hätte  die  protestantischen  Anstalten  zu  höherer 
Entwickelung  bringen  können;  dem  stand  aber  die  Verfolgung 
durch  die  Regierung  und  die  katholische  Geistlichkeit  und  die 
Beschriinktheit  der  materiellen  Mittel  im  Wege. 

Nach  dem  Frieden  yon  Szathmär  bestand  nur  noch  ein  ge* 
ringer  Theil  der  in  den  vorigen  zwei  Jahrhunderten  gegründeten 


DAS  ÜN0A11I8CBB  ÜNTBlIItlGIITSWSSBN.  .  518 

protestantischeii  Schulen.  Die  lutherischen  Hyiunasien  waren  TK>n 
70  atif  10  horabgeschmolzen.  Als  Corapensation  gah  es  in  den 
Hflilösscni  einzelner  vonielunor  Herren  Privatlateiiiscluilcn,  an 
tl«Mio7i  aiu'li  änut're  Kinder  Unterricht  genossen.  Die  iil>riggel)lie- 
heuen  üüentlielien  Schulen.  Verfolgungen  ausgesetzt,  innssten  iu 
AVien  Ageute])  halten,  die  bei  Hole,  oft  auch  bei  prot4.'.stau tischen 
Mächten  znr  Abwehr  der  Massregelungeu  Schritte  thaten  und  ein 
Heidengeld  kosteten. 

Fast  jede  protestantische  Gemeinde  besass  ihre  Volksschule, 
wo  auch  schon  Latein  gelehrt  wurde.  Wo  sich  ein  Gymnasium  be- 
fand, bildete  die  Volkfpchule  dessen  erste  Klasse.  Die  schola  verua- 
ciila  war  eine  Miidehensehnle  meist  mit  Lehrerinnen. 

Düs  lutherische  Gymnasium  Itestand  aus  5,  das  ret'ormirte  aus 
6 — 7  Klassen.  Die  Hauptanstalten  hatten  auch  höhere  Kurse,  liei 
den  Lutherischen  gab  es  einen  Uector,  Conrector,  Subrector  f'iü*  die 
drei  obersten  Klassen,  femer  sogenannte  Praeceptoren,  bei  den  Ue- 
formirten  einen  Rector  und  einen  Professor  und  ausser  ihnen 
Togaten,  d.  h.  ältere  Studenten  als  Lehrer. 

So  sehr  auch  die  einzelnen  Anstalten  ron  einander  abwichen, 
bildete  doch  den  T/elirgaiig  des  Oyninasinnis  überall  Grammatik, 
Synt4ix,  l*oetik,  IJlietorik,  Logik,  Lektiire  der  Klassiker  mit  den 
Hüllshiu-heni  von  Ktmienius  und  ErasniU'«;.  etwa'^j  tJrierlnseh,  <ieo- 
graphie,  (M'scliiehte  und  Physik.  Die  höhern  Kurse  boten  Philo- 
sophie nnd  Theologie,  aber  nur  als  Vorbereitung  für  den  Besuch 
ausländist^her  Universitäten. 

Wir  können  die  obenerwähnten  Monographien  auch  auszugs- 
weise nicht  reproduziren,  so  interessant  und  ereignissyoll  sich  auch 
die  Geschichte  mancher  hart  verfolgten  protestantischen  Lehran- 
stalt gestaltet.  Die  Hau]itsclnilen  lutherischer  Konfession  waren  in 
Eperies,  Pre^shur^  und  ( )di'nl)urLC.  Im  Eperieser  TNdlegium.  das 
170.")  den  .b*suiten  altL(enom)neii  wurde,  uiikte  als  Dirt'etor  .lohann 
Hczik^  der  in  Tliorn  stu(Urt  und  aucii  als  Professor  eine  Ötelle  ge- 
funden hatte.  Er  hinterliess  ein  dreil);indiges  Maunscript,  die 
«Gymnasiologia''  oder  (jreschichte  der  Gymnasien  seiner  Confession. 
Nach  ihm  hatte  die  Schule  viel  zu  leiden.  Das  Gebäude  wurde 
viermal  confiscirt.  Das  Prembiirger  Lycenm  brachte  Mathias  Bü 
zu  hoher  BHlthe,  ISr  studirte  in  Halle,  wurde  Erzieher  im  Hause 


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514  DAS  jnmmacBE  vmaaicmwaBm* 

Franke'ff^  unterrichh'te  in  desiseii  verschiedenen  Anstalten,  ward 
Reetor  in  liergeu  uihI  führte  in  Pressbiirg,  wohin  er  1714  berufen 
wurde,  den  Frank e'schen  Uealiamus  ein.  Er  lieas  sogar  die  fran- 
zösische Sprache  leliren.  Bei  hat  als  Gelehrter  und  Sehriftstfller 
einen  Namen  hinterlassen.  Nach  fünfjähriger  Lehrth&tagkeit  wurde 
er  zum  Pfarrer  gewählt 

Ausser  den  erwähnten  3  Lehranstalten  gab  es  noch  8—9 
lutherische  Mittelschulen. 

Oie  Brennpunkte  des  SchtUwescns  der  liefonnirfen  waren 
Siiros-Patuk  und  Dehrezin.  Das  Srtros-PatakiT  Collogiiini,  gegrün- 
det 1531  durch  Perenyi's  Mnnificenz.  fand  in  Ueorg  1.  llakoczy 
und  dessen  <  iemahlin  Susanna  Lorantfj  hochherzige  Gönner  und 
stand  vier  Jahre  lang  unter  Arnos  Oonienius'  Leitung,  der  es  zu 
hoher  Blüte  beförderte.  Ais  die  Anstalt  den  Jesuiten  übergeben 
wurde  (1671),  wanderten  zwei  Professoren  mit  den  SehUlem  hel- 
vetischer Confession  ins  Edl  nach  Gyulafeherrar.  Tököly  vertrieb 
die  Jesuiten  und  eine  Zeit  lang  gab  es  in  Patak  nur  reformhrte 
Studenten  unter  ihrem  Senior  ohne  Professoren.  Wieder  verjagt 
zogen  die  Studenten  nach  Göncz  und  dann  nach  Kaschau.  Endlich 
stallte  der  Rakdczy'sche  General  Orosz  1700  die  reforinirte  Schule 
Patiik's  wieder  her.  Mau  wollte  sie  zwar  auch  später  zu  <nin>:ten 
der  Jesuiten  confiszireu,  und  es  ereignete  sich,  dass  die  zu  diesem 
Behufe  entsendete  Comitats-Deputation  durch  die  Frauen  von  Pa- 
tak mit  Besenstielen  verjagt  wurde ;  schliesslich  blieb  aber  die  An- 
stalt doch  unangefochten.  Nun  brachen  aber  Zwistigkeiten  aus. 
Der  sehr  gelehrte,  jedoch  unverti^liche  Professor  TiHsi  (der  Jan- 
gere) haderte  mit  seinem  Oollegen  JFÜSelb*  und,  als  dieser  versetzt 
wurde,  mit  dessen  Nachfolger  Nagi/mllMlyl.  Die  Studenten  nahmen 
Partei:  es  kam  zu  Schlägereien,  Nagymihalyi  wurde  in  seinem 
Hause  förmlich  belagert.  Nach  20-jährigein  Hader  musste  endlich 
der  König  durch  Absetzung  beider  streitenden  Professoren  Ord- 
nung schaffen. 

In  der  besten  Zeit  des  Collegiums,  noch  vor  den  Verfolgun- 
gen, wiikten  nie  mehr  als  3—4  Professoren  mit  Hilfe  der  Praeoep- 
toren,  d.  h.  des  Collegiums  absolvirter  Studenten,  die  auf  diese  Art 
1^2  Jahre  den  ProfSessoren  an  die  Hand  gingen,  dann  2--3  Jahre 

in  einem  kleinem  Orte  als  Lohrer  wirkten  und  endlich  auslän- 


DAS  UNGARISCHE  ÜNTERRICHTSWESEH. 


515 


dische  Universität*^!!  l)eMUchten,  um  sich  /u  Piofe.ssoreii  oder  Geiat- 
lichen  aiis/nhildon.  Eh  gab  3  Cur^e  zu  Patuk  :  Grammatik,  Rheto- 
rik und  der  höhere  Lehrknra,  wo  Theologie,  Jas,  Geschichte,  Logik, 
Metsphysik,  Ethik,  Geometrie  gelehrt  warde.  Das  eigentliche  Gym- 
nasium bestand  aus  C  Jahi'güugen,  wie  bei  den  Jesniten  oder  viel- 
mehr wie  in  der  Strassburgischen  Anstalt  Sturms.  Man  zahlte  an  • 
1200  Schüler.  Diejenigen  Hörer  des  liöhern  Curse«,  die  Wohltha- 
teii  Lr^nossen,  hiesseu  Tomaten  (naeli  ilircr  Tmcht).  Ihre  Zahl  be- 
triiji  all  oUO,  im  Alter  v<ui  17  bis  zu  :ir>  Jahren.  Flöchst  riihnilich 
ist  die  Sitteureinheit,  die  sie  bewahrten.  Die  vielen  Schüler  konnten 
in  den  Lehrsälen  keinen  genügenden  Platz  finden.  Viele  mussten 
stehend  oder  liegend  schreiben.  Höchst  merkwürdig  ist  das  Self- 
goTemement,  das  sich  unter  der  Jagend  S^ros-PataVs  entwickelte. 
Die  Anstalt  stand  unter  dem  Protektor  (gewöhnlich  der  Gutsherrn 
Patak's),  Curator  und  Consistorium.  Der  Coetus  aber,  der  die  Schul- 
iiugelegeuheiteu  regelte,  bestand  aus  l^roteSHüi  cu  und  fStudeuten  : 
ja  erstere  übten  blos  die  Oberautsicht  au«,  die  Verwaltung  lag  den 
Schülern  ob.  Der  Senior  der  Studenten  führte  die  Finanzen,  denn 
den  Stiftungen  gemäss  gehörte  das  Vermögen  nicht  der  Anstalt, 
sondern  der  Jugend,  und  von  dieser  erhielten  die  Professoren  ihre 
Gelwlter.  Man  wollte  einmal  diesem  Zustande  ein  Ende  machen ; 
aber  die  Studenten  ertrotzten  sich  durch  offene  EnpÖrnng  ihre 
alten  Keehte.  Ausser  dem  iSeiiior  wählten  die  Studenten  einen  Con- 
Tiasc-riba  (Xotär),  Provisor.  Oekonomen  u.  s.  w.  und  In  Primarii, 
di«*  als  primaria  sedes  das  erste  Forum  in  Schulangelegenluiten 
bildeten.  Das  höhere  I'orum,  die  amplissima  sedes  bestand  aus  Pro- 
fessoren und  Studenten.  Der  Bector  präsidirte  und  der  Gontra- 
scriha  fungirte  als  Schriftführer. 

Das  Debreiiner  CoUegliiiiiy  Ton  Anfuig  an  eine  stadtische 
Schule,  wurde  durch  die  Fürsten  Siebenbürgens  öfter  reiehlich  be- 
dacht und  erwarb  sich  durcli  gelehrte  Professoren  (K(unaromy 
r'sipkes,  Szila'gyi,  Martonlalvy)  bereits  im  XVII.  .Tiilniuiiulerte 
einen  ehrenvollen  Uut.  Im  XVlIl.  verdankt«^  das  C'oUegium  viel  dem 
genialen  Georg  Marothy,  «ler  nach  siebenjährigen  ausländischen 
Studien  (in  der  Schweitz  und  Holland)  1738  als  23-jähriger  junger 
Mann  berufen  wurde  und  in  sechs  Jahren,  bis  ihn  nähmlieh  ein 
frilhseiiiger  Tod  hinwegraffte,  den  Unterricht  reorganisirte.  Ma- 


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516  •  '  DAS  tirOABlSCBB  ÜSTIBBICHräWESBK. 


rdthy  schrieb  eine  aAritmeUcs  vagy  szamvetesuek  mestenege' 
1743,  ftlr  deren  Gediegenheit  und  Popularität  Zeuguiss  liefert, 
dfts8  man  .sprichwörtlich  zu  sagen  pflegte  :  »Ez  bi/ony  eiinyi  Ma- 
r<it1iy  nrani  sz»'riiit,*  —  dji.s  macht  so  viel  nach  Marüthy.  Eiu  au- 
•Ircr  herilhmtt  r  Professor  war  Ötefau  Hatvaui  von  1749  au  für 
Physik  und  Geometrie. 

Nach  den  Reformen  Maröthy'ä  bestand  das  (iymuasium,  zu 
welchem  auch  der  Elementarunterricht  gehörte,  aus  7  Klasseo. 
Hierauf  folgte  der  3-jahrige  philosophische  und  endlich  der  eben- 
falls dreijährige  theologische  Cursus. 

Dieses  Cone<^iuni  war  ein  Internat.  Die  3 — 400  Schfllerleb- 
ten  unter  kasernennülssi^'er  Zucht.  Ärmere  Schüler  leist^'ten  al> 
Famulen  den  Hemitteltereu  Dienste.  Es  gab  Alumnisteu  und  solche, 
^  die  nur  im  CoUogium  wohnten,  für  Kost  selbst  zu  sorgen  hatten 
und  Speisegesellschaften  (quadrae)  bildeten.  Wir  finden  auch  hier 
den  Senior,  Gontrascriba,  Oekonomen,  ausserdem  Yigilen,  Janito- 
ren,  Apperitoreo.  Sogenannte  CoUationen  waren  wie  die  Akade- 
mien bei  den  Jesuiten  Selbstbildnngs-  und  Wiederholnngsrerane. 
—  Die  Jugend  bildete  eine  organisirte  Feuerwehr. 

Wir  könnten  noch  an  15  kleinere  reformirte  <TyniiiHsien  auf- 
zählen, die  sich  theils  nach  dem  Muster  der  zwei  erwähnten,  theils 
ziemlicli  unabhängig  entwickelten.  Wir  glauben  jedoch  in  keine 
weitere  Details  eingehen  zu  sollen  und  beschränken  uns  auch  hin- 
sichtlich Siebenbürgens  auf  die  blosse  Erwähnung  der  sächsischen 
Gymnasien  (Hermannstadt,  Kronstadt  u.  s.  w.),  der  refbrmirten 
(Enyed,  Elausenburg,  SsAely-UdTarhely)  und  der  unitarischen 
(Klau.senburg,  Torda). 

Das  (iesanuntbild  des  uugari.schen  Unterriclitswescns  im 
XVIJLI.  Jahrhundert  veranlasst  Aladar  Molnar  zu  t'olgeuder  Ke- 
flerion(S.  117): 

«Dass  wir  uns  der  europäischen  Givilisation  nie  yerschlossen, 
dass  im  Westen  kaum  eine  Enltonichtung  oder  Bewegung  auf- 
tauchte, die  früher  oder  später  nicht  zu  uns  gelangt  wäre  :  ist  mt* 
ser  Olttck  und  unser  Verdienst.  Aber  dass  wir  uns  nie  gonug  bc- 
8trel)en,  bei  uns  zu  Haus«>  eine,  wenn  auch  mit  d»Mn  europäischen 
Fortschritte  zusamiuenliängj'Ucb'  uiul  Schritt  haltende,  aber  den- 
noch selbststäudige  nationale  üildung  zu  entwickeln,  und  das«  wir 


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ÜNOAßlSCHE  KIBCnENLIBPER  I>E5i  XTIII.  JAUBHl'NnE&T>. 


517 


lins  nichf  angolcj^cn  s»*iij  licsson,  ([or  |)uliti.sch»'n  )SL'lb.st8täudiglv<'it 
die  geistige  »Selbstständigkeit)  die  selbstständige  Uildung  zu  Grunde 
zn  legen  :  das  ist  unser  grosses  Unglfick  and  eine  SOnde,  die  sich 
in  unserer  Geschichte  schon  mehrmals  gerächt  hat.* 

Wahr  niid  «gerecht !  Aber  aus  deiL  Unterrichtszustäiideu  der 
ersteu  Hälfte  des  XN'Ill.  Jahrlmudert  müssen  wir  noch  eine  andere 
Bemerkung  ableiten,  die  gerade  dem  Auslande  gegenüber  zur  Zer- 
iitrenung  gewisser  Vorurtheile  betont  werden  muss.  Türkenkriege 
und  innere  Kämpfe  vormochten  nicht  die  Bildung  auszurotten.  Zur 
Zeit  als  die  Folgen  der  Terderblichen  Verhältnisse  zu  Tage  traten, 
sehen  wir  die  Nation  um  einen  bedeutenden  Schritt  weiter  zurück, 
als  die  ^lüeklichorii  westlichen  Nationen  ,  aber  immerhin  im 
Vorwärtsschreiton  begritt'en.  ITiertür  liefert  der  erste  Band  des  lei- 
der unvollendeten  Molnar'.^chen  Werkes  einen  auf  unleugbaren 
Thatsacheu  «^et^rilndeten  Beweis,  der  zur  gerechten  Beurtheilung 
▼on  Ungarns  KuUnrßhigheit  gewürdigt  zu  werden  verdient 

Db.  Moritz  Daryai. 


UNGARISCHE  KIRCHENLIEDER  DES  XVHI.  JAHR- 

IIINDEUTS. 

Das  uiifjari-if  lie  Kirchenlied  erfreute  «ch  im  vorigen  .Talii  liuu.liM  te 
einer  regen  I'llege.  Nach  <len  grossen  Küuipfen  «los  XV[.  und  XV IL 
Jahrhundert-«,  wclclie  auch  auf  religitt>em  Gebiete  ausgefochten  wui-len, 
brachte  der  Szatlnnarer  Friede  (1711)  «He  erwünschte  Huhe,  und  Katho- 
liken, sowie  Protestanten  beeilten  nicb  die  inneren  Schäden,  die  der 
religiSse  Cultn^  erlitten  hatte,  wieder  gut  zu  machen.  Wieder  ertönten 
in  den  Kirchen  die  heiligen  Lieder  und  dieser  Zweig  der  Poesie  war  es, 
der  wahrend  langer  Zeit  das  nationale  6ei)räge  trag,  während  überall 
da«?  fremde  Element  dominirend  wtir.  Weder  die  Lieder  selbst,  noch  die 
in  die-^em  Zeiträume  erschienen^'n  t]iooroti<elien  Werke  >ind  voll>tündig 
dureljfors.  lit.  Mielmel  Hogisi«  Ii  lud  <\c\\  d«  !-  Aufgabe  unter/ogfU.  die  natio- 
nalen Woi-ien  nach  (iebühr  zu  würdigen,  welche  seit  dem  Tode  Gal»rl«l 
Mätrav's  keine  Forscher  gefunden  hatten.  In  meinem  akademischen  An- 
trittS' Vortrag  hat  er  unter  obigem  Titel  die  diesbezüglichen  Resultate 


.-,18 


rNGAUISCHE  KUH  HENLIEftEB  DRü  XVIII.  JAHIlHrNr»EUTS'. 


dargelegt,  welche  nnn  im  Druck  ersi-liieneii  *  unil  aus  denen  wir  Fol- 
gendes  entnehmen. 

Der  Ldwen-Antheil  der  im  vorigen  Jahrbnnderte  ert^cbtenenen 
Qesangsbächer  gehört  den  Protestanten.  Mit  grosser  Hast  beeilten  sieb 

dieselljen.  die  durch  den  Szathraarer  Frieden  gewöhrleisteten  VortheUe 
zu  l>enut/f*n  und  trncliteten  duicli  dl»*  Samniliin^en  der  Kin  lieiigesänge 
ihre  (ieti»'uen  /u.>;uumen/.uludten.  Die  l*re.s>en  konnten  kanm  dem  An- 
dränge «^enütren.  In  Debrezin,  KLnisenburg,  Pre«sburg,  Knjred,  theilwei«« 
auch  in  Pest,  Ofen,  Kascliau  und  Waitzen  ei  i^chienen  die  meisten ;  man« 
che  wurden  sogar  im  Auslände  gedmokt  und  in  Ungarn  verbreitet.  Eine 
ganze  Reibe  von  ScbriftsteUem  und  Sammlern  finden  wir  hier,  anter 
denen  einige  ancb  sonst  als  Dichter  wirkten.  Szenezi  Holnir  Albert» 
Benjamin  Sztojri,  Panl  Rüdai,  Stefan  Losonczi,  Georg  Maröthi  gaben  die 
meUt  rerbreitesten  heraus ;  jedoeh  ftlbrte  der  erster«  in  seinen  Psalmen 
die  trnn7.").si><ehen  Wei>en  Claude  Ooudimel's  ein.  welche  dem  uni,'ari- 
.sclien  Xiiturel  niclit  enNpr;u  heu  und  so  sehen  wir,  dass  die-e  Mii^ik 
im  fortwllhrenden  Kampte  ;j:egen  den  nationalen  Rhytmus  war.  Trotz 
der  grossen  Kru'  iitl)ai  keit  zeigen  diese  Werke  dennoch  keinen  Frot^^t  hritt. 
Je  mehr  sich  die  Gesänge  von  denen  der  Katholiken  entfernten,  desto 
mehr  verloren  sie  an  nationalem  GefBble  und  Inhalte  and  die  fremde 
'  Musik,  deutsche,  fianzOsische,  belgische,  holländische  und  böhmische  trat 
in  den  Yordergrond.  Die  katholischen  Gesänge  hingegen  bildeten  immer 
mehr  das  nationale  lied  aus,  und  ans  dem  langen  Kampfe,  den  es  mit  dem 
römisch-gregorianischen  Gesansre  zu  besteKen  hatte,  ging  es  siefrreich 
hervor.  Wenn  die  Katholiken  nueli  weniger  ])rodueirten,  so  Huden  wir 
dennoch,  dass  sie  in  deu  wenigen  (»esaugsbüchern  den  eelit  ungarischen 
Geist  ausprägten.  Allen  voran  geht  die  Lyra  coelestis  <les  (ieorg  Naray, 
des  begabten  Dichters  und  Musikschriftstellera,  in  dessen  Gesängen  der 
leichte  populäre  Rhythmus  mit  dem  feierlich  ernsten  nngarischen  so- 
sammensobmilzt.  Als  Poet  und  Musikus  ist  auch  Stefiin  Dlyte  bekannt 
dessen  Werk  den  grGssten  Theil  der  Poalmen  in  alten  nngarischen  Qe* 
fiängen  erhalten  hat,  und  berufen  war  den  französischen  Melodien  Mol- 
när^fl  die  Waage  zu  halten.  Die  meisten  diödbezflglichen  'Werke  jedoch 
sind  ohne  Angabe  des  Verfassers  erschienen ;  in  ihnen  finden  wir  die 

*  Magyar  cgyhäzi  n^penekek  a  XVIIL  szä.2adböl.  Bogisich'  IGhäfy' 
Ul,  Akademie  1881. 


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UKOAItlS«  HB  IIRCHIi»UED£fi  VSB  XVTJI.  JAUliliÜNi>EUl'S.  519 


sehönutea  Marien- fiieder.  welche  bewegen,  da^  die  nationble  Poesie  nucb 
hier  Grosses  gescliaffeii  hat  Aach  Paul  Abjtds  und  Flatus  Verseghi,  be* 
rtthmte  rHehter  aas  dem  vorigen  Jahrhanderti  verfaßten  kirchliche 
Oesftnge  Hammt  Melodien.  Gross  ist  die  Anzahl  deijenigea  Lieder,  die 
in  einzelnen  KlOstem  and  Bibliotheken  als  Manaseripte  anfbewahrt 
werden,  iind  <lie  der  Verfasser  noeh  nicht  durchfoi-Sc  ht  hat.  Seltener 
find  jedoch  die  tlieoretischen  Werke  über  die  Kin  henmusik  ;  Geor^^ 
Mardthy  schrieb  zwei  nro-icliüren  über  den  Vortrag  der  Psalmen  und 
ü]>er  den  Unterricht  im  Gelang.  Ihm  gebührt  die  Palme  des  Palin- 
Ineehers.  aber  sonst  sind  die  l)ei<len  Werkchen  ziemlich  unbedeutend. 
Verseghi  pnblicirte  nach  Sulzer'tt  Theorie  der  schönen  Künste  einige 
Artikel  flher  Musik. 

Wenn  wir  den  Charakter  des  ongarisohen  Kirchenliedes  hestim- 
men  wollen,  mttssen  wir  swisehen  dem  katholischen  und  protestanti- 
schen scheiden.  Beide  Oonfessionen  haben  prachtvolle  kernmagyarische 
Kirchenlieder,  web  he  wir  bei  analeren  Nationen  vergeben?»  ^uchen.  Der 
Hauptcharacter  des  katholisciien  (i(3sanges  war  immer  Patriotismus  und 
innige  Hingebung.  Die  katholische  Kirche  besang  die  Heiligen  in  schö- 
nen Rhythmen,  aber  aach  der  Patriotismus,  die  ungarische  Glorie  zeigte 
sich  in  den  Hymnen  zu  £hren  der  ungarischen  Heiligen.  Unter  allen 
diesen  Gesingen  ragen  die  Marien-Lieder  am  meisten  hervor,  bilden  die 
Seheidewand,  welche  die  Reformation  gesogen  hat  Die  Protestanten  ver- 
warfen den  Caltns  der  Heiligen,  deshalb  fehlt  in  ihren  KirchengesUngen 
der  patriotische  Ton.  Ihre  Gesangsbttcher  zerfallen  in  drei  Thelle :  festliche 
Hymnen,  aus  den  Psalmen  gesi  hüpfte  Lobgesänge  und  Molnar'sche 
Psalmen  mit  fraazösi.>cheu  Melodien.  Die  beiden  er>ten  repriisentireii 
den  ungarischen  National-Gesang,  sind  aber  meist  von  den  Katholiken 
üliemommen.  Die<'e  hatten  eine  Jahrhunderte  lange  Überlieferung;  die 
Gesänge  des  Mittelalterä  nach  den  Melodien  des  ungarischen  Minen*  und 
Heldeagesaages  enthielten  ein  gnt  Stück  nationalen  Dichtens  and  Schaf-  - 
fena.  Die  Gesinge  der  angarischen  Heiligen  (Stefan,  fimerich,  Ladiskkus, 
Elisabeth),  der  verschiedenen  Feiertage  and  Ceremonien  haben  alle  ihren 
eigenen  Charaktei*,  welchen  jedoch  immer  das  nationale  Element  gemein 
ist.  Ja  der  Verfasser  geht  so  weit,  dass  er  Parallelen  zieht  zwischen  den 
.Melodien  de>  Volks-  und  Kin  hcnliedes  nnd  lieweise  bringt  für  die  Iden- 
tit.'it  iiei>ell»en.  l>as  Kirchenlied  liat  im  T'ngai  i-rlit*n  -»Hin  fij^'enc-  Vcr.  - 
maas  und  musikalische  Bezeichnung;  das  gewöhnliche  Metrum  ist  der  Dac- 


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>20 


ZUB  VBRQUICHBNDFir  TIOPIE. 


tylus,  jedoch  köiiunt  auth  nlt  iler  AniipJSäi  vor,  und  tlurch  Vcr.-climelmn.' 
•  lieber  l>ei>len  Metiii  ent>iehen  <lie  ver.-chiedenen  (J^.  12,  rukte: 
es  gibt  aber  auch  ungerade  Takte.  Die  Perlen  dieser  ganzen  iN>esie  uml 
Musik  dind  die  'l'üdtenlieder.  weh  he  in  grds^ci  Anzahl  bei  beiden  Con- 
fetwionen  vorbanden  sind.  Der  Tod  inaeht  alle  gleich,  and  so  finden  irir 
Blieb  hier  dass  die  melancholischen  Töne  in  ihrer  farbenreichen  Pruht 
am  Bande  dee  Grabes  gleich  erschallen  nnd  wehmütbig  Abcchied  neh- 
men von  denen,  die  in  ihrem  Leben  Freude  nnd  Schmerz  bei  den 
Tünen  der  nationaU-n  liieder  getülilt  IuiIm  u. 

In  der  verdienstvollen  Abhandlung  sind  die  -cliunstt-n  Lieder  uul 
Noten  versehen  dem  Texte  beigefügt  und  eingehend  be>prü(-lieu. 

ZI  ß  VEllULEICHENDEN.TROPIK.* 

Die  A])liandlung  des  Prof.  Williem  Per/,  über  die  Tropen  de- 
Uuripides  ist  die  Forlsetzung  einer  Seri(i  von  ."Studien,  die  der  Verfav-er 
mit  seiTUM-  StfSteiuati^irhcn  Darstellung  der  P)oportions-Troi)m  bei 
ikphocles  (Zeitschrift  f.d.08terr.  Gymn.  1B77.  X.  Heft)  und  der  Troi/m 
des  Äesehfßm  und  Sophodes  (Sprachwissenschaftticbe  MittheflnogM. 
heransg«  durch  die  nng.  Academie,  XI V.  Bd.  1878)  begonnen  bat 
und  die  den  Zweck  haben,  die  Tropen  der  Dichtungen  in  efilturhistori' 
srhrr  U)id  [tuet i srhrr  Uiirhsi cht  zu  behandeln.  J  >er  Verfasser  ist  Wil- 
lens, wieer<las  in  den  Schlussworten  seiner  Arbeit  sagt,  nuth  da;?  üi'ii:J<' 
grieclüsche  Drama,  da.s  Epos  und  die  Lyrik,  lerner  die  römische  Po&sie, 
sowie  die  ausgezeichnetsten  poetischen  Produkte  der  neuem  Zeit  ans  dem 
selben  Gesichtspunkte  zu  bearbeiten  und  glaubt  damit  fernere  Beiträge 
mr  Grundlegung  einer  vergleichenden  Trcpik  der  Poesie  zu  liefern. 

In  der  Einleitung  bespricht  er  vor  Allem  den  rhetorischen,  gm- 
matisehen  und  lexicographischen  Standpunkt,  nach  welchen  die  Tropt>n 
gewrdmlich  behandelt  werden,  und  na<  hdeni  er  die  rnätatthaftigk-^it 
dieser  Autra>sun<-r  bervoi gt  liolx  n.  spricht  er  seine  Meinung  dahin  aii?. 
dass  die  Tropen  nur  in  cultur historischer  uud  poetischer  Kücksicht  be- 

*  Die  Tropen  des  JCuripides  rerglithen  mit  den  Tropen  dee  Acsjnjl  i 
und  Sophotkt»  In  cuUurhistorischer  und  jtoetisdier  BüdksitM  behandfU.  Ein 
Bei(rag  eur  ver^eiihenden  Tropik  der  Poesie.  Von  Dr.  Wilhelm  Pect.  A« 
dfn  Abhandinngen  der  nngar.  Akademie  der  Wissenschaften«  Bodapett,  1882. 
Verlag  der  Akademie. 


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SVH  VFKIH.EK  HEJ^1»EN  TBOPIK.  $tX 

bandelt  werden  können,  indem  men  nachzuweisen  hat,  in  welchem  Zu- 
sammenhaage  Zeitalter,  Dichter  nnd  Tropen  mit  einander  stehen,  wel- 
ches Licht  die  Tropen  auf  Zeitalter  nnd  Dichter  werfen.  Diesen  Aue* 
einandersetningen  folgen  mehrere  Beiepitle  ans  Enripides  znm  Beweise 
dessen,  dsss  die  Proportionstropen  (Oleiehniss,  Allegorie  nnd  Metapher) 
die  Phantasie,  die  Synecdoche  und  Metonymie  den  Verstand  (die  An- 
schauung und  Hetiexion)  zur  Quelle  ihres  Entstehens  haben.  Nach  eini- 
gen Bemerkungen  über  die  Behandlung  des  Stoffes  wird  der  Unterschied 
zwischen  der  Tropik  der  Poesie  und  der  Tropikder  Sprache  hmorgeiho"  ' 
ben ;  als  Begründer  der  letztem  kann  Brinkmann  durch  sein  ansgezeioh- 
netes  Werk :  IHeMekiph0irn.8Mien  Über  den  Chut  der  modernen  i^pra- 
ehen  t  Bd,  TkkrUlder  der  Sprache  (Bonn.  Marens  1878)  betraohtetwer- 
den.  Znm  Schlnss  werden  die  Kategorien,  welche  bei  der  Behandlnng  der 
Tropen  des  Enripides  gelVinden  worden,  zusammengesient.  Sie  sind  die 
folgenden  :  1.  Synecäoche  :  Der  Mensch,  die  Religion,  Mythologie,  der 
Krieg,  das  «taatliclie  Leben,  die  Pferdezucht  und  das  Pferderennen,  die 
Schiffahrt  und  die  Natur  mit  folgenden  kleineren  Abtheiliingen  :  Die 
Tbiere  und  die  meteorologischen  Erscheinungen.  2.  Metonyntie  :  Der 
Mensch,  das  menschliclie  Thon  nnd  Treiben  im  AUgemeinen,  die  Bali- 
gion,  Mythologie,  der  Tanz,  die  Mnsik,  die  Webeknnst,  der  Krieg,  das 
staatliche  Leben,  die  Pferdeancht  nnd  das  Pferderennen,  der  Ackerbau, 
Weinbau,  die  Sehifl&khrt  nnd  die  Natur  mit  folgenden  kleineren  Abthei- 
hingen  :  Das  Waaser  und  die  meteorologischen  Ersebeinungen.  3.  Pro- 
parücnstropen  :  Der  Mensch,  das  Haus,  das  menschliche  Thun  und 
Treiben  im  Allgemeinen,  die  Religion,  Mythologie,  die  Wettkämpfe, 
der  Tanz,  Gesang,  die  Musik,  Architektur,  Malerei,  Ar/neikuude,  der 
Krieg,  das  staatliche  Leben,  die  Jagd,  der  Fischfang,  die  Pferdezucht 
nnd  das  Pferderennen,  die  Viehzucht,  Bienenzucht,  die  Ciärtnerei  und 
der  Ackerbau,  der  Weinbau,  Handel  nnd  die  Natur  mit  folgenden  klei- 
neren Abtheüungen  :  Allgemeine  Natureigenschaften,  die  Tbiere,  Pflan* 
zen,  das  Feuer,  Wasser  und  die  meteorologiseben  Ersehemungeo. 

Es  folgt  nun  der  bei  weitem  grösste  und  eingehendste  Theil  der 
Arbeit,  in  welchem  der  Verfasser  die  möglichst  genaue  nnd  Tollstindige 
/usammenstellupg  der  Tropen  des  Enripides  nach  den  eben  genannten 
Kategorien  zu  geben  trachtet. 

Den  Schluss  bildet  die  Vergleichung  der  Tropen  der  drei  IVagi- 
ker,  wobei  der  Verftsser  au  folgenden  Resultaten  kommt : 
innifiMkt  un»,  um.  n.  H<ft. 


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ZfJtL  fKROLHOflüNDKM  TBOPlIt. 


Alle  drei  Dk-Iitcr  repra^ontiien  -chon  in  ihren  Tro|)€n  einzelne 
Zeitalter  der  Gesehiclitp  Athen?;  :  Aeschylus  das  der  Per  serkiiege,  i^opho- 
olei?  das  des  IVrioles  und  Kuripides  das  de^  Kleon.  Bei  Sopbocles  wird da% 
Indmdaun  in  dea  Bintergiund  gedrängt,  bei  EuripideB»  ganz  beaoadan 
aber  bei  AeRcfa^ns  ragt  es  hertor.  Doch  wlhrend  der  Held  yuii  Mm* 
tiion  seinen  Krieger  mit  den  Blumen  seiner  Phantasie  sohmtökt»  ar* 
gliedert  nnd  mrreisst  der  skeptische  und  grfibelnde  Dramatiker  AtlieiB 
mit  seinen  8yne<  dof  lien  und  Metonymien  den  Menschen.  Rezeiclmeid 
ist  aber  auch,  das^  der  \Veil»erfeind  Kuripide^  das  Wort  ^TJeth"  in  vier- 
undzwanziir  verschiedensten  und  kühnsten  Wendungen  metonjmiich 
gebraucht.  Aescbylus  luit  als  der  religiösere,  siebenundzwanzig  Propor- 
tiottstropen  ans  der  Beiigion  und  Mythologie,  Sopbocles  eine  einiige; 
finripides,  der  Glttalrige,  gebranoht  Proportioostropen,  der  Skeptiker. 
Syneedoehe  und  Metonymie.  Sophooles,  der  ganz  Diditer  war,  hat  wenige 
Bilder  ans  dem  Krieg  und  dem  staatlichen  Leben,  der  knegensdie 
Aeschylus  viele  Proportionstropen,  der  reflectirende  Euripides  mehrere 
Syneedochen  und  Metonymien.  Interessant  sind  die  ziemlich  ^^elen  un-l 
gewagten  Bilder  des  marathonischen  Kämpfers  aus  der  Arzneiknnde, 
t^berhaupt  sind  die  Bilder  aus  dem  friedlichen  Leben  zahlreicher  bei 
Sophooles  nad  Euripides  als  bei  Aeschylus,  wfthiend  die  ana  dar  Sekif  • 
fiihrt  entnommenen  mehr  bei  Aesehylna  und  Sophodes  henrortnten,  sk 
bei.  Märntera,  die  mit  Stolz  auf  die  grosse  Seemacht  Athens  bUdniL 
Aeschylus  hat  die  meisten  Propörtionstropen  und  die  wenigsten  87tte^ 
dochen  und  Metonymien,  Kuripides  die  meisten  Synecdochen  und  Me- 
tonymien und  die  wenigsten  Propörtionstropen,  Sophodes  steht  in  der 
Mitte  :  also  hat  auch  Aeschylus  die  ^'^rös>te  Phantasie  und  am  wenigsten 
Reflexion.  Euripides  die  grösste  Reflexion  und  am  wenigsten  Phantasie, 
Sophodes  Terbindet  Phantasie  und  Beflezion  in  glfiokliehster  Barmcnia 
Dio  Synecdoche  und  Metonymie  ist  sdmeidigtir  bei  Aeschylus  ab  bsi 
Sophooles,  aber  bei  Euripides  am  schnddigsten,  -Die  Phantade  des 
Aeschylus  ist  nicht  nur  um  vieles  grösser,  sondern  auch  um  Tides  ge- 
waltiger als  die  des  Sophoeles,  wahrend  Euripi»les,  was  die  UrOsse  der 
Bilder  an]»elangt,  als  der  Nachahmer  des  Aeschylu-^  erscheint.  Der  üui 
fttand,  dnss  di»;  Proportionstropen  bei  Euripides  bald  häufig  sind,  bald 
so  zu  sagen  verschwin<len,  bei  Aeschylus  und  Sophodes  dagegen  gleich- 
mftssig  veriheüt  sind,  bezeugt,  dass  die  Phantasie  der  Letzteren  gldcfa 
anhdtende  Kraft  besass,  während  sie  dch  bd  JSuripides  nur  adtwipof 


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DAS  GRABFELD  AM  f>oBoGO  Btl  KE^miKLU 


5S3 


«mporrin<:t.  An'-h  kommen  hei  den  drei  leichtern  atis  eweifachen  Bil- 
äön  hetUkende  Qrupi)m  Tor,  die  dadvoh  enistehen,  das«  Synecdoohe 
lud  Propertionsirope  oder  Metonymie  und  Piroporiionetjrope  so  enge 
«mcmmenbängen,  dass  sie  ein  eigenibtoliolieB  Gkunen  bflden.  Amch 

DoppffhUdier  erscfieinen  Me  nnd  da,  die  durch  den  roeUphoriscben  Oe- 
braauh  der  s  \  necdochisthea  oder  metonymischen  Bedeutong  eines  Wortes 
gebildet  werden. 

Im  Anbange  wird  die  anf  die  Tropen  bezfigliohe  neuere  Literatur 
nt  Aazeige  gebractit. 


DAS  GRABFELD  AM  DOBOGÖ  BEI  KESZTHELY.  - 

Keszthely  nnd  seine  nUch^te  Umgebling  entpuppt  sicli  nachgerade 
als  eine  nnerscliöpfliche,  und,  was  die  Hauptsache  i;<t,  noih  vor 
Karzern  unberührte  Fundgrube  ftir  Antiquitäten  aus  allen  Period«n 
dttf  menscbücheji  QeBcbiobte.  Meines  Eracbtens  ist  dies  zumeist  der 
topograplÜMben  Lage  m  danken.  Im  SNldem  der  nnabeebbare,  fisehi-eicbe 
8e6^  im  Osten  freundliche»  waldbewacbsene  HObenzfige,  im  Korden  eine 
Ihicfatbsre  Hochebene,  im  Westen  sanft  abfallendes  Httgellaiid»  das  eine  ^ 
ziemlich  grosse  Niederung,  mit  einem  warmen  See,  dem  H^vi^.,  ein« 
fchliesst,  —  was  Wunder,  da.ss  die  Menschen  aller  Zeiten  diesen  Fleck 
auf  Gottes  Erdboden  so  einladend  fanden,  dass  sie  da  Hütten  bauten  ! 

Pass  e«  gerade  mir  vergönnt  ist,  die  archäologischen  Schätze  die- 
see  Landstriches  zu  heben,  ist  ein  giftcklicher  Zufall  ff^r  mich  und  fUr 
die  flache.  Fitr  mich,  weÜ  ich  meinem  Lieblingsstndiam  mit  ToUein 
Herzen  nachhingen  kann ;  fBr  dA»  Sache,  weil  ohne  meinen,  Tielleif ht 
mir  angeborenen  Spfirsinn  und  meine  Zshigkeit,  mit  der  ich  eine 
gefnudene  Spur  zu  verfolgen  pflege,  und  mit*der  ich  manche  Lente, 
die  nicht  einsehen  können  oder  wollen,  dass  das  feste  Ausharren  eine 
Hauptvorbedinyung  «les  Erfolf^es  auf  areh.lologiscliom  Gebiete  ist, 
manchmal  seiion  fast  ratend  gemacht  habe,  —  alle  diese  Fundobjekte, 
die  beute  schon  so  helle  Streiflichter  anf  die  dunkelsten  Punkte  der 
Völkerwanderung  werfen,  wer  weiss  wie  lange  noch  unl>eachtet  im 
'Sdie^se  der  Erde  geruht- bStten,  oder,  was  sogaor  noch  wahrsckein- 
Heber  nnd  auch  vor  meinen  Arbeiten  schon  vielfaeb  geschehen  ist, 
ans  Unkenntniss  von  Alien  nnd  Jungen  levetCrt  worden  wlren. 

34* 


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» 

MS  OBAlFtCD  All  BOMOÖ  Bit  mSTflBLT. 


Die  jjt'chi  lcn  Le>er  »lieses  RIattes  werden  von  nieineil  Avtsgim» 
bungen  am  Kes/.tlielyer  Orabfelde  theils  tlurch  eine  r>chon  erst  hieneiie 
Mittiieilung,  theils  <liir(h  raeinen  Vortrag,  »len  irh  am  Osteraienstag 
vorigen  Jahres  im  Haui>tst«dtis(  hen  Industrie-Kasino  hielt,*  zur  Genüge 
untorriehtet  seiii.  Um  daher  Wiederholungen  zu  vermeiden,  werde  ich 
das  Keszthelyer  Grabfeld  nur  im  NotbfaUe  einer  Vergleichnng  oder 
Riebtigstelluiig  i)erllbreni  im  Ganzen  aber  nur  meine  Wahmeiumugen 
am  Dobog6  darlegen. 

An  der  nordwesiliclien  Grenze  des  Kssslheljer  WeichbUdos  ballt 
sich  ein  mU.ssig  hoher  Hügelknftuel,  als  letzter  An^lSnfer  des  Tomajar 
Weingel »irges,  in  die  Niederung  des  Heviz  hinein,  dessen  westlicher 
Abhang  von  einem  ziemlich  grossen  Hacli  bespült  wird.  Dieser  Hügel- 
knäuel, ein  kreide  weisser  und  nur  mit  spärlichem  Grase  bedeckter 
Dolomüfelsen,  bildet  mn  nnregelmftssiges  Dreieck,  auf  dessen  südliche 
Scbenkel»  nnweit  des,  von  der  Hanptstrasse  abiweigenden  W^ges,  d«r 
zum  Badeort  H^vis  fthrt,  sieb  ein  eioxeln  stabender  Csgel  mit  zwei 
Spiteen  erbebt.  Das  ist  der  Dobogö.  Der  Hfigel  bet  seinen  Namen  m 
der  Mfthle,  die  einst  am  westlicben  Abbang  gestanden,  gegenwirlig 
aber  in  einen  ^chafstall  umgewandelt  ist;  der  HQgel  selbst,  wie  auch 
die  übrigen  mit  ihm  in  Verbindung  stehenden  dienen  nur  zur  Schaf- 
weide, und  auch  die^^e  ist  nicht  die  beste.  In  Folge  dessen  werden  die 
Hügel  auch  seit  einem  halben  Jahrhundert  schon  an  verschiedenen 
Stellen  zur  Gewinnung  von  Strassenmaterial  abgebaut.  Der  ganze  Kom- 
plex igt  £igentbum  des  Grafen  Festetics. 

In  den  Jabren  1879 — 80,  als  ich  mich  mit  aller  Kraft  dem  Kesii- 
belyer  Grabfeld  widmete,  &nd  ieb  immer  Zeit,  aneb  anf  dem  Dobogi6^ 
wo  ich  gleich  bei  der  ersten  Besichtigung  Spuren  Ton  Ofibem  Torftad, 
nachzuspüren,  da  bekanntücb  auf  dem  Kesatbelyer  Grabfeld  Hansglr- 
ton  stehen,  und  ich  meine  Arbeiten  in  der  Zeit  der  Gemüsekultur  noth- 
gedrungen  abbrechen  musste.  Die  Erlanbniss  zu  Nachforschungen  aut" 
dem  Dobogö  ward  mir  von  der  Güterdirektion  zuvorkommend  ertheilt. 
Vor  allem  Andern  wollte  ich  mir  Gewissheit  darüber  verschaffen,  ob  ich 
es  hier  mit  einem  wirklichen  Grabfeld  oder  nur  mit  vereinzelten  Gri- 
bem  zu  tbnn  bebe* 

Der  erste  Versncb  fiel  kllg^  ans.  Es  war  im  Juni  1879.  Die 

*  S.  ^Ungarische  Bevue'',  idSl,  S.  429—444.  Das  Avaren-Grabfdi 
in  Keazthdjf. 


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DAS  OaABFELD  AM  ÜOBOGO  BBl  KEäZXHSLr. 


525 


^^ngende  Hitze,  daa  schwer,  nar  mittelst  der  Spit/hane  bearbeitbftre ' 
Tenaiii,  die  Hartnäckigkeit  meiner  Arbeiter,  die  Alles  besser  wissen 
wollten,  als  ieh,  und  bei  denen  weder  gnte  nocb  soblecbte  Worte  etwas 
frvehteten,  der  aoeeerst  geringe  Erfolg  mtcbten  :  dass.  ieb  nach  drei 
Tagen  es  vorsog,  meine  Forsebungen  auf  eine  günstigere  Zeit  m  ver- 
schieben. So  viel  konnte  ich  aber  schon  bei  diesem  Versneh  bestimmen, 
dass  dm  hier  begrabene  Volk  mit  dem  vom  Kesztbeljrer  lirabield 
identisch  ist 

Vom  29.  April  bis  7.  März  1880  Hess  ich  wieder  hier,  und  zwar 
von  meinen  geschnlten  Leuten  arbeiten.  leb  theilte  den  Hügel  in  Zo- 
nen ein  miil  0ffiiete  an  venchiedoien  Stellen  zosammen  45  OrftW,  und 
zwar  mit  sehr  ermuthigendem  Erfolge.  Meine  Frende  Über  die  schönen 
Fnnde  überwog  aber  beiweitem  die  leicht  erUSrlieheUeberraschnng  und 
Erregang,  als  ich  bei  dieser  Gelegenheit  die  Ueberzengnng  gewann,  dasi 
ich  vor  mir  ein  riesiges,  mehrere  Tausend  Gräber  in  sich  bergendes 
Todtenfeld  habe,  hier,  wo  meinen  Forschungen  und  Nachgrabungen 
nichts,  gar  nichts  hindernd  im  Wege  steht.  Ich  f&hlte  so  etwas  von  dem 
Stolze  eines  Entdeckers  in  mir  nnd  ich  kann  mSnniglich  versichern, 
dass  dies  dnrohaiu  kein  unangenehmes  (befahl  ist»  besonders  wenn  man 
CS!»  wie  ich,  snm  erstenmale  im  Leben  hat. 

Da  mein  Vordringen  anf  dem  Keszthelyer  Chrabfelde  in  gewissen 
Kichtungen  durch  verschiedene  Lokalverhältnisse  erschwert  wurde, 
stellte  ich  dort  meine  Arbeiten,  nachdem  ich  im  Ganzen  449  Grül>er 
durchforscht,  im  Frühjahre  1881  vorläutig  ein.  Einen  kurzgedrängten 
Beriebt  über  die  Resultate  dieser  Au^grabnngen  lieferte  mein  schon 
erwfthater  Vortrag  in  Budapest 

Am  28.  Mai  wurde  der  Bobogö  in  Angriff  genommen.  Mit  29^ 
Juni  l0gte  ich  174  Orftber  bloss.  Da  gingen  meine  Lente  in  den  Schnitt. 
Am  81.  August  wurde  die  Arbeit  wieder  aufgenommen,  und  bis  zu 
dem  heutigen  Tage,  den  15.  März  1882  ununterbrochen  fortgesetzt,  da 
der  überaus  gelinde  Winter  lieuer  meinem  Zwecke  wie  gewünscht  kam. 
Bis  zum  obigen  Datum  habe  ich  Alles  in  Allem,  die  zwei  vorhergehen- 
den Versuche  auch  mit  eingerechnet»  1594,  sage  eintausend  iHnfhun- 
dert  und  viemndneunzig  Oiftber  am  Dobogö  geSffbet ;  die  bei  diesen 
loradniBgea  enielten  Besnltate  will  ich  in  Folgendem  kurz  zusam- 
nnBifossen« 

Das  Grabfeld  am  Dobogö  besteht  aus  Flach-  oder  ücihengräbem, 


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0 


52d  Q&ABFXU>  AM  DOBOOÖ  B£I  K£äZTH£LT. 

die  an  der  Oberflttche  heate  keine  Spur  von  Bezeichnung  mehr  seigett. 
DaaB  ober  einselDe  GrAber,  wenigstens  die  der  Reiohen,  einefcen'»  doch 
beieidinefc  gewesen  sein  mteen,  scUissse  ieh  ans  dem  Umstände^  dass 
ich  eelir  hinfig  inmitlen  yon  20 — 80  imber&hrtan  GrSbern  «n  unge- 
wtthltes  ftnd,  in  dem,  nach  den  noch  Torgeftindenen  Bmchst&cken  zn 
vrfheilen,  reicher  Goldschmnck  gewesen  sein  mods.  Wann  dieser  RAoh 
geschehen  i^t,  kann  ich  natüi'lirli  nicht  wissen,  jedenfalU  aber  schon 
vor  vielen  Jahrhunderten,  vielleicht  noch  vor  der  Einwanderung'  der 
Ungarn,  jedenfalls  aber  nicht  gleich  nach  der  Beerdigung,  da  die  durch- 
einander geworfenen  Knochen  sehr  häufig  schon  Ton  Bronze  grün  ge 
filrbt  sind.  Bleibt  nnr  die  Annahme  übrig,  dass  entweder  die  nachfol- 
genden Generationen  der  BeTdXkerong  durch  mündliche  UeberUeteang 
gewQset  haben,  wo  die  Reichen  li^a,  oder,  dass  deren  GrSber  irgend* 
wie  beaeichaet  warsn. 

Der  Hügel,  auf  dessen  südlichen  und  östlichen  AbhSngen  sich 
dai  Grabfeld  ausbreitet,  ist,  wie  schon  bemerkt,  ein  Dolomit  fel-en.  des- 
sen Oberfläche  mehr  oder  minder  verwittert  i:>t.  Diese  seine  Heschatfen- 
heii  bedingt  auch  die  Lage  der  Gräberreihen.  Auf  den  höher  liegenden 
Stellen,  wo  der  Dolomit  theils  kreideweich,  theils  sehr  bröckelig  ist. 
sind  die  Seihen,  die  von  Weiten  nach  Osten  laufen,  sehr  dicht  nnd 
knapp  nebeneinander,  es  ist  S09msi^(en  jedes  Fleckchen  ausgenützt,  die 
Scheidewlinde  iwischen  den  Bethen  nndGrübem  sind  Öfter  kanm  5—10 
'  Gentimeter  stark.  Gegen  die  Mitte  zu  werden  die  Interralle  breiter, 
weil  das  Gestein  in  festerer  Form  zu  T^e  tritt  und  eben  d^halb 
schwerer  zu  bearl>eiten  war,  am  Fusse  des  Hügels  liegt  eine  bis  2  Meter 
starke  braungelbe  Thunsehichte  auf  dem  Dolomitgrand,  und  dort  wer- 
den die  Reihen  wieder  dichter.  Je  nach  diese»  Bodenverhältnissen  ist 
euch  die  Tiefe  nnd  Breite  der  Gräber  verschieden.  Oben,  wo  die  Gru- 
ben in  den  Stein  gehauen  sind,  sind  sie  sehr  schmal,  und  erreichen  oft 
nicht  einmal  die  Tiefe  von  einem  Meter ;  nnten,  un  Lehmgrand,  sind 
selbe  nicht  selten  bis  in  anderthalb  Meter  breit  nnd  ftber  zwei  Meter 
tief.  Die  Skelete  liegen  in  der  Bogel  von  Westen  nach  Osten,  nnr  am 
süd($et]ichen  Abhänge,  und  zwar  ganz  unten  fand  ich  zu  meiner  nicht 
geringen  Ueberruschuug  drei  Reihen  Gräber,  in  denen  die  Todten  von 
Osten  nach  Westen  gebettet  sind.  Diene  Gr.iber  gehören  offenbar  elut-m 
anderen  Volke  und  einer  jüngeren  Feriode  an,  weil  die  spärlichen  43ei- 
gahen  anisohliesslich  von  Eisen  sind. 


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Qi8  OSABFXLD  IM  D<»006  BU  OanSiaiT.  527- 

Avoh  mnss  ich  noch  «rwfthiieii,  dasB  das  Grabfeld  an  drei  SteUeq, 
YOB  wo  Bum  im  vwigen  Jahrzehnt  dai  Geröll  zum  Strassenhan  atisge- 
hoben,  sehr  grosse  Lücken  anfireisst,  wo,  nar  beilttalig  gesehfttzt,  gewiss 
über  tausend  Gräber  zerstört  worden  und  mit  ihnen  eine  grosse  Menge 
von  kostbaren  Antiquitüteu,  die  tüi*  die  Wi^senscliaft  onrettbai'  verlo- 
ren äind. 

Auf  dem  ganzen  Grabfelde  iät  nur  eine  ein^e  Art  von  iie^tut- 
tong  vertreten,  nämlich  die  einfache  Beerdigung.  —  Das  einzige  Ur- 
aengrab  mit  Spuren  von  Leichenverbieonnng,  das  ich  unter  so  vielei^ 
Gzttbem  fimd,  kann  hier  nicht  in  Betracht  gezogen  werden.  Der  nnvoU- 
kommene  Leichenbrand  im  Grabe»  wie  ich  ihn  an  mehreren  Stellen  in 
Kessthelj  geftwden,  kommt  hier  gar  nicht  vor. 

Von  der  Herrichtung  der  GrSber  ist  nichts  besonderes  zu  bemer- 
ken. Es  sind  einfache  Gruben,  deren  Soiile  immer  uinu  schiefe  Kl>ene 
bildet,  und  zwar  vom  Kopfende  abwärts,  und  die  immer  sorgfältig  ge- 
glättet ist.  Spuren  von  Holzsärgen  sind  hier  häufiger  &U  in  Keszthely, 
Ja  in  einem  Grai)e  waren  sogar  noch  ziemlich  respektable  üeberreste 
von  den  handbreitdicken  Planken  aus  Eichenholz  da,  ans  denen  der 
Sarg  gezimmert  war;  nach  ganz  genauer  Untersuchung  zeigte  sich,  dass 
der  Sorg  zwar  Seiten  und  Boden,  aber  keinen  Deckel  gehabt  hat,  was 
ich  Übrigens  schon  bei  anderen  GrKbem,  wo  Sargspuren  vorhanden  wa- 
ren, ahnte.  —  Dies  erklärt  das  Vorkommen  ganz  verkohlten  Matten- 
gertechtes,  das  ich  häutig  über  das  Ökelet  gebreitet  in  Keszthely  i'und. 

Die  Lage  der  Skelete  ist  in  der  Hegel  die  hinggestreckte,  (loch 
sind  auch  verschiedene  Abweichungen  nicht  selten,  aber  beiweitcin 
nicht  so  häufig  wie  in  Keszthely.  Kine,  und  auch  nnr  ein  einziges  Mal 
beobachtete  merkwürdige  Sitnation  verdient  eine  besondere  Erwäh* 
nnng.  In  einem  Doppelgrade  forderten  zwei  Ifttnner,  jeder  mit  5 — 6 
Messern  und  einer  Hacke  anegerüstet,  Arm  in  Arm  das  Jahrhundert  in 
die  Schranken.  Dieses  seltene  Bebpiel  von  Freundes-  oder  Bruderliebe 
inuss  man  aucli  im  Grabe  ehren.  Ich  liess  die  lieiden  unangetastet  wie- 
der zudecken.  Uebrigens  waren  ''  <■>  der  hier  Beerdi^^'ten  Frauen  und 
Kinder  und  nur  \  0  Männer.  Das  beweist,  dass  es  eiu  kriegerisclies  Volk 
war,  dessen  Männer  weiss  Gott  auf  welchem  ächlachtfelde  ihre  Gebeine 
Hessen.  Und  dass  es  ein  Beitervolk  gewesen  sein  mag,  dürfte  auch  der 
Umstand  beweisen,  den  ich  hier  so  httnfig  beobaehtetei  nttmlich,  das« 
sehr  viele  von  den  hier  bestatteten  Männern  onverkennbare  Merkmale  . 


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DAS  muanuo  am  DOBoeö  ns  dmblt. 


! 


TOB  schlecht  znssrnmengeheilien  Beinbrflohen  anfwie^en.  Die  gros^ 
Mehrzahl  der  hier  nilienden  Männer  besteht  nach  der  Aus^tiittnnp  der 
Grilber  entwe«ler  aus  >ebr  annen  Leuten,  vielleicht  Sklaven,  oder  an- 
Greisen  und  KrUppeln.  Reich  ausgestattete  M&nnergrAber  siad  hier  ver- 
httltnissinfissig  viel  weniger  als  in  Keäzthely. 

Von  Thierakeleten  fand  ich  nur  ein  eiasiges  Mal  einen  Hund  in 
einem  Kindergnibe.  £b  wurde  mir  aber  von  ganz  glnubwArdigeft  Peno- 
nen  Tersieherty  dass  bei  An^grabnng  der  oben  erwähnten  Lfloken  einig» 
Male  auch  Pferdeskelete  in  den  Gribem  vorkamen 

Die  Skelete  der  Hensohen  sind  in  der  Reg«!  noeh  ganz,  aber  sehr 
morsch  tind  weisen,  mit  sehr  geringen  Ausnahmen,  auf  einen  mittel- 
grossen Menschenschlag,  mit  sehr  knochigem,  gedrungenem  K  jrjierban. 
Die  Männer  haben  zumeist  Säbelbeine,  das  Attribut  eines  Heitervolkes. 
Die  Sch&delform  ist  durchaus  eine  dolichokephale,  mit  sehr  breit  ent* 
wickeltem  Hinterbaupte.  Die  näheren  anthropologisoben  BestimmmigeB 
mnse  ieh  Henrn  Profiossor  Dr.  Anrel  I^rak  überlaasen,  dem  ich  n 
Neiqahr  eine  grosse  Kiste  toU  Sohlidel  vom  Dobogd  geaandt  habe. 

Das  Geschlecht  der  hier  Beerdigten,  aber  nnr  der  Erwaehsensn, 
iSsst  sieb  mit  siemlicher  Gewissheit  an  den  Beigaben  eilrennen,  mit  de- 
nen die  Ueberlebenden  die  Gröber  ihrer  theuren  Hingeschiedenen  viel- 
leicht auH  Pietät,  vielleicht  aus  ererbter  Volkssitte,  vielleicht  aus  bei- 
den zusammen,  ausgestattet  hal)en.  Die  Ausstattung  der  Kindergrübei 
bleibt  sieh  durchwegs  gleich,  und  ich  müsste  auch  Anatom  von  Fach  sein, 
der  ich  nicht  bin,  wenn  ich  auch  bei  diesen  den  Geschleohtsantenchied 
bestimmen  wollte.  Und  weil  ich  schon  von  Kindergrftbeni  qHreohe,  so 
will  ich  anch  gleich  meine  diesbezQgUchenWahmehmnngen  anfreichnoa. 

Wahrend  in  Keszthely  fast  in  jedem  Grabe  irgend  ein  Geftss, 
oder  wenigstens  dessen  Bruchstttoke  zu  finden  waren,  so  kamen  am  Bo* 
bogö  nnr  sehr  wenig,  im  Ganzen  sechs  Gef^sse  zum  Vorschein,  und  diese 
waren  bei  Kinderieiihen,  und  zwar  immer  in  der  linken  Grabesocko  ^ 
neben  dem  Koj>fe.  Das  interessanteste  war  jedenfalls  ein  Humpen  aua 
Hol/,  dessen  mit  eingeschlagenen  Panktreihen  verzierte  Bronzblech- 
Beschläge  sammt  Henkel  noch  ganz  gut  erhalten  waren.  Die  übrigen  ! 
sind :  ein  kleiner  Trinkbecher  ans  Thon,  nnr  mit  der  Hand  geformt, 
aber  ziemlich  gnt  ansgebrannt,  —  wwter  vier  banchige  Tdpfohen  mit 
eingedrückten  Ziokzadklinien. 

Eine  regelmässige  Beigabe  der  Kindeigräber  sind  die  meist  dni- 


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DAS  0B4BFBLD  AM  DOBOGÖ  BBI  UCaZTHBLT. 


kelfarbigen,  herzförmigen  Gla-iiperlen,  zwischen  welchen  Aach  durchbohrte 
kleine,  aber  sehr  schlecht  erhaltene  Römermünzen  ans  dem  IV.  Jahrhnn- 
dert  dMilioli  liin6g  sind.  Als  anderweitiger  Habaehmnek  erscheulen  ; 
HasdmiMgTosse  Schellen  ansYergoldeiem  Silber,  ebensolche  ans  Brome, 
Triforien  aas  swei  aafeinanderpassenden,  halbhohl  getriebenen  Scfa«p 
ans  Silber  nnd  vergoldet,  mit  einer  Oeffnnng  oben  nnd 
iinlen,  zum  DurL*hziehen  der  Schnur;  ferner  kleine  Amulete  au-i  trlas  in 
Zahnform,  durchbohrte  Wolf- und  Schweinszühne,  wie  uuch  ganz  kleine, 
dünne  rohe  Täfekhen  aus  Kalkschiefer,  ebenfalls  mit  einem  Loch  zum 
Aafbftngen  verdehen.  Der  Kinderdcbmuck  ist  sehr  einfach.  Ohrringe  ans 
Bronze  oder  Silberdraht,  theils  ganz  glatt,  theils  unten  mit  einem  ge* 
drehten  SohnArkel,  theils  mit  einem  Tropfen  geeiert,  welcher  bald  eine 
naefa  naten  sich  erweitemde  Bronsehfilse,  bald  eine,  anf  diesen  Orab- 
feldem  charakteristische  Kflgelchsmierde,  wobei  auf  drei  aneinander- 
gestellte  Kfigelohen  das  vierte  als  Anfeats  dient,  —  bald  eine  einfach 
gefasste  Glasperle  ist  —  Die  kleinen  Armringe  nnd  Spangen  sind  von 
gewöhnlicher  Form,  mitunter  ist  da.s  15ru<  hstüi  k  eines  grossen  Arm- 
rings zu  einem  Kinder-Ai'mring  zusammengeb(igen.  —  Einfache  kleine 
Bronzenadeln  dienen  zum  Znsammenh alten  des  Kleidchens  auf  der 
Bni9t.  —  Aber  ich  fand  aach  an  demselben  Zweck  hier  eine  ganz  nene 
Erscheinung,  die  in  Keszthelj  ganz  nnd  gar  fehlte,  aimUoh  die  Schei- 
benfibnla.  Von  diesen  fand  ich  sehn  Stück. 

Diese  Scheibentibulae  sind,  mit  einer  ovalen  Ausnahme,  kreisrund  : 
ihre  Grosbo  wecliselt  von  der  eines  Kreuzers  bis  zu  der  eines  grossen 
Thalers.  Bei  acht  derselben  ist  die  untere  Ph'itte  Silber,  die  obere,  mit 
getriebenem  Ornament  versehen  und  ausgebaucht,  von  sehr  dünner 
Bronxe,  der  Baum  zvrischen  Beiden  ist  mit  Kitt  ausgefällt  Die  Eisen* 
nadel  war  nnten  aageschweisst,  fehlt  aber  bei  stehen  gans,  an  der  ach- 
ien  sind  noch  Brachst&cke  davon  vorhanden.  Die  obere  Platte  seigt 
▼erscfaieden  sl^lisirte  Sterne.  —  Die  swei  grössten,  die  auch  die  Nadel 
noch  haben,  sind  ganz  von  Silber  nnd  zeigen  im  vergoldeten  Medaillon 
liguralische  Darstellungen.  Die  eine  ist  besonders  merkwürdig,  weil 
«hristlieher  Arbeit;  —  es  steht  nämlich  in  der  Mitte  des  Feldes  auf 
einem  Hügel  ein  Kreuz,  rechts  davon  ein  Engel,  links  eine  Frauenge- 
atalt  mit  kreisrondem  Ueiligenscheitt.* 


*  Im  Katienalmnsenm  so  Budapest. 


580 


DAS  OKABf£LU  AM  DüB0G6  BEI  KBSZTHELr.. 


Rndlich  a'md  noch  als  lleigaben  »ler  Kindergräber  versrhiedene 
Spielzeuger  wie  Bronzekettrhen.  Spiralen  aus  Silherdrabi,  zwei-  bü 
seohslöoherige  PfctÜBhea  ans  Üoin,  Spielkiosd  und  Seauuuchclii  m  Ter* 
z0icfa&#ii> 

Als  Heigahen  der  M;innergi;llier  will  ich  vor  allem  Andern  die 
l'>i>enwart'en  erwähnen,  die  zwar  auch  nicht  /ahlreieh.  aber  doch  mehr 
sind,  als  in  Keszthely.  Verschiedene  Dolchni<'-<ev  in  Holzseheiden  mit 
Zwinger  und  Hingen  aus  Bronze  oder  Eisen,  sind  die  fast  nie  fehlenden 
AUributo  eines  Mannes.  Daneben  waren  Pfeilspitzen  mit  nnd  ohne  Tfllle 
Yon  sechs  yersehiedenen  Formen,  kleinere  und  grossere  Warfbeile, 
StreithSmmer  mit  Spitze  (GsAktoy)  auch  nieht  selten.  Auch  &nd  eich 
eine  Ijanzenspitse  mit  Tlllle  Tor,  wie  auch  Tier  8ttick  Scheideenden, 
oder  OrtbOnder  ans  Bein.  Sonderbarerweise  war  vn  einem  Orab  an^* 
ein  Steinbeil  aus  polirtcm  Ser[>entin.  —  An  HausgerSthen  hat  der  Mann 
"sehr  häufig  Stahl  und  Feuerstein  bei  sieh  ;  der  St^ihl  weist  häufig  eine 
phantastisch  verschnörkelte  Form  auf.  In  Keszthely  wusste  ich  noch 
nicht,  was  diese  Terrosteten  Paragraphen  zu  bedeuten  haben. 

Auch  an  Schmnckgegenstflnden  fehlt  es  dem  Manne  nicht.  Er  hat 

sehr  häufig  einen  Armring,  aber  immer  am  rechten  Arm,  öfter  von 
Bronze,  seltener  von  Kisen,  auch  fand  ich  einen  silbernen  und  drei 
bronzene  sehr  hüb;<chc  Fingerringe.  Von  «len  letzteren  i>t  einer  echt  bar- 
barisch. Kl  besteht  aus  drei  zusammenlaufenden  Spiralen,  deren  mitt- 
lere Tom,  in  einem  breiten  Stirnband  ausgebtimmert  ist,  das  in  getrie- 
benen Punkten  ein  abscheuliches  Fratzengesicht  zeigt.  Die  übrigen 
Ringe  ähneln  den  römischen ;  der  eine  hat  auf  der  SiegelflSche  einen 
pluiupen  Herkules  mit  Keule  eingraTirt. 

Die  grösst«  V'erticbiedenheit  in  Form  und  (Jruamentirung  hat  dec 
tiürtelschmuok.  Iiiemenenden,  Gürtelschnallen,  (uirtelhaken  nnd  Krap« 
pen,  Rienenbeeohlflg«,  Zierkndpfe,  —  bilden,  was  Venienmg  anbelangt, 
j«  in  einem  Grabe,  eine  einheittiche  Qamitnr.  Qflrtelgarnitaien  ana 
Bronze,  theilweise  auch  durchbrochene  Arbeit,  zeigen  ThierkKmpfe,  Dra* 
chen,  Banken  mit  Bllttern  nnd  Trauben,  sehr  achdn  gefasste  gliseme 
Miischeln,  —  Gamitnren  ans  Silber,  die  ebenso  oft,  wenn  niciit  Öfter 
vorkommen  als  Bronze,  immer  sehr  fein  ausgeführtes  Gerieiusel,  — 
(jiamituren  aus  Eisen  mit  Silber  tauschiert,  verschiedene  Linien-Kom- 
binationen. Nor  muds  ich  bemerken,  dad«  von  letzter in  der  A^ei 


DAS  (RUBmo  AV  DOBOO^  BSI  EE^^ZTHELT. 


$31 


nur  einzelne  Stucke  mehr  erkennbar  sin'l ;  das  meiste  int  vom  Best 
gaBZ  zerfresi^en. 

Die  GrÄber  der  Franen  nnd  Mädchen  aiiid  imiMr  am  aüMinigfiil'' 
tigsien  ansgestaltot  j  sogar  in  dem  Srmlielisteii  iittd,  westf  eoust  Biohk^ 
etniga  Perlen  zu  finden.  Ein  apreehender  Beweia,  daaa  daa  aehwflcfaere 
aber  acMnere  GeaoUeeht  bei  diesem  Volke  nnbedingt  in  Ehren  gestan- 
den haiben  -mim  und  keineswegs  als  snr  SklsTerei  geboren  betrachtot 
wurde.  Die  vielen  Hundert 'Pranen-  und  Mä<l(  liengrflber,  die  ioli  unter- 
sucht, lieferten  auch  sonstige  Belege  /n  meiner  obigen  Behauptung.  Die 
weitaus  gröbste  Zahl  von  Sargspuren  war  in  Frauengräbem.  Aber  wo 
diese  auch  nicht  waren,  bemerkte  man  in  der  Ausfüllung  des  Qrabes 
einen  Unterschied.  Denn  während  die  Männer  mit  dem  a«t9geha«enen 
GerflU  zugedeckt  worden,  findet  aich  obar  dem  Körper  der  Fraifen  im» 
mer  eine  mamlieh  atarke  Sand-  oder  Erdachichte,  nnd  anf  dieser  erat 
das  OerOUe.  Immerhin  eine  ao  zarte  Aufinerksämkeit»  die  ma»  bei 
einem  Volke  der  VSlkerwanderung  kanm  snehen  wArde. 

Von  den  SilHnur  ksachen  der  Frauen  muss  ich  in  erster  Reihe 
die  Perlen  erwJihnen,  ni'  ht  nur  darum,  weil  ich  sie  zu  Tausenden  Hude, 
• —  sind  doch  in  einem  GraV)e  am  Dobogö  ül)er  600  Stück  gewesen,  — 
sondern  auch  w^en  der  Mannigfaltigkeit  der  Form,  und  auch  des  Stof- 
feSf  ana  welchem  sie  bestehen.  Die  seltensten  sind  die  römischen  ans 
schwarzem  Glaaflnss,  selbe  sind  flach,  gross  nnd  gerippt.  Weiters  die 
an^  blutrothem  Jaspis,  diese  sind  entweder  ganz  regehnäasig  geschliffen, 
oder  bilden  einen  doppelten  Kegel.  Ferner  aind  auch  die  Thonperlen; 
meist  flache,  zwei  bis  dreimal  durchbohrte  Tellerchen,  nicht  häufig ; 
ebenso  <lie  nns  Be'n,  Kalkstein  und  Sillier.  Die  grosse  Mehrzahl  der 
Perlen  ist  hns  Glas,  auch  deren  sind  aber  vielerlei.  Hier  haben  wir  alle 
Farben  und  alle  Grössen  vertreten,  von  der  nus8gro8sen  MilleHoriperlc 
angefangen  bis  zur  Sandkorngrösse  herab ;  f«ie  weiiien  hunderterlei  von 
Arten  auf,  die  eine  wunderbar  entwickelte  Technik  der  Perlan£sbrika- 
tion  bekunden«  ünser  Volk  muss  diese  Perlen  jedenfiUls  im  Handel  be- 
kommen haben.  In  jedem  Grabe  sind  Perlen  Ton  Terschiedener  Sorte 
vorhanden.  Die  -Perlen  waren  au  Schüttre  gereiht,  und  zinten  Brust, 
Hals,  wie  auch  das  Haar.  Das  lässt  sich  durch  die  Fondstellen  ganz 
genau  beweisen.  Hin  und  wieder  wai-  die  Bronze-  oder  Süberschliesise 
auch  noch  da. 

t       Von  geraden,  langen  Nadeln,  mit  and  ohne  Öhren,  mit  und  ohne 


582 


OlS  OBABfILD-lM  DOBOCK^  BEI  KB8ZTHBLT. 


Ohrlöffel,  habe  ich  gegen  zwanzig  Typen,  nur  musä  ich  ausdrücklich 
hervorheben,  dass,  während  ich  diese  Nadeln  in  Keazihelj  sehr  häi^ig 
unter  dem  Kopfe  g«ftuiden  habe,  und  ia  Folge  desun  de  aU  Haanui- 
dein  beieiühiiete»  iiier  am  Dobogö  diese  «uBBohlieMUeli  quer  ill>er  der 
Brost  kgea»  also  ab  Gewattdaadela  gedient  haben.  Die  vorwiegende 
^  Form  ist  die  laaggeqielten-Yierfthnge»  die  Eigenart  nnserer  GiaiH 
felder,  mit  Ponkten,  Scbnörkeln,  Linien  vielfiMdi  Tonierb  Unter  dsa 
dreissig  und  einigen,  die  bis  jetzt  Torkamen,  waren  nur  fünf  aus  Silber, 
die  übrigen  aus  Bronze.  Auch  der  Urtypus  dieser  Nadel,  unter  dem, 
auf  schlanker  Spitze  sitzenden  Obilöffel  mit  einer  vierkantigen  eben- 
falls gelierten  Verdickung,  war  hier  nicht  selten ;  in  Keszthelj  fand  er 
sieh  gv  nicht.  Diese  Form  hat  auch  Lindenschmit  in  seinem  Worin 
▼ecOtatliohti  Die  tihrlgen  Nadehi  haben  mehr  oder  minder  bekannts 
Formen;  einige  derselben  sind  mit  eingesohhigenen  Linioii  und  Ponk- 
ten sehr  hftbsdh  Tendert. 

Yen  eigentUohen  Spangennadehi  (Fibula)  kann  ich  im  Oeosssi 
nur  drei  verzeichnen ;  davon  sind  zwei  entschieden  römisch,  eine  kaum 
zwei  Centimeter  lange  aber  hat  den  fränkischen,  sogenannten  mero- 
vingischen  Typus.  Nur  ist,  meines  Erachtens,  diese  Nadel  ält^r  als  die 
IrAnkische  Periode.  Denn  sie  ist  erstens  ganz  flach,  hat  gar  keinen  Bä* 
gel,  nnd  ist  von  oben  bis  unten  mit  eingeschlegenen  konsentnschea 
Kieisen  vertiert,  ein  Ornament»  das  auf  die  TorrSmisohe  Zeit  snrAek* 
weist  Sollen  ja  die  reioh  omamenttrten  derartigen  Fibnlae  von  Keoit- 
hely,  dem  Urthell  gewiegter  Fachmänner  nach  auch  schon  llter  sein 
als  die  gleiehgestaiteteB  frSnkiseheB.  —  Da  das  erwihnte  bavharisdie 
Ornament  hier  am  Dobo^,'6  auch  an  Itiemenenden,  Gürtelhaken,  Arm- 
spangen und  manchen  Beiugegenständen  sichtbar  ist,  in  Keszthely  aber 
gar  nicht  bemerkt  wurde,  schliesse  ich,  dass  das  Grabfeld  am  Dobogö 
etwas,  wenn  auch  nicht  viel,  älter  sein  mnss,  als  das  in  Kesstheljr.* 

*  Dass  gewisse  Gegenstftnde,  wie  Stecknadeln,  Nadeln  mit  Iftagü- 
eben  Ohren,  sogenamite  Steften»  mit  verdicktem  Kopfende,  weiter  die  ge> 
wohnlichen  Topfgattungen,  Trinkaohalen  mit  und  ohne  Henkel  Jahrkan- 
sende  lang  nach  flberlieferter  Form  gemacht  worden,  theOweke  noch 
honte  gemacht  werden,  bedarf  keines  nlheien  Beweises«  Aber  ich  hebe 
ansserdem  noch  Fundgegenstände,  die  merkwürdige  Analogien  mit  Schlie» 
maner  Funden  aufweisen.  So  hat  die  jetztcrwlihnte  Fibula  eine  frappante 
Aehnlichkeit  mit  einem  Ctegenstand  aus  Elfenbein  (S.  Ilios,  297.  Seite  Nr. 
142),  den  Schliemann  fllr  ein  Idol  erkUrt  —  Sbcodort  550  Seite  St.  866» 


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'    DAS  OKABFh  LD  AM  DOBOOÖ  BEI  KESZlHEIir.      •  536 

Die  grofisen  Ohrringe  der  Frauen  and  Müdchen  sind  die  eigen« 
sten  Spezialitftten  dieser  Grabfolder,  Tcn  denen  einielne  Gettangeft 
bisher  noch  nirgeids  sonst  wo  gvAmden  worden.  Die  geme  Bnt^k- 
Inng  Ton  der  einfachstsa  bis  rar  reichsten  Form  llsst  sieh  am  Dobogd 
bestimmen.  Die  grOsste  TerseUedenheit»  sow<^  was  Qftoe^  als  aiKh 
Yeniening  anbelangt,  seigen  die  mit  den  feinen  Filigran  Tropfen  Ter« 
sehenen.  Ich  verweise  hiemit  auf  die  im  Nationalmuseum  aufliegenden 
Exemplare,  und  will  nur  noch  bemerken,  dass  ich  am  Dobogö  auch  sil- 
berne in  hübscher  Anzahl  zu  Tage  förderte,  während  in  Keszthely  kein 
einziges  von  Silber  zom  Vorsohein  kam.  Die  Filigran-Tropfen,  die  nur 
bei  euiem  einsigen  Paar  silberner  Ohrringe  lose  herabhingen,  bei  allen 
Übrigen  aber  ohne  Ansnahme  ihrer  gaassn  Linge  nach  siit  Draht  an 
dem  nnteten  Tbeile  des  l^iges  befhstigt  sind,  seigen  am  Dobog6^  aber 
nur  in  Silber,  swei  yerseUedene  Typen;  die  bronsenen  dergleichen 
Ohrringe,  manchmal  von  ganz  ungeheuren  Dimensionen,  waren  einst 
alle  vergoldet  o<1er  versilbert.  Man  hat  diese  Tropfen  mit  Birnen  oder 
auch  Körbchen  verglichen,  aber  ich  glaube  nicht  fehl  zu  gehen,  wenn  ich 
sie  für  stylisirte  Blumen-,  resp.  Rosenknospen  halte.  Die  gleichgestalteten 
vad  gleiehgrossen  bemalten  Perlen  ans  Thon  (im  Vamnegffei  BSgM^ 

ist  ein  Gegenstaad  aas  Gold  inm  Anhängen  von  Zierrathen.  Ich  habe  den- 
selben gefunden  aas  Silber,  (gegenwärtig  im  Nationahnnseum)  and  swar 

noch  mit  den  Ueberreaten  der  Perlenschnüre,  also,  was  man  sagt  :  eine 
Schliesse.  Nr.  003  und  004  sind  reichverzierte  Scheiben  nus  Blattgold» 
fiwt  identisch  mit  der  oberen  Platte,  einzige  Scheibeufilnila  von  hier.  — 
Die  kleinen  Kinderflöton  oder  Pfeifchen  Nr,  526,  534,  525,  sind  ganz  die- 
selben wie  die  unsrigen,  aber  unter  Nr.  535,  536  brinj^t  Schliemann  zwei 
Gegenstände  aus  Bein,  die  er  nicht  näher  bezeichnen  kami.  Ich  habe  von 
denselben  Gegenständen  elf  Stück  gefunden,  ebenfalb  aus  Bein,  theils  ein- 
flicfae  mit  dicksn  Enden,  ^eüs  konisoh  xugespitst  und  mit  Bmidstäben 
hittiseb  Yeniert  Das  chaiaekteristiisohe  Merinnal  an  ihnen  ist  die  in  der 
Mitte  hsmmhmfende  Binne.  Ich  kann  aooh  positive  AnfUirong  Aber  die- 
sen Gegenstand  gehen»  der  immer  swiaehsn  dem  Gürtelsohmuck  vorkommt» 
und  der  wesentlioh  nichts  Anderes  iat,  als  was  die  Bauern  und  Fischer 
hier  an  I^nde  :  i,lteleviZ'CBat'^  nennen  :  der  kleine  Querstab  am  Ende  einer 
Schnur»  Kette»  eines  Strickes  oder  Riemens,  um  schnell  eine  passende 
Schlinge  machen  zu  können.  Bei  unsenu  gewöhnlichen  OchaengcHpiiun 
hält  dieser  Querstab  die  Kette  oder  den  Strick  auf  der  Stirne  des  Uch-ea 
zusammen,  bei  unseren  Todten  hing  derselbe  an  einem  dünnen  Biemohen 
vom  Gürtel  herab. 


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0 


ii\r),  die  leli  in  Kes^zthely  fand,  bestärken  diese  ineine  Ansieht.  Glatte 
0  hrringe,  di»  doroh  eiiM  hoble  lüig«!  gehen,  £uid  ich  mehrere  CiatteA- 
gen  am  Dobogö,  tbeile  bronsEene  mit  nnveraierter  Kng^  theils  «iHNn^ 
wo  ^  Kngel  entweder  lumettbi,  oder  mit  Fifigno^ehHörh A  ^ 
schon  Terriert  wer.  Bin  Paar  der  leteieren  ist  noch  in  mainnm  Be«itML 
(irössere  und  kleinere  Uhrringe  mit  Perlentropfen,  oder  mit  mehreren 
i'erien  besetzt,  sind  in  Hülle  und  Fülle  vorhanden. 

Kin  iernerer,  aber  hier  beltener  Frauennchmuck  sind  die  Zier- 
leheiben, kleine  ßronzeräder  mit  drei  oder  vier  Speichen,  einet,  mit 
vier  Halbmonden,  die  auf  dem  Bade  innen  mad  heMna  anfliegan  (im 
NatioaalmiKenm);  leh  hdbe  aber  dieea  dnrehbredienen'Seheib«:  stait 
im  Verdadii,  dais  sie  aneh  'eine  Gattung  ron  Gewancbiadeln  iraven;  - 

Armringe  und  Annspangen  treten  bei  Franen  in  grosser  Menge 
auf,  es  waren  .Skeiete.  die  auf  den  Armknochen  ober  der  Handwur/^ 
zwei  bis  drei  und  auch  ober  dem  Ellenbogen  je  ein  Armband  tiak'en. 
i)ie  Armi'.nge  ^^ind  mit  eiugeticblagenen  konstentriachen  ICreii»ea.  die 
meisten  aber  mit  den  hier  gewöhnlichen  Wellenlinien  geiiert,  die  Ann- 
bftnder,  .sowohl  die  .znm  Einhaken  ab  aneh  die  offenen  mit  fledua 
Scfalingnnköpfon  an  den  Enden  »igen  im  Kittentwb  wnndMMbMh  ^ 
ansgefittirte  Linien,  Pankt-  nnd  Baaten<Omamente,  aber  sw«  gaw 
gleiche  SSeichnnngen  dttrfte  man  kanni  finden. 

AlslJeigabeu  der  Fiaueu  fanden  sich  noch  :  Spinnwirt^el  aus  Thon 
verschiedener  Grösse,  kleine  Ei>enmesser,  halbmondförmige  Scheiben 
aus  Bein  und  kleine  durchlöcherte  Hürner  über  und  über  ledeckt  mit 
eingescUnittenen,  konzentrischen  Ereieen ;  kleine  eill>enie  £ügelcbea; 
kleine  silbenie  Halfamosde  mit  Oehr  anm  Anhingen ;  nnaegroeee  eiaeine 
Schellen,  die  in  die  Oewandetoffe  eingenttht  waiwn,  was  ans  dem  Ab>' 
druck  der  Stoffinvster  auf  ihrer  rostigen  OberflSche  erhellt»  nnd  die  iA 
in  Kestthelj  Irrthümllcherweise  für  massive  Gewichte  hielt;  eiserne 
sogenannte  grieehiftche  Schlü.sdel,  darunter  ein  kolu^^ale.•s  Ivveimdar  mit 
Ring  zum  Aufiuingen ;  eine  gros.-^e  ihiche  römische  IVrle  aus  hartem 
pechscli Warzen  Glaafluss  mit  einem  Medusenkopf  cn  telif^f;  mehrere 
dOnne  Scheiben  von  Bein  bedeckt  mit  konzentrischen  Kreisen,  Feuer- 
»teine,  Netebeschwerer,  durchlöcherte  kleine  Scheiben  auf»  .gebranntem 
Thon,  endlieh  Braofastttcke  von  HaarkAmmen  ans  Bein« 

Mit  nnd  neben  diesen  GegenstSnden  &nd  sieb  noch  in  Udbein 
beiderlei  Qesehleohtes  eine  Antahl  anderer  Sachen  ans  vemehiediH 


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'   DAS  OBAKFELD  AM  DOBuGÖ  titl  KBSZTUELV.  S§p 

Stoffen,  deren  Gel)rniu  h  ich  nicht  kenlie  und  ilie  ich  t'oigiich  auch  niclit 
htämmm  kaiiD.  Im  AUgemetneii  xnius  noch  Ji)emerkfc  werden;  daas  die* 
nee  YtXk  dm  ZnssmmenlOtlieB  gebrochener  MetallgegenBtliide  mekt 
kante.  Diese  Baohen  worden  einliMh  vernietet^  wie  dies  bei  mefaveren 
Ann*  trad  Obrnngen,  ferner  Haarnadeln  ganz  ^enan  zu  sehen  ist.  Und 
doch  waren  die  eisernen  Nadeln  an  die  silberne  Rii<  kwand  der  Öcliei- 
l)enfi1>ula  nngesch  weihst.  Wie?  —  ist  wirklich  ein  bis  jetzt  noch  nnge- 
Itetes  Räthsel. 

Am  Dobogo  habe  ich  bis  jetzt,  die  Perlen  nicht  mit  eingerecb^ 
nelr  gegm  dmlanaend  Alterthtbner  in  Tage  gefördert.  Die  Mehnabl 
ist  nua  B«mse,  dsnn  kommt  im  Verhiliaiss  Eisen,  Silber  ist  das  we- 
nigste, aber  immerlmi  nook  einige  hundert  Sttlok.  Wer  aiok'  d«rob 

Angensehein  von  diesen  Fnnden  überzeugen  will,  bemfihe  sioh  fns  Na- 

tionalmuseuni  zu  Budapest,  dort  ist  die  kleinere  Hälfte  der  Funde  vom 
Keszthelyer  Grabfeld  (die  grössere  im  Vasimgyei  Regisiytdr  v.u  Stein- 
amanger), dann  sUmmtUche  ]:'\inde  aus  den  ersten  513  Gräbern  vom 
Dobog6  ansgeatellt ,  wo  alle  erwähnten  Typen  vielfiich  yertre- 
ten  sind. 

Zum  Sohlasse  will  ich  noch  die  Frage  berühren  :  welcher  Zeit 
«nd  welchem  Volk  gehört  dieses  Grabfeld,  nnd  anch  das  in  Keszt- 
hely  an  f 

Ein  inschriftUches  Denkmal  würde  diese  Frage  mit  einem 
Schlage  erklären,  aber  leider  gerade  ein  solches  habe  i<  h  bis  jetzt  nii  ht 
eefunden.  Bleibt  also  nichts  Anderes  übrig,  als  aus  deui  vorliegenden 
Materiale  einen  Schluss  sn  sieben. 

Die  in  den  Giibem  geftmdenen  BOmeirnttmen  gehen  bis  Grati- 
anns,  eine  spStere,  i.B.hynBtini8che  oder  gar  fränkische  Hllue  kommt 
gar  mcht  Tor.  Dies  beweist,  dass  man  den  Grftbem  kein  höheres  Alter 
als  das  T.  Jahrhundert  anweisen  kann.  Das  VII.  oder  Vlll.  Jahrhun- 
dert anzuuehmen,  dürftt-,  meiner  uumu>sgeblicben  Meinung  naeli,  aurli 
nicht  richtig  sein.  Dafür  spricht  ersten-  das  absolute  Fehlen  einer 
Münze  späteren  Datums.  Zweitens  fand  ich  am  Dobog*').  wenn  auch  in 
sehr  geringer  An/ahl,  noch  wirklich  römische  Gegenstfinde,  wie  Fibula, 
Perlen,  Schlüssel,  Bruchstücke  von  glftsemen  Armringen,  welche  deut- 
lich leigen,  dass  unser  Volk  der  unmittelbare  Erbe  der  in  Pannonien 
anslssig  gewesenon  Römer  war.  Drittens  ist  die  Herstellusg  unserer 
Sdunncksachen  dne  Kadiblüthe  der  rtbnischen  Kleinkunst»  twahrscheln» 


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4Sb'  ('N«iABJSCHK  BIBLiOOUAPHIl. 


lieh  von  kuQsttertigeo,  im  Lande  zurückgebliebenen  römischen  Hand- 
werkera  im  Dienste  und  nach  dem  Geachmacke  der  neuen  barbnrischeii 
Hwron  tii8g«ftbi.  Und  daw  diMe  eum  swar  originelleD,  Tielfacb  an 
den  Orient  erinnernden,  aber  darehMU  keinen  eeUediien  Geecbmaek 
betten,  seigt  ein  Blick  anf  nneere  Gegenstinde,  die^  was  KnnBteiaa 
nnd  Ansftbning  betriiti  die  gleicbartigen  Produkte  der  leisten  ritaii- 
sehen  Zeit  beiweitem  übertreffen. 

Alles  dies  zusauiinengehalten  ergibt  sich  fa^t  mit  (lewissheit, 
dass  auf  diesen  Grabfeldern  Hunnen  bestattet  waren,  es  ist  aber  auch 
nicht  ausgeschlossen,  ja  durch  die  gi'osse  Ausdehnung  der  Grabfelder 
sogar  mehr  als  warscheinlich,  dass  die  nachfolgenden  Avaren  die.«e 
Grabetitten  ancb  benfttst  haben.  Diese  meine  Ansii  ht  wurde  auch  durch 
Fachminner,  wie  Franz  Pnlssky  und  Dr.  Otto  Tischler,  die  im  f  er- 
gangenen Herbste  die  Orabfelder  und  meine  Funde  benichtigteu,  im 
ToUsten  Ifasse  getheUt  p^^j.^      Wilhelm  Lim 


UNOABISCHE  BIBLIOGRAPHIB. 

BAndcxl  J.,  Kisfalndy  K.  4>»  mnnkAI  (Karl  Ki$>ralud.v  und  ms 
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tungen des  Grafen  Ladislaus  Teleki  seu.,  von  Karl  Sz&sz).  Budapest,  l^is2. 
Akademie,  16  S. 


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DENKREDE  AUF  MORIZ  LI  KACS. 

Vom  AUOÜST  TR^FORT.  • 

ES  WAR  im  Jahre  1834,  an  einem  sehSnen  Frahlingstage,  ah  ich 
Moriz  LnUes  im  Saale  des  Nationalkasinos  zum  entenmale 
Bah.  Das  Nationalkasino  war  damals  nicht  nur  ein  YergnügnugH- 
lokal,  sondern  ein  waren  Knlturinstitut,  so  wie  es  Gruf  Stefnn  Sz^- 
chenyi,  tlor  die  Natur  inul  Wirkung  der  Assoziation  besser  kannte, 
als  ircrpi)d  Jemand  in  Ungarn,  entworfen  hatte  und  in  diesem 
(leiste  auch  zu  h'iten  und  zu  erhalten  wusste.  Die  Hepräsentanten 
aller  Klassen  der  Geselhchaft  trafen  sich  in  diesem  Verein  und 
kamen  in  demselben  mit  einander  in  Berührung ;  die  steinreichen 
und  Adelsstolzen  Grafen,  die  Gmndbesitier  des  mittleren  Adels, 
die  höheren  Beamten  nnd  Richter  ebenso,  wie  die  Repräsentanten 
des  bürgerliehen  Elements,  Pester  Grossh&ndler,  Advokaten,  MSn- 
ner  der  Wissenschaft  nnd  Literatur;  —  nnd  gebildete  junge  Leute, 
von  derien  man  voraussetzte,  dass  sie  das  Kasino  nicht  des  Billard- 
und  Karti'uspieles  halber,  sondern  zur  Benützung  der  Bibliothek 
besuchten,  —  alle  konnten  ohne  jedes  Entgelt  die  Rüume  des  Na- 
tionalkasinos  als  Gäste  betreten.  Das  Kasino  kultivirte  auch  die 
edlereu  Genüsse,  es  veranstaltete  Konzerle,  und  kein  Künstler  von 
Namen  kam  nach  Pest,  ohne  sein  Spiel  in  den  Sälen  des  National* 
kasinos  hören  zn  lassen.  Zn  diesen  musikalischen  Vortrigen  waren 
die  Mitglieder  nnd  ihre  Familien  de  jure  geladen,  aber  es  wurde 
auch  ausserdem  eine  grosse  Anzahl  von  Eintrittskarten  vertheilt, 
nnd  einmal  gelangte  auch  ich  als  erstjähriger  Jurist  in  den  Besitz 

*  Gelesen  in  der  feierlicbeii  JahTesrenammluiig  dsr  Uagariaehen 
Akaaemie  der  Wissenschaften  am  4.  Juni  1882. 

Ungarlaoho  Revue.  1884.  TU.  Ball.  85 


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888 


DVMXRKDB  auf  MOBIS  LÜKicS. 


einer  Karte.  Während  ich  nun  dort  den  Tdnen  der  Musik  aufmerk- 
sam lauschte,  fiel  mir  ein  hagerer,  kränklicher  junger  Mann  arf. 
der  sieh  fortwälireiid  auf  und  al>  l)fweu;te,  so  dass  ich  ju^laubeii 
musste,  er  sei  an  diesem  Orte  keiu  Gast,  sonderu  einer  der  Haus- 
herren. £&  vergiü«^  eine  längere  Zt  it.  (dine  dass  ich  dieser  Gestalt 
wieder  begegnet  wäre.  Als  ich  aber  im  Feber  1837  von  meiner 
ernten  Reise  zurttekkehrte  and  in  das  Kasino  eingeführt  wurdet 
machte  mich  Graf  Ladislaus  Sertfnyi  mit  der  erw&hnten  PersSnlick- 
Iceit  bekannt,  die  Niemand  anders  war  als  Moria  Lnkacs,  doreb 
den  ich  nach  einigen  Tagen  auch  Ladislaus  Szalay  vurgestellt 
wurde. 

Von  dieser  Zeit  an,  also  43  Jahre  laug,  stand  ich  mit  Muriz 
Lukacs  in  ununterbrochener  HerUhrung,  in  einer  immer  herzlicbeD. 
den  Verhältnissen  und  Umständen  gemäss  zwar  bald  näheren,  bald 
entfem^ren  Freundschaft,  die  aber  immer  ein  sympathisches  und 
Tertrauliches  Verhältniss  blieb. 

Besonders  .aber  tou  1887  bis  1848  stand  ieh  in  so  nmuiiig- 
faltigen  He/iehuiiLCcu  zu  Moriz  Lukacs,  dass  ich  sagen  kann,  ilies« 
Zeit  mit  ihm  durchlebt  und  mit  ihm  Hund  in  Hand  zur  Erreicliuuji 
gemeiusanier  Zwecke  gewirkt  zu  haben.  Dieses  Motiv  bewog  luich 
auch  dazu,  dass  iclt  es  wagt4%  die  Denkrede  auf  Moriz  Lukucj^  zu 
halten,  in  der  Meinung,  ihm  dadurch  den  Tribut  mitfühlender 
Freundschaft  und  Achtung  abzustatten.  Und  ieh  ghinbe  auch,  daas 
idi,.  mich  auf  solche  Thatsachen  und  Zustande  beschriUikend,  die 
wir  zusammen  erlebten,  fähig  sein  werde,  einige  Momente  einer 
schon  «'iitschwundenen  und  ben'its  hist4)risclu'ji  Zeit  vielleicht  ge- 
treuiT  /u  scliiklern,  als  solche,  die  diese  Zeit  nur  :ius  der  Trailiti^n 
kennen,  und  dass  es  mir  vielh'icht  gelingen  wird,  eine  Persöulioh- 
keit  zu  würdigen,  die  einer  jeden  Körperschatt  zur  Zierde  gereicht 
hätte,  deren  Gedächtniss  zu  feiern  eine  der  Aufgaben  unserer  heu- 
tigen JahresYcrsammlung  ist,  —  die  sich  eben  durch  solche  Eigen- 
schfiften  auszeichnete,  welche  es  erwttnsehtwäre  in  den  Mitglieden 
einer  jeden  wissenschaftlichen  Gesellschaft  zu  finden,  so  den  aka- 
demischen Ueist  und  das  humane  (iemüth  im  ^>inne  des»  Huuiauis- 
mus  Herder's. 

Im  Auachluss  au  diese  Worte  kamt  ich  von  Lukacs  behaup- 
ten, dass  ich  in  dem  weiten  Kreise  meiner  Bekannten  kaum  Jäoßü 


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I 


/ 


DKNKREUE  AUF  MORIZ  LUKÄCS.  $ffB( 

Irenue,  der  sich  dureh  40  Jahre  so  tteii  gehlieben  wäre.  Ich  will 
damit  nicht  gesagt  haben,  seine  Meinungen  hätten  sich  im  Laufe 
Ton  40  Jahren  nicht  g^ndert.  Luhtfes  besass  viel  mehr  Gei^t  und 
Verstand,  als  dass  er  ans  den  Ereignissen  nichts  gelernt  Und  dem 

Einflüsse  der  verändei-ten  Weltzustämle  gewehrt  haben  würde  — 
es  ist  j;i  nicht  nur  keine  Sünde,  seine  Meinungen  in  Folfrp  «euer 
Kenntnisse  und  Erfahrant^en  zu  ändern,  sondern  sogar  eine  Tugend.' 
Ich  will  nur  das  andeuten,  dass  sich  der  (irundton  des  Gemüthes 
und  der  Denkweise  Lukäcs*  nicht  veränderte.  Er  war  ein  unbefan- 
gener, humaner  Mann  und  dabei  Skeptiker,  das  Schicksal  des  Men- 
schen glaubte  er  unabhängig  ron  den  politischen  Formen,  deshalb 
war  ftlr  ihn  die  Politik  nie  von  einer  solchen  Wichtigkeit,  wie  ftlr 
Jene,  die  auf  diesem  Gebiete  eine  Rolle  gespielt  haben  oder  eine 
solche  zu  Spieleu  wünschen,  und  deshalb  war  es  ihm  niö{^licli,  ob- 
wohl er  im  (»anzen  stets  zur  liberalen  Scliule  f]jehörte,  auch  mit  den 
Konserrativeu,  ja  auch  mit  den  revolutionär  Gesinnten  immer  auf 
gut«ni  Fusse  zu  stehen,  denn  bei  Betraditung  der  zwar  von  ver- 
schiedenen Richtungen  gehegten,  aber  gleich  aufrichtigen  Ueber- 
Zeugungen  drängte  sich  ihm  immer  die  Frage  auf  :  ^Uhi  est 
verUas?*  (Wo  ist  die  Wahrheit?)  Solche  Menschen  pflegen  nicht 
Manner  der  That  zu  sein,  sie  besitzen  auch  nicht  jene  Artyon  Am- 
bition, welche  die  Männer  der  That  belebt.  Auch  schrieb  er  zwar 
wenig,  Ix'sass  aber  dennoch  das  schriftstellerische  Temperament, 
er  war  ein  litfenirif  ticntleiuan  pur  ctccllour. 

Er  besass  ein  inniges  Gemüth,  wusste  zu  lieben  und  mit  sei- 
ner Liebe  war  jenes  sich  bewusste  Pflichtgefühl  verknUpft,  das 
Selbstaufopferung  fordert  In  seiner  Jugend  hing  er  an  seiner  Mut- 
ter und  opferte  ihr  seine  Existenz,  und  als  er  sich  sp&ter,  schon  im 
reifen  Mannesalter  eine  Lebensgeffthrtin  nahm,  die  Jahre  lang 
krftnkelte,  opferte  er  sich  seiner  Gattin.  Ich  bin  ttberzeugt,  wenn 
Moriz  Lnkacs  nicht  jenes  traurige  Schicksal  getroffen  hätte,  einen 
grossen  Thell  seines  Lebens  als  liebevoller  und  zärtlicher  Kranken- 
wärter zubringen  zu  müssen,  so  wiinle  seine  Produktivität  und 
seine  Thätigkeit  einen  viel  höheren  Grad  erreicht  haben ;  den  Stoff 
zur  Produktivität  besass  er,  er  sammelte  aber  diesen  Stoff,  nicht 
um  ihn  zu  verwerthen ;  er  lernte  und  bildete  sich  aus,  weil  er  die 
Selbstbildung  als  Zweck  betrachtete.  Und  dies  eben  ist  ein  ebarak- 

86* 


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PtMKBBDE  AUF  HOBtt  tüliCB. 


teristischer  Zug  seines  GemQtlies  und  st  iner  geistigen  Individiiali- 
tfit,  die  bei  uns  orii^iiiell.  n^hÜ  selten  ist  und  die  häutii;er  in  solchen 
Ländern  vorzukommen  pHegt,  wel<  he  in  geistiger  und  materieller 
Hiuaiclit  melir  entwickelt  sind,  ul^  das  nnserige ;  eine  IndiTiduali- 
tat,  wie  solche  besonders  im  gesellschaftlickeu  Leben  durch  ihre 
Liebenswürdigkeit  eine  Bolle  zu  spielen  pflegen,  da  die  geistreiche 
Gesellschaft  nnd  KonTersation  gleichsam  ein  Parfüm  der  Bildung 
ist.Ueber  diesen  Punkt  sagt  Lukacs  in  einer  seiner  Abhandlungen: 
»Bei  der  Pflege  der  Wissenschaften  ist  der  wahre  Zweck  nicht  da« 
Wissen,  sondern  das  Lernen.  Darin  tiiiden  wir  Trost  nnd  Zerstreuiaii^ 
bei  den  ^Vecllseliallen  des  Lebens.  Die  wissenschaftliche  Thutig- 
keit  findet  ihren  Lohn  in  sich  selbst,  nicht  in  Erfolgen." 

Da  es  nicht  meine  Absicht  ist,  an  dieser  Stelle  eine  Uiogi'a- 
phie  von  Moriz  Lukacs  /u  liefern,  will  ich  mich  iu  dieser  Beziehung 
blos  auf  einige  Hauptdaten  beschranken. 

Moriz  Lukacs  wurde  am  5.  September  1812  in  Pest  geboren« 
Er  wurde  hier  und  auf  dem  Gute  seiner  Eltern  zu  Bressto?4cz  im 
Temeser  Komitat  erzogen.  Im  Jahre  1831  wurde  er  Honoiftr-Vtze- 
uotiir  des  Krassiier  Koinitats  ;  \>^''\2  übersiedelte  er  nach  Pest  und 
lebte  ganz  literarischen  Studien.  Auf  Wunstdi  seiner  Eltern  nahm 
er  1830  die  St<dle  eines  Ilouorär-Vizenotärs  des  Pester  KomitAta 
an,  legte  dieselbe  aber  nach  dem  Tode  seines  Vaters  nieder  und 
beschäftigte  sich  seitdem  bis  1848ausschlies.«lich  mit  Wissensehaft 
und  Literatur. 

Lukacs  war,  wie  erwähnt,  kein  Mann  der  Aktion,  er  besass 
aber  in  grossem  Masse  Gemeinsinn  und  Patriotismus,  besonders 
aber  einen  regen  Sinn  f^r  alles  Oute,  Schöne  nnd  NfStzItehe.  Seine 

Freunde,  wollten  sie  etwas  ins  Lfben  rufen,  konnten  ihn  mit  ein 
weni-jj  Teberredung,  neben  einigen  kleinen  liedenklichkeitsäu.s.*^e- 
ruugeu  von  seiner  Seite,  immer  für  ihre  Sache  gewinnen. 

Die  erste  derartige  (relegenhcit  war  die  Errichtung  des  Kuuat- 
vereins  im  Jahre  1S3.S.  in  gothischem  und  romanischem  Style  aus- 
geführte  Kirchen  beweisen  es,  dass  es  zur  Zeit  der  Erbauung  der- 
selben auch  bei  uns  nicht  an  Kunstsinn  und  Geschmack  fehlte ; 
unsere  Kirchen  waren  die  Museen  jener  Zeit,  und  während  die 
Gläubigen  ihre  Gebete  zum  Himmel  emporsandten,  konnten  sie 
zugleich  die  Wirkung  der  Kunst  emjjfinden.  Doch  die  späteren 


DBNKBEOB  AÜP  KÖBIZ  LUKiOS. 


541 


Zeiten  wären  der  Entwicklung  der  bildenden  Künste  in  Ungarn 
nicht  günstig.  Die  Epoche  der  Stagnation,  welche  mit  der  Regie- 
rung Franz  I.  eintrat,  konnte  keinem  Fortschritte,  also  auch  den 

hiMcrulen  Künstoii  nicht  j^ünstig  soin.  Für.st  Estevlnizy  liesass  zwar 
♦  'iiie  ausgezeicliiieit'  liildorgalt'i  ic,  da  sicli  (lios»^l)»('  alxT  in  Wien 
beiaud,  so  konnte  anch  sie  keine  \Virkung  ausühen  und  war  auch 
gar  nicht  mit  Berücksichtigung  der  nngarischeu  KuUurbedürfnisse 
zusammengeaiellt.  Es  ist  kein  geringes  Verdienst  Pyrker's,  des 
Brzbiechöfs  Ton  Erlau,  ans  Venedig  eine  kleine  Bildersammlnng 
mitgebracht  zu  haben ;  doch  wurde  auch  diese  —  in  den  enebischöf- 
lichen  Anpartements  zu  Erlau  untergebracht  —  nur  ron  Wenigen 
besucht.  Unsere  Verbiiubuigeii  mit  dem  Auslände  und  mit  W  ien 
selb.st  waren  nicht  so  reg«'  wi«-  lirut/utage,  und  eine  h*eise  nacli 
Wien  galt  in  jener  Zeit  schon  itir  eiu  grösseres  Unternehmen,  so 
dass  die  Wiener  Sanimhmgen  nur  wenigen  Ungarn  bekannt  waren. 
Interesse  für  die  bildenden  KUnste  fand  sich  nur  in  jenem  kleinen 
Kreise,  der  sich  im  Auslande,  besonders  in  Italien,  bewegt  und  die 
dortigen  Kunstschätze  kennen  gelernt  hatte  und  der  es  wusste 
oder  wenigstens  ahnte,  welch'  ein  mächtiger  Faktor  die  Kunst  im 
Leben  der  Nationen  ist. 

Wir,  jüngere  TiOute,  <Ue  wir  im  Ausland  Iieisen  gemarlit  hat- 
ten, waren  nach  unserer  Rückkehr  über  unsere  Armuth  bt  trotten; 
wir  beriethen  uud  besprachen  uns  darüber,  was  man  zur  Hebung 
der  Kunst,  respektive  snr  Erwecknng  des  Kunstsinnes  im  ungari- 
schen Publikum  thun  könnte.  Dass  der  Staat  in  dieser  Hinsicht  etwas 
tbun  sollte,  dayon  wagte  selbst  der  kühnste  Reformer  nicht  zu  träu- 
nieu  ;  der  ungarische  Staat  im  heutigen  Sinne  des  Wortes  existirte 
ja  damals  noch  gar  nicht,  und  namhaftere  Summen  auf  dem  Wege 
der  Subskri()tion  zusammenzubringen,  wäre  in  solch  einem  geid- 
armen  Lande,  wie  es  unser  Vaterlan*!  damals  war,  ein  Ding  der 
Unmöglichkeit  gewesen.  So  brachten  wir,  dem  Beispiele  Wiens  und 
des  Auslandes  folgend,  die  Errichtung  eines  Kunstvereins  in  Vor- 
schlag. Moriz  Lnkacs  entwickelte  im  Vereine  mit  uns  und  Anderen 
eine  rege  Thätigkeit  in  Wort-,  Schrift  und  That  uud  unsere  Wirk- 
samkeit blieb  nirlit  oline  Erfoljjf. 

Der  Kunst  vorein  kam  zu  Stande,  er  veranstaltete  Au.«stelhin' 

gen,  vextheiite  Kunstblätter  und  Lukacs  konnte  Uber  diese  erfolg* 


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SiS-  OBVKRIDE  AVF  UOVa  LÜKiCB. 

/ 

reiclie  Thätigkeit  schon  1845  in  eiuerii  seiner  Briefe  iil>er  «lie  uii^a- 
risclu'n  Zustünde  in  der  , Augsburger  Allgemeinen  Zfitung*  das 
Folgeade  sehreiben  :  .Die  Kuust  nahm  hier  in  den  letzten  Jahren 
einen  erfreulichen  Aut'sckwuDg,  was  grösstentheils  dem  Kunstver- 
ein  als  Yerdieust  anzurechnen  ist  Jährlidi  veranstaltete  Aotstel- 
lungen,  die  Verlosung  der  durch  den  Verein  augekauften  Genmlde, 
Vertheilong  von  Pramien-Kunstbläticrn  unter  die  Mitglieder,  er- 
weckte den  schlummernden  Kunstsinn  der  Laiidesbewohner  und 
lenkte  einzelne  Talente,  die  noch  nicht  zum  Bewuastsein  "Hires  Be- 
rufes erwacht  waren,  auf  die  ri<'htige  Halm.  —  Der  Fortschritt,  d«*u 
Ungarn  in  dieser  Be/.iehung  tlnreli  die  Errichtung  des  Kunstver- 
eius  machte,  erhellt  am  besten  daraus,  wenn  nuiii  die  Zahl  uüd 
den  Werth  der  Bilder  vaterländischer  Künstler  mit  den  (lemälden 
■  vergleicht,  die  in  den  ersten  Ausstellungen  zur  Schau  gestellt  wa- 
ren. Während  wir  hier  fast  ausschliesslich  Werke  auslindiseher 
Ettnstler  fanden  und  unter  denselben  kaum  einige  inlandische  auf- 
fielen, worunter  nur  wenige  auf  wahres  künstlerisches  Verdienst 
Anspruch  erheben  konnten,  entfiel  in  der  letzten  Ausstellung  ein 
Drittel  der  ausgestellten  W  crke  auf  iiiliüulisrhe  Künstler  und  es 
fand  sich  unter  denselben  so  uianclies  vor/.i'igliclie  Werk.  Die  Zahl 
der  ausgestellten  Werke  belief  sich  auf  mehr  aU  250  und  80  darun- 
ter rührten  von  vaterlämlischen  Künstlern  her. 

t  Als  Haupthinderniss  des  höheren  Aufschwunges  der  Kunst 
—  setzt  LukiScs  seinen  erwähnten  Brief  fort  -r-  kann  man  den 
Mangel  an  Kunstsammlnn^en  betrachten,  durch  die  der  Oesehmaek 
des  grossen  Publikums  geläutert  wird  und  die  strebsamen  Talente 
eine  künstlerische  Anregung  lunl  l{ichtnng  erhalten.  Die  einzige 
uennenswerthe  »Sammlung  des  Landes  ist  die  <ialerie  des  Natioual- 
museums.  Ich  hoffe,  man  wird  mich  nicht  der  Unbescheidenkeit 
zeihen,  wenn  ich  einem  Wunsche  Ausdruck  gebe,  den  in  Ungarn 
jeder  Freund  der  Kunst  hegt,  dass  nämlich  Fürst  Esterhasy  seine 
auegezeichnete  Gemäldegalerie  von  Wien  nach  Pest  bringen  lassen 
möge.*  ^  Und  seitdem  ist  auch  dieser  fromme  Wunsch  in  Erfül- 
lung gegangen,  wie  so  manche  heilsame  Dinge,  die  einst  selbst  die 
8anguinischest<?n  Reformer  nur  für  fromme  Wünsche  hielten. 

Die  neuere  Epoche  unseres  Kunstlcbeus  beginnt  mit  der  Er- 
richtung dieses  Vereins. 


Die  Angele^enheitf  einmal  in  Gang  gebnwlii,  bewegte  sich 

fort,  ab«T  der  kleine  Kreis,  in  dessen  Schoss  diese  Bewegung  eni- 
»innd,  bemühtt»  sicli,  die  KulturzuHtäiule  Ungavns  aucli  auf  anderen 
Wegen,  mit  anderen  Mitteln  zu  befördern  und  damit  :&ugleich  die 
politische  Umgestaltung  vorzubereiten. 

Inmitten  der  allgemeinen  Stagnation,  die  am  Anfange  der 
viersiger  Jahre  auf  aUei;?  Gebieten  der  Staatswirtbachaft,  der  Poli* 
iik«  der  Wisseiisdiaft  in  unserem  Vaterknde  am  dcb  gegriffen 
baUe,  war  der  An&ohwung  der  ungyurisehen  Literatur  eine  erfreii* 
liehe  Erscbeinnng;  neben  Diehtem  and  politisehen  8ehrifi4teU^ 
begann  auch  dif  Tagespr^'sse  ihre  Schwingen  zu  regen.  Es  bestand 
aber  zwischen  dem  politivschen  L«')>eu  und  dem  der  Wissenschaft 
und  Literatur  keinerlei  Zusammenhang.  Die  Meisten  schöpften  ihre 
allgemeine  Hihlung  aus  den  üeilagen  der  Augnburger  «Allgemei- 
nen Zeitung** ;  die  gebildeteren  und  höheren  Kreise,  die  auch. des 
Franaoeiaehen  und  £aglieohen  mächtig  waxien,  laaen  die  «Ketne 
des  denx  Mondes"  und  die  englischen  Bevieiu.  Sa  eziatirte  iwar 
»neb  bei  uns  ein  «Tudomanyos  Gyüjtemeny**  nnd  aneh  früher  sehon 
andere  Zeitsehriften ;  die  Artikel  derselben  beschiftigten  sidi  aber 
meist  mit  speziHseli  ungarisehen  Angelegenheiten,  und  Form  nnd 
Geist  ihrer  Mittheilungen  waren  so  veraltet,  der  Kreis  ihrer  Leser 
so  beschränkt,  dass  «liese  Zeitschriften  sozusagen  keinerlei  Kintlusx 
ausübten :  ja  jene  literarische  Form,  die  in  dieser  Hinsiebt  einer 
Wirkung  fähig  ist  und  besonders  in  Krankreich  und  England  schon 
xar  Bltttiie  gelangt  war,  ezistirte  in  der  nngarischenLiteratar  noeh 
gar  niehi  Zu  dem  Zwecke  der  Grttndang  nnd  Heraoigabe  einer 
Zeitsehrift,  die  im  Gewände  der  im  Anslande  so  wirksamen  Form 
des  Kssays  die  wissenschaftlichen  Errungenschaften  und  Ideen  ver- 
mittle, verbanden  wir  uns  drei  :  Ladislaus  Szalay,  Harnn  Eötvös 
und  ich,  nnd  beschlossen,  wir  niüssten,  bevor  wir  die  An^'elej^reu- 
heit  in  einem  grösseren  Kreise  besprächen,  vor  allem  Moriz  Lukäcs 
gewinnen ;  er  war  eben  eines  jener  Talente,  die  zu  Essay-Sebrift- 
steUera  qualifieift  sind.  Möns  Lukaes  erwog  nnd  aberlegte  mit 
seiner  skeptisehen  Natur  unsern  Plan,  er  erhob  sahireiche  Beden- 
ken gegen  die  AnsAlhrbarkeit  desselben,  endlieh  aber  trag  der  ihm 
innewohnende  (iemeinsiuu  den  Sieg  davon  und  er  schloss  sich 
uns  an. 


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544 


Dismin  iiJF  xoBn  LVKics. 


4 


Der  erste  Band  der  »Rndapesti  iSzemle"  (Badapester  Revue) 
erschien  im  Jänner  1840.  Dieser  Band  enthielt  von  Lukacs  eiii<^ 
Abhandlung  über  den  thierischen  Magnetisnuis ;  der  zweit*»  brai-hte 
aus  seiner  Feder  einen  vorzüglichen  Artikel  über  die  .strafrecht- 
lichen Theorien«  Magnetismus  und  HtraiVecht  eiud  so  lieterogene 
Begriffe,  dass  man  mit  Recht  fragen  darf  :  was  gitbLokaos  den  Im- 
pnb,  gevade  Aber  diese  Gegenstände  zn  schreiben  ? 

.  Jede  Bewegung,  die  in  den  Ländern  des  westliehen  Europa 
die  Geister  und  Gemflther  ergreift,  reagirt  auch  auf  unser  Vater- 
land. Der  thierische  Magnetismus  mit  seiner  innewohnenden  wis- 
senschaftiicheu  Bedeutung  und  mit  dem  IJumbug,  der  sieh  alimäh- 
lig  um  ihn  gebildet,  war  schon  in  den  dreissiger  Jahren  auf  der 
Tagesordnung.  Auch  wir  hatten  unsere  magnetischen  Propheten, 
magnetischen  Kranken  und  magnetisireuden  Aerzte.  Die  Seherin 
▼on  Pre Vorst  und  die  (refangene  yon  Weinsberg  fanden  fiberall 
xahlreiohe  Leser.  Der  Gegenstand  erweckte  so  viel  Interesse,  dass 
es  auch  in  einer  encyldopädischen  Zeitschrift  am  Platze  war,  fiber 
ihn  zu  sprechen.  Und  Lukto  erörterte  dieses  Thema  mit  solcher 
Grttndlichkeit  und  Klarh^t,  dass  man  seinen  Essay  auch  heute  noch 
mit  Interesse  lesen  kann. 

Von  grösserer  Wichtigkeit  waren  die  Theorien  des  Straf- 
rechis.  Die  neue  Generation,  die  Zeuge  der  Schaffung  des  heutigen 
Strafgesetzbuches  war,  ahnt  es  gar  nicht,  wie  viele  Phasen  diese 
Angelegenheit  passiren  musste,  bis  sie  zu  ihrer  Losung  gelangte. 
Schon  auf  dem  1790/91-er  Landtage  kam  die  Angelegenheit  zur 
Sfurache,  neunzig  Jahre  mussten  veigehen,  um  dieselbe  zur  Reife 
zu  bringen ;  es  ist  die  Schuld  der  alten  ungarischen  Staatsmänner, 

sie  immer  nur  verhandelten  und  die  Verhandlungen  nie  zu 
einem  Resultate  zu  führen  wussteu.  Eine  wichtige  Angelegenheit 
auf  literarischem  Wege  zu  befördern,  gesunde  Begriffe  einzubür- 
gern, die  Männer  der  Praxis  zu  orientiren  :  dies  war  die  Aufgabe 
des  Artikels  von  Lukacs.  Die  literarische  Lösung  der  Frage  ist  ihm 
in  jeder  Beiuehung  gelungen,  denn  seine  Abhandlung  kann  noch 
heute  mit  Genuas  gössen  werden. 

Grosse  Sensation  verursachte  in  unserem  gesdlschaftUchen 
Leben,  das  sich  immer  nur  in  kleinen  Verhältnissen  bewegte,  das 
Erscheinen  des  «Pesti  Hirkp*  im  Jahre  1841.  Da  aber  1843  zwi« 


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DBBmi»  AUF  XOBIS  LÜKiCB.  545 

sehen  dem  Kedakteur  und  dem  Herausj^eber  Differenzen  entstan- 
den übernahm  Szahiy  die  Kodaction  des  ,Hirlap'.  Neue  lieliren  stan- 
den auf  unserem  Banner  ««geschrieben.  Eötvös  und  ich  versicherten 
den  neuen  Redakteur,  dasä  wir  ilin  mit  air  unseren  Kräften  unter- 
stützen und  mit  ihm  wirken  würden.  liukäes  zo^  sich  aber  zurück ; 
weder  die  DoktriDen  noch  das  Verfahren  fanden  seineu  Beifall, 
worfiber  er  sich  anch  in  einem  späteren  Briefe  ftnsserte. 

Dies  trftbie  aber  unser  freondsehafUiohee  Yerh&ltniss  nicht 
im  Mindesten ;  die  Reformbesirebnngen  des  Landes  und  der  libera- 
len  Partei  —  denn  die  damalige  Opposition  ))ildete  die  liberale  Par- 
tei —  vertheidigte  Lukacs  auf  anderem  Felde. 

In  den  vierziger  Jahren,  besonders  während  des  1843/4-er 
Landtages,  wurde  Ungarn  von  der  deutschen  Presse,  besonders 
aber  von  der  ,  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung*,  die  damals  bei 
uns  viele  Abonnenten  und  noch  mehr  Leser  hatte,  sehr  heftig  und 
ununterbrochen  angegprüFen,  theils  mit  der  Beschuldigung  —  wie 
es  auch  die  heutige  deutsche  Presse  thut  —  dass  wir  die  Deutsehen 
und  jede  Nationalität  unterdrücken  wollen,  theils  mit  der  Behaup- 
tung, dass  die  Bestrebungen  der  National partei  ungerechtfertigt 
seien,  dass  Alles,  was  dieselbe  fordert,  unausführbar  sei,  das«  der 
Konstitnti()?ialisnius  eine  Chimäre  sei,  dass  es  Ungarns  Loos  »ei, 
von  Wien  aus  regiert  zu  werden. 

Die  heftigsten  Angrifle  kamen  aus  der  Btaatskanzlei,  wo 
solche  Männer  sassen,  die  glaubten,  sich  nie  geirrt  zu  haben,  bis 
sie  eines  schönen  Morgens  zu  der  Einsicht  erwachten,  dass  jenes 
Oesterreich  und  Ungarn,  das  sie  aufrechterhielten,  mit  dem  Wehen 
des  ReTolutionswindes  in  Staub  zerfiel,  ohne  dass  Jemand  Muth 
und  Lust  gehabt  hätte,  es  zu  vertheidigen. 

Anf  diese  Angriffe  zu  antworten,  das  Ausland  aufzuklären 
und  mit  den  \  erliältuisseu  und  Bestrebungen  Ungarns  bekannt  zu 
n.acheu  :  diese  Autgabe  stellte  sieh  Moriz  Lukacs  und  er  war  der 
Lösung  derselben  auch  in  jeder  Hinsicht  gewachsen.  Er  schrieb 
ein  korrektes  Deutsch,  denn  die  Generation,  der  Lukics  und  seine 
Freunde  angehörten,  lernte  und  sprach  deutsch,  ohne  dass  sie  auf- 
hörte, ebenso  gut  ungarisch  zu  bleiben,  wie  Jene,  die  sieh  heute 
damit  prahlen,  nicht  deutsch  zu  wissen ;  er  besa^s  die  erforderliehe 
Bildung  und  wai'  ül^er  alle  yaterländischeu  Zustände  orieutirt,  über 


L^iyiii^uü  Uy  Google 


S46  zwasEDE  Avr  xobv  tmioa. 


alle  politischen  and  andereti  Fragen  unterrichtet,  dabei  nnbefao* 

gen  genug,  um,  während  er  das  Vorgehen  der  ungarischen  Oppo- 
sitioa  rechtfertigt»',  dasselbe,  wo  es  nöthig  war,  auch  einer  Kritik 
KU  unterziehen  ;  endlich  Hess  er  auch  die  Kegeln  der  schriitsielie- 
riechen  Urbanität  nie  ausser  Acht. 

Getrost  darf  ich  behaupten,  does  man  die  Artikel  Lukact^ 
auch  heute  mit  Interesse  und  Belehrung  lesen  kiinn,  und  würde  «• 
(Vlt  aehr  w&nschenewerth  halten,  wenn  jene  Artikel  geeammelt  und 
auch  in  nngarischer  Uebereetzuug  herausgegeben  würden,  damit 
jene  Partei,  die  das  heutige  Ungarn  hüben  und  drüben  unausge- 
setzt angreift,  die  fortwährend  unser  Barbareuthvun  und  di^  hei 
um»  herrschende  Demoralisation  im  Munde  trägt,  die  iu  ihrer  In- 
wissenheit  so  i^richt,  als  wäre  I^ngarn  vor  1848  ein  in  national- 
ökonomischer, politischer  und  kultureller  Beaiehuag  blähende« 
Reich  gewesen,  —  damit  diese  Partei  lernen  würde,  in  welch  Urinli- 
chen,  primitiven  VerhaUnissen  diese  Nation  vor  1848  lebte  wid 
welch  grosse  Forfc^chritte  sie  seitdem  gemacht  hat 

Während  die  jüngere  (leneration  theils  unter  Szechenvi';*. 
tiieils  unter  Deäk'.^  Küliruug,  theils  unter  den  Inspirationen  Ko.ssuth  .> 
vorwärts  zu  schreiten  bestrebt  war:  wurden  wir  1848  plötzlich 
durch  die  französische  Itevolution  und  deren  Folgen  Überrascht 

Besttglich  der  Stimmung  und  der  Antiehten,  die  über  dies 
Srreigniss  herrsohten,  habe  ich  im  Garnen  und  Grossen  —  insofon 
ich  Gelegenheit  hatte,  Menschen  und  Dinge  zu  beobaehten  —  diei 
Strömungen  gesehen.  Es  gab  Solche,  auf  die  auch  die  urbarialen 
V'erhältuisse  einwirkten,  die  die  Ereignisse  zwar  mit  Resignation 
aufnahmen,  aber  keinerlei  »Sympathie  für  die  neuen  Uestaltungeo 
hegen  konnten,  da  .sie  .sich  inmitten  jeuer  Staatstrümmer, aus  denen 
die  ungarische  Konstitution  vor  1848  bestand,  nicht  nur  wohl  Ahl- 
ten, sondern  angesichts  des  neueu  Umsehwunges  Tiellsicht  bcns 
fide  auch  der  Meinung  waren,  dass  alles,  was  geschehei  nur  vos 
heute  auf  morgen  sein  Leben  fristen  könne  und  wieder  so  sekneH 
Terschwinden  werde,  als  es  entistanden  war. 

Die  zweite  Strönuing  bestand  aus  naiven  Leuten,  die  nur 
eine  Seite  der  £reiguisse  sahen  und  glaubten,  der  Frühliugder 
Volksi'reiheit  sei  mit  seinen  ewigen  Blüthen  und  Frilchten  ersdos* 
neu,  welche  nun  in  .Jedermanns  Seboss  fallen  wOrdaik 


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DBinuEDe  AUF  xoBÖs  lukIcs. 


547 


In  diesem  Lager  liegaimen  ili^  l  iii«'iten  grossen  I^iirrn  zu 
schlagen,  uud  auf  diene  VVei^^o  kniueu  Terschiedeue  Diuge  zum  Vur- 
iichein,  die  zu  gewöhnliehen  Zeiten  unsichibar  zu  bleiben  pflegen. 
Vielen  wollte  ee  nickt  in  den  Sinn  kommen,  dass  grosse  flrrungen- 
Schäften  stete  auch  grosse  Opfer  kosten. 

Die  dritte  8tr5mung  war  jene  der  grossen  Gruppe  der  Beson« 
neuen,  die  die  lievolution  als  ein  fait  accompli  hinnahmen,  die  sich 
wohl  auch  dariiliiT  die  Kfipfe  y.erl>rachen,  oh  mau  die  nolitisclien 
Kragen  nicht  aut  dem  Wege  ganz  Iriedlicher  Het'ornion  hätte  hisen 
können,  uud,  du  sie  »ich  üherzeugteu,  dasa  dies  iu  Uugaru  uumüg- 
iieh  gewesen  wäre,  auch  dariiher  im  Keinen  waren,  dass  Uugaru 
selbst  im  besten  Falle  grosse  Wirren  zu  bestehen  haben  werde,  dass 
die  Kreirung  neuer  Institutionen  viel  Mfihe  kosten  wird,  und  dass 
wir  bei  dieser  Mühe  riel  Besonnenheit  nnd  Massiguug  ixitiiig  ha* 
ben  werth'u,  denn  die  ^cliwehenihui  Fragen  zwischen  Tugarn  und 
Oe.^terreit  li  niüssen  geh'ist  werden,  uud  dans  es  (he  l*Hieht  eine«  je- 
den guten  i'atrioteu  ist,  an  dieser  Arheit  theilzunehmeu  und  zur 
Rettung  dos  getUhrdet^n  iStaates  und  der  (tesellschat't  mitzuwirken* 
In  die  Reihe  dieser  Männer  gehörte  auch  Moriz  Lukacs« 

Nack  der  Kotistttuirung  des  ersten  ungariscken  Ministeriums 
wurde  Lukacs  vom  Blinister  für  Ackerbau,  Haadol  und  Gewerbe, 
Gabriel  Klauzal,  dessen  Talente  nnd  Verdienste  heute  noch  nicht 
genug  gewi'irdigt  werden,  autgetordert,  als  Präsidial-Öekretiir  mit 
ileni  I\aug  und  (.MdwiU  eiues  Ministerialrathes,  an  seine  Seite  /u  tre- 
ten, liukaes  wollte  anfangs  von  der  Annahme  eiueH  Amtes  gar 
nichts  hören  ;  er  eutnchnldigte  sich  mit  der  Krankheit  seiner  Mut- 
ter, sowie  aeiner  selbst,  mit  der  Lückenhaftigkeit  seiner  Vorbil- 
dong  :  da  iha  aber  sehie  besten  Fremide,  die  Alle  Amtsstelleu  be- 
kleideten,  bestflrmten,  beschloss  er,  der  nickt  nur  ein  guter  Patriot 
war,  sondern  auch  viel  (temeinsinn  in  seinem  Innern  hegte,  da  er 
nichts  vom  »Spie.sshihger  besass,  der  jiur  seinem  Interesse  uud  seiner 
Btquemliühkeit  leben  mag,  —  seihst  in  dieseu  schweren  Zeiten  die 
ihm  angebotene  »Stelle  an/unehuieu.  Uud  was  er  einmal  auf  sich 
nahm,  dem  kam  er  auch  mit  der  grössten  Gewissenhaftigkeit  nach. 
Da  ich  iii  demselben  Ministerium  Staatssekretär  war,  so  kam  ich 
wfthrend  dieser  Zeit,  vom  April  1848  bis  Ende  September,  niekt 
aar  tagÜek  piit  Lukacs  in  Ber&hruug,  sondern  lebie  sozusagen 


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548  PEKEBEDE  AUF  XOBIZ  hVKiCB. 

ganz  mit.  ihm.  Im  Jalii«'  l!^  IS  ♦'utNi>i'Hch<'ii  Wciiij^»^  den  in  sie  ^r^- 
aetztea  Erwartungen  in  solchem  Masse  wie  Moriz  Lukac«^.  Er  war 
ein  pQnktlicher,  gewissenhafter,  fleiJ?sigpr,  gpgen  Jedon  znvorkom- 
mender,  liebenswOrdiger  Beamter.  Er  arbeitete  präzis,  schnell  und 
gründlich,  und  wenn  die  49-er  Ereignisse  nicht  daswischen  gekom- 
men wären  und  Ungarn  sieh  auf  der  Basis  von  1848  forteniwiek^ 
h&tte  :  so  würde  Lnkacs  einer  der  vorzüglichsten  Beamten  gewor* 
den  und  gewiss  auch  geblieben  sein,  denn  er  würde  die  ihm  anver- 
traute Sektion  nicht  nur  mit  mechanischer  Geschickliclikeit  gelei- 
tet haben,  sondern  er  hätte  auch  die  hier  und  im  Aushmde  daniit 
in  Verbindung  stehenden  Fächer  studirt  und  gekannt.  Das  Charak- 
teristikon  des  TorzUglichen  Beamten  ist :  volle  Kenntoiss  des  Fa- 
ches, in  dem  er  arbeitet,  und  die  Gabe,  seine  Kenntnisse  bei  gege- 
bener Gelegenheit,  den  Verhältnissen  angemessen,  in  (lassender 
Form,  in  präziser  und  klarer  Sprache  und  möglichst  schnell  anwen- 
den zu  können. 

Die  biir«'aukratiHL'he  Carriere  Lukäcs'  war  aber  nicht  von 
Dauer.  Bevor  sie  jedoch  ihr  Ende  erreichte,  nachdem  das  erste  Mi- 
nisterium aufgehört  hatte  und  ein  anderes  nicht  zu  Stande  kam 
und  ich  mich  nach  der  Katastrophe  vom  28.  September  entfent 
und  meine  Stelle  niedergelegt  hatte  :  war  Luktfcs  bis  aum  Einsog» 
Windiflchgräta*  als  Leiter  des  Ministeriums  ihätig  und  reprSsen- 
tirte  auch  im  Landesvertheidigungs-Ausschuss  das  PortefeuiOe  ftr 
Ackerbau,  Handel  und  (bewerbe. 

Ueber  diene  Epoche  schreibt  Lukäcs  interessant  in  den  Frag- 
menten seiner  Memoiren. 

Nach  dem  im  Jahre  1851  erfolgten  Tode  seiner  Mutter  Hüch-  j 
tete  auch  er  mit  gebrochenem  GemOthe  in^s  Ausland,  nachdem  er 
XU  Hause  keinen  angemessenen  Wirkungskreis  fand.  Während  sei- 
nes jahrelangen  Aufenthaltes  im  Auslande  machte  er  mehrere  Bei- 
den im  Westen  Europas.  In  den  Jahren  1860  und  1861  war  er  m 
Hause,  ohne  hier  eine  l^olle  <^espielt  zu  haben;  er  erzählt  selbst  in 
seineu  erwäliutcn  ))iogrHphischen  Fragmenten,  wie  unangenehm  es 
ihn  berührte,  dass  es  im  1860-er  Landtage  keinen  Platz  für  ibu  i 
gab.  Ich  erinnere  mich  sehr  gut,  mit  Lukacs  öfter  über  diesen  Ge- 
genstand gesprochen  seu  haben.  Wir,  die  wir  ihm  näher  standsn, 
wollten  ihn  ftberreden,  als  Abgeordneten-EMididat  aufEutreten,  h 


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LXNK&EDE  AUF  MOBIS  LCKiCS.  549 

k 

sieh  gewiss  ein  Wahlbezirk  finden  werde,  in  dem  man  ihn  gern 
wählt;  da  er  aber  keine  beetimmte  Erklärong  gab  ond  mit  den 
Wählern  nicht  in  Kontakt  treten  wollte,  unterblieb  seine  Wahl 
Im  Jahre  1862  beginn^  eine  neue  Periode  im  Leben  Lnktfcs*; 

er  heirathete,  er.  ilor  früher  jeilen  Heirathsgedanken  Ton  sich  ter» 
gelialU'ii  liatto.  Die  (ieschichte  dieser  Ehe  wäre  ein  Stoff  zu  einem 
intt^reaaanten  psycliologischeu  Problem;  ich  bin  aber  iu  die  Geheim- 
nisse derselben  nicht  eingeweiht. 

Seine  Frau  war  kränklich  und  ihr  Zustand  zwang  Lukäcs  ein 
wirmeres  Klima  au&usuehen  und  sich  gleichsam  su  expatriiren. 
Aber  die  langwierige  Krankheit  endigte  auch  so  mit  dem  Tode. 
Nach  dem  Tode  seiner  Frau  hielt  sich  Lnkäes  mit  gebrochenem 
Gemüthe  und  geschwächter  Gesundheit  bald  hier,  bald  im  Aualande 
auf  und  lebte  nur  dei-  \ Crgangenheit.  Er  wollte  seine  Menioireu 
niederschreiben»  doch,  wie  es  scheint,  hat  er  davon  nur  jene  8ki//.e 
geschrieben,  die  den  Prospekt  der  Arbeit  enthält  und  im  »Szegedi 
ArmkÖnyr*  erschienen  ist. 

Jetat,  wo  ich  dem  £nde  meiner  Kede  zueile,  mnss  ich  noch 
Ton  anderen  FHlchten  der  schriftstellerischen  ThSljgkeit  Imkto* 
reden.  Seiner  belletristischen  Arbeiten  wird  an  einem  andern  Orte 
i(i*dacht  werden  ;  ich  will  nur  seiner  im  alten  „TudomÄnytir*  und 
in  der  neuen  ^Budapesti  Szemle*  erächieneueu  Artikel  Erwüh- 
nong  tlmn. 

In  den  vierziger  Jahren  erschien  von  ihm  im  «Tudomanytär'^ 
ein  Essay  nach  Guizot  Uber  die  Elemente  der  neueren  Zivilisation« 
Der  Uebergang  von  der  alten,  besonders  der  römischen  Welt  in  die 
neue  christliche,  germanische  und  romanische,  ist  ein  interessantes 
Problem,  und  Lukäcs  bearbeitete  dieses  Thema  so  klar  und  durch? 
sichtig,  dass  in  der  Gesammt- Ausgabe  seiner  Werke,  auf  die  wir 
liotientlich  nicht  lauge  werden  warten  müssen,  schon  diese  eine 
Abhandlung  allein  die  Auinierksaiiikeit  der  Leser  fesseln  wird. 
Nicht  minder  werthvoll  ist  seine  »Studie  über  die  römische  Ge- 
schichte, deren  Quellen  und  Glaubwiirdigkeit  in  Csengery's  , Buda- 
pest! Szemle.*  Es  scheint,  dass  Moria  Lukacs,  der  sich  dfter  und 
i&ngere  Zeit  in  Rom  aufhielt,  dem  Beispiel  Gibbon*s  und  Ampire^s 
folgend,  die  römischen  Geschichtswerke  dort  an  Ort  und  Stelle  las. 
Die  Abhandlung  ist  das  Resultat  eines  umfassenden  Sfudiums  nnd 


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550  I>BKKKEJ»E  AUr  MORIZ  LUKAC.^. 

als  fiflsüy  ausgezeichnet  Sie  ist.  in  ganz  kritischt'ra  Geiste  gehalten 
QDd  nnterzielit  die  Ansichten  der  alten  Schriftsteller,  Niebuhrs, 
Bebwegler's,  Lewis*  und  Maeauhiy^a  einer  grQndiieheu  Kritik.  In 
Folge  seiner  Natur  konklttdirt  er  mit  keiuerpositifen  MeiuniigaMd 
ishreibt  statt  dessen  das  Folgende:  »Die  FVage,  welcher  wohl  Beeht 
hat,  wage  ich  ohne  Zogern  zu  beantworten  :  ein  jeder  und  keiner;* 
er  niotivirt  alier  auoli  ilioseu  Ausspruch  in  scharfer  Weise.  Lnkac? 
schrieb  diesen  Essay  1858.  Ich  bin  darüber  nicht  unterrichtet,  was 
für  Vorstellungen  die  neuere  ungarische  ( Jeneration  von  der  Weh 
der  Römer  hegt,  ob  sie  in  ihnen  Halbgötter,  Heroen.  ])hjintastische 
und  ideale  Gestalten  sieht,  —  wir  lernten  die  römisehe  CUvschiehte 
noch  in  solchem  C^iste.  Die  neue  Geschichtswissenschaft  beweist 
aber,  dass  auch  die  Römer  nur  gewöhnliche,  aber  mit  äusserst  piak- 
tischem  Verstände  begabte  Menschen  waren,  die  es  yerstanden. 
grosse  Werke  zu  schatten,  fremde  Völker  in  «ich  auflösen  zn  la-ssen, 
—  die  aber  weder  Tugend,  nodi  Bes(Hnn*nli(Mi  vt»ii  etwas  al)hielt. 
was  zu  erreichen  ihrer  Meinung  nach  in  ilireni  Interesse  stand,  und 
die  in  Folge  ihrer  realistischen  Natur  solche  Fehler  und  Sünden 
begingen,  die  sie  zur  Vertheidigung  der  alten  Welt  gegen  die 
hereinströmenden  Barbaren  und  gegen  die  »ich  verbreitende  n^ie 
Lehre  onfShig  machten.  Die  Studie  Lukäcs*  war  bei  ihrem  Srschei- 
nen  sehr  aktuell  und  ist  auch  heute  noch  nicht  veraltet. 

Im  Jahre'  1860  sprach  Luk^s  in  der  Akademie  eine  Denk- 
rede auf  August  De  Oerando.  Der  Gegenstand  dieser  Rede,  die 
Persönliehkeit.  deren  GedÜchtniss  sie  gewidmet  war.  übte  auf  nn> 
einen  eigenthiinilichen  Zauber  au>'.  Ein  Franzose,  einer  gekannten, 
gebildeten  und  geachteten  Familie  entstammend,  der  sich  durch 
seine  Talente  und  Verbindungen  eine  glänzende  Position  in  der 
französischen  Gesellschaft  hätte  erringen  können,  kommt  in  den 
yierziger  Jahren  nach  Ungarn,  um  unser  Vaterland  kennen  zu  ler- 
nen, sieh  unsere  Sprache  anzueignen,  die  Insiit^utionen  zu  studim 
und  sich  mit  dem  Lande  und  dier  ungarischen  Nation  zu  identifizi- 
ren,  und  schreibt  in  unserem  Interesse  ein  ebenso  gründliches,  wie 
begeistertes  Werk.  Fürwahr,  eine  poetische,  edle  Ers  lieinnng! 
Leicht  erkliirbar  i>it  also  jener  Ton,  in  dem  die  Kede  Lukacs*  gehal- 
ten ist,  jene  .sympatiiische  Wärme,  die  dieselbe  durchdringt.  Lukäcs 
endigt  seine  Rede  mit  den  folgenden  Worten :  „Ein  ungarischer 


i^iyiii^cü  Uy  Google 


DtNKKSDE  AUF  MOBB  &UKiC6.  551 

Sehriftsteller,  wie  reiehe  Talente  er  auch  besitze,  wie  sehr  er  auch 
4er  fremden  Sprache  mfichüg  sei,  wird  doch  den  Platz  des  Verbli- 
ehenen  nie  in  vollem  Masse  auszufüllen  iahig  sein,  denn  unsere 
Feinde  werden  die  Glaubwürdigkeit  seiner  Worte,  seiner  Behaup- 
tungen und  seine  Schlüsse  mit  der  Beschuldigung  der  Befangen- 
heit, Beeinflussung  und'Parteüichkeii  bezweifeln  und  abschwächen. 
Nur  die  Nation  selbst  ist  im  Stande,  ihre  Tadler  Terstumuen  zu 
machen  oder  wenigstens  den  Stachel  ihrer  Verleumdungen  abzu- 
brechen, wenn  wir  Alle  für  Einen  und  Einer  für  Alle  jede  gegen 
uns  erhobene  unbegründete  Heschuldiguug  luit  Thaten  widerlegen, 
wenn  wir  uns  durch  unerschütterlichen  Patriotismus,  durch  mora- 
lische und  materielle  Opferwilligkeit,  durch  gemässigte  Bestimmt- 
heit, durch  Billigkeit  gegen  Jedermann,  durch  vielseitige  Ausbil- 
dung unserer  Fähigkeiten  und  durch  die  Pflege  der  Kttuste  und 
Wissensehaftten  in  die  Reihe  der  ersten  Nationen  der  Welt  erhe-* 
ben,  und,  was  wichtiger  als  all*  dieses  ist,  wenn  wir  in  den  schwer- 
sten, wie  in  den  verlockendsten  Verhältnissen  -  „mög'  uns  die 
Hand  des  Schicksals  segnen  oder  schlagen*  —  uns  und  unserer 
Ehre  treu  bleiben.* 

Am  27.  Mai  18öl  hielt  Lukacs  in  der  Akademie  seine  Denk- 
rede auf  den  Grafen  Ladislaus  Teleki.  Diese  Rede  hat  auch  als 
rhetorisches  Werk  Bedeutung,  ist  aber  besonders  ein  treues  Spie- 
gslbild  jener  Periode,  das  die  Stimmung  der  Zeit  oder  vielmehr 
des  Tages  getreu  wiedergibt.  Lukacs  stand  von  seiner  Jagend  an 
in  sehr  vertrautem  Verhältnisse  zu  Ladislaus  Teleki,  obwohl  ihre 
Charaktere,  Naturen  und  TeniiMTaniente  sehr  verschieden  waren  ; 
aber  Lukacs  besass  el>en  jene  Eigenschaft  in  grossem  Masse,  auch 
solche  (^*haraktere,  die  mit  dem  seinigen  in  Widerspruch  ntaudeu, 
zti  verstehen,  zu  erfassen  und  zu  wfirdigen.Das  tragische  Schicksal 
Ladislaus  Teleki*s  ergriff  aber  auch  Jene,  die  ihm  nicht  näher 
standen.  Nach  einer  langen  Verbannung  nachhause  zu  kehren, 
monatelang  in  fortwährendem  Kampfe  mit  der  Welt  und  mit  sich 
selbst  zu  leben  und  schi»*s.slich  seinem  Leben  durch  eine  Kugel  ein 
Ende  zu  machen  :  ist  walirlich  mi  tra*;iscli('s  Loos.  Alle,  die  wir  im 
Jahre  1861  seine  Abgeordueteu-K(»l legen  waren,  werden  uns  ewig 
jenes  Tages  erinnern,  als  wir  im  Abgeordneteuhause  erschienen 
und  statt  einer  grossen  Itede  Deäk's  die  ersehUtternde  Nachricht 


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559 


{»INKRBDK  AUF  HOBIZ  LUKACS. 


erliieltcu  :  Teleki  habe  »ich  t  rschosseu!  Und  der  Nachhall  tli<»<«<'r 
Wirkimg,  dio  dun  ganze  Land  durchdrang,  war  auch  damaU  nock 
nicht  ToUstandig  geachwunden,  ala  Lakics  aeeha  Wochen  spiter 
aof  der  RednertribQne  der  Akademie  den  Charakter  Teleki's  nnd  die 
OrOnde  seines  Selbstmordes  mit  der  «ersetzenden  Kraft  des  Pny- 
chologen  und  mit  der  aufrichtigen  W'Urme  des  treuen  Freundes 
schilderte. 

Moriz  Lukacs  endigte  im  Dezember  des  vorigen  Jahres  seine 
irdische  Laufbahn.  Seine  Gesundheit  war  schon  längst  gebrochen, 
seine  Augen  wurden  Tom  Staare  verdunkelt,  so  dass  er  selbst  nicht 
mehr  lesen  konnte ;  für  ihn  war  der  Tod  eine  Wohlthat,  er  befreite 
ihn  von  den  bitteren  Leiden  des  Lebens  und  vereinigte  ihn  mit 
Jenen,  die  er  am  meisten  liebte,  die  aber  noch  vor  ihm  ins  Grab 
gegangen  waren  und  ihn  hier  allein  zuriickgclasseu  hatten. 

Unter  th*n  in  seiiioin  Leben  verötlentlichten  oder  hinterlas- 
seiien  Werken  Lukacs'  ist  gewiss  nicht  das  schlechteste  sein  TeMa- 
ment,  welches  beweist,  dass  Lukäcs  ein  vernünftiger,  humaner,  auf 
die  geistigen  Interessen  grosses  Gewicht  legender  nnd  für  diesel- 
ben warm  begeisterter  Mann  war,  ein  edler  Mann  im  straigen 
Binne  des  Wortes,  ein  wahrer  Gentleman.  Dies  Testament  ist  io 
mehr  als  einer  Hinsicht  lehrreich.  Es  widerlegt  jene  Ansicht,  daie 
bei  uns  die  Gentry  unbedingt  zugrunde  gehen  müsse.  Gehörte  ja 
doch  auch  Lukacs  zu  dieser  Klasse,  und  er  ist  nicht  nur  nicht  zu- 
grunde gegangen,  soiulern  hat  sogar  noch  sein  ererbtes  Wrniögen 
vermehrt.  Zweitens  beweist  dies  Testament  und  dient  zugleich  als 
Beispiel  dafür,  dass  in  einem  Lande,  wo  Gemeinsinn  herrscht,  ein 
vermügender  Mann,  der  keine  Familie  hat,  der  allgemeinen  Insü- 
tnte  nicht  yergeasen  kann,  wie  dies  in  der  letzten  Zeit  in  mehreren 
sehr  auffallenden  Fällen  geschah,  dass  reiche  Leute  ohne  Familie 
▼erschieden,  ohne  der  (iemeininstitute  des  Landes  auch  nur  mit 
einem  Worte,  mit  einem  ll»'ller  geda»  ht  zu  haben.  Das  Lan»l.  iu 
dem  solrlie  Männer  leltten  wie  Moriz  Lnkaes,  kann  kein  ilenioiali- 
sirtes,  kein  korrumpirtes  Land  sein.  Die  Jugend,  deren  erste  Aut- 
gabe es  ist,  zu  arbeiten  und  zu  lernen,  folge  seinem  Beispiele,  und 
Ungam  wird  fort4anem  zur  Freude  seiner  Söhne  und  Freunde  and 
zum  Yerdmss  seiner  Feinde ! 


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Dil  mtoHKinwnir  toh  twmm.  SsS 


DIE  KffiCHENRÜlNE  VON  TOPUSZKO.' 

Es  ist  das  grosse  Verdienst  des  ersten  Gnstos  des  Agramer 
Ifneernns,  H.  Lnlneh  nachgewiesen  zu  haben,  dass  der  Spitssbogen-. 

styl  in  den  Ländern  der  ungarischen  Krone  fniher  Anfnahme  fand, 
als  in  Deutschland,  welches  ehedem  als  Gebartsland  dieses  Sfcy- 
les  galt. 

Der  einschlägige  Beweiss  wird  durch  die  Kirchenruine  von  To- 
pnszko  geliefert,  welche  Lubich  im  «Viestnik'  (einer  in  kroatiseher 
Sprache  encheinenden  archfiologischen  Zatschrift)  r.  J.  1879  und 
1880  ansffihrlioh  bespraeh;  auch  ist  der  Artikel  mit  hinlfingUchen, 
naeh  genauen  Messungen  sanber  ansgeftthrten  drei  Tafeln  des  Inge- 
nieurs Fr.  Erben  illustrirt,  welche  wir  mit  Zustimmung  des  Verfassers 
in  verkleinertem  Maasstab  reproduciren. 

Der  Besprechung  der  Eirchenruine  wird  eine  Abhandlung 
der  rßmisehen  Vergangenheit  des  Badeortes  Topnsiko  Tonrasge- 
schickt,  dessen  Name  «ad  fines'  war  nnd  anf  dessen  Boden  sah!- 
reiche  romische  Inschriftsteine  an^fnnden  wurden,  welche  Lubich 

eingehend  erläutert,  üns  interessirt  vorzüglich  die  Enrchenmine, 

welchf»  ton  den  in  Kroatien  häufigen  neueren  Erdbeben  gelitten, 
seither  jedoch  wieder  restaurirt  wurde  so,  dass  deren  Bestand,  ob- 
gleich bloss  als  Ruine,  gesichert  erscheint. 

Der  Badeort  Topussko  ist  in  der  ehemaligen  MiUt&cgreiixe, 
im  I.  Banalregiment  südwestlich  von  Glina  gelegen ;  die  drehen* 
mine  befindet  sich  im  «Plantage  Qarten"  des  Kurortes.  Vom  an- 

stossenden  Kloster  ist  nur  wenig  erhalten,  oder  vielmehr  das  Kloster 
\vnrde  nocli  keiner  durchgehenden  An.sgrabung,  wie  jene  der  Kirche 
unterzogen.  Der  Garten,  in  welchem  sich  die  Ruinen  befinden,  ist 
mit  einer  ^Wallmauer"  umgeben,  welche  an  dreien  ihrer  Ecken 
bastionartige  halbrunde  AnssprQnge  hat,  an  der  rierten  Ecke  ist  ein 
«Gloriette*  angebracht, 

„Die  Abtei",  berichtet  Lubich  nach  Siegers  Aussage,'  „ist  unter 
der  französischen  liegierung  abgetragen  worden,  und  aus  dem  Mate- 

'  Eine  audcre  Bebprechung  dieser  Ruine  habe  ich  im  „Archeologia 
^rtesito"  Jahrg.  1881  (respecUve  1882)  S.  228—247  gegeben. 

'  Dr.  Sieger  „Die  Heilquellen  von  Topuike  in  Oeoatiea.  1845.* 

UnKarwcbe  li«vue.  1882.  VU.  UefU  86 


\ 


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S54 


riale  w  unl»»ji  in  niehroreu  Coinpa^nifsfatioiion  Frurlitmai(a/iii<'  uinl 
andere  (t^'bäuclo  Jiiit^<*liilirt.  Das  imc  Ii  stHhemlo  Portal»»  («lor  Kirche) 
hat  weilaml  S  Majestät  Kaiser  Franz  I.  hei  Geleg»'uheit  «eines 
^Allerhöchste»  Üesuckes  tlieser  Bäder  im  Jahre  1818  zu  erhalten 
befohleu.^ 

Ebenso  citiri  L.  ans  dem  Werke  v.  Knnits  (Hifltorisch-Iopo- 
graphische  Besehreibung  des  Mineralbades  Topuszko  Carlstadt 
1829):  «Noch  leben  au  Olina  und  in  dieser  Gej^^end  mehrere  Pefso- 
neu,  welche  diese  Kirche  jiorh  (janz  afrhrnd  kannten,  und  sahen,  wie 
mau  ilas  prächtige  goihisehe  ( iewrdhe  dem  PJinwirken  jeder  Luft  und 
Witterung  preis  gah,  untl  so  aiu  h  die  Kirche  selbst  zerstr>rt  ward 
deren  feste  Bauniateriulien  dann  zu  anderen  ( Jehäudeu  verwende  * 
wurden.  Auf  Befehl  seiner  Excelleuz  des  lianus  Igiiaz  Grafen  Gynlaji 
wurde  durch  die  eifrigste  Sorgfalt  des  Herrn  Obersten  und  Comman- 
d^nten  des  ersten  Banal-Ghrenz-Regimeutes,  Johann  von  Kestor, 
das  grosse  prächtige  Portal  mehrerwähnter  Kirche  als  ein  eben  so 
merk-  als  ehrwürdiges  Denkmal  von  der  Zerstörung  noch  gerettet 
und  bis  auf  gegenwärtige  Zeit  erlnilten.* 

Ein  weiteres  Verdienst  des  Ahl)ate  liuhich  ist  erkannt  und 
ausgesprochen  zu  haben,  wie  das  Kloster  von  Toplicza  durchaus 
dem  älteren  strengen  trauzüsischen  fcjpitzbogenstjrle  angehört. 
Ebenso  hat  Lubich  durch  Anführung  einschlägiger  Documente 
den  Aufbau  des  Klosters  um  das  Jahr  1211  nachgewiesen. 

Wir  folgen  nun  der  Beweisftihning  dieser  Thatsaehe,  werden 
jedoch  die  Documente  ausführlicher,  als  Lubich  thut,  geben,  indem 
wir  dieselben  aus  Ivan  Krsi  Tkalcsics  »Monumenta  historica  epis- 
copatus  Zagrabiensis.  Agrani  1873*  anführen. 

Das  erste  hierher  bezügliche  stammt  von  Andreas  H.  a.  d.  J. 
1205.  und  enthält  die  Schenkung  des  Landstriches  Gorra  an  die 
aus  dem  inuizösischeu  Kloster  tou  Clairevaux  berufeneu  Zisterzien« 
■er  Mönche. 

«Andreas  dei  gmiaHungarie  rezetcnotum  ease  Tolumosetc. 
quod  terram  de  Oorra,  cum  omnibus  suis  appendidis  eo  iure  et  ea 
Übertäte,  qua  nobis  tempore  ducatus  nostri  seruire  tenebatur,  cum 
Omnibus  hominibus,  servis  et  liberis  deo  et  beate  Marie  eonhäinm 

ad  abbaciam  construendam,  de  ämw  darevaüensifOrdinis  cystercifH' 
sis,  Dutum  auuo  regni  uostro  primo  (1205)/ 


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»IE  nBCITKNRUINR  VON  TOPDäZSO.  ISoS 

In  einer  Urkunde  t.  J.  1211  desselben  Königs  Andreas  II. 
finden  wir:  , 

«proprie  deTOcionis  rota  qnod  dndnm  animo  conceperamns 
indncti.  raoimsterinm  —  in  loco,  qni  dicitur  Toplica, '  diixinms  coii- 
stnieiuliini,  rratiihusqiip  rJnyrraJJciifiis  domns^  ordinis  cystercieiisis 
roiitulinms  possidonduni.  Si  (jiiis  vovo  post  tempus  huius  iiostre  do- 
nacionis  que  facta  fnit  regni  iiosti'i  anno  seciindo*  aliquid  de  rebus 
f iusdem  monasterii  —  fraudulenier  vel  Tiolenter  subtraxerit,  dis- 
triete  preeipimus  et  snb  pena  regte  indignacionis  edicimns,  qnod 
illnd  cessante  contradiccione  eidem  ecclesie  restanretur.  —  (Monas- 
terio)  eam  ooncedimns  Hbertateni,  qua  agriensis  et  pelisiensis  ecclesie 
ex  regali  dono  ntnntnr.* 

In  eiuei*  weiteren  Urkunde  von  Jahre  1213  sagt  der  König: 

«Licet  omnia  Cysterciensis  ordinis  monasteria,  qne  olim  bone 
memorie  patres  nostri  reges  Hongarie  constmzerant  specialiter  dili- 
gamus,  maxiine  qnia  ceteris  deo  firmins  inherere  et  tarn  assidnis 
quam  firequenter  pro  nostris  excessibns  ezorare  crednntor  monasterio 

tarnen  de  Toplica,  Cjuod  de  proprio  nostro  fundayimns  regni  nostri 
nnno  jn'info  ampliori  dilfceionis  prerogativa  tenemur,  eo  quodfratres 
clarevdllensift  ccnobii  iiiihi  cunrofarhnm  re.  (Folgt  die  Wiederholung 
der  Donation  und  schliesslielij  Etutliee  a  nobis  facta  donacio  nullis 
inifjuaui  temporilnis  valeat  aboleri,  ad  praeces  vonerabilis  Theobaldi 
tunc  temporis  eiusdem  loci  abbatis  presentem  paginam  sigilli  nostri 
testimonio  fedmns  insigniri". 

Eine  andere  ürkimde  von  Jahre  1213  idederholt  das  hier 

angeführte  Wort  (ür  Wort:  eine  dritte  von  el)en  diesem  Jalire sagt : 

.Ex  conquestione  dilecti  abbatis  nostri Toplice  nobis  innotuit, 
qnod  elemosina  nostra,  qnam  ei  per  Privilegium  nostrum  contulimus 
de  die  in  diem  minuitnr,  qnod  nobis  in  obprobrium  cedit  et  in  eceulesie 
nostre  Toplice  maximnm  detrimentam ;  mazime  de  castrensibns 
suis  quos  aliqni  de  Tieinis  eins  contra  Privilegium  nostram  detinere 

*  Toplioa  imd  Topnnko  taad  xwei  Namen  denelben  Ortet»  der 
mtere  besieht  «ich  anf  die  hier  bettehenden  warmen  BSder,  wie  solche 
onoh  der  Stadt  Tepliti  in  Böhmen  den  Namen  gaben. 

'  In  allen  llltrig««  Urkunden  tteht  das  enrte  Jahr  der  Regierung  dM 

80* 


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« 


SSff  VOt  KlBCmtMWllil  TOir  VftVSOBt. 

presuiiiuiit  etc.  (Den  Hauen  wird  sofort  autgetragen  diese  Eigen- 
mächtigkeiten der  Nachbaren  abzustellen). 

Es  kommen  noch  fünf  Urkunden  des  Königes  Andreas  II.  vom 
Jahre  1213  vor,  welche  alle  auf  die  Güter  und  Einkünfte  des  Klos- 
ters und  die  Spoliacioneiif  welehe  damlbe  toh  mäehtigeii  Nachbarea 
erleidet,  Bezog  haben ;  in  einer  derselben  sagt  der  ESnig,  dass  wer 
immer  das  Kloster  schädigt,  gleiehsam  sein  Auge  scbSdigt:  .qni 
male  fecerit  predicte  domai,  quasi  qui  tetigerit  pupillam  ocnli  mei.* 

Die  wichtigste  Urkunde  aber  ist  jene,  aus  welcher  sich  der 
Beweis  ergibt,  das  unser  Kloster  bereits  im  Jahre  1220  fertig  da- 
stand, sie  lautet  in  der  Übersetzung: 

,Ich  Martin  von  Gottes  Gnaden  Bischof  von  Corbabia  ^  tbue 
kund  den  Lebenden  und  Zukünftigen :  dass  mir,  als  ich  die  Kirche 
des  h.  Stephan  in  Vemice  weihte,  Ton  Leuten  des  Abtes  von  Topliee, 
welche  diese  Kirche  mit  seiner  Znstimmong  erbauten,  in  meiner 
Gegenwart  berichtet  worde,  dass  benannter  Abt  und  die  MSnche 
▼on  Toplice  dieselbe  Gerichtsbarkeit  in  besagter  Kirche  d.  b.  Ste- 
phan in  Vemice  besäs^sen,  welche  dem  Herren  oder  Patrone  einer 
auf  eigenem  (irund  und  Jioden  erbauten  Kirehe  zusteht.  Und  das.-j 
durch  Errichtung  besagter  Kirche  des  h.  Stephan  jene  von  Toplice 
keinerlei  Schädigung  zu  befahren  habe,  weder  von  Seite  des  Pfar- 
"  rers,  noch  einer  anderen  Person,  sondern  die  Liegenschaft  und  die 
Schenkung  des  Königs  an  die  Kirche  ?on  Toplica  für  alle  Zeiten 
frei  bleiben,  ünd  damit  Besagtes  nicht  durch  irgend  Jemandes 
Wagniss  oder  Ränke  gestört  werde,  haben  wir  Torliegende  Urkunde 
mit  unserem  Siegel  bekräftigt  Gegeben  im  Jahre  des  Heils 
MCCXX. ' 

1  Das  Biathmn  von  Corbabia  enstirt  nidit  mehr,  es  wurde  im  Jahre 
1461  mit  jenem  Ton  Zengg  yereiiiigt 

'  Ego  Martiaas  dei  giacia  eorbabensia  epiacopiu,  notom  fhcio  tarn  pn> 
aentibiu  qaamfiitniui :  qaod  cum  eonaecracem  eoclenam  a.  St^hani  in  Vemioe 
seoognitmn  eat  in  preaemsia  mea  de  hominibna  abbatia  Toplioe,  qat  eaadeaa 

eoclesiam  per  concessionero  eins  constrazerant,  qaod  predicias  abbas  et 
tnonachi  Toplaoe  habent  eandein  iurifldiccionem  in  predicia  eccleaia  s.  Stephani 
in  Vwiiice,  quam  debet  habere  dominus  vel  patronus  in  eccleRia  fundata  in 
torra  sua.  Et  quod  occaaione  prefate  ecclesie  b.  Stephani  nuUum  tiet  proiuJi- 
cium  ecclegie  Toplice  in  poste  (rum)  de  terra,  vei  de  rcdditibus  suis,  neque 
per  sacordotem  eiuadem  ecclesie,  neque  per  aliquam  aliam  personam,  sed 


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DIB  JOBCBBNBUJVS  TON  T0PU8ZKO. 


557 


Ans  dieser  XJrkande  geht  hemr,  das  die  Kirclie  toh  Vernice 
eine  Tochter  der  Mntterkirehe  Ton  Toplicza  war,  nnd  daes,  indem 
exetero  von  Leuten  der  letzteren  bis  zur  Etnweihiing  im  Jahre  1220 

fertig  gebracht  wurde,  die  Fertigstellnngder  Mtitterkirche  in  eine  je- 
denfalls um  mehrere  Jahre  /.nrückgeht^ndo  Zeit  zu  se/.eu  ist ;  weslialb 
auch  Lubicli  die  Erbauung  der  Kirche  von  Toplicza  zwischen  1206 
und  1211  annahm.  Sollte  jedoch  die  Fülle  der  Urkunden  aus  d.  J. 
1213  nicht  eher  anf  eine  vermehrte  Bauthätigkeit  in  dieser  Epoche 
hmdentea?' JeäeHfiUU  aber  ist  die  Erbaumfug  tm  wemffttms  ein  MiT" 
M^beifi  über  jene  dsr  äUeiien  SpMogenkkdie  m  DeitlseKlanä  hmamf 
£»  rücken,  aHs  wdeke  die  JJdtfraitenkireke  in  Trier,  eine  Toekter  der 
AbUikirche  von  Braine  hei  Bheitns,  güt. 

In  einer  Urkunde  von  Jahre  1213  wurden  der  Zisterzienser 
Abtei  von  Topuszko  dieselhon  Rechte  verliehen,  deren  sich  die  Ab- 
teien desselben  Ordens  in  £rUn  und  Pilis  erfreuen.  In  anderen 
tJrkonden  werden  als  drei  Hanptabteien  des  Ordens  jene  Ton  Zirz, 
Pilis  nnd  Ptetö  augeführt.  Die  ursprünglichen  Klöster  nnd  Kir- 
chen dieser  drei  Abteien  sind  von  der  Erde  Terschwnnden ;  einzig 
in  Zirz  st^ht  noch  zur  Erinnerung  an  die  alte  Kirche  ein  reich  ge- 
j^liederter  und  verzierter  Schaft,  welcher  starken  Einfluss  der  fran- 
zösischen Schale  verräth,  einsam  auf  dem  Marktplatze  des  Ortes« 

Dagegen  ist  die  alte  Kirche  der  Krlauer  Abtei,  jetzt  von  Ap^t- 
lalTa  oder  «Abbatia  de  trium  fontium**  genannt,  noch  ganz 
erhalten.  IiK>l)  i  nimmt  an.  ^  sie  sei  von  Erlaner  Bischof  Kilit 

n.  (Cletus  nach  Schmidt's  ,Episc.  Agrieuses"  1225  —  1242)  ge- 
gründet, sie  wäre  demnach  jünger  als  jene  von  Toplicza;  wäh- 
rend doch  in  den  auf  letztere  bezüglichen  Urkunden  die  Berufung 
anf  eine  in  Apatfalva  bereits  bestehende  Abtei  geschieht  Die  Ein- 
führung der  Zisterziten  nach  Ungarn  und  zwar  zumeist  aus  fran- 
zSflischen  KlSstem  findet  unter  den  Königen  B^a  III.  und  Emerich 

tnna  et  elemotiBa  donuni  regia  eoölesie  de  Toplioa  libera  manebit  hi  eter- 
nmn.  Et  ne  hoc  qnaHbet  temeritste  vel  alionius  flnuKhileBoia  de  cetero 
Taleai  pertarbari,  proBentem  paginam  sigillo  nottro  ÜBciiiiiis  commumri. 
Aetum  anno  grade  MCX)XX. 

*  Vgl.  deii  Art.  ,A  Konok  bfl-hiromkuti,  mätk^p  apitfalvi  ap&t 
•äga  ^8  XIII.  ratadi  leiriaa**  im  VI.  Bande  der  „Archaeol  KOtlentfnjelt'* 
(Jahig.  im). 


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1 


558  KIUUIIENUUIXE  VUN  TOI'L^ZKu. 

im  letzten  Viertel  de.s  XII.  Jahrliunderts  statt;  nichts  (lest»>\veuijL'»'r 
wäre  möglich,  dass  die  Abtei  von  Aputtalva  ihr  Privilegium  lange 
jCft  dem  Ausbau  der  uoch  bestehenden  Kirche  erhielt  and  sich 
einstweilea  durch  lange  Jahre  an  Bedftrfnisebaitteii  genfigeu  Üe«. 
Ich  sage  dteas  wire  nieht  unmöglich,  doch  inderspridit  wieder 
dieeer  Annahme  der  Styl  and  der  ganae  Habitue  der  Apatfalfaer 
Kirche,  welcher  ein  ftiterer  als  jener  yon  Toplicza,  nemlich  der 
des  Überganges  ist,  und  ebenfalls  der  iVaiizösisclien  Bauart,  und 
noch  näher  bezeichnet  jener  der  strengeren,  der  Zisterziten  ange- 
hört, wie  Hie  von  dem  (iründer  des  Ordens,  dem  h.  ßernhardt  ^ 
Gegensatz  zur  reicheren  der  Benedictiner  angegelien  wurde. 

Es  hat  nemlich  das  Sanctnarium  iu  ApatfaWa,  wie  dies  die 
Ein&ehheit  der  Schule  Tcrlangie,  einen  ein&chen  geraden  Schluas, 
und  fehlt  jede  Andeutung  eines  Thurmes,  wie  solcher  an  den  gleich- 
seitigen Kirchen  der  Benedictiner  sogar  als  Dojtpelthurm  gebräuch- 
lich ist.  Die  Einfachheit  zeigt  sich  sodann  auch  in  der  geringen 
Länge  der  Kirche,  welche  bloss  4  Vi  Einheit  misst,  d.  h.  die  Miüel- 
schififbreite  von  Axe  zur  entgegenstehenden  Axe  der  Pfeiler.  lii«  r 
333  Wiener  Zoll  multiplizirt  mit  4V«  =  1498  Zoll;  ebenöo  gehört 
die  Apätfalvaer  Kirche  zu  den  niedreren,  indem  die  Höhe  des  Mit- 
telschififes  bis  zum  Dache  nicht  mehr  beträgt  als  die  Diagonale  eines 
ans  der  Einheit  constmirten  WOrfels,  das  ist  333"  X  1«732  = 
576,75".  Endlich  ist  anch  auf  die  sehr  einfachen  Pfeiler  der  Kirche 
aufmericsam  zu  machen,  indem  diese  blos  aus  einem  an  den  Ecken 
abgefasten  Quadrate  i)estehen.  Seheidebogen  und  t^uergurte  des 
(iewöll)e.s  haben  einen  stumpfen  iSpitzbogen;  die  Fenster  sind  jedoch 
Überall  uoch  im  HalV)kreis  geschlossen;  im  Chorschluss,  an  den 
Kreuzarmen  und  in  der  Westfronte  sieht  mau  Uuudfenster ;  jenes 
der  Westfronte  ist  ein  Badfenster,  an  welchem  sich  noch  ursprüng- 
liche Speichen  eriislten  haben.  Kurse  Streben  kommen  bloss  am  Thor- 
schlttss  und  am  nördlichen  stark  ausspringenden  Querschiffe  vor. 
Den  Schmuk  der  Kirche  bildet  das  westliche,  in  das  Mittelschiff 
führende  Purtul,  die  Kapitale  und  die  Kragsteine,  deren  Blattver- 
zieruugen  und  l'rofilinuig  offenbar  auf  französisclie  Muster  hin- 
weisen Aeusserst  zierlich  ist  eine  den  Halbkreis  des  Tynipuuuuii? 
am  Hauptportale  umgebende  Einrahmung,  welche  au»  treftlicb  ge- 
arbeiteten, iu  fortlaufeude  Voluten  eingeschlossenen, gut  «tyiisirteu 


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DIU  KiUCMEN&UIMS  VOM  TOPÜäSKO.  V  '  559 

Blättern  besteht.  Das  Fortal  ist  durch  regelmSssige  Anwendung 
yenehiedenfarbiger  Steine  polyakrom^  was  in  nnflerem  Yaterlande 
als  grosse  Seltenheit  ersoheini  Die  Pfeiler  des  Mittelschiffes  halMn 
reich  profilirte  Gonsolen,  aus  welchen  einfiiehe  Garten  entspringen, 
während  in  den  Seitenschiffen  den  Pfeilern  entsprechende  Halhsankn 
angebracht  sind,  deren  Kapitale  wie  auch  dieFüsse  auf  fhtnzösische 
\'orbil(ler  liimveiseii,  dies  «rilt  vorzüglich  von  letzteren  und  von 
den  Kämpfern.'  Di«' iiusgehulteu  Knorreu  oder  Knospen  der  Kupitäl- 
hlätter,  wie  auch  ihr  übergreifen  und  Zusammenwachseu  von  einem 
Säolchen  zum  anderen,  sowohl  hier  wie  am  Ilauptportale,  endHch 
ihr  gewandartiger  nach  unten  ausgebreiteter  Styl  sind  echt  iransö- 
sisch.  * 

Es  können  hier  zur  Veigleichung  noch  zwei  dem  franaSsi- 
sehen  strengen  Spitabogenstyle  zugehörige  ungarische  Kirchen  an- 
geführt werden  beide  in  Oedenburg  :  die  Kirche  des  Erzengels  Mi- 
chael lind  die  Benedictinerkirclie  ;  beide  haben  mit  dem  (xotteshause 
in  Toplicza  gemein,  das  ihre  mittleren  von  den  Seitenschi tfen  nicht 
durch  Pfeiler  oder  Schatte,  sondern  durch  Saiden  getrennt  werden. 
Bekanntlich  hat  die  französische  Schule  sich  hier  der  Säulen  sehr 
lange  bedient,  so  im  Chore  der  Kathedrale  ?on  Rheims,  wiUirend 
in  Deutschland  die  Säule  bereits  im  An&nge  des  Spitabogens^les 
dem  Schafte  weichen  musste.  Ich  habe  beide  Kirchen  mit  Beigabe 
Ton,  nach  Storno«  Zeichnungen  gefertigten  Holzschntiten  kurzbe- 
schrieben und  in  «Magyarorszag  c«ücsi ves  stylü  milemlekei'*  welches 
Werk  ich  im  Auftrage  des  k.  ung.  Ministers  für  Cultus  und  Unter- 
richt im  Jahre  188U  schrieb,  pubUcirt.* 

In  der  itfacAasIsr^irc^  gehört  bloss  das  drdsehiffige  Langhans 
und  der  untere  Theil  des  Einselthurmes  bis  etwas  unter  der  Höhe 
des  Oiebels  dem  ursprünglichen  Baue  an,  das  unTollkommene  <)uer- 

'  die  so  obigem  Artikel  Aber  die  Xirohe  ron  mir  verfimten 
Angaben  ihrer  VerbUtoiise  und  von  mir  geseiobnete  neben  Tafel. 

*  Vgl.  Tafel  7.  and  VI.  in  der  Beechreiboog  der  «Arcfa.  KAslem^ 
nyek  "  Jahrg.  1866. 

*  Die  „Micfaaelerkirche  ist  publicirt  in  den  Mittbefl.  der  k.  k.  Central- 
coRimiflsion  nur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Band^nkmiUer*'  1.  Band 
(Jahtg.  1656)  und  die  Benedictüicrkizcbe  im  VIU.  Bande  (Jahrg.  1866) 
defselben  Zeitedurift 


L.iyui^Lü  Uy  Google 


560 


DK  KIBCHENBUIME  TON  TOPUSZKO. 


schiff,  Chor  und  Sakristei  bilden  einen  spateren  Umbau,  oder  eine 
Zusatzerweiterang  nach  Osten  and  Sttden.  Demnach  kommt  bloss 
das  Lioighaiis  hier  in  Betmeht,  dessen  Seitenschiff»  etwas  mehr 
als  die  HiUfte  des  niittlereii  zur  Breite  haben;  alle  drei  haben 
einfache  Kienggewdlbe  über  sich,  nnd  zwar  beginnen  diese  nicht 
über  den  Kämpfern  der  Säulen,  sondtru  es  steigen  deren  Rippen 
über  kleineren  Säulchen  empor,  die  auf  Kopfconsolen  ruhen, 
welche  einen  Zwischenraum  zwischen  sieh  und  den  Kämpfern  der 
Hauptsäulen  lassen.  Die  Scheidebogen  sind  stumpf-spitzbogig,  die 
Säulen  und  Säulchen  haben  keine  Kapitäle,  sondern  bloss  vielglie- 
derige  Kampfer,  Fenster  kommen  bloss  in  den  Seitenschiffen  tot, 
sie  sind  sweitheilig,  schmal,  in  Spitzbogen  geschlossen,  in  welchem 
fiber  swei  Eleeb]attik)gen  eine  Tierblftttrige  Boseerscheint,  also  eine 
noch  dem  strengen  Style  entsprechende  Bildung.  Ebenso  zagt  aneb 
das  westliche  Portal  des  südlichen  Seitenschiffes  noch  eine  strenge 
Bildung ;  sehr  schmale  Hohlkehlen  tiefen  sich  an  jedem  Gewände 
zwischen  drei  Halbsäulen  ein ;  letztere  haben  den  franzosischen 
Fuss  und  das  französische  Kapital ;  die  Gliederung  des  Gewändes 
wiederholt  sich  ganz  im  Spitzbogen,  in  dessen  Felde  die  Kreuz- 
abnahme gemalt  war.  Unter  dem,  ans  dem  Terkehrten  attisirenden 
Sinkninss  gebildeten  Eranzgesimse  zieht  sieh  ein  Bandbogen- 
firies  hin,  dessen  Schenkel  zngerundet  sind;  dieses  Glied  ist  noch 
ans  dem  romanischen  Style  herfibergenommen,  sonst  gehört  Alles 
dem  Spitzbogen-Style  an.  Die  Streben  sind  massig  vorspringend, 
sie  haben  zwei  Abtheilungen  und  schliessen  oben  mit  Giebelu 
unter  dem  Bogenfriese  ab. 

Obschon  bedeutend  kleiner,  erscheint  durch  ihre  reichere 
Veniemng  bedeutender  als  die  besprochene  eine  Kirche,  welche 
ursprünglich  den  Franziskanern  angehörte,  in  neuerer  Zeit  aber  in 
den  Besitz  der  das  ödenburger  Qymnasinm  Tersehenden  Senedie' 
Uner  flbeigegangen  ist;  sie  besteht  ans  einem  dreischiffigen, nahezu 
quadratem  Langhause,  einem  bedeutenden  Sanctuarium  nnd  einem 
in  der  Mitte  der  nördlichen  Langhaus  wand  aufsteigenden,  verhält- 
nissmässig  sehr  hohem  und  schlankem  Thurme.  Das  Hauptschiff 
wird  von  dem  bezüglichen  Seitenschiffe  durch  zwei  starke  Säulen  ge- 
trennt, hat  daher  bloss  drei  Joche.  Diese  Säulen  ermangeln  des  Fus- 
ses  nnd  haben  statt  eines  umlaufenden  Kapitals  Kopf-  und  Blätter- 


0 

uiyiii^cü  Uy  Google 


DIR  Kiacamutww  vok  topusoo.  S6I 

eonsolen  nnter  jeder  znsammenhiingendeii  Kippeuparthie;  die  dcli 
Ober  den  Stampfern  erhebenden  Rippien  des  später  erneüerten  Kreuz- 
gewölbe» bilden  spitzere  Bogen  als  die  eines  gleichseitigen  Drei- 
eckes sind.  Im  Chore  treten  aus  der  Seitenwand  HalhsUiilen  vor, 
über  deren  Kiimptern  die  Hippen  der  gk-ii  hfalls  einlachen  Kreuzge- 
wölbe aufsteigen ;  die  Kapital- Blätter  dieser  hesonders  am  Chor- 
eingusge  zahlreichen  Saulendinste  haben  den  Charakter  der  iran- 
zöflisehen  Schule.  Ganz  im  Charakter  derselben  Sehule  ist  es,  dass 
die  dreitheiügen  Fenster  den  ganzen  Zwischenraum  zwischen  den 
SSatenbÜttdefai  innen  und  den  Streben  aussen  einnehmen ;  die  Fen« 
sterptbsten  hahen  Füsse,  jodoch  keine  Kapitale,  sie  bilden  oben 
Kleeblätter,  über  welclien  ganz  (Mnlaeh  und  strent^e  wieder  drei 
ganze  Kleeblätter  erscheinen.  Das  Btrebensystem  ist  besonders 
am  Chore  vollkommen  entwikelt. 

Weder  die  Michaeler-  noch  die  Benedictinerkirche  hat  eine 
ünterkirehe ;  Ton  keiner  der  beiden  ist  die  Erbauungszeit  genau 
'bekannt 

Wir  können  nun  an  die  Beschreibung  'der  Kirchenruine  von 

TopUe^a  gehen. 

Nach  den  von  Erben,  mit  Angaben  der  Maasse  gefertigten 
▼oraussetzlich  genauen  Zeichnungen  sind  in  der.  Kuine  erhalten  : 
etwas  mehr  als  die  Grundmauern  des  Chorschlusses  nnd  die  Süd- 
wand des  Langchores,  die  letzten  drei  ^ulenstumpfe  im  Süden  so 
wie  der  erste  im  Norden  des  Langhauses,  femer  iheÜweise  die  Lang- 
wand  des  südlichen  Sdtenschiffes  und  beinahe  die  ganze  westliche 
Fa9ade  an  welcher  bloss  die  Spitze  des  Giebels  fehlt.  Das  Haupt- 
portal ist  oben  ausgebrochen,  erhalten  aber  ist  das  darüber  befind- 
liche im  schwachen  Lanzettbogen  geschlossene  grosse  Fenster,  und 
ein  über  diesem  im  Giebel  befindliches  kleines  über  dem  gleichzei- 
tigen Dreieck  geschlossenes.  Erhalten  sind  auch  die  Sireben  bis 
zur  Höhe,  in  welcher  der  Spitzbein  des  grossen  Fensters  beginnt 

Es  scheint,  dass  die  Fundamente  der  Mauer  des  ndxdlichen  Sei- 
tenschiffes nicht  blossgelegt  wurden. 

Das  Sanctuarium  ist  der  zumeist:  befolgten  Regel  der  Zister- 
zienser Kirchen  gemäss  aussen  geradlinig,  innen  in  noch  älterer 
Weise  im  Halbkreise  geschlossen,  jedoch  so,  dass  der  Halbkreis 
nicht  ganz  genommen  wurde,  aussen  zeigt  sich  die  Kreislinie 


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562 


um  KIKt'HKNKUINK  VON  TOPUäZKO. 


I.** 


11f  / 


f  f  f  f 


Fl«.  1. 


in  einer  kurzen  Strecke 
rechts  und  links  Tom 
geraden  Schloss.  Der 
Langchor  wurde  nr- 
sprQnglicb  kOraer  an- 
getnigtMi,  so  daRH  das 
Laiigliiiu.s  iieiiii  Tnivees 
erhalte»  bätt«^' ;  doch 
schein t.  es  als  ob  mau 
den  Langchor,  einer 
grössmn  Ansah!  der 
OrdensgeisUichen  ent- 
sprechend, bereits  wäh- 
rend  des  Baues  yerlän- 
gert  und  das  Langhans 
bloss  acht  Trave^^s  er- 
halten hatte.  Das  achte 
Travee  wird  von  einer 
Halbaäule,  '  ge^chlos' 
sen,  welche  mit  einem 
aus  der  Westfront^ 
mauer  vorspringenden 
sehr  starken  Wand- 
Schaft  verbunden  er- 
scheint. Es  folgt  eine 
Schlussmauer  ,  welche 
stärker  ist  als  jene  der 
Seitenschitfe  und  in 
welcher  sich  das  ein- 
zige Hauptportal  dflbei, 
an  dessen  Seiten  toU« 
kommen  entwickelte 
Streben  stehen.  Die 
WesttVoutmauer  verlän- 
gert sich  als  kurze  dicke 


*  Ist  diese  Hatbsftule  in  der  That  vorhanden,  oder  hat  sie  Eiber 
bloM  vorausgeietst? 


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I 


I 


564  DIB  KIRCH LNRüIjre  VON  T0PC8ZK0. 

Strebe  nach  Norden.  Ob  an  der  Schlussmauer  des  nördlichen  Sei- 
tenschiffes noch  weitere  Streben  standen  ist,  wegen  mangelhafter 
Nachgrabung,  nicht  bestimmt ;  am  südlichen  Seiteuschiffe  ist  der 
Abgang  der  Streben  durch  die  hier  sich  an  dasselbe  anschlissende 


rig.  i 


Gebäudenmauern  ersetzt.  Gegen  Thürnie  eiferte  der  h.  Bernhnrt, 
sofort  finden  wir  auch  an  unserer  Kirche  keinen  mit  derselben 
organisch  verbundenen  und  zweifeln  auch,  wegen  der  hier  vor- 
kommenden schwachen  Mauern  dass  ein  an  die  Südwestecke  des 


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DOr  xnoBmünii  yoK  TOPüsno.  665 

Gofctf^sliaust-s  aiistosondcs  GebSmlc,  wio  es  Erber  bezeirhiiet,  als 
Tluinn  /.II  1  »et rächten  sei.  Wahrscheinlich  wurde  ilie  Ausgrahunj; 
nu  der  Nord.soite  nicht  uuteruommeu,  weil  man  hier  die  Aupüan- 
sung  schonen  wollte. 


fiiif^iiiif  1  r     '  — ' 

In  Fig.  2  ist  der  noeli  anfrecbt  stehende  Theil  der  Westfa^ade 

und  deren  Gnmdriss  in  grösserem  Maasstabe  gegeben. 

In  Fig.  3.  der  Doppelsockel.  4.  Portalgruiidriss.  Profil 


L^iyiii^uü  Uy  Google 


1)IE  KimJIENIM  I.VE  Vi»K  T<»ri.s/Kü. 


tle*i  grosat  ii  I  Vi ister».  6.  btrebengeAimtte.  7.  ficksäule.  8.  Kapitale 
der  Feustersäulchen. 

Das  Gewände  des  Fensters  besieht  aus  drri,  durch  Kehlen 
von  einander  getrennten  Halbsäulchen,  ihre  Blätter  ha1>en  f&nf 

Lap))on,  sie  stellen  in  drei  Reihen  übereinantlor  und  sind  von  eiuem 
Hiiulchen  /um  andern.  \vi»'  in  Apätlalva,  verbunden.  Der  Käni|'t\r 
hat  nicht  die  Form  des  umgestürzten  attisiren<len  Fusses,  Houderu 
zu  oberst  ein  breit<'s  Randglied,  er  ist  rdud.  In  der  Mitte  des  Siiu- 
lenschaftes  befindet  sich  ein  durchUiufeuder  Hing.  Der  iSauleufaas 
i^t  undeutlich,  da  er  bei  der  im  grösseren  Maasstab  gegebenen 
Zeichnung  nicht  yorkommt. 

Die  Uber  Eck  im  Winkel  des  Seitenschiffes  stehende  SSule 

hat  (MO  m.  im  Durchmesser,  und  einen  doppelten  Untersatz:  dessen 
(ilieder  siml  von  oben  :  Kelile,  Band,  l'linthe  und  höherer  Clünder, 
dann  Kehle  und  über  Eck  gestellte  Basis. 

Die  Gewände  des  Hanptportales  stehen  mit  ihrer  stufenför- 
migen Basis  auf  der  Hypothenuse  eines  gleichschenkligen  Dreieckes. 
Darüber  haben  sie  drei  grössere  (0,2 1  messende)  und  drei  kleinere 

(0,07  messende)  Wandsaulchen,  alle  sind  durch  Ofil  im  Dnrch- 
messer  lialtende  Kehlen  von  einajider  i^etrennt;  ganz  nach  trany/»- 
.sischer  Art,  \\ cK-lie  dtMi  Iluhlkelileii  keine  bedenteiiilere  Breite  ge- 
stattet. Die  Gliederung  des  »Säulenl'usses  erscheint  in  Erbers  Zeich- 
nung ])riinitif  einfach.  Dagegen  ist  jene  des  Untersatzes  desto  rei- 
cher ;  denn  dieser  besteht  (Fig.  3.)  ans  einem  Doppelsoekel  der 
ron  oben  nach  nnten  hat  :  einen  umgekehrten  Kamies,  Kehle« 
Plinte;  dann  kommt  der  Wfirfel  des  oberen  Sockels  nnd  unter 
diesen  der  aus  Kehle  Plinthe  nnd  Würfel  bestehende  untere 
Sockel. 

Oauz  einfach  ist  das  Hauptgesimse  der  Strebe:  ein  gr(>sser 
Wasserschliig  und  Hohlkehle,  Terbuuden  durch  ein  kurzes  schräges 
Glied,  bildet  das  Gesimse. 

Maasverhäliimset 

Das  Vorj'ehen  der  Alten  bei  Bestimm iin*!:  ihrer  Ma«!sverhalt^ 
nisse  habe  ich  in  meinen  „Grabungen  des  Erzbischofs  von  Kalocsa, 
Pest  und  Leipzig  1873^  und  im  VI.  (Juni)  lieite  (1681)  dieser  Zeit- 


DIU  KlßCJlSKBITIKE  YOK  TOPl  SZKO. 


567 


Schrift  erörtort ;  ich  kniin  mich  demnach  zur  Erklärung  der  hier  yor- 
komnieDdeii  Buchsiaben  auf  das  dort  Gesagte  berafeu. 

Die  Einheit,  bezeichnet  mit  \i\  ist  imLanghanse  in  der  Breite 
des  Mittelschiffes  und  in  der  Chorlänge  zu  9*60  angegeben  d.  h.  dort 
ganze  Breite  der  Kirche  im  Lichten  20*00  M.  wovon  die  Breite  des 
jedsoitigen  itonscliiffes  von  5*20  abzu/ieluMi  kommen.  Vor  dt-r 
Kiri'lio  fiml<^u  wir  zwischen  den  zwei  Portalstreben  8'40  und  zur 
Axe  einer  jeden  Portalstrebe  entsprechend  der  Axe  des  Mittelschif- 
rf s  haben  wir  0*70,  daher  ist  hier  die  Einheit  am  jederseits  0' 10 
hinanggerflcki 

Nehmen  wir  den  Meter  zu  40*639  altrom.  Zollen,  so  geben 
32  Vs  altrSmische  Fuss  ziemlich  genau  9*60  Meter,  was  zum  Beweise 

dientf  dass  die  mittelalterlichen  Baumeister  sich  des  altrümischen 
Fosses  bedienten. 


Längmmmsae  der  Kirche.  Tafel  I. 


Angaben 


S  JStilrke  des  Triumphbogens     38  .iO— 36*60  r=  1*70 
f Langhanslicht«'                       38-30— 1*70  "  3(»'60 
Stärke  der  westlichen  Froutmauer  1  *80 

Strebenvorspmng   2*00 


Gesammte  Kirchenlange   .  57*80 


Gesammtlänge  der  Kirche    .    57*83  Meter. 


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56S 


DIB  KIBCHKNBDlin  TOB  mi78KK0. 


9*60  d.  h.  die  Einheit  =  Ii'  sechsmal  gibt  57-60,  es  ist  dem- 
nach zwischru  ili'U  Maussiuij^jilH'ii  und  tlen  prinzipiellen  Massen  bloss 
eiQ  L'iiterRcliicil  von  ()'20,  und  auch  dieser  wird  weit  geringer,  wenn 
man  hei  der  übermUs.sig  starken  Apsismauer  statt  2  2)  =  3*53  die 
voUkoinnien  genügende  Stärke  von     =  3*24  annimmt. 

Die  Breite  eines  Seitenschiffes  wird  angegeben  4'00  l"2X>= 
5*20,  welchem  zonächat  entspricht  die  Stelle  der  Serie  2  B  =  5-21^ 

Die  Lange  des  Sdtenschiffes  ist  41*50  entsprechend  4|  Em» 
heit=:  41*60. 

Höhe 

Angahen  der  Höhe  der  Fronte  U*  =  9*60 
7-85  —  0-85  +  0*20  =  7*20 

401 
3-71 
2-30 
1'70 
1*20 
2*10 

Ergänzung  znr  Giebelhöhe  0*95     =  13*57 

Zusammen   23-17  ir  +     =  23-17  Meter. 

Der  Durchmesser  einer  Säule  des  Mittelschiffes  betrSgtmf 
der  Zeichnung  im  kleinen  Maasstabe  zwischen  0*65  und  0*70,  kmn 
demnach  nach  Analogie  andrer  ähnlicher  Bauten  angenommen 

werden  zu  g  —  0-07 ;  eine  Traveelänge  misst  ^  I)*  =  4.52.  dem- 
nach ist  der  Säulendurchmesser  entlialteu  in  einer  Traveelänge 
6,  «7  demnach  nahezu  siebenmal. 

Wir  haben  zweierlei  Mauerdicken,  die  Uberstarke  der  Apsis 
ungerechnet^  nemlich  jan  der  Westfa9ade  der  Angabe  nach  I  SO 
prinzipiel  4  i  =  1*80,  und  am  Langhause  gemessen  1*40  priniipiel 
V«  k'  =  1*40. 

Die  Strebenlänge  ist«  die  Mauerdieke  mitgemhiiel  =3*80 

piiu/.ipiel  4  (ß.  —  3'84. 

Die  gerade  Höhe  des  grossen  Fronttensters  ist  angogel>eii  zu 
4*01,  diesem  entspricht  =  3'97.  Die  gemde  Höhe  des  kleineren 
oberen  Fensters  ist  angegeben  zu  1-70,  dem  entspricht  Vt  k'  =  l'H. 


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ttE  KdtciimDiiik  Y<«  Tonraiko. 


869 


YMgleicheii  wir  nun  unsere  angezogenen  Ti«r  der  tenxftsi- 
sehen  Scbnle  angehürigeu  Kirchen  nntereinander,  werden  wir 
finden: 

Länge  der  Beiiediktiuerkin  he  in  Oedenburg»  mit 

Hiiiziire<'lmung  der  Mauerdicke  des  Chores        4  W 
A  pätfalva,  Chormsuerdicke  uud  StrebeuTorsprung  4  Vt  U' 

Topnszko  6  — 

Die  nreprOngliche  Lange  der  Miehaelakirche  in 
Oedenberg  iat  unbekannt  ?  — 


Die  Hölien  sind  in  den  Zahlen  der  theoretischen  Serie  ge- 
rechnet in :  . 

ApiUfalYa,  Giebel  4  r  =  0*425  rem  Sockel  zum 

Dache  D**  =  1732  zuaammeu   2157 

Toplicsa  D'  =  1-414  +  II'  =  1*000     ....  2*414 

Michnelkirehe,  Giebel  4  d  —  0  601  +  2  W  —  2  0ö0  2'60l 

Heuedictiuerkirche      U'  =  1500  +  2  Ir  =  2  000  3*500 


YerhiUlniaa  der  Stataendurchmesaer  zur  Länge  der  Trav^a : 
In  Apatfalva  derPfeilerdurchmeeserKurTraT^länge  1:4 
In  der  Beuedictiuerkirche  Säulendiirchuieaser  zur 

Traveelänge  1:6 

In  TopuHzko  nahezu  1  :  7 

In  der  Michaelskirche  nahezu  1  :  8 

Hiemaeh  wäre  die  Michaelskirehe  in  Oedenbnrg  der  kQhnate 
Bau,  der  schwerfälligate  jener  zu  Aptftfalva,  während  daa  Gottea- 
haus  Ton  Topuazko  zwischen  beiden  die  Mitte  einnähme. 


Als  Schluss  der  Untersuchung  und  Beschreibung  stellt  sich,  mit 
Beieidimg  der  aaktreidien,  Um  tkeilweiae  angeßkrtm  Urkunden 
heraus^  dan  der  in  F^anhrekh  erfundene  SfMtogene^  wemgeUme 
em  Jahreehent  früher  in  Ungarn  eingefUhti  umrde  tde  in  Deuteeh' 

lanä,  wo  das  älteste  Denkmal  dieses  Styles^  die  lAehfrauefHoircke  Jsu 
2  Z  ier,  in  das  Juhf^  1227  yesetet  wird. 

Dr.  E.  Henszl.mann, 
Referent  der  Laudes-Deukiuäler-Couuuissiou. 

VsgMfiMte  m&fvm,  im,  m  bm.  37 


570 


mC  KIHI  HXl^Kt'lKH  VON  TOI'U.'^ZKO. 


NACHSATZ. 

Das  eben  ausgegebene  Heft  des  «Archneologiai  iSrtesitd^ 
bringt  einige  Hemerkungen  von  Jtilius  Rainiss  zu  meinem  im  letz- 
t»Mi  vorjiilirigen  Helte  iles  ^Eiiesitu"  crscliienfnen  Aufsätze  über 

Kirelienniiiie  von  Topuszko-,  welche  ihre  iieitung  auch  auf 
vorliegende  Abhauillung  haben. 

Rainiss  setzt  den  Anfang  des  Kirchenbanes  bereits  i.  d.  Jahr 
1211,  die  Ankunft  der  fifSnche  von  Glainrauz  nnd  die  Erbaoang 
des  Klosters  aber  noch  weit  früher  i.  d.  Jahr  1208.  Im  WesentU- 
'eben  stimmen  daher  unsere  Ansichten  flherein,  was  bei  der  Fülle 

der  bierlier  bezüglichen  l  rkiindni  auch  iH»t  bw  endig  ist. 

Dagegen  bemerkt  Jiaiuiss.  in  Hinsieht  auf  eine  meiner  Ne- 
benlemcrkungen,  wie  unter  dem  Worte  »Agriensis*  (Erlauer),  — 
falls  Tkalcsies  nicht  unrichtig  gelegen,  —  im  Decrete  Andreas 
II.  bloss  das  Kloster  von  Egres  im  Torontaler  Komitat,  welches 
auch  unter  dem  Namen  «Ärgia'*  vorkommt,  gemeint  sein  könne; 
denn  jenes  von  Apdtfalva  sei  nie  als  agriensis  (als  Erlauer)  bezeich- 
net worden. 

Indem  ich  tUr  diese  Berichtigung  meinen  Dank  ausspreche, 
beharre  ich  andrerseits  dabei,  dass  der  Kirche  zu  Apätfalva  der 
Charakter  der  Uebergangszeit  unverkennbar  aufgeprägt  ist 

Vom  Langhause  der  Kirche  in  Egres,  welche  unmittelbar  aus 
Pontigny  berufene  Zisterzienser  erbauten,  haben  sich  ziemlich  be- 
deutende Reste  im  (rarten  des  dortigen  Försters  erhalten,  au  die- 
sen stösst,  gegen  Osten,  ditt  Fahrstrasse  unmittelbar  an,  iiiiil  fährt 
man  ttht-r  dieselbe,  klingt  es  bohl  untrnu  V\  agen,  was  fr\it,  mit  der 
Nachricht  überriTistimmt,  als  sei  Iiier,  in  einer  Uuterkirche,  An- 
dreas II.  beigesetzt  werden.  Acusserst  wünschenswerth  wäre  es 
daher,  hier  systematische  Nachgrabungen  anzustellen. 

Dr.  E  Henszlmann. 


CMGAHISCHfi  DICHIUNOKN  IM  AMBBIKA.  $71 

ÜNOAKISCHE  DICHTUNGEN  IN  AMERIKA, 

Die  Atterkewkiiiig  und  V^reitimif  migftriseher  Qeisteswerke  ron 
▼otnelttMrett  Range,  sieht  immttr  Itamtere  Ernse  um  sioh.  Bisher  er- 
süfhienen  Übetifetziingen  unserer  Llebling.sdiohter  Tarzageweiee  in  dem 

nn^  auch  geographi^teh  von  allen  Weltsprachen  am  nttohsten  liegenden 
Deutsf'heii,  untl  so  stoben  wir  <i<»nn  mit  Preude.  da^^H  sioli  zum  lieispiel 
nn.^er  gefeierter  Romancier  Maurus  rFökai  bei  unsern  Nachbarn  in  und 
aasser  dem  Reiobe  immer  mehr  eiazabärgern  beginnt,  und  wer 
möchte  die  gnMse  Aniahi  air  der  uagarieehen;  Autoren  auch  nur  dem 
Namen  nach  neiinen,  die^  <die  Älteren  mii«inbegiiiffen — in  demlaeh)«* 
ÜbersdtEung  und  somit  nncli  in  fernen  Landen,  wo  nnr  denikooh  gelesen 
ward,  achon'  einheimiseh  an  'werden'aaftmgen  1  Eb  gSbe  dies  wm  alten 
biederen  J^sika  an  bis  m  den  erst  jüngst  aufgetauchten,  Tiel  rerspre- 
ohen<1en  jüngeren  Novellisten  Ungarns  eine  gewiss  recht  stattliche 
lieihenfolge.   •.  »  . 

Und  ist  es  nicht  dennoch  eigenthümlich,  dass  die'flir  den  Ruhm 
ihrer  Kation  warm  fHUeiiden  Sfihne  deines  jeden  Volkes  es  als  eine  gros- 
sere firrungenschaffc  betrachten,  wenn  niekt  ihre  Prosaiker  und 

seien  es  auch  die  bebten  —  sondern  ihre  grossen  Lyrifcrr,  ihre  gelieb- 
ten Nationalpoeten  den  literarisehen  Triumphzug  clurch  die  gebildete 
Welt  machen  ?  Der  nationale  Ir  ische  Sänger  ist  einmal  und  bleibt  dem 
Heiv.en  seiner  Tiandsleute  enger  angewachsen,  als  alle  anderen  grossen 
Schriftsteller,  die  aus  deren  Mitte  herrorgingen.  Ein  Franzose,  dem 
man '  yon  der  GrSsse  seiner  Dichter  spricht,  wird  in  erster 'Reibe  nicht ' 
an  Sue  oder  Dumas,  auch  nicht  an  'die  Sand  oder  die  Sta6l  denken» 
sondern  sogleich  semen  "Victor  Hugo  bder  Lamartine  oder  B^ranger 
und  Musset  preisen.  Der  Brite  freut  sich  mehr  der  Anerkennung  seines 
Byron,  Hurns  oder  Shakespeare  (denn  aucli  der  Schwan  V(m  Avon" 
war  ja  ein  Poet  in  gebundenen  Worten  uml  „auch  Lyriker  dazu"),  ja 
auch  nur  seines  neuesten  „Poet  Laureate"  als  selbst  Dirkens  oder 
Bolwer^s  und  Scotts.  Schiller  und  Goethe  bleiben  einmal  fftr  immer 
die  grQssten  ReprBsentanten  des  dentschen  Volksgeistes.  Daher  die 
innige  Freude,  welöhe  da^  ganze  ungfarische  Volk  e^fllllt,  wenn  es  si^ht,  < 
dass  sem  Pet6fi  und  Bern  Anmy  wieder  einmal,  einen  Schritt  weiter 
anf  dem  schweren  Wege  der  [\^eltaip>rkennung  gethau  haben,  vol- 

"  •     •  87*  • 


578  DN01B|BCRB  raCBTOVOlir  tK  AmiKA. 

lenda  Petöfi,  diese  VerkÖrpenuig  all*  der  Fehler  und  Vorzüge  seinfli 

Volkes,  iliese  Tncftrnation  magyarisclier  Denirangsart,  magyarucbea  FM* 
heitrsdranges,  mag}  ari^i  hen  Humor  s  und  iimgyarisoher  Liebe. 

Und  gerade  neuerdings  mehren  sich  die  Anzeichen  dafür,  dass 
unser  Nationalpoet  auch  in  die  fernsten  Regionen  zu  den  fernsten  Völ- 
kern mit  seinem  Bnhme»  seinen  ewigen  Schönheiten  and  Wahrheiten 
dringt  Wihrend  Mher  eine  niM  deutsche  Übersetsnng  Pet^fi's  eio 
wahres  Eraigniss  hildete,  hAufen  sich  seit  allemenesier  Zeit  die  üa* 
lienischen,  englischen,  schwedischen  und  framösisohen  Übersetiungea 
seiner  Lieder.  Im  fernen  Eilande  Siziliens  and  auf  Italiens  klassischem 
Boden  bildet  sich  aus  italienischen  ^Petöfi Verehrern"  eine  eigene  Schule. 
Und  was  besonders  hervorzuheben  ist,  schon  tauchen  einzelne  Falle  auf, 
wo  moderne  Lyriker  eines  fremden  Volkes,  rein  vom  gewaltigen  Oe- 
nius  des  magyarischen  Dichters  dazu  verleitet,  sich  die  Mühe  nicht  rer- 
driesäen  lassen,  unsere  Sprache  sieh  anzueignen,  nur  um  aus  dem  fri- 
schen Born  jener  dichterischen  Schönheiten,  selbst,  unmittelbar  schö- 
pfen zu  können. 

Da  liegt  ein  schön  ausgestattetes  Buch  in  Grossoktar  Tor  w, 
an  dessen  Schnitt,  Druck  und  Papier  seine  amerikanische  ProvenieM 

sogleich  zu  bemerken  ist.  Der  etwas  lange  Titel  *  «eigt  uns,  dass  sich 
hier  zwei  unserer  drüben,  über  dem  „grossen  Wasser'*  lebenden  Lands- 
leute zu.-^ammengethau  haben,  um  die  „Edelsteine"  unserer  dithttri- 
sehen  Produktion  auch  in  engliscb-amerikanischeL'  Fassung  glänzen 
an  lassen. 

Im  Ganzen  beschäftigten  sich  bisher  nicht  gar  Tiele  Engländer 
mit  der  Bekanntmachung  ungarischen  Geisteslebens.  Was  spesi^  eag* 
lische  Übertragungen  magyarischer  lyrischer  Dichter  anbelangt,  ao 
zeigt  sich  erst  neuerdings  etwas  mehr  Leben  auf  diesem  Gebiete.  Und 

wieder  ist  auch  hier  die  erfreuliche  Thatsache  m  venseichnen,  das»  die 
englischen  (''ber>etzer  fu.st  au^nahni>loH  (sogar  ^xv  3o\m  Bowt'huj 
eingerechnet,  Jer  unsere  älteren  voriniirzlichen  L3n  iker  noch  im  Jahre 
1Ö30  übertrug)  sich  die  magyarische  Sprache  genügend  angeeignet  ha- 
ben, um  aus  dem  Originale  zu  übersetzen.  In  allemeuester  Zeit  tbat 
sich  diesbesflglich  besonders  der  tfichüge  Bibliothekar  an  der  Bibliothek 

* 

*  (jcms  frum  PHofi  and  other  Hungarian  Poeta  (translated)  with  S 
Memoir  Ol  the  Former  and  a  Review  of  Hungary'a  Poetical  Lateiataf«  hf 
Wm.  N.  Loew.  Nnc  York,  l«8l.  PaUished  hy  Paul  0.  D.  fksAerMiy. 


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w  » 


inrttABISCHE  mCWSXJVQES  W  ÄMEKULA*  573 

des  «British  Masemii'*  zu  London,  Herr  John  BMer  hervor,  den  die 
nngariflche  Akademie  wegen  seiner  mannigfachen  Verdienste  tun  die 
Obersefanng  nngarischer  Poeten  erst  nenlich  zu  ihrem  externen  Mit- 
glied gewählt  hai 

Bei  dem  yor  uns  liegenden  nOems*  haben  wir  es  aber  mit  einer 
ganz,  anderen  Sorte  von  Übertragungen  zu  thun.  Hier  haben  wir  that- 
ijächlieh  den  ersten  Fall  vor  uns,  dass  ein  (jch'nrf^fjcr  UfUfar  sieh  dun  h 
Itingeren  Aufenihalt  in  engli^cb-äpreehenden  Ländern  diese  Sprache  so 
gut  angeeignet  hat,  nm  in  derselben  unsere  Lieblingsdichier  mit  Erfolg 
wiedergeben  zu  können.  Bisher  hatten  gebürtige  Ungarn  sich  höch- 
stens nur  an  deui$die  lyrische  Obertragungen  magyarischer  Dichter 
herangewagt)  nnd  die  schüchternen  Versache,  die  von  einseinen  poetisch 
begabteren  Hitgliedeni  der  ungarischen  Emigration  diesbezüglich  z.  hl  in 
französischer  und  italienischer  Sprache  wihrend  der  fünfziger  Jahre 
gemacht  wurden,  können  auf  bleibenden  Werth  nicht  recht  Anspruch 
machen. 

Der  Name  „Emigrant"  passt  übrigens  auch  auf  unseren  Über- 
setzer. William  Low^  ein  Sohn  des  ob  seines  Patriotismus  und  seines 
stapenden  Wissens  hochgeachteten  gewesenen  Ober-fiabbiners  in  8ze- 
gedin,  Leopold  Löw,  ist  schon  seit  niimnehr  16  Jahren  Bürger  der 
grossen  nordamerikanisohen  Republik.  Er  ist  aber  in  Amerika  nur  der 
Aussenseite  nach  Amerikaner,  richtiger  EIngUtaider  geworden.  Sein 
Herz  hSngt  heute  noch  wieTordem,  mit  allen  Fasern  an  seinem  geliebten 
ungarischen  Vaterland.  Sclion  vor  vielen  Jahren  befasiste  sich  der  junge 
amerikanische  Rechtsgelehrte  —  von  Haus  aus  mit  poetischem  Sinne 
reich  begabt,  mit  Übersetzungen  heimathlichcr  Dichterwerke,  die 
nebst  anderen  verachiedenen  Artikeln  über  ungarische  Literaturver* 
hültnisset  in  angesehenen  amerik^schen  Blättern  erschienen  waren. 
Dieselben  sprachen  ausserordentlich  an»  und  sowohl  seine  englischen 
als  ungarisdien  Freunde  zu  New-York  ermunterten  ihn  zur  Sammlung 
und  Herausgabe  seiner  lyrischei|  Übersetzungen.  Der  Anfang  wurde 
nun  in  wirklich  vielversprechender  Weise  mit  dem  vor  tfns  liegenden 
ersten  Bande  gemacht,  dem,  wie  wir  hören,  bald  ein  zweiter  —  Ge- 
dichte der  verschiedensten  klassischen  Dichter  Ungarns  brinjjend  — 
nachfolgen  soll.  Nebstbei  gesagt  führte  Low  auch  sehr  intere-^santQ 
amerikanische  Correspondenzen  für  Budapester  Blätter  („Ellenor^  etc.), 
in  tadellosem  Ungarisch  Torfasst»  nnd  hält  er  die  geistige  Verbindnng 


L.iyui^Lü  L/y  Google 


574  ToroAiüsciiB  Diconmonr  nr  ambbixa. 

mit  seiner  Heimatih  fortwährend  aufrecht.  Auch  ist  ilerselbe  eines  der 
thUtigsten  Mitglieder  des  New-Yorker  Ungarvereins,  und  zu  festlichen 
Gelegenheiten  , Sprecher**  de-trclben,  und  gar  viele  Ungarn,  die  ihr 
Schiksal  nach  Amerika  führt,  finden  sich  in  seinem  ga«tfreandlioben 
Hanse  zasamraen. 

Im  ▼orliegendea  Bande  sind  im  Ganzen  92  Gedichte  wiedergege- 
ben. Von  diesen  fUlt  natürlich  der  LOwenantheil  Pet6fi  zu,  nflmlich  45 
Dichtungen,  wie  denn  überhaupt  der  Übersetzer  zayOrderst  nur  die- 
sen Dichter  in  seine  Sammlnng  anfinehmen  wollte,  so  dass  alle  Anderai 
eigentlich  nnr  einen  Anhang  bilden.  Von  anderen  heimischen  Poeten 
rinden  wir  die  beiden  Dichterfürsten  Aranij  und  Voröstmrty  durch  je 
acht,  Eötvös  um]  Garay  durch  je  drei  Gedidite  vertreten.  E.s  fi>]gen 
Übertragungen  von  Kölcsey,  Hajza,  Karl  Szasz,  Karl  Ki^faludy,  Czuc/X)r, 
Tonipa,  Koloiuan  Töth,  Erdel}n,  Jokai  und  von  den  jüngsten  :  Kiss;. 
Anton  Varady  und  Ladislaus  ^eTjr.  Ob  diese  Nomendatnr  nicht  bei 
weitem  geschickter  hstte  zusammengestellt  werden  können,  ist  eine  sich 
unwillktthrlich  aufdrängende  Rmge,  auf  die  wir  übrigens  weiter  unten 
noch  zurückkommen  werden. 

Vor  Allem  will  ich  es  mit  Freude  eonstatiren,  dass  unser  junger 
Landsmann  die  Sprache  Byrons  und  Longfellows  mit  einer  Ungezwun- 
genheit und  Leichtigkeit  handhabt,  die  einem  jeden  VoUblutamerikA- 
ner  oder  Engländer  nur  zur  Ehre  gereichen  konnte.  Nel>st<lem  geht 
unserem  Übersetzer  eine  entschiedene  poetische  Begabung,  ein  feiner 
Sinn,  ein  gera<ler  unti  üglii  her  Instinkt  für  das  formell  und  inlioJHich 
Schdne  bei  Schritt  und  Tritt  hillreich  zuf  Hand.  Wie  sollte  da  ein 
günstiges  Besnltat  ausbleiben  kennen»  zumal  wenn  ein  Maup^^OiUdai 
aUer  poäkehen  Übertragungen  nümlioh  die  der  voHHänäigen  Eamir 
nks  der  Origindhprache  des  m$  uherfraijcnden  Dkhters  sdbsi^  tha 
hier  der  magyarischen,  in  so  reichlichem  Masse  wie  bei  Löw  Y0^ 
banden  ist ! 

Vor  allem  Anderen  müssen  wir  der  Treue  lobend  eingedenk  >eui, 
mit  der  J^öw  den  originalen  Text  l>ehandelt,  eine  Treue  «lie  sich  nicht 
nur  auf  WiedergaVte  der  kleinsten  Metaphern,  umsomchr  der  die  einzel- 
nen Gedichte  beherrschenden  Gedanken,  sondern  auch  auf  die  Stellang 
der  Beime^  auf  die  Zeilenzahl  der  Strophen,  kurz  auf  Äusseres  und  In- 
neres der  Gedichte  erstreckt  Und  hier  sei  gleich  des  ümstandes  erwihnt» 
dass  wfthrend  die  deutschen  Übersetser  Petöfi*s  öfters,  zur  £rlaicb- 


\ 


ÜN6AEIöCH£  DICIfTUNüEN  IN  AMKRIiiA.  575 

teiung  ihrer  Arbeit  auü  den  Kreuzreimen  des  Originals  nur  Haibreirae 
machten,  indem  sie  —  gar  oft  ant  Kosten  des  melodiösen  Tones  der 
Gedichte  selbst,  nur  die  zweite  und  vierte  Zeile  reimen  Hessen,  LOw  im 
Gegentheil  sich  seine  Aufgabe  oft  geradezu  erschwert»  indem  er  den  ent- 
gegengesetzten Weg  einschlfigti  und  mehr  Reime  aU  im  Original  gibt. 
Dies  ist  fftr  die  Gewandtheit  des  Überiiettsers  immer  ein  günstiges  Omen, 
und  vollends  bei  Ciujll'^chcn  l'bcrsotzungen  sehr  von  Nöthen.  Der  eng- 
lische Vers  liebt  nHmlich  die  reiiidosen  Zoilon  mit  den  reimenden  ge- 
mischt durchaus  nicht,  und  der  l)eknnntc  Wolilkhing,  jener  süsse,  volle 
Ton  der  engli-<chen  Verse,  die  sogar  manches  minder  gelungene  Gedicht 
eines  VVordsworth,  Shelley,  Longfellow,  Üryaat  oder  Poe  (von  den  gros- 
sen britischen  Dichtem  k  la  Byron  etc.  gar  nicht  zu  sprechen)  mit 
einem  solch*  unwiderstehlichen  Zauber  umgibt»  ist  oft  zum  grossen 
Theile  eben  in  dieser  FormYollendung  englischer  Verse  zu  suchen. 
Diesen  wichtigen  Vortheil  hfttte  sich  auch  kein  deutscher  Obersetzer 
entschlüpfen  lassen  sollen,  da  ja  das  eben  Gesagte  auch  auf  den  deut- 
schen Vers  passl.  Und  so  überrasi  lil  es  uns  denn  cigentliüinli' h.  wenn 
wir  bemerken,  ila.ss  manches  l*etoli">che  Uedicht  in  englisrhcr  <  iewan- 
ilong,  wenn  auch  nicht  kräftiger,  doch  —  man  möge  uns  hierbei  niciit 
missverstehen  —  melodiöseri  hai*moni>cher  als  selbst  im  Originale 
klingL  Man  lese  ~  um  von  den  vielen  Beispielen  nur  eines  zu  erwäh- 
nen —  natürlich  wenden  wir  uns  hierbei  nur  an  di^'enigen  Le^er  un- 
serer Zeilen,  die  der  Sprache  Petdfi*s  kundig  sind  das  schöne,  her- 
zige Gedicht  ^  My  wife  and  my  sword**  (Felesegem  es  kardom).  Wie 
anmutbig  klingt     auch  engli::»ch  wenn  der  Dichter  beginnt  : 

Upon  thc  roof  a  dovc, 
A  star  within  the  «ky, 

Upon  my  kneet«  my  love, 

For  whom  1  live  and  die ; 
In  raptares  1  embrace 

And  Swing  her  on  niy  kneea, 

Just  as  the  dewdrop  sways 
Upou  the  leal  of  trees. 

Man  wird  gestehen  miissen,  datjs  die  Bereicherung  der  Strophe  mii 
neuen  reimenden  Zeilen  und  die  Vervollkommnung  des  Verses  selbst 
dadurch,  dass  der  l'berdetzer  hier  volltönende  Jamben  benützte,  dem 
Gedicht  nur  zum  Vortheil  gereicht. 


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579  üwiiBiscinB  mawm9ES  nr  axibsa. 

Löw  ist  aber  weit  dATon,  der  scbltBeti  Form  auch  nur  einen 

Hauptgedanken  leichtsinnig  oder  nothgedrnngen  hinznopfern.  üisd 
thnt  er  e^,  so  ist  er  selbst  gemtg  Poet  da£tt,  das  Fallengelassene  durch 
eine  andere  edle  Idee,  durch  ein  anderes  sthönec»  des  Originals  meisten« 
würdiges  Bild,  durch  eine  andere  geschickte  Kedewendung  alirbakl  zn 
ereetien,  lauter  Dinge,  die  er  in  seinem  eigenen  poetischen  Hansrath 
in  reichem  Ifasee  zn  besatsen  scheint  Man  sieht  wfthrend  des  Dnreb- 
leseas  seiner  Übersetsnagen  —  wir  konnten  hier  fOglioh  auch  wihread 
des  mDttre^ffemes^ms*  sagen  —  wieder  jene  Gmndmaiime  bewahrhei- 
tet, da^s  'der  Übersetzer  eines  Dichters  jsur  selben  Zeit  ein  forwge- 
wamltcr  uml  an  eujcncn  Ideen  reicher  Poet  sein  muss.  Trifft  dies  bei 
einem  Übersetzer  nicht  zu,  so  ents^tehen  eben  jene  sinnestörenden,  un- 
schönen, aller  Poesie  baren,  oft  barocken  und  geschmacklosen  «£in- 
seMebsd^,  die  unter  anderen  die  Übertragungen  unseres  unermfldli- 
eben  Kertbeiiy  oft  so  hdkem,  holperig  und  ungeniessbar  maehten,  toi 
Opitz,  der  Pet6fi  gar  mSohtig  au  maltrfttiren  verstand,  gar  nidit  sn 
sprechen.  I>och  auch  bessere  Übersetser,  wie  Adolf  Dux,  Neugebaner, 
der  biedere  alte  Steinaeker  etc.  konnten  diesen  unangenehmen  Fehler 
nicht  ganz  los  werden,  was  wir  mit  zahlreichen  Beibpielen  dartbua 
könnten. 

Bekanntlich  hören  sich  Daktylen  in  englischer  Sprache  nicht  sehr 
gesfchickt  an,  nooh  weniger  geschickt  als  in  dentsoher,  womit  andi 
etwas  gesagt  werden  wilL  LOw  spürte  diese  Klippe,  bevor  er  sieh  ihr 
noch  niherte  und  so  finden  wir  denn  das  herrliche  Gedicht  Pet6fi'i 
„Szeptember  v^gen"  —  eines  der  schönsten  des  Dichters  —  dssm 
Übersetzung  auch  dem  neuesten  deutschen  t^bersetzer  desselben,  Herrn 
Ladislaus  Neugebauer,  mit  am  besten  gelungen  ist,  englisch  nicht  in 
würdevoll  dahinschwebenden  Daktylen  wie  im  Originale,  sondern  in  leicht 
dahinftthrenden  Jamben  wieder.  Man  möge  uns  ausnahmsweise  gestat- 
ten, damit  der  Leser  dieser  Zeilen  wenigstens  seihst  einen  Veigleich 
der  Übersetiungskunst  der  Genannten  anstellen  könne,  das  wunder 
Tolle  Gedicht  in  beiden  Sprachen  hier  ganz  wiedergeben  in  dilrfen. 

Bei  Neugebauer  deutsch  : 

Ende  September. 

Noch  «pricsäen  diu  duftigttten  Blumen  im  Thalc, 
Noch  grQat  yof  ^em  Fenster  die  Espe  so  ech^q. 


U2iGAftISCHE  DICBIUKaJäN  lü  AMEBOüL 


Doch  siehst  du  dort  drüljen  das  Walten  des  Wintent? 
Verhüllet  vom  Schnpi^  sind  dio  hrrpigen  Höhn. 
Gluthstrahlender  vSoinmer  ertüllt  noch  nit'in  Jlerze, 
Der  wonnijjsto  Friihlinp  noch  blüht  mir  darin. 
Doch  sich  da  mein  Haar  schon,  da«  dunkle  sich  bleichen 
Den  Heil  bchon  des  Wint«r»  mein  Haupt  überziehn. 

Es  welket  die  Blume,  entachwindet  das  lieben  <  .  . 
Komm  iheuere  Gattin  nur  her  in  den  Arm, 

Die  .j«'tzt  an  dio  Hrii«t  mir  du  legtest  dein  Xöpfdicn 
Sinkst  mniu'^'n  du  hin  aut'  mein  (Jrab  nicht  roll  Ilarm? 
0  «ap',  wenn  ich  sterbe,  wirst  weinend  du  breiten 
Da«  (irabtiich.  worin  man  zur  Krde  mich  senkt? 
Und  könnte  Dich  jemals  ein  JüngUn«,'  bewegen 
'  Vom  Namen  ku  lassen,  den  ich  dir  geschenkt  'i 

Doch  wirfst  du  von  Dir  einst  den  Schleier  der  Wittwe 

Dann  pflanz'  auf  mein  Grab'  ihn  als  Trauer  panier^ 

Ich  komme  herauf  aus  dem  "Reiche  der  Schatten 

Um  Mitternacht  —  nehme  hinab  ihn  zu  mir  : 

Zu  trocknen  die  Thriinen  um  I>ich,  \h\  Geliebte, 

Die  leichiUch  vergessen  Du  hast  deinen  Mann, 

Die  Wunden  des  Herzens  damit  zu  verbinden. 

Das  ewig  dich  liebet,  selbst  dort  noch,  selbst  dann !  — 

Bei  William  Low  englisch  : 

At  the  End  of  September. 

The  garden  flowen  still  biossom  in  the  vale, 
Before  oor  honse  ihc  poplan  still  are  greeii; 
Bat  soon  the  mighty  winter  will  pravail, 
Snow  is  already  in  the  monntains  seen 
The  Sommer  Bun*s  benign  aad  warming  ray 
Still  moves  my  youthful  heart,  now  in  its  spring; 
But  lo  !  my  hair  ehows  signs  of  turning  gray, 
The  wintry  days  thereto  their  coloor  bring. 

The  life  is  short^  too  early  fades  the  rose; 

To  tit  here  on  my  knee,  my  darling,  come ! 

Wilt  thon,  who  now  dost  on  my  breast  repoee, 

Kot  kneel,  perhi^Mi,  to  morrow  o*er  my  tomb  ? 

0  teil  me,  if  before  theo  I  shoold  die, 

Wilt  theo  with  broken  heart  weep  o*er  my  bier? 

Or  will  sorae  youth  efface  my  memory 

And  with  his  love  dry  np  tby  moumfal  tear? 


S7S  iniGiBiscHE  DfoaruiMgff  or  ahsuka. 

If  thou  do8t  lay  »aide  tlie  widows  vai) : 
Pray,  hang  it  o*er  my  tQmb.  Ai  midnight  1 
Shall  rise,  aad  ooming  forth  from  death*»  dark  vale 
Take  it  with  me  to  where  foigoi  I  lie. 
And  wipe  with  it  my  ceaseless  flowing  teara» 
Flowing  for  theo,  who  hast  forgotien  me; 
And  bind  my  bloedinj?  licart,  wliich  evor  beara 
Even  then  aod  there  the  truest  love  for  thee. 

Eine  der  Hauptschönheiten  des  Pet6fi*8cheii,  hier  zn  Oriinde  lie- 
genden Gedicktes  besteht  —  aasser  der  stillen,  ahnnngsFoUen  Weih 
muth,  und  dem  orgroifenden  Endansklang  desselben  —  anch  in  dem 

Reiz  des  i  liytlinii.s»  hon  Wechsels  der  Krctcrci ine  des  Oripnnls.  die  al«er 
der  deutsrlio  l  lierset/.er,  wie  man  au  ■  Obi^'eni  erse)icn  kann,  nin  sich  sein 
Werk  zu  erleichtern,  «j^anz  einlach  weglie.ss  und  lieher  diese  Ausi^erlicli- 
keil  als  den  Daktylus  opferte.  Damit  hat  er  aber  das  (tedii  hi  seines 
schönsten  ättsseren  Schmuckes  beraubt.  Gewissen  Gedichten  geht  es  wie 
gewisseOi  an  sich  allein  wohl  auch  schon  schönen  ¥Vauen,  die  aber  des 
Glanzes  ihrer  ftnsseren  Geschmeide  beraubt,  eines  ihrer  Hanptanae* 
hnngsmittel  verloren  haben. « . .  Knn  wird  man  auch  manche  willkfibr- 
liehe  Wortverrenkungen  im  deutschen  Gedichte  bemerkt  haben,  die  d*(> 
Englische  in  seiner  edlen,  ungezwungenen  Haltung  nicht  verrStb.  Ich 
erinnere  nur  an  das  gar  zu  oi'i  slörond  wirkende  ., Ou"  und  ..Dir",  da» 
mei.stens  nicht  nothwendig.  als  Ijückenausliiller  dient,  an  Ausdrücke 
wie  „mein  Herze",  »voll  Harm",  „leichtlich''  et*  .  Auch  darf  man  sieb 
Zusammensetzungen  wie  n'l'i'AUO*T^oi^"  und  dergleichen  nicht  erlau- 
ben, es  sei  denn  auf  Kosten  der  Poesie,  und  wenn  —  was  ieh  ja  gerne 
zugebe  —  der  denteche  Übenetzer  in  einigen  Zoflen  an  schönen  Ept* 
theta  reicher  ist,  so  wird  dies  durch  die  oft  geschrobene,  künstliche 
Haltung  de:»  ganzen  Gedichtes,  in  dem  man  zu  oft  daran  erinnert  wird, 
dass  es  kchi  Originalgedicht  ist,  wieder  aufgewogen.  Wir  wollen  damit 
bei  weitem  niclit  alle  Schönheiten  desselben  leugnen,  und  geben 
gerne  zu,  dass  „Ende  September",  so  wie  es  uns  Herr  Neugelmuer  ver- 
deutschte, von  allen  detUschen  Übersetzungen  des  Gedichtes  die  gelun- 
genste ist. 

Dem  gegenftber  werden  aber  Kenner  der  englischen  Sprache 
willig  anerkennen  müssen,  dass  »At  the  End  of  September*'  fast  in 
aämmdiehm  Theflen  ein  gelungenes  Ganze  bildet,  das  steh  filberall 

frei  und  ungekünstült  lie^t,  wo  auch  die  üu>serliche  Zierde  des  Poems 


t 

UKeABiscHE  DfoannMunr »  akmwa.  (79 

getreu  »'inj^'oijalten,  und  die  Hauptgedanken  des  Diohler.s  trettend  und 
richtig  wiedergegeben  sind.  Pas  (lan/e  macht  den  Kindruck  des  natür- 
lich uml  uk  Jd  müiisam  EihUtandcncn,  und  das  i.^t  ja  bei  jeiler  metri- 
schen Übersetzung  —  wir  wlcdt  rJiolen  es  —  die  Hauptsache.  Auch 
that  L9w  aelir  recht,  von  zwei  übelui  nftmlich  :  entweder  die  Daktylen 
oder  die  Krensreiine  des  Original»  opfern  zu  müssen,  das  bedeutend 
kleinere»  nftmlich  die  Verwendung  des  daktylischen  Verses  zu  wählen, 
umso  mehr,  da  derselbe  sich  im  Englischen  nicht  angenehm  liest  Die 
zarten  Empfindungen  des  schönen  Oediehtes  sind  auch  in  Folge  dessen 
mit  neuer  Unmittelbarkeit  und  lici  aller  (ietlankcntrcue  in  so  gutem 
Kngli;>tli  wiedergegeben,  dass  wir  nirlil  anstellen,  «b<r  Löw'sclicn  ri>cr- 
sutzung  von  ^Szeptemher  vegen'^  vor  allen  anderen  bisher  er.-3chienenen 
den  Vorzug  einznrftnraen.  Und  das  ist  —  mit  geringen  Ausnahmen  — 
fai»t  bezüglich  aller  anderer  dieser  ^^Geras''  der  Fall.  Es  würde  viel  zu 
weit  führen  die  einzelnen  hervorragenderen  der  Sammlung  dej  Nahe- 
ren beleuchten  zu  wollen.  Eben  um  diesem  vorzubeugen,  und  um  die 
Vorzüge  des  englisch-amerikanischen  Übersetzers  in*s  gehörige  Lieht  zu 
Stollen,  haben  wir  in  Obigen  ein  ganzes  Gedicht  herausgegriffen  —  und 
mit  eines  der  sdiönslen  -  -  und  es  mit  einer  an<l<*ren,  ebenfalls  gelun- 
genen t'berset/.nng  gicichüam  zur  iierauslorderung  des  Urtheils  der 
Leser  »eibst  controntirt. 

Im  Ganzen  genommen  Iftsst  sich  aber  dennoch  sagen,  dass  es  un- 
serem, in  der  Hudsonstadt  lebenden  Landsmann  besser  gelungen  ist,  die 
LieHeslieder  Pet6fi*s  wiederzugeben,  als  diejenigen  kriegerischen  oder 

politisrhen  Inhaltes,  als  die  eigentlichen  Tendenzgediclito  das  TyrtUus 
unseres  Freiheitskrieges.  Wie  glänzend  es  ilim  aber  gelingt,  oft  der 
kühnsten  Phantasie  des  Dichters  in  englischer  Sprache  zu  ^•llren,  davon 
kennen  wir  nns  nicht  enthalten,  den  besten  1  beweis  dadurch  zu  liefern, 
dass  wir  das  berühmte  Gedicht  »Egy  gondolat  baut  engemet''  (Nur  ein 
Oedanke  quttit  mich)  in  der  Löw*schen  Übertragung,  die  die  volle 
Kraft,  den  grossartigen  Schwung  des  Originals  mit  seltener  Treue  uns 
so  zu  sagen  ohne  den  geringsten  Zwang  wiedergibt,  hier  „in  extenso^ 
abdrucken : 

thought  torments  me. 

The  thou^rht  t^jnii'Mits  ni<'  .M>ro,  h^st  I 
lipon  a  piUowed  couch  »liould  die  — 


L^iyiii^cü  Uy  Google 


580  U2fOARIäCHE  DICHXUNOIM  IM  AtfKRIKA. 

Shonld  slowly  fade  like  the  fair  flower. 
Whose  heart  the  gnawing  wornis  devour ; 
Or  like  the  light  in  sonie  void  room, 
Should  fainily  flickci  into  gloom. 
Lei  no  such  ending  come  to  me, 
Oh  God !  bni  rather  let  ine  he 
A  trce  ihroQgh  which  the  lightnisg  ehoott, 
Qr  which  the  etcennoas  stonn  nproota. 
Or  Uke  the  rock  firom  hiU  ont^tom, 
And  thnnderüg  to  the  Tslley  bome ! 
WheB  eveiy  nation  wearing  chains 
Shall  rise  and  seck  the  battle-plains, 
With  flushing  face  shall  wave  in  fight 
Their  banners  blaxoned  in  the  light: 
„For  lilwrty  !** 
Their  cry  ghall  hc  — 
Their  cry  from  east  to  webt, 
Till  tyrantä  be  depressed. 
Therc  shall  I  gladly  yield 
My  lifc  upon  the  field. 
There  shall  mj  hearts  Ust  blood  flow  oot» 
.  And  if  my  lateet  eiy  shall  ihont. 
May  it  be  drowned  in  claeh  of  tteel 
In  trampet*!  and  in  cannon*s  peal; 
And  o*er  my  oorse 
Let  tread  tiie  horee» 
Which  gallope  home  from  victory  s  gain 
And  leaves  me  troddcn  mid  the  slain. 
My  icattored  bones  shall  be  interred 
When  all  the  dead  are  sepulchrcd  — 
When,  amid  slow  fiincical  stnüns, 
Banners  .«hall  wave  o'ei  the  remains 
Of  heroes  who  hnve  tlied  for  theo 
U  world-deüverijjg  Liberty  !  — 

Wir  liiitteu  hauptsächlich  bei  diesem  Gedichte  nur  gegen  den 
Titel  etwaa  einzuwenden,  der  doch  mit  „one  thought  torments  me" 
bedeutend  kräftiger  und  treuer  aU  mit  ptite  thought  etc''  ausge- 
drückt wäre. 

Schöne  Betepiele  wahrhaft  gelongener  OberBetsnagen  sind  noch 
—  um  nur  einige  wenige  aaznfUuren  —  »At  the  hamleis  ontddrti' 
(Fala  veg^n  hurta  kocama),  „Far<)well*  (Toward  the  endoftiieyair 

1847)  (Bücsü),  „If  born  a  mau,  then  be  a  man''  (Ha  ferfi  vagy,  legj 


tJiroAiiiBcn  üicHTüNonf  m  AHRftm. 


591 


ftrfi),  „Ragged  beroes'^  (Rongyos  vit^zek),  „On  a  railroad'*  (Vosüton), 
r^as  grosse  und  wundervolle  (ledifht  „The  ruins  of  the  inn"  (A  csärda 
ronyai),  „The  last  cbarity"  (Az  utolso  alamizsna),  besonders  aber  da8 
hente  schon  all  erweltbekannte  eigentbümlirhste  Poem  Petöfi's  uDor 
Wabnainiiige**  dem  wir  hier  miter  dem  Titel  „TAe  Mamae*  begegnen, 
ein  Werk,  in  dem  sich  der  biarre^  anstete  vnd  dennoch  mXchtige  Omst 
des  uns  bo  iVfth  entrissenen  Singen  in  gewaltiger  Weise  nnd  pecken- 
der  Form  ausspricht,  und  ilher  das  sieh  schon  allmfthlig  eine  ganee 
kleine  Literatur  im  Auslände  zu  bilden  beginnt.  Der  Klausenbnrger 
üniversitat«?professor  Hugo  von  Meltzl  übersetzte  ilen  „Wahnsinnigen" 
7nni  letzten  Nfale  in  deutscher  Sprache,  und  gab  das  Gedicht  nebst 
Commentar  dazu  in  einem  eigenen  Hefte  heraus.  Giuseppe  Cassone,  der 
geniale  nnd  nach  so  Tielen  Bichtangen  geistesverwandte  italienische  Dol- 
metsch Pet5fi*8,  hielt  den  n^aaaso^  auch  Ar  Wel  zu  eigensitig  nnd  interss* 
ssnt  um  denselben  in  den  Topf  der  anderen  Gedichte  Petdfi*8  gleichsam 
mit  hinein  zu  werfen,  nnd  gab  demselben  nnter  eigener  nnd  selhststlndiger 
Flagge  in  Tirochuren-Form  das  Geleite  zu  seinen  italienischen  Landsleu- 
ton.  Löw's  „Mauiac"  reiht  sich  diesen  Heaiboitungen  würdig  zur  Seite, 
ja  steht  denselben  in  Bezug  auf  Klarheit  des  Aosdruckes,  knappe  und 
prizise  Form  nnd  richtige  Auffassung  vielleicht  voran. 

Klarheit  des  Ansdmekeel  Gewiss  ein  schitiensweirther  Yorsng 
jedes  Dichters,  sobald  er  nur  nicht  in*s  Extreme  verfUlt^  nimlich  JM  klar 
m  werden,  nnd  das  ist  es  —  nm  anch  mit  den  Fehlem  des  LOw*schen 
Werkes  anzufangen  —  was  wir  hier  und  da  in  den  „Oems'*  zu  rügen 
haben.  William  Lfhv  ist  manchmal  zu  breitspurig,  was  nicht  ohne  Qe- 
Hihrdung  der  poetisehrn  Ausdrucksweise  geschehen  kann.  Man  sieht 
es  seiner  Afuse  förmlich  an,  dass  sie  sich  auf  dem  stark  prosaisch  ange- 
hanchten  Boden  der  praktischen  Yankees  bewegt,  nnd  ich  mOchte  fast 
sagen,  dass  seine  Redewendungen  oft  «ine  in  das  Gehiet  halb  mystittch 
samnthender,  zflchttg  nnd  veriiflllt  einherschreitender  Poesie  nicht  pas- 
sende „spektttatiTe"  Form  annehmen.  Wir  kSnnten  diesen  Ahweg  fÖrm- 
lifih  als  einen  Americanisnms  bezeichnen. 

Stellen,  wie  da  folgende  sind  : 

„Love  's  di  ink  to  quaff  /  oftm  did  makc  hdd*  (Seite  39,  eben 
auch  im  „Maniac**)  oder  ebendaselbst  drei  Zeilen  weiter  unten  : 

„Tet  frem  one  dxop  soch  gall  can  he  distilled 

As  thongh  the  sea  with  jxm'sommm  ärof»  weie  flOed* 


562 


(Bei  Pet6fi  wörtlich,  Toa  der  Liebe  aprecbend  :  «ein  Tropfen  wem 
dir  ist « ttsser  als  ein  Meer  Yon  Honig,  doch  ein  Tropfen  von  dir  iat  bitte- 
rer ^  ein  Meer  yon  GifL**)  Dann  Ansdrück^  wie  „oa  parole*  (die 
b^tehstons  in  ein  bnmoristisches,  aber  nicht  in  ein  seriOaes  Gedicht 

hineinpassen)  ^The  travelleis  .  .  .  enjoyeil  ihy  store*^  efcc,  endiidi  dm- 
gleichen  TrockeuUeiteu  witi  : 

„The  fond  remembrance  of  that  tpot  so  dear 
viH       make  mp  heart  «reü  vrith  ike  tear*^ 

(J^-eit«  17,  1.  8irt>j»lM'),  und  dtnlei  ineliieie  ktiuiion  unmrt^lich  zur  Er- 
höhung der  Schönheiten  eiaeä  Gediciites  beitragen.  Zum  Glück  pa>:>irt 
dies  bei  Löw  nnr  ausnahmsweise,  wirkt  a)ier  immerhin  störend,  umso- 
mehr,  da  man  überzeugt  ist,  daes  der  Mann  das  Zeug  hat,  an 
Stelle  der  ft'aglichen  Ausdrücke  fiberall  entsprechendere,  poeäieTOÜere 
zu  setzen. 

Nicht  minder  störend  und  unangenehm  ist  die 'nicht  zu  kleine 
Zahl  der  sogenannten  ^fiettren  Reime'',  einer  Spezialität  auf  dem  Ge- 
biete des  iieiiuens.  dip  eigentlit  h  nur  im  l]n;_rli-i'hen  /.uhriuse  i-^t.  Wir 
meinen  mit  der  obigen  Henennung  jene  bekannten  Fälle  in  den  engli- 
schen (leiUclden,  wo  die  Heime  eigentlich  nur  dem  Auge  sichtbar,  dem 
Ohr  aber  »icht  hörbar  sind.  Es  ist  und  bleibt  dies  eine  Unart  des  eng- 
lischen Verses,  die  damit,  dass  sie  die  grössten  Dichter  Albions  und 
Amerikna,  ?on  Shakespeare  bis  Byron,  und  von  Longfellow  bis  zur 
Hemana  ebenfalls  anwendeten,  ja  so  zu  sagen  durch  ihr  Beispiel  nacb* 
ahmungswürdig  machten,  von  ihrem  unschönen  Charakter  unserer  An- 
sicht nach  nicht  das  Geringste  eingebüsst  hat.  Van  mag  nnr  die  aka- 
demische Richtigkeit  von  Reimen  wie  :  tear«?  —  hearn,  wo  ein  c  mit 
einem  i  reimen  soll,  oder  come  -  bouio  (ü  mit  o),  dann  :  inind 
wind  (ei  i),  move  —  dove,  love  —  tliercttf.  come  —  U)m\>  ed.  noth 
so  haarklein  beweisen,  das  Ohr,  das  bei  Keimen  allein  den  Ausscblag 
geben  darf,  wird  solcJw  Reime  nie  anerkennen,  und  sie  stören  entschie- 
den den  harmonischen  Klang  der  Stroplien.  Nun  macht  Löw  von  diesem 
allerdings  durch  den  höchsten  Aeropag  englischer  Dichtkunst  sanktio- 
nirten  Unrug  reichlich,  etwas  zu  reichlich  Gebrauch,  ja  versteigt  sich  so- 
gar bin  und  wieder  zu  Reimen  wie  :  this  is  —  kittes  (S.  18)  etc. 

Andererseit  s  muss  innn  es  dem  l  bersetzer  als  Veidien-t  anreib- 
nen,  ilaan  er  eigeaLliche  Americaniduien,  an  denen  die  prosaischen 


uiyiii^cü  Uy  Google 


IW0ABI8C1IB  BtCHTDirOSX  IN^AinCBIKA.  598 

«ragnbse  jener  ancleni  Hemispbttre  der  englischen  Weltsprache  oft 
ziemlich  reich  sind,  in  seinen  Versen  nicht  anfirommen  Itess.  An»- 
.drftcke  wie  :  ^is  begnn"  (statt  begun).  „on  i»arole^-  etc.  kommen 
so  reiten  ror,  dass  sie  gar  uicht  in  lietraclit  genommen  werden  können. 
Hingegen  wen.let  .1er  fl).Mset,/.er  die  —  allerdings  erlaubten  —  Ver- 
kürznngeii  ein/einer  Wörter  wieder  etwas  zu  oft  an.  So  :  i'were,  statt 
it  were.  lie  'II.  we'll  (statt  he  will  etc.),  e'en  (statt  e?en),  's  stutt  is, 
Vre  statt  I  Imve  (dies  schon  etwas  gewagter)  n.  s.  w.  Ein  Übereei«er, 
sogar  begabter  Poet  Ton  der  Fertigkeit  und  Ton  dem  feinen  poetiscben 
SrhOnbeitsgemhl  Löw*s  sollte  dergleichen  Anshilfsmittel  womOgUch 
immer  za  Termeiden  trachten. 

Sind  air  dies  nur  kleine  Mangel  im  Vergleiche  zu  den  grossen 
5H-h;^nlipifen  der  Löw'scben  Über^pt/ungen,  so  iiiu«?s  ich  besondere  eines 
mit  gnxssem  liedauem  bemerkten  ffrössrrcu  Ver.süumniaseH  erwähnen, 
das  das  völlige  Verstellen  dieser  Gedichte  für  den  englischen  Leser  .sehr 
erschweren  dürfte.  Es  iai  der  fast  gftnxliche  Mangel  erklärender  Glos- 
sen zn  den  einseinen  spesiellen  ungarischen  Ansdrficken,  die  sich  in 
den  Originalgedichten  voifinden.  Die  riehen  kleinen  Notisen  am  Ende 
des  Baches  sind  viel  zu  wenig  für  diesen  Zweck.  Selbst  Nengebaner,  der 
doch  für  DeuUehe  schrieb,  also  einer  Nation,  die  uns  Ungarn  bedeu- 
tend nfther  sieht,  und  von  Ungarn  doch  mehr  weiss,  als  Engländer  oder 
gar  Amerikaner  \vissen,  fand  es  fiir  angezeigt  seinen  l  hersetzungen  sie- 
ben Seiten  Erklärung  beizufügen,  wahrend  diese  l»ei  Löw  keine  halbe 
i-'eite  ausmachen.  Wir  fragen  :  wie  soll  der  Leaer  ohne  Erklärung  in 
New- York,  Cincinnati.  Chicago  oder  auch  nur  in  London,  Edinburgh 
wissen,  was  eme  „Csarda"  ist,  eine  „Poezta"  etc.  ist?  Zudem  scheint 
uns  der  Übersetzer  in  die  historischen  und  geographischen  Kanntnisee 
seiner  amerikanischen  AdoptiTlandsleute  bezfiglich  üngeni«  doch  zu 
▼iel  Yertrauen  zu  haben,  wenn  er  Namen  wie  MSzamos**,  Ladislaus  V., 
Mohics,  Koni  u.  s.  w.  ohne  alle  ESrklBrung  in  seinen  .,Gems*  stehen 
Itost.  Auch  wäre  die  zu  Grunde  liegende  Begebenheit  irgend  einer 
hervorragenden  historischen  Üallude  ( /..  H.  der  .,Olara  Zä.  h'',  Ladislaus 
V.  eü'.)  einer  kurzen  erklilrenden  Besprechung  sehr  bcMlürftig  gewesen. 
Haben  ja  die  meisten  amerikanischen  und  euglischen  Leser  solcher  Ua« 
dichte  mit  magyarisch-bistoriHcheni  Hintergründe  von  dem  fireigniss, 
onf  das  sich  das  Gedieht  besieht,  keine  blasse  Ahnung,  ja,  wir  zweifeln 
daran,  ob  sie  es  der  Mehrzahl  nach  begreifen  kennen  werden»  warum 


584  OHGABiBOBs  mcwomms  nr  awuica. 

z.  B.  der  Ungar  an  Mobacs  nur  mit  Welimuth  und  Sehmerz  deokea 
kann.  (Siehe  Eötvös's  „Fureweir  Seite  91).  - 

Deäto  angenehmer  berührt  es  uns,  dass  Löw  wuMa  tiedichUi 
eiiM  sehr  warm»  mit  der  vollen  Begebterong  eines  seiner  Natioa 
und  seinem  Lande  treu  anhftngenden  Sohnes  geschriebene  Itterari- 
sche Einleitung  voraus  schickt,  die  den  englischen  Leser  dea  BneheB 
wenigstens  in  die  Hauptfasen  der  Literaturgeschichte  unseres  Volkes 
einzufühlen  geeignet  ist.  Die  kurzen  Kritiken  der  einzelnen  Diibter 
sind  meistens  gut  und  zutreffend,  wenn  auch  hier  und  da  zu  über 
schwftnglich,  z.  B.  über  Ressenyei,  dessen  Verdienste  und  Talente  g»r 
zu  hoch  hinan^eschmuht  werden.  Besonders  gelangen  sind  die  Stell«, 
die  vom  grossen  FreiheitssSnger  Petdfi  selbst  sprechen,  nnd  diejenigM, 
die  sich  mit  dem  ewig  denkwürdigen  nreiheitskampfe  der  Nation  is 
den  Jahren  1848 — 49  befassen.  Sfan  sieht  es  hier  dem  Yerfiuser  aa, 
dass  er  sirh  dessen  wohl  bewusst  ist,  zu  einer  Nation  wie  der  anierikar 
nisehen  zu  Hi»reelien ,  die,  selbst  in  allen  Schichten  von  dem  Geiste 
der  Freiheit  durchweht,  allen  Dichtern,  die  dieses  hehre  Ideal  der  gros- 
sen transatlantischen  Bepublik  mit  Feuer  und  Überzeugung  besingen, 
schon  deshalb  ein  grosses  Mass  von  Sympathie  entgegenbringen  wird. 

ünd  das  ist  nnn  eine  Seite  des  L5w*schen  Bnches,  deren  Enrik- 
nung  wir  ans  mm  Schlüsse  aufgespart  haben.  Wohl  hätten  wir  noch 
manches  Wort  der  Anerkennung  für  den  talentvollen  Übersetter  fs 
sagen,  und  wohl  niüssten  wir  noch  speziell  nochuials  darauf  hinweisen, 
dass  sich  diese  ( Übersetzungen  durchaus  nicht  auf  Petöfi's»  he  Poesif 
allein  beschriinken,  sondern  auch  manche  unsterbliche  Perlen  der  Mb)« 
einea  Arany,  Varösmarty,  EöiYÜa,  Tompa  eic  in  frappant  gelungener 
Weise  vorAhren,  wir  mfissten,  nm  gerecht  ta  sein»  die  in  ihrsr  Art 
bisher  unerreU^  Wiedergabe  des  herrlichen  Arany*8chen  dedichtai 
mA  dalnok  biga**  (The  minsfcrsls  sorrow),  von  V0rdsmart7*s  Si^  Donks 
(„ßeautiful  Helen ^The  seng  from  Fot**  (F6thi  dal),  dann  wider  voo 
Arany*8  „Clara  Zach"  und  „Ladislaus  V.",  von  CJaray's  „Kont'*,  Karl 
Szasz'  „Hungarian  Music",  Kötvös's  „Farewell"  etc.  etc.  des  Näheren 
erwähnen.  Alldies  würde  aber  diese,  ohnedies  vielleicht  schon  zu  lange 
Besprechung  gar  ni  sehr  anschwellen,  nnd  müssten  wir  ja  dsao, 
schon  des  Qleichgewichtes  halber,  auch  einige  andere,  allerdiagi 
klefaiere,  oder  nnweeentliche  Mängel  berühren,  die  wir  bisher  vsr- 
schwiegen. 


UNOARISCHK  DICHTUNOBM  IN  AMMilKA. 


585 


Wir  erwähnten  zuvor,  dass  uns  gerade  Amerika  der  geeignete 
Boden  erscheint»  wo  mit  solch  gelungenen  Übertragangeii  userar  Dich- 
ter der  Acbtnng  und  der  Verbreitang  des  guten  Bnfes  nnterer  Nation 
ein  groBser  Vorschnb  geleistet  werden  kann.  Zweifelsokne  sebwebte 
dem  Änge  des  ÜbersetMra  auch  dieses  sdidne  Ziel  vor,  als  er  vorsngs- 
weise  dantnf  Aebt  hatte,  in  seine  Sammlung  je  mehr  solche  Gedichte 
aufzuiH'bmen.  in  denen  sich  der  Freilieit^geist,  der  tolerante  Charakter, 
«iie  rührende  und  j?lünzen<le  Vaterlandsliebe,  und  die  ritterliche  Bra- 
Yonr  der  ungarischen  Nation  am  kräftigsten  anadrückt.  Löw  hat  somit 
mit  seinen  nGems"  nicht  nur  ein  schönes,  sondern  auch  ein  unserem 
ganxen  Volke  nfltElicbes  Werk  yollbracht.  Ist  ja  er  selbst  das  beste,  und 
beredteste  Beispiel  für  4ie  nie  Tersiegende  Heimatbsliebe  des  Ungarn, 
der  nach  Jahrzehnte  langer  Trennung  ^n  seinem  Vaterlande,  noch  im- 
mer an  die  süssen  Laute  meiner  Muttersprache,  an  die  lieben  heimath- 
lichen  Halden  und  Fluren,  an  die  so  zu  Herzen  dringenden  Lieder  seiner 
Dii-hter  zurückdenkt,  und  für  den  es  als  der  tbeuerste  Triumph  gilt, 
wenn  er  den  guten  Ruf  seinem  Volkes  in  seinem  grossen  und  mächtigen 
Adoptivraterland  durch  einige  literarische  Bekanntmachung  weiter 
Terbreiten,  demselben  unter  seinen  neuen  Landsleuten  eine  edle  Propa- 
ganda machen  kann.  Zu  dem  gibt  es  da  drflben  jenseits  des  „grossen 
Wassers'  tausende  und  tausende  „Versprengte^  unsrer  Nation,  die 
oder  wenigstens  deren  sehon  dort  geborene  Kinder  allmählig  der  „An- 
«flisirung"  anheim  fielen.  Die  Macht  der  Verhältnisse,  die  vielen  Jahre 
des  Ringens  und  Kämpfens  drohte  bei  diesen  schon  das  letzte  Band, 
das  sie  noc  h  an  ihre  vierflüssige  Heimath  da  drüben,  mitten  im  alten 
Europa  gebunden  hätte,  zu  zerreissen.  Nun  denn,  mit  den  „Gems  from 
Petofi  and  other  Hungarian  Poets'*,  denen  bald  eine  zweite  Sammtang 
folgen  soll  und  wird,  ist  ihnen  aQen  ein  neues,  theueree,  fisstes  Band 
der  Erinnerung  an  die  Utaigst  gesehene  Heimath  geschaffen,  und 
manche,  die  an  den  Ufern  des  Ohio,  Missisippi  und  Hudson  im  Herzen 
wohl  noch  ungarisch,  in  der  Sprache  aber  schon  längst  englisch  sind, 
werden  die-e  «Gems"  daheim  in  trauten  Winteruächten,  oder  draussen 
iu  laubigen  kühlen  Schatten  der  amerikanischen  WUlder  und  Parks 
wieder  und  wieder  durchblättern,  und  eine  freudige  Rückerinnerung 
wird  ihr  Hers  dabei  durchxittem,  »hat  doch  ihnen,  und  ihren  Nachkom- 
men der  Landsmann  aus  Papa  eine  theuere  bleibende  Erinnerung  an 
ihre  geliebte  Heimatb,  die  erste  dieser  Art  in  Amerika,  in  di«  Hand 

UfegirlRchc  Rero».  1S89.  VU.  Heft  88 


586  .  mrmcm  JAHussininr«  mb  iiripwnfc 

gegeben",  eine  Erinnerung,  die  in  ihnen  das  alte  Gefühl  der  Vaterlands- 
liebe und  der  geiechttert igten  Freude  ihrer  Zusammengehörigkeit  mit 
einer  Nation,  die  solche  Geister,  solcl^  Lieder  hervorgebracht,  immer 
M  ieder  rege  halten  und  anlachen  wird.  Ja !  es  ist  ein  Stück  heiasar,  glä- 
bender  Vaterlandsliebe,  diese  „Gems'',  und  dctö  ist  e^,  was  mir  n 
ibaeii  wenigstens  so  gai  gefiUlt,  a>s  die  poetiscba  Bsfpdnuig  de» 
wackeren  William  L5w,  die  sie  auf  jeder  Smte,  in  jeder  Zeile  benr- 

Prof.  L.  Palöczt. 


FESTLIOHE  JAHRESSITZUNO  DER  UNOARISCfHEN 
AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 

Am  4.  Juni  d.  J.  hielt  die  ungarlstlie  Akademie  der  Wissenschaf- 
ten ihre  ^t'e/firkii^tei'ir^s/e  Jahresversammlung  in  Gegenwart  eines  zahl- 
reichen Publikums,  welche."^  die  interessanten  Vorträge  mit  geapanter 
Anfraerksamkeit  verfolgte  und  mü  lantem  Beifall  entgegennabm. 

PMsident  Graf  M nLCBioE  Lövtaj  erOffiiete  die  Versammhing  mit 
mner  Ansprache,  deren  weeentliebsttf  Tbeüe  wir  im  Folgenden  repro- 

duzii  en  : 

Unsere  Akademie  hat  in  ihrer  heutigen  Plenarversammlung  die 
Modalitäten  festgestellt,  unter  welchen  ihre  Statuten  zu  ändern  sein 
werden.  Meiner  Ansicht  nach  war  es  korrekt,  in  dieser  Beziehung  tn 
yerfttgen ;  denn  jede  lebensstarke  Seböpliing  strebt  nach  VervoHkomm- 
nnng  und  ihre  Normen  kOnnen  sich  nicbt  anf  ewige  Zeiten,  erstrecken. 
Doch  hat  jede  Schdpfiing  ihre  Grundlagen,  welche  ihre  Ezistens-Bedin- 
gnng  bilden  nnd  diese  sn  Indem  wire  kein  korrektes  Vorgehen. 

Die  Basis,  auf  welcher  die  Organisation  unserer  Akademie  be- 
ruht, Lst  eine  eigenartige  und  weicht  von  der  Organisation  aller  ande- 
ren Akademien  ab,  was  in  der  eigentbttmlicben  Lage  der  uo|purisciida 
Nation  seine  firklSrang  findet. 

Es  sei  mir  gestattet,  bei  dieser  Gelegenheit  Uber  diesen  Gegoir 
stand  zn  sprechen. 

Unsere  Akademie  ist  keine  hawi^iche  Akademie,  unterscheidet 
sich  daher  Ton  jenen  Akademien,  die  ihren  Bestand  der  fnitiatiTe  vcn 
Herrschern  verdanken.  Der  allerhöchste  Protektor  unserer  Akademie  ist 


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FBSTLiCUJi  JAHBEdälTZUNü  DBfi  AKADUUl. 


wohl  der  König,  der  auch  die  Qnade  hatte,  den  Stanunfond  durch  seine 
Gabe  zu  bereiohem  und  der,  ala  gethcMm  König,  auoh  daa  Bachfc  hat» 
die  gawtblteii  Prlaidenten  ni  bestttigen  mid  dar  AbBadenuig  dar  8ta- 
tetoB  die  all«rli5ehifce  Apfirobalioii  zu  ertbeQea;  in  jedmr  aadeMii 
Hinsiehi  aber  ist  die  Akademie  etil  maliliängiges,  selbBtottndiges 
iBstitiii 

Sie  ist  keine  Landes-Akademie,  die  auf  öffentliche  Kosten,  durch 
die  BettrSge  der  Spender  erhalten  wird ;  in  neoirer  Zelt  erat  hat  die . 
Qeoetigebnng  Ar  bestimmte  Knltnrtwecke  bescheidene  Suminen  bewil- 
ligt, wobei  die  Yerwendang  durch  das  Oesati  der  Akademie  über- 
laaaen  wnrde. 

Sie  keine  ansschliessliGh  aus  Oelehrien  tmä  Merariichm 
NoiaMUä^en  bsstehende  Akademie ;  von  Beginn  ihrer  OrOndong  bis 
auf  den  heutigen  Tag  sehen  wir  in  dem  Direktionsrathe  und  in  den 
Bethen  der  Ehrenmitglieder  der  Akademie  die  hervorragendsten  Min- 

uer  unseres  Landes,  die  sich  <lurch  einen  allehrwürdigen  Namen,  Uureh 
ihr  Interesse  für  Wissenschaft  und  Literatur,  durch  Opferwillifjkeit  für 
das  Gedeihen  der  Akademie  hervurgeihan,  el)enso  Jene,  die  sich  im 
öffentlichen  Leben  in  den  lieihen  der  £r8ten  erhoben  und  ihren  Namen 
in  der  Geschichte  unserer  Nation  verewigt  haben ;  sie  AUe  geniessen 
Bafliisa  auf  die  Leitung  der  Angelegenheiten  der  Akademie.  Dnrch 
ihre  Wahl  zeichnet  die  Akademie  sie  aus,  damit  ihr  dgener  Glans  ge- 
hoben werde,  ihre  Wirksamkeit  Nachdruck  erlange  und  in  schweien 
Zeiten  der  be.scheidene  Kreis  der  Gelehrten  UnterstUt/.ung  tinde. 

Unsere  Aksdemie  ist  somit  kein  königliches  und  kein  Landes- 
Institut,  auch  kein  ausschlieeslich  von  Gelehrten  geleitetes  Institut, 
sondern  eine  unfforMie  Akademie  im  wirklichen  Sinne  des  Wortss. 
Ungarische  Patrioten  haben  sie  initiirt,  die  freiwilligen  Gaben  der  un- 

(^arischen  Nation  haben  sie  geschaffen  und  heute  noch,  nachdem  mehr 
als  ein  halbes  Jahrhundert  «:eit  ihrem  Bestände  verfiosseu,  vergeht 
kaum  ein  Jahr,  in  welchem  nicht  ungarische  Patrioten  durch  ihre  Ga- 
ben oder  Legate  ihre  Fonds  bereichern.  Sie  ist  eine  ungarische  Aka- 
demie^ weil  ihre  erste  und  grösste  That  darauf  gerichtet  war,  eine  ge- 
bildete ungarische,  literarische  Sprache  su  schaffen  und  mitsolcham 
Erfolge  lu  Terbreiten,  dass  die  von  ihr  gebildete  literarische  Sprache 
heute  schon  die  Sprache  des  Volkes  geworden,  und  bildet  die  Pflege 

8b* 


588 


FBSTLII  IIK  JAHUKS>rrZUKO  DKB  AKADEBUK. 


die  er  Sprache,  die  Bewalirung  ihn  r  Heinlieit  auch  heute  noch  den  Ge- 
genstand ihrer  TOinebmsten  Sorgfalt 

tTneere  Akademie  ist  ein  rnffarisehes  und  fuUianales  Instilvt, 
denn  obgleich  de  in  ihrer  Thfttigkeit  aUeseit  innerhalb  der  Schranken 
der  Verbreitung  der  ungarischen  WissenschaftHchkeit  und  der  Pflege 

<ler  Sprache  gebliel  eu,  wusste  sie  «iorli  jene  grossen  Me«'n.  welche  Hie 
Nation  von  Zeit  zu  Zeit  begeisterten,  sieb  zuzueignen  und  den  hiteie>- 
sen  der  Matiou  in  stiller,  aber  konsequenter  Arbeit  m  dienen. 

Termftge  der  eigenartigen  Lage  onserer  Kation  war  da«  erste 
wissensehafitliehe  Institut  des  Landes  schon  bei  der  Gründung  nicht 
allein  und  ausschliesslich  idealen  Zwecken  gewidmet,  sondern  es  war 
feine  Bestimmung,  idealen  «ntl  praktiM-lieii  Zwecken  gleiehmassij;  zu 
dienen  und  neben  der  Pflege  der  VVis.->env<chaften  auch  die  prakti.si  iie 
Bichtung  nicht  auseer  Acht  zu  lassen. 

Graf  Stefon  Sa^henji,  der  Gründer  der  Akademie,  hat  in  seiner 
Person  diese  beiden  Richtangen  a»f  das  Glflcklichate  Yereinigt;  er  war 
Idealist  in  eeinen  Zielen,  Qbenkoa  praktisch  in  der  BentUsnng  seiner 
Mittel  IKese  Bichtnng  bat  die  Akademie  in  der  Wahl  ihrer  Pifsiden- 
ten  fortwfthrend  und  Ttelleiebt  instinltmSssig  bot  Geltung  gebracht 
Pie  e^^te  Wahl  Hei  auf  den  Grafen  Josef  Tileki,  der  ein  grosser  Hist^« 
riker  und  Gelelirter  wa»-  in  des  Wortes  wirklicher  Betleutung.  Ihm  /ur 
Seite  stand  Graf  Sze<  hen\  i.  der  selb^-  in  seiner  literarischen  Thütigkeit 
praktisch  war,  praktisch  in  der  Gründung  der  Akademie  und  in  allea 
seinen  grossen  Schöpfungen. 

Auch  bei  den  spllteran  Wahlen  blieb  dies«  Eiohttnig  Torben> 
sehend.  Die  Leitung  der  Angelegenheiten  der  Akademie  übemakm 
Graf  Bmil  Dessewfl'y,  die  hervorragendste  Notabilitftt  der  damaligen 
prakti.'-chen  Ziele.  Zum  Vizepräsidenten  wurde  Haron  Josef  Eotvös 
gewählt,  der  die  ausgezeic  hnetste  Gestalt  unsere»  «HTeutlichen  Lebens 
und  unserer  Literatur  und  die  edelste  Verkörperung  des  idealen  Leben> 
war.  Diese  Wahl  war  würdig  der  grossen  Vorgänger  und  entsprach 
▼oUstSndig  den  Forderungen  der  damaligen  schweren  Zeit. 

Nicht  nur  in  der  Geschichte  unserer  Akademie,  sondern  auch  ii 
der  Geschichte  des  19.  Jahrhnnderts  unseres  Yaterlandee  wird  stets 

eine  hervorragende  Gestalt  Graf  Stefan  Szeehenyi  sein,  der  junge 
iiU8<aren  Uittiueister,  der,  als  er  durch  einige  auf  dem  Reichstage  geapro* 


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FmUCBft  JAOaEättllZCKO  DIR  AKADBXIE^  589 

ebene  begeisteite  Worte  und  dnrob  aeioe  grosse  Spende  die  Akadeinie 
begründet  batte,  damit  seine  lange  patriotiscbe  Ouritee  begann.  Es 
wird  die«  eine  jener  Saenen  sein»  welcher  noch  die  späte  Nachwelt 
begeistert  gedenken  wird.  Aber  eine  zweite  herTorragende  Gestalt  in 
der.  wenn  anch  nnr  kurzen  Epoche  der  Geschichte  dieses  Jahrhundert« 
wird  auch  (Jraf  Kmil  l>essc\vtrv  sein,  in  jenem  kur/cn  Zeitrauin,  wo 
er  tlüH  l'iäsitliuii)  der  Akademie  innehatte.  Ah  Privatmensch  war  er 
eine  gebihletoi  gelehrte,  liebenswürdige  Persönlichkeit»  aU  Trüsident 
der  Akademie  wnrde  er  eine  Macht  in  jener  Zeit,  da  einzig  und  allein 
die  abaolnte  Gewalt  herrauhte ;  denn  nmgeben  vom  Glanie  aeiaer  Stel- 
Inngy  verkündigte  er  von  diesem  PlalM  ans  laut  der  Nation»  die  seboa 
ihre  Hoflkniig  zn  verlieren  begann,  dass  eine  Nation  aaf  dem  geheilig- 
ten Boden  diesee  Taterlandea  lebe,  und  wenn  ihr  anch  jetzt  die  800 
Jahre  lang  offen  gestandene  Lanfbabn  des  politischen  Lebens  verscbloa^ 
>cn  sei,  so  hat  sie  doch  eine  ungarische  Akademie,  die  höhere  Verkör- 
jicrun«^  ihrer  Nationalität,  von  deren  Priisidialsitze  herah  die  Devise  zur 
Austübrung  patriotischer Thaten  ertönt,  und  er  brauchte  nur  zu  sagen: 
^Die  Akademie  hat  kein  Hans"^,  und  Reich  und  Arm  brachten  ihre  Ga- 
ben zum  Bau  dieses  prftchtigen  Palaetes.  Kaum  hatte  er  gesagt :  „  Ge- 
denken wir  der  hnndertäten  Jahreswende  der  Geburt  Kazinczy^s**,  und 
die  Bessern  der  Nation  pilgerten  an  den  Geburtsort  des  ersten  Pflegers 
ihrer  Sprache,  um  das  Fest  des  Triumpfes  der  ungarischen  NationalitSt 
in  der  Zeit  der  amtlioihea  Germanisation  zu  feie»,  ünd  die  Akademie, 
um  in  den  Hei-zen  der  Zweifler  Hoffnung  zu  erwecken  hinsichtlich  der 
Zukunft  unserer  Nation,  begann  mit  zweifachem  Fleisse  die  vaterlän- 
dische Geschichte  zu  pflegen,  als  ob  sie  sagen  wollte,  dass  die  Nation, 
die  eine  iausen^'ährige  Vergangenheit  hat,  welche  die  durch  das  Schick- 
sal, aber  bttnfig  durch  eigene  Schuld  über  sie  verhängten  Leiden  zu 
ertragen  im  Stande  war,  zu  neuem  Leben  erwachen  müsse.  Ja,  das 
Staatsleben  wird  neu  aufblühen,  indem  das  Andenken  an  die  gemein- 
same geschiditliche  Vergangenheit  die  verschiedenen  Stimme  mit  der 
den  Staat  bildenden  Nation  verknüpft. 

Als  auf  eirund  kühner  Missdeutung  und  Fälschung  der  geschicht- 
lichen Thatsachen  neben  der  Theorie  der  He<  htsverwirkung  die  Nicht- 
existenz  laut  verkündet  wurde,  war  es  ein  Ehrenmitglied  unserer  Aka- 
demie, das  auf  der  festen  Hasis  der  geschichtlichen  Wahrheit  und  des 
Rechtes  gtgpa  diese  Aichtung  sein  hochwiehtiges  Werk  schrieb.  Die 


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800  nSlUCBI  JABBBSSmüVO  DIE  AKA08MIB* 

Akademie  zeiDhnete  dieses  Werk  mii  dem  groesen  Preise  aas,  und  die 
gaaae  Nation  veremigie  sich  auf  dem  Boden  der  Rechtskontinnitii  um 
diesen  grossen  Patrioten  nnd  dieses  Mitglied  der  Akademie,  mid  an 

ihm  unerschütterlich  festhaltend,  erreichte  »ie  die  Wiederhei  fit^lliuig 
ihrer  Verfassung. 

Diese,  aus  der  Glanzzeit  der  Akademie  in  Erinnerung  gebrachte! 
Thatsachen  zeigen  wohl  deutlich,  dass  die  Organisation  der  Ungarischea 
Akademie  eine  eigentbttmliche  ist  nnd  tos  jener  der  anderen  Akade* 
mien  abweicht. 

Ob  es  ihr  gelungen  wSre,  anf  die  Nation  einen  so  enacheidendeB 
Einflnss  ansznilben,  wenn  sie  sich,  wie  anderwftrts,  aasscUiesailch  ans 
den  namhaftesten  Gelehrten  nnd  Schriffestellem  znsamraensetst,  «acl 

nicht  au8  den  bedeutendsten  Vertretern  der  Wissenstliatt  und  dec  Pa- 
triotismus besteht,  —  die  Akademie  vergesse  nie,  dass  sie  ihre  bihheri 
gen  gros.sen  Erfolge  zum  guten  Theile  jener  eigenthümlichen  Organisa- 
tion danken  kann,  welche  sie  eng  mit  der  Nation  verbindet.  Zeit  und 
Erfahmng  versetBen  auch  die  Akademie  in  die  Noihwendigkeit,  ihrs 
Statuten  wieder  an  flndeni ;  dabei  aber  verliere  ^  nie  ans  den  Aogea 
die  als  geannd  erwieeene  Gnmdoiganisatien»  welche  ihre  Grttnder  mit 
weiser  Voraussicht  Ar  sie  schufen,  und  welche  durch  ihre  halbhundMi- 
jftbrige  Vergangenheit  und  durch  ihre  gllasenden  Erfolge  aanktionirfc 
wurden.  Auf  dieser  Basis  bane  die  künftige  Generation  weiter  und  lasse 
sich  nicht  verführen  durch  die  anderwärts  und  anter  anderen  Verhält- 
nissen als  richtig  erwiesenen  Theorien. 

Dem  Grafen  Dessewffy,  dem  durch  seine  gllnzende  Vergaagm* 
heit  berühmten  rrttsidenten  nnd  neueren  iiegründer  unserer  Akademie, 
hat  das  Schicksal  nidit  gestattet  au  erreichen,  daas  er  in  dem  dardi 
seine  konsequente  und  ausdauernde  Thtttigkeit  errichteten  Pabst  bei 
Gelegenheit  der  ersten  ibierlichen  GesammtsitKung  aelbat  die  ertls 
£r&iRiungsrede  halten  kOnne. 

Zum  dritten  Mal  seit  seinem  Tode  ist  die  Nothwendigkeit  heran- 
getreten, das  Priteidium  der  Akadeniie  zu  besetzen.  Der  edeL-to  un<i 
würdigsto  Vertreter  der  Wi.s.^onschattlichkeit  und  Ideenwelt.  I>aron 
Josef  Eo(  vös,  wurde  vor  16  Jaliren  einstimmig  zum  ersten  Präsidenten 
der  Akademie  gewählt,  und  ich  bin  kaum  im  Irrthum,  wenn  ich  der 
Tendenz,  auch  die  vom  Anbeginn  befolgte  praktische  Richtung  nr 
Geltung  au  bringen,  das  unerwartete  Glflok  verdanke,  daaa  man 


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FEaXLlCUX  JAHfibSSITZUNa  D£K  AKADBXIE.   .  591 

der  Ton  ersier  Jagend  angefangen  der  Pflege  der  mit  dem  praktiachen 
Leben  znsammenhttngenden  WiMeneohaAen  und  Intoreogon  aieiae  ge* 
eammte  Thttigkeii  widmotor  thm  rar  8mte  hok 

In  cUeeer  Zeit  begann  die  Epoche  der  Pflag«  lud  Verbratang 
der  Wiaacnsehagten  in  nngariacber  Spraobe.  Im  Jabra  1870  bat  zu  die^ 
sem  Zwecke  die  Akademie  ihre  Statuten  umgestaltet,  und  indem  sie 
die  einzelnen  Klassen  den  versthiedenen  Wissensföchern  gemäss  selbst- 
8<Ändig  umgestaltete,  hat  sie  zur  Ausbildung  der  Wissenschaften  wei- 
ten Spielraum  gewährt.  Mit  der  Organisation  der  selbstständig  fungiren- 
den  st^^ndigen  Kommissionen  hat  die  planmässige  Ausbildung  der  Wia* 
sentfchaften  iliren  Anfing  genommen,  und  hiedarch  wurden  auch 
ansaeiiialb  der  Akadamie  atebende  Facbmloner  in  die  Thfttigkeits« 
apbire  der  Akademie  gelingen. 

Allein  kaum  hatte  die  Akademie  dieae  nennenswerthe  ünigeBtal- 
tung  passirt,  als  zum  tiefen  Schmerz  der  Akademie  und  der  Nation  der 
J  od  des  Barons  Eötvös  eintrat,  und  ich,  der  sein  Präsidenten-Kollepe  ■ 
war.  wurde,  und  zwar  vielleicht  deslialb  durch  das  Vei'trauen  meiner 
Koliken  mit  der  Stellung  des  ersten  Präsidenten  beehrt  Diese  Stellung 
babe  ich  stets  als  die  grösste  und  glänzendste  Auaseichnung  in  meinem 
langen  dffentlicben  Leben  bebraehtet»  als  die  ansgeseicbneteete  tob  allen 
jenfln  Stellen,  welcbe  in  Ungarn  dnrob  WaU  beeetat  werden.  Zu  glei* 
eher  Zeit  bat  die  Stelle  dea  sweiten  Maidenten  Anton  Csengery  einge« 
■ommen«  jener  anegeoeiebnete  Gelehrte  und  Patriot»  welchem  die  Aka^ 
demie  auch  früher  yiel  zu  verdanken  hatte,  der  nicht  nur  als  ausge* 
zeichnete  Individualität  des  öffentlichen  Lebens,  sondern  auch  als 
Akademiker  in  seinem  Vaterlande  massgebenden  Einfluss  ausübte,  der 
während  jener  ganzen  Zeit,  so  lange  er  mein  Präsidenten-Kollege  war, 
mich  in  der  Erledigung  der  Angalegenheiten  der  Akademie,  in  der 
Führung  der  PMaidial-Agenden  UBermüdUeb  und  erfolgreicb  unter- 
stfttate. 

Auch  er  fehlt  nun  schon  in  unserem  Krmse  und  er  bringt  mir 

lebhaft  in  Erinnerung,  dass  ich  einer  der  letzten  Vertreter  der  schon 
im  Schwinden  begriffenen  (ienerafionen  bin.  Ich  habe  schon  vier  Mal 
das  Präsidium  der  Akademie  erlangt.  Jetzt  beginnt  das  letzte  Jahr 
meiner  letzten  Wahldauer.  Vielleicht  spreche  ich  jetzt  zum  letzten  Maie 
▼OB  ^eaer  Stelle ;  goätatten  sie  mir  also,  dass  ich  bei  dieser  Gelegen* 
beii  knrs  nur  ;jen«tt  Theil  mainer  PtSaidanton-Au^be  bembne, 


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592  FBSILKIBK  JAHBF88ITSUV6  DtR  AKAUHO«. 

welcher  sich  auf  «lie  wosrnllii  he  l>eilin«,'nng  d«5r  erlolgreichen  Tliütigktit, 
auf  den  materiellen  Zuätanii,  beschrünkl. 

Vor  Allem  babe  icb  es  als  meine  Aufgabe  betrachtet,  mit  der 

Mitwirkung  meiner  IVjlsi<lentcnkoll(^en  un<l  mit  der  nnter.stüt/.nng  des 
Dirokfion.sraf lies  «laliin  /,n  wirken.  <Iass  «lie  in  früherer  Zeit  nach  alter 
Methode  gefüiirto  Kass^engehahning  und  Verrechnung  radikal  umge.sial- 
iet  und  systemitiirt  werde,  dass  der  biand  der  Stiftungen  gekh'irl  un«i 
vollkommen  siehergestellt  sei.  dji.ss  die  grossen  R^ck^iände  aufhören 
und  die  Bechtsangelegenbeiten  in  Evidenz  gebracht  werden.  All  dies  ist 
vollkommen  gelangen.  Die  üngarisehe  Bodenkredit^Anstalt  hat  mit  pa- 
triotischer Bereitwilligkeit»  kraft  des  Interesses,  welches  die  erste  Hj« 
pctekar- Anstalt  nnseres  Vaterlandes  f&r  das  erste  ungarische  wissen- 
schaftliche Institut  bekundet,  die  Kassen-  und  Buchführunj^s  Agenden, 
und  zwar  ohne  jede  Gebühr  übernoniiiien.  S(  lu>n  seit  1  1  Jahren  leistet 
sie  uns  diesen  patriotischen  J)ien>t.  riier  Jiegeju  un-  «lie  1881-er  Si  hlnss- 
rechnungen  vor^  welche,  verglichen  mit  dem  ersten  Jahre  ihrer  Maui- 
puUtion,  nennenswerthe  Ergebnisse  aufweisen. 

Ich  will  mich  nicht  in  Details  einlassen  und  erwähne  nur.  da^-N 
wilhrend  vor  12  Jahren  die  Akadeinie  noch  unter  namhaften  Lasten 
laborirte  (au»  dem  Hau  ihres  Palastes  und  Zinshan^se«  —  unter  Ande- 
rem schuldete  sie  40,000  tl.  der  I.  ungarischen  allgemeinen  Assekuranz- 
GeseUsuhaft),  sie  heute  ihre  Schulden  vollkommen  zurfickgezahit  hat» 
ja  sogar  trotz  der  Inzwischen  nOthig  gewordenen  neueren  Bauten,  wie 
zum  ümban  des  Akademie-Palais-Daches,  welcher  144,882  fl.  kostete, 
und  d6B:sen  Kosten  sie  eben&Us  vollständig  tilgte,  ihre  Bilanz  heute  um 
355,095  H.  günstiger  steht,  ohne  dass  wir  in  der  Bilanz  im  Pahujlc  uml 
im  '/in>liause  der  Akademie  den  nnfanglii  Ii  mit  einer  Million  (»uhUn 
angenommenen  Werth  um  die  neuen  Bauauslagen  erhliht  hätten.  Ein 
grosser  Theil  namhafter  Stiftungen  ist  eingetiossen ;  der  »Stand  des 
in  Werthpapieren  —  sichersten  Pfiindbriefen  —  plaoirten  Vermögens 
hat  sich,  mit  dem  fr&beren  Znstand  verglichen,  von  321,340  fl.  auf 
574,884  fl.  erhOhi  Dieses  Eigebniss  kOnnen  wir  einerseits  dem  Um- 
stände verdanken,  dass  die  Spenden  und  Legate  sich  stets  vermehrten, 
allein  andererseits  auch  dem,  dass  der  Direktionsrath  bei  der  Verwal- 
tung des  Akademie  Vermögens  die  nüchterne  Sparsamkeit  geltend 
machtOi  jedoch  ohne  dass  er  die  •lurch  die  einzelnen  Kla^^sen  zur  Für- 


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I 


n^ucBS  jABRBssrrscirG  deb  akadbiiik.  5d8 

dernng  wisiieiiscbaftlicher  Ziele  erwüiucbten  materiellen  Büttel  nicht 
stet«  mit  grÖBster  Bereitwilligkeit  votirt  hätte. 

Ich  habe  von  der  Vergangenheit  ge.siirochen,  getiUtten  Sie 
mir,  Aasit  ich  noch  Ton  einer  wichtigen  Aufgabe  der  nahen  Zukunft 

>pit'cbc.  nelcbo  in  iler  Verbreitung  der  VVi.s>en«fcbHtUjii  der  Akaile- 
mie  barrL 

Unser  Vaterbin«!  i4  an  «lie  i><bwello  einer  bemerkenNwerlben 
Umgeslaltang  gelangt.  Heute  i^t  <lie  Ueberxengong  eine  immer  allge- 
meinere geworden,  das»  es  zum  Tragen  aneerer  schweren  Lasten  und 
im  Intere^te  unserer  materiellen  Wohlfahrt  unvermeidlich  nöthig  ui, 
das«  Alles  geschehe,  was  zur  Entwicklung  der  nationalökonomischen 
Krlfttf,  zur  Steigerung  der  nationalen  Arbeit,  zur  Geltendmachung  ver* 
nünftiger  Spar  amkeit  dient ;  dies  aber  können  wir  nnr  tUireh  selbstbe- 
wusbtes  llan'lt'ln  iM'reiilicn.  In  «lieser  Ki'  ljlunj^  kann  «1er  sicliero  Vovi- 
.scbritt  nur  so  eiiiotit  werilen,  wenn  jent^  Kenntnisse  sieb  verallgemei- 
nern, weKbc,  wie  die  Eifuhrung  zeigt,  reicli  und  so  selb.stständig  und 
zufrieilen  macbten.  Die  allgemeine  Verbreitung  der  national« tkonomi- 
schen  Kenntnisse  ist  somit  dringend  nothwendig  geworden.  In  einem 
konstilutionellen  Staate  ist  die  Macht  der  Öffentlichen  Meinung  gross, 
und  weil  das  Schicksal  der  Kation  von  den  Vereinbarungen  der  Legis- 
lative abhSngt,  verursachen  die  Fehler,  ja  auch  die  Versftunuiisse  der- 
selben unendlichen  Sehaden ;  bingegen  kann  deren  selbstbewnsstes  und 
zweckmiissiges  Han«leln  nicht  nur  die  zukiinn.ige  lUüüic  begriin<b'n, 
sondern  au«  li  die  Steigerung  «lorsclben  in  gr<'<-^<'m  Massr  bewerkstelli- 
gen, ivt  de-sbalb  nötbig,  dass  die  dur«b  Verbreitung  wi<srnseliat't- 
Ucber  Kenntnisse  entstandene  unwidersteldiebe  ötlentlitbe  Meinung 
auch  auf  die  Gesetzgebung  entscheidenden  Kinfluss  auiübe  und  damit 
dieser  Zustand  in  unserem  Vaterlande  ehestens  eintrete,  muss  die  Aka< 
demie  ihre  Thfttigkeit  in  dieser  Richtung  steigein. 

Diese  Richtung  begann  in  der  Akademie  auch  schon  zur  Geltung 
zu  gelangen.  Die  national  ökonomisebe  Kommission  hat  in  jüngster  Zeit 
eine  lebhafte  Thfttigkeit  cntwi«  kclt.  Diese  Kommission  wird  zur  Aut'gubo 
bal>en,  vei  eint  mit  den  au<s«'i  ball)  «ler  Akademie  siebenden  Fjtrbm'innern 
eine  ver«iöj)j)elte  'rbäiigk«'il  zu  entfaUen.  Kin  /.weiter  wiebtiger  Faktor 
der  materiellen  WohHahit  ist  die  Verbreitung  der  Kenntnisse  der  Na- 
turwissenschaften, und  besonders  die  Darlegung  jener  grossen  Errun- 
genschaften, welche  diese  Wissenschaften  auf  dem  Gebiete  der  prakti- 


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694 


nSIUCBB  JAHBISSIISiniQ  mtB  AIIJ 


sdun  Aiiweiidaiig  erreiclit  haben ;  und  in  dieser  Hinnchi  harrt  aneh 
'  der  driUen  Klasee  eine  grosM  Aufgabe ;  in  wekher  Weise  sie  dieselbe 
im  jüngsten  Jahre  erflUlte,  darAber  wird  der  Oeneralsekretlca^Berichi 

Details  gewfthren. 

Es  ist  nicht  lange  licr,  da^s  die  hochwichtige  Arbeit  <ler  Verhrci- 
tung  der  AVissensi  haften  in  dem  damals  bescheidenen  Kreise  der  Akade- 
mie lebte;  seit  jener  Zeit  \>i  eine  ganze  »Serie  wissenschaftlicher  Gesell- 
st haften  entstanden,  welche  insgesammt  von  der  Akademie  als  ihre 
Kinder  betrachtet  werden. 

Und  damit  von  dieser  StKtte  aus  anch  Ui  Zukunft  sidi  das  Lichi 
auf  das  ganze  Vaterland  erstredce»  möge  die  Akademie  auch  femer  die 
wissenschafUicbe  Thätigkeit  anlÜhren,  ihr  die  Biehtnng  angeben,  möge 
sie  auch  femer  das  eifrige  Streben  nnterstfitasen  und  das  wahre  Ver- 
dienst belohnen.  Sie  möge  die  'I'alentc  der  jüngeren  Generation  zu  si<  h 
erheben,  damit  sie  der  Wissenschaft  und  der  vaterländischen  Sprache 
stets  neue  Priester  zuführe  und  damit  von  hier  aus  von  Geschlecht  m 
Geschlecht  sich  stets  das  Licht  auf  das  ganze  Vaterland  verbreite ! 

Die  Wissenschaft  ist  der  gemeinsame  Schatz  der  Menschheit,  de- 
ren FiMtischritt  die  Verbreitang  der  ZiTilisation,  die  Befeetignng  der 
Freiheit  siehert.  Eine  höhere  Aufgabe  gibt  es  wohl  nicht,  sIs 
unsere  Nation  auf  ein  Nireau  mit  den  in  Bildung  und  Wiesenscheflsa 
fortgeschritteneren  Nationen  zu  heben,  und  dadurch  die  höchsten  bte^ 
ressen  unseres  Stammes  zu  fördern.  Dieses  Ziel  zu  fördern,  war  die  Aka- 
demie bestrebt^  dies  möge  auch  in  Zukunft  ihre  höchste  Aufgabe  seia ! 

Der  Bericht  des  Generalsekretärs  WiUBUi  Frakn6i  konstatirt  vor 
Allem,  dass  das  Leben  unserer  Nation  stets  eine  Kette  von  Klmpfea 
gewesen;  doch  haben  diese  KSmpfe,  wenn  sie  auch -unsere  Verbreitnog 
hinderten  und  unsere  Entwicklung  hintanhielten,  unsere  Lebe&sfk* 

higkeit  und  die  Berechtigung  unserer  Hegemonie  bewiesen,  üed 
wenn  sich  auch  Höswilligkeit  und  Hefangenheit  dies  anzuerkennen 
sträuben,  so  muss  unsere  Akademie  sie  eines  Hesseren  belehren, 
un.sere  Akademie,  in  welcher  sich  jene  Assimilationskraft,  welche  wenn 
auch  nicht  die  Masse,  so  doch  die  edelsten  £lemente  der  eingewandert«ii 
Völker  amalgamirt  und  die  Söhne  Hunt*s,  Pazmin*s  und  DrugeVs  m 
ungarischen  Maj^naten  machtQ,  in  miHlÜliger  Weise  manifestirt 


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nSTUCBB  JAHBBBSRZUMO  DBB  AKAOBJOE.  595 

Während  die  ]iioht-ii]igaii8che&  NattonaliUten  Ungams  seit  Jalir* 
lehnten  kein  literarisches  Werk  von  Bedeutung  geschaffen,  sind  die 

• 

hefTomgendsten  Geister  des  Landes,  ohne  Unterschied  des  Ureprongs 
oder  der  Ahstammong  Hitarbeiter  unserer  Akademie  von  Anbeginn  an 

und  PS  ist  gewiss  bezeichnend,  dass  Jene,  deren  Ahnen  nicht  ira  Lager 
Ai  pa<rs  zu  suchen  sind,  »lius  (icliiet  der  ungarischen  Spiai  h Wissenschaft 
ain  fleissigsten  kult.iviren.  Und  cl»cn  .-uif  diesem  Gebiete  zeigt  die  Aka- 
demie, dass  sie  von  jenem  Chauvinisuuis  un<l  jener  Einseitigkeit  frei  ist, 
deren  man  unsere  Nation  zn  zeihen  pHegt.  Soeben  erscheint  in  unserem 
Verlage  das  grosse  Werk  Armin  Vimb^iy's  Aber  den  Ursprung  der 
Ungarn.  In  diesem  Werk  führt  der  gelehrte  Autor  den  Beweis,  die  un- 
garische Race  und  die  ungarische  Sprache  seien  tfirldsch-tatarisohen  und 
nicht  finn-ngrischen  Ursprungs,  und  er  kommt  darin  zn  folgendem  Re» 
snltat«  :  „Jene  sittliche  Kraft,  welche  dem  Ungar  in  Tannonien  die 
Herrschaft  verlieh  über  f'etschenegen,  Kumanier,  Chazaren  und  son4ige 
vpnvandte  und  fremde  Stämme,  sie  lebt  selbst  nach  tausend  Jahren  in 
dem  Ungar  der  Neuzeit,  der  inmitten  von  81aven,  Rumänen  und  Deut- 
schen lebt,  die  stärker  sind  als  er,  nngeschwttclit  fort.  Aach  anderen  tür- 
kisch-tatarischen StBmmen  war  die  staatenbildende  Potenz  eigen,  denn- 
▼on  China  bb  lum  Balkan  sassen  auf  allen  Thronen  tilikisch-tatarische 
Hemrscher ;  allein  nur  der  Ungar  hat  sich  die  Macht  der  Staatseriialtung 
bewahrt  Nur  der  Ungar  ist  in  Europa  heimisch  geworden,  hat  diesem 
Welttheil  wichtige  Dienste  erwiesen  und  ist  berufen,  ihm  in  den  nnaus* 
bleiblichen  Wundlungen  des  europäischen  Ostens  noch  wiebtigere  Dienste 
zu  leisten.** 

Der  Bericht  schildert  nun  die  Thätigkeit  der  einzelnen  Kla.ssen; 
er  enumerirt  deren  Editionen  und  die  Vorträge,  die  in  ihrem  Schoss 
gehalten  wurden  und  liefert  ein  knappes  aber  prägnantes  Bild  der  6e- 
sammttbfttigkeit  der  Akademie.  Dann  widmet  er  Worte  des  Bedauens 
den  rodten  des  Instituts  :  Anton  Oorooe,  Moriz  LMes,  Nikohms  jSffO- 
mere,  Johann  Baininer,  Stefan  MmrbeM^  Ludwig  AMHk^  AladAr  Jfol- 
ndr  und  Graf  Stefan  Kdrolyi,  und  nchliesst  mit  folgenden  Sätzen  : 

„Es  hat  sich  heuer  der  im  Leben  der  Akademie  seltene  Fall 
ereignet,  das«  die  nougcwiihltcn  Mit^^dicder  nicht  alle  durch  den  Tod 
der  im  verHo-ssenen  Jahre  vereitorbonen  Mitglieder  freigewordenen 
FlHtze  ausfttllen.  Ich  glaube,  mit  den  Pflichten  der  Stelle,  auf  der  ich 
mich  befind^  nicht  in  Kollision  zu  ^erathon,  weQii  ich  m^m^  indindn* 


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596  ,  FBäTIiKHÜ  JAIlR£ä&ITZ(7IIC  DEB  AKADEMIE. 

eilen  Uel>ei  /.eugung  Ausdruck  gebe  und  mein  Bedauern  ül>er  da>  Re- 
sultat der  heurigen  Wahlen  aussprechei  die  unsere  Akademie  der  MÜ^ 
mrhtmg  viüer  hervorragender  MSmmr  beraMeUt  welche  meht  rmr 
das  PreeÜge,  sondern  auch  das  Niveau  unseres  InsHkds  auf  mehre- 
ren Gebieten  hatten  h^>en  kennen.  Unsere  Akademif ,  welche  eine  an- 
dere Organisation,  »l8  die  Neutor-AnKtalt  unter  den  bestehenden  gelehr- 
ten (Jesells(  harten  :  t\'w  Iran/ösisrhe  Akademie,  besitzt,  sie  ist  in  erster 
Reihe  l»enilen,  die  l)e.sch<'idenen,  aber  ilial.o.ji(ldit.li  und  koniinuirlirh 
thatigen  IMleger  der  Wissenschaft  aufzunehmen.  Aber  eben.-jo  die  Inten- 
tion unwerer  Gründer,  wie  der  Text  unserer  Statuten  eröttnet  unsei'e 
Akademie  air  Jenen»  die  »ich  um  die  Entwicklung  der  nationalen  Bil- 
dung auf  welchem  Gehiete  und  auf  welche  Weise  immer  bedeutende 
Verdienste  erworben.  Wir  wissen,;  da88  man  zur  Beurtheilnng  der  Ver- 
dienste keine  Kegeln  von  absolutem  Werthe,  zu  deren  Würdigung  keine 
daH  individuelle  Gewissen  unbedingt  verpflichtende  Gesetze  si-hafTen 
kann.  So  kam  es,  (iass  Stefan  JlornUh  niclit  wollte,  dass  lieorg  hejer 
nicht  konnte  die  Schwelle  unserer  Akademie  ül>ertreten,  obgleich  «lic 
Thätigkeit  eine.<>  -Teilen  von  ihnen  einer  ganzen  UelehitengeiieUächati 
zur  Khre  gereicht  hiUte. 

Doch  möchte  ich  dabei  bemerken,  dass  sokhe  Ausnahm^fiül« 
nicht  nur  an  unserer  Akademie  vorkommen.  Es  ist  bekannt,  dass  Ho- 
li^re,  BoQsseau  und  Beranger  vei^bens  bemuht  waren,  die  Fauteuil« 
einzunehmeOi  welche  das  Andenken  Bichelieu's  hüteten,  so  dass  der 
Biograph  des  Einen  mit  Recht  sagen  konnte  :  „Zu  seinem  Ruhme  hat 
nichts  gefehlt,  doch  fehlte  er  zu  dem  un^»  rigen."  Und  selbst  Viktor 
Hugo  Itcwuili  sich  dreimal  um  diese  Aiiszciclmuuji  und  einmal  wurde 
er  sogar  von  einem  Konkurrenten  besiegt,  dessen  Namen  und  Anden- 
ken blo8  von  dem  gei.stvollen  Epigramme  Dupatj's  bewahrt  wird,  in 
welchem  bedauert  wird,  das»  er  für  einen  Augenblick  die  Siegespalme 
dem  berühmten  Autor  von  «Ab^re  Dame  de  Ports*  entrissen  habe^ 
Dennoch  ist  es  unzweifelhaft,  dass  vnr  mit  der  grossen  Sorgfalt  selbst 
den  Sdtein  fem  halten  müssen,  als  Uessen  loir  uns  in  der  AusSbung 
unserer  wesenÜiehsten  Tßiehten  von  anderen  MoHveUy  als  von  den 
Inferesaen  der  Akademie  und  der  Wisficrnrhuß  leiten.  Dann  wenlt^n 
wir  aber  aueh  dass  Kccht  haben,  von  den  Lhdiiietschen  der  ausserhalb 
der  Akademie  stehenden  üfl'entlichen  Meinung  /.n  erwarten,  dass  sie  bei 
vollem  Gebranch  der  freien  Kritik  das  Institut  schonen,  an  desawi 


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f 


FESILKDE  JAORKSälTZl  NO  DER  AKADEUlE.  59^ 

.Scilwelle  die  poIiti-^<!ie  Leidenschaft,  die  kpnt'essiouelle  Befangenheit 
und  die  individuelle  Antipathie  verstummeir  mü^^ten.  / 

Wir  für  unseren  Theil  beanspruchen  nioht  den  Titel  „Unfiterb- 
liehe**,  doch  reklamiren  wir  die  Pietttt,  welche  der  Zauber  der  Unaterb* 
lichkeit  seihet  AUtagaseelen  abringt,  für  unser  unsterbliches  Institut  und 
(tlr  jene  nnsterblichen  grossen  nationalen  Interessen,  Aber  welche  un« 
i^ere  Akademie  zu  wachen  berufen  ist,  über  welche  sie  treu  wachen 
wird  füi*  und  für  I" 

Hierauf  folgte  die  Denkrede  August  Tbüfort*8  auf  Horiz  LukAos, 
welche  wir  an  der  Spitze  dieses  Heftes  der  ^Ungarischen  Berue'  Voll- 
ständig mittheilen. 

Zuui  ^>eiiluss>e  betrat  Graf  BUla  Szk( üknyi  die  Redner-Tribune, 
um  über  die  von  ihm  geleitete  ost  asiatische  Expedition  und  über 
deren  wissensehaftliche  Resultate  Bericht  au  erstatten. 

Der  Vortragende  schilderte  vor  Allem  die  Vorbereitungen,  die  er 
für  seine  Expedition  traf.  Die  Idee,  eine  grössere  wissenschaftliche 

Reise  zu  nnternohmen,  hatte  er  im  Jahre  1874  gefasst.  Nachdem  er 
seine  Verliältnisse  geoidnet  und  nachdem  er  si(  h  selbst  drei  Jalire  hiii- 
durcli  durch  dsm  Studium  der  einschliigigen  Literatur  auf  das  Untcr- 
nebmen  vorbereitet  —  die  körperliche  Eignung  iiaite  er  sich  s«  hou 
vorher  durch  Reisen  in  Amerika  und  Afrika  und  durch  Befolgung  des 
Wahlspruchs  seines  Vaters  :  ,»Der  beste  Fussglager  ist  der  nnabhftn- 
gigste  Mersch"  erworben  — ,  sah  er  sich  nach  Beis^eflUirten  um.  Br 
fand  dieselben  in  Gabriel  Sdlinif  der  die  Reise  in  sprachwissentlicher 
Beaehnng,  in  Oberlieutenant  Kretthner,  der  sie  in  geographischer  und 
in  Ludwig  Loczy^  der  sie  in  geologischer  Beziehung  verwerthen  sollte. 
Y^v  selbst  hatte  sich  den  ethnographischen  und  als  leidenschaftlicher 
Jäger  den  zoologischen  Theil  der  Arbeit,  wie  die  Leitung  des  Ganzen 
vorbehalten,  wie  er  denn  auch  üUmmtliche  Kosten  aus  Eigenem  bestritt. 
Nach  Asien  aog  e»  ihn  aV>er  als  nach  der  Wiege  der  Menschheit,  nach 
dem  Ansgangapnnkt  aller  Zivilisation,  ▼omehmlirh  aber  als  nach  dem 
Ursprung  seiner  geliebten  Nation. 

Nachdem  er  Ton  dem  damaligen  Minister  des  Aenssertt  Grafen 

Julius  Amhdssy  ein  Kmpfehlungsschreiben  an  unsere  Vertreter  in 
Ostusien  un»l  von  dem  ungarischen  Minister-Präsident. -n  Kolomun  7isc(t 
eine  Legitimation  in  ungarisclier  und  frauzüsisehei-  Sprache  erhalten, 


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598 


nmicHB  fäiansame  dib  akü 


machte  er  sich  mit  seiner  Reisegesellschaft  auf  den  Weg.  Bälint,  der 
erkrankte,  musste  bald  zurückkehren  und  so  mu.^ste  der  Ch«f  der  Ex- 
pedition auch  den  sprachwisaeiuGliaftlicheii  Theii  der  Arbeit  über- 
nehmen. 

In  Pekktg  that  er,  nachdem  die  letate  Anarfietmig  ToUendet  war, 
Sehritte,  um  JUbre  ptusage*  dnreh  ehiaeeisehes  und  tibeiaaisobee  Ge- 
biet zu  erhalten.  Es  gelang  ihm  das  leicht»  da  er  weder  Bnne  noch 
Englmder,  weder  Kaufmann  noch  Missionftr  war  nnd  er  durfte  endKeh 

dem  Mininterrath,  der  aus  9  Ministern.  sJI  mint  liehen  Staatssekretären 
und  dem  Vorsitzenden  Prinzen  Chuu  bestand,  seine  Bitte  vortragen. 
Der  Sekretttr  der  deutschen  Botschatt,  Herr  Achen,  hatte  die  Freund- 
lichkeit, seine  Bitte  zn  verdolmetschen.  Da  er  Ton  dem  Respekt,  den 
die  Chinesen  Tor  allem  Schriftlichen  haben,  hOrte,  setste  er  eich  anch 
ein  schriftliches  deutsches  Gesuch  auf,  welehes  Achen  ins  Chinesiacbe 
ttbersetxte  und  das  er  nun  dem  Ifinisterrathe  ftberreichte.  In  dem  Ge> 
RUche  sa^te  er  unter  Anderni,  dass  er,  Reines  Stammes  ein  Ungar,  aus- 
gezogen sei,  um  die  Stätten  zu  linden,  von  denen  seine  Ahnen  ein«t 
ausgezogen,  um  an  der  Wiege  seiner  Väter  für  ilas  Wold  seines  \'ater- 
landes  zu  beten.  Das  Gesuch  ging  unter  Grabesstille  von  Hand  zu  Hand, 
endlich  heiterten  sich  die  finsteren  Mienen  auf,  die  Minister  licoaen  sidi 
mit  ihm  in  ein  Gesprfich  ein  nnd  endlich  wollten  sie  gar  httren,  wie  das 
Ungarische  klinge,  weshalb  er  auch  einen  Tbeil  des  ^Sfößoi*  und  des 
tF/Üi  ä(d*  vortrug,  was  >ihnen  nicht  wenig  zu  gefidlen  schien.  Allein 
der  Kriegsminister  hatte  no<>h  immer  Bedenken.  Er  fragte  den  Grafen, 
ub  er  vielleicht  Kalten  von  dem  zu  durchstreifenden  Gebiete  anfertigen 
wollte.  Graf  Szechenyi  antwortete,  er  werde  das  thun  und  wenle  sich 
auch  erlauben,  der  i  hinesischen  Regierung  Exemplare  einzusenden,  wie 
er  auch  das  Kabinet  von  dem  Fortgange  seiner  Heise  unterrichten  wolle. 

So  erhielt  er  denn  endlich  die  ersehnte  passage  Ühref  die  ihm 
freilich  in  Tibet  nicht  viel  nlICcte,  weil  die  Lhunas  das  Volk  gegen  ihn 
aufhettten,  so  dass  er  endlich  vom  Blauen  See  aus  die  Heimreise  antre- 
ten musste.  Dennoch  hatte  er  die  Genugthuung,  weiter  vorgedmng»*n 
zn  sein,  als  vor  ihm  je  ein  Europäer  gekommen  war,  weshalb  denn  aurh 
die  durch  die  Kxpedition  verfertigten  Karten  die  ganze  Gegend  in  einer 
anderen  Gestalt  erscheinen  lassen,  als  dies  bisher  der  Fall  gewesen. 

Nach  einer  eingehenden  Schilderung  des  Verhältnisses,  das  zwi- 
schen Tibet  und  China  besteht»  der  Bolle,  welche  der  Dalai-IiMna  in 


"nbei  spielt,  und  der  geringen  Aussichten,  welche  für  europlische  Bei- 
sende  in  jenen  Gebieten  vorlianden  sind,  skizzirte  der  Vortragende  kurz 
die  wissenschaftlichen  Resultate  der  Expedition  und  schloas  mit  einem 
Hinweis  auf  sein  im  Entstehen  begriffenes  grosses  Werk,  das  er  an- 
finge in  nngarischart  deutscher  und  englischer  Sprache  zngleiob  erachei- 
mh  laaaea  wollte.  Allein  er  habe  sich  einesAnderen  bescmiien;  er  wolle 
poiiiem  Voierlaiide  die  Piiotittt  wahreii  imd  das  Work  TOr  Allem  in 
ungarischer  Sprache  hemnegeben.  Boich  belohnt  werde  or  doh  für  alle 
Mubsale  und  Opfer  sehen,  welche  ihn  die  Expedition  gehostet,  wenn 
dieselbe  in  ihren  Resultaten  das  Gebftude  der  Wissenschaft  uiul  der 
vaterlAndischen  Ehre,  wenn  auch  nur  um  ein  Staubkömchen,  bereichert 
haben  wird. 

DIE  KROATEN. 

Von  dem  grossen  Sammelwerke  »Die  Völker  Oesterreich-Un- 
garns* liegt  nns  der  die  Kroaten  behandehide  Band  *  in  der  bereits 
wiederholt  rtihmlichst  oharakterisirten  Tonfiglichen  AnssUUnng  dieses 
Unternehmens  vor.  Der  Verfhaser  dieses  Bandes  sShlt  nicht  zn  den  gif- 
tigen, enragirten  Kroaten,  und  darum  wollen  wir  seine  Irrthttmer  mit 
grösserer  Schonung  besprechen.  Kr  srh reibt  am  Schluss  seines  Werkes 
(Seite  152)  :  „Gemeinsame  staatliehe  Interes.sen  haben  im  Laufe  der 
Zeitm  zwischen  den  Kroaten  und  den  von  ihnen  ätammverschiedenen 
Magyaren  ein  frenndschafUiches  VerhiUtniss  geschaffen,  weh  hes  indes. 
SMi  aeit  dem  Erwachen  der  NationalitStaidee  am  Ende  des  Yorigen  Jahr- 
hunderte Tielfhch  getrübt  worden  ist  Unser  Vertranen  anf  den  stetigen 
Fortschritt  der  Menschheit  nährt  anch  hier  in  nns  die  Hofftenng,  dass 
schliesslich  der  Ausgleich  im  Interesse  beider  Theile  doch  zn  Stande 
konmien  werde.** 

Wir  setzen  diese  Zeilen,  denen  ähnliche  wir  im  ganzen  Werke 
nicht  wiederfinden,  an  die  Spitze  unserer  Anzeige,  nm  Herrn  Stare,  in- 
dem wir  seine  Irrthfimer  nachweisen,  bei  nnsem  Lesern  die  5o»a  fides 
in  retten. 

Der  eigentlich  historische  Inhalt  seines  Bnches  ist  sehr  gering ; 

*  Die  Kioaten  im  Königreich  Kroatien  und  Shironien.  Von  Joaei^ 
Stark,  Wien  mid  TescfiOn,  1882. 


6€0 


DIE  noATBir. 


der  grössere  Theil  desselben  beschäftigt  sich  mit  der  Ethnographie  de» 

KroatenlilniUhens.  dem  Cliarnktor  des  Volkes,  seinen  GebrlneheB, 
Klassen,  seinem  gesellschaftlichen  Leben,  seinen  volkswirthschaftlichen 
Faetoren  u.  s.  w.  Hier  ist  der  Verfasser,  wiewohl  er  wenig  Neues  snirl. 
in  der  Darstellung  klar  und  nüchtern.  Er  sagt  in  der  Charakteristik 
des  Volkes  und  der  Sehilderung  seiner  Sitten  viel  Tnteressant<>s,  die 
Sympathie  für  sein  Volk  fährt  ihm  die  Feder,  und  vrir  achten  dies.  Das 
Volk  bt  überall  interessant  nnd  sympathisch,  wo  es  nna  in  seiner  Un- 
mdorbenheit  entgegentritt. 

Wvt  entnehmen  der  Volkscharakteristik  Star6*s  twei  Punkte,  nrn 
sie  weiteren  Kreisen  zur  Kenntniss  zu  bringen.  "Wir  meinen  die  HaUHt- 
gemeinschaft  und  den  ürv;prung  der  Schupaneien. 

Wie  bei  allen  Slaven  —  sagt  Stare  —  haben  sic  h  auc  h  bei  den 
Kroaten  die  staatlichen  Verhältnisse  auf  der  Grundlage  der  Familie 
aufgebaut,  welche  sieb  nicht  blos  auf  Vater.  Mutter  und  Kinder  be- 
schränkt, sondern  sttmmtliche  von  einem  Vater  stammende  mrinnlicbe 
Nachkommen  nebst  ihren  Frauen  nnd  ändern  um&sste,  bis  die  über- 
massige  Vermehrung  einer  solchen  Familie  eine  theilweise  Trennung 
nothwendig  erscheinen  Uess.  Der  gemeinschaftliche  Haushalt  solcher 
aus  demselben  Blut  entsprossener  Familie  wird  Hausgemeinschaft  oder 
Zadruga  genannt.  Säuiiutliche  Glieder  der  Zadruga  haben  gleiche« 
Recht;  sie  wählen  unter  sich  das  Familienoberhaupt,  wehlies  den  Be- 
sitz der  Gemeinschaft  verwaltet,  Zwistigkeiten  schlichtet  uiul  lur  die 
Vertheilung  der  Arbeit  Sorge  trügt.  In  der  heidnischen  Zeit  war  dieses 
Haupt  des  Haushalts  auch  der  Priester  der  Familie,  leitete  den  Gottes- 
dienst und  brachte  im  Namen  seiner  Sippe  die  ndthigen  Opfer.  Der 
Name  des  ersten  Familienhaupts  wurde  der  Zuname  sämmtlicher  Olie* 
der  der  Zadruga  und  der  Name  der  Zadruga  selbsi  Daher  kommt  es. 
dass  die  ältesten  Kroatischen  Dörfer,  welche  ursprünglich  nichts  ande* 
res  als  je  eine  grössere  Hausgemeinschaft  gewesen,  noch  heute  Fami- 
licnnamcu  tnii^cii.  Hiess  z.  H.  der  Begründer  irgend  einer  Familie  Vinko 
(Vincenz).  so  wurden  seine  Xachkouuuen.  sowie  auch  die  Zadruga.  uii'i 
endlich  die  daraus  erwachsene  Urtschat't  Vinkovci  geuauut.  So  ist  eine 
Ortschaft  namens  Audr^jevci  von  einem  Familienbaupt  namens  Andrija 
(Andreas),  ein  Vidovci  Ton  einem  Vid  (Veit),  ein  Petrijetci  von  einem 
Peter  absuleiten.  Erst  wenn  wegen  allzustarker  Vermehrung  einer  Fa- 
milie ein  Theil  derselben  auszuwandern  genöthigt  wurde  und  eine  neue 


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DIE  EROATEH.  001 

Hausgemeinschaft  gründete,  erhielten  die  Ortschaften  topische  Namen, 
indem  die  neue  Niederlassung,  zum  Unterschied  von  der  alten,  den  Na- 
men des  benachbarten  Berges  oder  Flusses,  oder  einer  anderweitigen 
NatitKeigenthamlichkeit  erhielt  Besehlfkigie  sich  irgend  eine  Zadmg» 
mit  einem  besonderen  Wirthechafts-  oder  IndoBtrie-Zweige,  so  konnte 
der  Name  der  nenen  Ortschaft  auch  Ton  diesem  entlehnt  werden. 

Mit  dem  Voranstehenden  steht  in  engem  Zusammenhange  auch 
der  'zweite,  die  Schnpanien  betreffende  Punkt  Die  Hansgemeinsohaften, 
welche  nrspriinglieh  ans  je  einer  Zadmga  entstanden,  bewahrten  aneh 
nach  ihrer  Trennung  das  Bewnsstsein  ihrer  verwssidtschaftBchen  Zn- 

sammengehSrigkeit  und  bildeten  eine  Sippe  oder  Schiqmaschaft  (oond- 

tatu»),  welche  die  Qrundlage  alles  staatlichen  Lebens  war  und  theil- 
weise  auch  in  die  neuere  Zeit  herübergebracht  wurde.  Das  Oberhaupt 
dieser  ersten  Htaiitliclien  Einheit,  der  Schupan,  wurde  immer  aus  der 
ältesten  Zadruga  gewählt  Die  Glieder  der  letzteren  standen  daher  in 
höherem  Ansehen,  als  diejenigen  der  anderen,  und  bildeten  ehie  Art 
Adel,  ohne  dessen  Vorrechte.  Unter  dem  Einflösse  Westeuropas  erwirbt 
der  Adel  alle  Vorrechte  der  Klasse,  erhilt  rom  Kdnig  Landlehen,  ent* 
lieht  sich  nnd  seine  Unterthanen  dem  Verbände  nnd  den  VerbindKch- 
keiien  der  Schnpanei,  bis  seine  Ifiiiglieder  schliessUch  nnter  eigenem 
Banner  im  Lager  des  Königs  oder  im  eigenen  Interesse  kämpfen  (Seite 
29,  30).  Ottokar  Lorenz  (Deutsche  Geschichte  I.  Seite  358)  fasst  das 
staatliche  Verhaltniss  der  Scliupanschaften  etwas  anders  auf,  vielleicht 
weil  er  vornehmlich  Böhmen  und  Mähren  im  Auge  hatte,  aber  auch 
Duuuuler,  %viewohl  er  von  den  Dalmatiner  Kroaten  redet  Die  Darstel- 
lung Starö's  ist  für  die  Begründung  der  Frsge  jedenfUls  beach« 
tenawerth. 

Was  den  historischen  Theü  des  Werkes  betrifft,  so  ist  darin  keine 
Spur  selbststündiger  Forschung  und  Bearbeitung  wahrnehmbar.  Die 
Schicksale  des  Landes,  seine  Stellung  zu  den  aDgememen  Begebenhei* 
ten,  sein  Beehtsrerhftltniss  sind  in  Tersohwommenen  Umrissen  geseich- 
net»  —  auch  das  wenige  Gesagte  ist  im  Dienste  einer  krankhaften  poli- 
tischen Idee  gesagt  Die  tausency  ährige  Qeschichte  Ungarns  wird  su- 
rttekgreited  im  Interesse  der  gegenwärtig  an  der  Save  sich  vordrSn- 
genden  Strebungen  umgemodelt.  Die  Familie  Zrinyi  wird  vom  Verfasser 
Zrinszky  genannt,  wiewohl  die  Welt  den  Helden  von  Sziget  nur  untei 


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^  Ml  KROATM. 

d^in  Namen  Zrinyi  kennt  —  wovon  abznweiehen  nnndthig  war,  wMi- 
gleidi  sich  das  eine  oder  andere  Olied  der  Familie  aneh  Zriasskj  ge- 
echrieben  haben  mag.  Der  arme  KOnig  Mathiaa  Gorrinns  mnss  nch  ge* 
fiülen  laaeen,  kroätisc^-imganfldier  KOnig  genannt  an  werden;  dar 
^ungarische  Königsthron  ist  bei  Star6  ein  kroatisch-nngarischer  KSaigs- 
thron  —  eine  Bezeichnung,  worin  ihm  Übrigens  schon  andere  neuere  krö- 
nt isilie  Öchritlsteller  /.uvoigekommen  sind.  Es  ist  bekannt,  tlass  sie  auih 
<lie  uiivrarisehe  Krone  kroatisch-ungarische  Krone  genannt  haben,  biä  es 
ihnen  von.aUerhöchter  Stelle  untersagt  wurde. 

Nie  hat  sieh  em  ungariaeher  KOnig  —  weil  er  es  ja  gar  nicht 

nOthig  hatte  —  snm  kroatischen  KOnig  krönen  lassen,  mit  der  einzigen 

Ausnahme  des  Königs  Koloman,  der  die  Grenzen  seines  Reichs  bis  aa 
die  Adria  ausdehnte.  Stare  schreibt  nun,  die  Kroaten  hätten  Koloman 
auf  den  kroatischen  Thron  berufen,  jedotli  nur  mit  dein  Bedinire.  das« 
er  die  Selbstständigkeit  Kroatiens  auch  fenierhin  anerkennen  werde. 
Es  üind  die  alten  Ammenmärchen,  die  Stare  nicht  erfunden  hat,  sondern 
bloB  gläubig  und  gedankenlos  einem  Kvatemik  und  aadaren  Hislori* 
.kern  (9)  Ton  Ähnlicher  Gewissenhaftigkeit  nachbetet.  Eine  kleine  Ttet- 
.erweiterung,  Hinweglassung  eines  unbequemen  Ausdrucks^  Einschmng* 
gelung  einer  ftlsohen  Urkunde,  wie  sie  aus  den  berilchtigten  dahaa- 
.tmischen  KlQstam  allneit  an  haben  waren  —  und  das  sogenaante 
kroatische  Staatsrecht,  von  welchem  übrigens  die  Geschichte  kein  Ster- 
l>en.swörtchen  weiss,  war  fix  und  fertig.  Wer  sich  von  derartiger  Arh^^it 
einen  Begriff  bilden  will,  lese  das  L.  Leottzon  de  Duc-sche  Buch :  Im 
Croatie  et  la  conföderation  italienne» 

Wenn  inan  die  heutigen  Kroaten  reden  hürt,  mnss  man  ghubea« 
ihre  VoHhhren  hfttten  den  UngarkOnig  Koloman  aus  purer  Geffelligkeit 
als  ihren  Herren  anerkannt.  Wie  weit  entfernt  Koloman  war,  an  einen 
Vertrag  mit  Kroatien  zu  denken,  beweist  der  Umstand,  dass  er  mit  ^e\- 
nem  Heere  wiederholt  nach  Kroatien  ging,  um  die  unter  seiner  Kegi«^ 
rung  ausgebrochenen  Empörungen  mit  Wafiengewalt  zu  unterdrücken. 
Oder  sollten  die  Kroaten  ihren  eigenen  Vertrag  gebrochen  haben  ? 

-  Wir  widerholen'  es»  dass  sich  nach  Kolomann  Niemand  mehr  tma 
.Kdnig  von  Kroatien  krönen  Hess.  Demungeacht^t  spricht  St^re  an  meb- 
.reren  Stellen  (Seite  U,  38,  70)  von  Personalunion.  Nach  ihm  hestju- 
den  zwischen  Ungarn  und  Kroatien  auch  allezeit  gemeinsame  Angelegen* 


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I 

« 

* 

jMi  noimr.  808 

heitoi  and  waren  die  dieebetilgllohdn  ungarisol^ 

flrrt  dann  gOttig^  wenn  sie  «och  der  kroetisohe  Landtag  «mAlin»  (|) 

Aodi  Ton  Kroatiens  Lage,  Bestand  und  Aoadehnung  hat  Star^ 
irrige  Begriffe.  Er  ztthlt  dahin  nicht  blos  die  Stadt  Kreuz,  wo  nach  ihm 
Kolomann  die  „Union"  mit  den  Kroaten  geschlossen  haben  soll,  son- 
dern auch  Sissek,  welches  die  Kroaten  doch  nie  besessen  haben.  Dass 
Hie  vor  der  Einwanderung  der  Ungarn  hier  ein  Bisthum  gehabt  haben, 
ist  Uoe  ans  einem  Schriftstück  von  verdSohtiger  Glaubwürdigkeit  he- 
ransgeleeen  wotden.  Constantinna  Porpbyrogenitus,  der  die  Lage  des 
damaligen  Eroatiena  jedeniUla  besser  kannte,  sagt :  uDie  Kroaten  alMr 
grenaen  gegen  das  Gelnrge  an  an  die  Ungarn.**  Also  nicht  die  Draye, 
nicht  die  Save,  ja  anch  nieht  einmal  die  Enlpa  trennte  die  Ungarn  ron 
den  Kroaten,  sondern  erst  das  Velebit-Gtebirge,  denn  dieses  ist  unter 
dem  vom  Kaiser  Constantin  erwähnten  Gebirge  zu  verstehen.  Damit 
stimmt  vollständig,  was  Constantinus  Porphyrogenitus  im  weiteren  Ver- 
lauf seines  Werkes  von  dem  Bestände  des  alten  Kroatiens  sagt.  Nach 
ihm  zerfiel  dieses  Land  in  eilf  Schupanschatlen,  die  er  auch  namentlich 
an&fthlt  Aber  welche  von  diesen  liegt  im  Bereiche  der  Drare  und 
Sa?e?  Nicht  eine  ^naige.  Alle  liegen  jenseits  der  Knlpa  und  des  Tele- 
bitgebirges. 

Daa  awischen  der  DravOi  Save  nnd  Eo^  liegende  Gebiet  geh5rte 
nie  znm  Bestände  Kroatiens.  Dies  ist  schon  oft  genug  und  zwar  ganz 

nnumstdssHcb  bewiesen  worden.  Die  Voreingenommenheit  der  Kroaten 
indessen  achtet  die  Thatsachen,  die  tausendj {ihrigen  Urkunden  und  Ge- 
setze gleich  nichts.  Ihre  fixen  Ideen  itüuen  oft  zu  komischen  Quidpro- 
qnos.  Ivan  Knkuljevic  j)ublizirt  Seite  40.  des  IL  Bandes  des  von  ihm 
heranagegebenen  Codex  diplomaticos  Begni  Croatiae,  Slavoniae^  Dal- 
matiae  einen  Brief  des  IVansosenkOniga  Lodw^f  VIL  an  den  von  ihm 
wlhrend  semer  Abwesenheit  mit  djsr  Begiening  des  Landes  betraaten 
Abt  Ton  8t  Denis,  worin  der  König  diesem  seine  Ankunft  an  den  Gren- 
?en  Ungarns  mit  den  Worten  anzeigt  :  „De  portis  Hungariae  soribimns 
vobis."  Kukuljevics  verstand  die  Worte  „de  portis  Hungariae",  als  ob 
sie  „de  portubus  Hungsriae"  lauteten,  von  „ungarischen  Häfen",  worü- 
ber sein  kroatisdier  Patriotismus  in  Auft^ihr  gerieth.  Er  fand  es  uütliig, 
den  Text  zu  „berichtigen",  und  damit  Niemand  glaube,  dass  der  Fran- 
zosenkönig die  dalmatische  Küste  ungarische  Küste  genannt  haben 
könnte,  erklärte  er  die  Worte  „u  Inke  ngarske**  in  der  kroatischen 

89* 

t 

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604 


MI  ntOATIV. 


Überschrift  der  Urkande  als  „daliiiatisch-kroatuiche  Külte*  und 

gelte  in  den  Text  hinter  das  Wort  HongariM  swiachen  Klammm  dai 

Wort  Dalmatiae  ein. 

Kukuljevics  wusste  also  nicht,  dass  Ludwig  VII.  im  Jahr  Ii 47 
von  Begensburg  angefangen  längs  der  Donau  gegen  Wien  zog  und  bei 
Üngarisch-Altenbiirg  den  Boden  unseres  Vaterlandes  betrat,  den  er  bei 
Belgrad  wieder  Terliess,  nm  Uber  Nissa»  Sophia,  Riilippopel  und  Adrii-  ^ 
nopel  zu.  Lande  Konatantinopel  zu  erreichen.  Er  wnsste  nicht,  daee  dif 
„porta  Hnngariae"  gegen  Weeten  an  am  rechten  Donannfer  utteilialb  I 
Haimburg  liegt,  ebenso  wie  der  Vereezkeer  Engpass,  welcher  yon  Rn» 
land  her  nach  Ungarn  hereinfuhrt,  das  „Thor  Ungarns^  genannt  wor-  1 
den  ist.  j 

Der  kroatische  Antor  würde  in  diesen  Irrthnm  vielleicht  nicht 
▼erfidlen  sein,  wenn  er  die  Geschichte  der  Kreuzzflge  des  Erzbischofr 
von  TyniBt  Wilhelm,  gelesen  hfttte.  Der  Kansler^schen  Verdentachnag 
dieses  Werkes  ist  sogar  eine  Karte  beigegeben,  welche  die  Marschliaie  ; 
des  Krensheeres  anfWeisi 

Die  Geschichte  steht  jenseite  der  Drare  im  Dienste  der  kroati- 
schen Aspirationen.  Es  wird  von  Personalunion  und  Parität,  von  dorti- 
gern  Mtinzrecht,  von  der  Banal-Gewalt  und  vom  dortigen  gestt/gtlMra- 
den  Körper  gesprochen.  Starö  sieht  darin  das  Souveränitfttsrecht  Kroa- 
tiens, dass  dieses  angeblich  eigenes  Geld  prUgen  liess.  Anf  Joseph 
Wesserle*s  nnmismatischen  Tafeln  (Orappe  £.  Talel  L)  liegen  nns  ftbsr 
dreissig  MtnsabbUdmigen  vor,  darunter  nnr  drei  (Nr.  83 — S5)  saf 
SlsTonien  besflgliche.  Um  Anfechrift  hmtet :  Monela  Dvcis  pro  Slafo- 
nia  oder  :  Moneta  Regis  pro  SlaTonia.  Soviel  ist  fketom.  Aber  Ifisst  sidi 
daraus  die  Souveränität  Slavoniens  oder,  wenn  es  ]>eliel<t.  KroatieM 
folgern  ?  In  diesem  Falle  würde  auch  Steiermark,  während  es  unter  un- 
garischer Oberhoheit  stand,  seine  Sonveräniti&t  bewahrt  haben,  weil 
B^la  rv.  und  Stephan  V.  als  Hersoge  oder  Kapitäne  von  Steiermark 
Milnsen  mit  dem  Geprige  „Moneta  Stiriae*^  in  Unüanf  setsten.  (fij  m. 
mnzenm  1858.  IL  p.  208.  t)  Ja,  da  auch  Ofen  ond  Kronstadt  Geld 
prigten  und  das  Recht  datn  bedingterwdse  aach  Kaschan  erlhtüt 
wurde  —  da  femer  1480  IVessbnrg  von  KGnig  Siegmnnd  das  Beeht 
Gold-  und  Silbermüuzen  /u  prägen  erhielt,  Nagy-Bänya  aWr  1468  (fie* 
ses  Ue(  ht  erwarb,  müsste  gesagt  werden,  dass  die:*  souveräne  StäJte 
gewesen  seien.  Matthäus  Csäk  liess  (ield  prägen,  nun  ja,  das  war  jedocJi 


DIB  ROATHl.  605 

ein  Rebell.  Oiskra  that  das  Gleiche,  weshalb  Ladislaus  V.  an  den  Ka- 
tjchauer  Rath  den  Erlass  richtete,  diuss  Giskra  ohne  des  Königs  CJeneh- 
mignng  kein  Geld  prfigen  dürfe.  Dies  hat  aber  den  Sinn,  dass  er  mit 
kOmiglicher  Einwilligaog  allerdings  würde  Geld  prttgen  haben  dürfen, 
obie  da88  Ar  ihn  hierauB  ein  lügeetttftsreoht  «rwabbsen  wtoe.  Kaiser 
Friecbieh  gab  1459,  als  er  snm  nngarisehen  König  gehrönt  worde,  den 
Grafen  Johann  nnd  Siegmnnd  von  Böhmen  nnd  St  Georgen,  Ladwig  IL 
1524  dem  Bischof  von  Bosnien,  Michael  Keserü,  nnd  dem  kön.  Küm- 
merer Johann  Szcrecsen  das;  Münzprilgerccht.  Ich  weiss,  dass  diesfalls 
«las  in  Rede  stehende  Recht  tiir  ein  oder  mehrere  Jahre  in  Patht  gege- 
ben wurde,  so  wie  bei  xukB,  in  Frankreich  und  anderwilrts  zu  gewissen 
Zeiten  die  Steuereinnahmen  in  Paeht  g^hen  worden ;  deshalb  haben 
jedoch  unsere  Kömgs  ihre  Miyestttsrechie  nicht  YerpfuMiL  Die  Kroa- 
ten mögen  uns  slayonieches  Geld  ans  der  Zeit  nach  der  Sehaffnng  des 
7.  Artikels  der  ersten  Verordnung  Königs  ICathias  I.  vorseigen,  und 
wir  werden  geneigt  sein  mit  ihnen  bezüglich  der  Sonyerttnitftt  Slavo- 
mens  zu  unterbandeln. 

Das  Irrlicht  der  Selbstständigkeit  Kroatiens  foppt  Stare  unauf- 
hörlich und  führt  ihn  in  bodenlose  Brüche,  aus  denen  kein  Entrinnen. 
Wer  wftre  am  Stande  die  kroatischen  Autoren  aus  denselben  herauszn* 
rtiuen?  Oder  wer  wttrde  daxu  I«ist  yersplbren,  da  wir  wissen,  dass  sie 
gtf  nich  willens  sind,  sich  aus  den  PALisen  bemustiehen  in  lassen?  Bei 
8tar6  spukt  such  die  Frage  der  Königswabl,  welche  er  ganz  und  gar 
mcht  versteht.  Er  sagt  nämlich  (Seite  16),  dass  die  Kroaten  nach  der 
unglücklichen  Mohäcser  Schlacht,  kraft  ihres  staatsrechtlichen  Verhillt- 
nisses  zu  Ungarn  das  Recht  gehabt  hätten,  unabhängig  von  diesem 
einen  neuen  König  zu  wählen.  Aber  wo  steht  dies  geschrieben,  dass  die 
Kroaten  je  berechtigt  gewesen  wttren,  von  Ungarn  unabhän^^  sieb 
«iaen  König  su  wlUen?  Nach  dem  Aussterben  des  Arpidenhauses  ftbte 
die  Kation  mebreremale  ihr  'Königswahlrecht  aus.  Auf  Grund  solcher 
Wahl  nalini,  von  Wenzel  und  Otto  abgesehen,  Karl  Robert  den  Königs- 
thron ein,  auf  solche  Weise  erhielten  Siegnmnd.  Albert,  Uladislaus  I., 
Mathias  Uunyadi  und  Uladislaus  II.  die  Krone.  Wo  ist  in  allen  diesen 
FiUen  eine  Spur  davon,  dass  Kroatien  apart  um  seine  Meinung  gefragt 
worden  sei?  Und  was  beweisen  die  Wahlen  nach  der  Mohäcser  Schlacht  ? 
Wir  sehen,  dass,  wie  in  Ungarn,  so  auch  in  den  kroatischen  Landes- 
fluikn,  die  mne  Ftotei  ni  Zäpolyai,  die  andsre  su  Ferdinand  I  bidi 


•or 


DU  aoATiir« 


Die  Dombröer  Versammhing  erkannt«  am  18.  Dezember  1526 
Zäpolyai,  die  Cettiner  am  1.  Jänner  1527  Ferdinan«!  als  König  an.  Je- 
der der  beiden  Thronprfttendenten  wird  im  <lemjenigen  Theile  des  Lan- 
des gewählt,  in  welchem  seine  Partei  die  stärkere  war.  Aber  die  Mü> 
glieder  der  Cettiner  Congregation  itihlten  es  selbst,  dass  ihr  legitimer 
König  nur  der  nngarisehe  Kdnig  sein  kOnne,  nnd  forderten  deshalb 
Ferdinand  sor  Abhalttuig  eines  nngarischen  Wahlreiohstags  an^  nf 
welehem  de  räch  erscheinen  und  nach  dessen  Schlnss  sie  sich  andi 
selbst  erklären  werden.  Dieser  Beichstag  wurde  1526  am  16.  Desember 
zu  Pressbiirg  gehalten  und  die  Cettiner  Versammlung  vom  1.  Jioner 
folgenden  Jahres  beruft  sich  in  der  That  auf  diese  Wahl  in  folgender 
Weise  :  „Nachdem  wir  mit  Fleiss  jene  Rechte  erwogen  haben,  mit  \vp1(  hon 
nnser  genannter  erhabener  König  sammt  seiner  Gemahlin, unserer  ei-wähn- 
ten  erhabenen  Königin,  behufs  erbrechtmässiger  Erlangung  des  ungah* 
sehen  heiligen  Reiches  vollstftndig  und  hinreichend  bekleidet  und  ans- 
f^estafet^  ist»  indem  wir  sie  grOnelich  betrachteten,  lasen  und  wieder- 
Issen  :  haben  wir  endlich,  dm  un^JätiäticheH  Verotdnmigm  und 
Btmklümm  gemäss^  in  der  Generahrersammlnng  der  Stande  diesss 
Beiehes,  am  16.  Tage  des  letstverfloasenen  Monats  Desember  in  der 
Stadt  Pressbnrg  mittelst  ordnungs-  und  gesetzmfissig  geschehener,  ans- 
gesehriebenor   WaJü^  aber   ebenmässig  ins  Auge  fassend  jene  vielen 
Gnaden  u.  s.  w.  .  .  .  ihn  zum  Könige  dieses  ganzen  edlen  Kroatenlamle^ 
erwählt.'^  Sie  haben  ihn  aber,  wie  die  Urkunde  der  Stftnde  besagt 
^Vormittag  gewählt,  als  sie  noch  nüchtern  waren.^ 

Die  Cettiner  Versammlung  beruft  sich  hier  auf  kein  kroatisches 
Staatsrecht,  sondern  auf  ungarisdie  Verordnungen  und  Bestimmungen; 
und  weder  die  DombrÖer,  noch  die  Cettiner  Versammlung  wtiüt  eben 
besonderen  König,  sondern  denselben,  der  in  Ungarn  bereits  gewifalt 
worden  ist.  Weder  ZÄpoIyai,  noch  Ferdinand  fällt  es  im  Traume  ein. 
sich  in  Kroatien  krönen  zu  Ifissen,  und  selbst  Ferdinand  betrieb  seine 
Anerkennung  in  Kroatien  nur  auf  Grund  des  ihm  in  Ungarn  zustehen- 
den Rechtes. 

Übrigras  war  eine  separate  und  von  der  ungarischen  abweichen* 
dra  Wahl  gar  nicht  gestattet,  da  unsere  Gesetae  den  Bestand  Ungams 
und  seiner  Appertinrazen  schon  damals  als  untrennbares  Ganses  he* 
trachteten. 

.  Bs  ftUt  üicht  an  Analogien  äu^  n^nnrar  Z^t, 


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Dn.  noATBir. 


607 


Wir  wissen  aas  der  Oesdiichte  der  anf  deterreichisofaer  Seite  so- 
geDsmiteii  pragmatischen  Sanction,  dass  die  Annahme  derselben  ein 

Jahrzehnt  früher  vorbereitet  wurde.  Die  Kroaten  ci  kliirfcen  durch  eine 
nach  Wien  entsandte  Deputation  ihre  Bereitwilligkeit  zur  Anerkennung 
des  Erbrechts  der  weiblichen  Linie  (1712),  ebenso  aeceptirte  Sieben- 
bürgen (1722)  dieses  Prinzip,  die  Erbländer  aber  hatten  bereits  früher 
ihre  EiawiUigniig  rar  neuen  Erbfolgeordniing  gegeben.  Dies  war  die 
politiaehe  Taktik  des  Wiener  Hofes.  AUes  dies  machte  es  jedoch  nicht 
fiberflüBsig,  daas,  als  Ungarn  anf  dem  1728-er  Beichstage  die.Thron- 
ftMgkeit  der  weiblichen  Linie  des  Hanses  Habsburg  aussprach,  das 
hierüber  geschattene  Gesetz,  welches  keine  pragmatische  Sanktion  ist, 
gleichzeitig  auch  für  die  annexen  Theile  Unganis  geschaffen  wurde.  Es 
geschieht  auf  die  zu  anderer  Zeit  erfolgte  Einwilligung  Kroatiens  keine 
Bemliuig;  eine  solche  war  nnnttthig,  da  der  ungarische  Reichstag  auch 
die  aoiMsen  Theile  obligirto ;  nnd  daraus,  dass  die  Kroaten  im  Jahre- 
1712  in  Wien  beiilglich  der  Erbreehtaaerkeminng  der  wdblichen  Lte-, 
■ie  eine  mfiusungswidrige  ZuTorkommenheit  bethfttigten,  folgt  eben- 
sowenig, dass  Kroatien  nnabhiingig  von  XThgarn  ttber  die  Erbfolge  ver- 
tügen  konnte,  als  die  Souverftnetät  Böhmens,  Österreichs,  Steiennarks, 
Tirols  u.  s.  w.  daraus  folgt,  dass  die  Dynastie  es  in  den  Jahren  1720 
nnd  1721  Dir  gut  befiind,  die  Anerkennung. der  pragmatischen  Sanl(iion 
auch  bei  ihnen  eiBselweise  zu  betreiben. 

Die  obenerwähnte  Einwilligung  der  Kroaten  übte  so  sehr  keinen 
Einfluss  auf  die  ungarischen  Stande  aus,  dass  dieselben  gerade  auf  dem 
1712-er  Reichstag  zu  Pressburg  ein  Gesetz  schufen,  welches  die  weib- 
liehe Erbfolge  in  Ungarn  ansschliesst,  und  dieses  Gesetz  war  natürlich 
auch  für  Kroatien  bindend.  Die  Kroaten  wagten  es  gar  nicht  dessen 
Erwihnung  ra  thun,  dass  sie  die  Angelegenheit  in  Wien  ra  der  ihrigen' 
gemacht  hfltten,  der  KOnig  aber  sanktionirte  das  die  weibliche  Linie 
ausschliessende  Gesetz,  und  erkannte  damit  an,  dass  die  Kroaten  als 
Ki  oaten  über  den  ungarischen  Thron  nicht  verfügen,  ja  ohne  den  un- 
garischen Keichstag  auch  nicht  einmal  über  sich  selbst 

Ans  den  Gesetzartikeln  von  1687  nnd  1723  (A.  2.  §.  11.)  f(dgt 
zwar,  dass.  wenn  sämmtliche  Nachkommen  Leopold  I.  ausstürben,  in  den 
Österreichischen  Erblanden  auch  die  übrigen  Nachkommen  weiblicher 
I^liie  des  l$ai|ses  Habsbi^rg  regieren  wi&rden,  während  Uapari}  seii^  Kd« 


.  j —  i.  y  Google 


nigswahlredit  wieder  erhiettoi  dae  aber  Itest  sich  ans  keiBerlei  Oeeeti 
heraosdeuteln,  daes  Kroatien  andere  Wege  wandebi  dttrfle  als  üngara. 

Wir  würden  in<leH8en  den  K^^hlnen  einer  Kritik  weit  übersthrci- 
t-en,  wenn  wir  auf  Alles  antworten  wollten,  wozu  dienes  Buch  auffor- 
dert. Wir  übergehen  also  was  8tare  über  den  gesetzgebenden  Körper 
Kroatiens,  über  die  Macht  des  Bans,  und  über  ähnliche  Auxesen  sagt, 
xm  aek  selbsi  und  die  Welt  (wofern  diese  nSmlich  sein  Buch  liesi) 
an  die  nahasii  taiuea^j'^hiifi^  Belbsettndigkeit  EroaldmiB  glanben  sa 
machen. 

Wir  wollen  nnr  noeb  ZQ  jenen  Ansspmcbe  Star^^s  eine  Bener* 
knng  machen,  nach  welchem  die  Kroaten  ihre  Provin/jal-Autonomie 
dadurch  wiedererwor))en  hiitfon,  da.ss  sie  im  Jahre  1818  zu  Österreit  h 
hielten.  Eine  sonderbaie  Behauptung,  da  Ötare  weiter  unten  auch  selbst 
angiebt,  daaa  nach  dieser  Epoche  in  Kroatien  die  Zeitungen  aufhörten, 
die  litemtnr  verfiel,  daaa  die  mit  so  ^elen  Verheissiingen  angetretene 
„Matiea''  völlig  bodontmigaloa  war,  die  jeden  Donnerstag  gogebeaen 
Theatervontdlongen  sieht  im  entferntesten  fttiig  waren  Interesse  tfkt  die 
nationale  Ennst  sn  erwecken.  Er  sagt,  dass  anstatt  des  DlTrisnras,  die 
Idee  des  Südslaventhums  auftaucht  sei,  aber  keine  grosse  Begeiste- 
rung erregt  habe;  er  klagt  schliesslich,  dass  Jelasics  dem  Volke 
manigtalüge  Versprechungen  gemacht  habe  und  dass  keine  derselben  in 
]i<ri1Ulung  gegangen  seL 

Dies  Alles  wissen  wir  in  Ungarn  sehr  gut»  —  aber  man  hört  von 
kroatischer  Seite  selten  ein  Einsicht  ▼errathendes  Wort  und  dämm  ha- 
ben wir  diese  Änssemng  der  Erwinnng  werth  gehalten. 

Dessenungeachtet  ist  die  ganze  Tendenz  des  Buches  die  Negaüun 
des  ungarischen  Staatsrechts.  Croatia  farii  da  se.  Dies  ist  das  geheime 
und  meist  unbewusste  Streben.  Aber  die  Geschichte  der  Neuzeit  be- 
weist, dass  die  Kroaten  ans  eigener  Kraft  es  zn  nichts  bringen  konnten, 
nnd  Miskatorics  hat  am  4.  Mai  d.  J.  in  der  Agramer  Generalvetsamm- 
long  richtig  gesagt :  dass  Kroatien  einiig  nnd  allein  in  Folge  des  Sie- 
ges des  nngarischen  historischen  Bedites  über  den  Absolntismns  ans 
dem  Nichts  entstanden  sei ;  dass  es  erst  seit  dieser  Zeit  bei  ihnen  einen 
„Aufschwung"  gebe. 

Auch  dies  hat  die  Geschichte  iiir  die  Nachwelt  au^ezeichnek 

Fribducb  Pesct. 


KUBZE  dlTZUNQSbEKIoHIE..  609 

KÜRZE  SITZUNGSBERICHTE. 

Ungaritohe  Akademie  der  WiMemohaflen.  1.  Sitzung  der  voHa- 

wirtlischat'tlichen  rnid  statistit^c-hen  Commission  vom  23.  Miirz  1882.  Ge- 
genstand «ler  SiUun^'  war  :  I}ic  umjarisvhc  Monlan-lndnstric  imd  die 
Bedithgungen  ihres  Gedeihetis,  vorgetragen  von  Ai>kxandeu  Konkk. 

Nach  einer  kurzen  Einleiinng,  in  welcher  der  Vortragende  danrnf 
hinweist»  dase  in  Staaten»  die  mit  grossen  finanziellen  Schwierigsten 
zn  kimpfen  haben,  die  Reform  des  Staatshanshaltee  nnr  dnreh  paraDel 
gehende  Beformen  anf  dem  Gebiete  der  Volkswirthschait  erreicht  wer- 
den kann  —  wie  dies  in  neuerer  Zeit  das  Beispiel  Italiens  zeigt  — , 
geht  VI  aiil'  die  Schilderung  der  Entwicklung  unseres  üergbauwesens 
vom  Jahre  1867  bis  zum  Jahre  1880  über. 

In  den  mebten  Zweigen  des  Montanwesens  zeigt  sich  in  den 
lotsten  Jahren  Verfall,  namentlich  was  Menge  nnd  Produktion  betrifft. 
Aber  auch  in  der  Zahl  der  BergwerkbesitBer  nnd  Arbeiter  zeigt  sich 
eine  Abnahme.  Es  waren 

Bergwerksbedtier  Arbeiter 
1867-1876   .    .    .    1245    ,    .    .  44,609 

1879  .    .    .    1224    .    .    .  41,803 

1880  .    .    .    1222    .    .    .  41,799 

Die  Zahl  der  P'reischürfe  war  : 

1867—1876    14,856 

1877    21,881 

1880    12,289 

Der  Werth  der  gcsammlen  Montanproduktion  war  : 

1871  12*6  Millionen 

1875    19*7  „ 

1880    18'6  n 

Es  mnss  Alles  dann  gesetzt  werden,  hier  eine  günstige  Ansbente 
das  NaHonalTermOgens  zn  sichern. 

Zn  den  einzelnen  Zweigen  der  Montan-Indostrie  übergehend, 
ist  zuerst  der  Erzmetall -Produktion  zu  gedenken.  Silber  zeigt  entschie- 
den Abnahme,  was  mit  der  Depreziation  dieses  Edelmetalles  zusammen- 
hängt Die  Hebung  dieser  Zweige  hangt  namentlich  vom  Staate  ab,  weil 
ein  ansehnlicher  Theil  unserer  Edelmetall-Bergwerke  sich  in  den  Hftn- 


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0 

610  KOISB  sniDirGSBEUOHTI. 

den  des  ^5taateä  beiindet.  Nun  ^eigi  sieb  gerade  hier  eine  bedeutende 
Abnahme. 

Die.ProdakiioB  an  Edelmetallen  betrag  : 

(told  Sin>er 
1867—1876    .        1534-5  Küogr.         21786-5  Kilogr. 

1880    .    .    1604*0     «  17443*8  „ 

In  der  EigenprodnkÜon  zeigt  sieb  gleichfiüls 
welche  aber  gleicbermaseeii  in  allen  enropoiecben  Lindem  in  den 
letsien  Jahren  eich  geltend  machte.  Es  ist  also  hier  den  Bergwerlibe- 
idtzem  kein  Vorwurf  zu  machen«  da  »ich  bei  denselben  geringeres  Be- 
streben zeigt. 

Die  Produktion  von  Roheiten  betrag : 

1867—1876   l*2MilLMatr. 

1879  /   10    ,  , 

1880    1*8    ,  , 

Die  Ph>dQktion  der  Steinkohlen  smgt  namentlidi  in  den  ehMr> 
eeits  der  Oeetorreiehischen  Staatsbahn,  andererseits  der  Donan-1)ami«r* 
schifffahrt-Gesellschaft  gehörigen  Kohlen-Revieren  Fortschritt«.  Au<  h 
in  der  Produktion  der  Hraunkohlo  zeigt  sich  konstante  Zunahme.  Hier 
ist  übrigens  der  Absatz  nicht  in  genügender  Weise  getüchert. 

Die  Kohlenprodoktion  betrag  : 

1867—1876    12*9  MUl.  Mitr. 

1879    16*0    ,  , 

1880    16*2    .  , 

Znr  Hebung  der  Kohlenprodoktion  wir«  namenttioh  anch  die 
Regelung  des  Eigentbnmsrechtes  an  Kohlenlagern  nothwendig. 

Zum  Schlosse  wirft  der  Vortragende  noch  einen  Blick  auf  <lie 
übrigen  Zweige  des  Montanwesens  und  macht  eine  Reihe  von  bö(  hst 
beachtenswerthen  Vorschlägen  zur  Hebung  dieses  wichtigen  Zweigen 
unserer  Nationalwarthschat't  und  wünscht  namentUcb  Einschrinkong  dw 
.  Staatsbetriebes. 

An  diesen  Vortrag  knftpfte  sich  folgende  interessante  Debatte: 

Ministerialrnth  Kwpblt  :  Die  Daten  der  Bergwerkidirektioma 
werden  bei  den  betreffenden  ünteimehmungen  eiogoholt.  Anch  die 
dnreh  den  »Pester  Lloyd*  TeriMfentliditen  Daten  sind  nidit  sehr  Ter- 
lässlich.  Bei  uns  ist  die  Privatindustrie  nicht  fortschrittlich  genug ;  die 
Beäsemerätabl-Er^eugung  wuid^  —  mit  AusnabmQ  der  Oesterreich)* 


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KOBKB  dlTZUtrOSBEBICHTB. 


611 


sehen  StoatsbAha  —  Ton  keiB«m  Gnternehmer  eingefiUirt.  Es  wilrenieht 
wflnselMBswertli,  wenn  der  Steat  diese  Iiidiisirie  gaiuB  enfgebea  wttrde. 

Kahib  :  Bezflglieh  der  Staatsbergwerke  ist  er  der  Meinmig,  dtes 
wir  noch  nicht  auf  dem  Punkte  stehen,  dem  Staatsbetrieb  Alles  ent- 
ziehen m  kffnnen.  Wo  der  Staat  Miisterwirthschaften  aufstellen  kann, 
dort  ist  es  wünsclionswerth,  den  Staatsbetrieb  zu  erhalten. 

FOldes  wünscht  namentlich  flie  Erriclitung  von  Bergwerksachu- 
Isn  nie<leren  Ranges  mr  AusbiKlung  von  Bergwerks- Arbeitern  nn<l 
«ine  Schule  für  Eisenindustrie  in  einem  der  grösseren  Eisenbesirke.  Er 
macht  darauf  anfmerksam,  dass  Ungarn  f8r  einen  so  nnbedentenden 
AHikelt  wie  EisennSgel,  monätlich  drca  150,000  fl.  an  Oesterreich  m " 
zahlen  hat  Diese  Industrie,  wie  auch  die  Erzengnng  von  Werkzeugen. 
raü>.'ite  befördert  nnd  von  der  Regierung  unterdtötzt  werden,  wie  ja 
aueh  in  früheren  Perioden  der  stärkste  Impuls  zur  Hebung  diej^er  In* 
dnsfoie  von  der  Regierung  ausging. 

(iraf  M.  LöNTAY  vermisst  Eines  in  dem  Vortrage,  nHmlich  den 
NachweiB  dessen,  was  wir  imfXNrtiren  aa  EisenwaMrea.  Wir  müssen 
trachten,  Eisenwaareii  selbst  sn  prodnsiren.  Nach  den  llteren  Answei- 
sstt  haben  wir  Ahr  diese  Waaren  dnrchtehnittlioh  20^—25  Ifillionen 
Gulden  ansgegeben»  Ancfa  er  ist  der  Ansieht,  dass  der  Verkauf  der 
Staats  Bergwerke  nicht  als  Prinzip  aufzustellen  sei.  Der  Staat  hat  indi- 
rekt viele  Interessen  dnn.h  seine  Bergwerke  zu  fördern.  Der  8Uat  könnte 
dann  an  dem  Werthe  seiner  Wälder,  und  an  den  indirekten  Steuern 
Verluste  erleiden.  Die  grössten  Schwierigkeiten  bei  Hebung  der  Berg- 
werke bilden  die  hohen  Eisenbahn-Tarife  und  Steuerbefrmnngen.  Er 
C^ubt,  das  ICnisteriam  habe  sehr  gut  gehaadelt,  indem  es  eine  neue 
Orginisation  ins  Leben  gerufen  hat  Auch  das  Vofgehen  hllt  er  für  gut, 
dssfl  der  Staat  die  schlechten  Betriebe  aufgibt  und  anf  die  guten  alle 
Kraft  vereinigt.  Er  erörti  rt  eingehend  die  günstigen  Bedingungen  der 
Kiäen  lndu:;)trie  und  eventuell  deren  Hebung  mit  allen  uns  zu  Gebote 
ziehenden  Mitteln. 

2.  Sitzung  derselben  Commission  vom  27.  April  1882.  —  Gegen- 
stand :  Der  WaarmKoerkehr  Uiigam^s  mit  Österreiek  mid  d»m  Aim* 
Mfe,  vorgetragen  von  Kabl  KUiRI. 

Nach  einer  langen  historischen  Skizze  über  die  EntwickdttBg 
uiffcr  Verkehrsstatistik  weist  Vortragender  die  Resultate  der  mit  G.  A  • 


619 


KDUB  8IISUII#«^BIllCBTBi 


Xnr :  1881.  ang»^or'lneten  Waarenst«ti.stik  nach.  r>ie  Daten  l>e/ieh^n 
si(  h  auf  da»  II.  IlalVyabr  (Juli — Dc/.cmber)  1881.  Für  (lio>e  Zeit  ^^ur• 
•len  in  .1er  Einfuhr  540,000,  in  der  Ausfuhr  369,000  Wjuirenerklä- 
r.ungen  aufgearbeitet.  Hetrachtet  man  die  Eisenbahn  und  Dampfschifi»- 
linien,  welche  uoseni  Hauptverkehr  mit  Österreich  und  dem  AuslaDde 
vermiitelii,  so  erecheiiit  die  Südbahn  in  der  Einfiihr  mit  21*97,  in  dar 
Aiufiibr  mit  24'29*/o,  die  nng.  Staatsbahn  mit  22'49  und  18'88,  die 
Osterr.  Staatsbahn  mit  27*11  nnd  85*44,  die  Donau-DampfachiffiMirt«- 
gesellsehaft  mit  12*71  und  9*28  betheiltgt.  Es  sind  daher  ron  den  g»> 
>amnilen  17  Linien  diese  vier  diejenigen,  welche  mehr  als  vier  Fünftel, 
das  heis.-t  SS'TS"  n  des  ganzen  Waarenzuges  bewältigen,  währen«!  auf 
die  anderen  13  Tiinien  blos  16'22'Vo  entfallen.  Bezügli(;li  dei  Zeit  er- 
gibt sich,  dass  sowohl  Import  als  Export  im  Monate  September  knlmi- 
niren,  von  Oktober  an  aber  gegen  das  Ende  des  Jahres  wieder  abneli- 
men.  Nachdem  bereits  das  Material  für  1882  Jänner — März  yorU^ 
kann  konstatirt  werden,  dass  der  gesammte  Verkehr  in  diesen  Menaisn 
wieder  raninunt^  um  in  der  iweiten  Hälfte  des  Jahres  warsebeialicli 
die  fkrflhere  Höhe  zu  erreichen  oder  noch  zu  übersteigen.  Trotzdem  anf 
den  Waaren-Deklarationen  die  Auf  und  Abgangsstationen  verzeichnet 
sind,  lässt  sieh  hieraus  die  Provenienz  der  Waareij  nur  annähernd  er- 
n)itteln.  Unser  ganzer  Aussenhandel  hat  sich  nämlieb  so  sehr  an  (►ster- 
reich  anzulehnen  gewöhnt,  dass  auf  Österreich  allein  6 7*20"/ »  dessel- 
ben entfallen.  In  das  restlrende  Drittel  theilen  sich  die  ühfigen  Staaten 
in  der  Weise,  dass  in  die  westeuropäischen  Länder  unser  Eiport  Aber- 
wiegt,  und  zwar  nach  Deutschland  mit  13*28V«,  Bebweiz  2*28*/*,  Iis- 
Uen  8*26Vo,  Frankreich  6*03*/«,  Grossbrittanien  1*78%»  während  der 
Import  aus  denselben  (nach  obiger  Beihe)  blos  9*01,  0*04,  1*85,  0*02, 
0  96"  «  beträgt.  Umgekehrt  ist  das  Verhältniss  bei  Rumänien  und  Ser- 
bien, von  wo  die  Einfuhr  14*79  und  2'06"/n  erreiclit,  während  die  Aas- 
fuhr  dahin  blos  2'57  und  r24'Vo  ist.  Diese  Perzente  beziehen  siih  ant 
die  Gewicht "^mcfuje  der  Waaren,  welche  im  be-jprochenen  Halbjahr  für 
den  Import  5.977,000  Metei-zentner,  für  den  Export  13.729,000  Me- 
terzentner erreiehte,  im  Ganzen  daher  einem  WaarenTerfcehr  tob 
19.706»000  Meterzentnern  entspraoh.  Nack  dem  Gewichte  der  Wasren 
Überwiegt  demnach  unser  Export  um  7.752,000  Meterzentner.  Weai- 
ger  TerlässHeh  sind  die  Ziffem  bezOglieh  des  TFertfte»  der  mn-  und 
ausgeführten  Waaren.  Nimmt  manu  den  athgemeideten  Werth  an,  so 


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EURZB  »rrZUIIOSBSIUCBIT. 


613 


betrug  die  Kinfabr  im  II.  Semester  150.586,99  t  fl.,  die  Ausfuhr  fl. 
197.494,024,  aomit  der  Expori-UeberscbiigB  fl.  46.907,088.  Nun  dürfen 
aber  diese  SSifliom  nicht  ohne  Kritik  angenommen  worden.  Nach  den 
eingehenden  ünterdnehnngen  des  Yortra^renden  stellt  es  sich  nämlich 

berau«.  dass,  ganz  im  Gegentheil  zu  den  in  anderen  Staaten  gemachten 
Erfahmngen,  die  Exportdaten  bedeutend  besser  und  veitraueuswürdi- 
ger  sind  als  jene  deü  Imports.  Die  Waare  und  deren  Wertb,  welche  im 
Lande  aufgegeben  werden,  sind  genau  gekannt,  der  Wertb  und  auch 
die  Qattimg  jener  Gftter,  welche  nns  im  Import  zugehen,  weniger«  In 
diesw  Richtung  ist  man  ganz  an  die  oftmals  evident  nnannehmbare 
Werthaagahe  der  Deklaration  gehnnden.  Nor  auf  diese  Weise  war  es 
möglich,  dass  Ungarns  Export  Monat  fftr  Monat  um  einige  Millionen 
den  Werth  der  Waareneinfubr  übersteigen  konnte,  aus  welcbem  Um- 
stände theil weise  schon  ganz  falsche  Folgerungen  (gezogen  wurden.  Um 
der  Wahrheit  näher  zu  kommen,  versuchte  der  Vortragende  für  die 
oiiselnen  Waarengattungen  den  Ilundehwerth  nacli  den  Aufzeichuun- 
gen  der  Osterreichischen  statistischen  Zentral>GomisBion  zu  substitniren.  * 
Hiehn  rousa  jedoch  hervorgehoben  werden,  daes  dies  nur  ein  Versüß 
war  und  wurden  die  Schwierigkeiten  betont»  welche  sich  hei  der  Fest- 
slalhing  des  IhirohsohnitlBwertheB  namentlich  solcher  Waarengattun- 
gen ergeben,  welche,  wie  Scliaf-  und  Baumwollezeuge,  Seidenwaaren 
u.  s.  w.,  einen  Werth  zwischen  20  fl.  und  mehreren  hundert,  ja  selbst 
tauöcnU  Gulden  per  Meterzentner  reprUsentiren,  Das  derart  erhaltene 
Resultat  führte  natürlich  zum  entgegengesetzten  Extreme  und  würden 
sich  hiedurch  die  Wertbe  der  Ausfuhr  von  197  Millionen  auf  229  Mil- 
lionen, d.  L  um  ISVt,  jene  der  Waaren-Einfuhr  aber  von  150  Millio- 
nen auf  886  Millionen,  oder  nahesu  55%  heben.  Dass  auch  diese  Be- 
leebnnng  gerechte  Zweifel  wachruft,  ist  ersichtlieh  und  folgt  daraus, 
dass,  um  zu  einem  in  jeder  Richtung  befriedigenden  Resultate  zu  ge- 
langen, die  Mitwirkung  von  Sachver.>tändigen  zur  Feststellung  des 
Hamlelsicerthes  der  einseinen  Waarengattungen  unvermeidlich  .^ein 
wird,  wie  dies  auch  von  Seite  der  Regierung  in  Auas'icht  genommen 
wurde.  Durch  die  vom  Vortragenden  weiter  Torgeführten  verschiede* 
Ben  Daten  wurde,  unter  Hinweisung  darauf,  dass  sich  aus  den  Resul- 
iiten  eines  so  kursen  Zeitraumes  durchaus  keine  Schlflase  auf  unsere 
HsndelsbeweguDg  ziehen  lassen,  das  Eine  klargelegt,  dass  die  Mmgenr 
no^weigmg  unseres  Aussenverkehrä  zwar  ziemlich  richtig  und  an« 


nehmbar  sei,  jene  der  Werthnachweisung  aber  noch  vieler  gründlicher 
Studien  und  Arbeit  bedürfe,  um  ebenso  glaubwürdig  zu  werden.  Nichts- 
destoweniger erwies  der  wissenschaftlich-gründliche  Voiirag  und  die 
dai*aii  geknüpfte  DUkussion,  dass  die  mit  U.-A.  XIII  :  1881  gescbaffeiM 
Basis  zar  Enurnng  unserer  Waarenverkehrs- Verhältnisse  eine  gesunde 
Bei  and  die  pflnkÜiobe  Fortfübrnng  der  Arbeiten  binnen  weniger  Jahn 
ein  wertbvoUee  HU&mittel  unserer  volkswirtschaftlieben  und  Handels- 
pc4itik  bilden  wird,   

IM  BALLSAAL. 

Vov  PAUL  OTÜLAT,  IfinmsmT  toh  LADISLAUS  NEUQEBAUER. 

Ich  lehn*  im  Baal,  in  mich  Tersnnken, 
IMe  schonen  Paare»  jngendtrunken, 
Umkreisen  mich,  nnd  keines  ebnet 
Des  Lebens  Sorg*,  die  sie  nicht  mahnet. 
Der  Klange  Schwall,  des  FVohsinns  Finthen, 
Die  ihre  Her/.cu  so  durt  liglutlien,  • 
Ergreifen  mich  mächtig  .  .  .  it  Ii  denke  an'»  Oiluck 
Verlorener  Jugend  und  Liebe  zurilck  I 

Ancb  mich  erfreuten  nächtige  Feste, 
Mu^ik  und  Tanz,  der  Strom  der  Gttste ; 
Der  Lichter  gold'ne  Strahlengarbe, 
Der  Blumensträusse  Duft  und  Parlie, 
Der  Frauen  Liebreiz,  Lächeln,  Scherzen, 
Der  stumme  Kampf  in  mmnem  Herzen  .  . . 
Vorbei  ist  das  Alles  —  ich  denke  an's  Glück 
Verlorener  Jagend  nnd  Liebe  snrfick  f 

Wie  oft  sah  ich  in  diesen  Räumen 

Sief  der  mein  Sinnen  galt  und  Träumen, 

Sie  schwebte  hin  voll  Anmatbschtmmer, 

Doch  liess  fttr  mich  sie  Tand  nnd  Flimmer. 

Ihr  Seelenschmnck,  ihr  himmlisch  Lieben, 

Sind  tief  im  Herzen  mir  geblieben. 

O  selige  Tage !  .  .  .  Ich  denk*  an*s  Qll&ck 

Verlorener  Jugend  und  Liebe  zurück  1 


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TBRinSCHTtä. 


615 


So  freat  sich  manches  Mädchen  heute 

Im  Kreise  hier,  wie  sie  sich  freute, 

£•  kennt  noch  nicht  dee  Daseins  Sorgen,  — 

Heut  ist  es  Bnuit  nnd  Gattin  morgen 

Und  sohwelgt  im  Glflokl  —  Nach  wen*gen  Jahren 

Wird  wohl  aneh  sie  xn  Grabe  fiihren  .  .  . 

Umdfifterten  Sinnes,  ach,  denk*  ich  an*s  Glflck 

Verlorener  Jugend  und  Liebe  zurück ! 

Manch*  JBngling  unter  diesen  Paaren 

Ist  glücklich,  wie  ich's  war  vor  Jahren. 

Und  wird  nach  flüchtiger  Tage  Schwinden, 

Gleich  mir,  verstört  sieh  wiederfinden, 

Wird  in  dem  Glanz  *nur  Weh  erblicken, 

Am  Heute  nimmer  sich  entzücken, 

Wird  lelien  im  Gestm  und  denken  an*s  GIfick 

Verbrener  Jagend  nnd  Liebe  xarfick  I 

Verloren  geht»  trotz  nnserer  ThrSnen, 

Gar  bald,  was  wir  nns  eigMi  wfthnen ; 

Ach,  nns*re  Blfith*  ist  rasch  geknicket» 

Ein  Ranch  nnr  ist*8,  was  nns  beglficket! 

Doch  lafSt  den  Kelvb,  ihr  Paare,  schBumen, 

h'h  stör'  Euch  nicht  mit  meinem  Träumen, 

Und  mir  bringt  es  Linderung  .  .  .  ich  denke  an's  Glück 

Verlorener  Jugend  und  Liehe  zurück ! 


VERMISCHTES. 

—  Statistik  der  inlMisohon  ZeitsohHften  im  Jahre  »881.  Im  Korn- 
mnnikationa-Ministeriam  wurde  eine  Statistik  der  auf  dem  Gebiete  der 
Lflnder  der  nngarischen  Krone  im  Jahre  1881  ersohieneiien  Zeitachrif- 
ten  snsammengesteUt  Das  Resultat  ist  das  folgende :  1.  Im  Garnen 
erschienen  531  Zeitschrillen  gegen  508  des  Jahres  1880.  Darunter 
waren  :  a)  polUisrhen  Inhalts  (die  eingeklammerten  Ziffern  bedeuten  die 
eutsprerhenden  Daten  des  .Iah res  1880)  :  in  ungarischer  Sprache  46  (43), 
in  deutscher  25  (25),  in  kroatischer  3  (4),  in  slovakischer  2  (2),  in  ser- 


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626 


I 


bischer  4  (3),  in  itBlienischer  l  (1),  in  französischer  2  (2).  zusammen 
87  (84);  b)  von  Jolalem  Interesse  :  in  imgarischer  Sprache  91  (83).  in 
ungarisch-deutscher  1  (1),  in  deutscher  48  (43),  in  kroatischer  2  (1).  in 
slovakischer  1  (1),  ia  hebräischer  1  (0),  zusammen  144  (129),  c)  ^eM^ 
tridiiCkm  InluatB  :  ungarisch  53  (51),  deutsoh  4  (4),  kroatiseh  4  (4), 
BlovakiBch  2  (1),  aerbiflch  6  (8),  bnjlgariacli  1  (0),  rumlniBch  2  (3),  n- 
SMiiiiieB  72  (66) ;  d)  FodbMStter :  nngarifleli  185  (184),  nngiriadi* 
deutedi  5  (7),  deutsch  83  (38),  kroatiseh  14  (14),  sUmddsoh  6  (7). 
rassisch  1  (I),  serbisch  3  (5),  rumänisch  7  (6),  italienisch  1  (l)t  ita* 
lienir^eh-ungariseh  2  (0),  hebräisch  1  (I),  in  ver?jchiedenen  Spr.ulieo 
1  (l),  zusammen  209  (215);  e)  Witzhlättei'  :  ungarisch  9  (7).  tleut>rb 
5  (3),  kroatisch  1  (0),  slovakisch  1(1).  serbisch  1  (1),  rumfinisch  2  (2). 
zusammen  19  (14).  —  Von  diesen  Zeitschriften  wurden  durch  die  To^A 
veraendet:  a)  F<msche  BUtter:  nngariach  11.174,431  (9.741,907). 
deutsch  8.187,646  (8.89 7,260^  kroatisch  146.000  (726,000),  slovakiscli 
188,890  (186,512),  serbisch  289,160  (281,620),  mmttiuach  286,948 
(247,822),  itaUeniflch  78,490  (25,628),  franzOeisdi  11,400  (21,786X 
zusammen   20.857,965   (20.077,985);  b)  LohalUäUer  :  nngariBch 
1.372,047  (1.176,440),  ungarisch-deut:jch  7000  (7000),  deutsch  775.632 
(661,899),  kroatisch  60,700  (26.000),  slovakisch  20.412  (18.997).  he- 
bräisch 2G17  (0),  zusammen  2.2SS AOS  {LS90, SSij) ;  Iteüettistisck 
Blätter  :  ungarisch  2.441,647  (2.313,796),  deutsch  6640  (9556),  kroa- 
tisch 78,656  (86,794),   slovakisch  3473  (3682),  serbisch  71,500 
(56,200),  bulgarisch  2858  (0),  rumänisch  54,868  (70,414),  znssiiiinsn 
2.659,687    (2.540,442)  ;  d)   FaeMaUer  :  ungarisch  2.435,928 
(2.115,768),  ungarisch-deutsch  156,072  (258,894),  deutsch  248,464 
(377,480),  kroatisch  185,881  (103,210),  slovaldsoh  58,498  (46,708X 
russisch  9600  (15,000),  serbisch  11,224  (9980),  rumänisch  40,718 
(45,033),  italienisch  41.600   (572),  italienisch-ungarisch  17,040  (0), 
hebräisch   568   (13,150),   in   verschiedenen   Sprachen  4344  (4344). 
zusammen  3.154,831  (1.985,084);  c)  Witzhh'Uler  :  ungarisch  159,8S6 
(159,514),  deutsch  22,250  (12,216),  kroatisch  49,000  (0),  slovakUeh 
6121  (4794),  serbisch  21,600  (36,000),  rumänisch  10,952  (16,162), 
zusammen  269,809  (228,789). 


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N 


DENKREDE  AUF  ANTON  CSENGERY. 


Vow  PAUL  GYÜLM.* 


fo  OFT  icli  diese  Ilednpil>iiline  betrete,  muss  icli  der  Dollinetscli 


eiii6>4  neueu  grossen  Verlustes  der  Akademie,  eines  neuoii 
grossen  Sciinierzes  meines  Herzens  sein.  Die  Akademie  yerliert 
naeheinander  ihre  hervorragendsten  Mitglieder,  welche  Jahrzehnte 
hindareh  ihre  Zierden  und  Stützen  gewesen,  nnd  ich  verliere  in 
ihnen  nacheinander  meine  besten  Freunde,  an  die  mich  die  starken 
Bande  der  Liehe  und  Anhänglichkeit  gekettet  haben,  ünd  doch 
welch  ein  Uiitersolueil !  l)ie  Akademie  ist  eine  Körperscdiaft,  deren 
Lehen  sich  ül)er  JahrhiimhM't e  erstreckt,  (h'ren  Vf  rluste  (hircli  neue 
("apazitäten  »TSet'/t  werden,  die  ihr  zu  noch  grösserer  Zierde  gerei- 
cheu,  zu  noch  stärkeren  Stützen  werden  können. 

Wo  aher  findet  (hu*  Einzehie,  der  Freund  einen  Ersatz  des 
Verlustes,  insbesondere  in  einem  Alfcer,  in  welchem  das  Herz  für 
nene  Eindrttcke  nicht  mehr  sehr  empfänglich  ist,  neue  Verhalt- 
nisse nicht  anknfipfen  mag  nnd '  sich  mehr  und  mehr  vereinsamji 
ftihlt  ?  Nicht  das  ist  das  Behmerzlichste,  dass  wir  das  Leben,  dass 
wir  unsere  Lieben  verUissen  müssen,  son<h.»rn  das,  dass  unsere 
LielKMi  uns  verhissen,  dass  das  Lehen  «gleichsam  von  uns  zu  si  hei- 
den  scheint,  indem  es  seinen  Wertli  zu  verlieren  beginnt.  Aber  das 
menschliche  Herz  vermag  nicht  ohne  Trost  zu  bleiben.  Wenn  uns 
die  Gegenwart  wenig  Freude  gewährt,  wenn  nns  in  der  Zukuntt 
keine  Ho&ung  schimmert,  fluchten  wir  in  die  Vergangenheit,  um 
unsere  besseren  Tage  in  der  Erinnerung  wiederzuleben.  0  wie  oft 
gedenke  auch  ich  meiner  dahingeschiedenen  Freunde,  wie  oft  lich- 
tet .sich  in  meiner  Seele  das  Dunkel  der  Vergangenheit,  dämmert 

*  Gelesen  in  der  41-ten  feierlichen  GeneralverBainmlunff  der  Unga- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften  am  22.  Mai  1881. 

üogMlMlie  Bevw»,  18H2.  Vm— IX.  Bell.  40 


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^1**  MKNKTtKI'K  Wr  ANTON  OsKN'iKKY. 


w  i»'<l«M-  nn'ii)('  V»  rloriMH'  Jugendzeit  Imiiuf,  \v<»  ich,  von  ihrt^ii  \or- 
l>il«le  begeistert,  mit  ilmon,  an  ihrer  Seite  /u  kämpfen  gelernt 
habe!  O  wie  oft  erscheiiit  mir  Csengery  r  bleiches,  ernstes  Antlitz, 
wie  oft  taucht  seine  Iianf  balni  vor  mir  anf.  die  durch  die  edelsten 
Kämpfe  des  Verstandes  und  des  Hensens  bezeichnetet  LanfbahiL 
deren  Richtung  nvhr  dnrch  Pflichtgettlhl  und  Über/engnng,  sl" 
durch  ElirlM>(ri,»i-  nii<l  Lei <len sehn t't  iM  stiinmt  \vanl.  ant  ihr«^  . 
Wege  der  iKM  luMiiponagJMuleii  Olanznuiiktf.  dt-r  roTiiantisrli  rci/.e!  - 
doli  P.irti«'n  eiithohrt,  ah»M'  als  («auzes,  gerade  in  ihrer  ernst<'!i 
Einfachheit  schön  nnd  dun'h  ihre  nicht  in  die  Augen  fallenden, 
aber  dest-o  mnnigfaltigeren  Ergebnisse  segensreich  ist.  Und  ick 
glaube,  indem  ich  das  Andenken  dieser  Laufliahn  auch  an  dieser 
Rtelle  Wiederaufleben  m  lassen  beabsichtige  auch  in  Ihren  Henen 
eine  verwandte  Saiti»  /n  heriihn'n.  nnd.  indem  ieh  l^indernng  mei- 
nes noeh  l)r«MnH'nd»'n  Selinier/.es  snrie'.  /.ngleieh  Ihrer  l'ietät  Au.«-  : 
druck  zu  h'ilien. 

Csengery  war  einer  der  liei*v(irrag»*nden  Typen  <1<t  verjüng- 
ten ungarischen  (Tesellschaft',  unterschie4l  sich  aber  in  Vielem  von 
den  Gefährten  seiner  Lauflmhn.  Kr  betrat  die  |w>litische  Arena  h 
Szalay^s  und  KStySs*»  enossenschaft,  war  sodsnn  Kcnn^ny*«  trener 
Gefährte  und  schliesslich  der  intimste  Vertraute  DeiCkV  Er  übte 
ant"  alh»  diese  Männer  eineji  hedentenden  lOinthiss.  jedmdi  nicdit  nU 
ihr  Nchfiiluildcr.  Kr  war  nicht  Parteitnluvr,  wi»'  Dea'k.  nirlit  H»'<1- 
ner,  wie  p]r)tv(">s.  iiiidit  Fa«  ligelehrter,  wie  »S/ala^',  und  Ud)(o  nicht 
so  anss('hliessli(di  der  liiteratnr,  wie  Keni^ny.  Ks  nianL"^  tcn  ihm 
die  Eigenschaften,  die  den  Menschen  zum  Parteiführer  oder  Itetlner 
befähigen.  Er  vermochte  sich  vor  einem  grösseren  Püblikum  selten 
einer  gewissen  Steifheit  oder  Hefangeiiheit  sn  entschlageu ;  nur  in 
eng«M-em  Kreise  erschloss  sich  der  ganze  R-eichthum  seines  Ver- 
standcä  nn«l  Her/ens.  Kr  empfand  eine  iintinktmässige  Sehen  vor  i 
der  \fenge.  Sfim»  Stimme  war  /n  schwach,  nm  <h^n  Lärm  und  di<'  | 
Leidenschaften  der  \  ersamndnngen  Ijeln-rrsclieu  zu  können,  nml  , 
seine  Natnr  <ler  rednerischen  Int  und  Findigkeit  sozusagen  freiml 
Aber  im  Frenndaskreise,  in  der  Konferenz  oder  im  Komiie,  ver- 
mochte sich  Keiner  seinem  Einflnsse  zu  entziehen.  Seine  grosse 
Bildung,  sein  Uedankenreichthnm,  sein  eindringender  Geist  gaben 
der  TIerathung,  bahl  in  der  Hau|4frage.  bald  in  den  Einzelheiten, 


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HRNKBEUK  AHP  ANTON  CSRNOKRT. 


H19 


nicht  s^'lten  <H*'  lu«'litinig.  un«l  uns»  !'  <i«'.set/l»iu-li  zeijjft  häiiHi^ere 
Spuren  der  Kinwirkmi«^  tliet^cs  .stmuiucii  Volksvertreters,  als  der- 
jenigen  vieler  wohiredenden.  NrhstdtMii  la^  in  s»'inoni  Cliarakter 
etwas,  was  auf  seine  Freunde  höchst  wohlthätig  einwirkte  und  ihn 
im  Foix&glichsten  Grade  zum  Vermittler  zwischen  Personen  und 
Parteien  eignete.  Auf  fiötvös  nachdenkliche  und  Eindrücken  nach» 
geliende  Natur  wirkte»  pr  mit  seinem  eiitsehiedenen  und  prak- 
ti<«i*hen  U  enen.  K'MinMiy's  Skepsis  urul  1%'ssiiiiisiiiiis  mässi^«»  er 
mit  seinem  starken  (ilaul»eii,  die  L'liiitit^ki'it  «1«'^  zeitweise  zaghaf- 
ten Szalay  belebte  er  mit  den  Antrieben  der  aut'riclitigeii  Aiicrkeu- 
noBg,  den  aufgeregten  Deak  wusste  er  mit  seinem  Takte  fast 
immer  an  beschwichtigen,  und  ihn  nicht  selten  in  Fragen,  in  denen 
er  minder  gut  bewandert  war,  zn  orientiren.  Da  er  nie  den  Ehr- 
geiz Anderer  Terletzte,  Niemand  an  seiner  uneigennfitzigen  Ehr- 
lichkeit zweifelte,  Jedermann  seiner  Fähi<^keit  nnd  seinem  Wohl- 
wollen veitraiite.  iialunen  IN-rsoiien  und  Parteien  seine  Vermitt- 
lung willig  an.  Und  in  der  That  verstand  es  Niemand  hesser,  als 
er,  die  auseinandergehenden  Ansichten  iu  einem  Mittelpunkt  zu 
vereinigen,  die  fragmentarischen  Gedanken  zu  einem  organischen 
Entwurf  zu  verschmelzen  und  pracis  zu  formuliren.  Darum  war  er 
seit  1865  die  Seele  der  reichstaglichen  Commissionen  und  die 
rechte  Hand  DeiCkV 

Als  Schrift  steller  l)efa.sste  er  si(  Ii  mit  mehr  l  'iudiern  als  seine 
Genos>en  iinil  stre))te  (ine  hiinnonis(diere  Bildung  an.  Er  vertiefte 
8ich  nicht  blos  in  die  momlischen  VVisäenschai'teu,  er  hatte  auch 
^eignng  zu  den  Natnrwissenschaften,  interessirte  sieli  auch  für 
die  schdneu  Künste  und  hing  mit  besonderer  Vorliebe  an  der 
Poesie.  Unter  unseren  Politikern  hatte  für  die  literarisch  schdne 
Form  nnd  die  Eleganz  der  Sprache  kaum  Einer  so  viel  Sinn,  wie 
er.  Gleich  wie  er  in  der  Politik  für  die  innigere  Verschmelzung 
von  LelxMi  nn<l  Wisseiiseliatt.  Theorie  nnd  Praxis  eiferte  :  el)enso 
torderte  er  in  der  Literatur  die  Vermiiiung  von  \\  issenscliaft  njid 
(ieschmack.  iSein  drangsulreiches  Lehen,  seine  schwach»  Gesund- 
heit, seine  zerstreute  Thätigkeit  <j^ostatteten  ihm  nicht,  seine  Kraft 
auf  einige  grössere  Arbeiten  iu  dengenigen  Fache,  welches  ihn  am 
meisten  anzog,  zu  konzentriren,  nnd  er  Übte  gegen  sich  selbst, 
wie  gegen  Andere,  eine  zu  strenge  Kritik,  als  dass  er  sich  mit 

40» 


'  DEHiOUäPE  AUF  ANl'ON  LSENUEkV. 

einem  halben  Erfolge  liättt^  I.'-lü-ou  köniu-n.  I>anini  l..t  in 
unserer  Litenitnv  mehr  mir  uU  Kedaktenr,  Knust über.etzur,  Juur- 
nalist  nnd  ^EsHayist  tiefere  Spuren  zui-ückgelaasen.  Er  verga»»  aber 
auch  unter  den  Unfällen  des  häuslichen  und  den  Aufregungen  de» 
r,nVMitliciH'ii   L.-Immi-  niomuls  dir  grossen  Interessen  der  Wwflen- 
schaft  und  Lit.iutur.  Das  uahiv  Tal.nt  «chätzte  Niemand  niehr 
als  er,  wahrt'ii.l  or  sich  dem  uulx-ivrlui^ncu  Kliro^iz,  der  überscliatx- 
ten  oder  «reradmi  usurpirten  Aut..rit;ii  -eueuührr  kalt  und  ableh- 
nend  verhielt.  Durch  seine  Kounexioneu,  venn.,^.c  Mernes  lu-rxMi- 
lichen  EinflusHes  Terchaffte  er  meliiwcu  vorzüglu  hou  <ü4ehrt.-i. 
und  Sehriftstellem  Anstellung  oder  Arbeit;  als  Kcdakteur  ^^a.*  .r 
so  Manchem  Antrieb  oder  Richtung,  und  hei  der  it^ierung  Üiat  er 
l,is  /,u  soiiKMii  h't/teu  Lehenshauche  alles  nur  Mögliche  fOr  die 
KördciMiug  der  interrsseii  der  Wissenschaft  und  Literatur.  Wa>. 
uusete  NWssc„8.-lialtH<  lu'n  und  literarischen  Institute  an  beaonde- 
ren  Begünstigungen  -'iteu.  d.-  Staate.  .oM.iesson,  haben  sie 
aentheüs  ihm  zu  venlauken.  Er  wusste  w.dil.  das.  di.  neuere  Zeit 
die  Zeit  der  Demokratie,  nicht  mehr  gut  auf  aristokratische  Mae.  c- 
naten  warten  könne,  und  dass  sich  jede  Nation,  als  .Staat  und  <  .  - 
Seilschaft,  in  ihren  wissenschaftlichen  und  literarischen  Austalt^a 
und  Vereinen,  ihre  neuen  Maecenaten  selbst  erschaffe.  Die  zweck- 
mässige Organisatin,,  und  geordnete  Vermögensverwaltang  dieser 
\nstalteu  und  N'ercim'  Idhlet  eine  der  Hanptbediugungen  des  Auf- 
blühens der  nationalen  Kultur.  Kl.endeshalb  widmete  er  seine  Tha- 
tigkeit  mit  vollem   Eiter  der  Saclie  der  öiVeutliclien  Anstalten. 
Durch  seine  vielseitige  Bildung,  seine  juristische  nn<l  tinanzie  k 
•   Fachkenntniss,  seine  gewissenhafti>  strenge  war  er  lür  ibese  lu.H  • 
sozusagen  piiidestinirt  Seine  Ideen,  Vorschläge,  iMassnahmen  iiihr- 
ten  bei  so  manchem  dieser  Institute  den  Wendepunkt  zum  Empor 
jraivre  h(  rbei.  Die  Akademie  verdankt  ihm  in  dieser  Hinsicht  be- 
s(mders  viel,  nnd  de-^hall»  betrachtete  sie  ihn  nicht  blos  als  eulf 
ihrer  Zierden,  somh-rn  au»  Ii  als  einen  ihrer  Wohlthäter. 

Csenger>'s  Nameii  umstralt  weniger  jnwr  Ifnhm,  weldier 
den  Namen  seiner  Genossen  mit  soviel  Glan/,  umgab.  An  Deak> 
Namen  haftet  die  Erinnerung  einer  grossen  Idee,  einer  L,aos>.  u 
That;  Eötvös's,  Szalay's  und  Kemeny's  Laufbahn  ist  durch  ein. 
ganze  Koihe  politischer,  geschichtlicher  und  dichterischer  Werk. 


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DBNKhEDK  AUF  iNJüN  CSKNOKitV.  621 

Itezeiciuiet.  Csongery  nahm  zwar  lebendigen  Antheil  an  deii 
lH)liii8chen  nnd  literarisclien  Kämpfen  seiner  Genossen,  ja  er 
fibte  selbst  anf  ihre  Werke  Einfluss,  dennoch  waren  die  höch- 
sten Glorien  -seines  Ruhmes  nicht  diejenigen  des  Staatsmannes  und 

Schriftstellers,  wiewolil  w  aiu-li  in  tlie.scn  Kigr^iisclialtrn  ^län/tt-. 
S»  in  liiibni,  wi'k-lifii  seiiif  (iciio^srii  mit  ihm  in  i5erin«»"er«'ni  Mas.se 
zu  theileii  vermögen,  ist  der  Kuimi  <h's  einhiclieu  Bürgers,  der  si(  ii 
tVir  jedes  Moment  des  nngarisehen  Staatsichens  interessirfc  und  bei 
gegebener  Gelegenheit  zu  jeder  Zeit,  auf  jedem  Gebiete  mit  gros- 
sem Erfolge  seine  Pflicht  erfallt.  Seinen  Genossen  eröffnet  ihre 
(leburt,  ihr  Vermögen,  ja  die  Eigenart  ihres  Talents  sofort  einen 
weiten  Wirkungskreis.  Csengery  dringt  allraählig  und  unter  minder 
'iilnstii^fn  l  niständ'Mi  cnipor.  Heine  (»enossrii  dürien  ihre  ganze 
Kraft  anf  ehf  (»ehiot  konzrntrin  n  :  ( 'srn^ri-y  wir^l  dnreh  Kifer  nnd 
Pdiclitgeiülil,  Neigung  und  Nothdraug  auf  viele  Gebiete  hiuge- 
ris>en.  Seine  Genossen  interessiren  siel»  sozusagen  nur  für  die 
geiltigeren  Seiten  der  Wissenschaft  und  Politik  :  Csengery^s  Inte- 
resse erstreckt  sich  auch  auf  ihre  materiellen  Seiten.  Er  be£ftsst 
»ich  mit  Fragen  des  Staats-  und  Priratrechts,  der  inneren  nnd 
;m>8eren  Politik  ebenso,  wie  mit  volkswirtlischaftlichen  nnd  fiuan- 
/i»^1i('n  Fragen  :  »-r  sprir-ht  mif  glciclicr  < iriindliohkcit  znr  Frage  des 
Eisfiibahniiet/,«'s  uml  des  »itl'entliehen  rntcrridits  ;  <'r  füllt  seinen 
Watz  als  Friisideut  der  Akademie  und  Direktor  der  Hodenkredit- 
anstalt  gleich  vortrefüich  aus :  er  organisirt  mit  derselben  Saeh- 
kemitniss  die  Dramenbenrtheilungs-Eommission  des  Nationalthea- 
ters  nnd  den  ungarischen  Industrieverein ;  er  nimmt  ebenso  eifri- 
i?en  Antheil  an  den  lianptsfödtischen^  wie  an  den  Landesangele- 
j,'''iili<'it<'n,  uncl  rrwi  ist  sich  chrnso  genie  !jn/.<'lnen,  wie  (l('m«nn- 
<rlmfttMi  mit  Krthcilnng  von  |{athsrhläL(''n  ninl  l'Jnt>\ crfuiiü:  von 
ri  iiicii  get'Uilig.  beiue  (ien<>ssen  erscheineu,  als  rednerisehe  Vor- 
kämpfer einer  grossen  Idee  oder  als  literarische  Schöpfer  eines 
grossen  Werkes,  unter  dem  ßei&U  der  Nation  auf  der  Bühne  des 
öffentlichen  Lebens  :  Cseugery  wirkt  mehr  zwischen  den  Koulissen 
und  wird  bloss  der  Würdigung  der  Eingeweihten  theilhaft.  Er 
♦•rwies  sich  mehr  riitligehen«!,  als  handeln«],  mehr  zeitigend,  als 
lenkend.  me|u-  kotliticaiis .  als  initiativ.  Kr  kannte  die  anslämlischen 
uiid  uiiguriäcbeu  Vurhältui8i<ti  genau  uud  war  ein  iiarmoiiiisc herer 


622  IISNKKKDB  AUF  ANTON  CstNUKKT. 

Reprä^eutaut  der  Yerschiuelz\iii;r  das  uiigarisdieu  Geistes  mit  deJi 
enropäisclipii  Ideen,  als  ßeine  Geuossen  es  waren.  Niemand  Ter- 
stand  und  empfand  sa  gat  wie  er  die  unabweislicben  Bedürfnissf 
und  heiklichen  Verwickelungen  des  nenersiandenen  ungariscbeA 
Staates,  und  Niemand  diente  demselben  als  einfacher  ßflrger  mit 
Rath  und  That  so  vielseitig,  wie  er.  In  der  That,  Cseugerv 
erselieiiit  gleiclisuni  als  ilas  Ideal  des  modernen  inifi^ainschen  Bür- 
gers, und  dies  hildet  den  höclistcn  Unlmi  seiner  Luiiiituliii. 

Die  Laufbahn  des  Munuf"^  ])ereitete  sieh  liereitä  iui  KnaVu 
vor,  Sein  Vater  war  einer  der  vorzüglichsten  RecUtsgelehrt<*u  umi 
gesuchtesten  KecrhtsanwiUte  (Irosswardeins,  den  auch  der  gefeierte 
Redner  und  Dichter  Kölcsey  häu6g  besuchte  und  dessen  Hau« 
gleichsam  der  Sammelpunkt  der  freisinigen  Jugend  des  Bibarer 
Komitates  war.  Csengery  wuchs  schon  als  i^chülknabe  unter  den 
Htemrischen  und  politischen  Eindrucken  seines  väterlichen  Hau»  s 
auf,  denen  sieli  alsbald  »liejenigrn  der  Koraitats-  nud  Reiehsbig.-i- 
vj'rsaninibingen  /u;4«'s«dlt»'n.  Er  zei-^to  als  Knaln-  dm  Krust  J»'> 
Ji'mgluijfs.  als  .lüngling  drnjriiigcn  th-s  Mannes.  Kr  las  im  »Selbvt- 
bildungsklub  srin«'r  JStudiengcnosseu  nicht  Ueüii  lite  vor.  sondeni 
Ahhaudlungejj  über  tlir  llauidlVageu  des  ungarischen  8taat8lel>eii«. 
Als  xwaiizigj ähriger  Jüngling,  im  Jahre  1842,  ]iraktizirte  er  an  der 
Seite  Edmund  13edthy*s,  des  berOhmten  Vizegespans  nud  Reichs- 
tagsabgeordneten des  Biharer  Komitates,  und  schrieb  in  den  wich- 
tigeren Fragen  jene  berühmten  Circulare,  welche  in  den  oppositio- 
nellen Koniitattii  ein<*  so  gewaltige  Wirkung  hervurriefeu.  Er 
begleitet«'  iim  au(di  auf  den  ISlii-cr  Ueiehstag  nach  l*n'<.sburg  ini«! 
war  zugleich  Keichstagsreporter  des  zuerst  von  Kossutli,  dann  von 
8zalay  redigirt^ni  ^Pesti  riirlaj»'  (l'ester  Zeitung).  Kr  las  uixi 
lernte  viel,  aber  dachte  noch  mehr.  Nach  Pest  übersiedelnd  legte 
er  die  Advokatenprüfung  ab,  fühlte  sich  jedoch  weder  von  der 
ungarischen  Rechtswissenschaft,  noch  von  dem  öffentlichen  Leben 
Ungarns  befriedigt.  Ko.ssuth  stand  damals  als  Journalist  eben  aof 
der  Mittagshöhe  seiner  Wirkung  und  hatte  sich  als  R-edner  bereits 
in  die  Reihe  der  Führer  der  OpposiHon  eniporgesdi wungt  ii.  Csen- 
gery  bewunderte  in  ihm  «len  grossen  K'edner  in  Wert  nnd  Schrift, 
stand  aber  nicht  unter  dem  Banne  s«  ines  Zaubers.  ,Wir  snfhen 
selbst  iu  den  wirkungsvollsten  Reden  Kossutb^s  vergebens  aacli 


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DKKKKBDB  AUP  AMTOIT  CaKVaRRY.  623 

.Gedaukeureiclithum,  Gehalt  —  schreibt  er  einige  Jahre  später  iu 
einer  seiner  handschriftlichen  Skizzen  — ;  er  huscht  meist  nur 

Ober  tlie  Spitzen  der  Prinzipien  und  thatsnchlichen  Gmlidlagen 
liiiiweg,  wie  ein  Windhauch  ül)ei'  (Ins  Aliiviiiuerr  iliihinhusi-ht.  Er 
vrriiiieil  dit'  theoretischen  Dt  lnitteii.  wie  er  vor  Aurel  DessewftV  • 
selbst  eingestund.  Desto  reicher  waren  seine  lleden  au  woiiltöuen- 
den  Perioden  und  glänzenden  Bildern.  Wir  fiuden  iu  ihnen  die 
allverbreiteten  Ideen,  Losungsworte,  Fahuendevisen  der  Neuzeit, 
welchen  die  Menge  nachgeht.  Seine  Uede  hob  in  den  Himmel  oder 
trat  in  den  Staub,  sie  entwickelte  aber  den  Gegenstand  nicht,  son- 
dern beleuchtete  ihn  blos  wie  der  Blitz.  Und  dennoch  wurden 
Viele  von  diesem  Glanz  getäuscht.  Er  schimmerte  wie  das  Bild  der 
Sonne  oder  des  blondes  smt'  der  Oherfliiche  des  Wassers,  schien 
aiirr  tirW  In  Kossutli  lUaiiitVstirtf^  sich  scheinliar  tiefe  Ül)er/.euguug 
als  Krgebuiss laugwierii^t  II  ^^tudiullls  und  grüudiicher  Keuutui8S,iu 
Wahrheit  war  es  jedoch  nichts  Anderes,  als  eine  gewisse  Inspira- 
tion, welche  mehr  ein  Ausfluss  der  Empfindung,  als  des  Verstandes 
ist;  starke  Einbildmigskrafb  mit  flammendem  GefQhl,  fieberhafte 
Leidenschaft  und  aufgeregtes  Gemfith,  welche  so  reiche  Quellen 
der  Ausbrüche  patriotischen  Schmerzes  sind.*  f 'sengery  war  der 
Ansicht,  dass  der  Nation,  ausser  den  })egeisternden  und  enttiaui- 
nu'uden    IJeden  und  Artikeln,   iiucli  fWirtcrnde  und  detiiillirende 
Noth  thiiten ;  er  suclitf  in  der  Anarchie  der  Ideen  umsoust  die 
Richtung,  deren  Anforderungen  entsprechend,  das  Detail  di  r  lie- 
formfragen  sieh  g<'stulten,  umsoust  das  System,  dessen  Gruudzü- 
gen  folgeml,  die  Regeneration  Ungarns  durchgeführt  werden 
sollte.  Was  er  als  System  darin  fand,  war  nichts  Anderes,  als  das 
Komitatssystem,  als  höchste  Bürgschaft  unserer  Verfiissung  und 
unseres  Fortschritts  zu  einem  politischen  System,  zu  einer  gan- 
zen Doktrin  erhoben.  Csengery  war  im  Koniitat,  im  oppositionellen 
Bibarer  Koniitat  aufgewachsen,  dessenungeachtet  theilte  er  nicht 
die  Ansichten  Kossuth's,  der  das  Komitatssystom  vergcitterte,  ,iu 
w»dcliem  sich  —  w  ie  er  1841  in  einem  seiner  Leitartikel  schreibt  — 
die  Vorsehung  des  Gottes  der  l'ngarn  bei  dieser  Nation  yerkör- 
pert,  weldies  mit  dem  Leben  der  Nation  in  dem  Masse  verschmol- 
zen ist,  dass  die  intuitive  Anhänglichkeit  an  dasselbe,  gleichwie 
der  Glaube  an  die  Gottheit,  der  Fürsprache  der  Gründe  wohl  ent- 


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/  ■ 

624  -  DKNKKKÜE  Alt  AMW.  CtiKNUEBY. 

rathen  kann.''  —  Csengery  sah  iii  dem  Komitatasyntem  weder  för 
die  Verfassung,  noch  für  den  Fortschritt  eine  starke  Garantie,  und 
wiewohl  er  glaubte,  dass  dasselbe  iinter  unseren  ungladiseligeB 
staatsrechtlichen  Verhältnissen  einstweilen  beizobehalten  sst, 
sachte  er  dennoch  nach  neuen,  stärkeren  Bürgschaften  und  schloss 
sich  ebeu  desshalb  jener  Fraktion  der  Oppositionspartei  an,  welcl» 
dem  vom  Föderativsystem  nicht  weit  entfernten  Komitaissv.st^'iu 
gegen ü})er  die  Faline  der  parlamentarischen  Centralisation  aiit- 
pfltuizte  und  für  die  mdikalc  Reform  der  ungarischen  Verfas- 
sung nach  dieser  Richtung  hin  ilire  Stimme  erhob. 

Ssalay  war  der  Doctrinar,  £ötvds  der  Redner  und  Csengefj 
der  Journalist  dieser  Fraction.  Szalay  redigirte  das  neue  «Pesti 
Hirlap"  (Pester  Zeitung)  nur  ein  Jahr  lang  und  trat  es  im  Sommer 
1845  an  Csengery  ab.  Der  junge  Redakteur  leistete  seiner  Partei 
vor/.üj'liche  Dienste.  Er  «irlieitete  unausgesetzt  in  alle  Rubriken  d«'S 
Hhitte.s,  trotzdem  dass  di«*  HiMliiktion-s^orgt-n  seine  Z«'it  um  so  mehr 
in  Anspruch  nahmen,  je  mehr  sein  Streben  darauf  gericht<'t  war, 
dem  Bhitte  nicht  allein  strenge  Consequenz  im  Prinzip,  sondern 
auch  in  Bezug  auf  Stil  eine  gewisse  ^ileicliförmigkeit,  Eleganz  und 
pracision  zu  verleihen.  Zu  jener  iü^eit  überflutete  das  rhetorische 
Pathos  unsere  ganze  Literatur»  Di«  Verfasser  tou  Romanen,  Ab- 
handluugen,  Geschiehtswerken  schrieben  unterschiedlos  oratoriscL 
Die  Journalisten  kopirten  die  Manier  der  grosseren  und  kleineren 
Kednrr,  und  selbst  die  l^allreportiT  der  Ah)debliitter  referirten  mit 
Pathos.  Csengery  verbannte  aus  seinem  Blatte  den  rhetorisrlien 
Scliwulst  und  war  bestrebt  in  demselben  einen  einfacheren,  den 
Verschiedenheiten  des  Gegenstandes  und  der  Situation  angepassten 
Stil  einzubürgern.  Das  gute  Beispiel  seines  Blattes  hatte  über- 
haupt keinen  geringen  Antheil  daran,  dass  unser  ZeitungsstU  sll- 
mählig  ein  mehr  europäisches  Aussehen  gewann.  Im  Übrigen  besass 
er,  indem  er  sich  als  einen  Tagldhner  der  Sache  des  Fortschritts 
ansah,  keine  grosse  Ambition  auf  literarischen  Ruhm ;  der  Bedak* 
teur,  der  seinm*  Anfgal)e  vollstiindig  entsprechen  will,  ist  genöthiin 
in  seinem  Tdattc;  jtuf/ugehen,  und  f's^ngery  erstreckte  seine  Auf- 
merksamkeit in  der  Regel  auch  auf  Bagatellen.  Er  schriel»  Tagts- 
neuigkeiten,  Literaturanzeigen,  Theaterkritiken,  Auslaudsrubrik, 
bisweilen  auch  Berichte  aus  dem  Pester  Eomitathaussaale.  £r  war 


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nniKBSDB  AUF  AWm  CSBNfimT.  625 

der  Ansicht,  dass  die  Wirkiiii<jf  einen  Jourmils  nicht  alli'in  durch 
einzelne  ^'rosse  Artikel,  sotidciii  auch  dureli  kleine  Details,  ja 
durch  einzelne  Notizen,  mit  einem  Wort«  durch  den  Geist  dessel- 
ben bedingt  sei.  Indessen  nchrieh  er  auch  grössere  Artikel,  jedoch 
Anonym  und  vorzugsweise  über  Gegenstände,  mit  denen  seine  Kol- 
legen sieh  weniger  beschäftigten,  wie  Regelung  der  Städte  nnd 
Gemeinden,  Zoll-  und  Handelsangelegenheiten.  Und  er  unter^ 
stfitaite  seine  Kollegen  nicht  . allein  mit  seiner  literarischen  Thätig- 
keit,  sondern  ancb  mit  der  Energie  seines  Charakters.  Mit  jener 
äusseren  luihe,  aber  inneren  (ilut.  mit  jenem  gewissenhaft  erwä- 
gendoji,  aber  entschiedenen  Wesen,  welches  sein  ganzes  I^cImmi 
charakterisirt,  hielt  er  die,  zu  wiederholten  Malen  <ler  Eutmuthi- 
gong  und  Auflösung  entgegengelieude  Fraktion  gleichsam  in  sei- 
nem Blatte  zusammen  imd  warb  ihr  neue  Anhänger. 

Es  gab  im  ungarischen  Öffentlichen  Leben  kaum  etwas  Eigen- 
thfimlicheres,  als  die  Situation  und  das  Schicksal  dieser  Fraction. 
Sie  wurde  als  Verbindung  einiger  Theoretiker  betrachtet;  als  aber 
die  Stunde  der  That  schlug,  folgten  die  Männer  der  That  der  von 
jenen  angedeuteten  Richtung.  Die  (ienosscn  dieser  Fraction  wur- 
den als  träumerische,  unpraktische  Politiker  verspottet,  und  die 
praktischen  Politiker  verwirklichten  die  Träume  derselben  schnellei:, 
als  sie  selbst  sie  geträumt  hatten.  »Sie  legten  ihre  kaum  vierjährige 
Laufbahn  unter  den  vereinten  Spötteleien  und  Verdächtigungen 
der  Regierung  und  der  Oppositiou  zurück.  Die  Regierung  hörte 
ihnen  gerne  zu,  wenn  sie  ftlr  die  Nothwendigkeit  einerstarken 
Regierung  eintraten  und  gegen  die  auf  die  Bchmälemng  des 
Recht«kreises  der  Regierung  und  der  Legislative  gerichteten  Be- 
strebungen der  Komitate  eiferten,  aber  sie  zürnte  iIitumi,  weil  sie 
praktisch  fortwäliri  nd  mit  jeuer  Opposition  stimmten,  deren  Ideen 
sie  öfter  Terurtheilten.  Die  Op{>osition  sah  sie  gerne  an  ihrer  Seite 
kämpfen,  verargte  es  ihnen  aber  ebenfalls,  dass  sie  in  der  Theorie 
unablässig  die  Schattenseiten  des  Komitatssystems  erörtern,  wäh. 
rend  dasselbe  doch  die  stärkste  Bflrgschaft  unserer  Verfassung 
sowol  als  unseres  Fortschrittes  sei.  Gsengery  nnd  seine  Genossen 
liessen  diese  Anklagen  nicht  unbeantwortet  und  entwickelten  ihre 
Ansicht  duhin,  da'-s  insolange,  als  <lie  (iuraiitie  der  parlamentari- 
schen Cunceutration  und  verautvvortlicheu  Hegierung  nicht  errungen 


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m 


DBNKBEUB  AUF  ANTUV  C8IN0BHT. 


SL'i,  ji'iu'  <  KiiMiit  ir,  uflcln-  wir  in  iin>erom  Koiiiilatssysleni  i>f>il/,»ii. 
niflit  uut"ge<:jt'li<^ij  wcnleii  kuinic,  (laus  e.s  jttlocU  notbwt'julig  »ei, 
die  Mäiifijf'l  1s  Systems  sowohl  der  Hegieruug  als  auch  der  Oppo- 
sition aui'zudeckeii.  Und  indem  sie  einerseits  die  Grenzen  des 
Rechtskreises  der  Komitate,  der  Legislative  und  der  Regierung 
gegenüber,  umschriebeni  steckten  sie  andererseits  auch  die  Schran- 
ken der  exeentiven  Gewalt  ans.  Ihr  Rath  <riiig  mit  einem  Worte 
(luliiu  :  der  Kegienmg  all»'  jeiie  Itei-hte  /uzugestt'licii,  welche  ilir. 
damit  sie  ihrer  Aiitgal)»*  cntspreclieii  könne,  in  je(U'm  >taate  ii>»tli- 
wendigerwei.se  zukommen  ;  sie  forderten  indessen  für  die  Ausühuug 
(lieser  Hechte,  anstatt  des  Wiederstaude»  der  Komitate,  in  der 
Kontrole  der  VolksYortretnng,  in  der  parlamentarischen  Verant- 
wortlichkeit eine  Bfirgsehaft  höheren  Ranges.  Und  sie  hatten  in 
alledem  Recht,-  aber  einen  dritten  und  den  wichtigsten  Einwurf 
machte  ihnen  niemand,  und  nuch  sie  selbst  dachten  kaum  daran  : 
die  Frag«;  nämlich,  wie  sie  das  Institut  der  itarlanientari.soheii 
gierung  den  \  «  rhültuissen  der  Monarchie  einfügen  zu  können 
glauben  ?  und  welche  Getttalt  das  Hand  der  gemeinsamen  luteres- 
sen  den  konstitutionslosen  oder  konstitutionellen  £rbliuidem  ge- 
genüber dann  annehmen  würde  ? 

Diese  Frage  blieb  im  Dunkeln,  und  auch  Csengery  wandtp 
ihr  seine  Aufmerksamkeit  nur  in  einem  Punkte  zu,  indem  er  in  der 
Zoll-  nml  HaTidelsfrage  «hesellie  Hasis  empfalil,  widclie  zwan/iL? 
Jain-e  nachher  auch  der  desetzurtikel  XVI.  18«)7  acc<'i>tirte.  Indes- 
sen dieut  zu  ihrer  Kutschuldiguug,  duss  sie  die  Verwirklichuug 
ihrer  Ideen  in  viel  weiterer  Feme  wilhuten,  als  daf!.«?  sie  die  Di-ciid- 
sion  dieser  heiklen  Frage  bereits  für  notb  wendig  hätten  erachten 
können.  Und  als  die  Sfönstage  anbrachen,  war  ihnen  nidit  ver- 
gönnt, an  der  Formulirung  der  neuen  Gesetze  theilznnehnieu. 
Zwanzig  .lahre  später  jedoch  sind  sie  es  gewesen,  welche  diese 
Fra'jfe  zuerst  auf  das  Tapel  hrachti-n,  und  alles  uufboteu,  dass  die- 
selbe im  lS(i7-er  d'esetze  ihre  Ijösnng  erhalte. 

Csengery  Idieh  auch  währead  der  1848-er  Bewegung  Hedak- 
teur; er  verwandelte  sein  Hlatt  in  ein  Tagesldatt,  uud  erhob  es 
zugleich  zum  Organ  der  Regierungspartei,  des  Ministeriums  Battja- 
nyi.  Er  kämpfte  mit  gleicher  Energie  sowol  gegen  die  Wiener  wie 
gegen  die  Pester  extremen  Tendenzen ;  er  schrieb  auch  damals 


ULMiÜEDB  AUF  A^TOK  t^»£.NUi!.liY. 


627 


auoiijm,  }il)»'r  in  jenen  kleiuen  Artikeln,  in  welchen  er  die  Evolu- 
tionen der  Bewegung  Yon  Tag  zu  Tag  verfolgte,  konnte  die  Prä- 
cision,  Prägnanz  und  ernste  Schönheit  seines  Stils  unschwer 
erkannt  werden.  Und  als  wir  in  die  Rerolution  hineingerissen  wur- 
den, blieb  er  ebeiii'allH  auf  seinem  Posten,  seine  Ideen  jedoch  än- 
derten sich  eben  sowenig,  wie  sein  iStil.  Man  ^-agt,  «lic  lu  \olu(ioii 
8ei  dem  Pliilosonlicn  Idee,  dem  Volk  Ruclie.  CseMgery  ii  war  nie 
bhs  Idee;  er  hatte  an  ihren  Leidenachaiten  keinen  Theil.  Als  er 
Ende  Dezember  18^8  die  Regierung  nach  Debrezin  begleitete,  zog 
er  sich  Ton  der  journalistischen  Lauihahn  zurück,  und  später,  als 
Ministerialrath,  beschäftigte  er  sich  grösstentheils  mit  Codificaiion.' 
Nach  dem  Tage  von  Yihtgos  irrte  er  eine  Zeitlang  flQchtig  umher, 
nnd  als  er  gegen  Knde  1849,  reich  an  Tiinschungen  und  Schmer- 
zen. al>er  de.sto  iiniier  an  Vermögen,  nach  Pest  zunirkkelirte.  >ah 
er  sich  jede  Lautbuhn  verschlossen.  Indessen  vermochte  da«  Miss- 
geächiek  weder  seinen  ( 'iiuriikter,noch  seinen  Geist  /u  unterjochen. 
Er  verlebte  jene  zehnjährige  schwere  Zeit,  in  welcher  unsere 
Verfassung  nnd  Nationalität  mit  Füssen  getreten  wurde  und  der 
Patriot  zur  Unthätigkeit  oder  Erniedrigung  verdammt  war,  so 
wördevoll  und  so  thätig,  wie  nur  Wenige.  Um  seinen  Unterhalt  zu 
gewinnen,  gal»  er  Unterri«  ht sstunden  in  einer  Privater/.iehnngs- 
an«-talt  ;  um  die  wüste  (iej^a-nwart  zu  vergessen,  versenkte  er  sich 
iu  die  ^'ergHngeuheit,  in  historische  Studien ;  da  die  (irundlagen  der 
moralischen  Wissenschaften  in  ganz  Kuropa  zu  schwanken  schie- 
nen, verlegte  er  sich  mit  Leidenschaft  auf  eiuen  und  den  anderen 
Zweig  der  Naturwissenschaften ;  da  fttr  die  Pflege  unserer  Natio- 
nalität nur  ein  einziges,  das  literarische  Feld  übrig  blieb,  nahm  er 
aufs  Neue  die  Feder  in  die  Hand  und  schrieb,  jedoch  keine  politi- 
schen lieitartikel  mehr. 

Als  unsere  verstummte  Literatur  im  Herbst  184',>  wieder  das 
Wort  nahm,  zogen  die  eben  dahingebrausteu  grossen  Ereignisse 
am  Publikum  so  rasch  vorüber,  dass  seine  Erinnerung  vollständig 
gleichsam  an  ihnen  haftete,  und  die  Namen  der  erst  eben  vom 
Schauplatz  abgetretenen  Männer  nalira  bereits  die  Muse  der  Ge- 
schichtsschreibung auf  ihre  Lip])cii.  Es  erschienen  kleinere  und 
jfrßssere  Werkft  üImt  die  Kreignisse  d»  r  jüngstvergangenen  Tage, 
iJhai'akteristikeu  der  Männer,  die  iu  dieser  bewegten  Epoche  eine 


628  DBNKBBDB  AOF  AHTOK  OBSKOVKT. 

tliätigo  Uolle  jL?fs|)i«'lt  liiittt  ii.  Es  w;in»ii  iiH'ist  obcrfliiclilirlii'.  üImi-- 
eilU'  Urth«'il<%  von  Princijiicii  und  Licschiclitspliilosojtlnscli»*]!  < i<- 
Hielitapunkteu  keine  lu^Je.  Iii  »liesM*  /fit  der  ]»(>litisc'beii  Cliarak- 
terzeichnuogen  bcschloss  auch  Csengery  eine  Sainmlang  solchex 
herauszugeben,  welche  ein  treuerer  Spiegel  der  jüngsten  Vergan- 
genheit sein  und  diese,  ebendamals  ihren  Ahschloss  erreicheud« 
Epoche  in  ihren  Vertretern  jeder  Richtung  charakterisiren  sollte. 
So  gab  er  1851  sein  «Mugyar  8Z(>nokok  es  allamfiMak  kdnyre' 
(Buch  ungariselier  Redner  und  Staateraänner)  heraus,  in  welchem 
die  rharakter}»ildcr  Vau]  Xagy's,  Ethninid  I 'u'ilthy's,  Moriz  Szeiit- 
kiralvi's,  Aun  l  Dezscw  fh 's,  .r<»>cf  E(>tM'>s's  mul  fiadislaus  Szalav's 
voD  ihm  herrühren.  Das  Charakterbild  Ko.ssuth'js  wurde  für  den 
nicht  erschienenen  zweiten  üaud  reacrvii-t-,  und  ist  bis  hent*»  nicht 
gedruckt.  Später  schrieb  er  anch  noch  [eine  Charakteristik  Deak^s, 
die  er  an  dieser  Stelle  als  Denkrede  vorlas ;  sie  ist  jedoch  mehr  als 
Denkrede,  sie  ist  ein  wirklicher  |£ssay,  sein  gelnngeuster  Essav. 
Csengery  ist  bei  uns  einer  der  hervorragenden  Vertreter  der  Essaj- 
iiit*'ratnr,  ja  in  Hinsiebt  auf  Form  und  Sprache  vielleiclit  der  her- 
vorragensle.  Er  liatte  eine  iM  sontb-re  \  nrliclic  lüv  diese  (ijittiniff, 
welclie  zwischen  Hucli  und  .lournalurtikcl,  A})lianillung  und  Kritik 
in  der  Mitte  steht,  von  der  Wissenscliatt  ihre  Ideen,  von  der  Lite- 
ratur ilue  Formen  entlehnt,  und  in  gleichem  Mas^^e  den  Fachmann 
und  das  gebildete  grosse  Publikum  vor  Augen  hat  Csengery  war 
während  seiner  ganzen  literarischen  Laufbahn  fortwährend  be- 
strebt, diese  literarische  Gattung  bei  uns  einzubürgern,  welche  von 
den  Engländern  und  Franzosen  erfunden  worden  ist,  von  den 
Dentschru  mit  wenig  (»liiek   nachneahnit  wird.  Kin  HauptertVir- 
derniss   dieser   iiattung  i.st  die  Kuii>t  der  DarstelluiiL,'.  un«l  ant 
diese  verstund   sieli  Csengery  vortrefHi.  li.  Die  Komposition  baut 
sich  bei  ihm,  ob  er  nun  einen  politischen  oder  einen  wissenschaft- 
lichen Essay  schreibt,  in  harmonischen  Proportionen  auf,  und  ist 
ebensowenig  weitschweifig,  wie  überladen.  Eemeny^s  und  Eötvds  s 
Essay^s  sind  an  Ideen  und  Empfindung  reicher,  aber  ihre  Kompo- 
sition ist  eine  losere  und  ihr  brillanter  Stil  weniger  präeis.  Csen- 
gery paarte  die  Durchsichtigkeit  mit  Wohlklang  und  die  KAnw»  mit 
Fltissigkeit,  Kr  njeidet  die  l'erioden.  al)er  seine  kurzen  Sätze  r.iit- 
gireu  »ich  symmetrisch  um  einen  llauptgedaukeu.  Es  ist  seine  An, 


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raNKBIItK  AUF  ANTON  C'SKNQKRV.  G29 

mehr  zu  urÜieileu  und  ym  uiieiitiren,  uJs  zu  analysireu,  mehr  zu 
«'i'/ählHti  und  zu  scliikierii,  als  ausemandeKBusetzeu,  melir  nur  die 
Haaptideen  und  Hauptpunkte  hervorzuheben,  aber  derart,  dass  er 
in  seinen  Lesern  die  ganze  (rruppe  der  Nebenideen,  den  ganzen 
Umriss  des  Gemäldes  lebendig  zu  machen  vermag. 

Diese  Samrahing  politischer  Charakterbilder,  in  welcher  auch 
die  v'^zechfiiyi-  niid  Wossplenyi-EssavH  dos  Marons  Josot'  KeiiK-uy 
Platz  laiidpH,  wurden,  w alirsclicinlich  iiir<'r  historisrlieii  Oljjcctiviliit 
woj^'i'n,  vr>m  l'ublikuni  niclit  solir  l)oifiiUig  aufgoiiommeu.  Die  Leiden- 
rtchaftoji  waren  mx  li  uiclit  so  weit  beschwichtigt,  um  die  Reflexion  . 
anhören  zu  könueu.  in  Frankreich  war  es  anders;  dort  warf  (luizot 
eben  um  diese  Zeit  die  Frage  auf :  warum  reussirte  die  englische 
Revolution?  Csengery  glaubte,  dass  diese  Frage  am  besten  durch 
Macaulay'8  unlängst  erschienenes  Werk  „Efighmd's  GeschielUe  seit 
der  Thrmhesteigu)«!  Jakob' s  IL'  gelöst  worden  sei.  Die  Verpflan- 
/.uii<^  des  ewifr  wertlivolleu  Werkes  in  un-ere  Literatur  seliiiMi  ilnii 
tlihi-r  eil;  FuLjesinten's-^*'  zu  liai)en.  Er  schützte  -Macaulav  lioeli, 
liielt  ihn  für  deu  urr»ssteii  ( leschichtsse  Ii  reibe  r  der  Neuzeit 
und  hegte  besondere  Vorliebe  filr  seinen  Helden,  Wilhelm  von 
Oranien.  Dieses  Buch  war  ihm  ein  grosser  Trost  und  er  glaubte, 
es  wttrde  ein  solcher  auch  seiner  Nation  sein.  Auch  bei  uns  gras- 
Hirte,  wie  einst  in  England,  eine  verblendete  Regierung,  als  Reac- 
tion  der  Revolution :  aber  dort  machte  sie  den  Keim  der  Freiheit  ' 
enjporschiessen,  der  versöhuliriie  Patriotismus  der  Parteien,  ilie 
W  eislieit  des  FiihnuN  Ix^endete  die  ii'evohitiou.  stellte  die  Verfas- 
sung wieder  her.  < 'seugery  glaubte,  dass  i'riilier  oder  später  auch 
Ijei  \iixa  eine  Wendung  eintreten  werde,  aber  er  frug  sich,  ob  unsere 
Parteien  soviel  versöhnlichen  Patrlotisnms,  ob  wir  einen  so  weisen 
Ftthrer  haben  werden,  wie  die  Engländer?  Eben  um  diese  Zeit 
fibersiedelte  Deäk  nach  Pest,  mit  dem  Csengery  eine  immer  engere 
Freundschaft  schloss.  Wer  hätte  es  wohl  damals  geahnt,  dass  zu 
dieser  c^rossen  Holle  eben  Deak  bernfen  und  Csentjerv  sein  treue- 
sler  SehihUriiger  sein  werde?  Deak  his  das  Duell ;  es  war  aueli  ihm 
ein  Trnsi  ;  d<*r  alte  Kritiker  Paul  Szeniere  aber  rief  begeistert  aus  : 

würde  Kiiziuczy,  wenn  er  lebte,  über  diese  Prosa  mtzückt 
s»'in  I  weleh  eine  Präcision,  Feinheit  und  Kraft  im  Ausdrucke  I* 
Diese  Übersetzung  ist  in  der  That  die  beste  Leistung  prosaischer 


L>iyui^ed  by  GQggle^ 


680    .  MNKBVDS  AUF  AWTOV  tttKHOKRY. 

Ubcrsetzuiipfskiinst  ans  »liosor  Zeit  und  sie  isf  aiuli  auf  die  Eut- 
wickclung  tles  uiigari.sclit'n  lii.storischeii  iStils  uielit  olnu*  Einfluy» 
gel>li«-'l»eu. 

lu  d<*n  fiinf/^iger  Jahrm  uiilini  Cseutforv  noch  an  drei  litera- 
risclion  Vntornphmungen,  als  Mitredukteui'  oder  Gründer  Theil.  Er 
rief  1B54  mit  Kenieiiy  das  «Magyar  nep  könyve''  (Bnch  des  unga- 
rischen Volkes)  ins  Leben,  übernahm  1855  die  Redaktion  d» 
Feuilletons  des  «Pesti  NapM"  (Pester  Tageblatt),  und  begrUodete 
1858  die  »Budapest!  Szemle*  (Bndapester  Revue).  Nach  der-Rero- 
IntioTt  bildete  sicli  bei  uns  eiif  j^aii/e  l)osondiMe  Literatur  für  das 
Volk.  r'seiig«M-v  und  soiiie  <M'Uoss('n  hielten  es  für  ihre  IMliclit.  da- 
gegen aufzutreten  und  es  auHzufsprechen,  dass  die  Kinfaeliheit  niclit 
in  der  Kinfaltigkeit  und  das  Volkafchtimliehe  niclit  im  Pöbelhaften 
l)estehe  ;  daas  andere  gebildete  Nationen  unter  dem  Volksmässigen 
das  für  das  grosse  Publikum  Geschriebene  verstehen ;  dass  es  die 
beste  Sehreibweise  sei,  wenn  das  Geschriebene  you  jedem  Leser 
verstanden  wird,  vorausgesetzt  dass  dieser  bereits  einige  Kennt- 
nisse besilase.  ünd  sie  stellten  Atr  die  Werke  der  sehSiien  Litecstur 
die  Regel  auf,  dass  das  Volksniässige  die  Kunst  nii  ht  ausscldiesse. 
iJas  Werk  gewinnt  nur  an  Worth,  wenn  wir  es  allgenieiii  verstiiml- 
licb  machen,  wir  dürfen  jedoch,  indem  wir  es  da/u  maeheii,  seine 
Voraussetzungen  nickt  ändern.  Das  in  diesem  Sinne  redigirte  Un- 
ternehmen wurde  von  zahlreichen  vorzüglichen  Öchr  iitstellem  nc- 
terstQtzt,  und  war  von  nicht  unbedeutendem  Eiuflnss  darauf,  dass 
unsere  volksthfimlichen  Blätter  richtigere  Bahnen  einschtogen. 
Csengery  selbst  bearbeitete  für  das  Unternehmen  Johnston> 
Chetmsehe  RHäer,  welche  nachher  auch  in  einer  Separatausgalx» 
erseliieuen.  Als  Kedakteur  des  Feuilletons  d<'s  „Pesti  Naplö"  «nd 
(iründer  der  ,l>uda]tesH  Szemle"  wrdlh*  er  «'ine  noch  jj[njsserp 
Lücke  ausfüllen,  einem  noch  luUl bareren  Hedürfnisst»  begegnen, 
l^er  Strom  der  ungarischen  Wissenschaft  und  Literatur  bewegte 
sich  in  einem  ziemlich  engen  l^tte.  Wir  kultivirten  vorzugsweise 
die  sogenannten  vaterlandischen  Wissensdhaften  und  nahmen  tob 
den  Bewegungen  des  Auslandes  wenig  Notiz,  oder  wenn  wir  das 
auch  thaten,  blieb  es  für  das  grosse  Publikum  ein  todtes  Kapital. 
Csengery  hielt  es  für  nnumgänglich  nothwendig,  dass  das  Feiiille- 
toiL  irgend  eines  iilatt<is  oder,  wenn  möglich,  eine  ganze  besondere 


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Zeitschrift  jL(Ifi<  lis5aiii  <1<'r  A  tTiiiiltlrr  «'iiiorseits  /wi^cheu  der  Wis- 
senschaft  uinl  dem  gebildeten  Pnbliknni,  andererseits  zwischen  der 
▼aterländischen  und  ansländischeii  Literatur  sei,  und  den  ungari- 
schen Leser  über  alle  die  Ideen  orientire,  welche  die  Geister  der 
ganzen  Welt  beschäftigen.  Daneben  sollte  auch  der  kritische  Geist, 
sowohl  in  der  Wissenschaft,  als  nnch  in  der  Literatur,  geweckt 
Werzlen.  So  wunh' das  IVnilh'tnn  «h's  ,I't*sti  Xiiplir  und  spiitcr  <lio 
-Hndapesti  Özemh'"  /mii  V^-rtreter  dieser  Uiiditung.  ( "seiigerv  nahm 
dal>oi  niclit  Mos  ait  der  Aueifernng  zur  Arbeit,  sondern  auch  an 
der  Arbeit  sc1)>st  theii.  Er  lenkte  die  Aufmerksamkeit  des  Publi- 
knms  auf  die  bei  uns  so  sehr  yeruachlässigte  Weltgeschichte.  Er 
schrieb  einige  kulturgeschichtliche  Essay's  über  China,  Indien  und 
Kgypten.  Er  zeigte  zahlreiche  auslündische  Werke  an,  oder  bear- 
beitete darüber  gesclirieliene  Essay's.  Bei  der  Hetrachtiing  unserer 
vaterländischen  (.iesrliiiditsschreilinng  fielen  iliiu  insl)es<)ndere  zwei 
Dinge  auf,  die  er  für  schädlich  liielt.  Die  Erforscher  unserer  Urge- 
schichte hatten  sicli,  den  Fnsstapfeu  Otrokocsi's  uud  spät»'r 
^^tephan  Horväth's  folgend,  voRständig  auf  Abwege  yerirrt,  uud  er 
bestrebte  sieh,  indem  er  ihre  Methode  angriff,  zugleich  auf  die  rich- 
tige Methode  hinzudeuten,  welche  nicht  aus  einzelnen  verwandt 
klingenden  Wörtern  verwegene  Folgerungen  zieht,  sondern  Orga- 
nismus mit  Organismus  v- rgleichr.  nicht  aus  dem  /usammen- 
tretfen  einzelner  Ziiire.  oft  mit  Ausserachtlassung  der  wesejitliclien 
Verschiedenheiten,  auf  die  Verwandsclinft  der  Völker  scUliesat, 
sondern  sozusagen  Physiognomie  mit  Physiognomie  zusammen- 
hält. Er  glaubte  ferner,  dass  die  Materialsaromlung  mit  der  Aufar- 
beitung {Schritt  halten  mflsse  und  dass  die  Zeit  gekommen  sei,  wo 
auch  unsere  Schriftsteller,  die  klassischen  Muster  des  Alterthums 
und  die  grossen  Geschichtsscheiber  der  neueren  Völker  zu  Vorbil- 
dern neluuend,  die  Wissenschaft  mit  Kunst  paaren  niüssten.  weil 
dieselbe  nur  in  k iinstlerisciier  bOrni  wirklich  nationales  (uMuein- 
gnt  werde.  Er  begann  deshalb  »Studien  Uber  die  künstlerische  Seite 
der  ^rescbiehtsehreibung  zu  schreiben.  Es  sind,  wie  er  sell)st  sagt, 
fragmentarische  Artikel  Uber  die  Form  der  Geschichtsschreibung 
in  coBcreter  Gestalt  :  Charakteristiken .  namhafter  ausländischer 
Geschichtschreiber  nebst  denen  einiger  vaterländischer,  dazu  Be- 
leuchtung der  Ansichten  der  hervorragenderen  Kritiker  des  Aus- 


«82  DKNKREPE  AtF  >»T01I  ('Sj>6JtRT. 

luinles.  Diese  fragnuMitariscliPii  A rtikt  l  rrf*'üu/An\  «MiiaiHler  iii<1essoi). 
Öie  stellen  iu.slx'sondere  den  wohltliätigeu  und  nachtheiligeii  Ein- 
flnss,  dea  die  Belletristik  auf  die  Gt^scliiehtschreibimg  ausübt,  vor 
Augen,  und  bezeichnen  nach  Polybius  die  Grenze,  welche  das  schoo- 
literariflche  Werk  Tom  Geschichtswerke  scheidet. 

Mit  der  Gründung  der  »Budapesti  Szenile*  ging  ein  alter, 
sehnlicher  Wunsch  Gsengery's  in  ErfQllung.  Im  Anfange  der  Tier- 
ziger  Jaluv  liatteu  Szalay  und  K()tv<»s  eine  Zeitschritt  älnilichen 
Inhalts  und  gleichen  Titels  begoniH-n.  aber  nur  bis  auf  zwei  liiiiidp 
bringen  können.  Csengery  gelaug  es,  di^  sfinigo  zwidt'  Jahn' 
lang  zu  redigireu.  Es  scliaarteu  sich  um  ihn  die  Mitarbeiter  der 
altrn  »SzemLe  :  £ötvÖ8,  Szalaj,  Trefortt  Moriz  Lukacs,  die  Männer 
die  in  unserer  Literatur  zuerst  bemüht  waren,  die  Politik  und  die 
Wissenschaft,  das  Leben  und  die  Literatur  in  engere  Verbindaog 
zu  bringen.  Diese  Zeitschrift  war  gleichsam  der  Sammelpunkt  der 
alteren  wissenschaftlichen  und  literarischen  Kr^le  und  die 
Schule  der  jüngeren  Talente,  t'sengery  war  verniüge  seiner  riel- 
seitigeu  Bildung  und  seines  vorzüglichen  (ieschmackes  zur  Redak- 
tion einer  solchen  Zeitschrift  grade  der  geeignete  Mauu.  Er  ^mclite 
,  die  ungarische  Essay-Literatur  zu  1)egründen,  und  wenn  er  keinen 
genügenden  Vorrath  Ton  Original-Aufsätzen  hatte,  liess  er  auslän- 
dische übersetzen  oder  bearbeiten.  Er  yeranlasste  so  manchen  ver- 
stummten Autor,  wieder  das  Wort  zu  nehmen,  er  bewog  so  man- 
chen Gelehrten,  für  das  grosse  Publikum  zu'  schreiben.  Er  über- 
redete sen)st  Deak,  das  ])erüchtigte  Werk  .  Lustkaiidrs  in  der 
Szemle  zu  l)eurtheilen  und  bot  ihm  dal)ei  zuj^leish  seine  Mithülfe 
au.  Die  Entw  iekeluug  der  europäischen  AV' isseuschaft  und  Literatur 
unausgesetzt  mit  Aufmerksamkeit  verfolgend,  mit  den  Lücken  der 
unsrigen  wohlrertraut,  gab  er  seinen  Mitarbeitern  die  liichtung 
und  den  Gegenstand  an,  und  vertheilte  die  Arbeit  unter  sie.  Er 
lenkte  so  manchen  Autor  auf  dasjenige  iSebiet,  auf  dem  er  am 
meisten  an  seinem  Platze  war,  und  aus  so  manchem  in  seiner  Zeit- 
schrift erschieneneu  Essay  wurde  später  ein  ganzes  Buch,  da« 
unserer  Literatur  zur  Zierde  gereichte,  lu  den  fünfziger  und  sech- 
ziger Jahren  war  seine  einfache  Wohnung  einer  der  Ilauptsanunel- 
plätze  des  ungarischeu  Literatenthuma.  Es  kamen  bei  ihm  nicht 
selten  die  hervorragendsten  Staatsmänner  und  Schriftsteller  jeuer 


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PKNKKKDE  A«  |  AMoN  <>iKN«}i;i<K 


Zeit  zusammeu.  Sein  einziger  Iinxii8  war,  dass  er  Diejenigen,  die 
er  Tiesondera  verehrte  und  liebte,  hie  und  da  zu  einer  kleinen  Soiree 
lud.  Er  sachte  und  fand  im  Schosse  des  Familienlebens  nnd  im  Ver- 
kehr mit  seinen  Freunden  seine  Freude,  seinen  Trost.  Seine  Ver- 
schlossenheit erschloss  sich,  sein  Emst  erheiterte  sieh  bei  solchen 
Gelegenheiten.  Hinter  seiner  schweigsamen  und  kühlen  Art  bi^r- 
t{en  sich  starke  GetVilile  der  Zu-  und  Abneigung.  Auch  Theilnahme 
iiTnl  Auhän^lichkeii  äussert«'  sicli  hoi  ihiu  nielir  in  Tliaicu,  als  in 
Worten.  Er  wurdo  von  ein«M'  Idee,  eiuer  Sache  oiler  «'iner  iVr- 
sou  nicht  leicht  eingenommen,  blieb  ihr  aber,  weun  er  sie  eiu- 
•  mal  liebgewann,  um  so  anhänglicher.  Er  war  bedächtig,  aber  ener- 
gisch, yorsichtig,  aber  ausharrend  und  consequent.  Die  Leute  kann- 
ten seinen  Emst  und  seine  Opferwilligkeit,  sie  schätzten  sein  Ta- 
lent hoch  und  wandten  sich  in  öffentlichen  Angelegenheiten  aller 
Art  gerne  an  ihn. 

Es  ^ab  in  der  That  von  1850 — 1880  in  Ungarn  kaum  eine 
nahniliaft^M»',  auT  die  kidlur«dlc  oder  iiiatei  it  llc  Hebung  des  Landes 
gerichtete  Anstalt  oder  ( leseilsiliat't.  an  deren  Begründung,  Orga- 
nisation oder  Liefurm  Tseiigery  nicht  wesentlichen  Antheil  genom- 
men hätte.  Unsere  Akademie,  der  landwirthschaftliche  Verein,  die 
ungarische  Bodenkreditanstalt  waren  Tonugsweise  Gegenstande 
seines  Eifers.  Am  Ausgange  der  flQnfziger  Jahre,  als  unsere  Aka- 
demie sich  wieder  freier  bewegen  durfte,  nahm  auch  Csengery  leb- 
hafteren Antheil  an  ihren  Ang(degenheiten.  Er  nahm  Einfluss  auf 
die  neue  Ausarbeitung  der  (leschäftsordnnng,  regelte  die Geschäfts- 
gebaliraug,  i»eantragte  die  ( )rgani<ati'»n  luiMiren'r  stehender  Kom- 
missionen, uml  belebte  mit  seiiuMi  Journalartikeln  im  Publikum 
fortwährend  die  Theilnahme  für  die  Wirksamkeit  der  Akademie. 
Vordem  hatten  sich  die  Zeitungen  um  die  Akademie  blutwenig 
gekümmert ;  Csengery  begann  die  regelmassige  und  systematische 
Besprechung  der  Wirksamkeit  ihrer  Klassen ;  seitdem  ist  die  Aka- 
demie eine  stehende  Rubrik  unserer  Zeitungen.  Später,  im  Jahre 
1BG7,  wurde  die  Reform  ihrer  Statuten,  die  Regelung  ihrer  G^ld-* 
angelegenheiten  seinen  Anträgen  entsprechend  ins  Werk  gesetzt. 
Er  wurde  zuerst  zum  Mitglied  ihres  Direrktionsratlis.  dann  1S71 
zu  ihrem  zweiten  PriUi«lenteii  gewählt ;  er  war  von  allem  Anfang 
an  Präses  des  Biicherverlagr.unteruehmeu«i  und  später  auch  der 

Voffuiiicbe  BsvaA,  MKS.  Vm-DL  Heft  41 


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e84  ramcRRrat  kvr  anton  csvnqbrt. 

* 

hijiiorischeii  Eomniissioi).  Die  geistigen  imd  jnateriellen  Inkremi 
der  Akitdemie  lagen  ihm  gleicherweise  am  Herzen  nnd  er  war  Ton 

dem  Doppekwecke  dieses  Tnstitnfc* :  gleichmas^ig  nnd  gl*'ichzeitig 
ilei)  IiitiMHvsiüOii  ih'Y  Wissenschaft  und  «It-r  Xiitionalifiit  zu  dif^nfii. 
vollkommen  «Inrfhdriiiij^en.  im  lund wirtli^cliaitli rlwn  A  «*reiii  nahm 
er  un  zwei  wicliti<j;»Mi  Angeieg»'iilH'it<'ii.  welche  uuf  die  materielle 
}{ebnng  rngarns  von  grossem  Eiutiuss  waren,  tliätigen  Autheil 
Er  schrieb  im  Auftrage  des  Vereins  jenes  in  mehreren  S]>ra- 

chen  erschienene  Memorandum,  welches  das  ungarische  Eisenbabn- 
nets  zuerst  feststellte  nnd  den  zweifachen  Zweck  verfolgte :  die 
ausländischen  Kapitalisten  ttber  die  öffentliche  Meinung  Ungarns, 
die  mch  anderswo  nicht  äussern  konnte,  zn  orientiren,  und  der 
künftigen  ungarischen  Regiertmjf  die  Jiiehtuiig  /u  geben.  Weit 
früher,  im  .hilin*  18r»S,  verl"asst<'  er,  mit  Mc]clii(»r  Liiiiyay  verciut. 
elMMiialls  im  Auttrage  und  Intere.sse  <les  land\\ irthschatthcli«'ii 
Vereins,  ein  an.  die  Regierung  gerichtete.'«  Memorandum  über  deu 
Stand  des  ungarischen  Bodeukredits.  Als  im  Jahre  1862  die  Bodeu- 
besitzer,  dem  Memorandum  gemäss,  an  die  Gründung  der  ungari* 
rischen  Bodenkreditanstalt  gingen,  arbeitete  Gsengery  die  Stataten 
derselben  und  ihre  Qeschäftsordnungs-  und  Manipnlations-Instruk- 
tionen  aus.  Nicht  minder  schrieb  er  im  Auftrage  der  DirektioD  da» 
an  den  Reich.stag  gerichtete  Memorandum,  Als  die  An.stalt  ins  Le- 
hen trat,  wurde  er  zum  Secretiir  und  s})Uter  zu  einem  ihrer  Direk- 
toren gewählt.  In  beiden  Eigenschalten  machte  er  sich  um  <li'' 
Vervollkomnung  der  Geschäftsgebahrung  und  um  das  Autblidien 
der  ganzen  Anstalt  in  bedeutendem  Masse  verdient.  Zahlreiche 
'  Geldinstitute  bedienten  sich  seines  Rathes  oder  gingen  ihn  am 
Pläne  an.  Er  entwarf  einen  ungarischen  Volksbankplan,  welcher  in 
mehreren  Theilen  des  Landes  Terwirklicht  wurde.  Auf  EdtrjSs*» 
Ansuchen  arbeitete  er  den  Entwurf  eines,  den  Pester  Industrie 
verein  zu  erzetzen  besliiumien  Landes-Industrievereins,  in  Verbin- 
duntr  niit  dem  eines  Industricmuseums  aus,  und  sickerte  mittels 
des  Laudestitels  den  ungarischen  Uiiarakter  desselben. 

Lidessen  nahm  die  im  Jahre  1800  in  Fluss  geratheue  poli- 
tische Bewegung  die  Tlültigkeit  Csengery'a  am  meisten  in  An- 
spruch. Er  betheiligte  sich  an  dem  Kampfe  zuerst  als  Journalist, 
indem  er  dem  Oktober-Diplom  gegenfiber  mit  grosser  Energie  (tt 


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r»KNKRKI»i:  AI'F  ANTON  ISKNtiKRV. 


die  18l8-('r  <M>^;f>t/,r  fintrat.  Als  er  darauf  im  Jahre  18tll  zuui  Ab- 
geordneten gewühlt  wurde,  schloss  er  sieli  oiijjr  au  Dej'ik  an.  Seit- 
drra  war  er  bis  zu  seinem  Tr)de  Mitglied  des  Abgeordnetduhausea 
und  entwickelte  insbesondere  seit  dem  Jahre  1866  eine  grosse  Thft- 
tigkeit  in  den  reichstäglichen  Eommissionen.  Er  hatte  bedeutenden 
Theil  an  der  Zeitigung  und  Formnlirung  der  AnsgleicLsplüne 
Detfk*s.  Der  Reichstag  betrante  eine  fOnfhndsechziger  Kommission 
mit  der  l''orniiiliriin<^  des  A iisglcidis.  Dirso  Ivounuission  wählte 
('seng«"rv  /.u  ihrem  IN'lerent«'!!,  und  ontsniidte  rin«*  Suhkommission, 
den'ii  I't'ferciit  «'henfalls  CHenger\  wurde.  Die  bubkoniniissiou  be- 
traute Detik  und  Csengery  mit  der  Formnlirung  der  Details.  Der 
Entwurf  wurde  fertig,  da  iudesseu  der  Keichstag  am  20.  Juni  18GG 
plötzlich  vertagt  wurde,  blieb  fQr  die  Schlussredaktion  des  Textes 
nur  eine  einzige  Nacht  übrig.  Auf  Antrag  des  im  Jahre  1867  er- 
nannten Ministerinms  wurde  dieser  Text  sodann  als  VIT.  Artikel  in 
das  nngarifiche  Oesetzbnch  aufgenommen.  Csengery  empfand  hohe 
Freude  darülMT.  das  ;ill<'s  dasiciiigr,  wofür  er  nahezu  drei  .lahr- 
/♦*hnt*'  Inndureli  gekämpft  liattt-,  »  iidlich  zur  Waln-lwit  geworden 
sei.  Bald  jedoch  überkamen  ihn  neue  Jiesorgnisse  und  Hefürchtun- 
gen,  nnd  er  nahm  eine  einigermassen  eigenthümliche  Stellung  zwi- 
schen Desk  und  der  Regierung,  seiner  eigenen  Partei  und  dem  linken 
Centnun  ein.  Diese  feine  Stellung  bot  mitunter  Anlass  zu  Missver- 
standnissen,  nnd  sie  war  auch  wirklich  nicht  natftrlich ;  dies  waren 
jedoch  auch  die  Verhältnisse  nicht.  Csengery  gab  nicht  den  Ein- 
flüsterungon  persr»ulirlien  Ehrgeizes,  ränkespinneiulen  Eigennutzes 
<M'hr»r,  s(»n«lern  ihn  Ifathsehlägen  der  X(»tlnvtMidigkeit  und  der 
\  uterlamlslii'he.  Deiik  war  zwar  d<'r  Führer  jener  in  der  grossen 
Majorität  hefindlicheu  Part*'i.  welche  mit  ihrer  Energie  und  Müssi- 
guug  die  Verfassung  wiederhergestellt  hatte,  er  selbst  trat  aber 
nicht  in  die  Regierung,  wiewohl  ohne  seine  Unterstützung  wohl 
schwerlich  irgend  eine  Regierung  hatte  Bestand  haben  können. 
Csengery  f&hlte  den  Widersinn  dieser  Stellung,  er  fühlte  aber  auch, 
dass  De^  seinen  Einftnss  nur  so  behaupten,  die  Opposition  nur 
duiiii  i-nlwatfneu  kTniiie,  w»'i)!i  dio  nocli  in  (b'r  Seliwt'lie  l)eHii<ili- 
chen  Einzeltra'^en  dt-^  A U'^irleichs  iiu  (Jciste  des  Austrleiehs  };»'l(ist 
werden,  und  die  Krgicrinig  die  neuen  Institutionen  überhaupt  in 
dieser  Richtung  in  ActiviUit  treten  lilsst.  Deswegen  machte  er  Deak 

41* 


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ItlNKRlDK  AÜF  ANTON  CflRNeXBT. 


fortwähri'iicl  nnl  'n'<l<'s  V^f^rsänmuiss.  nuf  j»Ml»'ti  Missrrn'tf  in  di'*ffi»r 
ilinj<i('lit  aulnii'rksani.  snriit*'  al)er  /iilcI<mi-1i  mit  sriin  r  F]rHinJsaiii- 
keifc  1111(1  seiuem  \\  ohlwdUoii  jedem  Koiitüki  zwisciifii  iJf.'ik  iiu«] 
dem  Ministerinin  vorznbtnicrpu.  Ein  \'<n*mittlpr  diesor  Art  war  er 
auch  sswischen  seiner  Partei  und  dem  linken  Oentrum.  Niemand 
hielt  am  Ausgleich  fester,  niemand  verurtheilte  die  staatsrechtli- 
chen Stnrmläufe  der  linken  Mitte  heftiger  als  er,  dennoch  hielt  er 
dafAr,  dass  der  ParlaTnentariRmuf*  bei  uns  nicht  Wnnsel  schlagen 
wi'rIc.  wenn  nur  eine  (>in/,ig«*  l'artpi  zur  l{«|Gfiernii|^  herpchtig^;  J»ei. 
niul  <]ass  es  (leshalb  notlnvendij^  schfine,  mit  dem  linkt-n  r't'iitrnni 
Berühnuif^spunkte  zu.  snehon.  I'nr  den  Kall  einer  Krise  «iie  Fusion 
mit  dieser  Partei  vor/nhereiten  oder  sie  mindesten^  nieht  der  äns- 
sersten  Linken  in  die  Arme  zu  treiben,  und  jedenfalls  bezüglich 
alles  dessen,  was  gemeinnützig  ist,  ujid  womit  nichts  preisgegeben 
wird,  mit  ihr  zu  unterhandeln,  sich  mit  ihr  zu  Tertragen. 

In  diesem  Geiste  trat  Oaen^erv  pfleich  in  jener  reichstaglichen 
Kommissinn  auf.  welche,  im  Sinne  des  isr»7-er  XIl.  Gesetz^rtikels. 
he/iiglich  der  Lasten  der  als  »gemeinsam  erkannten  »Staatsaiij^ele- 
^enheit(*n,  das  Verhältniss  zwischen  Üiigarn  und  Österreich  fest- 
stellen sollte.  Seinem  Antrage  genni«  wurde  die  Art  der  Berührung 
der  miteinander  unterhandelnden  Parteien  auf  internationaler 
Basis  geregelt;  er  beantragte  und  redigirte  die  Nuncien  der 
ungarischen  Kommission.  Als  zwischen  den  zwei  Ministerien  be- 
züglich der  Staatsschulden  eine  Ül>ereinkunft  zu  Stande  kam, 
wurde  «liesdhe  von  ('sen«jferv  angefociiten  \ind  auf  (irund  seiner 
Amendements  eine  andere  jj^eschlossen,  welche,  wenn  sie  im  i.ittii- 
zeu  seiner  Absiclit  auch  uieht  entsprach,  )>ezüglich  der  Staiitsscbul- 
den  wenigsti'Ds  die  Wahrung  der  im  Xll.  Gesetzartikel  bezeichne- 
ten Hechtsbasis,  und  insbesondere  die  Aufhebung  der  Solidarit&t 
aussprach.  Ffir  die  Gebahrung  blieb  zwar  auch  in  der  Obereinkunfl 
die  Gemeinsamkeit  aufrecht,  aber  schliesslich  sahen  es  beide  Par- 
teien doch  ein,  dass  sie  nicht  halthar  sei,  und  sie  hörte  aii<  h  wirk- 
lich alshald  auf,  als  im  tolgenden  Jahre,  1868,  in  der  ersten  Dele- 
gation aut  (inmdlage  d<'r  von  Csengery  eutwickelteu  MotiTatifui 
die  Angelegenheit  der  Staatsschulden  aas  dem  Wirkungsbereiche 
der  Delegationen  faktisch  ausgeschlossen  worde.  C^sengeiy  nahm  in 
den  Sitzungen  dieser  ernten  Delegation  noch  eine  herTorragendere 


DKNKUKUE  AUF  AMON  CSSNGERY. 


687 


Stelinng  eüi.  Kr  betruchtete  es  als  .seino  Aufgabe,  streng  im  (ieiHte 
des  Ansgleiefaes  vorzngeheH  uud  Alles  dafSr  anfzubieteti,  dasH  die 
Delegation  sich  itmeiiuilb  der  Schranken  des  Geaetzes  bewege. 
Deswegen  wies  er  alles  nicht  dahin  Gehörige  nnd  alle  nicht  als 

IQfemciii.sani  Hiierkuiint<'ii  Angt'lc^piilu'ifen  konse<|uent  ziirnck.  Er  er- 
wirkte, (luds  lUe  beideu  Delej^atioiieii.  als  die  Vertretungen  zweier 
Nationen,  miteinauder  unter  lieibelialtung  der  iuternationalea 
Koma  in  Berührung  treten  und  als  zwei  besondere  Körperschaften 
betrachtat  werden,  wdche  lediglich  behufs  der  Diutoroiigkeit  der 
Beschlfisse  in  gemeinsamer  Sitzung,  jedoch  ohne  Dehatte,  abstim- 
men dürfen.  Mit  einem  Worte :  er  formnlirte  die  wesentlicheren 
Punkte  der  Geschäftsordnung  der  Delegation,  und  er  setzte  auch 
das  durch,  dass  die  beiden  DelegatiuiH-n,  als  zwei  besondere  Kör- 
perschaften, durcli  besondere  Keseripte  aufgebest  werden  müssen. 
Seine  StelUiug  war  in  dieser  Hinsicht  eine  umso  schwierigere,  als 
er  nicht  allein  die  Ansichten  der  beideu  Ministerien  nnd  Delegatio- 
nen zn  vermitteln,  sondern  auch  jene  vielen  Meiunngsdifferenzen 
aoszugleiehen  hatte,  welche  zwischen  dem  damals  noch  in  der  De- 
legation erschienenen  linken  Oentruni  und  derDeak-Partei  zu  Tage 
traten.  Der  ungarisch-kroatische  Ausgleich  kam  ebenfalls  auf 
(rrnndlage  s«'ines  \'orschlages  zu  Stande,  Wfb  her  die  Meiuungs- 
verscliiedenheiti'u  Deak's,  des  Ministeriiuns  und  der  Kroaten  in 
einem  vermittelnden  Punkte  zu  vereinbaren  bemüht  war.  Er  nahm 
ferner  ratgebenden  Einfluss  auf  das  mit  Österrei«  b  i^eschlossene 
Handels-  und  ZoUbflndniss :  den  Gesetzartikel  XVL  vom  Jahre 
1867.  Er  war  von  Anfang  an  Mitglied,  lange  Zeit  hindurch  Prüsideut 
der  reichst&glichen  Finanzkommission.  Er  forraulirte  die  Budget- 
gesetze, und  stellte  die  gegenwärtig  bei  der  Abfassung  der  Gesetze 
gebräuchliche  Form  fest.  Er  nahm  an  der  \  erl)esserung  der  Steuer- 
gesetzgebung Theil,  brachte  auch  bei  den  BudgetverhautUungen 
viele  Reformen  in  Anregung.  Von  ihm  wurde  unter  Anderem  auch 
die  Errichtung  des  obersten  Btaatbrechnungshofes  beantragt,  for- 
mnlirt  und  durchgesetzt  Er  arbeitete  das  die  Kontrole  der  schwe- 
benden Schulden  betreffende  Gesetz  aus,  gestaltete  die  auf  die  ge- 
raeinsamen Pensionen  und  auf  die  Expropriation  bezüglichen  Ge- 
hetz«'  lim  und  brachte  zum  neuen  Gemeindegesetz  die  meisten 
Ameudemeutö  ein. 


688  DBimutins  auf  anton  obinobbt. 

Ganz  besoiidiTS  aber  lag  ihm  die  Sache  des  öflPentliclien  Un- 
terrichts am  llHr/fii.  Er  hielt  dafür,  dass  nur  die  allj^onieine  Bil- 
dung nnser«')!  dpiuokratisdirn  Institutionell  tieferen  Gtlialt  luid 
unserer  Nationalität  ein  stärkeres  J^^undament  geben  könne.  Kr 
Hess  bereits  am  Anfange  der  sechziger  Jahre  für  seine  Szenüe  eine 
ganze  Artikelreibe  über  den  Stand  dea  öffentlichen  Unierriehts  in 
Europa  ansarbeiten,  und  als  im  Jahre  1868  der  seitens  des  Hini- 
Bterinms  Torgelegte  Volksschulgesetzentwnrf  den  Antipathien  aller 
Partden  und  Glaubensbekenntnisse  begegnete,  gestaltete  ihn  Csen- 
gerv  durch  seiiio  Amcndcinents  dergestalt  um,  dass  »m*  nahezu  »'iii- 
stimmig  ang^noninicn  wurde.  Er  hefas.ste  sich  eingi'hend  mit  »Umi 
Fragen  des  Unterrichts  an  den  Mittel-  und  Hochschulen  und  seine 
darauf  bezüglichen  Artikel  und  AbhaudlungeUf  welche  auch  ge- 
sammelt erschienen  sind,  liefern  einen  schätzbaren  Beitrag  zum 
Programm  der  ungarischen  Unterrichtspolitik.  Als  Pester  Stadt- 
repräsentant hatte  er  grossen  Antheil  an  dem,  was  in  Pest  fta  die 
Hebung  des  öffentlichen  Unterrichts  geschah.  Seine  dem  Volks- 
schnlgesetze  eingefügten  Abschnitte  entschieden  die  Controverse : 
ob  die  luuiptstädtischi'n  Volksschulen  koniniunal  oder  konfessionell 
sein  soUen.  Er  war  i'nises  der  städtisichcn  Finanz-  und  Ilür^er- 
schul-Komniission.  Die  Idee  der  IJiirgerschulen  führte  er  in  das 
Schulgesetz  ein,  und  veranlasste  hauptsächlich  in  Post  dir  Eröff- 
nung solcher  ächulen.  Für  die  Vereinigung  Ofens  und  Pests  ein* 
genommen,  bewirkte  hauptsächlich  er  die  Aufnahme  derselben  in 
den  die  Regelung  der  Hauptstadt  betreffenden  Gesetzentwurf.  Er 
formulirte  schon  yorher  im  Unterrichtsgesetz  bezüglich  der  beiden 
Sl^dte  den  gemeinsamen  Schulrath,  er  beantragte  auch  den  t^e- 
nieinsanien  Haurath  und  er  ))rachte,  unter  den  vortlieiiliaft»'>t«^ii 
Bedingungen,  im  Wege  öiVent]i(dier  8ul)<kri|»tion,  auch  die  er^te 
grössere  hauptstädtische  Anleihe  zu  Staufh»,  indem  auf  sein  An- 
rathen  die  Anbote  der  einzelnen  Geldinstitute  zurückgewieseo 
wurden. 

Sein  unter  der  Last  so  vieler  Kämpfe  und  Arbeiten  sieh 
immer  mehr  und  mehr  erschöpfender  schwacher  Körperbau  sebieoi 
ungeachtet  dessen,  dass  er  noch  1875  an  der  Fusion  der  beiden 

grossen  Parteien,  nn«l  ix'inahc  his  1S79  auch  an  den  licichstsfifS- 
verhandlungen  lel)hafteu  Antheil  nahm,  dennoch  zu  ermatteu  und 


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DBNKBBDK  AUF  AXTOK  C8SMOEBY.  639 

« 

lunfällig  za  werden.  Er  sagfcc  oftmals  :  wie  gerne  er  sich  tou  der  . 
PoKtik  surflekziehen  und  wieder  der  Literatur  leben  und  die  Ge- 
schichte Ungarns  von  1790 — 1848  schreiben  möchte,  für  welche  er 
viele  Vorstuclieii  gemacht  hatte.  Er  konnte  es  nicht  thun ; 
seine  Vielheschiit'tigung  und  seine  Kränklichkeit  hielten  ihn 
«  fortwährend  davon  zurück.  Wenn  er  aber  auch  sein  Buch 
nicht  schreiben  konnte,  zeichnete  er  doch  seit  18Ö6  alle  bedeu- 
tenderen und  geheimeren  Evolationen  des  ungarischen  poli- 
tischen Lebens,  an  welchen  er  selbst  Antheil  nahm  oder  von  wel- 
chen er  durch  Deäc^s  Mittheilungen  Eenntniss  bekam,  getreulich 
auf.  Diese  Aufzeichnungen,  welche  Ober  die  Geschichte  so  mancher 
Frage,  ja  selbst  über  den  Charakter  De£k*8  ein  neues  Licht  verl)rei- 
ten,  werden  für  die  Geschichtsschreibung  die*er  Epoche  »'ine  un- 
schätzbare Quelle  abgeben.  Er  hat  dieselben  in  seinen  letzten 
Jahren  noch  einmal  durchgesehen,  und  ihre  namhafteren  Partieen 
gleichsam  zu  einem  Memoire  yerarbeitet.  lu  den  letzten  Monaten 
konnte  er  wenig  mehr  arbeiten,  nahm  aber  an  den  öffentlicheu 
Angelegenheiten,  RathschlSge  ertheUend,  Botschaften  sendend, 
noch  immerfort  Antheil.  Erstarb  in  seinem  Armsessel,  angekleidet, 
wie  der  Soldat  aurseinem  Wachposten. 

Wie  in  seinen  letzten  Augenblielven,  so  wurde  er  sein  gan- 
zes Leben  hindurch  von  der  \'aterlan(lsliebe  getrieben,  vom  Pflicht- 
gefühl geleitet,  von  der  Ehrenhaftigkeit  gehoben,  von  der  Thätig- 
keit  belebt,  und  vom  Bewusstsein  belohnt.  Er  war  eine  einfache, 
ernste,  thatkräftige  Natur.  In  ihm  war  kein  Pathos  und  Schauspie- 
lerthum, aber  desto  mehr  tiefe  Empfindung  und  Wahrheit ;  kein 
Hochmuth,  keine  Überhebung,  aber  desto  mehr  Würde  und  Gha- 
rakterkraft.  Er  war  ein  wahrer  Mann,  der  seinen  Platz  ausfüllt,  und 
sich  nicht  einmal  unabsichtlich  dorthin  rerirrt,  wo  er  nicht  an 
seinem  Platze  ist ;  ein  Patriot,  der  starkes  Natioualgefühl  mit 
europäischer  Hildung,  die  Traditionen  unserer  Vergangenheit  mit 
den  Ideen  der  Neuzeit  verschmilzt,  stunune  Begeisterung  mit  aus- 
harrender Arbeit  paart,  unablässig  predigend,  dass  man  dem  Va- 
terlande zu  jeder  Zeit,  an  jedem  Orte  dienen  könne,  und  dass 
Nichts  bedeutungslos  sei,  was  zu  seinem  Wohle  dient  In  unserem 
Vaterlaude  hat  es  zu  keiner  Zeit  an  grossen  Talenten  gefehlt, 
welche  Yon  Ehrsucht  oder  Leidenschaft  auf  die  öffentliche  Lauf- 


640 


Va  LAimiüSllÜCRBlUViMTIUUniO. 


bahn  getrieben  wurden  und  dort  eine  rege  Thätigkeit  entwickelt«!, 
ja  selbst  im  letzten  Ungarn  erwacht  zuweilen  jene  Begeiitteniiig, 
in  kritischen  Zeiten,  in  grossen  Momenten  sich  ffir  das  Wohl  des 

Vaterlandes  aut'ziiojiferii  :  al)er  (»hiie  Elirnm-lit,  <»liiif  Kitflkeit  das 
Vaterland  zu  liel)en,  im  N  erbcirgeuen  und  <^eriiuschl«>s  für  des>tii 
Interessen  zu  käiupt'eu,  unter  allen  LebenaverhUltniHseu  und  viel- 
leicht selbst  uuter  kleinlichen  Umständen  ausdauernd  und  unnw- 
wegt  die  Putriotenpflicht  za  erfüllen  —  alles  dies  sind  Eigen.>>chat> 
ten,  welche  bei  uns  zu  den  selteneren  zählen.  Die  Lücke,  welche 
Gsengeiy  bei  uns  zur&ckgelassen  hat,  das  Grab,  welches  seine  ge- 
segnete Asche  deckt,  das  Thütigkeitsbild,  welches  sein  Lebenslauf 
▼or  uns  entrollt,  mögen  uns  an  die  Gesammtheit  dieser  Kigen- 
schaft/in,  dieser  Httrger-,  sozusagen  hürg«*rli('lien  TugiMiden  g»'- 
nuilinen,  deren  wir  su  sehr  bedürftig  sind.  Wenn  Ungarn  seiue 
wiedereroberte  »Stellung  behaupten,  ja  dieselbe  höher  hiuaufrückeu 
will,  thun  ihm  je  mehr  von  solchem  (  leiste  beseelte  Bürger  notli. 
Dieser  Gemeingeisi,  diese  ausliarrende  Arbeit  ist  eine  unserer  Exi- 
stenzbedingungen. Ohne  dieselbe  bewahrt  uns  weder  die  Gutist 
des  Geschicks,  noch  die  liiacht  des  Genies  vor  dem  Niedergange. 
Dies  müssen  wir  uns  immer  mehr  zu  eigen  macheu,  uns  immer 
mehr  das  Dichterwort  einprägen  : 

Denn  du»  o  VaterlauU,  niusst  leben 
Und,  ewig  lenzgleieh  blüh'n  und  grünen, 
Weil,  iirb,  wir  >fll).st  in's  Ni<lits  SEerstöben 
Aul"  deincb  üutergang'ö  Kuineu, 
0  Vaterland! 


DIE  LANDES-liCCHERAUSSTELLUNG. 

Die  letzten  Monate  haben  ein  1)edeutendes  Mcunent  in  il»-r 
Entwickelungsgescliiclite  des  ungarischen  Kunstgewerbes  zu  ver- 
zeichnen. Das  zur  Hebung  des  vaterländischen  Kunstgewerbes  und 
Kunstgeschmackes  beruieue  Ungarische  Laudes-Gewerbeninseum 
hat  einen  neuen  Weg  eingeschlagen,  um  das  Interesse  der  bethei- 
ligten Fachmänner  und  des  grossen  Publikums  zu  erregen,  es  hat 
neben  seiuen  permanenten  Ausstellungen  in  den  MuseurasroumeD 


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DIK  LANl>E.SBÜCHEKAUä:$TBLLÜKO. 


641 


ttp^fonncTi  grö.ssero  periodi.sclie  Expositionen  aus  »•in/clneii  Zweigen 
des  Kunstgewerbes  /m  veranutalteo,  und  ist  sein  erster  diesbezüg- 
licher Versuch  über  Erwartung  vorzüglich  gelungen.  Die  vom 
Senatsprasidenten  an  der  königl.  Curie  Georg  v.  Bath  unter  Mit- 
wirknng  zahlreicher  Fachmänner  und  unter  thatkräftiger  Untere 
stfitzung  des  Kultusministeriums  veranstaltete  Landesbücheraus- 
stellung, welehe  vom  5-ten  Marz  bis  15-ten  Mai  1.  J.  eine  immer 
•j^ÖH<ere  Anzahl  wiHshef^ieriger  Besucher  in  die  Räume  d^r  Landes- 
bildergallerie  lockte,  errang  vollaul',deii  Erfolg,  weklieii  »  in  gros- 
ses Ziel  und  eine  umsichtige  Leitung  unter  allen  Umständen  ver- 
dienen. 

Der  Anfang  vrurde  mit  einer  Specialausstellung  aus  dem 
Gebiete  der  Buchdrucker-  und  Buclibinderknnst  gemacht,  theils 
weil  ^ch  dieser  Zweig  des  Knustgewerbes  bei  allgemeinen,  mehr 

umfassenden  Aus.stelluuyen  an  der  Seite  von  atiirker  in  das  Auge 
fallenden  Ohjekten  nicht  recht  geltend  machen  kann,  theils  und 
besonders,  weil  die  geschmackvolle  Ausstattung  eines  unserer  noth- 
weudi^'sten  Tvebensbedürfnisse,  des  Buches,  vom  grössteu  Einflüsse 
auf  die  Veredelung  des  Geschmacks  ist,  und  es  auf  diesem  Ctebiete 
am  leichtesten  ist,  durch  die  bei  solchen  Ausstellungen  rege  ge- 
wordene Conenrrenz  bedeutendere  Erfolge  zu  erzielen.  Demnach 
sollte  also  eine  historische  Zusammenstellung  der  in  Ungarn  ge- 
druckten und  gehundeuen  Bücher  die  Hanptaufgahe  der  Au.sstcl- 
luu^  St  ill,  doch  wurden  nach  und  nach  in  Verwirklichung  eines 
Yon  Wilhelm  Fraknöi  bereits  im  Jahre  1877  gehegten  Planes  auch 
andere  einschlägige  Gegenstände  in  den  Rahmen  der  Ausstellung  • 
.  einbezogen,  welche  einerseits  den  Gewerbetreibenden,  andererseits 
den  Gelehrten  willkommene  Gegenstönde  eingehenden  Studiums 
sein  sollten.  So  namentlich  die  von  Ungarn  oder  für  ungarische 
Besteller  geschriehenen  Handschriften  (hesondors  Codices  Corvi- 
niani),  welche  den  Miniaturmalern  und  Kalligraphen  als  Muster  die- 
ueu  konnten,  im  Auslande  gedruckte  und  theilweise  von  ungari- 
schen Buchhändlern  bestellte  Incunabelu,  welche  die  Vergleichs- 
objekte für  die  ersten  Erzeugnisse  der  ungarisclien  Buchdmcker- 
kuDst  abgaben,  schliesslich  im  Privatbesitze  befindliche  interessante 
Handschriften  und  Druckwerke,  für  welche  sich  so  bald  wieder 
keine  Gelegenheit  bieten  dürfte,  anch  von  den  den  Besitzern  femeste- 


.  j  ^  .  .  y  Google 


642 


DIE  LAMliBSBÜCUBRAU8»lKLLU2ia 


hende»  Fachgelehrten  eingesehen  zu  werden.  Somit  können  wk 
die  in  der  Landesbficherausstellttng  znr  allgemeinen  Beaichtiguiig 
Torgelegten  Objekte  in  folgende  acht  Gruppen  tbeilen  : 

1.  Werke  iin«^ai  ]än(lis(]ier  Copisttm  und  Miiiiatoivn.  <larunter 
besoiulera  uii(ijari.sclie  Sprai-bdeiikinäler  luid  (»fschiclitswerke.  2.  In 
ungarischen  Bibliotheken  autliewahrte  Haudscliritteii,  welclie  zwar 
auf  Ungarn  keinen  Hezu^  haben,  aber  wegen  der  Pracht  ihrer  Aus- 
stattung besondere  Beachtung  verdienen.  3.  Eine  möglichst  voll- 
ständige Sammlung  von  Codices  Gorviniani  4.  Bedeutendere  Ineu- 
nabeln,  die  sieh  im  Besitze  ungarischer  Bibliotheken  befinden.  5.  In 
Ungarn  gedruckte  Werke  von  1473  bis  1848.  6.  Interessante 
Druckwerke  ans  Privatsammlungen  und  sonstige  bibliographische 
Merkwürdi|Lj!;krlfen.  7.  Di»'  l)pd»Mitendereu  Produkt«  der  nocli  beste- 
henden uu^iirist  hen  Dnu  kereieii,  und  8.  V'ergaugeuheit  uud  Ge- 
genwart der  ungarischen  liuchbiuderkunst. 

Um  eine  Übersicht  dieses  bedeutenden  Materials  zu  ermög- 
lichen, hat  die  Ansstellungskommission  von  unseren  tfiehtigsten 
Fachmännern  einen  »Führer'  *  verfassen  lassen,  welcher  nicht 
nur  dem  grossen  Publikum  in  leicht  fiui.«HcheT  Form  jeden  wBn- 

schenswortlien  Aufschluss  über  die  luisgestellten  Werke  ertheilte, 
und  den  Fachmännern  die  AuttiiKluiiL::  jener  Werke  erleichttTt^. 
welche  sie  zum  (xegeustande  ilirer  sjx  cit-lb  ii  Studien  zu  machen 
wünschten,  sondern  auch  eines  unserer  bedeutendsten  biblic^pbi- 
schen  Qnellenwerke  bildet. 

Dieser  im  Laufe  von  drei  Monaten  zweimal  aufgelegte  „Führer^, 

*  „Kalauz  az  Orsz.  ISagy.  Ipannüveszeti  Mii/enm  resz^röl  iend«Mtt 
kÖnyvkiiiUitaslioz."  (Führer  zu  der  vom  ünj?.  Landos-Gewerberauseum  ver- 
anstalteten Bü«;herau88teUung.  Budapest.  mCCCLXXXlI.  4^  2»;ö  S  ).  Die 
zweite  vcrmelirto  und  verbessorf \nfla<;e  diosps  Werkes  führt  il»^n 
Titel  :  „KönyvkiiiUitasi  enilek.  Kiadja  az  Or.szägos  Majryar  Ijianiiüve- 
szeti  Mnzeinn.  A  ,Könyvkiiillitiijji  Kulanz*  2-ik  bövitett  kiadii^^ii.'*  i'An- 
denken  an  die  LandesbüclieniusöU'lhni^'.  ili.Tausgegeben  vom  l'ng.  Land-s- 
(lüwcrbt  luuseuni.  Zweite  vermehrte  AuHago  des  „Führers  zur  Büchfraiis- 
8telluiig/  Budapest,  Kommisnoii  ron  Friedrieh  ^ian.  MDOCCLXXXII.  4*. 
267  8.  Preis  2  fl.  70  kr.).  Ferner  enchien  ausaer  einem  ungaruchem  Aoa* 
7.ug  dieses  Katalogs  noch  folgender,  yon  A.  Saemere  yerfasster  Führer  in 
franxOsischer  Sprache  :  „Visite  &  Texposition  des  lirres  an  palais  de  IW 
d^mie.  A.  de  Ssemeie.  Budapest,  HDCCGLXXXa."  kL  i^.  46  & 


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DIU  UNDlSBÜCHBRAüSCrreLLVirO 


ein  gtiUizeiides  Zeugnifis  für  die  Leistungsfähigkeit  unserer  haupt- 
fltädtiBchen  Druckereien,  ist  mit  seinen  zahlreichen  schönen  Ini- 
tialen, alten  Handschriften  und  Druckwerken  entnommenen  Titel- 
V»liUterri  und  Yigiirtteii,  und  lianptsiiclilicli  mit  s<'iii('m  g^nliegeiicn 
Inhalt«'  «'in  wirkhch  uioiiuinentaloH  Denknuil  dieser  Ausstellung, 
und  lüsst  schon  jetzt  ahnen,  wie  reichhaltig  die  in  Vorbereitung 
hegriffenen  Werke  sein  werden,  welche  sich  zur  Aufgabe  gestellt 
haben,  das  hier  aufgespeicherte  Material  f&r  die  Wissensehaft  zu 
verwerthen.  An  der  Hand  dieses  Prachtwerkes  wollen  auch  wir 
▼ersuchen,  ein  möglichst  treues  Bild  yon  der  Mannigfaltigkeit  und 
Reichhaltigkeit  der  Ausstellung  zu  g»d)en. 

In  <lei*  ersten  der  oben  .ski/./irtcn  aclit  <  irnppeu  verdient  insltc- 
Mouderc  die  beinahe  vollständige  Sammhuig  ungarisclier  Sprachdenk- 
mäler vom  Aufan  go  des  XIII.  Jahrhunderts  bis  15^9  hervorgehoben 
zu  werden,  an  der  Zahl  vierzig  Handschriften,  welche  eine  unschätz- 
bare Quelle  der  Geschichte  der  ungarischen  Sprache  bilden  und 
in  solcher  Vollständigkeit  noch  niemals  an  einem  Orte  beisammen 
waren ;  ausser  den  hier  ausgestellt  gewesen  Codices  sind  uns  flber- 
haiipt  hlos  noch  scclis  alle  Handschrilten  in  nngarisc^lier  Sprache  be- 
kannt, danuiter  freilich  einige  der  ältosten  :  das  Königsberger 
Fragment  aus  dem  Xl\'.,  sowie  der  Khrenfeld-Codex  und  der  Wie- 
ner Codex  ans  dem  XV.  Jahrlumdert.  Die  TJngarische  Akademie 
der  Wissenschaften  hat  schon  fast  alle  diese  Werke  einer  genauen 
Herausgabe  gewürdigt,  und  beschäftigen  sich  unsere  Gelehrten 
sclion  seit  geraumer  Zeit  mit  der  Verwerthung  des  in  denselben 
enthaltenen  literarhistorischen,  grammatikalischen  und  syntakti- 
schen Stoffes,  eine  Arbeit,  die  nniso  grösseren  Il]rfi)lg  verheisst.  da 
ein  nicht  geringer  Tlieil  dieser  Handschriften  mit  ziemlich  grosser, 
manchmal  sogar  mit  absoluter  Sicherheit  datiert  werden  kann  und 
wir  z.  ans  dem  ersten  Drittel  des  XVI.  Jahrhunderts  fast  aus 
jedem  Jahre  datierte  ungarische  Handschriften  aufzuweisen  haben. 
Die  Tortreffliche  Beschreibung  dieses  Theiles  der  Ausstellung  yer- 
dnnken  wir  dem  verdienstvollen  Herausgeber  altuugarischer  Sprach- 
denkmäler, Georg  Volt',  aus  dessen  Aufsatz  wir  insbesondere  den  Uni- 
sf  and  erwäbncn.  dass  der  zwar  nicht  bt'son«U'rs  w»  rtbvolle  aber  inmier- 
\\\n  interessant«'  ("oilex  Nr.  8!»  aus  dem  ersten  Viertel  des  X  VI.  dahr- 
hunderts,  seit  1877  Eigenthum  des  reformirten  Ljceums  zu  Miskolcz, 


DIE  LAND£8BCCflKRAUS.STBLLl  KG. 


Itisin  r  ganz   uiiljc'kanut  war.  —  Eine  weitere  Serie  von  sechzig 
Uandschrifteu  gibt  uns  erwttnscliten  Aufschluss  Über  die  Tbätig- 
keit  ikr  alten  nngarischen  Copisten  und  Miniatoren,  welchen  erst  > 
»eit  kurzem  durch  die  eifrigen  Bemühungen  Johann  G«onton*s 
▼erdiente  Würdigung'  zu  tlieil  wurde.  Während  Franz  Toldriro 
•lahre  18()2  aus  dem  XIV.  und  X\  .  Julu  liiiiidfrte  Mos  zwölf  uuga- 
risi-lie    Co|>isr»'ii   liiteiuisclier    Haiidsfliritteii   zu   iieuneii  wiistitt'. 
(VYatttuliuc-li  in    neinem  „bchrii'twesen  des  Mittclulterä^  kennt 
keinen  derselben)  können  wir  schon  jetzt  nach  wenigen  Tab- 
reu  emsiger  und  angestrengter  Forschung  auf  mehr  als  hao-  | 
dert  solcher  Copisten  hinweisen.  Die  überwiegende  Mehrzahl 
der  von  ihnen  copierten  Werke  ist  zwar  theologischen  Inhal- 
tes nnd  findet  mau  unter  ihnen  nur  ausnahmsweise  Klassiker, 
sowie   j)liil<>suj»liisclie  und  uuturwisscnseliattliche  Schrift**n,  dtuli 
kommt  diesiuul  der  Inhalt  der  kopierten  Werke  blos  in  zweiter 
Ittjibe  iu  Jietraelit ;  die  Hauptsache  hleiht,  dass  unsere  Compatrioten  j 
aneh  vor  Erfindung  der  Huchdruckcrkunät  durch  das  Copiereu  und  | 
Illuminieren  von  Büchern  ihrer  Pflicht  der  vaterländischen  Kultur 
gegenüber  genüge  leisteten,  nnd  dass  sich  ihre  Werke  ähnlichen 
Arbeiten  des  Auslandes  kühn  sn  die  Seite  stellen  lassen. 

Dass  diesen  von  Ungarn  geschriebenen  nnd  illuminierten 
Kaiidsehrit'ten  aueh  liir  die  Geschichte  der  nngarischen  Malerei 
interessante  Daten  zu  entnehmen  sind,  ertahren  wir  aus  einem  kur- 
zen Artikel  Karl  Pulszky's,  welcher  höchst  interessante  lieiträge 
zu  den  Kesultateu  bietet,  welche  sich  Franz  Römer  und  Arnold 
Ijiol^i  aus  den  spärlichen,  schlecht  erhaltenen  nnd  nicht  datierten 
Oberresten  von  Wandmalereien  in  ungarischen  Kirchen  über  die 
fireschichte  der  älteren  ungarischen  Malerei  ergaben.  Die  Ifalereien 
in  unserem  ältesten  Spradidenkmal  vom  Anfange  des  XIII.  .lahrh. 
stehen  noch  ganz  unter  )>y/.untiiiiselieni  EinHus.-^e,  doch  zeigt  sicli 
in  seinen  vier  ^nnsseu  Illustrationen  (die  Kreuzigung  und  Eiubul- 
samiruug  Christi,  die  Kreuzesabuahme,  die  Marien  l)ei  dem  Gniln' 
«les  Herrn  und  der  Erlöser  auf  dem  Throne)  besonder«  im  Ansdnicke 
der  Köpfe  nnd  in  der  Bewegung  der  einzelnen  Körpertheile,  leb- 
hafte Beobachtung  der  Natur.  Der  Westphäler  Heiorich  Stepht»  < 
Pfarrer  zu  Csukard  im  Pressburger  Komitate,  war  nach  seinem  1377 
gemalten  und  an  den  »Styl  der  JJurgundischen  Malerschule  eriii- 


mx  LANDK^BÜCHRBAtOIRTItlXinrO. 


645 


nf»rn<l<»n  <Jr;nior  Missal«'  /n  iirt «»in  sehr  ifoübtrr  KünsM<M- : 
s«Mn»'  Ku]ik»*n   innl  Hliinu'ii  sowie  drr  I Hnt«'i^niiHl  seirirr  Jülth-u 
xeugen  von  t rappiremlnin  Realismus,  der  Faltenwurf  seiner  freilich 
ziemlich  .steifen  menschlichen  (gestalten  von  vielem  (feschmack  und 
sorgfältiger  Detailaiisfahmng.  Italienischer  Einflnss  lässt  Rieh  in 
dem  Miasale  des  Ladislaus  von  Miskolcz  (Maria  und  Johannes  am 
Fasse  des  Krenzes,  aus  dem  Jahre  1394)  erkennen,  dessen  Gestal- 
ten trotz  der  im  (ranzen  weniger  feinen  Anaftihrung  durch  l)e<len- 
tendere  Couception.  innigen  Ausdruck  und  weichen  Falf'  iiwurt  wir- 
ken. Denselben  <  M'jrensfand  finden  wir  in  <lem  grössten  «1er  sechs 
iVHuiatureu  dargestellt,  mit  welchen  ein  l  u bekannter  des  XiV.  Jahr- 
hunderts das  Missale  Nr.  l«»  schmückte,  und  von  welchen  wegen  der 
originellen  Auffassung  das  Bild  des  Königs  David  besondere  Erwäh- 
nung yerdient,  wie  er  den  Anfangsworten  des  Psalms  gemäss  (Ad  te 
levavi  animam  meam  Dens  meus)  auf  den  Knien  ruhend  ein  Wickel- 
kind, seine  Seele,  dem  über  ihm  erscheinenden  Erloser  überreicht. 
V<»n  «hMi  ü]>rig<Mi  Fildern  aus  diMu  \IV.  .Tuhrhuiidert  erinnert  «-ine 
Verkündigung  Mariae  in  einem  Augustinus  «le  doctrina  christiauu 
(\r.  14)  au  den  Verfall  des  Byzantinischen  St  vis,  während  das  Kreu/ 
und  das  £cce  Homo  in  dem  Miasale  Nr.  15  durch  die  primitive 
Ausführung  auffallt.  Die  von  Ungarn  gemalten  Handschriften  des 
XY.  Jahrhunderts  (zu  welchen  die  Ck>dices  Gorviniani  selbstver- 
ständlich nicht  zn  zählen  sind)  sind  durchgehend»  im  gotischen 
.Style  gehalten  ;  und  scheint  es  eine  besomlere  Eigenthümlichkeit 
Von  Handschritt^^n  ungarischer  Provenienz  /u  sein,  »lass  in  ihnen 
das  gothische  Laubwerk  als  Kaudverzierung  im  XV.  Jahrlnindertti 
sehr  häufig,  vereinzelt  auch  im  XIV.  Jahrhunderte  vorkommt,  so 
aneh  in  dem  jetzt  zu  Augsburg  aufbewahrten  Ptolomaeus  ann  dem 
Jahre  1465,  dsssen  Initialen  jedoch  schon  ganz  im  Style  der  Renaisn 
saucp  gehalten  sind.  Am  werthvollsten  unter  diesen  Handschriften 
sind  die  Protokollbücher  der  Bergstadte  Kremnitz  (1426)  und  Schem- 
nitz  n  1^»-).  w«]'lche  wahre  Meisterwerke  gothisclier  Kunst  enthal- 
ten. L<'tzter»'  mit  Jesus  auf  d«'m  Kreuze  als  'riteHtild  sind  ein  Werk 
des  ^Chemnitzer  Bürgers  Valentin  Uobil,  doch  muss  dieser  dem 
unbekannten  Meister,  der  die  Kremnitxer  Stadtakten  mit  seinen 
zwei  kostbaren  liluatrationen  schmückte  (Christus  auf  dem  Kreuze 
mit  Maria  und  Johannes,  das  letzte  Gerieht),  unbedingt  die  Palme 


I 


f 

64A    '      .  DIB  LANPBSBOCBBBAÜSSTBUDX«. 

reichen ;  nnd  streigert  sich  noch  unsere  BewDuderung  ftVr  die  Bega- 

Inuig  «U's  Künstlers,  wenn  wir  liedeiik^n,  iluss  er  die  beiden  einzigen 
übrig  gebliebenen  Zeugen  sein»'r  Kunst  in  df'nisell)en  Jalir»«  »cliiii, 
welches  durch  <len  Altar  der  Hriider  Eyck  zu  G-eat  iu  der  Kunst- 
geschichte der  Transalpinen  Länder  gleichsam  znm  Markstein  einer 
neuen  Epoche  wurde. 

I>ie  letzte  Abtheilnng  dieser  ersten  Gruppe  bilden  die  unga- 
rischen GeschichtsqueUen  des  Mittelalters,  fQnfundsiebzig  meist 
lateinische  Handschriften  rom  Anfangt  des  XIH.  Jahrhnnderb 
bis  zur  Schlacht  bei  Mohnes  (ir)2r)).  uelcln'  sieh  zwar  nur  >cli\v»»r 
in  den  Kalnn<Mi  einer  <  ieNv«'rl)euusstt*lhing  einfügen  lassen,  aber  l't  i 
den  Historikern  und  zwar  in  erster  Reilie  bei  den  Kulturhistorikero 
sicherlich  nicht  den  kleinsten  Skrupel  über  die  Berechtigung  dieiies 
Theiles  der  Ausstellung  aufkommen  lassen ;  denn  noch  nie  hatten 
sie  Gelegenheit,  so  viel  werthvoUes  Material  an  einem  Orte  benfitxen 
zu  können,  mögen  sie  sich  nun  mit  den  Legenden  der  heilig  ge- 
sprochenen nngainRchen  Könige  und  Königstcicher,  den  verschiede- 
nen Uncrnrisoheii  Kronik^'U.  »Im  S(;itiit<Mi  in  T  nt^arn  aiisässisfer 
geistlicher  Onkui,  d<Mi  Ue(  linungs)>üchern  nördnngarischer  »Stiidte 
(Eperies,  Tirnan,  Bartfeld,  Krenmitz  etc.)  oder  mit  d«'r  Zusainmen- 
Stellung  der  Überreste  ungarischer  Bibliotheken  des  XIV.  und  XV. 
Jahrhunderts  (di  r  Garthauser  zu  Lechnitz  und  Liitökd,  des  Johan- 
nes Yit^z  und  anderer  Humanisten  etc.)  eingehender  besehafdgeo. 

Die  an  letzter  Stelle  erahnten  Handschriften  bilden  den 
Ubergang  zum  <  Jlanzpunkte  des  historischen  Theiles  d(M*  Aussj-elhinj;. 
zur  tirnpp«' der  ( 'odi(  «'s  ( "oj  viniaiii.  Die  lIotliiMioiln-ken  zu  W]<^u. 
Dresden,  l*etersburg  und  Farma,  die  Büdiofhek  des  Jesuiteukoiie- 
giums  in  Wien,  die  Marciana  in  Venedig,  dir  Laurentiana  in  Flo- 
renz, die  Staatsbibliothek  in  München,  die  Bibliotheken  der  Bene- 
dictinerstifte  zu  Molk  und  Göttweih,  der  Uniyersitäten  Jena  nnd 
Prag,  die  k.  k.  Studienbibliothek  iu  Salzburg,  die  Bibliothek  des 
Gymnasiums  zu  Thom,  des  Kationalmusenms,  der  Universität  und 
der  Akadenne  zu  lhuhi]>est,  des  bischrdlichen  Seminars  /u  Iva^h,  die 
gräflich  Teleki'sclw*  Bibliothek  zu  Maro<-A'a'Narh«'l  \ .  dir  histrikt?- 
)>ibliotht'k  zu  (irau  uiul  die  Fran«  iskaner-lÜhliothek  zu  Pressburg, 
haben  der  Büchrrausstelhmg  ihre  kostbarsten  Oimelien  mit  der 
grossten  Bereitwilligkeit  überlassen  und  durch  ihr  Tereintes  Be- 


DB  TiAin>E880CHBRAüB«riLi;DirO.  647 

mflhen  Tienindsechsig  Werke  ans  der  Bibliothek  des  Königs 
Matthiiui  znaammengebrachC,  eine  Zahl,  wie  aie  seii  der  Mitte  des 
XV] .  Jahrhnnderts,  also  seit  mehr  als  drei  hundert  Jahren  nimmer 

inu\  nirg'  iuls  heisaminen  war.  Diese  schon  ;iu  sirli  bedeiit<^ndo  Zalil 
gewinnt  noch  an  Interesse,  wenn  man  das  liesultat  der  neneshMi, 
fast  ausscliliesslieh  von  ungarisrlien  Gelehrten  der  Piri"or«chuug 
der  GoiTmaüberreste  gewidmeten  Untersuchungen  in  Betracht 
zieht.  Während  niinilieli  von  den  hundert  oder  liundert  und  drei 
lateinisch«!,  griechischen  nnd  arabischen  Corvinahandschriften, 
welche  Yogel  (1849)  und  Edward  (1869)  verzeichneten,  blos  ftlnf- 
undvierzig  unzweifelhaft  der  Corvina  angehört  haben,  und  auch 
der  um  vieles  genauere  Fischer  (1879)  blos '  von  zweiund* 
sechzig  sicheren  und  dreiundfthifzig  wahrscheinlichen  Corvina- 
handsclirifteii  authentisclic  Kunde  hatte,  koiml«'  I?()uier  schon  187(5 
konstutiren ,  dass  ihm  vicrnndachtzig  sichere  Codices  Corviniani 
ans  europäischen  Bibliotheken  bekannt  seien,  und  veröficntlichte 
Csontosi  vor  kurzem,  um  der  Kommission  der  l^an<l<'s1)iirheraus.stel- 
lung  ein  sicheres  Urtheil  über  die  auszustellenden  üandsehri^n 
zu  ermöglichen,  ein  äusserst  lehrreiches  vBibliographisches  Ver- 
zeichniss  lateinischer  Gorvina-Codices'  (Magyar  Eönyvszemle, 
1881.  p.  137 — 176.)i  in  welchem  er  aus  dreinnddreissig  Bibliothe- 
ken hundertundsieben  solche  Corvinahandschrilten  heschreiht,  ülier 
deren  Aiitlienticitiit  das  an  densflhen.  sei  es  am  Kinhande.  sei  fs  am 
Titeil tlaftf  aiig('l)ni(  hte  Wappen  de^  K'inigs  Mattliias  auch  nicht 
den  geringsten  ZweÜ'ei  aufkommen  läsät. 

Wenn  wir  nun  auch  diejenigen  zwei  oder  drei  angestellten 
Corrinahandschriften  in  Abrechnung  bringen,  von  denen  man  nicht 
mit  der  nöthigen  Sicherheit  behaupten  kann,  dass  sie  einst  in  der 
Bibliotheca  Gorviniana  gestanden,  so  war  doch  immerhin  mehr  als  die 
Hälfte  der  bekannten  sicheren  Godiees  Gorviniani  ausgestellt  nnd  bot 
diese  Sammlung  eine  wohl  kaum  jenjals  wieder  v.u  (nliofl'ende  giin- 
.stige  (telegenheit,  um  diese,  in  die  entlegeusieu  Tlieile  Euroj^as 
zerstreuten  Schätze  besonders  aus  kuusthistoriscliem  Interesse  zu 
untersuchen. 

Es  gereicht  uns  zur  Irrende  niittheilen  zu  können,  dass  un- 
sere Kunsthistoriker  mit  Dr.  Karl  Pnlszky  an  der  Spitze  nicht  ver- 
säumt haben,  diese  Kunstschätze  eingehend  zu  studieren  und  dass 


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«48 


niK  'LAI9l«f>1tO(^llRRAUSm!LI.rH<l.  « 


sie  die  Resultate  dieser  For«iohuiig^ii  in  einem  mit  FaesimileR  m- 

sebeiipu  Prachtwerke  niederlegen  wollen. 

Viel  iK'Schoideiif r  al^  die  <i;l;*mzf'nrlp  lif^lio  (li»^s«'r  voii  .loliann 
Csniitosi  mit  ixewnhntor  (lonanii^keit  l)f'srliriel)«^ii»'n  r'orviualiaml- 
srliriften,  nimmt  sich  oiii  Ap^iemlix  (lerselfx'ii  aus,  eiuundsiebzig 
Hamlschrilteu  des  IX.  I>is  \  \  .  .lahrhuiiderts,  welche  im  Vpreine 
mit  den  schon  oben  erwähnten  ein  beredtes  Zeugniss  f&r  den  Kai- 
tnrsinn  des-  ungarischen  Mittelaltero  ablegen.  Den  ersten  Rang 
unter  denselben  nimmt  der  sogenannte  Codex  Aureus  der  Batihja- 
iiyischen  Bibliothek  zu  Karlsbnrg  ein,  eine  prachtrolle  Evangelien- 
hnndschriffc  vom  Ende  des  neunten  Jahrhunderts,  mit  /ahtreichen 
AMniaiiireii,  Ramlvpr/.ienni«(en  und  /wci  ^ross<Mi  Uildcrn  dor  Evaii- 
^elistfMi  in  ziemlii'li  ]iriiiiiti\ er  Ausf'iiliniii«^.  l)i<'.S('  1  laiuisrhrit't. 
welclie  blos  die  KvaiiL(t*li<'n  Mattliaei  und  Lucae  enthält,  ist  ilie 
älte.ste  und  praciitvoU.ste  UandHckrift  im  Lande,  und  ausser  dem 
.Codex  aureus  quatuor  evangeliorum^'f  dem  einstigen  Bestand- 
theile  der  Corvinischen  Bibliothek  (jetst  im  Escorial),  und  einer 
mit  goldenen  Lettern  geschrielienen  Bibel  des  Yicepalatins  Paul 
MiSghy  (1529)  auch  der  einzige  Codex  Aureus  ungarischer  ProTC- 
nienz.  Ausserdem  finden  wir  hier  eine  Handschrift  des  X.  Jahrhun- 
derts von  Paiil's  Hrielrii  au  die  Kthuer,  drei  Kxeniplare  der  Kvan- 
<;elieu  in  L^riecliisclicr  Spraclie  aus  «Icui  X.  un«l  XI.  Jahrluinil»'rt. 
einen  Buetius  de  aritlunetica,  grometria,  musica  und  zu  Cicern's 
Topica  aus  dem  X.  Jahrhundert,  einen  Virgilius  aus  dem  XI.  Jahr- 
hundert, die  ^riptores  Historiae  Augustae,  Lncanus,*LiTius  de 
ßello  Punico,  die  Episteln  des  Horatius,  einen  Lactantius  de  falsa 
religione  und  einen  Cnrtius  ans  dem  XV.  Jahrhundert  (letztere  von 
philologischem  Standpunkte  nicht  eben  werthvoll  zu  nennen),  xwei 
altslarische  Evangeliarien  und  ein  altslavisches  Psalterium  an« 
dem  Xl\'.  und  XV.  .lahrh..  zwei  liud<lhistisehe  Handsi-liriften.  Werke 
des  j )scliagatai.s<'lieu  l)icliters  Mir  Ali  Sir.  eine  .\!nliari>elie  Hil»»  ! 
aus  nnl)ekanuter  Zeit,  das  liucli  des  Mardekliai-hen  Uillel  aus  »Inn 
Jahre  1373.  di»*  Diviiui  C'orauiedia  des  Dante  au.s  dem  XV.  dahr- 
himdert.  schliesslich  /ahlreiche  Bibeln,  P.salteria  und  andere  Werke 
theologischen  Inhaltes.  Kurz,  dieses  gleichfalls  von  Johann  Osoo- 
tosi  verfasste  Yerzeichniss  kann  mit  den  früher  erwähnten  getrost 
die  Grundlage  eines  ausführlichen  «Catalogue  generale*  der  in 


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PIK  UMtK-BÜtllKKAlISsTELliUNG. 


04!» 


TTngArn  heP.iidlielieii  ITniulschriftoii  genannt  werden,  und  wollen' 
wir  hoffen,  das«  das  jüngst  erschienene  Handscbriftenverzeichnis« 
<ler  Bndf^ster  UmTersitatBbiblioihek  und  die  gflnstige  Anfnahme, 
welche  ihm  allerorts  zu  Theil  wnrde,  weit  entfernt  die  Heransgabe 
eines  solchen  G^neratkatalogs  anf  nnbestinunte  Zeit  zu  Tertagen, 
die  betheiligten  Kreise  nur  zu  beschleunigter  gemeinschaftlicher 
Arbeit  anregen  wird. 

Hierait  achliesst  die  dritte  Gruppe  von  Ausstollniigsgegen- 
standeu,  und  was  jetzt  folgt,  gehört  dem  Gel»iete  der  Buchdrucker- 
Iranst  an,  demjenigen  Gebiete  des  Kunstgewerbes,  welches  in  Un- 
f^tam.  vor  allen  andern  anf  der  höchsten  Stufe  der  Entwickelnng 
ftteht  nnd  welches  allein  nnter  unseren  sOdöstHchen  Nachbarn, 
ilen  8«rben  und  Rumänen,  eine  civilisatorische  Mission  erfüllt  hat. 
Der  Proilronius  des  V('r/ei^•ll^i^'sp.s  ungarischer  Druckwerke  besteht 
au«  sieh/.ig  mehr  oder  wouig-T  seltenen  Incunabeln,  deren  Ver- 
zeichnis-*  wir  Arpad  Hrllolirandt  verdanken.  Wir  finden  darunter 
das  dritte  datierte  Druckwerk,  de^i  Durandus  Ratiouale  Divinorum 
Officiomm,  ein  auf  Papier  gedrucktes  Exemplar  der  zweiten  Aus- 
gabe Ton  Fust  ntid  Schöffer*s  «Biblia  Sacra  Latina*  ans  dem  Jahre 
1402,  die  Editio  princeps  der  Epigrammata  des  Hieronymus  Bal- 
bns  (Wien,  1494),  die  von  Conrad  Celtes  besorgte  Apuleius-Ans- 
gahe  (Wien,  14!l7),  da?;  von  Wilhelm  Fraknoi  in  der  Krakauer  I^ni- 
versität?bil»lif)thek  entdeckte  Fragnieut  einer  ungariHchen  Bil)el- 
übersfHzung  (das  älteste  Druckwerk  in  ungarischer  SpracJie,  welches 
jedenfalls  vor  dem  Jahre  15:59  erschienen  ist)  u.  s.  w.  Ein  beson- 
deres Interesse  verleiht  aber  tlieser  Sammlung  der  ümstaud,  dass 
sie  einige  Druckwerke  enthalt,  welche  in  der  bibliographischen 
Literatur  noch  nicht  verzeichnet  wurden,  daher  wohl  als  XJnica 
anzusehen  sind.  Es  sind  dies  ein  ans  nenn  Blättern  bestehendes  Heft- 
chen aus  dem  Jahre  1 4^)0  (1  toOP),  welches  in  neun  Holzschnitten 
,Die    Anbeter   Christi"  darstellt  (im  Besitze  der  Bildiotliek  des 
evang.  Lyceunis  zu  l'resshurg),  ein  deutsches  Proguosticou  auf  das 
Jahr  1473,  das  »Büchlein  des  Sterbens"  in  einer  Ausgabe  des  Jah- 
res 1339,  eine  zu  Angsbnrg  von  Anton  Lorg  im  Jahre  1479  ge- 
druckte ^Historie  von  Troja**,  welche  Ausgabe  in  Zapfs  Buch- 
dmckergesebichte  Angsbnrg^s  nicht  verzeichnet  ist  (ebendaselbst), 
schliesslich    ein    ,Breviariuni    Strigoniense"  ,   welches  Brhardns 

Uogariwchc  Ilevue,  188.2.  VUI— 1\.  Holt.  42 


<t50  WE  LAllDfl^BOCRtVAÜSaTELLinrO. 

Uadtoldt  im  Jahre  1180  zu  A  t'in'ilitr  «IriK-ki  Ji  li<>s.  uinl  ein 
iiwi  Kosten  des  Oliier  Biuliliändlfrs  .loluuni  Paeji  loiij  /n  W 
iieilig  gedrucktes  Missale  f^trigoiiieusü  (beide  iiu  liesit/,e  des  Ung. 
Nationalmuseums).  Im  Anschluss  daran  hesclireibt  Ludwig  Sii- 
deezky  einige  lon  der  Badapeeter  UiiiTersitätsbibliotkek  Mige- 
steUie  interessaute  Prognoetiea  und  Kalender  für  die  Jalune  1478— 
1496,  1483—1487,  1499—1531, 1514, 1518->1556^  welehe  jedock 
blos  das  grössere  Alter  vor  den  in  Ungarn  nieist  in  nngarischer. 
seltener  in  lat<'inise]ier,  deutscher  und  slaviseher  Spnu'lie  o^edrnok- 
ten  Kalendern  voraus  ha])e!i  ;  eine  sehr  lehrreiehe  Colleetion  dieser 
schon  der  ungarischen  Bibliographie  angehörenden  Hüehleiu  vom 
Jahre  1579  an  aus  den  Stüdteu  Tirnau  (1579),  Freistadi  (1582), 
Bartfeld  (1583),  Hermannstadt  (1589),  Debreezin  (1593),  feiner  «m 
Krens,  Kaschau,  Karlstadt,  Gsepreg,  PiCpa,  Klansenbnig,  MUchdorf, 
Lentschan,  Grosewardein,  S^ospatak,  SiUein  und  Gsik  aus  dem 
XVn.,  Komorii  aus  dem  äVhi.  Jahrhunderfc  (1704—1711),  von 
denen  sich  die  Klausenburger  und  Leutscliuuer  KaK  iider  in  tprr»<?s- 
ter  Anzahl  erhalten  liaben,  enthält  die  folgende  Abtheilnuij;  der 
Ausstellung,  in  welcher  an  zahlreichen  auserlesen  Druckwerken 
die  Geschichte  der  Buchdruckerkunst  in  Ungarn  vom  Jahie  1473 
an  bis  auf  unsere  Tage  vorgeführt  wird. 

Wir  unterscheiden  drei  grössere  Perioden  in  der  CSeechichte 
der  ungarischen  Buchdruckerkunst.  Die  erste  geht  von  1473. 
dem  Jahre,  wo  Andreas  Hess  zu  Ofen  den  Druck  der  .Chro- 
nica Hungarorum"  beendet«,  bis  zum  Jahre  1711,  dem  Jahr»* 
des  Szatmärer  Friedensschlusses,  weh  her  nicht  nur  deshalb  mit 
Recht  den  Abschluss  einer  Periode  bildet,  weil  er  den  erbit- 
terten religiöaeu  und  politischen  Kämpfen  ein  Ende  bereitete, 
sondern  auch  weil  mit  ihm  eigentlich  die  Periode  des  Privilegiums 
und  der  Gensur  in  der  ungarischen  Buchdruckerkunst  anhebt  Unter 
dem  Einflüsse  dieser  beiden  Factoren  stagnirte  dann  die  Bueh- 
ilruckerei,  bis  endlich  der  15.  März  1848  dem  Laude  die  Press-  nnä 
Druckfreiheit  brachte,  unter  deren  Einwirkung  die  Buchdnu'kfM"- 
kunst  besonders  seit  dem  denkwürdigeji  Jahre  1807  die  gröbsten 
Fortschritte  maclite.  —  Die  Anordnung  und  theil weise  Beschreibuog 
der  aus  dem  ersten  Zeiträume  unserer  Buchdruokerkunst  stammen- 
den Druckwerke  rtthrt  von  Karl  Ssabö,  dem  bekannten  ^bliognk 


m  Ii A  N I )E SBÜ C H EB AUSft'l ELLUK»;. 


pheu  her,  dessen  epochale  ,  Altungarische  Bibliothek"  (Hegi  Ma- 
gyar Köuyvtar.  Budapest,  1879.  Verlag  dar  Akademie)  das  erste 
anBahemd  ToUständlge  und  bibliographisch  genaue  Yensetchuiss 
der  bis  zum  Jahre  1711  in'  ungarischer  Sprache  gedruckten  Werke 
184,  und  Ton  welchem  an  eigentlich  der  Aufschwung  in  der  unga- 
rischen IJihliographie  thiti»n*t.  Kurl  Szalx»  hat  in  diesem  Werke  nicht 
weniger  als  1789  uiigarisehe  Druekwei  ke  hesehrieheii,  wovon  eines 
aus  dem  XV.,  371  aus  dem  XVl.,  1249  ans  dem  XVll.  Jahrhun- 
dert, 168  aus  der  Zeit  von  1701  bis  1711  stammen,  und  Ton  wel- 
ehfin  kaum  ein  Drittel  aus  fremden  Sprachen  übersetzt  ist,  mehr  als 
die  Hälfte  theologischen  Inhaltes  ist,  während  die  übrigen 
grdsstentheils  aus  Schulbüchern,  Kalendern  und  besonders  Wer- 
ken der  schönen  Literatur  bestehen,  jedoch  nicht  ohne  dass  auch 
hi.storische,  juridisclie,  nuturwissenseliattliche  u.  a.  Werke  vertre- 
ten wären.  Schon  aus  diesen  wenii^^'u  statistischen  Daten,  die  wir 
mit  zahlreichen  nicht  wenigt-r  iiit«'ressanten  vermehren  könnten, 
ist  ersichtlich,  welch  reiches  Material  diese  Abtheilung  der  Aus- 
stellung in  sich  vereinigte ;  fügen  wir  noch  hinzu,  dass  seit  dem 
Erscheinen  von  Szabö*s  bibliographischem  Werke  auf  Anregung 
desselben  mehr  als  zweihundert  uugai-ische  Druckwerke  desselben 
Zeitraumes  entdeckt  wurden,  wird  man  sich  auch  nicht  der  Ein- 
sicht ver8clilie<sen  kininen,  ilass  es  im  Interesse  nicht  blos  der  (to- 
schichte  der  eiuzehieu  Wissenschaften  in  Ungarn,  sondern  in  erster 
Reihe  im  Interesse  der  Geschichte  der  ungarischen  Buchdrucker-  . 
konst  gelegen  war,  eine  möglichst  yollständige  Sammlung  all  dieser 
Dmckwerke  zusammen  zu  bringen.  Andererseits  mnsste  man  aber 
berfl6ksichtigen ,  dass  die  lateinische  Fachliteratur  in.  früheren 
Jalirhunderten'  in  Ungarn  geradezu  dominirte,  dass  manches  auch 
in  deutscher  und  slavisrhcr  Sprache  gedruckt  wurde,  dass  daher 
eiue  Ausstellung,  die  sicli  auf  Werke  m  Tingarischer  Sprache, 
beschräukte,  notliwendigerweise  ein.  unvollstämliges  und  verzerrtes 
Bild  sowohl  unserer  älteren  Literatur  als  auch  unserer  älteren 
Bachdruckerkunst  geben  mnsste.  Mit  Recht  haben  sich  daher  di<« 
Veranstalter  der  Landesbücherausstellung  nicht  darauf  beschränkt^ 
die  bei  Szabo  yerzeichneteu  und  die  seit  dem  Erscheinen  seines 
Buches  neu  aufgefundenen  ungarischen  Druckwerke  dem  Publikum 
vorzuführen ;  in  richtiger  Erkeuntuiss  dessen,  ilass  sich  nicht  so 

42» 


j  ^     y  Google 


i(S2  pnt  JikVTmwOrmmhVimrixrno. 

\r,i]i\  wii'tlor  <  H'lp<^**nlioif  fiinloii  iliirlt*»,  ein«?  so  jjrosse  AlieaW 
seltoiifM"  I)rnck\vprk<»  uns  den  ciiiloufciishMi  l:>il)liotln'k('ii  an  e\nm 
OrU'  dem  Htudimn  zugäuglicli  /u  iimrlion.  liut  ninii  anf?  mehr  als 
zweihniiderf  öffentlichen  und  Privatbibliotheken  alle  Druclrvverke  * 
nu.igewählt,  welche  yon  der  Einfiihrang  der  Bachdnickerkunst  ii 
Ungam  nn  (1473)  bis  xum  Jahre  1711  in  den  L&ndmi  der  heiHgni 
Stephanskrone  in  welcher  Sprache  immer  erschienen  sind.  Am 
dem  auf  solche  Weise  gesammelten  Materiale  konnte  Kail  Sssbö 
8oine  hihliographischen  Notizon  heträclitlich  vermehren,  nnd  wird 
e<?  hoffoiitUoli  luchi  mehr  lange  danern.  wir  von  seiner  Haml 
eine  vollständige  vaterliindisehe  Mil)liogra])hie  von  1  173  bis  1711 
erhalten.  Die  (irnndziige  hiezu  enthält  ein  nnserera  ^Führer*  ein- 
verleibter Aufsatz,  welcher  zugleich  eine  lehrreiche  Skizce  der  (k- 
schichte  der  Bnchdmckerei      in  Ungam  bietet. 

Die  Anfange  unserer  Buchdruckerkunst  waren  yiel  yersprp- 
chend.  Schon  zu  Anfang  des  Jahres  1473  finden  wir  den  dm-cli  don 
k«iniglichen  Vicekanrler  Ladislans  Oerel»  aus  Italien  nach  l  iigurn 
berufenen  Andreas  Hess  zu  Ofen  mit  dem  Drucke  lateinischer 
Werke  beschäftigt ;  nnd  können  wir  mit  berechtigtem  Stolze  auf 
die  Thatsache  hinweisen,  dass  die  Ofner  Druckerei  nicht  nar  die 
erste  auf  dem  Gebiete  der  Monarchie  gewesen,  sondern  dass  «ie 
Überhaupt  unter  die  ältesten  Druckereien  Europas  isahlt :  in  Bei- 
ginm  (Alost)  und  Holland  (Utrecht)  wurde  die  erste  Druckerei  im 
Juhre  1473  errichtet,  in  England  (Westminster)  und  »Spanien  (Va- 

*  l>if  Zii'<;ininienst«'llnn(r  der  in  oincr  amloni  Spraclio  al^  in  doi 
iiiigiirifclion  ^etlmekton  v.iU'rlilinlisrlicii  linu-kworko  f^oscliali  auf  die  Woi-se. 
dass  V.  Hätli  ein  \  tTzoirhniss  d»M-jfni;4^<'ii  dioser  Werke  vorütli-ntlKiite,  welcln' 
sich  im  Besitz»'  der  Bibliotli«'k  des  L'iiijja riechen  NationahunseiuiH  befinden, 
und  die  Biblioihekävorütändc  uui  Bezeichnung  der  darin  etwa  nicht  ent- 
haltenen Weirke  ennehte.  Das  Verseichnisa  fahrt  den  Titel  :  »JogvzA 
Mon  Magyarorsz&gon  ia  Eird^lyben  1711-ig  nem  magyar  nyelven  njomfa* 
tott  mank&kröl,  melyek  a  Nemseti  Mnsenm  kOnyvtiribaii  Arintetnek.  Boda- 
pest,  1881.  FiankUn-TAranlat  nyomdAja."  (8^  44  S.). 

**  Das  Hauptwerk  Aber  diesen  Oeflfenstaod  ist  :  magyar  ajeu- 
däaiat  tört^nehni  fejldd^  1472-1877.  Irta  Dr.  Ballagi  AkdAr."  (Die  g«^ 
fichichtliche  Entwickelong  der  Bachdruekerkunst  in  Ungarn  1472—1877. 
Yon  Dr.  AladAr  Ballagi.  Budapest,  Verlag  der  Franklin-Oesellschalt.  187K 
8».  ft48  S.). 


DIB  LAKDEfBOCQKBAÜsaTBUiOKU.  05» 

lenHa)  147],  in  Bochiueu  (Pil.s«D)  luid  roUii  (Krakau)  1  }7.'>,  iu 
Oesterreich  (Wien)  und  Däneniark  (Odensee)  1182,  in  Schweileu 
(Stockholm)  1483,  and  in  maucheu  auUeru  Läuderu  noch  später. 
l)u«b  konnte  die  neue  Erßndung  bei  uns  anfaiig»  nicht  recht  Fu»h 
iaastßk ;  aus  unbekannten  GrOnden  gieng  üess*  Bnekdruokexei  bald 
aiuy  und  larotB .  dem,  dass  wir  im  letzten  Drittel  des  XV,  Jahrhun*. 
derts  mehrere  tttehtige  Buchdrucker  ungarischer  Herkunft  in  Städ- 
ten Italiens  und  Frankreichs  bei  der  Austtbong  ihres  Gewerbes 
antreffen,  musste  Ungarn  länger  als  ein  halbes  Jahrhundert  sich 
ohne  Druckerei  litdiellen  und  waren  die  geistlichen  Behörden  sowie 
die  uns  vom  Jahre  1484  an  in  ziemlicher  Anzahl  bekannten  Ofner 
Buchhändler  schon  1480  gezwungen,  ihre  Missalien  und  andere 
Verlagsartikel  in  Nürnberg,  Augsburg,  Brünn,  Verona  und  Vene- 
dig drucken  zu  lassen.  Auch  waren  diese  Druckwerke,  wenngleich 
auf  ungarische  Qegenstfinde  Bezug  habend  und  für  Ungarn  be- 
stimmt, ausschliesslich  in  lateinischer  Sprache  abgefasst,  mit  ein- 
ziger Ausnahme  des  1484  zu  NOmberg  gedruckten  Lobliedes  auf 
die  rechte  lland  des  Ii.  Stephan.  Erst  der  Keligionskrieg  iu  Folge 
der  Retbrniatiou  führte  in  dieser  Beziechuug  eine  entschiedene 
Wendung  zum  Besseren  herbei.  Die  tonangebenden  Kreise  der  Ue- 
ion^ation  konnten  jetzt  nicht  mehr  mit  den  entlegenen  Krakauer  und 
Wiener  Druckereien  vorlieb  nehmen,  die  vitalen  Interessen  der  Ge- 
genwart zwangen  sie  ihren  Bedarf  an  Büchern  (in  erster  Reihe  Bibeln 
und  theologische  Streitschriften)  im  Vaterlande  zu  decken,  und  so  fin- 
den wir  iu  Kronstadt  schon  1534,  wenige  Jahre  nach  der  zu  Her- 
raannstadt  um  1529  aufgestellten  aber  bald  wieder  eingegangenen 
Handpresse,  den  bekannten  Reformator  Johann  Honter  eifrig  be- 
müht, den  Lehren  Luthers  durch  den  Druck  möglichste  \  c^-brei- 
tuug  zu  sichern.  Denselben  Zweck  verlolgte  die  von  Thomas  Na- 
dasdi,  Ban  you.  Kroatien,  auf  meinem  zu  Ujsziget  (Neanesos,  iusula 
Nova)  bei  Sarvar  im  Eisuiiburger  Komitat  gelegeneu  Gute  errich- 
tete Buchdruckerei  (1536 — 1541), die  erste  iu  Ungarn,  die  in  unga- 
rischer Sprache  abgefasste  Werke  veröffentlichte.  Honter  und  die 
Leiter  der  Üjszigeter  Druckerei,  Johann  Sylvester  und  Benedict 
A\M&  erdfinen  die  lange  Reihe  der  mit  wahrem  Feuereifer  für  die 
Reformation  thätigen  Muchdrucker.  Ihrem  Beispiele  folgte  der 
tüchtige  Historiker  Caspar  lieltai,  der  im  Jahre  loöO  zum  Seelsor- 


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654  LAlTDSSBOaiERAtlWrKLLimO. 

_  t 

ger  der  protestantiselieii  Oemeiude  zu  Elausenbiirg  erwiihltr  dort 

allsogleieh  eine  Buchdruckerei  errichtete,  die  er  «eitweilig  in  G«- 
meiiiscliaft  mit  <  M.'org  Hoü'gn'ff  bi.s  zu  s*'inein  Tode  (157Ö)  leitete, 
und  die  auch  noch  unter  der  Leitung  seiner  Er])fMi  (bis  lt>:;i)). 
sowie  .später,  nachdem  sie  vom  Fürsten  Apafi  dem  Klausenburgor 
und  Gro88-£uyeder  refonnirten  CoUeginm  geschenkt  wurde  (lti72). 
nicht  nur  der  Sache  der  Reformation  grosse  Dienste  leistete,  sondern 
auch  in  technischer  Beziehung  den  Anforderungen  der  Zeit  entspfack 
Doch  während  in  Siebenbürgen  *  das  Überwiegen  der  Re- 
forniirten  die  unj^estorte  Existenz  der  Kronstiidter,  Khuist'uVmi- 
ger  und  Hermannstiidttn*  (seit  IT)?"))  Buchdruckereien  sicherte,  ja 
die  unitarisehen  Druckereien  zu   l\arlsl)urg  (15ti7 — l-*)?!)  und 
Gross-Schlatteu  (loOÜ)  durch  den  röm.  katholischen  »Stephan  Ha- 
thori  -zum  Schweigen  gebracht  wurden,  hatten  die  ungleich  zahl- 
reicheren protestantischen  Typographien  Ungarns  einen  auBsero^ 
deutlich  schweren  Stand.  H&tte  nicht  die  reinste  Begeisterung  ffir 
,   ihre  Sache  sie  entflammt,  so  wären  sie  sicherlich  der  un^gHcfaeD 
Mühe  unterlegen  ;  vor  ihren  unerltittliclieu  W'riolgern  von  Ort  zu  Ort 
zu  fliehen,  und  dabei  noch  selbst  die  Typen  zu  verfertigen,  das  AVerk 
zu  drucken  und  auf  den  Jahrmärkten  zu  verschleissen,  eri'orderte 
wahrlich  nicht  geringe  Willenskraft.  Die  bedeutenderen  dieser  wan- 
dernden Typographen  sind  der  reformirte  Prediger  Gallus  Hnsiir, 
der  1558 — 59  zu  Üugarisch-Altonburg,  1561 — 62  zu  DebiecoD, 
1573 — 74  zu  Komj^ti  seine  Druckerei  aufischlug,  —  der  polmsclie 
Edelmann   Hafael  llot^halter  ^K.  Skizetuski,  1565  zu  Debreczin,  ! 
1567 — 68  zu  Karlsburg),  nach  dessen  Tode  sein  Sohn  Kudoli  zn  , 
Alsö-Lindva  (1573— 7  1),  Nedelicz  (1574),  Debreczin  (1577—1587),  ' 
und  Grosswardein  (1584 — 85)  das  väterliche  Gewerbe  fortsetzte; 
—  dann  Peter  Bomemisza,  Superintendent  A.  C,  einer  der  fraehtr 

*  Eine  der  illt«■l•^•s^;lnt('stlMl  Soltenheiton  der  Ausstelluii«^  war  A\t 
das  urstt'  und  zweite  Ituch  Mosiw  eiitlialtende  rumänische  Hi1)elUber>t'tzun|j, 
welche  vom  Siebenbürgischen  walachisclicn  Bischof  Michael  Tordasi  unter 
•  Mithülfe  TOD  vier  Oelehrton  verfasat  iin  Jahre  1582  auf  Kosten  Fnu» 
Gessti*«  Herrn  von  D^ya,  durch  Szerban  und  Marian  «i  Schftwlnixg  ge- 
dnickt  wurde.  Von  Öffentlichen  Anstalten  beutet  blos  die  Bibliothek  do 
NationabnuseunM  zu  Budapest  und  die  Batthy&nji-Bibliothek  ku  KarUlrarg 
jo'  ein  Exemplar  dieses  kostbaren  Druckwerkes ;  ein  drittes  soU  »ick  im 
Besitze  des  Ganonicus  H.  Cipariu  befunden  haben. 


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p»  LAMDIABÜCBBlAUSfiTlSIiUDNQ.  655 

baratei»  theologischen  Schrifbsteller  des  XVI.  JahrhuiidertSf  der 
aeine  dickknhigeu  Postillen  und  andere  theologischen  Arbeiten  /u 
tSehintau  (1573—1570),  Dctrekö    (1579—1581)  und  Kolubach 
(1584)  selbst  druckte.  Noch  sind  zu  erwähnen  Valentin  Mantsko- 
vit^j  (1581—1585  zu  Frei-stadl,  1589—1599  zu  Vizsoly  im  Abaujer 
Komitat),  und  besonders  der  Laibacher  Buchdrucker  Hans  Manuel 
(Manlins),  den  wir  1582  zu  Gttssing  hA  den  Batthy^yi's,  1587  zu 
Varasdf  1587—1592  zu  Eberau  bei  den  Erdddrs,  1592—03  zu 
Deuisch-Schützen,  1595 — 97  wiederum  zu  Oüssing,  1598  zu  Kreuz 
bei  den  Nadasdi's,  ir)02  zn  Sarvar,  IGO;^  —  IdOl   wiederum  zu 
Kreuz  unter  anderem  auch  mit  dem  Nachdruck  älterer  Werke  be- 
schäftigt ßuden.  Alles  zusammen  können  wir  die  Zahl  der  in  den 
Ländern  der  heiligen  Stephauskrone  im  Laufe  des  XVL  Jahrhun- 
derts entstandenen  Buchdruckereieu  auf  dreissig  augeben«.  welche 
mit  wenigen  Ausnahmen  auch  ungarische  Werke  druckten  und 
mit  einziger  Ausnahme  der  gleich  zn  erwShnenden  Timauer  Bnch- 
druckerei  insgesammt  im  Dienste  der  Reformation  standen,  welcher 
sie   ihre  Entstfliuni^  und  Erhaltung  zu  verdanken  hatten.  Ohne 
Zweifel  ge})ülirt  ihnen  ein  grosser  Tlieil  der  Schuld  an  der  prekä- 
ren Lage  des  Katholicismus  gegen  Ende  ih  s  XVL  Jahrhunderts 
und  war  es  daher  natürlich,  dass  sie  in  erster  Beihe  von  der  katho- 
lischen Beaction  bedroht  wurden,  als  diese  endlich  unter  der  FOh- 
rerschaft  des  Kardinals  Forgjich  und  des  Graner  Grossprobst^s  Ni- 
kolaus Telegdi  kühn  das  Haupt  erhob  und  der  Bedrängniss  der 
Katholiken  ein  Ende  bereitete,  'lelegdi  hatte  eingesehen,  dass  es 
nicht  mehr  angicng,  die  apologetischen  Schriften  der  katholischen 
Partei  in  Wien  und  im  Auslande  dnukeu  zu  lassen;  er  kaufte 
daher  1577  die  seit  vierzehn  Jahren  unbenützt  daliegende  Buch- 
druckerpresse des  Wiener  Jesuiteneollegiums  um  tausend  Gulden 
an,  und  errichtete  im  nächstfolgenden  Jahre  zu  Tirnau  die  erste 
katholische  Druckerei  im  Lande.  Im  letzten  Drittel  des  XVL  Jahr- 
hundei-ts  hatte  diese  Druckerei,  die  1003  in  den  Besitz  des  Press- 
burger Donicapitels,  1035  in  den  der  Tirnauer  Akademie  übergieng, 
mit  welcher  sie  1777  als  Fniversitätsbuchdruckerei  nach  Ofen  ver- 
legt wurde,  allein  den  Kampf  gegen  den  Protestautismus  und  seine 
noch  übrig  gebliebenen  neun  Druckereien  zu  fahren,  und  dass  sie 
diesen  Kampf  glorreich  bestanden  hat,  trotz  dass  dem  1581 


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656  DIB  iiAMPBSBOoBSRAüssnuinre. 

herausgegebenem  Edikte  Kaiser  Rudolfs,  demzufolge  alle  oioe 
Privilegien  arbeitenden  Druckereien,  d.  h.  mit  alleiniger  Ausnahme 

der  Tirnauer,  alle  Druckereien  des  Laiideö  ilire  Arbeiten  eiustellfii 
sollten,  keine  l'olg«'  geliistet  wunii-,  Ijeweist  iiuter  auderii  iiiuli  dtr 
Um«tan(l,  da«s  seit  dem  Er^^L-licineu  der  zu  Tiruaii  ^('druckten  apolu- 
getischeii  und  i)(>lemischeu  Schriften  eines  Telegdi  und  Päzmany  die 
protestantische  Streitliteratur  zusehends  ein  höheres  Uteransches 
Niveau  zu  erreichen  bestrebt  ist  —  Im  XVII.  Jahrhundert  suchieii 
beide  Lager  ihre  Streitkrilfte  zu  vermehren.  Kardinal  Foigaeh 
schuf  1609  zu  Pressburg  seine  schöne  Primatialbuehdruflkeivi 
(1609 — 1()50),  deren  grösserer  Tlieil  1644  mit  der  Tirnauer  Dnieke- 
rei  vereinigt  wurde;  ll)l)7  eiriehtete  das  Kaschaut  r  de."5Uitencitiie- 
gium  zu  Kaschuu,  wo  bis  dahin  (seit  1(310)  Idos  protestantische  Hu- 
eher  gedruckt  wurden,  eine  kathulische  Buchdruckerei,  welche  1716 
durch  das  Material  der  seit  1578  bestandenen  Bartfelder  Druckerei 
vergrSasert  wurde ;  schliesslioh  finden  wir  von  1676  bis  1685  aadi 
im  Franciscaner-Kloster  zu  Gsik-Somlyo  in  Siebenbürgen  eine 
Druckerei  thätig,  und  trat  1097  zu  Klausenhurg  die  Druckerei  dw 
von  Stepliiin  Hathori  gegründeten  Jesuit(Mic!dle<riniu.s  wieder  '\m 
Leben,  nachdem  sie  seit  ilireiu  ersten  Auttreteu,  iiu  Jahre  1599, 
fast  ein  ganzem  Jahrhundert  lang  geschwiegen  hatte.  Andrerseits 
legten  aber  auch  die  Protestanten  die  Hände  nicht  iu  den  Sebuss.  ! 
In  Kreuz  (1610—1619),  Päpa  (1624—32),  Csepreg  (1625-43) 
und  Pressburg  (1671)  wurde  die  Buchdmekerkunst  wiedmm  em- 
geföhrt,  in  Trencsin  (1637—63),  Milchdorf  (1637),  SommewiB 
(1650),  Eperjes{lt;5l>),{Sil!ei!i  (lOÜo— 1708),  Maria- Laureten (IrtiO)  | 
etc.  wurden  neue  Druckereien  eriiehtet,  in  Debreezin,  (Umu  Kiilvi- 
uisch»>ii  Kom,  sehen  wir  von  loDü  bis  1704  die  Buchdrucker  eiuau- 
der  last  ohne  Unterbrechung  abläsen  und  die  Erzeugnisse  der 
Buchdruckerpresse  der  PraeyentiTcensur  der  reformirten  Geisttieh- 
keit  und  des  Magistrats  unterworfen ;  in  Siebeubflrgen  ragt  die  tor 
Susanna  Lor^ntffy,  der  Witwe  Georg  Rakdczy*s  des  Ersten,  m  Siies» 
Patak  errichtete,  jedoch  vor  denVerlolgungen  der  Sophie  Bathori  huM 
nach  Klausenhurg  verlebte  Druckerei  (1  <>5 1--H>7 1)  hervor  inid  wurdi- 
in  Kronstadt  tlie  Honter'sche  Druckerei  iu  neuen  Stund  gesetzt,  ia 
Karlsburg  von  Gabriel  Bethlen  eine  neue  Staatsdruckerei  (1619— 
1058)  errichtet,  während  im  Norden  Ungiinis  die  protestanti- 


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DIZ  LAHDBSfiUCIlElJlUdbTELLUKii.  657 

sehen  DruckereiLMi  von  Bartteld  (1578-  17li>)  und  Leulscbau  (seit  - 
ir>14)  mit  Hiiitausetzung  der  mehr  oder  weniger  iinfruchtbareii 
iheologiBehen  Streitereien  unter  der  Leitung  des  Jukob  Khldsz 
(1598-1657)  und  der  Familie  Brewer  (seit  1624)  sich  um  die  Yer- 
breitaiig  von  Schulbüchern  und  der  ungaiischenVolksliieratur  ver- 
dient machten,  und  in  Keresd,  dem  Stammsitz  der  Familie  Bethleii, 
Alexius  Hethleii  eigens  zu  dem  Zwecke  eine  Ihiokerei  errichtete 
(l<i84 — 1(390),  um  das  ^^escliiclitswerk  seines  im  Jalire  \i)79  ver- 
storbenen Bruders  Wullgang,  Kanzlers  von  Siebenbürgen,  drucken 
•m  lassen.  In  Bezug  auf  die  Technik  freilich  ist  in  diesem  Zeiträume 
der  immer  mehr  nni  sich  greifenden  Buchdmckerknnst  im  allge« 
meinen  wenig  erfreuliches  zu  melden ;  wie  in  ganz  Europa,  so  ist 
auch  bei  uns  ein  stetes  Sinken  der  Kunstfertigkeit  wahrzunehmen. 
Die  katholischen  Druckereien  zu  Timan  und  Pressburg  machen 
hierin  zwar  eine  rfihmliche  Ausnahme,  auch  den  Brewer'sehen 
Typen  kann  man  zu  ihrem  llulime  nachsagen,  dass  sie  l)ei  weitem 
ek'gaiiter  als  die  deutschen  und  niederländischen  waren,  im  gan- 
zen aber  kann  man  behaupten,  dass  unsere  protestantischen  Buch- 
drucker, trotzdem  dass  z.  B.  Debreczin  junge  Leute  auf  städtische 
Kosten  nach  Belgien  behufs  Erlernung  der  Buchdruckerkunst  zu 
schicken  pflegte  ,  selbst  hinter  ihren   niederländischen  Yor- 
Ixildem  so  weit  zurttckblieben,  dass  man  sich  wirklich  wundern 
mnss  upter  ihnen  zweien  so  ausgezeichneten  Typographen  wie  • 
Christian  Szenczi  und  Nikolaus  Kiss  von  Tdtfalu  zu  >>egegnen.  Der 
•erstere  (f  1067)  arbeitete  mit  schünen,  aus  Holland  mitgebrachten 
Typen  seit  ir)4()  zu  ( Jrosswardeiu,  bis  er  si(  h  IGOo  vor  der  drohen- 
d»'n  Türkcngefuhr  nach  Klausenburg  flüchtete,  über  nur  um  bald 
wieder  nach  Hermannstadt  zu  ziehen;  der  Letztere,  einer  der  ersten 
Buchdrucker  seiner  Zeit,  der  während  seines  Aufenthaltes  in  Am- 
sterdam aus  Schweden,  Italien,  Belgien  und  Frankreich  Aufträge 
erhielt,  und  der  den  Armeniern  und  Georgiern  in  Asien  ihre  ersten 
Druckereien  einrichtete,  kam  1690  nach  Siebenbürgen,  um  seinem 
Vaterlande  und  der  Reformation  zu  dienen,  erlag  aber  schon  1702 
einem  SchlaganhiUe  und  den  zelotisclien  Verfolgungen  des  refor- 
niirten  Klerus :  —  seine  Druckerei  gieng  in  den  Besitz  der  refornür- 
ten  Gemeinde  [Wwv  und  blieb  bi^  1730  in  Thätigkeit. 

Mit  Nikolaus  Kiss  von  Tötfalu  könueu  wir  in  der  Geschichte 


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I 


658  DIB  LANl»K8lrt}CnBliAU8S'nELLin(0.  ' 

unserer  Buehdnickerkunst  ilen  ersten,  dreihundert  Jahre  längen  Ab- 
schnitt schliessen,  in  welchem  Fürsten,  Magnaten  nnd  der  hohe  Klt*- 
ruM  gleichmussig  bemüht  waren  Gnttenbergs  Erfindung  im  Interesse 
der  einen  oder  der  andern  Confession  zu  verwerthen.  Seit  dem  Sait- 

nirtrer  Friedensschlnsso  (171 1)  ist  ilcr  V«'rfall  uii.serer  l'uclHlriukef- 
kmist  iiocli  aitLiciifälli^er,  iU)cli  Hegen  aucli  vlie  UrsacluMi  cles>.Hll»»;ii 
klar  zu  Ta^«',  Das  sieljciibürgische  nationale  Fürsteiithum  war  erl<> 
schen,  mit  dem  Aufhören  der  roligiösen  Känijife  bemächtigte  sich  der 
Geister  eine  nnüberwindliclie  Lethargie,  die  nngarinche  Literatur 
beschrankte  sich  auf  die  Befriedigung  der  täglichen  Bedürfnisse 
mit  dem  Erstarken  des  Zunftwesens  schwanden  die  Tielgeplagteo, 
aber  begeisterten  Buchdrucker  des  XVI.  Jahrhunderts  vom  Schan- 
platze,  und  —  last  not  least  ~  legte  sich  die  Censur,  welche  man' 
(•hell  ungarischen  Schriftsteller  iiöthigte  seine  Werke  im  AnHlaml'', 
in  Amsterdam,  Utn^dit,  Lcyth'n,  Witteiil)erg,  Marburg,  Nürnberg, 
Frankfurt  und  Basel  drucken  /ai  lassen,  wie  Melilstanb  auf  die  noch 
gar  sehr  pflegebedürftigen  Trielje  der  Tvjiographie.  Der  vom  18. 
Juli  1715  datirte  Erlass  Kaiser  Karl's  des  Dritten,  in  welchem  die 
Frage  des  Privilegiums  nnd  der  Censur  geregelt  wurde,  hatte  zwar 
auf  Ungarn  von  Rechtswegen  keine  Anwendung,  auch  hielt  man 
sich  nicht  überall  und  immer  streng  darnach,  ^vie  ja  z.  B.  es  noch 
1772  in  Siebenbürgen  nicht  weniger  als  nenn  Bnchdruckereien 
ohne  PriviU'ijrinin  gab  und  die  Komorner  l)iKlidruckerei  von  1780 
bis  ISJi.")  uhnt.'  i'rivik'gium  l)estsuul,  im  allgemeinen  alx.-r  war  die 
Präventivcensnr  und  der  ,Catalogus  librorum  a  commissione  cat'S. 
reg.  aulica  prohibitorum"  ganz  geeignet,  die  Buelidrucker  iu  den 
höheren  Ortes  vorgeschriebenen  Schranken  zurückzuhalten. 

Die  bedeutenderen  Bachdruckereien  dieser  Zeit  sind  die  von 
Komom  (1705  auf  die  Dauer  von  fünfeehn  Jahren  blos  für  den  Drock 
von  Kalendern  privilegirt)  und  Debrecsin(vom  Feuer  zu  wiederholten 
Malen  verwüstet  und  von  der  Wiener  Regierung  hart  bedrängt),  dann 
die  7M  Raab  und  Ofen.  An  ersterem  Orte  w^irkte  seit  1730  der  1726  von 
\\  ildberg  nach  Oed«*nburg  eingewanderte  Joseph  Anton  v^treibi^,  des- 
sen Druckerei  noch  h«nite  unter  dem  Namen  dor  Sauerwein'sclienlJucli- 
druckerei  fortblüht  (eine  fast  kom]>lete  Sammlung  ihrer  Erzeug- 
nisse war  auf  der  liandesbücheraussteilung  zn  sehen)  ,  und  au  leti- 
terem  Orte  seit  1724  der  eine  Zweig  der  Baohdruckerüamilie  Lan« 


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DIB  LANDBBBÜOHKBAVaöTlLLUMO.  65P 

deier,  welcher  aber  bis  anf  die  neueste  Zeit  grössteutheils  blos 
iCaleoder,  uugarisehe  und  deutsche  Volkslieder,  litaneieu,  Traum-, 
b&eher  und  kleinere  Erzählungen  «gedruckt  in  diesem  Jahr**  auf 
den  Markt  brachte.  Bessere  Dienste  leistete  der  vaterlänUischeu 
Literatur  der  Pressburger  Zweig  der  Familie  Landerer,  deren  ("lief, 
Johann  Michael  Laiiderer  im  Jahre  1750  die  171.'>  gesj^riindete 
Royer'sche  Druckerei  um  11,000  ^(Juldeii  kiiufiicU  an  sich  brachte 
und  bis  zu  seinem  1795  erfolgten  Tode  in  Pressburg  und  iu  seinen^ 
Filialbuchdruckereien  zu  Kaschau  und  Pest  an  der  Hebung  der 
Buchdruckerkunst  thatig  war.  Am  rührigsten  jedoch  waren  die  Je- 
suiten, die  um  die  Wette  l)emflht  waren  ihren  ohnehin  schon  ge- 
waltigen Einflttss  auf  das  Volk  noch  dureli  die  Buchdmckerei  2u' 
steigern.  Mit  ihren  billigen  und  zahlreichen  ungariseheii,  lateiui- 
aclieu  und  Hlavisehen  Druckwerken  in  12",  (in<*ist  theologische 
Werke,  Streitsidirii'ten,  T^niversitätssciiril'ten  und  Schulhücher) 
welche  auf  schlechtem  Papier  mit  schlechten,  vom  Auslände  bezo- 
genen Typen  gedruckt  wurden,  suchten  sie  die  Erzeugnisse  ande- 
rer Qfficinen  zn  verdrangen,  und  von  1711  bis  zur  Auflösung  des 
Ordens  (1773)  producirte  ihre  Timauer  Buchdruckerei  allein  bei- 
nahe ebensoviel,  wie  alle  übrigen  Druckereien  des  eigentlichen 
Ungarns  zusammengenommen. 

Als  dann  im  Jahre  1773  der  Jesuitenorden  aufgelöst  wurde 
lind  uucli  .seine  Dnukoreien  in  fremde  Hände  iiltergehen  sollten, 
waren  es  besonders  Buchdrucker  aus  Deutschland  und  den  öster- 
reichischen Kronländeru,  die  zum  Theile  durch  Joseph's  des  Zwei- 
ten aufgeklärtes,  den  Buchdruckern  günstiges  Regime  herbeige- 
lockt ihr  Gewerbe  in  Ungarn  weiter  zu  betreiben  suchten;  sie 
wussten  sieh  Privilegien  zu  verschaffen,  und  errichteten  sodann  in 
einzelnen  grosseren  Frovinzstädten  ihre  Pressen ;  nur  in  Debreczin 
konnte  aueh  während  dieses  Zeitraumes  die  Buchdmckerei  den 
Händen  von  Ungarn  nicht  entrissen  werden.  Diesem  Hereinströmen 
Irischer  Kräfte  ist  es  zuzuschreiben,  dass  wir  im  Jahre  1787  im 
dreieinigen  K<inigreiche  zusammen  29  Druckereien  Huden,  welche 
Zahl  sich  im  Jahre  1810  in  Ungarn  und  Kroatien  (Siebenbürgen 
nicht  inbegriffen)  auf  36,  im  Jahre  1817  im  ganzen  dreieinigen 
Königreiche  auf  50  hob.  Doch  hatten  später  fast  alle  diese  Buch- 
<lmckereien  mit  mannigfachen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  iu 


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■1 


660  LA^I*E£UUCbBBA^^älELLlN<i. 

eruier  lUAhr  mit  deu  die  «^r  wiiiiibiiitgeuUäteji  Verljigsartikel  betraf- 
fendenPrifilegteu  eiiize]  ner  Druckomen,  heHOiiders  aber  mit  der  Coii* 
curreuK  der  aus  der  Tiruauer  Jesuiteudruokerei  herFori^pgaiigeiiea 
UtUTersitüttbQchdrttckcrei,  welche  insbesondere  seit  dem  sie  im  Jafare 
1777  nach  Ofen  ttberAihrt  wurde,  mit  grosser  Beharrlichkeit  und  spü* 
ter  aueh  mit  schönem  Erfolge  ihr  Ziel  yerfolgte,  doioh  ihre  vollendet« 
Technik  alle  übrigen  Druckereien  des  Lande«  zu  übertreften.  *  l  lul  da 
sie  seit  ihrer  rbersiedclunf^  nacli  Ofen  mit  umfassenden  Privih  fpeii 
ausgestattet  wurde,  z.  B.  allein  dasa  Rtclit  hatte  serbische  und  he- 
bräische liUcher,  Landesscheniatismen,  und  — was  am  eintrüglichäteu 
war  —  die  SchuibQeher  für  die  katholischeu  Schulen  zu  drucken,  ist 
es  nicht  zu  Terwundem,  dass  die  Eraengnisse  der  übrigen  Bach- 
druekeveien,  deren  Erwerbsquellen  sehr  spärlich  flössen,  an  Gefällig» 
keit  der  Ausstattung  selbst  hinter  den  Druckwerken  der  letztenHIÜfie 
des  XVII.  Jahrhunderts  zurQckblieben.  Einige  bekanntere  Kalender 
zahlten  sich  zwar  ohn»'  Zweifelaus  (der  Komorner  Kalender /,.  1>.  er- 
s(  lii»Mi  in  jährlich  84,<t<M»,  (Wr  Ofner  in  15,000.  der  grössere  Temes- 
Viirer  in  4,000  Exemplaren),  doch  fanden  es  selbstverständlich  die 
Buchdrucker  nicht  für  nothwendig  auf  die  Herstellung  solcher  ephe- 
meren Produkte  ihrer  Prasse  besoudere  Sorgfiftlt  m  Terwenden. 

•  Vgl.  ilie  intoreä»unt*;  Zu^ianunenbtelluuguii  Stepliün  Baloghy*8  «A 
luagyar  kirilyi  egyetemi  nyomda  teimäkeiuek  cziii]jcg}-zeke.  1777—1877. 
A  Magy.  Omägos  könyydueti  UiUitis  alkahniböl  ÖWkeiUitotta  Balogby 
Istvin"  (VerzeichniH  der  in  der  kOnigl.  Ung.  Unirenit&tKbufllidiuckerai 
roa  1777  big  1877  gedruckten  Werke.  Ans  Anläse  der  üng,  Lsndesbücber- 
auflflteOnng  snsammengestellt  von  St.  Balogby.  Budapest,  UniTerritfttgbocb- 
dmckerei.  1882.  8^.  VII.  und  272  S.),  aus  welchen  endchtUch  ist,  dass  die 
UniversitSt^^buchdruckerei,  <lic  Iii»  zum  Jahre  1870  auch  als  Staatsdnickerei 
fungirte,  im  Laufe  von  hundert  Jahren  lb'4  lutfiiiische,  803  uujj-.iriache, 
283  deutsche,  4  französische,  itiilit-nistUf,  4  ^'liecbiHche,  46  slovukisclie, 
10  kroiitisclie.  2^3  Herliisrhe,  23  nitluni-chf.  !•  bulgarische.  1>  wiiHlischc, 
rumiiuisi  he  uiul  1<jO  hebräische  Werke  «hnekfc  Km  ilhnli(  he.s  Verzeich- 
nisis  der  in  dt'r  l)ruekerei  des  Mirosväsarhflyer  refonuirten  CoUejjiuuiN 
IT"?»»  l'^O?  erschieueneii  Werke  liat  JoHepli  Kone/,  zum  Verfasser  :  .,A  Mü- 
i*08VÄ«arbelyi  Ev.  Reform.  (Jollegium  köny  vnyomd^ja  teim^kcinek  jegyneke 
1786—1867  oldöber  1-ig.  MaRM^Ytfeirhelytt.  Nj.  Imreli  S4iidor,  as  Ev. 
Ref.  JtöUuk.  Gjorssajit^iia.  1882"  {8f>,  25  S.).  Auch  die  Serbische  Matica 
hatte  die  in  ihrem  Verlage  seit  1826  erschienenen  Werke  aufgestellt ;  von 
1836  bis  1863  worden  dieselben  fiut  ohne  AoMnahme  in  der  Univenitftt«- 
bochdrockerei  bu  Ofen,  seit  18G8  meist  in  Neosats  gedruckt 


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I 


fVM?  LAKDKBnÜrHRBAU^STBU.üK«/  Ä«l 

Erst  mit  dem  Erwachen  ih'r  National- liittratiir  fin(l«»n  wir, 
dass  auch  die  Bnchdraekerkunst  anfangi,sich  dem  Niveau  des  Aua- 
landea  so  näbern,  und  niiid  es  besonders  die  Geschiehtsschreibnng 
und  die  sebSnen  Wissenscbaften,  welcbe  den  Anstoss  zn  dieser  er- 
freolicbra  Bewegung  gaben.  Es  bauten  zwar  scbon  frtther  von 
ungarischen  Historikeni  Matliia«:  Bei  nml  Peter  Bdd  xiemlich  viel 
und  mit  (»cschmnck  zn  Hanse  drucken  lassen,  doch  fViiidcn  erst 
seit  Ende  des  Will,  .laiirliunderts  eine  Reibe  vortrefflicher  Histo- 
riker, wie  Prav,  Katona.  Kovachich,  Schönwiesner,  Feif^r.  Uumv  u. 
n.  in  dem  langsamen  Wiedererwachen  des  nationalen  Geistes  den 
Verbündeten,  welcher  zugleich  mit  der  Taterländischeu  Geschichts- 
schreibung auch  die  Bnebdruckerknnsfc  in  den  Stand  setzte  ibre 
Kräfte  zn  entfalten^  Dieser  Geist  war  es,  der  den  jttngeren  Jobann 
Tbomas  Trattner,  den  begeisterten  Förderer  der  ungariseben  Lite- 
ntnr  beseelte,  als  er  in  seiner  Pester  Druckerei  von  1817  bis  7.n 
seinem  1825  ertblgt^^n  frühzeitigen  Tode,  meist  auf  eigene  Kosten 
827  Werke,  darunter  418  in  ungarischer,  250  in  lateinischer,  1  in 
tVauzüsischer,  127  in  deutscher,  5  in  kroatischer,  11  iu  slovakisclier, 
6  in  griechischer  Sprache  drucken  Hess.  Auf  der  anderen  Seite  hin- 
wieder sorgte  das  Aufblühen  der  schönen  Wissensebaften  dafi^r, 
dass  sieb  der  Fertigkeit  in  der  Baebdmckerknnst  aucb  der  Ge- 
scbmack  beigesellte.  Die  eigentlicben  Regeneratoren  der  ungari- 
seben Nationalliteratnrf  die  «Ungariseben  Leibgardisten*  (seit 
1772),  Hessen  zwar  ibre  Werke  meist  an  ibrem  gewöhnlichen  Auf- 
enthaltsorte, in  Wien  dru(  keu,  konnt«^n  mithin  kaum  irgend  wel- 
chen Eiufluss  auf  die  Hebung  der  Rnchdruckerkunst  in  T^ngarn 
ausüben,  doch  schon  Gabriel  Kaziuczy  l)estrel)te  sich  den  guten 
Geachraack  nicht  nur  in  der  Literatur,  soudeni  auch  in  der  Buch- 
drucke rkunst  einzubürgern.  Seine  Briefe  an  seine  Verleger  sind 
'  ToU  tecbniscber  Unterweisungen  für  den  Bucbdmeker,  er  selbst 
pflegte  sieb  1)ei  der  Heransgabe  grosserer  Werke  in  die  Druckerei 
zu  begeben,  um  die  Typen  und  Ornamente  ansznsucben,  die  Breite, 
der  Columnen  zu  bestimmen  n.  dgl.,  was  zur  natflrlicben  Folge 
hatte,  dass  Kazinczy's  W»'rke  in  der  zeitgemissischen  Literatur 
auch  in  B»'zug  auf  gediegene  äussere  Ausstjittiing  einzig  dastanden. 
In  der  Hauptstadt  niaclite  sich  dieser  Aufschwung  besonders  seit 
dem  Jahre  1831  geltend,  in  welchem  Jahre  es  dem  vereinten  Be- 


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668  DIB  LANnS^CRRRAireS'nLrilTNO. 

iiiiilp'ii  Ka/iiii  /v's  mitl  Ki>r;il\i(ly"s  gelang  die  «T^njrai (^f- 
li'hrtengc'.sellNclijirt "  (Magyar  Tiul(is  Tarsasag),  tlic  >i>;if«^r<'  Aka*l»*- 
mie  der  Wisseu.schafteii,  ins  Lehen  zn  rufen.  Bis  dahin  hatten  die 
Pest-Ofner  Privatdruckereien  mit  röhnilifber  Aiisiiahoie  der  }»e- 
kannten  Trattner  sehen  sieh  mekt  auf  die  Herstellnng  yon  Kalen- 
dern, Gebet-  und  Schnlbücht-rn,  und  Erzeugnissen  der  Volkslitera- 
tur beschränkt,  seit  1831  aber  nahm  yon  Jahr  zu  Jahr  die  Zahl  der 
in  Pest-Ofen  gedmckteu  gelehrten  Abhandlungen,  der  Zeitungen 
und  Zeitschriften  politischen  und  belletristischen  Inhaltes  zu . 
welche  .sich  durcli  ihr  geschniuckvulles  Äussere  recht  vortheilliutt 
repräsentirten.  Hier  wurde  im  Jahre  1835  vnn  dem  unerMiiidli'^h<  j) 
Stephau  Karolyi,  iUtr  1827  .von  seinem  Schwiegervater,  dem  alten 
Trattner,  die  Pester  Bnchdruckerei  der  Trattner  ühernahm,  die 
erste  eiserne  Handpresse  in  Ungarn  aufgestellt,  hier  liess  derselbe 
Etfrolyi  im  Jahre  1840  zuerst  auf  der  Schnellpresse  arbeiten,  nnd 
wurden  bald  darauf  die  «Nachrichten  aus  Ungarn  und  dem  Aus- 
lände** (Hazai  s  KUlfoldiTudö»it^k),8owie  Helmecxy'»  „Gegenwart*. 
(Jelenkor)  schon  auf  der  Dampfpresse  gedruckt. 

Fliemit,  kann  nnin  .«!a<]^eii.  hatte  die  ungarisehe  Typographie 
die  iiöcliste  Stufe erreiclit ,  welclip  untt^rdem  l)ru<'ke  «1er  Censur,  de^ 
Zunftwe.seus  und  der  Privilegieuwirtschuft  nur  immer  möglieh  war; 
der  letzte  und  *j^r">sst€  Schritt  hlieb  dem  neuesten  Zeiträume  (seit  »teiu 
Znsammenbruch  des  Ancien  liegime  im  J.  1848)  vorbehilten.  Am 
15-ten  März  1848  zwang  das  Volk  die  Landerer  und  Heckeuast- 
sehe  Druckerei,  damals  die  erste  der  Stadt,  die  spater  auch  die 
Eossnth-Banknoten  erzeugte,  unbekOmroert  um  die  Censnr,Pet5fi*s 
wTalpra  Magyar*  und  das  Credo  der  nationalen  Partei,  die  „zwSlf 
Punkte-  vM  drucken,  und  hald  ilarauf  ratitieirte  das  Parlament  den 
AVilleii  des  \  olkes.  1  l^]i  lolg  lic^s  nicht  lange  auf  sich  warten.  Kaum 
hatte  das  Parlament  die  ( 'eu.sur„aul  ewige  Zeiteu^^  abgescbali't  und  das 
Pnnei]»  atisgesprochen,  ^das9  es  jedem  unbenommen  sei,  seine  Ge- 
danken durch  die  Pre.«?se  frei  auszusprechen  und  zu  verbreiten',  so 
finden  wir,  dass  sich  in  Pest-Ofen  den  bis  dahin  bestandenen  fftnf 
Druckereien,  die  in  erweitertem  Wirkungskreise  fortarbeiteten,  vier 
neue  zugesellten. 

Anch  in  der  Provinz  nahmen  während  des  Freiheitskampfes  die 
liuchdruckereieu  in  erfreilieher  Weise  zu,  aber  nur  um  heim  Wieder- 


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PIB  i;AKPl£8B00HRSAira8nU.1JNO.  608 


«Mnfritt  Altsoliitisnuis  obcnso  rasch  wiodrr  zu  vrrscliwiiuliMi.  Das 
l'ro.spt'rin  ii  «k'i"  uiigurist-lioii  Literiitiu*  vvar('l>pii  f  ür  die  Hiirlulnicke- 
rei  eiin'  lif'l)enst'nige,  und  hekauiitlicli  irrtr  in  <l«'ii  iünlzigcr  Jahren 
ein  nicht  geringer  Theil  unserer  l)esten  Literaten  im  Exil  herum, 
während  der  zuhausege1>liebe]ie  Theil  unter  dem  harten  Drucke  der, 
wenn  auch  nicht  dem  Namen  naeh,  so  doch  de  facto  wiedereingefohr- 
ten  Gensnr  senfzte.  Doch  war  auch  diese  Zeit  der  grausamen  Unter- 
drHckung  nicht  ganz  nnfrachtbar  und  verloren.  Die  Ton  der  Poli- 
tik gewaltsam  ferne  gclialtene  Nation  concentrirte  ihre  Bemühnn- 
j^en,  so  weit  es  ehen  gienijj,  auf  dem  (»(d)iefe  der  sociah^u  Arheit, 
und  dem  haben  wir  «'s  woiil  zu  verdanken,  dass  «  s  l)oini  Aui'l»(»reii 
de«  ärgsten  Druckes,  im  J.  1860.  doch  uocii  G8  Druckereien  im 
eigentliclieu  rugarn  (davon  12  in  der  Hauptstadt)  gab,  welche  dem 
Storm  der  Zeit  erfolgreichen  Widerstand  geleistet  hatten,  oder 
trotz  der  ungünstigen  Verhältnisse  festen  Fuss  zu  fassen  vermoch- 
ten. Und  dass  unsere  Druckereien  während  dieser  Zmt  auch  in 
technischer  Beziehung  nicht  geringe  Fortschritte  gemacht  haben, 
beweist  der  Umstand,  dass  sich  einige  dei*8elben  auch  mit  der 
Herausgabe  von  ['raelitwerkfu  nicht  ohne  Erfolg  versucliten  :  —  nn- 
lueiitlich  Ut  die  v(uii  Ii.  Sjephausverein  IS.')?  herausgegeheue  und 
bei  Heinu'l  uml  Kuzma  gedruckte  ,LegentU*  der  Ii.  Elisabeth*  <*in 
sprechendes  Zeugniss  für  den  hohen  Grad  <ler  ^^)llkonlmeulleit, 
welche  einige  unserer  Typographen  auch  im  Fari)endru(;ke  erreicht 
hatten ;  von  späteren  Erzeugnissen  unserer  Buchdmckereien  wurde 
dieses  Werk  blos  durch  die  bei  dem  ersten  Buchdrucker  der  sech- 
ziger Jahre,  Gustav  Emich,  erschienene  «Chronik  des  Marcus* 
(1867)  übertroffen. 

Die  Zeit  des  eigentlichen  Aurschwunges  auf  dem  OebiPto 
unserer  1  Uichdruckerei  datirt  jedoch  von  IK(>7  lier,  dem  .laiire  der 
llersteilinig  unserer  Verfassung,  l'jinerseits  erniöglichte  die  Al>- 
Hcbathmg  des  Zeitungstempels  (187<))  das  Erscheiueu  zahlreicher 
Provin/zeitungen  und  somit  die  Errichtung  von  Druckereien  auch 
in  den  kleineren  Städten  der  Provinz,  andererseits  aber  konnte  der 
Unternehmungsgeist  unserer  in  die  Fussstapfen  Gustav  Emichos 
tretenden  hervorragenderen  Typogi-ai^hien,  mit  der'  Buohdrnckerei 
der  Franklin-Gesellschaft^  einer  der  ersten  der  Welt^  an  der  Spitze, 
nur  in  der  Aera  der  auf  die  U«d>ung  aller  Gowerlie  so  mächtig  ein- 


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rm  LAVDEfliiücifKltAüttmLLimA. 


wirkt'iideii  itolitisclicii  Kr»-llioit  /jir  (ioltinig  ^«  lanii^en.  U'alm'inl  es 
im  J.  ISf)«)  in  der  Hauptstadt- 17,  in  der  IVoviuz  105  Drnckereit  ii 
gab,  welche  Zahl  sich  im  .1.  li^77  auf  51,rps)>.  195  erhöhte,  könuen 
wir  gegenwärtig  die  Zahl  ^mmtlicher  Buchdrackereien  des  König* 
reich«  wohl  mit  300  angehen,  woTon  allein  70  auf  die  Haopt- 
stadt  entfiallen,  welche  demnach  ebenso  viele  BnchdrackeieieQ  ziMi 
alR  Leipzig,  die  erste  Bttehhändlerstadt  DentschlAnds.  Und  anf  wir 
liohor  Stufe  unsere  hauptstiidtisclie  Ruehdmclcerlrtinst  sanimt  den 
ii)a*igeu  mit  ihr  versohwistorteu  l\inistg«iwerl»on  steht,  luit  die  im 
Juni  187i^  in  der  Hauptstadt  arrangierte  ty]iographische  Ausstel- 
lung bewiesen,  und  hpweist  der  durch  Mitwirkung  der  gi-ös-sten  Bnch- 
dmckereien  der  Hauptstadt  hergestellte  Band,  welcher  durch  BiM 
nnd  Schrift  die  LandesbHcheransstellnng  verewigt. 

Auch  in  Beyng  auf  ein  anderes,  mit  der  Huchdmckeret  in 
fortwährender  eugfr  Verbindung  stehendes  Kunstgewerbe  hat  i» 
Landesbilcherausstt'Uuug  interessante  Betrachtungen  ermögHcl»!. 
ja  nach  dem  Urthcilc  .T(\-!t'ji]i  Koszlcr'-^  sind  di»'  liier  iiher  die  <m- 
Hchiclitp  der  vaterlündischeu  Buchbin derkuu^t  zu  erlangeudcu 
Aufschlüsse  eine  wahre  Revelation  zu  nennen.  Tn  manchen  Fallen 
ist  es  zwar  schwierig  anzugeben,  in  welcher  Stadt  das  betre0ende 
Buch  gebunden  wurde,  doch  kann  man  im  Allgemeinen  den  Grund* 
satz  anftitellen,  dass  bei  der  Abneigung  der  älteren  Verleger  ikre 
Verlagsartikel  ungebnnden  in  den  Handel  zu  geben,  und  bei  dem  en- 
gen V erhältniss  der  Buchbinderei  zur  Ruehdruekerei  in  friiheivn  .lahr- 
liuuderten,  die  Bücher  in  dersellien  Stjidt  gedruckt  und  eingebunden 
wurden.  Bestätigt  wird  noch  diese  Annahme  durch  die  Thatsache. 
dass  grössere  Städte,  iu  welchen  auch  die  Typographie  blQbte, 
einen  eigenen  Stjl  der  Buchbinderei  ausgebildet  haben,  insofern 
sie  die  ans  dem  Auslande  genommenen  Muster  mit  verschiedenen 
ungarischen  Motiven  vermehrten.  So  z.  B.  finden  wir,  dass  aof 
Ledereinbänden  nach  deutsciier  Art  diesell)en  Ranken.  lielieflnMer 
und  Scenen  ans  der  Bib(d  zu  sehen  sind,  wie  auf  Kinliihnlen  «leiij- 
scher  Provenienz,  dass  aber  daneben  in  der  Mitte  und  in  den  Ecken 
der  Rahmen  anf  ausländisclien  Einbänden  nirgends  vorkommende 
Ornamente  hinzugefügt  sind,  deren  Flenrons  daher  in  Ungarn  er- 
zeugt werden  mnssten.  Übrigens  kamen  die  Bnchbinder  unserer 
meisten  Städte  wohl  aus  Deutschland,  denn  nicht  nur  finden  wir 


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DIB  LANDSSBÜCRRRAUSSTKUiüNO. 


665 


meist  deutsclie  Muster  naeligeahmt,  sondern  machen  wir  auch  die 
trannge  Erfahrang,  dass  die  Buchbinderei  in  Ungarn,  von  den 
neuesten  Zeiten  natttrlieh  abgesehen,  immer  mehr  verfallt,  was 
wohl  'nicht  blos  atif  die  Abnahme  der  Leselust  nach  Beendigmio 
•lor  roligiö^oii  Känipfp.  sondern  violniohr  auf  das  langsanip  Aus- 
st^rliou  der  aus  I  )entsclilaiid  iierübergekommenen  alten  Kunst- 
tradition zurückzuführen  ist.  L)n(  Ii  lassen  sich,  wie  schon  erwähnt, 
innerliall)  des  vorherrsclienden  deutschen  Charakters  der  Ein- 
bände sahlreiehe  Variationen  unterscheiden. 

In  Klansenbui^  finden  wir  gegen  das  Ende  des  XYI.  Jahr^ 
hnnderts  die  Buchbinder  naeh  deutschen  Mustern  zwar,  aber  mit 
Heranziehnng  von  Hildnissen  ungarischen  Characters  arbeit4»n ; 
im  XVTI.  Jahrhundert  werden  die  Klausen l)urf;er  Ledereinhünde 
besonders  durch  den  von  Radien  durchschnitten  Kreis  «ridvenir/eieh- 
net,  welcher  das  Mittelstüek  in  den  Verzierungen  des  Deckels  Inldet ; 
gegen  Ende  des  XVllI.  Jalirhunderts  wieder  verfiel  diese  Specin- 
litat,  und  traten  an  Stelle  der  alten  Ledereinbände  immer  mehr 
die  Pergamenteinbande,  in  welchen  besonders  der  im  J.  1831  yer- 
storbene  Johann  Guttmann  excellierte.  —  Die  Kronstadter,  Her- 
uiannstÄdtcr  und  Karlsburger  gepressten  Ledereinbände  sind  aus 
weniger  feinem,  jedoch  dauerhaft-erem  Material,  sonst  aber  in  dem- 
selben Style  wie  die  K  Lausen  burger,  verfertigt.  —  Auch  in  Debre- 
«dn  finden  \\\x  seit  1562  den  deutschen  Styl  vorherrschend,  doch 
schon  um  die  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  begegnen  wir  daselbst 
ungarischen  Motiren,  und  wurden  gegen  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderte die  bemalten  Pergamenteinbande  beliebt;  die  Buehbinder 
ptiegten  bei  ihrem  Eintritte  in  den  Zunftverband  vom  reformirfcen 
Collegiuiu  ein  I5uch  au^zuleilu'u  und  an  ihm  Proben  ihrer  Geschick- 
lichkeit im  angedeuteten  Style  ali/ulegen.  —  In  Grosswardein, 
Sdrospatak  und  in  den  meisten  anderen  Städten  begegnen  wir 
gleichfalls  dem  durch  Anwendung  ungarischer  Motive  variirten  deut- 
schen Style,  blos  in  den  obemngarischen  Bergstädten,  den  festen 
Burgen  des  Deutschthnms  und  de&  Protestantismus,  treffen  wir 
daneben  holländische  Einbände  mit  weissem  und  gefärbtem  Perga- 
ment an.  und  zeichnet  sich  neben  Pressburg  besonders  Timau 
dadurch  aus. dass  blos  daselbst  d«'r  italienisch-französische  Styl  festen 
Fuss  gefusst  hat.  Die  Einl)äude,  die  wir  aus  diesen  beiden  Städten 

CqgariMshe  Revue.  1863.  VUI-IX.  Ueft.  ^3 


DigitizetJ  Ly  vjOOgle 


666  DR  MVPBRBÜOBntAUSSmumo. 

ans  dem  XVIH.  JshrliaiideH;  kennen,  sind  glatt,  init  einfadiem 

Rncken,  reich  vergoldet,  nnd  nlle.s  weht  darauf  hiu,  da.ss  die  mit 
d»  r  Tiniauer  Josniten-Üiudidi  lu  korei  und  der  Pressburger  Prima- 
tiallmclidnukeivi  eng  liirton  Tiruaiier  und  Pressburger  Huchbiiuler, 
wobl  uuter  dem  Einflüsse  der  Wipner  Ordt  nsbuebl)iiidprpieu,  be- 
strebtwaren, der  Einfachheit  der  deutsch -protestantiacheii  Einbände 
d^  reichen  Prunk  der  katholischen  Einbände  entgegensneteUeo. 

Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Buohbinderininst  in 
Ungarn  lässt  sich  an  dieser  Stelle  nicht  viel  sagen.  Unsere  hervor* 
ragenderen  Buchbinder  aus  der  Hauptstadt  (Posner,  Dochnat. 
Erezhegyi,  Fritz,  Oeller,  ( iotieimaycr  und  Ifalfer,  llirlia<^Pr,  Lazar, 
McliiKT,  Moluaruud  I  V'iuitscli)  und  aus  der  Provinz  (Czeruy,  Haut? 
in  Klauseul)urg,  BÖruer  iu  Zenta,  Miliuaries  in  Eszek,  Vegb  in 
Bekes-Csaba)  Hessen  sich  auf  der  Land('sl)ücherau8steUaiig  dareh 
zahlreiche  mehr  oder  weniger  prächtige  Einbände  vertreten,  und 
hat  die  Jury  mehrere  derselben  der  Ausseichnung  würdig  eraehtet 
Übrigens  ist  zu  hoffen,  dass  eben  dieser  Zweig  des  Ennstgewerbes 
den  grössten  ITntssen  ans  der  Ausstelliing  ziehen  wird ;  die  sorgfäl- 
tige Vergleichung  der  einliei  mischen  und  der  besonders  durch 
den  Grafen  Ah'xainhT  Ajiponyi  au.sgostellten  fnin/r>sischen  und 
englischeu  Einbände  wird  nothwcndigerweise  dazu  beitragen,  dass 
das  Gefallen  au  soliden,  eleganten  Einbänden  sich  in  immer  weitere 
Kreise  verbreite. 

Den  letzten  Abschnitt  unserer  Ansstellong  bilden  die 
Sammlungen  von  Amateurs.  Einen  nicht  geringen  Theil  dersel- 
ben hätte  man  zwar,  wie  es  ja  auch  mit  einigen  Werken  gesche» 
heu  ist,  recht  gut  in  eine  der  vorhandenen  Haupt«btheilungeii  ein- 
reihen können,  doch  hat  es  sieli  als  /weckuiässig  erwiesen,  den 
Kern  der  einzelnen  Sainniluugt^n  nicht  auseinander  zu  rrissen,  und 
dem  grossen  Pul)likuni  einen  tJl)erl)lick  über  die  Seltenheiten  un- 
serer bedeuteudsteu  Privatbibliothek(Mi  zu  ermöglichen.  —  An 
Privatbibliotheken  ist  nnser  Vaterland  nie  arm  gewesen.  Um 
von  den  Büchtrsammlungen  des  Mittelalters  zu  schweigen  — 
es  genügt  in  dieser  Beziehung  den  E5nig  Matthias  Corvinus, 
Johannes  Vit^,  Janus  Pannonins  und  Georg,  Erzbischof  von  Kalo- 
csn  zn  nennen  —  heben  wir  besonders  hervor,  dass  das  langsame 
Wiedcrerwachcn  des  nationalen  Geistes  gegen  Ende  des  XVllI. 


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l 

Dlie  LAKDKSbOCHKRAUSSTILLVMa. 


m 


Jahrhunderts  den  Impuls  zur  Errichtung  nuyurisdier  Bibliotheken 
gab,  solcher  Büchersammlungeu,  welche  alles  in  Uiigaru  und  über 
Ungarn  Geschiiebeue  und  Gedruckte  umfassen  sollten,  dabei  aber  ^ 
natörlichfirweifle  auch  die  sonstige  Literatur  keineswegs  ver- 
nachlassigten.  Der  erste,  der  sidi  dieser  Idee  bemächtigt^  war 
Graf  fVanz  Ss^dienyi,  der  seine  ans  50,000  Handschriften  and 
BroelEwerken  bestehenden  Privatbibliothek  dem  Lande  zum  Ge- 
schenke machte,  womit  er  den  Grund  zur  Bibliothek  des  unguri- 
schen  Nation ahuu.seunis  legte.  »Semem  Beispiele  folgten  in  der 
ersten  Hälfte  die3es  Jahrhunderts  Nicolaus  Jankowich,  Stephan 
Horrath  und  Graf  Joseph  Kemeny.  Die  Sammlungen  der  beiden 
ersteren  wurden  später  für  '-die  Bibliothek  des  Nationahnuseums 
angekauft,  die  des  letzteren  kamen  in  den  Besitz  des  Siebenbfirger 
Museums  zu  Klansenburg.  Aus  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahrhun- 
derts haben  ^vir  ))esonders  zwei  bedeutende  Sammler  von  Hunga- 
rica  zu  nennen,  den  Septemvir  Stephan  Nagy,  dessen  2000  Werke 
und  4000  Flugschriften  umfassende  Bibliothek  die  Antiquarbm  h- 
haudlung  List  und  Francke  in  Leipzig  um  den  Preis  von  10,000 
Thalem  erwarb  nnd  dessen  werthTollster  Theil  in  den  Besitz  des 
British  Museum  übergieng ;  —  sodann  den  ausgezeichneten  Publi- 
eiaten  Johann  TörÖk,  dessen  werthyoUe  Sammlung  von  8000  Wer- 
ken und  2,300  Flugschriften  der  Szatm^Crer  Bischof  Lorenz  Schlauch 
im  J.  1874  um  den  Preis  von  20,00o  Gulden  an  sich  brachte. 

Auch  auf  anderen  Gebieten  fehlte  es  uns  nicht  an  begeister- 
ten Bibliophilen.  Graf  Anton  Apponyi  brachte  um  1774  eine  Werth- 
▼oUe  Sammlung  von  alten  Handschriften*  (theilweise  aus  der 

*  Aii8ge»tellt  war  ein  vollBtftndii^er  PrudentiiiB  aaec  XL,  Babani 

Mauri  de  laudibu«  S.  Crucis  Carmen  snoc.  XII,  Aelianus  de  iii^truendis 
aciebiis  übersetzt  von  Thondonis  Onza,  und  Onosander  de  optimo  inipfra- 
toff?  Ubmetst  von  Nicolans  Socundinus  (boide  suro.  XV),  dor  werthvolle 
Janus  Pannonuis-Codex,  den  ich  in  meinen  „Analecta  ad  Historiam  Renas- 
centium  in  Hnn^avia  liitteraruni"  verwerthet  liabe,  der  von  Raidelius  in 
seiner  »Conimontutio  Critico-Litteraria  do  Clauilii  Ptolouiaei  (Jeographia" 
{Nürnb»'rg  1777)  lipsclirichonc  lattMnisclie  rtolomatus  sa»'c.  XV,  oin  in 
Frankreich  <^'o>cluif  l)Oii('s  (lol.otliuch  sa«'«\  XV,  oin  Broviaruni  sat'c.  XV,  dem 
Alexander  Contarini  von  der  Republik  Von»'dij^  lä.SH— 1510  ertheilte  In- 
structionen, eine  prachtvolle  Sainndung  von  Wappen  der  Richter  und 
Rechtsconsulenteu  der  Bologneser  Kaufmannszunfb  aus  den  Jahren  1576— 

48* 


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DIR  IJUnmtkTRBItADflSTBUUlO. 


EbnerVhen  Bibliothek  zu  Nürnberg),  Incunabeln,  Pracbtwerfceii 
und  Erzeugnissen  <l»'r  neueren  Literatur  zusammen,  welche  eine 
Zeit  lani":  in  Press])iir(r  dorn  öflPentliclien  (Jebrauclie  freistand, 
später  aber  nach  dem  Nagy-Apponyer  Schloss  des  Grafen  überführt 
wurde.  Fast  zu  gleicher  Zeit  legten  in  dem  kleinen  Siebenbürgen  diei 
Literaturfreunde  grossartige  BüeherBammliuigeii  an :  Graf  Igiias 
BattJiyi^ny  Buohof  von  Siebenbtixgen,  Graf  Sanrael  Teleki  nnd  Baron 
Bnickenthal;  ihre  Sammhingen,  die  jetzt  za  Karlsborg,  Maro«- 
VMrbely  nnd  Hermannstadt  aufbewahrt  werden,  bilden  noch 
heutzutage  wichtige  Faktoren  der  Culturentwickelnng  8iel)enbür- 
gena.  In  der  neuesten  Zeit  liat  die  Zahl  unserer  Bibliophilen  nur 
noch  zugenommen.  Die  Bibliothek  des  (rrafeu  Alexander  Appouji 
ZU  Lengjel  (im  Tolnauer  Comitate)  hat,  von  den  Werken  der  mo- 
dernen Literatur  ganz  abstrahirt,  eine  lange  Beihe  Ton  älteren 
anf  Ungarn  bezftgliclien  nnd  —  was  das  Äuiisere  betrifft  —  ror- 
trefflich  eonsermten  nnd  restaurirten  Druckwerken  des  Anshtndes, 
darunter  ühiea  und  Exemplare  von  höchster  Seltenheit,  aufzuwei- 
sen. Gustav  Emich  in  Budapest  hat  zahlreiche  werthvolle  Ineuna- 
beln  und  Handschriften  (darunter  einen  Cicero  de  Officiis  saoc.  XV. 
einen  Orosius  aus  dem  J.  1470,  einen  Ovidius  de  arte  amaudi  uiui 
de  Bemedio  amoris  aus  dem  J.  1433,  einen  Juvenalis  und  Persius 
aus  dem  J.  1471)  ausgestellt.  Aus  der  Bibliothek  des  Kanoniknii 
Ferdinand  Enauz  Terdienen  besonders  yierzehn  ungarische  Druck- 
Werke,  durchgehende  Unica,  aus  der  reichen  Sammhmg  des  Senats- 
präsidenten Georg    Bäth  eine  Beihe  seltener,  auf  Ungarn  bezügli- 
cher alter  Druckwerke  Erwähnung.  Andere  seltene  Werke  hatten 
Joseph  Ägostou,  Graf  Stephan  Keglevich,  Bischof  Johann  Paner» 
Emerich  Szalay,  Attila  Szcniere  und  Ilcrzojj;  I^udwig  Windisehirrätz 
ausgestellt,  doch  waren  es  besonders  die  Privatexpositiouen  von 
Victor  Myskovszky  und  Joseph  Dankö,  welche  nebst  Enea  v.  Lin- 
francon^sauf  die  Wasserstrassen  Mittel-Europa's,  besonders  die  Do- 
nau bezflglichen  Prachtwerken  in  diesem  Theile  der  Ausstellung  die 
allgemeine  Aufinerksamkeit  auf  sich  zogen,  ilieils  wegen  der  Selten- 
heit der  ausgestellten  Gegenstande,  theib  wegen  der  eminent  pnüiti* 

1032,  schlioHsHch  dir»  vom  Kardiiiiil  Pazmany  mit  Hainlbemorknnjron  vei>c- 
heno  Originalhandschritt  der  ersten  zwanzig  iiüchor  von  Isthvantfy's  Unga* 
rijtcher  Geschichte. 


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DEB  ALTKOMIsiCnH  KALKNDBB.  669 

scheu  Bedeutung  derselben.  Myskovszky's  Aiis>trlluug  repriUeutirt 
eine  Collection  von  Zeichuungeii  herTOxragender  Initialen  und  von 
Ornamenten  Ton  Bttehereinbänden  aus  dem  XIV.  XV.  und  XVI. 
Jahrhundert  und  dient  hiemit  denselben  praktischen  Zwecken  wie 
die  oben  besprochenen  reich  yerzierien  Handschriften  und  Druck- 
werke. Auch  des  Graner  Domherrn  Joseph  Dankd  Sammlung  aus  - 
dem  Gebiete  der  Kunst-OniiHiientik  ist  eiiu»  Ergänzung  eines  ande- 
ren Theiles  der  Landesbücherausstellung;  sie  enthält  niinilich 
eine  auf  das  XV.  XVI.  und  XVll.  Jahrhundert  beschränkte  Auswahl 
ausDanko's  mehrere  tausend  Xummem  umfassender  Sammlung  Ton' 
Titelbildern,  Vignetten  und  Initialen  von  Druckwerken,  deren  sorg- 
QXügp  Beschreibung  der  Besitsser  dieser  kostbaren  Sammlung  in 
einem  blos  in  hundert  Exemplaren  gedrucktem  Hefte*  gegeben  hat 
Ein  Theil  dieser  von  Dank(5  noch  während  der  Dauer  der  Ausstellung 
erli^hlicli  bereicherten  »Sammlung  zeigt  uns  wirkliche  Kunstwerke 
von  der  Haud  eines  Dürer,  Holbein,  Krauach  und  Künstlern  glei- 
chen Ranges ;  mit  Recht  konnte  daher  Üankd  hoffen,  dass  sie  wür-  * 
dige  Studienobjecte  unserer  Qewerbetreibenden  sein  würden  und 
dass  das  yaterlandische  Kunstgewerbe  auch  aus  diesem  Theile  der 
Landesbllcherausstellnng  nicht  geringen  Nutzen  ziehen  dürfte.  Auch 
wir  sind  der  festen  Überzeugung,  dass  diesmal  der  Same  auf  frucht- 
Ijareu  Boden  gefallen  ist,  und  dass  der  Erfolg  dieser  ersten  Special- 
ausstellung die  DirectioH  unseres  Lande.s-(.iewerbemuseuni8  zum 
Festhalten  an  der  mit  so  vielem  Glück  eingeschlagenen  neuen  Rieh- 
tung  bewegen  wird.  Euobn  i^BBL. 

DEil  ALTßOMlSUHE  KALENDEll.  . 

Wenn  es  dem  geneigten  Leser  sonderbar  erscheinen  sollte, 
dass  eine  so  oft  und  vielfach  besprochene  Frage  wie  die,  welche 
die  ursprüngliche  Einrichtung  und  nachmalige  fortschreitende  Ent- 
wickelung  des  altrömischen  Kalenders  betrifft,  noch  heute  Gegen- 
stand einer  langatfamigen  Abhandlung  werden  könne ;  so  mag  mir 
als  Entechuldigung  dienen,  dass  so  viel  auch  über  denselben  ge- 

*  Dankö  Jözsef  esztergonii  kanonok  könyvornampntikai  kiälHtÄsa. 
(Ausätellun^  aiH  dem  Gübiete  der  liärhorornamentik  des  Joseph  Dankö, 
Grauer  Domherrn.  Budapest,  1802.  6\  36  b.) 


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670  DES  ALTBdiaSCBB  KALBNDBB. 

schriebea  worden  ist,  und  so  auBgezeidinete  Männer  der  Wissen- 
schaft sieh  aueh  mit  Forschungen  auf  diesem  Gebiete  befiLSsi  ha* 
ben  :  die  Sache  selbst  dennoch  noch  ganz  im  Dunkeln  liegt  leli 

verweise  einfach  auf  das  aus  dem  Nachlasse  des  verstorbeueu  Otto 
Ernst  Hartniaiin.  von  Herrn  ProtV.ssor  Liulwii(  Lanjje  jüngst  lie- 
rausgegobone  lJuch,  um  lU'ii  Erweis  für  dieses  Dunkel  beizubringen. 

Es  liegt  aber  der  Grund  dieses  Dunkels  nach  meiner  nnmass- 
geblic'lieu  Meinung  nicht  so  sehr  in  den  Widersprüchen  und  Uu- 
deutlichkeiten  der  alten  Tradition  und  in  den  WülkOrlichketten, 
die  sich  die  neueren  Gelehrten  seit  Scaliger  und  Petav  theils  wis- 
sentlich erlaubt,  theils  unbewusst  begangen  haben,  als  sie  die 
uu gefügigen  Daten  der  Tradition  sich  fttr  ihre  Zwecke  znrecht  leg- 
ten ;  als  vielmehr  in  einem  gauz  andern  Umstandr.  Auf  Grundlage 
der  bei  Ovid  (Fast.  I.  27.  n.  folg.)  erhaltenen,  wohl  ziemlieh  äl- 
testen, und  im  (lanzen  von  den  .spätem  Schriltstellerii  oft  wieder- 
holten Xachricht  hat  man  die  Theorie  autjgestellt :  das  iiiteste  römi- 
si'lie  Jahr,  das  Jahr  des  Uomulus,  sei  zehnnionatlich  gewesen; 
Numa  habe  dasselbe  auf  zwölf  Monate  ergänzt,  und  zwar  seien  die 
Monate  des  romulischen  Jahres  :  Martins,  Aprilis,  Mains,  Junius, 
Quintiiis,  Seztilis,  September,  October,  November  und  December  ge- 
wesen; diesen  habe  Numa  den  Januarius  und  Febrnarius  hinzugefügte 

Abgesehen  von  den  Abweichungen,  die  das  wie  der  numaui- 
schen  Ergänzung  l)etrt'tt'en,  auf  dif  ich  ohneliiu  noch  zurückkommen 
juuss,  lässt  sicli  wohl  behaupten,  dass  dies  seit  dem  7.  Jahrhundert 
Borns  bis  auf  die  neueste  Zeit  so  ziemlich  die  allgemeine  Auffas- 
sung war;  so  lernte,  so  lehrte  mau  allgemein.  Natürlich  drängte 
sich  die  Frage  auf,  wie  denn  das  romulische  zehnmonaÜiche  Jahr 
beschaffon  gewesen  sein  möge.  Wer  aus  Brfiihrung  wnssie,  dass 
auch  zwölf  Monate  die  Dauer  des  vollen  Jahrs  nicht  ganz  ausftllen, 
dass  man  auch  hier  noch  nicht  wenig  Tage  zulegen  muss,  fragte 
erstaunt :  konnten  denn  die  Menschen  je  so  »'infäUig  sein.  /.Am  Mo- 
nate für  ein  volles  Jahr  zu  nehmen  ?  Di«'  Frage  war  um  so  berech- 
tigter, weil  sich  ja  Weise  gefunden  hatten,  die  zu  erzählen 
wussten,  dass  von  den  zehn  Monaten  vier  31  und  sechs  30  Tage 
gehabt  hätten,  und  somit  das  Jahr  301  Tage  gezählt  hätte. 

Die  hier  sich  häufenden  Schwierigkeiten  lassen  sich  kurz  so 
zusammenfassen:  a)  die  Dauer  eines  wirklichen  Jahres  betragt  nooli 


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'  »BR  ALTBOinSCBK  KALBNDBB.  871 

etwas  mehr  als  8(55  Tage ;  anuäherimgisweiiie  konnte  mau'  wohl 

eine  Zeit  lang  z.  B.  360  oder  359  Tage  für  ein  Jahr  nehmen,  allein 
*ler  liie))»'i  hog.uip^ene  Fehler  luusste  sich  ja  doch  schon  nach  lU 
Jahren  haudgrei flieh  lioraiisstellen ;  wie  sollte  man  deinioeli  liabeii 
glauben  können,  dass  304  Tage  ein  Jahr  aufmachen  ?  Miisste  ja 
doch  selbst  der  einfältigste  Mensch  schon  am  Ende  des  zweiten 
Jaihres  den  auffallenden  Unterschied  wahrnehmen,  h)  Ein  wahrer 
Monat  dauert  jedenfiall«  weniger  als  30  Tage,  und  zehn  Monate 
ergeben  noeh  nicht  ganz  300  Tage ;  mit  304  Tagen  musste  man 
schon  nach  Ablauf  von  30  Monaten  mit  dem  Neumondstag  auf  den 
Vollmond  kommen,  und  dies  konnte  mann  doch  unmöglich 
übersehen. 

Theodor  Mommsen  beseitigt  in  seiner  römibcken  Chronologie 
diese  Schwierigkeit  einfach  und  kurz  mit  der  Behauptung  :  das 
zehnmonatiiche  Jahr  sei  überhaupt  nie  ein  bürgerliches  Kalender' 
jähr  gewesen.  Andere  stellen  die  Meinung  auf,  die  alten  Römer 
hätten  gar  wohl  gewusst,  dass  zehn  Monate  das  Jahr  nicht  aus- 
füllen, hätten  aber  doch  ihre  sacralen,  bürgerlichen  und  landwirth- 
schaftlichen  Agenden  auf  nur  zehn  Monate  vertlieilt,  und  nach 
Ai)laut'  dit'.ser  zehn  iMonute  nicht  mehr  weiter  gezählt,  sondern  hat- 
ten lagt'  und  Monate  ungezählt  verstreichen  lassen,  bis  si<*  an  ge- 
wissen Zeichen  merkten,  dass  die  Zeit  der  Arbeit  wiedergekehrt 
sei,  wo  sie  dann  ihre  zehn  Monate  wieder  zu  zählen  anfingen.  Die 
Formel  hat  bei  yerschiedenen  einzelne  Abweichungen ;  die  Sache 
aber  ist  im  Ganzen  bei  Allen  dieselbe,  und  läuft  offenbar  auf  die 
Annahme  einer  systemlosen  Schaltung  hinaus,  deren  ünbaltbar- 
keit  ich  zunächst  nachzuweisen  habe. 

Die  regelniSssige  Wiederkehr  der  Mondphasen  hat  sich  zwei- 
fellos schon  im  primitivsten  Alter  der  Menschheit  bcmerklii-h  ge- 
macht, und  frühzeitig  auf  den  Begriff  des  Monates  geführt,  (lewiss 
ist  der  Monat  uralt,  und  es  dürfte  kaum  ein  so  wildes  Volk  geben, 
das  ihn  nicht  kennt.  Aber  eben  aus  dieser  Gewissheit  folgt  etwas, 
was  bisher  noch  nicht  die  entsprechende  Würdigung  gefpudem 
obgleich  jederman  davon  spricht.  Es  ist  dies  der  Unstand,  dass 
«fem  unsere  Erde  I^nen  Mond,  oder  dieser  Mond  keine  Phoien 
h'idc,  es  nie  jemmiden  enhgc fallen  wäre  einen  Mo}iaf  en  bilden,  der 
B^(friff  des  Monates  würde  übcrJutujjt  yar  nicht  existiren.  Wäre  auch 


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f 


078  ma  AzanU^oMHB  kaundbb. 

jemand  auf  die  Idee  *  TerfiJlen  zwischen  der  Ideinsten  natfirlichea 

Zeiteinheit,  dem  natürlichen  Tage,  und  der  grössten,  dem  Jahie, 

eine  mittlere  Einheit  t  iii/usclialwu,  su  hätte  man  diese  mittlere  Ein- 
heit gewiss  uieht  Monat  genannt,  nnd  wahrdckeiulich  weder  aus 
29  noch  auü  '60  oder  61  Tagen  gebildet. 

Eben  so  unzweifelhaft  und  gewiss  ist  es,  dass  das  Jahr  dem 
scheinbaren  Kreislauf  der  Sonne  und  der  Beobachtung  des  damit 

verbuudeueii  Wechsels  der  Jahreszeiten  seinen  Urspniug  'verdankt 
Es  ist  durchaus  nicht  notliwendig  bei  Bestimmung  der  Dauer  die- 
ses flalires  au  ir«;endAvelche  {genaue  astronomische  HeohachtnuiTeu 
zu  denken.  Das  Hinzutreten  solclier  hat  in  Folge  der  Zeit  die  Ge- 
nauigkeit dieser  Dauerbestimmuug  erhöht;  aber  der  Hegritt  des 
Jahres  war  durch  die  Beobachtung  der  mit  dem  Wechsel  der  Jah- 
reszeiten verbundenen  Erscheinungen  des  Pflauzenlebens  sehon 
viel  frOher  gegeben  und  seine  Dauer  konnte  bis  auf  einen  Unter- 
schied Tou  4 — 5  Tagen  der  Wirklichkeit  so  ziemlich  nahe  kommen. 

Halten  wir  die  constatirten  beiden  Thatsachen  wohl  im  Auge, 
so  kommen  wir  unmittelbar  und  naturgemass  zu  dem  Resultate, 
dass,  da  der  Motiat  rein  der  Beobachtung  der  Mondbewegungy  und 
das  Jähr  rein  der  Beobachtung  der  Sonnenbewegung  Txnd  der  damit 
Verknüpften  Erscheinungen  ihren  Ursprung  verdanken,  das  Jahr 
in  d&r  Natur  mi  dem  Monate  gar  md^s  gemein  hat;  das  Jahr  ist 
Tom  Monate  vollkommen  unabhängig  und  umgekehrt.  Die  Aulfas- 
sung, dass  eine  gewisse  Anzahl  von  Monaten  ein  Jahr  ausmache, 
oder  dass  das  Jahr  in  eine  gewisse  Anzahl  von  Monaten  getheilt 
sei,  entbehrt  in  der  Natur  jeder  Grundlage,  ist  also  dem  in  der 
Natur  lebenden  primitiven  Menschen  vollkommen  fremd.  Sie  kann 
nur  bei  vorgeschrittenen^  spekulirenden  und  vergleichenden  Völ- 
kern, mithin  gewiss  ziemlich  mpSA  entstanden  sein. 

\\'as  aber  früh  gesclielieii  sein  kann,  dass  ist  die  Eintheilun«^ 
des  Monates  nach  den  deutlich  unterscheidbareu  vier  Phasen  des 
Mondes.  Wie  es  kam,  dass  diese  Monatsviertel  bei  manchen  Völkern 
—  so  auch  bei  den  Kömern  —  achttägig  wurden,  lässt  sich  nicht 
klar  ermitteln ;  so  viel  ist  aber  gewiss,  dass  man  diese  achttägigen 
Wochen,  die  dem  Lichtwechsel  des  Mondes  eben  so  wenig  genaa 
entsprachen  wie  unsere  siebentägigen,  als  bequeme  Zeiteinheiten 


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% 

OVB  AVMHISCBE  KAUiNDEft.  ^73 

fortbestehen  und  unabhängig  und  selb.ststiuidig  al.s  Nnndinen  neben 
Jahr  und  Monat  herlaufen  Hess,  ohne  im  Entt'ernteaten  daran  zu 
denken,  dass  sie  aliquote  Theile  des  Jahres  oder  des  Monates  seien ; 
eben  so  wie  unsere  Wochen  olme  Rücksicht  auf  Jahr  und  Monat 
ununterbrochen  fortlaufen.  *  Ich  lege  auf  diesen  Umstand  ein  ganz 
besonderes  Gewicht 

War  man  nun  so  weit  vorgescliritten,  diiss  man  daran  gieng, 
eine  sjatematiseh  geordnete  und  regelmibsige  Zeitrechnung  einzu- 
führen, 80  fanden  die  Gesetzgeber  die  dies  unternahmen  jedenfalls 
drei,  beziehungsweise  vier  natürliche  Zeiteinheiten  vor ;  den  Tag, 
den  Monat,  das  Jahr  und  die  Woche;  und  es  musste  bald  das  Be- 
streben hervortreten,  diese  Einheiten  mit  einander  in  Beziehung 
za  bringen.  Die  Nothwendigkeit  des  Yorherwissens  der  für  die 
Aufnahme  von  Feldarbeiten,  für  die  Eröffnung  von  Feldzügen,  für 
die  Anlage  ütientlicher  Bauten  günstigen  Zeitpunkte  führte  natur- 
geiuäss  darauf,  das  natürliche  Jahr  als  grosse  Einlieit  zu  adoptireu, 
währon<l  der  Tag  sich  selbst  als  kleine  Einheit  darbot,  und  da 
die  Eintheilung  des  Tages  in  Theile  eine  yerhaltnissmasflig  sp&te 
Erfindung  ist,  so  war  es  natürlich,  dass  man  im  Jahre  die  Tage 
zählte,  und  zwar  je  nach  den  Umständen  von  einer  Ernte  zur  an- 
dern, oder  von  einem  l'rüliliiig  zum  Andern,  wobei  man  als  Früh- 
liugsacfang  entweder  das  Eintreten  gewisser  lauer  Frühlingswinde 
(Favonius),  wie  in  Italien,  oder  die  durch  das  Schmelzen  des  win- 
terlichen Schnees  eingetretenen  Überschwemmungen,  wie  in  Aegyp- 
ten, betrachtete.  Wie  genau  sich  aus  der  Beobachtung  solcher  Er- 
scheinungen die  Dauer  des  Jahres  erkennen  Hess,  ergibt  sich  daraus, 

*  Ich  wsvde  von  befireandeter  Seite  anlkaerksam  gemacht,  dam  bei 
den  nordischen  Völkern  ein  Mondjahr  von  13  Monaten  zn  4  siebent&gigen 
Wochen,  nutliiii  «  in  Jahr  aus  52  Wochen  oder  364  Tagen  gebräuchlich 
war.  Nun  :  4  Wochen  oder  28  Tage  sind  kein  Mondmonat,  dagegen  sind 
3G4  Tage  oflFenbar  —  wenigstens  der  Absicht  nach  —  ein  Sonnenjalir.  Es 
ist  also  tli«'.s  nor<liscbe  Jidir  nichts  weniger  als  ein  Mondjahr,  es  bat  mit 
dem  Montihiufc  und  dt  n  Mondphasen  t^wv  nichts  gemein,  es  ist  ein  reines 
Bonnt'njiihr.  willkürlich  in  13  Absrhuittf  von  28  Ta^'cn  getheilt,  und  i-s 
niü»<ste  ,s*dir  sondrrbar  sein,  wenn  dal»ei  nicht  oino  .Schaltung  von  5  Taj^a-n 
in  4  Jahn-n.  oder  was  wahrsch'^inlicher  ist,  eine  ö3-te  Schalt woche  nach 
je  6  Jahren  mit  einbegritlcn  gowebcn  wilre.  Der  Charakter  des  Jahres  deu- 
tet keiuesMIs  auf  sehr  hohes  Alterthuiu. 


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674  DER  ALIROmSCRE  KALENDER. 

dass  d:i.s  365'tägige  Jahr  in  Aegypten  seit  den  uraltesteii  Zeite;i 
bekanni  war. 

Es  schien  nun  aber  zwischen  Tag  und  Jahr  eine  mittlere 
Zeiteinheit  deshalb  npthwendig,  weil  es  in  den  ältesten  Zeiten  noch 
keine  Tabellen  gab,  mit  Httlfe  deren  man  die  einzelnen  Tage  im 
Jahre  genau  bezeichnen  und  bestimmen  konnte ;  und  da  standen 
der  Monat  und  die  Woche  zur  Terfiiguug. 

Aber  hier  trat  {lucli  gleicli  eiue  grosse  Schwierigkeit  ein ; 
wenn  nähnilicli  auch  36'»  Tage  gegen  das  wahre  Jahr  zu  kurz  sind, 
und  in  Folge  dessen  diejenigen,  die  3(35  Tage  aiii  ein  Jahr  recliiifii, 
nach  Ablauf  von  vier  solchen  Jahren,  die  zusammen  1  iOÜ  Tage 
zählen,  ihr  fünftes  Jalir  schon  am  1401-ten  Tage  begonnen,  da 
doch  in  Wirklichkeit  dieses  fünfte  Jahr  erst  am  1402-ten  Tage  be- 
ginnen sollte ;  so  war  doch  der  begangene  Fehler  verl^tnissmäs- 
sig  gering,  und  Überschritt  während  der  Dauer  eines  Mensehen- 
alters  noch  nicht  die  Grenzen  derjenigen  Schwankungen,  denen 
die  Wiederkehr  der  nicht  eben  mathematisch  genau  eintretfenden 
Erscheinungen  der  Jahreszeiten  unterworfen  sind.  Anders  verliiilt 
sich  die  8ache  bei  Festsetzung  der  Beziehung  zwischen  Jahr  uud 
Monat.  Wer  z.  B.  wahrnahm,  dass  zu  einer  gewissen  Zeit  die  Emte- 
'  reife  des  Getreides  z.  B.  um  die  Zeit  des  Neumondes  eintrat,  rausste 
sich  binnen  kurzen,  nach  kaum  5  oder  0  Jahren  schon  völlig  fiber* 
zeugt  haben,  dass  diese  Reife  des  Getreides  mit  dem  Neumonde 
nichts  zu  schaffen  habe ;  trat  hiezu  irgendwie  die  Kentniss,  dass 
das  natflrliche  Jahr  ungefähr  365  Tage  enthalte,  so  mnsste  sieh 
noch  friiher  die  Überzeugung  li<  rausstelleu.  dass  diese  oi»5  Tage 
sich  durchaus  nicht  in  natürliche  Monate  eintheilen  lass»Mi,  denn 
zvvöll"  Monate  sind  bedeutend  zu  wenig,  dreizehn  um  noch  mehr  zu 
vieL  Nichtsdestoweniger  behielt  der  Monat  bei  einigen  Vcdkern  eine 
besondere  Wichtigkeit.  Da  uähmlich  die  von  Monat  zu  Monat  re- 
gelmässig wiederkehrenden  Lichtphasen  des  Mondes  bequeme  Aus- 
gangspunkte boten,  um  die  Tage  innerhalb  des  Monates  leicht  und 
sicher  bestimmt  bezeichnen  zu  können,  und  zum  Verstandniss  die- 
ser Bezeichnung  es  weiter  nichts  bedurfte,  als  die  Kunst  bis  acht 
zu  zählen ;  sah  sich  die  Priesterscliaft  veranlasst,  die  Anset/ung  der 
religi<)sen  PViertagf  nach  dem  MonJe  zu  n'gt  ln,  und  die  mosaische 
(jresetzgebuug  liefert  uns  einen  glänzenden  Beweis,  dt^sä  die  Neu- 


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DER  ALTRÖMISCHE  KALKNbbR.  675 

luoude  und  VoUmoude  auch  dort  zur  Feststellung  der  Feierta^^e 
benützt  wurden,  wo  der  Mond  uiclit  als  Gottheit  betrachtet  wurde. 
Das  mehr  oder  weniger  strenge  Festhalten  an  dieser  uralten  Sitte 
hat  zu  yerschiedenen  Resultaten  geffthrt,  die  sich  in  drei  Klassen 
yertheilen  lassen  :  1.  Wo  man  sieh  frOhseitig  auf  geregelten  Acker- 
bau verlegte,  wandte  sich  die  Aufmerksamkeit  zunächst  den  Br- 
seheiiiimgen  der  Jahreszeiten  zu.  Das  religiöse  Gofühl  bestimmte 
für  den  Sehutz  der  jungen  8aat,  für  Bewahrung  der  reifenden 
Frucht  gogen  Hagelschlag  und  Brand,  für  das  Gedeihen  des  heran- 
wachsenden Kornes,  für  glückliches  Spriessen  des  in  die  Erde  ge- 
borgenen Samens  zu  den  Göttern  zu  beten,  ihnen  Opfer  darzubrin- 
gen ;  eben  so  ftthlte  man  sich  gedi^ngt  für  die  gedeihliche  Zucht 
der  Herde,  für  die  Ergiebigkeit  der  eingeheimsten  Ernte  den  Oöi- 
tern  Dank  zu  sagen  u.  s.  w.  Aher  alle  diese  Dinge  richten  sich  nach 
iler  Jahreszeit,  und  hai)eii  nichts  mit  den  Mondphasen  zu  schaffen. 
Was  ist  nun  natürlicher,  als  dass  solche  Völker  bei  der  Einrichtung 
ilires  Jahres  den  ihren  Interessen  sich  durchaus  nicht  fügenden 
Mond  einfach  ausser  Acht  Hessen,  sich  ein  reines  Sonnenjahr  an- 
ordneten, und  dasselbe  ganz  nach  Willkühr  und  ohne  Rücksicht 
auf  die  natürlichen  Monate  nach  ihrer  Bequemlichkeit  eintheilten. 
So  thaten  die  Aegypter,  so  höchst  wahrscheinlich  auch  die  alten 
Jtaliker. 

2.  Wo  sich  die  Vcilker  nur  mit  Viehzucht  und  Jagd  hescbiif- 
tigten  und  in  Folge  dieser  Beschäftigung  keine  bleibenden  Wohn- 
sitze hatten,  achteten  sie  auf  ihren  Wanderungen  wenig  auf  die 
Jahrszeiten ;  dagegen  spielte  bei  ihnen  der  bei  Nacht  leuchtende 
Mond  eine  so  wichtige  Rolle,  dass  sie  sich  imi  das  Jahr  gar  nicht 
kümmerten,  sondern  die  Mondmonate  in  ununterbrochener  Reihe 
fortzählten.  Es  ist  die  Vermuthung  längst  ausgesprochen,  dass  die 
in  der  biUlisi-hen  Urgeschicht»'  so  häufig  erwähnten  Lebensjahrszah- 
len der  Erzväter  nicht  in  Jahren,  sondern  in  Mondmonaten  au«ge- 
diückt  sind,  welche  jene  nomadischen  Urvölker  ohne  Rücksicht 
auf  Sonne  und  Jahr  in  stetiger  Reihe  fortzählten. 

8.  Wo  man  aus  religiösen  Bedenken  von  den  Mondphasen 
durchaus  nicht  abweichen,  aber  doch  aoch  den  Jahreszeiten  sich 
anbequemen  wollte,  suchte  man  eine  Formel,  nach  welcher  Mond- 
phasen und  Jahreszeiten  so  mit  einander  verknüpft  werden  sollten, 


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678  DU  ALTBOxnCHB  KAUnTOBB. 

4 

d&HS  »ie  sich  von  einander  nie  bedeutend  entfernen,  sondern  inner- 
halb ziemlich  enger  (henzen,  wenigstens  zeitweise  wieder  genau 
zusammen  treti'en  sollen.  Vm  überhaupt  an  das  Jiucheu  einer  sol- 
chen Formel  gehen  zu  können,  war  unbedingt  nothwendig  :  a)  die 
ziemlich  genaue  Kenntniss  der  Dauer  des  Öonnenjahres  und  Mond- 
monates ;  b)  die  JBrkentnifls,  daaa  die  Dauer  dieser  beiden  Zeiteiii- 
heiten  ineommensiirabel,  mitbin  jede  zwiseben  ibnen  angestellte 
Gleiobong  niemals  genan  sondern  nur  annähernd  riebtig  son 
kdiine,nnd  dass  man  sieh  mit  dieser  AnnShenmg begnügen  müsse; 
c)  das  Vorhandensein  der  Grundidee  der  Schaltung.  —  Resultat 
eiuer  solchen  Formel  wird  aber  jedent'alls  ein  sogenanntes  Mond- 
sonnenjahr oder  gebunilenes  Mondjahr  sein,  welches  verschieden- 
artig conätruirt  sein  kann,  aber  nicht  nothwendigerweise  cyclisch 
sein  muss. 

Man  kann  sich  näbmlieb  ein  Yerfsihren  vorstellen,  wo  man 
Ton  einem  ans  roher  Beobachtung  hervorgegangenen  zwolfinonai- 
liehen  Jahre  ausgebend  zu  dem  Beschlnsse  kam,  jedesmal,  wenn 
man  mit  Ablauf  des  zwölften  Monates  zu  weit  von  dem  fC»  das 

Neujahr  gewählten  Jahrpunkt,  zurückgeblieben  war,  durch  Einschie- 
bung  eines  dreizehnten  Schaltmonates  wieder  in  das  richtige  Geleis 
'  zu  kommen.  Die  Nothwendigkeit  der  Schaltung  ransste  dann  immer 
in  dem  betreffenden  Jahre  durch  unmittelbare  Beobachtung  fest- 
gestellt werden.  Die  Existenz  einer  solchen  Zeitrechnung  ist  kein 
Himgespinnst.  Nach  Idelers  sehr  plausibeler  Darstellung  war  die 
Zeitrechnung  der  alten  Juden  so  eingerichtet 

Man  kann  mit  einer  solchen  Zeitrechnung  ganz  gut  aus- 
kommen ;  aber  sie  hat  den  grossen  Mangel,  dass  man  in  ihr  bedeu- 
tende Zeiträume  weder  voraus  noch  rückwärts  berechnen  kann, 
weil  man  eben  nie  im  Vorhinein  wissen  kann,  ob  irgend  ein  zu- 
künftiges Jahr  ein  zwölf  monatliches  Gemein-  oder  ein  dreizehn- 
monatliches Schaltjahr  sein  werde ;  eben  so  wenig  ob  ein  vergan- 
genes Jahr  Gemein-  oder  Schaltjahr  war,  wenn  dies  nich  ansdrfick- 
lich  bezeugt  ist 

Eben  dieser  Mangel  ftthrte  auf  die  sogenannte  cydisehe  Rech- 
nung. Ich  lasse  mich  auf  die  Erklärung  des  Wesens  dieser  Rech- 
nung, das  ich  als  allgemein  bekannt  voraussetze,  nicht  ein,  eben  so 
wenig  erfordert  es  mein  Zweck,  die  wirklich  gebildeten  und  that- 


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PBB  ALTBOMISCHE  KALENDER.  «77 

sächlich  benützten  Sehaltcyclen  anfznzählen.  In  dem  bisher  gesag- 
ten ist  die  Grandlage,  auf  die  ich  baaen  will,  gewonnen  und  ich 
bitte  den  geneigten  Leser  nnr  die  folgenden  Sätse  als  ResuUlit  feet- 
Kuhalten  ; 

/n  einem  reinen  Soimmjtihy  kann  r^nn  eifjenfJirhen  Monaten 
überall  nie  die  Bede  se!7i.  Man  kann  das  Sonnenjahr  zu  gewissen 
Zwocken  allenfalls  in  Abschnitte  von  einer  gewissen  Tageszahl  ein- 
theilen ;  aber  diese  Abschnitte  werden  schon  dämm  keine  wirk- 
licheii  Monate  sein,  weü  sie  mit  dem  Kreislauf  des  Mondes  in  gar 
keiner  Beziehnng  stehen.  Man  kann  sie  zwar  Monate  oder,  wenn 
es  gefSHig  ist,  Sonnenmonate  nennen,  muss  sich  aber  sehr  hüten, 
sie  mit  den  wahren  Moiulmonaten  zu  verwechseln. 

MandtnancUc  bäden  nie  ein  wirkUchcs  Jahr.  Man  rnag  ^le  wie  . 
immer  grappiren,  nie  werden  weder  zwölf  noch  dreizehn  Monate 
ein  wirkliches  Jahr  von  365  Tagen,  5  Stunden,  48  Minuten  nnd 
46*83  Secnnden  ausmachen.  Man  kann  einen  solchen  zwölf  oder 
cireizehn  monatlichen  Zeitraum  wohl  ein  Jahr  nennen  nnd  man 
nennt  ihn  auch  Mondjahr,  allein  dies  ist  blos  Redeweise ;  ein  sol- 
cher Zeitraum  ist  kein  wirkliches  Jahr,  und  dari'  mit  dem  wirkli- 
chen Jahre  nie  verwechselt  werden. 

Es  ist  also  auch  das  gebundene  Mondjahr  oder  wie  man  es 
ancb  nennt  das  Mondsonnenjahr  kein  wirkliches  Juhr;  und  wenn 
man  auch  einen  geregelten  Kalender  mit  einem  solchen  Mondson- 
nenjahr einrichten  kann,  so  ist  es  doch  gewiss,  dass  uir  uns  von 
der  Einrichtung  dieses  Kalenders  keinen  richtigen  Hegriff  machen 
können,  solange  wir  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt  haben,  welcher 
Art  das  Jahr  gewesen  sei  das  ihm  zur  Grundlage  diente,  nnd  in 
was  für  Monate  man  sich  ^ies  Jahr  eingetheilt  dachte.  Eben  hierin 
liegt  nach  meiner  Meinung  die  Ursache  des  Dunkels  und  der  Ver- 
wirrung, die  über  dem  altrömischen  Kalender  herrscht. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  unserem  römischen  Kalender. 

—  conditor  urbis  in  anno 

Conitituit  menses  bii  qninqne  esse  sno. 

Worttretren  sairt  der  Dichter  :  -Der  OrCinder  der  Stadt  setzte 
fest,  das  in  seinem  Jahre  zweimal  fünf  Monate  sein  sollen." 

Ich  lege  Gewicht  darauf,  dass  er  weder  von  der  Eintheilnng  des 


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078  m  AVTBOMiaCHB  KAUtHDOI. 

Jahres  in  zehn  Monate  spricht,  noch  s-agt,  das  Jahr  sei  au«  aefcn 
Monaten  gebiklet  worden.  Im  ersten  Falle  müssten  wir  folgt-rich- 
tig  voraussetzen,  dass  die  zehn  Monate  von  t^leioher  Dauer  waren: 
im  letztem,  dass  das  Jahr  höchsteus  300  Tage  zählte,  ikeiues  tou 
Beiden  ist  richtig. 

AI  er  snehen  wir  mit  einiger  Wahischeinlichkeii  zu  ermitieb, 
was  er  denn  unter  dem  Worte  „Mensis'  Terstand. 

Dass  er  daranter  nicht  die  zu  seiner  Zeit  gebifiaehliehen 
cäsarisehen  Monate  rerstand  ist  sicher;  aber  konnte  er  denn  die  so- 
genannten repnblicanischen  oder,  wenn  es  gefallig  ist,  numanischen 
Monate  verstehen?  Sehen  wir  uns  diese  Monate  ein  wenig  näher 
an  :  die  Uberlieferung  erzählt  un.s,  da^s  in  den  ältesten  Zeiten  der 
Pontifex  den  Himmel  beobachtete,  und  wenn  er  Abends  die  schmale 
Sichel  des  neuen  Mondes  am  westlichen  Himmel  erblickte,  liees  er 
Senat  nnd  Volk  auf  den  folgenden  Tag  vor  die  cnria  calabra  auf 
dem  Gapitol  berufen,  und  hier  TerkQndete  er,  wie  Tiel  Tage  yom 
Verkflndigungstage  (Galendae)  bis  zum  Tag  des  ersten  Viertels 
sein  werden.  0^  Tag  des  orsten  Viertels  hiessKonae,  weil  von  ihm 
bis  zum  Volhuond  acht  Tage  waren,  er  also  nach  römischer  Zäh- 
lung8wei.se  auf  den  Neuntag  vor  dem  A^ollmond  (Idus ;  —  die  nona 
ante  Idus,  oder  nach  später  üblicher  Ausdruckaweise  :  ante  diera 
nonam  Idus)  fiel.  Am  Nonentag  versammelte  sich  das  Volk  neuer- 
dings vor  der  Arx,  und  hier  verkündete  dann  der  König,  welche 
Feiertage  in  den  laufenden  Monat  fallen  werden,  und  beaeacbnete 
auch  die  betreffenden  Tage.  Eigentlich  ist  dies  so  nifgends  erzählt^ 
man  hat  es  nur  aus  den  yon  Terschiedenen  Orten  zusunmengele- 
senen  Notizen  heransgefolgert.  —  AUdn  es  ergibi  sich  hier  gleich 
eine  Schwierigkeit.  Der  Pontifex  musste  seine  Heobachtung  seliou 
damals  beginnen,  als  der  Mond  fünf  oder  seehs  Tage  nach  ck'm 
letzten  Viertel  völlig  verschwand;  wenn  er  ihn  nun  vier-fünf  Tage 
darauf  wieder  erblickte,  woher  wusste  er,  auf  den  wievielten  Tag 
er  die  Neuen  zu  verkünden  habe  ?  Denn  vorausgesetzt,  dass  die 
Verkflndigung  nach  wirklicher  Beobachtung  geschah,  so  konnte 
dieses  doch  nur  darin  seinen  Grund  haben,  dass  man  entweder  im 
Vorhinein  nicht  wusste,  wann  der  Neumond  erscheinen  wfirde, 
oder  wenn  es  hiefBr  eine  Art  tou  Berechnung  gab,  man  der  Rech- 
nung nicht  traute.  Nun  ist  aber  der  Füll  des  Nichtwisseus  dadurch 


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DIB  AunCmncBE  kumbdkb,  m 

ABBg^fsehlosaen-,  dass  das  Jstenrall  Ton  acht  Tagen  swischen  Nonae 
und  Idns  festgesetzt  war,  sicherlich  doch  auf  Grundlage  der  Er- 
fahmng,  dass  von  tiner  Lichtphasf  des  Mondes  bis  zur  nächsten 
ungefähr  acht  Tiii^e  vers^ trieben  ;  war  doch  aus  diesen  acht  Tagen 
das  Nundinum  gehihlet  worden ;  —  man  konnte  sich  demnach  nur 
darum  auf  die  directe  Beobachtung  stützen,  weil  man  der  Rech- 
nung nicht  traute  (wie  noch  heute  die  Türken);  Ea  war  dies  aber 
auch  natürlich.  Denn  wir  mUssen  doch  yoraossetsen,  dass  man  all 
die  kleinen  Unregelmässigkeiten  nnd  Abweiehnngen,  denen  die 
Bewegung  des  Mondf s  unterworfisn  ist,  gewiss  nicht  genau  kannte 
und  in  Rechnung  zog ;  rechnete  man  aber  von  einer  Phase  zur 
andern  acht  Tage,  so  ergal)  dies  32  Tage  auf  den  Monat,  und  das 
war  doch  ofFcnl)ar  zu  viel.  Nun  sind  im  synodischen  Monate  erstes 
V  iertel,  Vollmond  und  letztes  Viertel  Lichtersclieinungen,  die  sich 
am  Himmel  leicht  und  sicher  beobachten  lassen;  nicht  so  der 
wahre  Nenmondi  die  Conjunction,  die  sich  nur  ausnahmsweise,  bei 
Gelegenheit  sichtbarer  Sonnenfinsternisse  direet  beobachten  liess ; 
bekanntlich  sind  aber  solche  Finsternisse  seltene  Erscheinnngen. 
Von  dem  Tage,  an  dem  der  Mond  als  dfinne  Sichel  am  Morgen- 
himmel zuletzt  sichtbar  war,  bis  zu  demjenigen,  wo  er  in  fthnlieher 
Gestalt  am  Abendhimniel  wieder  erschien,  vergehen  l>ald  mehr,  bald 
weniger  Tage,  an  denen  der  Mond  überhaupt  nicht  sichtbar  ist, 
sein  Stand  also  durch  directe  Beobachtung  nicht  bestimmt  werden 
kann ;  da  wird  man  sich  denn  so  beholfen  haben  :  Man  hatte  durch 
Beobachtung  herausgebracht,  dass  der  Vollmond  fast  genau  in  die 
Mitte  zwischen  das  erste  nnd  letzte  Viertel  falle,  und  folgerte  nnn 
daraus,  dass  wohl  die  Conjunction  eben  so  in  die  Mitte  zwischen 
das  letzte  Viertel  nnd  das  darauf  zun&chst  folgende  erste  Viertel 
fallen  werde.  Das  hatte  nun  aber  wieder  seinen  Hacken.  Die  directe 
Beobaclitung  ergab  zwar  zwischen  erstem  Viertel  nnd  Vollmond 
nicht  volle  8  Tage,  aber  doch  mehr  als  7 ;  eben  so  stidlte  sich  der 
Zeitraum  vom  Vollmond  zum  letzten  Viertel,  und  eben  dies  hatte 
darauf  geführt  diese  beiden  Zeiträume  8-tägig  zu  zählen ;  allein, 
dann  blieben  für  den  Zeitraum  vom  letzten  Viertel  bis  zum  nächs- 
ten ersten  Viertel  nur  13,  höchstens  14  Tage.  Da  man  aber  den 
•Monat  nicht  mit  der  eigentlichen  Conjunction,  sondern  mit  dem 
ersten  Erscheinen  des  erneuten  Mondes  beginnen  wollte,  dies  Wie- 


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680 


DSE  ALTRoinsCHE  KALENDEK. 


dprorsclieineii  aljer  erst  1 — 2  Tage  nach  der  wahreu  Coiijnnctinn 
eintritt,  so  kam  mau  daraaf,  Tom  letzten  Viertel  bis  zum  Wieder- 
erscheinen  des  Neumondes  wieder  8  Tage,  das  heisst  also  ronVoll» 
mond  bis  Ende  des  Monates  16  volle  Tage  zu  zahlen,  worans  na- 
tflrlich  folgte,  dass  Tom  ersten  Erscheinen  des  Neumondes  bis  smn 
ersten  Viertel  nnr  5  Tage  blieben.  So  mag  die  Monatsformel  ont- 
stuuleji  sein  :  Kalenflne  —  Xonac  5  Tage ;  Nonae  —  Idas,  8  Tjige, 
Idu8  —  nächste  Kalendae  10  Tage. 

Ist  es  nicht  höchst  bemerkenswerth,  dass  wir  in  dem  8og^> 
nannten  Kalender  des  Nnma  eben  diese  Eintheilnng  bei  der  Mehr- 
zahl der  Monate  in  der  That  wirklich  antreiften  ? 

Oiron))ar  war  ein  solcher  29-tägiger  Monat  nngenau.  und 
ergab  schon  nach  Vorhiuf  von  vier  Monaten  eine  DitTerenz  von  2 
Tagen  gegen  die  wahren  Himmelserscheinnngen.  Wie  hatte  man 
sich  auf  eine  solche  Rechnnng  yerlassen  können  ? 

Man  tränte  ihr  auch  in  der  That  nicht,  sondern  beobachtete ; 

Zweck  der  noobachtnng  war,  den  wirkliclien  Neumond  nicht  zu 
verfehlen,  denn  es  war  eriistlieli  daraut"  al)gesehen,  dass  das  erst^ 
Viertel  auf  die  Nonae,  der  \'olliuond  wirklicli  auf  die  Tdiis  lulle; 
um  das  letzte  Viertel  küinmcrtt»  man  sich  weniger  :  war  doch  der 
Mond  nach  demselben  im  Abnehmen,  nnd  ging  erst  nach  Mitter- 
nacht auf. 

Richtete  man  sich  aber  nach  der  Beobachtung,  so  war  die 
Dauer  des  Monat »»s  unbestimmt.  Man  zählte  zwar  unahänd»Tlieh 
von  Kalendae  bis  Idus  inmier  13  Tage ;  aber  von  Idus  bis  zu  d«^n 
nächsten  Kaienden  waren  nicht  immer  16,  sondern  mitunter  auch 
17  Tage;  dies  machte  aber  darum  keine  Schwierigkeit,  weil  der 
Neumond  ja  doch  nur  nach  seinem  wirklichen  Sichtbarwerden 
angekündigt  wurde. 

Meiner  Ansicht  nacli  nniss  dies  tlie  nr^}>rihigliche  Einrichtung 
desjenigen  Moudmonates  gewesen  sein,  den  die  ICömer  für  ihren 
Kalender  adoptirten. 

Sehen  wir  jetzt  nach,  ob  denn  die  zehn  Monate  des  romnli* 
sehen  Jahres  solche  Mondmonate  gewesen  sein  können  ? 

Da  müssen  wir  uns  aber  zuvor  Antwort  auf  die  Frage  sueben: 
War  denn  das  romulische  Jahr  ein  wirkUches  Jahr  oder  nicht? 


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I»1!R  AiiTR(>MIs(  liK  KALEHPKK. 


Nuu,  alles  was  «larülier  vorliegt,  deutet  auf  ein  wii'kliches 
Sonnenjahrf  das  von  Frühling  zo  Frühling  lief.  Der  Beweis  ist  un- 
nöthig ;  niemand  zweifelt  daran.  Aber  ein  Sonnenjahr  kann  doeh 
iinmdglich  ans  10  Mondmonaten  g^büdet  sein;  um  so  weniger 
Wenn  diese  Monate  nach  wirklicher  Beobaehtnng  geraessen  wurden ; 
niemand  konnte  auch  nur  einen  Moment  daran  denken,  dass  mit 
zehn  solchen  Monaten  der  volle  .Tahre.skreis  (anmis)  ahgelaufen 
sei.  Nach  der  ohen  l)ereits  charakterisirten  Hypothese  Huscbkes 
und  Hartman ns  hätte  das  Jahr  mit  dem  Martins  begonnen  nnd 
wäre  dnreh  zehn  Monate  bis  Ende  December  gelaufen;  hier  habe 
man  zn  zahlen  aufgehört,  nnd  abgewartet,  bis  der  FaTonins  die 
Wiederkehr  des  Frühlings  yerkttndete. 

Da  ist  nun  aber  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  wenn  die  frag- 
lichen Monate  in  der  That  Mondmonate  (Monde)  waren,  so  niusste 
die  Zeit  von  Ende  Decemhers  bis  Anfang  März  je  nach  den  Um- 
ständen, bald  zwei,  bald  drei  Monde  ausfüllen,  die  ungezählt  yer- 
etlichen,  und  ancb  so  können  die  Monate  nicht  gut  mit  den  Jahres- 
seiten gestimmt  haben.  Es  konnte  doch  aber  das  Verstreiehenlas- 
sen  der  nngeziUilten  Zeit  keinen  anderen  Zweck  haben,  als  den 
Parallelismus  mit  den  Jahreszeiten  festzuhalten.  Wer  nun  sich  die 
Mühe  nimmt  etwa  an  der  Hand  unseres  Kalenders  nachzurechnen, 
wird  finden,  dass  nian  mit  Zeitriiuineu  von  10  Monden,  also  etwa 
296 — 297  Tagen,  zwischen  denen  man  ungezählte  Monde  verstrei- 
chen lasst,  vom  1.  März  eines  beliebigen  Jahres  ausgehend,  nach 
zwSlf  Monden  (worunter  nnr  zehn  gezählt  werden)  höchstens  bis 
zum  21  Februar  gelang^,  nnd  es  ist  namentlich  in  Italien  gar  nieht 
unmöglich,  nun  schon  den  Frtthlint?  wiedergekehrt  zu  glauben,  und 
am  22.  Fel)rnar  den  neuen  1.  Miirz  (mit  dem  Neumonde)  eingetre- 
ten zu  wähnen.  Von  hier  ausgehend  gelangt  man  mit  12  Monden 
bis  zum  12.  Februar ;  und  nun  müsste  der  neue  1.  März  etwa  ent- 
weder schon  am  13.  Februar  beginnen,  oder  man  müsste  noch 
einen  Mond  ungezählt  verstreichen  lassen,  und  das  neue  Jahr  erst 
mit  dem  15.  März  beginnen  lassen,  und  welches  von  beiden  zu  ge- 
schehen habe,  wird  offenbar  daTon  abhängen,  ob  das  FrQhjahrs- 
wetter  in  dem  betreffenden  Jahre  sich  etwas  früher  oder  etwas  später 
einstellt.  Offenbar  ist  dies  —  wenn  wir  auch  nur  «o  weit  gehen, 
—  keineswegs  ein  roh  antrenähertes  Schaltsystem,  sondern  eine 

Dn0irtaoh«  Itevue;  ItWa.  VUI-IX.  Ucft.  44 


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ganz  ins  Wilile  laufen^le  WillkOhr;  eine  .Taliresrechunug,  die  abw- 

lut  nicht  weiss,  wie  laiu^e  ein  .lulir  «buierfc ;  einr  Zeitfiestiinniuiig, 
die  «'I»en  ho  selir.  ja  viel  nielir  von  den  ZnIVlilijLjkeiten  des  Witto- 
rUHj^sweclisels  als  vom  Soniiciilaiit  liedinjjjt  wird  ;  kurz  ein  lv;il*'n- 
der,  worin  ein  zelmmouatlieiier  Zeitraum  schwankend  lierumuiu- 
melt  ohne  Zusamraenlian«^  mit  seinem  Vorgänger  nnd  Naclifolger, 
bald  um  einen  Monat  früher,  bald  um  einen 'Monat  sj^ier  anhe- 
bend. Einen  solchen  Kalender  einzurichten  ist  absurd ;  vielleicht 
noch  unsinniger  aber  ist  es,  einem  nttchternen  Volke  die  Annahme 
einet  solchen  Kalenders  znzumuthen. 

Sollte  denn  rImt  nicht,  wie  Ilartnianii  annimmt,  diese  Ein- 
richtung dennoch  ein  ndier  Annähernngsversueh  gewesen  ^^eiu 
können  ? 

Nein !  Auch  dies  ist  völlig  absurd.  Wer  es  nuternimrat  ein 
Jahr  anzuordnen,  muss  doch  mindestens  beiläufig  einen  Begriff 
Ton  der  Dauer  des  Jahres  haben ;  und  will  er  es  aus  Monaten  con- 
stmiien,  so  muss  er  doch  wissen,  welcher  Art  diese  Monate  seien. 
Nun  kann  es  allerdings  geschehen,  dass  jemand  der  sich  nur  auf 
die  rohe  Annäherung  weniger  Beobaclitnngeu  stützt,  bei  dem 
ersten  Constrnctionsversnch  stark  fehlen  wird ;  alxT  der  mr»irliehe 
Fehler  ist  quantitativ  in  <  Jren/Hn  gel)annt.  Wer  einmal  oin  Tabr 
von  Frühling  zu  Frühling  beobachtet  hat,  kann  etwa  im  cräten 
Moment  auf  eine  Jaliresdauer  von  345 — 3Sö  Tagen  kommen,  je 
nachdem  Zufalle  der  Witterung  mit  auf  die  Grösse  des  Fehlers  ein- 
wirken ;  wer  die  Beobachtung  nur  dreimal  wiederholt,  muss  unbe- 
dingt schon  einsehen,  dass  das  Jahr  nicht  weniger  als  350  Tage 
haben  könne.  Eine  primitive  Beobachtung  der  Mondphasen  kann 
zunächst  zur  irrthümlichen  Annahme  führen,  dass  jede  Phase  8 
TajTre  dauert:  aber  eine  nur  -1 — 5  Monate  hindurch  tortgesetzte 
Beoltaclitung  lässt  keijien  Zweifel  mehr  darüher.  dass  ein  Moiul- 
monat  niemals  länger  «lauern  kann,  als  30  Tage.  Wer  noch  nicht 
so  weit  gekommen  ist,  kann  unmöglich  daran  denken,  ein  Jahr  ans 
Monaten  construiren  zu  wollen.  Hat  aber  der  erste  Anordner  des 
römischen  Jahres  so  viel  gewusst  —  und  er  musste  so  viel  gewusst 
haben  ^  so  konnte  er  niemals  auf  die  Idee  verfiiUen,  dass  zehn 
Monate  —  auch  nur  approximativ  —  ein  Jahr  au.sraaehen. 

Dagegen  wird  Jiun  geltentl  gennit  ht,  b'omulus  liiitte  gar  wohl 


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DF.K  AI.THOMIsniK  KALKNH^K.  ' 

gewusüt,  da8.s  zeliu  Moiuit<j  da«  Jalir  iiiclit  erfül!<*ii.  Er  wollte  eben 
nar  die  sacralen,  Iji'irgerliclieii  und  wirthscUaiUichen  Geschäfte  auf 
zehn  Monate  yertlieilen,  der  Best  des  Jahres  sollie  ein  chaiacier- 
loses  Anhängsel  sein,  ein  Zeitraum,  in  den  kein  Festtag,  keine 
Versatnmlnng,  keine  Gerichtssitzung,  kein'  Opfer,  kein  Gebetstag, 
ja  nicht  einmal  ein  wirthschaftliches  Geschäft  fallen  sollte.  Nun 
das  heisst  doch  /u  deutsch  gradozn,  Honiulus  wollt«,  der  römische 
Staat  und  das  römische  Volk  sollen  einen  interschlaf  sclUafeu, 
bis  der  i^'avoniua  sie  wieder  erweckt.  Das  ist  denn  doch  ein  wenig 
zu  bunt ;  eine  Idee,  würdig,  in  demselben  Gehirn  ausgeheckt  zu 
werden,  das  den  Bovigus  ausbrAtete. 

Aber,  wird  man  fragen,  wie  Ussen  sich  die  in  der  Tradition 
so  consequent  festgehaltenen  zehn  Monate  erklären  ? 

Jeder  Gelehrte,  der  auf  diesem  <iebiete  geforselit,  ist  hei  Ceu- 
sorinus  (22,  6)  auf  die  Stelle  geslossen  :  »apud  Alban<js  iMartius 
est  sex  et  triginta,  Majua  viginti  duum,  Sextiiis  duodevi^iuti,  Sep- 
tember sedecim  :  Tnsciilanorum  Quintiiis  dies  habet  XXXVI,  Octo- 
ber  XXXII,  idem  October  apud  Aricinos  XXXVI III*,  und  bei 
Lydus,  de  mensibus  (1, 16)  auf  diese  :  ^tni  di  *Jia/i6lov  ^/^cmc, 
-t'/Jyousv  l'u:tQoa&€V,  dexauiji'iaioyf  v&v  ftiv  imfo  rotdxovra 
t)ttt^feg  ffoXAe^  Toir  tli  l)ATTOifag  /.a/dvrtov  «i/rwf.*  Ja  Hartmann 
verfällt  in  einem  lichten  Augeuldicke  auf  den  Aussprach  :  „Wenn 
ein  Volk  von  der  ursj>rünglichen  Bedeutung  seiner  Monate  als 
Mondomläufc  alisieht,  und  die  Monate  nur  noch  als  Theile  des 
Sonnenjahres  betrachtet,  so  kann  es  denselben,  je  nach  seiner  Cou- 
▼enienz,  eine  beliebige  Länge  oder  Kürze  geben,  und  die  Latiner 
hatten,  in  späterer  Zeit,  von  dieser  Möglichkeit  wirklich  Gebrauch 
genmcht;*  aber  eben  die^e  Äusserung  zeigt,  dass  die  vorgefasste 
^leinung,  ,mensis*  könne  überall  und  ausschliesslich  nur  «He  Be- 
dt-utujig  Monduionat  haben,  ihn  so  beherrscht,  dass  er  die  fertig 
gebotene  Lösung  bei  iSeite  wirft,  damit  sein  Vorurtheil  iiecht 
behalte. 

Etymologisch  —  darin  stimmen  die  Sprachforscher  überein, 
—  ist  der  Stamm  von  fnenm,  eben  so  wie  der  von  /i^y,  jenes  MEN, 
diis  auch  der  Grundstamm  des  Tcrbums  mdior  =  messen  ist  Dem- 
nach würde  memis  etwas  gemessenes,  oder  messendes  bedeuten, 
und  der  Monat  hätte  den  Namen  davon,  duss  er  ein  Zeitniass  ist, 

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684  OER  AI.TEÖMISCTIF.  KAI.F.NUKR. 

was  oßVilltiir  mit  dem  Monde  gar  uichtH  /n  scliaü'eu  bat.  Sehou 
(lies  hätte  irartinann  anfniorlcsnin  inaclieii  können,  dass  er  die  nt- 
türliche  Eeihenfolge  auf  den  Kopf  gestellt ;  und  dies  ist  sein  Itr- 
thnm.  Die  Latiner  haben  nicht  »in  spTiteier  Zeit*  ihr  Jahr  in  Mo- 
nate von  verschiedener  Daner  getheilt,  weil  Sie  Ton  derra  nrsprGni^* 
lieber  Bedeutung  „als  Mondnmlanfe"  absahen;  sondern  He  haben 
ohne  Rücksicht  auf  den  I\Toiid,  als  ucker) >autreibeinles  Volk  ein 
rpines  Soimonjahr  /nr  <  !i  nn(llu<jr(»  ihros  Kaleiidprs  ;^enia<*ht,  und 
haben  dasselbe  iiuch  Krrorderniss  ihrer  luudwirthscluittliflion  (ie- 
schäfte  und  mit  Rücksicht  aut"  die  Erscheinungen  des  PHauzen- 
lebens  in  Jahreszeiten  von  Terschiedener  Dauer  getheilt,  die  sie 
berechtigt  waren  mit  dem  Wort  ntensis  zu  bezeichnen;  sie  waren 
ja  doch  abgemessene  Jahresabscbnitte  von  bestimmter  Dauer.  Die- 
ser Ausdruck  mensis  nun  hat  das  Unheil  gestiftet,  dadurch,  dass 
ihn  die  »pjiteren  Schriftsteller  mit  dem  gleichfalls  metm^  genana- 
ten  Mniidnionatf  verwechselten. 

\\'(>  liiittc  ih'iui  iiouinliis  seinen  Kalt  nclcr  lieriieiuiien  sollen, 
wenn  nicht  von  den  Latinern  ?  Itomalus  legte  also,  Avie  Öie,  seinem 
Kalender  ebenfalls  ihi^  reine  »Sonnenjahr  zum  Gnmde,  und  theilte 
dasselbe  in  zehn  Abschnitte  von  verschiedener  aber  festgesetzter 
Dauer  (menses),  die  zusammen  gewiss  den  ganzen  Jahreskreis  aus- 
f  UUteni  so  weit  damals  dessen  wahre  Dauer  bekannt  sein  konnte, 
das  heisst :  etwa  360  Tas^e.  Es  ist  dies  meines  Erachtens  die  em- 
zige  haltbare  Aurtassun^r  des  zehnnion:itliehen  Jahres,  dessen  An- 
denken die  Tradition  1  wahrt ;  des.sen  (  onstniction  hingegen  völ- 
lig missverstanden  wurde. 

Nur  kurz,  berühre  ich  den  hier  bedeutend  ins  Gewicht  fallen- 
den Umstand,  dass  die  zehn  Monate  in  drei  Gruppen  zerfallen.  Die 
ersten  vier  sind  nach  Naturerscheinungen  und  Phasen  des  Pflan- 
zenlebens benannti  die  letzten  sechs  sind  mit  Zahlen  bezeichtnet, 
aber  von  diesen  haben  die  zwei  ersten  eine  andere  Endung  als  die 
vier  lezten,  die  wohl  die  Zeit  der  Winterruhe,  der  herbstlichen 
Bestellung  n.  s.  f.  in  sich  fassten.  Auf  den  letzten  Tag  desDecembor 
i'olgie  gewiss  der  1.  Martins,  und  wenn  auch  die  nicht  ganz  genau 
bestimmte  Jahresdauer  die  Zulegung  einiger  Ergänzungstage  er- 
forderte, so  konnten  ihrer  nicht  viele  sein,  und  dieselben  konnt4?n 
entweder  in  den  December  eingefügt,  oder  als  alleinstehende  Fest- 


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tage  (wie  diu  aegyptisclien  Epagonieuefi)  zwisclien  Deeember  und 
März  eingeschaltet  werdeii.  Es 

diese  Ergüuzungstage  bei  Idcinias  Macer  und  Feneslella  die  Notiiz . 
Texuilaavt  haben,  dass  sehon  za  Romnlus  Zeit  geschaltet  worden  * 
sei.  Alle  Widersprüche  nnd  Einwürfe  sind  mit  dieser  einfachen 
und  nattirlichen  Lösung  beseitigt. 

Wie  lange  dauerte  nun  aber  jeder  dieser  .Juhre.sabschintte  ? 
AVir  wissen  es  nicht.  Ich  vermuthe  jedoch,  dass  in  graner  vorrömi- 
scIkt  Urzeit  diese  Dauer  nielit  bestimmt  war.  Ich  stelle  mir  nehm- 
lich  die  iSache  so  vor.  Wo  lueiu'e  Iiandwirthe  in  einer  Gemeinde^ 
zusammen  Feldbau  betrieben,  war  es  nothwendig  gewisse  Arbeiten 
auf  dem  Gesammtgebiete  der  Gemeinde  zu  gleicher  Zeit  Torznneh- 
men.  Noch  heote  thun  unsere  Bauern  so,  dass  sie  für  den  Beginn 
gewisser  Arlieiten  Aber  einen  gemeinsamen  Termin  sich  einigen ; 
wir  sahen  z.  B.,  dass  dt-r  Beginn  der  Weinlese  an  manchen  Orten 
5>ogar  behördlich  angesetzt  wird.  So  luai^  es  uucli  bei  den  alten  La- 
tinern gewesen  sein.  Die  ertalirenen  alten  Bauern  Ijeoliachteten  die 
Witterung  —  jeder  alte  Landmauu  ist  mehr  oder  weniger  auch 
Wetterprophet  — ,  sie  gingen  hinaus  aul'  die  Felder,  in  die  Wein- 
berge, Oelpflanzungen,  Obstgärten  u.  s.  f.  und  hielten  Umschau,  ob 
das  Getreide  der  Erntereife  nahe,  ob  die  Weinbeeren  anfangen 
weich  zu  werden,  ob  die  Heumaht  Torgenommen  werden  könne  und 
dergl. ;  darauf  hielten  sie  eine  Berathung  und  fassten  Beschluss 
darüber,  wann  diese  oder  jene  Arbeit  in  Angriff  genommen  werde;i 
könne,  ünd  dieser  Beschluss  wurde  dann,  höchst  wahrscheinlich 
mit  Dazwischenkuiift  der  Behörde  und  Priesterschaft,  öÜ'entlich 
ausgerulen.  Wahrscheinlich  hat  dies  Ausrufen  den  Anfangstermi- 
nen der  einzelnen  Arbeitsperioden  den  Namen  Kcdendae  yerschafft, 
der  wohl  eher  den  auszurufenden  Tag,  als  den  Tag  an  dem  ausge- 
rufen wird  bezeichnet  haben  wird.  Zugleich  wird  wohl  auch  die 
Zahlungsweise  der  Tage  in  dieser  Sitte  ihren  Ursprung  haben; 
denn  wenn  z.  B.  yerkflndet  worden  war :  von  heute  Ober  15  Tage 
beginnt  die  Quintilis-zeit,  so  war  es  sehr  natürlicli,  dass  mau  an 
den  folgenden  Tagen  so  /Ublte  :  P]s  sind  noch  14,  13,  12, 11  u.b.  w. 
Tage  bis  zu  den  Kaienden  des  <,>uintilis. 

Der  Ursprüngliche  Kalender  des  Komulus  war  also  kein  ge- 
ordneter Kalender  im  heutigen  Sinne.  Seine  Grandluge  war  ein 


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686 


DEK  ALTKÖMISCHE  KALKNütE,  ^ 


reiues  boiiueujahr  (von  etwa  300  Tagen),  da«  in  zehn  Arl>eit-'-Sai- 
sonen  eingetbeüt  war,  deren  Namen  die  bekannten  zehn  (soge- 
nannten) Monatsnamen  waren.  Im  Frühling,  wenn  der  FaYonins  zn 
wehen  begann,  wurde  verkündig^  an  welehem  Ti^  die  Ealendae 
Martiae  eintreten;  im  Laufe  des  Martins  worden  die  Ealendae 
Apriles  ansgernfen  und  so  fort  Ton  Saison  zu  Saison,  bis  im  Decem- 
V)er  wieder  die  Kaleiidae  Martiae  des  neuen  Jahres  Kund  gemacht 
wurden.  Die  Witterung  wird  wohl  von  bedeutendem  Einflnsse  auf 
diese  Kundmachungen  gewesen  sein ;  aber  mit  Ende  Decemher  war 
der  Jahreskreis  (aiinns)  sicher  vollendet.  So  etwas  mag  Plutarch  in 
seinen  Quellen  aufgezeichnet  gefunden  haben,  als  er  (Nnma,  18) 
schrieb  :  ^^Bafi^Xov  yuo  .ieunXBvoprog  dX^tag  I/qiüvto  rolv  fitjcl 
xai  dTdxT(fjg  x,  r,  X.*  (Vergl.  Quaest.  Rom.  19).  Plutarch  gerath 
zwar  in  einen  kleineu  Widerspruch  mit  sich  selbst,  denn  wenn 
darauf  geachtet  wurde,  dass  das  Jahr  3tlo  Tage  haben  soll,  ho  kann 
man  nicht  sagen,  es  wäre  keine  liücksicht  auf  den  Bonueulauf  ge- 
nommen ;  aber  darin  hat  er  vollkommen  recht,  dass  im  Kalender 
des  Romulus  der  Mond  keine  Bolle  spielte;  was  er  äldytag  und 
»Toxrtaq  nennt,  ist  eben  die  Schwankung,  die  in  den  der  directen 
Beobachtung  fcdgenden  Kundmachungen  herrschte. 

Die  Latiner  haben  an  diesem  Kalender  bis  in  verhiiltnissmäsi- 
sig  späte  Zeit  festgehalten,  allenfalls  mit  dem  I'nt^'rschiedf.  da>s 
sie  späterhin  die  Tageszahlen  der  einzelneu  Jahresabschnitte  fbtirt 
haben,  und  dann  die  Kundmachungen  eingestellt,  oder  höchstens 
als  Formalitat  beibehalten  haben  werden.  Der  Mond  hatte  mit  die- 
sem Kalender  nichts  gemein ;  es  wäre  denn,  dass  man  die  Nundi- 
nen  gerahlt  habe,  die  aber  mit  dem  Jahre  eben  so  wenig  zu  thon 
hatten,  wie  unsere  heutigen  Wochen. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  im  Jahre  des  Romuhis 
auch  die  (iötter  ihre  Festtage  hatten;  al>er  diese  Feste  haben 
höchst  wahrscheinlich  stets  den  Character  der  Feriae  conceptivae 
behalten,  und  sind  in  der  Regel  nur  kurze  Zeit  vorher  angekündigt 
worden.  Ob  bei  Ansetzung  dieser  Feriae  auf  die  Mondphasen, 
Rücksicht  genommen  ward,  kann  ich  nicht  bestimmt  behaupten ; 
wahrscheinlich  ist  es  nicht. 

Mit  einem  Worte :  das  Jahr  des  Romulus  war  in  keiner  Be- 
ziehung ein  Mondjahr,  weder  ein  freies,  noch  eüi  gebundenes;  alles 


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IiKK  .\i;ri;O.Ml  (.UK  h.VLKMfEK.  Ö87 

Mi8äver»täii«liiii^»,  aller  irrtiium  .stummt  iluher.  daiss  mun  es  luH 
aller  Gewalt  für  ein  solche»  erklären,  und  als  solches  beurtheilen 
wollte.  _ 

80  wie  der  Name  Romulus  in  der  römischen  Urgeschichte 
Repraesentant  des  latinischen  Elementes  ist;  so  knüpft  sich  alles, 

was  in  deu  nhiiisdieu  lu.stitutioiien  sabinischen  Ursprunges  ist,  au 
eleu  Namen  Nuiiia. 

Diese  »Sabiuer  waren  eiu  Gebirgsvolk.  Wie  in  den  Ebenen 
Latiums  der  Ackerbau,  so  mnsste  im  Gebirge  Viehzucht  und  Jagd 
Hauptbeschäftigung  der  dort  angesiedelten  Völker  sein,  so  dass  . 
wir  voraussetzen  dürfen,  auch  die  Sabiner  seien  zumeist.  Hirten 
und  Jäger  ^;ewesen,  und  haben  die  Zeit  nach  Mondmonaten  ge- 
zahlt. Wenn  liiebei  auch  iiui'  den  Wechsel  der  Jalireazeiten  liedaelit 
genomnieii  \vnid»'ii  ist,  so  waren  diese  hier  von  bedentend  «i;erin- 
gerei*  W  ichtigkeit,  als  bei  den  Ackerbauern,  und  nichts  zwingt  zur 
Annahme,  dass  sie  ihre  Zeitrechnung  einem  Sonnenjahre  ange-  / 
passt  haben. 

Dagegen  kennt  die  Tradition  die  Sabiner  als  sehr  fromm, 
und  dies  kommt  auch  in  der  Überlieferung  zum  Ausdruck,  dass 

Numa  die  I?eligion  und  den  (lottesdienHi  geordnet  nnd  geregelt 
habe.  Daraus  ergibt  sich  mit  grosser  \\  !ilirsclu'inlichkeit  von  sellist, 
dass  das  religiöse  Cerenioniell,  und  die  Ansetzuiig  der  Festtage 
sich  nach  den  Mondphasen  gerichtet  haben  wird. 

Nun  findet  sich  bei  den  Völkern,  die  einen  Mondkalender 
haben,  eine  eigenthümliche  Auffiissung.  Die  Götter  —  sagen  sie  — 
wollen  nicht  nur  zu  einer  gewissen  Jahreszeit,  sondern  das  ganze 
Jahr  bindnreli  verehrt  sein,  es  ninsa  daher  der  kirchliche  Kalender 
so  eingerirhtet  werdm,  dass  di<'  Fi'icrtage  das  Jahr  (Um  hwundern, 
d.h.,  dass  deisell)c  Feiertag  r'inmal  ins  Frühjahr,  dann  in  den  Som- 
mer, dann  in  den  Herbst  u.  s.  f.  tallc.  Im  Alterthuni  begegnet  uns 
diese  Auffassung  zuerst  bei.  den  Aegyptern  (Siehe ;  Geminus,  isa- 
goge  in  Arati  phaenomm.  6,  und  in  der  Tenbner^schen  Ausgabe 
des  Martianus  CapeUa  pag.  409  das  teteinische  scholion  zu  Aratua 
s.  Capricomns).  —  Hente  sehen  wir  dasselbe  bei  den  Mohame- 
danern.  Ist  ja  doch  das  Festhalten  der  orientalischen  Kirche  am 
Juüauiacheu  Kalender,  ein  uüen burer  lieweis,  wie  wenig  sich  die 


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I 


688  Am^ISCBB  KALBHIOR. 

Religion  nm  Astronomie  nnd  Mathematik  kfimmert  —  Es  ist  dem- 
nach zulässig  vorauszusetzen,  dass  auch  die  Sahiner  dieser  Ansickt 
huldigten.  Sie  werden  uach  Moudmoiiateu  gerechiiot,  und  sieb  aus 
12  Monaten  eine  Art  von  Jahr  coustroirt  haben.  Wie  war  di«s 
Jahr,  besohafi'eu  ? 

Ich  stelle  mir  es  so  vor : 

Nach  dem,  was  idi  oben  über  die  wahrscheinliche  Form  des 
uritalischen  Monats  gesagt,  zählte  derselbe  29  Tage,  von  denen  5 
die  Zeit  vom  beobachteten  Neumonde  Im  zum  ersten  Viertel  ans- 
füllten;  von  da  bis  zum  Vollmond  waren  stündig  8  Tage  ;  die  Rüek- 

ständigen  16  Tage  machten  die  zweite  Hälfte  des  Monats  aus,  aber 
nur  durchschnittlieh;  denn  so  lange  der  Monatsaufang  an  wirkli- 
che Beobachtung  des  Neumondes  gebunden  war,  konnten  die 
Monate  keine  bestimmte  Dauer  haben  ;  die  erste  Hälfte  war  freilich 
mit  5  ~|~  ^  =  Tagen  unwandelbar  bestimmt,  aber  die  zweite 
Hälfte  dauerte  dann  bis  zum  Wiedererscheinen  des  neuen  Mondes. 
Es  kann  dieser  Zustand  sehr  lange  gedauert  haben,  obgleich  er  den 
Nachtheil  hatte,  dass  so  oft  trübes  Wetter  die  directe  Beobachtoag 
hinderte,  der  Kalender  ins  Schwanken  gerieth.  Mittlerweile  fand 
man  durch  fortgesetzte  Beobachtung,  dass  eine  Monatsdauer  von 
29*/ 2  Tagen  der  Wirklichkeit  ziemlich  nuhe  entsiiricht,  und  dass 
es  auf  dieser  Grundlage  möglich  ist  einen  Kalender  zu  entwerfen, 
der  mit  den  Himmeleracheinungen  ziemlich  Schritt  hält,  daher  bei 
trübem  Wetter  verlässlich  aushilft,  und  dazu  die  Möglichkeit  bietet, 
das  Vorwärts-  und  Zurfickreehnen  auf  bedeutende  ZeitiAome  zn 
gestatten.  Auch  andere  Umstände  mögen  das  Bedürfoiss  nach 
einem  fixen  Kalender  erweckt  haben.  Es  wäre  nun  nichts  kidiler 
*  gewesen,  als  so  wie  die  Griechen  und  Orientalen  aus  abwechselnd 
30  und  29-tägigen  Monaten  ein  I  J  monatliches  Jahr  von  354 
Tagen  zu  bilden ;  allein  dem  standen  eigenthümliche  Bedenken  im 
Wege.  Zunächst  der  Aberglaube  an  die  glückbringende  Kraft  der 
ungeraden  Zahl.  8chon  dieser  hatte  zur  Folge,  dass  man  dem  Jahr 
355  Tage  gab.  Nun  ergeben  zwölf  29-tagige  Monate  348  Tage,  es 
mussten  daher  noch  7  Tage  zugelegt  werden;  aber  einzeln  zu  den 
Monaten  gefügt,  hätten  sie  die  Tagzahl  der  Monate  grade  gemacht, 
und  das  wollte  man  meiden  ;  mau  fügte  sie  also  zu  zweien  ein,  aber 
auch  HO  blieb  noch  ein  vereinzelter  Tag  übrig.  Indess  sah  mau  ein. 


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dass  es  »chk'chterdiug»  iiumuglich  sei,  uus  lli  Mouuten  voa  ungera- 
der Tagesziilil  eiu  Jahr  von  uBg^ader  Tageszabl  zu  bilden,  und 
da  man  das  Jakr  schlechterdings  nngeraUe  haben  wollte,  so  mnsste 
man  sich  entschliessen,  einen  Monat  von  grader  Tageszahl  zuzu- 
lassen. Man  wasste  aber  auch,  dass  der  355-ste  Tag  des  Jahres 
l&berzahlig  sei,  und  dass  man,  um  den  Parallelismus  mit  den  Mond- 
pbaisen  einzuhalten  ab  niul  zu  geuütliigt  sein  wird,  eiiiou  Tag  aus 
dem  Jahre  auazuschiilteu,  welclie  Ausschaltuug  am  zweckraä8:^ig- 
sten  im  letzten  Monat  vorgenommen  werden  köunen  wird ;  dem- 
nach wird  dieser  letzte  Monat  ohnehin  schon  hie  und  da  nicht 
Tollzählig  sein.  Nehmen  wir  ihm  nun  noch  einen  Tag,  und  fügen 
ihn  den  einzulegenden  7  Tagen  hinzu,  so  erhalten  wir  8,  das  heisst 
vier  paar  Tage,  die  4  Monaten  zugelegt  dieselben  31-tSgig  machen, 
so  werden  wir  ein  Jahr  haben  Yon  vier  31-t'ägigen,  sieben  29-tagi* 
gen  Monaten  und  einem  letzten  Monate  der  bald  28,  bald  27  Tagt; 
zählen  wird.  Man  fand  sich  veranlasst  den  1.,  3.,  5.  und  8.  Mouat 
31-tägig  zu  uuichiMi.  wofür  sicli  iii«dn*e  (iriiude  ausfindig  maclH^n 
lassen,  von  denen  aber  derjenige,  der  wirklich  massgebend  war, 
sich  nicht  mit  Bestimmtheit  nachweisen  lässt. 

Aber  in  welchen  Theü  des  Monates  sollte  man  die  zugelegten 
2  Tage  einfügen? 

Es  war  am  gerathensten  es  in  dem  ersten  verkürzten  Viertel 
des  Monates  zu  thun,  wodurch  am  wenigsten  an  der  hergebrachten 
Mouatwform  geändert  ward. 

Entwirft  man  aich  mm  nacli  dem  Gesagten  eine  Tabelle  der 
12  Monate,  so  wird  man  leicht  sehen,  da>s  bei  gehöriger  Aufmerk- 
samkeit auf  rechtzeitige  Ausschaltuug  des  überschüssigen  Tages 
im  letzten  Monate,  dieser  Kalender  fortwährend  so  ziemlich  mit 
dem  Mondlaufe  stimmen  konnte. 

Es  ist  nun  diese  Jahreseinrichtung  gewiss  nicht  auf  so  theo- 
retischem Wege  und  so  aus  einem  Gusse  zu  Stande  gekommen, 
wie  ich  es  hier  dargestellt;  aber  eines  kann  als  sicher  angenom- 
men werden,  nehmlich,  dass  sie  bereits  fertig  war,  als  Nunia  (um 
mit  der  Tradition  zu  sprechen)  in  Uom  Keligion  und  Cultus  nach 
sabinischen  Formeln  ordnete. 

War  aber  diese  Formel  fertig  und  tabellarisch  zusammenge- 
stellt, so  war  die  Verkündigung  eine  blosse  Formalitat,  die  nur 


690  1>J<K  AhTKMMl-tHK  h.M.ENDEK. 

«larum  beibehulteu  wuid**,  um  bei  t]«ii  Uütliweudig  eiutrctfinbii 
DiiTerenzeu  zwisdien  den  kaleudariscbeu  und  wirklichen  Mond> 
phasen  möglielien  Irrungen  rorsubeugen. 

Ob  die  sabiiiisclieii  Moiiutc  Xaimn  gehabt,  und  wclrin-, 
Avisseu  wir  nicht  :  sio  nir>^»"U  tViili  v*  ro-t  v.v.'ii  sriu.  Abt,*r  \vahiJscli»Mü- 
lich  dünkt  mir,  dass  die  Beueuuujigeu :  Kuleudae,  Nuuae,  Klus, 
bekannt  und  gebräuchlich  waren. 

Das  Kesultat  der  bisherig«' n  Entwickeluiig  hat  snnächst  dax 

für  sich,  dass  es  mit  der  Tradition  übereinstimmt,  die  von  Xiinia 
er/,iililt,  er  habe  an  die  Stelle  des  romnli.>chen  .labres  ein  and<»re8 
gesetzt,  das  genau  so  ronstrnirt  war,  wie  hier  angegeben.  Diese 
Tradition  ist  nie  angefochten  worden.  Otfen)>ar  kann  ein,  die  Jah- 
reszeiten so  v(>llig  ausser  Acht  lassendes  Jahr,  wie  die»,  kein  ge- 
bundenes Mondjahr  sein.  Nun  habe  ich  oben  nachgewiesen,  dass 
das  romnlische  Jahr  ein  reines  Sonnenjahr  war,  das  Ton  FrQhling 
zu  Frrihling,  mithin  360 — 865  Tage  dauerte.  Aus  diesem  konnte 
sich  das  855-t;igige  Jahr  nicht  entwickelt  haben  ;  denn  der  Ober- 
gang vom  reinen  Sonnenjahr  auf  ein  freies  Mondjahr  wäre  ja  Hu 
eiitsrliiedener  Hiickschritt.  Im  »piiteren  Korn  war  l»is  f'aesar  nach- 
weislich ein  gebundenes  Mondjahr  im  Uange,  du«»  doch  nur  so  zu 
Stande  kommen  kann,  wenn  das  freie  Mondjahr  sich  dem  Sonnen- 
läufe anbequemen  will  Im  Kalender  des  Romulns  finde  ich  keine 
Spur  des  Mon^'shres,  ich  leite  es  also  von  da  her,  woher  es  die 
Tradition  ableitet :  Numa  hat  es  eingeführt,  Numa  war  Sabiner. 
mithin  ist  die  Institution  ursprünglich  sabinisch.  In  seiner  Urform 
konnte  dies  Jahr  kein  gebundenes  Mondjahr  sein,  da  «'in  solches 
nicht  aus  355  Tagen  besteht,  es  mussto  also  ein  freies  sein. 

Aber  die  Tradition  liefert  auch  directe  Beweise. 

Lydus,  de  mens.  I.  16,  sagt  mit  dttrren  Worten,  es  habe  Tor 
Gründung  Roms  ein,  nach  dem  Mondlanf  sich  richtendes  Jahr  in 
Italien  gegeben.  Freilich  knüpft  er  die  irrthlimliche  Folgerang 
daran,  Romulus  habe  aus  diesem  sein  zehn  monatliches  Jalir  gebil- 
det, weil  »T  ja  auch  in  dem  Wahne  het'aii^eii,  war,  dass  das  romn- 
lische Jalir  ein  gebundenes  Mondjahr  gewesen  .sei ;  das  thut  aber 
der  Glaubwürdigkeit  der  Notitz,  dass  in  lüilieu  in  vorröraischer 
Urzeit  ein  j&eies  Mondjahr  im  Gange  war,  keinen  Eintrag  ;nQr 


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DLR  ALlKuUiStUt  hALENDKB.  .         .  Q91 

ist  dien  Jalir  nicht  in  Latiom  zu  Buchen,  wo  man  deu  Muudlaut' 
nicht  beachtete. 

Maerobius  spricht  Sat.  1, 12,  89  in  seiner  Erörterung  über 
den  alten  Kalender  von  einem  Wändeljahr.  Es  ist  in  seiner  Kotitz 
ein  Irrthum  und  ein  Missferstandniss.  Irrthümlich  ist  die  Angabe, 
(las  Juhr  sei  ^304-t;igig  «gewesen;  missverstaiuk'ji  die  neliauptuuj^, 
das  .lalir  sei  des\vrn;en  mit  den  .lahrnzeiten  uicht  im  Einklänge 
,  gewesen,  weil  es  dem  Mondluiitc  sieh  nicht  fügte:  aber  das  VVan- 
deljahr  ist  acht  l  Aber  das  Jahr  des  Kumulus  wars  nielit,  auch  das 
des  Numa  nicht ;  sondern  es  war  das  sabiuische  alte  freie  Mond- 
jahr Ton  355  Tagen,  das  Numa  nach  Rom  brachte. 

Ganz  so  wie  Macrobius  und  mit  demselben  Missverständnisse 
sprechen  davon  Plntarch.  Caes.  59,  und  Geminus  a.  a.  0. 

Jedenfalls  ist  dies  sabinische  Mondjahr  plausibler  als  die 
KLmstelcien  Husclike«  und  liintmann'a,  die  doch  am  Ende  resul- 
tatlos bleiben. 

Xuma  sclinnd/  das  sabinisc  lie  Mondjahr  mit  dem  röniis(  Ihmi 
Sonueujahr  zusammen,  und  coustruirte  so  ein  gebundenes  Mond- 
jahr als  Grundlage  des  romischen  Kalenders. 

In  der  gesammten  Tradition  erscheint  die  Verfügung  Numas, 
im  Vergleich  zu  den  romnlischen  Zustanden  als  Verbesserung,  als 

autfallonder  Fortschritt;  Numas  Kalender  ist  vollkommener  als  der 
des  Hoiiiiihis,  voll  Kfweiseu  von  Wissenschatt  und  Weisheit.  -  Ist 
dem  so,  HO  kann  das  Jahr  (h's  Numa  uur  ein  sohdies  s»  in,  das 
sich  gleichmässig  dem  Sonnenlauf  und  den  Aloudumläuten  au- 
passte,  d,  h.  mit  einem  Wort«'  ein  gebundenes  Mondjahr,  und  ein 
solches  ist  ohne  Schaitmonat  nicht  denkbar. 

Ehe  ich  aber  auf  die  Tlntersuchnng  über  den  Schaitmonat 
nnd  das  Schaltsystem  eingehe,  muss  ich  zuerst  eine  andere  Frage 
erdrtem. 

Als  Numa  durch  Verschmelzung  des  sabinischen  Mondjahres 
mit  dem  romulisehen  Soiineujiihre  ein  MondsoniK-iijahr  coii^truirfe, 
muHste  er  zunächst  die  Eintheilung  des  alten  .lahres  ahiindern. 
Die  gewöhnliche  Tradition  ei-zählte,  dass  das  Jahr  des  Eomulus 
aus  10,  das  des  Numa  aus  12  Monaten  bestand.  Da  man  nicht 
wusste  oder  nicht  beachtete,  dass  die  romulisehen  sogenannten 


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ed2  ifh'H  ALruimiavm:  kalendbb. 

Monate  liimuielweit  von  den  Moiidiu<»Uiiteii  Nuiiia.s  versrhieileii 
waren,  bildete  sich  die  irrthUmliche  Aufitwauug,  dass  Numa  den 
]0  Monaten  des  llomulus  zwei  Monate  hinzugefügt,  und  so  «las 
Jahr  ergänzt  liabe.  Diejenigen,  die  das  304-tttgige  Jahr  ernst  naii- 
men,  sahen  in  den  355  Tagen  des  Numa  einen  bedeutenden  Fort* 
sehritt.  Sie  vergassen  dabei,  dass  die  angeblich  dem  Jahr  angefügt 
ten  2  Monaten  29  +  28  =  57  l^ge  zahlten,  iind  504  +  57  =  36 1 
und  nicht  ij55  ergibt.  Alle  Künsteleien  Hiisckke's  und  Hartniauif  8. 
reichen  nicht  aus  den  Widersprueli  zu  lösen.  Sie  müssen  entweder 
den  Character  der  Moudnionute  ganz  aufgeben,  oder  eingestehen, 
dass  sie  die  Sache  nicht  zu  erklären  vermögen. 

Ist  es  nun  nicht  viel  einfacher  und  natürlicher,  dass  Numa 
das  sabinische  Mondjahr  herüber  nahm,  und  da  er  sah,  da»  dies 
gegen  das  Sonnenjahr  um  10  Tage  zu  kurz  war,  ein  Schaltjahr 
stiftete,  Ton  dem  ich  weiter  unten  ausAlhrlich  handeln  werde.  Ans 
lUicksicht  auf  die  hergebrachte  romische  Gewohnheit,  übertrug  er 
die  Namen  der  alten  .Jahresabschnitte  auf  die  neuen  Mundmonate, 
und  da  solcher  nur  10  waren,  soll  er  aus  einem  alten  latinischeu 
Kalender  die  beiden  Namen :  Januarius  und  Februarius  aufgenom- 
men haben ;  ich  yermuthe  Yielmeiur,  dass  es  sabinische  Monatsna- 
men sind. 

Aber  es  ensteht  nun  die  Frage,  wo  standen  die  zwei  neuen 
Monate  im  Jahre? 

Ans  Orids  oben  angef&hrteTi  Versen  seheint  zu  folgen,  dass 

die  ])eiden  neuen  Monate  vor  den  luhresanfang  gesetzt  w  orden ; 
allein  das  steht  in  evidentem  ^^  iderspruche  mit  der  unläugbureu. 
und  weiterhin  noch  zu  erhärtenden  Thatsache,  dass  der  Februar 
nicht  nur  ursprünglich,  sondern  gewiss  bis  zu  Caesar's  ileform, 
der  letzte  Monat  des  Jahres  war  und  blieb.  Hiezu  kommt  noch, 
dass  Ovid  (fast  2,  47.  u.  ff.)  zu  sagen  scheint,  es  sei  Januar  an  den 
An&ng,  Februar  ans  Ende  des  Jahres  gestellt  worden,  und  hieniit 
stimmt  auch  Augustinus  (de  eW.  dei  7,  77)  überein,  anderer  noch 
jüngerer  Schriftsteller  nicht  zu  gedenken.  Daraus  hat  nun  schon 
Petavius  (Doctr.  terap.  IL,  74.)  gefolgert,  Numa  hal)e  die  beiden 
neuen  Monate  so  an  das  Jahr  gefügt,  dass  Jainiar  vor  dem  März 
an  den  Anfang,  Februar  hinter  deu  December  an  den  Schluss  des 
Jahres  zu  stehen  kam.  Scaliger  hingegen  und  mit  ihm  die  grosse 


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m 


MpHrzjihl  (Vr  rUronolf.^pii.  liidteu  IVst,  »kiss  die  Rcilioiifolj^e  dor 
Moiiatr  iiiit  (Inn  Miir/  hojrMiiiion  Ii:i1>f',  und  iiufli  (l«'ni  Deceniher, 
Januar  uiid  Fdiniar  t"nlir(rii.  wie  iiucliweislicli  später  in  der  repu- 
blikanischen Zoit.  Xeuerdings  ist  nun  Hartmann  wieder  zu  Petav's 
Anf^idit  ziiriickgekehriH  imd  sucht  darzutliun,  dass  Ovid  nur  fast. 
2,  47  das  Richtige  sage,  aber  fast  1,  43  sich  ungenau  ausdrücke; 
dabei  legfc  er  grosses  (Gewicht  darauf,  dnss  die  Äusserung  St.  Au- 
gustin's  aus  Yarro  geflossen  sei. 

Nun  mich  dflnkt,  nicht  nur  St.  Augnstin,  auch  Ovid  hat  aus 
der.'^elben  Stelle  Van-os  geseliöpft.  Die  Identität  der  Quelle  veiTätli 
sich  diircli  die  Identität  dfr  Hci^rihiduug :  Jani  mensis  prinius,  quia 
janua  prima  est;  —  propter  iuitia  (est  additus  Januarius,  ideo 
dicuntur  rerum  initia  ad  Janum  pertinere).  Man  sieht :  Varro  hat 
nicht  gesagt,  dass  er  unwiderlegliche  Beweise  für  die  Stellung  des 
Januar  am  Jahresanfänge  habe,  sondern  er  stellte  eine  Etymologie 
auf,  worin  er  Januarius,  Janus  und  janua  zusammenfasste,  und  in 
seiner  auch  sonst  befolgten  Weise  zu  dem  Sohlusse  kam,  Januarius 
müsse  das  Jahr  eröifhet  haben. 

Schon  der  Umstand,  dass  die  ganze  Behauptung  auf  einer 
Etymologie  l>erulit,  maclit  sie  verdächtig.  Halten  wir  uns  gegen- 
wärtig, dass  Numa  keine  neuen  Monate  gebildet,  dass  er  nicht  den 
vorhandenen  zehn  Monaten  zwei  hinzugef(igt,  sondern  an  die 
Stelle  des  in  10  Saisonen  abgetheilten  romulischen  Jahres  das  12 
monatliche  sabinische  Mondjahr  zur  Grundlage  des  romischen 
Kalenders  machte,  mithin  gar  keinen  Grund  hatte  die  Reihenfolge 
der  Monate  abzuändern.  Nun  ergibt  sich  aus  dem,  was  ich  oben 
über  das  sabiniselie  Moudjalir  dargetlian  habe,  dass  der  verkürzte 
Februar  nur  am  Jahresschlüsse  gestanden  haben  kann,  und  dies 
ist  auch  nie  in  Zweifel  gezogen  worden.  Es  dreht  sich  also  oti'eubar 
die  ganze  OontrOTerse  um  die  Frage,  ob  auf  den  Februar  als  erster 
Monat  des  neuen  Jahres  Januar  oder  März  gefolgt  sei,  and  diese 
Frage  mnss  wieder  in  zwei  zerlegt  werden.  Zuerst  haben  wir  zu 
untersuchen,  ob  ein  plausibler  Grund  für  die  Annahme  existare, 
Januar  sei  ursprünglich  der  erste  Monat  im  Jahre  gewesen ;  dann 
müssen  wir  uns  Überzeugung  davon  verschaffen,  ob  der  Januar  je 
so  auf  den  Felauar  folgen  konnte,  das-  der  letzte  Tag  Februars 
pridie  Kai.  Januarius  gehei;<seu  hal>eu  könne. 


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694  nRR  ALTRVkMlÜlIB  KALKNDRR. 

0 

Das«  im  romulisclieii  Jabre  Mäns  der  erste  Monat  war,  ist 
»o  «eher,  das»  es  keines  weiteren  Beweises  bedarf.  Was  konnte 

mui  Nunia  dazu  Ix'wnufeTi  halM'ii  doii  Jahn's.iiifang  vom  IJegiun»» 
des  Frühlings  uin  ('iiieii  Monat  /-mück  siut'  t'iiuMi  solchen  Zeitpunkt 
/LI  verlegen,  der  durch  giir  uiehtti  aiisgezeiciiüet,  überhaupt  kein 
Jahrpuukt  ist  ? 

Die  Verfechier  der  Priorität  des  Jannar  wissen  hierauf  nichts 
zu  erwiedem,  als  dass  Numa,  der  auch  Religions-stifter  war,  dem 
Beginn  des  Jahres  einen  Vorbereitungs-Monat  yoraufgehen  lassen 
wollte.  Das  heiast  denn  aber  doch  dem  nfichtemen  Staatsordner 

des  Alterthiims  eine  geradezu  absurde  Künstelei  in  die  Schuhe 
scliieheii.   Nuturgcmiiss  gcliint  doch  eine  \'or)>crcitiintjs-fri.st  ant" 
4'inen  beginnenden  Zeital>schiiitt  nicht  in  diesen  >^lh>t,  soiulorn  au 
da»  Ende  des  ihm  voraulgegaugenen  Zeitabschuittes  :  und  der  rö- 
mische Kalender  gibt  nns  ja  selbst  das  unverdächtigste  Zeugniss 
an  die  Hand,  dass  man  in  Rom  so  gedacht.  Man  hatte  in  den  letz- 
ten Monat  des  Jahres  das  Jahresschlnssfest,  die  Terminalia,  gelegt, 
aber  nicht  an  das  Ende  des  Monats,  sondern  auf  den  23-teii  Tag ; 
offenbar  damit  nach  diesem  Schiusafeste  noch  4 — 5  Tage  erübri- 
gen, an  denen  man  sich  für  dtm  Beginn  des  neuen  Jahres  vorhc- 
reiten  konnte;  wozu  hätte  es  da  noch  eines  weiteren  Vorherei- 
tungsmonat><  lu'durlt  {*  l)ie.se  ganze  Ijeliaupiung  ist  nichts  anderes, 
als  ein  schlecht  erfundener  Lückenbüsser ;  dies  ist  kein  Beweis  ftlr 
die  Anfangsstellung  des  Januar ! 

Die  Tradition  weiss  nichts  daron ;  die  Stellen  bei  Orid  und 
St.  Angustin  stehen  ganz  isolirt  da ;  ja  die  letztere  spricht  es  gar 
nicht  bestimmt  aus,  man  muss  es  erst  hineinlesen ;  die  bei  Hart- 
mann  Seite  18  und  19  aufgeführten  Belege  sind  viel  Jüngern 
Datums  und  entweder  direct  aus  Varro  oder  mittell>ar  aus  Auffus- 
tili  getlosseu,  beweisen  also  weiter  nichts.  Desto  mehr  aber  bestrir« 
keil  sie  den  Satz,  dass  Februar  der  letzte  Monat  des  Jahres  war. 

Am  23-ten  Februar  war  das  Fest  der  Terminalien.  Nach  dem 
einstimmigen  Zeugnisse  der  Tradition  bezeichnete  dies  Fest  den 
Jahresschluss.  Nun  war  bekanntlich  Terminus  ein  sehr  halsstarri- 
ger, conserratiTer  Heiliger,  der  sich  nicht  Ton  seiner  Stelle  schie- 
ben liess.  Diejenigen,  cüe  ursprünglich  den  Januar  an  die  Spitze 
des  Jahres  stellen,  nnd  nnn  sehen,  dass  in  bistorischer  Zeit  die 


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Reihenfolge  stet»  iVwHe  war:  .lamiar,  Fehniar,  März  n.  h.  w.,  sinH 

.£?<MinthiV^  nii/niichiiii'ii.  (biss  einmal  in  ilor  T'rzcit  der  Frl>riiar.  und 
mit  iliiii  uiiti'irlicli  am  li  d*'r  Terininus  von  der  k'izicn  Stelle  mi  die 
zweite  verlegt  worden  sei.  Ist  die:>  nun  deukbar  /u  einer  Zeit,  wo 
die  religiöse  Sclieii  noch  ho  mächtig  war,  wie  /..  B.  zur  Zeit  der 
Dezemiim?  Julius  Caeser  konnte  es  wagen  und  durchsetzen ;  in 
jener  Urzeit  hätte  sieh  gewiss  ein  Atfcus  Narins  gefunden,  der  dem 
gottloaen  Neuerer  das  Handwerk  gelegt  hätte.  Konnte  aber  Februar 
niebt  von  der  zwölften  auf  die  zweite  Stelle  versetzt  werden,  so 
imisste  die  AndeniiiLj;  so  bewirkt  werden,  dass  num  den  Jannar  von 
•ler  ersten  Stelle  an  die  «dfte  versezk».  Aber  diese  Absurdität  wagte 
gar  uiemand  zu  behaupten. 

Wenn  ursprünglich  Januar  der  erste,  Februar  der  letzte 
Monat  im  Jahre  war,  was  m»g  wohl  die  Romer,  etwa  die  Decem- 
▼im  dazu  bewogen  haben,  den  Februar  vom  Ende  des  Jahres  neben 
den  Jannar  zu  versetzen  ? 

Ani  die>e  IuM<^e  siu-lit  Hartman ü  von  .Seite  83  seines  Bucbe.s 
l)i>  S.  lOo,  also  einen  vollen  Druckbogen  hindureb,  die  Antwort.- 
Der  laugen  ilede  knizt  r  Sinn  lüutt  darauf  iiiuaus,  dasä  luau  den 
Jahre.<«anfiing  auf  die  Bruma  zurückseliieben  wollte  aus  einem  nicht 
ganz  klaren  religiös-mystischen  Grund ;  dass  man  hiezu  ein  Schalt- 
jahr abwarten  musste,  um  den  Februar  unvermerkt  vor  den  März 
schlupfen  lassen  zu  können,  und  hiednreh  den  Januar  um  einen 
Monat  nacb  rüokwiii'ts  zu  dr'annfen.  Es  ist  erstaunlich  zu  sehen, 
w  ir  iler  Mann  sieb  abnnilit.  nni  eine  eintaelu'  Saelie  ni(>glirlist  /u 
verballhornen.  Um  den  1-ten  Januar  auf  di(f  Bruuia  zu  bi'iugeu, 
durfte  man  ja  nur  einen  einzigen  Schaltnionat  weglassen :  voraus- 
gesetzt,  aber  nicht  zugegeben,  dass  der  1-te  Januar  Neujahrs- 
tag war. 

Aber  wie,  wenn  man  diese  ZurQckschiebung  des  Januar  so 

bewerkstelligen  wollte,  dass  darum  doch  der  1-te  März  Frlihling.s- 
anfang  bleibe?  War  dov  l-(e  Mär/  nicht  Xenjabrstag.  so  lilsst  sieh 
hietur  gar  kein  verniuiltiger  (.irund  angeben  :  wo  hingegen  das 
Terminalienfest  ein  .sehr  triftiger  Grund  war,  den  Februar  am  Ende 
des  Jahres  zu  belassen.  War  aber  der  1-te  März  Neujahrstag,  so 
konnte  es  der  1-te  Januar  nicht  sein,  und  die  ganze  Argumenta- 
tion zerfallt  in  Nichts. 


606 


DBR  ALIRAHIsrnE  KALBHT^BB. 


Ks  ist  also  (luicliaiis  u'cl>t  piinnal  ein  ScliPin  oinos  goiiugeii- 
dea  nnmde.s  für  die  ümsetzuiig  des  Februar  vorliaiiden,  und  da 
wir  in  historischer  Zeit  deu  Fo])ruar  /.wi<:chen  Tanuar  und  Man 
stehend  finden,  so  können  wir  ohne  Scrupel  folgern,  dass  er  immer 
da  gestanden ;  nnd  da  Februar  unbestreitbar  der  letiste  Monat  des 
Jahres  war,  so  war  Januarius  nicht  der  erste,  sondern  der  elfte 
Mouat,  und  das  Jahr  lie^aun  mit  dem  März.  Es  ist  aber  auch 
iiati'irlicli,  dfiss  der  (ios»'t/.geber,  der  der  liergel)r:i<^litoiJ  <iew<ihii- 
heit  ao  gewisseuliaft  ivechuung  h-iigt.  dass  er  hA  Eiiitiihning  einer 
neuen  Jahrform  die  Namen  <1(H-  alten  Jahresabsohuitte  für  seine 
neuen  Monate  adoptirte,  sein  Volk  nicht  durch  eine  ungegrOndete 
und  unnöthige  Verschiebung  der  gewohnbeitsgeniassen  Jahrpunkte 
ärgern  werde. 

l'ür  mich  ergibt  sich  hieraus  als  unjfweifelhafte  €rewissbeit, 
(lass  als  Nnniu  den  sabiuischen  Mondkalendrr  in  i\<>in  eintülirt*N 
er  den  10  ersten  Monaten  seines  Mondjahres  die  Namen  der  römi- 
schen Jabresabschnitte  gab,  dem  eiiften  uud  zwölften  aber  die 
Namen  Januarius  und  Februarius  gab,  oder  wohl  gar  nur  diese 
Altsabinischen  Namen  beliess. 

Aber  sein  Jahr  zählte  nur  855  Tsge,  füllte  daher  das  Jabr 
nicht  aus. 


Will  ein  Mondjahr  sich  dem  SounenlautV  so  anbecjuemen  . 
dass  seine  Monate  mit  den  Jahrszeiten  Schritt  halten,  so  kann,  es 
ohne  Schaltmonat  nicht  bestehen ;  und  dieser  Schaltmonat  kann 
nur  ein  wirklicher  Mondmonat  sein.  Dies  bedarf  keines  Beweises. 

Numa  musste  also,  sollte  sein  355-t&gigeB  Jahr  kein  Bück- 
schritt  sein,  ein  Schaltsystem  anordnen,  um  die  dem  Jahre  abge- 
benden 10  Tage  herein  zu  bringen. 

Die  natürlichste  und  primif iv^^te  Art  der  Schaltung  ist  die^ 
dass  man  den  (umg  des  Kalenders  durch  unausgesetzte  Beobach- 
tung, controllireod,  so  oft  man  merkt,  dass  der  Kalender  der  wah- 
ren Zeit  Yorauseilt,  die  Uhr  des  Kalenders  stehen  lasst,  und  aie 
nur  dann  wieder  in  Bewegung  setzt,  wenn  die  Natur  sie  wieder 
eingeholt  hat.  Numa  wird  nun  wohl  auch  ein  solcbee  Schaltsyt- 
tem  adoptirt  haben,  dessen  Formel  ungeföhr  folgende  gewesen 
sein  mag : 


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I>BR  ALTRöMItfCBE  KALRlinBR.  097 


Vou  Neumoud  zu  Neumond  ist  ein  Monat«  ungefähr  29  Tage. 
Damit  diese  29-tägigen  Monate  mit  dem  MondlauF  in  Einklang 
bleiben,  erhalten  der  1.,  3.,  5.  und  8.  Monat  je  einen  Tag  mehr, 

dagegen  wird  dem  12-ten  Monate  ein  Tag  jil)gezoiren,  oder  wenn 
dies  nicht  ausreicht,  auch  2;  Das  zwölt'inouatlicho  GeiiK'iujahr  wird 
demnach  355  oder  351  Tage  zälilen.  Aber  dies  Jahr  ist  zu  kurz, 
und  wird  daher  der  wahren  Zeit  vorauseilen.  In  der  Kegel  «oll 
März  den  Frühling,  Juni  den  Sommer,  September  den  Herbst, 
Dezember  den  Winter  beginnen.  Wird  man  nun  bei  fortgesetzter 
Zählung  Ton  Gemeinjahren  merken,  daas  der  Kalender  bereits  beim 
März  etc.  angelangt,  der  FrQhling  etc.  aber  noch  lange  nicht  da 
iflt,  80  lässt  man  den  vorausgeeilten  Kalender  stehen,  daa  heisst, 
man  lässt  einen  vollen  Monat  als  überzählig  verstreichen,  damit 
die  Jahreszeit  den  vorausj^ccilten  Kalender  einholen  kann.  Die  , 
Durrhfiihrunjjf  dieser  lMassrr«_j('l  wird  dem  J^ontitex  iibertrayfeu. 

Das  mag  Xuuias  Kalenders}  stem  gewesen  seiu.  Offenbar 
wir  1,  wenn  der  Pontifex  seinem  Auftrage  nur  mit  mittelmässiger 
Aufmerksamkeit  nachgeht,  ein  solcher  Kalender  ziemlich  mit 
Mondlauf  und  Jahrszeit  stimmen,  um  so  mehr,  da  in  der  Königs- 
zeit kein  Qrund  vorhanden  war,  weshalb  der  Pontifex  mit  der  ihm 
Qbertragenen  Gewalt  Missbraueh  treiben  sollte.  Aber  auch  das  ist 
klar,  dass  in  einem  solchen  Kalender  die  durchschnittliche  Jahres- 
dauer nicht  355,  sondern  wenigstens  3i)5  Tage  l)eträgt.  Nur  die 
Uemeinjahre  zählten  355  Tage,  die  ai»er  durch  die  von  Zeit  zu 
Z»>it  eintretende  Schaltung  ergänzt  wurden ;  es  ist  daher  ein- 
fach unrichtig  zu  sagen,  dass  das  römische  Jahr  seit  Numa  355, 
tSgig  war. 

Aber  das  System  war  mangelhaft;  es  war  weder  im  Voraus 
"  bestimmt,  welche  Jahre  Schalljahre  sein  sollen,  noch  war  dem 
Schaltmonate  sein  Platz  im  Schaltjahre  angewiesen,  das  heisst, 
nacli  unserer  Kedeweise :  der  Schaltcyclus  war  nicht  fes^ffesetzi. 
Di»'  ^e<i;eben<»  ^Veisung  war  liir  den  wissenden  klar  geijug.  aber 
der  Laie  konnte  darin,  dass  zwischen  je  zwei  »Schaltjahre  bald  zwei, 
•  bald  drei  Gemeinjalire  traten,  und  dass  im  ►Schaltjahre  der  Scliait- 
monat  bald  in  die  eine,  bald  in  die  andre  Jahreszeit  fiel,  nur  Bys- 
temlosigkeit  und  pontificale  Willkfihr  erblicken.  Ein  geringes 
Missverstandniss,  eine  kleine  Unachtsamkeit  von  Seite  des  Ponti- 

nng»H»Pb»  R^vne,  19^2.  vm.— IX.  Heft.  45 

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698  1>KS  AIiTKOHIHCflK  KALBNOIB. 

feXf  und  der  Kalender  gerieÜi  in  Verwirrung  and  stimmte  weder 
mit  dem  Mond,  noch  mit  der  Sonne ;  und  das  konnte  leicbt  vor- 
]i;ommen.  Der  Kalender  war  daher  einer  Verbesserung  bedürftig, 
und  es  ist  Servius  Tullios,  dem  die  Tradition  diese  Verbessenuig 

zuschreibt. 

Worin  bestaiul  nun  dio  Verbessei  ung        Sorv  iu.s  Tiillius  ? 

Einfach  in  der  IV'stset/.ung  des  8chiilt(  ycluy.  Wie  er  dabf»i 
vorgegangen,  hat  die  Tradition  uicht  bewahrt ;  aber  durch  ßück- 
scblnss  aus  dem  was  wir  iu  historischer  Zeit  vorfinden,  können  wir 
uns  doch  beiläufig  ein  Bild  seiner  Reform  entwerfen. 

Wie  gesagt,  muss  deijenige,  der  ein  Mondsonnenjahr,  and 
einen  dazu  gehörigen  Sohaltcyclus  entwerfen  will,  die  Dauer  de» 
Sonnenjahrs  und  des  Mondmonates  kennen.  Wie  genau  die,ee 
Kciintiiiss  ist,  kommt  liier  uicht  iu  Betracht.  Eine  ungeiuiue 
Keuntuiss  wird  e))eii  auf  eiuen  uugenainMi  .Selialtcyelus  führen. 

Es  muss  aber  der  Anordner  des  Cyclus  auch  darüber  mit  sich 
im  Klaren  sein,  was  für  einen  Gharaeter  er  seinem  Jahre  zu  geben 
beabsichtigt. 

Fragen  wir  nun,  eine  wie  genaue  Kenntniss  der  Dauer  des 
Jahres  und  Monates  wir  bei  Servins  Tnllius  und  seiner  Zeit  voraus- 
setzen dttrfen,  so  glaube  ich  getrost  annehmen  zu  können,  dass 

man  theils  aus  eigener  Erfahrung,  theils  uucli  aus  griechischeu 
Quellen  bereits  wissen  konnte,  dass  das  Sonuenjnhr  etwas  iil)er 
365,  das  zwölfmonatliche  Mondjahr  etwas  über  354  Tage  zählte, 
mithin  der  Unterschied  der  Tagzahl  beider  ziemlich  genau  1 1  Tage 
betrage.  Auf  einfache,  naturgemässe  Weise  rechnend,  fand  man 
demnach  die  Differenz  um  die  das  12  monatliche  Mondjahr  dem 
Sonnenjahr  voranseilte,  und  die  durch  Schaltung  auszugleichen 
war,  nach  Ablauf  des  1,  2,  3,  4  u.  s.  f.  Jahres  in  1 1,  32,  33,  44 
u.  s.  w.  Tagen  ausgedrückt,  und  da  die  Schaltung  in  Mondmonaten 
zu  geschehen  hatte,  so  war  uutor  diesen  Difterenzeu  die  möglichst 
kleiuste  zu  suchen,  die  auf  eine  volle  Anzahl  von  etwas  über 
tägigen  Monaten  auskam,  und  verfiel  so  auf  die  nach  Verlaut  von 
8  Jahren  aufgelaufene  Differenz  von  88  Tagen,  die  gerade  ;^  Mo- 
nate zu  29  Vs  Tagen  gab.  Man  hatte  also  iu  8  Jahren  3  xMonate 
einzuschalten,  undzwar  nach  Anweisung  der  gefundenen  Tages- 
differenzen am  Schlüsse  des  3-ten,  5->ten  und  8-teu  Jahres.  Da  man 


üiyiüzcü  by  GoOglc 


nisn  ALTKöMiBrni:  KAt.vimKU.  .  899 

aber  die  Schaltmoiiatt;  iiui'  25)-tiigig  Jialini,  8(3  ergab  der  ganz« 
ScluiUcyclus  8  X  -354  +  X  29  —  2832  f  87  —  2910  Tage,  da 
docli  8  8onnenjahre  zu  o05  Tagen  2920  Tage  crgelieu.  Der  Cyclus 
war  demnach  gegon  acht  Jahre  um  einen  Tag  zn  kurz,  det  h  das 
konnte  den  Ordner  des  Kalenders  nicht  beunruhigen ;  denn  da. das 
Sonnenjahr  selbst  noch  etwas  langer  danert  als  3G5  Tage,  dagegen 
aber  die  Mondjahre  des  Nnma  355-tagig  waren,  mit  dem  Vorbe- 
halte jedoch,  dass  sie  den  Umstanden  nach  eventuell  um  einen  Tag 
gekürzt  werden  kruinen;  konnte  es  ohne  grosse  Mühe  gelingen 
einen  8-jälirigen  Cychis  aus  fünf  12  monatliclien  und  drei  13  mo- 
natlichen Jahren,  also  im  Ganzen  aus  99  Mondmonaten  so  zu 
coustruiren,  dass  die  8  Jahre  zusammen  eben  auf  2920  Tage  aus- 
kommen. 

Mag  man  nun  selbst  auf  dies  Resultat  gekommen  sein,  oder 
mag  die  griechische  Oetaäteris  als  Muster  gedient  haben,  so  viel 

steht  meiner  Ansicht  nach  fest,  dass  der  Schaltcyclus  des  Servius 
Tullius  ein  8-jiihriger  war  ans  '>  gemeinen  und  Schaltjahren 
gebildet,  dass  die  Jahre  in  demselben  wirkliclie  Mondsonuenjalire 
waren,  d.  h.  solche,  in  denen  die  Monate  dem  Mondlaufe  folgten,  . 
während  die  Jahre  im  Durchschnitte  der  Dauer  des  wahren  Sonnen- 
jahrs  ziemlieh  entsprachen. 

Offenbar  kann  in  einem  so  geregelten  Cyclus  yon  willktthr- 
lichefT  Schaltung  überall  nicht  die  Rede  sein.  Ebenso  halte  ich  es 
für  unzweifelhaft,  dass  man  l^ei  Constrnction  des  Cyclus  eine  Ta- 
helle  /.iisanmienstellte,  die  Jahre,  Monate  nnd  Tage  des  ganzen 
Cyclus  biä  ins  Einzelne  nachwies,  so  wie  dass  nach  der  Absicht  des 
Verfassers  der  Tafel  auf  den  letzten  Tag  des  abgelaufenen  Cjclns 
unmittelbar  der  erste  Tag  des  neuen  Cyclus  folgen  sollte,  und  die 
einzelnen  Schaltkreise  sich  ohne  irgend  welche  Änderung  vollkom- 
men gleich  sein  sollten.  Die  Stelle  des  Schaltmonats  im  Schaltjahr 
war  gewiss  die  dreizehnte,  er  schloss  sich  dem  12-ten  Monate  an. 

Icii  glaube  nun,  es  lasse  sich  gegen  die  Voraussetzinig,  dass 
die  isiaienderverliesserung  des  Öervius  Tullius  nichts  anderes  gewe- 
sen sei.  als  die  Einführung  eines  fest  geordneten  Selialtkreises, 
nichts  erhebliches  Einwenden.  So  wenig  ich  für  die  Richtigkeit  des 
eingeführten  Cyclus  einstehe:  ich  wage  dennoch  zu  behaupten, 
dass  ihm  grobe  Fehler  und  Unrichtigkeiten  nicht  anhafteten.  Nun 

45' 


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700  IVSR  ALTBAMISOHK  XALBItDBB, 

zeiht  freilich  Momniaen  auf  Sehritt  and  Tritt  die  alten  Römer 
krasser  ünwissenheif  und  stnpiden  Aberglaubens,  wo  hingegen 
Hnsehke  und  Hartinann  bei  ihnen  die  Kenotniss  des  Meton^schen 

und  Endoxischen  Kalenders  Tomussetzen.  Aber  die  Römer  waren 
schliesslich  doch  nicht,  so  ixar  eiutViltig.  Wo  eine  cloava  maxima 
erbaut  w  erdoii  kojint<\  war  auch  die  Construetion  des  l^eschriehe- 
nen  Schaltkreises  möglich. 

Der  Einwand,  dass  die  hior  aufgestellte  Formel  viel  vollkom- 
mener ist,  als  das  Terwnrrene  Kalenderwesen,  das  in  der  repiibli- 
kanischeu  Zeit  nachweislieh  in  Rom  Oeltoug  hatte,  wäre  stichhal- 
tig, wenn  sich  nicht  die  handgreiflichen  Ursachen  des  bezeichneten 
Rfickschrittes  nachweisen  Hessen.  So  lange  Köp  ige  in  Rom  herrech- 
ten, blieb  j»ewiss  die  entworfene  Tafel  in  Anwendung,  und  lief 
ohne  /nfitcl  zicmlicli  frc.ordiict  fort,  so  dass  jfewiss  keine  jrrösspre 
l)iffer«'nz  entstand,  als  welche  die  l 'nj'enaiüi'keit  des  Kiiloiider< 
selbst  bedingte ;  ja  viplleicht  wurde  auch  diese  durch  fortwährende 
controlirende  Beobaclitung  constatirt,  und  nach  Erfordemiss  durch 
ausserordentliche  Schaltung  berichtigt. 

Was  war  nun  die  wahre  Daner  des  serrianischen  Jahres? 

Wir  haben  gesehen,  dass  das  Geroeiigahr  Numas  nominell 
355  Tage  hielt.  Nnn  beträgt  die  Dauer  Ton  12  mittleren  Hond- 
mouaten  nach  unserem  heutigen  Wissen  854  Tage  8  Stunden,  48 
Minuten.  Bleiben  wir  mit  Ifncksicht  auf  ilas  Alterthum  l>ei  :>54 
Tagen,  8  Stunden  stehen,  so  sind  ;)5r»  Tage  um  1()  Stunden  zu  viel, 
eine  Ditferenz,  die  schon  in  3  Jahren  auf  volle  2  Tage,  anwächst. 
Diese  Rechnung  geht  von  der  mittleren  Dauer  der  synodischen 
Beleuchtungsmonate  ans.  In  der  Wirklichkeit  sind  die  Mondmo- 
nate nicht  YöUig  gleich,  besonders  ist  das  Sichtbarwerden  des 
neuen  Mondes  durch  Umstände,  deren  Erörterung  eine  hier 
nicht  einfftgbare  astronomische  Darlegung  erfordern  würde,  einer 
Schwankung  unterworfen,  so  dass  eine  Abweichung  von  1  —  2 
Tagen  zwischen  Kalender  und  Himmel  anfangs  gar  nicht  auffallt. 
Wenn  aber  die  Differenz  von  Jahr  zu  Jahr  stetig  zunimmt,  dann 
muss  sie  auffallen.  Die  il(imer  haben  sie  auch  wahrgenommen,  und 
haben  Abhilfe  gesucht  Sie  beobachteten  nehmlich  nuausgesetzt, 
und  wenn  sie  sahen,  dass  der  Neumond,  der  nach  dem  Kalender 
am  28.  Februar  erscheinen  sollte,  schon  am  27-ten  sich  sBeigie. 


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DKR  ALTKÖMIskRIS  KiUM>EB. 


701 


Hessen  sie  (h  u  JS.  Ffbnmr  einfach  weg.  uini  Iicsm  n  auf  den  27-ten 
Fel»riiar  tlfii  1.  März  lolgeu.  Diese  Ausiiier/iuig  wurde  wabrseheiu- 
lich  schou  au  deu  Noueu  des  Februar  augekündigt,  man  kounte 
jtf  schon  damals  wissen,  ob  sie  notliwendig  sei.  Aber  durch  diese 
Aoameirxiiiig  ward  das  betreffende  Jahr  d54-tagig.  Nim  haben  wir 
aber  gesehen,  dass  der  F^er  bei  fortgesetstem  Zahlen  von  355- 
tilgigen  Jahren  in  drei  Jahren  auf  2  Tage  anwächst ;  ja  da  drei 
Jahre  eigentlich  ohne  Dazwischenkuuft  eines  Schaltjahres  garnicht 
auf  einander  folgen  kounten,  so  müssen  wir  annehmen,  dais.s  die 
Ausmerzung  jedes  zweite  Jalir  nutliwendig  wurde,  also  jedes  zweite 
.lahr  o54-tägig  war.  Demnach  hatte  der  Cyelus:  4  X  351  -(-  4  X 
355  +  a  X  29  =  2923  Tage,  und  dien  ist  gegen  8  Sonne^jahre 
von  3G5  Tagen  um  3,  ja  selbst  die  Jahre  zu  365 Tag  gerechnet 
noch  um  1  Tag  zu  viel ;  dazu  kommt  noch,  dass  99  Mondmonate 
genau  gerechnet  noch  etwas  Aber  2923  Tage  ergeben.  Fortwäh- 
rt'ude  Beobachtung  niusste  also  zu  dem  Kesultate  führen,  chiss  8 
Jahre,  von  denen  i  zu  :>">  1  und  4  zu  oTio  Tagen  gerechnet  werden, 
nebst  drei  2iJ-tägigen  bchaitmouateu  in  8  Sonneujahreu  keinen 
Kaum  finden.  £s  muss  also  entweder  im  Vorhinein  der  Cyelus  so 
constmirt  werden,  dass  die  überzähligen  zwei  Tage  irgendwo  weg- 
blieben; oder  wenn  damals  die  Differenz  noch  nicht  so  genau  be- 
kannt war,  konnte  die  entworfene  Tafel  unberQhrt  bleiben  und  durdi 
ausserordentliche  Ausschaltungen  nachgeholfen  werden.  Dies  letz- 
tere ist  w^ahrscheinlicher,  und  sind  wahrscheinlich  einzelne  iSchalt- 
monate  zu  diesem  Zwecke  um  je  einen  Tag  gekürzt  worden.  Es  kön- 
nen wohl  einzelne  Details  dieser  Darstellung  beanstandet  werden« 
aber  im  Ganzen  ist  es  gewiss,  dass  in  diesem  Systeme  die  gemei- 
nen Mondjahre  nur  nominell  355-t3gig  wareui  und  dass  mit  Adop- 
tinmg  dieses  Systems  der  erste  Schritt  zur  Beseitigung  des  Mond- 
jahrcharacters  geschehen,  und  der  Übeigang  zum  reinen  Sonnen- 
jalir  Hiig('l>ahnt  war.  Die  durchscbnittliclie  Juhresdauer  aber  in 
diesem  lyclus  war  weder  354  noch  355,  sondern  365  Tage  und 
wohl  noch  etwas  darüber 

So  wie  überall,  wo  Mondsounenjahre  gezählt  werden,  so  war 
aach  ihm  rdmischen  Kalender  die  Dauer  der  einzelnen  Jahre  un- 
gleich; es  gab  354,  355,  382,  383,  384-tagige  Jahre,  die  miteinan- 
der abwechselten,  aber  nicht  in  sicher  rorher  bestimmter  Reiheu- 


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I 


102  DBS  ALTSÖNieCHK  iALBHDBR. 

folge ;  denn  die  Kalendertafel  gali  wohl  an,  welche  Jahre  gt  mräie, 
welche  Schaltjahre  sein  sollen,  eh  aher  irgeud  ein  Gemeinjahr  354 
oder  yS.'-tä^ig,  ein  Schaltjahr  382,  383  oder  381-tägig  sein  werde 
diis  war  aus  den  Tafeln  nicht  zu  entnehmen. 

Nohen  den  Jaliren  liefen  die  Xundineu  her ;  jeder  Tag 
war  Markttag,  und  dies  regelmässig  ohne  irgend  welche  Rficksicht 
auf  Mondphase  oder  Jahreszeit,  regelmässige  oder  ausserordentliche 
Aus-  und  iiinschaltung,  ganz  ehen  so  wie  unsere  Wochen. 

Der  Schaltmonat  folgte  im  Schaltfahr  am  Jahresschlosa  un- 
mittelbar auf  den  Februar;  man  zählte  dann  im  Februar  statt  nach 
Kulendae  Martiae,  nach  Kaien dae  Intercalares. 

Die  Ta<^e  wurden  hereits  so  gezählt,  wie  in  der  hist-orischen 
Zeit;  auf  die  Kalenchie  folgte  im  31-tägigen  Monat ;  a.  d.  VI :  im 
20  tägigen  a.  d.  TA'  Nonas ;  auf  die  Nonen  üherall:  a.  d.  VlII  Idus: 
auf  die  Iden  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Fehruar:  a.  d.  XVJI  Ka- 
lendas  (mensis  sequentis);  im  Februar  im  354-tägigen  Glemeuijahr: 
a.  d.  XV,  im  855-tagigen :  a.  d.  XVI  Kai.  Martias ;  im  883-ifigigwi 
Schaltjahr:  a.  d.  XV,  im  384-fögigen:  a.  d.  XVI  Ealendas  Interca- 
lares ;  nach  den  Iden  des  Schaltmonates  in  der  Regel :  a.  d.  XVII 
ausnahmsweise  im  382-tägigen  Schaltjahr :  a.  d.  XVI  Kai.  Martias. 

OtlVnhar  ist  in  diesem  System  alles  klar  und  l)estimiut  bis  auf 
den  einem  35r)-tcn  Tag,  desseji  Heil)ehaltung  oder  Weglassnng 
einigen  Anstand  in  der  Tageszählung  der  zweiten  Hälfte  des 
Febniar  verursachte,  der  aher  darum  von  keinem  Belange  war,  weil 
ja  die  VerfOgnng  über  diesen  Dispositionstag  schon  an  den  Nonen 
des  Februar  yerkfindigt  werden  sollte.  Freilich  kam  es  Tor,  dass 
diese  Ankündigung  nnterhUeh,  und  dieser  Umstand  mag  schon  frfih- 
zeitig  Veranlassung  d^izn  gegeben  haben,  dass  man  um  sicher  zu 
gehen  nach  den  Llen  des  Februar  so  zu  datiren  anfing",  a.  d.  X  Ter- 
minalia.  Das  Tcrminalienfest  haltete  unverrückbar  an  di'm  23-teu 
Februar,  und  gab  demnach  einen  sickern  Zielpunkt;  nach  den  Ter- 
miualieu  aber  musste  man  jedenfalls  schon  im  Klaren  dar&ber  sein, 
ob  der  1 '«  bruar  noch  4  oder  5  Tage  haben  werde. 

Die  Römer  hatten  also  einen  wohl  geordneten  Kalender.  Was 
konnte  sie  bewegen  ihn  abzuändern. 

Die  Annahme,  sie  hatten  durch  fortgesetzte  Beobachtung  die 
Ungenauigkeit  ihrer  Rechnung  wahrgenommen,  und  dem  Uibel 


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ma  ALTKoMIäCHU  JiALKNHEK.  703 

darch  finführong  eiues  genauer  berechueten  Suterns  abhelfen 
woUeu,  ist  durch  den  naehweisUchen  Erfolg  der  Aenderong  ausge* 
schlössen.  Ich  glaube  aber  die  folgenden  Gründe  ausfindig  ge- 
macht zu  haben : 

1)  Es  war  in  den  Kämpteii,  <lie  nach  \  ertreibung  licr  Köuige 
um  die  Freiheit  und  Selbständigkeit  Roius  gefochten  wurden,  dei* 
Ghmbe  eutstandeu,  dass  die  Jahre,  die  mit  eiuem  Nundinaltage 
begouneu,  l  uglück  über  den  Staat  brac  hten.  Um  dies  zu  vermeiden 
musste  man,  da  der  Nundinaltag  nicht  verlegbar  war,  de»  Neujahrs- 
tag (1.  März)  yerlegen.  Bewirkte  man  dies  durch  Ausschaltung  eines 
Tages  im  leisten  Monate  des  zu  Eude  gehenden  Jahres,  so  musste 
dieser  Tag,  sollte  der  ganze  Kalender  nicht  Terschoben  werden,  im 
nächsten  Jahre  wieder  hereingebracht  werden,  durch  Einschaltung 
in  den  Fe)>ruar  oder  Schaltmonat. 

«)  Die  römische  Plebs  t'eiorto  au  dcu  Noucn  jedes  Monates 
den  Geburtstag  des  weisen  Königs  Servius  Tullius ;  Furcht  vor 
einem  royalistiseheu  Aufstände  der  Plebs  bewog  zu  dem  Beschiuss, 
dass  die  Nonen  nie  auf  Markttage  (Nundinae)  fallen  sollen  (S*- 
Macrob.  Sat.  1, 13, 18).  Um  dies  erreichen  zu  können,  wurde  der  Ea- 
lender«Gommission  Vollmacht  ertheilt  nach  Ermessen  und  Bedarf 
jenen  gewissen  355-ten  Tag  dann  und  dort  aus-  und  einzusdialten, 
wo  dadurch  dies  ZusammentreflTen  vermieden  wird. 

Eine  einfache,  Rechnung  deren  Durchführung  hier  zu  viel 
Raum  einnehmen  \vürd(\  zeigt,  da.ss  nur  in  einem  solchen  Jahre, 
dessen  Nundinalbuchstabe  F  ist,  kein  Markttag  auf  einen  Nonentag 
fallt.  Es  war  also  Aufga))e  der  Commiss^on  durch  Ausmerzung  eines 
Tages  den  Nundinalbuchstaben  immer  auf  F  zu  bringen ;  dies  ist 
aber,  namentlich  in  Gemeinjahren  in  dem  oben  dargelegten  System 
unausföhrbar ;  es  musste  also  das  System  geädert  werden. 

3)  Im  republikanischen  Kalender  finden  wir  hinter  den  Ter- 
minalien auf  a.  d.  VI  Kai.  Martias  einen  neuen  Festtag  das  -Re^i- 
fiigium"  angeset/,1,  das  im  Altherthume  allgeuiein  als  .Jahrestag 
der  Vertreibung  der  Könige  aufgefasst  ward;  uui^eblich  noch  später 
trat  a.  d.  III.  Kai.  Martias  unter  dem  Namen  „Eijuiria*  ein  neues 
Fest  binzUf  eine  Vorfeier  der  grossen  Marsfeste  im  März.  Nun  sollte 
das  Datum  dieser  beiden  Tage  unabänderlich  a.  d.  VI  und  a.  d.  III 
Kai.  Martias  bleiben,  und  dadurch  ward  es  unmöglich  zwischen 


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704  1>1K  ALTRÖIOSOHB  KALICMIXDL  ' 

Febroar  und  März  den  Schalimonat  einzufügen.  Es  mussie  daber 

dem  Schiiltmonate  eine  sndeie  Stelle  angewiesen  werden.  Wieder 

eine  Veranlas«uiig  zur  Aenderiin«?  der  Kalendcrtaiel. 

4)  In  der  Köui^szeit  hatte  das  Aiiit.sjabr  gar  keine  iiedeutiiiig; 
ja  es  ist  walirscheinlicli,  dass  der  Hegrift'  des  Amtsjahres  noch  gar 
nicht  ezistirte.  Dagegen  erhielt  durch  den  jährlichen  Wechsel  der 
Magistrate  in  der  Republik  das  Amt^jahr  hohe  Wichtigkeit.  Man 
wollte  die  Amtsjahre  möglichst  gleich  lang  dauernd  haben,  der  ToUe 
Schaltmonat  machte  eine  zu  grossen  Unterschied ;  es  musste  also 
das  Schaltsystem  geändert  werden. 

Ich  ghiube  diese  vier  Gründe  erklären  zur  Genüge,  warum  das 
republikanische  Horn  den  aus  der  Künigszeit  überkommenen  Ka- 
lender abändern  zu  müssen  glaubte.  Den  fünften,  die  Anordnung 
der  dies  &sti  übergehe  ich  absichtlich ;  nach  meiner  Ansicht  hat 
sie  mit  dem  was  hier  in  Frage  steht,  nichts  zu  schaffen. 

Wie  hat  man  nnn  den  Kalender  al)geändert  ? 

Bs  kann  mir  wohl  nicht  vorgeworfen  werden  den  alten  Ro- 
lui  rii  zu  gros.^e  Üuwi.<.senhoit  und  zu  grossen  Aberglan))en  zuzu- 
muthen ;  eher  kr)nnte  man  sagen,  ich  setze  bei  ihnen  ;^**nauere 
Kentnüts  des  Jahres  voraus,  als  mau  jenem  Zeitalter  beimessen 
könne. 

Nach  der  allgemein  acceptirten  Chronologie  wird  die  Vertrei- 
bung- der  Könige  aus  Rom  anf  das  Jahr  509  t.  Chr.  angesetat;  die 
beiden  DecemTiraljahre  fallen  auf  451 — 449  t.  Chr.  Meton  stellte 

seinen  19-jährigen  Cyclus  432  v.  Chr.  aus,  und  Eudoxus  ist  noch 
jiinger,  s«'iiie  Blütlie  fallt  unrs  Jahr  36l)  v.  Chr. Di»;se  kurze  Zusaiii- 
meustelhing  wirft  alles  über  den  Raulen,  was  über  den  Eintiuj^s 
des  Eudoxus  und  Meton  auf  den  alten  republicanischen  Kalender 
erträumt  worden  ist.  Zur  Zeit  der  Decemyiru  konnte  die  chronolo- 
gische Wissenschaft  in  Rom  keines£ftlls  weiter  Torgeschritten  sein, 
als  die  griechische  Octaöteris ;  dies  ist  wohl  za  merken. 

Die  oben  angeführten  Gründe  fQr  die  Reform  des  Kalender- 
wesens  nun,  haben  sirli  siehtrlich  nicht  iiut  einmal  und  zugl»*i'  ]i 
aufgeträngt  ;  aber  S('l}).st  wenn  wir  voraussetzen  würden,  mau  habr 
äich  nicht  eher  zur  Jieform  entschlossen,  als  bis  alle  vier  ausgetre- 
ten waren,  so  ist  doch  keineswegs  daran  zu  denken,  dass  man  das 
zu  lösende  Problem  etwa  in  der  Weise  auf  einmal  aufgefasst,  und  di- 


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DHB  ILTBAmSCiai  KAiniüVB.  705 

rect>  etwa  wie  ein  nuxkriHT  (relehrter,  eine  i*o  gründliclu'  iiiul  sys- 
tematische Lö.suiig  gesucht  ha)>e.  die  mit  einem  orguiiisch  ausge- 
arbeiteten neuen  Jüaleüdersysteme  den  vier  Bedingungen  geieclit 
werden  sollte :  dass  nie,  weder  der  Neujahrs-  noch  ein  Xonentag 
anf  emen  NundiDentag  falle,  dass  die  Datirong  des  Regifngium  und 
der  Eqniria  ständig  auf  a.  d.  TI  und  a.  d.  III  Kalender  Martias  Ter- 
blflibe,  nnd  die  Amisjahre  Ton  mdgliehst  gleicher  Dauer  sein  sollen. 
Denn  so  anfgefesst  und  mit  einem  Sehlage  gelöst,  hätte  das  Ph>blem 
zu  ganz  anderen  Resultaten  führen  müssen,  als  welche  die  unbe- 
zweiielhare  Tradition  Itewalirt.  Wir  sehen  ja  aus  dieser  zunächst, 
dass  man  dem  Charakter  des  Mündjahre>,  d.  i.  der  l'orderung  dass  die 
Kaienden,  Nonen  und  Iden  auf  die  wirklichen  Tage  der  Mondphasen 
fallen  sollen,  gänzUch  entsagte.  Hatte  man  aber  dies  bewusst  und 
absichtlich  gethan,  so  wäre  doch  am  einfachsten  und  natarlichsten 
gewesen,  gleich  auf  das  reine  Sonnei^ahr  überzugehen,  und  dies  so 
anzuordnen,  dass  man  z.  B.  einen  fanfjahrigen  Cjdnss  gebildet 
h%tte  aus  zwei  360  und  drei  JW8-tiigigen  Jahren,  die  nun  sämmtlich 
in  vollcii  Xundinen  ausgehend  den  einmal  festgesetzten  Nuudinal- 
buchötahen  V  fortwährend  unabänderlich  beibehalten  hätten ;  die 
gegen  das  t^oo-tägige  alte  Gemeinjahr  überschüssigen  5,  respective 
13  Tage  zwischen  Terminalia  und  llegifugium  eingefügt  hätten 
den  Schaltmonat  ttberflOssig  gemacht;  der  ganze  Cyclus  hätte  1B24 
Tage  umfasst,  wäre  also  nur  um  IV4  Tage  kQrzer  gewesen  als  5 
Sonneigahl«,  was  für  jene  Zeit  eine  ganz  respectable  denanigkeit 
gewesen  wäre?  Und  in  der  That,  wenn  man  die  LSsung  auf  theo- 
retischem Wege  gesucht  hätte,  so  bedurfte  es  auch  keiner  sonder- 
lichen Weisheit  auf  eiiK'  ähuliclie  Auskunft  zu  vertaHen. 

Aber  der  ccnservative  Itömergeist  konnte  sich  zu  so  durch- 
greifender Keiorm  und  Umgestaltung  nicht  entschliessen ;  nur  nach 
und  nach  und  schrittweise  trat  er  von  seinen  eingenommenen 
Standpuncte  ab,  und  Terliess  ihn  erst  dann  gänzlich,  als  ihn  ein  so 
eiserner  Wille  wie  der  Julius  Caesarea  dazu  zwang.  Bezflglich  der 
Reihenfolge  der  einzeln  Torgenommenen  Aendemngen  lässt  sich 
aus  der  Tradition  etwa  folgendes  entnehmen : 

Zunächst  wurde  wohl  un  der  aus  der  Königszeit  überkomeuen 
Kalendertatel  uiclits  geändert;  dif  freie  Verfügung  über  den  ge- 
wissen 355-ten  Tag,  genügte  das  Zusammentreileu  des  Neujahrs 


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70« 


mit  einem  Nundiiientag  sa  Terhüteii.  Aber  welcher  war  dieser 

merzbare  355-te  Tag  ? 

Null,  so  laii|j;e  die  Toriiiiiialicii  f luitsiiclilirh  ileii  .Iiilire.s>cjnuss 
liezf it'lineteii.  und  nach  iliueu  kein  weiterer  l'V>ttaj^  im  Februar 
i'oh^to.  konnte  es  kein  anderer  Tag  sein,  als  der  28-te  Februar.  Da 
die  Kaleuder-Commissioii  gegen  Ende  Januar  schon  im  Klaren 
darüber  sein  konnte,  ob  die  Anssehaltung  nöthig  sein  werde  oder 
nicht,  so  konnte  dieselbe  an  den  Könen  des  Februar  ohne  Weiteres 
yerkttndet  werden,  und  man  begann  einfach  naeh  den  Iden  Febnian 
a.  d.  XV  Kai.  Martias  zu  zahlen ;  als  aber  das  Kegifuginm  anf  a.  d. 
\'l  und  ilie  Ei|iiina  auf  a,  d.  IJI  Kai.  Martias  in  den  Kalender  ge- 
setzt wurden,  kouiito  der  28-te  l'ebruar  niclit  mehr  aus^esclialt«'t 
werden  ;  höchst  WHlirsckeinlich  war  \on  da  au  der  J9-te  Januar  der 
Aasschalttag. 

Als  nun  noch  die  Forderung  herantrat,  dass  auch  kein  Xo- 
nentag  anf  einen  Nundinaltag  fallen  sollte,  war  mit  der  Disposition 
über  einen  Tag  nicht  mehr  auszukommen.  Wahrscheinlieh  begann 
man  nun  zn  tatoniren.  Jener  355-ste  Tag  konnte  einmal  ausge- 
schaltet ohne  weitere  rngelegeuheit  auch  ganz  wegbleiben :  er  war 
ja  ohnehin  üherzähli^ :  wenn  man  a1  »er  aus  irgend  einem  Monate 
ein«'m  'l  aj^  ausgeschaltet  hatte,  damit  die  Nonen  des  nächsten  Mo- 
nate«  nicht  auf  einen  Markttag  fallen,  »o  musste  dieser  Tag,  wollte 
mau  in  Ordnung  l)l<'il)pu,  später  wieder  hereingebracht  werden.  Ja 
es  konnte  geschehen,  dass  diese  Ans-  nnd  Einschaltung  im  Verlaufe 
desselben  Jahres  zwei-,  selbst  dreimal  wiederholt  werden  mnsate, 
wie  z,  B.  wenn  die  ersten  Nundinen  des  Jahres  anf  a.  d.  IV  Nonas 
Martias  fielen.  Begre  iflicher  Weise  konnte  bei  diesem  Hin-  nnd 
Herschieben  der  Monate  ein  kleiner  Irrthnm,  eine  geringe  Unacht- 
samkeit leiclit  den  ganzen  Kalender  iu  Unordnung  hringen,  und 
ich  zweifle  nicht,  dass  in  der  ersten  Zeit  der  li<'puhlik.  wo  man 
am  meisten  das  Zusammentret^en  der  ominösen  Tage  zu  fürchten 
hatte,  solche  Verwirrung  mehrfach  vorgekommen  sein  wird. 

Dass  man  dann  noch  das  Begifugium  und  die  Equiria  Ton 
den  Kaienden  des  März  nicht  trennen  wollte,  hatte  znr  weiteren 
Folge,  dass  man  nun  auch  den  Schaltmonat  nicht  mehr  zwisdben 
Februar  nnd  Mfirz  setzen  konnte,  und  da  er  doch  am  JahresschhiM 
bleiben  sollte,  verfiel  man  darauf,  itiu  zwischen  Temiualieu  und 


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DBB  ALTBOUIHI'HI  KALBKDBR.  707 

Kfgitugium  eiiizuschit-ltcji.  Dadurch  erlii^^lt  die  Tageszähhmg  um 
St'hluss  der  iSchult  jahro  eine  ganz  andere  (  icstalt.  Man  zählte  nun 
nach  den  Iden  des  Febrnar  nicht  wie  sonst:  a.  d.  XV]  Kai.  Martias, 
sondern  :  a.  d.  XI  Kai.  Intercalares ;  daa  Datum  der  Terminalieu  war 
Pridie  Kai.  Interealare« ;  dann  begann  der  Schalimonat  mit  seinen 
Kaienden,  5-t&gigen  Nonen,  and  regelmässigen  Idas.  Hier  angelangt 
waren  noch  16  Tage  des  Schaltmonates  nnd  5  Tage  des  Februar 
übrig,  und  damit  diese  letzten  5  Tage  ihre  typische  Datirung:  o.  d. 
VT,  Y,  IV ,  III,  pridie  Kai.  Marfcias  nicht  einbttssen,  hätte  man  an- 
fangen müssen  zu  zählen:  a.  d.  XXI l  Kai  Martnis.  Das  wäre  nun 
zu  UDgeheuerlich  gewesen.  Mau  zählte  also  wie  in  andern  Monaten 
auch  hier  a.  d.  XVII  Knl.  Martias,  also  im  ganzen  noch  16  Tage, 
▼on  denen  aber  die  5  letzten  zam  Febrnar  gehörten.  Es  blieben  also 
dem  Schaltmonate  nnr  24  Tage,  und  5  Tage  fielen  ganz  weg;  und 
da  sich  dies  im  8-jährigen  Cydns  dreimal  wiederholte,  so  wurde 
dadurch  der  Gyclns  nm  15  Tage  TerkQrzt  Da  kam  man  nnn,  nm 
diese  15  Tage  herein  zu  bringen  auf  die  Idee,  in  den  8-jährigen 
Cvclu.s  ein  viertes  Schaltjahr  einzuführen ;  aber  man  hsitte  für  den 
vierten  Sclialtiuonat  nur  15  Tage!  Da  half  man  sich  denn  so:  Zu- 
nächst nahm  man  drei  24-tägigeu  Schaltmonateu  je  einen  Tag,  das 
gab  3  Tage ;  hiezu  fügte  man  noch  drei  Tage,  die  man  drei  um 
einen  Tag  auf  354  Tage  Terkttrzten  Jahren  nahm,  hinzu,  und  hatte 
»omit  drei  2d-tägige  und  einen  21-tagigen  Schaltmonat,  was  so  zu 
sagen  von  selbst  darauf  fährte,  dem  einen  23-tagigeu  Schaltmonate 
noch  einen  Tag  zu  nehmen,  und  damit  zwei  23-tögige  und  zwei 
22-tägige  sogenannte  Schaltmonate  zu  bilden,  und  den  S-jahrigeu 
Cjclus  80  zu  coustruireu : 

1.  Gemeinjahr  355  Tage  355  Tf^       5.  Gem.  355  Tage  355  T. 

2.  Sclmltjahr  854  +  23  377    .  6.  Sch.  354  +  23  377  . 

3.  Gemeinjahr  :i-.4  :^54    ,  7.  Gem.  Mol  354  , 

4.  bchaltjahr  355  +  22  Ml    .  8.  Sch.   355  +  22  377  „ 

Zusammen  2920  Tage. 

Das»  mit  Annahme  dieses  Cyclus  die  Röcksicht  auf  denMond- 
lAuf  ein  für  allenml  aufgegeben  war.  niusste  jedermann  einleuchten. 
In  l?»'/.iig  auf  das  Sonnenjahr  war  der  Cyclus  ziemlich  genau  ;  er 
ergab  ein  Durchschuittärjahr  von  365^/4  Tagen,  mithin  iu  b  Jahren 


706  DBK  ALVBOiaSCHB  KALVKDEK. 

einen  Fehler  von  4  Tagen,  der  wohl  dem  damaligen  Staude  der 
Wiaisensehatt  iüglich  zugeniuthcf  werden  kann. 

Aber  der  Cyclus  war  sehr  lje(]ueni.  Bei  dem  regeimiisaigtu 
Wechsel  der  Gemein-  und  Schaltjahre  konnte  mau  ihn  auch  uls 
zweijährig  betiachten,  und  etwa  so  forniuliren  :  Jeder  CjcIqs 
beginnt  mit  einem  Gemei^jahr  das  abwechselnd  355  und  354-t&gig 
ist,  und  schliesst  mit  einem  377'tagigen  Schall  jahr ;  oder  man  konnte 
aucLso  sagen:  im  zweijährigen  Cyclus  ist  das  erste  Jahr  immer  eis 
377-ifigiges  Schaltjahr,  das  zweite  abwechselnd  ein  o54  und  355- 
tilgiges  Gemeinjahr.  Wahrsclieinliih  ist  die  letztere  Formel  die 
beliebtere  geweben,  und  hat  vielleicht  mit  dazu  beigetragen,  dass 
Caesar  seinen  vierjährigen  Sclialtkrcis  mit  dem  Sclialtjalir  begann. 
Es  war  nun  nicht  mdiir  nothwendig  die  Kalendertafel  auf  8  Jahie 
auszudehnen,  es  konnte  auch  eine  zweijährige  genflgen ;  eine  vier- 
jilhi  ig)  entsprach  bis  ins  kleinste  Detail  jeder  Anforderung.  Dieser 
Umstand  mag  die  spätere  Nachwelt,  die  sich  bereits  in  den  vier- 
jährigen Schaltkreis  Caesars  hineingelebt  hatte,  auf  die  Vermuthuni; 
geführt  haben,  dass  sehen  ihre  Alt  vonlern  den  vierjährigen  Schall- 
kreis gekannt  und  benutzt,  und  nur  anders  eiugetheilt  haben.  Aui' 
Grundlage  dieser  Yermuthung  haben  auchMommsen  und  Hartmann 
ihre  Formeln  für  das  römische  Jahr  entworfen,  ohne  zu  bedenken, 
dass  zur  Zeit  der  Decemvim,  oder  noch  froher  der  vierjährige 
Schaltkreis  yon  1461  Tagen  den  Römern  unmöglich  bekannt  sein 
konnte. 

Warum  man  bei  der  Neugestaltung  des  Cyclus  nicht  auch 
formell  mit  dem  Mondjahre  gebrochen,  ist  unschwer  zu  err.ithen. 
£h  war  das  formelle  Festhalten  an  dem  mos  raajorum.  Der  ab- 
wechselnd 22  und  23«tägige  Schaltmonat  ist  historisch  b^lanl»gt, 
und  es  ist  gewiess  viel  wahrscheinlicher,  dass  man  tatonnirend 
rauf  gekommen,  als  dass  eine  theoretisch-wissenschaftliche  ziel- 
bewusste  Berechnung  darauf  geführt  habe. 

Uber  die  Epoche  der  Einfllhruug  dieses  neuen  Cyclus  gibt 
die  Tradition  directen  Aufsehl iiss.  Macrobius  uelimHch  sagt  (Sat 
1,  13,  21,):  „Tuditanufi  reiert  libro  tertio  magistratuum  decemviros 
qui  decem  tobulis  duas  addiderumt,  de  intercalando  populum  rogasse. 
Cassius  eosdem  scribit  auctores.**  Schon  Ideler  hat  sehr  richtig 
genrtheilt,  dass  hier  nicht  gesagt  sein  wolle,  die  Decemvim  hätten 


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zuerst  die  SSchnItung  Oberhanpt  eingeft&hH,  sondern  dass  sie  eine 
Modification  der  bereits  frUher  eingefahrten  Scbaltang  beantragt 
haben  :  und  auch  Mommsen  ist  dieser  Meinung.  Ich  bin  fest  Uber- 

zfMigt,  (liiss  der  Antrag  der  Doi-einvirii  pben  dio  entwickelte  SchaU- 
weise  vorschlug  und  diese  durchsetzte.  Das  ganze  »System  zeigt 
übrigens  oflfeiibar  das  Gepräge  eines  Verniittlungsvorschlages,  der 
indem  er  den  Anfordernnj^jen  einer  nchtigen  Zeitreehnnng  gerecht 
werden  will,  doch  anch  schonend  die  alt  hergebrachten  Formen 
beibehält. 

Wie  es  nun  in  solchen  Fälleu  immer  zutriflPb :  der  Vorschlag 
der  allen  Fordeningen  gerecht  werden  wollte,  genügte  eben  darum 
keiner  von  allen  vollkommen.  ZnnSchst  liegt  es  auf  der  Hand,  das» 
da.s  neue  8ysten\  :mt*<las  Fernhalten  <l<'^  Xenjahrs  und  der  Nonen 
von  den  Nundiiwn  gar  keiu<:  Kiicksicht  nahm.  Vielleiclit  war  die 
Furcht  vor  diesem  Znsammentreffeu  zur  Zeit  der  Decemvirn  bereits 
geschwunden.  Die  Notiz  hei  Macrobius  (Sat.  1,  13,  17):  „nam  (pio- 
tiena  incipiente  anno  dies  coepit  qni  addictus  est  nundinis,  omnis 
ille  annus  in&ustis  casibus  luctuosus  fnit,  maadmeque  Lepidiano 
tumultu  opinio  ista  firmata  est^S  beweist,  dass  solches  Zusammen* 
treffen  in  der  That  Toigekommen,  wenn  auch  Dio  Cassius  (40,  47) 
von  dersell)en  Sache  sprechend,  aus  einem  leicht  begreiflichen  Irr- 
thnm  den  1.  Jannnr  für  den  Nenjalirstag  nimmt.  Dennoch  glanl>e 
ich,  dass  das  neue  Sy.stem.  die  Vollmacht  der  pontiHcisciien  Kalen- 
dercommission,  durch  Aus-  und  Einschaltung  einzelner  Tage  sol- 
chem ominösen  Zusammen tretleu  möglichst  vorzubeugen,  im  Prin- 
cipe unangetastet  liess.  Bs  hatte  aber  das  System  noch  den  andern  - 
Fehler,  dass  der  darnach  constmirte  Kalender  in  je  zwei  Jahren 
um  einen  ganzen  Tag  zurClckblieb;  ja  wenn  man  aus  Versehen, 
oder  um  jenes  Zusammentreffen  zu  yermeiden,  auch  die  354-tSgi- 
gen  Jahre  filr  .*?5.5-tägig  nahm,  betrug  die  Retardation  in  jedem 
Jahr  einen  ganzen  Tag:  und  um  diesen  nachzuholen,  wurde  nach 
je  2^^  Jahren  ein  '2:i-tägiger  Sehaltmonat  einfach  weggelassen.  E« 
int  dies  der  24-jühj*ige  Ojclus,  den  Livius  beiläuiig  erwähnt. 

Wird  man  mir  nun  einwerfen,  alles  bisher  gesagte  heruhe 
auf  willkahrlich  combinirten  Gonjecturen,  so  habe  ich  darauf  zu 
erwiedem,  dass  dies  in  der  Natur  der  Sache  liege.  Die  alte  Tradi- 
tion liefert  mir  eben  so  wenig  detaillirte  Belege  Oir  alle  meine  Be- 


üiyitizcü  by  VdDOQle 


710  •'HRR  AL'Wd^aCBB  KASKOSH. 

Imupitiiigeii,  ak  andern;  aber  ich  habe  den  Umstand  für  mich,dM9 
teeine  Resultate  mit  der  wirklichen  Tradition  stimment  imd  dass 

diese  Übereinstimmung  sicli  angezwunfjen,  Tenmnftgemass  nnd 
iolgerichtii^  or<;il)t.  was  gowiss  nicht  gering  anznschlngon  i>it. 

ünzweitelhaft  hal)en  die  Decemvirn,  als  sie  ihren  Vorschlag 
einbrachten,  ihr  System  in  einer  ausfli lirlichen  Kalendertatel  dar- 
gelegt. Die  Mehrzahl  der  Gelehrten  zieht  dies  so  wenig  in  ZweileU 
dass  z.  B.  Mommsen  geradezu  behauptet,  diese  Kalendertafel  sei 
ein  integrirender  Theil  des  Zwölflafelgesetzes  gewesen.  Dagegen 
sucht  mm  Hartmaun  darzuthun.  dass  die  Anordnung  des  Kalenders 
gar  niclit  in  den  Ifahnien  jener  ^resetzgehung  gehörte.  Nun.  di»' 
Untersnchnng  üher  den  Umfang  des  Mandates  der  Decemvirn,  ist 
hier  völlig  müssig.  Die  Tradition  sagt  uns,  die  Decemvirn  hütteu 
einen  auf  die  Schaltung  bezüglichen  Antrag  Yor  das  Volk  gebracht; 
aus  der  Geschichte  kennen  wir  das  Schaltsystem,  das  nach  den 
Decemvirn  im  republikanischen  Rom  tiiatsäehlich  in  Anwendung 
war;  die  natflrliche  Folgerung  ist  nun,  dass  diese  thatsachliehe 
SehaUnug  eben  die  von  den  Deeeinvirn  vorgeschlagene  und  durc  h- 
gesetzte ist.  Aber  die  (relelirten.  dio  dies  in  Abrede  stellen,  haben 
Weiteres  im  Auge.  Um  sich  die  au  Cn.  Flavias  geknüpfte  dunkle 
Sage  zu  erklären,  mCtesen  sie  daran  festhalten,  dass  die  von  den 
Decemvirn  zusammengestellte  Tafel  nie  veröffentlicht  worden  sei. 

Die  auf  Gn.  Flavius  bezüglichen  Angaben  finden  sich  bei 

Livius  (9,  4<i,  4)  ;  Cic.  pro  Mut.  11,  25;  Val.  Max.  2,  5,  2;  Plin. 
mit.  lii.st.  .3:5,  1.(3(17);  Macroi).  Sat.  1.  15,  Unglauldicli,  und 
doch  wahr;  nniii  hat  ans  diesen  heran.sgele.<«ea,  die  Pontitices  hatten 
das  Geheimnis s  des  Kalender weseus  sorgfältig  bewahrt  ;Cn.  Fla- 
vius habe  sich  auf  irgend  eine  Weise  eine  genaue  Abschrift  davon 
yerschafft,  und  dieselbe  öffentlich  ausgestellt,  mithin  das  Geheim- 
niss  verrathen  (450  n.  R.  E.). 

Was  war  nun  dies  Geheimniss  ? 

Man  behauptet,  es  sei  dies  eine  Kalendertaf»'!  g«'west*n,  die 
die  Einrichtung  des  Jahres  und  das  System  der  ordentlichen  und 
ausserordentliehen  Schaltungen  detaillirt  nachwies,  und  den  Pon- 
tifices  als  Richtschnur  diente  zur  Oontrole  und  Orientirung  der 


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ikueu  aiilieim  gegebenen  ansMerorclentliclien  Aus-  und  Eindchaltuii* 
^en,  nnd  der  dadnrcli  eventnell  eutstandeuen  Verwhrrnugen.  Hat 

nun  tliesf»  lic'li;iui>tiuig  eiiu'ii  stichhültiijon  (inmd? 

Wir  haben  gcselieu,  das8  bei  der  Beäclilnssfassniio'  über  das  ' 
neue  Schaltsystera,  die  demsel))en  angepasste  Kalendertafei  vor- 
gelegt sein  mnsste ;  es  ist  doch  undenkbar,  dass  eine  Versammlung 
—  sie  mag  aus  was  immer  für  Elementen  bestehend  gedacht  wer- 
den —  über  etwas  unbekanntes  abstimme.  Kann  nun  das  ein 
<jreheimniss  geblieben  sein,  wa3  einmal  öffentlich  vorgelegt  warH 

Man  Ivtiiiiite  ilnu  gugeiiülun*  sag»'ii :  ja.  wohl  wnnh'  dif  Tafel 
dem  gesetzgebenden  Conutimii  vorgelegt,  aber  die  Plebejer  hatten 
an  diesen  Versammlungen  kein  Theii;  es  wird  ja  aber  überall  nur 
behauptet,  die  Plebejer  hätten  das  Geheim  niss  nicht  gekannt,  die 
Patricier  wären  eingeweiht  gewesen. 

Dnranf  enviedere  ich:  es  ist  nicht  glaublich,  dass  seit  Servins 
Till) ins,  ixlev  .sag^^i  wir,  seit  V«»rtroibui)g  der  Könige  in  l»om  gc- 
s('t/.gel)eii(le  \  <)lks5V»'i  suiiinihiiigen  statt  gefuiidtMi  hiitteu,  au  deuten 
nic'lit  wenigstens  Vertreter  «1er  Plebs  theilgeuonunen  hätten  ;  doch 
will  ich  mi«di  hierauf  nicht  einlassen :  e«  Avürde  /u  weit  führen. 
Nehmen  wir  also  an,  die  grosse  Menge  der  Plebs  habe  die  £Lalen* 
dertafel  nicht  gekannt. 

An  den  Kaienden  eines  jeden  Monates  verkündete  der  Pon- 
tiiex  Minor  den  Xonentng :  an  dt-n  Xoiien  wurden  die  in  den  Mo- 
nat fallenden  Festtage  verkiuidigi dies  konnte  also  jedermann 
wissen.  Wo  bleibt  das  CTeliei.nniss  ? 

Ja  aber  die  Pontifices  hatten  Vollmacht  zur  Vermeidung  des 
Zusammentreflfens  von  Nonen  und  Nundinen  einzelne  Tage  ans- 
und  einzuschalten,  und  machten  davon  ausgiebigen  Gebrauch. 
Diese  ausserordentlichen  Schaltungen  konnte  man  nicht  vorher 

wissen,  und  die  Pontiiiees  hielten  ihre  diesbezügliehen  Beschlüsse 
geheim,  um  eventuell  zur  Eri-f'icltiing  von  Sonderzweckeix  ohne 
Noth  und  ganz  willkührlich  schalten  zu  können. 

Das  sagt  nun  mit  vielen  Worten  gar  nichts.  So  viel  wusste 
man  gewiss,  in  welchen  Monaten  die  Nonen  auf  den  fünften,  und 
in  welchen  sie  auf  den  siebenten  Tag  fielen,  das  war  ja  unabänder- 
lich festgesetzt.  Eis  ist  in  der  Oberlieferung  auch  nicht  die  geringste 


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712.  1)KR  ALTROmstllK  ffALhVDRR. 

Spur  daTon  zu  endeckeu,  flasi*  die  WillkGhr  der  PoiitiiiC4»8  hieran 
-  je  gerQttelt  hätte. 

Eben  so  wenig  ist  ein  Beispiel  nAchweisharf  dass  wegeu  will* 

kührlicher  Scluilhing  der  Pontifices  zwischon  Noiien  und  Iden  je 
mehr  otler  weniger  Tug^  gefallen  wären,  als  (ben  sirbriL 

Die  Willkülir  hatte  «U'ninach  nur  in  der  zweiten  Hlillt«^  <h  - 
Monats,  uacU  ii  Idon.  freien  Spielraum,  und  auch  da  nur  iu  den 
let%teu  Tagen  des  Monates ;  denn  zwischen  die  an  den  Xoiien 
bereits  verkündigten  Feiertage  konnte  nichts  eingeschoben,  aber  es 
konnte  von  da  auch  nichts  ausgelassen  werden.  Es  konnte  aUo  die 
ganze  Willkühr  nichts  weiter  zur  Folge  haben,  als  dass  die  Kalen- 
den  des  nächsten  Monats  um  einen  Tag  IrQher  oder  s|Ater  eintra- 
t<Mi.  AlM'r  auch  hienn  war  kein  liauni  t'iir  l'l)errft8chungen.  Schon 
ans  Riieksieht  auf  die  rfiiniselie  Ziihlungswi'ise  der  Tage,  iniisst«'n 
di»'  dieshe/üglicheu  Aiiordnnng<*n  an  «len  Iden  bereits  l)ekaiiui 
ginnaeht  sein.  Ich  kann  also  hier  durchaus  kein  (lebeimuisa  eatde- 
ckeUf  dessen  Veröffentlichung  dem  Publicum  einen  grossen  nnd 
wichtigen  Dienst  hätte  leisten  können. 

Es  bleibt  also  nur  eine  einzige  Ausflucht  Es  war  das  Sjatem 
der  dies  fasti,  das  geheim  gehalten  wurde.  Die  Tradition,  und  die 
Neueren  wissen  zu  erzühlen:  es  wäre  der  Plebejer  grnr»thigt  gewe- 
sen sich  an  den  Pontifex  zu  w«'ndeu,  um  zu  evfaliren,  oh  der  l'ra»  - 
tor  an  einein  gewissen  kilnftigeu  Tage  in  seiuer  liechtssache  ein 
l-rtle  il  fällen  könne  oder  uieiit. 

Da  fragt  es  sich  denn  zunächst,  ob  es  wohl  in  den  all  sten 
Zeit-en  irgend  ein  Prineip  oder  System  gegeben  habe«  wonach  die 
Gerichtstage  in  dem  Jahre  vertheilt  waren,  oder  nicht  Gab  es  ein 
solches,  so  konnte  es  nicht  in  der  WillkOhr  der  Pontifices  liegen, 
ob  ein  gewisser  Tag  fastus  sein  soll  oder  nicht ;  denn  war  einmal 
die  Stelle  und  Reihenfolge  der  Festtage  verkttiidigt,  so  waren  ja  die 
zwischen  dieselben  fallenden  Ta;^^e  festgelegt,  und  nach  Zahl  und 
Reihe  so  zu  >^agcii  gcl^uiidm  ;  andererseits  war  es  ja  nicht  nur  dem 
|M<)cessirenden  l?lel)ejer  nothwendig  einige  Tage  vorher  zu  wiesen, 
wenn  das  fas  eintrete  ;  auch  der  Rechtspreclieude  Praetor,  der  öftent- 
lich  fungierende  Gerichtsredner  und  Anwalt, der  fiechtseonsulent, der 
den  Partheien  Rath  ertheilte  Ober  Art  und  Form  der  einzuleitenden 
Aetion,  mnsAten  es  ja  wissen ;  es  war  also  auch  hier  kein  Raum 


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♦  .      -  ■ 

t 

PER  ALTBOMlsniE  KALENDER.  718 

Überraschungeii.  Oab  es  aber  keiu  Rolrhes  System,  so  kounte  es 
auch  nicht  in  eine  Tafel  gehrncht  und  veröffentlicht  werden. 

Es  hatten  nnn  aber  die  Pontifices  eine  genetslich  ertheilte 
Vollmacht  snr  Anordnung  atMserordenilicherScIlaltiingen  oder  nicht; 
hatten  sie  eine  solche,  so  konnte  die  von  wem  immer  veianlajiBte 
dfFcntliehe  Anestellung  einer  Kalendertafel  sie  dieser  yollinaeht 
nicht  entkleiden,  wenn  sie  ihnen  nicht  durch  ein  diesbezüglich 
speciell  beliebtes  Geset/.  förmlich  genommen  ward ;  blieb  ihnen  die 
Vollmacht,  so  war  mit  Veröffentlichung  der  Tafel  nichts  erreicht. 
Hatten  sie  eiue  solche  Vollmacht  nicht,  so  kann  es  sich  nur  um 
einen  Missbrauch  gehandelt  haben,  den  sich  die  Pontifices  erlaub- 
ten» und  da  entsteht  die  Frage  :  cui  bono  P  Bedenken  wir,  dass  die 
ganse  Gewaltthat  nichts  weiter  zur  Folge  haben  konnte,  als  dass 
die  Einleitung  eines  Processes  um  ein  zwei  Tage  sieh  verschob, 
was  fßr  grosses  Interesse  irgend  einer  Partei  konnte  hiedurch  auf 
dem  Spiele  stehen  ?  Wer  einen  Process  einleiten  wollte,  konnte  ja 
beim  Pontifex  anfragen.  Oder  fürchtete  er  etwa,  dass  man  ihm  aus 
persönlichen  Grfinden  die  Auskunft  verweigern  werde  ?  Hält  man 
denn  den  römischen  Plebejer  für  so  einfältig,  dass  er  in  solchem 
Falle  nicht  jemand  andern  schicken  konnte,  der  solches  nicht  zu 
ftürchten  hatte?  EndUeh  liesse  sich  sogar  noch  nachweisen,  dass 
den  Pontifices  fttr  die  Ertheilnng  solcher  Auskünfte  kein  Honorar, 
keine  Taxe  gebohrte! 

Ich  spreche  absichtlich  nur  von  den  dies  fast! ;  denn  um  die 
Abhaltung  politischer  Versammlungen,  ocU  r  die  Heschlussfasaung 
in  solchen  zu  verhindern,  hatte  man  ja  einfachere  Mittel,  als  die 
Zerüttung  des  Kalenders. 

Ich  kann  also  durchaus  das  Geheinmiss  nicht  entdecken,  das 
Cn.  Flavius  verrathen  haben  soll.  Hat  er  wirklich  etwas  verrathen, 
so  konnte  es  nichts  von  Belang  sein.  Den  Verrath  eines  wichtigen 
Geheimnisses  hätte  jene  Parthei  gewiss  nicht  ruhig  lungenommen, 
die  damals  sicher  noch  machtig  genug  war,  den  Yerrfttfaer  zu  be- 
strafen, oder  sich  an  ihm  zu  lachen.  Die  Tradition,  die  derlei  Dinge 
nicht  zu  verschweigen  pflegt,  weiss  aber  von  einer  solchen  Rache 
oder  Strafe  nichts  zu  erzälilen. 

Wenn  ich  aber  in  Betracht  ziehe,  das«  im  Jahre  G3ß  Roms 
ein  neues  Gesetz  (lex  Acilia)  nötbig  war,  um  den  Poutifices  die 

Cng&riBcbe  Rtvne.        VUt— IX.  Heft.  40 


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714 


Vollmacht  zu  ortlieilfii,  die  Schaltung  iiacli  ihrem  Ermesseu  anzn- 
ordnen;80  ist  die  Vermiitlmnjr  l)orecliti^,  dass  irgend  ein  frühe- 
res Gesetz  ihneii  diese  VoUmacht  genommen  haben  müsse.  Dies 
mftg  80  gesehehen  sein,  dass  Gn.  Flavias,  der  wahrgenommen  hatte, 
dass  die  Pontifiees  entweder  in  wülktlhrlicher  VollniflditsQbef- 
tehreitting,  oder,  was  wahrsclieinlieher  ist,  dnrch  AehÜosigkdt 
oder  Nacfhlassigkeit  in  Besorgung  der  ihnen  übertragenen  FnnctiMi 
den  Kalender  gar  oft  ohne  alle  Noth  in  Verwirrung  brachten,  eine 
Agitation  einleitete,  um  dem  Uebel  abzuhelfen.  Man  hatte  keinen 
Grund  mehr  das  Zusammentreffen  von  Nonen  und  Nundinen  zu 
meiden,  and  so  konnte  es  ihm  gelingen  nieht  nur  den  Plebejern, 
sondern  auch  den  Patrieiem  begreiflieh  zu  machen,  dass  die  den 
Pontifices  übertragene  Volhnacht  fiberflQssig  geworden  seL  So  kam 
nun  ein  Cömpromiss  zn  Stande,  worin  die  Sdinde  sieh  dahin  einig>- 
ten,  den  bestehenden,  Kalender  —  vielleicht  mit  einigen  unbedeu- 
tenden, eben  Yon  Cn.  Flavius  selbst  vorgeschlagenen  Modificationen 
—  definitiv  festzulegen,  und  zur  allgemeinen  Orientining  in  Tafeln 
gefasst  öffentlich  am  Fomm  atifzastellen.  Die  Tradition  erwähnt 
den  Oompromifls  nicht,  er  war  ohne  Kampf  zu  Stande  gekommen; 
aber  sein  Urheber  hatte  das  Verdienst  dem  »Schwanken  des  Kalen- 
ders ein  Ende  gemacht  zu  haben,  nnd  dämm  ward  sein  Namen  be- 
wahrt. Die  Pontifices  hatten  dabei  ein  im  Grunde  ganz  werthloses 
Privilegium  eingeliüsst,  und  keine  Ursache  sich  darri))er  zn  grämen. 

Höchst  wahrscheinlich  hörte  mit  Aufstellung  der  Kaleiider- 
tafel  die  bis  dahin  übliche  Verkündigung  an  den  Kaienden  und 
Nonen  ganzlich  auf. 

Obgleich  man  nun  zu  dieser  Zeit  in  Born  die  Torbeeserten 
-griechischen  Mondsonnenkalender  bereits  kannte,  scheint  es  den- 
noch, dass  auch  die  neu  aufgestellten  Kalendertafeln  noch  ziemlieh 
unvollkommen  waren.  Eben  durch  das  Festlegen  des  Kalenders 
mussten  sich  die  demselben  anhaftenden  Ungenauigkeiteu  von  Jahr 
za  Jahr  summiren,  und  im  Laufe  von  ungefähr  200  Jahren  sich 
eine  derartige  Discrepanz  zwischen  Kalender  nnd  Himmel  henuuK 
stellen,  die  man  nicht  mehr  ertrftglich  land. 

Hatte  man  sich  nun  zu  einer  radikalen  Reform  entschlossen« 
so  wäre  vielleicht  im  siebenten  Jahrhundert  Roms  daselbst  schon 
so  viel  astronomisches  Wissen  vorhanden  gewesen,  dass  mau  eiueu 


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TOU>I  OMO  PIBOSCmCA.  2t9 

erimgliehen  Kalender  hätte  constrniren  können.  Allein,  der  mos 
niajorum  war  noch  so  stark,  ilass  man  von  der  hergebrachten  Jah- 
resforin  uit  lit  lassen  wollte ;  ila  war  nun  al)eroline  ausserordentliche 
Schaltung  nicht  auszukommen.  Einen  Schlüssel  zur  detinitiven  lle- 
gehing  dieser  konnte  man  aber  wahrscheinlich  nicht  ausfindig 
machen.  Da  entachloss  man  sich  636  den  Aciliachen  GeaetsTor- 
aehlag  anzunehmen,  der  aber  über  das  Ziel  hinaussehoss,  da  er 
mit  Bfleksicht  darauf  dsss  die  Flavische  Kalendertafel  ^ich  als 
&l8ch  erwiesen  hatte,  nun  das  ganze  Scfaaltwesen  dem  Ermessen, 
das  heisst  der  Willkühr  der  Pontificea  anheim  stellte. 

Was  nun  folgt  ist  historisch.  Die  Verwirrung  I^rachte-  als 
Reaktion  die  grüiuUiclu'  l?el"orni  Caesar's  v.u  Stande,  und  ich  be- 
merke zum  Sßhluss  nur  noch,  dass  ich  d^n  Ausführungen  Hart-  • 
mann's  gegenüber  Mommsen's  Ansicht  über  den  aunus  coufusiouis 
für  den  geistreichsten  nnd  gelungensten  Theil  seiner  chronologi- 
schen Arbeit  halte. 

Elansenbnrg,  am  1.  September  1882. 

Dr.  Hbduugh  FmiLT. 

TOLDI  mi)  PIKOSCHKA.  : 

—  Ans  .Tobann  Arany*«  Dicbtiinfir  •  «ToldiV  Liebe.**  — 

Vorltarnrhung.  Die  magyarische  Heldensage  von  Toldi,  welche 
schon  im  Jahre  ir»74  die  Grundlage  von  Peter  Ilosvai's  Toldi-Dichtung 
bildete,  hat  ia  Johann  Arany  ihren  ▼ollendetsteu  Interpreten  gefunden. 
Während  eines  Zeitranmes  von  Aber  30  Jahren  kehrte  Arsay  zu 
diesem  ihm  lieb  gewordenen  Stoffe  immer  wieder  zurück.  Im  Jahre  1847 
ersehlen  die  poetische  ErzAhlnng  „Toldi**  in  XII.  GesBngen,  und  im 
Jahre  1854  „Toldi's  Abend",  *  nachdem  schon  vorher  (1851,  im 
„Losonczer  IMioenix")  der  erste  Gesang  der  „Ileldenzeiten'*  erschienen, 
und  somit  eine  Toldi-Trilogie  angedeutet  war.  Unerwartet  und  zur 
allgemeinen  Freude  der  Nation  veröffentlichte  Arany  im  Jahre  1879 
die  poetische  Erzählung  „Toldi\s  Liebe",  —  die  Trilogie  war  vollendet. 
Der  erste  Theil  derselben,  ffToIdi**,  schildert  die  Jugen4jahre  des  Hei« 
den,  der  unter  BauemheschSfUgungen  aufwachsend,  das  ünwttrdige 
seiner  Lage  mit  tiefem  Seelenscbmerx  empfindet,  wfthrend  sein  Blterer 

*  Beide  öbenetst  von  Moriz  Koibeuheyer.  i'ettt,  1855,  18*>(}. 

46' 


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TOLDi  UND  moficmu 


Bruder  George,  der  am  Hofe  lebt,  ihn  um  ?em  Erbe  zu  bringen  trselitet 
Bei  Gelegenheit  eines  Festmahles  reizen  Gcurg  ä  (Gesellen  'IVtlrli  >o 
lange,  bis  dieser  seine  bisher  geübte  Langmuth  abwerfend,  einen  der- 
selben erschlügt  und  dann  entflieht.  Er  begibt  sieb  nach  Ofen,  and 
will  von  König  Ludwig  seine  Begnadigung  <irfle1ien.  Im  Friedhofe  n 
Pest  begegnet  er  einer  traaemden  Wittwe,  die  ihre  zwei  gefidlenMi 
Sohne'  beweint ;  ^  czechieeher  Bitter  hatte  beide  im  Zweilaunple  ge- 
tödtet  Toldi  besiegt  den  Czecben,  und  wird  yom  Könige  an  den  Hof 
gezogen,  während  sein  Bruder  Georg  davon  verbannt  wird. 

Vom  zweiten  Theile  der  Trilogie,  gibt  die  hier  folgende  Tber 
setzüng  den  ersten  Gesang.  *  Die  Absiebt  des  Übersetzers  geht  dahin, 
die  Haaptmomente  ans  »Toldi's  Liebe*^,  soweit  sich  diese  anf  Toldi 
nnd  Piroeka  unmittelbar  beuehen,  getrennt  Ten  den  Kriegsepisoden  zo 
tiberfeagen  nnd  so  enger  zusammenznfhssen.  In  Betraofai  der  Sdiwie* 
rigkeiten,  mit  welchen  eine  Übertragung  der  an  EigenthflmlichlceHea 
reichen  Sprache  Aranj's  verknüpft  ist,  weiss  der  Übersetzer  sehr  wohl, 
dass  es  ihm  nicht  immer  glücken  wollte,  allen  Anforderungen  zu  ent- 
sprechen, besondei-s  da  er  möglichst  treae  Wiedergabe  des  Originals 
anstrebte;  doch  hofft  er  TOn  dem  Fortgange  der  Arbeit  weitere  Fördemng 
nnd  empfiehlt  dieses  erste  Stück  seiner  Leistung  freondlicher  Beaehtong. 

1.  Hehre  Heldenzeit !  an  deines  Glanzes  Jahre 
Denkt  zurück  und  seufzet  bfiufig  der  Magyare; 

Und  auf  seines  Kuhm's  verödeten  Gefilden 

Sucht  er,  ach,  umher  —  ein  Mährchen  sich  zu  bilden. 

Meine  glüh'nde  Seele  sucht,  von  Leid  gekränket, 
Trost  in  längst  verklung'ner  Zeiten  Flut  verdenket : 
Und  wie  der  Verstorb'nen  (ieister  mich  umschweben, 
Geben  mir  die  Todten,  was  versagt  das  Leben. 

i.  So  gedenk  ich  Toldi^s,  dem  in  Mhem  Zeiten 

begeistert  mnst  sich  meine  Lieder  wmhien: 
Wenn  mein  Lied  nur  schlicht  nnd  sebmncklos  andi  gelungen: 
-    Warm  und  rein  ist  es  dem  Herzen  mir  entsprungen. 

Oh  l  dass  —  ni(  ht  um  Ruhm  und  flfichtiges  GepriBgeb 
Zn  erlangen  nicht  der  Müssigeu  Gedrftnge, 
Nur  verjüngt  noch  einmal  durch  der  Jugend  KISnge  — 
Oh,  dass  mir  noch  einmal  solch  ein  Lied  gelfinge! 

*  Es  ist  dies  sqgieieii  des  oben  erwähnte  erste  Oosang  der  ^.Heldeih 
Seiten**  ans  dem  „Lo8oncs<'r  Phoenix." 


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TOLDI  inUD  PIKOSCETA. 


3.  Ludwig*«  jttngus  Haupt  trägt  UngiunV  Königskrone, 
Ihn  umsteht!  des  Reiches  Bitter  und  Barone. 
Schon  in  Ofen  thront,  im  nea*n  Palast  er,  droben, 
Jöngst  in  märchenhafter  Pracht  erst  dort  erhoben. 

Dort  bei  Eitterspiel  und  testlichem  Gelage 
Lebte  wohlgemut  Held  ToMi  seine  Tage  ; 
Seinem  Winke  folgen  viele  edle  Knai)pen, 
Des  besiegten  Czechen  Haupt  trügt  er  im  Wappen. 

4.  Und  beendet  war  der  Krieg,  und  holder  Frieden 
War  nacli  langem  Kampf  dem  Lande  neu  beschieden. 
Der  verdienten  Ruhe  ^icli  die  Krieger  freuten, 
Kräfte  sammelnd  nun  /-u  neuen,  schweren  Streiten. 

Doch  der  König  flieht  der  Ruhe  weiche  Ki^5^en, 
Sein  mntvolles  Herz  will  nimmer  Thaten  missen. 
An^  binaiis,  so  spricht  er,  will  nim  Bimdflehaii  Iialten, 
ifir  geziemt  es  ja  des  Beiolies  wohl  zu  walten. 

5.  Doch  dem  Hofe  bleibet  sein  Entschlnss  verboigen, 
Was  er  selbst  erdacht»  will  Ludwig  selbst  besorgen; 
Angetan  anf  ftrmHeh,  nnscheinbare  Weise, 

Unbemerkt  von  Allen  tritt  er  an  die  B^se. 

Suchen  will  er  Pferde,  die  man  ihm  entführet, 
Horcht  dabei  auf  alles,  was  sich  regt  und  rühret; 
!Merkt  auf  jede  Klage,  will  mit  eignem  Blicke 
Sehen,  was  vielleicht  das  arme  Volk  bedrücke. 

6.  Angebrochen  war  die  dritte  Tageswende, 
Als  der  König  hielt  an  eines  Dorfes  Ende. 
Ringsum  reiche  Saaten,  üppig  grüne  Haide  ; 
Dort  stieg  er  vom  Rosse,  dass  es  ruhig  weide. 

Auch  die  Sonne  neigt  sich  schon  zur  Tagosfeier, 
Deckt  das  schöne  Antlitz  mit  dem  Wolkenschleier; 
Doch  wo  findet  er  wohl  eine  Ruhestätte  ? 
£in  gutherziger  Busch  giebt  ihm  vielleicht  ein  Bette. 

7.  Ein  gar  stattlich  Haus  stand  an  des  Dorfes  Ende^ 
Freundlich  mutheten  ihn  an  die  weissen  Wttnde; 
Weitgeöflnet,  schien  das  Thor  ihn  einzuladen. 
Dortbin  lenkt  er  nun,  sein  mttdes  Boss  zu  laben. 

Gleich  umringten  ihn  die  Hunde  mit  Gebelle : 
Doch  ein  lieblich  Mttdchen  an  des  Brunnens  Schwelle 
Herrscht  die  Hunde  an,  und  hatte  kaum  gesprochen, 
Als  sich  diese  auch  gehorsam,  schnell  verkrochen- 


mbl  VhD  PIJtOSCHKA. 


8«  Ünd      sprach  der  König :  ^Sdidne  Ifaid,  gMtattet, 
Dass  mein  Boss  ieh  tränke,  so  vom  Weg  ermattet!" 
„TnVs  nur**,  rief  das  Mftddien  freonälitä  tbm  entgegen, 

.    «Armer  Frönder,  —  wohin  wdli  ihr  hent  noch  gehen? 
n  Besser  wird  63  sein,  wenn  ihr  bei  uns  verweilet, 
Hat  wohl  morgen  Zeit,  wenn  ihr  dann  weiter  eilet/ 
Und  zam  guten  Wort  blickt  sie  so  freundlich,  offen, 
Dass  der  König  sich  im  Herzen  fühlt  getroffen. 

9.  „Dank  euch",  rief  der  König,  „iloch  mir  i:<t's  verwebiet, 

Nie  hab  ich  in  solchem  grossen  Haus  verkehret 

Sehen  will  ich,  wo  ich  andre  Herberg  finde, 

Zum  Herrn  pasj?t  der  Herr,  zum  Niedern  der  (ieiinge.'' 

Dieses  hört  <ler  Hausherr,  der  nahe  zugegen, 
ünd  gebieterisch  ruft  er  dem  Gast  entgegen  : 
„Nicht  doch,  lieber  Freund,  so  darfst  du's  nicht  betrachten I 
Wer  hier  abends  ankommt,  muss  auch  übernachten/ 

10.  Und  auf  seinen  Wink  herbei  der  Diener  eilet : 
„In  den  Stall  das  Pferd  mir  fliliret  miTerweilet, 
Und  ihr,  lieber  Fzennd,  herein,  seid  mir  willkornmen, 
Kner  Widersprach  soll  enoh,  bei  Gott,  nichts  frommeiu' 

Und  der  König  Itthlt  darob  ein  Irendig  Bfihren, 
LAsst  sich  willig  m  die  Herrenstabe  fObren. 
1>ort,  ihm  nützt  kein  Sträuben,  mnss  er  sieh  bequemen, 
Seinen  Plats  zu  oberst  an  dem  Tiseh  sn  iiehmeB. 

11.  „Piroschka,  mein  Engel  ^,  ruft  der  Hen'  dem  Kinde, 
..Bring  im  blanken  Kruge  Wein  herauf  geschwinde!** 
Flink  gehorcht  Piroschka.  und  im  Augenblicke 

Mit  dem  vollen  Kruijc  kehrt  sie  dann  zurücke.  ' 

-Rasch  mein  Kin»!.  den  Jiecher  nun  zur  Han'l  genoBunea 
Rief  der  Wirt,  und  heisse  unsern  Gast  willkommen!'* 
Und  die  Mai<l  gehorcht,  doch  rasch  sie  dann  entfliehet : 
Nicht  der  Wein  trug  Schuld,  dass  ihr  Gesicht  erglühet 

12.  Während  m  der  EüchQ  sie  das  Mahl  besorgte, 
Flossen  um  die  Wette  mit  dem  Wein  die  Worte. 
Nun  war  es  gedeckt,  und  als  die  Speisen  kamen, 

^    Alle  an  dem  Tische  ihre  PUltse  nahmen. 

Oben  sass  der  König,  ihm  der  Wirth  znr  Seite, 
Unten  dann  Piroschka,  an  des  Tisches  Breite : 
Würde  seinen  Rang  der  Fremde  eingestehen, 
HOchV  Tor  Schande  ob  des  Mahles  sie  yergehen< 


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TOLUI  ÜKD  PIKOSCHKA»  710 

* 

18.  Und  doch  war  der  Tisch  mit  aUism  reich  besetaet, 
Aufgetragen,  was  nur  Sinn  und  Aug  ergdteet : 

Braten,  Kuchen,  Käse,  Kirschen,  8aft*ge  Beeren, 
Frischer  Honig  auch,  den  lieben  Gast  zn  ehren, 

Glänsend  rein  wie  Gold,  von  würz'gem  Hauch  amflossen, 

Duftend  wie  die  Blumen,  denen  er  entsprossen; 
Dazu  noch  der  Wein,  vom  besten  aasgelesen, 
Und  des  schönen  Mädchen;;  lieblieh  holdes  Wesen. 

14.  Auch  der  K<»nig  fühlt  dies,  und  entzückt  von  Allem, 
Fehlte  wenig  nur,  die  .Maske  wär'  gefallen. 

Weit  ward  ihm  dui>  Herz  und  wollte  «ich  orgiesscn 
Ueberfluthend,  schwer  nur  könnt'  er  sich  yerj>chlied?«en. 

Seiner  Brust  Geheimnis^  will  den  Schleier  heben, 
Ijeichteni  Schatten  gleich  fühlt  er  ihn  schon  entschweben. 
Doch  bedenkt  er*8  wieder :  wie,  wenn  sie  erschrecken  ? 
Wozn  ihre  stille  Freude  unterbrechend 

15.  nEi  mein  Freund,  ihr  fingt  gar  nicht  wen  ihr  beehret  • . .  ? 

Habt  wohl  ächon  vom  alten  Rozgonyi  geh^tret  • .  • 
b'o  rief  jetzt  der  Hausherr ;  schicklich  wftr  es  eben, 

Auf  gemeinsam  Wohl  die  Becher  zu  erheben. 

Auf  Andrer  Gesumlhcit,  eig'nes  Wohlergehen, 
Unsrer  jungen  Freundsclialt  dauerndes  Bestehen,  ' 
Vaterlan»!  und  König  .  .  .  aber  früher  saget, 
Welchen  werthen  Namen,  Freundj  ihr  selber  trageil* 

16.  Sprach  darauf  der  Fremde  :  „Mög'  euch  Gott  erhalten! 
Viel  gerühmet  wird  hier  der  Rozgonyi  Walten, 
Reich  sind  sie  und  tapfer,  wie  ich  hie  .und  dartan,* 
Sc&on  von  Kindheit  an  gehört  mit  Lobesworten. 

Grosse  Eichenwälder,  DOrfer  auch,  und  Haiden, 
Heerden  und  Gestüte  nennen  sie  ihr  eigen; 
Wie  es  sich  doch  trifft!  nun  komm  ich  euch  entgegen! 
Lang  erhallt*  euch  Gott  zu  eures  Hauses  Segen!** 

17.  Drauf  leert  er  den  Becher,  und  dann,  rasch  besonnen 

Sprach  ei  (noch  im  Trinken  hatt'  er's  ansersonnen)  : 
.,Ach  ja,  weit  berülinit  ist  freilich  nicht  mein  Name, 
Dürftig  bin  ich  sehr,  wenn  aurh  von  edlem  Stamme. 

Erst  vor  kurzem  i^t  es  mir  recht  schlimm  ergangen  ; 
Räuber  haben  mir  drei  Pferde  abgefangen. 
Ungeackert  liefen  mir  nun  brach  die  Fluren  ; 
Viel  streift  ich  umher,  nicht  fand  ich  ihre  Spuren. 


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18.  «la  ApÄÜ  habe  übrigens         Hsitn  toli, 

Und  Georg  voB  Gsuta  hmm*  ich,  weim  daheim  iob. 
Dooh  mein  seeUger  Yator  hielt  es  ftr  erwiesen, 
(Ei,  wie  doeh  der  Wein  das  Hers  macht  überfliewil) 

Er  behauptet*  immer,  £Bst  und  nnTerdroewn, 
Daas  aus  Arpad's  Blnte  unser  Stamm  entsprossen, 
Von  den  Frauen  her,  und  Zweifel  nahm  er  übe], 
. . .  Aber  lieber  Herr,  lacht  doch  nicht  auch  darüber 

19.  „Ei,  das  will  was  sagen",  lief  jener  zurücke, 
„Schon  seit  längster  Zeit  erforsch  ich  deine  Bücke, 
ünd  ans  deinen  Zügen  kann  man  klar  es  lesen, 

Dass  dein  Ahn  kein  Knecht,  wenn  auch  kein  Herr  gewp>en. 

Ja,  wer  weiss?  Wer  mag  drauf  einen  Kid  geluben? 
Kommt  ja  auch  beim  Rad  was  unten  war,  nach  oben; 
Mancher  Edelmann  trägt  heute  schwere  I^ürde  : 
Kommst  vielleicht  einmal  noch  eelbat  zur  Künigäwärde  l*' 

20.  Ob  des  Wortes  weidlich  Lachen  sich  eriiebet, 
Schön  Piroschka  lächelnd  aus  der  Stube  schwebet 
„Bi!^  rief  unser  Geoig.  „ich  noch  einmal  ESiiigl 
Schwerlioh,  schwerlich,  glaubt  mir»  dara  fehlt  nicht  wenig. 

Aber  unter  uns,  wir  hOnnen  es  ja  sagen, 
Gegen  nnsem  Kffnig  gftb*8  anch  manche  Klagen — 
«Was!'*  rief  da  Bo^;onyi :  „hört  einmal,  Herr  Vetter!..." 
ünd  die  Faust  sdhlng  wild  anfs  harte  Tafelbrett  er, 

21.  Lachte  da  der  König  :  »Nun,  nnn,  nicht  so  heftig  . . . 
Doch  das  steht :  wie  ist  doch  eure  Tochter  prächtig  . .  .1 
Wetter  I  welch  ein  Wuchs  I  und  wie  sie  sich  beweget» 

Wie  <1ic  Lilie  Jim  schlanken  Stiele  schwebet!" 

Forschend  blickt  der  Wirth,  als  könnt  er's  nidit  begreÜ'en: 
Will  das  helle  Lob  nicht  einer  Werbung  gleichen? 
Doch  da  jener  standhaft  seinem  Blick  begegnet, 
Seufzt  er  nun  tief  auf,  indem  er  ihm  entgegnet : 

22.  n Ach !  so  seu&t  er  nun,  was  hilft  es  mir  zu  »ageii : 
Hat  ja  jeder  Ifensefa  von  seinem  Leid  zu  klagen. 
Mir  ist  nicht  an  helfen :  wie  zu  meiner  Freude, 

Ist  dies  Hädehen.  auch  zu  meinem  grGssten  Leide! 

Wie  ist  sie  toU  Schönheit»  wie  toU  Henensglkts, 
Meines  Hauses  Schatz,  des  Gartens  schönste  Blüte, 
Sie  mein  Augenstern,  die  Freude  meines  Lebens : 
ünd  dennoch  vergebens  :  ach !  dennoch  vergebens  1* 


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TObUl  UND  PlBObCHKA. 


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23.  Seine  TrÄnen  trocknend  sprach  j>odann  der  Alte  : 
^So  ist's  :  andrer  König,  andren  Rechtes  Walten  : 
Von  der  Erbschaft  sind  die  Töchter  ausge^^chlossen, 
Nur  der  Sohn  kann  erben ;  also  ist's  beschlossen, 

Das  ist^s,  was  mich  grämt,  mein  Leben  will  verbittern  : 
Balgen  werden  sieh  auf  meinen  schönen  Gütern 
Mässige  Verwandte,  die  in  meinem  Leben 
•  Mir  keiiMii  Tmak  Wd»,  k«in  gutes  Wort  gegeben.* 

24.  Damit  hielt  er  ein,  in  seinen  Schmerz  yersmiken ; 
Aeiger  wKr*8  ihm  noch,  wenn  er  nicht  drauf  getnmken, 
Und  aein  lieber  Gebt,'  der  teifauihiusToll  ihn  hörte, 

Ihm  nidit  guten  Bath  und  Troet  sogleich  gewährte. 
Denn,  eo  sprach  der  König,  wie  jener  geendet : 
.    „Habt  ihr  nie  zn  Ofen  ench  dafllr  verwendet?^ 
Der  verneint  es  tranrig;  war  ja  niemals  dorten, 
Weise  nidit»  was  der  Fremde  will  mit  diesen  Worten. 

25.  Doch  wohin  der  König  zielt  mit  seinem  Fragen, 
Und  woran  er  dachte,  will  ich  gern  ench  sagen  i 

Sein  Gedanke  war  nach  Ofen  ihm  geeilet, 
Und  bei  seinem  Toldi  hatt'  er  dort  verweilet. 

Wie  ein  Weberschifflein  hin  und  wieder  schlüpfet, 
Sein  Uedanke  Toldi  an  Piroschka  knüpfet, 
Will  mit  goldnen  Fäden  sie  zusamiuenweben  : 
Welch  ein  herrlich  Paai*  sollen  die  beiden  geben. 

26.  ^Folget  meinem  Bäte,  ziehet  hin  zum  König,  — * 
So  sprach  er  ihm  zu,  „und  bittet  unterthänig  : 
Mein  Herr  und  Gebieter,  wollet  mir  gewähren, 
Mich  in  meiner  Sache  gnMig  anhören : 

Eine  eitts*ge  Tochter  nenne  ieh  mein  eigen, 
Habe  keinen  Sohn,  der  erbe^  was  mir  eigen; 
Laszt  ais  Sohn  sie  gelten,  damit  meine  Habe 
Ihr  zum  Erbteil  werde,  oh  f  gewttirt  die  Gnade ! 

27.  Da  der  König  selbst,  wie  ich,  noch  jung  an  Jahren, 
(Ganz  in  meinem  Alter,  wie  ich  jüngst  erfahren) 
Und,  so  wie  ich  höre,  Freund  des  Ritterspieles  : 
Hört  ein  kluges  Wort  noch,  nützen  kann  es  viele?. 

Eure  Bitte  sollt  ihr  nicht  umsonst  begehren  : 
Ein  Turnier  versprechet  (wird's  euch  niemand  wehren), 
Eurer  Tochter  Hand,  sie  soll  den  Sieger  schmücken; 
Und  auf  diese  Weise  wird  es  euch  wohl  glücken." 


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TOL0I  ÜUD  PIKOSCHKl. 

« 

28.  „Wükh  ein  Segenswort  liabt  ihr  mir  da  gespendet  I 
\Va«  wollt'  ich  nicht  tun,  wenn  es  so  gut  nur  endet! 
Wollte  mich  auch  nicht  etwa  an  Keithtum  kehren  : 
Reichlich  trägt  mein  Gut,  um  alles  zu  gewähren. 

Dann,  oh  lieber  Freund,  soll  nur  der  Mann  mir  gelten 
Nichts  verlange  ich,  als  kühnen  Mat  vom  Helden: 
Und  vor  dem  sich  aller  Andern  Speere  senken, 
Dem  will  ich  som  Lohn  mein  sfisses  Ifildchen  sdwnlm.' 

29.  So  riet  hocherfrent  der  Wirth ;  sein  Auge  Uinkte» 
Wie  ermutigend  es  seinem  Gaste  winkte : 
„Willst  Rozgonji*»  Kind  besitien  du  zn  eigen, 
Stdl*  dich  auch  zum  Kampfe,  deinen  Mut  zu  zeigen.'* 

Allein  dieser  hatte  anderes  im  Sinne; 
Strahlt  doch  aneh  sein  Hers  vom  Glücke  bolder  Mioae : 
Aber  wie  die  Sonne  spiegelt  neue  Sonnen, 
WQnscht  der  Glüddicfae  zu  sehen  Andrer  .Wonnen. 

30.  ünd  geraume  Zeit  noch  sprachen  sie  darüber, 
Dann  ging  man  auf  andres,  dann  srnf  alles  über; 

.  Spät  war's,  auch  der  König  müde  von  dem  Reisen, 
Als  Piroschka  kam,  sein  I^aper  ihm  zu  weisen. 

Dort  im  Vorderraume  ihre  LugerstUtte, 
fn  der  Nel)enstube  stand  des  Fremden  Bette  : 
Zierlich  wai\s  geschmückt,  vom  Säulenbaldachine 
Floss  in  äeidnen  Falten  nieder  die  Gardine. 

31.  Doch  bevor  der  König  auf  sein  Lager  sinket, 

Das  mit  Daft  und  Schimmer  lockend  an  ihm  winket, 
ünd  bevor  noeh  auf  den  schwellead  vollen  Bossen 
Seine  Angen  sich  zu  sfisser  Ruhe  scbliessen : 

Nimmt  ein  Pergamentblatt  aus  der  Beisetasch*  er, 
Schreibt  darauf,  dann  drfickt  in  Wachs  ein  Siegel  rasdi  er 
Drauf  mit  seinem  Ringe  ]  klein  ist  wohl  das  Zeichen, 
Doch  an  Geltung  will  es  keinem  Andern  weichen. 

32.  Denn  wie  nnii  der  König  früh  am  uAchsten  Morgen 

Aufstand,  um  zur  Reise  alles  zu  besorgen, 

(Schwer  ging's  mit  der  Rechnung,  kaum  zu  Ende  führt  es : 

Unersättlich  war  die  Gastlichkeit  des  Wirtes) : 

Wie  nach  vielem  Abschied  dann  der  König  weiter 
Zog,  den  Blicken  auch  entschwunden  war  der  Heiter : 
Fand  im  Bett  Piroschka  ihres  Königs  Schreiben, 
l/fts,  —  es  will  das  Wort  ihr  in  der  Kehle  bleiben. 


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'  TOLDI  USD  PIB09CHICA.  783 

33.  ^Pirosithka,  <Ue  Torhier  Paul  Kozgonyi's,  |ial»e 
Ganz  dasselbe  Erbrecht,  wie  es  hätt'  ein  Knabe  — 
Soll  als  einziger  Erb*  In  Vaters  Oflteini  wiAieii, 
Der  Bozgonyl  Namen  äderen  und  erhalten. 

Ein  ÜMtlioh  Turnier  zn  Pfingsten  wird  begangen 
Und  der  Wackerste  soll  ihre  Hand  empiangen, 
Dies  ist  nnser  Wille,  so  zur  Knude  Alleui 
Dass  es  König  Lndwig  also-  hlit  gefhUeu.** 

34.  „Und  der  Wackerste  ..."  ha,  auf  Piroschka*s  Wangen, 

War  bei  diesem  Wort  ein  Frühroth  aufgegangen 
Wie  der  rasche  Pfeil,  von  starker  Hand  gelenket, 
In  des  Herzens  Tiefe  ihr  das  Wort  sich  renket. 

Eng  wird  ihr  da-^  Hans,  die  Mauern  sie  erdrücken, 
Auf.  in  Gottes  freien  Himmel  will  sie  blicken! 
Ihre  lieben  Hlurnen  muss  sie  ja  begiessen, 
Mag  ihr  Vater  rufen,  dass  von  Thau  sie  fliessen. 

35.  Doch  an  ihren  Blomen,  nicht  wie  sonst,  verweilend, 
—  Was  sind  ihr  anoh  Blumen !  rasch  vorflher  eilend. 
Sehwebt  sie  leichten  Schrittes  durch  des  Gartens  Mitte, 
Hin  snm  Tisza-Üfer  lenkt  sie  ihre  Schritte. 

Vom  Gefild  die  Sonne  nnn  mit  Flammenknsse 
Steigt  empor  und  spiegelt  feurig  sieh  im  Flusse; 
Flutunisäumt,  vom  hellen  Himnielsglanz  beschienen. 
Scheint  die  weite  Fnszta  wie  ein  Band  zn  giünen. 

36.  Auf  erglühter  Flut  ihr  eignes  Hild  sie  lieinmte, 
Freier,  leichter  wird  das  Herz  ihr,  das  beklerninle. 
Feucht  wird  ihr  das  Auge,  und  die  ThrUnen  (juellend 
Perlen  in  den  Thau,  zu  Perlen  sich  gesellend. 

Tief  aufatmet  sie,  vom  lauen  Frühlingsodem 
Schwillt  ihr  voller  Busen,  wird  ihr  Herz  erhoben; 
ZflrtUch  Gilten  tönet  aus  des  Gartens  Laube, 
Und  mit  süssem  Kichem  )mft  die  Biaif^eltanbe. 

87.  Wie  sie  lauscht  den  Tauben,  schwinden  sieht  die  Wellen, 
.  Denkt  sie  nur  des  Helden,  fithlt  ihr  Herz  sie  schwellen 
Schier  hat  sie's  vergessen,  so  lang  ist*s  geschehen, 
Dass  ihr  Auge  Toldi  beim  Turnier  gesehen. 

Einmal  sah  sie  ihn,  vin'ga^^s  ihn  mit  den  Jahren, 
Doch  kann  kein  Vergessen  sie  davor  bewahren  : 
Xur  ein  Strahl  der  HotTnung,  und  in  neuem  Leben 
Trat  das  schon  vergess'ne  Üildniss  ihr  entgegen. 


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724 


AXTOOäT  TBBF0BT*8  NEOS  MSATB. 


38.  Dort  schwebt  cü  vor  ihr,  von  Licht  und  Flath  gesendet  ; 
Tol.li's  Bikl,  wohin  sie  nur  «lie  Hlicke  wendet ; 
Mag  das  Aug  sie  schliessen,  ilennocb  unverloren, 
Unverrückbar  bleibt  das  Bild  heraafbeschwmik 

Bflner  HenenvtnRim,  ach,  wann  kma  Tnnm  du  wlre»t! 
l!nicht*g«r  Augenblick,  acli,  wenn  da  ewig  wfthrkeet! 
Iteee,  nie  ▼erblfihend,  immer  Knospe  wiresi! 
Lkriie,  welche  Wonne  da  ans  dann  gewihrtestl 

89.  Was  doch  an  der  Hose  noch  die  Dornen  sollen ! 

„Wird  der  Stolze  (denkt  »ie)  am  mich  kämpfen  wollen? 
'  Er,  ffir  den  so  viele  Miidchenherzen  schlagen  ? 
Er,  für  den  so  viele  Herzen  Leides  tragen? 

Wie  /um  Licht  die  Blumen,  nai  h  ihm  alle  schauen, 
Doch  er  tummelt  stolz  sein  Hoss  auf  IHumenauen. 
Mag  die  Sonnenblume  sich  zur  Sonne  kehren, 
Uobeachtet  sich  das  arme  Her;£  veri^ehreu !  ^ 

40.  Doch  woea  nan  aiioh  des  weiteren  enihlen, 
Wie  mit  jenem  Sehreibim  alle  noch  och  qn&len, 
ünd  dann,  welchen  ESndraok  erat  der  Schreiber  machte! 
ünd  wie  vieles  aioh  die  achCne  Jungfiran  dachte. 

Poch  die  Zeit  vergehet  und  von  Gottes  Gnade 
Folgt  ein  Tag  dem  andern,  schon  ist  Pfingsten  nahe. 
Alles  voll  Erwarten  sieht  dem  Fest  entgegen 
Bald  enihlen  wir,  was  alles  dann  geschehen. 

A.  HnoniBB. 


AUOÜST  TREFORT'S  NEUE  ESSAYS.* 

Eis  gibt  Bfioher,  in  welchen  sieh  nicht  allein  die  geistige  Indivi- 
dualität des  Schriftstellers,  sondern  auch  der  Charakter  eines  Zeitalters, 
die  geistige  Signatur  einer  Geschichtsperiode  ausprägt,  welche  »lie 
.  Tendenzen  der  geistigen  Führer  einer  aufstrebenden  Generation  wieder- 
spiegeln.  Zu  diesen  Büchern  gehört  auch  das  jüngst  erschienene  Bach 
TOB  Angost  Treforik  welches  eine  Sammlang  von  Essays  Über  politisdie 
and  literarisehe,  sociale  and  nattonalskonomisehe  Gegenatittde  enthilt 
Biese  Essays  gestatten  manchen  Einblick  in  die  geistige  Entwiokefaings- 

■ 

*  Kisebb  dolgozatok.  Az  irodaloiu.  kö/.^^azdasag  es  politika  kOr^bol. 
Irta  Trefort  Agoston,  Budapest  1882.  m.  L  akademia  kSnyvlEiad^i  hivatala. 


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AUÜCST  TEKFOni\H  SEPK  KSSATS,  715 

gesehichte  dieses  f^taatsmanue^  und  liefern  nianchen  interessanten  Bei- 
trag  zur  Charakteristik  jenes  streitbaren,  nm  grosse  Dingo  kämpfenden 
QeechlechtB,  za  dedaen  WortfUhreni  und  Vorkimpfeni  ergiliörte.8o 
Ter^chiedeiiartig  iiiieh  die  Qegeiutltiide  mm  mOgen,  mit  welchen  sieh 
der  Antor  in  den  einzelnen  AnftStssen  btfschlffcigi»  so  nngleieli  ihre  Ee- 
deninng  und  ihr  Intere^e  unter  wesentlich  Teriaderten  Veihlltaissen 
sein  mag ;  da«?  geistige  Band  ist  auch  in  dieser  Sammlung  nicht  zu  ver- 
kennen. Aus  allen  Arbeiten  spricht  derselbe  Geist,  dieselbe  politische 
und  wi^ssenschaftliclie  Überzeugung.  Da-selbe  politische  Glaubensbe- 
kenntnisse welches  der  Autor  in  seinen  vor  Jahresfrist  herau-sgegebenen  - 
Btaatawissenschaftliehen  Arbeiten  abgelegt  und  an  dem  er  zeitleben:«  fest- 
gehalten bat,  kommt  auch  in  diesen  Aufeatzen  znm  Anedrnck.  Ee  and 
immer  die  gleichen  Ziele,  anf  welche  das  Denken  nnd  Trachten  dieses 
Schriftatellers  hindrlngt,  die  gleichen  Ideale,  fllr  deren  Verwirklichnag  er 
klmpft  Mit  nnermfldlichem  Sifer,  mit  nnerschfitterlicbem  Mnth  tritt 
er  bei  jedem  Anlass  tür  die  Sache  der  Freiheit  und  des  Fortschritts  in 
die  Schranken,  und  er  liisst  nicht  ab,  gegen  die  Vorurtheile  und  die  abge- 
lebten Institutionen,  gegen  die  Überreste  des  Kastenwesens  und  die  Denk- 
gewohnheiten vergangener  Zeitalter  anzukämpfen,  allen  fortsehntta- 
feindlicben  Mächten  mm  Trotze  —  der  Freiheit  „eine  Qasse**  zn  bahnen. 

Ein  Theil  der  in  dem  Torliegenden  Bande  snaamanengefassten 
AnftAtKO  behandelt  Qegenstlnde,  die  zwar  hente  keine  äkhteUe  Beden* 
tong  mehr  haben,  aber  von  dem  grOssten  huhriickm  Intensse  sind^ 
weil  sie  den  Schlflssel  za  manehem  RBthsel  der  Gesohiehle  Ungarns 
enthalten.  Die  eigenthuiusrechtlichen  Institutionen,  welche  der  Autor 
in  seinen  vor  dem  Jahre  1848  geschriebenen  Aufsätzen  bekämpft,  de- 
ren Beseitigung  er  mit  seinen  Gesinnungsgenossen  unermüdlich  das 
Wort  geredet  hat,  sind  längst  beseitigt.  Aber  die  Charakteristik  und 
die  Kritik  derselben  ist  auch  hente  für  alle,  welche  die  fiatwiokeltt^g 
der  EigenthmmsTerhIltnisse  in  Ungarn  verstehn  wollen,  von  groeeem 
Interesse,  nnd  wird  auch  allen,  welche  sich  mit  Tergleichender 
Becbtsgescbichte  be&ssen,  ma&che  AnfklSrnng  nnd  Belehning  bieten 
können* 

Jene  merkwürdige  Verbindung  des  nüchtenien  wissenschaftli- 
chen Bealismus,  welclier  kein  Resultat  des  Denkens  ohne  die  Gegen- 
probe der  Erfahrung  gelten  lassen  mag  und  nur  die  Autorität  der  Gründe 
und  der  Beweise  gelten  lässt,  und  jenes  ethischen  IdeaKsmus,  woloher 


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die  als  riclitig  erkannten  OrnndsStxe  mit  nnersebrockener  Folgend 

tigkeit  in  die  Wirklichkeit  einführt,  charakterisii  t  auch  <He  Arbeit<»n. 
welche  in  dem  neuesten  Buche  von  August  Trefort  zu>aiiimengetas>t 
sind.  Keine  von  diesen  Arbeiten  verleugnet  jenen  unerschütterlichen 
Glauben  an  die  Marht  der  menschlichen  Vernunft,  an  die  „Macbtder 
Ideen*,  welchen  der  Autor  bei  manchem  Anlasa  bekannt  hat.  Er  Ter- 
lengBjBt  nirgends  den  Glauben  an  die  geistige  Wiedergebart  semer 
Nation,  an  die  kulturellen  Aufgaben  und  an  die  Zukunft  seines  Yat«^ 
landes.  Aber  in  diesem  Glauben  ist  kein  Zusatz  von  SekwSrmer«  oder 
dogmatischer  Glaabensselij?keit.  Die  Sucht  nach  dem  ünerreicbbaren  ist 
dem  Wesen  dieses  St4vat^maDnes  fremd.  Kein  Zug  desselben  erinnert  aii 
den  Ideologen.  Er  verliert  nie  den  prakti-^chen  Zweck,  «la.^  erreichhare 
Ziel  aus  den  Augen.  Wo  aber  die  Anknüpfungspunkte  und  die  Grund- 
lagen fUr  die  Verwirklichung  eines  Tdeal«;  gegeben  sind»  wo  die  Forde- 
rung derselben  sich  ans  den  als  richtig  erkannten  und  durch  das 
;ürth«l  der  Geschichte  Terificirten  Grundsätzen  ergibt,  dringt  er  anf 
die  Verwirklichung  und  legt  muthig  Hand  an  die  Vorartheile  und  fo- 
teressen,  welche  derselben  im  Wege  stehn.  Man  hat  ihn  und  maaehoi 
von  seinen  hervorragenden  Kampfgefährten  und  Ge.sinnungsgenossea 
oft  zu  den  Doctrinilren  gezJihlt  und  damit  nur  einen  charakteristi<'<  lien 
Zug  ihres  Strebens  und  Wirkens  bezeichnet,  dessen  ausschlie.^jsliche 
BerUcksiebtigung  keine  wahre  und  vollstftndige  Charakteristik  ermög- 
licht ■  In  der  That,  jene  Männer  haben  zunächst  die  theoretische  Diseos- 
sion  der  Fragen  und  Au%aben,  deren  LOsung  eine  unabweisbare  For- 
derang des  geläuterten  Beehtsbewusstseins  war,  in  Gang  gebracht;  sie 
suchten  den  neuen  Ideen  durch  rege  literarische  Thätigkeit,  dnreh 
wissenschaftUohe  Begrttndung  ihrer  Meinungen  Eingang  zu  Terscbaflte, 
die  Geister  zu  reformatoriscber  Thütigkeit  vorzubereiten  und  mit  den 
Waffen  der  Vernunft  zur  entscheidenden  Tliat  zu  drangen.  Aber  die 
thatsächliche  Verwirklichung  ihrer  Ideale,  die  praktische  Anwendung  j 
der  Principien,  die  Durchführung  der  Reform  war  ihnen  die  Haupt- 
sache, in  Betreff  der  Zwecke  waren  sie  keine  nDoctrinäre.** 

Diese  prakliscbe  Tendenz  eignet  auch  der  politischen  nnd  Uten- 
rischen  Thätigkeit  August  Trefort*8.  Er  darf  mit  Recht  von  sich  s^geot 
dass  er  von  Natur  und  seinem  inneren  Beruf  nach  Torwiegend  ein  «Maaa 
der  That"  sei.  Aber  dieser  Hang  zur  organisatorischen  Thfiiigkeit,  zum 
praktihclien  Wirken  und  Schaffen  srbliesst,  wie  die  Erfahrung  lehrt) 


üiyitizcü  by  GoOgl^ 


eine  erspiiessliche  literarische  Thiitigkeit  nicht  aus ;  wemi  auch  derje- 
nige, der  den  Beruf  zu  praktischer  Thiitigkeit,  zur  Durchführung  der 
als  richtig  erkaimten  Befonneii  in  sieh  fäbU»  die  litonurisehe  Arbdil 
nicht  als  Endzweck  betrachten  mag.  Die  theoretisehe  ThStigMt  gilt 
ihm  nicht  als  das  letzte  nnd  hdchrte,  die  Wissensehaft  selbst  nicht' als 
Endswecki  sondern  ali  „  wirkssHocs  Mittel  rar  Veredlnng  des  Lebens*;  rar 
Losung'  der  wichtigsten  nnd  höchsten  praktischen  Aufgaben,  zur  Ver- 
wirklichung der  höheren  Lebenszwecke.  In  diesem  Sinne  ist  auch 
August  Trefort  bemüht,  die  Wissenschaft  in  den  Dienst  der  fortschrei- 
tenden Culturentwickelong  zu  steUen,  die  Wissenschaft  init  dem  thä- 
tfgen  Leben  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Das  Streben,  den  Znsam- 
menhang der  Wissenschaft  mit  dem  Leben  herrastelleni  die  Brgehni^ 
dfir  wissenschaftlichen  Forschung  ftlr  die  Gestaltung  dee  steatliehen 
Lebens  rä  rerwertiien,  die  Übenen|^g,  dass  die  Berathnng  und  Werk- 
'ftlhrung  des  Fortschritts  ra  dem  Beruf  der  Wissenschaft  g^Ort,  hängt 
mit  jenem  baconischen  Zug  seiner  Denkweise  zusamuien,  welcher  ihn 
die  praktische  Aufgabe  und  den  Nutzen  der  Wissenschaft  in  der  Be- 
förderung des  Fortschritts  der  Cultur,  in  der  Mitwirkung  an  der  Lö- 
sung der  praktischen  Lebensan^aben  finden  lüsst.  Diese  Tendenz  lässt 
keine  doctrinfire  üntarrang  ra»  aber  sie  verträgt  sich  ebensowenig:  mit 
4em  CynismuB  politiBcher  Dilettanten  und  Praktiker,  welohe  de1^  Mit* 
Wirkung  der  Wissenschaft»  der  Eemitniss  ihrer  Ergebnisse  entrathen  an 
können  glauben.  Diese  Tendenz  hingt  mit  dem  Bestreben»  die  Ergeb- 
nisse der  wissenschaftlichen  Forschung  zur  Lösung  der  praktischen 
Aufgaben  zu  verwerthen,  innerlich  zusammen.  Es  mag  dahingestellt 
bleiben,  ob  und  in  welchem  Sinne  diese  Tendenz  als  Doctrinarhimus 
beieichnet  werden  darf. 

Das  Vorwort  des  neuesten  Buchs  Ten  August  Trefort  ist  eine 
interessante  kulturhistorische  Skizze^  welche  maaohen  Beitrag  rar  Oha- 
mkteristik  jener  denkwfirdigeD  Geschichtsperlode  enthlli^  an  deren 
geistigen  Klmpfeh  sich  der  Auter  mit  unermüdlichem  Bilbr  betheiligt 
hat.  Die  ratobiographischen  Daten,  welche  diese  Skiise  enthillt,  werfen 
manches  Streiflicht  auf  den  Entwickelungsgang  des  Autors  und  auf  die 
geistige  Atmosphtlre,  in  welcher  er  mit  den  Besten  seiner  Zeit  f&r  die 
Sache  der  P'reiheit  und  des  Fortschritts  gekämpft  bat 

Der  Autor  gewährt  uns  einen  £inblick  in  seinen  Bildungsgang, 
in  die  Einflösse»  welche  die  Richtung  und  die  Zi«le  seines  Strebens  be- 


üiyitizcü  by  GoOglc 


AVQVn  TinSF01lT*B  VSUK  MSATB. 


stimmten.  Rr  gedenkt,  der  Srhrift^teller.  mit  welchen  er  sich  in  >piner 
*  Stadienzeit  am  meisten  beschUftigt  bat,  der  Anregung  und  Förderung, 
die  er  znmal  dem  Studium  der  französischen  und  englischen  Geschiebt- 
selurtibfr»  Denker  und  Diehtsr  Terdankt»  dmr  eigenthfimUehmi  Deak« 
w«iM  «nd  LobeBMiiiliMnmgt  weldio  rieh  dureh  dkit  Stodien  und  den 
Biaflofla  Mfawr  Unfahiuig  «iifiaigB  in  ilim  gabfldel  hatte  nnd  mMm 
\m\d  dimsh  dia  Siiidrlleke  imd  ErfidumngeB  einer  grossen  Beis»  eine 
gründliche  Umgestaltung  erlitten. 

Er  erzählt  uns  von  der  früh  erwachten  Vorliebe  für  die  nordame- 
likanischen  Institutionen,  von  dem  Verlangen,  die  Welt  jenseits  »ies 
atlantischen  Oceans  durch  eigene  Anschauung  kennen  zu  lernen.  Kr 
erinnert  sich  mit  einem  gawUeen  Behagen  der  Schwierigkeit,  welche 
eidi  damale  der  Aoelfthrang  grosser  BeiseplSne  antg^genstelltea,  der 
JM,  dnreh  welche  ,  es  ihm  gelang;  sieb  einen  Pus  rar  Reise  in  den 
ettroptischen  Staaten  sn  Tersehalfen,  des  gesellseluUlIicben  Prestige,  der 
n^orition*,  welche  ihm  seine  Reisen  damals  In  ▼aterlindlschen  Erei«eB 
rerschafften.  Er  war  noch  nicht  zwanzig  Jabre  alt,  als  er  Deutschland, 
Frankieich,  England,  Italien,  Russland  und  die  skandinavischen  Länder 
hereiste.  Er  sagt  selbst :  er  sei  als  schwärmerischer  Jüngling,  der  aa 
dem  Schiksal  seines  Vaterlandes  verzweifelte  und  sich  mit  d^  That- 
saolien  nidii  aheufinden  wnsste,  in  die  Fremde  geicgen  und  sei  ab 
Bftelitenier  Juger  Mann  rarSchgekehrt,  in  dem  Welt-  nnd  Measelien» 
kenntniss  die  praktische  Anffiusnng  des  Lebens  geweckt  baite,  wekhe 
iba  sakber  a»rii  in  den  tranrigsten  Zeiten  tot  der  Yenweiflung  aa 
sieh  seihet  nnd  an  der  Znknnft  seines  Vaterlandes  bewahrt  hat  Das 
Interesse  für  die  bildenden  Künste  war  früh  in  ihm  erwacht  Er  hatte 
sich  an  den  Schöpfungen  der  bedeutendsten  Meister  begeistert  und 
seinen  Qeschmack  gebildet  Bald  nach  seiner  Rückkehr  fasste  er  den 
Plan,  einen  Knnstrereln  in  seiuem  Vaterlande  zu  gründen  und  wnsste 
seine  Oesinnnagagenossen  fttr  die  Idee  nnd  Ar  das  ron  ihm  ▼erftssle 
Progfamm  sa  gewinnen,  das  den  ersten  Anlass  sn  weitem  BeBtrebnn<> 
gen  anf  diesem  Gebtete  gab. 

Der  Antor  gedenkt  ancb  seiner  alten  Kampfgetthrtea  nnd  Ge- 
sinnungsgenossen, welche  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilen.  Er 
widmet  insbesondere  dem  Grafen  Aurel  v.  De?se\vffy,  welchen  die  jün- 
gere Generation  nur  aus  seinen  literarischen  Arbeiten  kennt,  einen 
ehrenvollen  Nachruf. 


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AÜOUbT  TRBFORT*.S  KCUE  KSSATä.  7f9 

» 

Die  vorliegende  Sammlung  pntlinU  .inrli  einen  läni^^eren  Aafsats 
fiber  die  \,Hi$Mre  du  CcnsmUU  de  Vempire'^  Von  Thiara,  wdehen 
der  Autor  im  Vorwort  als  atoagezeidbneten  Scliriftsteller  md  Staats* 
nanu  und  als  HiiBterbild  des  mit  politischer  Wiishelt  TerlmndeBeii 
Patriotisniiis  bezeiolinet.  Über  Maeaulay,  dessen'  CharaHerbild  er  in 
einer  seiner  früher  erschienenen  akademischen  Reden  gezeichnet  lint, 
sagt,  er:  et?  gebe  kaum  einen  Öchriftsteller.  l)ei  dem  so  viel  Toleranz  in 
kirchlicher  und  religiöser  Hinsicht,  mit  so  viel  Liebe  zur  politischmi 
Freiheit  vereinigt  ist. 

Der  Essay  über  die  englische  Verfassnng,  der  in  dem  Torltegen« 
dcb  Bande  abgedrackt  ist,  hängt  mit  dem  in  der  ersten  Sammlung 
mitgetheilten  Essajr  snsammen.  Diese  Arbeiten  sind  Fragmente  eines 
grossem  Werkes,  dessen  Ansarbeitnng  die  politisöhen  Elmpfe  nnd 
Whrren  unterbrooben  hatten. 

Der  Autor  erzählt  mit  einigen  Worten  die  Geschichte  dieses  lei- 
der nicht  zum  Abschluss  gebrnchton  Werks.  Nachdem  er  im  Jahre  1848 
von  seiner  amtliehen  Stellung  abgedankt  und  sich  ins  Ausland  begeben 
hatte,  wurde  das  Haus,  in  dem  sich  seine  ganse  Einrichtung,  seine 
Bibliothek  nnd  seine  Handschriften  befanden,  von  Ofen  ans  bombardirt. 
Seine  Bücher  nnd  liannsciipte  verbrannten.  Er  sab  in  diesem  JSreig- 
niss  einen  Fingerzeig  des  Sobicksäls,  den  er  dahin  deutete,  d#S8  er  nieht 
snr  litecariscben  Thätigkeit»  sondern  viel  mehr  Kur  LOsung  praktischer 
Angaben  bernfsn  sei. 

Trefort  gibt  auch  interessante  Aulschlüsse  über  die  schutz- 
aftHnerische  liewegung  der  vierziger  Jahre.  Rr  gehörte  damals  zu  den 
Wenigen,  weli-he  den  Wahrheitsgehalt  und  <lie  aktuelle  Dedeutung  der 
nationalökonomisehen  Lehren  Friedrich  List's  unbefangen  zu  würdigen 
Verstanden.  Die  Hebung  der  nationalen  Produktivkraft,  die  Entwicke- 
Inng  und  der  zweckmässige  Schutz  vaterUbidisoher  Industrie  (in  d4n 
Bahnien  eines  mit  Osterreich  abzusohliessenden  ZoUbfindnisseB)  galten 
ihm  und  seinen  Gesinnungsgenossen  als  unabweisbare  Aufgaben.  Er 
'  scbloss  sieb  auch  in  dieser  Frage  an  Fran«  Dedk  an,  dessen  Standpunkt 
er  gegen  den  Grafen  Stefan  v.  Szechonyi  in  einer  Keihe  von  geharnisch- 
ten Artikeln  vertlieidigte,  ueKlic  auch  in  dem  vorliegenden  Band  mitge- 
theüt  sind.  Im  Vorwort  gedenkt  er  auch  seiner  Begegnungen  mit  Sze- 
chenyi,  des:«en  volkswirtschaftliche  nml  politische  Velleitäten  er  mit 
aller  Kraft  seines  Witzes  bekfimpffc»  dessen  Geist  und  bobee  Streben  er 

Vagariiob«  B«vite,  188S.  TUI-^ZX.  Baft.  47 


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AUeUfTT  TBEFOBTV  HBUB  IMS1T8. 


gleichwol  anerkaunie  und  würdigte.  Er  sagt  über  Szechenyi  ;  er  sei 
„einer  von  jenen  Mftnnern,  welche  in  der  Geschichte  oneeres  Vaterlaa* 
des  ewig  leben  werden.  £r  besass  die  Eigenschaft  der  grossen  Utnmf, 
jeden  Menschen,  in  welchem  er  irgend  einen  Stoff  sah,  ans  dem  sidi 
ein  nützlicher  Mens<^  formen  llsst,  zn  nntersifitzen  und  unter  ünitli- 
den  ansznzeichncn  oder  —  wenn  er  ihn  auf  Abwegen  zu  erblicken  meinte 
—  zu  tadeln.  Er  hatte  eine  instinctive  Aver^^ion  gegen  Alle>.  wa-  7ur 
Revolution  fuhren  konnte.  Gleichwol  adoptirte  er  zeitgemä-i^e  Ideen  ud*! 
Vorschlftge,  auch  wenn  sie  von  andern  kamen,  und  iugte  sie  in  sein 
System  ein.  So  gefielen  ihm  die  Docirinen  von  der  Terantwortliofasi 
parlamentarischen  Begiemng,  welche  wir  (die  jüngere  GeneiatioB)  rar- 
breiteten,  durchaus  nicht  Aber  spftter  wollte  er  sie  selbst  in  Sa^sa 
der  ffffentlichen  Arbelten  anwenden.  Auf  dem  Reichstag  I847]sgteer 
besonders  auf  die  Dun  litührung  der  ätadtischen  Vota  Gewicht,  weil  €r 
die  Reform  unserer  politischen  Institutionen  in  friedlichen  Zeiten  nur 
mit  Hülfe  derselben  durchfiihren  zu  können  glaubte.  Allein  die  Heforni 
kam  unter  dem  Druck  der  enropAischen  Revolution  auf  andere  Weise 
zu  Stande,  nicht  so  wie  er  und  viele  andre  geglaubt  hatten.* 

Die  Sammlung  enthllt  auch  einige  politische  Beden,  welche  der 
Autor  in  der  neuesten  Aera  der  Geschichte  üngams  gehalten  hat  Der 
Autor  sogt  selbst,  dass  diese  Reden  die  politische  Lehre  ausdrücken,  die 
er  bei  jedem  Anlnss  wiederholen  will,  die  Lehre  :  „dass:  man  den  siho 
lastischen  Do<  trinen  entsagen  und  sich  mit  den  grossen  Interessen  de^ 
Landes  beschäftigen  müsse,  weil  das  Land  Menschen^  Vermögm  aad 
InttüiffenM  benOtbige/ 

Der  erste  Theil  der  Sammlung  enthSlt  eine  Skizze  über  die  Oe* 
'  schichte  des  armenischen  Klosters  in  Venedig,  einen  Aufsatz  in  Mm 
des  in  Pest  zu  gründenden  Knnstvereius  und  das  vom  Autor  an^gear* 
beitete  Programm  desselben,  überdies  mehrere  literarische  und  hist^ri 
sehe  Essays.  Der  zweite  Theil  enthält  volkswirtschaftliche  und  politi- 
sche Aufsätze  und  einige  politische  Reden. 

Ein  kleiner  (schon  1839  ver&sster)  Au&atz:  MBetrachtangsa 
über  die  Gesehiebtswissenachaft^  enthlllt  mianehes  geistvolle  Aper^ 
über*  die  Anfi^abe  und  Methode  der  Gesdiichtscbreibung,  über  die  wu- 
senschafUicbe  Gesehichtsauffassung.  „Die  Geschiebtewissensehaftiko)!  Aber 
alle  confessionellen  und  nationalen  Leidens»  haften  erhaben  sein.  >iob 
von  möglichst  hohen  Gesichtspunkten  über  alle  menschlichen  Verbfilt- 


AOGÜKT  TBKFOBT'S  KI^B  I88AT8.  T8I 

» 

nis-e  verbreiten  und  das  Leben  der  Völker  mit  festen  Strichen  zeielmen 
,  .  .  Sie  soll  die  Keime  und  die  allmiilige  Entwicklung  der  herrschenden 
Ideen  nachweisen  u.  s.  f. '  —  Bedeutende  Cieschichtscbreiber  sind  der 
liebste  Umgang  des  Autors.  Er  vertieft  sich  mit  immer  firischem  Inte- 
reflsa  in  die  politiBche  lud  sociale  Geschiehte  der  modernen  Knltor- 
Tölker,  am  liebBten  in  die  Geschichte  der  beiden  grossen  Nationen  des 
Oceidents,  welchen  die  politische  Schnhuig  der  enropiischen  Völker 
mfieL  Ei  verweilt  gern  und  lange  in  denkender  Betrachtung  bei  den 
Werken  von  Thierry,  Macaulay,  Thiers  u.  m.  a.  Er  nennt  Thierry  einen 
jener  (Jeschichtschreiher,  „welche  den  Geist  der  Thatsachen  erfassen,  die 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  forterbenden  geschichtlichen  Lügen 
ans.  Licht  ziehen  und  auf  diese  Weise  der  Geschichtschreibung  einen  . 
neuen  Weg  bahnen.*^  —  Den  Werken  Macanlajr's  bringt  A«  Trefort  das 
homogenste  Interesse  entgegen.  Er  gehört  za  den  yerstSndnissroUen 
Kennern  nnd  Kritikern  liacanla/s,  welche  sich  in  die  geistige  Eigenart 
dieses  denkenden  Geschichtschreibers  mit  anempfindendem  Interesse 
eingelebt  haben.  Er  charakterisirt  die  Denkweise  nnd  die  Leistungen 
desselben  mit  dem  liebevollsten  Verstandniss.  Die  vorliegende  f^amm- 
lung  enthiilt  eine  Ciinrakteristik  der  Essays  von  Macaulay,  deren  wis- 
senschaftlichen Gehalt  und  künstlerische  Formvollendung  der  Autor 
▼oUauf  zu  würdigen  weiss.  Die  Besprechung  dieser  Essays  veranlasst  > 
ihn  zn  einer  kurzgefassten  Würdigung  des  Emaj  im  Allgemeinen,  als 
deijenigen  „literarischen  Foim,  welche  die.  Vorzüge  des  Boohs  und  des 
kurzgefassten  Au&atzes  in  sich  yereinigt"  und  sich  vorzüglich  zur  ge* 
drängten,  gründlichen  und  gemeinfiMslichen  Darstellung  der  meisten 
Ciecenstände  von  wissenschaftlichem  und  praktischem  Interesse  eignet. 
Mai.aulay  ist  sicherlich  ein  Essayist  ersten   Ranges.  Trefort  bezeich- 
net ihn  als  den  bedeutendsten  unter  allen.  Bei  diesem  Anlass  fUllt  eine 
trett'eiide  Bemerkung  über  die  Eigenthümlichkeiten  des  wissenschaft- 
lichen Vortrags  englischer  Autoren»  deren  hohe  Verdienste  der  Autor 
▼ollauf  würdigt,  ohne  nach  Art  gewisser  Anglomanen  die  stylistische 
Meisterechaft  nnd  Unfehlbarkeit  derselben  kritiklos  anzupreisen.  Man 
hat  sich  in  manchen  Lftndem  (in  neuester  Zeit  auch  in  Ungarn,  ja  in 
Beutscbland  selbst)  Yielfineh  daran  gewöhnt,  die  engUschen  Prosaschrift* 
ateller,  insbesondere  au<  li  die  wissenschaftlichen  Autoren,  als  Meister 
der  klassischen  Trosii  zu  betra«  hten  und  im  Hinblick  auf  die  Unarten 
deul^dier  Autoren  zur  Nachahmung  zu  empfehlen. 

41* 


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78t 


kvevm  TBPFOBT*?;  NIDB  B6S1T8. 


Der  Kenner  Macaulay's  and  der  englischen  Literatur  l  etont  mit 
Hecht,  clii88  die  stylistische  Eigenarh  jenes  Hi:?toi  ikers  im  woliltliuenJea 
Gegensatz  zur  Vortragsweise  vieler  englischer  Proeaschriftstdler  steht 
„Die  Gebrechen  clee  englischen  Vortrags  sind  Breite  (Weitschwei%- 
keit),  fibermSssig  hinges  Verweilen  bei  kleinlichen  Dingel,  das  Ver 
sinken  in  dem  Detail,  der  Mangel  einer  philosophischen  Verbindung 
der  Theile  mit  dem  Ganzen  und  eine  ge^visse  Na(  lilässiglceit  (Noncba 
lance).  Macaulay  hat  keinen  dieser  Fehler.''  Dass  die  Spitze  dieses  Ur- 
.  theils  nur  die  Prosa  der  wissenschaftlichen  Schriftsteller  und  Publicis- 
ten,  nicht  aber  die  Prosa  der  bedeutenden  Dichter  trifft^  bedarf  ksnm 
der  Krwiliniing.  Es  ist  selbstverstSndlich,  dass  ein  solches  Urthefl  kei- 
neswegs eine  Entschuldigung  oder  Beschtoigiing  der  stylistisehenüsar- 
ten  nnd  Gebrechen,  deren  sich  die  Schriftsteller  andrer  V5lker  rühmen 
dürfen,  involvirt. 

Die  Besprechung  der  Geschichte  des  XVHI.  Jahrlnmderts  von 
P,  C.  Schlosser  versnlasst  den  Autor  zu  einer  kurzen  Charakteristik 
dieses  Historikers^  welche  nicht  ohne  Hinweis  auf  manche  ^  Zeichen  der 
Zeit"  abgeht,  die  mehr  nnd  mehr  Stoff  su  ernstem  Nachdenken  geben. 
Der  Antor  weist  anf  die  fortschreitende  Nivellirung  der  IndiTidnaliii- 
ten,  auf  das  Znnehmen  der  Gleichförmigkeit  nnd  Charakterlosigkeit  in 
Lehen  nnd  in  der  Tiiteratuv  hin.  Schlosser  gilt  ihm  als  ein«i  rüliroliclie 
Ausnahme.  Dieser  Historiker  könne  nicht  den  überaus  zahli-eiehen 
charakterlosen  Schriftstellern  beigezählt  werden.  «Er  hat  ein  eigenes 
ürtheil  ftber  jede  Erscheinung,  über  jede  Tendenz,  nnd  dies  Urtheil 
ist  überall  ein  gesundes,  wenn  gleich  es  nicht  immer  jeder  Absonder- 
lichkeit baar  ist  Schlosser  besitat  auch  die  wichtigste  Eigenschaft  dss 
Qeschichtschreibers,  die  ünbeiangenheit.  Aber  diese  ünbefimgenhät 
ScblBgt  nie  in  Gleichgültigkeit  um.  Er  ist  ein  Mann  des  Fci  tsi  Initt-  in 

der  edelsten  Bedeutung  des  Worts  Er  ist  vor  allem  deut^rber 

Patriot,  ohne  jedoch  die  Fehler  des  deutsclien  Volks  zu  beschönigen. 
Er  ist  kein  Partheimann.  Wir  ehren  diese  Eigenschaft  in  dem  Sthriil- 
steller  und  in  jedem,  der  dem  Gebiete  der  politischen  Thtttigkeit  fem 
bleibt  Dagegen  fordern  wir  auf  dem  Feld  der  politischen  KSmpfe  ein 
Andres.  Hier  ist  die  Partheilosigkeit,  die  Skepsis  :  Schwfiche!* 

Der  Antor  bespricht  auch  die  ,,Hi8toire  de  dix  ans"  von  Louis 
Blanc  fl844).  in  weh  lier  er  nidit  nur  die  Geschichte  der  constifutio- 
nellen  Monarchie  in  Frankreich,  sondern  auch  die  unerbittliche  Ki'iUk 


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9 


Auovsr  TiueFoiHr*^  hbüb  msats.  788 

des  politischen  Systems  findet,  «las  in  der  Aeia  1830 — 1840  in  Frank- 
reich bestaiKl.  ]5oi  diesem  Aulass  fonuulirt  er  aucli  die  Postulate,  von 
deren  Jirfüllung  ihm  das  Gedeihen  der  constitutionellen  Monarchie  ab- 
zahSogra  scheint.  Er  rechnet  es  dem  Werk  Blanc's  hoch  an,  dass  es  ein 
,110068  Element»  das  Volk  ia  die  Geschichte  eingefohrt  hat. "  —  Der  Autor 
«xfreiite  sich  toh  Jugend  auf  räier  nachgerade  selten  gewordenen 
eeitigkeit  der  Interesse.  Er  registrirt  und  beurCheflt  die  Leistungen 
bedeutender  Geschiehtsehreiber,  Kationalökonomen  und  Politiker.  Aber 
auch  die  geistigen  Bewegungen  auf  andern  Gebieten  der  Wissenschaft 
und  der  Literatur  entgehn  seiner  Aufmerk^jamkeit  nicht.  Er  versiimntc 
es  niclit.  Auerbaeh's  Dorfgeschichten  und  Dlsraeli's  politische  Eomane 
bei  dem  vaterlttndischen  Publikum  einzutiihren. 

Die  Besprechung  des  Romans  „  Coningsby*  von  D'Israeli  veran- 
lasst ihn  zu  Betrachtangen  über  die  Tendenzen  jener  „netr  ^enercrfiofi*» 
für  deren  Frincipien  D'Inraeli  eintrat  —  Anerbach*s  DoHJ^eschiehten  be- 
zeiehnet  er  nicht  nur  als  eine  künsÜerisdi  yoUendeto  Leistung,  sondern 
aueh  als  ein  „Volksbuch'*  im  wahren  Sinne  des  Worts,  als  ein  „Hand- 
buch", das  alle,  die  in  iiirem  Berufe  mik  dem  Volk,  mit  dem  Bauer  ver- 
kehren müssen,  kennen  und  beherzigen  .sollten,  weil  „nur  derjenige, 
welcher  das  Volk  vollständig  zu  kennen  sich  bestrebt,  auf  das  Volk  ein- 
zuwirken vermag."  Der  Fürsprecher  und  Vertheidiger  der  wahren  und 
ber^tigten  Interessen  des  Volks  (und  insbesondere  des  von  vielen 
&«nkheitou  der  Gultnr  unberührten  Landvolks)  spriehi  ans  vielen  Ar- 
beiten des  Auters.  Er  kennt  die  guten  Eigenschaften  des  magyarisohen 
Bauemstandes  und  erwartet  von  der  Tttehtigkeit  desselben  mehr 
als  von  jenen  Gebildeten,  welche  sich  „nur  die  Fehler  und  Laster, 
nicht  aber  die  Tugenden  andrer  Völker  aneignen." 

Die  Abhandlung  über  die  Ifistoire  du  cotisulat  et  de  Vefiipire 
von  Thiers,  enthult  manche  treffende  Bemerkung  über  den  Geschichts- 
schreiber selbst»  ilber  Napoleon  und  Talleyrand.  Die  Bemerkungen  des 
Autors  über  das  VerhBltniss  des  Staate  zur  IGrche  sind  auch  heute  vou 
zeitgemSssem  Interesse.  Er  verhehlt  sich  keineswegs  die  dgentfafimliche 
Natur  der  kirchenpolttischen  Fragen,  an  welchen  mancher  bedeutende 
Politiker  ge.scheitert  ist,  und  er  betont,  das.s  es  einer  Vorbindung  von 
ganz  besondern  Eigenschaften,  eines  eigenarti^'en  T.ikts  bedarf,  wo  die  ei- 
spries^liche  Lösung  derselben  angestrebt  wird.  Der  moderne  Staat 
inibse  die  ErrungenschaCteu  der  meniohlichen  Vernunft)  die  Uewissens- 


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7S4  AVGDIST  TBBFOBT*ii  HBDB  BSSATB. 

freiheit  und  die  Freiheit  der  Forsehmig  gegen  gewaltsame  Eingriffe 
▼ertheidigen.  Aber  der  besonnene  Staatsmann  dOrfe  ancfa  die  geistiges 

Mächte,  welche  ausser  oder  neben  dem  Staate  bestelm,  niclit  ignoriien, 
sondern  er  müsse  vielinelir  «liet^en  Mächten  Rechnung  traj^^en  unrl  zu- 
gleich darauf  achten,  tlass  dieselhen  ihre  Grenzen  nicht  überscli reiten.  * 
Das  Fragment  über  die  Entwickhmp:  Her  englischen  Verfassung 
gibt  eine  kune  übersichtliche  Darstellung  der  Gmndsüge  der  englisf^ea 
Yerfassang  und  der  Hanptmomente  ihrer  Entwickelnngsgeschichte.  In 
diesem  Anfsati  schlugt  der  Autor  einen  Ton  an,  der  in  den  nachfolgen- 
den Arbeiten  sehr  hftnfig  wiederkehrt  Erprotestirt  gegen  die  Aufrecht* 
erhaltung  aller  mittelalterliclien  Kastcnju  ivileiiien,  insbe^^ontlere  gegen 
die  Steuerfreiheit  bevorrei  liteter  Klassen  und  gegen  die  Ausschliessung 
der  Steuerzahler  von  den  polifischon  Rechten.  ..Kin  Land,  wo  der  die 
g^t^bende  Macht  besitzende  Bruch  theil  des  Volks  nichts  zur  Deckung 
der  gemeinsamen  Bedflrfiiisse  (der  Staatsbedfirfiiisse)  beitritgi;  nichts  bei- 
tragen will,  wo  in  Folge  dessen  von  einem  ordentlichen  Budget  nicht  die 
Bede  sein  kann,  entbehrt  der  wesentlichsten  verfassungsmässigen  Gami- 

*  Die  gründliche  staatswissenschafUiehe  Büdong  des  Anton  ist 
sicherlich  die  Haaptnnache  seines  klaren  und  sicheren  Urtheils  über  die 
wichtigsten  Erscheinungen  der  neuen  - Geschichte,  fiber  die  politische,  «o- 
ciele  und  wirthschafUiche  Entwicklung  der  modernen  Gnlturvölker.  Wer 
diese  Entwicklung  richtig  beurtheilen  und  den  Zusammenhang  defielKen 
andern  verständlich  machen  will,  bedarf  vor  allen  Dingen  einer  amfa«««n- 
den  staatswissensdiaftliehen  Bildung,  einer  Fülle  von  politiBchea,  natieiMl- 
OkonomiKchen  und  »oeialwiesensohaftlichen  KcnntniH^^ou,  obm*  welche  «r 
über  das  Detail  der  Verfassungs-  und  Verwaltiuigageschii  lit»'  der  mo<lemen 
Culturvölker  nicht  als  Sachverständiger  niitsiirechcn  kann.  W<>r  heute  vom 
hohen  Standpunkte  «los  ]iolitischen  Historikers  ülicr  »Hf  Kiitwickiaii«;  dfr 
modernon  Staaten  urtlicib  ii  und  andern  das  Vcrständniss  derselU'ii  v>^r- 
niitteln  .soll,  inuss  mit  dem  T>etail  dor  politischen  und  volkswirthsch.»lt- 
liehen  Fragen  vollkoranien  vertraut  sein.  I>ie  Kenntniss  und  genaue  An- 
wendung der  Forschungsnuitliodcu,  das  tlci>si;^'c  und  glückliche  Durdil'or- 
sehen  der  Archive,  die  Hercicheruug  der  Kecu(>iKs  de  doeuments,  die  Mit- 
theilung ungedruckter  Documeute,  die  fleissige  Anhäufung  neuer  Materialien, 
sind  noth wendige  und  verdienstliche  Bemühungen.  Aber  alle  diese  Vtwsn«- 
setaongen  genügen  an  sich  nicht  für  die  Aufgabe  des  politischen  Htitori- 
kers  der  Neuaeit,  wefeher  erwachs^en  Menschen  das  VerOändm»,  der 
modexnen  Institutionen  durch  genetische  Darstellung  vermitteln  solt  Dieser 
Aufgabe  ist  ein  Historiker  ohne  vollständige  staatswissenschaftliche  tuul 
politische' Schulung  nie  völlig  gewachsen« 


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AÜOU.ST  TBIiFuKT'S  VBDB  E&äAYä..  ,      '  735 

tien  . . .  Wo  die  üttiueri&ablende  KIas»e  keinen  Einflus«  auf  die  Gesetzgebung 
hat»  da  Ut  die  TerfassiingiMiidssige  Freiheit  leerer  Schall.'*  Dieeer  Anfsats 
ervebien  schon  im  Jahre  1845.  Der  A^ior  hatte  auch  m  den  folgenden 
Jahren  hinreichende  Gelegenheit,  die  bevorrechteten  Klassen  (die  Ade- 
ligen) zur  Erfüllung  jener  Grundbedingung^  des  verfessnngsmSssigen 
Stiuitslebcns,  der  conditio  sim  (luu  non  times  modernen  Staatswesens 
aufzufordern. 

In  einem  kleinen,  mit  polemischer  Verve  und  nicht  ohne  Humor 
geschriebenen  Anföats  über  den  Adel  sncht  der  Antor  die  völlige  Nioh* 
tagkeit  und  Grundlosigkeit  dee  Anspruchs  auf  politische  Vorrechte^  anf 
eine  politische  nnd  privatrechtliche.  Sonderstellnng  des  Adels  darsnthnn 
und  zn  zeigen,  dass  dem  Adel  in  dem  modernen  Bechtssfeat,  in  einem 
constitutionellen  St;iatsleben  bestenfalls  eine  sociale  Sonderstellung, 
keinesfalls  aber  eine  politi-^rhe  Superioiitüt  zukomme.  Er  drückt  in  die-  ^ 
sem  (im  J.  1845  erschienenen)  Aufsatz  feste  l^berzeugung  aus,  dass 
die  politi^hen  Vorrechte  nnd  zumal  lUe  Stenerfreiheit  des  Adels  in 
küraester  Zeit  aufhSren  mfissen  nnd  aufhören  weisen.  Und  die  Erreig- 
Bisse  haben  seine  Voranssagung  bald  bestKtigt. 

Bei  der  Besprechung  des  Cours  d^eeonomie  poKHtpie  von  Stichel 
Chevalier,  dessen  geistige  Selbstständigkeit  uud  selbsteigene  Leistung 
der  Autor  einigeriiKi.ssen  /.u  übersrliätzen  scheint,  lallt  er  manches  sell>st- 
ständige  ürtheil  über  volkswirthschaftliche  Zeit-  und  Streitfragen  von 
principieller  Iledcut  ung.  Mit  Bezug  auf  die  Interessen  seines  Vaterlan- 
des erklärt  er  die  Erhaltung  und  Sicherung  der  staatlichen  Selbststän- 
digkeit f&r  die  erste  nnd  wichtigste  Aufgabe,  deren  Lösung  vor  allem 
von  der  Hebung  der  nationailen  ProdwMkrafl  abhftnge.  „Da  die  Ver- 
breitung des  Wohlstandes  aus  der  Zunahme  der  Prodnctivkraft  der 
Gosellsehaft  folgt,  muss  die  Gesellschaft  die  Vorgrösserung  der  Pro- 
du<  tion  anstreben.  Die  Bedingungen  der  Zunahme  der  Production  aber 
sind  :  Verkehrsmittel,  Creditanstalten  und  der  Fachunterricht  (Fach<: 
bildung).'*  Der  Autor  erörtert  ziemlich  eingebend  die  Bedeutung  eines 
richtig  angelegten  Eisenbahnnetzes  und  eines  guten  Ganalisatiotts- 
Systems  Ar  die  Hebung  der  Prodnctivkraft  des  Volkes.  Obgleich  sich 
seither  vieles  verändert  hat  und  manches  seiner  Postnlate  realisirt . 
worden  ift,  enthalten  seine  Ausfahrungen  manchen  Gedanken  der  auch 
heute  nicht  ohne  aktuelles  Interesse  ist. 

In  einer  grö^äeren  Abliuudluug  äb.a:  „die  materiellen  Interessen'* 


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786  AU6UST  TMirOBT*B  lOK»  BSBATS. 


^rtert  der  Autor  die  nttofatten  nnd  wiclitigiteai  Aufgaben  einer  ael* 
bewtraeten  Volkswirtlim^altspolitik  in  üngam.  Er  zeigt  vor  allen,  dass 

die  i'llege  der  materiellen  Interessen  eine  Gnindbodingnug  je'iei  ge- 
sunden politischen  Entwicklung,  der  freiheitlichen  In;stitutionen  nnd 
des  geistigen  Aafficliwungs  einer  Nation  sei,  und  bekämpft  jene  asketisebe 
AujOTaeamig,  welche  in,  der  Sorge  für  die  Hebung  des  eigenen  und  dw 
allgemeinen  Woblstaiidee  ein  Hindemiss  der  höheren  geistigen  Etat- 
WicUnng  imd  der  Wertsehätenng  idealer  Güter  findet,  mit  aUer  Kraft 
seines  Witzes.  »Indem  der  Wofabtaad  den  Mentfeben  unabhängig  maeht» 
erweckt  er  edle-s  Selbstbewusstsein,  Sittliclikeit  und  Vaterlandsliebe; 
denn  nur  derjenige,  welcher  an  den  Gütern  und  Wohlthaten  der  axia- 
len Gemeinächait  Theü  hat,  bestrebt  sich,  das  Wohl  seines  Vaterlandes 
zu  Dördei-n/ 

Trefort  ist  kein  laudatcr  temporia  o/cU.  Aber  er  yerheblt  sieh 
aneh  die  traurigen  Folgen  und  Begleiterscheiniingen  des  modernen  Pro-- 
dnctionssytems,  die  Gefithr  drohenden  Übel,  welche  das  jetzige  wirt- 
schaftliche System  gezeitigt  hat,  keineswegs.  «,Doch  es  ist  das  VeriAng- 
niös  des  Menscliengeschlechts.  nichts  VoUkomiuenes  schaffen  zu  können. 
Der  Fabrikant  und  der  Grossproducent  ^clliiessen  den  Handarbeiter 
(das  Kleingew  erbe),  den  Kleinbesitzer  und  den  Bauer  von  der  Ooni-nr- 
rens  ans*  Handelskrisen  (wie  die  amerikanische)  nnterbreoben  die  iFab- 
riksarbeit.  Das  IjOOS  des  Arbeiters  ist  mngewiss  nnd  sckwankend,  nnd 
deqeiiige»  webher  seine  Familie  dnrch  seiner  HSnde  Arbeit  nfthrl,  wird 
erwerbeloe,  dem  Hunger  preisgegeben ;  denn  er  Tennag  nnr  wenig  zq 
ersparen,  da  ihm  kein  Antheil  an  dem  üntornehmergewinn  gewährt 
wird.  Seine  Kinder  verbringen  iln*en  LebenstVüliling  freudlos,  zwisclien 
düsteren  Wänden,  bei  schwerer  Arbeit,  bei  welcher  Leib  und  Seele 
welken.  Die  Agiotage-Wuth  füllt  die  bodenlosen  Säcke  der  Wucherer 
anf  Kosten  der  mittelmUssigen  Vermfigen.^  Wahi-Jich  der  Antor  gehört 
nicht  zn  jenen  optimistischen  Lobrednem  des  gegenwärtigen  Industrie- 
Systems,  welche  nicht  mflde  werden,  ra  erOrtem  :  „Wie  wirs  doch  so 
herrlich  weit  gebracht  1",  welchen  die  gesteigerte  Production  der  Gfiter 
alles,  die  Menge  traui-iger  und  lie>orguisiserregendcr  Üegleilerscheinun- 
gen  nichts  bedeutet.  Er  ist  kein  Anhauger  jener  bequemen  und  leicht- 
lebigen ToltUk,  deren  ganze  Weisheit  sich  in  dem  tiefsinnigen  Priadp 
JmSi9r  faire^  laisser  aUer"  ausdrückt,  deren  Methode  im  Schliess« 
der  Aiiyeii  vud  im  Ijgnoriren  der  achwer^iten  Probleme  besteht  nnd  de- 


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AUOVar.TBSPOBT*.S  NEUE  %6»A\'H,  737  ' 

rea  letzte Wort  das  f,A^rcs  naus  le  dMuge*  Id.  Es  liegt  ihm  fern, 
sich  selbst  oder  andre  über  die  vorhandenen  Übel  und  Gefahren  za 
täuschen.  £i*  sieht  die  Übel  nnd  er  bemäht  sich,  die  Ursaoheii  derselben 
m  erkennen  nnd  ans  Licht  zu  adeben.  Aber  er  bilt  dieselben  nieht  fllr 
nnheilber,  er  findet  die  Ursache  derselben  nicht  in  dem  Inneren  Wesen 
des  modernen  Isdnstriesysiems,  sondern  in  der  UnTollfcommenbeit  der 
bisherigen  Durchführung.  Er  hält  jene  Übel  für  Hemnningsmoniente, 
für  Entwi(  kelungsstörungen,  welclie  durch  fortschreitende  Vervoll- 
kommnnng  des  Systems  beseitigt  werden  könnten. 

Der  Antor  bespricht  die  Bedingungen  einer  nachhaltigen  He- . 
bnng  der  einlieimischen  Industrie  nnd  bestimmt  zumal  die  Anfgaben 
anf  dem  Gebiete  des  Verkehrswesens.  Dagegen  ist  er  auf  manche  andre 
zeitgemflsse  Aufgabe  der  Socialpofitik  bei  diesem  Anlass  nicht  einge- 
gangen. Doch  steht  er  nicht  an,  eine  allgemeine  Erhöhung  de!^  sfandard 
of  lifo  und  die  Berufung  der  grossen  Mehr/ahl  der  Men^schen,  welche 
jetzt  noch  auf  einer  sozusagen  tliierischen  Stufe  steht,  zu  den  höheren 
(iütem  der  Cnltur  ah  ein  eireichbared  Ziel  derselben  zu  bezeichnen. 
Er  glanbi  an  die  künftige  Dnrchffthmng  dieses  Postulats.  Die  Zeit 
derselben  »mnss  nach  dem  dnroh  die  Geschichte  bestfttigten  Gesetz  des 
Fortschritte  kommen.^ 

In  der  Abhandlung  „Aber  die  materiellen  Interessen'*  entwickelt 
der  Autor  auch  ein  Programm  in  Sachen  der  staatlichen  Ablösung  der 
Frohndiem>te.  Es  war  ihm  hiebei  /uvih-derst  um  die  zweckmässige, 
wirthHchaftliche  Vei'werthung  der  (im  Rahmen  des  abgelebten  Urbarial- 
Sytttems  grtfsstentheils  nutzlos  vergeudeten)  Arbeitskrftlüe  zu  thun.  Bei 
diesem  Anlass  kommt  ein  socialpolitisches  Postulat  von  principieller 
Bedeutung,  dessen  Tragweite  allerdings  hier  nicht  ntiier  bestimmt  würd, 
zur  Geltang.  „Es  ist  die  Aufgabe  des  Staats,  den  Fortschritt  zu  fördern 
und  seine  Richtung  /.u  bestimmen,  der  Anwcdt  der  Ctoir(hsckaftich) 
St'hwarJicn  uml  Jlülflosm  zu  sein.'  .  .  .  Der  Autor  fordert  mu»  h  die 
Aufhebung  des  hergebrachten  Proceääualsystems ,  eine  Regelung  der 
mit  den  modemen  BechtsgrundsfttBen  unvereinbaren,  der  festen  eigen- 
tbnmsrechtlichen  Grundlage  und  der  Sicherheit  (etwaigen,  von  unvor- 
denklicher Zeit  daturenden  Ansprüchen  g^genflber)  entbehrenden  Be- 
nitzveriifiltnisse,  nnd  die  Aufhebung  der  Aviticitftt  und  der  Steuerfreiheit 
der  adeligen  Güter,  Kr  warnt  seine  Land.•^leute  vor  den  Auswüchsen 
dei  ludustrialismus.  „Benutzen  wir  die  Erfahiungen  andrer  Nationen; 


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738 


hüten  wir  uns  «lavor,  eine  Klik>«e  von  Proletariern  zu  erziehen,  welche 
bald  eine  Armengesetzgebung  nöthig  machen  und  mit  der  Zeii  den 
JBesUuid  der  GesellschaltsordiraDg  bedrohen  wfixde.*' 

Eine  der  interesranteeien  und  daakenswertheslea  Gaben  der 
Sammliuig  ist  der  Essay  „über  das  Beaitzrecht  in  üngam",  in  welchem 
der  Autor  die  höchst  eigenthümlichen  Beaitzverhältnisse  and  dgen- 
thumsreehtlichen  Grandsfttze,  welche  in  dem  vormftrzlichen  Ungarn  be- 
standen, mit  festen  Strichen  charakterisirt,,  die  Existenzberechtigung 
derselben  der  einschneidensten  Kritik  unterzieht,  die  uuab\\  ei-b  Jie 
Nothwendigkeit  einer  raditalen  Reform  der  Besitzverhältnisse  und  ded 
Eigen thumsrechts  rar  Evidenz  beweist  und  concreto  Vonchläge  in  Be- 
treif des  modu8  proeedendi  macht 

Auch  der  Essay  j^überdas  Erbrecht^  enthält  sehr  interessante  Auf- 
schlttsse  über  die  priTatrechtlichen  Anachronismen,  mit  welchen  erst  in 
jener  Stnrm-  nnd  Drangperiode  der  Beformen  aufgeräumt  wurde.  Auch 
in  diesem  Esüiiy  tritt  der  Autor  für  die  DurLiiiüluung  der  Forderun- 
gen des  modernen  Rechtsbewusstaeins  ein.  Auch  hier  ist  er  ein  Vor- 
kämpfer der  Ideen,  web  he  im  modernen  Rechtsstaat  verwirklicht  sind, 
auch  hier  fordert  er  die  Durchführung  der  liberalen  und  demokrati- 
schen Institutionen,  in  welchen  er  die  Bürgschaft  des  Forschrittä,  das 
Wachsthums  der  Cnltnr,  der  LOsung  der  grossen  sodalMi  AnTgaben  des 
Zeitalters  erblickt.  Er  kämpft  gegen  das  Überhandnehmen  und  die  Be- 
günstigung der  Minorate  und  Fideicomisse,  welche  mit  der  politischen 
Sonderstellung  und  den  Vorrechten  des  Adels  fallen  sollen,  zumal  aber 
gegen  die  I3es(  hriinkung  der  Te^tirfreibeit.  „Das  Te.slament  ist  die 
höchste  Manitestation  des  individuellen  Willens  .  .  .  das  Recht  zu  testi- 
ren  i^t  ein  Attribut  des  Eigenthumb,  ohne  welches  es  aufhört,  Eigen* 
thum  zu  sein.  Da  aber  das  Eigenthum  den  Schutz  des  St^ts  geniesst 
und  ein  Theü  des  VolksTenndgens  ist»  hat  der  SkuU  das  Recht»  die 
QrenMen  su  bestimmen',  bis  zu  welchen  die  Befngniss  des  Ihdinduunu, 
über  seine  Güter  zu  disponiren,  reichen  dar£  Wie  er  einerseits  Fidei- 
comi8€e  und  Bnbs^tutionen  In  infinitum  nicht  tukssen  kann^  so  kann 
er  andererseits  fordern,  dass  der  Vater  tiir  >eine  Kinder  sorge  und  ge- 
zwungen sei,  denselben  einen  Theil  seines  Vermögens  zu  hinterlassen.** 

Der  Autor  hat  es  verstanden,  seinen  »Standpunkt  und  seine  For- 
derungen gegen  die  Publicisten  der  conservativen  Parthei  mit  grosser 
Schlagfertigkeit  zu  ▼ertheidigen.  Es  fehlte  ihm  nioht  an  dem  Math  der 


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AUOOST  TREPORT*S  NEOS  ESäATS.  .  739 

eigenen  (  l)ei/eugung.  Und  «lieiier  hat  gewiss  seine  Wirkung  ebenso- 
wenig verfehlt,  \v\e  die  Kraft  seiner  Argumente.  Damm  vraren  seine 
Arbeiten  in  jener  Zeit  der  Gübnmgen  und  geistigen  Ktfmpfe  besonders 
geeignet,  die  Qeister  für  die  grossen  Anfgaben  der  Znknnft  zu  scbalen 
nnd  zu  entschlossenem  Beginnen,  zu  „mannlidiem  Wagen^  anzn- 
eifem. 

In  einigen  geharnischten  Artikeln  weist  tler  Autor  die  Lebons- 
unfühigkeit  des  Systems  der  Avitirität  nach,  auf  dem  das  Grundeigen- 
thnuisrecht  in  Ungarn  nocb  in  den  vierziger  Jahren  Itoruhte.  Nach  dem 
Grundsatz  dieses  Systems  war  die  Familie,  das  adelige  Qeschleeiit  der 
walire  Eigenthümer,  das  IndiWdnnm  wurde  nur  als  Hntsniesser  auf- 
gefassi  Allein  dieses  System  hatte  sich  Tollstündig  ftberlebt  nnd  es 
fehlte  nicht  an  Hinterpförtchen  nnd  casnistischen  Kniffen,  dnrch  welche 
man  dasselbe  aussj»ioltc.  Der  Aut<n-  wollte  nichts  von  problematischen 
Compromissen  und  liallion  Mas^iegoln  liöron,  sondern  ging  uner- 
schrocken aufs  Ziel  los.  Er  verlangte  rundweg  die  Beseitigung  des  gan- 
zen Systems,  das  er  im  modernen  Staat  fElr  einen  unhaltbaren  Ana- 
ehronismns  hielt,  und  bezeichnete  die  concreten  Massregehi,  deren  es 
inr  Schaffung  solider,  nicht  unablässig  durch  ein  frivoles  Prooessnal- 
System  gefthrdeter  und  in  Frage  gestellter  Besitzrerhflltnisse'bedurfte. 

In  einer  schwungvollen,  mit  fast  allzuviel  polemischer  Verve  aus- 
Lf- rührten  Streitschrift,  verstand  es  der  Autor  die  volkswirthschaftli- 
chen  Tendenzen  Franz  Deäk's  und  den  von  ilim  angeregten  Imlustrie- 
schutzrerein  mit  glücklichem  Geschick  und  gründlicher  Sachkenntniss 
gegen  die  Angriffe  des  Grafen  Stefan  Szechenyi  zn  vertheidigem,  weicher 
sich  anscheinend  von  den  Vomrtheilen  der  „klassischen'*  NaticnalSko- 
nomie  nicht  losznreissen  vermochte  und  sich  in  der  Polemik  nicht  der 
glücklichsten  Argumente  bediente.  Dagegen  fehlt  es  den  scharfsinnigen 
Argumentationen  des  Autors  nicht  an  überzeugender  Kraft  Seine  Aus- , 
fiihrungrn  zeugen  von  genauer  Kenntniss  der  wirthschaltlichen  Zu- 
stände und  Bedür&isse  seines  Vaterlandes.  Die  Einwirkung  Friedrich 
lA8$*$f  die  sichere  Erfassung  des  wahren  Kerns  seiner  Theorie  zeigt  sich 
auch  in  dieser  Arbeit  des  Autors.  Gegen,  die  Annahme  des  berflhmten 
Gegners,  dass  der  Indnstrieschutzverein  die  magyarische  Nationalitftt 
beeinträchtigen  werde  (da  die  Gewerbetreibenden  grösstentheils  andern 
Volksstänimen  angehörten),  verwahrte  sich  der  Autor  auf  das  entschie- 
denste. „Wir  aber  glauben,  Uais  nicbti  die  Kraft  der  magyarischen  Na- 


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I 


740  AUGUST  TBKrOBT*8  XJ£Ü£  üääAVS. 

tioniilitiit  mehr  erhöhen  werde,  als  die  forsch  reitende  Entwickelang  «1er 
.  Prodactivkrftft  des  Landes.  Die  Nationalitäten  haben  in  nnserem  Zeit- 
alter keinen  ftigern  Feind  als  die  Amnth,  die  UnwiseenheÜ,  die  Kneehi- 
sdiaA;  wie  dieee  Übel  vermindert,  das  bietet  anch  die  besten  BQig- 
sdwften  Air  die  Erhaltang  der  Nationaütttt  t'^ 

Trefort  hat  auch  einen  Cyklus  von  Aufsätzen,  welche  im  Jahre 
1  1847  unter  dem  Titel  „Unsere  nächste  Aufgabe"  er^:chienen  siu'l.  in 
die  gegenwärtige  bammlung  aufgenommen.  Diese  Aufsätze  sind  von  his- 
torischem Interesse,  insoweit  sie  zeigen,  Avelcher  Ausdauer,  welcher 
hartaflekigen  Energie^  welcher  Sclillrfe  nnd  Eindringlichkeit  der  Argu- 
mentation es  damals  bedurfte,  nm  die  Öffentliche  Meinung  Ar  die 
entschiedene  und  beschleonigte  Durehlttning  zeitgemSsser  Beformen, 
der  nnabweisborsten  Fordenmgen  de»  Recbtsbewnstsirins  m  gewinnen, 
und  um  die  bevorrechteten  Klassen  zu  verstämligem  Nachgeben  und  re<At- 
zeitigem  Handeln  zu  veranlassen.  Der  Autor  war<l  nicht  müde,  die  Auf- 
bebnng  der  unhaltbaren  Privilegien,  der  nachgerade  zum  ötfenÜicben 
Argemiss  gewordenen  Stenerfreiheit  des  Adels  nnd  die  Darchffibmng 
eines  soliden  Finanasystems  m  urgiren«  Bei  jedem  Anlass  mft  er  den 
Prifilegirten  sein  ^Cäerum  aukm  isenaeo*  su :  Steht  dem  EmporUfiben 
'  des  Vaterlandes,  der  gesunden  Entwicklung  des  VoHcälebens,  der  Frei- 
heit und  dorn  Fortscluitt  nicht  im  Wege !  Rafft  euch  aus  eurer  Indoleni 
und  ünthiitigkeit  auf,  nm  die  Zukunft  des  Vaf,erlandes  zu  sichern! 
Erfüllt  die  Grundbedingungen,  ohne  welche  kein  modernes  Staatswe- 
sen bestehn  kann !  Entsagt  vor  Allen  den  Rudimenten  einer  abgelebten 
Kultur,  den  unbaltbar  gewoi-denen  Privilegien  und  betheiligt  euch  an  den 
LastMi  Und  Opfern,  welche  das  Vaterland  fordert  Zahlt  Stenezn !  Und' 
nach  jährelangen  Kflmpfen  wird  der  Autor  des  trockenen  Tons  der  Be- 
weisführung satt  und  lässt  bisweilen  dem  Humor,  den  die  Indolenz  und 
das  fatalistische  Abwarten  der  interessirten  Kreise  immer  von  neuem 
erregen,  und  der  dem  begeisterten  Vorkämpfer  der  Ideen  eines  neuen 
Zeitalters  eben  darum  oft  abhanden  zu  «kommen  droht,  munter  die  Zü- 
gel schiessen*  Wie  Saint  Simon  sich  allmorgens  zumlen  liess,  er  hsbs 
grosse  Dihge  zu  voUftthren;  —  so  glanbte  der  ungarische  Pnbfidst, 
der  privilegirten  Klasse  inuner  wieder  zurufen  zu  müssen  :  ErfUlt  eure 
Pflicht  nnd  zahlt  Steuern !  Und  „wie  der  Muezzin  vom  Minaret  herab  die 
GlUubigen  zur  (tottesanbetung  auffordert",  so  erinnert  der  Publicist  alle 
Mitglieder  jener  Klasse  an  die  iiirfüllang  ihrer  menschlichen  Pflichten, 


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AUGUST  TBKF0BT*8  NKUK  KSSiTS.  74t 

welche  „der  Oottesanbetung  am  nftohsten  kommt"  .  .  .  Wahrlich,  der 
Autor  hat  seine  einmal  abernommmie  pnblioistische  Pflicht  in  jener 
Übergangszdt  mit  nnemftdliehem  Eifer  und  gewissenhaftem  Ernst  er- 
füllt Sein  Bemühen  war  nicht  TergebUeh.  Die  geistigen  Kkmpfe  Jener 
Zeit  Terliefen  nicht  resultatlos.  Das  Ergebniss  derselben  war  der  Sieg 
der  neuen  Ideen,  zu  deren  eifrigsten  Vorkftmpfem  Trefort  gehörte, 
zu  deren  Verbreit un*f  die  Kiimpfe  jener  kleinen  Schaar  streitbarer 
„DoctrinHre",  welcher  der  Autor  angehörte,  nicht  wenig  beigetragen 
haben.  Wenn  ein  späterer  Geschichtschreiber  mit  jener  Objectivitfit, 
welche  durcli  die  zeitliche  Entfernung  bedingt  ist,  das  Charakterbild 
j«nes  Zeitalte»  zeichnen  wird,  wird  er  aneh  den  Leistungen  der  Mte' 
ner,  welche  sich  um  die  politische  Schulung  jener  Oeneration  verdient 
'  gemacht  haben,  gerecht  werden  mttssen. 

Im  letzten  Thefl  der  Sammlung  sind  eini<(e  ixditisehe  Beden  mit* 
getheilt.  welche  der  Autor  in  der  „Zeit  der  Umgestaltung^  (1861  — 
1865)  und  in  der  neuen  Aera  des  Staatslebens  —  nach  den  letzten 
Beichstagswahlen  ( 1881)  -    i^ebalten  hat. 

Trefort  hat  auch  nnch  dem  misslungenen  coQ.HtitationelIen 
Experiment  im  Jahre  1861  den  Muth  nicht  sinken  lassen.  Er  hat  auch 
in  den  trübsten  Zeiten  den  Glauben  an  den  Sieg  der  neuen  Ideen  und 
dnr  nationalen  Sache  nicht  Terloron.  Er  war  immer  bemiht,  diesen 
Glaaben  auch  in  andern  lu  beleben  and  zu  befestigen.  Die  ungarischen 
Freiheitsklmpfe  erschienen  fhm  als  ein  Moment  in  dem  grossen  Frei- 
heitskampf der  europäischen  Kulturvölker.  Er  verzweifelte  nie  an  dem 
glücklichen  Ausgang  dieses  Kampfes,  der  „sein  Ziel  erreichen  wird 
aller  Vergewaltigung  zum  Trotze!"  Es  ist  etwas  schönes  um  den  festen 
Glauben  an  den  Fortschritt,  an  den  Sieg  des  Hechts,  an  eine  bessere 
Zukunft  der  Menschheit  Dieser  Glaube  beseelt  und  durchwArmt  alle 
Arbeiten  des  Autors.  In  diesem  Glauben  wurzelt  die  geistige  Lebens- 
energie,  mit  welcher  er  die  VerwirUiohung-  seiner  Ideale  aagsstrebt 
und  auf  dem  Gebiete  des  praktischen  Wirkens  mehr  als  einmal  erreicht 
hat.  „In  dieser  Welt  beruht  alles  auf  dem  Glauben. **  Darum  ermahnt 
der  Autor  seine  (iesinnuni^^geniHsen  :  „H.irren  wir  aus,  veiv,agen  wir 
ni(  bt.  seien  wir  energisch  und  besonnen  !  Die  nationale  .Sache  niusH 
und  wird  triumptiren  I"  Und  bald  darauf:  ,.Wir  haben  keinen  Grund. 
an  der  Zukunft  zu  verzweifeln  ;  die  Zeit  i.st  dem  Kecht  und  der  Frei- 
heit günstig  t . .  Eines  aber  thut  Noth  :  Geduld  haben  und  warten  k^* 


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.748  AfrCnJKT  TWOK'S  HOB  l88ATIk 

/ 

Ben.'  ~  »NurinBtttig  auf  ftmclaineiitaleBechte  darf  niemals  an  Traas- 

actionen  oder  Comproniisse  gedaclit  weiden .  .  .  Und  sclion  nach  weni- 
gen Jahren  Vöimorhte  der  Autor,  darauf  liiuzuweisen,  dass  die  Tlial.sa«  hen 
seinen  Glauben  gereclillertigt  haben  und  das?s  der  verhei^seue  Tag  ge- 
kommen ist.  er  1865  vor  seinen  Wahlern  erscheint,  erklärt  er  sich 
von  neuem  mit  der  Politik  Frans  Deäk*s  «olidariech.  £r  tritt  für  den 
Dualismus,  für  die  gegenwärtige  staatarecbtUcfae  Oestaltnng  derHo- 
narchie  ein.  „Der  Dualismus  ist  fär  die  dsterreichiselie  Honardiie  ein 
Na^urgesetK.''  Er  tritt  von  neuem  f&r  die  Ideen  ein,  für  deren  Ver* 
wirklichung  er  immer  gekämpft,  an  deren  gutes  Reeht  und  an  deren 
Sieg  er  zeitlebens  ueglaubt  hat. 

Die  let/.ten  Reden,  welche  die  vorliegende  Sauunlung  enthalt, 
zeigen  uns,  dass  die  Flucht  der  Jahre  das  politische  Glaubensbekennt- 
niss  des  Autors  nicht  erschüttert  hat.  Nun  ist  es  ihm  möglich,  in  diesen 
Reden  auf  den  zurückgelegten  Wog»  euf  die  überstandenen  Kämpfe  mit 
einer  gewissen  Befriedigung  surüok  zu  blicken.  Denn  er  gehört  zu  den 
Giaokliohen,  welchen  es  veigOnnt  ist,  manche  Idee,  fIBr  welche  sie  ge- 
kämpft haben,  verwirklicht  in  sehn,  ja  manche  Princlp,  für  das  sie  in 
Freud  und  Leid  eingetreten  sind,  selbst  in  die  Wirklichkeit  einführen 
zu  können.  Glücklich,  wer  nicht  nur  auf  das  l.'rtheil  der  Nachwelt  hoflen, 
sondern  auch  sich  selbst  sagen'  darf,  dass  er  nicht  vergeblich  gelebt, 
nicht  vergeblich  für  die  Sache  der  Freiheit,  des  Rechts,  des  Fortschritti 
gekämpft  hat)  wer  die  Verwirklichung  der  Ideen,  für  die  er  sich  in  jnn- 
.  gen  Jahren  begeistert  erleben  und  durch  sein  eigenes  Schaffen  und 
Wiricen  herboifBhren  kann.  A.  Trefort  ist  einer  Yon  diesen  GlücUiehen* 
welche  selbst  ihre  Saat  aufgehn  und  em  neues  Geschlecht  die  Frfiehte 
ihrer  Arbeit,  die  Errungenschaft;  ihres  Strebens  geniessen  sehn.  Aber 
ihm  ist  der  Fortschritt  eine  unendliche  Aufgabe.  Er  kennt  kein  betrach- 
tendes Verweilen  bei  den  bisherigen  Errungenschaften.  Er  mag  nicht  l)ei 
dem  Geleisteten  stillstehn;  äonclem  er  beschäftigt  sich  immer  mit  neuen 
Aufgaben,  deren  Lösung  er  für  die  Bedingung  fortschreitender  £nt- 
wicklnng  hält  Und  er  ist  entschlossen,  die  Lösung  detselben  zu  un- 
ternehmen, an  der  Lösung  mancher  neuen  Aufgabe  des  Zeitalten 
thatkräftig  mitzun^irken. 

Vor  einem  Jahrzehnt  hat  der  Autor  die  Leitung  des  nngaiischen 
üntcrrichtswesens  übemommen.  Manche  Reform,  manche  neue  Sch5« 
pfung  auf  diesem  Gebiete  legt  lebendiges  Zeugniss  vop  seiner  organi* 


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ZÜK.  OBSCniCHTE  DIB  OBAN£B  DiOCSSe.  743 

satorisclien  riiäti^^keit  ab.  Kr  blickt  nicht  ohne  Befriedigung  auf  die 
Ergebnisse  des  letzten  Decenniums  zurück.  Denn  er  darf  sich  sagen, 
dass  in  dieser  Zeit  die  Cultorarbeit  der  Nation  in  mancher  Hinsicht 
nachhaltig  gefördert  worden  ist  nnd  dass  manche  Bedingung  des  geisti- 
gen Aofechwnngs  geschaffen  wurde.  Aber  der  Autor  weiss  selbst  am  besten, 
dass  der  gegenwärtige  Stand  der  Dinge  noeb  manches  zu  wttnschen 
fibrig  liisst,  dass  noeb  manche  grosse  Aufgabe  zu  lösen  ist  Und  er  hat  auch 
den  Willen  und  ilen  Muth,  die  Losung  derselben  zu  unternehmen.  Er 
setzt  (He  begonnene  Arbeit  mit  unverminderter  geif^tiger  Lebensenergie 
fort.  Jeder  quietistische  Zug  ist  seinem  Wesen  fremd.  Er  gehört  zu 
den  strebensfrcudigen,  .schaffenslustigen  Geistern,  welche  „im  Weiter- 
schreiten Qual  und  Glück"  finden,  welche  nicht  müde  werden,  för  die 
Sache,  in  deren  Dienst  sie  ihr  Leben  gestellt  haben,  su  kimpfen  und 
zu  wirken. 

Die  jüngere  Generation  kann  Vieles  aus  seinen  Arbeiten  1er-  • 
nen.  Es  ist  nnr  zu  wünschen,  dass  sie  seine  Lehren  auch  beherzige 

und  durch  Tiiaten  bewähre,  duMs  sie  (jlcich  ihm  die  idealen  Güter  der 
Memchheit  Ihoch  halte  und  dem  \':iterlande  <lie  Segnungen  tlcr  Ouitur, 
der  Freiheit,  der  Bildung  zu  äicheru  bemüht  sei.  p  -  Bf..B 


ZUR  GESCHICHTE  DER  GRANEß  DIÖCESE.* 

Der  ungarische  Klerus,  dessen  Patriotismus,  Bildung  und  aufge- 
klärter Geist  diese  Zeitschritl  öfter  Gelegenheit  hatte  hervorzuheben, 
hat  auch  der  vaterlUndisclien  Geschichtschreibung  zu  ollen  Zeiten  be- 
deutende Dienste  geleistet.  Von  der  Zeit  der  Chroniken  und  Legenden 
gar  nicht  zu  reden,  haben  im  XVL  Jahrhundert  die  Primase  Olah  und 
Yerancsics,  sowie  der  Bisehof  Fbrgieh  bedeutende  Gesohichtswerke  ge< 
sduieben.  Im  XVIL  Jahrhundert  entfaltet  der  Jesuit  Heveneqr  in  den 
Arehiyümrschungen,  seiner  Zeit  ▼orweiland,  eine  beiqiiellose  Thfttigkflit» 

*  Momiswttto  EetMoit  Strigonientis.  JoBsn  et  rampto  ...  *  Joannit 
Card«  Simor  Principis  Primati«  Arohiepiscopi  Strigoniensis,  oidine  chron. 
disposnit,  distertatiombns  et  notis  illuttravit  Dr.  Ferdinandui  Knaug  Eccl. 
Metr.  Strigon.  Canonicus.  Tomus  socundus.  1273—1321.  Cum.  0  tabulis 
lithographicis  et  11  sigillia  signo  incisis.  Strigonü.  1882.  t".  XLIX  ot  883  p. 
—  Der  €>rate  Band  (979^1273)  ist  1874  enchienen.  XLVIII  and  6ä8  äeiten. 


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744 


Sim  OEK(  HICHTB  DER  QRAVFB  DI^KSE. 


willirend  der  Jesuit  Inkofter  eine  f?rossangelegte  Kirchengescbiehte 
ginnt.  Iin  XVIII.  JahrhundeH  weist  dieser  Orden  eine  R^ihe  glänzend« 
Kamen  als  Geschichtsfoi scher  und  SehriftsteUer  Mtf :  Kaprinaj,  Kazr, 
TIsAr^cxj,  Fny  und  Entona»  Des  letzteren  monomentalM  Werk,  seine 
42-bliidige  .Historin  Critic»  Begai  HnagBriae"  iai  aoeh  lieute  ein  nn- 
entberHehes  Qadlen-  imdHfUfibaeb,  gleichwie  der  vom  Domherm  Qeciw 
ging  Feh^  in  der  ersten  HMfte  des  fonftoden  Jehriranderts  ans  eigenen 
Mitteln  edirte,  ebenfalls  42-b!lndige  „Codex  diplomatieos,"  Den  neuen 
(/eist  der  Gesehichtsst  lii  oiliiin}^'  hat  zueilt  der  Pauliner  Virnfjh  in  un- 
sere Literatur  ein^'ebürgert.  und  ebenfalls  ein  Mann  der  Kirche,  der 
Bischof  Miehad  Jlomdthy  Ist  es  gewesen,  der  die  sämmtliehen  Ei^eb* 
niaae  •  der  nenaeitUehen  Forschungen  nniarbeitend»  seiner  Nation  ihre 
Qeeehichfte.Ton  den  ftltesten  Zeiten  bis  enf  unsere  Tage  in  14  Bftnden 
darbot. 

Wir  apredien  bloa  von  den  leitenden  Mftnnem  und  schweigen 

von  den  Lebenden. 

Es  ist  sehr  nntürlith.  du.ss  der  hohe  Clerus.  imlem  er  die  politi- 
sclie  Gfschiflite  seines  Vaterlandes  ])egründet  und  unablässig  weiter- 
fördert» ^upli  die  Aufliellung  der  Vergangenheit  seiner  eigenen  Kirche 
nicht  vergisst,  weUshe  ohnehin  nüt  der  nationalen  Geschichte  in  engem 
Verbände  steht. 

WShiend  die  theologische  Literator  in  Ungarn  iinbegreiflidier 
weise  stockt^  zeigt  sich  auf  dem  speciellen  Gebiete  der  Kircbengeschiebte 
in  keinem  Lande  eine  so  erfreuliche  Thiltigkeit  wie  bei  nns. 

Einen  namhaften  Beleg  dafUr  weisen  wir  in  dem  monumentalen 
Werke  auf,  dessen  Titel  in  der  Anmerkung  zur  ÜbeiücUritl  dieser  7m- 
len  steht. 

T)er  von  seiner  liberalen  Förderung  der  Wissenschaflen  und 
Künste  bekannte  Graner  Kardinal  Erzbischof  Johann  Siwor,  hat  einen 
seiner  gelehrten  Dommherm  Ferdinand  KnauB  mit  der  fliffHm^«g 
nnd  VerOifentlichitng  der  auf  die  Geschichte  des  Graner  firzbisthuBS 
beafigUchen  BenkmKler  betraut. 

Die  Wichtigkeit  und  Ausdehnung  dieser  Aufgabe  kennzeichnet 
schon  der  Umstand,  dass  der  uns  vorliegende.  1  1.'»  Hu^^'en  tüllende  Il:in»l 
nicht  ganz,  serlizig  Jahre  aus  der  (Jeschit  bt^?  des  Er/.bisihuujs  ulllt;^<^t. 
Von  der  zweiten  HUlfto  des  XIII.  dahrhunderts  angefangen  niimlitb 
bewahren  sowohl  das  Graner  ersbischöfliche  und  Capitolar-ArchiT,  als 


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«ach  die  übrigen  Archive  des  Landes,  dne  grosse  Menge  von  Original- 
Urkunden,  weldie  anf  die  politisebe  nnd  Usebliobe  TbSiigkeit,  die 

Kfinipfe  und  Fehden  der  Erzbisehöfe,  sowie  auch  auf  die  besiUrecht- 
liehen  Verhältnisse  des  Erzbisthums  ein  volles  Licht  werfen. 

Die  kirchlichen  Zuätftnde  des  mittelalterlichen  Ungarns  verdienen 
gewiss  in  hohem  Qrade  die  Aufinerksamkeit  der  Geschichtschreiber  dieser 
Zeit  Die  Wellen  aller  jener  Ideen-Bewegongen  und  Interessen-Kämpfe, 
weUhe  das  westliehe  Eoropa  beschftftigtei(  reichten  auch  nach  Ungarn 
herein,  wo  sie  sich  in  viel&cher  Hinsicht  in  eigenthftmlicher  Form  ftnssem, 
nicht  allein  wegen  des  besonderen  Charaktei*s  der  Nation,  sondern 
hauptsäcldich  wegen  jenes  besondern  Verhältnisse.^,  welches  sich  zwi- 
schen der  Krone  und  der  röinischen  Curie  in  Foh^c  davon  entwickelte, 
dass  der  Pabst  Sylvester  IL  den  König  Stephan  den  Heiligen  und  seine 
Nachfolger  mit  der  ganzen  Fülle  der  apostolischen  Rechte  bekleidete; 

Der  Werth  und  die  Brauchbarkeit  des  vorliegenden  Werkes  wird 
dadurch  erhöht,  dass  es  nicht  eine  blosse  Urkundensammlung  ist.  Es 

macht  uns  in  gründlich  ausgearbeiteten  Abhandlungen  mit  dem  Lebens- 
verhflltnisse  und  dem  Wirken  der  einzelnen  Kr/hischöt'e  bekannt,  und 
^uppirt  das  Urkunden-Material  in  einer  Weise,  welche  dessen  Aosbeu- 
tung  erleichtert 

Sowie  das  Werk  die  Mitthdlnng  der  Urkunden  anbelangend  die 
strengste  diplomatische  GeuAuigkeit  kennxeiohnet,  ebenso  wud  die 
Reinheit  der  Sprache  in  den  Einleitungen  nnd  Abhandinngen  von  Neuem 

den  guten  Ruf  rechtfertigen,  welchen  der  ungarische  hohe  Olerus  durch 
seine  Vertrautheit  mit  der  lateinischen  Sprache  zur  Zeit  des  vatikani- 
schen Concils  erwarb. 

Das  Werk  ist  durch  xylographische  Nachbildungen  der  bedeu- 
tenderen  Urkunden  und  Siegel  illustrirt,  was  die  Pfleger  der  mittel- 
alterlichen Diplomatik  nnd  Sphragistik  gewiss  mit  Dank  aufhehmen 
werden. 


VagailMli«  Kovuo.  nw'i.  VIII-  IX.  Hell. 


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74^  '  KiruK  siramrottBucimr 

KÜRZE  SITZUNGSBERICHTE. 

—  In  der  volkswirthsohaftliehen  und  statistischen  Kommission  der 

Akademie  am  1.  Noveinlier  liielt  /uuiklist  Professor  Ji  Mus  Kaitz  einen 
\'ortrag  über  düc  Fittaneen  der  europäischen  tSUmtm. 

Der  Vwirogende  bespricht  zunttchst  die  Schwierigkeiteii  der 
veigleichenden  Finaazstatistüc  tmd  gedenkt  namentlich  der  diesbezüg- 
lichen Verhandhingen  anf  dem  in  Wien  abgehaltenen  internationalen 

statistischen  Kongi'ess,  Er  nimmt  als  IJasis  seines  Vortrages  die  auf  lias 
Jahr  1881.  bezügliilien  I^iulgcf -Daten.  Der  Vortraj^cnde  theilt  so%vohl 
die  absoluten,  wie  die  relativen,  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  reU«- 
zirten  Ausgabenzitfern  mit,  und  liefert  den  Nachweis,  dass  unser  Vater* 
land,  so  wie  in  anderen  wichtigen  TolkswirthschaftUchen  Üexiehnngen 
aneh  in  Hinsicht  der  Aasgaben  zwischen  den  Extremen  eine  Mittel- 
stellnng  einnimmt  Die  Verwaltnngs-Aosgaben  im  weitem  Sinne  wer- 
den perzentnell  zn  den  Gesammt- Ausgaben  der  einzelnen  Staaten  ver- 
glichen,  und  auch  auf  die  ein/einen  Elemente,  aus  welchen  die  Ausga- 
ben zusammengesetzt  sind,  detaillirte  Folgerungen  gezogen.  Insbesondere 
werden  die  Ausgaben  für  Hofstaat,  Parlament.  Au.swÄrtiges,  Webrkralt, 
Staatsschulden  der  europäischen  Staaten  mit  einander  vergli»  h»  n  uad 
Ungarns  Steliang  in  der  Vergleichsreihe  fixirt.  Die  Staats-Kinnahmen 
werden  in  gleicher  Weise  betrachtet  Eine  Vergleichnng  der  Einnah- 
men mit  den  Ansgaben  zeigt,  dass  Spanien,  Rassland  nnd  Oesfterreieh- 
Ungarn  in  der  Bogel  mit  Aufnahme  von  Anlehen  wurfchachaften  mnss, 
wahrend  in  Dentschland,  lielgien,  Holland,  Skandinavien.  England,  der 
Sohweiz,  Frankreicli  imil  Italien  nalu'zu  Glei<*hgewiclit  in»  Staat->lian>- 
halte  herrscht,  in  «len  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  aber  ein  ücbei- 
scbusä  von  jahrlichen  160.000,000  fi.  der  Einnahmen  über  die  Aui^ 
gaben  zur  Bclmldtilgung  verwendet  werden  kann.  Die  Analyse  der  mm- 
seinen  Bestandtheile  der  Einnahmen,  insbesondere  die  Betrachtung  des 
Verfafiltnisaes  der  direkten  zu  den  indirekten  Stenern  gaben  dem  Vo^ 
tragenden  zu  sehr  interessanten  Betrachtungen  Anlass.  Von  semen  Be- 
merkungen verdienen  speziell  die  Ausführungen  des  Verfh^sers  über 
das  Tabaksmonopol  hfrvorgehoben  zu  werden.  Der  Vortrag  s(hlie<st 
mit  einein  eharaktt-ri^t ix  lien  Aussprui  he  <l«*s  eiK  inaliligen  Ministei-s 
Scbäftle  über  Ungarns  Finanzen,  welcher  bei  voller  Anerkeauong  für 


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KUBzc  snxl'vaeBSBicRnc:  747 

die  Opferwiliigkeit  der  Befölkerung  d<H^h  auch  die  Schwierigkeiten  der 
Finsnzlage  des  lugarischen  Staates  herrorhebt. 

Hierauf  fblgte  Adolf  Friittksst's  Vortrag :  Der  QememdehauS' 
halt  der  Hauptstadt  Budapest. 

Viel  cHskutirt  wird  im  Aunlande  und  auch  bei  uns,  namentlich 
in  der  Hauptstadt  »larül)er,  ilass  die  auftallende  Steigerung  der  Ge- 
meindelosten  nicht  sehr  durch  die  eigentlichen  Gern  ein  de«  Aufgaben, 
ab  vielmehr  durch  die  Ueberwftlzung  staatlicher  Funktionen  anf  die 
(Gemeinden,  herbeigeführt  worden  sei.  In  Deutschland  bildet  diese 
These  seit  Jahren  den  Gegenstand  der  öffentlichen  Diskussion  und  eine 
Anszweigun^  der  Bismarck'sehen  Finanzpläne  ist  eben  die  Frage  :  wie 
den  dunli  «lirrkte  Steuern  un»l  Schulden  überlasteten  Gemeinden 
wirksam  geholfen  werden  ktinnte?  Die  preussisehe  Kegierung  liess  zur 
Klarstellung  der  Pinanzverliältnisse  der  G^einden  eine  .statistische 
Aufnahme  über  die  Zustünde  in  dem  Zeiträume  Ton  1869  bis  1876 
▼ernehm^n.  Das  solohermassen  gewonnene  Material  nahm  der  Bath  im 
prenssiachen  Ministerium  des  Innern  HerrAirth  auf  und  anf  Grund 
dieser  Publikation  entstand  dann  in  Deutschland  eine  ganze  Literatur. 
Bei  uns  existirt  eine  Statistik  über  die  finanziellen  VerhüHnisse  der 
Gemeinden  nicht;  Studien  lassen  si«h  nur  auf  der  Basis  des  zelinjühri- 
gen  Haushaltes  der  Hauptsta<lt  machen,  zu  welchem  Behufe  acht  Jahre 
Schluäsrechnungen  (von  1874 — 1881)  und  zwei  Jahres-Budgets  (1882  • 
—  18B8)  zur  Verfligung  stehen.  Zur  Beurtheilung  der  aufgeworfenen 
Fnge  ist  der  Haushalt  der  Hauptstadt  aber  auch  schon  darum  geeig- 
net, weil  eben  hier  behauptet  wird,  dass  in  Folge  legislatorischer  und 
gouvernementaler  Verfiigungen  der  Aufwand  der  Kouunune  in  solch 
aullUliiger  Weise  sich  erhöht  hätte. 

Von  der  ungleichmttssigen  Steigerung  der  Einnahmen  und  Auf- 
gaben der  prenssischen  Städte  zeugen  die  folgenden  Daten  :  In  der  be- 
rmts  erwfihnten  siebenjährigen  Periode  von  1869—1876  betrug  per 
Kopf  der  Berölkerung  die  Steigerung  der  Steuer-Einnahmen  in  Berlin 
58*2,  die  der  gedämmten  Ausgaben  258*7%.  tu  Köln  belief  sich  die 
Steigerung  l>ei  <len  Steupi  Kinnahmen  auf  78*8.  bei  den  Ausgaben  anf 
inn*f{"/'».  In  Folge  dessen  erh<"di(en  si(  Ii  auch  in  grossem  Mas>e  die 
Schulden  der  Stildte  und  das  zur  'rilüfun^  derselben  erforilerliche  Zin- 
sen- und  Amortisations-Erfordemiss.  Die  auf  die  Gemeinden  entfallen- 
den staatlichen  Ausgaben,  hieher  auch  die  (Ur  die  Polizei  gerechnet, 

48* 


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748  Kl  RZE  snzuHesBEBitiriis. 

zeigen  eine  ansehnliche  lOrhölmng.  In  norlin  hoI>  sich  nnter  diesem 
Titel  die  Ausgabe  von  2  15  Mark  auf  3-87,  in  KOln  von  0*98  auf  2'62, 
•  m  Fruildurt  a.  M.  von  2*46  auf  4*18  Hark.  Eine  noeb  grossere  Erbö- 
hnng  indess  zeigt  sieb  bei  den  meisten  Städten  in  Hinsicht  der'im  en- 
geren Sinne  genommenen  Gemeinde- Ausgaben.  Es  geniigt.  diesftUs 
einige  auf  Berlin  !>p/.ü^'li('lie  Daten  anzuführen.  Für  Strafvsen.  Kanal!«- 
rung,  Pflasteining,  Reinlialiung,  Beleuchtung  u.  s.  w.  hob  sie  Ii  i>er  Kopf 
der  Bevölkerung  die  GemeindeschuUl  von  37  auf  16'6  Mark,  der  Ktat 
für  das  ArmenWesen  von  4*9  auf  5*2,  der  Schulaufwand  von  4'2  auf 
8*8  Mark.  Aus  diesen  und  anderen  Faktoren  (der  Vortragende  detaillirt 

*     

dieselben)  zieht  Herrfurth  den  Schlnss,  dass  die  üeberlastnng  der 

preussisehen  Gemeinden  nur  znm  geringsten  TbeOe  legislatonscbn 
Verfügungen  t.'nt:>pring(»,  wenngleich  nioiit  /.u  leugnen,  üass  dunh  «h-r 
artige  Dispositionen  die  Gemeinden  einiger  früherer  Einuahmen  be 
raubt  wurden  ;  —  sondern  es  enispranircn  die  grossen  Lasten  ans  der  na- 
türlichen Entwicklung  der  Gemeinde-Funktionen,  deren  ErtiSglichkeit 
durch  eine  bessere  Theüung  der  staatlichen  und  Qetneindesteuem  und 
durch  eine  bessere  finanzielle  Ausnutzung  der  Gemeinde-InstiiiitioM 
möglich  zu  machen  wfire. 

In  Budapest  besteht  die  Klage  schon  seit  Langem»  noch  aus  den 
Zeiten  yor  der  Vereinigung,  dass  die  legislatorischen  und  Regierung»- 
Verfftgimgen  einerseits  die  Einnahmen  der  Kommune  sohmBlerten  und 
andererseits  durch  Zuschiebung  von  Ihr  nicht  zugehörigen  Agenden 

ilire  Ausgal)en  steigerten.  Die  Steigerungs- Verhältnisse  der  hau|>t>tildti- 
schen  Einnahmen  und  Ausgaben  mögen  die  folgenden  Daten  er>icbtlicb 
machen :  Die  ordentlichen  und  ausserordentlichent  sowie  die  aus  der 
Verftusserung  Ton  Liegenschaften  erzielten  Einnahmen  betrugen  : 

1875  1881  1883 

5.957,561      6.409,268  7.027,990 
die  entfpreclienden  Ausgaben     6.114,523      8.571,123  9.22ö,97;i 

Demgemlss  zeigt  sich  im  Haushalte  der  Hauptrtadt  ein  Defizit; 

doch  wurden  die  ordentlichen  Einnahmen  übersteigendin  Ansgiben 

auf  Investitionen  gewendt  t  und  durch  Anlehen  bedeckt.  Nach  Ab?«  lilag 
dieser  Ausgaben  war  im  Ordinarium  wie  auch  im  Extraordinariom,  mit 
geringen  Abweichungen,  Gleichgewicht  vorhanden,  insofern  als 


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KUKZB  8mUllG.-iB8RlCETe. 


die  Einnahineii 
dieAaägsben  . 


1875 
5.495,566 
5.529,679 


1881 
6.375,470 
6.884,627 


betrugen. 


Un<l  hier  macht  die  Krhöbaag  in  runder  Zahl  850,000  11.  .au;?. 
Auffallend  it»t  es,  dass  die  Kinnahmen  aus  den  Zuschlägen  zn  den  direk« 
ten'  Steneni  seife  1874,  trotsdem  seither  die  StaaUsteaern  nm  20  Per- 
seni  und  die  BeTdlkemng  nm  noch  mehr  zngenommen  hat,  beinahe 
sftatienftr  geblieben  ut  Im  Jahre  1874  brachten  die  direkten  Stenerzn- 
schlage  1.598,372  fl.,  1881  :  1.635,178  fl.  und  1883  (prälirainirt) 
1.626,000  fl.  ein.  Ja  nicht  allein  stationär  i.st  die  Einnahme  gehlieben, 
sondern  sie  liat  sicli  sogar,  per  Kupf  <ler  llevülkerung  gerechnet,  ver. 
ringen.  Die  gleichmäädige  Kriiuliung  mit  der  ötaatssteuer  war  dadurch 
verhindert,  dass  die  Legislative  bei  den  neuen  Steuern  die  Einhebung 
eines  KominnnalsnBehlaga  nicht  gestattete ;  dass  dureh  die  Verstaaüi- 
chiu^  der  Theissbahn  die  Kommune  einen  grossen  Steuerzahler  ein- 
bOsste ;  und  dass  die  Robotstener,  sowie  auch  die  snnehmenden  Gemein* 
denttchläge  der  hiesigen  Filialen  Osterreiehischer  Bistitnte  zu  Gunsten 
des  .30  Millionen-Anlehens  der  Staatskasse  zAifliessen.  Ganz  anders  i.^t  daa 
Ke^ultat  hei  den  der  legislatorisrhen  Einwirkung  nicht  ausgesetzt  ge- 
wesenen Hauszinskreuzern,  sowie  bei  den  Verzehrungs-  und  Verkehrs- 
Stenern,  welche  sicli  in  Folge  ihrer  normalen  Stellung  ansehnlich  ver- 
mehrten. Die  Hansunskrenzer  trugen  im  Jahre  1874  :  571,873  fl.  und 
1688  (pmlimbtirt)  686,000  fl.  Das  Einkommen  ans  den  Verzehrungs* 
stener-ZnschUlgen  beUef  sich  1874  auf  564,541  fl.,  pro  1888  sind  prft- 
liminirt  737,000  fl.  Die  Pflastermauth  brachte  1875  :  691,191  fl.,  für 
1883  sin<l  veranschlagt  874,000  fl.'Das  Schankregale,  das  Stand-  und 
üfergelUUe  bra<.hte  1875  :  158,656  fl.  ein.  für  1883  sind  352,495  Ü- 
prüliminirt.  Die  indirekten  Steuereinnahmen  repräsentireu  im  Haus- 
halte der  Hauptstadt  viel  grössere  rroiK)äitionen,  wie  in  dem  des  Staa- 
tes und  anderer,  ansUndischer  Städte  insofern,  als  in  ihmsösischen  und 
italienischen  Städten  das  Ertrftgniss  aus  dem  Oktroi,  per  Kopf  der  Be- 
völkerung gerechnet,  übermftssig  hoch,  in  dentschen  Städten  hinwieder 
übermässig  niedrig  ist,  während  in  Budapest  die  Einnahmen  aus  den 
indirekten  Stouein  den  aus  den  direkten  Gemeindesteuern  herrühren- 
den nahe  stehen. 

Der  Vortragende  geht  hierauf  m  den  Haoptgmppen  der  Ge- 


Üiyitizcü  by  GoOglc 


750 


KUBSK  smmtofiBiaiGvrE. 


meinde-Aus^gaben  über.  Er  xergliedert  die  grossen  und  foriwfiliread 
wachsenden  Ausla^'en,  welche  durch  die  Verwaltung  der  staatiicheo 
Steuern  für  die  Haui)i8tadt  erwachsen;  er  erörtert  die  Steigerung  der 
Ausgaben  für  Spitäler  und  Spitalsveri)tlegung,  welche  letzt-ere  Auslagen 
wieder  durch  legiBlatorische  und  Begiorungsverfü<:;ungen  so  hoch  ange- 
wadisen  und ;  er  gedenkt  der  Ausgaben  für  das  Schulwesen,  wdehe 
von  1874 — 1881  allein  im  Ordinarinm  um  75Vo  gewachsen  sind,  nn* 
gereohnet,  dass  snr  HersteUnng  von  Schnlgebtnden  (nach  Abreehnong 
der  Staats^nbvention)  Ton  1878  angefangen  2.700»000  fl.  Teraasgabt 
worden  sind. 

Auf  das  Wasserwerk  verwendete  die  Hauptstadt  bis  t^nde  1881 
in  runder  Summe  5  Millionen  Gulden  und  war  das  Krträ^mis-  in  dt^m 
letztgenannten  Jahre  4'47o,  während  das  Anlehen  der  Hauptstadt, 
ohne  Amortisation,  auf  6'4*Vo  zu  stehen  kain.  Das  Schlachthaus  kostete 
2.117,000  fl.  und  trägt,  die  Baustelle  nicht  in  Anschlag  gebracht^ 
5*7 V«,  wahrend  das  Bankapital  mit  6'7%  za  verzinsen  ist  Auf  Offent- 
liobe  Gesundheitspflege  nnd  Salobritftt,  auf  Promenaden,  Anpflaasiuigen 
verwendet  die  Kommune  immer  mehr  und  mehr.  Znr  aUgemeänen 
Kanaltsimng  wird  demnüohst  1  Million  investirt  werden,  während  die 
Durchführung  des  Ganzen  5  Millionen  kosten  soll. 

Der  Vortragende  zieht  sodann  eine  Parallele  zwischen  den  Kosten 
der  öffentlichen  Arbeiten  in  Budapest  und^denen  anderer  grosser  St:i4U6 
und  gelangt  zum  Schlüsse,  dass  es  schwer  sei,  namentlich  in  der  Haupt« 
stadt,  eine  sidiere  Grenzlinie  zu  ziehen  zwischen  staatlichen  und  koB^ 
munalen  Aufgaben  und  die  Ausgaben  demgemllss  abzusondern.  So  sei 
es  bebpidsweise  unmöglich,  die  Kosten  der  Ifanipuküon  der  Staats- 
steuern von  denen  aller  andern  Ähnlich  gearteten  Auslogen  der  Haupt- 
stadt rein  auszuscheiden  und  genau  die  ku>tenvermehrende  Wirkung 
dieses  Faktors  festzustellen.  Die  vorgebrachten  Daten  indessen  illustrir- 
ten  es  zur  Genüge,  dass,  wenn  auch  die  staatlichen  Verfügungen  nicht 
von  überwiegendem  Einflüsse  auf  die  Steigerung  der  hauptstädtischen 
Lasten  waren  und  auch  die  fortwfthrende  Erhöhung  der  Ausgaben 
durch  die  im  engeren  Sinne  genommenen  Gemeindeaufgaben  veranlasst 
worden  sind  :  Legislative  nnd  Regierung  doch  die  Einnahmen  der 
HsEuptstadt  gesehmShlert  haben  und  dass  dies  viele  neue  Kosten  auf 

die  Hanpstadt  gewälzt  hat. 

Und  wiewohl  es  nicht  zu  leugnen,  dass  der  Staut  zur  Hebung  der 


\ 


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KCBZE  älTZL'NadUKKlim-E.  75] 

Ha»i)tst  iiU  gnj^se  Opfer  gebracht  hat  namontlich  seit  1870,  grössere 
vÄeUeiclii  als  andere  Staaten  fttr  ihre  Hauptstädte  gebracht  haben,  so 
erschiene  es  doch  nicht  statthafti  wenn  die  Legislative  nnd  die  R^e- 
rang  Vndapest  nnd  die  anderen  Gemeinden  auch  fernerhin  mit  derar* 
tigen  neueren  Ausgaben  beksteten,  da  dies  der  Hauptstadt  und  anderen 
(iemeinden  die  Erfüllung  der  ihrer  liarrendeii  laasaeahaften  kuUurellen 
und  üanitären  Antgul)en  ersdiweren  würde. 

In  der  über  das  letztere  Thema  .stattgefundenen  Debatte  ergi*cift 
sunächst  KMsi  das  Wort,  um  der  Ansicht  Ausdruck  zn  geben,  dass 
die  Schwierigkeiten  der  Finansdage  der  Hauptstadt  hauptsftchlich  dnrch 
jene  gesetzliche  Verfügung  herYorgerufen  werden,  wonach  der 
ordentiichen  ESnnahmen  auf  Öffentliche  Arbeiten  Terwendet  werden 
müssen.  —  Fcwjvesstj  weist  replieirend  nach,  dass  die  Berechnung  die- 
ser 50"/ 1.  richtig  und  in  denselben  auch  Schulden  und  l^ersonal- Aus- 
lagen inb^gritl'en  bind.  Ganz  besondere  Autnierksamkeit  erregten  die 
Schlussäusserungen  des  Präsidenten  Grafen  Lonyay.  Er  weist  daraatr 
hin,  welche  Wichtigkeit  überhaupt  das  Aufblühen  der  Hauptstadt  für 
Ungarn  besitae«  Die  Ansicht  Jener,  welche  dem  Staate  oder  der  Legis- 
laüve  den  Vorwurf  machen,  für  die  Hauptstadt  nicht  genug  gethan  zu 
haben,  könne  er  nicht  theilen.  Er  hSlt  es  für  sehr  richtig,  dass  für 
ürt'entlichc  Arbeiten  ein  .solch'  bedeutender  Theil  des  Etats  verwendet 
werde,  da  das  Land  ein  grosses  Anlehen  kuntrahirte,  das  hauptsächlich 
der  Hauptstadt  zugute  gekommen  ist.  Wo  der  Staat  ein  solches  Opfer 
bringt»  ist  es  auch  Pflicht  der  Hauptstadt,  das  Ihrige  zu  thun.  Diesen 
Anstrengungen  sei  es  zu  danken,  dass  Budapest  in  den  lotsten  Jahren 
einen  so  bedeutenden  Aufechwung  genommen  habe,  w'e  kaum  eine 
xweite  St^idt  des  Kontinents ;  und  dieser  Fortschritt  wurde  mit  ver- 
h.^ltnissmiissig  geringer  Steigerung  der  Steuerlast  erreicht.  Was  die 
Steuereinhebungskosten,  jenes  so  oft  besproi  hene  Gravamen,  ]>etritit,  so 
maclit  er  darauf  anfinerksam,  das  vordem  die  Bürger  der  Stadt  dies  als 
ihr  gutes  Recht  eifersüchtig  Tertheidigten.  Uebrigens  iheüt  die  Haupt- 
stadt diese  Belastung  mit  allen  übrigen  Gemeinden  des  Landes.  Für 
viel  wichtiger  halt  er  die  Beform  des  Gemeinde-Finanzwesens,  in  wel- 
cher Beziehung  Ung;un  gh'irhfiills  das  Land  der  Extreme  sei.  Stiidten 
gegenüber,  welche  «lie  Steuerlasten  kaum  dorn  Namen  nacli  kennen,  fin- 
den wir  andere,  wo  die  Gemeindesteuer  100  l'erzent  der  Staatssteuer 
und  mehr  betrAgL  Und  doch  ist  ja  eines  der  Grundprinsipien  des  Steuer* 


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752 


KUBZB  SITZUKG.^BBRTCHTB. 


>  Wesens  die  Verhältnissmässigkeit  der  Steuer.  Er  schliesst  mit  dem 
Wunsche,  dass  Badetest  auf  delr  gegenwSHagen  gesunden  Basis  wkk 
weiter  entwickle  and  dankt  dem  Vortragenden  ffir  dessen  gründidu 
Anafthmiigen. 

—  Die  Mito^teohe  GeteHtoMi  hielt  ihre  erste  Sitanmg  nach  den 

Ferien  am  5.  Oktober.  Tn  derselben  las  zunächst  Alkxiüs  Jakab  einea 
«lurch  die  Jagdeu  des  Krunprinzen  2eitgemä»sen  Vortrag  Uber  die  Vcr- 
gmufenhcit  G  orrienys. 

Hierauf  legte  Lri>\vu»  Szadecsky  Beitrttge  des  Belaer  evangelischen 
Seelsorgers  Samud  Weber  zur  Geschichte  des  Wunder^  und  Aber^ 
^ßaubens  vor,  welche  derselbe  in  Z>|Mer  Ckromken  gesammelt  und  die 
sich  zumeist  auf  die  Torbedeutenden  Zeichen  der  Bocskai'sehen  Invasion 

beziehen.  So  sah  man  am  7.  Jänner  160??  in  Jjeibiz  zwei  Monde  und  am 
Tug«^  darauf  zwei  Nebensonnen  ;  im  SdiniiuT  dosf^elben  Jahre«  "wiitheten 
schreckliche  Stürme,  die  in  Zipsen  grosse  Verheernngcn  anrichteten- 
Ära  24.  Oktober  1604  sah  man  am  Himmel  flammende  Schwerter,  im 
Jahre  1606  buk  in  Zeben  eine  adelige  Frau  namens  R«ik6czi  Brod  und 
sprang  aus  dem  Brede  eine  gehamischte  Qestalt  henror.  Afi*  diese  Zei- 
chen deuteten  anf  Bocskai  hin.  Im  Jahre  1598  veiheerte  eine  schreck- 
liche Feuersbmnst  ganz  Leutschau  und  ein  Jahr  später  starben  daselbst 
2500  Menschen  an  der  Pest.  Deren  spukende  Seelen  trieben  lange  Zeit 
in  der  Stadt  ihr  Unwesen  und  beunruhigten  die  ohneliin  erregte  Bevöl- 
kerung nicht  wenig.  Tn  Lublau  trieb  es  ein  Mann  namens  (ru^^pitrek 
nach  seinem  Tode  so  aig,  dass  man  seinen  Leib  ausgraben  und  verbren- 
nen musste.  Noch  jetzt  wird  in  jener  Gegend  jeder  tolle  Kopf  in  Erin- 
nerung an  den  Sehabemak,  den  jenes  Gespenst  gespielt,  ^Gasparek* 
genannt  Auch  gab  es  in  Zipsen  damals  viele  Blutregen,  welche  Furcht 
und  SchredEon  verbreiteten.  So  in  Leutschau  1616,  in  Kirehdrauf  und 
Igl6  1666.  Bemerkenswerth  ist  es  auch,  dass  die  Belaer  SehnetdeiN 
zunft  im  Jahre  1630,  32  Tage  im  Jahre  kannte,  welche  als  dies  nefasti 
betrachtet  wurden.  Nur  im  Punkte  des  Hexenglaubens  scheint  die  Zi|>s 
ziemlich  immun  gewesen  zu  sein,  denn  nur  ein  einziger  gelinder  Hexen- 
prozess  kam  im  Laute  der  .lahrhunderte  daselbst  vor. 

Ludwig  Sßddeceky  iugt  diesen  Daten  noch«  einige  hinan,  die  er 
selbst  gesammelt  Am  24.  August  1620,  am  Tage,  da  Bethlen  tum  KS* 
pig  gewählt  wurde,  wurde  in  Gork  nftehst  Lentschsu  ein  Ciid  mit  zwei 

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•  I 

KülSK  RITXUKOaBKRICBTB.  753 

Köpfen,  tler  eine  über  <lem  andern,  gel)oren.  Der  obere  Kopf  war  leblos, 
doch  lebte  der  untere  und  wurde  das  Kind  aiu  h  |j;etauft.  Vortragender  j 
produzirt  nun  einen  zeitgenössischen  in  Augsburg  gedruckten  Kuj^fer- 
stieh,  der  dsts  Wunderkind  mit  begleitendem  Text  darstellt.  Der  Text 
enthält  die  beiden  Deutungen,  die  dem  Phänomen  von  beiden  Parteien 
gegeben  wurden.  BocaUus,  der  Hofpoet-  Bethlen*8,  erklärte,  der  obere 
todte  Kopf  bedeute  den  Klerus,  der  untere  Beihlen.  -Die  Wiener  Den» 
tung  bezdchnet  den  untern  Kopf  als  König  Ferdinand,  den  oberen  alii 
Bethlen.  —  Im  Jahre  1624  wurde  in  der  Weichsel  bei  Warschau  ein 
Fisch  gefangen,  dessen  Schuppen  kriegerische  Embleme  vorstellten  und 
auf  dem  die  Ihuhstaben  R.  I\  F.  zu  lesen  waren.  Bethlen  (TÜhor,  dem 
der  Fisch  zugeschickt  wurde,  gab  den  Buchstaben  die  Bedeutung  „^g- 
num  Poloniae  Frangitur/  Vortragender  erwilhnte  zum  Schlüsse  noch 
des  merkwürdigen  Phänomens,  das  bald  darauf  in  Neuhäusel  beobachtet  *  < 
wurde.  Fflnf  flammende  Kugeln  flogen  am  Himmel  gogeneinander ;  bald 
darauf  wurde  ein  ▼eritables  Kriegagetttmmel  in  den  Lfiften  gehOrt,  das 
drei  Stnuden  lang  andauerte.  Das  Phänomen  zog  sich  in  der  Richtung 
nach  Ofen  hin,  wo  am  nächsten  Tage  ein  Blei-  und  Zinnregeu  nieder- 
ging, äo  daää  die  Türken  das  Zinn  in  Schüsseln  auflasen. 

Letzter  Vortragender  war  Alkxamubh  Sciläoyi,  der  in  einer  treff- 
lichen Skizze  die  Gründe  darlegte,  welche  den  Fürsten  Gabriel-  Bethlen 

bewogen,  in  den  /wan/iger  Jahren  des  XVII.  Jahrhunderts  Juden  aus 
der  Levante  nach  Siebenlnirgen  zu  rufen.  In  F()lge  des  schlechtwerthi- 
gen  Geldes,  das  aus  Oesterreich  über  Polen  nach  Siebenbürgen  drang, 
sah  sich  Bethlen  schliesslich  gezwungen,  ebenfalls  schlechtwerthiges 
Geld  (poltra)  prägen  zu  lassen,  was  aber  die  finanaiellen  Verhältnisse 
des  Landes  nicht  besserte,  da  die  Griechen,  welche  den  Handel  inne- 
hatten und  .ausserhalb  des  Landes  wohnten,  alles  gute  Geld  AUS  doin 
Lande  führten  und  }n  demselben  nur  das  schlechtwerthige  zurücklies- 
sen.  Der  Fürst  sah  sich  daher  nach  Kautieuten  um,  welche  im  Lande 
selbst  wohnen  sollten  und  diesbezüglich  wandte  er  sich  an  den  ihm  be- 
freundeten Arzt  Abraham  SciSfta  in  Konstantinopel.  Auf  die  Interven- 
tion desselben  kamen  nuoh  viele  Juden  ins  Land,  denen  der  Landtag 
Tom  Jahre  1627  folgende  Privilegien  zusicherte  : 

1.  Freie  Wohnungen  und  freies  Geleite  im  ganzen  Lande, 
2*  Freie  liiiniUhr  von  Waaren  aus  dem  Auslande. 


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754 


■LABA  SACR. 


8.  Bie  erhalten  einen  Adeligen  uls>  liicbter,  der  ihre  Streitigkeiten 
schlichten  aoW. 

4.  Damit  sie  keinen  Unannehmlichkeiten  ausgesetzt  sein  :>olleii, 
werden  sie  auch  Steuer  zahlen  and  im  Allgemeinen  dieselbe  SteUong 
wie  die  Anabaptisten  einnehmen. 

5.  Ereie  Religionsiibnng. 

6.  Anch  Jaden  ans  ehriatliolien  Lindern  dArisn  sieb  im  Lande 
frei  niedeilaflsen. 

7.  Sie  sollen  in  christlichen  Kleidern  gehen,  ohne  jeglichem  Unter- 
öcheidungsmerkmul,  »larait  sie  kein  Misstruuen  erregen. 

8.  Die  Ausfuhr  von  Geld  wird  ihnen  gestatt-et. 

9.  Sollten  sie  durch  Elementar-Un&Ue  dazu  gezwungen  sein,  köa* 
nen  sie  anch  frei  answaadern. 

10.  Wetfti  ein  Jude  ein  Verbreehen  hegeht,  sosoUerin  Unkr^ 
suehtotg  gcJiegen  und  evenHteU  bestraft  werden^  doch  dürfen  die  Übri- 
gen seinetwegen  weder  in  Untersuchung  gejuagen,  noch  vexirl  werden. 

11.  Ihr  Arzt  besitzt  freies  (  ieleite. 

So  lange  Bethlen  lebte,  genossen  die  .luden  diese  Privilegien,  die 
9h&c  nach  un«l  nach  in  Vergessenheit  geriethen,  so  dass  auch  ihre  Wohn- 
sitze bald  auf  das  einzige  Karlsbnrg  beschränkt  wurden.  Seinen  Zweck, 
durch  die  Jnden  den  Griechen  ein  Gegengewicht  zu  bieten,  hatte  Beth- 
len nicht  erreicht ;  die  Oriechen  wurden  erst  lange  danach  durch  die 
Armenier  verdrOngt,  die  allein  ihnen  an  Handelsgeist  fiberlegen 


In  der  Kön'gin  Garten 
Blüht's  im  frühen  Monde  : 
Bothe  Rosen,  weisse  Rosen  . 
Braune  Mädchen,  blonde. 


K  L  A  Ii  A  Z  A  C  H. 

Von  Johann  Arany. 

•  Qualen,  Todestjualen 
Hab  ich  schon  erduldet  : 
Sterbe  ich.  hat  eine  Hlume 
Meinen  Tod  Terschuldet!^ 


„Kön'gin.  meine  Schwester, 
Habt  mit  mir  Erbarmen : 
Jene  Rose,  rothe  Rose 
Schmacht*  ich  ro  umarmen! 


„Bruder!  nicht  um  hundert 
GHb'  ich  die  aus  Händen  — 
Geh!  ich  aflme,ma§8t  dich  schimen, 
Ach  wie'wir4  das  enden! 


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KLARA  ZiCa, 


,EUe  hab'  ieh,  EUe, 
M1188  zur  Hoi^enmetie ; 

Bist  du  krank,  so  leg  dich  nieder 
Aul*  wein  Öammetbette.** 

Königin  zur  Kirche 
Zieht  nach  Hofe8  Sitte  : 
Schöne  Blumen  —  holde  Jangfraan 
Folgen  ihrem  Schritte. 

B^ten  will  sie  —  kann  nicht, 
Kann  nicht  Buh*  erringen  . . . 
Liess  znhanse  ihren  Betkranz  : 
Wer  geht  ihn  zu  bringen? 

«Eile.  Klara,  eile 

Eh  vorbei  die  Mette! 

Wirst  ihn  tinden  auf  dem  Betpult, 

Oder  auf  dem  Bette/ 

Klara  sucht  den  Hctkrunz, 
Sucht,  wie  ihr  l>otohlen  : 
Königin  im  Kirchenstuhle 
Sitzet  wie  anf  Kohlen. 

Klara  .sucht  den  Betkrauz  — 
Sucht  ihn  wohl  zeitlebemi : 
Königin  im  Kirchenetahle 
Harrt»  nnd  harrt  vergebens! 

In  den  Kreis  der  Jungfraon 
Tritt  sie  nimmer  wieder : 
Sti^  lieber  an  den  Todten 
In  die  Erde  nieder. 

Lieber  zu  den  Todten 
In  die  schwarze  Erde, 

Als  nach  ihres  greisen  Vaters 
btolzem  Ahnenherde. 


11^ 

,To6hter,  meine  Tochter, 
Bebst  an  Leib  nnd  Seele! 

Komme,  Kind,  in  meine  Alme, 
Sag  mir,  was  dir  fehle]" 

,Ach,  mein  Vater!  nein,  nein... 
T.ass  im  Staub  mich  betont 
Und  umklammem  deine  Fftsse  — 
Dass  sie  mich  zertreten!  " 

OlochenUaog  bei  Hofe 
Bnft  zum  Mittagsschmanse  : 
Aneh  Felizian  hat  Eile 

Nach  dem  Königshause. 

Nach  dem  Kdnigshanse, 

Doch  zum  Schmause  nimmer  : 
Mit  dem  blanken  Racheschwerte 
Stürzt  er  in  das  Zimmer. 

„Königin,  die  Jungfrau 
Zahlst  du  mit  dem  Leben  !* 
Glück  wars,  dass  vier  zarte  Finger 
Sie  nur  preisgegeben. 

^Für  mein  Kind  die  Kinder  : 
Ludwigs,  Endre's  Leichen!'" 
Glnofc  wars,  dass  entgegenstürzte 
Gynlaft  den  Streichen. 

„Nieder  mit  dem  Schurken! 
Osel^nyi  —  geschwinde!  — ** 
Dort  Felizian  9U  Boden 
Streckt  das  Hofgesinde^  — 

„Blnt  soll  deine  Finger 
Nicht  vergebens  rdthen : 

Mein  Gemal,  die  Schmerzentgel tung 
Magst  du  dir  erbeten  \^ 


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756  OEORIDSV  RTROM. 

„Für  den  ZeigpHnger  Schwftbersohn  und  Tochter 

Seine  Klara  sterbe ;  Für  die  andern  beidtn. 

Für  den  Mitteltinger  schmachvoll  Für  mein  Blnt  dif'  ^.inze  Sippe 

ihm  der  Sohn  verderbe ;  Soll  den  Tod  erleiden!'' 

.  Bdse  Btome  walten, 
BOse  Stürme  wüthen  : 

Wolle  (rott  vor  harten  Schlägen 
Unser  Land  behüten! 

Max  Fakka.<% 

GEGEN  DEN  STROM. 

Von  JoBcf  £iB8.  * 

Nacht  wird*»;  es  baUt  sich  Sttinngewölk  — 
Ob  wohl  ein  Gott  dort  oben  wacht? 
O  frag'  mich  nicht,  ich  weiss  es  nicht! 

Mein  Kind,  geh'  schlafen  —  es  wird  Nacht!  — 

Aus  grauer  Zeit  ein  finst'rer  Geist 

(iespenstig  über'n  Erdball  kreist, 

Im  Blick  den  Holzstoss-Gluthenachein, 

Wer  weiss,  tritt  er  nicht  hier  anoh  ein.  .  .  . 

—  Meüi  Kind,  geh*  aoUafon,  schlafen! 

Tod  im  (befolge  —  wie  die  Pest, 
So  schreitet  er  von  Ijand  in  Land, 
Von  seinem  THtt  Erbarmen  stirbt, 
Verliert  sein  ünreoht  der  Verstand; 
ünd  Hoch  und  Niedrig,  Jung  und  Alt 
Ein  Wahnsinn  fasst  mit  Aligewalt, 
Vom  Menschen,  den  er  vor  sich  ti*eibt, 
Nichts  übng,  als  der  Name  bleil)t  

—  Mein  Kind,  geh*  schlafen,  schUfisn! 

.  Man  klagt  uns  an.  o  Frcvelmuth ! 
Blut  trinkt  dein  Vater,  siigt  man,  Blut! 
Und  reifest  Du  dereinst  zum  Mann, 
Anch  Du,  aach  Du  trinkst  Blut  sodann! 

*  Der  VeriitMer,  dessen  OtdidiU  soeben  in  dritter,  sehr  vennelurter 
und  prachtvoll  ausgestatteter  AnsgAbe  erschienen  sind,  ist  Jade- 


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UK0KK  DtlK  .viicoir.  fT$T 

Die  Wolke  ballt  sieh  —  es  ist  Nacht  — 

Ob  wohl  ein  Gott  dort  oben  wacht? 

Dm  leugnen  —  welch*  ein  glflh*ncler  Schmers! 

Ihn  glauben  —  welche  Ltetemng! 

O  Beides,  Beides  schnürt  das  Herz.  .  .  . 

—  Mein  Kind,  geh'  schiul'eu,  schlafen ! 

„Wir  lieben  nicht  dies  Vaterland!** 
0,  wie  so  leichtlich  sich  das  spricht! 

Der  Voj?el  liebt  sein  Nest  —  das  Wild 

Liebt  seine  Sehlucht  :  sein  Heiui  —  wir  nicht ! 

0,  diese  Anklag'  schändet  mehr, 

Als  wenn  mit  feuerrothem  Stahl 

Auf  des  Galeerensträflings  Stirn 

Der  Henker  brennt  sein  Schandenmaal !  ... 

—  Hein  Kind,  geh*  schlafen,  schlafen! 

Vertheid*ge  Dich  —  Du  reizt  aufs  Neu"; 
Leid*  stnnun  —  bist  Da  ein  feiger  Widit; 
Schrei  auf  —  so  ist's  En^flndelm; 
Ja,  wieder  Dich  Dein  |,Ach''  seihet  spriehi 

Nnr  Ein  Gesetz  gilt  aUerwMrts 
Vür  Jedes  Hirn  und  Jcil(\>  Herz  ; 
Natur  lässt  keine  Ausnahm'  zu  — 
Nur  eine,  eine  :  die  bist  Du .'  .  .  . 

—  Mein  Kind,  geh*  schlafen,  schlafen! 

0  schliess'  mein  Kind,  o  schliesse  Du 

Die  Sterne  Deiner  Aeuglein  zu. 

Wozu  auch  strahlte  ihre  Pracht  .  .  > 

In  solch'  gewitterschwang'rer  Nacht? 

Wer  weiss,  ob  nicht  anch  dieier  Strahl 

Sich  wider  mich  noch  kehrt,  o  Qnal! 

Wird  klar  Tor  Deinem  feuchten  Blick 

Dir  einst  Dein  Krbe  :  Dein  (rescliiek.  .  .  . 

—  Mein  Kind,  geh'  schlafen,  schlafen! 

Ladislaus  Nbuoxbaubr. 


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1 


758  rEBMiücms. 

VEKMISCHTES. 

• —  Statistik  der  ungarischen  Hochschulen  im  ersten  Semester  des 
laufenden  Studienjahres  1882/83,  verglichen  mit  der  Frequenz  de^ 
Vorjahres : 

L  BttdApMter  ünirersit&t : 


F  a  k  u  1  t  tt  t  : 


Zahl  der  Inacri- 

birtcn 


!l 


O^n  daa  Toigaht 


1882  3      18812  i;  Zunahme  .Aboabiut 


K.  k.  Thoologeii  '        86  | 

Rechts-  und  ätaatDwissenschaft  16 IH  j 

Medixin  <  1041 

PbUoaophie  ]  324 

Pharmaaeuien  ..,...!  193 

Hebaanmen   84 


82 
1560 
953 
422 
175 


Ii 


Zusammen 


8344 


3252 


4 

56 
88 

18 
24 


98 


Zunahme  :  92 


Der  Rückgang  in  der  Zahl  der  Philosophie-Siadierenden  ist  in 
erster  Beihe  dem  ümstaiide  zuznscbreiben,  dass  der  Lehrkurs  der 
philoaopliisebeii  Faknltftt  ain  Schlosse  des  verflossenen  Schnljalires  von 
drei  auf  vier  Jahre  erhöht  wnrde,  so  dass  fon  nun  an  sur  Ablegung  der 
Mittolschullehrer-Prüiung  and  des  Doktorats  der  Nachweb  Ton  aM 
akademischen  Semestern  erfordert  wird. 

8*  FniwtJofiefg-UnirersUat  zu  Klaugenburg : 


F  a  k  n  1 1  K  t :  { 

Zahl  der  fnacri« 

birten 

^  Gegen  das  V 

orjahr 

1' 

rl 

1882  3 

1881/2 

•  Zunahme  |  Almahme 

Reehtfl-  n.  Staatawissenschaflen  ' 

212 

210 

!<      8  1 

1'  1 

94 

9 

Philo80phi«-(Joscliiclj<o  ... 

1  63 

«t 

_  ! 

_  l 

i 

1 

Matheinatik-NuturwifiseuRchaft 

i  as 

!  25 

20 

•5  ' 

Znsammen  .  1 

• 

480 

t 

426 

Zunahme 

:  4 

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rKBHiscirres.  759 


3.  .Tosofs-Polvforlniikiiiii  : 


Abtlieiluiig  : 

i    Zahl  der  Inscri- 
!  Uiten 

1  G^n  das  Vogahr 

1  1882  3  , 

1Ö812  1 

1  Zunahme  | 

Abnahme 

-  ■' 

All^'«^moiiio  Abtheilung  .    .  . 
Tnjjenionr  ... 
Arrliikkton        „  ... 
-  Mechaniker        .  ... 
Chemiker          „  ... 
Ansfierordentliche  HQrer    .  . 

—  — -- 

• 

2G 

!  88 
1  131 
2S 

!  26 

288 
109 

42 
 ♦ 

28 

236 

89 
23 
8 

262 

Zusammen  • 

589 

470 

&nabme  :  IVi  i 

*  Diese  Abtheilnnjf  war  im  vertlossenea  Julire  noch  mit  der  Allge 
ra(*Ul<en  Abtheilunij  koinbinlrt. 


—  Von  einem  neuen  lateinischen  Wörterbuche  sind  vor  Kurzem  im 
-Verlage  <ler  Pranklinpfesellschiift  die  beiden  ersten  Hefte  erschienen.  A 
ItUin  nydv  seMra  a  ktUßkböl  a  legiobb  Icgujahh  seötdnrodalomra 
iämaMkadva,omedaimaDr.  Findig  Hemik  Btdapea,  18S2.  (Wör- 
terbuch der  lateinischen  Sprache  ans  den  OriginAlqueUett  mit  Bentttzang 
der  besten  und  neuesten  lexicogrn))hi8chen  Werke,  von  Dr.  Hein.  Flnity). 
H*ruiri(  Ii  i'inäh',  Protesi^or  an  der  K'laiisenburger  Universität,  hat  schon 
im  J.  IS.'iS  im  Vereine  mit  »^t.  Regenyi  ein  Sdiulwörterlmch  der  lateini- 
schen Sprache  herauagegeben,  welches  zum  nicht  geringen  Theil  die 
Grundlage  mehrerer  in  neuerer  Zeit  erschienenen  lateinisch-ungarischen 
Wörterbücher  abgegeben  hat.  £ine  neue  Auflage  dieses  Iftngst  Tergriffe- 
nen  Werkes  sollte  ursprünglich  das  vorliegende  Lexieon  sein,  doch  kann 
man  es  füglich  ein  ganz  neues  Werk  nennen,  da  es  nicht  mehr  ein  Schul- 
wörterbuch, sondern  ein  den  ganzen  kiteinischen  Sprachschatz  bis  zum 
sechsten  Jahrb.  n.  Chr.  uiufasx'udes  Handwörterbuch  ist,  welches  nicht 
blos  die  grossen  Handwörterbüclicr  von  Klotz  und  Georges  und  die  Si- 
teren Ausgaben  des  Forcellini'.schen  Lexicons  an  VoUstUndigkeit  über- 
trifft, sondern  sogar  zur  de  Wünschen  Bearbeitung  des  Forcellini  Nach- 
trüge liefert  Hoffentlich  wird  das  von  der  VerlagsgeseUsehaft  prftohtilg 
ausgestattete  Werk  bald  complet  sein ;  als  das  einzige  lateinisofa^ungarische 
Wörterbuch,  welches  nicht  blos  den  Anorderungen  der  Schule  entspre- 
chen will,  wird  es  von  allen  Fachleuten  mit  lebhafter  Ungeduld  erwsirfcet. 


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nmAiiscHi  BuuoeBAPim. 


UNGABISCÜE  BIBLIOGRAPHIE. 

Bo4m  J.,  H^gjr  mdtU  dlmsIMt  (Vier  OriKÜua-KoTelleii  t<hi 
SoK^t  Bodon).  Budapest»  1882.  881  S. 

Cum  PAI»  u^pbrodalMl  awdUU  {Ftad  0tat6*8  ichOnwiNeiuelisft- 
liehe  Werke,  mit  der  Biographie  des  Dichters,  hemugegebeB  von  der  Kit- 
falttdyOesellschaft).  Bndapeet.  1888.  FiaoUiii,  LXX  und  488  S. 

Pekele  SSe,,  KagyarorsBig  tImI  M«]||Auk  tHrUmHam  (Geachiehte 
d4»r  angarinchon  (lOwHRspr  und  Wasserbauten  bis  sur  Einwaiiil<'rnng  der 
Magyaren,  mit  RüclcRicht  auf  die  Knlturverhftltoisse,  von  Slgmimd  Feket«»). 
BudapoHt,  18S2.  102  S. 

Ftn4i}-  H.,  A  latlii  nyelv  siötAra  (Wörterbuch  der  latoiiiirtchen 
Sprache,  aus  don  Qucllon  und  mit  IJonntziini^  der  leuotitca  lexico;^raphi- 
schen  Literatur  von  Hr.  Heinrii  h  Finäly.  Professor  an  der  T.'niv.^r^^itat 
Klniisenhurg).  üud  ii»rst.  H«?.  Franklin,  lg  Hefte  zu  5  iiogen.  bisher  ist 
da«  1.  und  2.  Heft  (A-Catcna)  iTHihicnen. 

Feldes  B.,  \(hil6kok  a  papirpenx  tört^iietehex  (Beitnii^e  zur  He- 
iekichte  uud  ätatistik  de»  Papiergelde^«  von  iiela  Földes).  Budapest,  1^^2. 
Akademie,  32  8. 

CWrSnliel  P.«  A  Mgj •kAUtf I  eg jrbAs  tSrt^nete  (Geschichte  der  eraa- 
gelisch-reformirten  Kirche  Ton  Nagv-Kill6,  ron  Peter  GOrOmbei).  SAro«* 
patak,  1882.  192  8. 

GrMt6  iMbella»  A  miltak  infti  (Die  Schntten  der  Vergangen- 
heit, Roman  in  swei  Bänden  Ton  IsabeÜa  Qjv^t6),  Budapest,  1882.  Rerai, 
191  und  151  S. 

*G]niIai  Päl,  Katona  JiSzsef  (-^  Rdnk-bAiOn  (Tosof  KaUma  und  seine 
Tngoedie  „Biink-hunus"  von  Paul  Gyuhu).  Budapest,  1888,  Franklin,  'M}9  S. 

HnnfalTy  JAnos,  Ax  ^hl^lat  TAItoxösAgAnil  (Cl>or  die  Veränder- 
lichkeit des  Klima*»,  Vortrag  von  Professor  Johann  HonfalTy).  Uebrecain, 

lbb2.  'M  ä. 

*J6kai  M.,  Kgy  ji&t^kos  a  ki  nyer  (Fin  JSpieier,  der  ^rowiunt,  Ro- 
man in  zwei  Uäuden  von  Muri/.  Jokai).  Hiulaiust,  1882.  l>^'-\  un*l  213  S. 

KUfaludy-tArsasüg  ^vlapjai  (.1  ihrbücher  der  Kititulud^-UeriellKchatl, 
Neue  Kol^ro.  XVII.  Hand,  1880  81).  117  S. 

Inhalt  :  Amtliche  Mittheilungen.  —  Ignaz  Konty  Euripidet.  —  WW- 
Mm  Oy^t  Zur  Säkularfeier  Calderons.  Kairl  StäUf  Ode  an  Oaideion. 
—  JXberi  Sturm,  Die  Nibelungen  in  Arany'»  Epoe  :  „Boda*s  Tod".  —  Ale- 
mmder  2köt,  Siebenbflrgisch-^hsische  Vdlksepik  (Übenetsnng  von  sech- 
sehn Balladen,  Ronuuusen  und  poetischen  Enählnngen).  Karl  Vodnai, 
Denkrede  auf  Koloman  Thdt.  —  üTori  &rf«F,  Anf  dem  BaUe  (Gedieht).  — 
Jfpäd  Bermtüt,  Die  weissen  Ffichse  (NoveUe).  —  Komd  Jbrämfi,  Ammen- 
märchen (Ballade).  —  AMf  Agai,  Ungarische  Frauen-Typen.  —  AtUon 
Ratio,  Lord  Byron*8  aLara"  Qbersetat.  —  Karl  htök,  Siohsab,  ans  £iidusi*s 
Schachnameh  übersetat 


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* 


ZUR  ENTHÜLLUNG  DES  PETÖFI-DENKMALS. 

rJudapost.  15.  OktoWer  1SS2. 
1.  Dbmkbidb  auf  AL£XAND£R  P£TÖFI  ton  MORIZ  JÖKAi. 

^^rF.RZro  Jahvp  sind  es  her,  fla.^s  ich  mit  ihm  zum  ersten  Male 
f   zusainiiiPiitrat',  und  dreiiiiuldnMs^jig  Jalire  siml  dahin,  seit  ich 
mit  ihm  wUhreiul  der  Jielagerung  Ofens  zum  letzten  Male  gespro- 
^chen  habe. 

Ich  war  Student  in  der  »Physik* -Klasse  in  Päpa,  als  er  zum 
ersten  Male  auf  der  Strasse  in  einem  schäbigen,  schwarzen  Kragen- 
mantelf  mit  zerknittertem  Hute  und  nacktem  Halse  vor  mir  erschien. 
Mein  Stnbenkollege,  mit  dem  icli  ^^erade  znr  Schule  ging,  kannte 
ihn  und  rief  ihm  zu  :  , Outen  Morgen,  hi'is  magyar !"  Das  war  sein 
Öpit/iiame.  Jeder  von  uns  hcsass  einen  solehen.  Mich  nannte  man 
•Junihor"  (,der  Froiniue").  Er  erwiderte  den  Uruss  nieht  und 
machte  .stets  sok  lie  Schritte,  als  ob  er  im  Distanzgelieu  begriffen 
wäre.  In  der  Schule  begegnete  ich  ihm  nur  selten.  Drum  üug  ich 
an,  ihn  gering  zu  schätzen.  Anstatt  in  die  Schule  zu  gehen,  schrieb 
er  Gedichte,  die  er  in  den  Sitzungen  des  Bildungsvereines  ,»K^fi- 
ttfrsasiCg"  deklamirte.  Da  begann  ich,  ihm  neidisch  zu  werden.  Dann 
lernte  ich  seine  Lebensweise  kennen.  Von  Jedermann  verlasiien, 
ko]drte  er  Arbeiten  fliv  die  jun«jfen  Herren.  Da  begann  ich  ihn  zu 
achten.  Als  wir  auseinandergingen,  da  iiebte  ich  ihn  schon. 

Und  dieser  fadenscheinige,  verachtete  und  darbende  Knabe 
wusst«'  damals  schon,  dass  in  seiner  Brust  ein  Stern  wohne,  der  ihn 
so  hoch  tragen  werde,  als  sich  das  Firmament  einer  Nation  wölbt, 
und  dflss  dieser  Stern  erst  dann  am  hellsten  glänzen  werde,  wenn 
schon  Alles  an  seinem  Träger  zu  Staub  geworden  sein  wird. 

Nun  stehen  wir  da  vor  seinem  Erzbilde,  auf  einem  glänzenden 
Plfltzo,  den  die  Metropole  Ungarns  naeli  ihm  benannt  hat. 

Wek'h'  ein  langer  Weg  von  dem  üdenburger  Schilderliauü, 
ÜDgmtiiche  Revnei  1882.  X.  Ben.  40 


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7«2 


auf  dessen  ikettoTu  and  er  seiiif»  ersten  (jedichte  geschriebeu,  \ns 
zum  Piedestal  dioses  Moimniciits ! 

Und  nun  verlangt  Ihr  von  mir.  daas  ich  diesen  langen  Weg 
beschreibe,  ich,  der  seinen  Spuren  folgte. 

Hatte  ich  nur  das  Leben  eines  Dichters,  eines  guten  Freun- 
des, eines  grossen  Mannes  zu  bescbieiben,  so  brauchte  ich  mieh 
nur  an  die  Daten  xuriickzaerinnem,  um  mit  nüchterner  und  kaHer 
Kritik  die  Ton  ihm  geschaffenen  Werke  ssu  beurtheiien,  und  dann 
jjriht  08  ja  niolits  Leichteres,  als  die  Todtm  zu  preisen :  aber  die 
sipheu  Jahre,  n-äliroud  welcher  das  (icnie  Petofi's  wie  ein  fenri^fs 
Meteor  am  Himmel  unserer  Nation  dahiuzog,  sind  an  und  tür  >ich 
eine  Epoche,  wie  es  noch  keine  gegeben  und  wie  es  auch  sobald 
keine  mehr  geben  kann. 

Es  gab  eine  im  Zauberschlaf  befangene  ungarische  Nation, 
die  keine  Freiheit  besass  und  nicht  empfand,  dass  sie  keine  Frei- 
heit besitze.  In  Fesseln  war  der  Geist  geschlagen.  Ins  Joch  gebeugt 
war  der  Nacken  des  Volkes.  Zensur  und  Leibeigenschaft  herrschten. 
Um  dieses  Volk  aus  seinem  Schlaf  zu  erwecken,  um  ihm  die  Frei- 
heit zum  religiösen  Dogma  zu  machen,  erstand  Petofi. 

Da  reicht  die  Erinnerung  nicht  aus ;  die  lebendigen  Empfin- 
dungen muss  ich  heraufbeschwören,  welche  damals  das  Herz  der 
Zeitgenossen  durchglühten;  die  wunderthatige  Flamme  man  ich 
anfachen,  in  deren  Gluth  der  Charakter  zu  Stahl,  der  Gedanke  so 
Gold  wurde.  Ich  weiss  nicht,  ob  mir  dies  gelingen  wird. 

Wer  Petdfi  kennen  lernen  will,  der  lese  seine  Gedichte;  in 
diesen  prägt  er  sein  Wesen  in  einer  Weise  aus,  dass  das  Modell 
fertig  dasteht :  man  l)raucht  nur  das  Erz  hieueinzugiesseu  und  die 
Statue  steht  vor  uns  da. 

Und  jeder  Zug,  mit  dem  er  seine  (i estalt  koutourirt,  ist  wahr, 
und  jeder  Stimmung  entspricht  ein  bemerken swerthes  Ereignis«, 
entspricht  der  stille  Verlauf  oder  entsprechen  die  erschütternden 
Katastrophen  seines  Lebens  und  seiner  Zeit. 

Keine  Übertreibung,  die  pure  Wahrheit  ist  Alles,  was  er  tod 
dem  Elend  schreibt,  mit  dem  er  bis  zum  Zenit  seines  Lebens 
kämpfen  musste  ;  doch  all'  das  nicht  im  Tone  mitleidheischender 
l\lage;  —  mit  dem  Schicksal  trotzende  Selbstironie  nnd  oft  lei^-lit- 
fertiger  Humor  bricht  aus  diesen  (Gedichten  hervor,  wie  in  aErio' 


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süE'xNTEOnMmro  w  FBr6ri-J>EinncAi.s. 


76S 


iifTuiior  an  Dt'hrpczhi",  .Am  Ende  des  WinttM-s",  ,Im  inageren 
H»'rl)st'*,  in  seinem  Briefe  an  Tompa,  in  ,,An  der  grossen  Donau 
siebt  ein  kleines  üaus^S  wo  er  seiner  Mutter  sein  Missgeschick 
Terhehlt : 

^Wüsst'  sie,  wie  ich  leide  zum  Erbarmen. 
Ach,  es  bräch'  vor  Weh*  das  Herz  der  Armen 

nur  in  ,J>a8  letzte  Almosen"  schlügt  er  in  einen  elegischen  Ton 

lim  ;  die  Werke,  die  er  in  seiner  Krankheit  scbrielj,  und  seine  Todes- 
alinnngon  bezeu«;en  oiiie  [»ro^dietische  Walirlicit,  wclclie  uns 
betroti't'n  iiiaclit :  aber  selbsit  mit  dinson  wollte  er  Niemanden  1)0- 
trübeu:  „Und  über  meinem  Grabe  sollt  ihr  singen  die  todten  Lieder 
Eures  Kameraden." 

Doch  weder  Elend  noch  Leiden  brechen  seinen  Kdrper,  bre« 
chen  seinen  Geist.  Vor  des  Winters  Killte  httUt  er  sich  in  seinen 
dtolz  nnd  wie  weiss  er  zu  verherrlichen  das  trokene  Brod  und  den 
Bettelstab ! 

leb  l)in  ein  Zeuge  dessen,  dass  diese  Gefühle  alle  walu' gewesen 
sind.  Ich  habe  mit  ihm  lange  zusammengelebt;  ich  weiss,  wie  viel  er 
entbehrte  und  dass  er  selbst  von  seinem  besten  Freunde  niemals 
eine  Unterstüt/uug  annahm;  ja,  als  ihm  einmal  f&r  ein  Gedicht, 
das  er  znr  Erhöhung  einer  Feier  hatte  schreiben  sollen,  die  Stadt 
Peflft  eine  bei  seinen  Verhaltniasen  beträchtlich  zu  nennende  Geld- 
summe anbot,  war  seine  Antwort  eine  monumentale  Grobheit. 
Jemanden  in  Tersen  ftlr  Geld  loben,  und  sei  es  auch  ein  grosser 
Manu,  das  vermochte  PetöH's  l'eder  nimnuTmehr. 

Auch  seine  Poltern  waren  arm  ;  sein  Vater,  der  simple  klein- 
städtische Fleijjchiiauer,  verleugnete  ihn  sogar,  weil  er  Schauspieler 
geworden,  und  dennoch  überhäufte  er  seine  Eltern  mit  solcher 
Zärtlichkeit !  Zuweilen  verwandelt  sich  sein  ganzer  Charakter :  er 
wird  zum  Kinde,  wenn  er  sein  Haupt  in  den  Schoss  seiner  Mutter 
neigen  kann.  Es  rührt  zu  Thmnen ;  er  entsagt  seinem  Ehrgeize, 
seinen  glänzenden  Tränmen,  wenn  er  in  die  Stille  des  lieben  Heims 
^tuweilen  zurRckkehrt :  er  erniahnt  seinen  jüngeren  Bmder  mit 
brüderlichen  Worten,  seine  Elt»Tn  zu  ]>fl('g<Mi.  und  (T  segnet  das 
schwjir/e  Brot  des  Vaterhauses.  Dann  vertritstf't  er  seine  Eltern 
damit,  dass  sie  es  bei  ihm  gut  haben  würden,  wenn  er  es  dereinst 
werde  thun  können, 

49» 


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7^  mm  mnnfLKi'KO  dbr  VTtRn-wmmhj» 

Das  fhDf^  er  nicht  nur,  das  ibai  er  auch. 

Nur  Hne  SHmmnTig  ist  mir  ein  Häthsel  in  Petöfi'«  Poesie:  • 
seine  Weinliedor.  W«  r  diosc  liont,  der  j^lauht,  dass  Petöfi  das  Pro- 
totyp fdr.es  Truid\«'idHdde>  und  euips  Zechers  sein  luot  ht*^.  Als  wd- 
chen  hal.e  ich  ihn  nie  gekannt.  Und  doch  war  ich  oft  mit  ihm  au- 
sammen  in  bistigen  (  iesellsehaften  ;  seihst  in  der  ProTinz,  WO  der  gaat> 
freundliche  Hausherr  eine  Tugend  darein  setzt,  den  tranken  n 
machen,  den  er  gern  bei  sieh  sieht,  —  niemftla  sah  ich  PetiSfi, 
und  sei  es  nur  so  weit  trunken,  um  heiter  zu  seheinen.  Er  selbst 
schreibt:  ^Bin  Tjacheln  steigt  anf  meine  Lippen  anf,  doch  ist  mein 
Lachen  selten  /u  vernehmen."  .rahrelunLf  hesuohton  wir  <las5ie]he 
^Tastlians,  nie  trank  er  mehr,  als  .«-eine  «Pistole*  Wfin.  was  ein 
halbes  Seitel  war,  und  im  Winter  bestand  sein  gewöhnliches  Abend- 
essen aus  „<^siga  higa*^  (Schnecken),  was  gewiss  kein  lukullisches  Mahl 
war.  Die  riesigen  Quantitäten  Weines,  nach  denen  er  in  seinen  Gedieh* 
teu  dttrstet  und  die  daselbst  auch  konsumirt  weiden,  sie  m5gen  die 
Seele  irgend  eines  idealen  Zechers  belasten,  Uber  den  er  nur  die 
Gedichte  t^eschrieben.  Ich  erinnere  mich  ganz  gut  daran,  als  sein 
Gedicht  erschien  mit  dem  liefrain  :  .Ich  verdiene  kein  (reld.  um  es 
zu  besitzen,  sondern  um  es  zu  vertrinken  und  zu  verprassen.*"  Du 
hatte  er  die  erste  grössere  Summe  von  seinem  Verleger  erhalten 
und  das  Ganze  brachte  er  seinen  Eltern,  die  damals  bereits  zn- 
gründe  gegangen  waren,  um  ihnen  den  Lebensnuterhalt  zu  erleieh- 
tera.  Aber  so  wie  er  Niemanden  gern  lobte,  so  liebte  er  es  auch, 
sich  selbst  schlecht  zu  machen ;  wenn  Jemand  sein  Gesicht  sdiSn 
fand,  so  klebte  er  ein  Schönheitspflaster  auf  seine  Nasenspitze  und 
ging  so  auf  die  Strasse  hinaus.  Er  liel)te  es,  sich  von  der  nüchternen 
Alltagswelt  zu  unterscheiden.  Jeck»  Mode  verachtete  er.  Frack  und 
Zylinder  halten  nie  seine  Figur  berührt  Anfangs  Hess  er  sich  eine 
Csokonai-Meute  machen,  später  eine  grossgehlumte,  schwar/e  Sei- 
den-Attila, und  der  Hutmacher  muaste  eine  besondere  Hutfonn  für 
ihn  erfinden,  wie  sie  Keiner  trug.  Doch  gibt  es  in  seinen  Wein- 
Uedem  etwas,  was  mit  den  SchlachtenHedem  verwandt  ist,  das  ist 
dae  Prahlen  mit  der  M&nnlichkeit.  »Farbenspiele  meiner  tnmk*nen 
Seele.*  Nur  seine  Seele  war  ti-unken. 

Wie  er  seine  Weinlieder  nicht  aus  dem  We.ine,  so  holte  er 
seine   VolkHiedcf  nicht  aus  dem   \  olke;  das  Volk  nahm  aie 


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ZUR  BNTSÜLLUIie  DES  PKTOI I  DhNKAIAL.S. 

■ 

von  ihm  und  sie  wurden  gesungen  in  AVäldern  und  auf  Feldern ; 
schon  1842  sang  luan  seine  ,  Uortobagyer  Schiuikeuwirthin*  im 
Btade&ten-Chor,  die  Melodie  hatte  PetoH  s(>l])st  geschrieben.  Später 
cfiftllieii  das  ganze  Land  seine  Lieder:  «Hab*  zur  Kfiefaye  niicli  ge^ 
stöhlen';  «Liebe,  Liebe,  aeh  die  Liebe  — Ist  *ne  Grabe,  tief  und 
tr&be*;  «Die  Wolke  UU»t  sich  hernieder'';  «Niemand  kann^s  der 
Blume  wehreu.  dass  sie  blüht* :  , Von  der  Blume  Blätter  wehen"; 
•  Meine  Flöte  isst  ein  Trauerweideiizweis;'*.  zu  d«'nen  Heuj.  Egressy 
die  Weisen  selirieb  und  die  auch  lieute  noch  ulhTwärt»  i^^esungeu 
werden.  Sein  Lied:  „Schäferknalje,  armer  Öchäferknabe"  uabiu  der 
gelehrte  Johann  fird^lyi  unter  die  Meisterwerke  der  ungarischen 
Volkadichtong  auf;  er  wusste  nicht,  dass  es  Petöfi  geschriebeni  in 
der  That  hatte  das  Volk  selbst  die  Melodie  dazu  gefanden ;  sp&ter 
setzten  Simonl^,  Bogn^r  u.  A.  seine  Volkslieder  in  Masik,  doch 
hörte  er  sie  nicht  mehr. 

Niemand  verdolmetäclite  den  Charakter  des  Volke«,  Niemand . 
malte  das  ungarische  Tietland  und  die  Pu^sta  so,  wie  Petoli.  Er 
trug  die  Pussta  in  den  Olymp.  Auf  jener  Pussta  war  sein  Volk  zu 
Hause.  Das  Volk,  Itir  das  er  schwärmte,  für  das  er  lebte,  für  das 
er  kämpfte  und  f&r  das  er  zu  sterben  wünschte.  Das  Volk,  «das  in 
der  einen  Hand  des  Pfluges,  in  der  andern  des  Schwertes  Eisen 
ftlhri"  «Nur  dort  gibt's  ein  Vaterhind,  wo  es  ein  Recht  auch  gibt, 
und  diesem  Volk  wird  nicht  sein  Recht**  Um  dieses  Volk  zu  be- 
fi-eien,  ^agt  er:  ,Mit  meinen  Händen  zimmere  ich  das  Kreuz,  au 
dem  ich  gekreuzigt  werde." 

Den  privilegirten  Adel,  die  fremdthueuden  Herreu  geisselte 
er  schonungslos  :  „Ich  bin  ein  angarischer  Edelmann  I**  «An  die 
Ungarn  im  Anslande',  «Ihr  Beulen  an  dem  Leib  des  Vaterlandes  !* 

Und  mit  der  Liebe  zum  Volke  entsteht  zugleich  in  ihm  die 
Aubetung  der  „hundertfieich  heiligen,  himmlischen  Freiheit*.  Übe- 
rall fühlt  er  das  <re\vicht  der  Fesseln,  welche  die  Nation  und  der 
siklaviselie  (ieist  tragen.  Auch  .seine  Hiinde  drücken  diese  Ketten. 
Jedes  seiner  Gedichte  muss  er.st  zum  Zensor  wandern,  wenn  es 
gedruckt  werden  soll,  jene  Gedichte,  die  zur  Befreiung  de.s  Ungar- 
Yolkes,  zum  Umsturz  der  AdelsTerfassuug,  zur  gleichen  VertheUung 
der  Menschenrechte,  zur  Erweckaug  der  ungarischen  Nation  aus 
ihrem  tiefen  Schlnfe  entstanden)  Und  niemals  gescl^ah  es,  di^  er 


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760  ZÜB  K.VniÜLLUNtt  DKS  PfcTOFI-DENKMALS.. 

sicli  vom  Zensor  zur  Atulenuig,  weuii  uucli  uur  eines  euizigeu  Woi^ 
tes  l)«'\v«'<j(»Mi  hätte  IftSöeii.  Sie  niussten  so  erscheiueiii  wie  er  sie  ge- 
flchriebeiif  oder  gar  nieht.  Aber  lassen  wir  bei  diesem  Punkte  dem 
Zensor  Petöfi*8  Gerechtigkeit  widerfahren.  Der  gnte,  alte  l^^etm 
war  ein  wackerer  Ungar,  ein  klnger  Menseh,  nnd  hatte  Petftfi  sehr 
lieb.  Nie  benfltste  er  gegen  ihn  den  morderisehen  Rothstift.  Von 
seineu  ^eaammteu  (ledichten  handelte  er  ilim  hlo8  das  Eine  ab: 
, Meiner  V^nachtung.  meines  Ahscheirs  (tegenstand,  Dein  Xam^  ist 
Mensch.*  Dieses  Hess  Petüfi  aus  der  ersten  Ausgabe,  Ut'seta  zu 
Lie])e  aus.  Doch  erschienen  sein:  .,tSohu  des  Skhiveulandes",  ^Ab- 
schied  von  1844 dem  ein  grosses  Moment  des  Landtages  zugrunde 
liegt,  «Schon  seit  lange  schlagt  den  Ungar  Gottes  Hand*,  „Wenn 
es  Gott  gefiele,  mir  zu  sagen*,  ,Im  Traume  bradi  die  Ketten  ich 
der  Sklaven-Nationen*,  «An  Eazinczy'',  «An  den  Landtag*  und 
selbst  «Meine  Lieder*,  welches  eines  seiner  schönsten  Gedichte  ist 
Wer  wttöste  die  letzte  Strofe  nicht  auswendig? 

„Was  auch  trftgt  dies  Sklavenvolk  die  Schande?  * 

Steht  nicht  auf,  zu  sprengen  seine  Bande  ? 

Soll  etwa  die  (rot f es  (Jiuid*  <hm'hnagen 
Wohl  den  Host  <lei-  Fesseln,  die  sie  tragen! 
Dann,  o.  sind  <iie  l^icder  meiner  Kehle: 
Donner  uicinei*  iiel'em|)t>rten  Seele 

Dil  sagt  er  auch  an  einer  »Stelle:  »Der  Dichter  ist  der  Freiheit 
ewige  Lumpe." 

Und  all  das,  dem  er  Töne  gab,  war  kein  eingebildetes  Übel, 
kein  erdichteter  Schmerz,  kein  persönlicher  Hass  der  Partei-Leiden- 
schaft ;  es  war  das  kein  Streben  nach  der  Gewalt,  kein  sentimen- 
tales Znrfücksenfzen  nach  den  rohen  Zeiten  des  Urzustandes,  aber 
auch  kein  blosses  Xaeliäü'en  der  ( Tedankenrit-lititii;^  aiKlerer  Natio- 
nen: all  das  war  ix'i  ihm  reine  P^mptindunu;,  wacligenitcn  durch 
die  Stimme  des  Zeitgeistes.Die.se  Ideen  lagen  fertig  da  in  derlirusi 
jedes  Mannes,  der  in  diesem  Lande  Patriot,  liberal  und  ünj^ar  war, 
es  brauchte  nur  die  erste  Flamme  aufzuzncken,  damit  sie  Jeder- 
mann in  seiner  eigenen  Brust  entdecke.  Diese  Flamme  war  Pet5fi 

*  Anmerkung.  Die  Überijetzungen  der  hier  zitirten  Gedichte  rllbm 
aas  der  Feder  den  Petdfi-Übereetzcrs  LadiBlaiw  Neugdtaitet. 


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SUB  SIlTHOLLOaO  DSS  PBTdFI.DENnULS.  767  • 

und  sie  yerglomm  nicht,  sie  wachs  zu  einer  Feuersaule  heran,  wel- 
che uns  fahrte. 

Das  Vaterland,  das  Vaterland  I  Dieses  glorreiche,  dieses  elende, 
dieses  arme,  dieses  mächtige  Uugarlaud !  Von  diesem  spricht  sein 
erstes,  von  diesem  sein  letztes  Gedicht.  In  allen  Tonleitern  des 
Geffthls.  iiald  isi  er  dfister  und  klagt  er,  bald  erweckt  er  Hofihun- 
geui  aiefat  in  die  Zuknnffc,  betet  va  Gott,  ruft  die  Menschen  wach, 
venweifelt,  bald  ruft  er  uns  mit  beissendem  Spott  zu :  »Dieses  Volk 
verdient  zu  leben  nicht",  »Ein  Gotteswunder,  dass  das  Land  noch 
steht",  dann  sagt  er  wieder  mit  Begeisterung:  „Wenn  die  Erde 
Gotteshut,  ist  Ungarn  der  f^trauss  darauf*,  dann  wird  e^  wieder 
bitter;  ,So  lauge  geiss'le  ich  dich  mein  Volk,  bis  dein  Herz  zu 
pochen  beginnt,  oder  bis  das  meine  bricht''.  Bis  er  endlich  sein 
wahres  Gesicht  in  der  Str()i)hp  zeigt :  ,Unj^ar  bin  ich,  und  mein 
Antlitz  glttht  Yor  Schande,  dass  ich  Ungar  bin  1  Bei  uns  dämmert 
es  erst,  wahrend  überall  sonst  die  volle  Sonne  strahlt  Aber  nicht 
am  alle  Sehätze  dieser  Welt  verliesse  ich  mein  Heimatland,  weil 
ich  liebe,  glühend  liebe,  anbete  selbst  in  ihrer  Schmach  meine 
Nation!« 

Diese  Sehnsucht  nach  der  Grösse  des  Vaterlandes,  nach  dem 
goldenen  Zeitalter  der  Volksfreiheit  und  der  Menschenrechte  er- 
hebt sich  oft  zu  der  Ekstase  des  Sehers.  Er  spricht  IVophetenworte, 
die  alle  in  wunderbarer  Weise  in  Erfüllung  gehen.  Er  sagt  1845 

die  Wiederkehr  glorreicher  Tage  voraus  und  fleht  die  Neugestaltmig 
des  \' aterlaudes  vom  Himmel  herab.  Dann  spricht  er  zu  den  sieben- 
bürgischen  Patrioten:  »Das  Jalirhundert  ist  schwanger  und  es 
werden  geboreu  werden  grossartige  Tage,  die  Tage  des  Kampfes 
um  Leben  und  Tod."  Vor  seiner  Seele  erscheinen  die  Riesenkämpfe, 
welche  die  Völker  kämpfen  werden  für  die  Freiheit  und  unter  die- 
sen voran  am  längsten  seine  angebetete  Nation.  Und  mit  diesen 
Seherworten  geht  Hand  in  Hand  die  Vorahnung  seines  eigenen 
Verhängnisses:  di«'  Leier  mit  deiu  Schwerte  zu  vertauschen  und 
das  grosse  Werk  aui'  dem  Schlachtfelde  zu  vollenden. 


Zu  sterben  Dir  der  Menschheit  Wohl, 
Welch'  seliger,  welch*  schöner  Tod ! 


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768 


ZDB  ENTIICLLCNü  P^:S  PETÖli-UENKUALS. 


.  Drei  .lalu  e  vor  dem  Beginn  der  Weltkümple  schrieb  er  in 
tiefer,  träger  Friedenszeit  das  sturmprophezeieude  Gedicht : 

Xur  Ein  Gedanke  qiiäll  luicli  viel : 
Im  Bett  zu  sterben,  auf  dem  Plulil ; 
.    Wenn  jedes  Sklavenvolk  dann  zieht 
Zur  Wahlstatt  hin.  des  Joches  müd, 
Dort  fair  ich  al>  Held 
Fiji  blutigen  FeM. 

Dort  m<ige  mein  Blut  mir.  das  junge  enlströnjcn, 
Und  lass*  icli  mein  l^<  liüidewort  jauchzend  vernelimcu. 
So  werd  es  verschlungen  vom  Schwertergeklirr, 
DrommeteDgeschnietter  nnd  Schlachtengewirr, 
Und  üher  mich  hin 
Sie  mOgen  dann  fliehen 

Auf  schnanbendem  Boss  nach  erfochtenen  Siegen, 
Mich  hissend  zertreten  am  Felde  wo  liegen  !*  — 

Diese  Visionen  verliesseu  ihn  selbst  in  den  Tagen  des  gross* 
ten  Glückes  nicht.  «Honigwochen'  heisst  bei  anderen  glücklichen 
Menschen  die  Zeit,  da  Pet6fi  das  Gedicht  schrieb : 

.Ein  Mutiges  l^auoruma  schwebt  vor  meinem  Hlick :  l>ie 
Szenen  der  Zukunft.  Die  Feinde  der  Freiheit  ertrinken  im  See  ihres 
eigeueu  iilutes.  Da.s  Pochen  meines  Herzens  ist  ein  Dounergeroli 
und  Blitze  durchzucken  mein  Hirn.  Und  das  Kr»pfchen  an  meine 
Brust  gelehnt,  schlumniert  mein  Weibchen  tief  und  ruhig.* 

Und  dann  wieder : 

«Die  Freiheit  Ut  ein  kostbar  Gut, 
Man  mnss  sie  theuer  kaufen, 
Für  theuer  Geld,  für  rothes  Blut." 

Als  ob  der  Stern,  der  in  seiner  Brust  wohnte,  sich  bereits 
ungeduldig  gesehnt  hätte,  die  Erdenlast  Ton  sich  zu  schütteln  und 
in  den  Himmel  zurückzukehren ! 

Und  do(  h  hatte  er  droben  keine  .schönere  Stätt«  als  in  der 
Brust  seines  Trägers.  Wenn  diese  sich  mit  liebe  füllte,  verklärte 
sie  die  irdische  Welt  so,  dass  sie  schöner  war  als  das  Himmelreich. 
Die  nämliche  Leier  war  es,  die  dem  Blitze  sein  Grollen  und  der 
Nachtigall  die  schmachtende  WoUnstklage  stahl.  £r  konnte  lästern 


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KOR  imTttÜlZVm  DRfl  PEI^FI  DFinTHALS.  * 


'  769 


wif  Pill  DiiiMOii  \uu]  srt;iu'ii  wio  ein  Enj^el.  Wie  wiUU'  Hluiut'ii  die 
liogeuwiillxiugcu  moiuiineutaler  liuiiieu,  .so  umspiuneii  die  Kaukeii 
seiner  Liehesliedor  den  selbst  in  seinen  Trümmern  wimderbai'en 
Bau,  den  Petöfi  ans  seiner  VaterliUid8lie))e  errichtete.  Öo  vielerlei 
Blumen  gibt  es  nicht,  wie  yielerlei  Empiiudungen  dieses  mit  den 
GSttem  zugleich  herrschende  Gef&hl,die  liebe,  wachruft;  der  Son- 
nenstrahl bricht  sich  nicht  in  so  viel  Farben,  als  die  Liebesgluth 
dieser  Diehterseele  sprühte ;  vom  Glücke  bis  znr  Vei*zweiflung,  von 
der  sterl>e!i(leji  JSeluisurlit  lii>  zur  losl)rocli«'n(l('ii  1( ulimsucht.  vtm 
irdisclicr  Lust  znr  bimmli^schea  Seeligkeit.  l>iesell)e  Hiesengestalt, 
die  Throne  stürmt  und  Ketten  bricht,  kniet  dort  vor  dem  ewig  an- 
gebeteten Abgott  mit  der  öeidenschnur  eines  Haares  gefesselt,  und 
dem  die  ganze  Erde  nicht  gross  genug  war,  er  verliert  sich  frei* 
willig  in  seiner  kleinen  Welt. 

l'ud  Petöfi  erlebt  es  wirklieh,  glüeklieh  zu  werden.  InCyprea- 
seuliaiiien  saug  er  seine  Klugen  nach  einem  todten  Lieb ;  sein  Lie- 
bessehneiL  und  »Schmaeliten.  seine  Erinnernugeu  und  Täusebimgen 
sind  in  den  „Perlen  der  Lielie"  vereinigt:  aber  am  strahlendsten 
sind  seine  bieder  vom  LiebesglUck. 

Im  Paradiese  seines  Glttckes  verleugnet  er  sogar  den  Himmel 

de»  iuihmeü  äamint  all  seinen  blutgierigen  Götzen  : 

«Mehr  ala  ein  guuer  Lorbeerwald, 
Ist  eine  Bosenknospe  werth.** 

Und  nun  schwärmt  er  schon  von  einem  langen  Leben  und  von 
einem  langen  und  von  einem  glücklichen  Alter.  Nur  einmal  Über- 
kommt ihn  wieder  die  VerzQckung  des  Sehers  in  einem  seiner 
schönsten  Gedichte,  «Ende  Septemher* : 

„Doch  wirfst  da  von  dir  einst  den  Schleier  der  Witwe, 
Dann  pflanz*  auf  mein  Grab  ihn  als  Trsnerpanier, 
Ich  komme  herauf  ana  dem  Reiche  der  Schatten 
Um  Mitternacht,  —  nehme  hinab  ihn  zu  mir : 

Zu  trocknen  die  Thnlnpii  um  dich,  du  Geliehie, 

l>ie  leiclitlich  vor^n  >>cn  du  hast  deinen  M.mn. 

Die  Wunden  de?«  Herzens  damit  zu  verbinden. 

Das  ewig  dich  U<ibet,  selbst  dort  noch,  selbst  dann  — 


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770  SUB  BHTBOttTTNO  DE-S  PVtl^n-DEHtnUtJh 

So  Uiiig»'  P«'tofi  U'bto,  war  er  in  der  That  }rt'li«'bt  Es  inu.ns 
(las  eine  starke  Liebe  genannt  werden,  die  ein  au  lieichtliuni,  Lu- 
xus und  Wohlleben  gewöhntes,  von  Anbetern  umschwärmtes  junge« 
Mädchen  bewegt,  dem  Zorne  der  Eltern  zu  trotzen  und  ihr  Leben 
an  einen  Tom  Schikeal  verfolgten  Dichter  zn  knüpfen,  der  in  Hader 
lebt  mit  der  ganzen  Welt  und  der  Dame  seines  Herzens  keinen 
anderen  Schatz  als  seine  ganze  Liebe  bieten  kann. 

Was  ftir  ein  nnerm esslicher  Schatz  diese  Seele  war ;  dass  es 
viele  gibt,  die  sellist  dieses  einzige  arme  Speichen,  das  der  Zufall 
in  iiiren  Körper  <?edrän</t.  ni(;lit  ganz  der  Gattin  geben :  wer  spricht 
davon  ?  Der  Fr<iu  iiarrten  nur  Entbehrungen  und  das  bedeutet  nach 
d^  gewöhnlichen  Auffassung  Unglück. 

Heutzutage  wird  Jedermann  das  Los,  das  sie  gewählt,  Armatb 
nennen ;  ihnen  war  es  ein  Glück,  dessen  sie  sich  so  hoch  rühmten. 
Die  Hochzeitsreise  des  jungen  Paares  ging  nicht  nach  Italien,  son- 
dern nach  Siebenbürgen;  dort  empfing  sie  das  gastfreundKche 
Schloss  Graf  Alexander  Teleki's,  der  es  dem  guten  Freunde  gänz- 
lich überliess.  Im  Herbst  kamen  sie  naeli  Pest.  Wir  hatten  eine 
gemeinsame  AVolinuug,  die  aus  drei  Zimmern  bestand,  eines  war 
mein,  das  andere  war  das  gemeinsame  Speisezimmer,  das  dritte 
war  das  Zimmer  der  Petofi's,  ihr  Schreib-,  Schlaf-  und  Em]>fangszim- 
mer :  Helikon  und  Vaucluse  zugleich.  Ein  einfaches  Mobiliar,  das 
kostbarste  davon  war  die  Bibliothek,  lauter  Prachtausgaben  mit 
Stahlstichen:  B^ranger,  Viktor  Hugo,  Heine,  die  Geschichte  der 
Girondisten,  Shakespeare,  Ossiau,  Byron,  Shelley.  An  den  WSnden 
die  hervorragenden  Gestalten  der  iranzü>iselien  Hevolution  ;  unter 
diesen  befand  sieh  nicht  nur  Madame  Uohmd,  sondern  auch  l'har- 
lotte  Corday ;  das  war  sein  einziger  Luxus.  Die  I'rau  Petofi's  sah 
ich  nie  anders,  als  in  einfachem  schwarzen  Kleide ;  das  Haar  trog 
sie  kurz  geschnitten.  Das  Mittagessen  Hessen  wir  ans  dem  »Gol- 
denen Adler'  bringen  und  wir  speisten  zusammen:  unsere  ganze 
Ausgabe  betrug  monatlich  dreissig  Gulden.  Keiner  von  uns  trank 
Wein ;  ich  von  jeher  nicht,  Petöfi  aber  seit  seiner  Verheirathung 
nicht;  das  Abend<*ssen  ru'setzte  der  Thee  und  dabei  lasen  wir  uns 
aus  unseren  eigenen  \V(  rk<'ii  oder  aus  französischen  Dieliteru  vor. 
Unsere  einzige  Zerstreuung  war  hie  und  da  der  Besuch  des  Thea- 
ters, wenn  man  ein  Drama  gab  und  wenn  Gabriel  lilgrBsqr 


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ZOB  ESTBÜhLXrSQ  DES  PETÖFI- DENKHALS.  771 

« 

spielt«'.  Pctoli  \u\(\  seine  Frau  gingen  nie  in  di«  Oper;  auch  nuieh* 
ten  sie  keine  Besuche,  noch  empfingen  sie  welche,  die  Arnny^ü  au«* 
genommen. 

In  der  Wohnuug  gab  es  weder  ein  Klavier,  noch  Blnmen, 
noeh  einen  Singvogel. 

Und  diese  Frau  war  deiiuuch  glücklich,  deuu  retöfi  geliürte 
ihr  gau/i  uud  p:ar  au. 

IVtöH  war  keine  ideale  Mäiinergestalt.  Vou  seinen  liiuter- 
bliebenen  Porträts  ist  nur  Jenes  treu,  welclies  Barabas  zuerst  zeich- 
nete und  auf  welchem  Petoti  die  beiden  Uände  nach  rückwärts  halt; 
die  anderen  sind  alle  idealisirt  Er  war  yon  hagerem  Wüchse,  von 
mittlerer  Grösse,  von  blasser  Gesichtsfarbe,  hatte  kleine  jichwarze 
Augen  mit  satyiuhnltchen  Brauen,  eine  spitsse  Nase,  die  an  der 
Wurzel  eingedrückt  war,  das  Haar  hinaufgestrichen,  den  Mund 
klein  und  in  Folge  eines  nnregel massig  hervorstehenden  Zahnes  zu 
einem  satyrischen  Ausdruck  «geneigt.  .Sein  ganzes  Wesen  und  sein 
Blick  waren  düster  und  verschlossen ;  am  Halse  trug  er  nie  ein  Tuch, 
was  denselben  noch  vorgebeugter  erscheinen  liess.  Diese  Abneigung 
gegen  Halstücher  sollte  später  für  ihn  verhängnissvoU  werden,  wo* 
ran  uns  sein  G^cht:  «An  Mesztiros  L^zar*  errinneri  Wenn  aber 
dieses  Gesicht  die  Flamme  der  Poesie  erleuchtete,  wenn  er  seine 
Werke  zu  deklamiren  begann,  dann  fiah  man  in  jedem  seiner  Züge 
seine  Beele  glühen  ;  da  strahlte  sein  Blick,  seine  Gestalt  wuclis,  sie 
erschien  hoch  nn't  der  Attitilde  einer  Statue;  wer  ihn  da  sah,  wer 
ihn  da  hörte,  d«'r  nius^te  sich  in  ihn  verlieben.  Er  riss  Männer  uud 
Frauen  hin,  wohin  er  wollte. 

Wen  er  aber  lieb  gewann,  von  dem  forderte  er,  dass  er  sieh 
ihm  ebenso  ganz  und  gar  gebe,  mit  seiner  Seele  sich  so  in  seine 
Seele  verschmelze,  wie  er  es  that.  Er  war  der  Tyrann  dessen,  den 
er  liebte.  Kie  konnte  er  eine  einzige  abweichende  Ansicht  oder 
einen  Meinungsuuterschied  verzeihen.  Er  beherrschte  sme  Freunde 
dadurch,  dass  er  sie  liebte. 

Jene  über  vergötterten  ilin. 

Was  er  in  seinen  <Jedichteu  vou  treulosen  Freunden  sehrieb, 
das  ist  entweder  auf  äusserst  geringfügige  Motive  zurückzuführen, 
oder  bezieht  sich  auf  solche  Zeitgenossen,  welche  unter  falschen 
Namen  Schmähkritiken  über  seine  Gedichte  schrieben  und  deren 


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772  tun  BmOLLtKO  mM  SBrtFl-OBHiaCALS. 

Nanit'ii  IV'töH  f'inuial  in  einem  Wortspiele  ven  wii^te.  welches  mir 
Wenige  kennen.  Einigen  gab  er  selbst  durch  seine  kaustischeu 
Witze  (irund,  ihm  zu  zürnen,  wie  Nikolaus  Szemere,  der  die  Pajro- 
die  sZold  Marczi*  gegen  Um  schrieb.  Hingegen  hatte  wohl  Nie- 
mand auf  der  Welt  so  viele  mit  Leib  und  Seele  ergebene  Freunde 
wie  Pet66.  Die  Gediehte,  die  4r  an  dieselben  richtete,  zeugen  daf&r. 
Vor  Allem  VSrSsmarty  und  Bajza,  welche  Petdfi  zuerst  beim  Pobli- 
kum  eingeführt,  Arany,  Egressy,  Graf  Alexander  Teleki,  au  den  er 
oft  seine  Verse  richtet,  Kigyds,  Anton  Varady,  Kazinczy,  Adorjan, 
Fraukeuburg,  Valiot,  Osengery  uiu\  der  alte  Paul  Szemere,  der 
Petofi  bei  ihrer  ersten  Begeguuug  folgeudermassen  auspraeb: 
»Wie  alt  bist  Du*  —  »Zweiundzwauzig*  —  »Und  ich  zweiond- 
siebenag  l  Dützen  wir  nus."  —  Und  endUeh  die  »Zehn.* 

Er  schuf  nagB  mn  sich  eine  ganz  neue  Schule,  die  er  selbst 
gern  die  ungarischen  Romantiker  nannte ;  man  nannte  ne  die  »Ge» 
Seilschaft  der  Zehn".  Ausser  ihm  befand  sich  in  derselben:  Tompa, 
Kerenyi,  Palfy,  Degre,  Lisznyay,  Pakh,  Obenijrik,  BÄczy  und  ich. 
Ihre  Tendenz  war,  die  Sprache  des  ungarischen  Volkes  literarisch 
zu  machen,  in  Styl  und  Gedaukeugang  die  nationalen  £igenthüm- 
Hchkeiteu  zu  bewahreu.  Damit  dies  gelinge,  war  ein  Genie  nothig, 
wie  das  seine,  und  dabei  ein  so  geläuterter  Kunstgeschmaek,  ein  so 
starker  Ssthetischer  Sinn  und  eine  solche  Erudition,  wie  er  sie 
besass.  Pet5fi  studirte  »fia  yiel  und  er  kannte  die  WeUl!ter«lar 
aus  den  lateinischen,  deutschen,  frauzösischeu  und  englischen 
Origiualwerkeu. 

So  lange  jener  literarischen  Richtung,  welche  die  poetische 
■Schreibart  in  ungewohnten,  gesuchteu,  nach  fremden  Mustern 
geschaffenen  Worten  und  in  nachgeahmtem  Ideengang  suchte,  nor 
deren  Gegensatz,  die  Nachahmung  des  rustikalen,  an  der  Scholle 
Idebenden  Volkes  und  die  dürftige  Ezzentrizitftt  gegenfiberstand, 
blieb  immer  die  Brstere  Siegerin.  Doch  so  wie  Petdfi  erstand,  brach 
sich  siegreich  das  Prinzip  Bahn,  dass  die  Idee  und  der  bedanke 
die  Herren,  und  Worte  uur  Sklaven  seien,  und  binnen  Kurzem  war 
sein  Sieg  ein  vollständiger.  Die  Volkssprache  wurde  die  Sprache 
der  Literatur,  die  Volksdichtung  die  höhere  Poesie,  uüd  das  blieb  so 
zum  heutigen  Tage  —  und  das  war  der  ungeheure  Erfolg,  der 
Petöii  so  gross  machte  und  der  sein  Andenken  filr  ewig  bew;ihri! 


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2TTB  KKTHfLHltNO  UBB  PRTÖFM'SIlKMAlif«.  778 

Schon  in  <len  inli^-f  lK'u  IJegioiieii  ♦rrciclite  er,  woliin  ilm 
«eine  Wünsche  tragen,  in  «ler  Liebe  das  Glück,  in  der  Dichtung 
den  Ruhm.  Dieser  ideale  Erfolg  war  nicht  ohne  inaterielle«)  Kesul- 
tat  Vor  Petöfi  hat  es  kein  ungarischer  Dichter  erreieht,  ohne 
Nabenbemf,  oder  wenigstens  ohne  Mitgliedschaft  der  Akademie 
▼oA  seiner  geistigen  Arbeit  leben  nnd  sogar  eine  Familie  erhalten 
m  kSnnen.  Mit  Petftfl  sehloss  sein  Verln^or  Emich  einen  Vertrag, 
demgeniiis.s  Petofi  für  seine  his  dahin  <i;eschrieben«'n  (iedichte 
zwanzig  Monate  hindurch  monatlifh  hundert  Onlden  hekommen 
sollte.  So  war  denn  der  Dichter  für  zwanzig  Monat  gesichert,  ohne 
Jemandem  sagen  zu  milssen  ,ich  danke''.  FUr  zwanzig  Monate,  für 
nein  gnnzos  Leben ! 

Er  hatte  erreicht,  was  er  im  Himmel  gesehen,  den  Ruhm  nnd 
das  GlQck ;  es  blieb  ihm  nnr  übrig,  anch  seinen  irdischen  Abgott, 
das  Ungarrolk  und  die  Freiheit,  anm  Siege  au  ftthren. 

Auch  das  sollte  kommen. 

Es  kam  der  15.  März.  Damals  schrieb  er  sein  ,Tali>ra 
magyarl*  Er  deklainirte  das  Gedicht  in  der  Mitte  des  Platzes  unter 
dem  tieifallsjauchzen  des  jungen  Ungarns. 

Von  diesem  Tage  an  zählt  man  die  Wiedergeburt  des  Ungar- 
volkes, an  diesem  Tage  fielen  die  Fesseln  von  den  Händen  der 
Leibeigenen,  an  diesem  Tage  wurden  frei  der  Boden  und  der  Gteist. 
Und  seither  konnte  man  die  beiden  nicht  mehr  ins  SklaTeigoch 
zwingen.  Diesen  Tag  nenne  Ungarn  den  Tag  des  h^ligen  Pet5fi, 
denn  er  hat  damals  die  Sonne  zum  Stehen  gebracht,  ganz  anders  als 
ehedem  Josua. 

Und  dann  kamen  die  blutigen  Tage,  von  denen  er  geträumt, 
die  er  vorausgesagt  und  an  die  er  so  innig  glaubte. 

Da  bricht  eine  neue  Epoche  f{ir  sein  dichterisches  Schaffen 
heran. 

Was  er  bis  dahin  geschrieben,  hatte  grossen  Werth  durch 
den  allgemeinen  poetischen  Goldgehalt,  aber  die  meisten  seiner 
wfihrend  des  Kreihi^itskampfes  geschriebenen  Gedichte  haben  eine 

Geschichte  und  ein  Kommentator  müsste  ihre  Spur  verfolgen,  um 
dieselbe  zu  erzählen,  damit  sie  die  N.ichwelt  verstelle ,  diese 
»schwarz-rothen'^  Lieder,  in  denen  der  Dichter  seine  ,in  Blut 
getauchte  Leier  mit  blutigen  üündeu  schlügt''. 


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774  ZVft  KNTRÜLHÜSO  DK»  nT5n-DKmMAL9i 

Man  rnnsa  die  Zeit,  den  Hintergnmd  der  Ereignüse,  die  henr- 
schendeu  Ideen  jeuer  Tage  und  die  fieberhafte  (iemnthsstiinmung 
kennen ,  unter  welclien  sie  eutstaiiileii.  Manche  werdeu  nur  dauii 
verständlicl)  niul  wir  ktiiinen  nur  dann  sagen,  daas  man  80  schrei- 
ben durfte,  wenn  wir  una  dazu  denken  das  ringsum  in  Flammen  jy^e- 
ianchte  Land,  den  angestrengten  Kampf  der  Verzweifliu^  die 
einander  überflfigelnden  Schreckensnachrichten  und  dann  wieder 
die  nnbesehreibliehe  Baserei  des  Siegesraosches  upd  die  Damme 
xerreissenden  Leidenschaften  des  Yolksaornes. 

Man  mnss  diese  Gedichte  lesen,  als  ob  jedes  in  den  Deckel 
eines  Sarkophage«  eiugegral)en  wäre.  Manches  Gedicht  erklärt  sieh 
sellist,  wir  (las  „Hörst  Du,  mein  Herz?''  Man  zeiht  ihn  der  I-Vig- 
heit,  man  sagt,  dass  er  nur  Andere  hegeistere,  aher  das8  er  nicht 
selbst  auf  den  Ksmpfplatz  gehe.  Dann  folgt  der  „Abschied''.  Er 
bricht  schon  auf,  er  nimmt  Abschied  von  seiner  Gattin  und  ahnt 
sein  Yerhängniss.  Er  hatte  den  glorreichen  Tod  gerafen  ander 
erscheint  ihm  nnn,  da  er  am  glücklichsten  ist 

Ich  habe  stets  für  einen  grdssem  Helden  Bxkhr  gehalten, 
der  mit  dem  Vorgefühle  des  Todes  sich  aus  den  Armen  seines 
Weibes  in  die  Schlacht  begab ,  als  Achillrs«  den  die  IJache  und 
das  Bewusstsein  des  sichern  Siej^es  dahin  geleitet.  Der  ist  der 
Tapferere,  den  die  Nerven  schmerzen  angesichts  des  Tinles,  der 
ihnen  aber  gebietet,  nicht  zu  schmerzen.  —  Petdfi  lies^  seine  Bib- 
liothek zu  Gunsten  der  Verwundeten  Tersteigem  nnd  begab  «efa 
in  das  Lager.  Er  ging  nach  Siebenbürgen,  dort  gab  es  «nen  pol- 
nischen  Feldherrn,  Bern;  der  schätzte  den  ungarischen  Dichter 
hoch  nnd  machte  ihn  zu  seinem  Adjutanten.  Der  historischen  Treue 
wegen  mnss  ich  erwähnen,  dass  auch  die  ungarische  Regierung 
ihm  für  ein  begeisterndes  Schlachtenlied,  das  in  der  Armee  ver- 
theilt  wurde  und  das  die  ungarische  Marseillaise  werden  sollte,  5(M' 
Gulden  gab.  Das  war  eines  seiner  letzten  (Tcdichte,  die  in  der 
Zeitschrift  „Eletkepek''  erschienen. 

Eines  seiner  Gredichte  bedarf  besonders  einer  vollen  Beleuek- 
tung,  weil  es  sonst  einen  Schatten  würfe  auf  den  Charakter  des 
Dichters.  Es  ist  dies  sein  an  Vördsmarty  gerichtetes  Gedidii^  in 
welchem  er  dem  Dichtergefahrten  in  einem  immer  wiederkehrenden 
Refrain  sagt :  «Nicht  ich  riss  Dir  Tom  Haupt  den  Lorber,  Da  hast 


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77S 


e«  seihst  ^thfin.*  —  Pefofi  war  nicht  oitVrsiirlitirr  als  Diohtor  auf 
spiTiP  Dicht^rgetalirteii,  ja  in  seinen  (  Jedichten  ertönt  der  l^reia  der 
wirklich  Hernfenen  ;  Arany  nennt  er  Homer  nnd  er  stellt  ihn  hoch 
über  sich  selbst.  Doch  war  Pet43fi,  der  Dichter,  eifersüchtig  auf  die 
groasen  Helden  ^er  Politik.  Davon  erzählen  anch  seine  Gedichte. . 
Ich  mnas  es  anssprechen,  dass  Pet6fi  eifersflehtig  auf  Kossoih  war. 
Er  fürchtete  fftr  seinen  Stern  angesichts  der  aufgehenden  Sonne. 
Der  Rnhni  der  Härztage  dauerte  nnr  so  lange,  bis  das  ungarische 
Ministerium  aus  Presshurg  eintraf,  bis  das  ungarische  Parlament 
zusammentrat;  von  da  ah  sprach  Niemand  mehr  von  den  Helden 
des  März.  Auch  hei  der  Abgeordneten  wähl  war  es  ihm  schlecht 
ergangen.  In  seiner  Heimath,  iu  dem  oft  besungenen  AlfÖld,  war 
er  aufgetreten  und  war  kläglich  durchge&Uen. 

Das  Volk,  dessen  Freiheit  er  erkämpft,  hereitete  dem  glän- 
zendsten Genie  der  Nation  eine  sdimähHche  Niederlage  und  wählte 
an«seiner  Statt  einen  obskuren  Menschen,  der  wohl  keine  Verdien- 
ste» hatte,  der  al)er  einen  vollen  Keller  vor  nnd  einen  leeren  nach 
der  Wahl  hesass.  Dieser  l)eh*idi<;te  Petofi  auch  in  seiner  Privatehre 
und  vens'eigerte  ihm  die  ritterliche  Uenugthuuug,  die  er  verlangte. 
Das  Parlament  aber  sah  ihm  die  Bestechung  und  die  Unrittorlich- 
keit  nach  und  Petöfi  erhielt  im  ganzen  Lande  keinen  Bezirk,  der 
ihm  seine  Vertretung  anvertraut  Idtte. 

Und  noch  einen  anderen  Grund  hatte  er,  erbittert  zu  sein. 
Nach  den  M&rztagen  redigirten  wir  zusammen  die  «iSletk^pek* 
nnd  in  jenem  halben  Jahre  erschienen  in  diesem  Blatte  die  Boh5n- 
sten  Werke  fast  aller  literarischen  Kapazitäteji,  die  danuils  gelebt. 
Von  Vörösmarty  „Szentember",  von  Arany  ^i^xlusti)" .  , Die  Frau 
R^kdczy^s",  „Sklavenseelen",  »Janos  pap  orszaga''  und  „Traum 
und  Wirklichkeit',  von  Tompa  in  jeder  Nummer  Gedichte  oder 
Prosa,  Yon  Petöii  oft  auch  zwei  Gedichte  in  einer  Nummer.  Da 
erschienen  die  schönsten  Gedichte  von  GyuUi,  Szte,  Andreas  und 
Koloman  Tdth,  Liszuyay,  Levay,  Jtobor  und  Bozzai;  das  letzte 
Werk  Garay's,  Prosa  von  VasvjCry,  SziWgyi,  Kolmtfr,  Ldz^r,  Dobso, 
llt'li  v,  (t.  Pap  und  Koboz ;  dann  die  humoristiHcheu  WVrke  Her- 
nat's  und  Lauka's.  Ich  sell)st  s(  hrieb  stets  den  vierten  Theil  des 
Blattes ;  nie  gab  es  noch  so  viele  ungarische  belletristisch»'  Schrift- 
steller unter  einem  Hut  beisammen,  und  vielleicht  wird  es  deren 


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776  zoR  nmiCixinfo  rss  pbtA»i-i«kihaia. 

anch  nicht  luehr  so  vi»»le  boi><aiuinen  ;  ilocli  lie.sseu  wir  im.*' 

eine  üiiterla.ssuiig  zu  Schulden  koiumeu;  wir  Tergasseii  den  Mode- 
bildes  und  das  wog  sclmerer  in  der  Waagschale,  als  wir  A]le.Peid& 
uichtj.'aasgenoiiiiDreii.  Inmitten  des.  grössten  moralischen  Sieget 
gingen  wir  materiell  aogrunde.  Weder  seine  Meisterwerke  nodi 
mein  Charivari  und  nicht  einmal  Ludassy's  kOnigsmdrderieriie 
Lnstspiele  ntttzten  mehr ;  das  Publikum  Hess  uns  im  Stich  imd  im 
glorreichen  erslen  Jahre  der  Pressfreiheit  sank  unser  Blatt  von 
löOO  Al)(>nuenten  auf  heral),  so  »lass  uns  der  \'erloger  schon 
im  Juli  küiuligte.  Doch  .schieben  wir  die  Schuld  nicht  auf  das 
Modebild:  die  Politik  tödtete  unser  Blatt,  sie,  die  Alles  ver- 
schlingende Astaroth.  Niemand  braachte  Poesie  und  schöngeistige 
Idterator  mehr. 

Bann  kam  ein  Tag,'  dieThronik  hat  ilin  als  den  21.  Ausist 
bezeichnet  —  an  welchem  das  politische  Lehen  ein  Moment  anf- 
wies,  das  tiir  ewig  unvert^csslicli  hlciht :  im  uiiguri.schm  IJcichstag«- 
dehattiite  man  iiht  r  die  /u  crrieiitend»'  ungarij^che  liouved-Arme»*. 
Die  Opposition  grill  die  Regierung  heftig,  leidenschaftlich,  scho- 
uungalos  an;  die  glänzenden,  grossen  Ge.stalt^n  Kossnth^s,  Bat- 
thjfbiy^s,  Sst^chänyi^s,  mussten  sich  gegen  die  leidenschaftlichsten 
Elukubrationen  mit  der  ganzen  Beredsamkeit  des  Patriotismna  und 
der  Ueberzeugung  Tertheidigeu.  Diese  grossen,  edlen  Gestalten 
mnssten  schliesslich  zu  Bitten  ihre  Znflncht  nehmen,  um  die  Par- 
teien zum  Aufgeben  des  persrnilichen  Kampfes  zu  bewegen.  Dann 
kam  es  zur  Ab.stinnnunu-  und  Ko.ssnth  und  dit'  uns^arist  he  Retrie- 
rung  siegtiMi  mit  einer  Zweidrittel-Majorität  über  die  radikale 
Opposition.  Mit  der  Regierung  .stimmte  auch  Vöröamartj.  Darauf 
schrieb  Petöfi  jenes  Gedicht.  Ich  bat  ihn,  dasselbe  nicht  in  nnserem 
Blatte  zu  yerdffentlicheu.  Er  that  es  dennoch.  Darüber  zerschlagen 
wir  ans  so,  dass  wir  bis  zur  Belagemng  Ofens  nicht  mehr  zusam- 
menkamen. Die  hnndertftlnfzigpftlndigen  Argumente  brachten  im« 
einander  wieder  näher.  —  Und  noch  etwas  Anderes.  A\'ir  waren 
nämlich  l)innen  einem  Jahre  Beide  gestorln'n.  Ungarn  feiert»'  tleii 
Sieg  der  Freiheit,  al)er  Petoti  hatte  Jedermann  vergessen.  (Und  erst 
mich !)  In  dem  Nichts  begegneten  wir  uns  wieder.  Da  hatte  die 
ungarische  Armee  eine  glorreiche  Gestalt,  wie  er  sie  getriUimt, 
wie  er  sie  gefordert  hatte,  aber  er  wan  nicht  mehr  Mitglied  dersel- 


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m  8NTHÜLLPK«f  DCfl  PST({pi-DKVKMAl.9.  7^3 

heu.  Man  hatte  iliii  gozwungon ,  wer  weis.s  welcher  Formalität 
wegen,  mit  dem  Porteäpe'e  auch  den  Säbel  niederzulegen.  Eines 
seiner  letzten  Gedichte  an  einen  groben  General  spielt  hierauf  an. 
Der  Seiser  bemerirt  hieraaf  unter  einem  daes  dieser  grobe  Gene- 
ral Mte&os  war.  Das  ist  nicht  richtig ;  —  einer  der  gefeier- 
testen Helden  des  Freihditskampfes ,  der  damalige  nngarische 
Finmizminister  war  es,  mit  dem  er  in  Konflikt  gerieth.  Wen  sollte 
er  als  Kichter  wühlen,  da  der  Richter,  die  öffentliche  Meinunj^, 
Denjenigen,  den  er  anklagte,  mit  Kränzen  üherhäiit'te,  da  Alles 
dessen  Marsch  sang  und  da  man  von  i'etöli  fragte :  ,Wer  ist  das?* 

Er  hatte  weder  Leier  noch  Schwert  mehr.  Einst  hatte  er  ge- 
sungen: «Die  Liebe  ersetzt  Alles  und  die  Liebe  wird  durch  Nichts 
ersetat*  Hat  sie  ihm  Alles  ersetzt? 

Und  bald  sollte  es  weder  Vaterland,  noch  Nation,  noch  Frei- 
hat geben. 

Fürwahr,  wir  waren  Ueide  gestorben  nnd  warteten  auf  die 
<  TrahesschoUe  den  Kusammeustiirzeudeu  Vaterlandes,  die  uns  be- 
graben sollte. 

Ich  versuchte  noch,  mich  ans  dem  Grabe  herrorzoarbeiten 
und  das  Leben  aufs  Neue  zn  beginnen.  Er  aber  sagte,  dass  er 
dorthin  gehe,  wohin  er  gehöre :  in  den  Himmel* 

Bs  gab  einen  Mann,  der  Pet6fi  wie  seinen  Sohn  liebte :  das 

war  Bern ;  zu  diesem  kehrte  er  zurück.  Nicht  um  wieder  zu  kftmpfeu, 
sondern  um  zu  sterben.  Hatte  er  doch  auch  seinen  Säbel  ver- 
schenkt, jenen  berühmten  handln-eiten  Pallasch,  den  er  seli).st  <Juil- 
lotine  nannte.  Der  Entscheidungsschlacht  wohnte  er  auf  dem 
Schlachtfelde,  aber  unbewaffnet,  bei. 

Der  dumme  Kosak,  der  ihn  niederstach,  hat  einen  ganzen 
Tempel  Toller  Gotter  zerstört ! 

Man  sagt,  es  sei  das  ein  schöner  Tod.  Ich  aber  sage,  es 
war  ein  (/uter  Tod. 

Mit  dem  Sturze  Ungarns  war  Petöfi's  Leben  l^eschlossen.  Für 
ihn  konnte  es  auf  diesem  Planeten  keine  Stätte  mehr  geben.  Der 
Titel  seines  letzten  Oodichtes  lautet:  , Schreckliche  Zeiten**.  Und 
er  schliesst:  „Wird  er,  der  diese  Geschichte  hört,  sie  nicht  fiir  die 
Ausgeburt  eines  wahnsinnigen,  spukhaften  Geistes  halten?"  Und 
erst  die  Zeiten,  die  darauf  gefolgt !  Da  hätte  er' in  der  That  wahn- 

CagwlMh«  Bevne,  1889.  X.  Seit  oO 


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^    791  ZtR  KNIHOlJ.I  NG  DES  PK'HM  »-l>B.\K>lAri.S. 

sinnijjf  werden  müsNeii.  Vor  dem  Tode  hatte  er  niemals  Furcht. 
Doch  hatte  er  ein  (ieilitlit:  «in  der  Mimkacser  Burg*"  mit  dem 
Uefrain :  ,0,  dieser  Kerker,  vor  dem  habe  ich  Angst*.  Aus  ihm, 
wo  Andere  ergrauten,  wäre  er  wahusiunig  herausgelrommen. 

Es  frommte  ihm,  m  sterben ;  >vir,  die  wir  znrfickgeblieben. 

wir  werden  immer  kleiuer,  je  mehr  wir  in  den  Jahren  vornlcken. 
\\  iilirend  seine  lietflult  iuu»o  höher  emporrugt,  je  mehr  sie  .sich  ent- 
fernt in  der  Zeit. 

Und  es  var  gnt,  das«  seine  Asche  in  die  Winde  zerstob,  do 
erhält  jeder  Ungar  ein  Körnchen  davon,  nnd  in  jedem  Körnchen 
l(*bt  die  Vaterlandsliebe  fort. 

Nun  stehen  wir  vor  seinem  ehernen  Staudbilde,  ' 

Ich  glaube,  dass  er  selber  gegenwärtig  ist.. 

Der  Geist  muss  in  der  Statue  wohnen,  die  die  gerechte  Nach- 
welt zu  seiner  Verewignng  errichtet. 

T^iid  die  Statue  sieht,  fühlt  nnd  denkt. 

Und  die  < reist«r  i^iud  gerecht;  sie  sehen  klar  und  urtheilen 
ohne  Leidenschaft. 

Kann  diese  fühlende  und  denkende  Statue  Rehen,  was  ge- 
schehen ist,  seitdem  sein  Geist  die  Erde  verlassen? 

Sie  kann  die  Vcihsfreihmt  sehen,  die  er  wie  einen  Diamanten 
suchte,  und  die  er,  als  er  sie  gefunden,  dem  Diamant  gleich  schitste ; 
sie  ist  heute  ein  gewöhnlicher  aber  nützlicher,  zum  Sti-assenban  be- 
nutzter Kiesel,  man  braucht  ihn  nicht  furchtsam  zu  hüten,  er  i^t 
unverlierbar.  .  .  . 

Sie  kann  JJuddpcst  .sehen  und  darüber  urtheileu,  wohin  es 
sich  erhoben;  zur  Metropole  wurde  die  Stadt, von  der  er  «inst  so 
scherzhaft  gesungen. 

Sie  kann  sehen,  dass  das,  was  er  einst  in  seinem  Credichte 
nÄnf  der  Eisenbahn'^  in  seiner  Schwärmerei  ersehnt das» 
Ungarn  von  hnndert  Eisenbahnen  durchzogen  werde,  in  Erftlllung 
gegangen  .sei.  „Und  habt  Ihr  Eisen  nicht  genug,  brecht  Enff» 
Ketten  alle."  Auch  da»  ist  in  Erfüllung  gegangen :  es  gibt  keiue 
Ketten  mehr. 

Sie  kann  sehen ,  «lass  die  Jf&urtd- Armee  wieder  besteht, 
in  Kraft  und  Vaterlandsliebe  mit  jener  alten  wetteifernd;  daas 


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■ 


sim  EmmüLLUNG  ms  perdn-DKmoiALs.  7i>a  v 

Ungarn  ftbr  seine  Zukanft  vor  k^nem  Feinde  bunge  zu  sein 
bnnclit . . . 

■  I 

SiP  kann  sfeheu,  es  wolil  starke  Parteikiinipfe  gibt,  doch 
ilass  in  lUesen  ein  starkes  untl  selbstbewnflte»  nationale«  Leben 
zum  Aosdraek  kommt . . . 

Sie  kann  sehen,  dass  es  eine  freie  Presse  gibt,  mit  einer 
ganzen  Legion  Kmpfer  des  Geistes,  deren  Leser  ein  ganzes  Lager, 
ein  ganzes  Land  ausmachen.  Und  unter  den  KEmpferii  gibt  es 

keinen,  der  nicht  die  Freiheit  und  die  Grösse  des  Vaterlande«  ver- 

theidicrte;  gäbe  es  einen,  lande  er  keinen  Menschen,  der  ihn  lesen 
würde  .  .  . 

Bie  kann  sehen ,  dass  schöne  Literatur  und  Wissenschaft 
und  Kunst,  Handel  und  Industrie  bei  uns  so  stark  und  mächtig  sind, 
dass  Ungarn  um  Berücksichtigung  nicht  mehr  zu  betteln  braucht 
und  dass  es  seinen  Platz  ausfttllt  in  der  gebildeten  Welt. 

Und  sie  kann  sehen,  dass  das,  was  er  als  Schatz  hinterlassen, 
dass  die  Werke  seines  Feuergeistes  iu  hunderttansenden  Exempla- 
ren verbreitet  sind  im  ganzen  Lande ;  dass  sie  zuhause  sind  auf 
dem  Mosaiktische  im  Prnnksaale  des  Magnaten,  wie  auf  dem  Simse 
des  Landmanns.  Auch  haben  sie  Flflgel  bekommen  und  bereits  das 
ganze  Erdenrund  umflogen.  Die  deutsche  Nation,  mit  der  er  soyiel 
hernmstritt,  sie  hat  seinem  Geistesschatz  den  Weg  gebahnt  in, die 
weite  Welt;  Franzosen,  Engländer,  Italiener,  Schweden,  Polen  und 
Spanier  haben  ihr  Licht  an  dem  seiuigen  entzündet;  seine  Gedichte 
überschritten  den  Ocean,  sie  gelaugten  bis  nach  Japan  und  China 
und  wie  die  Sonne  kehrten  sie  aus  dem  Reiche  des  Ostens  wieder 
hieher  zurück. 

Und  in  jedem  Lande,  das  sie  durchwandert,  Terkflndeten  sie 
den  Ruhm  des  Ungarn. 

Sie  kann  auch  sehen,  dass  sie  es  nicht  vergebens  getlian. 
Und  noch  Eines  kann  sie  sehen. 

Dass  es  nämlich  noch  »einen  geliebten  und  seine  Völker  lie« 
beiiden  König  gibt'  und  dass  dieser  König  Ungarns  König  ist. 

Und  dann  kann  sie  höreu,  was  ihr  der  Genius  des  Zeitgeistes 
ins  Ohr  fliistert :  dass  sich  dss  Alles  der  Höhe,  der  Vollkommenheit  zu 
<ttBtwickeln  werde,  und  er  wird  ihr  Ton  Geheimniasen  der  Zukunft 


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I 

cr/ählen ,  welche  selbst  der  Statiie  das  Herz  erljeben  macken 
müssen. 

Yiielleicbt  sehen  es  nur  meme  flimmernden  Angen,  doch  mir 
ist  es,  als  ob  nun,  da  dieses  Yolksmeer  die  Statue  umflothet)  suf 
ihrem  ehernen  Antlits  das  himmlische  Däiumem  eines  seligra 

Lächelns  «Tschinimoi-te. 

Oh  OS  kommen  noch  Zeiten,  da  sich  das  Herz  dieses  Stand- 
bildes so  füllt  mit  Wonne,  dass  die  Statue  davon  erglfiht  und 
nächtlicher  Weile  leuchtet! 

Deine  Nation !  SieV  die  Eintracht  zwischen  dem  Volke  und 
seinem  apostolisclifn  Kiuiig,  die  Achtnn<^  vor  (h'ni  (ipspt/p  und  das 
unter  dpm  Segen  (Ut  Arbeit,  in  eifrigem  Bestrel)en  si<  h  erhebend«' 
Vaterland !  Sieh'  das  Blühen  seiner  jungen  Hauptstadt,  und  sieh*, 
wie  materieller  und  geistiger  Wohlstand  wächst  auf  der  Spur  jener 
wiedererlangten  konstitutionellen  Freiheit,  för  die  Du  Dein  Leben 
lang  glühtest  und  för  die  Du  das  Blut  Deines  edlen  Henens  ver- 
gössest ! 

Sehr  geelirte  Festversammlung!  Bevor  ich  meine  ehrende 
Aufgabe  schiiesse,  habe  ich  noch  in  aufrichtigstem  Danke  und  mit 
Worten  der  Anerkennung  Jener  zu  gedenken,  welche  sich  durch 
eifrige  InitiatiTC  und  Leitung,  durch  opferwillige  Gaben  und  durch 
kfinstlerische  Arbeit  um  das  Zustandekommen  dieses  Denkmals 
herrorragende  Verdienste  erwarben. 

Die  Idee,  dieses  Denkjual  zu  errichten,  liat  Eduard  Remenyi 
im  Jahre  lö(iü  in  einem  engern  literarischen  Kreise  angeregt.  Er 
war  es,  der  durch  Arrangimng  von  Konzerten  für  dieses  Denkmal 
die  namhafteste  Gabe  lieferte  und  dadurch  den  Grund  gelegt  hat 
zur  Verwirklichung  dieser  Idee.  Er  war  der  erste  Plrasident  der 
Denkmals-Eommission  und  neben  ihm  unser  gekrönter  Dichter 
Koloman  T6th,  dessen  eifriger  Kollege  im  Pr&sidium. 

Eduard  Remenyi  ist  dermalen  durch  künstlerischen  Beruf  an 
einen  fremden  Welttheil  gefesselt.  Koloman  Tdth  aber  bat,  ach. 
allzu  früh  und  zum  grossen  Verluste  unseres  Vaterlandes  der  Tod 
aus  unseren  Reihen  gerissen.  Und  so  Termag  weder  der  Eine,  noch 
der  Andere  an  der  heutigen  schönen  Feier  des  Erfolges  ihrer  Be- 
mühungen theilzunehmen.  Ich  glaube  der  Dolmetsch  der  ganzes 


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SUB  SNmOLLÜHO  HIB  PBTdn-DSNCirALS. 


79t 


Nation  m  sein,  inddm  ich  die  ersten  Worte  der  Anerkennung  und 

des  Daukey  ihnen  weilie. 

Das  Monument,  in  seiner  gegen wiirtigou  Form,  hat  Adoli 
Husza»*  modellirt;  den  Guss  filhrte  der  berühmte  Erzgiesser  Karl 
Tmrham  ans ;  den  Granitsockel  entwarf  nnser  ani^^eichneter 
Architekt  Nikolaus  YU»  Ausser  dem  Ruhme  für  das  gelungene 
Werk,  wollen  sie  auch  tmseren  aufrichtigen  Dank  empfangen. 

8chlie«slicli  sage  ich  ans  der  Tiefe  meines  Herzeus  Dank 
aileu  Jenen,  welche  durch  eifriges  Bemühen,  durch  Sammlungen 
und  Beiträge,  diesen  pietätvollen  Wunsch  der  Nation  Terwirkli- 
chen  halfen. 

Gehe  die  Vorsehung,  dass  durch  Patriotismus,  patriotische 
Tugend  und  durcli  unbesiegbare  Macht  Jahrtausende  laug  blühe 
und  lebe  das  Vaterland  I 

IL  ALEXANDER  P£T6FL 

Preisgekrönte  Ode  von  Alexaxdsr  EndrAdt,  abersetst  von  Lamslavs 

NsvenAUiB. 

„Freiheit,  liebe/ 

Sei  dieser  Tag  ein  Tag  des  Sieges,  des  Juhels, 
Hochlodemder  Begeisterung  geweiht ! 
Seht  die  Gestalt  des  Diefaters !  Ihm  zuneben 

Als  ew'gen  Zeugen  :  (Ue  Vergangenheit ! 

Sowie  das  Licht  durcli  Nebelschleier  dringet 

Und  seine  Ötrahlengarhe  weithin  streut: 

So  flammt  sein  Geist  durch  schwarze  Wolkenhikllen, 

Hit  seinem  Glanz  den  Erdball  zn.erfftUen. 

0  Geisty  so  stolz,  so  ungezfihmt,  —  Da  schwebest 
Ob  nnsrem  Haupte  wie  das  Ideal ! 

Wir  sehen  Dich  in  Universums  Femen 

Krglünzen  in  der  Sterne  Silbers trahl  — 

Allein  und  einzig,  unerreichbar  stehet  Du, 

UnK  näher  doch  als  all'  der  Sterne  Zahl ; 

Mag  Erd'  and  Himmel  theüen  Deinen  Schimmer : 

Doch  Deine  Wttrme  —  um  bleibt  sie  fOr  unmer ! 


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798 


SUB  KNTIlt)LLlIVa  I>E8  PGTÖn-DEHKlUlff. 


Noch  sehn  wir  dort  der  Pnsits  dürre  Flttche 
Erfüllt  von  Notb,  diircbfegt  von  Siurmeswnth. 
Doch  plötzlich  —  sieh !  wi^  sich  das  Bild  verändert : 

Den  Raum  «lurt  libebt,  »Ics  Zepliyrs  milde  Fluth, 
Millionen  Vöglein  singen,  fiöteu,  .-fhmct.tern, 
Das  Bächlein  rauscht  in  tollem  (  Hei  mulh. 

knospt  nn<l  blüht  als  ob  der  Frühling  blau'te, 
Und  alieä  dies  vom  Klange  —  Deiner  Laute ! 

Ihr  Lieder  ?  Schöpfung  «einer  Fenerseelo, 
Ihr  ew'gen  Sänge,  wuntlerbar  und  liolirl 
Ks  ist  ein  Werk  des  Hero;:,  des  Titiuion, 
Wa.s  Ihr  vollbracht  zu  Ungarns  Kulim  und  Klu' : 
Nicht  Lieder  seid  Ihr:  —  Krieger  des  Jahi'bimderttt, 
Der  Freiheit  Siegdfanfare,  Schild  und  iSpeer, 
Denn  halb  nur  füllet  i^nmutfa  die^e  Lieder  — 
Die  Macht  hallt  aus  der  andern  Uttlfte  wieder. 

()  Licdrr  Ihr.  Dir  Fil.l'ge  seiner  iSeelo, 

Ihr  hobt  empor  auch  ihn  zum  Himmelsrand  , 

0  sebly  0  seht!  Wie  kühn  er  fliegt,  —  die  Kelten, 

Die  er  gesprengt,  hält  er  in  nerv'ger  Hand ! 

Es  fliegt  mit  ibm  das  Heer  der  stolzen  Trftnme, 

Die  LeidenschafI»  sein  finsterer  Zomesbrand  . . . 

Jetst  tritt  er  ein  in  des  r)l3'm])os  Flilren^ 

Und  ein  Titan :  das  Volk  folgt  seinen  Spuren  ! 

I 

Krbebe  deun  Olympos  stolze  Höhe, 

Ihr  falschen  Götter,  räumet  jnh  das  Feld ; 

Der  Kpheu  rank'  empor  an  den  Ruinen,  • 

Und  aus  dem  Schutt  blüh*  eine  neue  Welt ! 

Das  Werde- Wort  erklang,  und  an  die  Stelle 

Des  offnen  Himmels  sich  die  HiU^e  stellt ; 

Der  Mythos  schwand,  doch  über  seinen  Trümmern 

Sieht  Pus0ta  man  und  DSlibdb  *  erschimmern. 

*  Die  Fata  morgana  des  ungarischen  Tieflandeit. 


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Z(iS  BKTHOLLUNO  des  PBTÖEl-I>£KiUf  ALd. 

Und  weit^ft  wett«r     Wangen  .«irh  <iie  Lieder 
So  segAnKpDndendj  iS^^belnd,  mild  und  klar, 
fn  ihtitiH  nah.  gleichwie  \m  blanken  Spiegel, 
Znm  ernten  Mal  da^$  Volk  steh  »elbst,  wie'e  war : 

Dank  ihnen  brachten  «lie  «i-stennten  Völker 
Dem  Ungar  Liebe  und  Bewundrutij^'  dar  .  .  . 
Und  Vaterland  und  Welt  und  Hiiuiuel  wai*en 
Besiegt  dnrch  seiner  Lieder  beii'ge  Suhaaren ! 

Verkündet  seinen  Ruhm  denn  An'n  und  Berge 
Weithin,  so  weit  als  £ure  Stimme  trägt. 
Wo  nnr  ein  Herz  —  in  Hütten  und  PalSsten  — 
In  Trftnmen,  Hoffen,  L^d  nnd  Liebe  schlSgt ; 
Ihr  Völker,  die  Ihr,  seinem  Sange  lauschend, 
In  Eurer  Bmst  der  Freiheit  Hoffnung  hegt, 
Und  Ihr  auch  dort  in  Eurer  stolzen  Ferne : 
Ihr  unaublöscblicb,  ewig  glüb'ndeu  Sterne ! 

Denn  »Sappho  selbst,  sie  könnt'  nicht  sü.süei'  öingt^n, 
Als  Liobesglück  von  .meiner  Laute  tönt, 
Auch  nicht  Zephyr,  der  über  Blnmen  wehet 
Und  sich  zn  Tod  nach  ihren  Kelchen  ,  sehnt ;  . 
Sein  Sang  klingt  leis,  als  ob  ein  jStemlein  fiele ; 
Doch  rauss  es  sein :  wie  Donnergroll  er  dröhnt, 
Es  stieg  in  ihn  des  Tyrtilus  Seele  nieder, 
Und  »einen  Geist  ballt  das  Jahrhundert  wieder ! 

Er  war  der  Vatorlundesliebe  Warte, 

Der  iVeiheit  Eeuersäule,  heilig,  treu ! 

Von  seiner  Gluth  zerscbmolE  <les  Volkes  Fesf^el : 

i'rometheus  fühlte,  regte  sich  anfs  nen\ 

Des  Volkes  Loos  trieb  ihm  das  Blat  znr  Schläfe, 

£r  bannt  ans  jedem  Herzen  Furcht  nnd  Sehen, 

Kühn  trotzt  er  wilden  Stürmen  nnd  Gewittern 

Und  blsst  die  Luft  von  nÄul\  Magiftir '  er/.ittern 


900  SUB  raTHOLLONO  DS8  PRÖH-DBIim^S. 

ünd  es  erdröhnt  ringsiiin  die  Krieg^rommete, 
Kanonen  brüllen,  Untig  wogfc  die  Schlacht 

Sein  Geist  kiimpft  mit,  sein  Schwert :  man  sieht  es  blitzen. 

Den  Sclilaclitensang :  er  silinmt  iliii  an  mit  Maclit, 
I)ann  —  wohe  —  seht  ...  er  sinket  hin  zu  I3o(leii, 
Und  über  ihn  ra.st  schnauben <1,  wiithentfatht. 
Der  Reiter  Tross  hin  mit  verhängtem  Zügel  .  .  . 
—  So  weit  Ihr  blickt:  ist  seines  Grabes  Hügel ! 

Aach  hier  der  Pankt  im  weiten  Vaterlande, 
WeisH  auf  den  Platz,  der  nach  ihm  ewig  leer !  — 

Erkennet  ihn  an  seiner  stolzen  Stirn, 
Am  FlanimenMick,  —  so  Ijlicket  Keiner  mehr  — 
Lasst  nah  und  fern  im  Jubelchor  orbrausen 
Das  Rahmeslied  zn  seines  Namens  Ehr'  I 

Es  leachte  seine  Glorie  allen  Landen,  1 
Wo  immer  auch  der  Völker  Meere  branden. 

0  blick  empor  zn  ihm,  wenn  du  verzagest, 

Mein  Volk,  du  sturingcpeitschtcs.  unverwandt  I 
Erglüh',  entflamm'  an  seines  PenkiuaN  Stufen, 
Wie  auch  für  dich  einst  seine  Seel'  entbrannt*. 
Sei  dies  der  Vaterlandesliebe  Säule, 
Der  heirgen  Freiheit  ew'ges  Unterpfand, . 
Hier  sollst  du,  wenn  des  Schicksals  Wogen  branden, 
Gleichwie  am  Ararat,  gerettet  landen. 

Denn  nicht  nur  hier  die  engbegren/te  Hcholle : 
Ein  ganzes  Reich  i>t  dieses  l)enkmals  Grund  I 
Lasst  unsren  Pl'ad  durch  seine  That  erleuchten, 
Begeistern  uns  an  seinem  Dichtermund ; 
Für  seinen  Tranm  ist  es  so  süss  zu  kämpfen, 
Im  Sonnenglaaz,  im  Stnrm,  zn  jeder  Stund', 
0  mög*  der  Tiaom  einst  in  Erfüllung  gehen : 
Mö(j,  glorrei€h,  stark  dies  Vaterland  erstehen! 


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SUR  REFORM  DBS  TTNOABI^EN  OBtRBAÜBES.  801 

ZUR  BEFOBM  DES  ÜNGABISCHEN  OBERHAUSES. 

Die  Reform  des  ungarischen'  Oberhauses  ist,  wie  es  scheint, 
wirklich  in  die  Reihe  der  Tagesfragen  anfgenommen  worden.  Die 
Überzeuguiig  ist  allgemein,  dass  man  so  wichtige,  auf  den  Staats- 
organ ismus  })ezü«rlirhe  Fiageii  in  ruhigen  Zeiten  erledigen  nnd 
dass  (lif  iiötbigeii  Hetornn.'n  er^rilleii  werileii  müssen,  wenn  diese 
ohne  grosse  Erscliütterungen  ausführbar  sind  und  solange  man  das 
Übel  noch  heben  kann,  bevor  es  sich  yerschlimmert  oder  gar  un- 
heilbar wird. 

Ich  halte  es  deshalb  für  zeitgemftss,  meine  Ansichten  Ober 
diesen  Gegenstand,  die  ich  vor  Kurzem  in  der  ^BuäapesHSMemie* 
(Bndapesler  Reyne)  entwickelte,  auch  separat  erscheinen  su  lassen 

und  auf  die  ueueatens  uufgotanchten  Ansichten  in  einer  Nachschrift 
zu  reflektieren,  respektive  das  Gesagte  mit  meinen  eigenen  Bemer- 
kungen zu  ergänzen. 

Wer  nicht  die  yormürzliche  alte  ungarische  Verfassung  in 
ihrer  Thatigkeit  sah,  wird  sich  kaum  ein  klares  Bild  ttber  diesen 
eigenartigen  Organismus  machen  können.  Es  war  dies  zwar  eine 

StSndeverfassnng,  aber  von  anderen  Stiindeverlassungen  sein-  ver- 
schieden ;  es  entwickelte  sich  in  derselben  voUkoniuiPLi  das  Zwei- 
karamer-System,  und  das  Unterhans  oder  die  untere  Kaninu'r,  Ta- 
fel genannt,  repräsentierte  auch  damals  nur  ei^ien  Stand,  denn  der 
Bargerstand  (d.  Ii.  die  Städte)  war  zwar  auch  in  den  Landtag  gela- 
den, besass  aber  kein  Stimmrecht  Wahrlich,  eine  merkwürdige  Er- 
scheinung im  Staatsrechte,  deren  Analyse  gewiss  ein  längeres  Stu- 
dium yerdiente  und  ein  interessantes  Bild  unserer  Knlturzustande 
böte.  Unstreitig  ist  dieser  Organismus,  ein  Beweis  der  Schwäche 
des  bürgerlic-hen  Standes  und  der  staatswirthsehaftlichen  Zustünde, 
zugleich  ein  Zeichen  der  politischen  Ungeschicklichkeit  der  Wiener 
Regierung,  —  derselbe  war  aber  auch  der  Keim  des  Unterganges 
der  alten  Constitution.  Unter  dem  Drucke  der  Februarreyolution 
und  der  Folgen  derselben  wurde  diese  Verfassung  umgestaltet;  und 
in  Folge  der  1848-er  Gesetze  und  aller  jener  Bestimmungen,  durch 
welche  wir  an  unserem  Staatsrechte  änderten,  wurde  aus  dieser 
Verfassung  eine  auf  dem  IJepräsentativsystem  beruhende  luodenu* 


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§0^  SÜK  BBFORX  DIB  ÜKOASISCHEV  OBSBSlüflBi.  . 

V 

ConcHtnfion  mit  purl.im»'nhirisrl)«'r  Ur'j^ii^rnuv;.  F]>;  i«.t  nneh  dr>s  ein 
b»'iiM'rk<-ii>>\ *  iHm"«  '/.f'iflion.  dii'*^  wälircml  ^idi  in  nn"«'!»'»!  Staars- 
nM'ht»'  inul  iu  mi-rr«ii  HOcinleu  VerhültHiss'Mi  sehr  vielp?  äuiieit«'. 
tUi<  <  )I».mIi}iii*<  sirli  (lennocli  nnw»iiidt*ll»jir  f'rhif*it„  Die«  ist  ein  EU* 
weiB  der  Krftft»  aber  zugleich  nach  der  Schwäche  uuaeres  Oberhau- 
ses. Es  beweisi,  dass  im  Lande  das  Bewastsein  der  KoÜhwendigMl 
des  Oberhauses  lebi,  dass  das  Land  den  Blementen  desselben  Ter» 
trauen  entgegenbringt,  dass  die  Basis  desselben,  wenigsten»  znm 
Theile,  richtig  und  dans  dassell)e  t'iihig  ist,  seiner  Bestimninug  zu 
entsprechen.  Aljer  es  beweist  unter  Einem,  dass  das  Land  denis«-!- 
ben  nur  wenig  Beaclitung  schenkt,  dass  es  sicli  wenig  darum  küm- 
mert, wenn  das  Ansehen  desselben  sinkt,  und  dass  es  dex  ganzen 
Institution  nur  geringe  Bedeutung  beimisst. 

Diejenigen  aber,  die  in  das  Leben  der  poliüsohenlnstitntioiM 
tiefer  eindringen,  flQhlen  die  Nothwendigkeit  einer  Reform  des 
Oberhauses;  in  erster  Linie  aber  die  Mitglieder  des  Oberhanses 
selbst,  so  neuestens  auch  Graf  Ferdinand  Zichy ;  in  diesem  Sinne 
äusserte  sicli  auch  Ministerpräsident  Koloiuau  Tisza  bei  Gelegenheit 
der  letzten  Wahlen. 

Ich  selbst  lienierkte  in  meiner  am  8.  JSeptember  zu  Ödenburg 
gehaltenen  Rede  Folgendes  Uber  diese  Frage  :  «Thatsache  ist,  dass 
'  unser  Oberhaus  in  der  constitntioneUen  Aera  der  Dnrehftthnmg 
keine«  heilsamen  Gesetzes  hinderlich  war,  und  ich  setze  von  unst* 
rem  Oberhause  voraus,  es  besitze  soviel  Selbstständigkeit,  dass  es 
unmöglich  wäre,  irgend  eine  Massregel,  die  dem  Lande  zum  Scha- 
den gereichte,  mit  seiner  /iustimmun«i;  durelizuiVihren.  In  unserem 
Oberhause  herrscht  nicht  nur  wahrer  Patri«jti-<mus,  sondern  auch 
besonnener  politischer  (iei.st.  Darum  glaube  ich  nicht,  dass  die  lie- 
ibrm  desselben  eben  eine  brennende  Frage  wäre.  Übrigens  habe  ich 
nichts  dagegen,  wenn  man  während  der  nächsten  drei  Jahre  andi 
diese  Reform  durchzuführen  vermag,  umsoweniger,  da  unser  Ober- 
hans einen  so  eigcnthflmliehen  Organismus  hat,  dass  man  es  in  seinem 
gegenwärtigen  Zustande  wirklich  nicht  langer  belassen  kann.  Mei* 
ner  Ansicht  nach  nniss  das  ungariselie  Oberhaus  ebenso  auf  aristo- 
kratiselier  liasis  beruhen,  wie  das  Unterhaus  auf  demokratischer 
Gi'undlage  fusst.  Man  sollte  es  bei  unseren  ])(»litischen  Berathungen 
und  Organisationen  stets  vor  Augen  halten,  dass  Aristokratie  und 


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aCfR  REFOKM  DP8  ÜMOABl!>CH£>'  OBKBHAUSES.  803 

Demokratie  heutzutage  keine  politiacheii  Institutioneiii  sonde'ra 
flociale  Faktoren  ainil,  denen  Beciinung  getragen  wei'den  rnnw  und 
das«  dort,  wo  «in  einander  zu  Terniehten  «treljen,  jede«  oonsiitn- 
tionelle  Leben  unmöglich  wird. 

.Von  diesem  Standpunkte  aus  würd«*  idi  l»ei  f'iiwv  Organi- 
sienmg  des  Oberhauses  die  Hechte  aller  jener  ungarischen  Mngtui- 
tentaniilieu  uuMii^ctastet  lassen,  die  heute  in  das  Oberhaus  ))eruteu 
werden.  Da  es  aber  Rchon  in  der  Natur  des  Oberhauses  liegt,  das» 
ein  Jeder,  der  dort  »Sitz  und  Ötimme  hät,  irgend  eine  gesellschat't- 
liehe  Kraft,  ein  sociales  Interesse  reprSsentieren  mnss,  nnd  dazu 
der  Name  und  Titel  an  sich  ungeuUgend  ist,  wfirde  ich  ein  Yermd» 
gensminimum  oder  einen  Stänercensns  einführen,  derart,  dass  unter 
den  Mitgliedern  der  Oeburtsaristokratie  nur  diejenigen  ins  Ober- 
haus geladen  würden,  die  eine  bestimmte  Summe,  /..  H.  drei-  bis 
fünftausend  (iiilden  Steuer  zahl»;'n.  Aufdie.se  Weise  wilren  die  Mag- 
naten-Proletarier und  solche  junge  Leute,  die  zu  ihrer  Väter  Lebt 
Seiten  noch  gar  kein  Vermögen  besitzen  und  nichts  repräsentieren, , 
aus  dem  Oberhause  ausgeschlossen. 

«Die  wirklichen  Di5zesan-6isch5fe  wfirde  ich  als  Vertreter 
wichtiger  Interessen  im  Oberhause  belassen.  In  dieser  Hinsicht  ist 
in  meinen  Augen  die  Paritöt  der  Confessionen  von  keiner  Wichtig- 
keit, da  clie  protestantischen  Oenicinden  iutol«»;e  ihrer  Organisation, 
laut  welcher  bei  ihnen  da^  weltliche  und  das  geistliche  Element 
gleichberechtigt  sind,  schon  durch  iiire  weltlichen  Inspektoren  und 
r*uratoren  im  Qberhause  vertreieu  sein  können.  Und  im  Falle  ihre 
Guratoien  und  Inspektoren  nicht  schon  von  Geburt  aus  berechtigt 
sind«  Blitglieder  des  Oberhauses  zu  sein,  könnten  unter  ihnen,  sowie 
unter  ihren  Superintendenten  diejenigen,  die  die  nöthige  Qnalifika^ 
tion  besitzen,  ad  dies  vitae  su  lebenslünglichra  Mitgliedem  des 
Oberhauses  eniannt  werdiui.  ^ 

,Die  ()bergesi)ane  hingegen,  würden  nach  meiner  Ansicht 
wei5zubleil)*'n  haben,  nicht  nur  aus  dem  runde,  weil  sie  vor  Allem 
mit  der  Administration  ihrer  Komitate  beschäftigt  sind,  sondern 
auch  deshalb,  weil  sie  fortwährend  wechseln  und  das  Oberhaus  da- 
durch einen  sehr  fluctoierenden  Charakter  erhielte. 

«Den  Platz  der  Obergespane  wfirden  als  lebenslängliche  Mii- 
glieder  .solche  Mäuner  einnehmen,  die  in  Folge  ihrer  Vergangen* 


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M  ZCB  BEFOSH  DES  rNOABISOREV.  0BBBHAÜ8E8. 


heit,  ihrer  Vonlienste  und  ihrer  gesellschat Iiichen  Stellung  wiinli^ 
sind  an  der  Seite  der  geborenen  Pairs  Platz  zu  nehmen.  Die  uotb- 
wendige  Qualißkation  würde  das  Gesetz  bestimmen. 

„Auf  diese  Weise  organisiert  könnte  das  Oberhans  eine  gehö- 
rige Wirksamkeit  ausüben  nnd  seinem  hohen  Berufe  entspreehen, 
besonders  unter  zwei  Bedingungen  :  einmal  dass  die  Peerage  nadi 
englischen  Muster  durch  die  Celebritftten  der  Gesellschaft  zeitweise 
aufgefrischt  werde,  aber  bei  entsprechendem  Vermögen,  dann  aber 
dass  nicht  solche  Männer  mit  Titeln  und  erblicher  Oberhaus-Mit- 
gliedschaft bekleidet  werden,  die  nicht  das  Vermögen  zur  Gründung 
einer  aristokratischen  Familie  besitzen,  d.  h.  die  schon  in  der  zwei- 
ten Generation  aristokratische  Proletarier  werden.* 

In  neuester  Zeit  Hess  ein  altverehrter  Veteran  unseres  gesell- 
,  schaftlichen  Lebens,  der  in  Folge  seiner  ausgezeichneten  VerdieuBite 
seiner  europäischen  Bildung  und  seiner  ausgebreiteten  Kenntnisse 
in  jeder  Hinsicht  competent  ist.  die  Organisation  des  Oberhauses 
sowie  jede  andere  politische  Frage  zu  erörtern,  der  Obergespan  La- 
dislaus Szögyenyi-Marich,  eine  28  Seiten  starke  und  als  Manuskript 
gedruckte  Broschüre  erscheinen,  in  der  er  sich  über  die  Organisa- 
tion des  Oberhauses  äussert  Nach  Vorausschickung  einer  gedräng- 
ten, äusserst  interessanten  historischen  Schilderung  der  Entstehung 
des  Oberhauses  und  Über  die  Vorschläge  zu  seiner  schon  früher  ge- 
planten Reform,  und  nach  AuMhlung  zahlreicher  statisÜseher  Da- 
ten über  die  Elmuent/e,  aus  denen  das  Oberhaus  gegenwärtig  besteht, 
formuliert  er  einen  aus  15  Al)schnitten  )»estehendeu  Gesetzentwarf 
Uber  das  Oi>er]iaus  des  ungarischen  Parlamentes. 

Das  Oberhaus  würde  nach  ihm  ans  Mitgliedern  bestehen,  die 
auf  Grund  theils  geistlicher  und  weltlicher  Ämter  und  Würden, 
theils  alter  Rechte  und  Erblichkeit,  theils  lebenslänglicher  Ernen- 
nung einberufen  würden,  besonders  aber  aus  den  Bischöfen  und 
den  anderen  Oberhäuptern  der  Kirchen,  aus  den  ältesten  GHedem 
der  ungarisch-nationalen  und  eingebürgerten  Magnatenfamilien,  — 
wenn  sie  ihren  Wohnsitz  im  Laude  haben  und  wenigstens  lOOO 
Gulden  direkte  Steuer  nach  liegenden  Gütern  entrichten  — ,aus  den 
Gliedern  derMagiiatenfamilien,  die  fideicommissarische  liegende  Gä' 
ter  besitzen,  wenn  sie  tou  einem  solchen  Fiddcommiss  wenigstens 
3000  Gulden  Steuer  zahlen,  und  endlich  aus  solche  Gfiedetn  ron 


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nm  Kf  FOBV  HKS  niC»A]II8CR«ir  OBEBHAUWR.  809  . 


Magnatciifamilkn,  die  von  ihreu  liegeudeii  Gütern  10,0OO  Ctulden 
direkte  Steuer  zahlen. 

Endlich  würden  »auf  Grund  lebenslänglicher  Ernennung  auch 
Diejenigen  Oberhaasraitgliederf  die  Se.  Majestät  auf  VoiscUag  des 
Mimsteriums  ans  der  Reihe  hervorragender  Staatsbürger,  die  sich 
anf  dem  Gebiete  der  LegislatiTe,  des  Staats-  oder  Monicipaldienstes,  ' 
der  militarisehen  oder  richterlichen  Laufbahn,  anf  dem  Felde  der 
Wissenschaften,  der  Literatur,  des  Unterrichtes,  der  K(hist.e,  des  Ge- 
werl)ef!,  Handels  und  der  Ökonomie  Verdienste  erworbon  haben, 
ohne  Kücksicht  auf  ihre  bürgerliche  tiud  finanzielle  Stellung,  »eit- 
lebens  zu  Mitgliedern  des  Oberhauses  ernennen  würde.* 

«Die  Zahl  dieser  Mitglieder,  auch  die  auf  Grund  ihrer  geist* 
liehen  und  weltlichen  Würden  und  Amter  zur  Ob«rhausmitgHed- 
schaft  Berechtigten  miteingerech^et,  dürfte  ein  Drittel  sämmtlicher 
Mitglieder  des  Oberhauses  nicht  übersteigen." 

Bevor  icli  zu  dioseiu  Vorschlaf^e  meine  Bemorkungt^n  mache, 
will  ich  die  Nothwendis^keit  der  lieforni  des  0))erhausps  noch  be- 
sonders betonen.  Es  ist  dies  nicht  eben  eine  breuueude  Frage,  auch 
ist  dieselbe,  wie  ich  gerne  anerkenne,  so  delikater  Natur,  dass  mau 
noh  ihr  mit  der  grössten  Behutsamkeit  nahem  muss;  ignoriert 
kann  sie  aber  nicht  werden,  —  und  wie  man  den  Kranken  nicht 
heilen  kann,  wenn  sein  Blut  bereits  in  Dissolution  übergangen  ist 
und  die  Aussicht  auf  ein  Besserwerden  sehwindet,  so  mnss  man 
auch  die  Institutionen  zu  fincr  Z^it  reformieren,  wo  dieselben  noch 
lebensfähig  sind,  wenn  sie  noch  nicht  alles  Ansehen  verloren  ha- 
ben, und  wenn  in  den  Menschen  noch  der  Glaube  lebt,  dass  die 
Inatitutton  auf  einer  richtigen  und  geeigneten  Gnuidlage  ruht. 

nie  allgemeine  Anerkennung  dessen,  dass  das  Oberhaus  ein 
nnTermeidlicher  Bestandtheil  des  constitutionellen  Organismas  ist, 
beseichnet  einen  grossen  Fortschritt  in  der  Staatswissensehaffc,  in 
der  politischen  Reife  der  Völker,  denn  mit  Ausnahme  von  Griechen- 
land, das  man  niclit  eben  als  politisches  Beispiel  aufstellen  kann, 
und  einigen  südamerikanischen  Kepabliken  —  die  durch  fortwäh- 
rende Anarchie  und  Bürgerkriege  glänzen,  —  ist  das  Zweikammer- 
system überall  in  Gebrauch.  Die  abschreckendsten  Beispiele  des 
SiinkammersTatems  sind  die  französischen  Verfassungen  vom  Ende 
des  vorigen  Jahrhunderts,  und  das  heutige  Friinkreich  beweist  einen 


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800 

4 


gcosneu  Ferischrittf  indem  es  mit  der  Idee  des  iSeuatB  l>efreuu* 
den  konnte.  Von  grosserer  Wichtigkeit  ist  jene  Frage,  wie  die 
Oberhaus  organisiert  werden  solle,  und  in  dieser  Hinsielit  steht  das 
Wort  des  Dichters  :  Eines  schickt  sieh  nicht  fQr  Alle.  Das  System, 
das  in  dem  einem  Lande  heilsam  wirkt,  kann  in  dem  andern 
whlechto  Früolite  trugen.  Es  ;.^iebt  Oberhriwsor,  »lif  anf  d»'r  Wahl, 
auf  der  Enienmiiig  und  ;inf  der  Er1)Iiehkeit  o<ler  auf  der  V'eriui- 
scliung  vou  zwei  oder  allen  drei  Systemen  basieren.  Dass  in  Repub- 
liken von  einem  erblichen  Oberhanse  keine  Bede  sein  kann,  ver- 
steht sicli  von  selbst;  aber  auch  dort  sucht  man  bei  den  Wahlen 
solche  Combinationen,  damit  das  Oberhans  ans  anderen  filementen 
bestehe  odw  andere  Interessen  vertrete,  als  das  Unterhaus ;  —  eio 
deutliches  Beispiel  dafür  sind  die  Vereinigten  Staaten  Ton  Nofd- 
amerika,  wo  die  Mitglieder  des  Oberhauses  nicht  Ablegaten  der 
AVäliler,  sonilern  der  Staaten  sind.  In  der  Monarchie  entspricht  das 
gewälilte  Olierhans  nicht  seiner  Bestimnuini^  und  stellt  mit  der  In- 
stitution der  Monarchie  nicht  im  Einklänge. 

Durch  die  Wahl  gelangen,  im  Ganzen  genommen,  eben  aoldie 
Männer  ins  Oberhaus,  wie  ins  Unterhaus,  so  dass  es  ganz  unwahr- 
scheinlich ist,  dass  im  Oberhanse  eine  andere  politische  StrOmnng 
herrsche,  wie  im  Unterhause ;  —  das  Oberhaus  wird  desselben  We- 
ges wandeln,  wie  das  Unterhans  nnd  der  einzige  Nntisen  dabei  ist  der, 
dass  das  Land  nicht  jenen  Überraschungen  ausgesetzt  ist,  die  bei 
dem  Einkammersystem  nothwendigerweise  vorkommen.  Was  soll 
aber  aus  der  Monarchie  werden,  wenn  sie  die  einzige  Institution 
ist,  die  auf  der  Erblichkeit  beruht  ? 

Die  ernannten  Pairs  bieten,  besonders  wenn  die  Ernennung 
an  gewisse  Kategorien  gebunden  ist^  dem  gesunden  Staatsofganis- 
mus  unstreitig  mehr  Garantien ;  sie  repräsentieren  im  Gegeaatce 
KU  den  veranderliehen  Elementen,  die  Stabilität,  sind  unabhängiger 
als  die  gewählten  Abgeordneten,  besitisen  speeielle  Eentniise  and 
Erfahrungen,  und  vertheidigen  nicht  nur  den  Thron  nach  unten  zu, 
sondern  können  auch  das  Volk  nach  oben  hin  vertheidigen.  Und 
wenn  eine  solche  Korporation  alle  ( Vlebritiiten  in  «ich  enthält,  dann 
leiht  sie  dem  Staate  selbst  grosses  Ansehen. 

In  der  Monarchie  verdient  aber  das  auf  dem  Principe  der 
Erblichkeit  beruhende  Oberhaus  den  Vorzug. 


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XVB  M«fO»U  Of«  rNOAUISCHm  obbrhavsbs.  807 

Zur  ITiiterstüt/.im^  fU*s  aut"  der  (Tfundlage  der  Erblichkeit  zu 
orgauibireuden  Oberhauses  köuute  man  kaum  bessere  Argumente 
TOTbringeD,  als  jeue,  die  in  der  im  beptember  und  Okiober  in 
der  fninzdsickeu  Deputirieukammer  erwähnt  worden,  wo  Männer 
wie  Thiers,  Guizot  und  Royer-CoUard  der  Erblichkeit  das  Wort 
sprachen.  Wenn  es  Zeit  und  Baum  gestattete,  wttrde  es  sich  wohl 
lohnen,  diese  Reden  in  ihrem  gauzen  Umfange  mitzntheilen. 
sei  es  mir  gestattet,  den  Gedankengang  derselben  in  Kür/e  zu  , 
schildern. 

Nach  Thiers  giebt  es  drei  Hegierungsformen:  die  Monarchie, 
die  Aristokratie  und  die  Demokratie.  Alle  drei  tragen  den  Keim  der 
Verwesung  in  sich  und  werden  duroli  das  Temichtet,  woran  es 
ihnen  mangelt ;  der  Staat  kann  nicht  fortbestehen,  in  welchem  eine 
dieser  Formen  ausschliesslich  herrscht.  Dagegen  sehen  wir,  dass  ein 
Staat,  dessen  Regierung  aus  diesen  drei  Elementen  besteht,  fort- 
zubestehen und  zu  gedeihen  verniui^.  England  Ist  es,  <lessen  Hegie- 
rung  die  Vortheile  des  einheitlichen  Willens  der  Monarchie,  jedoch 
ohne  die  Launeu  derselben  geniesst,  und  das  den  Geist  und  die 
Stabilität  der  Aristokratie  mit  der  Energie  der  Demokratie  yerbin- 
det,  £s  ist  fraglich,  ob  die  repräsentatiTe  Monarchie,  wie  wir  sie 
bei  uns  organisiren  wollen,  nicht  eben&lls  ans  den  Eilementen  der 
Monarchie,  der  Aristokratie  und  der  Demokratie  besteht? 

Die  Vortheile  der  Monarchie  und  der  Demokratie  werden 
anerkannt,  warum  will  man  uns  die  Aristokratie  vorenthalten? 
Niemand  hat  es  im  Sinn,  die  Monarchie  ausschliesslich  mit  Hilfe 
der  Demokratie  im  Gleichgewicht  zu  erhalten.  Auch  die  Nothwen- 
digkeit  einer  zweiten  Kammer  wird  anerkannt;  damit  aber  diese 
einen  entscheidenden  Eifluss  ausftben  könne,  muss  sie  auch  beson- 
dere Interessen  yertreten,  nur  in  diesem  Falle  ist  sie  keine  (Iber- 
flüssige  Wiederholung.  In  der  Gesellschaft  sind  zwei  Interessen 
herrschend :  der  Fortschritt  und  die  StabilitRt,  diese  beiden  müssen 
repräseutirt  werden.  Aber  eine  hereditäre  Kammer  l)esitzt  niclit 
Einsicht  genug,  und  hier  wiederholt  sich  der  Satz :  die  Söhne  erben 
nicht  die  Verdienste  ibrer  Väter.  Aber  Traditionen  muss  man  in 
der  Kammer  tiuden;  und  diese  werden  geer))t.  Auch  am  Geiste 
wird  es  nicht  fehlen,  denn  die  Aristokratie  besteht  nicht  aus  einer 
einagenfVimilie.  Weno  eine  Familie  nicht  Verstand  und  Talent  be* 


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sitzt,  kann  es  das  in  einer  anderen  Familie  treben.  Man  «agt  wohl,  die 
Aristokratie  sei  ein  Priviloginni  und  in  die  neue  Gesellschaft  können 
Privilegien  nicht  eigeführt  werden.  Wenu  aber  das  Privilegium  der 
Erblichkeit  dem  Lande  zum  Nutzen  gereicht,  steht  es  zum  neaea 
StRate  ebensowenig  im  G^ensats,  wie  die  Erbliclikeit  der  Mo- 
narchie. 

Yor  dreissig  Jahren  war  man  der  Meinung,  daae  es  in  Zn» 
knnft  weder  Könige  noch  Adelige  geben  werde.  Es  erscKiMi  Na- 
poleon und  schuf  Könige,  ja  sogar  einen  Kaiser  und  machte  ans 

jenen,  die  vom  Adel  nicht  einmal  Ikmch  avoIUmti.  Herzoge.  Grafen, 
Landgrafen  nnd  Freiherrn,  und  es  niisstiel  ihnen  dies  gar  niolit. 
Aristokratische  Elemente  wird  es  immer  geben  und  diese  werden 
der  repräsentativen  Monarchie  die  grösste  Kraft  und  Consisteua 
leihen.  Thiera  wiederholt,  was  auch  die  ErÜD^hrong  beweist,  das» 
eine  Monarchie,  wie  sie  England  besitat,  die  sicherste  Qarantie  fttr 
den  gesunden  Staatsorganismns  ist,  nnd  eine  solche  Monarchie 
wfinscht  er  Frankreich. 

Die  K'ede,  die  Uoyer-Collard  am  4.  Oktober  hielt,  ist  noch 
gehaltvoller,  als  die  Hede  Thiers.  Die  Erblichkeit  der  Pairie  ist 
nicht  eine  Frage  der  Rationahtiit,  sondern  eine  Frage  der  Uevohi- 
tion,  und  von  nichts  Anderem  ist  hier  die  Hede,  als  davon,  dass  mit  der 
Erblichkeit,  auch  die  Pairie  zu  gfmnde  gehe,  mit  dieser  auch  die 
erbliche  Monarchie  nnd  die  Prinaipien  der  Stabilit&t  nnd  der  Be- 
ständigkeit Worin  besieht  also  die  nnveraeihUche  SfindederPftirie? 
Man  sagt,  sie  sei  von  der  Jnlirevölntion,  yon  dem  Willen  des  Yolkes 
verworfen  und  verdammt  worden,  das  heist,  die  Pairie  ist  für  einige 
Zeiten  proskribirt.  Und  hier  könnte  ich  stehen  bleii)en  :  die  Tros- 
kription  denkt  nicht.  Ich  habe  aber  sciion  genug  gelebt,  nnd  hab»* 
schon  oft  derartige  Beschlüsse  ändern  sehen.  Die  Erblichkeit  der 
Pairie  ist  durch  die  Volkssouverainitat  nicht  in  grösserem  Masse 
Temrtheilt,  als  vor  40  Jahren  die  zwei  Kammern  nnd  die  Monarchie 
selbst  Aber  wie  damals,  so  kann  man  auch  heute  Ton  dem  lärmen- 
den Parterre  an  ein  aofmerksameres  Publikum  appellieren  und  sieh 
▼on  der  YolkssonverainitStan  eine  andere  SouversiniiSt  wenden,  die 
allein  dieses  Namens  würdig  ist:  an  die  Sonverainitiit  der  \  eruunf^^ 
die  ülirr  \'r»lkerii  und  Königen  steht  und  die  wahre  (iCsetÄgeberin 
der  Meuäciihcit  ist.  Gegen  die  Eriilichkcit  der  Pairie  wendet  man 


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ZI  K  KKKnKM  DKS  (JNOARlAOREN    •»HKKHAU>K.-o.  '  79:> 

«iii.  dans  sie  mit  Ucr  lu^stuunltion  der  ßourboncn  zusammenfälltf 
und  nachdem  jene  aufhörte,  aucb  dieae  nicht  mehr  haltbar  sei.  Hier 
ist  aber  das  die  Frage :  ist  die  erbliche  Paine  gat  oder  nicht  ?  Wenn 
tie  schlecht  ist^  so  niTiss  man  sie  abschaffen,  ist  sie  aber  gnt,  so  soll 
man  nicht  darnach  fragen,  welehen  ürapmugts  sie  sei  nnd  nnter 
welchem  Stenie  wie  ssnr  Welt  kam.  Die  Charte  stellte  zwei  Bepffi" 
sentationssystonn'  aut,  domi  jedes  seine  eigene  Natur,  eigene  Ge- 
setze und  eigene  Hcstininning  liatte,  das  eine  ist  die  demokratische 
Vertretung  der  allgemeinen  Interessen,  die  Bescliützerin  der  Freiheit 
und  ist  deslialb  der  Wahl  unterworfen,  das  andere  die  aristokra- 
tische  Vertretung  der  gesellschaftlichen  Buperioritat,  als  wesent- 
liehe  Beschütxerin  der  Ordnung,  über  die  sie  wacht  und  der  Sta- 
bilität« die  sie  erhalt,  sie  ist  deshalb  erblich  und  moss  es  bleiben. 

Gnisot  sprach  am  5.  Oktober  folgendermassen :  Die  Anarchie 
nimmt  flberall  zu,  taueht  fll)erall  auf  und  droht  unaufhörlich.  Sie 
oftenbart  sich  ührrall  in  den  Ideen,  die  nicht  durch  irgend  einen 
stärkeren  Impuls  geleitet  werden  und  keine  staatliche  Macht  be- 
rücksichtigen. Die  Kammer  fühlt  es,  dass  sie  allein  unfähig  ist,  der 
sie  drückenden  Aufgabe  zu  entsprechen.  Der  Stützpunkt,  den  wir  ' 
snehen,  beruht  in  einer  constitntionellen,  unabhängigen  Macht,  ^ 
esistirt  und  die  wir  Temichten  wollen.  Die  Erblichkeit  ist  in  der 
Charte  der  Welt  improtokoUirt,  und  die  Lehren,  die  dieselbe  T<*r<> 
werfen,  sind  barbarische  nnd  unwahre  Lehren.  Das  Oberhnni«  mfkn^ 
sen  wir  also,  wenn  wir  es  seiner  Hestiminung  gemäss  organi^iren 
wollen,  auf  das  Prin/ip  der  Krhliclikeit  gri'nuien.  I  he  Krl)lielikeit 
gieht  die  bestimiute  Zahl  der  fertigen  Familien,  die  y.wv  heitung 
der  allgemeijien  Angelegenheiten  gleichsam  erzogen  werden,  nnd 
die  sich  von  der  Deniokiatie  nicht  trennen,  denn  die  Paine  rekrn- 
tirt  sich  nothwendiger  Weise  von  neuem  aus  der  Demokratie,  wio 
dies  die  Statistik  des  englischen  Oberhauses  beweist,  das  im  Jahre 
1829  ausser  den  Bischöfen  375  Mitglieder  hatte.  Unter  diesen 
stammten  nur  48  aus  den  Zeiten  vor  dem  XVIT.  Jahrhundert.  124 
aus  der  Zeit  vor  dem  W  ill.  Jahrlnmdei  t .  die  l  'annlieii  der  l  'ljri- 
gen  wurden  in  unserem  .lalirhini«iert  ernannt.  Wir  lieutWhij^en  un- 
bedingt eine  politi>»che  Klasse,  und  diese  kann  man  ohne  Erblich- 
keit nicht  erreichen.  Guizot  schlie.s.st  seine  Hede  folgenderweise  : 
«Wenn  die  die  Erblichkeit  in  der  Pairie  behalten,  wird  Frankreich 

fTogairtMlie  ]I*TW>.  IMS.  X.  nfti.  51 


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I 


794  ZUK  BBi^ORM  Oi:s  UN'iAlilSüHBN  OBEKHaUsE;.-«. 

•^i  n  th  t  .St  ill,  Anarchie,  TiImm' dir  Si»>  si(  li  iH'ldageii,  wird  auf- 
hörvu,  die  Julirwoludoii  winl  beendigt,  abgi^chlossen  sein,  hm 
eutgegeog^etzten  Falle  weiss  ich  wol,  wohin  uns  die  herrschende 
Strömung  führen  wird."  —  Wenn  Guizot  in  Vielem  auch  nicht 
Re^ht  behielt,  —  hier  bestätigt«  sich  seine  Prophezeiung,  denn 
dii»sc  »StrömuDgfüJirfe  Frankreich  den  Revolutionen  entgegen,  deren 
Keilie,  wi<*  CS  sclifinl,  njit  Oanil»etüi's  uu<l  Paul  Bert's  Exi»erimen- 
ten  norli  nirlif  ilir  Endr  cneiclif  liaf. 

Von  dio-em  JStandjMiukte  aus,  und  nicJit  ideale  Zustäude  oder 
die  Verli.dtnisse  ilos  Auslandes,  sondern  die  Verh'dtnisse  unseres 
Vaterlandes  yor  Augen,  fragen  wir:  entspricht  der  L.  Sgs.-Bche 
Vorschlag  wol  diesen  Bedingimgen? 

Der  Verfasser  hat  vollkommen  Uecht,  wenn  er  sich  an  die 
Tradition  hält  und  die  Kirchenolierhäupter  berufen  hissen,  respek- 
tive dieselben  «M'j'iliiztjii  und  iloit  belassen  will.  Die  Bisch<>fe  haben 
sinoh  im  cngiiseheii  Ob('rhau>('  Sitz,  bei  (b'r  Engherzigkeit  .b-r  engli- 
«clieu  Kirclie  und  lleligiun  ijatiirlich  nwv  die  Oberhiiupter  d«^r  an- 
«^^h'kani sehen  Kirche.  Dieser  TUeil  de:»  V orschlages  braucht  gar  nicht 
uäiier  erörtert  zu  werden. 

Da'is  die  ererbten  Namen  und  Besitze  das  grösste  Contiugeqt 
des  Oberhauses  liefern,  da^iu  stimme  ich  nut  dem  Verfasser  voll- 
stllndig  überein.  In  einer  alten  Monarchie,  deren  Existenz  auf  ihrer 
hiatorisclien  Ent wickluiig  l»ei  uiit,  wilre  es  ein<*  Ar(  juditischer  Un- 
möglichkeit, duwS  Oherhaii^  anders  zu  orgaiiisitn'en.  Hei  di-  s^r  Fiage 
kann  sich  ein  Meinungsunter>cliied  nur  auf  die  Modalitiitt-ii  bezi<- 
.heil.  Uber  diese  Modalitäten  hege  ich  nun  andere  Aiuiichteu.  Da 
wir  unser  Uberhaus  nicht  nach  englischem  Muster  organidercii 
können,  weil  unsere  sozialen  Zustande  und  Gebräuche  ganz  von 
den  englischen  abweichen,  die  Klasse  der  ungarischen  Magnaten 
etwas  ganz  Anderes  i^^t,  als  die  englische  Nobility,  so  würde  ich  es 
nicht  für  zweckmässig  halten,^  ei  neu  Theil  des  Oberhauses  aus  d«i 
iilLesten  Gliedern  der  Magnatenfaniilien  zu  bilden,  —  denn  woriu 
uuterscheidel  sich  das  ültv.ste  Glicil  der  Familie  v<»n  den  übri- 
gen dort,  wo  kein  Majorat  exi>tirt  ?  Es  ist  beispielsweise  öfters  der 
Fall,  dass  der  jüngere  Zweig  der  Familie  viel  Termr>geuder  ist  als 
der  ältere,  und  dass  das  älteste  Familienglied  zu  deu  legislatori- 
schen Funktionen  eben  am  wenigsten  taugt ;  die  l*heilnahme  an 


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'  ZUR  BB:'ORir  DKt«  UJ^O  \RT  ^CHEN  OUIRni(BB>}.  795 

deii  Verhftndlungoii  des  Oberhauses  kiuiii  man  ja  nach  moderuem 

Rechte  ^ar  nicht  als  Pamilionoigenthtim  betrachten,  die«  ist  eine 
staatliolu'  l'iiiiktidii.  die  aus  Zwockniiissigkeitsgründon  niitt^^Ist  des 
Prinzipos  i\ov  Er1»lichkcit  au  jj^ewissc  Familien  gelmnilpii  ist.  Idi 
glanl>e  also,  weuji  wir  die Rctorm  dea  Oberhauses  leiclit  und  s  hiiell 
durchführen  wollen,  8o  sollen  wir,  sofern  dies  möglich  ist,  auf  der 
bestehenden  Gruudlage  bleüien ;  laaseii  wir  jedem  Gliede  der  Mag- 
natenfamilien das  Recht  der  Theilnahme  im  Oberhnnse,  da  wir  das 
Verfahren  der  englischen  Nobility,  nach  welchem  nur  ein  Glied 
der  Familie  Rang  und  Titel  führen  und  das  damit  verbundene  Ver- 
mögen sein  eigen  nennen  kann,  nicht  einbürgern  können,  —  binden 
wir  aber  dieses  U^^cht  an  gewiss«*  v«'rniinttige  und  begründete  Be- 
dingungen, dureli  die  einstweilig  solche  ausgeschlossen  werden,  • 
deren  gesellsehaftliche  Stellung  und  Beruf  sich  mit  der  Mitglied- 
schaft des  Oberhauses  nicht  vertragt  Wer  in  irgend  einer  kleinen 
Anstellung  von  5 — 600  Gulden  lebt,  möge  er  anch  den  wohlklin- 
gendsten historischen  Namen  haben  nnd  auch  ein  sclir  ekrenwertlier 
Mann  sein,  gehört  doch  nicht  in  das  Oberhaus ;  —  mag  sein,  dass  sein 
Sohn  ("arrirre  macht  und  wieder  hinein  gelangen  kann,  Ins  dahin 
möge  das  Recht  pansiren.  Ich  wünsche  {\lso  die  Einführung  eines 
Cen-ius,  nach  welchem  nur  jener  Magnat  im  Oberhanse  Sitz  und 
Stimme  hätte,  der  z.  B.  von  liegendem  IJesitze  3000  Gulden  Steuer 
zahlt  Da  ferner  die  Funktion  des  Oberhauses  eiuf  moderirende, 
das  Wirken  des  Unterhauses  controllierende  ist,  gehört  anch  die 
Jugend  nicht  dorthin,  ich  wOrde  also  für  nöthig  halten  als  zweite 
Qualifikation  das  Alter  aufzustellen,  dass  nümlich  nnr  jener  Mag- 
nat im  OI)erhause  eine  gesetzgebende  Rolle  /.u  spich  n  vermöge,  der 
wenigstens  'Ml  Jnhre  alt  isl.  Diese  Bediiin;)ing  ]iat  zwei  gute  Seit«Mi: 
nicht  nur  wUrden  dadurch  viele  Elemente  ausgeschlossen,  die  noch 
nicht  berufeo  sind,  im  Oberlniuse  zu  wirken  ;  sondern  Derjenige,  der 
lernen  will  nnd  die  edle  Ambition  besitzt,  im  Gemeinleben  zn  wir- 
keu,  wird  anch  streben  ins  Unterhaus  zu  gelangen,  oder  ein  Amt 
zn  bekommen,  so  dass  er,  wenn  er  ins  Oberhaus  eintritt,  in  den 
politischen  Angelegenheiten  schon  bewandert  sein  würde. 

Bei  meiner  Anflfassung  entfallt  somit  die  Nothwejidigkeit 
der  beiden  anderen  Kategorien  von  sell)st. 

Bei  Berücksichtigung  unserer  Gebräuche,  unserer  Vermö- 

61* 


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SUB  EKFORM  DBS  UNOARI^CHtHf  OinSRUAU.^S. 


j^eiisv»»rliältiiis««'  mwl  dfr  u  \/A  im  ( )I  «'iliaus»'  «^niij^lMp  n  l'njxis. 
«liiif»'»  wir  «Iii»  Zahl  der  ( )berhauN)nitgliH<ler  nicht  zu  sehr  ein- 
schränken, denu  wenn  wir  die  Titiilarl)i8chöff'  nnt{  OhergeapSne 
Ton  dort  ansschliessen,  könnten  wir  leicht  dahin  gelangen,  dass 
das  Oberhans  selten  beschlussfabig  wäre  und  wohl  gerade  damal» 
nicht,  wenn  wir  es  am  meisten  nöthig  hatten^  oder  es  würde  aoK 
solchen  Elemoiit»Mi  zn8ammonges»*tzf  werden,  die  zu  unpassender 
Zeit  dem  Tiaiul»'  iinaii|^oii«'lnn»'  Ul)orrasoliini<?t^ii  l>«*nMt«»n  köiiiif*»n. 

Xa('li<l(Mii  ich  Ix'zib^licli  «l»'r  Ausscliliossiiug  il<»r  < )l)»»rt;f"*päue 
und  Titularhischöi'e  mil  «h  r  Auöassuiijf  dt  s  geohrtjju  Horni  N'erras- 
»er»  ganz  ein^mtanden  l>in,  rerstoht  ««s  sicli  von  sf^lhst,  da^s  i«"h 
betreffs  der  zu  ernennenden  Pairs  e)»enfalls  seine  Meinung  iheile. 
Alle  jene  Manner,  die  durch  ausgebreitete  Thätigkeit  und  grosse 
VerdieuBte  Zierden  des  Staates  und  der  Gesellschaft  sind,  gehSien 
in  da«  Oberhaus,  ro  wie  dies  auch  in  England  jjeschieht.  —  ßrou- 
gham  und  Macaulay,  ^y\r  auch  die  r'aniili»'  Barinor,  dir  (irössen  der 
Finanzwclt,  waren  Mitglieder  des  ( ))>erlian<es.  In  England  wnrd»'n 
sie  ftogieicli  zu  lel)enflläuglichen  Peers  ernaiiut,  bei  uuseren  spezieU 
len  wirthschaftliehon  Verhältnissen  wäre  dies  nicht  am  Platze ;  — 
bei  uns  geht  es  nicht  so  leicht,  ein  grosses  Vermögen  ssu  erwerben, 
wie  in  üngland..  Und  eine  aristokratische  Familie  kann  nur  ein 
solcher  grOnden,  der  Vermögen  besitzt 

Noch  zwei  Fiag.Mi  muss  ich  l>ernhren,  in  denen  meine  An- 
sicht von  der  des  Herrn  Verfassers  abweicht  :  die  J^eschränlnni^f 
der  Zahl  der  Olierhausniitglieder  und  <lie  Art  der  Einberut'nng.  In 
iler  Monarchie,  ja  auch  iu  Staaten  jeder  andern  U-egiernngstorin, 
mnss  die  Krone,  wenn  man  Itevolutionen  oder  wenigstens  .sehr 
ernsthai'ten  Zusanunenstössen  aus  dem  Wege  gehen  will,  das  Hecht 
besitzen,  das  ünterhans  aufzulösen  oder  durch  neue  Wahlen  an 
das  Land  zu  appelUren;  was  soll  sie  aber  thun,  wenn  solche  Diffe- 
renzen zwischen  dem  Ober-  und  Unterhause  und  der  Krone  selbst 
entstehen?  Das  Oherhaus  kann  nicht  anfgelöst  werden,  so  würde 
es  alfrio  die  h/ichste  Macht  sein  I  Es  nni<s  daher  irgend  ein  ("orre- 
(  tiv  geben  und  dies  kauu  nichts  Anderes  sein,  als  die  Verniehruu^ 
der  Mitglieder :  ohne  dieses  wird  selbst  das  aus  ernannten  Mitglie- 
dern bestehende  Oberhaus  zu  einer  oligarchischen  Korporation  Er- 
niedrigt Die  zweite  Frage  ist  eine  rein  formale.  Eben»o  wie  die 


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ZVn  RSPOBJE  1>BH  UNOAfilSrHKH  OmHAUSBS.  797 

Uiiterhausmitglieder,  wenn  sie  einmal  gewählt  sind,  nicht  noch 
])eH(»ii(lei-s  eingeladen  werden,  soiulerii  ihr  Mandat  der  Verifikation 
wegtMi  einreiclien,  so  lialte  icii  auch  das  für  iiimöthig,  dass  die  Mit- 
glieder des  Oberhauses  noch  hesondera  einberufen  werden.  Das 
Gesetz  bestunmt  es ;  wer  Mitglied  des  Oberhauses  ist,  der  möge 
also  ersehemen  und  sich  YOt  derVerifikationskommissioD  legitimie- 
ren, —  die  Einbenifang  ist  ein  mit  vielen  Umstanden  veibonde- 
ner  feudaler  Gebrauch. 

Ich  will  jetzt  nicht  davon  sprechen,  was  fUr  Übergangsmass- 
regeln  im  Falle  der  Creirung  eines  (iesetzen  getroffen  werden  müss- 
ten  :  da  aber  die  Ubergangsperiode  jedeiiialls  von  längerer  Daner 
sein  wird,  so  wäre  es  ächou  deshalb  angezeigt,  Krnst  zu  machen ; 
denn  es  ist  immer  sicherer,  den  Kranken  zn  heilen,  so  lange  uoeh 
viele  Chancen  darauf  hinweisen,  dass  derselbe  heilbar  ist 

NachsduHfl.  Ich  halte  es  für  eine  erfreuliehe  Erscheinung» 
dass  ebenso  in  der  Presse  wie  in  Privatkreisen  der  Gedankenaua- 
tausch fiber  die  Reform  des  Oberhauses  rege  geworden  ist.  Ich 

zweifle  nicht  daran,  dass.  wenn  dieselbe  auch  in  der  Legislative  auf 
die  Tagesordnung  gelangt,  hie  einstweilen  in  einer  durch  beide 
Häuser  gewäiilten  Landeskommission  einer  Debatte  unterzogen 
vrerden  wird,  in  welcher  dann  jede  einzelne  Massregel  besprochen 
werden  kann. 

Ich  habe  schon  oft  gehört,  dass  die  Keform  des  Oberhauses 
den  bisherigen  Keformvorschlagen  gegenüber  eine  schwere  Frage 
Hei  Aber  man  löste  auch  noch  schwerere  Fragen,  und  auch  diese 

wird  gelöst  werden,  wenn  man  sie  nur  angreift  und  auf  der  vor- 
liaüdeiien  Himn  bleibt.  Man  sclilies.se  jeden  aus,  der  nicht  zur  Ober- 
hansuiitgliedschart  (juaüHzirt  ist  und  mau  nehme  an  Ötelle  der  aus- 
geschlossenen neue,  lebensfähige  Elemente  auf. 

£s  ist  auch  das  gesagt  worden,  die  3000  Gulden  i:^teuer,  wie 
ich  in  Vorschlag  brachte,  seien  als  Census  zu  vieL  Was  repräsen-  « 
tirt  denn  aber  diese  Summe?  Ein  Einkommen  von  12 — 16,000  Gul- 
den; wahrlich  kein  grosses  Vermögen  für  einen  Magnaten,  der 
Mitglied  des  Oberhauses  sein  will.  Ks  wurde  auch  behauptet,  das-s 
mein  V  orschlag  /.war  cinluch  und  luuktisch  sei,  aber  den  Naeh- 
theil  habe,  dabä  aus  ciuci  Familie         viele  in  das  Oberhaus  ge- 


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798  SUB  BSFOKM  DBS  UVOABtSCblN  i^SKÜHAU-BS. 

langen  köimeB.  Aber  das  Oberhaas  ist  ja  keine  FauiUen-,  eonden 
eine  Landesinstiintion,  und .  welch'  ein  Nachtheil  entspringt  denn 
daraus,  wenn  auch  mehrere  gleichnamige  Mitglieder  im  Oberhaose 

sitzen,  sobald  sie  die  gehörig«-  <  Qualifikation  besitzen  ?  Zwölf  die 
.das  erforiV'rliolie   Vermögen  uiul  c'me  gesellschaftliche  St^-l'ung 
hesitzeu,  sind  jeilt'iilalls  besser,  als  eiu  A'.,  der  gar  keine  i^ualiiüka- 
tiou  zur  Mitgliedschult  des  Überiiauses  hat 

Auch  jene  Bemerkung  liabe  ich  gelesen,  weshalb  ich  nicht 
auf  <lie  Fideicommlsse  reflektiere  und  nach  dem  Beispiele  L.  B/Zs 
uioht  auch  diese  als  Qualifikation  aufstelle?  Aber  bei  meinem  Vor- 
schlAge  ist  eine  solche  Qualifikaiaon  überflüssig.  Das  Fideioommiss 
hat  in  Unj^^arn  gar  keine  his^torisohe  Entwicklung,  ist  auch 
keine  Hasis  d«  s  heutigen  Oberhauses,  und  sichert  aucli  nicht  die 
Zukunft  der  Arist<»krati»'.  Icli  ha'ie  es  auch  «Insliall»  uns^t  r  Acht 
gelassen,  weil  ja  der  Ih-itz»  r  des  Fiileicommisses  dinediei  *  )ber- 
hausniitglied  wird,  wenn  er  ein  Glied  einer  Magnateiifamiiie  ist  und 
Ton  liegendem  Besitze  ;tOOO  dulden  Stfuer  zahlt. 

Es  gibt  bei  uns  auch  solche,  die  alle  Geburtsreehte  periior- 
reszieren  und  damit  die  welthistorische  Bedeutung  derselben  igno- 
rieren ;  die  einen  gewähltsn  Senat  wOnschen,  mit  der  MoÜTinuig, 
dass  in  turbulenten  Zeiten  das  Obtrhaus  ohnedem  unfähig  ist,  die 
Conflagrationen  /u  verhindern,  —  die  couservative  Bestiiuiuung  des 
Obt'rlüiust'S  also  gfrade  damals,  wenn  es  nüthig  wäre,  nicht  zur 
Geltung  zu  gelangen  vermöge.  Mein  Gott,  wenn  der  Ötaat  in  der 
Auflösung  bigriffen  ist,  dann  können  die  Conflagrationen  diu'chgar 
keine  Institution  und  gar  kein  Gesetz  verhindert  werden.  Aber 
Institutionen  werden  auch  nicht  wegen  solcher  Zeiten  und  Falle 
geschaffen ;  sie  sind  dazu  da,  um  den  Staat  lebenskraftig  zu  erhal- 
ten und  RcTolutionen  unmöglich  zu  machen. 

Es  wurde  gesagt,  dass  ein  Oberhaus  nach  meinem  ^\^rschla^'e 
so  konservativ  wäre,  dass  es  jeden  Fortschiitt  hemmen  würdp. 
Auch  dies  ist  ein  gros  er  Irrtluim  :  das  Interesse  sämmtlicher  Gros.— 
grundbesitzer  des  Landes  kann  nie  mit  dt  n  Interessen  des  Landes 
selbst  einen  Gegensatz  bilden,  und  in  einer  solchen  Corporation 
herrscht  immer  genug  Intelligenz,  um  einzusehen,  dass  die  Welt 
nicht  stehen  bleiben  kann. 

Am  besten  beweist  dies  das  englische  Beispiel;  wenn  daselbst 


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die  iieiklicliateu  h'etoriii trage u  leif  gewi-rden  sind, konnte  dHxOboi- 
Imus  doch  nie  ihre  Losung  Terhindern,  denn  in  solchen  FilUeu 
konnte  die  Regierung  immer  zum  Gorrectiv  greifen :  zur  £nien* 
nnng  neuer  Oberliausmiiglieder. 

Ein  Oberbaus,  das  tbeils  durch  das  Unterhaus,  theils  durch 
sSmmtKehe  Magnatenfamilien  gewählt,  theils  durch  die  Krone  er* 
uaunt  wird,  würde  luu  li  mciuer  Ansicht  alle  aclilechten  Ei^cnscliat- 
ten  des  gt'wäliltcn  SiMiatt  s  in  sich  vcreinigeji,  alt*r  kciiio  der  guten 
besitzen.  >'oh'lie  Obt  rhausmitglieder  liätten  v(»r  Alh  iu  keine  Se  lbst- 
ständigkeit, sie  wiireu  «»nitorisehe  Maschinen  einer  aristokratischen 
Clique  und  der  Majorität  des  Unterhauses.  Könnte  ein  solches 
Oberhaus  wohl  genug  Autorität  nach  unten  uniü  nach  oben  zu  be- 
ätzen  ?  Würde  eine  solche  Yemichtung  der  Aristokratie  nicht  ge- 
raden Weges  zur  Reaktion  führen  ? 

Ohne  also  in  meinen  Vorschlag  verliebt  zn  .sein,  halte  icli 
(lensell>en  doch  fVir  den  rinraciist^'U  und  prakti.schesten,  und  s^lanbe, 
das  Gesetz  könnte  ungetiilir  auf  i'olgeude  Weise,  in  nui"  wenigen 
Abschnitten,  gesohaften  werden  : 

1.  ^litglioder  des  Oberhanses  sind  : 

a)  Die  Erzbischöfe  u^d  Diöoesanbischöfe  der  katholischen 
und  griechisoh-orientalischen  Kirche,  sowie  die  Superintendenten 
der  protestantischen  Kirchen ; 

b)  die  Glieder  des  regierenden  Hauses  und  die  Reiehsbarone ; 

sowie  jene  Mitglieder  der  MagnuteJilauiilien,  die  tlas  IjO.  Lebens' 
jähr  erreicht  hal)en,  von  liegendem  Besitze  wenigstens  30(^0  Onl- 
den  Steuer  zahlen  und  ihren  ständigen  Wohnsitz  im  Lande  haben  ; 

r)  solche,  die  durch  8e.  Majestät  in  l'olge  ihrer  im  öifentli- 
eben  Leben,  oder  auf  dem  (j-ebiete  der  Staatsökonomie,  Wissen- 
schaft und  Kunst  erworbenen  Verdienste  zeitlebens  zu  Obtrhaus- 
mitgliedern  ernannt  worden  sind. 

2.  Bei  der  Bmennung  erblleher,  sowie  lebenslSngHeher  Ober- 
hausmitglieder ist  Se.  Majestät  an  keine  Zahl  gelnindfii. 

^.  Bei  der  Er''>llnuntf  des  Oberhauses  verifizieren  tlie  lebeus- 
länglichen  Mitglieder  den  Census  und  diese  Verifikation  hat  für 
den  betreffenden  Ueichstagscyklus  Giltigkeit. 

4  In  jeder  andern  Hinsicht  wird  bezüglich  des  Oberhauses 
die  gegenwärtige  Praxis  aufrechterhalten. 


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hUO  Dil  JtOKNOJAHKK  FRANZ  KAKÖÜZVfi  IL 

£iu  Oberhaus,  das  auf  solcher  Basis  beruht,  kann  eine  Zii- 
ktixift  haben,  nur  muBs  man  sieh  hQien,  die  Aristokratie  durch  Ver- 
leSrnng  bareaukratischer  und  militärischer,  Texmdgensloser  Baro- 
nate  und  Grafschaften  licherlich  zu  machen.  Man  kehre  enfweder 
zn  den  alten  Donationen  oder  zu  den  Dotationen  Napoleons  1. 
zurück.  Titel  olme  Mittel,  —  das  ist  ein  wnlirer  Fluch  lür  da^.  ludi- 
viduuHi  und  für  dru  JStaat ;  das  ariatokratiacke  Proletariat  ist  der 
gefährlichste  revolutionäre  Faktor. 

Es  sei  mir  gestattet,  meine  Aoseinandersetisungen  hinsichtlich 
ihres  Inhaltes  und  ihrer  Form  mit  den  Worten  des  Horas  zn  cha- 
rakterisieren uud  damit  zugleich  diese  Studie  zu  schliessen  :  ,iioü 
fumum  ex  i'ulgore,  sed  ex  fumo  luceni  dare  cogitut.^ 

Augost  Tkbfobt. 


DIE  JUGENDJAHRE  FEANZ  RAKÖOZrS  I[. 

Die  ungarische  Gesehichtschreibung  befindet  sich  gegenwär- 
tig in  jener  Phase,  wo  sie  die  Akten  und  Ansichten  Uber  Ereignisse 
und  Persönlichkeiten  der  Vergangenheit  der  Reihe  nach  einer  Retir 
sion  unterwerfen  muss.  Die  Forschungen  des  letzten  Jahrzehents 

und  die  nnerniessliche  Ausbeute,  die  sie  in  amtlichen  uud  privateu 
Dokumenten,  liriel'en,  AutV.eiclmungen  zn  Tat^«-  förderte,  liahen  den 
Kreis  der  historischen  Erkentniss  bedeutenil  erweitert  und  dieAiif- 
iassuug  ühar  politiische  IJegebenheiteu  vergangener  Jahrlinn dertxi 
wesentlich  modiiizirt.  Selbst  in  den  seltenen  Fälleu,  wo  der  Cie- 
schichtechreiber  auch  früher  Zutritt  zum  Aktenmaterial  erbaltes 
konnte,  fehlte  die  Freiheit  der  Wissenschaft,  die  Möglichkeit  einer 
wirklichen  £ritik  und  der  auflichtigen  Meinungsäusserung.  Die 
Gesehichtschreibung  erhielt  notwendigerweise  einen  —  so  zu  sa- 
gen —  amtlichen  Charakter  und  der  Schriftsteller  niusste  nieist 
seiner  besf<eren  l^berz»*ii}j,nug  eutge^^en  Mcn-ciu  ji  un«l  f^reignisse 
in  dem  Liclite  «hirstfllt  ii,  das  bei  woUöldiclier  (Jbrigkeit  kein  Miss- 
lallen  erregte.  Ilievctii  nnabhäiigig  arlieitete  die  sageubilden de  Kraft 
des  Volkes ;  die  liCgeude  bemächtigte  sieh  einzelner  grossen  Namffli, 
einzelner  hervorragenden  Gestalten,  umwob  sie  mit  dem  Sonnen* 


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BIK.  JUGKNIMAHKK  FKANZ  RAKÖlZl'ö  11.  861 

seheiii  <ler  Poesie,  verkTupert«  in  ihnen  die  zeitweiligen  Wünsclie 
und  Hotfnungen  des  Volkes,  seine  Freuden  und  Leiden,  sah  in 
ihnen  die  Vorkämpfer  seiner  eigenen  Bestrebimgen,  nud  schrieb 
ihnen  Ideale  zu,  die  mit  dem  Geist  der  Zeit^  in  welcher  sie  lebten 
and  wirkten,  entschieden  im  Widerspruch  standen.  Die  Legende 
ißt  gegen  ihren  Helden  immer  freigebiger  als  die  Geschichte :  siie 
erhebt  ihn  zum  Halbjrott  und  unigiebt  all  sein  Thun  nnd  Lassen 
mit  dem  Zuii])er  der  Poesie;  wenn  daher  der  ( Geschieht sdireiber 
an  eine  legeudarisehe  Gestalt  iorseliend  lierantritt,  so  nniss  dieselbe 
immer  nur  verlieren ;  der  Hal))L(ott  wird  w  ieder  Mensch,  dessen 
Persönlichkeit  und  Lebenslauf,  Wollen  und  Können  die  Wissen- 
schaft mit  unparteilichem  Emst  beleuchten  und  würdigen  wilL 

Auch  die  Gestalt  des  Fflrsten  Franz  II.  aus  dem  erlauchten 
Hanse,  der  Rikdod  lebte  bis  jetzt  nur  entstellt  oder  vergrössert 
im  Volksbewusstsein.  In  zwei  Varianten  stand  er  yor  uns ;  als  ge- 
föhrlicher  Rebell  und  als  nationaler  Freiheitsheld.  Die  anitliehe 
Geschichtschreibung  stempelte  ihn  zum  l»e))e]len,  die  Erinnerun- 
gen und  Legenden  des  Volkes  erhoben  iliii  /,unv  A})ostel  der  Frei- 
heit. Auch  sein  Cliarakter})ild  schwankte  von  der  Parteien  Hass 
lind  Glinst  entstellt  in  der  Geschichte.  Die  Machthaber,  die  das 
Erbiheü  des  gefallenen  Helden  in  Besitz  nahmen,  verfolgten  durch 
ihre  dienstbaren  Schriftsteller  auch  sein  Andenken.  Das  durch 
grosse  nationale  Erinnerungen  an  ihn  geknüpfte  Volk  aber,  das 
mit  deinem  ergreifenden  Schiksal  Mitleid  ftlhlte,  das  in  ihm  sein 
eigenes  Los  betrauerte,  schloss  ihn  pietätsvoll  ins  Herz,  untl  ver- 
herrlichte in  ihm  den  Märtyrer  der  nationalen  Hestrebungcn.  Der 
modernen  Geschichtschreibung  gelang  fs  eiidlicli  I  rainz  Iläkdc/i 
und  die  Kreignisse,  die  sich  an  seinen  Namen  knüpieu,  geschicht- 
lich und  menschlich  unserer  Erkeuntniss  näher  zu  bringen,  nnd 
die  grosse  nationale  Tragoedie  sammt  ihrem  Helden  im  Lichte  der 
▼orurteilslosen  Wahrheit  darzustellen.  Es  ist  dies  in  erster  Reihe 
das  Verdienst  Kolomau  von  Thaly's,  der  teils  in  ürkundeUf  teils 
in  selbststandig  aufgearbeiteten  Werken,  Uber  diesen  Zeitabschnitt 
bereits  eine  ganze  Hibliothek  veröffenfli»  ht  hat,  ilwn  h  welche  eiiw 
wirhtigr  K]>isod(?  der  Vergangenlieit  neu  belebt  und  die  (ie^^enwart 
in  den  Stand  gesetzt  wird,  sich  ein  richtiges  Urteil  zu  bilden  und 
ihrem  Heiden  Gerechtigkeit  widerfahren  zu  lassen.  Die  neuen  Mit- 


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802  i^W  juaiNi'JAiiftB  FRAirz  xiii^ö«  zi*.8  u.. 

t^ilungen  maclien  manchen  unwahrem  Ansichten  fi  ftherer  Histori- 
ker,  aber  auch  den  IJherschwihiglichkeif^n  der  Tiegeude  ^iii  Ende. 
Und  dies  kanun  Niemand  bedaiurii;  denn  die  Wahrheit  gewinnt 
dadurcli ;  der  AV^ahrheit  zu  dienen  ist  a])er  die  Hauptautgabe  der 
Geschichtschreibung  uod  die  Wahrheit  Uber  die  Vergiingeiüieit 
zu  erforschen  die  erste  Pflicht  späterer  Gesclilechter. 

.  Ein  hervorragendes  Qaellenwerk  für  die  Erkeutniss  der  ge- 
schichtlichen Wahrheit  ist  auch  das  jüngst  in  neuer,  rcTidirter  Aus* 
gäbe  erschienene  Buch  Thaly's,  das  den  Haupthelden  derKnrutm* 
l)ewegung,  den  Fürsten  I'ran/,  Kak«Iczi  II.  im  er.-jten  Abschnitt  meines 
Lebens,  vom  Jalire  lt)70  bis  zum  Jahre  170],  bi.s  zu  j«  ner  Zeit, 
er  die  Bühne  der  gescliichtlicheu  Action  betritt,  behandelt.  Es  macht 
uns  mit  den  ersten  fQufiuidzwauzig  Lebensjahren  jenes  Mannes  be- 
kannt, der  später  einen  entscheidenden  Einfluss  auf  die  Geschicke 
seines  Volkes  gewann,  die  höchsten  Stufen  der  öffentlichen  Gewi^H 
erstiegf  um  dann,  zum  tiefen  Schmerz  seiner  Landsleute,  jählings  in 
den  Abgnind  zu  stUrzen. 

In  dem  vorliegenden  Bande  erfahren  wir  von  dieser  Periode 
noch  nichts,  Xur  da»  Kind  und  der  Jüngling  Kakoczi  tritt  uns  duriu 
entgegen,  der  überaus  reiche  Fürstensohn,  wie  er  sich  entwickelt, 
wie  er  sich  Ijildet,  zum  Manne  reift  und  endlicli  unter  dem  unwi- 
derstehlichen Drucke  der  Ereignisse  auf  das  Feld  der  Thätigkeit 
hinaustritt.  Das  Buch  Thaly\s  vereinigt  mit  vielen  VorsQgen  er- 
hebliphe  Gebrechen.  Es  glänzt  durch  die  riesige  Fülle  neuer  interes- 
santer und  wichtiger  historischer  Daten,  die  insgesammt  Ergebnisse 
seiner  eigenen  Untersuchungen  sind,  durch  den  Fleiss  und  die 
Sorgfalt,  mit  welcher  das  Rohmaterial  verarbeitet  ist,  durch  die 
lebendige  und  klare  Darstellung.  Docli  auch  diese  Darstellung  hat 
ilire  mannigfaltigen  Mängel.  Thaly  vermag  seineu  Helden  nicht 
zur  individuell  charakterisirten  Gestalt  herauszubilden,  «lern  StoiT 
kein  Leben  einzuflössen.  Er  liefert  eine  unermessliche  Zahl  wert- 
Toller  und  wichtiger  Details  zur  Kenntniss  seines  äussern  Sohiok* 
sals,  seines  Lebenslaufes,  ohne  jedoch  die  Daten  kunstgerecht  sn 
yerarbeiteu.  Den  Genuss  des  Lesers  stören  die  vielen  Anmerkungen, 
und  noch  mehr  die  in  Anmerkungen  gehörenden  mas8enhaf)«ii 
Zitate,  die  unsere  Kentniss  der  Zeit  zwar  sämmtlich  fördern,  jedodi 
eher  anderswo  verwertet  werden  könnten. 


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DIB  JCOBNJ'JAHKB  FKA>Z  UAKUtzfä  11. 


m 


Eiu  ti'rnerer  Fehler  ist  der  überseliwüiigliche,  bisweileu  an- 
widernd servile  Tod,  der  das  Buch  durchwt  lit  und  uuOir  als  einmal 
an  die  oft  Terspotieten  Otfusiösen  gemnluit,  die  auch  die  einfiMshsten 
und  kkinliehBten  Lebensäusserungen  forstlicher  Persönlichkeiten 
nur  mit  Worten  der  Anbetung  und  Vergötterung  zu  Terzeichnen 
pflegen.  Dieser  Ton  passt  nicht  in  das  ernste  Geschiohtswerk,  deim 
der  Historiker  soll  seine  Helden  ebensowenig  durch  die  Brille  mass- 
lost  n  Entzürkins,  wie  einseitigen  Hasses  brtracliten,  sie  ebenso- 
wenig gloritizieren,  wie  verleumden.  Tliuly  liiiuft  ül)enill,  wo  ir 
etwas  von  der  Per-on  Kakdczi's  erwähnt,  die  devotesten  Beiwörter 
auf  einander.  Dieser  Byzantinismus  schliesst  nicht  nur  eine  ernste 
£ritik  aus,  sondern  führt  naturgemass  dahin,  dass  der  Verfasser 
seinen  Helden  zum  politischen  Götzen  erhebt  und  ihn  mit  Aspi- 
rationen unserer  Zeit  identifiziert.  Er  sagt  es  nicht,  doch  seine 
ganze  Temlcuz  atmet  den  Glauben,  dass  das  Ideal  Rakuezi's  in  einer 
unserer  |mlitischen  Parteien  noch  heute  fortlebt.  So  wird  sein  Ibich 
tendenziös  und  lässt  den  jungen  Käkoczi  weuiger  im  Lichte  seiner 
eigen»  n,  als  in  dem  der  modernen  ungarischen  Unabhängigkeits- 
pnrtei  erscheinen.  Doch  das  Übertragen  der  Bestrebungen  der  Gegen- 
wart auf  die  Vergangenheit,  das  Hineinlegen  heutiger  Tendenzen  in 
l&ngstgeschehene  Dinge,  der  Versuch  vor  Jahrhunderten  lebende  Per-  . 
sonen  zu  Trägem  modemer  Ideen  und  ZeitstrÖmtingen  zu  machen, 
vidersprieht  nicht  nur  der  historischen  Wahrheit,  sond«M-n  macht 
das  Erfassen  des  Wesens  früherer  Zeiten  und  Ereignisse  völlig  un- 
möglich. Trotz  alledem  muss  es  als  ein  Verdienst  Thaly's  anerkannt 
werden,  dass  er  die  Möglichkeit  bietet,  den  wirklichen  Raköczi  zu 
6)rkennen.  Denn  nicht  das  ist  das  Wichtigste  in  seinem  Werke,  in 
welcher  Beleuchtung  er  uns  die  Gestalt  I?tfkdczi*8  darstellt,  sondern 
welche  tatsächliche  Daten  er  uns  liefert  Thaly  selbst  steht  ganz  unter 
dem  Eindmck  der  nationalen  Legende,  unterwirft  die  angegebe- 
nen Tiitsuchen  keiner  eingehenden  Kritik  und  lUsst  ihren  psycho- 
logischen Motiven  nicht  geh(>ri<i;e  Würdigung  zu  Teil  werden. 
-Sonst  müsste  er  selbst  erkennen,  dass  zwi>chen  dem  Kakdezi  der 
Legende,  und  dem  wirkliehen  Raköczi  ein  ungeheurer  Unterschied 
besteht.  Doch  auf  Grand  der  mitgeteilten  Akten  und  Daten  lassen 
sich  die  Mängel  der  mehr  von  Begeisterung  und  Politik  eingege- 
benen Auflassung  Thnly*s  leicht  fiberwachen  und  korrigiren. 


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804  .       bIB  JCOIND/AIUS  FBANZ  BAXdCZl'S  U. 

W'w  der  tiiiitumlzwiiuzigjährige  Fürst  vor  dem  vorurteiU- 
lo.sen  Lestif  erpcheiiit,  wird  er  gewiss  sein  Mitgefühl  und  sein  Inte- 
resse erwecken.  Das  JSchick«al  überhäufte  ihn  seit  <ler  frühen  Kind- 
heit mit  schweren  Schlägen.  Er  zählte  kaum  eiuige  Monate,  alstr 
den  Vater  durch  den  Tod,  kaum  einige  Jahre,  als  er  die  Mutter  — 
dureh  ihre  zweite  Heirat  —  verlor.  Seine  Kindheit  war  freudlos 
und  ToU  (Gefahren ;  die  Habgier  erwachte  schnell  gegen  den  im- 
mens reichen  Knaben  und  trachtete  den  Verwaisten  an  bemubeo. 
Sein  Leben  war  mehrmals  in  Gefahr,  denn  die  zweite  Heirat  seiner 
Mutter  wurde  für  ihn  die  <»|uelle  unendlicher  Leiden.  Seine  ersten 
zwölf  riehetisjahre  vergingen  unter  kriegerischem  Lärni  und  1  u- 
ruheu.  Vou  da  kam  er  in  die  Einsamkeit  des  Klosters,  wurde  deu 
Seinigeu  eutiissen,  mnsste  seine  Tage  unter  fremden  Menschen  anf 
fremder  Erde  verleben.  Seine  Jahre  vergingen  in  bitterer  Einsam- 
keit, nur  den  stillen  Studien  gewidmet  Als  er  aus  diesem  Sjpcib, 
der  für  ihn  nur  ein  geräumigerer  Kerker  war,  befreit  wurde,  gelaugte 
er  in  die  Nähe  eines  misstranischen  Hofes  und  auf  sein  Vermögen 
spekulirender  Minister.  Sugur  verehelichen  musste  er  sich  iui^tehei- 
men, gedungene  Spione  umlauerten  ihn  innnerfort  und  dasMi>s>trauf  u 
verbitterte  seine  Tage.  In  diesen  Verhäitnisäen  reifte  das  Kind  zum 
Jüngling  und  der  Jüngling  zum  Manne  heran.  Er  selbst  ertrug  die 
lieimsuohungen  mit  voller  Ergebung.  Er  war  eine  entschieden 
aristokratische,  auf  seine  Abstammung  stolze,  doch  verschlossene 
und  mehr  zur  Gontemplation,  als  zur  Aktion  hinneigende  Natur, 
und  schien  kein  anderes  Verlangen  zn  hegen,  als  in  glücklichem 
I  auiilienkreis«'  zu  bleiben,  Künste  und  Wi.ssenschaften  zu  ptlegeii 
und  iil)erhiiu|tt  ein  Leben  zu  führen,  wie  andere  Graud-Seigneur« 
seiner  Zeit.  Er  hielt  sich  v<)u  aller  Politik  und  von  deu  nationaleu 
Bewegungen  vollkommen  fern,  hatte  keine  lieziehungeu  zu  den 
Missveignttgten,  unterbrach  sogar  mit  seiner  in  der  Türkei  leben- 
den heissgeliebten  Mutter  jeden  Verkehr,  kleidete  sich  nach  aus- 
ländischer Mode  und  zwar  absichtlich,  um  die  einheimischen  Un- 
zufriedenen von  sich  fern  zn  halten.  R^kdczi  strebte  überhau|»t 
nicht  danach,  wie  Thaly  meint,  ein  Preiheitsheld  oder  im  allge- 
nieiiK'n  ein  Führer  der  nationaleu  OpjioMition  /.u  werden;  er  wollte 
kein»'  l  ahne  entfalten,  für  politisch»;  Ziele  und  Ideale  nicht  iii> 
Feld  ziehen.  Und  dass  dieser  ernste,  in  sich  gekehrte,  vou  Schick- 


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-  rae  JüdiNiUAHR  R  FR.Anz  RÄKöczrs  h.  80r» 

sHlsfhliijioii  imd  <ler  IVemdarfigt^ii  Kr/i^'hung  in  seinem  ganzen 
Wesen  beeinilusste  Mann  endlich  doch  mm  Sdiwerte  greifen 
musste,  das8  das  auf  ihm  lastende  Fatum  ihn  endlich  trotz  seines 
Widerstandes  mit  sich  riss,  das  ist  seine  grosse  Tragoedie,  die  uns 
Mitleid  und  Schmerz  einfl5sst,  ihn  aber,  sowie  die  mit  ihm  Ter- 
knttpft^n  Ereignisse,  in  einer  neuen,  von  der  bisherigen  verse]»ie- 
deneu  B«'l<Miohtnng  vor  unsere  Au<jeu  treten  liisst. 

T?Hk(K'zi  \v;ir  k»^iiio  kri<'L't'ris(.  Ii«-  Xatur.  »t  snclitf  iiiclii  ileii 
/u.samiuonstos?,  sondern  wollte  ihn  vermeiden,  bis  ihn  der  umvi-  • 
derstehliche  Drang  mit  sich  t'ortriss  und  ihm  das  Schwert  in  die 
Hand  gab.  Er  zog  es  in  erster  lieihe  nicht  für  nationale  Ideale,  er 
2og  es  zur  Selbstrerteidigung,  zum  Schutze  seines  Lebens  und  sei- 
ner Existenz.  Dies  ist  die  wichtigste  Lehre,  die  wir  aus  dem  Buche 
Thaly's  schöpfen,  wenn  wir  es  vorurteilslos  durchlesen.  Er  selbst 
sieht  dies  zwar  nicht,  denn  er  snpponirt  seinem  Helden  psycholo- 
^isohe  Motivr.  dir  der  (legenwart  entnoTuuu^n  sind,  und  lii»>rin  Itc- 
Hii'Ui  nu  Avt'seutlieher  Fehler  seines  liu(di<'s.  Er  sucht  moderne 
Prinzipien  dort,  wo  nur  Ideen  des  XVil.  Jahrhunderts  /u  tindpii 
üind.  Der  charakteristische  Zul?  jenes  Jahrhunderts  war  der  Kampf 
des  nach  absoluter  Macht  strebenden  Königtums  mit  den  alten 
'erbgesessenen  Dynasten,  mit  den  grossen  Vasallen  der  Krone. 
Dieser  Kampf  tobte  damals  überall,  wenn  auch  mit  verschiedenem 
Ergebniss.  In  Frankreich  erschuf  er  die  Staatseinheit  und  gestal- 
tete die  Oligarchie  zum  Hofadel  um ;  Deutschland  hingegen  zerriss 
er  in  Hunderte  kleiner  Fürstentümer,  indem  die  Territorialherren 
die  ('entralniacht  des  Kaisers  besiegten  ;  die  ])oluisc]ie  Monarchie 
wurde  durch  ihn  entkrältet.  was  später  zur  AuÜösuug  des  polni- 
schen Staates  führte.  Diese  Richtung,  der  Kampf  des  Königtums 
mit  den  nationalen  Adelsgeschlechtem,  wütete  auch  in  Ungarn. 
Hier  gewann  er  natürlich  eine  andere  Gestalt ;  er  wurde  durch  lo- 
kale Verhältnisse  beeinflusst  und  durch  speziell  einheimische  reli- 
(^iöse  und  politische  Interessen  modifizirt  und  erweitert.  Trotz 
mancher  Verschiedenheiten  war  es  aber  wesentlich  derselbe  Kani]>f. 
der  im  XVlI.  .1alirliu]i<lert  alle  Staaten  durehfobte.  In  Ungarn 
wurde  der  Kaiuj»f  nocli  koinpli/irter,  iudiMu  kein  nationales  KTuiig- 
tum  bestand,  der  Herrscher,  —  dem  nationalen  (iedaukenkreis  ent- 
zogen, dein  EiiiHuss  fremder  Katgeber  ausgesetzt  —  im  Auslande 


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806  Dil  '(TORKDJAHU::  FR41fE  R&KOOZr.S  II. 

residirU*,  uiid  hier- im  Laudo  mir  seine  Ireiuilfii  »Söldlinge  wuteteo. 
Das  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  durch  die  Siege  über 
die  Türken  erstarkte  Königtum  war  aber  anch  iu  Ungarn  nur  feu 

'  denjenigen  Tendenzen  durchdrungen,  die  sich  damals  fiberall  gel- 
tend machten.  Nur  jener  Adel  erhielt  Gnade  Tor  ihm,  der,  den  Er* 
iiiuerunf^<'ii  (!•*>•  \  t'rguugenli''i(  i'iitsu^end.  sicli  in  (Inn  Dienst  <W 
Hofes  st^'lltc.  DiT  dies  niclit  tat,  wurde  iinliarriilHTzii^  ausgerottet. 
Das  Priuzlp  war  grausamer,  als  die  MeUHclieii,  das  Königtum  uner- 

*  bittlicher,  als  der  König.  Auch  Kaiser  Tjeoj)old  wollte  Kakoczi  nicht 
nm  jeden  Preis  «Yernichten.  Er  hätte  ihn  ja  noch  in  seinen  jungen 
Jahren,  ohne  Aufsehen  zu  erregen,  unschädlich  machen  können. 
TiCopold  und  Riflcöczi  wollten  yielleicht  gleichmasdg  den  Frieden, 
wenigstens  ging»m  sie  Jahre  lang  dem  Kampfe  aus  dem  Wege. 
r>ie  Prinzipien,  (hV  sie  persouifizirten,  machten  den  Ausgleirli  nu- 
möglich.  Und  im  Lielito  des  XVIT.  Jalirlninderts  betraolit^t,  war 
dasjenige  Prinzip  moderu,  das  sich  im  Königtum  verkörperte» 
wahrend  das  Prinzip,  das  sich  an  die  Person  Kiiköcsi's  knfipfte, 
bereits  damals  für  veraltet  und  überlebt  galt 

In  den  Rahmen  des  damaligen  Königtums  passten  die  riesige 
Macht,  der  Reichtum,  die  Autorität  und  die  Maohtf&lle  nicht  mehr, 
die  sich  als  Erbteil  der  Vergangenheit  im  Bet^ta  eines  einzeln« 
Dyuastpu  kon/.cntrirten.  Hetrarliten  wir  die  Stellung  des  Fürsten 
Franz  II.  Raköczi.  Au-^ser  jenen  BeBitziuig«'!!.  anf  weldie  er  eTen- 
tuell  einen  Rechtsanspruch  geltend  maclien  konnte,  war  er  Herr 
Ton  1.200,00«)  □  Joch  oder  120  ,1  Meilen  (irundl)e8itz  mit  allen 
darauf  ruhenden  politischen  und  herrschaftlichen  Rechten.  Ausser 
seinen  befestigten  Schlössern  bildeten  sein  Privateigentum  eine 
ganze  Reihe  wichtiger  strategischer  Orte,  starke  Festungen^  unter 
ihnen  Munk^cs,  das  damals  für  die  mächtigste  Festung  des  Landes 
galt.  Neben  den  Tmniohilien  stand  ihm  ein  immenses  mobiles  Ver- 
mögen in  Edelmetallen,  Gewehr-  ii,  Kanom'U,  Rüstzeug  etc  zur 
VerlüguMg.  An  den  Namen  d«'s  Inhabers  dieses  unermesslichen 
Vermögens  knüi)ften  sinh  die  ruhmvollsten  Erinnerungen.  Sein 
Vater  war  gewühlter  Fürst  von  Siebenbürgen;  von  seinem  Gros«- 
▼ater  und  der  Familie  seiner  Grossmuiter  (der  bereits  ausgestorbe- 
nen Familie  der  Batbori*s)  erbte  er  noch  glänzendere  Überlieieran- 
gen ;  der  Eine  scbloss  den  Wiener  Frieden  und  alle  erwarben  ibm 


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ras  JVQVKDJAHItB  WEk'Ht  RÄ«6GSI^ö  II.  807 

Ruhm  und  ihre  MacbtdteHu  ig  im  Ksimpfe  g(*geu  deii  Köuig;8ie 
übten  königliche  Rechte,  genossen  königliehe  Autorität,  schlössen 
Bündnisse  mit  den  ersten  Fürsten  des  Auslandes  und  waren  mit 

ihnen  verwandf  .  Der  Mann,  rlcr  iliese  Überlieferungen  und  mit  ihnen 
(h'n  i"öiui->iL-li-(lt'iii scli^Mi  lioic'lisdirsioniitcl  rrhi«'.  uar  kein«'  mhni- 
HÜclitigo  Natur,  hoch  seine  Mutter  war  die  Vrnn  <!<  s  ,Knnit/on- 
küüigs*'  liimench  Tiiököly,  und  h'hte  auf  türkischem  Boden  l>ei 
ihrem  Manne,  der  ein  Verbündeter  der  Türken  and  ein  Fülirer  der, 
atitidynastischen  Bewegung  iu  Ungarn  war. 

Unter  solchen  Umständen  mosste  die  riesige  Macht  Rriko- 
ezi*s  trotz  seiner  guten  Absichten  das  Mi.9trunen  des  Königtums 
erwecken.  Bin  so  mächtiger  Oligarch  passte  überhaupt  nicht  mehr 
iu  den  liahnien  de-t  Staates  <les  XV]I.  Jahrlnuiderts.  Früher  oder 
später  mussteu  die  j)riiizi}»iellen  Gegensätze  anl'  einander  platzen. 
Dies  geschah  auch,  dodi  maclit  uns  das  Thaly'sche  Buch  nur  mit 
der  Vorgeschichte  «h's  Kampfes  bekannt,  der  später  einen  so  tief- 
ersehüttemden  Verlauf  nuhm. 

Franz  IJ.  lUköczi  wurde  am  27  März  1676  in  Borsi,  einem 
Gute  seiner  Familie,  geboren.  Sein  Vater  war  Franz  1.,  gewählter 
Fürst  von  Siebenbürgen,  seine  Mutter  Helene  Zrinyi,  die  Tochter 
des  hin<jericliteten  Graten  l'eter  Zrinvi.  frühem  Banus  tod  Kroa- 
tieu.  Das  Schicksal  vertolgte  das  Kind  von  d^r  iStunde  seiner  (  iehurl 
an.  Er  kannte  nie  sein<'n  Vater,  der  drei  Monate  ua-^h  der  rTel)urt 
des  heisserselmteu  Erben  schon  am  8.  Juli  167(5  starb.  Als  ob  der 
Sterbende  auf  dem  Krankenbette  bereits  die  neue  Strömung  der  Zeit 
verspürte,  als  ob  er  seinem  einzigen  Sohne  eiue  neue  Kicbtang 
vorzeichnen  wollte,  empfahl  er  den  Sangling,  sammt  dessen  älterer 
Schwester  Julie,  in  den  ^^besonderen  Schntz'  des  Kaiser-Königs 
Leopold.  Thaly  meint,  dass  der  Sterbende  damit  die  Waisen  gegen 
«die  etwaige  Hache"  des  Kaisers  sehn  zen  wollte.  Nichts  rechtfer- 
tigt diese  Auffassung.  Psychologiscli  ist  d  esellje  üherliaupt  nieht 
verständlich.  Gegen  die  Küche  konnte  eine  solche  Empfehlung 
keinen  Schutz  gewähren,  viel  eher  kann  angenommen  werden,  dass 
der  liebende  Vater  den  Frieden  zwischen  seinen  Kindern  und  dem 
Kaiser  anbahnen  wollte.  Ein  Rat,  eine  Warnung  wollte  es  sein, 
An  die  eigne  Familie  gerichtet,  dass  sie  Frieden  halten  möge  mit 
ihrem  König.  In  Wien  beanspruchte  man  auf  Grund  dieser  Empfeh- 


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«0«  IHR  JITHKNlUAffftE  PRAKZ  RiKAcnsl*»  II. 

]niiLj  «Ii»'  V(>rmuii(l>fli;irt  üIht  «Ii»-  Waisoii  t'iir  (Ihm  KaisfT-Köui^r 
()l)/.W}ir  man  diospii  Aiispriicli  l)ald  lallen  liess,  sieht  Thaly  darin 
eine  Verfolgung  der  Kinder  von  Seite  des  Hofes  ;  mit  Unrecht.  Die 
Erfahrung  bewies,  dass  für  die  Interessen  der  Kinder  die  VormiiDd* 
Schaft»  des  HerrscherR  entschieden  Torfcheilhafter  gewesen  wäre, 
als  die  ihrer  Mutter,  Helene  Zrinyi.  Die  jnnge  Wittwe  hegann  wk 
schon  zwei  Jahre  nach  dem  Tode  ihres  Gatten  für  den  ^Knratseii* 
Konig,*  den  zwanzigjährigen  Grafen  Emerich  Thököly.  zn  intens^ 
«iren,  und  nach  weiteren  zwei  Jahren  verraShlte  sie  sich  mit  ihm. 
I^as  war  der  /wt'ite,  wahrliaft  schmer/.li«'li«^  und  in  seinen  Konse- 
quenzen entst'li«'id»'iide  Sclilat^r  f(ir  Waisenkinder.  Dadurch  wur- 
den ihr  \  ermügeu,  ihre  iiesitzungeu,  sogar  ilire  eigene  Persou, 
ohne  ihr  Wissen  und  Wollen,  in  die  Gefahren  des  Krieges,  in  die 
Thököly'sche  Bewegung  und  in  deren  Katastrofe  mit  Terwiekeli 
Helene  Zrinyi  konnte  keinen  TerhängnissToUeren  Schritt  thun,  als 
der  war,  dass  sie  ihre  Hand  dem  Kurutzenkdnig  reichte.  Das 
Schicksal  zweier  grossen  und  glänzenden  Familie  wurde  dadurch 
besiegelt.  Ohne  diese  Heirat  hätte  vielleicht  unsere  ganze  «lanialige 
(Teschiclit«'  »Muc  amlere  liichhmg  erhalten.  Thököly  verliess,  vorn 
lleichthuui  der  jungen  Wittwe  angezogen,  seine  siebenbiirgische 
Braut,  eine  Teleki'sche  Tochter,  durch  deren  Heirat  er  wahrschein- 
lich später,  wie  Teleki  selbst,  die  ohnmächtige  türkische  Allianz 
verlassen  und  sich  mit  dem  Wiener  Hof  yersöhnt  hatte.  Und  - auch 
die  Schicksale  des  Hauses  Raktfczi  hätten  gewiss  eine  andere  Wen- 
dung genommen,  wenn  Helene  Zrinyi  ihren  Wittwenschleier  behält 
oder  wenigstens  nicht  mit  dem  Alliirten  der-  Türken  einen  Heirats- 
btmd  schliesst.  Franz  Hsikdczi  selbst,  als  er  nach  Dezeunien  diesen 
verliiinguissvollen  Schritt  herührt.  kann,  trotz  seiner  heissen  Liehe 
und  V  erelirung  für  seine  Mutter,  die  schmerzliche  Bemerkung  niclit 
'  unterdrücken:  Grosse  Seelen  unterjocht  die  Macht  der  Liebe  ebeuho, 
wie  die  gewöhnlichen ! 

Das  sagt  er  von  seiner  Mutter,  die  er  anbetet,  deren  Seelen- 
grösse  ihn  ebenso  ergreift,  wie  ihr  späteres  Martyrium.  Was  er 
aber  Ton  seinem  Stiefvater  sagt,  ist  voller  Bitterkeit,  Unwillen  un4 
heftigem  Tadel.  IWcöen  ffthlt  es  nach  Dezennien,  dass  die  Verkofl- 
pfnng  seiner  Schicksale  mit  dem  Drama  Thököly's  die  Haupt- 
ursaelie  seines  eigenen  Falles  war.  Er  erzälilt  in  seinen  Memoiren. 


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da88  leine  Mutter  kons  Tur  ihrer  zw«it«u  Heint  eineii  Traum  hatte, 
wonach  sich  eine  Schlange  in  ihr  Schla&immer '  einschlich,  und 
ihre  ewei  Kinder  ermorden  wollte.  Vor  Schrecken  erwachte  sie : 

auf  ihre  Rute  kam  dio  Dieiieiscluift  iierbei,  siiclite  die  Schlani]re, 
(loch  fand  aicli  nichts  vor.  Xaoh  iiiclit  lang»?r  Zeit  —  sclireibt 
Räkdczi  —  hat  raeine  Mutter  die  Öchlauge  wirklich  iij  ihr  Bett 
aufgenommen:  in  der  Person  meines  StiefTaters  Emerich  Thökdiy. 
Rakdczi  hatte  Ursache  zu  dieser  bitteren  Bemerkung.  Nicht  nfir 
sein  £rbe  wurde  in  die  traurig  endende  Bewegung  einbezogen, 
auch  seine  Person  wurde  unerhörten  Gefahren  ausgesetzt.  Sein 
Stiefvater  entriss  ihn  seiner  Mutter,  schleppte  ihn  mit  sich  in  das 
TjÄger  nnd  setzte  den  kindlichen  Knaben  allen  möglichen  Unbilden 
des  Krieores  ans,  als  ol>  er  ihn  al»sii-litlicli  dem  frühen  Tod»'  ))reis- 
t^el)en  wollte.  Ein  mal  ♦'utgieni^  er  nur  zufällig  dem  sicheren  Tod*». 
Ein  treuer  Diener  rettete  sein  Leben,  l  ud  da  ihn  der  Zufall  nicht 
tödten  wollte,  verschwor  man  sich  förmlich  gegen  sein  Leben; 
man  wollte  ihn  vergiften.  Auch  dies  gelang  nicht  Wessen  Hand 
bei  allen  diesen  Anschlägen  thätig  war,  das  zu  eruiren,  fehlen  posi- 
tiTe  Daten.  Auch  Thaly  konnte  diese  Frage  nicht  lösen.  Er  war  am 
wenigsten  berufen  dazu,  da  er  aus  politischen  Rücksichten  Thökölv 
nm  jeden  Preis  weiss  waschen  will.  Aber  dem  widersprechen  die 
späteren  Ausfälle  Räkdczi's  g'^gen  seinen  Stiefvater,  '^owie  die 
Thatsache,  dass  nur  Thököly  aus  dem  Tode  des  Kimles  wirklichen 
und  gros.^en  Vortheil  erhoffen  konnte.  Denjenigen,  auf  die  Thaly 
den  Verdacht  zu  lenken  sucht,  hätte  der  Tod  des  Knaben  kaum 
nutebringend  sein  können.  Übrigens,  wen  immer  dieser  teuflische 
Plan  zum  Urheber  haben  mag,  soyiel  steht  fest,  dass  die  Kurutzen 
gegen  den  jvingen  Räkdczi  auch  keine  wohlwollenderen  Gesinnun- 
gen hogteu,  als  später  einig<'  Minister  in  Wien.  Die  auf  seine  Plttn- 
dernng  gerichteten  Anschläge  wurden  nicht,  wie  'llialy  njeint,  vom 
politischen  Has-<  eingegeben.  Die  krasse  Selbstsucht,  die  TIaligier 
allein  wirkte  hier,  und  diese  war  bei  Kurutzen  und  Labanzen.  Ix-i 
Aufständischen  und  Kaiserlichen  in  gleicher  Weise  tätig.  Der 
grosse  Reichtu'u  des  Kindes  erregte  die  Habsucht  ebenso  bei  sei- 
nen Landslenten,  wie  bei  den  Ministem  des  Kaisers.  In  solchen 
Dingen  kann  nur  die  Voreingenommenheit  politische  Motive  suchen. 
Doch  wollte  man  in  Wien  lUköczi  wenigstens  nicht  ermorden, 

UngArlMlie  B«Tne.  KMS.  X.  Heft.  52 


I 

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8t0  ^  mi  JÜOKIIDIAIISB  PE4IIS  ftiKÖGErS  U. 

während  seine  Konipatrio(<en,  die  Kiiriftsen,  nm  edcli  seines  Ver- 
mögens 211  beinaclitigeij,  auch  vor  einem  Verbrechen  nicht  snrSck- 
schraken. 

Mit  «lern  iiiissluiig»MH'ii  Vergittuug.sver.sucli  nahmen  »iie  An- 
schläge gegen  «las  Kiiid  noch  immer  in'eht  ilir  Kn«h'.  Als  im 
.Schicksal  des  Kurutzeuköuigs  die  .  allersehlimmst^?  Wendling  ein- 
trat, ei*  wirk  fe  er  von  seiner  Fraa  die  Erlau! »niss,  ihren  zelmjähri- 
gen  Sohn  als  (veisel  zu  den  Tttrken  nach  Urosswardein  und  dann 
nach  Konstantinopel  senden  zu  dfirfen.  Die  arme  Fran  willigte 
nach  langem  Widerstreben  in  den  schrecklichen  Plan,  der  das  Kind 
ihr  und  dem  Vaterlande  vielleicht  auf  immer  entrissen  haben  wGrde. 
Thaly  wngt  irgendwo  die  Bemerkung,  duss  es  ihm\  jungen  Käkoczi 
in  Koii.stanl inopel  hesser  ergangen  sein  wurde,  als  später  in  NVii- 
liHus  in  Höiuueii.  Kine  sidclK'  Jiemerkun«;  kann  nur  der  idiudesten 
politischen  J'arfeileideuschaft  entstammen.  Was  aus  dem  Manne 
iiaköczi  in  der  Türkei  geworden,  wissen  wir  ans  den  Berichten 
seines  Getreuen,  Klemens  Mikes.  Was  dort  aus  dem  Kinde  gewor- 
den wäre,  können  wir  aus  einzelnen  ähnlichen  Episoden  der  tür- 
kischen Geschichte  ermessen,  üb  rigeus  hat  die  Matterliebe  ihr  Kind 
Tor  diesem  harten  Schicksal  bewahrt.  Scfion  war  das  Gesinde  zum 
Aufhrueh  bereit,  schon  stand  das  IM'erd  de>!  Knjiben  tresatt^lt  im 
Hof,  als  die  Mntter  im  Augenlilicke  des  Ai'schiedes  erklärte, 
könne  sich  von  ihrem  vSuhne  nicht  treuneu.  Der  Junge  blieb  in 
Munkto ;  inzwischen  gelaugten  alle  seine  Familien-Festungen  und 
Besitzungen, —  obzwar  er  selbst  mit  Niemandem  Kiieg  tTdirte,  — 
der  Reihe  nach  in  die  Hände  der  Kaiserlichen.  Nur  Munkacs  blieb 
ihm  noch,  aber  auch  diese  Festung  wurde  bald  belagert  Drei  Bela- 
gerungen folgten  einander  in  kurzer  Zeit ;  seine  Mutter  leitete  den 
Widerstand  warhaft  heroisch.  Er  selbst  machte  alle  drei  Belage- 
rungen mit.  Endlich  musste  man  ka})ituliren.  Das  geschah  im 
Beginn  des  .Tahres  IHRH.  Die  Kajtitulation  gewährleistete  den  Ka- 
k<5czi*schen  Waisen  die  Uückerstattung  aller  ilirer  Güter,  sowie 
ihres  mobilen  Vermögens,  doch  waren  sie  verpflichtet,  sammt 
ihrer  Mutter  ständig  in  Wien  zu  wohnen,  und  unter  die  Obeiror- 
mnndschaft  des  Kaisers  gestelli 

Die  Familie  kam  am  17.  März  1688,  am  zwölften  Geburtstag 
des  jungen  Räköczi,  in  Wien  an.  Somit  begann  fChr  ihn  ein  nener 


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um  JiTaBKuJAHBE  fkanz  KAK6rzi*ri  n. 


811 


Lt'lit'iisabsclniitt.  Viel«' Leidrii.  viele  melir  otler  niiiuler  ciupfindliche 
Hchiiier/eii  trafen  ilni.  diicli  wie  »liusler  anch'l'lialy  die  Hreigiji.sse  die- 
ser Zeit  darstellt,  wie  .schonungslos  er  auch  den  Hof  und  neine  Mi- 
nister verurteilt,  seine  Auffassuhg  ist  parteiiseli  und  durch  die  Tat- 
saclieii  nickt  gerechtfertigt.  Die  zweiten  swöh'  Lebennjahre  Franz 
IL  Raköczi's,  die  gr5s8ten  Theils  aoaerhalb  seines  Vaterlandes  Ter- 
flössen,  naliraen  einen  viel  ruhigem,  stillem,  sogar  glücklichern 
Verlauf,  als  die  ersten  zwölf  Jahre,  die  er  in  seinen  Familien- 
schlössern  und  hei  den  Kurutzeu  verbrachte.  Wenn  man  gerecht 
sein  nill.  nuiss  man  dies  entschieden  anerkennen.  Mancherlei  Er- 
jiiedrigiinoj,  Schmerz  und  Trül)sal  niusste  der  Jüngling  in  dertVem- 
den,  misstvauischeii  Welt  ertragen ;  auch  hier  wollte  man  ihn  • 
]>1  lindern,  dies  ist  wahr,  und  gar  Viele  mästeten  sich  an  seinem 
Keichtnm,  was  übrigens*  auch  irüher  geschah.  Aber  während  man 
früher  den  Knaben  geflissentlich  dem  Tode  aussetzte,  gegen  seiu 
Leben  Anschläge  schmiedete  und  ihn  in  die  türkische  Gefangen- 
schaft senden  wollte,  geschah  jetzt  mit  dem  .Tüngling  nichts  der- 
gleiclien.  Seiue  zweiten  zwöli'  Lehensjahre  hlieben  von  alldem 
\  erscliitnt. 

Kaiser  Leopold  eruauule  den  (ilrafeu  Leopold  Kollonics,  Kar- 
dinal-Erzbischot'  von  W^ien,  zum  Vormund  der  Käkoczi'schen  Kin- 
der. Der  Kardinal,  später  Erzbinchof  von  Gran,  hat  iu  der  Ge- 
schichte Ungarns  ein  trauriges  Andenken  hinterlassen.  Doch  gcg^n 
die  Räköczi- Waisen  war  er  keinesfalls  so  unmenschlich,  wie  einst 
ThökÖly,  nnd  ▼ielleicht  auch  gar  nicht  Si  >  gra u^am,  wie  Thaly  ihn  dar- 
stellt. Wenigstens  konnte  er  keinen  einzigen  seiner  schrecklichen 
Plän»'  verwirkliihen.  l-]r  war  ein  ianatisi-her,  gehlgieriger,  roher 
Men.M'h  und  die  Waisen  l»ekamen  die«  auch  zu  fühlen,  i  )och  der  K  ais»*r 
selbst  war  gegen  hiie  nicht  feindlich  gesinnt.  Dies  beweist  am  bebten 
die  Tat-ache,  dass  alle  Maehinatif»nen  des  alhnäehtigen  Vormunds 
und  Kardinals  gegen  die  beiden  Waisen  glücklich  vereitelt  werden 
konnten.  Der  Vormund  trennte  die  Geschwister  auf  brutale  Weise 
TOD  ihrer  Mutter  und  dann  von  einander.  Julie  kam  in  das  Ursnli- 
nerinnenstift  in  Wien,  Franz  wurde  zu  den  Jesniten  nach  Neuhans  in 
Böhmen  gi'scliickt.  Uoiii  zog  Helont'  Zrinyi  bald  gleieiit'alls  zu 
ihrer  'i'ochter  in  das  Kh)ster  und  konjitc  ihre  Erziehung  dort 
selbst  leiten.  Kollonics  war  nicht  iui  »Stande  dies  zu  verltindern, 


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812  MB  JOOisjlDJAIIBR  FRANS  RÄKÖOZI^}<  H. 

ffbgldcli  dH durch  voraussiclitlieh  Htieli  »ein  geheimer  Pl»n  in  die 
Brüche  ging«  wonach  Julie  Nonne,  Frans  aber  Jesuit  werden,  und 
ihr  ganzes  Yerniögen  dann  in  den  Besitz  der  Kirehe.  re^pectire 
des  JeHuitenordeiiH  gelangen  »ollte.  Das  MSdohen  blieb  so  hinge 

bei  .M«'in«M'  Miitfer,  his  »«s  hoiratpt«'.  J):is  allein  l»eweist  genügend, 
dass  der  Hof  und  iiis]>f'sniid<'r»«  d»'r  Kaisci-  den  IJjtkofzi'sclu'U  W  ai- 
sen  nicht  ab«nluf  feindlich  «gesinnt  war,  wi<'  'riialy  .luiiiiniut.  \\  eiin 
er  auf»scli1ipssli<'h  v<»n  Uass  und  Mi.*»« wollen  geleitet  worden  wäre, 
wie  leieht  hätte  er  alle  seine  angeblichen  feindlichen  Absichten 
ausfnhren  können,  wie  leieht  wäre  es  ihm  gewesen«  die  Kinder  uw 
dem  Wege  zu  mameu,  oder  wenigstens  die  Pläne  EoUouics*  zu  yer- 
wirklieben,  sie  in  einen  geistlichen  Orden  zn  Rteeken  und  damit  f&r 
immer  iinschSdlicli  zu  niaclienV  Er  tat  jenes  iiiclit,  und  vtrhindexie 
sogar  die  Verwirkliclning  d<u-  Tlän«',  di»'  Kollonics  ans  Privatinte- 
resse liegte.  Die  Kakoczi'selicii  Waisen  leiden  unter  dem  Seliut/.*' 
des  HotV's  viel  ruhiger  und  sicherer,  aln  in  der  Mitte  ihrer  Lands- 
leute,  der  Kurntssen. 

Franz  warde  zwar  von  seiner  Mutter  getrennt  und  die  Tren- 
nung erfüllte  den  zwölQährigeu  Knaben  mit  tiefem  Schmerz,  den 
er  selbst  nach  Dezennien  in  tranrigen  Erinnerungen  wiederem- 
ptindet;  er  erkennt  aber  an,  dass  man  mit  ibm  human,  seinem 
Range  entsprefdif nd  uiuging.  In  Xeulmus,  in  dt^r  damals  IwMiilmiU  n 
Erziehuugs-Austalt  der  Jesuiten,  verl)rachte  der  Knalje  iu  Gesell- 
schaft vieler  junger  {Sprossen  aristokratischer  Familien,  welche  der 
damaligen  Sitte  gemäss  dort  erzogen  wurden,  drei  lange  Jahre. 
Seine  Lehrer  und  Mitschüler  liebten  den  schönen,  rahigen,  in  sieh 
gekehrten,  tief  religiösen  nnd  sehr  fleissigen  Jungen.  Zum  Beginn 
des  Schuljahres  1690/1  wurde  er  auf  die  Universität  nach  Prag  ge- 
schickt, wo  er  bis  1692  blieb.  Über  diese  wichtigen  Jahre,  die.  wi<» 
Tlialy  l>enierkt,  auf  das  Wesen  Hakdczi's  einen  unausir>sclilioiieii 
EinHuss  übten,  bringt  s»-in  Bueli  ziendieli  nian«^<'lliat(p  Mittlieilun- 
gen.  Es  liesse  si<di  vielleiclit  in  irgend  einem  Archi?  der  .Jesuiten 
oder  in  den  Akt^n  der  Prager  Universität  noch  manches  Interes- 
sante über  die  Studien  des  J&nglings  linden.  Aus  dem  Buche  er- 
fahren wir  hier&ber  im  allgemeinen  nur  so  viel,  dass  er  fleissig 
studhrte  nnd  speziell  die  Naturwissenschaften  ]^flegte,  in  welchen 
er  reiche  Kentnisse  erwarb. 


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Dil  JVGBNDJAHKK  FBAllZ  BiK<k:^*t>  tl.  8t 3 

Wahrend  der  Jttiigliug,  aljgewjWosflen  von  der  Welt,  in  Prag 
lebte,  trat  in  seiner  Familie  ein  wichtiges  Ereiguiss  ein,  vielleicht 
(las  eiuziffe  erfreuliche  seit  seiner  Oelmrt.  »^eine  Schwester,  die  inii 
eiuige  Jahre  ältere  Julie,  wuchs  iui  Wiener  ürsuliuenuenstift  unter 
iler  Aufsicht  ihrer  Mutter  zur  blühenden  Jungfrau  herau,  deren 
Schönheit  nnd  Beichtum  viele  Freier  heranzog.  Von  den  Vielen  • 
wählte  ihr  ihre  Mutter  den  Grafen  Ferdinand  Gebert  Aspremont- 
Reckheim  zum  €remal  und  die  Wahl  bew&hrle  sich  aUi  eine  sehr 
glüeklicfbe.  Der  Graf  war  ein  Sprosse  eines  alten  deutschen  Fflrsten- 
lianses  und  damals  kaiserlicher  Feldniarschall-Lieutenant.  Seine 
Trauung  mit  der  Fürstin  Julie  liäki)c/-i  fand  am  24.  Juni  16*J1  statt. 
Den  feierlichen  Akt  Vollzug  man  im  Ueheimen  und  sogar  die  Ursu- 
liuerinen  wussten  nichts  davon,  denn  Kollonic«  als  Vormund,  der 
das  Mädchen  noch  immer  Nonne  werden  lassen  wollte,  würde  seine  * 
Zustimmung  verweigert  und  die  Heirat  vereitelt  haben.  Die  Vor- 
bereitungen wurden  daher  im  Stillen  gemacht;  man  benutzte  die 
Zdt,  als  der  Kardinal  in  Rom  war,  und  nach  der  Trauung  entftthr|e 
der  junge  Ehemann  ohne  Umstände  seine  schöne  junge  Frau  aus 
dem  Kloster.  KoUonics  war  nach  seiner  Kückkehr  sehr  erbost  und 
verlolgti'  eine  Zeit  lang  das  jung«*  Paar.  Docli  die  cintlnssreichen 
Verwandten  des  <  »rafeu  vereitelten  alle  seine  Intriguen  und  Imld 
wurde  die  Heirat  auch  vom  Kaiser  Leopold  gutgeheissen. 

Im  (irrafen  Aspremont  erhielt  das  Haus  liaköczi  nicht  nur 
ein  tüchtiges,  edle»  Mitglied,  soudem  auch  einen  Mann,  dessen  ver- 
wandschaftliche  Gonnexionen  gewichtigen  Einfluss  bei  Hofe  ttbten. 
Seine  erste  Tat  war,  vom  Kaiser  die  Erlaubniss  zu  erwirken,  dass 
Franz  von  Prag  nach  Wien  kommen  dürfe.  Kollonies  konnte  dies 
nicht  verllindern.  Als  der  Kardinal  beim  Hof  nichts  ausrichten 
konnte,  n  idlte  er  den  jungen  Kakoczi  umgarnen,  um  ihn  mit  sei- 
ner iSchwester  uuil  ilircm  Gemal  zu  verfeinden.  Auch  dies  misslang. 
Franz  kam  im  »Sommer  des  Jahres  lt>l>2  in  Wien  au.  Er  zählte 
erst  sechzehn  Jahre,  doch  sah  der  stattliche  Jüngling  etwas  älter 
ans.  Durch  seineu  Schwager,  der  auf  grossem  Fusse  lebte,  gelaugte 
er  in  die  höchsten  Kreise  der  Kaiserstadt.  Der  Kaiser  benahm  sich 
gegen  ihn  gnädig,  gestattete  ihm  standig  in  Wien  zu  bleiben,  be- 
freite ihn  von  der  Vormundschaft  des  habgierigen  KoUonics  und 
ernannte,  auf  Vorschlag  der  Familie,  den  (rrafeu  Adam  Üatthauyi 


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814 


DIE  jWshdjabkk  ntiMZ  RiKdosf  a  n.- 


—  eiiieii  älteren,  ulier  inui|jft  n  l'reiiiid  des  jungen  J  rauz  —  zum 
Oberinspektor  aller  seiner  Ctüter,  Durch  diese  Tat  war  f  ür  die  Ka- 
-  köczi- Waisen  das  EigentumsrerKt  und  der  Genuss  aller  ihrer  Göter 
voUkoxnmen  siehergestellt  und  die  habsüchtigen  Intrigaen  Kollo- 
nic8*8  fttr  immer  vereitelt. 

Acht-neuu  Monate  yerbrachte  der  junge  Franz  im  Palais 
Aspremont  mit  aristokratischen  Verguügimgen  nnd  Genfissen.  Er 
wurde  in  die  damals  niodisclien  Iliizardspiele  eingeweiht  und  in 
das  Herz  des  träninerisehen  .liiiijj^lings  schlich  sich  auch  die  er?ite 
Liebe  ein,  die  jedoch  nur  eine  platonische  Erregung  blieb.  Er 
schwärmte  für  eine  verheiratete  Frau,  ohne  ihr  je  seine  Gefühle  zu 
bekennen,  die  sogar  lange  nach  seiner  Verheiratung-  in  seinem  Her- . 
sen  fort  lebten.  Er  war  kein  Weiberheld  im  gewöhnlichen  Sinne 
des  Wortes.  Der  schwärmerische,  hochdenkende  junge  Mann  kannte 
die  Liebe  nur  in  ihrer  edelsten  Gestalt.  Sein  Schwager  riet  ihm 
Hchott  damals,  sich  zn  verheiraten.  Va'  wollte  ihn  mit  einer  Prinzes- 
sin von  Hessfn-DariustHdt  vermiilen.  Die  Prinzessin  Madeleine,  die 
er  nur  nach  ihrem  Portrait  kannt«'.  gefiel  dem  jungen  Käkoczi  wohl, 
ihr  Vater  williirte  ein  und  die  jungen  Leute  wurden  mit  e  nander 
versprochen.  Djiss  es  dessenungeachtet  nicht  zur  Hochzeit  kam, 
daran  ist  ein  Hofintrigue  schuld.  Die  Prinzessin  Madeleine  war 
nahe  verwandt  mit  der  Kaiserin  Eleonore,  die,  wie  Thaly  meint 
aus  politischen  Gründen  mit  den  IUkoczi*s  nicht  in  Verwandscbaft 
geraten  wollte.  Kaiser  Leopold  schickte,  um  die  Heirat  zu  vereiteln, 
den  jungen  Mann,  den  Uewohnlu'iten  «Inr  daniali^»'n  Zeit  eiitspre- 
tlieiid,  aufweisen  und  zwar  nach  Ifali<»ii.  Ein  Bruder  seines  Sehwu- 
gers  begleitete  den  Fürsten,  der  unter  dem  Namen  «Maron  a  Bors- 
heim** (ein  Titel  seiius  8chwager.s)  reiste.  Im  April  1693  verliess 
er  Wien,  besuchte  Venedig,  Padua,  Ferrara,  Bologna,  verlebte  vier 
Monate  in  Florenz,  ging  dann  nach  Genua,  Mailand,  Turin  nnd 
verbrachte  den  Winter  in  Rom.  Er  wurde  vom  Papste  Tnnozena. 
XII.  empfangen,  besuchte  viel  die  Bildergallerien,  Bibliotheken  und 
Saiiinilungeu,  wo  er  s''inen  Kuii.st.sinii  t'ntwickflte :  stndirte  auch 
viel  und  nalim  in  den  'leschirbts-  und  mathematischen  Wissenschaf- 
ten, für  die  er  eine  grosse  Vorliebe  hegte,  von  ausgezeichneten 
Fachmännern  Privat-Unterricht.  Anfangs  1694  war  er  in  Neapel, 
besichtigte  die  blaue  Grotte  von  Cupri,  erstieg  den  Vesuv  und 


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lilb  JUGKMiJAUKK  i-lCANZ  KÄKÖCZl'.S  II. 


bl5  ^ 


kehrte  daun  nach  Rom  zurück,  wo  seine  reiue  frendigtmnd  eine  trau- 
rige Nachricht  wartete.  Sein  Schwager  teilte  ihm  mit,  daiis  seine  Frau ' 
glücklich  eines  Knaben  genesen,  und  dass  Prinzessin  Madeleine 
—  die  Verlobte  Bäköczi*s  —  gestorben  sei  Die  letztere  Nachricht  ^ 
war  unwahr.  Sie  wurde  Yom  Hof  erfänden,  um  die  Heirat  zu  ver- 
eiteln. Rakdczi  erhielt  die  Naeliricht,  dass  «eine  Braut,  die  Prin- 
zessin liiu wieder,  dass  ihr  I Bräutigam  gestorben  sei.  Beide  Teile  er-  ^ 
fuhren  erst  nach  langer  Zeit,  wie  schändlich  sie  irre  geführt  wur- 
den. Die  Heirat  war  aber  für  immer  vereitelt 

Rakdczi  eilte  nach  Wien  zur&ck.  Hier  erwartete  ihn  eine  an- 
genehme  Überraschung ;  sein  Schwager  hatte  Tom  Kaiser  Leopold 
die  Grossjfihrigkeits-Erkl&rung  des  18-jährigen  Rakdczi  erhalten. 
Er  wurde  dadurch  Herr  seines  Vermögens  und  konnte  nach  sechs- 
jähriger Abwesenheit  im  März  1^94  seine  Familienguter  wieder- 
sehen und  in  Besitz  nehmen.  Auch  wurde  er  als  Erbobergespan  im 
Komitat  Saros  installirt,  richtete  sich  seinem  Hange  und  seinem  Ver- 
mögen gemäss  einen  Hnfstaat  ein,  führte  die  Teilung  der  Erbschaft 
mit  seiner  Schwester  durch,  war  bestrebt  die  Lage  seiner  Bauern 
zu  Terbessem  und  wurde  in  alldem  vom  Hof  nicht  im  mindesten 
behindert  Man  liess  ihn  beobachten,  umgab  ihn  mit  Spionen,  was 
in  der  Natur  des  Verhältnisseii  lag,  beschi^nkte  ihn  aber  im  Übri- 
gen ganz  und  gur  niclit.  Man  willigte  auch  darein,  dass  Uäkdczi, 
als  er  im  Sommer  nach  Wien  zuriickkelirte,  mit  s«'iiHMii  Schwager 
an  den  Rhein  iu  das  kaiserliche  Lager  gehe,  um  seine  militiirischen 
Kenntnisse  zu  TervoUstäudigeu.  Diesen  Zweck  gab  Rakdczi  au, 
doch  war  er  nur  ein  Yorwaud.  In  Wirklichkeit  trat  er  die  Reise 
deshalb  aä,  um  sich  mit  der  Prinzessin  Charlotte-Amalie  von  Hes- 
sen-Rheiufels  zu  vermälen.  Da  zu  befürchten  war,  dass  der  Hof 
auch  diese  Heirat  vereiteln  werde,  wurde  diese  Angelegenheit  im 
(Teheiuu  ii  VDrbcrcitet,  und  die  Trauung  fand  iu  Köln  am  26.  Sept. 
11)91  in  aller  Stille  statt.  Thaly  teilt  den  am  24.  Sept.  geschlosse- 
nen und  ]>isher  nicht  verööentlichteu  Ehekontrakt  mit  Fürst  Karl, 
der  Vater  der  Braut,  giebt  seiner  Tochter  20,000  rh.  Gulden  Mitgift, 
während  der  Bräutigam  eine  Morgengabe  von  100,000  Thalem 
verschreibt,  welche  Summe  auf  seine  Güter  intabulirt  wird.  Er  giebt 
seiner  Braut  einen  Rubinsehmnck  im  Werte  von  10,000  Thalem 
und  vcrptiichtet  sieh,  sie  sammt  ihrem  Hofstaat,  der  auf  SO  Personen 


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biÖ  l'IK  Jl'(il  NJ>JAHJ(K  kKASZ  l^ÄKi^UZl's  IL 

und  liO  Pieril»'  festgesetzt  wird,  shindesigemäsH  zu  erhalten,  und  ihr 
jährlich  2000  Thaler  Stecknadelgeld  zu  geben,  in  allen  eyentatell 
entstehenden  Erbschaftspiosessen  iat  das  ungarische  Gesetc  kom- 
petent Dies  sind  die  wesentlichsten  Bestimmungen  des  Eherer- 
trages. 

Die  Trauung  laud.  wie  erwuhüt,  im  Stilleu  statt,  wurde  aber, 
nacli  Sitte  turstliflier  Häu>er,  umso  feierlicher  allen  (]»^ut.'>eheii  Fiir- 
ätenhöfen  au  gezeigt.  Die  offizielle  Nachrieht  machte  in  zwei  Stfid- 
ten  grosses  Aufsehen :  in  Darmstadt  und  in  Wien.  Dort  erfuhr  man 
erst  jetzt,  dass  der  todtgeglaubte  Käkdczi  lebt,  und  s^ine  gewesene 
Braut  machte  dem  vermeintlich  treulosen  Bräutigam  briefliek  bit- 
tere VorwOrfe.  In  Wien  hingegen  war  num  darttber  au^ebrmdii 
dass  Riköczi  ohne  Wissen  des  Hofes  geheiratet  hatte.  Nach  soner 
Rückkehr  bekam  er  auch  Zimuierarrest,  aus  dem  er  jedoch  ▼on 
seinen  Fn  undcn  schnell  befreit  wurde,  und  die  Sache  hatte  über- 
haupt keine  Nveitereu  Folgen,  woraus  abermals  hervorgeht,  dass  der 
Hof  nicht  um  jeden  Preis  mit  Eaköczi  anbinde  u  wollte,  wie  Thalj 
im  Allgemeinen  anninmit 
.  Das  junge  Par  Terbraohte  die  nächstfolgenden  Jahre  in  Wien 
oder  auf  seinen  ungarischen  Besitzungen.  Die  ^rste  Wintersaisou 
verlebte  es  in  den  höchsten  Gesellschaften  der  Kaiserstadi  BakfSesi 
kannte  das  Misstrauen,  womit  man  ihn  verfolgte,  und  bewies  die 
äusscrste  Zurückluiltung  in  allen  lit^'entlichen  Angelegenheiten. 
Dass  seiner  eine  »providenzielle  ölicntliche  ixolle"  harrte,  wie  Tbaly 
behau])tet,  davon  kann  man  in  seiner  gesammten  derzeitigen  Tä- 
tigkeit nicht  die  mindeste  Spur  entilecken.  Wenigstens  teilt  Thaly 
keine  einzige  Tatsache  mit^  die  diese  Voraussetzung  glaubhaft  ma- 
chen würde.  Aus  seinen  Mitteilungen  ergiebt  sich  gerade  das  Ge- 
genteil: Räköczi  lebte  wie  die  anderen  Grands-Seigneurs  jener  Zeit 
und  wollte  die  Arena  der  Öffentlichkeit  Überhaupt  nicht  betreten. 
Nicht  als  ol)  ihm  der  Siun  für  höhere  l»estrebuugeu  gefehlt  liiitte : 
er  war  ein  edler  C-harakter,  empfaml  Mitleid  mit  den  daujalij^ren 
schweren  Leiden  seines  Volkes,  doch  hatte  er  auch  Verstäudniss 
für  die  klarliegende  Tatsache,  dass  die  Macht  des  Königtums  be- 
reits so  gewaltig  geworden  war,  dass  die  staatlichen  Missstande 
nur  im  Einverstandniss  mit  dem  König,  auf  friedliche  Wege,  mit 
den  Mitteln  des  Gesetzes  beseitigt  werden  können.  Dass  seine. da- 


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IHK  JUÜKNIMABI.'K  FRANZ  KAKulZlV  II.  «17 

nialige  lendeii/.  der  Aii.scliluss  uml  nu-lit  die  Treuuuiig  von  dt*r 
ixcset/dicht  ii  Dynastie  gewesen  sei,  deren  müuuliche  Erbfolge  da- 
laalt)  bereits  Teri'a88iiiig9inäs9ig  auerkannt  war,  —  spricht  auis  seiner 
ganzen  Haltung  während  dieser  Zeit.  In  seiner  Selbstbiographie, 
die  yiel  sf^ter,  nnter  dem  Eindruck  harter  I'r&fiingen  geschrielien 
wurde,  sieht  er  seine  Wirksamkeit  vielleicht  selbst-in  anderem  Liebte. 
Auch  Thaly  sieht  sich  Ijemüssigt,  die  Daten  der  Selljstbiogra- 
pliie  an  mehreren  Stellf^n  zu  korrigimi.  Das  lnnvei.st  i'l)eii,  dass 
Kaköczi,  als  er  sie  schrieb,  in  Folge  der  Jahre  nicht  nur  )>e/Jiglieli 
eiuzeluer  Tatsachen,  sondern  auch  ))ezüglich  ihrer  Motive  nicht 
mehr  genügend  im  Klaren  war.  Auch  ihm  wie d erfuhr,  was  Jedem 
wiederfithrt,  der  im  Herbste  seines  Lebens  die  Jahre  seiner  Jugend 
fiberblieki  Ohne  absichtlich  irreffthren  zu  wollen,  unterschiebt  er 
seinen  Handlungeoi  bisweilen  nnwillkdrlich  Motive,  die  srar  Zeit 
der  betreffenden  Tat  ihm  selbst  noch  fremd  warcji. 

Wt'iiii  wir  das  \  erhalteji  Kakuczi's  in  dt-ii  letzten  Jahren  des 
XV  ll.  .Tal) r hunderte  nacli  den  Tatsachen  würdigen,  die  im  Buche 
Thaly'i<  mitgeteilt  sind,  müssen  wir  jedcnhills  anerkennen,  dass  der 
junge  Fürst  gar  keine  providenzielle  ot^'entlickeliolle  beanspruchte, 
dass  er  sich  um  jeden  Preis  an  den  Hof  anscliliessen  wollte,  und 
dass  auch  diesen  nicht  buser  Wille  leitete.  Höchstens  in  einzelnen  ' 
Ministem  wirkte  Hass,  Misstrauen  und  Habgier.  Die  uugtiustige 
Oestaltnng  der  vaterländischen  Verhältnisse,  sowie  unvorhergese- 
hene Zufälle  brachten  l)eide  Teile  genren  ihren  Willen  in  eine  Lage, 
in  welcher  der  Zusammeustoss  uiud)wendbar  wurde.  Dass  Käk(»czi 
nicht  in  der  nationalen  Bewegung,  sondern  ganz  im  Gegenteil 
eben  im  Anschluss  an  den  Hof,  deu  Schwerpunkt  seiner  Stellung 
suchte,  das  geht  auch  aus  der  Aktion  hervor,  die  er  mit  seinem 
Schwiegervater,  Karl  Fnrsten  Yon  Hessen-Rheinfels,  im  Interesse 
der  Anerkennung  seines  römisch-deutschen  Reichsflirstentitels  ini- 
tiirte.  Jahre  lang  betrieb  er  emsig  die  Angelegenheit,  obgleich  sie 
für  seine  eventuelle  liolle  in  Ungarn  absolut  keine  Wichtigkeit 
haben  konnte.  Die  Unzufriedenen  blickten  uichi.  zum  deutscheu 
Keichsfürsten,  sondern  zum  mlichtigen  ungarischen  Magnaten  em- 
]M)r,  und  wie  einst  Thököly  ohne  den  deutscheu  l  'ürsti  utitel  grosse 
£rfolge  erringen  konnte,  so  wurde  später  auch  Räköczi  nicht  in 
Folge  dieses  Titels  Anführer  der  ungarischen  Bewegung.  In  wie- 


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818  DiK  jüasMMAitfiB  ntiiKs  Kiidcsi*!«  n.  • 

tVnie  iliiii  iJie.s«!r  Titel  zukam,  das  ni(»jj^*^'n  >^riin«llicli»'  Kenner 
alten  deutschen  Reichsstaatsrechtes  ent.sclieideii.  Soviel  steht  fest, 
dass  seine  Väter  diesen  Titel  führten,  doch  war  das  Diplom,  da« 
denselben  in  ihrer  Familie  erblich  maehte,  in  Folge  einer  Nachläwiig- 
keit  nicht  ezpedirt  worden  nnd  konnte  nieht  TOigefiinden  weiden. 
Den  Ghrand,  wanim  B£k6eü  die  Anerkennung  dieses  seines  Titels 
so  sehr  urgirte,  sieht  Thaly  darin,  dass  er  sieh  in  der  damaligeD 
Zeit  der  strengen  Hofetiquette  eventuell  nicht  zurücksetzen  lassen 
nollte.  Andererseits  sajj^t  er,  dasn  der  Hof  di-shall»  Scliwierii^keiteu 
♦  rhoh,  weil  er  ,,das  latente  politische  Gewicht  der  Angelegenheit* 
ilihlte.  Die  Sache  hatte  in  der  Thai  politische  Gewichtigkeit,  doeh 
nicht  von  der  Art,  wie  sie  Tbaly  voraussetzt.  Nicht  um  in  Ungarn 
eine  Rolle  zu  spielen,  trachtete  Rnköezi  diese  Titelfirage  einer  end- 
giltigen  Lösung  entgegen  zu  f&hren.  Bäköczi  dachte  ganz  anders- 
wohin. Ohne  Zweifel  erwachte  in  ihm  bereits  damals  die  merkwQr- 
dige  Idee,  mit  der  er  erst  später  hervortrat.  Er  urgirte  die  Auer- 
kennung  dieses  seines  Titels,  um  ein  anderes,  höchst  wichtige?« 
Projekt  leiclitfr  nsilisirfu  zu  konnt-n.  Das  Projekt  bestand  darin, 
seine  inigarischen  Besitzungen  für  einen  entsprechenden  Gegen- 
wert in  Deutschland  einzutauschen.  Er  warf  diese  Idee  zwar  erst 
spater  auf,  doeh  war  sie  wahrscheinlich  nieht  damals  plötstieh  in 
ihm  au%etancht,  sondern  seit  langer  Zeit  langsam  herangereift. 
Jedenfalls  lassen  sich  seine  Bemühungen  in  Betreff  der  Anerken- 
nung seines  Reichs-Flirstentitels  nur  in  innerer  Verhmdunf;  mit 
seinem  später  gestellten  Tauschantrag  verstehen  und  würdigeu. 
Die  Titelfrage  erhielt  iilirigeiis  eine  günstige  Lösung,  indem  Kaiser 
Leopold  diesen  Hang  weuigsteui«  für  die  Person  Uaköczi's  feierlich 
anerkannte. 

Wahrend  Kakdczi  sich  mit  dieser  Frage,  mit  gesellscbafUi» 
chen  YergnQgungen,  mit  der  Jagd  und  höchtens  noch  mit  den  ei- 
genen wirtschaftlichen  Angelegenheiten  be&sste,  brachte  das  grau- 
same Wttten  der  Soldateska  ganz  plötzlich  einen  Aufstand,  haupt« 

sät  hlii  h  auf  den  Rakdczischen  Hesitzuugen,  zum  Ausbruch.  ,Arnie 
liurschc"*,  herumirrende  Kurutzen  standen  an  der  Spitze  der  Bewe- 
gung, die  nicht  nur  gegen  die  deutschen  Soldaten,  sondern  zeit- 
weise auch  gegen  den  inländischen  Adel  gerichtet  war.  Die  Auf- 
ständischen besetzten  durch  plötzliche  Übeirumpelung  drei  wichtige 


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DIE  JUGENÜJARUE  irBANZ  KÄKOUZr.«  II. 


Plätze,  J^arospatak,  Tokaj  und  Ö.-Ä.-Ujlu'lv.  Aüa  waren  Eigentum 
Kaköczi's,  doch  hatten  alle  kaiserliche  Garnisonen,  welche  Ton 
den  erbitterten  AnfiBtändischen  ntabarmherzig  niedergemetzelt  wur- 
den. Der  Aufstand  ereignete  eich  im  Sommer  1697.  Rakdezi  ver- 
weilte sn  dieser  Zeit  eben  auf  seinen  imgarisehen  Gütern ;  er  war 
in  Szereiics.  Die  Aufständischen,  wissend,  dass  sie  ohne  namhafte 
Pöhrer  nichta  ausrichten  kihinen,  trachteten  nich  der  Person  RÄ- 
]<()czi"s  zu  heniiicliti^^'n,  Ivakdc/.i  erzülilt  die  Sai  li«'  sflhst.  Am  1. 
Juli  wollte  er  sammt  Familie  nach  iSarospatak  reisen.  Er  hatte  von 
dem  inzwischen  zum  Ausbruch  gelangten  Aufstand  noch  keine  Idee; 
'  während  der  Reise  kamen  ihm  zwei  Bauern  entgegen  und  verlang- 
ten vom  (befolge  dem  Fttrsten  vorgeführt  an  werden,  da  sie  ihm 
eine  wichtige  Mitteilung  zu  machen  hätten.  Zn  ihm  gefUhrt«  erzähl- 
ten sie,  dass  ein  Aufstand  ausgebrochen  sei,  und  die  Anfsföndi- 
selien  eine  berittene  Abtheilung,  die  schon  ganz  nahe  sei,  ausgc- 
.sandt  um  dt'ii  KürMteu  gefangen  zu  nehmen.  ( >hy,\var  Rakui  zi 

die  Nachrichten  nicht  ernst  nahm,  gab  fr  docli  den  Befehl,  dass 
man  aich  reis^"fertig  mache.  Gleich  darauf  kamen  Flüchtlinge  aus 
Tokaj  und  bestätigten  die  Nachrichten.  Und  da  zeigt  sich  aber- 
noals  die  unbestreitbare  Tatsache,  wie  wenig  Raköczi  damals  daran 
dachte,  an  einer  gegen  den  Kaiser  g^chteten  Bewegung  teilzu- 
nehmen. Er  flQchtete  sich  sammt  seiner  Familie  augenblicklich  auf 
die  einzige  Strasse,  die  ihm  noch  offen  stand,  und  kam  auf  grossen 
I^imvegi'u,  nueli  vielen  Gefahren  in  Wien  an.  Tlialy  meint  zwar, 
daö6  der  Fürst  de.sliall)  Hüclifcte,  weil  er  für  diese  liewfgung  keinen 
Ü^rfolg  erhoft'te,  weil  er  wusste,  d;i>s  der  Adel  sich  nicht  anschlies- 
sen  würde,  da^s  da»  viele  ^lilitür  der  Sache  l)ald  ein  Ende  machen 
würde  u.  s.  w.  Aber  wie  konnte  ßakdezi  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen von  zwei  Bauern  nnd  einigen  flüchtigen  Soldaten  das  Alles 
erfahren,  wovon  Thaly  spricht?  Ton  wo  wnsste  er,  dass  die  Bewe- 
gung nicht  mit  dem  damaligen  Türkenkrieg  und  mit  seinem  Stief- 
vater 'riiököly  in  Verbindung  stehe,  und  das  ganze  Land  mit  sich 
reissen  kruiue?  Nein  I  RäKoczi  wollte  iiberhaupt  an  keiueni  brw  atf - 
jiet(  11  Abi'uteuer  mitwirken.  Er  würde  den  Schauplatz  des  Aufstan- 
des auch  dann  Yerlasseii  haben,  wenn,  anstatt  Franz  Pataky's, 
Einerich  Thököly  —  der  übrigens  damals  mit  einem  grossen  tür- 
kischen üeere  anf  ungarischem  Boden  stand  —  an  der  Spitze  der 


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((20  PIX  Jt'GBSrUMIIBK  FBAKZ  RAK6C2I*H  II. 

Bewe^^uii)^  gestanden  liätte.  Wenn  ihm  etwas  diej«er  Art  nur  ein- 
gefallen wän-,  wiirtlt'  »t  sich  wenigstens  aul'  t  iner»  .meiner  nahen 
Cliiter  hegchen  liahen,  um  dort  die  Kntwickehiug  <Ier  Dinge  H)»za- 
warteu.  Aher  er  wollte  gegen  den  Kaiser  nichts  unternehmen  und 
war  auf  die  erste  Kunde  vom  Aufstande  mit  sich  darüber  im  Keinen« 
dass  sein  Plate  jetsst  in  der  Nähe  des  Kaisers  seL  Br  trachtete  denn 
auch  dahin  zu  gelangen ;  er  ging  nach  Wien  und  kam  dort  in  dem 
fttr  ihn  glttckKchen  Augenblick  an,  als  man  gerade  gegen  ihn  den 
Verhuftsbefehl  erlies«,  du  man  nach  den  einlangenden  Hericht^n 
den  Aufstand  mit  seiner  Person  in  \V'rl>induug  bringen  mu*^>te. 

Und  «hizu  war  kein  l>öser  Wille  vonnöthen.  Gar  viele  Um- 
st&nde  mussteu  gegen,  Kaköczi  Verdacht  erwecken.  Dieser  Verdacht 
war  grondlost  aber  das  konnte  sich  erst  später  herausstellen.  I)ie 
Tatsachen  sprachen  einstweilen  anscheinend  g^n  ihn.  Ohne  sei- 
nen Willen  und  sein  Wissen  missbrauehten  die  Aufat&ndischen 
faktisch  seinen  klangvollen  Namen.  Der  Aufstand  war  auf  seinen 
Besitzungen  zum  Ausbruch  gekommen ;  die  Aufständischen  ver- 
schonten nur  sein  Vermögen,  und  als  die  Bewegung  erdrückt  \\  iirde, 
fanden  die  deutschen  »Soldaten  die  Wert.sachen  Kakuczi's  uultc-^ehü- 
digt  vor,  während  alles  übrige  vernichtet  worden  war.  Das  alles 
berichtete  man  nach  Wien,  wo  das  alte  M iss tränen  gegen  Kakoczi 
darin  neue  Nahrung  fand.  Man  konute  ja  nicht  vergessen,  dass  seine 
Mutter  und  sein  Stiefvater  Verbündete  der  TOrken  seien,  nut 
denen  man  Krieg  fnhi'te,  und  es  gehörte  wahrlich  wenig  bdser  Wille 
dazu,  um  zwischen  dem  Aufstände  in  derHegyalja  und  dem  Einbrü- 
che TlK'ikölv-^  in  Uu<xarn  einen  Causalnexus  zu  suchen.  Auch  uiil)e- 
tangeuere  Männer,  wie  Prinz  Eugen  von  Savoyii,  misstrauteü  dem 
Kürsten  Kaköczi.  Und  dies  Misstrauen  erstreckte  sich  selbst  auf 
Ungarn.  Als  Räköczi  während  seiner  Flucht  in  »Schemnitz  ankam, 
ma<^te  ihm  die  dortige  Bevölkerung  stürmisch  den  Vorwurf,  dass 
er  ihnen  die  Eurutzen  auf  den  Hals  bringe. 

Raköczi  ftthlte  selbst,  dass  er,  zwar  unschuldig,  fiiktisch  in  den 
schwersten  Verdacht  kam,  den  er  nur  mit  einem  ernsten  Entschlnss 
zu  nichte  machen  könne.  Er  fasste  auch  diesen  Entsehluss.  Er  .>t^^llt»' 
dem  Hof  den  Antrag,  dass  „seine  sämmtlicheii  ungarischen  Besit- 
zungen für  ein  gleichwertiges  deutsches  Fürstentum,  entweder  im 
deutschen  Reich  oder  in  den  Erbläuderu  des  österreichischen  Hauses 


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I 


niB  JUOBNDJAnR«  PBAVs  rAk6czi*s  fl.  821 

tungeiutiAcht  werden  mögen,  damit  er  sieh  dadurch  von  den  Ifanden 
der  nngariiichen  Verhältnisse  giinzUch  frei  maclien  könne."  Kr  be- 
«nchte  den  Beichtvater  des  Kaisers,  Pator  Meiio^utti,  der  grossen 
Kinfliiss  hatte,  und  hrnriito  sein  Projclct  dinch  ihn  zur  Kenntniss 
des  Kaisers,  wiihreiid  ein  vertrantt  r  1'r»'inid  die  Saehe  dem  Staats- 
uiiiiibter  GrafVn  Riusky  uiitteüt*?.  JJer  Kaiser  jaahiu  den  Vorsehhig 
gnadig  auf,  doch  konnte  er  ihn  nicht  reah'siren,  da  die  kaiserliche 
Kammer  damals  Über  entsprechende  Güter  znr  Diirchfühnmg  des 
Tausches  nicht  verfügte.  E-dk<$czi  geht  in  seinen  spateren  Memoiren 
über  diese  Episode  ziemlich  leicht  hinweg.  Er  sagt,  dasser  dadurch  die 
rJesinnnngen  des  Kaisers  prüfen  wollte.  Thalv  sieht  in  dem  Aiitrajf 
eiir  n  -sehr  j^eschickten  ^^eliarh/nir."  ghiultt  aher  kaum.  das<  er  ernst 
war.  E«!  lie«.;t  jedoch  gar  kein  eirund  voj-,  d»*n  .\ntrag  nielit  f-ir  ernst 
zu  nehmen :  im  Gegentkeil,  wenn  man  ihn  mit  alldem,  was  Uakoczi 
zur  Sicherung  seines  deuischen  Fürstentitels  tat.  in  Verbindung 
bringt^  mnss  man  entschieden  annehmen,  das  er  keine  momentane 
-Eingebung,  kein  plötzlich  auftauchendes  Extempore,  sondern  eine 
lange  durchdachte  und  gereifte  Idee  war.  Das  Fallenlassen  desselben 
entschied  das  Schicksal  Franz  Rakdczi^s.  Bis  dahin  hielt  er  sich  you 
aller  Politik  fern,  und  trieh  seine  Znrtteklialtung  bis  zu  den  Hus- 
sersten  Grenzen  der  Möglichkeit.  Kr  Iraelitete  nielit  einmal  mit 
seiner  im  Auslände  h-henden  Mutter  l'rivathezieiiungen  anzuknüj»- 
fen.  Er  tat  dies  .seihat  dann  nicht,  als  er  es  von  Italiei\  au.s  viel- 
leicht gefahrlos  hätte  tun  kruinen.  Er  war  ganz  auf  Seiten  des  Kai* 
sers.  Der  Aufstand  in  der  Hegyalja,  das  Scheitern  seines  Tausch- 
antrages  aber  machte  in  den  ernsten  kriegerischen  Zeiten  seine 
bisherige  Stellung  unhaltbar.  Die  Ereignisse  dr&ngten  ihn  aus  seiner 
Einsamkeit  hinaus.  In  Wien  wuchs  das  Misstrauen  geaen  ilm,  ob- 
zwar  es  Jahre  lang  nur  dudiireh  zum  Ausdruck  kam,  dass  man  ihn 
mit  Spionen  unigah.  In  solch  uneri|uickl icher  Lage  niaidite  er  die 
liekauntschat't  des  Grafen  Nikolaus  Bercsenvi.  und  dies  entschied 
über  sein  ferneres  Verhalten.  Da  er  nach  dem  Scheitern  des  Tausch- 
antrages  mit  dem  Hof  kein  Einverstandniss  erhoffen  konnte,  liess 
er  sich  in  den  Jahren  1697 — 99  durch  den  Grrafen  Beres^nyi  ffir  die 
Idee  eines  bewaffneten  Aufstandes  gewinnen.  Zur  selben  Zeit  suchte 
Graf  Villan,  der  Wiener  Botschafter  Ludw  i g's  XIV,  den  nqch  im- 
mer .schwank'Miden  Fürsten  mit  der  Aussicht  auf  französische  Hilfe 


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DIR  iUOIHDJAURR  FRANZ  R^KoCZI  S  II. 


ZU  ködern.  iJotli  arst  spiit»'r.  auf  «las  fori  währe n«l«%  l^-Miaitr  Drän- 
gen  Beroseny^s,  Hess  sicth  der  Fürstim  Herbei  1700,  als  man  die 
französischen  Antrage  ernenerie,  dazn  bewegen,  mit  dem  Venaüler 
Hof  einen  schriftlichen  Verkehr  einzuleiten.  Am  1.  Dezember 
Hchrieb  er  den  Terhängnissvollen  Brief,  von  dem  sein  Btintiitt  in 
die  Aktion  datirl:  werden  kann. 

Damit  s(  hli»»sst  das  iuterensante  Buch  Thuh  \s.  Es  kann  noch 
soviel  bemerkt  werden,  dAss  der  Brief  verräteriHchen  Händen  anver- 
traut Vorde,  und  gleich  das  er^te  aktive  Auftreten  ßaktfczi's  ein 
trauriges  Ende  nahm.  Longueval,  französischer  Hauptmann  in 
kaiserlichen  Diensten,  den  der  Ffirst  mit  der'  Übergabe  des  Briefes 
in  Ver^aille«  hetrante,  war  ein  gedungener  Spion  und  trug  die  Briefe 
narli  Wien.  It'iikdrzi  wur«!»'  :ini  1 S.  April  1701  in  seinem  S')il<ts^ 
/.n  Nagysjtros  g«?lang<.'ii  i^t  iiomiueji.  Waa  später  geschah,  iifgt  au-^- 
serhalb  des  Kähmens  des  uns  vorliegenden  J^uches.  Thaly  s«  }iildert 
nur  die  Jugendjahre  des  Fürsten,  zwar  etwas  tendenziös,  d<>(  h  nicht 
so  sehr  entstellt,  dass  man  die  wirkliche  Gestalt  Rakdczts  daraus 
nicht  erkennen  könnte.  Noch  ist  hier  Rtfkdczi  nicht  der  Held  der 
nationalen  Legende;  er  wünscht  keine  FQhrerrolle,  mengt  sieh 
nicht  in  ötfentlielie  Angelegenheiten  und  empfindet  keinen  andern 
providojizielleii  W'ujisrh,  als  in  Frieden  mit  seinem  gesetzmiissigeii 
König  di<'  Pthohteii  seiner  uristukratischen  SteUung  zu  erfüllen. 
Um  diesen  Frieden  mit  dem  König  sicherzustellen,  will  er  sogar 
aus  seinem  Yaterlaude  auswandern.  Und  auch  als  er  damit  schei- 
terte, hält  er  sich  noch  ziemlich  lange  passiv.  Erst  die  Freundschaft 
mit  dem  Grafen  Bercsenyi,  mit  dem  Rakdczi  wahrscheinlich  nur 
darum  in  nähere  Beziehungen  trat,  weil'  derselbe  zur  Zeit  ihren 
Bekanntwerdens  kaiserlicher  Kommissär  war.  und  die  falschen  Ver- 
lockungen Frankreichs  lenkh-n  ihn  aut  andere  Bahnen.  Nur  unter 
dem  Druck  dieser  EinHüsse  luach  er  mit  seiner  Vergaugeuheit. 
mehr  von  Fiemden  als  vom  eigenen  Willen  getrieben.  Thaly  stellt 
uns  den  jungen  FUrsten  in  anderer  Beleuchtung  vor  Augen  ;  er 
sieht  iu  ihm  einen  modernen  Parteimann  voll  Hass  und  Ingrimm 
gegen  den  Kaiser  und  den  Wiener  Hof.  Ei:  treibt  mit  ihm  ein 
bischen  praktische  Politik.  Das  allei«  widerspricht  der  historischen 
Wahrheit.  Doch  auch  wenn  wir  seine  Auffassung  und  die  von  ihm 
verkündeten  Ansichten  nicht  t<Mlen,  müssen  wir  im  Allgemeinen 


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UfiDRR  r»EB  ZIOKDNKB.  823 

■die  VN'ichtigkeit  des  Hnchen  und  »pexieii  seineu  Keichtum  ttu  bisher 
imbekaiisteii  Daten,  biographieeheu  und  zeitgeschiehtiichen  Mit- 
teilungen mit  Lob  nnd  Anerkennung  herrofriieben. 

Dk.  1(ü\az  A1S.ÄUY. 
LIEDER  DER  ZIUEUNEH. 

1  >i('  Liiteratur  der  zigeuuerischeu  Volkslieder  war  und  ist  auch  ' 
norli  }ieiiie  eine  terni  incognita.  Vor  wenigen  Decennien  war  kaum 
,ein  Dutzend  Lieder  dieses  Vagabundenvolkes  bekannt  und  auch  heute 
findet  man  solche  nur  hie  und  da  in  Zeitschriften,  grOsstenthdls  aber 
in  sprachwissenschaftlichen  Werken,  welche  dem  grossen  Publikum 
schwerer  zugäuglicli  sind  und  von  demselben  auch  nicht  aufgesucht 
werden.  Die  Art  und  Weise,  wie  diese  poetischen  Erzeugnisse  in  dt^iai  - 
tigen  Publiiuf idiicii  ü:rl>ot<'n  w<'rdeu,  verleidet  ^lanclieiu  die  lA-ctiiir 
zig.  Volkslieder,  denn  die  Übersetzungen  sind  nur  für  den  Linguisten 
bereclmet  und  haben  in  dieser  Form  nur  für  ihn  Interesse :  dem  Gros 
der  Xioser  werden  diese  Übertragungen  schon  nacli  kurzer  Zeit  wider« 
wjtrtig»  denn  sie  sind  nicht  gelftufig»  nicht  mundgerecht  und  gleichen  in 
diesen  Fassungen  „zerbrochenen  Bruchstucken/ 

Ich  habe  mich  seit  Jahren  yiel  mit  Zigeunern  und  ihrer  Poesie 
beschäftigt,  und  in  meiner  Mappe  befinden  sich  zahlreiche  Volkslieder, 
welche  ich  in  den  l'dzten  .lalufn  aufgezeichnet  und  dun  h  bereits  ver- 
tdrentliehte  l*«M'sieu  ergänzt  liaWe.  W  idirend  di<'>>'i-  .. Siuiiiuelzeii"  habe 
ich  mir  die  1  berzeuguug  verscliatft.  dass  die  Zigeuner,  dieses  Vagaijun- 
deuTolk,  über  einen  reiehen  Lieder-  und  Sagenscbatz  verfägen  und  dem 
Hammler  ziemliche  Ausbeute  winkt»  vorausgesetzt»  dass  er  mit  Lust  und 
Liebe  ans  Werk  geht*  Gar  so  leicht  darf  man  sich  aber  die  Au%abe 
<sines  Sammlers  von  Zigeunerliedem  nicht  vorstellen,  denn  es  existirt 
Vielleicht  kein  Volk,  welches  dem  Fremden  gegenüber  in  jeder  Bezie- 
hung so  zurückhaltend  wäre,  als  eben  dieses.  Jeden  Fremden  betrachten 
>ie  als  ihren  Feind;  <larf  es  da  Wunder  nehmen,  wenn  sie  demselben 
gegenüber  überaus  v<»rsiehtig  sind  und  ihre  grüssten  ( Jeheimnisse.  ihre 
Lieder  und  Sagen,  ndt  einer  «gewissen  Hartnäckigkeit  zumckhalten. 

Unter  allen  Völkern  besitzen  die  Südslaven  die  nahezu  umfang- 
reichste, die  Zigeuner  aber  die  gewiss  beschränkteste  Volkspoesie.  Dies 
darf  uns  bei  einem  solchen  Vagabundenvolke  gar  nicht  Wundernehmen. 


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I 


S2i  I.IEDRR  liKB  ZJOliirNKR. 

Uev  VÄ'^onnev  ist  lioimatlos  im  wahren  Sinne  des  Wortes.  Sein 
„engeres**  Vaterland  iai  das  Zelt»  welches  er  in  der  Nfthe  einer  Stadt 
oder  eines  Dorfes  aaftdilügt,  indem  er  über  drei  in  einem  Punkte  so- 
sammen  laufenden  Stangen  eine  grane  Leinwand  ansbreitet  und  dersel- 
ben durch  Spangen  eine  stramme  Form  verleiht.  Aber  auch  in  diesem 
^Vaterlsnde"  kann  nah  der  Zigetiner  nicbt  sicher  wähnen,  denn  die 
wuclitij^en  Hämlc  der  an<lpr^S}»iiic  lii)^M'n  Bevölkemng  sind  stets  drohend 
jjegcn  ilin  «'rliobt-n  un«i  vci  leiden  iliiii  di-n  lanir<M>'n  Auf»*nth;dt.  Jt'der- 
mann  erblickt  in  ihm  <'inen  „  l'rot'ession.'idiol)'* .  einen  treihen.  ar]>eit>j- 
s(dißuen  Eindriiif^ling.  der  nicht  geduldet  werden  dürf'  und  Manche 
gehen  gar  so  weit,  ihn  für  einen  Kinderriiuber  lu.  halten.  Aua  diesen  und 
noch  vielen  anderen,  mehr  minder  triftigen  Qrfinden,  hat  er  fortwahren« 
de  Verfolgungen  zu  leiden  und  findet  nii^gends  Bast  und  Ruhe.  Zu  all- 
dem gesellt  sich  noch  eine  ausgesprochene  Wanderlust,  die  in  ihm 
ununterbrochen  rege  ist.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  ein  No- 
madenvolk und  '/umal  ein  dei-artiges.  sieh  auf  k«'ine  höhere  Stnte  der 
rnltnr  v.n  srhwini'f'u  vermai;.  Die  »'pisti*;e  /urücktreblie])enlieit  <l^r  Zi- 
geuner  inmitten  der  civilisierteii  euiopäischen  Bevölkerung,  unter  der 
sie  sich  mit  einer  «gewissen  Vorliebe  /u  bewegen  scheinen,  ist  in  der 
That  überraschend,  denn  mit  Ausnahme  eines  verschwindend  kleinen 
Theiles»  sind  sie  weder  des  Lesens,  noch  des  Schreibens  kundig ;  sie  er- 
nähren sich  von  umgestandenen  Thieren,  die  nacb  ihrer  Meinung  nie- 
maad  Anderer  als  Gott  „gescblaobtet"  hat  und  führen  auch  sonst  eine 
Lebensweise,  die  mir  bei  Völkern  niedersten  Ranges  vorzukommen 
pHegt.  Sie  glauben  an  ein  höheres  Wesen,  welehes  sie  d^'ht  heiRsen. 
Wi»'  keine  bestimmte  Heimat,  sd  haben  .>ie  auch  keine  bestimiute  Ueli- 
giou  :  heute  da  und  diese,  morgen  dort  und  jene. 

Den  zigeunerischen  Liedern,  welche  so  einfach  wie  d^r  Zigeuner 
selbst  sind,  haftet  daher  neben  einer  sehr  stark  vorherrschenden  Gehalt- 
losigkeit noch  eine  gewisse  Oberflftchlichkeit  in  der  Besingung  des  Ge- 
genstandes an ;  grösstentheils  wird  in  wenigen  kleinen  und  oft  zusam- 
menhangslosen Zeilen  das  geschildert,  besser  ge.sugt :  besungen,  was  in 
so  engem  Rahmen  unmöglich  genüfi^^nden  -Ausdruck  finden  kann.  Ans- 
.senlejn  mangelt  den  Liedern  Naivt-tät.  und  der  Leser  /.igeuneriseher 
Lieder  sucht  vergebens  Erhebende-  oder  Heiehrendes  in  denselben. 
was  iu  den  Liedei  n  der  Zig(*uner  besungen  sein  soll,  ist  zumeist  nicht 
nahe  genug  gerückt  und  mitunter  so  proüaiscb.  so  nichtssagend,  da.<<s 


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r.m>RR  jm  nmin».  825 

rieh  WBM  unwülkfirlich  die  Frage  aufdrangen  uitus :  „Sind  denn  d«w 

auch  Volkslieder?"  Ja.  os  sind  wohl  Volkslieder,  Erzeugnisse  eine«  Va- 
gabundenvnlkes,  welche  aber  nur  nh  Wahrzeiclicn  eines  im  Aussterben 
begriffenen  Volkes  kulturhistorischen  Werth  besitzen. 

Das  Volkslied  des  Zigeuners  unterscheidet  sich  in  mehr  ak  einer 
Beziehung  yon  dem  des  Deutschen  oder  Magjaren,  und  es  gleicht  fast 
einer  Anmaflfmng,  dem  deuisehen  oder  nngarisehen  Volkaliede  ein  zigeu- 
nerisches gegenüberstellen  sn  wollen.  Die  deutschen  und  ungarischen 
Volkslieder  sind  naiv  oder  belehrend,  oder  beides  zugleich  und  besitzen 
einen  bedeutenden  poetischen  Werth.  Auch  haben  diese  Lieder  und  be* 
sonders  die  epischen  Gesünge  immer  ein(;n  bestimmten  inneren  Kern, 
welcher  seinem  ganzen  Wesen  nach  mitbew  underungswürdiger  (ieuauig- 
keit.  mitunter  sogar  bi«  in  die  kleinsten  jEinzelheiten  ausgeführt  ist. 
In  dem  Vclksliede  des  Deutschen  oder  Magyaren  finden  wir  femer  den 
Drang  nack  Freiheit,  die  Sehnsucht  nach  Verbesserung  des  eigenen  Lo- 
ses» oder  eine  Klage  Überhaupt  eingeflochten.  In  dem  zigeunerischen 
Volksliede  ist  toi»  alledem  nichts  zu  finden,  der  Zigeuner  hat  dies  Alles 
nicht  nOthig.  Er  ist  fi^i  und  braucht  daher  nicht  nach  Freiheit  xu  rin- 
gen. Eine  Verbesserung  des  eigenen  Loseö  zu  erfahren,  hält  er  ganz  und 
gar  für  überflüssig. 

Die  zigeuuerischeu  Lieder  kann  man  in  Liebes-,  Tanz-,  Klage-  und  • 
den  didaktischen  verwandte  Lieder  eintheüen.  Der  Vorrang  gebührt  den 
LiebesUedem,  welche  in  hunderterlei  Variationen  gesungen  werden; 
es  scheint,  dass  das  ZigeunervoUc  filr  diese  Dichtungsart  eine  grosse 
Neigung  besitze  und  dieselbe  auch  besonders  in  jungen  Jahren  culti- 
viere.  In  den  Liebesliedem,  welche  ein  beredtes  Zcugniss  von  dem  Ge- 
tühle  des  Zigfimers  abgeben,  liegt  noch  ein  kleiner  Funke  echter  Volks- 
poesie. »Solche  Lietler  pflegt  der  Zigeuner  nur  dann  zu  singen,  wenn  die 
Jugendgiut  nor  h  in  seinem  Herzen  in  vollster  Kraft  und  ungetrübt 
lodert,  wenn  diis  Herz  noch  vollkommen  rein  ist  und  der  Zigeuner  noch 
nicht  durch  Diebstahl  oder  unehrlichen  Handel  einen  grossen  Hausbe- 
darf decken  muss. '  " 

Hat  sich  ein  Bursche  in  das  schwarze  Augenpaar  einer  Zigeunerin- 
verschaut,  so  schleicht  er  stets  in  der  Nähe  des  Zeltes  herum,  in  weh 
chem  die  „Angebetete"  mit  ihren  Eitern  wohnt.  Um  seine  Anwesenheit 
kundzugeben  singt  er  : 

VttKMiMiM  tt«TQ«.  tSSS.  X.  H«tt.  53 


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826 


HXOEB  Dm  sioscmiR. 


0  niri  kiimli  i^iiHtia 

De  man  tri  vMiske 
Azutan  baf^tale  me. 


'»  (In  iill'-vlifUsh''  nu«iti 
Wiin  ^'od«;iil<st  dn  mir  zu  peUm? 
Beutst  du  mir  deiu  Herzelein, 
Werd  ich  sicher  glfu^klich  sein. 


Wenn  das  Mttdchen  den  Burschen  necken  will,  scUftpft  es  ms 
dem  Zdte,  bleibt  )cnapp  tot  demselben  stehen  nad  begiBnfc  haB> 
liebend: 


LTAte  upro  nno  dadoro 
O  )iia  iiu'ikli  tii  t<'  ("liajorial 
M«'n-  odoj  bi'it  rhav»^  hile 
«"Mona  te  öhaja  keren  lipre. 


So  st^li  dot  h  a\if.  in*»in  Väterleiti. 
Hab  Acht  anf  ilein  Hcliön'Töcht'^rl'^in 
Bedenk,  ein  Burscli«'  if^t  allhier 
Der  will  entführen  mich  von.  Üir ! 


Die  Elteni  werden  dttranf  anfinerksam,  der  Yaler  des  HSdchens 
gefällt  sich  dann  darin,  nicht  nnr  dem  Burschen,  sondern  such  seinm 
Töchterlein  ^ine  gewisse  Angst  einzujagen,  denn  bald  stimmt  auch  er 
ein  J^ied  au : 


Iis  me  6fa4ia  t6ke  d4 

Eäua  sal  tu  roma. 
Sö  hi  nie  0(3ri  räkli 
Te  na  k&mel  län  kirali. 


Willst  dn  fm^nmem  TSchtedeiB. 

'  Mu»8t  dn  ein  Zigeuner  sein« 
Doch  wa»  ist  mein  Mägdelein, 
Will  ein  Kdnig  sie  nicht  (tu'jl 


Da«s  der  Zigeuner  von  Poesie  durchdrungene  Liebeslieder  besitzt, 
kann  uns  si-lion  au,->  dem  (rriinde  in  Kr^laiinen  set/en.  derselb** 
sein  Weil»,  seine  Geliebte  für  Geld  oder  Waare  kauten  niuss.  Nur  ein- 
mal liebt  der  Zigeuner  aus  voller  starker  Brust,  nur  einmal  vereinigen 
sich  seine  seelischen  Empfindungen  und  finden  ihren  Ausdruck  in  der 
Verehelichnng  mit  einem  geliebten  weiblichen  Wesen.  Sonst  ist  seine 
Liebe  rein  thierisoh,  denn  schon  die  eigenthümlichen  Lebensveihlltnisse 
verhindern  dieselbe,  eine  höhere  Stufe  zu  erreichen  oder  zu  behaupten. 
Zuerst  liebt  der  Zigeuner  sein  Weib,  dann  verehrt  er  seine  Schwester, 
ja  selbst  seine  Mutter,  buhlt  um  die  Gunst  derselben  und  da  die  Zigeu- 
uerweiber  sehr  leiehtfertig  sind,  auch  nicht  ohne  Krfolg.  Der  Zigeuner 
besitzt  auch  sinnliche  Liebeälieder. 

Als  die  glimpflichsten  mögen  folgende  hier  Baum  finden : 


Kuna  lioinaskd  Ku/.varis 
tJin^ufdine  k'oiii  knrvaris. 
liijaba  ke  nani  kurvaris  : 
K'um  ie  cuiangro  hiiHdris. 


Als  ich  auf  nach  Klausenbufi,'  braei». 
Schrie  man  Miidehenjäijor  mir  nach. 
Bin  kein  Mädchen jiiger  fürwahr, 
Nur  des  Mädchenvolka  Hui^isär. 


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mMK  ran  nomviNt. 


Ö  d^rlorö !  «ö  me  k^rd'om 
Trin  dfai^oria  ü{>re  Md'om ! 
J^kh  n  uoi,  s&r  s  nodo, 
JAli  Bi  p&roi,  fldr  o  j&ro. 
Aver  si  mri  d&jord, 


Oh  Dioui  Oott,  was  mir  paanxt! 
Hab  dzei  MMdteii  eiai^  T«rftt1irt! 
Hooh  wie  Robr  was  eine» 
WeiM  wie  Mehl  war  eiae, 
Ünd  die  andere  war  mein  Mfltter- 


M&rela  man  mro  didoro! 


chen  — - 

Ach  wie  wird  mich  aehhigea  Yftter^ 

ehenl 


Wenn  auch  nicht  der  Form,  so  doch  der  Ansdracksweise  nach 
reihen  sieh  den  Torerwähnien  liebesUedem  die  Klagelieder  an.  Wirklich 
originelle  Klagelieder  existieren  bei  dem  Zigennerrolke  überhaupt  nicht, 
68  sind  aaeh  nur  wenige  derselben  bekannt  nnd  unter  diesen  wenigen 
findet  man  nur  ein  einziges,  ab»  r  Uesto  liemerkenswertlieres  Lied,  das 
in  gedrängter  Form  der  JietTirciitung  Kaum  gieljt.  dass  die  Zigeuner  sich 
tiereinst  an  feste  Wohnpiütze  binden  würden ;  aber  die  Sänger  dieses 
Liedes  sagen  hierüber  nichts  Gutes  Toraos  nnd  das  ganze  Lied  gleitdit 
einer  dringenden  Warnung.  £s  Ittsst  sich  nur  sehr  schwer  übersetsen 
nnd  80  möge  denn  eine  Übersetzung  ▼on  Prot  Müller  hier  Platz  finden : 
Bdbotar  si  e  rtfma  Von  Bobo  sind  die  Zigeuner 

Th6  m&ren  le  pe  dröma  Und  sie  schlagen  sie  auf  der  Btras^e. 

Pill  o  b(5nn  bdKcna  Hinter  dem  Ofen  werden  eio  sitzen 

Lönkhi  khatu  thMvena  Ihnen  Tbrilnen  aiicli  kommen  werden. 

Dieses  Lied  wird  besonders  von  den  serbisch-türkischen  Zigen« 
nein  gesungen,  die  ftberhaupt  viel  originellere  Weisen  kennen  und  de-  ^ 
ren  Melodien  von  denjenigen  der  anderen  Zigeuner  sehr  abweichen. 
Allerdings  sind  auch  deren  Klagelieder  ebenso  einfach  wie  die  anderen 
Diclitungen.  aber  wenn  sie  solclic  Klagelieder  mit  Viulinbegb*itung  und 
wabrer  Leidenschaft  .singen,  dann  bringen  diesell)en  gewaltige  Wirkun- 
gen hervor.  Was  bei  dejn  deutschen  Volksliede  die  Naivität  und  tiefem- 
pfundene Sprache,  das  iat  bei  dem  /ig  Volksliede  die  tiet^'lich  angepass- 
te  Melodie.  Das  zigeunerische  Klagelied  ist  nicht  nair,  nicht  von  wali- 
rer  seelischer  Empfindung  durchdrungen  und  macht  ohne  Musikbeglei- 
tung oder  ohne  Leidenschaft  gesungen  einen  unbedeutenden,  ungünsti- 
gen Eindruck.  Die  Melodien  m  den  Klageliedern  sind  von  hinreissender 
Scliünlieit  und  echter  Yolksthümlichkeit  und  wer  dieselben  einmal  an- 
zuhören (xelegenheit  hatte,  der  wirtl  sie  nicht  leiclit  wieder  vergessen. 

Der  Zigeuner  besingt  auch  wichtigere  Vortalle  seine.s  Fauiihen- 
lebens  und  zwar  in  weichem  Elageton.  Er  will  seinen  Nachkommen  die 
Geschichte  besonderer  Ereignisse  aufbewahren  und  kann  das  auf  keine 


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828 


LIKDRR  DEK  ZIOEU5SK. 
* 


bessere  Art  zu  Stande  Uringpn,  da  der  Zigeuner,  wio  bereitt*  erwilnü. 
weder  des  Lesens  noch  des  Schreibens  knndig  ist.  Man  kann  diese  Ge* 
sftnge  mit  den  Klageliedern  nicht  Tergleichen.  denn  es  sind  eigentlicli 
keine  „lieder*',  aber  man  könnte  sie  ganz  gut  sangbare  Sagen  heissen. 
denn  der  Ton  welcher  in  denselben  angeschlagen  wird,  Reicht  ganz  dem 

Narli  ilou  l\lagoli«'<]('rn  komjueii  die  'J'iUi/lipdf'i".  Kein  Volk  «lor 
Krd«*  tmizt  so  luiutig  und  mit  solcher  Ausdauer  wie  da-  zigeunerische 
und  suwold  unter  Männern  als  aiieh  unter  Weiljern  tindet  man  recht 
gewandte  Tlinzoi*  und  Tänzerinnen,  die  besonders  in  mondhellen  Nflcb- 
ten  phantastische  Tftnze  ausführen  und  hiebe!  von  ihren  ändern  .unter- 
stUtat  werden,  frewöhnlich  fuhrt  Alt  und  Jung  in  der  Nuhe  der  Zelte 
diese  eigcnthilmlichen  Tftnze  aus.  Wunderliche  Tdne  durchschwirren, 
wenn  ein  Tanzlied  angestimmt  wird,  die  Luft.  Die  Kinder  nehmen  Hiin- 
de  und  l*'iiss<'  zu  Hille  uml  s<.Idageu  sii  h  hei  je«]em  Scldusse  eines  Vej:- 
ses,  oder  hei  kriitt  i^ffu  Momenten  mit  den  I Linden  auf  die  Fü.'Jse.  Hie 
und  da  jauchzen  und  jubeln  sie  vor  Freude  und  ^eioh  d^urauf  stöhnen 
und  jammern  sie;  die  Arie  und  <lic  Tanzweise  bringen  es  mit  sich.  Ver- 
stummt dann  der  (lesang  der  Kleinen  und  hört  die  Violine  auf  zu  to- 
nen, dann  lassen  sieh  die  ftlteren  Familienmitglieder  wieder  im  Zelte 
nieder  und  rersinkea  in  stilles  HinbriitenT] 

Nachfolgendes  Tanzlied  rflhrt  ron  Prof.  Dr.  !Miklosich  her,  der  es 
aueli  zuerst  puhlieierte.  Auszugsweise  lauin  es: 


Tordav  hl  se  pe  thiineste, 
Kana  phenav  :  ^haj  de  ! 
Beide  tut  angla  mando. 
Lome  me! 

MoÜio  mange  ba  ÖaSes 
Te  merav,  te  na  iorav, 
Te  »a  Cator  mothova^ : 
Angla  täte  tat  katnav. 
Pal  avreste  kam  laerav 

Anda  lake  düj  jakha 

ai  kale  sar  dnj  dmka, 
'HidTida  lake  diij  rure 
Kaj  «i  >ar  fhij  kure 
Anda  hik''  diij  jaklia 
Mukh;n  iiituiKi  irora  da 
Lunie  uie  ! 


Steht'  .Mädchen  aul  dem  Platze. 
Weun  ich  «age  :  B.\uf  zum  Tanze!" 
Drehe  dkdü  vor  mir. 
Meine  Welt! 
Sage  mir  die  Wahrheit 
Sterben  soll  ich,  nicht  leben  soll  ich. 
Wenn  ich  nicht  die  Wahrheit  «a^: 
Dich  allein  nur  Hebe  ich. 
Für  einen  andexn  abor  will  ich  tter- 

hen. 

Pttr  ihre  zwei  Augen. 

Die  Hind  schwarz  wie  zwei  Trauben, 

Und  für  ihre  zwei  UrQste. 

Die  sind  wie  zwei  Töpfe, 

Für  ihre  zwei  Aurjen 

Veiliesb  ich  meiuu  arme  Mutter. 

Meine  Welt! 


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I 


Prof.  Mikl(«s<i(;li  schroiht  hienil»er  :  „Ein  lunz-Ued,  das  die  grüs^stc 
Wirkung  hervorbringt.  Bei  nicht  tanzenden  Weibern  macht  sicli  der 
Enthusiaamus  in  Thrttnen  LufL  Der  Text,  dessen  einzelne  Theile  mH 
einander  nor  lose  zasamnienhSngen,  rechtfertigt  die  Wirkung  nieht ; 
sie  inuss  anf  Rechnung  der  Melodie  gesetzt  werden,  ,  die  als  wubder^ 
schön,  Ton  Lebenslust  strotzend,  bezeichnet  wird.  Der  Befrain  iMme 
nte  soll  das  Gefilhl  der  Seligkeit  ausdrücken.  Die  heftige  Erregung  der- 
iicniütei  ^'ibt  meist  zu  einer  Kauferei  Veranlassung,  der  im  Freien  bald 
die  Versiilmung  folgt.** 

Auäser  den  Liebes-.  Klage-  und  Tanzliedern  hat  der  Ziegeuner 
Gesänge,  welche  die  Natur,  die  geistigen  Cletriinke  und  die  niedlichen 
Thiere  preisen,  aber  merkwürdigerweise  ist  in  keinem  Liede  die  stark 
ausgebildete  Liebe  zu  den  Bändern  ausgedrückt.  Von  Lobliedern  zu 
Gotto^^fihren  kann  bei  dem  Zigeuner  keine  Rede  sein. 

Historiffehe  OesSnge  kennt  der  Zigeuner  nicht,'  da  er,  soweit  die 
Stainiueseriunerung  reicht,  niemals  selbststftndig  war.  Ks  ist  immerhin 
uiögli«  h,  dass  er  vor  seinem  Auftreten  in  Europa  derartige  (Jesänge  g<*- ' 
habt  und  dieselben  im  Lau&  der  Zeit  vergessen  hat.  Wer  beachtete 
ilamals  die  poetischen  Erzeugnisse  des  Zigeunervolkes,  und  wer  hielt  es 
der  Mühe  werth,  dieselben  aus  dem  Munde  des  Volkes  zu  sohöpfen  und 
für  spfitere  Zeiten  au&uzelchnen  ?  \^ele  Lieder  müssen  Teiloren  gegan- 
gen sein,  was  bei  einem  Volke,  das  anf  £e  tradiüonsweise  Fortpflan- 
zung der  Volkslieder  angewiesen  ist,  gar  ntch  anders  denkbar 

Nicht  unerwähnt  wollen  wir  die  zigeunerischen  >,S(jhnadahiipter" 

lassen,  die  allenlinga  mit  den  steirischen  keinen  Vergleich  aush;ilteu 

und  mit  denselben  auch  nicht  verglichen  werden  äollen.  Wir  haben  es 

hier  mit  gereimten  Spielereien  zu  thun,  Lieder  sind  es  einmal  nicht 

Hier  einige  Beispiele : 

Th^ar  sina  Gestern  hatte  Uop !  hip  1  Hop !  Hip ! 

Uospojina  Die  Hausfrau  D^l  o  jiy  1  Es  fftllt  Sdinee ! 

£fta  pirja  Sieben  TOpfc  sem  n&ago  Ich  Inn  nackt 

Kolompiija  Erdäpfel.  Thiy  pemango  t  Und  baarfins! 

E  lua  devla  de  Jiia  dui  baiisa  iiieber  Gott  so  gib  zwei  j<t'ch»erl  mir 

De  lan  mangc  dui  roninia.  Damit  ich  kauf  zwei  Frau'u  dafiir. 

Die  Charakteristik  der  Zigeunerlieder  lässt  sich  folgendermasseu 
zusammen&ssen.  Die  Lieder  sind  zumeist  vierzeilig,  die  Versfüsse  theils 
jambisch,  theils  trochäisch,  ohne  klare  Eintheüung  und  die  Reime  bei- 


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880  LiKDSB  OEB  noBcm». 

nahe  immer  rein ;  in  den  selteiutieiiFtttteiL  bilden  gleichklingende  Worfte 
den  Beim.  Assonana  nnd  Stabreim  werden  hftnfig  angewendet  und  die 
letzte  Silbe  wird  im  liede  besonders  betont.  IHe  mebr  als  vierzeiligen 

Lieder  sind  gewöhnlich  nicht  ungeschickte  Zusammensetzungen  ver- 
schiedener Lieder,  doeli  gibt  es  auch  grössere  d.  Ii.  melirzeilige  Ucsange. 
in  denen  man  den  Einiluss  der  undersspracbigeu  Bevölkerung  erkennL 
So  singen  die  Zigeuner  in  der  Bukowina  ein  Lied  Der  kranke  Ifdd 
DaffÜHf  welches  eigentlich  nur  eine  allerdings  ungeschickte  Ueber 
Setzung  des  gleichnamigen  bnlgarisohen  Volksliedes  bildet  Dieselben 
^Sigenner  singen  auch  mit  Vorliebe  ein  Lied  Der  Mauker  äeM  der 
Armen,  ebenfoOs  nur  eine  fest  wörtliche  XTebertragung  eines  gereimten 
rmnänischen  Volksliede;?. 

Im  ISuchätehendeu  einige  Proben  von  Zigeuueriächen  Volka- 
liedem  : 

L 

Tili  tistelinav  inri  piranon  Meine  kleine  Liebste  sei  gegrüsst, 

Mindig  841  mdnge  ändi  uiri  göili ;       Du  in  meinem  Geiste  immer  bist ; 
J^khfar  t6  mc  tüt  m^g  sajdikbihi       Könnt  ich  seh'n  dich  einmal  ncx'h 
Phdro  mc  vödiake  n*4  ol&hi. 


Coro  röm  o  gondolindii, 
H6d  pirani  zibbadinda, 
Bimm  «a  pimai  mdlo, 
Ne  r&taha  mäj  upusteno. 

Upr*o  rito  kas&linen 
tfra  pirina  Tid&sinen, 
Anka  jon  la  TidAaEinen  — 
Hogy  mro  jilp  repedinen. 

A»  ta,  te  zav  prckal  tuti», 
Oda  biro,  kaj  nie  .snn«loni, 
Muli  pus  lol  niri  «lijui  i 
Le  voHVoka  lu  i»o  diäte, 
Dalke,  dulke,  mri  diijori 
."^0  mo  coro  ic  kcrava ! 


auf  Enlen. 

Mciuem  Ilcrzeu  würd  sicher 
sdiwer  nicht  werden. 

IT. 

Es  glauiit/C  einst  ein  arm  Zigeuuerlt- in. 
Die  Liebste  müäae  eingeschlafen  sein, 
Doch  sie  war  todt  und  Tags  darauf. 
Stand  sie  am*  Morgen  schon  nicht  auf ! 

m 

Sie  mShen  aaf  dem  Wiesenplan 
Und  schauen  stets  mein  Mfedehen  aa. 
Sie  blicken  hin  nnd  blieken  her  — 
Dabei  wird  mir  nm'a  Hen  gar  schwer. 

IV. 

Dnrchachreiten  will  ich  den  grünen 

Wald 

Aus  (lejii  <lii8  »icrücht  ht-riUierfchallt. 
i>;is8  meine  Mutt<'r,  die  ich  geliebt. 
Am  ImkI«' des  Waldes  begraben  liegt. 
Mutler.  Mutter,  o  Mutter  mein, 
Wai  werde  ich,  deiu  Sohn,  nun  sein ! 


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UKi>£B  DKE  SIOSmiEB. 


881 


V. 


O  (Icvluio  <W'  niiiii  nulrdali* 
Ali  piraiui  lijal  msindar. 
Te  tu  l^al,  de  lu  piilc 
.ÖdoU  tu  m&nge  dinal. 


Kher  ina  dovlÄ 
I*uj  di-ljako 
Tc  Nuvaniii 
1*0  turjakö. 


Ker  mä  devlär 
Tsiriküäkö 

Te  8uw^d  andi  piri 
K^r  an  tu  mi  äuUi. 


Mi  diij  nd  käme  min 
De  pimi  nnhi  tnan, 
Hoskt'  na  mujt'  nie 
Uo  tc  keran  mu  it* 


0  veaoro  le  prajtenza 
0  tSiriklo  le  porenza ! 
Te  mc  e  dar  dikhawa, 
Andre  tÜte  chütsawa. 

0  vescija  snkaieia, 

Pcharentut  man  ink  akana 
Te  rae  e  dar  dikhawa 
Star  barora  chatiaTa. 


The  me  dÜawa  npre  foroB, 
Zinaw  maage  dni  forgowos, 
Pro  forgovofl  dni  pantlika  : 
Ba&iT  more  jaj  mri  aota ! 


(i  mein  Gott  wa'^  thust  du  mir  ? 
Meine  LieLete  nimmst  du  dir, 
Gib  sie  mir  zurück  nur  bald, 
Schön  wie  einstens  und  nicht  alt. 


Macli  mich  Gott 
Zum  Fledermänslein, 
Damit  ich  kriech 
Ins  Stiefelröhrlein. 


Maeh  mich  Gott 

Zum  Fledermiln.slein 

Dann  kriech  ich  in  den  Topf 

Und  mach  die  Suppe  sauer* 


VIU, 


Es  ma|7  mich  nicht  mein  Aliittcrlein 
Ich  nenn  kein  liebstes  Miidchen  oieini 
Und  sterbe  noch  immer  nicht 
Was  will  ich  da,  ich  Wicht? 


IX. 


0  du  dichtbelaubt  Hochwäldlein« 
0  du  zai-tgeflüprelt  Vöglein  ! 
Wenn  die  Angst  mich  übermannt, 
Komm  ich  rasch  zu  Kuch  gerannt. 

Wftlder  ihr  im  Frahlingapn^ngea, 

Wollt  mich  einmal  noch  empfnngen. 
Lähmte  selbst  die  Angst  mich  dchier, 
Uebenpräng'  ich  Manem  vier! 


X. 


Traun,  heut  geh*  auch  ich  ins  St&di- 

Icin, 

Und  auch  ich  kauf  zwei  der  Sti^uss* 

lein; 

Ffir  die  StrftiiMletii  awei  der  fiSndleia 
Sfiel,  Sgeiwer  1  mein  LeibtÜtekleiii ! 


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Die  beiden  Lieder  IX— «X,  deren  ersteres  eine  ZiWMnimniatgn^ 
ist^  sind  Dmatko^B  j^Gnunmatik  der  Sägennenpnehe"  entBommen,  wo 
sie  auch  zum  erstenmale  Terdffentfidit  sind,  üeber  den  IHdekt  Aeeer 

lieder  erfahren  wir  Näherem  vom  Erzherzog  Jose^  welcher  an  den  Ver- 
fasser »ler  Grammatik  folgende  Zeilen  richtete  :  „Nach  meinen  Erfali- 
rungcn  nimmt  die  Sprache  (lieser  Zigeuner,  welche  Ihre  AufinerkiSÄiii- 
keit  auf  sicli  gezogen  bat,  zwischen  den  böhmisch-mährischen  und 
nngaziflchen  Dialekten  eine  mittlere  Stelle  ein ;  doch  haben  sie,  nach 
dem  Oebranoh  der  Consonaaten  sn  schlieasen,  manohee  tob  der  in  wakp 
chieehen  und  slavoniBchen  Gegenden  ftbliofaen  Annprache  sieh  angeeig- 
net; der  grammatische  Ban  steht  dem  czechtsch-m  lihrisohen  naher  ak  der 
Sprache  der  niederlJinder  und  der  siebenbürgisch- ungarischen  Zigenaer.* 

Es  Hessen  sich  noch  viele  zig.  Volkslieder  mittheilen,  jedoch  bieten 
dieselben  keinerlei  grösseres  Interesse,  denn  es  sind  nackte  ani>pruch9^ 
lose  Beimerelen. '  Znr  Kenntniss  ihres  Wesens  und  Charakters  dArften 
die  mitgetheflten  Ptohen  genügen.  m<.uiz  UobKNFLLu. 


VERMISCHTES. 

Zur  Gesohfohte  des  Petöft-Monumentes  entnehmen  wir  dem 

zur  Enthüllung  des  Denkmals  erschienenen  Festalbum  die  fol^^enden 

interessanten  Daten  : 

Im  November  1860  unternahm  der  vaterländische  Virtuose  Eduard 
R»:xENn  eine  Eonzert-Toamee,  die  ihn  durch  jene  Stftdte  des  ungari- 
schen Tieflandes  führte,  die  voll  sind  der  Beminiszensen  an  Alexmder 
Petdfi'  und  in  denen  auch  viele  der  schönsten  Lieder  des  Diohters  ent- 
standen, ünd  da  entstand  aneh  in  ihm  ^e  Idee,  einen  Aufruf  swr  Er- 
richtung  rin^s  Vrfnfi  Monuwcntfi  zu  erlassen.  Trotz  der  mannigfachen 
Schwierigkeiten,  nnf  wcU^lu'  damals  eine  solche  Idee  stiess,  gelang  es 
dennoch  schon  im  Dezember  jenes  Jahres,  ein  provisorisches  Konute 
au  bilden,  das,  inbegriffen  das  reiche  Erträgniss  der  von  Remtoji  sn 
diesem  Zweck  veranstalteten  Konzerte,  bald  über  ein  Kapital  von  na- 
hezu 8000  fl.  verfügte. 

Die  Zeiten  des  Provisoriums,  in  welche  auch  das  grosse  Nothjahr 
l8t)U  tiel,  waren  jedoch  dem  Unternehmen  nicht  günstig,  dem  auch  die 


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TBUnSCHTEa.  93d 

dusatigen  poKtiscIieii  Terbtitnisse  binderlieh  im  Wege  staaden ;  ja,  als 

der  unermüdliche  Remenyi  zn  Weihnachten  1865  bei  der  Statthalterei 
um  die  Konstituimng  einer  (iefinifiveii  Monuments-Kominission  sich 
bewarb,  wurde  ihm  unter  der  Hand  bedeutet,  dass  er  sich  v'm  wenij; 
gedulden  möge.  Und  erst  die  konstitutionelle  Regierung  war  es,  welche 
dM  dieebezügliche  Erlaabnus  ertbeilte.  Damals  betrug  das  Kapital  an 
10,000  GuldeB. 

Die  kcmetitaiiende  Sitzong  der  Direktion  hatte  folgendes  Beenl- 
tat  :  Ftfiaident  :  Eduard  Emimji;  VizeprSndent  :  Eoloman  Täh; 
Kassier:  Heinrich  lAmy;  Komit^mitglieder :  Johann  .^nrnf^,  Gustar 

Eitiirh  jun..  Nikolaus  Fchl'i,  August  Grcgitss,,  l'aul  Gyulai,  .Tosef 
Hajos.  Gustav  J IrrJcenastf,  Moriz  Jolcat,  Baron  Sigmund  Kemvny^  l'aul 
Kiralyi,  Ludwig  Kuh'myi,  Martin  Lendvay,  Samuel  Petricf^-Orlaif 
Gaorg  liuth,  Hyazinth  Ronny,  Josef  Sorkaniff  Karl  Szdffz^  Moria 
SueiUhii  iUpi,  Viktor  Sgobolp,  Moria  Thon,  Ludwig  TaJnay,  Lorenz 
Tath,  Josef  Törok  und  Karl  Ymlnm;  Sehriftfltrer  :  Karl  Bemhip. 

Die  nächste  Folge  der  Konstitnirnng  war  die  Einleitung  von 
Sammlungen,  welehe  in  den  Mnnizipien  an  5300  fl.  und  unter  den 
Agenten  der  Ersten  üngarisc  hen  Assekuraii/  au  2()UÜ  fl.  erzielten.  Am 
17.  November  1871  konnte  der  Seki*etär  Heinrich  Lf'vay  bereits  ein 
Gresammtkapital  von  27,374  ti.  ausweisen,  in  welchem  auch  das  Erträg- 
niss  neuerer  Konzerte  Eduard  Bemenyi's  enthalten  war. 

Nun  wurde  aach  ein  engem  ExekiäivkomitS  entsendet»  dessen 
Mitglieder  die  beiden  Prüsidenten,  der  Schriftifthrer,  femm  OregiuSf 
KirMyi,  Degri^  Heinrich  LSvay  und  Andreas  TavasMy  worden. 

Dieses  Sornitz  beschloss,  mit  der  AnsfUhrnng  des  Monuments  den 
genialen  Nikolaus  T^so  zu  betrauen,  ferner  das  Monument,  dessen 
Kosten  nicht  üher  40,000  betragen  durften,  vor  dem  auf  dem  Heruii- 
nenplat/  geplanten  Volkstheater  zu  errichten.  Der  Künstler  begab  sich 
sofort  auf  eine  Studienreise  nach  Rom  und  nach  den  grösseren  Städten 
des  EontinentSf  am  sich  fCkr  das  Probe-Modell  vorzubereiten.  Leider  er- 
kftltete  er  sich  auf  dieser  Reise  in  einer  Weise,  dass  er,  heimgekehrt» 
den  Todeskeim  bereits  in  der  Brost  trog.  Nichtsdestoweniger  machte  er 
sich  rüstig  ans  Werk  und  Terfertigte  zwei  Modelle,  ▼on  denen  das 
Petöfi  in  der  Stellung  zeigte,  da  er  am  15.  Marz  1848  sein  Talpra 
Miujyar !  (Auf,  Magyare !)  deklamirte ;  das  andere  Modell  zeigte  den 
Dichter  in  ruhigerer  Pose,  im  Gesichtsausdruck  die  Stimmung  seines 


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884  fsuascaiBB. 

Wmfidal  (Patrio&checi  Lied).  Izso  htttte  lieber  sem  eretereB  Modell  «ne- 
gcführt,  doeh  begegnete  daaaelbe  im  Pablikom  maachen  Anfechftiuigeii, 
da  man  betonte,  die  Statue  drttcke  nlebt  den  Charakter  Pet^fi*8  aas,  eon- 

(Ivru  suclie  nui"  einen  Akt  .seines  Lebens  zu  verewigen ;  der  Kün.<.tler 
jüusste  .sicli  daher  an  die  Auf^arbeitunfj  des  zweileu  Modells  machen. 

Eine  Zeit  laug  bestand  die  Holfnung,  dass  man  die  Statue  »m 
fünfzigsten  Qebartstage  des  Dichters,  im  Jahre  1873,  werde  enthüllen 
köniieii  i  diese  Hofinung  erwies  sich  als  eitel,  und  zwar  nicht  in  Folge 
eines  Ifiaageb  an  Geld,  sondern  weil  die  Erbannng  des  Volkstheaters  am 
Herminenplatze  zweifi^haft  wurde.  Dock  das  GlQek  war  günstig.  Der 
damalige  Minister  des  Innern,  Oraf  Julius  Szapury,  fand  keinen  geeig- 
neteren Platz  für  die  Oper,  als  auf  der  Radialstrasse,  und  so  wurde  jder 
Orund  des  Vulkstlieater.s  aus  der  Zivilliste  uiu  eine  sf>  bedeutende 
Summe  abgelöst,  das.s  auch  das  Theater  auf  einem  andern,  weniger 
iheuren  Hätz  zum  grossen  TheUe  erbaut  werden  konnte.  DerÜau  wurde 
denn  auch  auf  der  Kerepeserstrasse  begonnen.  AUein  dies  war  kein  ge» 
eigneter  Punkt  för  die  Petöfi-Statue.  Das  Komite  suchte  also  187d  einen 
andern  passenden  Platz  und  fimd  Um  auoh  an  der  Donaozeile. 

Dieser  Platz  hatte,  gegenüber  einigen  kaum  beaehtenswertken 
Nacbtheilen,  ausser  der  proportioneUen  Bintheilnng  und  der  prBcktigen 
tiage  auch  noch  den  Vortheil,  dass  der  Dichter,  wenn  seine  Statue  hier 
auty,'estellt  wird,  nach  dem  AliÖld,  jener  Gegend  bückt,  die  er  als  seine 
GeburtsstUtte  stets  verheri'licht  hat.  Izso  ersuchte  die  Kommission  im 
•April  1874,  wegen  Ueberlassung  eines  zur  Erbauung  einee  Ateliers  ge- 
eigneten Grundes  bei  der  Stadt  zu  interveniren.  Die  Sache  zog  sich  aber 
in  die  Linge  und  Izsö  baute  auf  einem  leeren  Grunde  in  der  BosMigasse 
ein  zwar  bescheidenes  aber  genügend  grosses  Atelier,  das  im  IVQlgahre 
1875  vollendet  ward.  Doeh  Issö  starb  bereits  am  28.  Mai  1875,  bevor 
er  seinen  sehnlichsten  Wunsch,  die  Schaffung  der  Pet6fi-Statne,  Uttte 
verwirklicht  sehen  kr)nnen.  Die  Kommission  beschloss,  mit  dem  Werke 
einen  andern  ungarischen  Künstler  zu  betrauen  und  ilire  Wahl  tiel  ein- 
stimmig auf  Adolf  Huszdr,  da  auch  Xzsö  besonderes  Vertrauen  zu  diesem 
hochbegabten  Bildhauer  hatte. 

Die  Uebergabe  erfolgte  am  26.  August  18  7  5.  Hinsichtlich  der 
Höhe  der  Statue  acceptirte  der  Ansschuss  zufolge  der  Mahnung  Adolf 
Uuszär*8  die  Modifikation,  dass  die  Statue  statt  9V3  Fuss,  12  Fuss  heeh 
werde,  demgemftss  auch  das  Honorar  des  Künstlers  insgosMumt  auf 


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▼KSklSaRTKS.  835 

10,000  fl.  erhöht  wurde.  Soviel  hatte-  schon  Nikolaus  Izso  von  seinem 
Honorar  von  12,000  fl.  erhalten. 

Ein  grosses  Hmdemiss  mur  fttr  Hnsiär  hei  Herstellnng  der  Por> 
traii-Aehnlichkeit  der  Umstand,  dass  von  Petöfi  kein  treaes  Bild  Tor- 
handen  ist.  In  dieser  Beziehnng  kamen  ihm  8.  Petrics-Orlai,  Paul  Gyn- 
lai.  Moriz  Jökai  und  Senats-PrSsident  SarkÄny  mit  den  inlhrem  Besitz 
l)elin41iclien  Bildern  /u  Hilfe,  indem  sie  deren  Mängel  durch  mündliche 
Weiaungen  ergänzten.  Hus/är  legte  am  25.  Oktober  1877  sf^ine  Skizzen 
dem  engeren  Komite  vor ;  darunter  tiel  besonders  Eine  duicli  schöne 
und  kttnstlerisohe  Ausführung  an^  auf  welcher  Skizze  Pet^fi  mit  durch- 
geistigtem, dem  Himmel  zugewendeten  AntKtz,  mit  der  fiechten,  den 
Mantel  haltend,  dargestellt  ist.  Hehrere  Mitglieder  spradicgi  sich  für  die 
Ansflihmng  aus,  wlihrend  die  M%)oritlit  wohl  ehen&Ds  diese  Skisse  an- 
nahm, aber  mit  der  IndividnalitSt  Bst^fi^s  die  ganz  ruhige  Stellimg 
nicht  für  vereinbar  hielt  und  verlangte,  dass  ein  Arm  erhoben  werde.  Hu- 
szär  beugte  sich,  wenn  auch  nicht  gern,  dem  Willen  der  Majorität  ;  auf 
seine  Bemerkung  aber,  dass  eine  allzu  kühne  Armbewegung  nur  der 
Schönheit  der  Ötatue  Abbruch  thnn  würde,  nahm  das  £omita  die  vom 
Künstler  empfohlene  ArmhaltaBg  an. 

Die  Angelegenheit  derPet6fi*8tatiie  entwickelte  sich  nur  u*ig«»"«j 
machte  jedoch  im  Juni  1879  einen  grossen  Schritt  nacli.vorwllrts.  Der 
Anssohnss  erfuhr  aus  dem  Berichte  Anton  Bemönyi's,  dass  das  Werk 
HiLsztir'f?  sich  der  Vollendung  nühere  ;  die  Zeit  schien  deumacli  gekom- 
men, die  Arbeiten  für  den  Erzguss  und  für  die  Aufstellung  in  Angriff 
zu  nehmen.  Da  mittlerweile  die  Stelle  des  Präsidenten  durch  den  Kückr 
tritt  Eduard  Kemönyi's  erledigt  worden  war,  ersuchte  der  Au3schu8B 
den  Grafen  Ste&n  Kärolyi  Jon.  diese  Stelle  an  tthemehmen,  welchem 
Ersuchen  der  Graf  hereitwillig  nachkam.  Dem  znrflckgetretenen  PriEsi- 
denten  wurde  protokoUarisch  der  Dank  ansgosproohen.  Statt  des  hishe- 
rigen  Schriftführers  Karl  Remteyi  wurden  die  Schriftführer- Agenden 
Anton  Remenyi  übertragen.  Hinsichtlich  des  Krzgusses  wurde  zuerst 
die  Schlick  schc  Giesseroi  aufgefordert,  doch  trat  diese  von  der  Kon- 
kunenz  zurück.  Die  Wiener  k.  k.  Giesserei  verlangte  95UÜ  Ii.  tür  den 
Guss,  die  Ziselirung  und  den  Transport  nach  Budapest.  Die  Dresdener  An- 
stalt beantwortete  nicht  einmal  die  Anffordemng,  die  Münchener  rer- 
langte  12,000  fl.  In  Folge  dessen  wurde  mit  dem  Wiener  anagezeidme- 
ten  Ersgiesser  Karl  Tarhain,  der  nur  8925  fl.  yerlangte,  der  Vertrag 


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836  VKKMI8CHTE.S. 

abgesf-hlossen.  Die  Herstellung  des  So«-kels  nahm  i)UOU  Ii.  in  An.sprucii, 
die  Fimdamentinuig  4400  fl.  Zur  Decknng  der  noch  noihwendigm 
Somiiien  trog  der  Prludent  durch  SamTnIiiiigen  imter  seineii  Freanden 
und  Bekannten  2200  fl.  bei  und  den  Best  widmete  die  Hauptstadt.  Die 
'  ISnthfillung  der  Statue  fiind  bekanntlich  am  15.  Oktober  1SB2.  statt 
Der  Bericht  hebt  noch  die  grossen  Verdienste  des  Oberb&i^ür« 
luoisters  Hüth  besonders  hervor  und  schliesst  mit  tblgemieii  Worten  : 
„Es  ist  dios  dif!  erste  St-<itue  Tetöti  s,  doch  sind  wir  überzeugt,  dat^s 
gleichwie  sein  Bahm  mit  den  Jahrhunderten  nur  zunehmen  und  immer 
glttnxender  werden  wird,  die  Nachweit  mehr  aU  mit  einer  und  mit  viel 
grossartigeren  monumentalen  Statuen  den  Dichterflirsten  der  Freiheit 
und  der  Liebe  ehren  wird,  der  auf  der  Wahlstatt  Ton  Schissbnrg  mit 
Schwert  und  Leier  in  der  Hand  geihUen  ist,  damit  sein  hehrer  Oeist»  der 
die  Nation  fortwShrend  /n  patriotischen  Thaten,  zu  Edlem  und  Gutem 
aneifert,  unsterblich  in  jedem  ungarischen  Herzen  fortlebe." 


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