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Ungarische Revue
Magyar Tudomänyos Akademia
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MIT üNTERSTÜTZrNU V.Z
UKüAJßISCH£N AlvADEMIE DER WISSßNSCHAFTEIS^
HKAAITftOKOEBlSK
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PAUL HUNFALVY
1882
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LElPZKi, 1882.
P. A. B K 0 C K H A IJ S
aOltTIMRNT ÜND AKTIQVABIVM.
G^dnMkl Iii Oer knii. hrhmmüLiii L'uivciftliM«-llH«bdnirk«-rrl.
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PUBi:!C LIBRARY
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AirrOR. LENOX ANO
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1. Abhaudlongeu.
tMte.
i%el E«9 N^ere* AawgmbQii^n i« Altofen 866
. IKe Landet-BQeliemovteUuiig 640
Afiitf J.9 Die Jngen^abre Franz RAköosi^s II 800
Rof^Sieh M.y Ungarische Kirchenlieder des XVIII. Jahrhunderts . . 517
Panko Jos., Albrodit Dürers Schmerzensmann, mit vier Illugtrationnn 20f)
Darrai M., Das uugar- Unterrichtäwesen im XYIIL Jahrhondert . . 504 '
Duka Tli., D«^nkre<lc auf W. StejdH'ii Atkinson 48S
FinAlj H., Dpi altröniische Kalender »lOO
Uyiilai P«, Donkrt'do auf Anton ("senf^ery tJlT
Heiiszlmann E., Dif Kin henruino von To}»iisko. mit f» Illustrationen 563
Hefnan K* B.» Antike lileigegeustände im un^ar. Nationalmuaeuni. ^
mit 17 Illustrationen 385
HufklTy P.» Woher der Haas gegen Ungiurn? 344
Ij^lyl Anif Die hfldende Knnat in Ungarn 377
J«kal Denkrede aof Alex. Pet66 761
Ketoll K.9 üngame Nationalitftten nach der Volfcarthhmg von 1680 . 114
Kertbenj K. M., Zor Theatergeschichte Budapests. HI. 1817—1887 . 404
Lipp W., Das Grabfeld am Dobogö b»'i Keszthely 523
ITarczali H., Ungarns Steuerqretem im Jahre 1780 235
Medreczky Fr. v., Treforts neuere Essays , . 724
Xem^nji A., Der Allgemeine deutsche Schul verein und Ungarn . . 37
Palöezy L. (Ini^arische Dichtungen in Amerika 571
Pes^ Fr., Die Kntstehimg Croatiens 1., 188
— Die Kroaten 599
Petz W. Zur vergleichenden Tropik 520
Pilsikj Fr« T.» Ungarische OxMvieiie ehoisonnte (mit 54 niogfantumen) 187
— Memoiren. III. Die Emigration 267
Pllfldqr K* T«9 Raphael Santi in der nngar. Beiche43allexie, mit 14
Dlnettationen 297
KtdA A.t Die Petfifi-Überaetnmgen, Giuseppe Cassoae*! 488
ReaeaiBld H«, Lieder der Zigeuner 888
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Siuriii A., Dir Nibelimgon in Biidn's Tod
— Donkrodo auf Adolf Dux ; . .. 255
SzilAigyi AU, Gabriel Bothlen aud die sch wedlache Diplomatie . . . 457
Szily K. Ym f>ip crdmagnetigohfn Vcrhältnis-se Ungnrnx :i62
• Thewr<Mvk E., Festus-Studipn 80
Trefort Aug., Denkrede auf M. Luk^cs 537
— — Zur Reform deg unjj. OlwrhaugeH . , 78i
Torma K., Der Limes Diicicus 21^
II. Besprof heile Bücher.*
*A1t M., Die A1>eutener Franz B^kesis. Roman .... . . 110
•Boglsich M., Ungar. Kirchenlieder dea XVIII. Jahrhunderts . . . 517
*Budeng J. SprarhwissenBchatlHiche Mittheilungen 91
- Ca-ssone (w., A- Potofi, Foglie di cipresBo, traduziono }38
Knau/. F., Monnmenta Ecciesiae StrigoniengiH ?43
*Kuy.Ar E., Das Nichts, wenn es Etwas geworden. Roman . . . . III
Loov W., Gern«» fr<y^ IVtdfi. translated 572
*MoInAr AI., Das ungar. Unterrichtswesen im XVUl. Jahrhundert. . 504
Tetz >V., Die Tropen dos KuripideH .'»2(»
Pulszky Fr. t.^ Memoiren, III. Die Enii^^nation 267
Hclienzl G., Die erdmagnetischen Verh<nigse Ungarna
Starft J., Dir» Krna.ti>n in Krnflii<*n n. Slftvnniftn . . . . , . "»Oft
•' *Szusz K., Die grossen Epen der Wrltliteratnr 450
*Szatmäry K.^ Die Beglücker des Vaterlande«. Roman 112
*T<)rma K., Uor Limes Dacicuw . '278
•Trefort Aug., Neuere EaaavH 724
III. Kurze Sitzmigslwrichte.
.ikin K.y Das social-politische Dilemma der Bildung 92
Bartalns St., Zur Geschichte dor ungarischen Musik 146
KogiHich M., ('antiouale oi pa.<;sionale hang. S. J 201
BortNks V., System untl Verbreitung dor A<pulegioji 205
Budeuz J., Tlieodor Benfey 91
— Die Etymologie von Vidlvany u. fejfa 200
Fenyvesi Ad., Der Gemoindehaushalt Budapests 747
Földe» B., Das Staatsbahnsystem 37IJ
Fraknoi W., rjeueralsekretär-Bericht 504
Franxeiian A., Das vulkanische Amphibol des Aranyor Berges bei
Dtiva 95
Fröhlteh J., Die Intensität des gebeugten Lichtes 203
OyArfAs St., Die Jazygen-Kunmnen in der Zeit von 1100—1442 . . 447
llantken M., Clavulina 8zab(5i Schi(;hten in Italien 204
• Die mit ciiieiu Stern be/.ei« Imoton Bücher sin«! nur in ungarischer
Sprache orscliien**n.
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niitfyiisi. Dir» N;i;jyl^)kor Furnlo . . ' 101 «
Hvgediih Alex., Die iiiteriu<tioiiiilt* Müii/konfco'nic ;^70
HofTuiaiui P., Oicero's Kedo pro Koacio 154
Jakab A., C»eßcliichtc der .lournalistik in Siebeiibürgeu bis IHIO . . 205
Kautz J.« Die Finanzen der ouropäischen Staaten 746
¥eleti K., Der Waarenverkehr Ungums mit Osteireich u. dem Anslande 611
. 447
Beobachtnnfjen auf <>-Oyalla im Jahre 1P81
. 201
Kremier J. A., Die jjrönliindi.whcn Fbiorid-Mineralien
04
Lakies Fr., Die geographische Breite der Ö-dyallaer Sternwarte .
94
. 586
Maylätli B., Geschichte der Obpningarisehen Ort«nnmen ....
. 202
. 103
liadrüns/kv 11., Dio nnganschc GoldHclimiedeknnsi
. 453
Kozsalieiryi A., I>i-' rii.>trur scho ^chllt7.unlltun;^ ... ...
0<
Saiaulon rr.. Noi fi » m verscnuniKlPTiPs Komitat
206
Sflmiidt A., Baryte uiul WinssMci-Krzo in Toleke.s-Hiulobiinya . .
1)5
.Salanika A., Unser Fortschritt und die men.schliche GlflckHeligkeit
. 452
. 90
Szahö K., Die unprar. Bürger KlansPTiburg« im J. 1453
. 207
Szil^iz K., Gedichte des (»raten Lad. ieleki
. 201
Ol
207
Szcutkläray K., Hundert .hihro ans der (Jeschirhte Siidungarn« . .
05
— Die deutsche Colonisation in Südungarn unter Josef II. . .
418
758
9«
1«M
» eher S., Zur Geschichte des Aberglaubens .......
752
91
444
Vccsej Tli,, Die Rechtsgeschichte unter den Äqiddeu
202
ZIchjr A., Au.s dem Nachla-s-se de.s Grafen Stet". 8zeclionyi .... 95
/sIliHKzky M., Der Pressburger Landtag von 1809 203
IV. Cborsetzto Oedichie.
Aniny J.« Toldi's Liebe, f. Gesang, von Adalb. Ifinipfner . .
. . 715
— Klara Zach von ^f^lT /''(M'Av/v
754
. . 780
(■julai P., Auf der Margaretheninsel, von Neugehaun . .
. 109
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GjmUI P., Wiedersehen, von Adolf ron dn- Hoidr 291
— Mein Capit&ti, von L. NeugdMuer 2l»2
— Im Balldaal, von demseVten 614
KIss Glocken-Tragödie, von I.. Neuflehauer 293
— — Gegen den Strom, von dfim« 756
V. VermiHchtftH.
Zur ungarisclifu SclmlstatiBtik . 1<>3
Statistisches von der ungariachcn Akademie 307
Dio Univei-sität Budapest im Jahre 1880 81 1(H
Die üniveraitüt Klausenburg im Jahre 1»80 206
Daa Josefg-Polytechnikum in Budapest, im Jahre 18^0 81 208
Budget der Akademie pro 1882 289
Ungarische Journalistik im Jahre 1882 290
Sfatistik der iuländiscln-n /»Mtsohrifton im Jahre 1881 C51
;?tatiBtik der ungarifichen Hochschulen im Jahre 1882 83 758
Heinr. FinAly'a lateinisches Wörterbuch 7^i9
GZur eschichte des Pot^ti->fonuments 8;V2
UttgnriHche Bibliographie 110, 294, 37tL 45.'n 630, 7t>o
DIE ENTSTEHUNG CBÜATIENS.
I.
W£KN die Kunst des Regiereus darin besteht, EreigmBBe
ToraoBziisehen und demgemäss seine Handlangen einzu-
richten, 80 kann diese unsebätzbare Voiaussicht doch nicht als
eine unmittelbare Himmelsgabe angesehen werden, sondern hat
ilire natürliche Befjründunj:; in einer «grossen Summe von Erfah-
rungen, aus weichen die leitenden Principien abstruhirt werden
müssen.
Für den Staatsmann ist die Gesehiohte die Schatzkammer
aller Erfahrungen, und die genaueste Eenniniss der tatsächlichen
Verhiiltnisse reicht iiiclit niis, um den Schaden auszugleichen,
welclier durch die Vernachlässigung der Lehren der Geschichte
entstand.
Im Nachfolgenden wollen wir den Beweis hiezu liefern.
Die Entstehung der Staaten hat immer ihre gewissen Vor-
bedingungen, die sich in der Geschichte mit wenig Abwechsluntr
wiederholen. Ein Nomadenvolk, vom Selhsterhaltungstrieb ge-
führt zieht weiter, um neue Niederlassungen zu suchen, die viel-
leicht bleibende werden ; ein Eroberer, an der Spitze eines kräftigen
Volkes, macht seine Ueberlegenheit über corrampirte Nachbar-
völker geltend, und gründet neue Reiche ; eine Nation im Voll-
geiiuss geistiger und materieller Mittel empört sicli gegen Druck
und überlebte Institutionen : es wül frei werden, und wagt daher
das Aeosserste für das höchste menschliche Gut, für seine Freiheit.
So entstehen Staaten, deren Bestand eine Berechtigung hat, weil
sie die allgemeinen sittlichen Interessen der Mensdiheit fordern.
Ungariaelie B«TDe, lh82, I. Heft. ]
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2
DIE ENTSTEHUNO OBOATIBKS^
Diese Anschauum^en VDrausseiidf ii.l. miU^cn uns die Aspirji-
tiüueu Croütiens iu einem sondt^-bart-n, um nicht zu sagen komi-
schen Liebte erscheinen. Die Croaten hahen schon längst auf-
gehört ein Nomadenvolk zn sein, ihre Zahl drängt sie zu keiner
Expansion, Eroberer hatte ihre Nation nie hervorgebracht ; eine
geistige oder materielle Ueljerlt-Lreuheit ü}>er Xaelil)arvölker ist
nicht vorhanden, — bhebe also nur noch die Freiheitsfrage, die
wir nicht unterlassen werden, bezügUch ihrer Echtheit eingehender
zu prüfen.
Gewiss schwärmen wir nicht für das Recht des Stärkeren,
für das Recht des Eroberers. — al-t-r gewiss kommt dieses Reciit,
\veiches in der Weltgeschichte wohl immer eine entscheidende
Rolle spielen wird, zu Ehren, wenn man die in seiner Art einzige
Erscheinung betrachtet, wie von gewisser Seite auf die Bildung
eines Gross-Croatiens hingearbeitet wird. Die Mittel hiezu sind
flfüiiz einfach : immer und immer nur viel verlangen, und zwar sehr
dreiht mul ungestüm verlangen. — den Erfolg sichert die Naivität
des Gegners, der dem Verlangenden nachgeben soll.
Das Volk der Croaten besitzt heute Länder, auf welche das-
selbe keine historischen Ansprüche hat, — wir meinen den ganzen
Landesstrich zwischen der Drave und Save. Die Namen, welche
heute diesen Teilen Ungarns gegehen werden . sind nur eine
Fictiou, die leider schon sehr lauge dauert, und deren Gefähr-
lichkeit unsere gutmütigen Staatsmänner nicht erkannt haben.
Damit nicht genug, sollten auch Dalmatien, Fiume, Istrien,
Kratn etc. Bestandteile Znkunfts-Croatiens werden. Mit unga-
riseliHU und österrt ichisdu-n Trupp^-n. mit dem Blute inisen r
Söhne imd mit den Millionen unserer .Steuerzahler wurde Bosnien
und Herzegowina occupirt ; — das soll aber geschehen sein, um
diese Länder den Gross-Groaten auf dem Präsentirteller zu
überreichen.
T>as ist wohl die leichteste Art des L mden-rwerhs und der
Eroi'erung.
Die Autonomie ist wohl ein kostbares Wort für die Croaten,
daraus lässt sich Vieles machen. Vorläufig sollen nur die wenigen
I* B * *
:
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DIE ENTSTEHUNG CROATIENS. 3
schwachen Bande, die Croatien noch an Ungarn binden, Namens
der Autonomie gelöst werden. Sagen vir es trocken, dass das
nichts anderes wäre, als die Lostrennung von Ungarn. Die croa-
tischen Weisen gehen sich dabei die Miene. oh gieicbzeitip: mit
der Lostrennung von Ungarn der directe Anschiuss au Oes>terreich
gemeint wäre. Oesterreich weiss aber zu gut, dass ein solcher An-
Bchlnss nur das allerkürzeste Provisorium wäre, und dass in
Agram die deutsche Sprache eben so verhasstist, wie die un-
fs^ariscbe.
Gewiss eine sonderhare Erscheinung, dass ein kleines Volk,
dem zur staatlichen Existenz so gut als alle Vorbedingungen fehlen,
sich zu solchen Extravaganzen versteigt und aus dem Staaten-
•eomplese einer Grossmacht, während sieh dieselbe ihrer ganzen
^'uhkraft erfreut, nach BelielK'n sich Teile zur Errichtunj:: eines
fantastischen Zukunftsreiches wiililt : und dabei noch dt u Anspruch
erhebt, dass man diesem staatsgefährlichen Streben \'or8chub
leiste.
Solche Erscheinungen sind eine Eigentümlichkeit unserer
Zeit. Ruuianien und Serbien waren noch nicht frei, und schon
liatteu sich sclione Seelen gefunden, die das eine und das andere
Liaud reichlich auf Kosten Oesterreich-Ungarns und der Türkei
aiTondirten. Wie man sich die Vergrösserung dieser Länder dachte,
davon zeugen die Landkarten, die selbst in den Schulen Einc:an.&[
fanden, und die Münzen, welche in Circulation kuun n. J)ivi.'?eruut
vestimenta. Es konnte nicht fehlen, dass hei so ^a-ossem A]ipetite
ntiserer Nachbarn Ansprüche auf ein und dasselbe Gebiet von
mehreren Seiten erhoben wurden.
Natürlich, — das ist ja heut zu Tage ein ganz unschuldiges
Vergnii^ion.
IXu Bewegung im Gebit t zwischen der Drave und bave ent-
stammt keinem Freiheitsbedürfnisse. Sie wurde grossgezogen an
den Brüsten der Beaction, und verläugnet diesen Ursprung nie-
mals. In den fünfziger Jahren haben sich die Croaten wedejj^
gegen den österreichischen Ahsolutisnuis. noch u'eL'<-n dir Allein-
herrschaft der deutschen Sprache aufgelehnt. Sie haben zur
I*
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4
DIE ENTöItUUNü CB0AT1KN8.
Wiederbtrstellung der Verfassung und der setzlicheii Ordnung
nichts beigetragen, sondern sich zuerst in der dorch Andere er-
kämpften besseren Lage wohnlich eingerichtet, und dann erst
Lärm geschlagen, dass ihnen die Freiheit zn enge ist. Wie aber
dieses Freiheitsf^efühl beschaffen ist, geht daruns hervor, dass man
noch heute sich nicht entblödet, den Ungarn mit der Wiederholung
der 1848-er Ereignisse zu drohen, — Ereignisse, die uns die
Croaten als Söldlinge der verworfensten Beaction zeigten, daher
man glauben sollte, die Qroaten empfanden das lebhafteste Inter-
esse, diese ihre Kolle in Vergessenheit geraten zu lassen.
In Ungarn und in jenem seiner Teile, ^velcher irrig Croutien
heieet, besteht an politischen Bechten nicht der geringste Unter-
schied und dieses Maass reicht aus, um die cultivirteste Mon-
archie Europas zufrieden zu stellen.
Er ist von mancher Seite behauptet worden, die Feindseligkeit
Croatiens gegen Ungarn entspringe der Ungerechtigkeit, welche
dieses von letzterem in der Zeit vor 48 erfahren. Dieses ange-
nommen aber nicht zugegeben, sollte man meinen, der Friede und
die achthundertjährige Zusammengehörigkeit sei wiederherge-
stellt, sobald <lie inissliebii,'en (lesetze und Institutionen abge-
schafft sind, und der Status quo ante abermals ins Leben tritt.
Doch solche specielle Uebelstände, die eine Abhilfe er-
heischten, gab es nicht, es bestand in Wien nur die Absicht, in
Groatien eine Vend^e zu schaffen, und sie wurde geschaffen ; aber
die Folgen tru«^ un<i tragt nicht Ungarn allein ; denn das schlechte
Beispiel wirkt. Man hat sich in Wien vt r^znüu't die Hände gerieben,
wenn man von den Verlegenheiten hörte, welche dem ungarischen
Staate ans Groatien erstanden. Heute hat Oesterreich ebenfalls
sein Groatien ; denn Böhmen sieht neidisch auf die bevorzugte
Stellung Croatiens herab ; und wenn man diese Stellung als Pro-
duct bolu-r Weisheit gelten lassen will, dann ist wirklich nicht ein-
zusehen, warum das reichere und intelligentere Böhmen nicht
ebenfalls einer solchen Stellung sich erfreuen soll, wie dies soge-
nannte Groatien.
Ohne sich eines Unzechtes bewusst zu sein, hatte Ungarn
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OJE ENTSIEaUNG CROATIENS.
5
stets das brüderliche Einverständniss mit Oroatien angestrebt, hat
diesenf Streben seine vitalsten Interessen geopfert und Gefahren
heraufbeschworen, die nur durch eine radicale Revision des beste-
henden Ausi^leicbii oder einen Bürgerkrieg beseitigt werden können.
Der imgariscbe Reichstag gab den Croaten das «weisse Blatt
um darauf ihre Wünsche zu verzeichnen, welche den Frieden
in Croatien herstellen sollen. Das weisse Blatt ist an den verehrten
Namen Franz Deak's f^eknüpft, und bat durcb die folgenden Er-
ei^misse eine traurige Berübmtbeit erbiugt. Deak und seine An-
hänger haben sich während der lS68er Ausgleichs rerbandlun^^en
als Männer von reinem und edlem Charakter, doch auch als
schlechte Politiker bewährt. Das berüchtigte weisse Blatt ist auch
heute nicbt voll gescbrieben, und würde den Croaten nicht ge-
nügten, aucb Wenn es die Grösse des Alföld hatte. I>!is weisse
Blatt ist eine Negation des historischen Bechtes, auf wt Icbeni der
ungarische Staat aufgebaut ist, und eben darum hat dieses weisse
Blatt — welches mit unserem Staatsrecht tabula rasa macht, —
keinen Platz im Rahmen unserer Constitution. Das weisse Blatt
ist der Cuhninationspunkt aller Fehler, welche seit Jabrbunderten
begangen wurden und unbemerkt sieb unterirdisch verbreiteten,
bis sich dieselben zu einer croatischen Frage cumulirten, welche
vielleicht noch unseren Enkeln das Leben verbittern wird. Sollte
dies der Fall sein, daun möchten wir für die Dauer der Verehrung
Franz Deak s. trotz seiner sonstigen grossen Verdienste, nicht
gut stehen, welcher man soeben durch Errichtung seines Slfjmd-
bildes am Franz Josefsplatz Ausdruck zu geben bemüht ist. Das
Standbild dürfte schwankend werden.
II.
Wir wollen die Fehler ausführlich besprechen, welche die
Entstehung eines Croatiens möglich machten.
Der Zweck unserer Beweisführung erfordert es nicht, mit der
Einwanderung der Slovenen von jenseits der Karpatben. noch
mit der Invasion der Croaten in Dalmatien ((>4(> — <>4i2) zu be-
gumen, es genügt zu bemerken, dass Dalmatien iui Jahre 806 sich
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o DIE ENISTKHUNG CB0ATIEK8.
N
Karl dem GroBsen unterwarf, und als das Frankenreicb in Folge
der kriegerischen Erfolge des Patriciers Nicetas sich nicht mehr
halten konnte, die Herrschaft der byzantinischen Kaiser aner-
kannte. J)ii9 einst grössere Dalmatien ist derUrsitz der Croaten an
der Adria, Die croatischen Herzoge und späteren Köni^re al»er er-
freuten sich niemals einer vollen politischen Unabhängigkeit, wie
dies ans Nachstehendem ersichtlich sein wird.
Biese YerhAltnisse fanden die ün^m an der Save und auf
der Baikan-Hallunsel vor. als ihre sie^a-eiclien WatTen in der
zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts an den Ufern der mittleren
Donau ertönten.
Die Geschichte der Eroberung Unter-Pannoniens, wir geben
es zu, dürfte nicht in Allem nach der Darstellung sich ergeben
haben, wie dieBe imst r altt ster Chronist, der Notar Konig Behi's
erzahlt. i)och wir können nicht absehen von dem Eindringen der
Ungarn in Bulgarien imd Kascien, nicht von ihren Streifzügen bis
an die Ufer der Adria, von der Bezwingung Spalatos und Croa-
tiens, von ihrem vom Süden aus bewirkten Uebergang über die
Kiilpa imd Save, von der Einnahme Agrams und von der P>ohe-
rnng des Gebietes zwischen der Save un i der r>ran. Diese Ereig-
nisse wollen wir durchaus nicht den Dichtern überlassen, weil
sie durch spätere Tatsachen und Zustände bestätigt werden.
Einer der grössten Einwürfe Böslers, welchen er gegen die
Glaubwürdigkeit des königlichen Notars bezüglich der obigen
Ereignisse erliebt, besteht in seinem Zweifel, Arpäd's Heer-
schaaren in Rascien (in erra Kaey) gekämpft hiitten, da — wie
Bosler meint, — der Name Bascia vor dem Jahre li34 un*
bekannt, und nur durch die Fürsten aus dem Hause Nemanja in
Aufnahme L'ekommen sei. Dagegen berufen wir uns auf Kaiser
Constjintin Purphyrogeuetos, der (Cap. Wd) bereits von einer
Stadt Kasa spricht, welche nacli Safarik in der Nahe des heutigen
Novibazar, also im alten Bascien lag. Ueberdies werden die Siege
des Herzogs Andreas, Sohnes Bela des Dritten, in Chulmien und
Bascien (terra Basse) schon in Urkunden vom Jahre 1198. also
gleichzeitigen t^)uellen erwähnt. E.s kann demnach nicht behauptet
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DIE LNT8TEHUNU CKüAli£N8.
7
werden, daes der anonyme Chronist den Namen Kascien nicht
gekannt habe» vielmehr ist dieser Name gerade dmrcb die unga-
rische Geschichte zur Verbreitung gelangt.
Der Heereszti^ der Ungarn an die Adria, tind deren Kückkelir
nber Agram, wird von den Schriftstellern auf die Jahre .s^Ji-
und 595 gesetzt. Wie w ir unten sehen werden, erfolgt die Ero-
berung der Provins Brazlaws etwas später, nämlich erst mn
das Jahr 900, somit war sowohl der westliche, als der östliche
Teil des Gebietes ziÄ'iselien der Drave und Save in der Gewalt
der l'ngarn, und seit du-ver Zeit bildete die Save die Sud^^renze
Ungarns, eine Tatsache, an welcher die zeitweiligen Eroberungen
der Griechen nichts änderten.
So wie der untere Lauf der Save die Grenze des griechischen
nnd fränkischen Beiches bildete, eben so diente znr Zeit der
Franken (Ende des VlII. und Anfang des IX. Jahrhunderts» die
L)rave zur Abgrenzung einzelner Verwaltungsgebiete. Die Franken
nämlich fanden es nicht zweckmässig, die südlichen Grenzgebiete
ihres von den Pyrenäen bis an die Ufer der Theiss sich erstreckenden
Reiches sogleich als politisch gleichberechtigte Teile einznver-
leihen, sondern begnügten sich mit der Einhebung von St» uei ii und
▲bforderung von Hilfstruppen ; es scheint, dass sie auch keine Gau-
einteümig vornahmen, sondern die Verwaltung des unterworfenen
Volkes (sich den Franken znr Trene verpflichtenden) einheimischen
Fürsten übertmgen, denen ein Markgraf als militärischer Befehls-
lial>er, und ein bairisclier Pralekt als liiehter vorstand. Dem Herzog
von Kärnten unterstand der grossere Teil Steiermarks , Krain,
das südöstliche Tirol, Istrien, Libnmien, Dalmatien und das Ge-
biet zwischen der Drave und Save. Ein anderer fränkischer Grenz-
bezirk begann an der Drave, und umfasste Unter- und Ober-
Pauuonien und die österreichischen Lande an der Enns.
In den ersten Jahrhunderten unserer Geschit hte wird Dai-
matien mit Croatien immer zusammen genannt, es ist jedoch weder
den croatischen SchriftsteUem noch sonst irgend einem Forscher
gelungen die Frage aufzuklären, wo sich die Grenzen dieser beiden
Länder berühren und wo sich dieselben trennen.
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8
DIE ENTSTEHUNG CROATIENS.
Auch spat«'r( -Tuhrliuuderte machtea zwischen beiden Ländern
keinen Unterschied.
Zur Zeit der Homer, namentlich im IV., V. und VI. Jahr-
hundert, hiess das Land zwischen der Drave und der Save Sayia,
und erstreckte sicli von Unter-Kraiii bis Svrinion. Unter dem
Grotheukönig Theodorich hatte Savia eine Provinzialverfassimg,
deren Präsident Fridilad, ein Gothe war; wahrend der fränkischen
Herrschaft hatte das Gebiet gar oft keinen eigenen geographischen
Namen, sondern wurde nur als zwischen den zwei Flüssen liep^end
bezt ichnet, — auch der Name Savi.i ist ja el»( nfalls uiclit dem
Namen eines Volkes entnommen. Die Griechen nannten das Land
Francochorion, das heisst das Land der Franken, und Bösler
meint, das syrmische Gebirg Fruskagora habe semen Namen toh
dieser Benennung des fränkischen Landes entlehnt. Später, wäh-
rend der unrjarischen Ej)oclie. nanutt-u die Griechen das Land
Sjrmien, woraus wir folgern, dass von der fränkischen Provinz
nur der an den Mündungen der Drave und Save gelegene Teil
'sich in den Händen der Griechen befand.
Zur Zeit, in welcher nach König Bela*s anonymem Notar,
Arpail und seine Heerführer das liyzautinische Reich mit ihren
abenteuerlichen Zügen durchstreiften, la<^ das durch ihn t-rwahnte
Croatien weit abseits von dem heutigen. Im IX. Jahrhundert lebten
nämlich die Croaten an der dalmatinischen Küste, insofern die-
selben durch die römischen Städte Dalmatiens von diesen Küsten
nicht abgebalten wurden. Ihr Land begann gegen Norden nächst
dem Albona (Lubena) oder Arsa-Fluss an der alten Grenze Istriena,
und zog sich südhch bis an die Mündung der Cetina ; ja selbst jen.*
seits dieses Flusses gab es zwei Zsupanate, jenes von Ghlewno
und Imota. Im Nordost erhob sieh Plewo (heute Pliva) am gleich-
namigt ii NVbentiuss der Verbasz, und dies ist der zumeist vorge-
schobene Punkt in dieser Richtung, woraus Safarik die Berech-
tigung ableitet, die Mündung des Verbaszflusses als Grenze der
Croaten anzunehmen. Im Nordwest, wo Croatien angeblich sich
noch zwischen den Gebirgszügen über Tstrien hinaus ins Innere
erstreckte, kann das croatische Gebiet bi> an die Quellen der
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DIE ENTSTEHUNG CRüATIKN8.
9
Kiilpa erstreckt werden, indesst ii tiiideu sich, jenseits der Linie,
welche sich zwisehen Zeug und Sziuin hinzieht, nirgend welche
Ortschaften 7or.
Die Kulpa, welche ein ^'ut Stück entlang in nördlicher Bich-
tunir riiesst. biegt bei Motling wieder <xe<?en Osten in der Richtung
vou Kamauye. Dieser Punkt ]>ildet die nördlichste Grenze, welche
das Agramer Bistum vom Herzogtum Krain trennt; und in
dieser Gegend sind die Chrenzen des genannten Bistums zugleich
jene des alten Croatiens. Unmittelbar am Meere war das an Fiume
gi-enzende Torsiikt der nördlichste Punkt.
Wenn mich Kaiser Constantin deui Purpurgel xn-enen, Croatien
an der Getina (Zentina) beginnt, und bis au die istrische Grenze
sich erstreckt, dann hat er wohl das von Croaten bewohnte Land
bezeichnet, aber keineswegs Dalmntien von Croatien unterschieden.
Es ist schwer den croatischen AhiIkü aus Dalmatien heraus-
zulösen, selbst Papst Nicolaus IV. hatte im Jahre l:iJS8 Croatien
in dem Namen Dalmatiens mitverstanden.
Gewiss ist es, dass das alte Croatien aus den heutigen Ogu-
liner, Szluiner, Otochaner Ghrenz-Begimentsbezirken, aus dem Ge-
biete des Capeilagebirges bis zur Adrin V>estand, und von Zeng
gegen Osten alle jene Landesteile in sich begriff, welche gegen
Korden durch die Unna und Save begrenzt werden.
Es enthielt demnach nicht das Gebiet zwischen der Kulpa und
Save (obzwar Spruner dieses dazu rechnet), nicht Turopolya, nicht
A(2Tam und das gleichnamige Comitat, eben so wenig das Kreutzer
und Varasder Couiitat , überhaupt keinen Landesteil, welcher
sieb am nördhchen oder linken T'fer der Save erstreckt.
Mit diesen geographischen Begriffen müssen wir im Beinen
sein, wenn wir die erste Begründung Ungarns in der Savegegend
verstehen wollen. Die croatischen Herzoge und späteren Könige
herrsehten über jenes Croatien, w.dches ich eben beschrieh, und
dieses eroberte König Ladislaus im Jahre lUlM, wahrend die
Laadesteile zwischen der Drave und Save von den Ungarn be-
reits früher erobert wurden, wie ich dies an anderer Stelle
nachwies.
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DIE EKT8TEHUNO CB0ATIEN8.
Der älteste urkimdlieli bekannte croatische Herzog war Miä-
• laviiB, den Trpimir im Jahre 85i seinen Vorganger nennt. Ihm
* folgte Domogoj, der im Jahre 865/6 mit den Venetianem Frieden
schlosB, und den Papst Johann VIII. im Jahre 873 dnx gloriosns,
ein»- Chronik alter Sclavonim pessimus du\ nennt. Beinahe um
dieselbe Zeit (n7."*) plüudr rte llHcus Schivonia- princeps die istri-
Hclien Seestädte. Abermals schreibt Papst Johann YIII. im J. 879
Sedesclavo glorioso comiti Sclavomm. Er stammte aus Trpimir*8
Familie, nnd gin^; nach Constantinopel, wo er durch Kaiser Basi-
lius zum IIerz(><; <1t r Sl;ivt n erhoben wurde, und darauf Domogoj's
Sohne in die Verbannung schickte. Es ist wahrscheinlieh, dass der
griechische Kaiser damals die von den dalmatinischen Städten zu
zahlende Steuer dem erwähnten croatisehen Fürsten überliess.
Hiedorch schwand der Zusammenhang der Groaten mit den
Fr.inkt n, welclier seit Auf losung der Markgrafschaft Friaul ohnehin
sehr lose war, nunmehr ^'anzlicli.
Noch in demselben Jahre (879) sprechen päpstliche Briefe
von Herzog Branimir, der auch im Jahre 880 vorkommt, und den
der Papst bald princeps, bald comes nennt.
^funtimir, wcU'lier im Jahre 89:2 Trpimir's, dem Spalatoer
Bistume erteiltt Privilegien bestätigte, nannte sich Giroatorum
dux — Herzog der Croaten.
Tamislaus oderTomislav^in einem Briefe Papst Johannis X.
noch Croatomm dux, wird wäh]:;end des Concils von Spalato (9i25
bis *.)'27) bereits Croatorum rex — König genannt.
Diesem folgte Crescimir der Aeltere, dessen Sohn Dircislav im
Jahre 994 und iUCM) die königliche Würde trug. Den von Manchen
als croatisehen König angeführten Svetoslav kann ich als solchen
nicht gelten lassen, weil ihn keinerlei Urkunde König nennt, son-
dern mir Solm\ieues Crescimir. der Crescimir Peter's Grossvater
gewesen. Letzterein lolgte als König Stefan, der Vater des er-
wähnten Crescimir Peter.
Crescimir, sonst auch Peter genannt, nennt sich in einem
Schreiben vom Jahre 1059, tmd in einem andern, welches nach
Kacki um das Jahr lOOii in Nona ausgestellt wurde, Chroatorum
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DIE ENTSTEHUNG CUOATIENS.
11
Dnlmatinorumque r*-x. Trotzdem Bassen zu dieser Zeit die Beiunten
des griechischen Kaisers in Dalmatien, und obgleich bei Güter-
w
Verleihungen und Grenzbestimmangen auf die Einwilligung des
croatischen Königs Berufnnjr geschieht, so erliesH doch der kaiser-
liche Kutapun seine VerordniuiKtn im Namen des Kaist-rs Comnen
oder Constantin Ducas; ja so«^ar König Crescimir berief sich im
Eingange seiner Erlässe auf die Regierung des in Constantinopel
sitzenden Kaisers, zur Bestimmung der Zeitrechnung; wie dies
z. B. die zn Gunsten des Klosters in Jadra erlassene Schenkimgs-
urkundc l*e\v»'i8t.
Crescimir erscheint noch im Jahre 1073 als Koni«:: der C'roaten.
Im darauf folgenden soll, nach Kukuljevics und Backi's Behaup-
tung, Slaviz croatiscber König gewesen sein, was aber nicht ganz
gewiss ist, da ihn die citirten Urkunden König, jedoch ohne Be-
zeichnung des TiRndes nennen.
Bemerkenswert ist, dass im Jalire 107<i Demeter, sonst auch
Szvinimir aussagt, dass er die königliche Macht von Pupst Gregor
erhalten habe, und dass er, nachdem er auf dem Goncil von der Geist-
lichkeit und dem Volke in der St. Petersldrche zu Salona erwählt
wurde, mit reberreiehung von Falme. Schwert. Scepter und Krönt
zuiji Ktmifj von Croatien undDahnatien gekrönt wurde. In andern
Urkunden dieses Jahres nennt er sich einfach äzvinimir, in einer
derselben spricht er von seinen Vorfahren Tirpimir und Mutimir
als von Königen, welche Angabe aber, wie wir sehen, den Tat-
sachen nicht entspricht.
In Bezug der croatischen Königswürde ist zu bemerken, dass
Dircislavs Nachfolger die Insignien der königlichen Herrschaft
vom Kaiser in Constantinopel erhielten, und dass daher die fac-
tische Abhängigkeit von Constantinopel auch formell zu einem
Vasallenverhültniss sicli gestaltete.
Szvinimir trug die Krone noch im Jahre 1087. Urkunden
jedoch, welche ihn über diese Zeit hinaus erwähnen, sind ent-
weder falsch, oder es lässt sich deren Zeit nicht sicher bestimmen.
Schon im Jahre 1089 wird Stefan II. Könij; von Croatien und
I>almatien genannt, und war zugleich der letzte in dieser Würde,
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DIE ENTSTEHUNG CR0ATIGN8.
weil Koui^' Ludislaus von Ungarn im Jahre lOlH ganz Croatien
and Dalmatien eroberte.
Das Land, welches unter der Herrschaft der croatischen Her-
zoge and späteren Könige stand, warde collectiv auch Skvonien
genannt, der Titel dt r croatischen Könifz»* war rex Dalmatia- et
Croati*, oder : rex Croatorum et Daimatinorum. Niemand möge
sich daher irre führen lassen, wenn in dieser Epoche der Name
Slavonien Torkommt, weil unter diesem nicht das (Gebiet zwischen
der Drave und Save yerstanden wird, sondern das alte Croatien,
dessen Gn nzen wir hereits ohen heschriehen.
Sienuils iraren die Briefe der croatischen Kiniuje aus Orten
daiirt, die »ich diesseits der Kuipa und Save befinden^ niemals er'
Hessen sie, oder ihre Beamteten Verfügungen, welche sich auf diese
Gebiete bezoijen. weil solche, wenn sie auch croatiscbe oder slo-
Tenipche Bevölkerung hahen mochten, ausserhalb ihres Kechts-
kreises lagen.
Der slaviscbe Name erscheint in sehr vielfältiger Anwen-
dang, und konnte sich nur sehr spät zu einem Landesnamen con-
solidiren. Sedesclayns wird im Jahre 879 comes Sciavorum pe- ^
nannt. was al»rr Comes Cliroatnrum bedeutet : der Papst sclireil»t
im Jahre .sÜO Zuentopolco re<;i Sciavorum, das heisst dem mäh-
rischen Szvatopluk ; im Jahre 9i6 wird Michael rex Sciavorum
genannt, während er eigentlich Zaehlumorum dux ist ; so schreibt
aach der Papst im Jahre 1078 an Michael Sciavorum refn> welcher
gleichfalls nur Herzog von Zachulmien war. In einem Brief Papst
Nicolaus IV. vom Jahre 12S8 werden Helena regina bhivorum,
ihre Söhne Stefan und Uros aber als reges Slavorum erwähnt,
doch war Helena Königin von Serbien und ihre Söhne dortige
Prinzen.
Das Kreuzlieer. welches im Jahre 1006 unter Baimund Grafen
von Toulouse angeblich dm'ch Slavonien zog, betrat eigentlich den
Boden Alt-Oroatiens und Dalmatiens, weil man nur durch dieses
zu den Städten Judra, Salona, Spalato, Ragusa und anderen Städten
gelangen kann. Dies war auch die Kenntniss der gleichzeitigen
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DIE ENTSTEH UNO CR0ATIEN8. 1*^
auglaudisclieu Schriftsteller über den eigentlichen Beütaud SU-
Toniens.
Welchen Namen trog also das Gebiet zwischen derDrave und
8s¥e, nnd wessen Herrschaft unterstand es vor der Besits-
ergreifun^' durch die üii<?arn?
Hierauf geben unsere Geschichtsquellen genü<:eude Antwort.
Das Beioh der Avaren, welches über das griechisohe Kaiser*
tnm beinahe völlige Yemichtiing brachte, und dessen Grenzen
bis an die dalmatinische Küste reichten, hörte in der zweiten
Hfllfte des VIII. Jahrliundt^rts so ziemlich auf, eine drohende irv-
fahr für Europa zu sein. Karl der Grosse, um sich für die Hilfe zu
neben, welche die Avaren ihrem Bundesgenossen, Herzog Tas-
silo geleistet, brach im Jahre 791 mit einem mächtigen Kriegsheer
in das Land der Avaren, die dadurch in starke Bedrängniss ge-
rieten, olme dass der Krieg entscheidend gewesen wäre. Nielits-
destoweniger wurden die Avaren geschwaclit, weshalb sie im
Jshre 795 den in Lüneburg campirenden Frankenkönig mit
einer Botschaft begrüssten, hiebei ihre Unterwerfung und die An-
nahme des Christentums gelobend. Im kommenden Jalir^ drang
Erich, Herzog von Friaul, mit einem frankisclien und longobar-
dischen Heere und vereinigt mit dem Slaven-Herzog Wonomir in
das Avarenreich, und gab dadurch der Auflösung desselben einen
neuen Vorschub.
Von diesem Wonomir meint Dümmler, dass er vielleicht ein
croatischer Gross-Zsupan gewesen sein mag, in Erinnerung dessen,
dass es auch einen croatischen König Zwonimir gegeben, — doch
halt er es für eben so möglich, dass Wonomir ein slovenischer
Purst zwischen der Brave nndSave gewesen, der nach Zerstreuung
der Avaren sich an die Spitze des befreiten Volkes stellte.
Es scheint, dass sowohl die byzantinischen, als auch die frän-
kischen Kaiser die slavischen Fürsten in der Regierung der ein-
zehien Provinzen beliessen, sich mit deren Vasallentum und Un-
terordnung unter die Gebote eines der nächsten kaiserlichen
Markgrafen begnügend. Einen solchen slovenischen Fürsten selien
wü in Ljudevit, welcher dux Pannoniae inferioris genannt wird, in
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I
^* DIE ENTSTEHUNG 0R0ATIEN8.
Szisztk um Zusaminenfluss der Save imd Kulpa seineu Sitz hatte,
uud im Gebiete zwischen der Save nnd Drave regierte. Er war es,
der im Herbst des Jahres 818 bei Kaiser Ludwig gegen die an-
gebliche Grausamkeit und Zügellosigkeit des Markgrafen Eodolaus,
Herzogs von Friaul, Klage führte, aber schon damals seine Neijjung
zur Auflelmung verriet, so wie er auch tatsächlich im Jahre Sil*
die Fahne des Aufruhrs erhob. Die Frauken führten mehrere
Jahre hindurch Krieg gegen ihn, bis derselbe im Jahre 823 in
Dalmatien eines gewaltsamen Todes starb.
Ljndevit wird in allen gleichzeitigen Chroniken als Rebell
bezeichnet, wodurch deutlich seine Unterorduung unter die frän-
kischen Kaiser und deren Markgrafen ausgesprochen ist. Das Ge-
biet zwischen der Drave und Save war ein Teil des fränkischen
Reiches, ohne einen geographischen Eigennamen,
Ratimir war Ljudevit's — vielleicht unmittelbarer — Nach-
folger, dessen Land sich zwisciieii der Drave und Save erstreckte,
vielleicht noch auf einige Lundereien am Süden des letzteren
Flusses. Auch er verriet Unabhängigkeitsgelüste wie Ljudevit,
weshalb im Jahre 838 ein bairisches Heer gegen ihn gesendet
wurde, welches er aber nicht abwartete, sondern seinen Kräften
misstrauend die Flucht ergriff.
Um dieselbe Zeit erscheint an der oberen Save Graf Salacho,
welcher dem Markgrafen von Kärnten unterstand. Der Verwal-
tung Sahicho^s dürfte also jene Gegend überantwortet gewesen sein,
welche in einer Urkunde Kaiser Arnulfs vom Jahre 895 als marchia
juxta Souvam, mit dem Orte Riecbenberp: vorkommt.
Der Besitz der einheimischen Fürsten wurde jedoch bald
durch den Einbruch der Bulgaren gestört. Schon im Jahre 824
klagt der Bulgarenfürst Omortag beim fränkischen Kaiser über
Verletzung seiner Grenzen, — seine Gesandten kehrten aber un-
verrichteter Sache zurück. Die Bulgaren drangen daher im J. S27
mit ihren Schiffen die Drave aufwärts, und verwüsteten bis zur
Save alles Land, sie vertrieben die slovenischen Fürsten und
setzten bulgarische Administratoren ein. Doch die Zeiten änderten
sich, imd die Slovenen, welche von den Bulgaren eine solch' grau-
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DIE üNTöTEHUNci CKOATIi N8. »«>
same BehaDdlung erdulden mussten. verbündeten sieb im J. 8ö3
mit diesen, empörten sich gegen Ludwig König von Deutschland,
and strebten sich von diesem loszureissen. Diesem Streben machte
ikre entschiedene Niederlage ein Ende.
Für Mutirair, dessen die Briefe Papst Johann des VIII. ge-
denken, ist in der Namenreihe der eroatiseheu Herzoge kein Platz,
wir können uns ihn nur in der Verwaltung jenes Gebietes vor*
stellen., dem einst Ljudevit und Batimir vorstanden.
Die päpstliche Urkuntle ist nach Fejer : Duci Sclavoniae ; nueh
Kukuljevics duci Salvinicue, nacli Eacki duci Sehiviuicae ge-
schrieben. Mir scheint letztere Formel die richtige zu sein, welche
80 viel als slovenischer Herzog bedeutet : dux slovenicae gentis ;
daher hat Kukuljevics, als er im Index seines ürkundenbuches
diesen Mutimir Herzog von Slavouitu nennt, einen Anachronismus
Der letzte bekannte Fürst dieser Landesteüe war Brazlaw,
der über die zwischen der Drave und Save wohnenden Slovenen
herrschte, und schon im Jahre 884 sich Karl dem Dicken unter-
warf und dessen Vasall wurde.
König Arnulf traf im Jahre 892 in Steiermark zu Hengistfeld,
dem heutigen Graz, mit Brazlaw zusammen, und besprach mit
ihm den Feldzug gegen Mähren.
Nach Mährens Besiegung übertrug: Arnulf im Jahre 896 Pan*
nouien mit Mosl)uri^ (Szalavar), der durch Herzog Privina hier <:;e-
griiudeten Hauptstadt, der getreuen Verwaltung des Herzogs
BrazUw, — und dies ist die letzte Veranlassung, bei welcher Braz-
law's und seines Landes gedacht wird.
Dasselbe wurde wahrscheinlich im Jahre 900 durch die Un-
garn erobert, und zwar hei Gelegenheit, als dieselhen von ihrem
Heereszuj.' aus Italien heimkehrten.
Die Eroberung und Zerstörung des Brazlaw'schen Landes hat
nicht die Bedeutung, als wenn die Ungarn damals Croatien erobert
hätten, denn Brazlaw*s Land lag nicht in Croatien ,* nicht in dem
Croatien des IX. und X. -Tahrhuurlerts u imlich, das von der Save
südlich lag, und aus Dalmatien, sowie aus dem später sogenannten
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DIE ENTSTEHtWG CROATIENS.
Türkiscli-Croatit-n und Teilen der oroatischen Militarprenze be-
stand. Es ist gewiss kein blosser Zufall, dass über das Jahr 900
hinaus die Namenreihe der zwischen der Drave and Save regie-
renden Fürsten — die zwar auch bisher sehr lückenhaft war —
gtinzlicli aufhört, wiilircnd jene der croiitisclien Könige noch bis
zum Jalire lOlH ununterbrocben fortläuft.
Aus dem bisherigen Verlauf der Geschichte ist za ersehen, daaa
das Land Brazlaw*6 und seiner Vorgänger weder unter den Franken,
noch unter den ATaren einen eigenen Namen fährte. Bas Gebiet
dieser Fürsten war entweder in der Benennung Unter-Pannouieus
inbegriffen, oder es war als Land zwischen den zwei Flüssen be-
zeichnet; manchmal wurde es nach dem Namen des derzeitig
regierenden Herzogs benannt, indem es zur Gepflogenheit wurde,
von den fränkischen Markgrafschaften als vonLjudevit*8,£razlaw*8
u. s. w. Land zu sprechen.
III.
Betrachten wir uns nun die Zugehörigkeit dieser Gegenden
und deren geographische Entwicklung zur Zeit der Ungarn.
Mehr iils ein Jahrhundert verstreicht, bevor wir wieder sichere
Kunde erhalten von dem Schicksal der einstigen fränkiselien
Vasallen-Herzogtümer. Erst der Stiftungsbrief Stefans des Hei-
ligen vom Jahre t009, worin die Grenze des durch ihn gegründeten
Fünfkirchner Bistums beschrieben worden, zieht wieder unsere
Aufmerksamkeit auf sicli. Dieser Stiftungsbrief sagt, dass der
vierte Grenzpuukt (Köärok) an der Donau beginnt und an der
Save endet.
Diese vollkommen authentische Urkunde beweist , dass zar
Zeit Stefans des Heiligen die Grenzen Ungarns sich bis au die Save
erstreckten. Dieses beweist auch die Urkunde Konig Ladishius dt s
Heiligen vom Jahre 1093, mit welcher die östlichen Grenzen des
Fünfkirchner Bistums in jenem Umfange bestätigt werden, welche
durch Stefan den Heiligen vorgezeichnet wurden ; femers beweist
es auch die Tatsache, dass die Grenzen des Fünfkirchner Bistums
an der Save unveränderlich verblieben, bis im XIII. Jahrhun-
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DIE ENTSTEUUNO CROATIENS.
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dert (las Syrmier Bistum utuerdiugs trriclitet wurde. Dermal
gehören die jenseits der Drave gelegenen Teile des Fünfkirchner
Bistums zum Syrmier Bistnm.
Inzwischen ging der Teil zwischen der Drave und Save auf
kurz^. Zeit verloren, wahrseheinlicli an die Griechen, denn l'alatin
Kado sagt im Jahre 1057 über die von ihm gegründete Abtei von
Bzaya-Szent-Demeter, dass er dieselbe und die ganze Provinz mit
vielen Eriegsmühen zwrück erobert habe ; er sagt femers, dass die
Abtei an der Save (wo heute Mitrowitz steht) im Fünfkirchner
Bistnm iiej^'e, weshalb er auch zur AusüViung des Patronatsreehts
Bi>choi Maurus von Fünl'kirchen aufgefordert und seine Stiftung
bestätigt habe.
Als durch die Willkür des Bischofs von Kalocsa die Grenzen
des Fünfkirchner Bistums verwirrt wurden, bestätigte König
Ladislaus der Heilige im Jahre 1098 die Grenzen dieser Diöcese,
wie solche durch Stefan den Heiligen bestimmt worden, und
somit anerkannte auch er, dass dessen Grenzen bis zur Save
reichten.
Ba5ki meint, dass nach der allgemeinen Annahme beinahe
aller Gelehrten der Stiftungsbrief Palatin Radö's vom Jahre 1057
ein Falsificat sei. Wahr ist's, dass der Brief des Palatins sicli
einiger damfds ungewöhnlicher Ausdrücke hedient und dadurch
die Kritik herausfordert; nichtsdestoweniger ünden die darin
erwähnten, auf unseren Gegenstand bezüglichen Tatsachen ihre
Rechtfertigung in damaligen Ereignissen. Oinnamus, der gut infor-
niirte griechische Schriftsteller, scln-eibt, dass die Ungarn h;iuti«:
in das byzantinische lleich einhrachen, imd kurz vorher, l)evur
Alexius Comnen den kaiserlichen Tron bestieg, eroberte Bado
wieder Syrmien ; die Ungarn kamen mit der Hand des Märtyrers
Procop zurück und legten sie inSyrmien in der Kirche des heiligen
Demeter (d. h. Mitrovicz) nieder, welche einst durch den Prafecten
von lllj-rien errichtet wurde. Die Streifzüge der Ungarn in Syr-
mien, an den Ufern der Save, inThracien und Maoedonien erwähnt
aneh NieephorBiyennius. Hieraus leuchtet hervor, dass dem Ein-
hrußh der Ungarn die Eroberung der Griechen vorausging, denn
üagariscbe hevxi« 1882 I. Heft. ]
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18
DIK ENTSTEHUNG CROATIENS.
in ihrem eif^enen Lande lititteii die Ungrirn wohl keine \'tr Wüstun-
gen ausgeübt. Es folgt aber hieraus nichts als hätten die Ungarn
zur Zeit Bad6*s Syrmien nicht besessen, — sie besassen es» weil
sie es damals von den Griechen zurückeroberten. Die Kirche von
Szäva-Szent-Demeter erwähnen auch die f^riechischen SchriftsttlK r.
Indessen wollen wir die Urkunde vom Jahre 1057 opfern, ob-
«rleicb aus ganz anderen Gründen, als welche Eukuljevics gegen
dieselbe in einer Note anführt, denn die in der Urkunde angeführ-
ten Tatsachen werden auch durch andere Urkunden bestätij^t ;
sowie namentlich die Tatsaclu-. dass die Unj^arn sclion seit Gniu-
duno; ihres Königreiches im l^esitze der Savegegeud waren, nicht
allein durch Badö's Stiftsbrief uns bewiesen wird.
In einer unechten Urkunde können neben falschen Angaben
auch solche enthalten sein, deren Wahrhaftigkeit unbezweifelbar
ist. UrkuiKlenfalseher haben immer ein j^ewisses Ziel xov Auf;< ii,
zumeist handelt es sieh um Hesitzersckleichung oder um Erliiuung
einer Familienverwandtschaft, was aber mit einem solchen Ziele
nicht zusammenhängt, das zu fälschen liegt nicht im Interesse der
Betreffenden, vielmehr liegt es in ihrem Interesse, durch Vorfüh-
rung von wahren Tatsachen vmd wahrer Verhältnisse die Erken-
nung der falschen Daten zu erschweren oder unmöglich zu machcu.
Ich will mich aber in keine historische Chemie einlassen, um in
einer möglicherweise unechten Urkunde das Wahre vom Falschen
zu scheiden, sondern will nur anführen, dass daraus, weil in einer
circa \(K>1 ausgestellten l'rkr.nde Palatin Rado (Radovan) genannt
wird, notwendigerweise nicht folgt, als hätte Buio nicht schon
1057 Palatin sein können.
Auch Johann, der Diacon von Guercse, schreibt, dass als
König Andreas den Besitz des Landes sich sicherte, er seinen jün-
geren Bruder Adalhert zum HerzoL; von Blavonien (von ihm an
anderem Orte), Rido aher zum Palatin ernannt habe, hii
Andreas I. bis zum Jahre UH'>1 regierte, so ist es klar, dass Kado
schon vor dem Jahre 1067 die Palatinatswürde inne haben musste.
Auch der Diacon Johann erzählt von den Eriecrserfolgen des Pala-
liUB P»ad6 jenseits der i>rau, wo er doch den als apokryph erklar-
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Dil: ENiSTEllUNCi CllOAXIENS.
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teil, auf die Abtei von St.-Demeter an der bave bezüglicbeoi
Stiftungsbrief kaum gekannt haben mochte, — wir selbst kennen
denselben nur aus einem Transsumpt des Jahres 1404.
Die citirte I rkunde vom Jahre 1057 bezeichutii Gebbardi,
Eni^jel. Szentivänyi. Ose^^ovicb. Kiikuljevicb, Hacki u. s. \\. als
J?alsilii.'at, wiihreud Farbiti, Koller, Peterfy, Pray, Gyiu-ikovich,
AVenzel, Podhraczkj, Emil Becsi, 8telan Horvath, Ladislaus Szalaj,
Michael Horvath und Andere dieselbe als echt erklären.
Als eclit erkt-nnt sie aueb Papst Hoiioriiis III., welcber im
Jahre 1-18 bei Gelegenheit, als er das Kloster von Laberia im
Besitze seiner, teilweise auch in Ungarn gelegenen Güter bestä-
tigt, darunter auch beide Klöster von Szuva-Szent-Demeter erwähnt,
— eines derselben war nämlich ein griechisches Kloster ; und von
beiden napit der Papst, dass dieselben in Ungarn an der Save
«ieleLjt^H siii<i, I)er Papst bestätigt unter Einem das Kloster in allen
ICutznieB.sim;4eii und Privile^jinii, welche dassellie vom König Bela
erhalten. Hier ktinn nur Bela I. gemeint sein, der nach seinem
älteren Bruder, König Andreas, im Jahre 1001 den Tron bestieg
und in der Urkunde des Palatins Bado als dux Adalbertus und
Bruder des Koni;4s erwähnt wird. Aus der pnpstbcben Urkunde
leuchtet nuc b hervor, dass die Privilegien Konig Bela's nicht dem
griechischen Kloster galten, dass dolier die Stiftung Badd's sich
auf das andere bezog.
Unumstossliche Tatsachen l>eweisen es, dass der westliche
Teil des zwischen derl'rave und Save ii^elegeneu Gebietes, welches
beute fälschlich Croatien genannt wird, schon unter Stefan dem
Heiligen und König Bela I. unmittelbares ungarisches Territorium
gewesen sei. Es geht dies auch aus dem Besitzstreit hervor, welchen
Rubin im Namen der Familie V«>jkfy gegen Peter Thet6nyi und
«le-sen Fauiilie anbungig machte. Die streitigen Besitzungen bigen
an den Flüssen Pukra und Tophcza, uamentlicli gehörten auch
Keresztur und Megyurics dazu, — letzteres liegt auch heute noch
zwischen den Flüssen Pakra und lUova, im Gebiete des einstigen
ersten Banal -Begiments. Im Auftrage des Königs untersuchte
Paiatiu Dionis diesen Process und lallte in dieser Angelegenheit
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t
I
so DIE ENTSTEHUNG CROATIENÖ.
im Jahre 1^88 sein Urteil. Von den Parteien hatte Vojkfy zur
Unterstützung seiner Bechtsanspräohe ToUkommen glaubwürdige
Urkunden Stefans des Heiligen, König B^la*s L und seiner Nach-
folf?er vorige k'fjt (instrumentiB autenticis inclite memoriebeatissimi
Ste])hani etBehiBelyn coiidjim Regum illustriiirn Rc^nii Hiingarist,
et aliorum ipsis succedeiitium), weshalb aucli das Urteil zu seinen
Gunsten ausfiel ; als aber dies geschah, verglich sich Yojkf.v mit
seinen Gegnern. Im Verlaufe des Processes hatte man sich auf die
Zeuf^enschaft der zwischen der Drave und Save wohnhaften
Ma^jiiaten berufen ; dieselben waren also keine Grossen irprend
einer Provinz, welche einen besonderen Namen trug. Noch im
selben Jahre bestätigte Andreas IL das Urteil des Palatins Dionis,
ja noch sogar König Mathias im Jahre 1488. Solchen Beweisen
gegenüber muss auch der verbissenste Zweifel verstummen.
Da wir derart Stefan den Heiligen im wahrhaftigen Besitze
des durcli die Save begrenzten Gebietes linden, die Geschiclite
jedoch nicht ihn den Eroberer jenes Landes nennt, so erhellt^
dass Stefan den Besitz jener Gegenden nur von seinen Vorfahren '
ererbt haben konnte ; somit gewinnen die Eroberungen der Ungarn
am Kn<l( dv^ IX. Jahrliunderts in Bezug dieser Gegenden eine
neue Beglaubigung.
Ueber den Besitz der Griechen zwischen den zwei Flüssen
haben wir ebenfalls Einiges zu sagen. Zur Zeit Stefans des Heili-
i;en herrschten zwischen der Donau und Save bald einheimische
Fürsten, bald die Griechen. Der griechische Kaiser Basilios II.
zerstörte im Jahre 101 s den l>ulguribcUen Staat und der letzte
Czar von Ochrida fiel bei Durazzo. Nur in Syrmien sass Herzog
Sermo und wollte sich den Griechen nicht unterwerfen. Deshalb
heuchelte der griechische Befehlshaber Constantin Diogenes
Freundschaft, lud im Jahre 1019 Sermo zu einer Beratung im
Interesse eines Bündnisses ein und ermordete ihn. Dieser
GonstMutin Diogenes wurde Prafect von Bulgarien und Syr-
mien und die Griechen blieben lange im Besitze des derart erober-
ten Syrmiens.
Das Missale von Boldva bemerkt zum Jahre 1068, dass König
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DIB ENTSTEHtTNO CB0AT1EN8
Salaiuüu Bulgarisch-Weissenbuig oiniiabni, doch bald batteu es
die Bulgaren und Griechen dttrch List zurückgenommen. Die Ge-
schichte der Belagerung, wie sie Turöczy erzählt, läset keinen
Zweifel darüber, dass Syrmien damals in ungarischen Händen war.
Deshalb betrachten die Herzoge Ladishius und Gezii dm S'.ivetiiiss
als ÜperatiüDsbasis , beraten sieli üi Zabiukemeu, bestiiruien
Weissenburg (heute Belgrad), brechen in Bulgarien ein, was sie
nicht gekonnt hätten, wenn hinter ihrem Bücken die Griechen in
Synnien sitzen. Die aus Feindesland heimkehrenden Herzoge
liaiten Stand an den Hüf^eln bei Jiuzias, um sich in die Schatze
uüd die Gefangenen zu teilen, welche ihnen als Kriegsbeute zu-
gefallen. In dieses Gebiet von Buziäs brachen erst kürzlich, nach
Durchschwimmung der Save, die von der Seite Weissenbnrgs kom-
menden Biesenen und kehrten zurück, nachdem sie hier «in Un-
irarn» (stigt Turöczy) }3eute gemacht und Gefanj^ene mitgeschleppt.
Dieses Buziäs existirt heute nicht mehr, allein noch in einer
üikunde Karl Boberts vom Jahre 1320 wurden die Orte Magyar-
BqziAs, Tot-Buziäs und Eyus-Buziäs in Syrmien genannt, sammt
Szekelytelek oder Eajäntö und anderen ungarischen Dorfschaften.
Nebenbei l>e\veist dieser Feldzug auch dies, dass Ladislaus der
Heilige nicht im Jahre 1091 die Drave zum erstenmale überschritt.
Die Buhelosigkeit Salamons und seine Eifersucht gegen die
königlichen Herzoge machten es möglich, dass die Griechen Syr-
mien sich wieder aneignen konnten. Dies duldeten aber die Ungarn
nicht lange. Noch bevor Kaiser Alexius Comnen den Tron bestieg,
also vor 108 1 , eroberten sie nicht nur ganz Syrmien zurück, sondern
drangen auch in Thracien und Macedonien ein bis nach Soopia
(d. h. Skoplje, bei Yardar) und Kissa. Bestimmter setzt Badki
diese Ereignisse auf das Jahr 1078, weil nach Nicephor Bryennius
der Einfall der Ungarn, sowie die Eroberung Syruiiens und der
Savegegend dem Kaiser Michael grosse Sorgen verursachten. Die
Herrschaft Michaels dauerte von 1071 bis 1078.
Die Griechen besassen übrigens Syrmien nur bis Peterwardein,
dies auch Cinnamus aussagt, der eiustige griechische Präfect
von Syrmien.
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Sä DIE ENTSl-EHUKG CROATIEN8.
Als Gottfried von Bouillon, Herzog von Lothringeu, im Jahre
1096 mit seinem Kreuzbeere durch Ungarn zog, war Syrmien im
nng^risclien Besitz.
Und diese Zustünde sAnctionirte eine achthunder^äbrige Ge-
bell ichte.
Weder der wvstliehe uoeb der östliche Theil des Zwischenlan-
des der Drave und Save trug im XI. Jahrhundert den Namen
Slavonien.
Zur Belewehtang der vorliegenden Frage ist es auch notwen-
dig, die (Frenzen der erstin Bihtuiiur «.regen Grieehenland zu jtru-
fen. Zum Kulocsaer Bistum <:t liörte auch das Gebiet zwischen der
Donau und Save, oder ein Teil Syrmiens. Dies geht hervor aus
einer Urkunde des Jahres 1 093, welche, uns Terkändet^ dnss Desider,
Kalocsaer Bischof , die Östlichen Grenzen des Fünfkirchner Bistums
verletzt habe, wt-slinlb König Ladislaus derlleilige (]iescll»en (ierart
berichtigte, wie diese unter Stefan dem Heiligen bestanden. Desi-
der (1075 — 1093) grenzte zwischen der Donau und Save in solcher
Weise an das Fänfkirchner Bistum, dass eine Grenzverletzung
vorkommen konnte. Die Berührungspunkte fanden sich im Syr-
mier Comitat östlidi von f'rdöv» g. Die citirtt n zwei königliclicn
rrkunden erwiihnen das Fliisschen Koärok, welches sich in die
Save ergiesst und in der Gegend von Kuvesdin gesucht werden
muss. Möglich, dass die Grenzen der Diöcese auch deshalb in Ver-
wirrung kamen, weil Syrmien unter Stefan dem Heiligen längere
Zeit hindurch. ()i)gleich immer mit Unterbrechungen, von den
ürieclieu Ite-etzt war.
Als Kaiser Michael dies Land wiederholt verlor, wurden die
Grenzen des Ealocsaer und Fänfkirchner Bistums zwischen der
Donau, Prave und Save erneuert. Zum Kalocsaer Bistum gehörte
die Spitze zwischen den zwei Flüssen iSvrniien). zum Fiinfkirchner
der von hier westlich liegende Teil mit unbestimmten Grenzen,
welche selbst damals noch nicht festgestellt waren, als Ladislaus
der Heilige das Bistum Agram (um das Jahr 1093) gründete,
welches daher im Osten an das Fünflnrcbner Bistum grenzte.
Spater, nach der Zeit des Grenzstreites, gründete Ladl.siuu^ der
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DIE ENTSTEHUNO CR0ATIBN8.
33
Heilige die Bacser Diöcese, welclie dann im Jahre 1135 mit der
Kalocsiier vereinigt wurde.
Das Arehidiaconat Marchia der Fünfkirchner Diöcese bestand
noch im XIII. und XIY. Jahrhundert. Da Marchia so viel bedeutet
als Grenze oder Grenzbezirk» so müssen sieh hier die Grenzen des
ungarischen und des griechischen Reiches berührt haben. Nach
KolKr's MeinunjT muss pich die.^e Linie von der Donau nächst
Bänostor über Kuvesdin direct an die Save bei Grk j:(ezogen haben.
Bis zu eben dieser Zeit besass auch die Kalocsaer Diöcese ein
8jrmier Arehidiaconat.
Es ist unmöglich anzunehmen, dass Stefan der Heilige die
Grenzen der Fünfkirchntr I)iöce8e an der Save tixirt hätte, wvun
die Grenzen seines Landes nicht an der Save gelegen waren, doch
konnte er der griechischen Einfalle und Besitzergreifung wegen
in dieser Gegend keine definitive Gestaltung erzielen.
Die jenseits der Drave gele^^enen Teile des Fünfkirchner
Li-luijis hutten selbst daniuls noch keine definitiv geregelten
Grenzen, als König Ladislaus der Heilige zum erstenmale die
Drave überschritt. Diese wurden daher durch Andreas II. im Jahre
derart festgestellt, dass der Fluss Lisnicze oder Valko die
Gienze zwischen der Agramer und Fünfkirchner Diöcese zu bilden
habe; vom LisniczeHuss jingefangen aber wurden die Grenzen der
Fünfkirchner Diöcese, mit Eiuschliessung des ganzen iV »segaer
Comitats, bis zu jenem Punkte ausgedehnt, wo nördUch der Almas-
fluss sich in die Drave ergiesst.
Dadurch wurden aber die Verhältnisse nur an einer Seite
j;ikiart, wahrend sieh die ererbte Verwirrung in der Ivichtuu^^ des
KaloesHer Bistums nocli ]\iu<^v hinauszog. Papst Innocenz IV.. im
Bestreben, die aus solcher Unordnung stammenden Streitigkeiten
so beenden, erliess am ü7, September li47 an einige Aebte den
Befehl, j» ue Untersuchungen vorzunehmen, welche nötig sind,
um die Grenzen des Fünfkirchner und Kalocsaer Bistums bestim-
men zu können.
Aus allem diesem geht klar hervor, dass das Fünfkirchner
Bistum weder mit dem Agramer noch mit dem Kalocsaer Bistum
DIE EKTSTBHUKO CB0ATIEN8
an anderer Stelle in eine Grenzberühruns koiiitneii konnte, als
zwisclun der Drave und Savt- ; Grenz.stiriti^^keiten zwischen den
genannten Bistümern konnten nirgend anderwärts, als zwischen
den genannten zwei Flüssen vorkommen.
Doch auch hier haben wir noch nicht die Landesgrenze Un-
garns erreicht, denn Papst Gregor IX. erklärte dadurch, dass er im
Jahre 12l29 auf Bitten des Kalocsaer Erzhisthofs die Einwilligung
gab, in jenem Teile Ungarns , welcher das diesseitige Syrmien
genannt wird, ein neues Bistum zu gründen, — einen Teil Syr-
miens als zur Ealocsaer Diöcese gehörig. Wenn die Urkunde
Andreas I. vom Jahre 1057, womit er die Stiftiinp: des Palatins
Radu hestiitigt, in Betracht .i:^ezogen wt rden darf, so lag Szäva-
Szent'Demeter (Mitrowitz) im Bereiche der Fünfkirclmer Diöcese.
Dieses angenommen, müssen wir von dem jenseits der Save geie-
genen Syrmien in kfrchlichterritorialer Beziehung voraussetzen,
dase ein Teil desselhen. und zwar jener, welcher der Kalocsaer
Diöcese nüher lag, zu letzterer t;ehörte, — ein anderer Teil aber,
wahrscheinlich jener, welcher von Mitrowitz südlich sich erstreckte,
von der Fünfkirchner Diöcese abhing. Man muss dies aus jenen
papstliehen Worten folgern, womit die Errichtung des Syrmier
Bistums dadurch motivirt wird, dass in der Kalocsaer Erzdiöcese
weijen der Weitlauti^^keit ihres Territoriums die Seel8or<::e nicht
jjehörig von Statten gehen könne. Der Papst bevolimachtifft den
Kalocsaer Erzbischof Ugrin, dass insofeme im jenseits der Save
gelegenen Syrmien (Sirmia ulterior) sich ein B'schofesitz vorfinden
sollte, er diesen mit dem neuen Syrmier Bistum (als dessen Sitz
das Kloster KT) auserkoren \\nv) vereinigen möge.
Der Papst wusste demnach nicht, ob in Syrmien jenseits der
Save sich ein Bistum befinde; wundem wir uns daher nicht, wenn
es uns unbekannt ist, welche Teile dieses Syrmiens zur Fünf-
khrchner und welche zur Ealocsaer Diöcese gehörten. Gewiss
scheint mir nur soviel, dass vom transsavanischen Syrmien solche
Teile zur Kalocsaer Erzdiöcese nicht gehören konnten, welche
südlich von Mitrowitz gelegen, gleichsam die territoriale Fort-
setzung der Funfkirchner Diöcese bildeten.
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DIB ENTSTEHUNG CROATIEN'S.
Ich habe es l)ereit6 an aiuU rcr Stelle aiis^.. spr. »clu ii. dass
Konig Andreas II. dieses traussavanische Syrmien seinem Eukei
Johann conferirte.
Die Urkunde Andreas' II. Toin Jabre 1235 ist in vieler Be-
ziehun<? interessant : sie ist es namentlich darum, weil sie die Stif-
tuug.surkimde Stefans des Heiligen vom Jahre 100*.> lu ziiLilicli des
Füufkirchner Bistums transscrihirt und somit als echt anerkennt.
Die Urkunde spricht femer von den Amtsbefagnissen, M-eiche der
Palatin nnd Landenrichter (Jndex Curiae) in den Teilen jenseits
der Drave ausübten und welche das ungarische Wesen dieses Ge-
bietes bt weisen. \ou besonderer Bedeutung ist auch jener Satz,
v^omit König Andreas II. scheinbar aussagt, als wäre Ladislaus
der Heilige der erste ungarische König gewesen, welcher die Drau
äberschritt.
Eine derartif,'e Erklärung des Textes muss wahibaftig über-
Fiischen. Andreas II. konnte in demselbt ii Augenblicke und iu
derselben Urkunde, in welcher er von der Stiftung des Fünfkirch-
ner Bistums dnroh Stefan den Heiligen spricht, unmöglich sagen,
dass Ladislaus der Heilige der erste Ungamkönig gewesen sei,
welcher die I)rau iibei>-( hritt. er konnte es nicht sagen unmittelbar
nach seinen Worten, mit welchen er anerkennt, dass die Grenzen
des Fünfkirchner Bistums jenseits der Drau bisher nicht gehörig
festgestellt waren.
Koller glaubt den Satz derart interpretiren zu sollen, dass
Ladihlaus der Heilige die Drau an jener Stellt' überschritten habe,
wo der Fluss die Grenze zwischen Ungarn und Croatien bildet,
beifugend, dass der König nach der Fiussüberschreitung die slavi-
sehen Landesteile (partes slavicas) erobert habe, und diese Worte
der Urkunde erklären es, dass die erste Flussüberschreitung sich
au/ die alsbald eroberten slavischen Lundestcile bezog.
Diese Erklärung erscheint nur dann als aunehmbjtr, wenn
Ukterden slavischen Teilen (partes slavicff) nicht das heutige, son-
dern das alte Croatien verstanden wird, — denn von wem sollten
wohl Agram und die Territorien der benachbarten Comitate erobert
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0
S<> DIE ENTSTEHUNG CROiTIEMB.
■werden ? diese waren ja nicht im Besitze der croatischen Könige
und wurdtii ja daujuls noeli nicht Slavonioii genannt.
Dies scheint auch Turoczy's Auffassung gewesen zu sein, denn
vun Ladislaus dem Heiligen sprechend, sagt dieser Chronist, er
sei der erste gewesen, welcher Dalmatien und Croatien eroberte
und seinem Reiche einverleibte.
Zum Archidiaconat Marchia f^ehurteu unter Anderem Ei tlöveg,
Lezsimir, Vizics, Gibaracz, Morovich (Maröt), Mangyelosz, Nestin,
Sziiszek, lilok (Ujlak). Darin erkennen wir die Linie, jenseits
welcher im Osten das Syrmier Diaconat sich ausdehnte. Zum
Fiinfkirchner Bistum gehörten ührigens, schon seit Stefan des
Heihgen Zeiten, nicht nur das Archidiaconat Marchia, sondern
auch jenes von Valko und Eszek. Also ebenfalls Landesteile jen-
seits der Drave.
Indessen nimmt nicht nur die Thatsache unsere Aufmerksam-
keit in Anspruch, dass die Bistumn- IVintkirclien und Kalocsa
sich bis an die Suve erstreckten, sondern auch jene, da^s die
weitentlegene Abtei von Fannonhalma (St. Martinsberg bei llaab)
das Z^hentrecht in jenem Teile des Somogyer Gomitats besass,
welcher jenseits der Drave gelegen ist. lieber dieses Zehentreoht
jtroducirte die Piinnonliahnaer Ahtei das (h-iginal-Privih-gium Ste-
fans des Heih'gen, wck-lit s die riiiiste Alexaniier II., Urban II. oder
III. und Clemens III. bestittigten. Dieses von Stefan dem Heiligen
stammende, auf den transdravanischen Teil des Somogyer Comi-
tats bezügliche Zehentrecht bestätigten auch die Könige Ladislaus
der Heilige, Geza. Behl IV. und Stefan V.
Ueher das Zelientrecht entstand Streit zwischen <b r Bannon-
halmaer Abtei und dem Agramer Bistum ; weshalb der Papst im
Jahre das richterliche Verfahren anordnete und vorschrieb;
docli blieb der Proeess lan^e unentschieden, bis sich endlich die
Ahtei entschloss, ihrem Zellentrechte, welches dieselbe "jens«nts
der Drave, unterhulo des Agramer Bistums, gegen Slavouien zu«
besass, zu Gunsten des genannten Bistums zu entsagen, wie dies
aus der Urkunde Papst Gregor IX. vom Juli 1 23^ ersichtlich.
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DIB ENTSTEHUNO OBOATIENS.
Das Territorium des Agrauicr Bistums hiess also damals nocli
uicbt SkvoDit u.
Die 80 oft beglaubigte Tatsache, dass Stefan der Heilige in
der Gegend von Agram Zebentrechte Tergab, scbliesst nunmehr
jeden Zweifel darüber aus, dass diases ganze Gebiet ein tinviittellHi-
rar Teil Vittjarus ivar, welclie Tatsache iiocli eine ei<^entiiinliche
Illustration durch den Ausdruck gewinnt, womit das Einhebungs-
Gebiet der kirchlichen Einkünfte als gegen Slavonien zu gelegen
— versus Sclavoniam — bezeichnet wird, wodurch es deutlich als
von Slavonietk verschieden erscheint, welches zur Zeit Stefans des
Heilifjen jenseits der Kulpa lag und den croatisclien Koni<:en
unterstand, worunter aber eigentlich d:iR alte Croatien zu ver-
stehen ist. Uebrigens folgt auch aus der territorialen Contiguität,
ditss die transdravanischen Teile des Somogyer Gomitats sich nur
an das Köröser (Kreutzer) oder das Veröezer Comitat anlehnen
konnten.
So lesen wir auch von der jenseits der Drau gelegenen
Gegend von Vaska und Basek, dass diese in der Kichtung gegen
Slavonien zu sich befinden ,* sie lagen daher nicht in Slavonien selbst.
Eine solche Zahl von Daten, die wir leicht noch vermehren
konnten, leweist zur Genüge, dass schon zur Zeit der ersten unga-
rischen Konige nicht die Drnve, .soudc.nt die Save UtKjar/is Grenze
gewesen sei, und dass das Fünfkirchner und Kalocsaer Bistum
auch das Gebiet zwischen den zwei Flüssen in sich begriffen habe,
ja sogar über den jenseitigen Teil der Save sich erstreckte. Aus
dieser Tatsache wird Nit luand folgern, dass Croatien oder Slavo-
nien sich über di» Territorien der Kalocsaer und Fünlkirchner
Diöeese erstreckt habe, sondern vielmehr, dass diese Diöcesen
ölierall, auch jenseits der Drau, ungarischen Boden umschlossen.
Wahr ist's, dass die Territorien der Diöcesen nicht immer
mit den Grenzen eines bestimmten Landes zusammenfallen. <lie
Päpste nahmen auf letztere nicht immer Rücksicht. Das Salzbur-
Ker Erzbistum forderte auf Grund päpstlicher und kaiserlicher
Verordnungen Territorialf^renzen bis zur Drau, weshalb schon
^OT der Zeit Bela's IV, zwischen dem Salzburger Erzbiscliof und
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2b '
DIE £HT8TEHÜN6 0ROATIBN8,
dem Bischof von Agram lif'ftip;er Streit entbranote. Die Böhmen
dehnten iVu- Grenzen des Präger Bistums l>is zum Waagtiusse
aus. (In WirkUchkeit hatte die Pra^'t r Diöcese niemals die Waa^^
zur Grenze.) Als durch den Friedenssohluss vom Jahre 174l£
Schlesien und mit diesem auch das Breslauer Bistum an Freussen
kam, behielt der Bischof seinen kirchlichen Einfluss auch in
dem bei (K stt ir< ich verbU^ benen Teil Schlesiens, welcher wider-
sinnige Zustand noch in unseren Tagen lebhaft angefochten
wurde. Der Wiener Beichsrat brachte im März 1874 folgende
Besolution : Die Begierung möge suchen dem unnatürlichen Zu-
stande ein Ende machen, dass die Diöcese Breslau nach Oester-
reichisch-Sfhksien und das Erzl)istum Pra.u in die priussische
Grafschaft Glat?, dann die Olmülzer Diöcese in das preussische
Decanat Kat«cher hinüber greife. Ende Mai kam natürlich aus
Bom eine Antwort, welche diese Zumutung des Ministeriums
rundweg ablehnte.
Als der Cardinal Erzbisohof Schwarzenberg in der Grafschaft
Glatz, der ülmützer Erzbischof L iudjraf Fürstenberg aber in
seinem preussischen Diöcesananteii den Versuch machten, die
preussischen Maigesetze zu umgehen, wurden sie auf ganz traurige
Art belehrt, dass ihre Absichten jenseits der sohwarzgelbeu Grrenz-
2)faiii« ^'anz rt-spt ctlos vereitelt werden. Ebenso ^^eschah es auer
auch, dass dei P\n"stbischol von Breslau, Heinrich Finster am
^0, October I8äl), sich veranlasst sah, sich aui den österreichi-
schen Teil seines Sprengeis zurückzuziehen, als der Culturkampf
in höchster Blüte stand.
Alle diese Biispiele sind aber auf rn<;arn nicht anwendbar,
weil Stefan der Heili^'e die Territorien der durch ihn gestifteten
Bistümer nicht in fremden Ländern anwies, wie es die römisch-
deutschen Kaiser taten, sondern im eigenen Beiche. Seine Bis-
tümer gehörten nicht zu jenen, deren Bereich der Papst aus eige-
ner Machtvollkommenheit und mit Verletzung: der Landesintepritiit
ausmass, sondern Stefan der Heilif,'e bestimmte selbst die Grenzen
und den Umfang der Bistümer (so wie jene des Fünf kirchner) ;
dass aber Stefan der Heilige das Land zwischen der Drave und
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DIE ESTSTKHUNO CKOATIBNB.
89
SaTe« weiciieä teilweise zum Fünfkirciiiier und Kulocssu r Bistum
gesehlagen wurde, wirklich besass, dies wird im Verlaufe dieses
Essay an vielen Stellen bewiesen* In fremdem Lande hätte Stefan
der Heilige der Abtei von Pannonhalma (St. Martinsberg) keine
kirchliclien Eiukiiiifte anweisen können.
Wenn «lern nicht so wäre, wenn die Teile des Kalocsuer und
Fonfkirehner Bistains, welche jenseits der Drave und Save lagen,
sehon damab nicht das Land des Königs von Ungarn, sondern
jenes eines fremden Fürsten gewesen wäre, und wenn man dies
als analof^en Fallbi-trachten niü.sste. wie jenen, als die Territorien
der Prai^^er, Breslauer untl Salzburger Diöcesen über die Grenzen
fremder Länder aasgedehnt worden, — wir fragen, wenn das
erwähnte Gebiet damals nicht Ungarn war, zu welchem Lande
geborte wohl die Gej^end zxs-ischen der Dravo und Save als integri-
render Teil ? Hieruul" antworten keine p ipstliclien Erlasse.
Allerdinjjs kann die kirchliche Cieinemscbaft nicht als Basis
poUtischer Prätensionen dienen, und weil die zu Ungarn gehörige
Insel Maraköz — wie selbst Bischof Osegovich sagt — kirchlich
dem Agramer Bistum untersteht, kann daraus ebensowenig^ gefol-
gert werden, dass die Croaten einen Anspruch auf Ungarn haben,
als die Böhmen aus dem Umstände, dass die Grenzen der Präger
Diöeese bis an den Waagiinss reichten. Eine Behauptung übri-
gens, welche die historische Kritik schon längst in ihr Nichts
zerlegt hat.
Zur Zeit Stefans des Heiligen können wir aber eine solche
Gemeinschaft nicht voraussetzen, aus dem einfachen Grunde, weil
Ungarn nicht die Drave znr Grenze hatte.
Wie schon mehrmals angedeutet wurde, lagen wesentliche
Bestandteile der Comitate ßaranya. Somogy und Zahl jenseits
Her Drave. Diese geboren zu den ältesten Comitaten des Landes,
aud man muss daher annehmen, dass diese Bestandteile der
genannten Comitate schon vor Ladislaus des Heihgen Zeiten zu
denselben gehörten. Es konnten dies demnach nicht jene fsla-
viseben Landesteile» sein, welche Ladislaus der Heilige eroberte.
Dass die transdravunischeu Landesteile schon bei Entstehung der
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30
DIR BNT8TEHÜNO CBOATIENH.
Comitutsiiistitution zu den drei f^enüuuteu Comitateu gcliörtfii,
lübät sich dtiraus folgern, dass die Zustande des XV. Jahrhunderts
ohne Zweifel üeberbieibsel iigend welcher uralter Zustände bilden,
weil im genannten Jahrhundert keine neuen Gomitate mehr ent-
standen, — die politische Entwiekelung liebte es bereits mehr, das
Territorium des Landes zu detailliren.
Püdgoracs und Nassicze, welche heute zum Veröezer Comitate
gehören, nannte man im Beginn des XV. Jahrhunderts Ortschaft^'U
des Baranyaer Gomitats. Wohin mögen dieselben und deren Um-
gebung im ersten Jahrhundert des Königthums kirchlich gehört
haheu'? Wahrscheinlich zum Eszeker Aroliidiaconat und somit
zum Fimfkirchner Bistum, his das Agramer Bistum gegründet
und die erwähnten Ortschaften letzterem zugeteilt wurden.
Ein grosser Teil des heute als croatisch hezeichnetenKöröser
Gomitats gehörte teils zum Zalaer, teils zum Somogyer Gomitat.
Das K/iröser Comitat seihst wird im XIV. Jahrhundert weder als
slavouisches, viel weniger als cmatisches, sondern einfach als
transdravanisches urkundlich aufgeführt.
Es ist kaum nötig darauf hinzuweisen, dass, wenn das Gebiet
jenseits der Drau nicht ein integrirender Teil Ungarns gewesen
waif. die Comitate Somogy, Baranva und Zahl sich dort nicht
hatten urrondiren können.
Wir wollen an dieser Stelle Verzicht leisten auf die weitere .
Beweisführung, welche und wie viele Orte und Districte zwischen
der Drave und Save von den ältesten Zeiten bis zur Türken-
Invasion den Comitaten Baranva. Somogy und Zala einverleiht
wai'en. Dieses Thema ist fast unerschöpflich. Nur das Eine wollen
wir noch erwähnen, dass Königin Gisella (Regina Gisla) — Ge-
malin Stefans des Heiligen — dem Weszprimer Bistum einen
Vizmet genannten Landstrich schenkte. Aus den Streitigkeiten,
welclie im XIIT. Jahrhundert über diesen Landstnch entstanden,
sowie aus der Greuzhegehung sehen wir zur Genüge, dass dieses
Vizmet am rechten Ufer der Drave im Bereiche des Zalaer Gomi-
tats gelegen war, — ein neues Factum, dass Stefan der Heilige
Herrsoherrechte auch jenseits der Drave ausübte.
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DIE KNTüTEHüSG CROAilENS. 2W
In Folge ungunstiger Zeitverhaltnisse, noch mehr <lurch die
Sorglosigkeit der imgariscbeii Nation gerieten die transdravani-
sehen Teile der Gomitate Baranya, Somogy nndZala an die Comi-
tate Verdcze, Körös (Kreutz) und Varasd.
IV.
Dtr Name Slavanien bezog sich nrspriutgUch nicht auf dßs Ge-
biet zirisehen der Drove und Save, sondern auf das alte Croafien,
welches jenseits der Kulpa beginnt. Schon das IX. Jahrhundert lie-
fert Anzeielien. dass Slavonien an der adriutisclien Küste sich zu
einem Landesnamen cousoHdirt. Der Sohn Johann des venetiu-
niseben Dogen Angeli Participaci lebte um 817 au Jadera (Zara)
im Exil. Nach der Chronik floh Johann Ton hier zuerst nach
Slavonien, dann nach Ber<]:anio in Italien. Wegen der Las^e
Jaderas erleidet es keinen Zweifel, dass hier unter Slavonien niclit
das Zwischenland der Drave und Save, sondern Jaderas Um-
gehung, das heisst das alte Croatien verstanden sei. Als der
Fatricier Nieetas im Jahre 871 die Gefangennahme der päpstlichen
Ije<;aten rächen wollte, besetzte er Slavoni» terram. In dieser
Zeit Spricht auch Kaiser L':d\vi<^ von seinem Volke in Schivemien
(populi Sclaveniffi nostr^e, und: iisdemSclaveuisuostris), worunter
die Dalmatiner und Groaten zu verstehen sind, welche sich der
fränkischen Herrschaft unterwarfen.
lUycus, ein slavoniseher Herzog, plündert im Jahre 870
Istrien. Er war ein croatischor Fürst.
Papst Johann X. sendet im Jahre 9:ii Johann, Bischof vou
Amona, und Leo, Bischof vonPreeneste, mit Briefen nach Croatien
and Dalmatien an Johann, Erzbischof von Spalato, und seine
Suffragan-Bischöfe, sowie an König Tomislaw und an Michael,
Herzf>f; von Cliulni. zu dem Zwecke, um die Ahlmltunj^ derMesM-u
per Sclavinicam terram iu lateinischer Sprache durchzust t/.eu,
seine Hoffnung auf einen guten Erfolg aussprechend, weil die
Sclavinen (sclavini) der römischen Kirche mit besonderer Treue
zugetan sind. Ein anderer Brief des Papstes ist an den croati-
sehen König Tomislaw und Michael, Herzog von Chuiui, gerichtet,
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DIE ENTSTEHUNG CROAT1EN8.
Bowie suK-li ;in die in Slaconien \md Dalnintien ^vol^Kn^len (pt-r
ßclavoiiiam et Dalmatiam coiumorautes) Zupane, Geibtlicheii und
an das ganze Volk, mit der Ermahnung, sie mögen es ferner unter-
lassen, Gott in der barbarischen, d. b. slavinisehen Sprache 2a
opfern, nnd dass sie fest an dem rechten Glanben halten mögen.
Hier kommt ziini ersteiiiiiale der Name Slavoniii vor, doch ist es
aus der Geschichte klar, dass dieser oder der Name Schivinica
terra nicht das Gebiet zwischen der Save undDrave bedeutet, son-
dern dass darunter das alte Croatien zu verstehen sei. Der Papst
hätte eine solche Ermahnung an die damals noch in ihrem
Heidentum litTumhi-aiisiinh n Unj^arn zwisclien der Drave und
Save füglich nicht erlassen können. Das im päpstlichen Brieftj
erwähnte Slavonien und Dalmatien ist gleichbedeutend mit dem
Lande Dalmatien und Croatien, welches im Titel der croatischen
Herzoge vorkommt, — also ein anderes als das heutige Slavonien
und » in anderes Croatien.
Diese Beispiele können aus jedem Jahrhundert beigebracht
werden, bis der westUdie Teil des Zwisohenlandes der Drave
und Save den Namen Slavonien erblich übernimmt.
König Heinrich II. schenkte im Jahre 1002 dem Bischof
Gottschalk von Freisingen auf dessen Lebensdauer, dann dem
dortigen Domherrn- Collegiuin den zwischen der Libnicza, Tabum
und Save in Krain gelegenen Landstrich Strasiche (praediam
Strasista) sammt anderen Territorien der Grafschaft Valtilo.
Georg Fejer, durch den Flussnamen Save dazu veranlasst, folgert
hieraus, dass das Anland der Savc damals nicht vom croatischen
König, sondern vom frankischen lieiche abhing; Fejer ist hier nur
bedingungsweise im Rechte, weil man nicht vergessen darf, dass
die citirte Urkunde von Krain, nicht aber von dem unteren Laufe
der Save spricht, deren Gebiet heute ganz fälschich Slavonien
genannt wird.
Johann, Archidiacon von Guerche (Goricza), welcher im XIV.
Jahrhundert lebte, schrieb über das Leben Stefans des Heiligen
viel krauses Zeug zusammen, welches', sollte es nicht seine eigene
Erfindung sein, für ein Machwerk eines seiner Zeitgenossen ge-
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DIE tNTSTKUUNO CllOATIENli.
33
hallen werden muss. Er schreibt, der deutsche Kaiser habe im
Jahre 1031 mit Stefan dem Heiligen Frieden geschlossen. Da
Crescimir, König von Oroatien, Stefan den Heiligen in dem Kriege»
Welcher dem Friedensscliluss voraufjing, imtLrötützte, hübe St< fun
der Heilige jenen Teil «Siavomens», welcher zu Ungarn gehörte,
namentlich die Gegend, wo die Kiilpa in die Save mündet, bis zum
Flosse Terebes (d. h. die vereinigten Flüsse Pakra und Illova),
dann entlang der Gsernayecz bis an die Dran dem croatischen
Könige verliehen. Ein anderer Teil Siavomens sei seit eiuem
Deceimium unter Diogenes, Herzog von Syrmien gestanden. Es
wurde zugleich beschlossen, dass Emerich, der Sohn Stefan des
Heiligen, znm Herzog von Slavonien erklärt werden und Cres-
dmir*8 Tochter zur Gemalin nehmen soll.
Hier müssen wir gegen Emerich's Titel eines Herzogs von
Slavouien Verwahrimg einlegen, — doch hierüber weiter unten.
Wichtig ist die Mittheilung des obigen Archidiacons über die
Thaten König Andreas I. (1046 — 1064). £r schreibt nämlich, dass
der König, als er seine Begierung gesichert sah, darauf bedacht
war, die Rechte des Landes festzustellen. Er ernannte seinen
Bruder Adalbert zum Herzog von Slavonien, Riidn aber zum Pa-
latin. Diese trieben den König von Croatien zu Paaren, und
drängten Slavonien an seine alte Grenze, den Zettina-Flass
zurück.
Hier bedeutet Slavonien wieder nur Croatien, nämlich das
an der Adria gelegene Küstenland. Dieser Schilderung zufolge
zogen König Andreas I., beziehungsweise sein Bruder Bela und
Bado mit Heeresmacht in Dalmatien ein, und dass dem so sei,
wird auch durch den venetianischen Geschichtschreiber Dandulo
bestätigt, welcher schreibt, dass König Andreas seine Herrschaft
auch auf Dalmatien ausgetk lmt habe. Iliedurch wird es verständ-
lich, und es ist dies eine keineswegs verwerfliche Angabe, dass
Adalbert (ungarisch Bela), des Königs Bruder, zum Herzog von
Slawonien ernannt wurde, weil unter dem Namen Slavonien nicht
das Zwischenland der Drave und Save, sondern Dalmatien zu ver-
stehen ist, welch LS ;4emeinschaftlich mit Alt-Croatien den Namen
UngariMb« Revoe, Ititfi, l, H«IU 9
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34
DIE BNT8TEHCN0 CR0ATIEM8.
SlnvDuien führte. Auch dieses Beii>piel beweist, dass Ludisluus
der Heilige nicht der erste König war, welcher die Drau überschritt.
Doch es fragt sich, wenn die Ungarn das croatische Terri-
torinm bis an die Zetiina zurüokdrängten, was Terblieb wohl vom
Lande des croatischen Könif^s ?
Hierauf kann, in Ermauglunj^ aller positiven I)aten, nur damit
(geantwortet werden, dass, nachdem die Action der Ungarn gegen
die Grieohen gerichtet war, das ungarische Heer wahrscheinlich
durch das heutige Bosnien westlich vordrang, und auf diesem
We^^e sich den dalinatinischeu Küsten näherte. Dieses voraus«
gesetzt, hat der croatische Köuijü:, damals Vasall Griechenlands,
allerdings verloren, doch es verblieb ihm das von Zettina nördlich
gelegene alte croatische Land.
Im XII. Jahrhundert wird Dalmatien noch immer auch Sla-
vonien ^'euannt. Der Bischof von Scardona Michael schreilit im
Jahre 11 sl, dass inJadera (Zara; sich initFarKas Paiatin von Un-
garn, FJasco Bischof von Tinnin, Graf Machareusius und mehrere
adelige Herren Slavoniens versammelten. In demselben Sinne
spricht Papst Urban III. im Jahre 1186 von der St. Peters-
kirelie im Orte Hoisce in partiluis Sclavoniat-. I)er «genannte Ort
lag aber im ]3istuin \on Nona. demn:ich in Dalmatien.
In diesem Jahrhundert dürfte wahrscheinlich das im Capitel-
archiv von Spalato vorgefundene Pergamenregest fabricirt worden
sein, welches die Namen der croatischen Bane und Geschlechts
bis zum Ende des XI. Jahrhunderts aufzahlt. Laut dieser Auf-
zeichnung soll es in Croatien sieben Bane «::eue)>en haben, die den
König wählten, wenn der Vorgänger ohne Leibeserben starb. Der
erste Bau war der von Croatien, der zweite von Bosnien, der dritte
von Slavonien (banns Sclavoniae), der vierte von Posej^a (hantis
Posicao), der fünfte von Podravien (hanus P(»(lrave), der sechste
von Albanien, der sieltente von Syrmit-n (banus Srenii).
Es gehört ein starker, oder vielmehr ein blinder Glaube dazu,
das zu glauben, was uns diese Aufzeichnung zumutet. Nichts-
wehia:er nämlich als dies, dass im ganzen Zwischenland der Savo
und Drave noch am Ende des XI. Jahrhunderts Baue existirteu.
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DIE ENTSTEHUNG CUOATIEN^.
welche den croatiscben König wählten, wo doch die Könige vonCroa-
tbn schon langst im Dunkel der (^eeohiehte yersehwanden. Doch ein
goleher Znstand, wie ihn das Pergamen-Begest schildert» bestand
auch vorher nicht, pjleich viel welclien Zeitpunkt wir ins Aii<?e fassen.
Betrachten wir die Behauptungen einzeln. Wir haben keine
Einwendong gegen den croatischen und Blavonischcn Ban, wenn
unter letzterem ein Dignitär verstanden wird, dessen Wirkungs-
kreis im alten Groatien gewesen. Unter Posej^ können wir nicht
d:is trausdravanische Pose«:^aer Comitat vi rsteh<'n. souderii es niuss
ein Bezirk dieses Namens in Serbien bestanden haben. Tomaschek
DEmiich Tergleicht das municipium Macuretes mit dem Constan-
tin*8chen M6i]opstooc nnd verlegt es in die Nahe des Flusses Meg-
juriec, welcher in die Morava fliesst, — er sucht es insbesonders
bei dem Orte Pose;,M in St'r])ieu. Was Podravien lietritYt, so be-
deutet dieser Name allerdings: Land unterhalb derDrave, oder an
der Drave, diese Widerainnigkeit ist aber bereits Kuku^evics auf-
gefaUeu, der im Index zu seinem Urkundenbuch folgende Berich-
tigung versucht: «Podraviae (fors Podramae) banus.t Ba5ki
acceptirt diese Bericbtifjunj^ in seinem Texte, und schreibt «banus
Podramae». Ob aber die Worte: Ban in der Nahe des Rama-
Finsses, und Provinz Rama eine richtige Erklärung bilden, will ich
nicht entscheiden. Ich will nur bemerken, dass in Spruner^s
Karte, welche die Zustände tmter den Anjous darstellt, zwischen
dem serbischen DiKtriot Uzsicza und der Grafschaft Zeuta eine
Provinz Podrima sich voründet, welche richtiger Pod-drina, das
beisst: Land an der Drina oder unterhalb der Drina benannt
werden musste, weil sie an den Quellen der Drina liegt Koch- im
•Jahre 1459 wird Marcomir Brankovich als vojvoda Podrinija ge-
nannt. Für den Bau von Syrmieu jjibt es keinen Platz, weil Sir-
mium (ein Name, der schon uuter den Römern rar Einwan-
derang der Slaven bestand, und daher älter ist als das slavische
Srem) entweder den Griechen, oder den Ungarn gehörte, doch
niemals den Königen von Croatien. Selbst das transsavanische
Svnnien kann nicht überlassen werden, weil sich das croatische
Vasailenland bis hieher nicht erstreckte.
3*
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36
DIE ENTSlEHUNü CROATIENS.
Papst Alexander III. schreibt im Jahre 1177, dass er den
Vioediacon Baymund de Capeila« als apostolischen Legaten nach
Siavonien gesendet habe, — versteht aber hiernnter Groatien-
Dalmatien: ebenso wie im Jahre 1180, als er seine Ansprache an
den in J hihiiiitieu und ganz Siavonien wohnenden Adel, die Geist-
lichkeit und das Volk richtet.
Seit Manuel den byzantinischen Tron bestieg, war sein Ziel
die Eroberung Dalmatiens und die Einverleibung desselben in sein
Reich. Die Emulation der unp^arischen Prinzen um den Tron
diente ihm hiezu als Mittel. Doch ein ähnliches Ziel hatte sich
auch Vent (lii^ gesteckt. Ein mit den Griechen unglücklich geführtes
Treffen der Ungarn im Jahre 1168 ermutigte die Yenetianer zur
Eroberung Zaras, und der übrige Teil Dalmatiens fiel wieder in
Manuels Hünde. König Bela III. hätte die Wiedereroberuiig mit
Erfolg versuchen könnt n, allein er war mit seinem Worte dem
Kaiser verpflichtet. Kaum gelangte aber an die Adria die Nachricht
von Manuel's am 24. September erfolgtem Tode, als nach dem
Beispiele Spalatos auch die übrigen, in Händen der Grriechen be-
tiudlichen dalmatinischen Städte sich freiwillig an Bela schlössen,
und auch Zara, welches seit vielen Jahren in der Gewalt der \'ene-
tianer stand, das Joch abschüttelnd, ebenfalls unter die Ober-
herrschaft Ungarns zurückkehrte.
Aus dem letzten Lebensjahre Kaiser ManueFs haben wir die
Nachricht,, dass er Koi^'erius den Ducas Slavoniae nannte, der doch
eigentlich Wojwode von Dalmatien war. Kogerius selbst nennt sich
in diesem Jahre SclaTon», dei et imperiali gratia Dalmatisd et
Ohroatifp dueas. Beide Benennungen sind also identisch, und be-
ziehen sich auf ein und dasselbe Land.
Die Venetianer kämpften acht Jahre hindurch um den Besitz
von Zara, aber der Titel des Dogen der Republik verriet noch
höhere Ansprüche, weil Oro Mastopietro sich Herzog vonVenetien,
Dalmatien und Groatien nennt (1179 — 1191), so wie vor ihm
Vitalis Faledro (1085), der diesen Titel noch vom griechischen
Kaiser erhielt.
Selbst in späteren Zeiten ging die Kenntniss dessen nicht
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Utli «ALLGEMEINE DEUTSCHE SCiiULVJiKKlN» UND CNOABN. 37
verloren, dass die östlichen Ufer des adriatiachen Meeres zu Sla-
vonien gehören. Als die Begienmg von Venedig im Jahre 1^26
den Handel mit t Slawonien t Terbot, verstand sie gewiss nicht das
heutige Slavonien an der Mündung der Drave, sondern wollte die
dalmatiniscbtu Seestädte tretfen.
In dem Sinne, in welchem die Meister der Templer sich
Meister des Tempelherren-Ordens in Ungarn und Slavonien nannten
(per üngariam et Slavoniam), in demselben Sinne spricht Papst
Gregor IX. im J. 1236 mit Rückb.ick auf Emerich und Andreas IL
als von den Konigen Ungarns und Slavoniens.
D£B «ALLGEMEINE DEUTSCHE SCHUL VEBEIN»
UND UNGARN.
Aul der allerletzten, auf der Annoncenseite deutscher Blatter
spuckt seit einiger Zeit ein Aufruf des Allgemeinen deuteehen Schul-
rereine, handelnd von der grossen Drangsal der in Ungarn und
Siebenbürgen lehenden Deutschen. Wus die Blatter draussen im
Reich weise verbergen zwisi heii den Ankündigungen über verlau-
fene Hunde und neue Methoden der Chocoladefabrikation, das pro-
daciren Wiener Blätter in ihrem redactionellen Teile, die Klügeren
ohne besondere Zutat, die Unvorsichtigem in Begleitung von aller-
hand merkwürdigen Wahrsagungen. Sieht einer das famose Schrift-
stück durch, so möchte man im ersten Augenblicke wetten, dass
ein Teil der Unterschriften nur als Product einer übermütigen
Fälschung an jene Stelle geraten sein könne. Mit Erstaunen sieht
man da neben Grossen siebenundswanzigsten Banges die hochge-
achteten Namen vonMännern wie Brunner, Goldschmidt undGneist.
Wie sind diese Namen in diese Societät geraten?
Wie ist es möglich gewesen, durch solche Charlatanerie solche
Uänner zn täuschen?
Denn die Veranstalter jener schmachvollen Magyarenhetze,
die jetzt durch den deutschen Zeitungsixrald braust» sie sind hier
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DEK « ALLGEMEINE DLL I .nCHE bCHLLVEKKlN» UND UNGARN.
ZU Lande ^'enii<zen<l Vtekannt, und wir wünschen aoMchtig, sie
waren anch in Deutschland ebenso gut gekannt !
Sie bilden eine Cliqne, in welcher die ambitiösen Unfähigen
noch (He charaktervollste Speeles sind, und dieser Clique zu ant-
worten kann uns iiiclit in den Sinn kommen. Zur Aufklärung jedoch
für jenes deutsche Publikum, das sein Ohr niemals der Wahrheit
▼erschlossen hat ; znr Aufklärung für jene Männer* die — schlecht
beraten und schlecht berichtet — ihre Namen unter ein solches
Actenstück tz( n liessen. wollen Avir hier eiut u kurzen Commentar
zu dem Aufruf (les deutsA^ihen Schulvereins schreihen.
Wir werden die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit;
möge es tms aber auch gestattet sein, die ganze Wahrheit zu sagen.
I.
Vor Allem eine Frage: Wer berechtigt die Herren vom Deut-
schen Schul verein im Namen der Deutschen in Ungarn zu sprechen 9
You SiebetthiinfeUf wo nach der neuesten Zähinnt: 224.000 Deutsehe
leben, wollen wir spitti-r mit aller Ausführliclilveit ahliundeln ; allein
im eigentlichen L iumrn lehen I,ÖÜG.üOO Deutsche, und wir wagen
zu sagen, dass in dieser Bevölkerung von über anderthalb Millionen
sich nicht eine einzige Gemeinde gefunden hat, und wäre sie die
kleinste unter allen, die jemals dem Deutschen Schulverein eine
Klajje anvertraut hatte. Mo^^en die Herren vom Deutbdien Schul-
verein auch nur eine einzi«^e Zu.schrift, von ernsten Mannern aus
der Beihe dieser anderthalb MiUionen stammend, vorzeigen und
dann wollen wir mit ihnen über ihren Beruf zur Bettung der
ungarinndischen Deutschen diseutiren. Wir behaupten aber, dass
sie eine solche Aeusserung nicht werden namhaft machen können.
Und es gibt doch Tausende von rein deutschen Gemeinden in
Ungarn !
Wem wollen die Herren also in Ungarn zu Hilfe eilen?
Die Deutschen in l'n«;arn und Siebenbürgen besitzen eine
Preßse. welche sit-h einer so vollst.'\ndi«2:en Freiheit erfreut, wie man
sie in keinem Laude Europa s vollständigerkennt, und wahrlich, sie
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«
DER «ALLGEMEINE DEUTSCHE SCHULYEREINi UND UNOABN. 3^
weiss von dieser Freiheit ^eliöri^; Gebrauch zu machen ! Da ist
z. B. das Orsan iler Siebeiilnirger Intninsifjenten, das in Hormuim-
stadt erscheint und Tag für Tag die gehässigsten und higenhaftesten
VenmgUmpfnngen gegen den ungarischen Staat schreibt, gegen
die leitende Nation, gegen die hervorragendsten Führer derselben,
ge<^en Alles, was diese heilig schätzt und was sie liebt. Wenn ein
elsHSsisches oder ein soeialistisches Blatt den bimdertsten Teil
solcher Schmähungen gegen Deutschland vorbrächte, der Bedacteur
würde sicherlich landesflüchtig werden, oder er müsste sein ganzes
Leben im Gefängnisse verbringen. In Ungarn, in diesem Lande
der Unterdrückung, wird das erwähnte Blättchen in keiner Weise
behelligt. Es heult sein schreckliches KlageHed v(ju Tag zu Tage :
wir denken uns dabei — dafür sind wir ja Asiaten I — mit dem
Profeten: «Es ist gut, dass dem Esel keine Homer gewachsen
%ind!» — und damit ist die Sache auch vollkommen zu Ende.
Weder der Redacteur, noch der Herausgeber, noch irgend einer
der Mitarbeiter an jenen täglich erscheinenden Scbmäh^^cliriftfn
wird auch nur vor Gericht gestellt. Nie, inmitten dieser Orgien des
magyarischen Terrorismus, die wir hier feiern, nie ist es Jemandem
bei uns beigekommen, ein gerichtliches Einschreiten gegen diese
unqualificirbaren Presserzeugnisee zu verlangen ; nie — wir sagen
das mit Stolz und mit Zuvt-rsicht — nie wird ein solches Einschrei-
ten in Zukunft begehrt werden. Möge jeder denkende und le>^ende
Deutsche sich fragen, ob unter ffleichen Verhältnissen in Deutsch-
land ein gleiches Vorgehen beobachtet worden wäre ? Wir haben
darüber kein Urteil abzugeben; wir massen uns nicht an, die
inneren Vorgänge in unseren Nachbarstaaten zu kritisiren : jedes
Wort dieser Art würde uns als eine unverzeihliche Indiscretion
und als eine Aufdringlichkeit erscheinen. Was wir da vorbringen,
das hat lediglich den Zweck zu zeigen, dass wenn uns, wie die Ge-
lehrten des tDeutschen Schulvereins* versichern, nichts mehr
heilig ist. wir die Pressfreiheit doch noch immer respectirt haben.
Nun denn, liei dieser schrankenlosen Pressfreiheit ündet sicli
kein einziges deutsches Blatt in Tngarn, das dem Schulverein für
seine heroischen Bettungsversuche Dank sagte. Erstaunt fragt sich
uiyiii^üd by Go^^le .
^ DER «ALLOEUBINK DECTSCHE SCBULVEREIN» DND CNOABN.
vidmebr alle Welt: Wen wollen die Herren denn retten? wer ist
in Gefahr, m dessen Scbtitse man «die Deutschen aller Parteien»,
jene «vierzifj; Millionen, welche sich des Vollhesitzes deiitsclier
Cultur erfreuen», wie zu einem Kr( uzzuge aulruft? Wie Herr Jour-
dain vierzig Jahre lang Prosa spricht, ohne es zu wissen — so sind
die ungarischen Deutschen vielleicht auch seit 14 Jahren unter-
drückt gewesen, ohne dass sie selbst eine Vorstellung davon hatten.
Docli nun sind ihnen endlich die Au<^en geöffnet worden, und sie
werden wohl nicht säumen, dankbar der Freunde draussen im
Beich zu gedenken, die sich gar so gütig ihrer Schmerzen an-
nehmen? Wie wird der verlassene Bruderstamm den Rettern in
der Not danken? Darauf kommt ja schliesslich Alles an, denn
«beneficia non obtruduntur» — und wcun die ungarischen Dt*ut-
hchen nun einmal nicht gerettet sein wollen, wer kauu sie dazu
gewaltsam verhalten?
Wir constatiren aber kurz und gut, dass die deutsche Fresse
in Ungarn einstimmig den Aufruf des Scbnlvereins wie eine
L:icherliclikeit und wie eine Aufdringlichkeit zurückpjewiescn hat.
Keine einzi^'e Stimme h;it die vom coufusesten Pathos getränkte
Kapuzinade des Bchulvereins ernst genommen.
Darauf wird von jener gewissen Seite, die wir später noch
genauer zu markiren trachten werden, erwidert: tJa, das sind
eben nicht die rechten Deutschen, das sind corrumpirte Deutsche,
Deutsche zweiter Classe, Deutsche, welche im Banne des Magya-
rismus liegen.»
So sei's ! Wir untersuchen vorerst nicht, ob denn die deut-
schen Bürger des Banats und der Btoka, ob denn jene Bewohner
der Zips, welche ihr deutsches Volkstum in jungfräulicher Rein-
heit durch Jahrhunderte erhalten halben, oi» sie sammtlich schlech-
tere Deutsche, ob sie weniger deutsch sind, als das auserlesene
Völkchen der Sachsen in der Höhe von 180.000 Köpfen? Ganz
recht, sie sind sämmtlicb schlechte Deutsche, sie sind gar schreck-
lich corrumpirt und mit Haut und Haar dem Magyarismus ver-
frtlien — aber, es handelt sich um anderthall) Millionen Menschen
und wenn diese alle nun so verderbt sind, wer will sie daruu hin-
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I
DEB «ALLOBMBINB DBUT80HE SCBULVBBEIXt UKD UMOAEK.
dern? mit welchem Rt-c hte wollen Frt indf ihnen eine reherzenj,'nnf;
aufdrängen, die sie nicht möj^en ? mit welchem Kechte will mau
Jene befreien, die nicht befreit zu sein begehren ?
Wahrlich, wir stehen an, das Wort zu gebrauchen und wir
müssen dasselbe doch aussprechen — es ist eine Art von politischer
Banernfänfjerei, wenn man unter den ohwaltenden rmstnnden und
aus den gegehenen Anlassen die Deutschen mus allen Landern auf-
ruft, eine Verbindung herzustellen, die überall da wirksam sei, «wo
moderne Barbarei deutsche Bildung mit Füssen tritt». Wenn die
Herren nicht glauben, in die ungarischen ünterrichtsjifesetze irp^end
einen pad;i;;o;;ischen Duchesne-Parasralen t inzufui^t-n — und so
verschroben sind sie wohl nicht, da» zu jilauhen ! — dann steht
ihre Vereinigung um nichts höher, als die der erstbesten irreden-
tisÜBchen Gemeinde. Sollte es aber möglich sein, dass sie, Profes-
soren, geheime und nichtgeheime Bäte, die sie sind, nie davon
gehört hatten, mit welchen Namen man es in der politischen Ge-
sellschaft hezeichnet, wenn öffentlich oder ^^eheim zur Agitation
auf dem Gebiete eines Staates aufgefordert wird, mit dem man
nicht nnr in Frieden, sondern in einem engen Bündnisse lebt?
Alle diese Herren, so viele ihrer sind, sie werden niemals auch nur
ein Jota an der ungarischen Schulgesetzgehung ändern, wohl aber
wird jeder Einsichtige es ihnen sagen, dass wenn sie es darauf ah-
gesehen hätten, die Stellung der Deutseben in Ungarn zu er8ch\\ eren
und zu compromittiren, sie kein besseres Mittel hätten erdenken
können als dasjenige, welches sie angewendet haben. Wenn es ihnen
wirklich um die Deutschen in Ungarn zu tun gewesen ist, hätten
sie bedenken müssen, dass eine Agitation wie diejenige, die sie
entfalten, geeignet wäre — wie nichts anderes dazu geeignet ist —
die Agitation in entgegengesetzter Richtung zu schafifen, zu ver-
scharfen, ja zu rechtfertigen ? Wenn jene barbarische Gesinnung
wirklieb exist rte, von der sie so schauerliche Mähren zu berichten
wissen, müsste dieselbe nicht aus einem Schnftstüche, wie der
Aufruf des deutschen Schulvereines — welches den höchsten Excess
nationaler Selbstüberhebung und Aufdringlichkeit darstellt — ihre
beste Kraft schöpfen? Jene Ausschreitungen, von welchen die
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DEB «ALLOE3IEINE DEUTSCHE 8CHULVBBEIN» UND UNOARN.
Herren berichten, haben niemals existirt, aber wenn sie existirten,
ßo waren sie durcli diesen Aufruf nahezu rehabilitirt !
Doch wir liaVien vielleicht schon zu lange bei diesen Allgemein-
heiten verweilt. Wir haben nns ja vorgesetzt, einen Commentar znm
Aufrufe des Deutschen Schulvereines zu schreiben. So wollen wir
denn dem Opus einmal ordentlich ins Gesicht leuchten, und wir
zweifeln nicht, dass man uns in jenem ^^rossen dc^utsehen Puldiknm,
weiches unbeirrt von der stupiden Phrase noch gewohnt ist, selbst
zu urteilen, nicht Unrecht geben wird, wenn wir von diesem Auf-
rufe sagen : So viele Sätze, so ciele Entsteüutitjen — so viele Sätze, so
vieU Unwahrheiten f
II.
Folgendes ist der Aufruf des «Deutschen Bchulvereinst :
«An aU» Deutseben richten ilie Untenseiehneten die Aufforderung,
dem am lo. AugiiKt d. -T. hiorsolbst gegründeten Alli.'enieinen Deutsclien
Sehulvereiue beisutreteo. Nachdem im vorigon Jahre der Deutsche Schul«
verein zu Wien 7n dem Zweck zusaimnengetreteii war, dafür zu sorgen,
das»; den Deutschen in <leii cisleithnnischen Kronlandern Oesterreichs,
Welche an den (inii/eü ik-utsclier S]»raclie belegen .sin<l niul welclie sich
nnter dem Dnick«- tV( iii<l» r Xuti(tnalit)it betinden. die volle £.'ei<tige Aus-
bildung in ihrer Mutttrspiuche gesichert bleibe, hatten sich im J.aulo iliesea
Sommers auch im Deutschen Beicho zahlreiche Ortsgruppen gebildet, um
den Wiener Schulverein in seinen Bestrebungen durch Beiträge zu tmter-
sftitzen. — Diese trefflichen Bestrebungen, welche öberdl, wo sie zu Tage
getreten sind, von den besten Erfolgen begleitet waroo, können indess den
im Deutschen Reiche lebenden Deutschen nicht ausreichend erscheinen;
es (genügt nicht, dass deutsche Gemeinden in einxehien Kronlfindem Oester»
reiclm ,';egen Slavisinmg gef^cln'itzt werden. Es mnas ^n solcher Schuta
\'ielmehr den Deut sehen überall 'U Teil werden, wo sie in Gefahr stehen,
durch eine d'-r dt utvchen C nltur teindliclx Natioji in ihrem beiligsten Erb-
teil, der iU'Utsch* ii iliMunt,', verkümmert zu werden.
»VurAIl'^ni siii'l t'K jefz* <lt<- JJt iif.sclu ii In l 'ntjarn tinrl Siehe nhurycrij
uelehe unserer Hilj'e ieihtr/cn. Tiotz iler gesetzlichen Zusiclieniug der
(ileiclibereehtigimg der Sprachen hat die herrschende magyiuische Minder-
heit seit einer Beihe von Jahren consequent <1abin gearbeitet, die deutsche
Bildung in den ungarischen Kronländem va Grunde ssu richten. Die Zahl
der deutschen Volksschulen wird von Jahr zu Jahr vermindert, die deut>
sehen Gymnasien sind mit Ausnahme der siebenbUrgiscb^sächsiscben magya-
risirt, eine deutsche Universität ist nicht mehr vorhanden: die geeeteliobe
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DFB tALLOFMEINE DEUTSCHE 8CHULVEBEIN» UND UNGARN.
43
Bestüiuuuu^, nach welcher Jer Staat verpdichtet ist. für Jk- lUltiuii^ «1er
DenttclieB bis zur Stufe des akademisehen ünteniehts Sorge zn tragen, ist
nicht allein nieht ausgefiUirt, sondern das jetzt vorgelegte Mittelschnlgeeetz
will onter Aufhelmng dieser Bestimmung die Errichtung nener deutscher
Mittelschulen (Gymnasien und Realschulen) durch den Staat verbieten und
alle Eum Lehramt Berechtigten zwingen, die Befihigung zum Untcn-icht
in der iiia-^'vuviKchen Spraclie luicliznwoistii, tlamit auch »lie bi8heri<:t' l'il-
dung der Leliror auf «letitschen Hochschulen für «lie Zukunft verliiudert
wfnle. So (hinkt is der Magynr, (Ihhh Ihm (h'r Deutnrhe nIrJt' nur die
Brfreiunfj von der Tnrlt iilu rrsrltnft hrnrhtt'. xundrrn nh, rh'ttij f erst da»
Lflit europiiiisclu r Bildiinij iihi r die tiitfjiirlsr)ten L'did'v
«Diesen enijK'iviiilen /ii'^ianden gegenüber die I kutscluu i)i l'ii«:ani
und biebenbürgeu /.u xmieistutzen, ihnen in dem Strelien »ier J'.ewuiming
ihrer deutschen Cultur beizustehen, ist Deutsche Pflicht; — es ist tot
Allen die Pflicht der vierzig >>Gllionen Deutsehen, weldie sich im Deutschen
Beiche des Vollbesitzes der Segnungen deutscher Cultur erfreuen. — Es
be<1arf aber zu diesem Zweck einer wirksamen Oi^janisation, welche —
jeder politischen Parteistellung fem — sich das grosse Ziel setzt, dass es
nirgends auf der Welt dem Deutschen an Mitteln fehlen darf, sich und
den Seinigen deutsche Bildung /u schatTen und zu erhalten. — Möge die
Or<rnnisation des •^Allcfenieinen Deutschen Schuh ereins», zn welclior ans
d» n verschiedenen Tcili ii des Reichs liereit.s die Znstinnnnut^ an uns
gehiiiirt ist. i!n Stande sein, eine sohdie Schutzwehr /n liilden. die nherall
da \vii>>s:i!ii wird, wo iiiodenie iJarharei es wagt, deutsclie J*ildung mit
Fu^-stn zu treten.
Berhn, im November 1881.»
Unterschrieben: F. Arndt, Geh. Commcrz.-Rat. Dr. Bach, Director
der Falk-Realschule. G. Bleibtreu. P]ro£ Dr. Boitze, Director der Andreas»
Realschule* Prof. Heinrich Brunner. Georg v. Bunsen. Dr. Gneist, Abgeord*
neter. Prof. Goldsdmiidt, Geh. Jnstizrat. Heinrich Hardt. Prof. Dr. Hart-
mann. Julius Heese, Comnierz.-Kat. Friedrich Kapp. Jtilins Kauffmann,
Comm«rz.>Rat. Trof. Ott»» Ttleidorer. Dr. Falkenstein. Dr. Ricliard Böckh.
Dr. Bormeng. Dr. Bemard. FroL Dr. Wattenbach. Prof. Dr. Zupitza.
So haltet die Anklage. Neben den ganz und gar inlialtlosen
Phrasen findet sich in derselben Wahrheit und Dichtung so
erstaunlich durcheinander geworfen, dass man die eine von der
andern gar nieht mehr zu unterscheiden im Stande ist. Man sieht
es deutlich, die Herren in Berlin haben ihre Entrüstunfr fix und
fertig aus Heimannstadt bezeigen. Und wenn sie die (.iesebichte
auch nicht ganz verstanden haben; wenn wir auch wetten möchten,
dass kein Einziger der Berliner Herren jemals von Angesicht zu
Angesicht Jene Gesetze gesehen hat, auf welche in diesem An/rufe
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DER tALLOl MEIKK DBUT80BE SCHULTEREINI UND ÜNGARK
lUrujtinif (jeschifhtt 60 haben sie es doch als eine nationale Sache
angesehen, diese Khi^^e ins lu-ili^c (leiitsche Keii-li liinaii.szusendeii.
Da woileu wir uns denn die Herren auf ein Stiiudclien ausbitten,
um ihnen diese Kenntniss zu yermittehi. Wir hoffen, dass diese
Zeit ihnen einigen Nutzen und Tielleicht aueh einige Kurzweil
bringen wd.
.. Tritt;: ffer fft HetzlicJirn '/jiiHif1ierün<i ih'r (ilexcJihcrerhtinuntj der
Sprdchen hat die herrachefidc magyarische Minderheit >trit einer
Reihe von Jahren consequent dahin gearbeitet, die deutsche Bildung
in den ungarischen Kronländem zu Grunde zu richten." — Wenn
Herr Victor Tissot von den «ungarischen Kronländem» spräche,
so waie das hegrciflit-li : wenn aber angesehene deiitsclie Gelehrte
eine so bodenlose Unwissenheit iu Sachen des Staatsrechts der
österreichiseh-ungarischen Monarchie bekunden, dass sie von
i ungarischen Kronländem» sprechen, fast zwei Jahrzehnte, nach-
dem Ungarn sich nn<;esicht8 Ton ganz Europa als selbständiges
Staatswesen constituirt hat. nachdeni der Name Ungarns als der
eines mit Oesterreich vollkommen gleichberechtigten Staatswesens
bei unzähligen internationalen Anlässen — unter anderen auch
auf dem Berliner Congresse — seine Bolle gespielt hat : wenn,
sagen wir, nach alledem deutsehe Professoren von «unfi^schen
Kronlaudern » sprechen, so können wir das nur mit r» spektvollem
Schweigen aufnehmen und Herrn Tissot im Stillen Abbitte leisten,
dass wir jemals gegen seine wissenschaftliche Gründlichkeit Zweifel
zu erheben gewagt haben.
So wird denn in den «ungarischen Kronländem» seit 14 Jah-
ren die deutsche Bildung zu Grunde gerichtet ! Merkwürdigerweise
hat sich gerade wahrend dieser Zeit, das ist seit dem Jahre 1S67,
die Zahl der Schulen jeghcher Art mehr als verdoppelt und da diese
Schulen sich gleiohmässig auf alle Nationalitäten Tertheilen, so
können wir wirklich nicht begreifen, wie es möglich gew esen wäre,
die «deutsche Bildung» mit solchen Mitteln und auf solchen Wegen
gar so sehr zu Grunde zu richten ? Dass dem aber wirklich so sei,
wie wir sagen, das wollen wir mit Ziffern beweisen.
Nehmen wir zuerst die Elementarschulen.
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DER «ALLUE.MEINE DEUTSCHE SCHULVEllEIN » UND UNOABN. ^
Von deu lö,N:24 Voiksschukn des Jahres 1880 war die
Unterriehtsspraehe die
ungtuisehe
... in
7341 Schulen
deuttohe... . ... .
•
867
t
mmämscbe
... •
2756
•
slovakisohe
•
1716
serbische
... •
•246
•
oroatische
68
mtheiusche ... ...
•
393
•
unfforuch'deiitfirhr ... .,
•
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mmänisch-nii j,';iri sc 1 1 e
... •
394-
»
glovalvi^cli-nn^'arische ...
•
597
>
serbi8cli-uiij,'iinsche
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croatisch-UDgarische ... .
•
79
*
nithenischoimgBrische
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•
andere zwei Sprachen — .
•
48
drei S]«achen
... »
10t
»
In dor Majorität der vorhandenen Schulen, das ist in Sii^'I Anstal-
ten, war die \'i>rtra','ssprache also uicJit iiKniyarisch, den Ziffemver-
hfdtnissen der l^ationalitäteu entsprechend.
Wir fragen, ist es möglich, in Sohnlangelegenheiten ein libe-
raleres Vorgehen zu denken, als dasjenige, welehes die vorstehen*
den Ziilern ausdrücken ? En fjiht fünfzehn Gattungen sprachlich
verschiedener Schulen — der Staat verhalt sich dem ge^n näher
ganz teilnahmslos und respectirt jede Eigenart. Es gibt nahezu
3000 nunänisohe, nahezu ^000 slavisohe Schulen, der Staat legt
ihnen nichts in den Weg und man wird doch wohl die ungarischen
Regierungsm iinner nirgends für so blöde halten, dass sie rumä-
nisclie und slavische Schulen lieber sähen, als deutsche Lehr-
anstalten ?
Wenn sie übrigens so dächten, so wäre auch damit an dem
Stande der Dinge nichts geändert, da die Volksschule in Ungarn
ganz in den Händen der Gemeinden und Confessionen ist, welche
über die Vortrugssprache derselben vollkommen frei entscheiden.
Von dem confessiouellen Charakter des ungarischen Volksschul-
weaens haben die Herren vom Schulverein — versteht sich —
keine Kenntniss und sie hahen auch nicht getrachtet, sich darüber
zu informiren. Wahrlich, man muss die Kühnheit hewundem, mit
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I>KU «ALLGEMEINE DEUTSCHE SCHULVERHIX » UND UNGARN.
weicher diese Herreu sich uuterfaugeu, bei so bodenloser Un-
wissenheit über ungarische Verhältnisse diese selben Verhältnisse
zum Gegenstande ihrer entrüsteten Kritik zu machen.
So mögen denn die Ziflfem hier stehen, welche die Gemeinde
des deutschen Schulvereins autTiliireu köniu n !
Das Verhaltniss, in welchem die Staatsschuleu zu den cou-
fessionelien und Gemeindeschulen stehen, drücken die folgenden
Zahlen aus.
' Von den la,8S4 Volksschulen des Jahres 1880 waren:
Stuatsschuleii ... i'6H
Gcmeindeschulen lWi9
Coutessionelle Schulen ... ... \Z,12it
rhvatschuleQ 167
In 260 Schulen bestimmte also der Staat die Vortragssprache —
dem standen aber l."')..')ös Anst.ilton fi^egenüber, in welchen der
Staat darauf keine, absolut keine Ingerenz besass.
Wenn sich eine ungarische Gemeinde fände, in der sechs
Sprachen vertreten sind, so hätten die Gemeindemitglieder das
Becbt sechs Schulen zu errichten, in deren jeder eine andere Vor-
trauh.spraclu' zu Hause wäre, oder sie konnten begehren, das^ eine
einzige »Schule errichtet werde, worin alle diese Sprachen gleich-
berechtigt gelehrt und gesprochen werden sollten. Fände sich für
diese Schule irgend ein kleiner Mezzofanti unter den Zöglingen
unserer Lehrerpraparandien, so würde ihn nichts in seinem wohl-
tliätigen Wirken hindern. Auch die wenigen Staats-Elementar-
schulen unterrichten übrigens in der Sprache, welche an Ort und
Stelle die Majorität besitzt und der ungarische Staat hat magya-
rische Schulen ebenso, wie er deutsche, slovakische oder ruthe-
nische besitzt.
Erst vor etwa zwei Jahren ist man zum erstenmale darauf
pjekommen, von staatswegen zu begehren, dass in allen Volks*
schulen die ungarische Sprache nicht etwa zur Vortragsspraehe
erhoben werde, sondern blos, dass sie in die Reihe der ordent-
lichen I nti rrichtsgcgt ustunde aufgenommen und ein bis zwei
Stuudeu wöchentlich gelehrt werde. Darob wurde die ganze
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I»i:it «ALLGl MEINE UhT l^CHE 8CH l LVKIiLlN •> I NI) L NGAItN.
deutsche Presse fie<^en Ungarn gehetzt — als ob nocli nie ein
Staat irgendwo in der Welt Teriangt hätte, dasB man bei der Er-
ziehung seiner künftigen Bürger unter Anderem auch seine Sprache
t ili weiiiii berücksichtiL^e : als ob nicht in ganz Belj^ien in jeder
vläuiibchen Elemeutarsclmle die französische Sprache gelehrt
würde; als ob man in Posen auch nur ein Jahr lang eine Schule
dulden würde, in welcher die deutsche Sprache so behandelt würde,
wie die magy arische Spruche in der Mehrzahl der ungarischen
Schulen ; als oh iiielit zu jeder Zeit und in jedem Lande die Regie-
rungen mehr begehrt hatten, al» was in diesem Gesetze über den
obligatorischen Unterricht der magyarischen Sprache verlangt wird !
Der Staat betrachtet es als seine Pflicht, die Bürger zurKennt-
niss der Staatssprache zu erziehen, damit dieselben nicht später
wefjen Unkenutniss derselben zu gewissen Staatsainti'rn uulaliig
stien. Dieser Gedanke ist nicht von heute uud gestern ; er findet
sich schon in jener Ratio educationin, welche ein berüchtigter
mag^rarischer ChauTinist, der Kaiser Franz hiess, im Jahre 1806
herausgab und in welcher ein Paragraph bestimmt: «Lingme
patria- usum tüvi Hungarn e.sse ornuino neecessarium, nemo est,
qui ambigat: idcirco cura ubique peculiaris et coutinua erit in
scholis Hungariffi adhibenda, ut illius cognitione adolescentes
pariier imbuantur.»
So stand es von jeher und das ist das Einzige, was der unga-
rische Suiat bisher getan hat, um seinen Eintiuss auf das Volks-
schulwesen zu sichern.
Das sind ganz unbestreitbare Tatsachen. Diese Tatsachen
aber kennt der Deutsche Schulverein nicht und das ist in seinem
Falle geradezu ein Vergehen. Denn es kann einer ein sehr braver
Mann und ein i;anz tretflicher Deutscher sein, ohne von (Uu De-
tails des ungarischen Schulwesens Kenntniss zu haben. Wir bilden
ans auch durchaus nicht ein» dass es zu Europa's dringendsten
Sorgen gehöre, sich über diese Dinge zu informiren. Das aber
kann nicht zweifelhaft sein, dass Personen, welche sich nnmassen,
iii»er die Verhältnisse eines J.amlrs in jenem Tone zu spri-clun,
vie die Herren vom Deutscheu Scimlvereiu, dass diese Personen
Oigitized b^OOgle
48 DER • ALLGEMEIME DEUTSCHE SCHULVERBIN» UND UNGARN.
auch (lif Priiolit liai»t u. ^k-h ülier diese Verhultnisse verlasslirhe
Inforuiationeu zu verschaffen. Wenu solche Personen aber auf
der einen Seite mit vollster Apodicticität das Wort führen und auf
der anderen S^ite eine so grenzenlose Unkenntmss an den Tag
legen : dann sagen vir es ohne Umstände, dass ein so gearte-
tes Vorj^ehen den einfachsten Jiepjriflfen von politischer Moral
Hohn spricht. Der Pariser «Figaro», über dessen Berichte aus
Deutschland man seiner Zeit so viel gelacht hat, ist eine recht
lüderliehe Zeitung; aber die Mitarbeiter des «Figaroi sind hundert-
mal gewissenhafter, wenn sie ihr Deutschland schildern, als die
Herren vom Schulverein, wenn sie über Unfjarn sprechen.
Die Klage geht dann folgeuilermassen weiter : „Die gesetzliche
Bestimmung, nach welcher der Staut v rpßichtet ist, für die BUditng
der Deutschen bis zur Stufe de» akademischen Unterrichtes Sorge zw
tragen^ ist nicht aüein nicht ausgeführt, sondern das jetzt vorgelegte
Mittelschulgesetz irill unter Aufhebung dieser Bestimmung die Er-
richtung neuer deatsrlit r Mitt''lsrliuh ii (hirrJi dru Staat vttrhietcn und
alle zum LehranUe Bercrhtigtcn zwingen, die B^'ähigung zum Un-
terrichte in der maggarisciien Sprache nachzuweisen, damit auch
die bisherige Bildung der Lehrer auf deutschen Hochschulen für die
Zukunft verhindert werde."
Ein wahrer Kuttenkönig von Uukenntniss. von Verdrehun^'eii
mid Eründuogen. Vor Allem ist jenes fürchterliche «Mittelschul-
gesetz» vorerst nur noch ein Oesetzentwurf, Wie ernst die unga-
rische Legislative es mit der durch diese Vorlage bezweckten
Beform nimmt, mag man daraus ersehen, dass der Gesetzentwurf
über die Keorganisation des Mittelsehiihveseiis seit zehn Jahn n
dem Parlamente vorliegt, lV)rtwahrend Gegenstand der Discussion
war, in fünf, jedesmal modificirten Formen durch die Begierung
der Glesetzgebung unterbreitet, dreimal durch parlamentarische
Aussohässe beraten und modifieirt wurde — ohne dass das Ab-
geordnetenhaus sich dazu entschliessen konnte', die nieritorische
Verhandlung zu beginnen. Nun ist dieser Gesetzentwurf neuer-
dings dem ünterrichtsausschusse zugewiesen; es können aber
Jahre vergehen, ehe derselbe zur Verhandlung gelangt. Welches
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OKR tALLOEMBINB OEÜTBOBB SCHULTBaSINt OND UNGARN.
die definitive Form seiu wird, in welcher diese Vorlape aus den
AosschÖBsen und aus den Beratungen des Plenums endlich her-
Toigehen wird, das ist vorerst noch gar nicht abzusehen« Gerade
solche BegieningsTorlagen werden oft bis zur Unkenntlichkeit mo-
dificirt, ehe sie der königlichen Sanction unterbreitet werden, und
wer wüsste zu siigen, was das Schicksal des jetzt in Fra^^e stehen-
den Entwurfes sein wird ? Wie soll man es angesichts dieser Tat-
ttehe bezeichnen, wenn von gewisser Seite ganz Deutschland
fuifgeboten wird gegen etwas, was noch gar nicht Gesetz ist, was
möglicht^rweise gar niemals zum Gesetze werden wird ?
Eit (jibt kein neues Mittelschnl/jeset:: und es ist demnach die
vollkommenste Tissottise, wenn ernste Männer, ehe sie sich über-
sengt haben, ob das, wovon sie sprechen, wirklich existirt, eine
lolehe Anklage erheben. Wohl aber gibt es — wie gesagt — einen
MitteUchulgesetz-Kntwur/j imd diesen wollen wir hier kurz ana-
Ijsiren.
Wieder haben die Berliner Herren mit eben so viel Süffisance
als Frivolität über einen Gegenstand abgeurteilt, der ihnen
absolut unbekannt ist. Sie hätten diesen auch in deutscher üeber-
setzimg erschienenen Gesetzentwurf doch mindestens durchlesen
Bollen. Sie hatten dann üher die Natur des ungarischen Mittel-
Bcbolwesens Auskünfte erhalten, von denen sie jetzt keine Vor-
stellung haben. Denn sie besitzen offenbar nicht die geringste
Kemitniss von dehi vorwiegend confessionellen Charakter des
nugjiriscben Mittelschulwesens, welcher Charakter es mit sich
bringt, dass dem Staate in der grossen Mehrzahl dieser Anstalten
nur die Oberaufsicht, keinesfalls aber dasBecht zusteht, die Unter-
richtssprache zu bestimmen.
IMe folgenden Ziffern zeigen, wie zum Schlüsse des Jahres
1879/80 das Mittrlschulwesen sich zwischen dem Staate und den
Confessionen verteilte. Es bestanden in dem genannten Jahre :
OynoMta B<lit>holWi Summe
Staatsanstalten 7 17 24
Municipalanstalten 5 7 12
<»rrl«-nss{-lnik-n ... .. ...40 — 40
Au.-, ikiii Stu<lipiil'oiul erliiilteue Austalteu 14 — J4
Ci^uüdi« B«roe, 1862, I. H«ft. J
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^ DER «ALLOCHEINE DBUTBOHE SCHULTEREIN» UND üKOABN.
Gymua^^ieu lieRUcUuloD .Souuuü
ETangelisoh« Anstalteii 95 — !t6
Befonnirte » 30 — 3U
EvangeÜBch-refoniurte Anstalten ] — 1
Katholische Anstalten ... ^. 18 1 19
Umtarische » _ _ 3 —
Gii6chiBCh>orieutali<4clit> Anstalten ... 3 — 3
luterconfessionellü Anstalten 1 — 1
IMvate Anstalten 2 I 3
Ii!) W> 17^
Dr' Zahl der eigentlichen Staatsaustalten verhalt sich somit zu
den coofessionellen und munioipalen Schulen wie d4tzu 151. Von
den gesammten 175 Anstalten stehen III unter mehr minder
directer Aufsicht der Regierunj:, während (54 Schulen sich voll-
komtiien der staatlichen Eintiussnahme entziehen. Wenn in
manchen municipaleu oder coufessiouellen Anstalten in ni;i-
grarischer Sprache vorgetragen wird, so geschieht das eben,
weil die Bevölkerungen, welche diese Schulen erhalten, es so
wollen. Wo sie das nicht wollen, haben sie das Recht unterrichten
zu lassen, wie es ihn» n helieht. Freilich haV)en zahlreiche
Deutsche — denen die Zukunft ihrer Kinder höher steht, al3 das
Verlangen nach einem Conüict mit dem Staate — von jeher ji;e-
wünscht, ihren Kindern den Vorteil zu sichern, dass dieselben
ausser ihrer deutschen Mutters])r:iche auch die ungarische Staats-
sprache kennen und sprechen. Aus diesem vernünftigen und prac-
tischen Bestrehen hat sich uni^v Anderem auch die Gewohnheit
herausgebildet, dass deutsche Familien ihre Söhne zu ungarischen
und ungarische Familien ihre Söhne zu deutschen Familien geben
und daselbst Jahre hindurch lassen, bis sie der fremden Sprache
voUkomiiK 11 mächtig sind. Zwischen Deiitseheu und Ungxrn —
wir müäseu immer wieder darauf zurückkommen — hesteht eben
in Ungarn von jeher das denkbar beste Verhaltuiss und die säch-
sische Agitation hat auf ungarischem Boden niemals den gering-
sten Anhang gehabt. So kommt es, dass, wie wir versichern
kouuen. i<eit dem B>'<tandfl der unij-irhchen Req\pr\inn an dies*'lh(*
noch niemals das Verhm<n'n ijei^tellt tronh-n ist, ein deutsch' Gi/ni-
nasium zu errichten. Wo die Sprachen Verhältnisse es so erfordern,
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DEU «ALLtitMKINE DELT.SCHE SCllULVERF.IN » UND LNüAUN.
wird aber in den Statitsschulen auch jetzt in gemischter Sprache
der Unterricht erteilt. In den confessionellen Schalen hingegen
beetimmen, wie gesagt, die Gonfessionen in uneingeschränkter
Autonomie ihre Vortragssprache. Der Staat hat ihnen absolut
' nichts vorzuschreiben. Das ist es. was man den Herren vom Deut-
schen Schulverein nicht gesagt hat, und man hat ihnen femer
nicht gesagt, dass der neue Mittelschul-Gesetzentwurf diesen
Zustand Tollstandig sanctionirt. * Wir aber w agen zu behaupten,
dass dieser Gesetzentwurf einen Liberalismus an den Tag legt, der
mit Rücksicht auf die Wahrung staatlicher Interessen kaum zu
entschuldigen ist, und dass derselbe, was den Respect vor der
confessionelien, das ist in diesem Falle nationalen Autonomie
betrifft — in der europäischen Unterrichts-Gesetzgebung ohne Bei-
spiel dasteht.
I)ieser Gesetzentwurf gestattet allen Confessiouen, ja seihst
privaten Gesellschaften und einzelnen Privaten, öffentliche Mittel-
schulen SU errichten, wenn dieselben in Bezug auf den Lehrplan
den allgemeinen, für die betreffende Kategorie von Schulen gü-
tigen Vorschriften entsprechen ; die Zeugnisse dieser mit dem
IV'chte der Oett'entlichkeit bekleideten Schulen — (»h nun an den-
selben magyarisch oder deutsch, rumänisch oder serbisch vorge-
tragen wird — gemessen dieselbe Giltigkeit, wie die Zeugnisse
der Staatssehulen. Da die Mittelschulen meist in Händen der Con-
fessionen sind, wird ihnen auch das Recht gegeljen, ihre Lehrer
iu eigenen Seminarien zu i)ilden und dies( ll>en vor den viui ihnen
i;e wühlten Priifungs-Gommissionen — welchen nur zwei Begie-
* Paragraph 79 des GesetzentwurfeB bestimmt wörtlich Folgendes:
«Die Confessionen, OeeeUsehftften oder Private bestimmen selbst die Vor-
tmgsppraohe in den von ihnen erhaltenen Schulen, doeh sind dieselben
verpflichtet, wenn die Vortragsspraohe nicht die magyarische ist, ansser
ihrer Vortragssprache tuul Literatur für ' i Unterricht der ungarischen
Sprache und Literatur als eines obhgatcn Lelirgegeustaudes zu sorgen.» —
Das gilt vou <leu flichtiiiagj'arisclieu, aUo auch deutschen St-huleu. Tara-
grap}i 4 und 6 dc^ Gesetzcntwurtts lüiijOifgcü bestiiunit für alle Mittel-
schtileu de« Laiuk< ohne jeirlichcu Unti-rschiedt deutsche Spruche und
Literatur ah» einen obligaten Lehrgegeustaud.
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53 DEB t ALLGEMEINE DEUTSCHE SOHCLTBBEIM» UND UMOABN.
ruü^ä-V( rtr. tt-r zugezogen werden — prüfen zu lassen. Ausge-
rüstet mit den Zengnissen dieser confessionelleD Anstalten er-
langen die Candidaten die Befähigung zur Ausübung des Lehr»
iimtes in oonfessionellen, wie in Staatssehulen, gerade so wie ihre
Collepeii. die in den St ininarien des Staates und unter dessen un- *
mittelbarer Aufsicht ausgebildet worden sind. Den Besuch fremder,
also auch deutscher Schulen verbietet das Gesetz nicht nur nicht,
sondern es bestimmt ausdrucklich, das$ jeder Candidat van den
akademischen vier Jahren drei an einer ausländischen Hoeheehule
verhritKjeu h'onnr. Nur wahrend eines einzigen Jahres wird gefordert,
dass die Zöglinge die Landesschulen frequentiren und ebenso wird
gefordert, dass die Qualiiioation zum Lehramte im Lande selbst
erworben werde, wie es ja keinen Staat in der )¥elt gibt, der eine
im Auslande erworbene Lehramts-Qualification für sich als mass-
gebend anerkennen wurde. Bei ilein letzten Kxauieu veriani^'t man
aber auch — und hier liegt das grosse Attentat gegen die «deutsche
Bildung» — bei dem letzten Examen eines Mittelschul-Professors
verlangt man aber auch, dass er, der nicht nur die Qualification
zur Ausübung des Lehramtes in den Schulen seiner Gonfession er-
langt, sondern zum Leliramt in sammtliehen Mittelschulen des
Landes befähigt wird, nachweise, dass er den Unterricht iu der
Staatssprache erteilen könne. Der Staat gibt eine Concession,
welche zu den wertvollsten und unseres Erachtens nicht ganz
ungefährlichen gehört, er deckt mit seiner Autorität die Zeugnisse,
welf'he von Schulen ausLrestellt sind, die nicht unter seiner Leitung
stehen — was ist da natürlicher, als dass er als Eutj^^elt mindestens
begehrt, sich zu vergewissem, ob die Zöglinge dieser Schulen,
wenn sie an ungarische Anstalten gelangen, auch der Sprache
ihrer Schüler und ihrer Schule mächtig sein würden ? Von Jenen,
welche sich darauf beschranken wollen, in den Schulen ihrt r Con-
fessiouen zu wirken, verlangt der Staat überhaupt gar nichts. Die
Confessionen können bezügUch der Ausbildung und Prüfung
der Lehrer ihrer Mittelschulen ganz autonom veifügen. Ist*8 ihnen
recht, dass ein Lehrer der Staatssprache nicht mächtig sei, so hin-
dert sie nichts denselben anzustellen. Erst im Augenblicke, da der
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DER •ALLOBUSIMB DEUTSCHE SCHULTEREIN • UND UMOABN. S3
Betreffende ans dem Kreise seiner Confession heraustretend, die
Verwondiint^ in den Staatsschulen sucht, tritt der Staat an ihn
heran mit der Frage, oh er auch gewissen, sehr laxen Vorschriften
Genüge geleistet habe 9 *
Wie steht nun die Bilanz in dieser Sache? Der Staat sagt
den Candidaten und den Gonfessionen : tlch gebe euch die unein-
geschränkte Autonomie, so lange ilir auf dem Buden eurer Schulen
verbleibt, ihr mögt da bestimmen, was ihr wollt und die Bestim-
mungen handhaben, wie ihr wollt. Ich bin aber auch bereit den Ton
euch ganz ohne mein Hinzutun ausgebildeten Candidaten den
Zutritt SU meinen Schulen zu gestatten, wenn ihr mir aus Änlass
der Prüfungen den Nachweis führt, dass eure (^)ualification den
für meine Schulen vorgeschriebenen Bedingungen entspricht, und
dass ihr in meiner Sprache vorzutragen fähig sein würdet, wenn ich
euch in einer meiner Schulen unterbrachte.» Die Candidaten aber,
denen der Schulyerein das Wort redet, antworten dem Staate :
«Wir wollen auch fernerhin alle Begünstigungen gemessen, wir
sollen unabhängig von dir ausgebildet und diplomirt werden,
deine Yorscbriften kümmern uns nicht, deine Sprache erlernen
wir nicht, zu deinen Schulen aber begehren wir freien Zutritt, sonst
rufen wir ganz Deutschland auf zum Zeugen des harten Unrechts
und der blutigen Verfolgung, die wir als wehrlose Opfer erdulden!»
Das ist der Stand der Dinge und wir fragen jeden Menschen,
der eine Vorstellung von der Verwaltung eines Staatswesens hat,
* Um jedem Zweifel an der Kichtigkeit unserer Angaben zu begegnen,
lasfen wir hier den betreffenden Paragraphen (70i des Gesetzentwurfes in
wörtliclicr Uebersetzung folgen. Derselbe lautet : ainsofeme die Gonfessionen
den in den v(»rlu'i;,'f hendcu Paragi-aphcn festgesetzten Bostinminupfen über
die Bildung und Diplominnig der riofessoren eutsprecluii, li:d>(n die
solcherart erlangten Diplome dieselbe Geltung wie ilie .staatlichen imd
können die so qualificirten Professoren sowohl in den Staats- als in den
■ndtran li&ttdadiiilMi unbehindert angestellt werden. Ineofeme jedoeh die
ConfeatuMMn den ▼oigeiiehziebenen Bedingungen bei Bildung und Diplomi>
rang ihrer Fxo&asoren nicht entsprechen, können die durch sie in ihrem
eigenen Wiikongskreise diplomiiten Professoren nur an Ihren confessionellen
Anstalten Yerwendnng finden.»
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DIR «ALLaE3I£IN£ DEUTSCHE SCHULVBRfilN*- UNO UMGABN.
ob es ein Land in Europa gibt, wo die Staatsgewalt einwilligen
würde, eine solche und keine stolzere Bolle* im Ünterricbtswesen zu
gpielen? Wohl fordert ciiu' Kegiening, welche eiuen solchen (be-
setz vorschla^^ t iuhringt, (he Augrifife heraus — aber nicht die
Träger der autonomen und nationalen separatistischen Interessen
sind es, die Grund haben über sie Klage zu führen !
Man verlangt also von den deutschen Gandidaten für die
Mittelsclmllehrer- Stelle die KtnntuisH der un^^'urischen Sjtraclie.
luid es ist luBlier noch nie ;,'eschehen, dass ein ui^ifariai iur
Deutscher darob in Verlegenheit geraten wäre. Nur etliche säch-
sische Gandidaten aus Siebenbiurgen fühlten sich sehr gekränkt in
ihrem nationalen Bewusstsein, wenn sie nicht zuhause, im engsten
Familienkreise ihre Prufunfien hestehen können, und wenn man
von ihnen so^^ar verlangt, sie sollte n sich auch mit der olüciellen
Sprache des Staates einigermassen befreunden.
Wieder fragen wir : gibt es einen Staat in der Welt, so weit
sie ist, der in einer Mittelschule Lehrer anstellen würde, welche
sich dessen rühmen, dass sie die Staatssprache nicht verstehen,
ja dass sie dieselbe gar niclit verstehen wollen und niemals ver-
stehen werden *? Giht es einen Staat in der Welt, der von den
Lehrern an der Mittelschule nicht verlangen würde, dass sie
seine Sprache verstünden, wenigstens so, wie er von ihnen ver-
lanp:t, dasB sie fremde Sprachen verstehen ?
l)cutsrh( Sttiats-Mittelschulen, deren Aufhören der Schuiverein
in seiner grotesken l'nwissenheit über ungarische Verhaltnisse
beklagt, deutsche Mittelschulen hat es, ausser während der Herr-
schaft des österreichischen Absolutismus in Ungarn, überhaupt
nicht gegeben. Sie konnten also nicht verdrängt werden und der
neue Gesetzentwurf kann sie auch nicht verhieten. Wohl aber hat
es zahlreiche Gymnasien gegehen, in denen, je nachdem es die
Sprachkenntnisse der Schüler erforderten, auch in nichtmagya-
rischer Sprache vorgetragen wurde und das ist noch fortwährend
der Fall, wird auch später so bleiben. Diese Schulen bedienen sich
in voller Freiheit dt rjenigeu Si)rache, oder derjenigen Spraclien,
welche den Schülern am geläufigsten sind. Im ganzen Lande iftbt
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DEB «ALL0E3IEINE DEUTSCHE SCHL'LVEREXN» VTXD UNOABN. .
e$ aber auch nicht eine einziffe Mittvluchule, weder ein GifmuaaiHm
noch eine Rv»ils<-huh', in irdf hcr nicht Iiis c//r letzten Cl(i8f<e ron^'^eqii' nt
(Hl- deutsche Spniciie als uhliyatcr Lchnjciicnstümi 'jcU ln t u ürdc, keine
Schale selbst in den allennagyarischesten Bezirken, nicht in De-
brezin, nnd nicht in Szegedin, wo ein Zögling aus einer Classe in
eine andere emporsteigen könnte, ohne seine Kenntniss der dent*
ßchen Spraclie ilurch ein»- Prüfuu^' bekundet zu halK ii. wt-idie nidit
weniger strenge gefuhrt wird, als die Prüfun«^' aus der lua^^aribcLt-n
Sprache. Es gibt kein Gymnasium nnd keine Bealschule, an welcher
ein Zögling das Abgangszengniss erhalten würde, ehe er nach-
gewiesen hat, dass er der deutschen Sprache in Wort nnd Schrift
vollkommen mächtig sei. Und ohf^leich dem so ist, hat der jetzige
Cultus- und Unterrichtsminister, Herr v. Tr6fort, der nach dem
Deutschen Schulverein als eine Art moderner Herodes unter den
deutschen Schulen wüten soll, erst vor wenigen Monaten in einer
Programmrede, vor einem der magyarischesten Wahlbezirke er-
klart, er werde künftif,' die Kt-nntniss der deutschen Sprache in den
Mittelschuleu und in den Seminarien mit noch viel grösBerer
Strenge als bisher fordern« So stehen die Dinge und wir wagen zu
sagen, dMs es ausserhalb Deutschlafids nicht einen Staat auf dem
Erdenmnde niht, der für die Kenntniss nnd für die Pßege der dent'
Kchcn Sprache in seinen Siitiden so fiele Opfer brächte nnd diese
Kenntniss mit solchem Ernste verfolgte n ie der ungarische ^taat.
Was wir hier sagen, davon kann sich Jedermann überzeugen,
der sich aus der erstbesten Buchhandlung die Sammlung der, auch
in deutscher Sprache erschienenen, ungarischen Unterrichtsgesetze
und Verordnungen kommen lasst ; davon kann sich Jedermann
überzeugen, der die Mühe nicht scheut, eine ungarische Mittel-
schule aufzusuchen. Und das Alles fasst der deutsche Schulverein
tusammen in diese wunderbaren Sätze : „Die gesetzliehe Bestimmung,
itach tcelcher der Staat vcrpßichtei ist, für die Bildung der Deutschen
bis zur Stufe des akadeniischoi Unterrichtes Sorge zu tra^it u, ist
nicht aUein nicht ausgeführt, sondern das jetzt vorgelegte Mittelschul'
gesetz will unter Auf hebung dieser Bestimmung die Errichtung neuer
detUicher Mittelschulen durch den Staat verbieten und aüe zum
5t} «ALLGF MEINE DEUTSCHE SCUULVEBEIN'» UND UNGARN.
Lehramt Berechtigten zwingen^ die Befähigung zum ünterriehte
in der magyarischen Sprache nachzuweieent damit auch die hiehriffe
Bilduna der Lehrer auf deutschen Hochschulen für die Zukunft
verhindert u erde."
Noch ein Hauptgravamen, das letzte, das gewichtigste: „Eine
deutsche Universität ist nicht mehr vorhanden»"
Und unter diesem Anfrnfe finden sich die Namen von etliehen
deutschen Universitäts-Professoren !
Wenn eine deutsclie Universität nirJit mehr vorbanden ist, so
muss sie ja wohl einmal vorhanden gewesen sein; da möchten wir
aber die gelehrten Herren ganz ergebenst fragen, woher sie diese
Wissenschaft haben — wann diese deutsehe Universität bei uns
existirte? Bis vor wenigen Jahren gab es eine einzige Universität
im Lande, die Budupester, die seit ihrer Gründung eine rein un-
f^arische Anstalt gewesen ist. ihr L'rsprung datirt noch aus dem
XIII. Jahrhundert, aber niemals ist ihr rein ungarischer Charakter
irgend angezweifelt worden. So lange die Staatssprache im Lande
die lateinische war, wurde an dieser Universität natürlich lateinisch
vorgetragen; allein noch bevor die niodirne ungarische Sprache
sich zur Staatssprache emporrang, hielt eine immer grösser wer-
dende Anzahl von Professoren die Vorträge schon in magyarischer
Sprache ab. Das Jahr 1848 fand die Universität vollkommen ma-
gyarisirt. Dieser Zustand erfuhr nur eine kurze Unterbrechung,
als nach dem Jalire ISIO der österreichische Absolutismus in l'n-
garn selbst die letzte Spur von nationaler Eigenart ausrotten
wollte. Damals wurden die ungarischen Professoren von der un-
garischen Universität vertrieben und durch österreichische Lehr-
kräfte ersetzt, von denen übrigens nur sehr wenige eine wissen-
schaftliche Bedeutung besessen haben. Das dnueiie nicht ;4anz
zehn Jahre, etwa von 1850 bis 1800. In diesem Jahre wurde
die Universität der Nation zurückgegeben und sofort wieder zu
einer ungarischen Hochschule gemacht. Die Wiederherstellung
des ungarischen Charakters dieser Hochschule föUt also nicht ein-
mal m die Zeit der unabhängigen ungarischen Regienmg, welche
mit dem Jahre 18G7 ihren Anfang nahm ; sondern es u ar noch die
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DBB lAIJiOBMBINE DBUTBCBE BCHVIiVXRBINi* ÜNB UNOABN. ^7
Oft rrreichi sehe Iii''iicruug, u clch' zur selhrti Zeit, da sir mit Pn uifiten
um die Hegemonie in Deutschland ramji den anyaiiHchen Charakter
der BudapuUr Universität anerkennen musste und anerkannte.
Sieben Jahre, bevor irgend eine der neuen Institutionen des nn-
gariflcben Staates in*8 Leben trat, wurde die lUniversität wieder
mau'yiirisch, so unzweifelhaft war es, tlass sie uiiuMriscb, nichts als
augarisch und nur imguriseh sei und sein könne !
In jener kurzen Zeit, wo das anders war, dachten die Macht-
haber auch an nichts weniger, als an die Verbreitung • deutscher
Bildnnfir.» Mit solchen Harmlosigkeiten hat sich der österreichische
Alisolutisinus nie beschäftigt. In den Auj2:en jener Maohtlüiber war
die GermaDisirung der üniTersität auch eine jener empüudlichen
Strafen, mit welchen man Ungarn treffen wollte. Die Ungarn zu
erniedrigen, wenn möglich zu vernichten, das war der Zweck —
an die «deutsche Bildunc;» dachte mau gar nicht. Auf der ganzen
Liuie noch siegreich, war die Universität auch der erste Punkt, auf
dem der österreichische Einheitsstaat geschhigeu wurde. Er hielt
noeb die Begierung und die gesammte Verwaltung Ungarns in
Händen, da er auf die Universität schon Verzicht leisten musste.
Dm ist ein so offenkundiges Stück zeitgenössischer Geschichte,
djiss man nicht einmal ein Sehuhnann sein muss, um darüber
informirt zu sein. Nur die Herren vom Deutschen Schulverein
biU>en von alledem keine Kenntniss, und klagend rufen sie aus:
„Eine deutele ünivereität exietirt nicht mehr!**
Nach der Schilderung dieser «empörenden Zustände» ist es
natürlich, wenn dt-r Deutsche Schuheit-in seine Stimme wieder
folgendermassen vernehmen lässt : „So dankt es <lrr Magyare, dass
ihm der Deuteehe nicht nur die Befreiung von der Türkenhemefutf't
hradite, sondern Uberhaupt erst das Licht europäischer Bildung über
die ungarifchen Länder verbreitete
Wer hatte nicht vorausgesehen, dass der Tiirke bei diesem
Anlasse werde ausrücken müssen !
Wir wollen darum auch gar nicht darüber streiten, inwieweit
der Deutsche wirklich cden Magyaren» von der Türkenherrschaft
befreit bat, ob nicht vielmehr der Magyare Jahrhunderte hindurch
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S8 ]>£B «ALLGEMEINE DEUTSCH K 80HULTEBEIK» UND UNGABN.
ein Schatz für die Deutseben gegen die Invasion der Türken-
herrscbaft gewesen ist ? Wir fragen nur : wenn man von solchen
(Tt siclitHpunkten ;iiis die mudenie Gc-setzf:^ebun<^ ret^uliren wollte;
urnn man Liebe und Hass. Dunk und Undank, hergeleitet aus der
Zeit der Türkenherrschaft, für die Schulgesetzgebnng im letzten
Viertel des XIX. Jahrhunderts als massgebend erachten würde, —
wie stünde es da um die europäischen Völker?
tJm nichts anderes zu tr\v;ihneu. niüsste mau z. B. an cler
"Wiener Universität in dankbarer Erinnerung an einen sicheren
Sobieski, König der Polen, polnisch vortragen. In den Wiener
Bealschulen und Gymnasien müsste die polnische Sprache der
erste Gegenstand jedes Unterrichtes sein, und wenn die Oester-
reicher und die Wiener zumal darauf nicht eingehen wollten, was
Ware berechtigter, als dass irgend ein allgemeiner polnischer
BchuWerein ausrufe: «So dankt es der Deutsche, dass ihm der
Pole die Befreiung von der Türkenherrschaft gebracht hat!i
Und doch ist das Factum, dass Wien durch die Polen von der
Turkt-nherrschaft befreit wurde, vitl sicherer als jenes Factum,
dass «der Magyare» seine Befreiung von der Türkenherrschaft
dem Deutschen verdanke. Nur glauben wir Anderen nicht, dass
man heutzutage Unterriehtsgesetze in Oesterreich mit Bücksiidit
auf den seligen Grossvezier Kara Mußtapha und seinen erlauchten
Herrn. Muhamed IV., fabriziren müsste.
So stürzt auch diese letzte hohe Säule zusammen, an welche
der Deutsche Schulverein seine Klage angeheftet hat: ,tEine
•deutsehe Universität exiatirt nicht mehr!*'
III.
Wie kommt es, wird man fragen, dass bei diesem Stande der
Dinge so lächerlich böswillige Verkehrtheiten selbst zu erleuch-
teteren Geistern des deutschen Volkes Zugang finden konnten ?
Wir wollen verbuchen darauf mit aller Ülfenherzigkeit die
Antwort zu geben.
Es ist das eben das Resultat einer jahrelangen verbissenen und
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/ «
DS& «ALLOEMBINB DECT8CHB aCHULVEREni» UND t'KOARK.
eonseqnenten Af^itation, welche durch eine ^anz kleine Cliqiie geführt
wini. die aber uiemul.s ein Mittel zu sclileclit für ihre Zwecke erachtet
hat. Die ungarisch' n Deutschen haben iltis Mauös von Freiheit,
desfien sie Bich wie alle Bürger dieses Landes erfreuen, stets aus-
reichend gefunden. Sie stehen dieser ganzen Bewegung ToUkommen
ferne, welche nur von den Siehenhiirffer Sachsen ausging und von
ihnen f^eführt \vi)r«U n ist. Die Letzteren sind zwar <^e\vohnt. im
ßewusstsein ihrer Superiorität recht klein von der (lesuinuitlieit
der ungarischen Deutschen zu denken — dafür haben aber auch
diese nichts weniger als Sympathien für die Siebenbürger „Leute
von Seldicylu**, Es genügt, dass eine Bewegung von Hermann-
st.idt ausgehe, damit diesell>e für die un;;aris(-hi n Dentsdien voll-
kommen ahgetan sei. Das ist freilich kein ganz schmeichelhaftes
Zeugniss für diese Herrschaften, die ihr Lebelang grollen und
schmollen, poUtisiren, kritisiren, agitiren, intriguiren, Pläne
schmieden, Dedarationen verfassen, und sich überhaupt als die
^r(>ssartigsteu l ureelitleidcr auszeichnen. Gottfried Keller, der be-
kannte ma«;^'arisc]ie Chauvinibt, muss es auf das treffliche Sachsen-
völkchen abgesehen haben, als er seine Einleitung zu den «Leuten
von Seldwyla» schrieb. Das Forträt ist gelungen Zug um Zug und,
wie man zu sagen pflegt, «zum Sprechen ähnlich.» Da leben sie,
ihrer 180,000 in einem Winkel von Siel)enbürgen und sind über-
zeugt, dass die Augen Europa'« auf sie allein und auf ihre Leiden
gerichtet sind. Darum schliessen sie sich denn sorgfaltig ab von
jeder Berührung mit den sie umgebenden Völkerschaften und
führen im Besitze ihres patentirten Deutschtums ein Leben voll
stiller Beschaulichkeit und beharrlicher Prätentionen. Es wird kein
Schuss in Europa gelost, ohne dass sie in Hermannstadt darauf
schwören, das gelte ihnen. Von den Vorgiingen der ungariBchen
Politik ganz zu schweigen ! Jedesmal, wenn die ungarische Legis-
lative ein Gesetz gibt, hat sie nichts im Sinne, als die Sachsen
zu unterjochen ; jede neue Schulvorlage, welche seit 15 Jahren
ausgearbeitet wurde, haben sie wie einen Stoss in*s Herz erklärt,
solange dieselbe nicht durchgefiihrt war, und haben sich dabei ganz
ausgezeichnet befunden von der Stunde ab, da sie zum Gesetze
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DER ff ALLGEMEINE DEUTSOHE SOHÜLVSREINt WD UNGARN.
ward. Trotzdem mnn sie schon etliche Butsendmale tödtlich ge-
troffen bjilxn soll, erfreuen sie sieh übrigens noch immer des
besten Wolilbelindens, sind frei in allen Angelegenheiten der
Kirche und der Schule, besitsen deutsche Volksschulen, deutsche
Mittelschulen und freiien sich im Genüsse von Institutionen, wie
sie der freieste Stamm in ganz Deutschland nie freier be-
sessen hat.
Meint mau etwa diese Öcbilderung sei vom Parteistandpuukte
eingegeben ?
Nun dann lese man das Folgende :
•Die Ungarn wissen Fremden gegenüber docih wenigstens die Oeeetze
des äusseren Anstandes, der dvilen Umgangsformen sra wahren, während
die Zahl jener Sachsen gar nicht gering ist. die jeden Ungarn wie ein
reiseendes Tier fliehen, ja ohne Sehen ihren Hass mid ihre Veraditong
einem Menschen zeigen, der ihnen nie etwas zu Leide getan uod der
blos das Eine Verbrechen begangen hat, nicht al^^ \'oIlblut8acb8e geboren
zu sein. Wio soll man es nennen, wenn die simpelsten und primitivsten
Rogein ili r Höflichkeit, wie (Inissen, einer Einladini«;; Folge leisten, einen
gemiiciiton Besucli erwiedern n. s. w. unterlassen werden ! Durch ein
aolcfuH hotnkittirnha/lfs Bfnchiid ii wollen ilu se liebenswiirdij^'en Leute ihre
agute Gesuinun^" umnilestiren — mit Verlaub, ihr Herren, das nenne ich
Fleqelhc^tiglteit^ meinethalben FlegeUiaftigkeit «aus Gesinnung» ! Vielleicht
nirgends, so weit die deutsche Zunge reidbit — und die reicht bekanntlieh
nemlich weit hin — findet man so gut ansgewadisene Exemplare deut-
scher Chauvinisten, wie hier. Sie geberden sich, als ob sie das Pulver
erfunden und die Buehdrudcorkunst und die Kritik der reinen Vernunft;
als ob sie die Schlachten von Wörth und Gravelotte geschlagen und gewon-
nen. Für sie existirt keine andere Cultur als deutsche Cultur, keine andere
Wissenschaft als deutsche Wissenschaft. Im Bewusstsein ihrer eigenen
deutschen Vortreffliehkeit, Itlickeu sie mit Geringsclnitznn<; heral» auf Alles,
wa>< nicht deutscli ist. Fremde Spraelim, 1 'iaiiz*)->isch, I'.uu'lisch und ijar
V iiijiiriKi'Jt lim tu .lic nicht. Wozu bruueluii ml die iSi»raclie jeuer «Tauz-
meister» oder dieser «Kramernation» oder die der Ungarn, dio ja doch
Alles, wa«? sie sind und haben, der Gnade der Deutscheu verdanken ?•
Klingt das nicht hübsch genug ? Und sagt diese nach dem
Leben gezeichnete Skizze nicht mehr als hundert Leitartikel?
Der 80 schreihtf ist aber flicht etwa ein Mappare, es igt ein Sachse,
freilicb ein aufgeklärter, politisch denkender Manu, der die Welt
Huch Jiusaerhaib des Gebietes von Seldwyla — Pardon, desSarliseii-
bodens gesehen hat. Der Sachse Oscar von Meltzl schildert
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DER f ALLGEMEINE DEUTSCHE 8CHULVBRBIN» UND UNOARN.
iu eiuer Schrift über die Sachse ufra»;e seine enteren Laiulsleute
in «1er vorstehenden Weise.* Von ihuen aber geben alle jene
Hetzereien gegen Ungarn aas« die wir beklagen und bekämpfen.
Wie geeignet aber «i# und gerade ne sein mögen» nm das Ausland
ober uni^arische Verhältnisse zu belehren, das mag man aus den
folgenden Setzen ersehen, welche ebenfalls dem bereits citirten
Bsebsischen Schriftsteller entnommen sind: nDie Ignoranz in un-
gariichen Dingea itt bei die$em Teile der Saeksen eine ungUtMieke,
Ungarn ist für dieee Leute eine vaUständige terra ineognita, Sie
hohen keine Idee Vtm den tntsächlichen Verhältninscn in UngarUf
T(/n um f arischer Literatur, M'issenschaj'tf Ja nicht einmal von der Geo-
graphie Ungarns,»
Was sollen wir dem noeh hinzufügen ?
Ein Gonflict zwisehen Deutseben und Ungarn hat — das kann
nicht oft ^:eiiu<:: wiederholt werden — ausserhull) des ehemali^'en
Koüigsbodeus nirgends bestanden. Wiihrend die siebenbürgiscben
Handwerkspolitiker durch die ganze deutsche Presse den ungaii*
sehen Namen yerhöhnten, waren jene anderen anderthalb Millionen
Ton ungarischen Deutschen im Besitze einer grossen und mächtigen
Presse, gnindeten sie z.-ililreiche Vereine jeder Art, iiahineM Anteil
an der mit den weitestgehenden Befugnissen ausgestatteten S li»st-
▼erwaltung der Gemeinden und der Gomitate, .nahmen Anteil bei
den Wahlen zum Abgeordnetenhause, wo sie einen der wichtigsten
Faetoren abgeben , nahmen Anteil an dem wissenschaftlichen
Leben der Nation und au ihreu künstlerischen Aspirationen. Aber
ilber Unterdrückung zu klagen, das ist Kemem von ihnen in den
Sinn gekommen.
* fJXe Stellung der Siehenbärger Saehien in Ungarn.*^ Von Oscar
fOS Mkltzl. Hennaumtaflt. Verlag von A. Schmiedike. 187?^, Wir wollen,
mn den Leser iu keiner Weise irre zu ftihren,' Ausdnicklich bernerkeu, daM
dies«' Schrift, welche im Sinne der Versöhnung der atrcitciulen Teile ge-
Bchrieb^^n ist, eine unparteiische DarsteUung des gan/cü Strcito^ zu pcben
versucht. Im ersten Teile wiril sozusagen das rurtcht dur Sueii^i ti. im
«weiten Teil«- das Unrecht ili-r M.i^'varcn gescliüdtrt. Die ubi ii>tt lu nden
Zeilen sind dem ersten Teile ©ntuommeu ; der zweite Teil plaidirt zu
GoDsten der Sacbnen.
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DER «ALLQEUEINE DEUTSCHE SCHUL VEREIN» UND UNOARN.
Wie. solitfU diese audertlmll) Milli«nu ii, unter welchen sich
Industrielle und Kaufleute, Gelehrte und Schriftsteller, Schul-
männer und Künstler, mit einem Worte : Leute aus allen Ständen
finden, sollten sie sammtlich so bar jeder Selbständigkeit, so ohne
Würde und nationales Bewusstsein sein, dass sie es schweigend
hinnahmen, wenn man sie mit Füssen trat?
Die Siebenbür^^er Agitatoren erzählen das freilich. Sonst wäre
es ja unerklärlich, dass alle Confliote zwischen Staat und Deutsch-
tum gerade auf ihrem Boden ihren Ur.^prung hatten. Die Gonflicte,
die dort provocirt wurden, können wir hier unmöglich in allen ihren
Teilen schildern. Dieselben l)egannen als der ungarische Staat
daran ging, gewisse — sagen wir «verbriefte • — Rechte aufzuheben,
welche die Sachsen herleiteten aus einer Zeit, da es ein öfientliehes
Becht überhaupt nicht gab, wo es nur persönliche Rechte und Vor-
reclite ujab. In Ungarn, wie anderwärts, hatte jeder Stamm, jede Stadt,
jede Confession, jt-de Zunft ihr eigenes Recht, ihre eigenen Privi-
legien. Ai>er so weniges heute einem Menschen einfällt, in Deutsch-
land nach den Satzungen des Schwabenspiegels Becht zu sprechen,
sowenig man daran denkt, das «verbriefte» Nürnberger Stadtrecbt
autleben zu lassen: so wenig dachte in Ungarn bei Herstellung
des verfassungsmässigen Staates Jemand daran, die alten Sonder-
rechte geltend zu macheu. Kernmagyarische Volksstämme, die
Szekler, Kumanier und Jazygier, besassen ebenso alte, ebenso «ver-
briefte* Rechte, wie die Sachsen, und doch ist kein Schmerzens-
schrei venielimbar gewordfii. .ils mau (liL>eu Magyaren sagte :
«Ihr werdet Bürger des Landes sein wie alle Anderen. Das ge-
meinsame Gesetz und die gemeinsame Gesetzgebung, die Ver-
waltung und der Unterricht werden bei Euch nach denselben
Principien gebildet werden, wie im ganzen Lande. » Das galt für Alle.
Nur ein Volksstainm von 180.000 Sachsen trat In rvor und sagte:
• Wir wollen zwar die Segnungen des Verfassungsstaate -^ gerne
geniessen, wir schicken auch unsere Vertreter ins Parlament, aber
daneben wollen wir auch unser besonderes Parlament, genannt
«die Universität», wir wollen unsere besondere Verwaltung und
Gerichtsbarkeit ; eine doppelte Volkssouverauet it für uns, die wir
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DER f ALLOBMRINE DEUTSCHE 8CHULVERBIN» VHD UNOARN. ^
nicht so regit-rt sein wollen wie jene .'luderen 1 1-,8^?0.00() ungarischen
Staatsbürger. Jene sind lauter Pohel, wir über, unser l.SO.OlHJ
Seelen» wir haben Bechte ans dem XII. Jahrhundert und die wer-
den wir nun und nimmer aufgeben ...»
Zugleieh ging ein Schmerzensruf durch ganz Deutschland, und
tüusend gefühlvolle Seelen fanden sich, um zu rkunden, wie die
armen Sachsen ihrer «verbrieften Reehtf » berauht seien. Und das
geschah in jenem Deutschlund, dessen höchster Sieg es ist, dass
es ganz andere «Terbriefte» Bechte wie die sächsischen mit eiserner
Faust weggewischt hat, um einen einzigen Staat zu bilden 1
Wie diese Dinge sich in Wahrheit entwickelt haben, darüber
muBS mau nicht die Schnierzeusschreie jener sächsischen Clique
consultiren; alle unbefangen urteilenden Männer sind darüber
im Wesen nur einer Meinung. Wir lassen hier z. B. einige Zeilen
folgen aus einer soeben erschienenen Schrift, welche ganz und gar
den deutschen Gedanken vertritt, und deren Verfasser sich den
SichseD weit mehr verwandt fühlt als den Magyaren, ül)er welch'
Letztere er zuweilen niclit ohne Strenge urtheilt. Professor Dr.
ScHWicKBR schreibt über die derzeitigen Zustände auf dem ehe-
maligen Königsboden Folgendes : * «Freilich war die Verteidi-
gung der Sachsen oft mehr eifrig als klug und verdarb mehr als
sie nützte. Im leidenschaftliehen Kanij)fe überhörte man die war-
nenden Stimmen besonnener Männer, unter denen namentlich der
treffliebe Jacob Bannicher, Sectionsrat im k. ungarischen Unter-
richtsministerium (f 8. November 1875) mit blutendem Herzen ins
Grab gestiegen ist, da er die Katastrophe über sein geliebtes Volk
mitUnvernit idlichkeit hereinbr* eben sah und wahrnahm, dass seine
Kassandra-Kufe nur Missfallen, Holm und Tadel erweckten. Das
tiefe Misstrauen, der Groll und die Abneigung gegen die neuen
gesetzhchen Einrichtungen ist bei der Mehrzahl des Sachsenvolkes
bis heute nicht geschwunden ; obgleich die Stimmen sich mehren,
welche zu frischer Tatkraft malmen, um in d< ni allerdings bedeu-
tend erschwerten Kauapi'e ums Dasein das Sachsenvolk zu erhalteu.
" «Die Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen.» Von Dr. J. H.
ScowiCKKR. Wien und Teschen. Verla« von Karl Proohaska. 18S1.
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^ DBB «ALLGEMEINE DEUTSCHE 8CHULVEBEIK» UND UNOARN.
An MiHeln hiezu feMt es auch hfutc nicht, Gemeinde^ Kirche und
Schule, ein bedeutendes Nationalvermögen für cnlturelle Zwecke, das
freir Wort, die Liti'ratar, die engere Verbindung mit dem euro-
päischen Westen sind ebenso viele Mittel zur Pflege und Hebung
des sächsischen Elements.»
IV.
Während unbefangene Munner so urteilten, wahrend aus den
Keihen der Sachsen selbst eine immer grössere Anzahl von tüch-
tigen Politikern, wie Trausohbnfels, Guido v. Bausznbbn u. A. der
unfruchtbaren Agitation den Rücken kehrten, führte eine Handvoll
Leute die begonnene Hetze nur umso schwungvoller fort. Was ist
natürhcher, als dass auf alle diese Besehimpfungen von magya-
rischer Seite nicht lauter Liebeserklärungen als Antwort zurück-
tönten ? Wenn diese gesinnungstüchtigen und geistreichen Politiker
ihr Sprüchlein vordem deutschen Publicum hergesagt hatten, wenn
sie Ungarn als das Land der Barbarei, der Willkür, der Rohheit
und Verderbniss gehörig verschimpft hatten, da kamen sie vor den
ungarischen Beichstag mit ihren Wünschen. Dieses Präludium
hatte natürlich das Parlament nicht eben zu Gunsten des Pe*
tenten eingenommen, und wenn diese Stimmung sich dann in
irgendeiner Weise nianitV-stirte, da schlu-J^en die grossen Unrecht-
leider die Hunde über den Köpfen zusammen und riefen mit der
Geberde von Märtyrern, aber innerlich höchlich befriedigt: «Da
sieht man, wie der Magyare uns unterdrückt !•
Wenn aber früher der grösste Teil des sächsischen Volkes
unter dt ni Banne dieser nationalen Terroristen stand, so hat sich
dieses Verhältniss jetzt schon vvesentlich zum Besseren gewendet.
Einzelne Städte und Kreise haben mit der Regierung und dem
Lande ihren Frieden geschlossen, und sächsische Politiker, an
deren Deutschtum wohl nicht gezweifelt werden kann, sitzen in
der Bt'gierun<;spartei des Abgeordnetenhauses, (h rade im Aiujtn-
blicke, da diese Zeilen tischcineUf ircrden durch hodiangesehene
fächsUche Politiker und Oeistlichc mit der ungarischen Regierung
Verhandlungen geführt^ welche wahrscheinUch za einer Verstän'
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D£B «ALLGEMEINE DEUTSCHE SCHULTERBIN» UND UNOARN. ^
dignng auch über die letzten der ohtchwehendcn iSteitfraytH fäh-
ren dufften. An dem guten Willen zur Verständigung scheint es
keinem der beiden Teile m fehlen. Auf dem alten Standpunkte
▼erblieben sind heute fast nur noch etliche kleine Handwerkspoli-
tiker mit ihrem Gefol|^'e.
Wenn einer sich davon überzeugen will, mag er die Mühe
nicht scheuen, alle diese Schmerzensschreie, welche von Zeit zu
Zeit in den deutschen Blattern erscheinen, mit einander zu yer-
gleichen. Man wird dann eine gar seltsame Familienähnlichkeit
beiDerkf-u. Alle «liese literarischen Produete tommen aus der-
selben Feder, enthalten alle dieselben Argumente, die hundert-
mal widerlegt worden sind, bewegen sich alle in schwindeligem,
inedentistiBchem Pathos und sind sämmtlich gräulich schlecht
gSGchrieben. Wir hierzulande . . .
«Wir kennen (las Lied, wir keinieu den Text,
Wir keuuen deu Herrn Verfasser.»
Uns imponirt die grimme Bede nicht mehr. Der Artikel,
der heute in einem Frankfurter Journal erscheint, ist derselbe,
der Tor drei Monaten die Spalten eines Münehener Blattes
ausgefüllt hat, und man gebe nur Acht, derselbe Artikel wird
nach weiteren drei Monaten wieder in Nürnherj^ auftauchen
Q. 8. f. In der Geschichte journalistischer Ghariatanerie yer-
dient diese Agitation einen Ehrenplatz. Der gute Leser, der sich
einbildet, aus jeder Zeile, die er vor sich hat, spreche der Schmerz
eines aus tausend Wunden blutenden, nach Millionen zahlenden
Bruderstammes — er ahnt gar nicht, was für curiose Heilige eigent-
lich zu ihm sprechen, und dass er die Zahl derselben vielleicht an
den Fingern einer einzigen Hand abzählen könnte! In demselben
Maasse wie die Sehaar der Gläubigen sich verringert, steigert sich die
M iasslosij^kcit der Agitatoren. Da nützen die Hilferufe uliein nichts
mehr — man muss auch zeigen, duss dieselben im Auslande gehört
werden. Vielleicht dass ein solcher Erfolg die schwankenden
Bchaaren zum Stehen bringt. • Schickt uns deutsche Waffen t»
hiees es zuerst, und es kamen richtig einige alte Lese- und Bilder-
l'ucher, welche selbst in den sächsischen Dorfschulen nur mittel-
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^ DES ffALLOZMEINB OF.UT80HB BOHULTEREIM» UND UNOABN.
massigen EtYoct gemjicht haben möu'on. Freilich zog man in diesem
Lande, wo bekanntlich die Freiheit langst zu Gral>e getragen ist —
freilich zog man mit den paar alten Bilderbüehem von Dorf zu
Dorf, von Schule zu Schule, missbranchte den Lehrsaal selbBt zur
Apfitation ge^i^en Staat und Begienin;? — und das Alles unter den
Äußren der «magyarischen» Behörden, die diesem Gebahren nicht
das geringste Hinderniss in den Weg legten. Auch das fruchtete
nichts. Es musste irgend ein radicales Mittel zur Anwendung ge-
langen, etwas wie «ein Verein, der überall wirksam wird, wo moderne
Barbarei es wagt, deutsche Bildung mit Füssen zu treten.» So ist
es erkbirlich, obgleich es niemuls zu entschuldigen sein wird, wenn
schlechtbericlitete Manner, die mit Bitten und Klagen bestürmt
werden, sich selbst zu Schritten yerleiten lassen, wie die Bildung
des «Allgemeinen deutschen Schulvereines», von dem wir hier
sprechen.
Nicht dass wir dieser Vereini^^unu' irgf-nd eine directe l^edeu-
tung beimessen würden. Was immer die Herren vom Schulverein
declariren, sie werden das Werk nationaler Bildung und staatlicher
Gonsolidirung keinen Augenblick aufhalten, welches sich in Ungarn
vollzieht. Wie provocirend immer die Herren vom «Deutschen
Schul verein» sich auch geberdeu. sie werden weder die unuarische
Gesetzgebung noch die ungarische Gesellschaft dazu verleiten,
ihnen auf den Weg der Excesse zu folgen. Wir können versichern,
dass, wie bisher, auch in Hinkunft nichts geschehen wird, was
jenen Anklagen auch nur einen Schein yon Berechtigung verleihen
könnte.
Nach wie vor We rden alle Massregeln getr^iffen werden, welche
mit der Billigkeit, mit dem Gesetze und mit der politischen
Klugheit vereinbar sind, um das Ansehen des Staates in allen
Teilen des Landes und in jedem Kreise desselben aufrecht zu
erhalten ; nach wie vor wird unter dem Schutze freisinniger
Gesetze jede Nationalität respectirt werden, jeder gesetzliche An-
spruch Befriedigung erhalten, jedes Interesse der Guitur Förde-
rung finden.
So weit also die innere Gestaltung Ungarns in Frage kommt.
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DEB «ALXiOEUBINE DEUTSCHE SCHULVBBEINt UNO UNOABN. ^7
kouiu n wir sagen^ dass diese Agitation hier auch nicht eine Spur
zurücklassen wird.
Aber uns schweben höhere Interessen vor, indem wir über
diesen Gegenstand sprechen,. Interessen, welche durch mesquinen
Parteihader, durch die Bomirtheit weltver;^e3sener nnd von der
Welt abf^esrhlossener, j^ulliu'er Kirchturmpolitiker nicht berührt
werden sollten. Wir saj^en uns, dass jenes Biindniss, welches jetzt
nun Schutze der höchsten politischen und Culturzwecke dieses
Weltteüs in Mitteleuropa aufgerichtet ist, nicht nur ein Bündnias
der Höfe und der Begieruugen ist, sondern ein Biindniss der
Völker sein muss, weil es für sie die naturlicliste. spontanste und
heilsamste aller politischen Verbindungen bedeutet. Dieses Büud-
niss ist der einzige Act der auswärtigen Politik in neuerer Zeit,
welcher der bedingungslosen Zustimmung aller Factoren des öffent-
lichen Lebens in Ungarn begegnete. In jenen magyarischen Krei-
sen, welche au;i;eblich Ta;? für Tag den deutseben Namen beschim-
pfen, hat sich nicbt Eine Stimme gefunden gegen die enojstc Ver-
bindung der Monarchie mit Deutschland. Die eimiffe Partei, deren
Tätigkeit darauf gerichtet getvesen iit, dieses Bündniss im unter-
gralen, das waren gerade jene siebenbürger Agitatoren, welche da*
Dtnitschttim iric ein persönliches Geschäft betreiben. Während in
Deutschland, in Oesterreich und in Ungarn Alles die Verbindung
der beiden Reiche acclaniirte, waren es l ie sächsischen Hetzblätter
allein, die mit greller Zwischenrede hinausriefen ins Beich : «Der
Magyare achtet dieses Bündniss nicht, achtet weder Deutschland,
noch seine Institutionen, noch seine Fürsten ! • Sie, von denen der
Kleinste sich <;eberdet, als hatte er allein alle Taten deutscher
Wissenschaft und deutscher Kraft vollbracht, sie mühten sich ab,
die Stimmung des deutschen Volkes gegen den Bimd mit ihrem
Vaterlande zu verbittern.
Wir aber, wir haben Vertrauen ^^enug in die Wahrheitsliebe
und in die Geradheit des deutschen Volkstums, um es deutschen
Lesern zu überlassen. das.= sie selbst beurteüen, mit welchem Na-
men sie einen Volksstamm belegen würden, der bei einem so feier-
lichen Anlasse seine Klagen ausserhalb des Vaterlandes trägt, und
5*
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6S DER «ALLOBllBIIIE DEUTSCHE 8CHÜLVBBBIN» UND ITNOARN.
der, nm seine kleinliche Bancone zn befriedigten, unbedenklich die
höchsten Interessen des Landes selbst gefährden möchte. Wir über-
lassen es dem deutseben Publicum, zu sagen, wie es einen Act der
Landespreisgebung, wie diesen» bezeichnen würde, wenn derselbe
sieh in Deutschland ergäbe ! I>enn was anderes als Landespreis-
gebung ist es zu nennen, wenn ein Volksstamm, dem alle Mittel
gegeben sind, seine Wunsche und Beschwerden auf gesetzlichem
Wege vorzubringen und denselben Geltung zu versebaffen, die
Hilfe des Auslandes begehrt und fremde iUchter anruft zur
Schlichtung eines hauslichen Streites ! Das aber ist es, was ehedem
die siebenbürgiscfaen Sachsen taten, was heute freilich nur noch
ein ganz geringer Teil aus dem Kreise der Sachsen tut.
V.
Den «vierzig Millionen Deutschen, welche sich im deutschen
Beiche des Vollbesitzes deutscher Gultnr erfreuen» und denen der
Beitritt zum Schulven io als «deutsche Ptlicht» vorgestellt wird —
kann es vielleicht von Nutzen sein, alle diese Dinge zu erfahren.
Wenn diese Blätter ihre Bestimmung erfüllen, werden sie das
deutsche Publicum darüber belehren, dass die Deutschen in Ungarn
keines Schutzes bedürftig sind und dass sie jede Zumutung dieser
Art mit Indignation zurückweisen — dass selbst die Majorität der
Sachsen in diesem Augenblicke nicht mehr glaubt^ es könne ihr
aus der Emigranten-Politik Heil erwachsen. Auf dem Plane bleiben
zu dieser Stunde nur noch einige Babagas, denen das Talent ihres
Vorbildes fehlt, und wir glauben nicht, dass die Förderung der
selbstsüchtigen Ziele dieser Leute noch länger als eine nationale
Sache des deutschen Volkes ausgegeben werden sollte.
Was in unserer ^^:l(•]lt stand, das haben wir versucht hier zur
Aufklärung zu tun. Wir haben die Hof&iung, dass nach der Be-
leuchtung, welche diese auserlesene Gesellschaft in unserer Dar-
stellung erfahren hat, sie es so bald nicht wieder wagen wird, sich
vor der politiscben Gesellschaft Deutschlands zu zeigen.
Dr. A. Nemenyi.
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DIB NIBBLUNOEM IN f BÜDA'b TOD»
«9
DIE NIBELUNGEN IN «BÜDA'S TOD.»/
l
1.
Unser Gegenstand führt uns anf die erliabensten Höhen unserer
poetischen Literatur, wo der gekrönte Dichter von «König Buda'a
Tod» sich und seiner Nation ein weithin sichtbares Denkmal errichtet
hat. Dieses Denkmal ist die grossartige Vorhalle eines nationalen
Pantheons, das sn unserem grossen Bedauern noch nicht Tollendet
ist und dessen Grundriss und «^anze Pracht wir daher nur ahnen
können. An den Siiulen dieses Propylwums ghiubcn wir nun ver-
sehiedenes edles Gestein erkennen zu können, das wir schon ander-
wärts irgendwo, in einem Beigwerk oder an einer alten Buine in
roherer Bearheitnng nnd primitiverer Form gesehen nnd Tielleicht
auch bewundert haben. Ja wohl, eine und die andere Säule dieses
monumentalen Baues gemahnt durch ihre Form oder durch ihr
Material an eines der ältesten Denkmäler und an den grössten
Stolz der deutschen Dichtung, an das Nibelungenlied; einige
Namen und Gestalten sind in jenem volkstümlichen Epos und in
unserer Hunnensage identisch ; mehrere Motive in «König Buda's
Tod» erinnern direct an das wunderbare Werk des namenlos ge-
bhebenen deutschen Dichters ; kurz, wir sehen, dass unser natio-
nale Künstler einen Teil seines Stoffes und nicht den wert-
losesten aus jenem reichen Bergwerk geholt, das Dank der
vortrefflichen üebersetzungsleistung eines der gefeiertsten Mit-
gheder iheser Gesellschaft, Kahl Szasz, auch für das ungarische
Publicum schon längst eröffnet ist.
Unser Gegenstand wäre nun freilich um Vieles dankbarer,
wenn der Dichter die grosse Yölkertragödie schon beendet hätte,
deren Vorspiel «König Buda*8 Tod» nur sein will, und die, als er
die Nation mit diesem würdigen Vorspiele beschenkte, in seinem
* Ans dem Antrittsrortarag, den der Autor am 90. November d* J. in
der Kü/aUdy-OeaelUcJu^i gehalten bat
uiyiii^üd by Google
70
DIE NIBELUNOFN IN «BUOA*8 TOD».
Kopfe schon festt- (i» stalt anL'enuimnen hatte; der GepenNtand
wäre dann daiikharer. sagen wir, denn man kann sich vorstellen,
wie gewaltig die übermenschlichen Nibehingen, die in «König
Biida*8 Tod» nur in nebeliger Feme an uns Torüberziehen, bei
unserem so machtvoll jjestaltenden nationalen Dichter in die Er-
scheinung; getreten waren. Aber auch jetzt schon ist es von j^ro^sem
ästhetischen Interesse, sich mit der Frage zu beschäftigen, inwie-
fern in «König Bada*8 Tod« die Spuren jener Eindrücke zn er-
kennen sind, welche der Dichter von dem Nibelungenliede erhielt,
Eindrücke, olme wt ichc er sein Epos in dessen gegenwärtiger Ge-
stalt kaum liattp concipiren können.
Die erste \\ ahraelnnung, die sich bei der gleichzeitigen Be-
trachtung der beiden Epen gleichsam von selbst aufdrängt, bezieht
sich nicht auf die einzelnen Gestalten, Scenen und sonstige
poetische Elemente, sondern auf die Atmosphäre, welche beide
durchdringt. Griindlieidnische WeltauschauunL; herrscht da und
dort vor ; wohl sind die germanischen Helden des Nibelungenliedes
schon Christen, aber mit Becht bemerkt Goethe, dass es nichts
Oberflächlicheres als das Christenthum dieser Burgunden gebe.
^Veuu sie daheim in Worms oder im fernen Etzelheim in die
Kirche gehen, so thun sie es nur, um gleicli darauf Handel zu be-
ginnen. Und man kann füglich sagen, dass das Nibelungenlied ein
buntes Gemisch der verkörperten Begriffe der (fermanischen My-
thologie und der nndurchgeistigt gebliebenen Formen der christ-
lichen Kirche sei.
Solch' ein Gexnengsel lässt sich nun zwar in «König Buda's
Tod» nicht nachweisen ; die Hunnen dieses Epos sind noch echte
Heiden und selbst Chrimhilde, die im Nibelungenliede
•es nicht lasBen wollte, :
Die Taole sollt empfikhen des König Eteers Sohn
Nach Weise guter Christen» —
sie ist in dieser Hunnensage eine Heidin und spricht auch von
ihren Verwandten amBhein wie von Heiden. Die Gothen schwören
hier alle bei Odin, die Nomen spinnen ihren Lebensfaden und die
Mythologie der Edda spielt seltsam iu die von dem Dichter con-
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DIE NIBELUNGEN IN «BUDa'b TOP».
71
stmirte Hierarchie hinein, die hier niif Erden im Dienste des
grossen Gottes Traume deutet und dir Zukunft propbcijeit. Der
christhchen Reh«^iou geschieht nur einmal eine leise Erwähnung
▼oll feiner Satire, da nämlich der Dichter den byzantinischen Ge-
sandten Folgendes sagen lasst :
• Tlir TTanpt zertrat' iler Kai«er wolil l«'ie}it auf i iiieu Selilag,
l>och jetzt an andern Orten sein Heer er bninclien mag,
All* seine Soriren jet/o !i)if ( Unnljensding' sich wenden:
So viele Ketzer müssen auf Scheiterhaufen täglich enden
Allein es dünkt uns, als ob in diesen heidnischen Formen
sicli die classißche Bildung; und der helknisclio Geist de? iJiehters
offenbarte! Wohl zieht sich auch durcii «Konig Buda s Tod» der
naiT-altertümliche Ton hin, der aus dem Nibelungenliede spricht,
doch stellenweise, namentlich in den Schilderungen, verwandelt
deh die eigentümliche und charakteristische Diction des Rhap-
soden in jenen phistischen Styl, der sicli in dem fjrieehiscljen
Weltepos, Weltßesetze dictiroud, manifestirt und dem wir auch die
schönsten Seiten dieser Hunnensage verdanken.
Ein gemeinsamer Zug der beiden Epen ist der häufig wieder-
kehrende Hinweis auf snkünftif^e Ereignisse. Als sich Bvda mit
Bemem Bruder Etzd in die Herrschaft teilte,
«Da hat kein Zdchendeater, kern Seher ea gesebn.
Was nach dem Ratschluss Gottea nocli werde d'raiiB entstebD.
Dass dieser Tag erzeugen noch wer«le Idut'ge Tage,
Dau noch in küoft'gen Zeiten darob werd' sein so bittre Klage».
Und iilsdie reiche Ute Chrinihildens Mudchentrauiu deutet, da
glaubt der ühapsode im Vorhinein verkii^den zu müssen :
■Das war derselbe Falke, den sie im Traume sab,
Den ihr die Mntter dentet Wie rächte sie sich da
An ihren nächsten Freunden, die ihn geschlagen todt !
Um eines Sterbens willen, starb mancher Mutter Kind in Notl»
Im Allgemeinen weist die 8ul>jective Darstolhm^^sweise der
beiden Sänger viele verwandte Züge auf ; der Dichter des Nibelungen-
Das der rebellisclien lilyren.
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7«
OIK NIBELUNGEN IN «BUDa's TOD».
liedes steht seinem Gegenstande ebensowenig wie unser Sanger in
objectiver Buhe gegenüber ; beide sind sie eben Chronisten und
nicht Epiker im Sinne jener Kunstregeln, welche die Aesthetik aus
dem Stuilium der antiken Epen al»strabirt bat. Aufs neue erleben
sie die Ereignisse mit, die sie erzählen sollen, die Diction ist bei
beiden stets der unmittelbare Ausfluss ihres bewegten Gemütes,
die wechsehide Stimmung in der Erzählung reisst aueh sie mit
»
sich fort, sie erwärmen sich für die grossen Taten ihrer Helden
und in ilirer Spracbe vibrirt lebhaft der Anteil nach, den sie an
Leid und Freud ihrer Personen nehmen.
Und noch einen Vrmki gibt es, in welchem beide gleich weit
entfernt stehen von dem ästhetischen Canon« der in dem antiken
Epos krystallisirt erscheint, wir meinen die Auffassung der Schick-
salsidee. In der antiken Auftassung ist das Scbicksal jene ausser-
halb des Handelnden stehende Notwendigkeit, die im Vorhinein
bestimmt ist und an der weder Götter noch Menschen rütteln
können. Wie sehr Oedipus auch gegen sein Schicksal ankämpft, so
wird er am Ende dennoch in dasselbe verstrickt und ob er will
oder iiicbt, er iniisa all' die Sünden lief^eben. die von Anbeginn auf
sein Kerbholz geschrieben sind. Ganz anders tritt die Schicksais-
idee in dem Nibelungenliede auf. Auch da gehen die Heiden zu
Grunde, aber nicht, weil das über den Himmlischen stehende
Schicksal es so beschlossen, sondern weil sie für ihre eigenen
Sunden biissen müssen. Und desbali) unterliisst es der Sanger
niemals, so oft ein Held etwas bej^adit, was ihm als Schuld ange-
rechnet wird, seui klagendes Bedauern darüber in naiver aber
ergreifender Weise auszudrücken. Dem Zufall wird hier nicht die
geringste Bolle zuteil. Im Gegenteil. Die Becken, die durch die
Erui rdimir Sigfried's eine Blutscbuld auf sich geladen, könnten
der Snlmr entgehen, wenn sie der Warnung der das Scbicksal
vertretenden Meerweiber Gehör schenken würden ; aber sie
dürfen der Warnung kein Gehör schenken und ihr wilder Trotz
treibt sie in das Verderben, das ihnen bestimmt ist, nicht weil die
Götter es gewollt, sonderu weil sie es verdient. Das ist also das
Verhangniss, lias der Mensch durch eigene Schuld auf sich
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DIB NIBBLUNGBN IN f fiPDA^S TOD»
73
herabbMchwört ; der Held gewinnt hier Einflnss aaf die Bestim-
niun? seines Schicksals und nur dessen Leitung' ist ihm entrückt;
er ist es selbst, der sein Todesurtt il schreibt ; das Schicksal hat
da niebts anderes zu tun, als dessen Vollstreckungsart zu
bestimmen.
Eine ähnliche Auffassung zeij^t die Schicks alsidee, welche in
• Koni^,' Buda s Tod» verkörpert erscheint. Der ewige Gott sagt
Ton Etzel :
•80 iBt die Zeit denn kommen, daas ihm das Reich gehör*,
80 wie es steht geschrieben von ew'gen Zeiten her.
Mit oigeheimen Rimen hoch auf der Welten Bamne :
JBerr Uher alle Reiche, h'ilt eine Sehwiche er im Zaume***
Die Schwäche, auf welche hier angespielt wird, ist die Herrsch-
begier, die Etzel in der Tat lange im Zaume zu halten versteht.
Sowohl damals, als das zu Eriegsübungen versammelte Heer
seines Winks gewärtig dasteht,
•Und wahrlich damals stand es bei Etzel ganz allein.
Oh er allein'ger König der Hunnen mochte sein.
Doch ist, was er geHchwnren, kein Pfeil, den man versohiesst
Und seinem Bruder Buda in Liebe er ergeben istt . . . .
sowohl damals, als er <len schwergekränkten Buda mit den
Worten um V erzeihung bittet :
<0 Bruder, ich war heftig, weil du so voll Unhuld,
Hast ungereehi geziehen mich fürchterlicher SchuM.
Ich kam, um zur Versöhnung zu reichen dir die Hand» —
sowohl damals, als er den Buda vom Urstier rettet, obgleich
•Wie im Hui ein Rabe fliegt vor der Sonne hin,
So zog es ^ie ein Schatten wohl Uber Et^el's Sinn.
Ob's besser nicht, dass Buda nun seine See!' an^shauchte.
Als dass er ewig seine Geduld zu proben lassen brauchte».
Und stets hatte er sich sieghaft sell»st hezwungen, aber er
wurde nicht Herr seines wilden Zornes, als Buda sein Gemahl
Ildiko mit der feisten Faust bedrohte und er unterlag, als Buda
sich weigerte, das Schwert Gottes herauszugeben, in dessen
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74 DIE NIBELUKOEN IN «BUDA*8 TOD».
Besitz derselbe tiuf unrechte Weise geratben war. Etzel erlag seiner
Schwucbe, weil
«Zn gross war die Versnchung doch für den Erdensohn».
Da sehen mx nlso schon den Schatten des Brudermordes,
der das aufgehende Gestirn des künftijjen Gebieters der Welt ver-
.dunkelt, und das wäre die trimische Schuld, wegen welcher die
«Tage von Etzel's Volke ^^eziihit sind hienieden.»
Und gleichwie die Burgunden von den ^[eerweibem vor der
Fahrt nach dem Hunnenland gewarnt werden und alle ihre Wiur-
nungen vergeblich im Winde verhallen,
• So laribt auch Mö'l« n Mcji.selicn durch seiner Zeichen Mund
Im Vorhinein tiutt Hadiir das V.udc l'uda's kund,
Auf dass er Etzel warne, sein Volk und auch «ein Land :
l >oeh nimmer fasst die Zeichen der Su rbliehen Verstand.
Uuil was der Himmel weissagt^ auf dass es nicht gescheh'.
Das musste g'rad sich wandehi in ungeheures Weh,
Aof dass den armen Buda noch raseher es verderbe :
Das ist des Mensehenloses so jammervolles Erbe !»
IL
Doch kehren wir zu den einzelnen Gestalten zurück und
untersuchen wir, inwiefern sich dieselben in beiden epischen Ge-
dichten unterscheiden. Ganz anders sind die Charaktere EtseFs
und Blödelin's als die Attila's und Buda*s beschaffen ; der Zingö
in « König Buda's Tod « entspricht nicht den F'idlem Färbelin und
Swjimmelin, die als ]>raiitwerber im Burgunderlaud erscheinen ;
ein anderer ist der Dieterich des Nibelungenliedes, als jener
Dietrich, der durch seine hinterlistigen Batschläge die beiden
königlichen Brüder gegen einander aufreizt. Identisch in beiden
Epen ist blos Chrimhildeiis dichterisch erfasste Gestalt. Dieselbe
Chrimhilde, die der mitt< Ihochdeutsche Sanger die ganze Stufen-
leiter menschlicher Empfindungen, von der zarten und beglückten
Liebe der Jungfrau, von dem dumpfen Schmerz der jungen Witwe
bis zu dem Blutdurst der rachescbnaubenden und aller Weiblich-
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DIB NIBELUNGEN IN «BUDA's TODt.
75
ktit baren H\uiiicnk(tnif,nn durchleitlen Itisst, dieselbe Chriinhilde
neben wir auch in «König Buda s Tod» ein nur scbeinlmr neues
Leben beginnen. Und wie der Dichter des Nibelungenliedes Chrim-
hilden ewige Jugend und nie verwelkende Heize leibt, ebenso küm-
mert sieb ancb unser Dichter niebt nm das Alter seiner Heldin, das
an das halbe Jahrhundert schon gestreift haben mochte, ah das
Erscheinen der^t lben in (•Biidaingeii » Perlindens Eifersucht ^-rweckt
and das zwischen den Brüdern bereits gelockerte Band gänzlich
zu zerreissen droht. Dieser fortwährend sieb emeaemde, wenn
auch stete den edelsten Motiven entspringende Streit der Eöniginen,
er findet sein Vorbild schon in Worms in dem rerhängni ssvollen
Wettstreit Brunliildens und Clirimhildeus,der gleicbftills mit edlen
Beweggründen motivirt werden konnte. Während die Königinen
in Worms in ihrer Bewunderung für ihre eigenen Gatten so w^it
geben, einander bis auf den Tod zu beleidigen und die blutige
Sühne der Beleidigung nnvermeicilich erscheinen lassen, steht bier
in Buchungen der Stolz beglückten Muttergefühls der Reizliarkeit
des unfruchtbaren \\ eibes gegenüber und der Falke spielt auch
hier eine unheilverkündende Bolle.
Hilda's Herz ist im Hunnenland nur das Grabmal ihrer ersten
Liebe ; sie kann mit Etzel nicht glüeklicb sein, obgleich sie ihn
grobs uml edel gefunden . . .
•Es netzten immer wieder Tränen ihr Gewand.
Es lag ihr an dem Herzen in Stunden spat nnd früh«
Wie nmn ohn' ilir Virsclmlden dazu «renutigt nie,
Da&8 sie hier iniuneu musste aus Heideuvolk den Manu.
Dass sie das rächen könnte, sie wünscht es alle Tage:
Naeh den Getreuen jammert oft das Herze mein.
Und die mir Leides taten — t kÖnnV ich bei denen sein,
80 würde noch gerochen wohl meines Mannes Leib,
Idi kann es katmi erwarten I»
So spricht Cbrimlnld im Nibelungenlied und in «König Buda's
Tod» spinnt sie den Kachegedanken weiter aus:
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76
DIB MIBELUBOEN IN iBüDA*8 TOD».
«Mein Auge soll sieh weiden an enrai blutigen Leidmamen.
In eurem Becher wandle sich froher Trank in Blut,
Ein gastlich Bett besteigend in eurem Sarg ihr ruht.
Verlässliclie Herberge die lodre auf bei Nacht,
Und ihre Asch' begrabe, die den Gemahl mir umgebracht!»
Und dass es des Dichters Absicht gewesen. Hildu desselben Schick-
sals teilbafti^^ werden zu lassen, das sie und ihren Sobn im
Nibelungenlied ereilt, das scheint unzweifelhaft nach dem Fluche,
den er die verzweifelte Perlinde angesichts des Leichnams ihres
von Attila erschlagenen Gatten ausstossen lässt :
«O Ilda, stolze Hilda, du «^'rausame Chrimhild' !
Dich soll mein Flncli ern ichon. nicht bleib" er unerfüllt.
Nif sollst du Lust erleben an deinem eiTiz'<:jen Kinde,
Mit demem Mördergatteu zugleich den Untergang es finde.
Sclimenrreich sollst dn verlieren, den Rchmerzreicb du gebarst»
Doch sei dann nicht so «j^lücklich, wie du es damals warst.
Den du geboren fürs Leben, werd' grimmen Todes Beute!»
Wie vt-rhiilt sich aber der Attila des ungarischen Epos zu dem
Etzel des Nibelungenliedes ?
Etzel ist ein überreifer Mann, der den Zenith seines Buhmes
längst überschritten hat, ein ganz und gar passiver Charakter.
Untütif? siebt er sein einziges Kind binscblachten , tranenden
Auges seine Getreuen haufenweise hinfällen und selbst, als der
Kalte Stahl Chrimbildens Brust durchbohrt.
•Da Dietrich mit Etsel zu weinen laut begann,
Sie klagten voll von Leide, dass beide todt ...»
Als Al)( ndrot seines Kubiiies erscheint nur noch die fast über-
menschlicbe Achtung, die ihm die Nibelungen entgegenbringen.
Selbst der grimme Hagen, der der verhassten Ghrimhilde zum
Grass den Helm nur noch fester schnallt, er huldigt Etzel mit den
Worten :
• War ich mit meinen Herren nicht zu den Hunnen kommen.
So wiiv' ich Euch zu Ehren geritten in das Land.»
Der deutsche Sanger beschreibt Etzel's Hof fast mit denselben
Worten, die Arany der Schilderung Ton Buda's Hofe widmet :
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DIE NIBELUNOSN IN «BUDa's TOD*
77
• Mit Maf^t'ii und mit Mannen lebt' er da ohne Gram,
Ein r.imnen und ein Drängen war um dt n Fürsten ^ut.
Vor manchem schuellen Degeu — drum wax er auch so hochgemut.»
Dnd wie der Bada unseres Dichters
•Im Alter nicht war der Kämpe, der er gewesen jmig an Kraft,»
Bo tritt auch der Etzel des Nibelungenliedes nicht mehr, sozusagen,
als aeÜTer Becke in die Erscheinung.
Der Attila des ungarischen Dichters lebt soeben seine Jahres-
wende; sein Lenz ist angebroclu ii, voll Saft und Kraft strotzt seine
Lende. Kühn steigt der Stern seines Glückes himmelan. Er ist
Linter Jugend, Buhmbegierde, Tatkraft und Selbstbewusstsein.
•Sich selbst plagt er am meisten, er müht sich immerfort.» £r ist
Held und Weiser sugleich. Nicht nur Held, sondern auch Heerführer,
nicht nur Weiser, sondern auch Staatsmann. Wolil ist ihm nicht
jenes naive und kindliche Gemüt zu eigen, das an Sigfried, «dem
starken Knaben», so hochgepriesen wird, aber auch in ihm braust
noch Toll die Msche Jugendlust und sein launiges Bärenabenteuer
während der Jagd in der M &tra dürfte kaum hinter jenem zuruck-
ßtthen, das der erste Genialil Chrimliildens daheim im Odenwald zu
bestehen hatte, als er Petz bei einem Ohr fassend, au seinen Sattel
band and so zur Lagerstätte beförderte. So erinnert denn an den
EtMl des Nibelungenliedes blos der Name an den mäditigen aber
nur als pietus masculns erscheinenden Hunnenkönig ; diese bei-
den Gestalten sind demnach ihre eigenen Antipoden und die
Schöpfungen vollkommen entgegengesetzter AuÖ'assungen.
Blödelin und Buda stehen zwar einander nicht ganz so contra-
didorisch gegenüber wie Etzel und Attila, aber disparate Charak-
tere bleiben sie dennoch, was übrigens durch die Verwechslung
der Personen erklärlich ist, welche bezüglich der beiden Brüder in
den l)eiden Gedichten constatirt werden muss. Im Nibelun<^enliede
erscheint Blödelin als der jüngere Königssohn in bescheidener und
untergeordneter VasaUenstellung. Chrimhild verspricht ihm ein
roehee Lehn und ein schönes Weib und benutzt ihn durch diese
Versprechungen als Werkzeug für ihre Bacheplane. Der arme
78
DIR NIBELFKOBK IN tBUDA's TOD»
Blotielin hnt seine Rolle bald aus^^espielt ; der erste Biirf^unde. den
er iu seiner rüdt n "Weise anzugreifen sich erkühnt, schlugt ihm
das schön behelmte Haupt ab, die über den Fall ihres Führers
ergrimmten Hannen werfen sich anf die Burganden and so beginnt
das entsetzliche Morden, das nur im Blute des letzten Nibelnngen
erstickt wt-rdcn wird.
Hiu^'egen ist in dem ungarischen Epos, das seinen Namen
König Buda entlehnt, Etzel der junge Königssohn, während Buda
der wirkliche und einzige Konig ist, der
• seiue Heerde liiilt iu frieiUich treuer Hut,
Bas starke Volk der Hunnen regiert er sanft und gnt*
In dem deutschen Volksepoa eine sehuell verschwindende Episoden-
Figur, steht er hier in dem Mittelpunkt der Handlung, als ein
bedauernswerter, mit jeder seiner Handlungen seinem eigenen
Verderben vorarbeitender Held, der seine Ziele mit verfehlten
Mittt in erreichen will und schliessHcli als Opfer seines eigenen
wankelmütigen Charakters fällt.
Und auch jener alte Dieterich, der bereits seit drei Menschen*
altem beiden Hunnen lebt, der Heldengreis, der den Nachkommen
Bendt'guz' nur mehr mit seinem weisen Rate zu dienen vermag,
die hinfällige Jamiuergestalt, der seihst Attila nicht mehr grollen
kann, nicht ist d.is jener Dieterich, der im Nibelungenlied die
ränkesüchtige Gremahhn seines Herrn eine tHöllenbrautt zu
schelten sich erkühnt; dort ist er der allerstarkste Held, der im
Bewusstseiu seiner immerwährenden .Tugendstärke soehen die
Tochter eines mächtigen Königs zu freien sich anschickt, dort ist
er bis zu allerletzt der unbesiegbare Recke, der einzige, der dem
übermenschUch gewaltigen Hagen mit Erfolg dieStime bieten darf.
Bedarf es noch mehr Beweise dafür, dass der Dichter von
«König Buda's Tod» nur die Namen der Gestalten und deren
leiseste Umrisse dem deutschen Sänger entlehnte imd dass er die-
selhen mit Blut von seinem Blute und mit I ieisch von seinem
Fleische ausgestattet hat?
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DIB NIBELUNOEM IN «BUDA*8 TOD»
79
Wenn wir mm dieAup:eu schlit'S.send, die Gcstulti-n dor beiden
Dichtungen noch einmal an unserem inneren Auge vorbeiziehen
lassen, dürfte es unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen, dasfi die
das gewöhnliche Erdenmaass überragenden Personen desNibelun-
liedes insgesammt dastehen wie Sänien ans Granit, so gewaltig
und so muh wie das Material, aus dem sie Ijestehen. aber auch so
eintönig wie jenes, wahrend uns die Hunnensage des ungarischen
Dichters eine ganze Beihe farbenprächtiger Bilder vor unseren
Blicken entrollt ; Bilder vor einem wirksamen Hintergründe, von
wechselnder Beleuchtung und — worauf wir das Hauptgewicht
lepu möchten — von einer weithin sich öftnenden Perspective,
welche die mehr plastische Granitgruppe des Nibelungenliedes not-
wendigerweise entbehren muss. Der deutsche Sänger verliert sich so
sehr in seinem (jegenstande, dass die Welt ausser diesem für ihn
nichts mehr enthält. Er beschäftigt sieh stets nur mit Individuen ; für
den Typus, für das Allgemeine hat er keinen l^liek und er vermag
sich nicht einmal bis zum Begriffe des Nationalen zu erheben,
geschweige denn, dass ihm sein enger Gesichtskreis die Beobach-
ttmg des allgemein Menschlichen gestattete. Selbst die Gegensätze
swischen christlicher und ^rmanischer Weltanschauung fliessen
bei ihm unmerklich zusammen ; er lässt Christen und Heiden in
eine und dieselbe Kirche gehen und einer und derselben Messe
beiwohnen und nur die Verschiedenheit ihrer Kirchengesänge
scheint ihn einigermassen zu befremden.
Hingegen erbebt sich der Dichter von «König Buda's Tod»
booh über seinen Stoff ; sowohl seine Gothen als auch seine Hud-
nen besitzen eine stark ausgeprägte nationale Eigenart und die
Spruchweisheit des Dichters lässt uns nicht nur in das innere
Leben seiner Gestalten, sondern in Welt und Menschen überhaupt
einen tiefen Einblick tun. Der nebelige Hintergrund der Völker-
wanderung hebt den Glanz der über die alten Volksgrenzen weit
hinausgehenden hunnischen Ötaatenbiidung und gleichwie der
römische Dichter in der Aeneis die mythische Wiege seines Volkes
auf das Grab der trojanischen Helden stellt, ebenso zieht auch
lUkser grosser nationaler Diehter den Ursprung der Nachkommen
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ou FE8TIJ8*8TUDIBN.
Mafjyars in den GKa'it nkreis der Sa^'c, indniii er, ein Prophet mit
rückf^ewaudtem Antlitz, die Söhne Ilunors zu verherrlichen sucht.
Und indem er so mit echt dichterischer Istoiration die Blatsver-
wandtschafi von Hunor und Magyar benütsend, an dem Ruhme
der Hunnen aneh die Magyaren beteilig, hat er sich nnd seiner
Nation ein Denkmal errichtet, wie es die Deutschen in ihrem nur
dem Schicksal einzelner Helden gewidmeten Nationalepos nicht
besitzen können, und yrie es nur ein in der Idee des Nationalen so
tief wurzelnder und sich mit den reinsten Saften seines Heimats-
bodens nährender Diehtergenius su schaffen vermag.
Albeut Stübm.
FESTUS-STUDIEN.
Zweimal hatte ich sch<m die Elire, der ungarischen Akademie
der Wissenschaften über meine Festus- Studien Bericht zu er-
statten: das erstemal war es der Paulus-Codex der Corvina, den
ich besprach, das zweitemal, als ich die Collation vier vorzüglicher
Handschriften besass, nämlich die des M (ss Monacensis Clm
14734. sapc. X — XI.) und des G (= Guelferhytanus Augusteus
10,3. s>ec. X.), welche bisher sehr oberriiiclilich verglichen waren,
die des T (= Trecensis -2201. s»c. X — XI.) und des V (= Vindo-
bonensis 14^. «ssbc. X.»), welche man nur dem Namen nach
kannte. Seitdem kamen noch vier wertvolle Codices zur Yenroll-
ständigung des kritischen Apparates hinzu, nämlich die drei «guten
alten» Leydener: L (= Vossianus 110.)-, J (= Voss. 37) und
B (Voss. 135), auf die Mommsen Rh. Mus. NF. XVI. (18G1.) p. 137
aufmerksam gemacht hat, und £ (as Escorialensis 0 III. 31.
ssec. X.), dessen ersten Teil mein hochverehrter Freund, der aus-
gezeichnete Forscher der lateinischen Glossarien, Dr. Loewe, als er
vor drei Jahren Spanien i>ereiste, die Güte hatte für mich zu colla-
tioniren. Mit Ausnahme dieses Cod. und des Vindobonensis, dessen
Gollation ich meinem gewesenen Schüler Dr. J. Kont verdanke» sind
sämmtliche Handschriften mir von den betreffenden Bibliotheks-
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r
FESTUfi-STUDIEN. 81
VerwaitungeD zii^^^pschickt und von mir selbst verglichen worden.
Indem ich hiemit für die gütige Zusendung öffentlich meinen ver-
bindfiehBten Dank ansspreehe, fable ich mich besonders gednmgen,
der Qnyergleieblieben Liberalität zu gedenken, die ich seitens des
Directors der Leydener Bibliothek Herrn Dr. W. N. du Kieu erfah-
ren h&he.
Nicht nur für die Epitome, sondern auch für das Festus-
Frsgment selbst habe ich wertvolle Beitrage erhalten. Den Far-
neaisniis hat mein gewesener Schüler Dr. E. Abel für mich neuer-
dings verglichen. Derselbe war auch so glücklich, im Cod. Vatican.
Lat. 3369. membr. saec. XV das «doctissimi viri chirographum»
des Folvius Ursinus zu entdecken, dessen CoUation so wie die des
B imd S (Vatic. 1549. chart. sec. XV. und Vatic. 2731. ehart.
sffe. XV.) ich ihm verdanke. Zu diesem Apparatus kam noch die
CoUation des Vossianus die icli selbst besorgte.
Im April 1. J. berichtete mir H. Omont, «Sous-bibliothecaire
in dept. des mss. de la Bibi.-Nat.» in Paris, der mich schon früher
mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit über die Paulus-Handschriften
der Biblioth^ue Nationale TerständijOft hatte, dass er für mich
ein neues Festus-Apo<,T;iphon gefunden, dessen CoUation ich
gerne selbst besorgt hätte ; da dasselbe jedoch den Statuten der
Bibliothek gemäss nicht entlehnt werden kann, so erwarte ich
den Vollzug dieser Arbeit von der als pünktlich bewahrten Hand
Omont's.
Ich kann mich hier in diesem Auszug nicht auf die detaillirte
Beschreibung der einzelnen Handschriften einlassen, bemerke also
nur so viel, dass die Paulus-Handschriften fast alle recht leserlich
gesehlieben und mit geringer Ausnahme in gutem Zustande sind.
Vom palfpographischen Gesichtspunkte ist interessant die im Tre-
censis neben Maior socer uxoris mew proavus p. 136,10. und nach
Moi p. I:i9,^. befindliche Geheimschrift
p hbbfp d. h. proavum habeo,
bdhxc qubtipr siqtsxnt qubtfmkpnfs d. h. adhuo supersunt
quatuor qnatemiones,
welche Bemerkungen den Schreiber des Codex als einen sehr jungen
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SS FESTUS-STUBIEN.
Meiischeu clianikti iisireu, der nur darauf l)edacht ist, wie viel er
noch zu üopiren habe.
Besonders interessant ist der Vossianns 116, unter dessen
Schrifteeiohen an einigen Stellen das eins bedeutende umgekehrte
7t vorkommt, von dem Wattonbaeh sagt : t selten, in sehr alten
Haudseliriften und irisch.» Auch siiul an mehreren Stellen Not.-e
Tironianae, mit welchen hie und da wegen Mangel au Baum
ein Wort des Textes oder die Variante zu dner Lesart geschrie-
ben ist.
Den Beweis dessen, dass ich mich in der Befinirung dieser
Zeichen nicht getäuscht habe, verdanke ich Herrn Professor
H. Hagen in Bern, der mir in freundschaftlichster Weise die Belege
für die richtige Deutung der Noten geboten hat.
Was die Verwandtschaft der mir bekannten Paulus-Hand-
schriften betrifft, sind sie sammt und sonders Abkömmlinge von
einer und derselben Abschrift des Paulinischen Original-Exem-
plars. Ihre gemeinschaftlichen Fehler wie z. B. :
p. 2, 15. s. T. Aqua et igni : aocipiunt stett aceipiuntur
» 3, 4. » Axitiosi: axtes • axites
dn • Tin
» 3, 6. » Axamenta : salaria • Saliaria
componebantur » cauebuntur
homines » deos
» 7, 13. s. Alterta statt Altertra
i 8, 6. • Anacreon • Antehac
weisen auf diesen «gemeinschaftlichen Ursprung hin.
Die ganze Familie der guten Codices zerfallt in zwei Ciasben,
wie dies aus den folgenden Beispielen ersichtlich ist :
MLTE GVJR
p. 7, 5. s. T. AUecti: senatn senatus
• 8, I. alveolum alviolum
»9. 1. » Aurum: id dictum indictum
• 10, 14. • Apluda: panici panicii
»11,12. Ancunulentee Anculunentfe( — ment^JB.)
»11,15. » Affatim: libius liTius
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FEb'iLS-STUDIEN.
83
p. 1^, 1. Ammenta Ameuta
ammata amata (annata B.)
• 12,13. . Adtef^re Attegrare
» 12, 14. Adtrituui Attritum
• 12, 15. Adttstat.'i Attestata
adtestaaiia attestautia
• 12, 6. Adtibemalis Attibemalis
• IH, 17. B. V. Aedilis:
eadem diguitjis, sicut poutiücatus sicut poutiticatu.s l adem
dignitas
• 16, 14. Ambrices Acobriees
• 17, 8.8.v.Ampt6nQini:ambarTalia arbarvalia
• 19, 6. ArmilQstmm Anniltistritim
» 20, 15. Ami caput Arnae cnput
• 22, 13. AquipeDser Aquipensent
Die Bchleebten Handschriften sind, so viel ich deren kenne,
der ersten Olasse entsprossen und machen sich nicht nnr durch*
ihre auffallende Mangelhaftigkeit, sondern auch durch ihre enge
Veruandtsoliaft kenntlich.
£8 genügt auf folgende Stellen hinzuweisen :
MLTEG VJR. deteriores.
8. T. Abavus : avus avi cocevus
» Bigeuera : leopardalis leopardus
MLTEG VJIi. deterwrts,
8. y. Endo procinctu : togis toti
• Ignis : terebrare verberare
• Proeulum ; (etate nati attenuati
» Tegillum : cueuUiuuculum cueuUi vim-ulum
\ on den guten Haudscbrifteu ist zu bemerken, das keine die
Abschrift der andern ist.
Am nächsten gehen G und Y zusammen, und zwar so sehr,
dsBs wer die Beschaffenheit der beiden Handschriften nicht ge-
nauer kennt, unltedingt behaupten wurde, dass V directe Abschrift
TOü G sei. Beide stammen aus einer Handschrift, nur ist V nicht
complet, nachlässig geschrieben und mit einem andern Glossar
6*
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84
FE8TUS-8TUDIEN.
contaminirt. Nor für den Stammbaum der Codices ist V von
« Interesse : für die Tezteskritik bietet er nichts, was nicht aus den
übrigen Codices bekannt wäre.
Von GV sind JR sehr kenntlich j^^oschiedeu. Ihre Lesarten
stimmen oft gef[,en GV mit MLTE. Hier einige Beispiele :
JB = MLTE GV
p. 4, 18. Abemito Abemitto
• 5, 1 . 8. T. Ambarvales : apellabantnr dioebantur (glt)S8, om. V,j
• 8,13. » Aiiritus : audiendi andiendo
»10,13. • Albogalerus: oleagina oleagena
• 12, 1. • Atiam: appellemns appellamns (Med. corr,
man SO,)
Auch hahcn hoide «^'emeinschaftliche Interpolationen, die ihre enge
Verwandtschaft (h utlidi hekunden.
Nicht so leicht und einfach ist die Gruppirung der Hand-
schriften der ersten Glasse.
Bald stimmen LTE j^egen z. B. :
p. 10, 13. s. V. Albogalerus: capix LTE apox M = GVJR.
» Ii, 9. » AttsB : terram magis » magis terram »
• 26, i. • Aeyolyunt • Aevolunt »
• 28, 14, « Amiculum genus est • genus •
• 20, 9. • Anatem anuum • annm »
» GO, G. » Creduas fehlen die Worte Ipsus pro ipst- in LTE,
M setzt sie hieher, GV nach der folgenden Glosse, Jü nach red-
ditus in der folgenden Glosse.
Bald MLE gegen T, z. B. : MLE T =s GVJB.
p. 1. s. V. Aqua et ifjni: siipergradiebantur supergrediebantur
9 8, 10. » Antipagmenta ; valvare (sed
corr.L.) valvarum
• 29, 4. adoptaticius adoptatius (adop-
tatus R.)
Bald MLT {regtn E, z. B. :
p. G, lf>. AgnosMLT = GVJB.: Agnus E (ex corr. L.)
i 9, 14. Adrumavit: parte • a parte
• 13, 6. aeditimus • aeditumus
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FB8TU8-8TUDIEN. S8
I
ff
p. 17, 17. B. T. Auziliares aetionem GYJB : auctionem
• iO, 7. Aenatores • Aeneatoies
Bald ML gep:en TE, z. B. :
p. 28, 1 7. 8. T. Atticiäsat : sicilissut ML sicilicissat TE GVJB.
• i8, 18. Attritas Atritas . »
Bald MT = GVJB gegen LE, z. B.:
p. 2, 6. 8. T. Aerarü : aere sunt appellati MT om. LE.
• 7, 1. D Alter: aliter » alter »
« 14, 8. >) Agnus : eo » om, •
Bald M£ gegen LT, z. B. :
p. 2, 6. 8. Aerarii tribnta ME tribuni LT as cett.
Was die Frage betrifft, welche Handschrift oder welche Clasae*
von Handschriften als Basis für die Texteskritik anzunehmen sei,
musB folgendes Princip auft^estellt werden;
1. In denjenigen Theilen der Epitome, wo wir noch den
Festinischen Text besitzen, ist diejenige Lesart als die des Arche-
typus anzusehen, welche sich anch im Famesianns findet.
Panlne bat nho p. i^lG, 4 nicht das von T und den x\iisgaben
gebotene Perpetrat, sondern Perpctat geschrieben. Perpetat haben
nämUch alle übrigen Codices in Uebereinstimmung mit dem Far-
nesianos, wie ich ans der Nachyergleichung AbeFs ersehe. So
röhrt anch p. 312, 1 s. Stroppns das yon T und den Ausgaben
gebotene atpd'f'.ov nicht von Fuulus her ; da der Farnesianus aupCKfiOV
hat und alle übrigen Handschriften dasselbe bieten.
Wenn nicht eine Olasse, sondern nur eine einzige Handschrift
mit dem Famesianns übereinstimmt, so ist diese Uebereinstim-
mung nicht in jedem Falle anch ein Beweis für die Lesart des
Archetypus. Die Uebereinstimmung kauu also auch auf Correctur
beruhen. Z. B. p. ^SO, i ist Eepagula nur im J. Alle übrigen
Handschriften haben gegen den Famesianns Bepacula, ein Beweis
dessen, dass der Archetypus Bepacula hatte.
Es kann aber auch der entgegengesetzte Fall vorkommen,
duss naiiilich mit Ausnahme einer Handschrift alle corrigirt sind.
So z.B. hat der Farnesianus p. 344a, 3 nach Abel s Coliation nicht
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<^ FB6TD6-8TUDIEM.
<i S, sondern äs- Dem entspricht AS in M. Alle üebrigen Laben
Aeudermif^en : L tt.j'., GR ah S, J ab is.
Ohne denFarnesianus würde man auch p. 147, 13 gewiss fehl-
greifen, wo OB 8. V. Mannes heisst : Unde dii manes pro bonis
dicontur. So T in Uebereinstimmnng mit der zweiten Ciasse.
Also wohl verbürgt und dem Sinn entsprechend, und doch erweist
sich diese Lesart als Correctur; «ienu der Archetypus hatte pro
boni, wie das die Uebereinstimmung von LM. mit Farn, bestätigt.
Paulus hatte also unstreitig pro boni geschrieben.
Eine dem Sinn nach richtige Lesart ist durch die besprochene
Uebereinstimmunp nur in dem Falle mit Sicherheit als Lesart
des Archetypus anzusehen, wenn dieselbe sich als Lesart einer
Handschriftenclasse erw^ i-t.
Wo es sich um einen Fehler im Festus handelt, dort genügt
die Uebereinstimmung einer einzigen Handschrift mit dem Far-
nesianus zum Beweise dessen, dass alle übrigen Handschriften cor-
rigirt sind.
'2. Wo der Festinische Text uns nur in den sogenannten
Schedas apud Laetum erhalten ist und andere Lesarten bietet als
die Epitome, beansprucht Paulus im Allgemeinen die grössere
Autorität.
Wo der Festinisclie Text fehlt und die ZAvei Classen der
Paulinischen Codices in der Ueherlieferung nicht übereinstimmen,
verdient mit Ausnahme solcher Stellen, wo gewichtige Gründe
dagegen sind, die erste Ciasse den Vorzug.
Dies in Kürze über das bei der Textesrecension zu befolgende
Prineip.
Einiges von den wichtigsten Resultaten meiner Untersuchun-
gen ist bereits im «Egyetemes philol. Közlöny» und kurz auch in
ausländischen Fachberichten yeröffentlicht worden.
Hiemit stelle ich folgende Ergebnisse zusammen :
1. Das Bruclistuck der Frivolaria bei l'\:'süis p. ^^37 M. ist,
was bisher unbekannt war, auch von Paulus in seine Epitome auf-
genommen worden und muss auf Grund der Ueherlieferung also
gelesen werden:
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FE8TCS-BTDDIEN. ^
■
tunc pu})ill:ie j)riniii hi iii
boruhabaut ; üliid volui tlicere :
Fratemilabant.
illiiil : illut M. volui : sie FestiiB, voliiit Paulus. (Epyet. phil. közL
U, 1878, p. 3D4. Bursian^s Jahresb. XVIII, 1879, p. 1.)
± Edü. Ann. 5:24. Vafal. ist mit GR also herzustellen :
Änt peniiarceret pahes xie^'Cnfisiis trifaci.
Vgl. iSjri sent. ^. iiibb.
Ltunmae rictu Marlis marcent moeoia»
permttrceret hatte sich mein hochverehrter Lehrer, Prof. Yahlen
schon als Gonjector angemerkt. Nun bringt die handschriftliche
Lfcsuug die völlifie Bestätigung. (Egyet. phil. közl. II, :V.l.5. III, 31.)
o. Aecius, Phinid. fr. 3. v. 574. üibb. ist die Ueberlieferung :
tonsillas littora inleda ML. tonsillis litore inleda GE. Der Vers ist
demnach so herzustellen:
Taoit^ tonsillas litora in leota ^dite.
(Egyet. phil. kozl. II, 3V)«;. Burs. Jabvesb. XVITI, p. -2.)
X. Pest. p. ^öSb, i, s. V. (^)uiindo ist: «in Xli. quidem cum c
littera ultima scribitun» die richtige Ueberlieferung. ^uandoc ist
»ach bei Paulus p. !259, 3 und 7 durch alle guten Handschriften
bestätigt:
Quandoc rex couiitiavit fas
und:
Quandoc stercus delatum fas.
qnandocrex MG. quando eres JEi, quandoc stergus B. (Egyet. phil.
közl. II, 396.)
5. Pest US Pauli p. :'.4] s. v. Septiiuontinin ist nach Cermalo
Caelio einzuschalten und das Fest in der Weise zu fassen, dass
die Snbura, die kein Berg ist, zu den Septem montes hinzutritt
mid das Fest a potiori seinen Namen führt. (Egyet. phil. közl,
U. 396.)
6. Titin. v. J61 ist statt :
Mirior
Inquam tibi videor
Minor tibi videor zu lesen. Ueberliefert ist inquit (nicht inquam),
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Ö8 FF.STUS-STUDIEN.
das sich einfach auf den Yerfasaer des VetBea bezieht. Vgl. Festas
Pauli p. 34, 5 Naeyins: tBilbit amphora», inquit. p. 49, 6 Plau-
tus . «Licet», inquit. «vos abire cuiriciilo»'. p. 51, '2 Cuto : «Culig-
Dam», inquit, «iu faeuo» e. q. s. p. 58, 14 Naevius: «Cocus»,
inquit, ledit Neptunoma e. q. s. p. 140, 8 Afranius : tVirgini»,
inquit, ttam crescit uterus» e. q. b. of. Fest. p. 141a» 23 — 25.
(Egyet. phil. közl. II,p. 446. Bursian's Jahresb. XVIII, p. 2.)
7. Die Genetivform Siiucus ist iu der Epitome p. )»45, '2 Sau-
qualis porta appellatur proxiiua aedi Sanci (so die Herausgeber)
durch alle Handschriften bestätigt, niuss daher sowohl hier, als
Fest. p. 241a, 2, wo der Famesianus scs bietet, hergestellt werden.
(Egyet. phil. közl. III, 32.)
<**5. Das von Romuius zu Ehren des Mars eingeführte Pferde-
reuuen heisst nicht Equiria, sondern Equirria. Vgl. Momms.
C. I. L. I, 388. (Egyet. phil. közl. III, 109.)
9. Der Name des Saatfestes ist überall Sementiyae (nicht
Sementinae) feriae zu schreiben.
10. Pacuv. :IH1. Ii, ist coußilium nicht concilium überliefert.
(Egyet. phil. közl. III, 109.)
11. Festus Pauli p. 109, 1 7 Impite : impetum fadte, ist Inipite
zu lesen. Vgl. Loewe Bb. Mus. 1876, p. 56. (Egyet. phil. közl.
III, 110.)
12. Festus Pauli p. 117, 6 ist a laeva laetrum sinistrum. et
laetro(r)8um sinistro(r)8um zu schreiben. Diese interessante Wort-
form ist nicht nur hier, sondern auch bei Philoxenus p. 128, 43
und in den Glossae «abavus» maiores überliefert. Diese neuen
Belege hat mein hochverehrter Freund Dr. G. Loewe gefunden
und mir gütigst mitgetheilt. (Egyet. phil. közl. III, 256 sq. IV,
702. Phüol. Bundschau I, p. 1035.)
13. Die Ton Festus Pauli p. 1 10, 11 citirte Stelle aus Plautus
hat ursprünglich also gelautet :
Init ted umquam febris.
Paulus hat nicht te nunquam, sondern te umquam. (Bgyet. phil.
kösl. IV, 618 und 703.)
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FB8TU8-BTUDIBN.
■
14. Festus Pauli p. 812, ß ist Stlatta zu schreibeu. Dies die
richtige Form. Vgl. Loewe Prodr. p. 7 — 8.
1 5. Ein neuer Beleg für die Form procastria hat sich p. 22o, 1 2
8. T. Procestria erhalten, wo es heissen muss : Artorins procastria,
quae sunt ante castra.
16. Dhbs neben inciis aiieli die Form incmiis bestanden, l'c-
weist ausser De idiom. gen. 57 7a, incudis ax;j.(ov die Glosse
Elendere bei Festus Pauli p. 79, 7, wo nach allen Handschriften so
IQ lesen ist : Excudere procudere et incudis ipsa a caedendo dicta
eft. Der Genetiv von incudis hat f^e\viss incudinis gelautet, wie aus
der italienischen Form incudine (neben incude) und aus der Ana-
logie mit subscudines bei Augustinus geschlossen werden darf.
17. Festus Pauli p. 84, 1 Foedus appellatum ab eo, quod in
ptciseendo foedere hostia necaratur. Unmöglich. Statt foedere ist
mit MGV. (fedt. ) L. (fide T.) foede zu lesen. V-:!. Serv. in Verg.
Aen. I, 6iJ foedus . . . dictum . . . a porca foede, hoc est lapidibus,
oeeisa ibid. VIU, 641. Isid. XYIU, 1, 11.
18. Ibid. p. 131, t ist Manoina tifata zu lesen.
19. Ibid. p. 50, 10 Cumalter significat cum altero ego. üeber-
lietert ist Cumulter und dies ist beizubehalten. Vgl. adulter Vanicek
Eiym. Wurterb. ± p.
Nach diesen per saturam mitgetheiiten Beispielen wollen wir
das allgemeine Besultat in folgende Punkte zusammenfassen :
1. Der Verfasser der Epitorae heisst der iil)erein9timmenden
l eWrlieferuug nach weder Pauhis Diaconus, noch Paulus Pontilex,
noch Paulus Sacerdos, sondern einfach Paulus.
2. Die Orthographie der Epitome ist nicht so schwankend,
wie wir sie bei Müller finden.
3. Die Wortfolge und die lU ilu nfolge der Glossen, wie wir
sie in der Müller 'sehen Ausgabe liabeu, hat sich an vielen Stellen
sls falsch erwiesen.
4. Es hat sich herausgestellt, dass sich in den edirten Text
«a 33 Stellen Interpolationen ein<]reschlichen haben.
0. Andererseits hat sich manches, was bisher für Interpolation
gegolten, als echt erwiesen.
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w KURZE 8ITZUN08BERIGHTE.
0. Es hat sieh herausgestellt, dass an beilauti*; -5 Stellen
einzelne Worte oder Sätze ausgefallen sind, die nun vrieder her*
gestellt werden müssen.
7. Die üntersncbung bat ein bisher nur mangelhaft gekanntes
Plautus-Frafjment un<l mehrere bisher unbekannte Worte und
Wurtfornien zu Ta<,'e gefördert.
8. Folgende Glossen : Abitionem antiqui dicebant mortem. —
Adversus aut contrarinm significat aut idem quod erga. — Astatas
arte tutus. — Cicuma avis noctua. — Neqnam nußator. — Redi-
vivuni est ex vetusto renuvatum — hal)eu sich als echt erwiesen
und sind demnach in den Text aufzunehmen.
9. An vielen Stellen bat sich die bisher versehmähte Lesart
als die einzig richtige erwiesen.
10. Endlich hat es sich herauB<^estellt, dasB Paulns an so
manchen Stellen mit der fehlerhaften Feberlieferun;^' des Farne-
sianus übereinstimmt, wo demnach nicht das an und für sich
Bicbtige zu setzen, sondern der überlieferte Fehler beizubehal*
ten ist. Emil Thewbbwk t. Pokob. *
KÜRZE SITZÜNGSBElilCHTE.
— Akademie der Wissenschaften. 1. In d»r Sitzung' der erst-en
C'la--e am Jl. N(iv» nil'» r las Sigm. Simonyi iibor den f rsj^nnui und die
Kntinr'h,l,(nn >hs } inui, ,i fi t, s huini dasp), einen Beitrag zur Syntax
des Nel>eiisat7es im l'n^'arit-cheu. Hierauf legte Jos. Bri>KNZ das ehen
ersciiieiieiic lieft di r S m h tmUnndnui kx-Jmit nytk (Spruch wissenschaft-
lielie Mitteihmgeii I vor, da^ foltjeiiiie 1 l' if rai,'^e eiitliält : Moksa-mord-
winisclies Mutthaus-Kvangelium , mit £iideitnng und Worterhnch
heran sg< L,'e]'eii von Jos, BrDENZ. — Utdu r die vepsische Sprache von
Joj^. SziNNVEi. — Knssit>clie Verben im Ki za-Mordwnii^cheu von Jos.
BnDKNz. Ma*;yai"iscb letj von lox. Kunos. — Mordwinisch inkm von
Ion. Kunos. — Türkißch arnlau, magyahscb omszldn (Lö\^e) von Luk.
' Aiis/n? aus des Verfassers am Octolier 1881 gehaltenem akade-
mischen Vollrage. S* diene «Uevue». 16bJ, b. b(>9.
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KURZE 8ITZCNG6BEBICHTE.
91
PatkubAny. — Aulnuteiule Me<liji im l'^Tischeu von Bbbnh. MunkAcs>i.
— Sorokin's woguliscbeft Glossar v«iii Jos. Bri)p:NZ.
'2. lu der Gesammtsitzung vom liS. November las Jos. Bt'DtNz
eme Denkrede aiif das »n-jwiirtifje Mitglied der Akademie Theodor
Bexpxt, dessen Schüler der Vortragende in Gotting n ge wetzen und
dessen Leben nnd ^Virken er in umfuBseuder Darstellung schildert.
3. In der bitzung der zweiten Classe am 5. December legte zn-
Däehst GrsTAV Wenzel eine historische Untersuchung über dit lietUw
tunpdt r Familie Fuy(ier in der umiarittcken Geschichte vor.
Jacob Fugger scbloss in den neunziger Jahren des XV. Jabrhnn-
iitiis in Venedig mit Johann Thurzo von Bethlenfnlva ein engeres
Frenodschaft«bündniss, aus dem sich später zwischen den beiden Fami-
lien auch Geschäftsbeziehungen entwickelten. So schloss Jacob Fugger
mit Johann Thurzo bezüglich der dem Letzteren gehörigen Nensohler
Bergwerke einen GeeelUchaftevertrag ab, der bis 1525 währte ; von da
an bis 1546 hatten die Neffen Jacob Fagger'a die Kensohler Kapferwerke
in Fscht, ans welchen dieselben bis 1546 das blühendste Industrie- nnd
Hsudelsnntemehmeu schufen.
Vortragender behandelt unn vor Allem den Ursprung und den
grossartigeu Welthandel der Fngger's und bespricht den Einilnss, den
die^elben auch in Uugiim aufgeübt, vor Allem als Grosshilndler und
Bankiers, dann als Inhaber montanistischer Unternehmungen, schlie«>8>
h'cfa aber als Besitzer der Herrschaften nnd Burgen Vördskö und
I>etrek6. Baimund, Anton und Hieronymus Fugger erhielten im Jahre
1538 das ungarische Indigenat und mehrere andere Privilegien. Nach
dem Tode Jacob Fugger^s (1560), unter welchem die Neusohler Werke
einen solchen Aufschwung nahmen, wie vorher und seither kein mon-
tanistiflches Unternehmen in Ungarn erlebt, zog sieh die Familie aus
Uogam zurück; nur die Tochter Marcus Fugger's, Maria, blieb im
Lande zurück, da sie Nicolaus Palffy, den Helden von Raab, geheiratet
hatte. Auf diesem Wege gelangten Burg und Besitz Vörösko in den
Besitz der ;itiu lit n Fauulii- raltVy.
Der von Alkxvndkk SziLÄ(i\i vtrleseuen Abhandlung Li Dwio SzA-
I'L(zky's über den runitini-rlun \atiii)ialht hlt)i Mirliatl, dem Im kaiintlich
m iiukart-st eine gliin/Aiidf Kt itcrstatue ertichtct wurde, liejjdi (lureli-
*tps stibstaudigc arcbivalibclit' Studien zu Grundf. I)a> lUsuilat der-
6-ellen lasst ^ic-h dahin znsaiumenfasst^u, dass der machtige Wojwode,
in den die Ruiiiaijcii ihren « r.-ten Natioualiielden verehren und dessen
Namen sie auf die Faliutf ihrer nationalen Propaganda schreiben, nichts
anderen war, als ein selilauer Condottiere Kais( r Rudolfs. Er hatte
grosae Ziele vor Augen, er wollte der Herr von »Siebenbürgen, der
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KUB8E 8ITZUNO8BEBI0HTE.
Moldau und der Walachei werden, er wollte Bulgarieu und Serbien
erobern, das alte Byzanz in. sduen Grundfesten erschüttern und sich
die Eroue Polens aufs Haupt setzen ; über die Trümmer von Kaschau
und Wien drohte er nach Prag zu gehen, um den Kaiser abzusetzen ,
und all dieseu boclitliegeDdeii Plänen machte der Dolch des von dem
kaiserlichen FeltUiaupimann Basta gedungene» Mörders ein Enile, der
den übermütigen Wojwoden auf dem Tordaer Felde zu Tode traf. Das
Glück dos tiipftru" Wojwoikn, aus dem die Mythe einen National-
lielden gemacht, währte nur zwei Jahre, von 1500 bis IGOl, und es ist
gewiss bezeiehiH-nd. d»ss die Knmiinen, die ihm ein Momnnent gesetzt,
noch nicht seine (reschiclite geschrieben liubLU, zu welcher ihnen das
Material die uiiu'iirisclu n Forsclier zusammentragen müssen.
Zum 8ehliis.-e entwickelte Dr. Karl .\kin mx /«// />olitiscitt'
l>ilt'i/it/i(i il'i- Hihlini.i. In seinem ersten Vortrage über dieses Tiiema war
der Verlasr^er von der Beobaelitung «iisgegangen, dasH die Intelligenz
steril macht, und halte zu beweisen gesucht, dass in dem Kampfe nms
Dasein, wie in dem Kint^en nach mateneller Prosperität, die lliblung
im Allgemeiuen nur als Hemmschuh zu betrachten ist. Brüstet sich
demnach die moderne Naturwissenschaft damit, dass sie entdeckt hat,
die Ut l-erlebendeii im Kampfe s( ieu stets die Lebensfähigert n (was
im AVeseii nur ein tndsm oder eine Tautologie sei), so fand der Vor-
tragende seinerseits, dass beziiglich des Menschengeschlechtes die
leben sfabi «Jen nicht eben die des Lebens wüidigsten Elemente sind,
worin der bcblussel zum Verständnisse gewichtiger historischer Vor-
gänge hegt.
Schon in diesem ersten Vortrage wurde im Vorbeigehen besonders
auch der arbeitenden Dassen und des Einflussts der Bildung auf deren
Schicksal gedacht. Schon damals wurde die Tatsache erwähnt, dass
die Erfindung und Verwendung der Maschinen, welche das Product
menscliliclier Tätigkeit so riesig zu steigern vermögen, weder die Au-
zahl arbeitender Hände vermindert, noch die relative Situation des
Arbeiterstande< im Ganzen verbessert. Dieses ueae «social politische
Dilemma» der Arbeit bildete den Gegenstand des jüngsten, zweiten
akademischen Vortrages.
Durch die Maschinen ist die Productiou und deren Ertrag ins
Riesige gesteigert worden, aber ebenso, ja noch mehr steigern sich die
Anforderungen des Luxus. Die wahren Bedürfni-^se des Lebens sind
gering und selbst die Existenz des Eigentums behinderte nicht deren
allseitige Befriedigung ; der Luxus dagegen ist unersättlich und da das
Eigentum gegenüber der Arbeit die Situation beherrscht, so wird
schon aus diesem Grunde allein der Arbeiterstaud einerseits zu unun-
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KOBZE 8ITZ0NOSBBBICHTE
93
t-rlTocli-^Mcf immer zuhl-Ii ueiider Productioti verhaltc-ii nutl amleror-
[inf (Ion so«^'('aanutoii stanation point, was seim- (■i>„^eiif'n (ionüsse
betrifft, herabgedrückt. Hiezn tritt" als zweiter j^ewichtij^er Factor der
Gegensatz des Luxus, nämlich der Geiz und die Sparsamkeit. Letztere
Buchen ilir»' Befriedigung nicht in Luxus^n-niissen, sondern im l^»esitz,
besonders des Geldes. Wird unter solchen Umständen thesaurisirt, '.vie
in manchen Ländern des Orients, so werden dem Verkehr die nötigen
Umsatzzeichen entzogen, die Arbeit findet nicht Beschäftigung und das
Elend wird allgemein. Werden die Gelder dagegen nicht blos aufge-
epeichert, sondern «fructificirtt, so tritt zweierlei ein. Entweder das
Geld wird nach und nach von einer geringen Classe monopolieirt,
«dche mit der Zeit auch die liegenden Güter an sich zieht ; oder in
vorgeschrittenen Ländern entstehen fortwährend neue Capitalsanlagen,
deren Fmctifioirnng stets neue Arbeit involvirt. Die riesige Zunahme
solcher Anlagen in indnstriösen Ländern, im Verein mit den Einflnssen
des LnxQs, erklärt mehr als zur Genüge die nimmer rastende Arbeit
der besitzlosen Classen. Je geringer übrigens der Bnzeh teil im Preise
der Waaren, welcher den Arbeitslohn repr&sentirt, desto grösser wird
aiieh notwendig der Gontrast zwischen dem Leben der Arbeiter nEd
äa Eigentümer.
Der Verfasser entwickelte diesbezüglich ein streng mathemati-
idies Gesetz, welches nachweist, dass wie immer die Ldhne, ob hoch
oder niedrig, nnd wie immer die Preise, ob teuer oder billig, der
Arbeiterstand notwendig nm so mehr vergleichsweise verliert, je billi-
ger die Prodnotion durch den Einflnss der Maschinen wird. Wie dieses
]>flemma zn lösen, wonach gerade der Fortschritt die Situation des
Arbeiters vergleichsweise herabdrückt, darüber unterliess der Vor-
tragende jede Andeutung. Er erklärte vielmehr ganz offen, dass er in
den Räumen der Akademie nicht agitatorische Zwecke, sondern rein
ond ausschliesslich die Erforschung der Wahrheit als Ziel im Auge
habe ; was ihn jedoch nicht hindert, anerkennend jenes Staatsmannes
zn gedenken, der anstatt auf seinen reichen diplomatischen Lorberu
ansznnihen, aus rilicht,i,'cfiihl selbst mit den kaum lösbaren Dilemmeu
der Socialpolitik den Kuif^'kampf auf^^enommen. (Uebrif^cns liat Dr.
.\kin seitdem in eiiu r Zuschrift an das Taf^'blatt lluji erklärt, dass er
df-n Titel eines SocialdemokrHteii durchaus zurückweist, ja dass er
fogar eher von der ciiiutus der Religion als von irgend einer })olitischen
iQatitutiou die iieiuedur der eiuöchneidendsteu socialen Lehel zu er*
hotfen vermöchte.)
4.. In der Sitzung der dritten Classe am 12. December behandelte
mächst Nicolaus Konkoly die Üpectren der Cometen b umi c ISöl. Vor*
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94
KURZB 8ITZUK08BEBICHTE
tragender m&B6 mittelst MikrometerB in dem Farbenbilde des Cometen
0 1881 fiinf Streifen, welche identisch waren mit den Speetralstreifen
des Kohlenhydrogens. Er fand auch noch andere Streifen, welche
jedoch in Folge ilurer Farblosigkeit nicht sn bestimmen waren. Neben
dem Kohlenhydrogeu-Spectmm Eoigt noh ein sehr glänzendes conti-
nuirlicfaes Spectmm. in welchem man die Fraiieuhofer'schen Linien
der Omppe C, D, b und F dentlieh wahrnehmen konnte. In dem
Spectrum des Cometen C 1881 waren blos drei Streifen und ein sehr
schwaches coutinuirliclies Si-ectrum wahrzunehmen. Das Ganze ent-
sprach dem Farbenbilde des im Jalue 1881 von Pechule entdecktcu
Cometen.
Dr. Konkoly legt auch noch die Abhandhiu;^' l)r. Franz Lakics'
über '/<V ;ii ni/t iipiiiöi Jie Ih f iti' ih r i f-< j i/aUat'r St> ruii <n tt> vor. Das Kesultat
der Lakics Kchen Untersuchungen lässt sich durch 47 ' 52' 27". 3. iO,"4-
ausdrückten.
Protc.'-st.r J. A. Kre.vxeh behandelt »//« ;iri>nl'tH'lisr/irn Flwri'i-
Min>r<ilini. Im Gneis.se des BÜdlichen Grönland im Arkint-Fjord tritt
ein niiiclitii^es Lager eines weissen Minerals auf, das wegen seiner
Aehnlichkeit mit Eis Kryolith genamit wurde. Schon zu Ende des
vorigen Jahrhunderts durch dunische Wallfisclifnhrer nach Europa
gebracht, erlangte es erst ^Vichtigkeit in den tuiifzigt r Jalu*en, wo man
aus diesem, ans Thonerde, Fluor und Natrium bestehenden Mineral
das überaus leichte Aluminium Metall herstellen lernte, welches damals
zu Schmucksachen verarbeitet wurde, nachdem die Hotlnuug, in dem-
selben ein geeignetes Material 2ar VerwirkUchimg der Idee des steuer-
baren Luftschif)*es gefunden zu haben, sich nicht erfüllte. Gegenwärtig
findet dieses Mineral eine viel practisohere Verwendung, in grossen
Schiffsladungen wird es nach Europa gebracht, wo daraus billige
Natronlauge für die Seifensieder erzeugt wird. Dieses Mineral wurde
morphologisch durch Descloizeau^ (Paris) und Websky (Berlin) unter-
sucht, es wurde für Triklin dedarirt. Mit demselben kommen vor der
PschnoUth und der Thomsenolith, diese wurden durch Erop, y. Bath,
Bescloizeaux und Dana untersucht. Nun erklärte Professor König in
Philadelphia, letztgenannte zwei Minerale seien identisch, worauf Erop
(Karlsruhe) die Verwirrung noch steigerte, indem er erklärte, ein Teil
des Pachnoliths sei Triklin, und Websky habe seine Messungen statt
am Kryolith an diesem Mineral angestellt. Gegen diese Auffassung hat
sich Vortragender in einer ausländischen Fachschrift erklärt, betonend:
1. Dass der KryoUth nicht Triklin, sondern Monoklm sei. 2. Dass
Websky seine Untersuchungen an wirklichem Kryolith anstellte.
3. Dass König nur Thomsenolith, nicht aber Pachnolith analyairte.
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KUBZB SITZUNGSBERICHTE,
95
4. Das-i Wöhler k.'ineu Pachnolith uiit.'rsnclite. 5. Dass sich alle drei
Mineralieu krystallograpbiscli wie opti^^cb scharf auseiuauder halteu
Vorta-ageuder legt dauii noch die Arbeiten A. Schmidt's luul
A. FBAXZENAn's vor. Ersterer fand auf der iuteressaiiten Eisenerz-
Lagerstiitte von Telekes-Riidohanya llanjtr nnd eigentümlich gestal-
tete Wi'isshh'i- [\iz»'. Was den Barvt anbelangt, besitzen dessen aus "20
Krystallformen bestehende Coiubinationi'n « int' Tafelform nach der Basis.
Das Bleikarbonat, das sich in dem zerfresseneu Brauueisen befindet,
zeigt einen sehr complicirteu Bau, an welchem sich i21 Formeu betei-
ligen, darunter zwei ganz neue. Die Zwillinge lassen eine \'er wachsung
nach dem Grnndprisma und dem vou KokscUarofl' &u sibiriecbeu Cerus-
aiteu beobachteten Gesetz, nach dem drittel Prisma, erkeni^en.
A. Frauzenau'ß Abhandlung beschäftigte sich mit dem vulkanischen
Arnj^iibol du Artmyer Berf/es bei Deva. Da die KenutniBs dieser Mineral-
Species von eminenter Wichtigkeit für die Petrographie ist, hat Autor,
Toanlasät durch Prof. Krenner, diese complieirteu Krystalle einem
gecaueu Studium unterworfen. Dieselben bilden eine Combination von
19 Krj'stallfiestalten, deren Werte denjenigen vom Vesuv sehr nahe
stehen. Auffallend gestalten sich die optischen Yerhftltnisse des eieben-
büigischen Minerals, indem die Lage der optiBohen £lajitioit&t8-Axen,
sowie jene der optischen Axen, eine von den bekannten Yerschiedene
KchtODg befolgen. — Beide Untersuchungen wurden im geologisehen
Laboratorium des Polytechnikums durchgeführt.
Zum Schlüsse führte Ptofessor Schullbb den Nachweis, dass
«ihreod der Wasserbildnng Htfdrogm'Superaxfd entstehe, ein Umstand,
der bisher noch nicht bemerkt worden ist. Auch bei der Explosion von
lehlsgenden Wettern entsteht dieser Körper nnd verdient dieser Um-
stand bei kalorimetrischen Messungen wohl in Erwägung gezogen zu
werden.
5. In derOesammtsitzung vom 1 9. December machte AmtohZicbt
seserUche sehr interessante Mitteilungen ans dem XacMatse de» Grafm
M^9n Sfie^imyu auf welche wir, sobald sie im Drucke vorli^^gen, aus-
fiihrlieh zurockkommen.
— Die ungarische historische Gesellschaft hielt am LDectniber
mter Vorsitz Arnold Ipolyi's eine Sitzunf^, in welcher Eugen S/.kni-
ILiBAY, der Verfasser des preisgekrönten Werkes Uinulrrt Jahr,' uns ih r
ntueren ^ieachithtr Smhuujarns, einen Abschnitt aus dem noch nicht
«dirt^u III. P>ande seines Werkes vorhi's.
Vortrageuder schildert die misshcheu Verhiiltnisse, in welchen
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KURZE 8ITZUN08BEBICHTB.
ßich die vou Maria Th' it'sia reiiicoi irlen Ceinitutc Teiiics. Kninso
und Torontäl befandt ii. Der Hof und die Militarkrtüsp heeiiiriussteii
das kaum entwickelte Munic'i]>allel)en und hielten das von dem übrigen
Ungarn losgelösto «Temeser Banat» im Curatel.
Von den Hof-Af'enten provoeirt, wandten sich alle Städte und die
von den versclüedenen Nationalitäten f^egrüiideten Colonieu an Maria
Theresia um Privilegien und um ihre Exemtion von der »unj^arischon
Herrschaft», vor welcher man den Petenten eine heillose Angst ein-
gejagt hatte. So schildert Vortragender in grossen Zügen, hie und da
interessante Details einHechtend, die Gährung, welche sich der Bauater
Nationalitäten seit der Keiucorporirung bemächtigte, und die verfas*
snngä widrigen Verfügungen, welche die Wiener Begierong gegen die
südungarisolien Comitate traf. Zuletzt wurden auch der Königin die
weitgehenden Forderungen der nimraersatten «Baizen» zu viel, die
Bich dem Comitate niobt nur nicht fügten, sondern dessen Anordnungen
nicht einmal annehmen wollten und die benachbarten ungarischen Be*
völkeruugen auf jede Weise bedrängten. Nach dem Tode Maria There»
eia's gelangten die drei Comitate unter die Oftiw Statthalterei, respeo-
üve unter die ungansohe Hofkanzlei. Nun standen die drei Comitate
zugleich unter siebenerlei Oberbehörden, deren Wirkungssphären ein-
ander vielfiich kreuzten, die Verwirrong womöglich noch steigerten und
die Tätigkeit der unter dem Qrafen Nitsky stehenden königlichen
Bemcorporimngs-OommiBBion ungemein erschwerten.
Kabl TagAkh fährt in einer längeren Abhandlung den Beweis,
dass die Burg Sxolg^gtfSr, deren in unseren alten Documenten so oft
Erwähnung geschieht, nächst dem gegenwärtigen Udvamok bei Frei-
stadtl a. d. Waag lag. Die jetzige Ortsbenennung »Prsten» entspreche
dem ungarischen «gyürü» (Bing), das einst «gydr» gelautet haben
mochte. « Szolgagydr • bedeutete demnach : der Bing der (Burg-) Knechte.
Die einstige Existenz der Burg aber wird durch den Ortsnamen
Posadka (Unterschloss) bewiesen. Das letztemal wird der Burg um das
Jahr 1280 Erwähnung getban.
Yondtzender erinnert daran, dass nach der Ansicht des Histori-
kers G. Bartal igyör» (d. h. »lyür = Burg-Bing) ursprünglich die allge-
mein iibliche Bezeichnung für tComitat» war und hält er es für wün-
schenswert , dass auch die anderwärts vorkommenden , ähnlich
bezeichneten Orte historisch untersucht würden.
- Ungarische naturwissenschaftliche Gesellschaft. In der Fach-
Sitzung am 21. Deceinher las Dr. Franz Szabö über die Eutn icklututs-
ffesi/iichtc der Pßanzen, In der Botanik wird gegenwärtig besonders in zwei
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KUfiZB 8ITZUM08BERICHTE.
97
wichtigen Richtnngeu geforscht : eine verfuli^t die Entwicklnnj^ des
Pflanzeukorpers. die andere die mechanischen Ursachen dieser Ent-
wicklnug. Der Vortrugeud^» hefasste sicli mit der F^nt^vickhln•^s^;e^chichte
der Bhiteu der Ananas-Arten und demonstrirt die bisherigen Ergeb-
nisse au Abbildungen. Hiedurcli wird bewiesen, dasB die im Innern der
Bhiten befindlichen feinen fadenförmigen Gebilde, in welchen sich der
Blütenstaub bildet, und derjenige Blütenteil, worin man bei der
Reife den Samen findet, eigentlich eben solche Blätter sind, wie die an
anderen Teilen der Pthmze wachsenden Laubbliltter. Die Entwick-
lougsgeschichte bildet die sicherste Gnuidhige der neueren Systematik.
Als zweiter Vortragender berichtet Dr. Alafür v. Kü/:^ vHF.<iYi
über (//V mit <ltr Pdstiur'si fim Schxt'inif i unij (jr(jtn Mihlnani/ in l iVKun
aiiS'jiinhrU n Vti suche. Der Vortragende gibt ein kurzes liesume über
ilie Genese der Pasteur'schen Mi t hode und die Darstellung der Impf-
8toffe, schildert die .Anordnung und den Verlauf der in Budapest und
iü Kapuvar an Schafen und Kindern ausgeführten Versuche und be-
spricht dann das auf einer Zableutabelle übersichtlich gemachte Er-
gebnisB in folgender Weise :
Für die W'ifutemrliat't liegt in diesen Versuchen eine der weitest-
tragenden Errungenschaften, denn sie befähigen uns, die niederen Pilze
(Bacterien), welche uns als ständige Begleiter einer tödtlichen Infec-
tionskrankheit bekannt sind, durch künstliche Züchtung in ihrer Wir-
knng so weit abzuschwächen, dass sie Tiere, die man mit ihnen impft
und in deren K'm ]>er sie sich vermehren, nicht mehr tödten, sondern
nur TOrübergeh' nd kraak^ dadurch aber auch gegen die todthchen,
mqvünglichen Pilze unempfänglich machen. Uiedurch wird einerseits
bewiMen, dass wirklich jene Pilse ilie krank machenden Agentien sind,
andererseits wird die Wirkungsweise der Schutzimpfungen überhaapt
erklärt, welche gegen andere Krankheiten ( z. B. Pocken) seit Langem
in Gebrauch sind, ohne dass ihre Wirksamkeit erklärt gewesen wäre.
Von grösserer Bedeutung ist aber das praeUtclu Erg^nm der
Impfversuche.
Um die Schutzkraft der Impfungen zu controliren, wurden sowohl
die geimpften, als auch die nichtgeimpften Tiere mit kräftigem Milz-
brandgift inficirt. Dabei ergab sich, dase von den geimpften Schafen
145 V*, von den nichtgeimpften 93.3 V« an Milzbrand verendeten. Der
üotenehied ist sehr eclatant; geht man aber der Sache besser auf den
Gmnd, und zieht man den ganzen Verlauf der Versuche und nicht blos
dia Schlussseeoe in Betracht, so mässen die obigen Zahlen wesentlich
modifidrt werden.
Erstens ist «» Teil der Tiere bereits nach der SduUtimp/ung an
VognlMte B«mM» 1882, L Heft.
7
\
96 KURZE SITZUNOSBERIOHTE.
Milzbrand verendet : 15 Schafe fideu gauz bestimmt einem Milzbrand
zum Opfer, welcher nur auf die zweite Sohutzimpfuug zurückgeführt
werden konnte. Möglicherweise war das Impfmaterial zu kraftig, auch
kouuten sich Unreinigkeiten eiugeschlicheu haben, in Folge dessen sieh
zur milzbrandigen auch noch eine septische Infection gesellte. Keine
dieser Erkliirnn^fen vermag aber das uugiiustige Ergebuiss zu recht-
fertigen ; (leiiu bt-deiikt man, dass hier M ustfrv ersuche mit der grössteu
Behnttiamkeit, gewissermassen als tlieoretische Demonstrationen au«-
gofiilnt; wurden, und dass jede auf theoretischem Wege festgestellte
Methode in der alltiif2;lichen Praxis sehr viel au Eeinheit und Präcisioii
einhüsst, so wird die lieliirclitung gereclitfertigt erscheinen, du'^s in di-r
Impfpraxis railzbrandige lufectioiien uiul Blutvergiftungen noch häu-
figer auftreten werden.
Die Sterbliclikeit wurde ain-r durch amlnr Kr<inkii< id n noch eriiöht,
und diese (besonders parasiti>elK' Wurmer s rafften r,>nri, <h'n<i die
genupfteu Tiere hinweg. \Vi'nn nun hiedurch bewiesen ist, da«s durch
die 8chut/impfnng der tödtliclie Ausgang anderer schwerer Leidt^u
beschleunigt wird, so steht bei dem Umstand, dass die Wurmkrankhei-
ten in unserem Viehstand ungemein verbreitet sind, in der Praxis
auch von dieser Seite eine weitere Erhöhung der bterbhchkeit zu be-
fürcjten.
Vom practischen Standpunkte kommt es so yiemlich auf Eines
heraus, durch welche Krankheit der Verlust verursacht wird : darum
wird nur die Summirung aller Todesfälle den wirklichen Unterschied
zwischen geimpften und nichtgeimpften Tieren erk« nn*>ii lassen. Stellt
man die Berechnung so an, so ergeben sich für die geinii^ften Tiere
14.5 %, fiir die nichtgeimpften Mi " d als Gesummtsterblichkeit.
Der Unterschied bleibt auch so noch sehr bedeutend, aber er ist
schon geringer und iuf^besondere ist auch dh SterUi'rhhnt ihr (jeimpften
Tiere (14^%) iiemlich hnch^ wie 7 u sehen, gerade das Zehnfache von
derjenigen, welche sich bei der oberflächlichen Beschränkung auf den
Schhi9sact der Versuche ergab. Diese Zahl war in zwei Versuchen anf-
fallend übereinstimmend (14.78 und 14.27 Vo) ; sie bildet aber nur den
Mittelwert und kann wesentlich alterirt werden, da die von einer
Schutzimpf ang allein verursachte Sterblichkeit yon 3.5 bis 10.0%
schwankt, so dass, wieder in der Praxis, diese Sterblichkeitsrate noch
übertroffen werden kann. Andererseits gebietet uns der practisehe
Standpunkt, diesen Zahlen nicht die 94**.* der nichtgeimpften Schafe
gegenüber zu ntellen, sondern nur diejenige, welche das natürliche
Milzbrand'Coutagium erfahrnugsgemäss zu verursachen ptlegt, wodurch
der Unterschied noch um ein Weiteres vermindert wird.
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KUBZE SITZUNGSBERICHTE,
99
Ohne Zweifel wäre auch selbst eine Sterblichkeit von li.o'^/o in
vielen Gegeudeu noch annehmbar, da ja der Milzbrfind zuweilen auch
60" ) der Tiere tödtet, wenn durch sie nur ein 8ichcr»'r Scliutz erkauft
werilt ii könnte, ein Schutz, welcher auch gegeu das uatürliche Milz-
brami Coutagium Giltigkeit besitzt.
lu Kapuvär sind von den doppelt geimpftt-n Schafen nach der
Lfection ruit MilzbraudstotV drei Stück au Milzbrand erkrankt und
oiiies davon verimdete. l)i'r Imjifsrhntz ist ilalu r kriu ahsolid sir/u rrr,
wenn auch auf diese wenigen Fälle kein L'ro^ses Gewicht gelegt werdeu
will. Feruer ist aus den, an uichtgeiiD})[ten Tieren nach der lufectiou
beol)Hchteten Symptomeu wohl zu ersehen, dass zu dieser lufectiou,
im Aliuemeinen, Milzbrandinaterial verwendet wurde, doch die Beob-
achtuiij,'en. dass di*' Rinder nicht einmal alle davon erkrankten uud
gauz ausnahmsweise daran starben, ferner dass ^besouders in Buda-
pests die nichtgeimpfteu Schafe nach der lufectiou sehr laugsam ab-
starben und bei der Obductiou keine hinliinglich charakteristischen
Milzbraud-Symptome aufwiesen, scheinen dafür zu sprechen, dass das
zur Control-Iufectiou verwendete Matei ial von etwa^ milderer Wirkung
ist. ulh das natiirliche Milzbrand-Contat;iiim. ])ie Wirksamkeit der
Scbutziiüpfunsien auch gegen da< letztere wird sich erst aus dem weite-
ren Verlaufe der letzten Kapuvärer Versuche beurthoileii lassen ; ea
werden nämlich dort2Ö1 geimpfte und iiil ungeimpfte Schafe auf be-
khunten Milzbraudweiden «^ehalteu ; inzwischen hat aber mit einge-
treleuera Winter der natürliche Milzbrand sozusagen gauz aufgehört
oud wird erst in der warmen Jahreszeit wieder solche Dimensionen
aunehmeu, um seine Wirkung au jenen zwei Tiergruppeu beurteilen
za können. Bis dahin kann die Schutzkraft dieser Impfungen gegen den
natürlichen Milzbrand nicht für beniesen betrachtet uerden.
Es ist daher zu verlangen, dass die Schutzimpfungen keine Tiere
an Milzbrand oder Blutvergiftung tödteu uud dtiss sie den tödtlichen
Ausgang anderer Krankheit( n nicht besckleunigen ; andererseits fordern
wir, da8s uns ihre Wirkaarnkt it gegen den natürlichen Milzbrand auf
ebe jeden Zweifel ausschliessende Weise bewiesen werde.
Die öffentliche Gef^undheitsptiege kauu eich aber angeeichts dieser
Impfungen noch einiger Bedenken nicht erwehren. Dasjenige, dass die
8chatzkraft der Impfungen vielleicht nur auf eine gewisse Zeit sich
erstreckt, verdient weniger Beachtung ; denn gelingt es nur einmal,
die übrigen Schwierigkeiten zu beseitigen, so werdeu sich die Schutz-
Impfungen eo leicht und auch genug wohlfeil ausführen lassen, um
nötigeufalls jährlich wiederholt zu werden. Wichtiger ist die Befürch-
tung, dass mit Milch und Fleisch geimpfter Tiere der Milzbrand auf den
5 15 7 41
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100
KURZE SITZUKOSBBRIOfiTE.
Memchen uhertratfen irenlcn könnt' . vor der Vorallgeiueinerunf? tler Im-
pfuiifron wird jerlenfalls mich die Frage zu klaren seiu, biDueu wie viel
Zeit uacli der luiptuiig Milch und Fleisch der Tiere ohne Bchaflen
genoi^seii werden kann. Zieht mau l'eruer iu Betracht, dasH in <len
Impfj-toflV'ii Milzbraudpilze — wenn auch im geschwächten Zustautle,
aber in ungeheurer Menge — enthalten siml, und dass diese Pilze im
Körper der geimpften Tiere eine weitere riesige Vermehrung erleiden,
80 ergibt f^ich, dass durch allgemeine Impfungen kolossale Massen die-
ser Pilzt- im ganzen Lande zerstreut werden . Da nnii die geimpften
Tiere auch dann fallen werden, und es niciit HU^gfsclilusso n ist, da*^s
die ans den Kadavern freigewordenen Pilze ihre ursi)rungliclie Virulenz
auf irgend eine Weise wieder erhingen, so steht die Ansteckung der
Menschen auf diesem Umwege um so mehr zu befürchten, als die
Sorglosigkeit, mit der man schon jetzt seihst Milzl)rand-Kadaver behau-
delt, danu durch den Glauben an die Allmacht der Schutzimpfungen,
so weit möglich, noch zunehmen wird.
AU das erwogen, pflichtet Br. Bözsahegyi dem Gutachten der
Commissi on vollkommen bei, wonach es verfrüht wäre, du Pasteur'whe
Methode in de»- hier demonstrirten Form und sofort zu veralbjeni einem, am
wenigsten ist es aber zu empfehlen, dass sie unter dem Schutze der
Staatsgewalt verbreitet werde ; und insofern aus ilir andere sanitäre
Schäden erwachsen könnten, wäre Privaten die Schutzimpfung nur
dann zu gestatten, wenn sie sie durch eioen staatlichen Sachverstän-
digen ausfuhren lassen. Der Commission stand es fern, die Pastenr'sche
Methode endgiltig zu verurteilen ; obechon auch von der sanitats-
polizeilichen Begelung des Verfahrens mit milzbrandigen Tieren und
deren Leichen sehr grosse Erfolge um die Einschränkung der Seuche
zu erwarten sind, bliebe den Schutzimpfungen ihr allgemeiner Wert
auch dann noch gewahrt, insbesondere für Zeiten, wo der Milzbrand
epizootisch auftritt. Und eben die Pastenr'sche Methode vermag auch
jetzt schon so bedeutende Erfolge aufzuweisen, dass die Hoffnung, sie
werde sich bis zu dem gewünschten Grade vervollkommnen lassen,
berechtigt ist. Deshalb hat die Commission beantragt, das Ministerium
möge bezüglich der Darstellung der Impfstoffe, der Yerbessening des
Verfahrens und der Lösung der Nebenfragen weitere Versuche ansteUen
lassen, zu deren Ausführung sie sich erbötig gemacht hat.
Es steht zu hoffen, dass das Ministerium diese Versuche anstellen
l&sst, um so mehr, als es von Seite der interessirten Oeoonomeu gewiss
auch auf eine materielle Unterstützung rechnen darf; es steht zu hoffen,
dass das Impfverfahren in einer Form festgestellt und in einer Weise
organisirt werden kano, welche den Ansprüchen der Landwirtschaft,
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KüßZI. SlTZLNÜÖBEßlCilTE.
w^nii anoh nicht sofort, dafür aber mit um so sichererem Erfolg uud
ohne anderweitige eanit&re Gefahren entspricht.
Als dritter Vortragender bespricht Prof. Dr. Aubel Töbök seine
Dolmm-B^/unde in Allster. Die Dolmen sind die Begräbnissplätze ans
der neuesten Steinzeitperiode. Die afrikanischen Dolmen sind hatipt-
sächlich deswegen sehr intere^^sant. weil der Schädelfypns der dort be-
grabenen Menschen derselbe ist, wie der Scluideltypus der enroptiischen
Dohnra, weswegen die Gelehrten der Ansicht beipflichten, dass die
europäischen nnd afrikanischen Dolmen eine und dieselbe Menschen-
race gebaut hat. — Professor Tdrök demonstrirt an den von ihm in
diesem Frühjahre in Boknia (an der Grenze von Tunis) ausgegrabenen
Knochen die Identität der afrikanischen und europäischen Dolmenrace.
Die Schädel zeigen den langköpfigen (doliohokephalen) Typus, wie
dieser aus der europäischen Dolmen- Epoche bekannt ist. Interessant
ist an einem Oberarmknochen in der Ellbogengmbe ein grosses Loch,
welches nur bei Affen gewöhnlich ist und deswegen -für den Menschen»
^Qs als ein Affen-Charakter zu bezeichnen ist. Der Oberschenkel-
Knochen zeigt eine sehr starke Muskelleiste (femur k oolonne). Das
Schienbein bat eine säbelförmige Abplattung (Platyknemie), wie sie
heutzutage nur bei wilden Völkern vorkommt. Am interessantesten
nnd am merkwürdigsten ist ein Unterkiefer (der einem jugendlichen weib-
fichen Individuum angehörte). An diesem Unterkiefer stehen die zwei
Kektähne so stark hervor, wie dies beim Menschen äusserst selten und
nur bei Tieren vorzukommen pflegt. Aber nicht nur deswegen ist die-
ser Zahn so interessant, sondern auch deswegen, dass er zwei Wurzeln
zeigt. Diese Erscheinung ist sowohl beim Menschen, als auch bei den
Affen sehr selten. Professor Török demonstritt ausserdem noch die in
den afrikanischen Dolmen gefundenen Töpfe uud ein Brouze-Bracelet.
— Die archäologisch -anthropologische Gesellschaft hielt am
20. November unter Vorsitz Fkanz Pulszky's eine iuteret-saiite Sitzung,
Iii welcher zunächst über die äusserst werthvt.lleu Sa<itjh>nker linvie
Bericht erstattet wurde. Dem betreffenden Bericht« des Herrn Hatiiusi
entnehmen wir folfjenJe Daten :
Nagylo<')k ist ein unweit der lionau Ljt'lf,i:''nc,s, dem Grafen Johann
N. Zichy gelioriges Dorf im Stuhlweissenburgtr Comitat ; in d^r Nähe
ü^-s»'lbeu wurden im vorigen Jahre antike Miihlsteiue. später Stein-
Fragmente mit römischen Inschriften und in der Niilie auch etliche
Asclienkrtige gefunden. In Folge dessen ordnete Graf Zichy systema-
tische Ausgrabungen an, welche am V.).—-l-l. September v. J. mit
ttberrascheudeu üesultateu bewerkstelligt wurden. Auf einem 67 Meter
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102
KURZE älTZL NGSBEKlCUTE.
langen xuid 03 Meter l<reiten Terrain fand man 1 30 Grabstellen mit
200 mehr minder gut orbolteuen Vrnen, Krügen, Schalen, Tellern und
Schüsseln. Die A«chennroen standen in regelmilssiger Anordnung
neben<^inander, viele waren auch mit Deckeln versehen, in vielen fand
man auch kleint^re, ebenfalls mit Asche und Knoohenresten gefüllte Krüge
oder Töpfe oder doch wenigstens die Scherben von solchen. Nur wenige
Gefässe sind vollstiindig erhalten, da sie von dem Pfluge, der in den
letzten Jahren über die Fläche hinwegging, zerBcbmettert worden
waren. Die wenigen Bronze-Gegenstände, die huj dieser Grabstätte
gefunden wnrden, sind von primitiver Arbeit. Femer fand sich als ein-
ziger Steingegenstand ein Steinpfeil vor. Drei Gruppen, auf die man
in der Nähe stiess, scheinen mit den Urnen in keinem Zusammenhange
zu Htehen. Auch die ThongefiLsse sind sehr primitiver Art und be-
schränkt sich die decorative Ausschmückung derselben auf die einfach-
sten geometrischen Figuren. Vortragender glaubt, das« der Fund ans
prähistorischer Zeit und zwar aus den Anfängen der Bronzezeit stamme.
Hochinteressant ist ebenfalls daselbst das Grab eines Barbarenhäupt-
lings. Man fand da Pferdeknochen mit den Bronze-Bestandteilen des
Geschirres und die Eisen- und Bronzereste eines zweiräderigen Wagens.
Der aus Buchenholz gebaute Wagen war durchwegs mit Bronzeplatten
beschlagen, die Badfelgen Rind schmal und dick und kleiner als die
gegenwärtig im Gebrauch befindlichen. Ein eiserner zusammenleg-
barer Stuhl lag in der Nähe. Es scheint dies, wie erwähnt, das Grab
eines barbarischen Huuptliugs gewesen zu sein, dem man seine Lieb-
hug^gegenstände mit ins Grab ^ab, der jedoch mit den Römern in Ver-
kehr gestanden haben dürfte, denn die kunstvollen Wsgenbestaudteile
und dessen priichtigo AnsHchuiucknng sind offenbar römischer Prove-
nit'iiz. Der Vortrag gewaiin an Interesse dadurch, dii^s: die meisten der
Fnndgegenstiindo litbcn dt-in Tiscli des Vortragenden anfgcitellt ^V|l^etl
und dass die Pliotoyraphieii der iil)riL,'en Gegenstände in dem zahl-
reichen Audit(trinm von Hand vu Haud gin^'on.
Der Vor>itztnde dankt vor Allem im Nanjen der ( lesellschaft dem
Grafen Zichy, der die Ansgrai ungen angeordnet, und dem Donilurru
Dr. König, dt r dif^sell'on «.^eleitet, constatirt die Wichtigkeit des Funde<,
beponders des GralH-; dt s mit Ross nnd Waiden IcLrrabenen Barl-aren-
Hauptlings, wclchi s in nnserem Vatcrlantle ein Fnikum ist, und l>e-
merkt zum Scllln^^. dass der Grabfund nicht hu>^ di-n Anfiingeu, son-
dern aus einer ^pal^-rfii Periode der Bronzezeit li< rstammen dürfte.
])r. Ai HKL T(»K<>K erstattet hieratif Bericht über die heurige in
Kegensburu' .'-tattgelundeue XII. Versammlung der deutschen Archäo-
logen und Anthropologen, auf* welchem Anlass er eine längere Dar-
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I
VEUMISCHXf S.
103
i-telliing nnserer Keiihtnisse liber ^\*■n M^nselien der TortiiirjH-ri'nle
liefert. Vortraj^'t-ntlcr seilst liieit iu Kegeubburg eiae Vorlesmig über
die Aiif;ei]h('lileu der PriuiMteu.
Zniii Schhisse erklärt iler Vors^itzciule den obenfulls uut^gestellten
Onoder Kircheuschatz, der sich gegenwärtig im Besitze des Graten
Enianuel Andräss-y befindtt. Es sind dies ein von Georg Kiikt czi ge-
spendeter Goldhiinipen und mehrere Pokale verschiedener Proveoienz,
zumeist aas dem XVII. Juluhundert.
VERMISCHTES.
— Zur mic«rUob«n Sohnlstatistlk. Der zehnte iiericht de» Unter-
riclitsniinisters über den Sfttnd tlts unrjur'tHclwn ScluiUn srnn hi >Jrv Jahmi
Ji7U und iSbO ist rtlM iuüilv « in sturkt r (^»uartbund von 712 Seit» n. itieh
an interessanten inul untheiitisclun Daten über die Entwickclun^j und den
gfi:« n'.v ;irtit:en Stund der Volks- inul Mittidscbulen, der Hocbsclmlen un«l
aiidt i u » iti'j'en wisscnscliiiltliclK-n Institute l'ngarns. Der voriitgeude l'unJ
ist uju so lehrreicher, da seit der Schöpfung des ungarischen Volk86chtil«>
GesetEes eben &n Jahrzehnt abgelaufen ist und daher ein Vergleidi der
Verbältnisse von 1869 und 1879 Gelegenheit bietet znr eingehenderen
üntersucbnng der Frage : was die nngarisehe Volkssehnle im ersten Decen-
ninm ihrer legalen Entwickelnng an äusserem Terraui und innerer Beden-
tang gewonnen hat Indem wir uns vorbehalten, diese Frage demnächst
eingehender za behandeln, fassen wir im Folgenden blos die wesenthchsten
Besnltate der uns vorliegenden Darstellung in möglichster Kflrze zusammen.
I>ie Zalil der Gttiiti ndai Ungarns betrug im Jahre 1N6?>: li'.riHi. im
Jalire 1880: H,8I4, also um t?")<i luelir : die Znbl der (iemeinden, welclio
Volkfiscliulen erliielten, in deii'-t llitn Talnen 10,187 und lO.H'il. was einen
Zuwachs von 1-77 scbulerlniltenilen ( ienu imien eri,'ibt. Ini.Iiihie 18ülMmter-
hielteu 779 Gemeinden in üemeiusfi.ait mit emer amleren Gememde eine
Volksschule ; im Jahre 1880 ist die Zaiil dieser Schulen nm 1097 gewach-
sm, denn sie beträgt hente 1876 Gemeinden. Im Jahre 1869 hatten 1598
Gemeinden keine Schule; im Jahre 1880 entbehrten nur mehr 274 Oe>
meinden der Volkssdiule, was den gewaltigen Zuwachs von 1324 (chnl-
erhaltenden 6«neinden ergibt.
Die Zalil der Volkstehulcn betrug im .Talne 1869 13.79S im .Talire
1880 bereits 15,834r4 also um ^020 Schulen mehr. Noch bedent^-nder ist der
Zuwachs an Schiüzitnmem : l*i,899 gegen :J 1,838, also ein Plus von il>.'!9
Febmiumen. Ebenso imposant i<t der Zuwachs an Fehrkräften : 17,792
gegen ^l.BGi. also eine Vemiebnnsi: inn .387-2 Felirer und Feln*erinen.
Auf die Hrhalfnntj (irr ^ir/iiiltn wurden im .Tulne im Ganzen
3.7*W>.123 rt. verwendet, eine Sujnme, welclie öVa "/o der directen 8taats-
eteuer (57.873,935 d.) entspricht ; — im .Jahre 1880 betnig diese Smnme
lü.057,149 fl., d. h. in demselben Verhältnisse 13*/s*/o der directen Staats-
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104
VBRMI80HTE8.
Steuer (78.^)08,575 fl.) ; es ist also auch hier ein Fortschritt von 6.297,026 fL
EU Teneidmen.
Ebenso bat die Zalü der sobulbesuclienden SchulpfiickHgen im Laufe
dieses ]>eeenniuxfi8 um 4ffIJN7 sugenoiumen, ein Erfolg, der um so höher
anzuschlagen ist, da die Zahl der Schulpflichtigen selbst um 187,251 ab-
genoninien hat.
Im Zusammenhange mit den jtin<:>t verOffeutlichkn Besultaten der
Volk^izalilung — welche wir im niiclisten Hefte dieser Tietne vollstaiitlijsf
veröftVntliclieii werden, — dürften besonders die folgenden Ihiten tles Jalires
1880 (in Klaiiinit rn der Znwaclis oder die Abnahme gegen das Vorjahr 1679)
von allgt-nieiiiereni Iiitcresst- sein :
V(Mi den 1.0in.<]92 Kimleni. welche im Jahre 1880 die Volksschule
bfcbuchten, waren ilirer Confvasion nach :
Böm.- Katholiken
GTiech.-Katho]i]cen ..
Griecb.>0rientali8che
Befocmirte H. B
Evangelische A. B. ..
Unitarier
849,504 (— 13,304)
130,560 (— 3,074)
173,098 (+ 3,370)
236,435 2,352)
154,958 (— 1,791)
6,706 (-f 75)
r>8,3f»2 (— 7,0351
Israeliten
Von denselben 1.619,692 Kindern waren ihrer Nationalität nach:
Un^ani 787.587 i — 7328)
]>.'ntsche i><J7.282 (—4281)
Humanen 20t,953 (—4231)
Slovaken 253,942 I— 962l
Serlii u « 36,850 i-f- 140)
Croaton 25,836 i— 1J40|
Rutheueu 43,242 (—2349)
Von den 15,824 VolksHchulen des Jahres 1880 war die Unterricht»-
»prache die
ungarische . . » in 7342 (-)- 14*)) Schulen
15)
2)
78i
deutsehe * 867 (— 86)
rumlinisohe » 2756 {— 92)
sloTaJdsche » 1716 (— 121)
serbische » 245 (—
croatische >• 68
ruthenische ...... * 393 ( —
nn^ariseh -deutsche »• 910
runiiinisch-ungarisohc » 301-
slovakisch inif^arische ... ... - 597
perbisch-migarische >■ 52 46G)
croiitisch-tuigarisehe * 79
rutheuisch-ungarische . ... .. » 246
andere ewei Spradien ~. .. » 4b
drei Sprachen • 102 (— 12»
*
9
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▼EBMISCnTES.
105
VüU den IS.SSi Volksachulcu des Jahres INSO waren:
Stmitssclmleii » ilHfi i+ I(>'.)i
Gcaicindc schulen ... 1669 (+ 131)
ConfesÄionell ~. I3,7M i-^ 4&)
PriTatscbnleii 167 (— 71)
Gegenwärtig entbehren S74 Gemeinden Jeder Schule; m 1876 Oe>
meinden fehlt ee zwar aneh an Tolksschulen, doch besuchen die Schulpflicht
Ügfü Emder dieser Gemeinden die Volksschule des nächsten — suwwlen
allerdings sehr entfernten — Nachbarortes. Im Ganzen sind also 2150 Ge-
ineinden ohne oinene Schule. Es ist nun ebenso interessant als dankenswert,
dsss der vorliegende Bericht diese Gemeiuden, die Zahl ihrer Einwohner
und iliror schulpflichtigen Kinder, endlich die Entfeniung der njichs(t{.'t l('«,'e-
nen Volksschule in ühersichtliclu n T!i])ellcn, nach den oiiizeliicn Coniituten
pe.'niiU't , vollstäiulif; aufzählt. Hier fände die öflentliclu' Woliltüf i'_rkeit
LTo.s.>^e- und ttnchtbares Fehl für eine »^neri^isclie und fort^fst-t/ti- \\ irk-
saiukfit. Wie schlimm es um einzelne Comitate steht, mögen nur tiuige
I'ateu veranschauhchen. Im
Biharer Comitat sind 113 Gemeinden ohne Schule,
Htmyader • • 177 • # •
Neutraer • » 154 * • •
S&roser • » 145 • •
Trencsiner ■ » 133 • > »
Eisenbuijger • ■ 240 «. » >
Zaker • 247 • » n. s. w.
Pas8 sofrar (neben dem Eiseuburger !) im Pressburger Comitat 97, im
Oedeuburger Comitat 34, im Zipser Comitat 45 Gemeinden keine Schule
habt'ii. mag in der Tat auffallend genannt werden.
Die hnhrrf Vollssch ulr ist .<:tL'< ii du*- Vorjahr wedt-r fortgi-sclintien
noch zuriickgegangeu, dagegen haben lÜe Bttrger schulen um 7 zugenommen
llÜl gegen Ü4).
Dem ersten Abschnitte sind ausführliche Uerichte (auch Lehrpliiue)
der Slädchen- imd Handelsschulen, der Gewerbeschulen, der Lehranstalten
für Hansindustrie, der Kleinkinder*Bewahranstalten, endlich ein Ausweis
ttfaer den Stand des Fensionsfondes für Volks-Sehullehrer beigegeben.
iHe Zahl der unter Au&icht des Staates stehenden Oymnanen und
ihrer Schüler nach den einzelnen Schulberirken betrug im Jahre 1879/bO
^ ELunmem die Zu- oder Abnahme der Schüler gegen das Vorjahr) :
OynuiMieii
SehOlcr
1. P.udilpester
Besirk
10
3655 (-^ N»)!
3. rre.s.'>burger
8
1913 1+ 55)
H. haaijer
15
3461 (-+- :{T)
\. Nfusohler
7
1G07 <•)
•>. Kasel inner
14
3332 ( +
6. tirosiwardeiner »
11
27Ö2 l-H 21t
7. bzegediner
•
10
ä8-i6 (-f 22«!
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I
106
?EBMI8CHTE8,
OynoMlni Sefaftlw
8. Siebenbürger • ... 12 «417 (— 38»
(9. Fiume mit 150 Seliüldrn ist in Oer
Beoiganisation begriffen)
Summe 87~ ~2 1.073 (+ l'SüT
Von diesen 87 Gymnasien sind 48 achtclassig, 10 secbBclassig, 29
vierclussifr.
Wir la>iscii liier i^leich die Dateu der autonomen üjiunasien ioigeu.
Ek Kill) im .Tillire 1S79 M) SchuKrn
1. F.vuugt lische Obergymnasien 14 mit i211 i tJSi
ü. Keformirte » IG » 4920 ( — 57 1
3» Unitarische - 1 • f26 (— 4)
4. Griech.-orient. » ^. .. 3 » 400 (-f 2|
5. ETang.-reform. Gymnasien 1 t 175 7)
6. Evangelische Gymnasien (3— Massig) ... .„ ... 11 • 995 i — 8)
7. Befonnirte • • ' 14 • 1317 (-1-50)
8. Unitariscbe » (Sdassig) ... ... 2 » 206 (? i
9. Griech.-orient. « (4dassig) ... 1 ■ 81 3)
Summe"" 62 mit 12.531 i- Gli
iE» mnsB übrigens bemerkt werden, dass die Daten über <Iit' Zn- iind
.\l>iuilime der Schüler iui die-eii Lehranstalteu nicht genan sind« da ein-
zeliit ^Schnle!l die beti » tfeiuli' l.'nhrik nicht ausgefüllt haVieii.i
Es pht alsi) .\llis in Allem in unse)« iii Vaterhuide 149 (lyninüsien
(nnter diesen 81 achtclassi^'t^i mit 34,.504 Schulern. Der Znwacbö gegen das
Vorjahr helauft sich ungelahr aut 50() Schüler.
I)ie Zolil der ReaUchulen betragt 26, von denen 19 achtelassige, voll-
ständige Lehranstalten sind; lu sw. nach Schnlbezirken :
Selialtn Hehfllar
1. Bndapester Besirk 8 2183 (— 172)
2. Kaaber » 3 474 (~ 21)
3. Pressbnrger » 2 386 (— 16)
4. Nen.sohler . 1 183 (— 25)
5. Kaschauer • 2 263 \— 11)
6. Gross wardeincr • 4 491 ( — 24|
7. Szegediner » i 798 i— 41)
8. Sieljeubürger . 2 266 i— 23)
Summe 26 5044 (- 333)
1 U r Hesnch «1er MealNchulen nimmt lüso von Jahr zu Jahr ah. —
eine l'r.schuinmig. die früher oder später zu einer Keorganisation dieser
Leiiiau^tult<^-u lühren niuss.
Die Terhältnisee d«r Beeht^ademien sind einfach, aber tramrig. Es
gab im Jahre 1880. 81
1. staatliche Akademien 7 mit 526 (— 41) Hörem
2. protestantische Akademien 6 * 346 ( — 27) »
Snmme ... 13 mit'872 (— 68) Hörem
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TEBUISCHTESi
107
Es kommeu al^o im Diircliscliiiitt auf eine BecbtsakaJeiuie uugeiolir
67 WSser nad da der Cvan vier Jalu güuge mn&wt, auf je einen Jahrgang
etwa 16 Höier I Da mtus man doch immer wieder Aragen« wie lange diese
Vergeudung vaa Geld wid Menschenkraft noch dauern soll? Bekanntlich
hat Untenrichtsmimster IVefort jüngst im Einansansfichnese des Abgeord-
netenhauses anch seihst geäussert, dass er die weitere Erhaltung der Kechts-
Akademien für nninotivirt hält, ao dass wohl schon die näcSiste Znknnft
•ine ('nd'^Mltige Entscheidung dieser Frage bringen dürfte.
Die Daten über die Frequenz der Universitäten und des Polytechni-
Inuns tragen wir im nächsten Hefte nach.
— Ungarische Akademie der WlssenBOhaften. Dom soelx'ii
erscJjR neuen Alniunuch der Akadtiiiie für das Juhr 1SS2 «utuehnien wir
die folgenden Daten. Die Akademie zälilt gegenwärtig
Ehrenmitglieder 10 in der Hauptstadt, 10 in der Provinz, zus. 20
Ordentliche Mitfflieder 40» » 14* > »54
Coxrespondirende Mitgl. 91 • • 61 » » » 152
Answärtige Mitglieder « 101
Zusammen 337
Von diesen 327 >rit;;lic'dern entfallen auf die erste Ispradl- und
schön wi86en8chaftliche) Claese: 5 Ehren-, 12 ordentliche, 35 correi^pondi-
THide und 27 auswärtige, zusammen 97 Mitglieder: — auf «lio zweite
«plaliiüopliiscli-liistoriscli-'itaat.sw'isscnschaftliche) Cla8>;o : 8 Ehren-, i't ordent-
liche. 52 CM>rrt s|u)iulirt Ilde und -11 auswärtij^p. /nsainnien 125 Miti,dieder : —
auf die dritte (inutlu niatiscli-natnrwissenschaftlichei Cla^^se : 7 Kbren-,
LS ordentliche, 65 ci-rre.spoutlirende und 33 auswärtige, zu.sanjiuen 123 Mit-
glieder. Gegenwärtig sind (im Sinne der Statuten) die Stellen von 4 Ehren-
lind 6 ordentlichen Mitgliedarn unhesetst. Die Zahl der eorrespondirenden
und der auswärtigen Mitglieder ist nicht heschränkt
Von den 101 auswärtigen Mitgliedern entfiillen auf die österreichische
Beicfashälfte 15, auf das deutsche Boich 27, auf Italien 7, Belgien 1, die
Schweiz 4, Frankreich 20, England II, Dänemark 1, Schweden 2, Portugall 1,
Finnland 4, Bnssland 2, die Türkei 1, Serbien 1, Ostindien 2 und Amerika 2.
Im Jahre 1881 hat die Akademie 20 Mitglieder durch den Tod
verloren.
Das \'enn<»<;en der Akademie betrug am 31. Deceml)er INSO im (Jan-
sen l.S77,166 11. 4-6 kr. T)ie .T:i]ire<;uisL'al)en belieff ii sioli auf 157.3«>0 Ü. ^S kr.
Für die wisscnseliultlit lien llditionen des Jahres 1.S82 hat die Akademie
7o,636 fl. präliminirt. Ausser den laufenden Werken und Zeitscliriften sind
ftr dieses Jahr folgende Werke in Aussicht genommen: Ueber den Ur>
Bpnmg der Magyaren von Hebkamn Vamb£bt ; Fümisch^ungarisdies Wörtlar-
hach von Jobbf Bzimmyei; die ungarischen Bindewörter von Sigm. Simonyi;
eine Monographie aber den altungarischen Orftmmatiker Albert Szenen*
Ifolnir von Stvam SzilAgvi; imgarische Geschichte im Zeitalter Josefs II.
▼on Hbikr. Mahczali; Geschichte der Burg-Isp&nschaften von Fribdr.
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108 VERMISCHTES.
Pb8Tt; tiDgariscbe Wappenknnde vou B. Ai^kst Kyaby; Oeschiohte der
xmgarischen Indnstrie und des Handels von Ovstav Wenzbl; die Edition
der mathematischen Schriften Ten Wolfo. Bolyai tu s. w.
— Dl« Univ«raltlLt Bvdap^et Im Stadie^ftlftM 1880.-81. Die
Zahl der Lehrkräfte betrag:
18S08I
1860 ni
1870 71
Ordentliclie riofes!?oren
... 65
51
51
A u s s e r ( > n I « 1 1 1 Ii c 1 1 e l'roiessoieu
15
Iii
Priviitiloceiitcli .. ...
... 76
6
Suppleiiteu
9
3
4
As.sisteiitfn
. in
9
V.t
bprachiehier ...
5
3
7
Fechtmeister
1
1
Zusammen
197
71
137 Lehrkräfte.
Die Zahl der Hörer betrug im ersten Semester des Studienjahres;
onUati.
MinerordantL tammmm
Theologen „.
82
2
84 Hörer
Jmisten
13S-.>
73
14s:> •
Mediciner ^
609
68
877 »
185
185 •
Ihilosüphen
:)83
83
466 .
ZusüinnuMi
2sil
iJ26
3067 Hörer
Im bouimersemester zahlte die
Universität:
onlentl.
»usaeroideoU.
zuKunmcu
Theologen ... ... ... „
81
3
84 Hörer
Juristen
1315
78
1393 •
777
30
807 •
Apotheker
181
181 »
Philosophen
319
85
414 •
Zusammen
2684
m
3879 Hörer
Au äti|>eudien genossen in diesem Studienjahre :
5 Theologea 1,9:«) Gulden
9ö J^lri^!ton 18,750 »
bO Mediciner 1 1,?50
75 I'liilosopheu ... 15.()<M»
Zusautnien ;2i5 Hörer 49.UoO liiiMen.
Die Gesuuimtküsteu iler Univer.^ität belieteu f.ieli in lUeäeiu Studien-
jahre auf 467,309 11. Hievon entfielen auf den Uuiversitätsfoud 301,305 Ü.^
so dass der Staat einen Zuschnss von 365,901 fl. m leisten hatte.
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AUF DER MAROARETBN*IN8EL.
AUF DER MARGARETEN-INSEL.
Von Paul Qtulai.
iVs l'.aniiu-^ l.uub im Al»en<lrote bebet,
Xci^'t fr« umllich iu mein l'crmter sich, umschwebet
Bescliattoutl midi, nml ransclit mir flii8t<;md zu:
Wi(- ^'p)it es r>ir. I>u iunur Knuikcr, Du?
Bin wohhr sclion, «ler Schmeiv. wich allgemach.
Nick manclmial t in, und träum", obaohou ich wach*.
Wie schön mag wohl tUe Welt jetzt drausaen sein:
BlMihimmftl, Oraa nnd tmiaend Blümeleui,
Des Springbnum's Strahl, das schatt'ge Waldrevier, —
EalypBo's Hain ist diese Insel hierl
Ich kann 8 nicht seh'n, doch an mein Fenster schlügt
Das Lehen her, das drauasep sieh hew^t
Die Stimmen hör' ich der so heit'ren Menge,
Die kommt und geht in wechseludcm Gedränge,
So Mann wie Weib» tlas hicht ond scherzt voll Lost —
Ihr Froljsinn hat nicht Kaum in meiner Urust ;
Wer weis:«, ob er midi jemals noch besclilcicht,
Noch lieute krank, nnd m«)rj:en — todt viulieicht . . •
Es tont zu mir der Nachtii,Mll(-u Lud.
Durchs lli'izf mir fiii sii^-; Licdeiiken zieht!
Sehnsudit erwacht, und lung^tverli)r'ne Lieb",
Ein Duftrest, der auf welkem Blatt verblieb • . .
Ich hör* die Kinder anf den Basenplatsen,
Die lärmend sieh am frohen Spiel ergötzen.
O Kinder mein« als Sure Mutter lebte,
Ihr klein noch wart, »ie sorgUoh Enoh omsdiwebte,
Und Ihr noch froh gespielt 1 . • . Die Sonne sinkt,
Es dunkelt rings, — im Aug* die Träne blinkt.
Doch Windeshauch, und Bauschen in den Bäumen,
Des Dampiers Pfimchen, und der Wochen Schäumen,
Dazwischen eine« fernen Liedes Schallen,
Des Zymbalton s {^[eljrochenes Verhallen —
Sie wieu'ou wadien Thinmer mich gdind.
Wie Amiueuäaug das träueureiche Kind.
Ladislaus Neuocibaubb*
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110
IJNOARI80HE BIBLIOGRAPHIE.
ÜNGAKISCHE BIBLIOGBAPHIE. '
Ahtl «/., Egyetiineink a kozepkorhan il)ie uugarischeu L'iüversitpäten
im Mittelaller von Eugen Abel). Budape-t, 1n>^1. Akademie, 97 Ö.
UelH-r <leuselljeii Gegenstand schriel» »lor \'ertasser auf Qrand seines
uugarischeu Werkte in dieser «Revnie», 6. Heft, S. 40«) lY.
Alt Morir-, Ifj. lifketi Ferencz kalandjai (Die Abenteuer Franz
B^kesi's des Jüngeren, Roman Moriz AIS Ii. Baron Nikolaus Jöiika),
Budapest. 1882, Atlienaeum. f. Aufl., 8 Bde, 250 und TAU S.
Dieser PiDinan zälilt nicht zu den j^opulfiron Werki-u dvs l»esonder8
dtu'cb seme zahlreichen hiutohscheu Komaue auch in Deuts^chhiud wohl-
bekannten Verfassen; wie dies echon ans dem Umstände geschlo-^seu wer-
den darf, diiss Jösika's Romane in der Regel in sechs, siebtm und mehr
Auflagen Verbreitung gefunden halx'ii, wälirend das vorliegend.- Werk r»Vr
Decenuieu iu eiiuer Auflage durchvegetirte. Der Romau hat bei seinem Er-
scheinen wenig Beifall und viel Anfeindung erfahren; aber was ihm bei
seinr i:; I"intritte in die Literatur zum Nachteile gereichte, das verleiht
ihm heute « rlKditen Wert : «Die Abenteuer Uekesi s« i^:t nanilich ein liuni«»-
ri<tisch-satin!»cheä Bild der gesellschattlicheu Zustiiude Ungarns iu den
TiMTziger Jahren« mid zwar ein ebenso interessantes und vielseitiges, als
im Grossen und Ganzen treues Bild >• iiu r Zeit. Allerdings stammen aus
dieser Tendenz d<'« R(»mans viel fad i<- .Mang< l der Charakteristik und der
Compusition : er.stere ist zuweilen karrikirend oder doch einseitig, letztere
locker; seinem Muster, den tPikwikem» des genialen Engländers, steht das
Werk durchaus nach. Aber diese Mängel werden /.um guten Teil aufge-
wogen durch den cnlturgeschiehtlichf-n Gclialt des Zf itl)ildes und die an-
ziehende Darstellimg des berühmten Romanciers, so dusi» der Roman heute
wohl grösseren Beifall tmd mehr Leser finden dürfte als vor vierzig Jaübren,
da er den Zeitgenossen einen Spiegel vorhielt, der denselben nichts weniger
als schmeichelte.
Anliatoloffiui Krtcsitö (Arcliueologischei Anzeiger. Im Auftrage der
ungarischen Akademie herausgegeben von Karl Pvhxky), Neue Folge,
L Bd.. 1. Heft. lin.lapcst, ISSl, Akademie, Lex. 8", XXXI iiud 20<) S.
Ziii,deich Organ der archaeologischeu Commission der Ungar. Akademie
mid der authropulogischeu Gesellschail.
Inhalt: Frans Pulszlrir, Ssegediuer Funde (mit 2 Tabellen). — Otto
Hennann, Die antike Tettix imd ihre Verwandten • mit 1 Tabi Ue). — Ludw.
Thallöczy, Das Wap})en und die Fahne von liosiiien iniit i! Ilhistrationen).
— Karl l'ulszky, Raphael Sauti iu der ungarischen Landet>gailerie «mit
2 Fhototypien und 6 Illustrationen). — Josef Dankö, DttMrs «Schmerzens-
manu' imit 1 Tabelle und 3 Illustrationen). — Karl Pulszkj, Eine Dtirer'sche
Handzeichnnng in der T.andesgalleri«^ luiit "1 Illustrationen). — A. Vegh,
Ansiedelung aus der \ ö kerwanderungszeit. — 1 rauz l'ulszky, (ioldfuud
in Somogy (mit 1 Tabelle). — Jos. Hampel, Römische Grttber in Panno*
nien (mit ^ Thototypien und 6 Ilhistrationen i. — Franz Pulszky, Unga-
rische orfevrt-rif obii^onm' nnit o Tabellen und 2 Illu-trationeu). — -los.
llampel, Grabungen in Sziiägy-Nagjl'alu imit Illustrationen), — liela
• Mit Ans>chlus» der SchidlMu-lier, Erbauuu;,'ss> luitt''u und Ueborsft.'.nu^eu
aus fremden Sprachen, dagegen mit HerücksirhtiKr.iij.' d. r in fremden Spraolien
erschieneueu, auf Ungarn bezüglicli« u Sc-hrifteu. — Die mit einem ' bezeiohueteo
Schriften werden wir ausführlicher besjjricheu.
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UNGARISCHE BIBLIOOBAPHIE
III
UajUth, Stef. Voncha's zwei Siegel imit 2 Illustrationen >. — tTo«. Hampel,
Xene Erwerbim«^en des National- Museums iiuit l Tabellen i. — L. Thal-
16ezj, Ungarische Wappen (mit 3 Tabellen'. An>l:iiHl. — Vennisclitea.
Bartalu» ^ feliudosok «Die Ualbgeielirteu, hiimoristiscber Koman
Ton Stefifm Bartalus). Budapest, 1882, R^yai, S74 8.
Ein bumorißtischer Roman mit wonig Humor und ohne grosses Er-
zaiilertalent. Der Verfasser beschiiftiirf sich besonders mit den scliriftstelle-
ri^dieu und kUustiehscheu (besonders musikuiischeu) Zustunden der beutigen
Gesellschaft, ohne seine Ansehatinn^n in lebendigen Charakteren oder
abgeschlossenen Begebenheiten gestalten zu können.
Jirrh DioTtj/s, Dir AusyahcH- Ii iickcrst iittung. Der sieberste Förderer
der Baarzalilung. Budapest, 1S81, lettey. 47 S.
BehticM O.^ Ä taahadttig ortmiffa (Das I^and der Freiheit. Bilder ans
dem socialen T eben Englands von OnstoT Beksics). Budapest, 1881, Aigner,
S3! S. mit 2 lllustratii>nen.
Dohm jfv., .4 ienyea j'ormaiHiuja (Die Formalität des Wesens von
Karl Bobm). Budapest« 1881, Akademie, ßS S.
Knznr K., .1 i(e»n»i. Ji'i ruht m iv htf (Das Nichts, wenn es Etwas
geworden. Koman von Emil Ka/^rj. Budapest, 1881, Aiguer, 193 b. mit
^ Illuatrationeu.
Die Geschichte einer Abentenrerin, — sie ist das Nichts, aus dem
Etwas geworden, — die das Herz und die Hund eines braven Mannes
gewiaut uud uuu iu der Lage würe, mit ibrer Vergangenheit zu brechen.
Aber die Missacbtunff, die sie Ton Seiten einer edlen Frau erleidet, treibt
sie zur Rache, in welcher sie das Glück der (rehawsten /u zerstören sucht.
IMfs gelingt ihr zwjir nicht, doch trübt >;ic den hauslichen I'rieden guter
Menschen uud wird scbliessbcb zum Morile des eigeueu Gatten gedräugt.
Als das Maass ibrer Taten voll ist, sturbt sie eines gewaltsamen Todes.
Eine anziehende, nur « t . as :ill/u gewaltsam und ohne die nötige Klarheit
ziua Abschluss <^'. brachte ( iescliichte. in welcher sich der Verfasser neuer-
diugs aU talentvoller Erzähler erweist.
Kitti Az idegrendazer wmely renäez ir'e hetege» müködeterol
iUeber einige regelmässige imd krankhafte Ki ^( h< iuungen des Nerven-
ükTstems. Vortrag \-un Karl K^tli). Budapest, 1681, Naturw. Gesellschaft
;Fr. Kilian;. 24 S.
Medveezky Fr., A nemzeihnzi jog elmelete Kant szerint (Das iuter»
it; >r.ale I^echt im Sünie der Kant'scben Philosophie von Fr. v. Medveczky).
Budapest. 18S], Ak idemie. 36 S.
"M -numcnta comitialia regni Tramtnßvaniaey im Auftrage der unga-
risch eu Akademie herausgegeben von .\le\auder SziUgyi, VII. l^and, 1614
bis 1621. Budapest, 1881, Akademie, 3^7 S.
'Myskovszky V., A rcnaisaance kezdete «Die Auftinge uud die Ent-
«iekeltinsr der Renaissance mit besonderer BOeksieht auf Ungarn von Victor
M>>k ,\ , kyi. r.i.d iiK st. 1881, Akademie, 54 S. und 18 Illustranon. n.
J't'.'ir J . !'"!,h'iih })ii~>ija es linzije (Ungarns Getreidi- uuil Mt Iii. aus
dem Gesicbts])unkte der Wissenschaft, der Consumenten. der Müller uud
dsr Prodncenten von Emerich Pek4r). Budapest, 1881, ungarische Staats-
drocktn i iGriirs Commiss.), 9S8 S. und t Tabellen.
Jiiij)oir/i Ii., füft/t feytifü E(jyhiizti>rteu' h m (All«;eraeine Kirchenge-
*diichte von liaymund Rupoies. IL Baud. Das Mittelalter). Erlau, 1881,
Szolcs&nvi, 577 S.
Si-henzl Gttido^ Adalekok a magynr kof nähoz (artnzö orzzägok fühl-
iitinjnfsk,-<ji v'szntiijahiak iumtrcft hrz 'Ik itr.igt- /nr Keiuitm'ss der erd-
la&güfctischeu \ erhiJtnisse in den Landern der ungarischen Krone von Dr.
Onido Schenzli. Budapestt, 1881, Naturwiss. Gesellschaft [Fr. Kilian], 4^
339 S. imd « Karte n.
Dieser mächtige Quartbaud entbült die ilber eiue Reibe von 1 6 Jabreu
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112
VK0ARI8CUB BIBLIOGRAPHIE.
sieh erstreckenden, über das leranze li^icb der Stefanskrone ansg^edehnten
iijiipuetischeu UeobiU'jitunj^'cu, welclie der Verlasser in den Jahreu bis
1879 teils Jillein. ti ils in lie*?leituug <l<*r den astronoiuisclien Ortsliestim-
muiigeu obliegcudeu Herreu l'rofessoreu btelau v. Knisper, Br. Gustav
Kondor n. Ä« ausführte. Es war im Jahre 1879, als die Kdnighch nnga-
risclie naturwigsenschuftliclie (iesellscliaft» einen Concurs für — auf die
pliy-^ikalisclien und iiieteorologischeii V'erliältnisse des Kciclies bezü^liolie —
wiä&euächuitüclie Arbeiten aussclirieb. lu Folge dieser AuÜorderung erbot
jucb der Direotor der köoii^ch uni^arischen meteorologischen Centralaxistalt,
Dr, Guido Srliemd, eine Darstellung' 1er erdiija<,nietiscLen Verbältnisse Un-
garns zu liekm. insofern dies mit Gninil alterer, liauptsuchlieli jedoch
eigeuer, teils .schon ausgeführter, teils uoch auszufühi'euder Messungen
möglich sei. Der dirigirende Aussehnss der genamiten GefleUschofik aooep*
tirte den wiUkommenen Autrag mit der «^Mössten BereitwiUigkeit und so
kam jene in ifrosseiu Massstabe an<;elef,'te Arbeit zu Stande, deren Fnichte
in lieui vorliegeudeu Werke uiedergeiegt sin»!. Au .huudertsiebzebn über
der Oberfläche des ganzen Reiches zerstreuten Punkten wurden die erd-
iniHrnetischeu Elemente : Declination, Inclination und Intensität «,'emessen
und auf (irund d eser Messungen die altL-re. auf Messungen Vdu r>r. Karl
Kreil, welche dieser iu den Jahreu 1847 57 ausliüirte, beruhende luagne*
tische Karte Ungarns reetificirt. Von besonderem Interesse sind auf den
beigegebenen Karten die durch tlie geologi>.flien Vei lialtuissi- einiger Ge-
genden imseres Vaterlandes v< rnrsacliten Aiisljuclitnngen mul Schlingen-
bildnngeu der eidmaguetischeu Linien, wie wir dies lür die Lünen gleicher
Abweichung in den erzftllirenden gebir^gen Teilen im Norden des Reiches,
Rowie in Siebenbürgen beobacliten. — Die ersten magnetisclien Messungen
IM rngarn stammen ans den letzten Jaln-en des 17. Jahrhunderts. Zusam-
juenliangeude, systemalisclie Messungen wurden au der Gfuer Universitat«-
Stemwarte im köuighcheu Schlosse in den Jahren 1781 bis etwa 2810
ausgeführt. Im T^aufe des gru''-nn"artit:< i! T.ihrliunderts bestinnnti d^r Dirrc-
tor der l'rager Sternwarte. l>r. Karl Kn il. an nicht weniger als vnrei-st
Seugrapiusch aufgenommenen Punkten die magueti scheu Elemente ; von
lesen Sä9 Statioueu fallen oi anf das Gebiet der Stefimskrone. Die vor
uns liegende Arbeil enthält die magnetischen Elemente von 117 Stationen
un»l bietet somit ein viel vollständigeres Bild von den erdmaguetischeu
Verlialtnissen imseres Vaterlandes.
P. Szathniärij Korolyt A honboldomtö%\ (Die Beglücker des \*ater-
land«-". Kornau von Karl P. Szathmary). Budapp 1888» B^vai, 2 Bände,
lt»4 und '1^-2 S.
Ein Lild der ungarischen politischen und gesellschaftUchen Zustände
ans der unmittelbaren Gegenwart. I)er Verfasser kennt die Verhältuisse
geiiau. welclie er schildern, d. h. in hunnuistisch-satirischor l'xdeuchtnng
darstellen will; nur ist sein Humor nicht stark und seine Satire nicht
energisch genug, um ein lebendiges und fesselndes Zeitbild zu schatfeu.
Die Haupt ■^chw^iche des Romans ist iibrig«-us der «nselbst^mdig. . schwäcli-
hellt- nn»l ilesliall» misympntlii^flu' Held, der zwar ein Ideal der l'.ravheit
und Tüchtigkeit, aber so uuerfahreu, kraltlos und schwachkopHg ist, dass
uns sein wiederholtes Missgeschick kamn zur Teilnahme zu stüumen ver-
mag. Auch die Composition des Kornaus ist allzu locker: die Ei)isoden,
welche sirOi iibf>rdies ohne Cirund un<l anf Kosten der Wirkung wieder-
holen, überwuchern die HaupthauiUuug ; eudhch leidet das Werk au der
Sucht des Var&merB , sieh mit seinen snbjeetiYen , meist ganz vemtlnf"
tigen, aber in der Regel auch überans prosaischen Keäexionen vor^udrau-
gen. Am gelnngensfen sind cin/eltie humoristische Genrebilder, %, B. die
Schilderung der Kedactiou des «Skaudul».
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UNGARNS NATIONALITATEN
AUF GliUND DER VOLKbZAHLÜNG DES JAHBES 1880.
VOB MEHR als zehn Jahren wurde in Ungarn die erste Volks-
sahlnng anf constitutionaller Basis, unter Mitwirkung der
Gesammtbeydlkerung durchgeführt. Es geschah dies im Jahn*
1870 auf Grund desBevölkerunK-sstaudes vom 3 1 . December l^sG9.
Auf die Sjtrackenjraye erstreckte sich die dam alige Zahlung nicht,
ond was ich unter dem Titel «Ungarns Nationalitäten» damals
der ungarischen Akademie vortrug, war das Ergebniss einer ziem-
lieh gewagten Gombination» welche nichtsdestoweniger auf ge-
wissenhaft t-n und eingehenden Studien fusste.
Inwieweit mein damaUger Vorgang richtig war und inwielVrne
die nunmehr nacli allen Kegeln der Statistik gesammelten Daten
meine damaligen Berechnungen bestätigen oder bemängeln, wird
Bich aus dem Weiteren ergeben. Tatsache ist, dass ein Jahr-
zehnt hindurch meine damals berechneten Zahlen im Umlaufe
geblieben sind.
Nunmehr liegen uns die Ergebnisse einer neuen Volkszählung
vor, welche auf Grund des Oesetzartikels III Tom Jahre 1880
nach dem Bevölkerungsstande vom 31. December 1880 durch-
geführt wurde. Das angewandte System und die Art der Durch-
führung verdient, duss wir derselben einigen Zeilen widmen.
Früher und selbst noch im Jahre 1870 wurde die Zählung
mittelst schwerfälliger HaitfAa^tNn^«- und Hausliaten durchgeführt.
Aus diesen, zahlreiche Bubriken und Erklärungen enthaltenden
Zahlbogen wurde in jeder betreffenden Gemeinde die Orts- V eher-
\ B«TQe. IWi, II. Btft. g
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ÜMOARNB NATIOKAIiITÄTEN AUF GRUND DER VOLKSZÄHLUNO
sieht verfasst und schlich sich in diese irgend ein Fehler ein —
an solchen mangelte es übrigens nicht — so verblieben dieselben
nncorrigirbar und worden, sich stets mehrend, in die Comitats-
und später Landeslisten übertragen.
diesmal ward das durch die moderne ^^ issensch;lft als bestes
beaeichnete Individutd- System mittelst Zählhlattchen, vielfach ver-
bessert und yereinfacht. angenommen und die Zählung mittelst
desselben auch durchgeführt. Hiemit hat Ungarn nicht nur Oester-
reich überflü}T;elt, sondern ist es teilweise auch weiter ;,'egangen
als viele LiindLi- des civilisirteii Auslandes. Wenn auch als Be-
<:ründer der Zählblättchen-Methodo — wie bekannt — der Italiener
Maestri zu betrachten ist, welcher damit bereite in den sechziger
Jahren Terdienstliche Proben angestellt hatte; wenn dasselbe
auch durch Dr. Enoel in Berlin vielfach vervollständigt wurde,
ja die Zählungen der siebziger Jahic in Preussen mittelst dieser
Methode durchgeführt wurden, so wurde dasselbe doch nirgends in
solcher Einfachheit und mit so voller Ausnützung des Materials
angewandt als diesmal in Ungarn, wo die Verhältnisse der ge-
zahlten Bevölkerung ausser den absoluten Zahlen in achtzehn
verschiedenen Combinatioueu ausgezahlt wurden.
Ohne in die Details der ganzen Operation des Näheren ein-
zugehen, will ich nur bemerken, dass, wahrend zwischen den her-
vorragendsten Statistikern des Auslandes ein theoretischer Streit
darüber geführt wurde: ob die Zählung einer minder^rebildeten
Bevölkerung in einem ganzen Lande mittelst Zählblattchen durch-
geführt werden könnte, — diese Frage in Ungarn practisch gelöst
und im besten Sinne entschieden wurde. Auch ich hatte seinerzeit
zu der Frage Stellung genommen und als Argument angeführt,
dass es ziemlich gleichgiltig sei. ob ein Ziihlunj^sagent mehr oder
weniger Zählblattehen auszufüllen habe, da er überall einzutreten
hat, wo der Haushaltungsvorstand oder ein Mitglied der Haushal-
tung zur Ausfüllung ungeeignet ist. IHes schien überzeugend und
wurde in Ungarn auch angenommen. Auch Oesterreich schien
sich der Auffassung zuzuneigen und Manner wie Neümann Sp.^llart
kämpften energisch für die neuere Methode. Seihst einige Mitglieder
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DES JAHRES IS80.
tl6
der Direction für administrative Statistik in Oesterreich wären
bereit gewesen, die Arbeitelaet der Massenanfarbeitong zu über-
nehmen. Sie worden jedoch dieser Last überhoben. ])er hnndert-
juhrige Bnreaukratismus decretirte: «Es bleibt Alles beim Altem,
es wurde der alte Schimmel des Jahres 1S7Ö wieder vorgespannt
und auch die Zählung des Jahres 1880 mittelst HaushaltungsUsten
durchgeführt.
Inswischen wnrde in Ungarn alles benützt, was die theoreti-
schen Discussionen und Beschlüsse der internationalen statisti-
schen Con^^resse an schätzbarem Materiale zu Tage gefördert
hatten, und als Kouösi, der Director des hauptstädtischen statisti-
schen fimreans in Budapest, sein, auch in der Fachliteratur des
Auslandes günstig aufgenommenes • Projet d*un recensement dn
monde» erscheinen Hess, konnte er die Genugtuung haben, dass
der damals bereits festgestellte Plan der uu^^'arischeu Volkszäh-
lung nicht nur all' die Fragen aufgegriffen hatte, welche er im
Interesse einer internationalen Zählung für notwendig hielt, son-
dern sich auch sozusagen auf alle die Combinationen erstreckte,
welche ihm für die internationale Statistik wünschenswert schienen.
Die Zahlung,' seihst wurde in Ungarn mit Hilfe einer kurz-
geiassten Instruction in 14 Tagen im ganzen Lande beendet und
das massenhafte Materiale zum grössten Teile bereits im Monate
Januar an das statistische Landesbureau abgeliefert
Weder die Versendung der über 20 Millionen betragenden
Zahlblättchen an die einzelnen Mumcipien, noch die seinerzeitige
Aufarbeitung — deren Plan bereits im Vorhinein festgesetzt war
— Terursachte derartige Sorge, als die Aufbewahrung und Siche-
nmg des in einem einzigen Exemplare vorhandenen Zahlungs-
Besultates je einer Person in der betreffenden Zählkarte, üm
numlicli die, grosse Kosten und noch grösseren Zeitverlust ver-
ursachende Copirung der Blättchen zu ersparen und die sich
hiebei einschleichenden Fehler zu yermeiden, waren die Blättchen
derart eingeriehtet, dass der, die vorgedruckten Fragen enthal-
tende Teil abgeschnitten wurde, wonach der die Antworten ent-
haltende Teil, auf welchem zugleich das betreüende Comitat, die
6'
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116 UNGARNS NATIONAUTATBN AUF OBUND DFB T0LK8ZAHLUNO
Gemeinde und Hausnummer verzeichnet wurtu. :ils handliclie
Zählkarte zurückblieb, mit welcher das gtmze Depouülement im
Originale Torgenonmidn und darchgefiihrt wurde.
Wäre von diesen Originalien irgend etwas in Verlust geraten»
so hätte die Zählung an dem betreffenden Ort neuerdings vorge-
nommen werden müssen, ohne, sclion wef^en des späteren Zeit-
punktes, verhissliche Daten zu liefern. Diese Sorge entschwand
erst, als die Daten auch des letzten Dorfes, in übersichtliche
Tabellen gegossen, zur Verfügung standen und das Dichterwort
zur Geltung gelangte : «Er zählt die Häupter seiner Lieben und
sieh, es fehlt kein teures Haupt!» Es ist numlieh nicht zu leug-
nen, dass diejenigen zu unseren «Lieben» zählen, mit denen
wir uns so vielfach und lange beschäftigt, und wie sollte sie
nicht unsere «Liebent sein, wo doch Ton unseren eigenen Mit-
bürgern die Bede ist, deren graphische Gonterfeie uns die Bevdl-
kerungs -Verhältnisse Ungarns mitteilen sollten !
Ehe auf die Detaillirung der Sprachen Verhältnisse einge«;an-
gen werden kann, soll noch das allgemeine Ergebniss der Zählung
mitgeteilt werden, da sich dasselbe, seit der ersten Fublication
nach den provisorisch festgestellten Daten, wesentlich geändert hat.
Die bürgerliche Bevölkerung siimmtlicher Länder der unga-
rischen Krone betrug nach der letzten Zählung dieses Jahres
15.642,178 Seelen, wovon
auf Ungarn (mit Siebenbürgen) 13.728,6:^:2
auf Fiume sammt Gebiet 20,981
auf Croatien-Slavonien (sammt MiUtärgrenze) 1.892,575
entfallen.
Hier muss bemerkt werden, dass sieh die Ziffern Croatiens
noch vielleicht etwas alteriren dürften, da dort erst der Auszug
der Hauslisten vollendet ist, während die Ziffern Ungarns als
definitiv zu betrachten sind. Dies ist zugleich der Grund, dass
sfinnntliche spiitcr zu erwsihnende Details sieh nur auf die Ein-
wohnerschaft Ungarns, d. h. auf die oberwähnten 13.728,622
Seelen beziehen, da jene für Croatien-Slavonien noch nioht
^irt sind.
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DES JAHRES 1880. 117*
Di© VeruiehruDg der Bevölkerung gegen die bei der letzten
Zählung Tor 11 Jahren erhobene BeTÖikemng beträgt 2:24,851
Seelen oder 1.46 % und diese Yermehrung muBs jeder Patriot fnt
gering eraehten, der da weiss, dass die Orundkräfte der Staaten
ausser dem Territorium eben auf ihrer Bevulkerimg beruhen.
^Vir müssen uns jedoch dem Schicksale ergeben, bedenkend,
dass die regelmässige Mehrung unserer Bevölkerung durch solche
Umstände unterbrochen wurde, deren Beseitigung zum grossen
Teile nicht in unserer Macht lag. In erster Reihe ist hier die
Cholera der Jahre — 73 zu erwähnen, welche allein au nahe
Tierthalbhunderttausend Menschen dahinraffte, und deren Nach-
wehen erst im Jahre 1877 verwunden waren, in welchem Jahre
die Bevölkerung Ungarns wieder jenen Standpunkt erreichte, den
bereits die Zählung des Jahres 1869 auegewiesen hatte. Die
laii;^e andauernde wirtschaftliche Krise tat das ihrige, Misswacha
und elementare Sehlage traten hinzu, verminderten die Ehe-
Schliessungen und iührten teils sum provisorischen Wegzug der
Bevölkerung wegen Broderwerbes, teils, besonders in den ärmeren
Comitaten des Karpatenlandes, zur endgiltigen Auswanderun^r.
Uebrigens gehört die Untersuchung der Ursachen dieser
schwachen Vermehrung nicht auf dieses Blatt, welches sich die
Untersuchimg der Nationalitätwerhältnisse Ungarns auf Grund der
Daten der neuesten Zählung zur Aufgabe stellte.
Um jedoch mit meinen eigenen, des öftem gestellten Behaup-
tungen nicht in Widerspruch zu geraten, eile ich zu bemerken, dass
ich auch jetzt noch der Ansicht bin, dass die Nationalitat statistisch
schwer festzustellen ist. Uebrigens wurde die letzte Zählung auch
nicht in dieser Bichtung durchgeführt, sondern wurden mittelst
derselben einfach die SprachenrerhäUni»9e des Landes erhoben.
Die auf den Zahlblättchen befindliche diesbezügliche Frage
lautete: «Weiehes ist Ihre Muttersprache?» Diese Frage, so for-
mulirt. war vielen Angriffen ausgesetzt. Umsonst wollten wir es
officieli leugnen und wurde auch das Wort «Nationalität» strenge
vermieden, so wusste oder glaubte doch Jedermann, dass wir mit
der Frage nach der Sprache unsere Nationalitäten erheben
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IIS UNnABNS NATIONALITATEN AUF aBüHD DER YOLK8ZAHLDKO
wollten. Das grosse Publikum antersiicbt nicht, ja zweifelt nicht
einmal daran, dnss die Sprache die Nationalitat begründet. Es
kümmert sich nicht um unseres seligen Eötvös schwere Kämpfe,
um deren Preis er den Begriff der Nationalität begründen wollte ;
es weiss nichts von meinen eigenen Untersnchungen ; kennt wenig
die neuere Literatur über dieses Thema, als deren würdiger Ver-
treter eben bezüglich Oesterreich-Ungarns sich Gumplovicz, Pro-
fessor in Graz, erwies. Der ^'rossen Menge sind Sprache und
Nationalität identische Begriffe und eben deshalb waren eben die
Ungarn am meisten über die Fra^e nach der Muttersprache auf-
gebracht, weil sie, die Assimilirungsfähigkeit der staatenbildenden
ungarischen Nation kennend, es dem Statistiker übel vermerkten,
dass er nur solches frug, worauf er auch Antwort erhalten konnte,
hiedurch aber viele, gerade in der ungarischen Literatur hoch-
stehende Namen daxu zwang, sich zur deutschen Muttersprache zu
bekennen.
Und doch war das Publikum ungerecht. Befürchtete schon
ein Reichstags- Abgeordneter während der Verhandlung des Volks-
zählungs-Gesetzes, dass sich die Zahl der Ungarn durch die Frage
nach der Muttersprache um zwei Millionen vermindern werde, so
ubersah man allgemein jene zweite, ergänzende Frage des Zahl-
blättt'hens : ,,irrlc}n' Jii inii^rlit' SpnirJti' sjin rln'n Sif norji (niaarr Ihn r
Mutti- rspr ache ! ' Besitzt die ungarische Nation wirklich die ihr zu-
gemutete Assimilationsfähigkeit, so muss es aus den auf diese
Frage erhaltenen Antworten erhellen, wie viele Mitbürger anderer
Nationalität oder Fremde sich die Staatssprache angeeignet haben,
wohl wissend. (l;t>?s wer einmal unsere Spraehe spricht, mit dem
Ungarvolke verschmilzt und femer kein Fremder mehr ist in
diesen Landen«
Es soll jedoch den in Zahlen ausgedruckten Tatsachen
nicht vorgegriffen und irgendwelche sprachliche oder nationalität-
liche Conjectnral-PoHtik jretrieben werden; — ich stelle mich
zuniek auf den l»e.'5< heidenen ^^tandpunkt des Statistikers und
führe einfach die trockenen Zahlen vor.
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DK8 JAHRES 1880.
Von der bürgerlichen Bevölkerung rnujarns (oline Cruatien-
Slavonien), per 13.7^8,6i^ Seelen» bekauuten sieb:
rar nngarisclieu Mnttertpracfae „ (i.166,088 Seelen
• dentscben • 1.798,373 i
• elovakischen » 1.790,476 ■
• walacliischen (rmjiiinisclieui Miitteraprache iJ.323,788 •
» orontisch-serbiacben Matterapracbe ^ 605,725 •
' nitLeniscben ■ 342,351 •
• wcuilischcn » r>0,9i8
• aruu'uisclion • 3,ö:23 •
» zigeuiieriscLeu » .. 75,911 •
» anderen (verscbiedenen) Muttersprachen .. 21,687 •
• Analändem >. ... ... 41,698 •
des Sprechens noch imkmiclig waren 499,05 i *
Ob ich wohl wieder dem, durch mich schon mebrmal Bchmerz-
lieh empfundenen Schicksale verfiel, viele unserer werten Lands-
laute durch meine rigorosen Zahlen aus ihren Illusionen gerüttelt
in haben, welche vielleicht von 10 — 12 Millionen Magyaren
triamten ! ?
Doch lieber dies als eine neuerliche Anklage wegen unseres
GbauTuiismus.
Es ist leider nur zu bekannt, dass der Ozeche, der Rumäne,
der Serbe u. s. w. den Deutschen oder einen ihm nabewohnenden
anderer Nationalität ungestraft angreifen darf ; höchstens erbebt
sich dann ein deutsches Blatt zweiten oder dritten Ranges gegen
die persönliche Bohheit des Betreffenden. Wenn jedoch in Ungarn
irgend ein unreifer Knabe aus dem reichen Schatze unserer
Sprache ein unbedachtes Wort herausgreift und gegen das
Deutschtum in die Welt schreit, oder die politische Behörde das
unverfrorene Treiben eines sächsischen SchuUehrers beanstandet,
dann braust, via Wien, ein Sturm durch die gesammte deutsche
F^e und unsere sonst so edlen Nachbarn furchten nicht einmal
sieh vor jedem Gebildeten lächerlich zu machen, wenn sie gleich
(lern «Deutschen Schul verein »> Gleichberechtigung verlangen für
den Deutschen in Ungarn, wo es doch bekannt ist, dass auch der
letite Zigeuner politisch und nationell dieselben Bechte geniesst
ine der einst ebenfalls privilegirte ungarische Magnat !
liO UHOABMB NATIONALITÄTEN AUF ORÜND DBB TOLK8ZAHLUNO
Wohl erinnern wir uns, als zu Ende des Jahres 1880 das
Volkszählungsfjesetz und die dazu gehörige Ausföhnings- Verord-
nung promul ^^irt w urden, dass Wiener Blätter sebou damals den ^xe-
planten Vorgang angegriffen hatten und vorher zu sagen wussten,
wie nun der gesammte amtliche Apparat in Bewegnng gesetzt
werden wird, um die Ungarn in je grosserer Anzahl zu Tage zu
fördern.
Nun möge aus dem mitgeteilten Resultat das Tendetiöse des
Vorganges beurteilt werden ! Mögen doch unsere Widersacher
bedenken, daes der Vollzug der Zählung überall in die Hände der
.9ett'aft2/«i« Beamten des Volkes gelegt war; dass dies selbst in jenen
Oomitaten geschah, wo dieser administrative Körper eben nicht
ungarischer Nationalität ist ; dass die Zählun<^sa<:enten, welche
den numerisch grössten Teil der Zählblättchen auszufüllen hatten,
aus der Beihe der Einwohner des betreffenden Ortes oder Bezirkes
▼on den Localbehörden bestellt wurden und die einzige Instruction
hatten, jeden als solcher Muttersprache einzutragen, zu welcher
er sich selbaf Jukmnt. Wahrlich, objectiver konnte kein Staat bei
einer Operation vorgehen, welche gerade in einem polyglotten
Lande, wenn sie hätte ausgenützt werden wollen, zu ganz anderen
Besnltaten geführt hatte. Andererseits muss aber auch jenen
Männern volle Anerkennung gezollt werden, welche an dieser Ar-
beit teils als Administrativ-Or;j;an(.' . teils als Zaliluiigsagenten
Teil «genommen haben und — mit wenigen Ausnahmen — treu
und erfolgreich ihrer Aufgabe entsprachen und hiednrch eben ein
getreues Bild der sprachlichen Verhältnisse des Landes lieferten.
Die erhaltenen Zahlen sind einerseits ein Toll^nltiger Beweis
des objectiven Vorrjehens bei der Zahlung, andererseits aber eine
nicht zu unterschätzende Genugtuung hinsichtlich der Richtigkeit
der Berechnung, welche ich vor zehn Jahren angestellt hatte, um
ein wenigstens annähernd richtiges Bild über die Nationalitats-
Verhältnisse Ungarns zu erhalten.
Nachdem nämlich die Nationalitäts-Verhaltnisse des Landes
nur einmal, im Jahre 1851 — "i-J niitit Ist einer Volkszählung erho-
ben wurden, über deren technische Gebrechen Niemand im Zweifel
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DES JAHBE8 1880.
Ifl
war. versuchte ich eine, wenn auch strenj^ statistisch genommen
nicht unanfechtbare, nach ihren Kudresultaten beurteilt aber nun-
mehr sich als richtig erwiesene Methode. Es wurden nämUch zu
jener Zeit, über Anordnung des damaligen ünterricktsministers
weiland Baron Josef Edrvös, die die Volksschule besuchenden
Kinder conscribirt und zugleich ihre Nationalitüts-Verhiiltnisse
erhoben. Aus diesen Zahlen berechnete ich mit Zugrundelegung
der Ziffern der 1869/ 70er Zählung die Nationalität der Einwohner
Ungarns. Heute erhielten wir, auf Grund der Selbstbekenntniss
jedes einseinen Bewohners, die Muttersprache derselben. Damals
lieferten 12,0()0 und etliche Volksschullclirer die bezüglichen
Üriginaldaten nach mehr als einer halben Milhon Kinder; heute
erhoben dieselben 4000 und etliche Zählungsagenten nach einer
Bevölkerung von 13 und einer halben Million Menschen. Niemand
durfte leugnen, dass sowohl die Art der Erhebung als der Vorgang
der Datensammliiug. sowie der Zeitpunkt der Zählung und die
Zahl der direct Erhobenen möglichst von einander abweichen,
ond wenn wir dennoch nach mehr als einem Jahnsehnt zu bei-
nahe identischen Besultaten gelangen, so liegt der Schluss nahe,
daes weder damals noch jetzt irgend ein, durch nichts motivirbarer
tendentiöser Vorgang beliebt wurde, sondern dass die gewonnenen
Zahlen den wirklichen Verhältnissen entsprechen.
Die Vergleichung der Ziffern ist eine leichtere, auch für das
ÜDgartum günstigere, wenn man bei der Percent- Vergleichung
nur das Mutterland Ungarn berücksichtigt, Siebenbürgen aber
▼Orderhand weglässt. Ohne zu untersuchen, was dns eine oder
das andere Land politisch oder volkswirtschaftlich durch die Ver-
einigung gewonnen hat, vom Nationalitätastandpunkte aus war
dieselbe für Ungarn ungunstig. Denn während die Ungarn im
Mutterlands beinahe die absolute ^lajorität bilden, drückt sich
dieses Verhältnis s mit Einbeziehuni; Siebenbürgens auf 1 i..» " o.
Dies ist um so überraschender, gerade Siebeiibür^cTi es war,
welches im XVI. Jahrhundert die ungarische Staats- und Literatur-
sprache sozusagen von denTodten erweckte und lange Zeiten hin-
duioh ihr treuester Hort war und ihre Blüte förderte und entwickelte.
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13S UNGARNS KATIONALITATEN AUF &BÜND DER VOLKBZÄHLÜNa
Es mögen jedoch die Zulileu selber sprechen. Im ungarischen
Mutterlande waren '
nii< !i ih r Berccbnang nach der /uhlnng
des .lahreN 1870 * des Jahre» IbiSO
Ungarn 49.M 40^ '/o
Deutsche 14.n » Ii.» •>
Slovaken t6i4t » 16m •
Rmnänexi ^. .. 10.h • lO^u •
Croaten nml Serben 4.45 • 5.tt •
Buthenen 4.m » 3.m •
Andere ^ O.oa » O.bo •
Bedenkt man, dass» wie noch ans den Daten der Tolksbewe-
^ung hervorgeht, die Kumaneu und Kuthenen seit 1870 factisch
abgenommen haben, dass die neuerlich bemerkbare Auswanderung
gerade in der sloTakisohen Bevölkerung der nördlichen Gomitate
auftrat, so zeigt sich eine überraschende Gleichheit der Zahlen,
in denen das üngartum nur um acht Zehntel Pereent stärker
erscheint als im Jahre ls70. Nur eine einzige NationjiHtut zeigt
eine stärkere Zunahme um mihezu ein Percent, nämlich die croa-
tisch-serbische. Eine kleine Zunahme auf Kosten des ungarischen
Percentes musste dieselbe erfahren, da seit der 70er Zahlung die
gewesene Militärgrenze reincorporirt ward, allwoSerhen in grösserer
Anzahl wuhm n. Doch ist eine kleine Ntitioualitiits- Agitation gerade
bei diesen unseren heissbiütigsteu Brüdern durchaus nicht aus-
geschlossen, was auch aus dem Umstände erhellt, dass aus einer
Stadt Unterungams, deren Nationalitäts-Verhältnisse 5 ^/o Ungarn«
60 "/o Deutsche und nur 35®/o Ser)»en ergeben, zum grössten Teile
mit cyrillischen Lettern au.s<;efullto Zahlhlattchen eingelangt
waren ; wie es dann unter solchen Verhaltnissen mit der deut-
schen oder ungarischen Muttersprache gehalten wurde, ist leicht
denkbar.
Nach Vorführung der Percentualzahlen können nunmehr
iiuch die absoluten Zahlen und zwar für ganz Ungarn ^mit Sieben-
bürgen; mitj^e teilt werden. Demnach waren:
* Haz&ok 48 n4pe (Unser Land and Volk) von K. KeLSTt, 1871, p.
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DES JAHKES 1880.
1S3
nach der Berechnung
TOB Jdm 1870
vom Jolu« 1880
Cngani 6.156,431
Dtateoho 1^820,92}
Slowaken . 1.817,228
Rumänen 2.470,069
Kuthenen 169,420
Croaten und Serben i73,n0ö
Andere.- „ 11,295
6.165,088
1.798378
l.7W,476
2.x?:?.7S8
342,351
6a5,7-25
203,767
Da88 die Zunahme der Ungarn bei der gegenwärtig sabl-
reieheren BeTölkercmg nicht stärker hervortritt, erhält seine Er-
klarun^' ilarium. dass uulit-zu eine hall>e Million Kinder. \\tl<'he
zur Zelt der Zahlung des Sprechens noch imkundiß waren, hier
nicht in Bechnnng genommen wurden» weshalb sowohl im Jahre
1870 als 1880 die Einwohnerzahl von rund 13.200,000 Köpfen als
Grandlage diente.
Umsonst brüstete ich mich jedoeh mit der so eclatanten Ueber-
einstimmung der Zahlen, welche die Kichtigkeit meiner vor 1 0 J ahren
angestellten Untersuchungen beweisen sollen. Um blos zu diesem
Resultate zu gelangen, wäre es wohl kaum der Mühe wert gewesen,
einen so jn'f^ssen und complicirten Apparat in Jknvej^ung zusetzen.
Doch sind wir noch nicht am Schlüsse unserer Betrachtungen
angelangt und muss ich neuerdings auf jeneErgänzungsfrage hin-
weisen, welche die ausser der Muttersprache gesprochenen Landes-
sprachen erforschen sollte. Auf diese Frage sind ausserordentlich
interessante Antworten ein<j:elaufen. Aus der Zusammenstt lluni^
der diesbezüglichen Daten wird ersichtlich, wie viele Leute ausser
ihrer Muttersprache noch anderer Landessprachen mächtig sind.
Wollte man aber aus den sehn gangbaren Sprachen auch alle jene
eruiren, welche z.B. drei Sprachen kennen, so ergibt dies so zahl-
reiche Conibinationen und hiitte einen derarti«;en Aufwand an Arbeit
erfordert, welcher mit dein zu erwartenden Resultate in keinem Ver-
hältnisse gestanden hätte. Ich liess deshalb blos die nach der Mutter-
Sprache zuerst angeführte zweite Sprache aus den Zählblättchen er^
heben und führe auch hievon nur den zehnten Teil der Er<:» bni8se
an, nämlicli die Zahl derjeni^'en, welche ausser ihrer Muttersprache
auch noch der <S7na^M|>rac/ie nämlich des Ungarischen mächtig sind.
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124 UNGARNS NATIONALITÄTEN AÜF GRUND DER TOLKSZAHLUNO
\Vejn;en Raumersparniss setze ich hier znjifleich das Percent-
Yerhiütniss an, mimlich wie viel Personen unter hundert der
betreffenden Nationalität auch ungarisch sprechen. Das Besultat
ist folgendes:
un^arheh ßpreehen auMet ihrer M^ter$praehe :
Deutsche ... /• 377.041 . , er II.«.- •«
Slovaken 170.693 = 9.n •
Riiniänen ... l'>7.252 = o.t»o »
Ruthenen l".^*i!2o = o.ti> •
Croateu mid berben ... .* ('»'fuM ,= lO.Ha •
Weiulcu ... ... 7,450 = 12.«
Arnieuier. 3,116 = 88.m »
Zigeuner. 18,128 = 23.» •
Andere 9,364 = ICXm •
Aiuliinder ... 10,468 = 25..^ »
Oeeammtsahl der nngaiiadi Spre*
chenden fremder Zungen 817,668 Duzdisohnitt II3 %
Diese Zahlen sind höchst interessant. tJnter der Gesammt-
Bevölkerung fremder Ziinee unseres Vaterlandes sind 11.6 %,
■welclie (K r Staatssprache mächtig sind. Dies ist wahrlich nicht
viel und documentirt unsere Indolenz , mit welcher wir Jahr-
hunderte hinduroh zusehen konnten, wie minder gebildete Ele-
mente sich teils unbeanstandet erhalten, teils noch Terrain
gewinnen konnten, ohne dass irgend etwas getan \vurde, damit die
Nation dieselben assimilire.
Einzeln Helden« besitzen;^ wir als Nation nicht den Mut, uns
air jener Prärogativen zu bedienen, welche der staatenbüdenden
und staatenerhaltenden Nationalitat zukommen. Oder ist es etwa
nicht eine culturelle Aufgabe, die Staatssprache in Ungarn zu ver-
breiten? Dies zu beantworten, liefern wieder die Zahlen das beste
Materiale. Von den Busznyaken und Walachen kennen kaum 5°/o
die Staatssprache, ihre eigene jedoch wird selbst der Enragirteste
ihrer Nation nicht als höher stehend oder als solche ansehen, welche
die Bildung besser und intensiver zu vermitteln im Stande wäre.
Unter den Ausliindern aber, und hier ist lange nicht etwa von
Bosniakeu und Bulgaren oder dergleichen «interessanten Nationa*
litäten», sondern von den Bürgern des gebildeten Westeuropa's
die Bede, — ebenso unter den Deutschen, welche sich an ein
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DES JAHBE8 1880. .
125 '
müchtigfts Culturvolk lehnon können, haben sieb uber i'O o die
QDgahscbe Staatssprache angeeignet, t Angeeignet «, sage ich,
denn der tingariBehe Staat keimt kein yerachiedenee Vorgehen
einer oder der anderen Nationalität gegenüber und kann demnach
?on irgend einer Pression der Anslftnder oder Dentsohen durch-
aus nicht die Rede sein ; dalier dürfen wir in diesen Zabh-n eine
der glänzendsten Errungenschalten des ungarischen Cultur-Ele-
mentes erblicken.
Noch interessanter gestalten sich diese Zahlen, wenn man sie
etwas im Detail verfolgt und die diesbezüglichen Verhältnisse
einiger Miimeipitn untersucht.
Da ünden wir vor Allern, dass in jenen Comitaten. der^-n Be-
wohner in überwiegender Majorität Ungarn sind, auch die Ein-
wohner fremder Zunge m bedeutend stärkerem Verhältnisse des
Ungarischen kundig sind. So beträgt 2. B. im Somogyer Gomitat
die Einwohnerschaft ungarischer Nationalität 85 das Percent
der ungarisch Sprechenden fremder Zunge 4o.6 ^/o ; in Borsod bei
89.tt "/o Ungarn sprechen 1-5.7 ° 0 der anderen Nationalitäten das
Ungarische ; in fiekes bei 66.s Ungarn 41 ; in Szabolcs bei
87.» Vo Ungarn 40.i Vo anderer Nationalitäten u. s. w.
In Siebenbürgen, wo nur in vier Comitaten die ungarische
Nationalität in absoluter Majorität ist, und zwar in Udvarhely mit
89^, in Csik mit 83.85, in Haromszek mit 83.:>o und in Maros-
Torda mit 54.4o °/o sprechen von den anderen Nationalitäten nur
21.8, :29 und ±6aVo ungarisch, also in geringerem Verhält-
nisse als in den Comitaten des Mutterlandes mit gleich hohem
Percentverhältnisse ungarischer Nationalität.
Während im slovakischen Oberlande nur 5^ o der slovahischen
Bnölkerung ungarisch spricht, finden wir in den ungarischen
Comitaten Eomärom, Bek^s, Szabolcs, Pest-Pilis-Solt-Eiskün die
BeYÖlkerung slovakischer Muttersprache mit .48.t, 43.6i 49.8 und
37.8% des rngarischen mächtig.
Die W 'ülachen erheben sich selbst dort, wo sie in den Comi-
taten des Matterlandes massenhafter beisammen wohnen, doch bis
ZQ 10—18 *^/8 in der Eenntniss des Ungarischen ; in Siebenbürgen
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1S6 UNOARNS NATIONALITÄTEN AUF GBUND DKR VOLKSZAHLUNO
balx-'H sie nur in drei der aufgefidirtc^n Comitute es Ms zu 2o bis
gebracht. In Udvarhely sprechen freilich 4-7.5 ", o der Ein-
wohner rumänischer Muttersprache auch das Ungarische» doch
beträgt daselbst ihre Gesammtzahl kaum anderthalbtausend.
liuthrueii sprechen überall nur in sehr ^erini;( in Maasse
das Un^Mvisehe. blos im Comitate Ugocsa steigert sich das Ver-
hältniss bis 19.s ^/o. Dagegen zeigen die CroaUn-Serben ein ziem-
lieh starkes Pereent. Am rechten Donauufer, wo dieselben zerstreut
wohnen, können 15 — SC/o ihrer Angehörigen auch das Unga-
rische, aber im Torontaler Comitate z. B. nur mehr 5.? ^ o.
Ein interessanter Volksstamm wurde bereits gänzlich durch
das Ungartum assimilirt, nämlich die Armenier. Bei der letzten
Zählung wurden nur mehr 3533 Einwohner armenischer Mutter^
spräche erhoben und auch von diesen sprachen 3116, d.h. 87.7 Vo
die uni^arische Staatssprache.
Auch die Zi<iriinir zeigen ein günstif^es Percent, nämlich
i3.8s *'/o. Doch ist dies nur scheinbar, da dieselben in den Comi-
taten, in welchen sie bereits angesiedelt sind, sich stets zur
Sprache fler Majorität bekennen, in slovakischen zur slovakischen,
in rumänischen zur walachischen u. s. w. Nur zigeunerisch
sprecbeu im Lande 14,480 Personen. Da es jedoch wenig solche
eifrige Dilettanten geben dürfte, welche sich aus Passion
das Zigeunerische angeeignet haben, so sind zu den Zigeunern
uiich alle Jene zu zahlen, welche diese Sprache sj^n chen, auch
wtjun sie sich zu einer anderen Muttersj)rache bekannten. Bei
solcher Berechnung erhebt sich die Zahl der gegenwärtig in Un-
garn lebenden Zigeuner auf 94,769.
Noch eine, wenn auch nicht auffallende Erscheinung — da
(li. st^Il)f vorauszusehen war — aber immerhin ein interessantes
iactum er<^iht sich aus den besprocheneu Daten; uuiniich die
überwiegende Mehrzahl der ungarisch sprechenden Männer anderer
Nationalitäten gegenüber den Frauen derselben Kategorie, näm-
lich 484,893 Männer und nur 333,775 Frauen oder rund 60 zu
4<V^ 0. Sollte dies Verhältniss l)eseitigt werden, so müsste nament-
lich auf die weibliche Volkserziehung mehr Sorgfalt verwendet
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DES JABBE8 1880.
If7
werdtu. I>t'uu wahrend der Muuii durch die Bedürfnisse des äusseren
Lebens iu stärkerem Verhältnisse bemüssigt ist, sich dieKenntniss
der StaatsBpraehe anzueignen, so ist dies beim weiblichen Ge-
schlechte In Tiel geringerem Maasse der Fall, welches sich die Kennt-
üisswohl nur in der Schule aneipnen kann. Ein starkes Streiflicht
wirft auf dieses Verhaltniss ein weiteres Ergehniss der letzten Zäh-
lung, nämlich das Können deR Le^iens und Schreibens, Ohne in diese
Verhältnisse gegenwärtig des Näheren einzugehen, darf doch er-
wähnt werden, dass die Zahl der weder lesen noch schreiben Eon«
nenden, sowie der blos lesen Könnenden bei den Frauen eine über-
wief];end ^,'rosse ist. Hieraus niuss entweder auf den schlecliteren
Zastaud der weiblichen Volksschulen oder darauf «geschlossen wer-
den, dass der Schulbesuch der Mädchen mangelhaft ist und nur so
weit reicht, dass sich dieselben das Lesen noch irgendwie aneignen,
bis zur Eenntniss des Schreibens es aber kaum mehr bringen.
Einen Beweis liiefür , wenn auch in entj::egen«^esetzter
Richtung, liefern die Daten der Hauptstadt Budapest, deren vor-
sogUche weibliehe Volks- und Bürgerschulen bekannt sind. Hier
ist aber auch das Verhaltniss der ungarisch Sprechenden fremder
Nationalität zwischen Männern und Frauen kaum verschieden,
nämlich i?7.000 Männer und -JG.G.jC) Frauen, oder '>().s zu 49.? " o.
Es dürfte übrigens von Interesse sein, das Spidchenverhält-
niw der hauptstädtischen Bevölkerung überhaupt zu kennen. Es
waren nämlich der Muttersprache nach :
Mlmur FMqmi Zanaunain
UngMrn 96,tl5 102,637 198,74t s 65.it • »
Deutsehe 56,S81l 63,613 119,902 = 33.» »
Slovaluii 9,613 11,938 21,581 = 5.W »
Rnmänan 274 134 408 = O.u »
linthenen öl 8 59 = 0.0t »
Croaten-SerLeu 1,105 651 1,756 = 0^ »
WomloM 14 3 17 = 0 •
Armenier 4 6 10 = 0 »
Zigeuner 5 20 125 = 0 •
Andere 17 12 29 = 0.m »
Aasländer. ^ 5^243 2,383 7,625 = 2.» »
DeeSpsvcbens noch onkondig 6,078 6,819 10,397 = 3.m *
ZnMumneii 173,938 186,613 360,551 = 100
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1^ UNOABN8 NATIONALITÄTEN AUF OBDND DBB VOLKBZAHLUNO
Schon hieraus ergibt sich, dass die Bevölkerung ungarischer
Muttersprache in der Hauptstadt bedeutend stärker ist als im
Lande im Allgemeinen. Dies dürfte zu einer objectiven Beurtei-
lung desvielversebrieenenDeatscfatams der Landeshanptstadt fah-
ren« Das Verhältniss gestaltet sich jedoch noch günstiger, wenn
man noch die uniiarisch Sprecheiulen fremder Muttersprache in
Bechnuug zieht. NamUch :
Deutsche 43.0J9 s= 36.«
Slovftkeu 6,328 = 2«.» t
Rumänen „. ... 288 = 75.» •
Kuthenen „. 4-3 r= 7i2.M •
("roatcn -Serben l,H4t — 09.* »
Weiuk'ii ^ ... 6 = o5.3 »
.\niuinrr 10 = 100 .
Zigeuner 25 = 100 »
Andere 14 = 4&» •
Aualinder .. 2,379 =s 31.t »
Zusammen nnd im Durchschnitte 53,<{55 = 35.«
Sowohl der Fortschritt des üngartums der Hauptstadt als
auch meine frühere Behauptung bezüglich des migarisehen Coltnr-
Elementes werden durch die eben mitgeteilten Zahlen Torteilhaft
bestätigt Auch hier finden wir in erster Reihe unsere gebildeten
Mitbürger, die Deutsrlwn^ nahe zu ihnen wieder die Ausländer.
Die in der Hauptstadt in geringer Zahl wohnenden Kumäneu,
Buthenen, Wenden etc. fallen hier nicht ins Gewicht, doch zeigen
die Groaten- Serben ein erfreuliches Percent und erreiehen auch
die ungarisch sprechenden Slovaken das Verhältniss der besten
Comitate ungarischer Majorität.
Doch nicht nur die Hauptstadt liefert uns dies Bild ; — wir
finden ähnliche Verhältnisse in der gesammten MtädtUeken Be-
völkerung des Landesi welche die bisherige Anschauung bezüglich
der Nationalitätsverhältnisse dieser Bevölkerung bedeutend alte-
riren dürften.
Bisher galt es als Axiom und wurde auch im Auslände viel-
fach verbreitet, dass die Bevölkerung der Städte Ungarns über-
wiegend deutscher Nationalität sei. Bezüglich einiger Städte der
westlichen Comitate und einiger Bergstädte Oberungarns, sowie
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DES JAHRES IbbO. l-^
der Sachsen Siebenbürgens ist dies ftuch richtig. Aber im Ganzen
stellt sich ein bedeutend anderes Verhältniss heraus.
Die königlichen Freistädte, die mit Municipalrechten ans-
gestatteten Städte, sowie (litjenij^^en mit geordnetem Maj^istrate
erreichen die Zahl von 143 und umfassen die gesammte Städte-
Berölkerung Ungarns.
Diese BevölkerU&g bildeten
648,312
686,709
1.335^014
69.1
Deutsche.
176,134
901,987
378,191
17.t
•
Slovaken ... ... ... _
... 70^3
84,866
155,358
7.«
•
Bnmanwn,.. ... ... .„
30^
37,718
77,612
34
•
Buthenen ..
1,899
1,687
3,586
0.1
•
Croaten-Serben
44,406
44,802
89.;?08
4.a
•
Andere .. .„
7,105
6,318
13,423
0.6
•
.^uslauder ..
11,945
6.642
18,587
0.«
•
Des Sprechens noch nu
kumlig 30.196
35,931
72,1-27
3.4
•
Ziipaiiuuea
... ... 1.036,;]N4
1.10G.65ä
2.143,030
100
Die Bevölkerung ungarischer Muttersprache ist also nicht
nur um 1 2.3 Vo stärker in den Städten als im Lande im Allge-
meinen, sondern auch die ungarixch Sprechende fremder Nationa'
lität sind hier in viel höherem Maasse zu ünden, und zwar :
Detitsche.« ... „
J 27^790
33.1
32,910
21 .t
Huinänen
21,365
27.5
Ruthenen .
1,534
42.t
CrDaten-Serben
19,603
21.9
WtlMllIl„
95
l>0.«
Zif^tuiier ... . .
1,984
9C.7
Armenier
1,900
373
Andere .„
529
9.»
Anslinder
5,697
30,«
Auf die Wichtigkeit dieser Erschemung komme ich noch zu
sprechen. Schon jetst kann aber hervorgehoben werden» dass die
ctidtisehe Bevölkerung einen wesentlichen Teil der Gesammt*
Bevölkerung des Landes bildet, nämlich S. 143,036 Seelen oder
I-Vfi" 0. Nachdem die Bevolkt ruii«,' dieser selben Städte im Jahre
1n70 blos 1.9:)4,S7I Seelen zahlte, so heträgt die Vermehrung
iü8,165 Seelen oder 9.7 ^jq, während die Gesammtbevölkerung des
ruMiiuiii Bm, im, n. Hiii. 9
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130 UNGARNS NATIONALITÄTEN AUF OBUND DER VOLKSZÄULUNG
Landes — wie wir sahen — während derselben Zeit nur um
1.46^0 zugenommen hatte. Von den in den Städten wohnenden
Angehörigen fremder Nationalität sprechen femer im Dareh-
schnitte 20, in der Hauptstadt ßofrar 35.4 " o die iinf^arisclie Staats-
sprache, wahrend wir dasselbe Verhiiitniss für das ganze Land nur
mit 11.» ^/o coDstatiren konnten.
Die Zahl deijenigen im Lande, welohe wenigstens zwei
Sprachen sprechen, beträgt i\5r) 1,000 oder 18.7 der Gesammt-
Bevölkerung. Bios eine Sprache sprechen ll.i^.o oder 10.1)68,567
Einwohner ; die noch fehlenden 3.6 bilden die des Sprechens
noch unkundigen Kinder unter 2 Jahren.
In dieser Biohtung entscheiden teils der Bildungsgrad der
Bevölkenmf:, teils das mehr weniger massenhafte ZiisamiDenwoh-
iien einer Nationalität. Hier, aber auch nur hier stehen in erster
Keihe die Rumänen, von denen 92% blos ihre eigene Mutter-
sprache kennen. Gleich hinter ihnen rangiren die Ruthenen mit
89.8 Vo. J^^Croaten-Serhenf mehr zerstreut wohnend, können sich
nur im Verhältnisse von öS. 4 blos ihrer Muttersprache bedienen,
nahe die Hälfte derselben ist noch auf eine andere Landessprache
angewiesen.
Auf die Ungarn passen vorstehende Bemerkungen nicht. Als
Träger des Staatsgedankens und mit der Staatssprache identisch
können sie sichs an ihrer Muttersprache genügen lassen und
ünden sich deshalb 83.2 " o oder 5.13i,6.")5 Bewohner, welche
ausser dem Ungarischen keine weitere Sprache kennen. Das Bü-
dungs-Element finden wir hier wieder bei den Deutschen und den
Ausländem, von welchen sich nur 62, bezüglich blos 34.« •/© auf
ihre eigene Sprache beschräukc n. Dass von den Zigeunern blos
t9°/o mit ihrer eigenen Sprache fortkommen können, wird man
nach obiger Bemerkung natörlich finden, der zufolge dieselben
sich in jedem Gomitat zu der Sprache der Majorität bekennen.
Ebenso natürlich ist es, dass von den Arweniern blos 6.i ®/o sich
auf seine Muttersprache beschränkt, da dieser Stamm, wie bereits
erwähnt, sozusagen bereits gänzlich assimilirt ist.
Vorderhand dfirfte uns ein anderes Moment interessiren.
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DEä JAHRES 18S0.
«
131
welches zugleieb geeignet ist, eine der mittelst Zählblättchen aus-
fuhrbaren und im statisüsehen Bmreau anoh vielfach ansgeführten
Combinationen vormweisen — nämlich die Muttenpraehe in Ver-
bindung mit dcju Heiigiomht'h'ujttrüsse. Es ist noch nicht lange
her, dass man aus den bekannten Daten der Keligionsbekenntnisae
ftuch auf die Nationaiitätsverhältnisse der Bevölkening schliessen
zu dürfen gUnbte. Dies ist nicht stichhältig, und haben die neue-
ren Erhebungen diee klar dargetan. Alles in Allem ist es nur
richtig, dass z. B. ein grosser Teil der Rutlieucn griechisch-katho-
lisch ist. Aber bei den Rumänen trifft dies schon nicht mehr zu,
denn nahezu zwei Drittel derselben sind griechisch- orientalisch.
Von den die grosse Majorität der Bevölkening dee Landes bilden-
den Romi9eh'kathoUsehen sind 53 Ungarn, iBVo Deutsehe,
19^0 Slovaken und 3.6 "/o Croaten u. s. w. Von den Krancn'UacJten
Augsburger Confession sind 23 % Ungarn, 34 "^/ o Deutsche und 38 '^/o
Slovaken. Von den Reformirten 04.8 Ungarn. Auch die Unitarier
sind ausschliesslich Ungarn. Selbst bei den Juden sind 56.8 ^/o
ungarischer, 33.8 ^/o deutscher Muttersprache, doch haben sich
auch — was bisher unbekannt war — 3.8 " o zur slovakisclK U,
1 ji zur walachisühen und 1 .6 o zur ruthenischeu Muttersprache
bekannt
Untersncht man die ReUgionsverhaUniue blo$ der Ungarn, so
findet man unter ihnen
ruiuiseh-katholische _ ... öö.«
griechisch- und armeuisch-katholiscbe 2.t •
griecfaiseh- und «rmeniseh-orientaüsehe ... ... Olt •
Enmgielitebe Angsborger Confeseioii 4.i »
» HeWetisdier • _ 30.« •
Üiiit(iii6r „ »
Jodon 5bf »
Andere ... ^ O.1 •
Alle bisherigen Combinationen dürften zwar manch' interes-
santes Detail zu Tage gefördert haben, antworten aber noch immer
nicht auf die oft aufgeworfene Frage : wie viel wir Ungarn eigent-
lich seien? noch weisen sie nach, ob das Ungartum sich im AlU
9*
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132 UNGARNS NATIONALITÄTEN AUF OKUND DER VOLKSZÄHLUNG
•
gememea gctkräftigt und verbreitet habe oder nicht ? Auf letztere
Frage dürften die Daten der Muttersprache eine nur wenig befriedi-
gende Antwort bieten, und nachdem es bekannt ist, wie sehr die vor
lO Jahren berechneten Zahlen mit den nunmelir erhobenen über-
einstimmen, dürfen wir uns diesbezüghch auch keinen grossen
Illusionen hingeben. Die Logik der Ziffern ist eben unerbittlich.
Nachdem auf den Blättchen auch das (Geburtsjahr der Ein-
wohner erhoben wurde, so wurden aus diesen Daten AUer$da$8en
gebildet. Combinirt man nun die in den betreffenden Altersclassen
Befindlichen mit der NationaHtät, oder : untersucht man, wie viele
Percente z. B. Ungarn in jeder Altersdasse waren, so muss sich
ergeben, ob die Bevölkerung ungarischer Muttersprache im Laufe
der Zeit zugenommen hat oder nicht ? Bei Durchführung dieser
Combination bleiben die 0 — -2 Jahre alten, als im Grossen des
Sprechens noch unkundig, weg und es entsteht folgendes Bild :
Ungar Ueher Muttersprache waren ün Alter
von 3 — 6
Jaliren
. 46.»
• 6 — 10
• ,
47.7
*
• 11—15
* •*« ...
•«• 40a7
. 16—20
» «M
. »1—30
•
46.«
*
• 31-40
k ,
45.1
»
• 41—50
^B^|#CV
»
. 51— eo
^ •*<
t ■4'<).6
über 60
^: ... 46.8
»
Eine überraschende Beständij^keit der Percente in den ein-
zelnen Altersclassen, welche die Bevölkerung im Alter der 60er
Jahre gerade in dem nämlichen Verhältnisse zeigt, wie die jetsige
Jugend zwischen 5 und 20 Jahren !
Kann dies aber auch anders sein., wenn von Seite des Landes
bis jetzt sozusagen gar nichts getan wurde, um die ungarische
Staatssprache zu einem so gesuchten Lebensbedürfnisse su
milchen, .dass hinfnr Jeder sie gerne auch als Muttersprache be-
kenne ? ! Es war das zwar ein heilsamer Schritt, welcher im abge-
laufenen Jahre den Unterricht der Staatssprache in den Volks-
schulen obligatorisch machte, doch können die Besultate dieses
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D£B JAURBB 1880.
133
Schrittes in dt;ii Ergebniseen der Volkszählung des Jahres 18S0
noch nicht zam Vorschem kommen.
Es dürfte kaum einen stärkeren Beweis als diese Ziffern für
die Ungerechtigkeit jener Ahschuldigangen geben, welche Ungarn
und dessen herrschende Bt völkerung Nationalitäts-Hetzereien
leiben. Im Gegenteil wurde nichts im Interesse der Staatssprache
oder nur Ausbreitung derselben miter den Nationalitäten fremder
Zunge getan nnd hat sich deshalb auch das SprachenverhältnisB
nicht nur in den letzten 10— 15 Jahren nicht, sondern seit einem
h&lhen Jahrbundt rte kaum verschoben.
Und dennoch hat sich Ungarn gekräftigt und gestärkt. Wir
haben an Bildung zugenommen und Terrain gewonnen, dies aber
geht in unserem Vaterlande immer parallel mit der Ausbreitung
des üngartums. Die absolute Zahl der Bevölkeruug hat sich seit
der letzten Zählung nicht sonderlich vermehrt^ aber innerlich
haben wir uns gekräftigt und sprachlich gerade in den Schichten
der gebildeteren Bevölkerung weitere Eroberungen gemacht.
Schon früher hatten wir Gelegenheit auf den Unterschied
iiifmerksam zu werden, welcher in sprachlicher Beziehung zwi-
schen dem Lande im Allgemeinen und den Städten desselben be-
steht Das Fortschreiten des Üngartums lässt sich noch ein*
gebender beobachten, wenn man das die intensivere Bildung
vertretende stadtische Element ebenüftUs nach Altersclassen unter-
sucht. Um Wiederholungen auszuweichen, sollen auch hier die
Hauptstadt und die übrigen f rovinzstädte gleichzeitig aufgeführt
Verden«
üngarUeher Muttergpraehe waren:
In 4mi Piovias- In dar Haopt*
im Alt« r
HtH(iteu
Rtadt
von über 60 Jahron
- ... 59.a " 0
40.7 " .
von 51— W
" ••# ■
^ O^^ o »
42.Ü .
II
»p« •■■ ■««
... t)0.* •
47.« »
' m»m
» 6 1 .H
51.» »
• ÜI-HO
•
6i : »
58.« •
• 10-^0
^ **■ M«
.. ~. ... „. 66.« »
t «—10
»
68.S •
64.t »
In den gesammten Städten ist demnach die ungarische
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134 UN0ABM8 NATIONALITÄTEN AUF ORUND DBB VOLSaZAHLUNO
Muttersprache der heutigen Jugend um 9.i, in der Hauptstadt
sogar am i23.'. ^/o stärker Tertreten, als bei der noch lebenden
älteren Generation.
Dieses voransgeschickt, können wir nnnmehr leiobteren Her-
zens an die Aufstelhinj^j des Xutiontilitätfi-Inrentarii unserer Be-
völkerung herantreten, deren geeammte Factoren bis Jetzt noch
nicht vorgeführt wurden.
Bisher wurde noch der Armee und Landwehr keine Brwah*
nnng getan, welche zur Zeit der Zählung im activen Stande 73,14-7
und 10,501, zusammen S:5,708 Köpfe zahlte. Auch von diesen
gehört ein Teil Ungarn. Die kaiserliche und königliche Armee
wurde zwar nach österreichischem System gezählt, welches nieht
nach der Mutter-, sondern nach der „ümgainffeEpraehe^* frng.
Beim Militär waren, trotzdem der neuen Territorial-Einteilnng
zufolge die ungarisclien Regimenter im Lande sein sollten und die
Zahl derselhen hauptsächlich aus den betreffenden, am St-ations-
.Orte befindlichen Cadres resultirte, nur 37.6 °/o Ungarn nach-
gewiesen, obwohl das Bevölkerungs-Fercent im Lande 45 ^/o
beträgt ; andererseits waren Deutsche mit $5 •/o ausgewiesen,
während das Bevölkerungs-Perceut nur 13.ü9^o ist, Walaclien
rangiren nur mit 10.5 gegen IG.s^'o der Bevölkerung, doch ist
dies aus der geringeren taughchen Beeruienzahl dieses Stammes
erklärlich. Ebenso war zu erwarten, dass Groaten-Serben in gros-
serem Verlüiltnisse in der Armee vorkommen, als deren Bevölke-
rungs-Verhältniss erwarten laset, nämlich T).-, gegen 4.4**/«. Doch
acceptiren wir diese Verhältnisse. Auch so kommen uns ans der
Armee :27,708 Seelen zugute. Bei der Landwehr zeigte sich das
Gegenteil. Hier war das Percent der Ungarn 67.7, der Deutschen
1:^.8, der Slovak« n 7.;i, der Wiihichen S.io, der Crnaten Serben
t2.9 ^/o. Das ungarische (Kontingent macht demnach 7153, beide
Factoren zusammen 34,861 Köpfe.
Es waren jedoch bei der Zählung 436,270 Mitbürger als der be-
treffenden Haushaltung angehörig, yedioeh ahicteend nachgewiesen.
Die nälieren Verhältnisse derst^Ihcn wurden, um Doi^pelzählungen
zu Termeiden, nicht nachgewiesen, auch war ja gewiss ein grosser
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DE8 JAHSBS 1880.
135
Teil derselben irgendwo im Lande erhoben. loh nehme ihiher von
denselben blos die in Oesterreich erhobenen 183,4:22 ungarischen
SlaaUbürger als Grundlage und berechne von selben nach dem
siUgememen YerhaltniBse von 45 82S|540 als Mitbürger ungari-
scher Mntierspraefae, da die anch ungarisch sprechenden, wegen
der in Oesterreich beliebten «Umgangssprache« nicht nachgewiesen
werden können.
Die Zahl der des Sprechens noch Unkundigen macht nahezu
eine halbe Million. Diese können doch nicht ganz ausser Bech-
nirng gelassen werden, denn man macht nicht alle Tage ein Volks-
Inventar, und bis dies wieder geschieht, werden wohl aiich sie
irgend eine Muttersprache bekennen. Hier, ich gestehe es ein.
wird es mir schwer, mich an das allgemeine Landes-Percent zu
hilien, denn nach Analogie der in den Städten erfahrenen Pro*
greesion der ungarischen Muttersprache nach Altersclassen müsste
ein anderes, günstigeres Percent angenommen werden. Dennoch
begnüge ich mich auch hier mit den bekannten 4ö"/ü und erhalten
wir derart i2^4,574 Seelen.
Aber auch in Groatien und namentlich in Slavonien wohnen
noch Ungarn 1 Aus den Daten der Zahlung sind dieselben zwar
nicht eruirbar, weil dort das Depouillement der Zählblättchen
noch nicht beendigt ist. Man dürfte jedoch kaum irre gehen, wenn
man die, wenn auch veralteten Daten Ficker's aus dem Jahre
1851 zur Grundlage nimmt, obwohl diese daselbst nur 17,600
Magyaren nachwiesen.
Trotzdem durch die Annahme der Umj^an^'s spräche inOester-
reicli allein uns viele Tausend Ungarn entgehen, will ich doch
weder die beiläufig 10,000 Magyaren in der Bukowina, noch die
in Bomänien befindlichen zahlreichen Ungarn in Berechnung
neben und nicht über die Grenzen des Staates hinaustreten, um
nicht selbst in jenen Fehler zu verfallen, den ich bei anderer Ge-
legenheit an fremden Statistikern rügte, dass sie numlich auch die,
ständige Untertanen auswärtiger Staaten bildenden Sprachge-
nosBcn als ihrer Nation angehörig betrachten wollen.
Wir dürfen bescheidener sein undwoUen uns mit den streng-
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136 UMOABNiB NATIONALITÄTEN AUF OBUNI» DER VOLKSZAHLUNO
sten Zahlen begnügen : auch auf diese Weise erhalten wir nach
Summirung der oben specitieirten Posten in runder Zahl 7.34i:J,000
Magyaren oder 53.6 ^/o, d. h. eine überwiegende abtolute Majorität,
Eine so bedeutende Ziffer dies aucli sein möge, so suche ich
dennoch nicht in ihr und beileibe nieht in ihr allein die ungarische
Nation.
Meine mir selbst gestellte gegenwärtige Aufgabe war, diejeni-
gen Ergebnisse vorzuführen, welche die Volkszählung Ungarns vom
Jahre 1880 in spraehlicher Beziehvng zu Tage gefordert hat.
Deshalb imderten sich meine Ansichten über den Be^^ritf der
Sationalitäten keineswegs. Als getreuer Schüler unseres verewig-
ten EöTVös liegt auch mir die Idee der Nationalität mehr in
einem höheren Gefühl der Zusammengehörigkeit als blos und
allein in der Sprache.
^ebei sclititze ich jedoch die Wichtif^keit aueh der Sprache
durchaus nicht «gering und halte meine bereits im Jahre 1870 bei
ähnlicher Gelegenheit ausgesprochene Ansicht aufrecht; dieser
nach tist die Nationalität ein inneres Gefühl, ähnlich dem Glau-
ben, verwandt der VaterlandsUebe, und so wie steh die positive
Religion in ihren Glaubenssätzen und Ceremonien äussert, so
bedient sich die Nationalität zu dieser Aeusseruug der Sjirarht .»
In neuester Zeit hat sich der bereits erwähnte Graser Pro-
fessor GuHPLOTiTz mit der Frage in seinem Buche: fDie Beehte
der Nationalitäten in Oesterreich- Ungarn t beschäftigt. Auch er
nennt sich einen Getreuen unseres grossen Staatsmannes und
hebt lobend hervor, dass Eöxvös der erste war, welcher die absolute
Herrsehaftder Sprache aus dem Begriffe der Nationalität entfernte,
Gnmplovitz befasst sich eingehend und objectiv mit den Bechten
und Anforderungen der Nationalitaten, lasst auch den Ungarn
Gerechtigkeit widerfahren und betrachtet die Suprematie der
magyarischen Staatssprache als vollkommen berechtigt. Seiner
Auffassung nach ist tdie Natiooalität eine durch ein gemeinsames
Staatswesen hervorgebrachte und geforderte Cultur* und Interessen-
Gemt'infichaft, die sich nicht immer und nicht notwendig in einer
gemeiusameu Sprache auszudrücken braucht"
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DS8 JAHBE8 1880. 137
Wenden wir diese Definition auf unsere eigenen Verhältnisse
an und wir gelangen nnansweichlich zur Idee de» Staate», Nur auf
diese Weise können vir das Beich Stefan des Heiligen versteben,
«elehes demnaehst seinen tausendjährigen Bestand feiern wird.
Wir Rafjeu zwar heute nicht mehr: «unius Hnoiuflp uniusque moris
rtgnum imbecille et fragile est», wissen aber nur zu gut, dass
Ungarn seinen tausendjährigen Bestand den staatenbildenden und
bildungsfähigen Elementen yerdankt. Es verdankt ihn der Nation,
welche magyarisch ist, alles Andere im Lande ist blos Nationalität.
Weun wir dies vor Augen halten, werden w ir auch die folgenden
Worte des bezogenen Autors zu würdigen wissen: «Aus dieser
geistigen Qualität der Nationalität ergibt es sich von selbst, dass
dieselbe »ire»fj penommen nur ein Gemeingut des gebildeten Teiles
einer Nation sein kann. Mau luuss bis heutzutage in jedem Volke,
in jeder Nation die ungebildete Masse von der Intelligenz schei-
den. Wenn man von einer Culturgemeinschaft spricht, so kann
man selbstverständlich nur an Diejenigen denken, die überhaupt
einer Culturgemeinschaft teilhaftig sind, die also diese gemein-
schaftliche Cultur austragen helfen, dieselbe mitrepräsentiren.»
Und wer sind wohl in Ungarn die Repräsentanten dieser
gemeinschaftlichen Cultur ? Wir haben sie früher kennen gelernt.
Nach obiger Auseinandersetaung des deutschen Autors können
wir nunmehr beruhigt auf jene Massen hlioken, welche in der
Bildung und Cultur noch nicht einmal so weit gelangt sind, sich die
Staatssprache zu eigen zumachen. Was unter ihnen Culturelement
ist, befindet sich ausser dem staatenbildenden und erhaltenden
üngartnm, unter jenen 817,000, eigentlich eine Million übersteigen-
den Mitbürgern, welche, seien eie der Geburt nach welch* Idiomes
immer, ungarisch können, ungarisch fühlen und mit uns vereinigt
fähig und gewillt sind, den ungarischen Staat zu erhalten, zu kräf-
tigen und zu entwickeln.
Und dies ist wahrlich keine Selbsttäuschung! Es mögen
miter diesen ungarisch Sprechenden sich welche finden, die von
äfT schimmernden Idee des Panslavismus geblendet sind; es
üüden sich darunter schmollende Bumänen; dem Treiben der
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1
138 UNGARKS NATIONALITÄTEN AUF ORUND DER V0LK6ZAHLÜNG.
Omliidina verfallene Serben oder liochflie«:enden Traunun huldi-
gende Croaten. Bei den Butlu lu ii vt rfan^^t selbst der russibclie
Einf 088 nicht ; mit unseren Deutschen haben — dnen Teil
der Siebenbürger Sachsen etwa ausgenommen — niemals An-
stände gehabt. Die wenigen, gegen die ungarische Btaatsidee sich
aiifbaiimL'iKk'ii Mulcontenten wiej^en jedoch wenig gegenübt r den
Huuderttuuseuden treugesinnter Mitbürc]:er fremder Zunge, Mil-
lionen gegenüber verschwinden sie einfach.
Meine auf Grund statistischer Daten gemachten Studien tmd
Untersuchungen haben mich davon überzeugt und hoffe ich aneh
meine Zuhörer hievon liherzeujxt zu haben, dass das üngartum,
trotz aller scheinbaren Stagnation in den Massen, stetig fort-
schreitet und sich entwickelt in den intelligenten Kreisen. Der
Kern imserer Nation sind jene 6 Millionen Magyaren ungarischer
Muttersprache, deren selbst die massenhaft wohnenden Rumänen
kaum ein Drittel erreichen. Wollte man auch auf das magyarische
Skjthentum Gewicht legen, so finden wir es in jenen 83 ^Jo dieser
sechs Millionen, welches ausser dem Ungarischen keine andere
Sprache kennt.
Zu diesem staatenbildenden und zahlreichsten Elemente
kommt jedoch noch jene andere Million, welche unsere Sprache
spricht, sich in unsere sämmthchen Culturarbeiten teilt und die
geistige Kraft des Landes mitrepräsentirt. Hiemit wird die von
Paul Hunfalvt in seinem Buch «Die Ungarn» citirte Prophe*
zeiunfj; Pai l dt. Lfgardk's von selbst zu niclite, dass niimlich die
ungarische Nation zu Grunde gehen müsse, weil Nationen nur
durch geistige Kräfte jung erhalten oder wieder veijüngt werden
können. Sein Verneinen dieser Kräfte ist umsonst. Er sieht
ß(ylche nicht an der Arbeit bei den Turanern (zu welchen er auch
die Miigyaren zählt), weil er unsere Nation nicht kennt. Es ist
nicht notwendig, dass wir uns verjüngen ; denn — möge auch
unser Ursprung in prähistorische Jahrhunderte zurückreichen —
in Europa sind wir eine junge Nation. Mit der ganzen Kraft
jugendlicher Völker haben wir uns auf die Civilisation geworfen
und wer unsere Culturbestrebuiigen nur des letziverilossenen
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DIE ENT8TBBÜNG CBOATIXl».
139
Jahrhimderts kennt, wird zugeben müssen, dass, ob skytiscber
oder deutscher Muttersprache, all* ihre Bepräsentanten Ungarn
waren.
Unsere Intelligenis ist ungarisch, diese breitet sich aus und
mehrt sich und in ihr liegt die Sicherung unserer Zukunft.
Zwei Erscheinungen tauchen nun auf, welche innig mit ein-
ander zusammenhängen, und wtdehe auf die geographisclu n Ge-
staltungen im Südwesten Ungarns von bedeutendstem EiuÜuss
waren. Wir meinen die Verleihung von geographischen Namen
in Ländergebiete, denen diese Namen nicht gebühren, dann die
Yerwaltnng eines Drüteils des Landes durch königliche Ftinsen.
Die eratere Erscheinung stellt uns vor die Frage : wann ge-
Bchah es, dass das Gebiet zwischen der Kulpa und Save, dann das
Zwischenland der Save und Drave, nämlich die Comitate Agram,
Zagorien, VarasdundEörös (Kreutz) den Namen Slavonien erhielt.
Lange bevor Jakob Grimm in der deutschen Sprache das
Gesetz der Lautverschiebung entdeckte, litt Ungarns öffentliches
politisches Lehen unter einer Metamorphose, welche wir eine geo-
graphische Verschiebung nennen möchten, deren Seitenstück in
kdner Geschichte irgend einer anderen Nation sich findet.
Ein bedeutender slavischer Stamm erobert und besetzt die
Gestade des adriatischen Meeres, und nennt seine neue Heimat
■«*
8Iavonien, gleichzeitig nennt es diese seine Ursitze Dalmutien und
Croatien, indem es von dem Bechte des besitzergreifenden Volkes,
sein Land zu benennen, Gebrauch macht.
In der Mitte des XI IL Jahrliunderts wird das Land zwischen
der Kulpa und Save, dann das zwischen der Save und Drave, un-
gefähr bis zu den Gebirgen Bekan, Bilo, Gzeme Vrh und Papuk
Dr. Karl Kelkti.
DIE ENTSTEHUNG CBOATIENS.
V.
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140
DIE EMTSTBHUNO OBOATIBNB.
Slavoiiieu genannt, und dies Gebiet wurde in die Comitate Agram,
Zagoria, Varasd und Eörös eingeteilt.
Wieder vergehen Generationen» und die hier heschriebene
Provinz mit ihren vier Comitaten nimmt den Namen Groatien
an, — der Name Slavonien wird aber weiter geschoben, und auf
ein immitteibares imirarisches Gebiet übertragen, welcbes zwischen
den zwei Flüssen bis dahin sich erstreckti wo beide in die Donau
münden und die Comitate Yerdcze, Posega, Yalk6 und Syrmien
in sich schliessen.
Wir linden also die alten geographischen Namen noch immer
vor, aber diesen sind andere Begriffe unterschoben worden, und
werden auf ganz andere Gebiete angewendet. Es gilt das lateinische
Sprichwort: verba valent sicut nummi. Jedes Wort hat seine be-
stimmte Bedeutung und seinen bestimmten Wert, welcher so
lange gilt, bis der Gebrauch eben dieses Wort mit einem andern
Wert, einer andern Bedeutung in Circulation bringt.
Die Bewegung ging vom Westen aus nach dem Osten, tmd
Slavonien, welches ursprünglich an der adriatischen Küste sich
erstreckte, gelan«;te auf seiner Wanderung bis an die Tore von
Belgrad.
Das Zusammentreffen eigentümlicher Verhältnisse verur-
sachte diese wunderbaren Besultate ; wunderbar auch darin, dass
die Nation auch jetzt noch nicht die Wichtigkeit der Situation er-
kennt, für die Vergangenheit aber, dass dieselbe schöne Provinzen
verlor — ohne Schlacht.
£s ist meine Aufgabe» die Keime dieser Zustände zu erforschen.
Es war die unglücklichste Politik der Könige aus der Arp6dischen
Dynastie, dass man den königlichen Prinzen einzelne Landes-
teile zum Regieren gab, was immer geschah, so oft dt r König
einen Bruder oder mehrere Söhne hatte. Alte und neue Schrift-
steller haben nur verdammend über diese Politik sich geäussert.
Beginnen wir mit Emerich, dem Sohn Stefan des Heiligen, doch
nur, um die aus seinem Herzogstitel versuchten Folgerungen zu-
rückzuweisen. Emerich kommt in der Legende einfach als Herzoj?
(dux) vor, die Hildesheimer Annalen bemerken zum Jahre 1031,
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DIE ENTSTEHUNO CKOATIENS
Iii
dass er Dux Buizorum gewesen sei, der bei der Jagd von einem
Eber zerrissen wurde. Von dieser Mitteilung der gleiohzeiügen
Qaelle ist kein einziges Wort wahr, mit Ausnahme des Namens
Stefans des Heiligen. Der grösste Teil nnserer Schriftsteller, so
wie Pruy, verstehen unter dux Ruizorum einen «Herzog der
Russen», — doch aus welchen Gründen ? Andere meinen, Emerich
habe Slavonien administnrt, seit derselhe sich mit der Tochter des
eroatischen Königs Crescimir vermählte« Johann, der Arohidiaeon
von Gaerche, deteriorirte den ursprünglichen Text, nnd macht ans
Emerich einen dux Raizorum, was Engel für einen Herzog von
ßaacien erklärt, beifügend, dass Emerich gleidueiiig auch Herzog
von Groatien, d. h. dem damaligen Slavonien gewesen sei. Alles
dies sagt aher Engel nicht mit solcher Bestimmtheit, wie seine
Nachfolger Palngyai und Gyurikovics. Podhraczky endlich be-
hauptet, dass Emerich als dux Russorum die Provinz Moson i Wie-
selburg) im Besitz hatte, deren russische Bevölkerung die Grenzen
bewachte.
Wenn das Titelblatt des Agramer Missale Emerich den Hei-
ligen der Tradition gemäss Bnx Slavoniae, das heisst Heraog von
Slavonien nennt, so kann icli einer Aufzeiclniun«^ aus späterer
Zeit (das Missale ist nämlich aus dem Jahre 1536), als nämlich die
Benennung der südlichen Landesteile schon eine grosse Ver-
wimmg verriet, kerne derartige Wichtigkeit beilegen, wie Stefan
Horvdth, nnd kann weder dieses, noch sein anderes Datum, dass
nämlich in einer Urkunde vom Jahre l^di filii joha^'ionum
S. Begis de GoriczM * genannt werden, als Beweis dafür gelten
lassen, dass Stefan der Heilige das heutige Croatien besessen habe,
obgleich er es besass.
Emerich, als Herzog von Slavonien, diesen Namen in spä-
terem Sinne j^enoramen, <^äbe uns einen kräfti<]fen Beweis, dass
König Stefan I. auch zwischen der Drave und Save geherrscht
habe, doch wir bedürien eines solchen Beweises nichtv
So wird ii;uiilich eine vorm'liinc Cliisso von Ilui^,'iiiili/ou gt-naunt,
welche Stefan der Heilige mit besoudereu l'rivilegiuu auszeichuete. Goricza
liegt im heutigeu Croutien.
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DIE ENTSTEHUNG CBOATIEMS.
Nach Bela l. Tode (1063) überliessen seine Söhne Geza und
Ladislaus dem Salamon, in Anerkennung seiner Rechte auf die
Krone, das Land, sieb mit dem tDritteil des Landes» begnügend,
welches schon Andreas I. ihrem Vater als Herzogtum überlassen
b itte. Wir wissen aber nicht, woraus dieses Dritteil bestand. Josef
Podhraczky glaubt ohne genügenden Grund, dass Ladislaus der
Heilige das Land jenseits der Theiss als Herzogtum besessen
habe.
Als Ladislaus der Heilige Oroatien eroberte, setzte er dort
Seinen Jüngern Bruder zum Konig ein; doch dürfen wir es mit dem
Königstitel nicht so genau nehmen, denn die Chroniken verleihen
diesen gar oft einem solchen Herzog, der über bedeutende Macht
verfugt, dem jedoch der Königstitel übrigens nicht gebührt. Selbst
Lucius, der Anfangs von Almos als König spricht, sagt später selbst,
Almos sei nur Herzog gewesen, leider kann selbst das nicht be-
stimmt werden, in welchem Teile des Landes sein Herzogtum
lag. Seiner Combination nach sei dies jenseits der Donau zu suchen.
Der Begierungsbezirk Almos' ist daher ungewiss.
Gewiss ist indessen, dass zum Begierungsbezirk Almos* weder
Syrmien noch Posega gehörte. Dies geht aus der l^rkunde des
Köuigs Ladislaus des Heiligen vom Jahre 1095 hervor, mit welcher
er die Abtei von Tihany in ihren von Stefan dem Heiligen, so wie
den Königen Andreas und B61a erhaltenen Gütern bestätigt. Dieser
Abtei schenkt Herzog David (den König Andreas in seiner Urkunde
Bruder nennt, obgleich er dessen Sohn war) mit Einwilligung
Ladislaus des Heiligen das Herzogtum Posega sammt der Burg
Posegavar, dann Kö und Földvär, in deren Besitz König Ladislaus
der Heilige die Tihanyer Abtei ebenfalls bestätigt
Schon die Gesetze König Kolomans (L Decret §§. 9 — 1 S) unter-
siheiden den Pieu;ierungskreis des Königs von jenem des Herzogs;
doch das Gebiet des Letzteren hat keinen besonderen Namen.
Die im zwölften Jahrhunderte zuerst erwähnten Baue werden
noch nicht mit dem Namen der Provinz angeführt, welche ihrer
Administration untersteht. Eben so regiert laut einer Urkunde vom
Jährt' 1 103 Bela iL, Herzog Stefans Sohn, einen Teil des Zwischen-
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DIE ENTSTEHUNG CROATXENS
143
laades an der Drave und Save, aber es trägt noch keinen eigenen
Namen.
Der Frieden, welcher zwisclien Manuel dem ^a'iechischen
Kaiser und König Stefan III. gescblossen wurde, Ijestimmt unter
Anderem, das» Letzterer seinem Bruder Bela III. einen bestimmten
Teil des Landes (vielleicht Bosnien oder Syrmien) mit Erbrecht
überlassen möge, da er zu solchen Ansprüchen kraft Verfügung
seines Vaters berechtigt sei.
Wir sehen zu unserer Ueberraschung, dass zur Verteidigimg
dieses unglückseligen Begierungssystems auch schon eine auswar-
tige Macht die Waffen ergriff, — der beste Beweis von dessen
Scbftdlichkeit.
König Bela III. folgte der Tradition und iilK-rgah seinem
Sohne Emerich die Regierung von Dalmatien und Croatien, deni-
nseh das alte Croatien, nicht das zwischen der Save und Drave
gelegene neue Slavonien. Dies geht aus einer Urkunde Peters, Erz-
biscbofs von Spalato vom Jahre 1 1 1)4 hervor, womit dieser einen
Process der Tempelherren schlichtet.
König Emerich sagt es in einer Urkunde vom Jahre 1107 klar,
was unter dem Herzogtum der königlichen Prinzen zu verstehen
sei, anführend, dass sein Vater Bela, als derselbe noch das Her-
zogtum Slavonien fin dncatu Slavoniae) verwaltete, von einem
deutschen Edelmanne Albert von Micbovo viel Phiicu zu erdulden
hatte, indem dessen Besitzungen an die Comitate Podgoria und
Goritia des slavonisehen Herzogtums grenzten, in welche der-
selbe öfter einbrach. Goritia lag jenseits der Eulpa, zwischen
letzterem Flusse und der Korana, Jilso im alten Croatien ; Pod-
goria aber jenseits der Save, in der GpL^t ud von Jaszka, — also
schon näher zum heutigen Croatien. Im folgenden Jahre bestätigt
Andreas die Privilegien des Klosters von St. Cosmadamian bei
•Belgrad am Meere», an der «Grenze Dalmatiens.» Die hiebei er-
wähnten Zeugen waren siimmtlich Herren aus Alt-Croatien.
Uebrigens war es König Emerich selbst, der im vollen Masse
die Bitterkeit des Begierungssystems, welches den Königssöhnen
einen Dritteil des Landes hingab, zu kosten bekam.
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144
DIB ENmSaOHG CRDATIENS.
t
König Bela III. binterliess seiuem Sohne Andreas grosse
Schätze unter der Bedingung, dass er zur Befreiung des heiligen
Grabes eine Expedition unternehme. Andreas benütste diese
Schätze allerdings sur Ansammlung einer bewaffneten Macht, doch
verwendete er dieselbe nicht nach dem Wunsche Bela's. sondern
f^^egen seinen Bruder König Emerich, von dem er den Besitz von
Dalmatien und Croatien forderte. In Folge Intervention Papst
Innoeens IIL wurde im Jahre 1 198 der Friede zwischen den Brü-
dern hergestellt, welcher för Andreas günstig war, denn yon dieser
Zeit an, — besonders da er auch seine siegreichen Waffen durch
Kascien und Chulmien trug, ■ — wurde er Herzog von Dalmatien,
Croatien, Eama imd Chulmien (heute Herzegovina) genannt.
Trotz alledem erhob Herzog Andreas noch dreimal die Fahne
des Aufruhrs gegen seinen königlichen Brudeir.
Andreas IL, welcher im Jahre 1:205 den unj^arisehen Trou
bestieg, gedenkt retrospectiv noch oft seiner Lander aus der Zeit
seines herzoglichen Regiments, doch während er den Titel Dal-
matiae et Croatiae dux fuhrt, nennt er sein Herzogtum dennoch
Slavonien, ein Beweis, dass letzteres mit den im Titel enthaltenen
Landen identisch sei.
In seiner goldenen Bulle vom Jahre \'2'2'2 (§. iS) saixt König
Andreas IL, dass die Adeligen, nach Einholung seiner Bewilligung,
unbeanstandet zu seinem Sohne übergehen können, gleichsam vom
Grösseren zum Kleineren. — iWir werden deigenigen — sagt An-
dreas, — die unser Sohn in rechtlicher Weise yerurteilte, bei uns
keine Aufnahme gewähren, und auch den vor ihm anhängig ge-
machten Processen nicht, bevor dieselben nicht geschlichtet
wurden. Ebenso wenig wird dies unser Sohn tun.»
Das smd zahme Anfänge einer Teilung der Gewalt.
Wahrend der Begierung Andreas II. wurde sein Sohn B61a IV.
in öffentlichen Urkunden bald Erstgeborner des Königs, bald jün-
gerer König von Ungarn genannt. Ueber sein Herzogtum sprechen
nur zwei Documente in bestimmter Weise ; das erste ist vom
Jahre 1222 datirt, — ist daher auch der Zeit nach das erste —
nennt Ihn Sohn des Königs Ton Ungarn und Herzog von «ganz
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DIB EMT8TEH0N6 CB0ATIBN8.
14ft
SlaTomeni, worauf gleichsam als Erklnning dessen, was unter
>,';inz Slavonien zu verstehen sei, Andreas II. in einer Urkunde
vom Jahre H^G aussagt, dass sein Sohn Bela Gubemator von
Dalmatien ondCroatien gewesen sei. Ungeachtet dessen« dass Bela
sich in Sonstigen Urkunden jüngem König von Ungarn» oder Sohn
des Königs nennt, ist seine Verwaltung Dalmatiens und Croatiens
dennoch eine unl>estreitbare Tatsache. Als Herzog nuicht er im
Jahre l^üi Schenkungen an der Korana. Aus einer Urkunde des
Posegaer Capitels vom Jahre 1^79 geht hervor, dass B61a, der
8ohn Andreas IL, auch das Valkoer Gomitat regiert habe, indem
Bela zur Zeit seines Herzogtums dem Comes Paska das Dorf Borsod
im Valköer Comitate conferirte.
Der lateinisch schreibende croatische Historiker Kerchelich
ist der Meinung, Bela habe im (alten) Slavonien von li^'i bis I^ÜS
regiert Das ist aber ein Irrtum. Schon in der zweiten Hälfte des
Jahres 1936 nbergab Andreas II. seinem zweitgeborenen Sohne
Koloraan, die bisher von Bula administrirten Provinzen. Koloman
Uf nnt sich daher seit dieser Zeit : von Gottes Gnaden König der
Buthenen (d. h. von Galizien), und aus Liberalität meines glor-
reichen Vaters, Königs von Ungarn, Herzog von Dalmatien und
Groatien. — Kerchelich fehlt auch darin, dass er behauptet, die Vor-
gänger Kolomans hätten sich Herzoge von Dalmatien, Croatien und
Slavonien geschrieben, und dass demnach aucli die Baue den Titel
Ton «ganz Slavonien» führten. Hiefür gibt es kein Beispiel, und
vemi B^, der Erstgeborne Andreas IL, sich Herzog « von ganz Sla-
vonien t nennt, so bedeutet dies eben so viel, als wenn andere könig-
lich Prinzen sich Herzoge von I )alniatien und Croatien nennen oder
uemien lassen. Neben Dalmatien und CnmiiLn bestand davuiU noch
kein besonderes Stavonien, und wenn Urkunden in dieser Zeit ein
Slavonien oder ganz Slavonien erwähnen, so ist darunter das Land
der einstigen oroatischen Könige an der Adria zu verstehen, welches
bchon die Griechen als Slavonien kaiuiteu.
König Koloman regierte sein Herzogtum bis zum J. 1:210.
Lehrreich ist auch die von ihm geführte Titulatur. Papst Gregor IX.
nennt ihn im Jahre 1238 illustris dux Sclavorum ; Koloman selbst
OaiidMha B«Tm, tflSt, n. B«ft. «a
V
üiyitizcü by GoOgle
DIB EKT8TBHUKG CR0ATIBN8.
schreibt sich im Jahre li37 dux totius Sclavonifle, der Königs-
titel bezieht sich natürlich immer uuf Ruthenieu, d. h. G.ilizien,
und obgleich dieses nur ein Titel war, gebrauchte er oft bloß
diesen. — Unter ihm fongirte der Ban Jula ( 1 229 — 1 234), der ernte,
der sieh Ban von Slavonien, ja von ganz Slavonien nannte; seine
Vorgänger hiessen einfach nur Bane, ohne Beifügung eines
Provinznamens.
Den Anfang einer grossen Verwirrung kennzeichnet das
Jahr 1275. Die Sohlusszeilen der königlichen Privilegien bieten
nns hier fast nnanflösbare Bätsei. In einem wird Heinrich Ban
von ganz Slavonien genannt; in einem zweiten erscheinen Johann
nnd Nicolaus zusammen als Bane \ on ganz Slavonien ; wieder in
einem andern ist Johann allein Ban von ganz Slavonien, ja wir
finden sogar solche, wo Johann Ban von Slavonien, Nicolans aber
Ban vonDalmatien nndCroatien, oder Johann Ban von Slavonien,
Nicolaus aber Ban der Meeresküste, oder Johann Ban von fjanz Sla-
vonien. dennoch aber gleichzeitig Nicolaus Ban von Dalraatien und
Groatien genannt wird. Dass in demselben Jahre noch Tomas als
Ban von ganz Slavonien erscheint, ist nnr ein Besnltat des unter
Ladislaus IV. häufig vorkommenden Amtswechsels, und berührt un-
sere geographische Fra«4e gar nicht. Die eigenen Editionen der
Baue aus dieser Zeit geben el)enfaILs ein Abbild der obigen Zu-
stände. So nennt öicu Nicolaus Ban von iganz Croatien» und Dal-
matien, und Comes von Gecske.
Auch für «ganz Dalmatien» gibt es ein Beispiel, so wird
Kalan, Biscliof von Fünfkirchen, im Jahre 11 93 und später Guber-
nutor von ganz Dalmatien und Croatien genannt. (Die Italiener
gaben ihm d( n Titel duca.)
Solche Titel werden nm* des grösseren Nachdruckes wegen
gebraucht, denn wer würde wohl glauben, dass, weil Stefan der
Heilige im Jahre 10:25 den Titel totius üngariae Rex fuhrt, vor
ihm Jemand nur ül)er einen Teil Un^ranis ^'» iRiTScht habe?
Johann Bischof von Agram war im Jahre 143i2 oberster
Kanzler des römischen Reiches und ganz Ungarns (totius regni
Hungaris). Glaubt deshalb Jemand, dass üngam nicht ein*
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DIE ENT8TNHUNO CBOATIBM8.
147
heitlich gewesen sei 9 weniger einheitlich als Deutschland, welches
man römisches Kaiserreich nannte ?
Die Benennung ganz Slavonien hat nur dann einen Sinn,
wenn dadurch Dahnatien und Alt-Croatien zusammengefasst wird.
Ans diesen verwickelten Zuständen scheint nur so viel her-
Tonnleuchten, dass um diese Zeit sich die Meeresküste, dann der
wesUiche Teil des Zwischeuhmdes der Drave und Save durch
besondere Namen zu scheiden he^uinnen, — so, dass gleichwohl
der Name Slavonien sich nicht weiter, als über das Territorium
des heutigen Croatiens ausdehnen konnte.
Doch will ich diese Gedanken tdcht weiter verfolgen, und be-
i^mige mich darzustellen, wie durch die Hinausgabe eines Drit-
teils des Landes zur Verwaltung an <lie königlichen Prinzen ein
prindpielier Einüuss genommen wurde auf die Erstehung einer
SaTeprovinz.
Bei Uebergabe der Verwaltung Dalmatiens und Croatiens an
Koloman, übernahm Bela IV. selbst die Verwaltung der sieben-
bürgischen Landt'steilf ; und hier leistete se iie Ener^'ie uller-
«iifigs gute Dienste seinem gealterten Vater und dem Vater-
liiude.
Als Bela IV. nach diesen Präcedenzien den königlichen
Tron bestieg, entsendete er seinen jüngeren Sohn Bela mit dem
Herzogstitel zur Regierung Shivouiens, — und hier finden wir ihn
bereits im Jahre 12G1, während des Königs Erstgehorner nicht
nor Siebenbürgen, sondern auch die Landesteile an beiden Ufern
derTheiss regierte. Sein Titel war: Herzog von Siebenbürgen und
Herr der Cumanen. Auch er nannte sich jüngerer König von Un-
Jiarü, gleich wie einst sein Vater. Das Leben Stefans V. in der
Zeit seines Herzogtums beweist am Besten, welche Gefahr für
das Land in der territorialen Verteilung liegt, welche bisher zur
Beliiedigung der königlichen Prinzen in Gebrauch war. Das Land
halte zur selben Zeit zwei Könige mit zweierlei Hofhaltung, zwei
Heere, zweit rlt i Treue, je nachdem nämlich der Adel zu dem einen
oder dem andern König hielt. Beide Heere standen gar oft sich
(eindlich gegenüber. Schlachten wurden geliefert und es floss das
10*
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DIE ENTSTEHUNG CROATIENS,
0
Blat der Patrioten, — daim soliloss die Action eio Friede,
welcher den Keim neuer Unruhen in sich trug.
Die Erzbischöfe von Grnn und Kalocsa, der Ban von Sla-
vonien, der Schatzmeister dos alteren Königs, der Landesrichter
des jüngeren Königs und der Wojwode von Siebenbürgen erklären
in einem Urteile vom Jahre dass sie von „beiden Königen*'
als Richter entsendet worden, um über gewisse Besitzverhältnisse
des Marien-Nonnenklosters auf der Margareten- Insel zu urteilen.
Wir sehen also, dass hier das Ressort der beiden Könige gar nicht
getrennt ist. In derselben Zeit verwaltet ein anderer Sohn des
Königs das transdravanische Gebiet Ungarns.
Di"' Harmonie zwischen beiden Königen mag aber aiieh oft
wahrend des Friedens u'estort worden sein. Den Beweis gibt uns
das obige Jahr 1 i64. Denn, als Graf Ponit, mit dessen Partei-
steUung B^la IV. nicht zufrieden war, durch die königlichen Ge-
richte verurteilt wurde, erklärte Stefan (Y.) diese Urteile als
Gehässigkeit gegen seine Person. ;ninullii te und eassirte diesell)en.
und versprach dem Grafen Ponit, ihn in den Besitz aller seiner
Güter wieder einzusetzen, sobald er (Stefan V.) den Tron be-
steigen werde.
Bela's IV. jüngerer Sohn, Bela, nennt sich im Jahre 1266 und
15^68 von Gottes Gnaden HerzoLj von g:inz Siavonien. Dalniatien
und Croatien, welcher Titel meines Wissens in solcher Zusammen-
setzung, imd gebraucht von einer einzigen Person, hier zum ersten-
male vorkommt. B^la verwaltete das transdravanische Herzogtum
vom Jahre 1261 bis zum Jahre 1369.
Von den Tronfolgern war Ladislaus IV. kein H«*rzog von
Siavonien. bevor er die Ivroue trug, doch war dieses sein jüngerer
Bruder Andreas, den wir vom Jahre 1^74 — 1278 als Herzog von
Siavonien kennen. Der letzte König der arkadischen Djnastie
Andreas III. war 1278 Herzog von ganz Siavonien, Dalmatien und
Croatien, wir wissen aber nicht wie lange, weil uns hierüber alle
Daten fehlen.
Diese üebersicht schliesse ich damit, dass Andreas HL, als
im Lande mehr Buhe eintrat, seine Mutter Katarina Morosini
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DIE ENTSTEHUNG CROATIENH.
149
berief, welche im September 1201 in Traw landete, und von ihrem
königlichen Sohne zur Herzogin von Slavonien und Fürstin der
8e«kÜ8te emannt wurde (Dux SlavonisB et partium maritimarum
prinoeps). Mit wenig AbänderangheiBst de im Jahre 1295: dncisea
totiiis Slavonie et gubematrix Citra-Dannbialium partiuro nsqne
mare, oder im Jahre 1300 . . . uscjue maritima. Aus den citirten
Urkunden gebt hervor, dasß Katarina Morosini (Tomasina) die
Comitate Posega und Yalko regierte, doch der in ihrem Titel vor-
kommende Name Slavonien reichte noch nicht bis hieher, ebenso-
wenig, als Barnnya und die übrigen Comitate jenseits der Drau
SlsTonien hiessen, da diese nur der persönlichen Regierung Kata-
nnas unterstanden. Posega musste Tomasina in ähnlicher ^Vei8e
wie die Mutter Bela's IV. Maria besessen haben, oder wie andere
Königinen Bisztrics und Segusd besassen, welch' letzteres auch
Tomasina im Besitz hatte. Sie konnte auch das Yalkoer Comitat
durch Donation erhalten, so wie vor ihr Bela, der zweitgebome
Sohn Bela's IV.
Die herzogliche Würde kennzeichnete immer einen ausser- .
ordentlichen Zustand, eine Continuität bestand nur im Amte des
Banus. Wie die Herzoge, so gebrauchten auch die Bane bis zur Zeit
Bela's IV. den correcten Titel von ganz Slavonien, oder den gleich-
l't deutenden von Dalmatien und Croatien. Man muss nur niemals
vergessen^ dass man unter diesem allbekannten Namen damals
ganz andere Gebiete verstand, als der heutige Sprachgebrauch.
Die den dritten Teil Ungarns regierenden königlichen
Prinzen übten in ihrer, in territorialer Beziehung immer wech-
selnden Provinz heinahe königliehe Rechte aus : sie prägten Mün-
zen, ernannten Bischöfe, verliehen städtische Privilegien, adelten
einzelne (jetreue oder aucii ganze Classen, ja in älterer Zeit wurden
öffentliche Urkunden nicht allein mit dem königlichen, sondern
auch ihrem Siegel autentizirt. Die Stiftungsurkunde der Tihanyer
Abtei ( lO.'iö) wurde ausgestellt im neunten Jahre König Andreas' —
regnante . . . anno regni sui nouo, et cum eo nohilissimo duce
Behl; wovon der Sinn kein anderer, als dass damals Herzog Bela
der Mitregent Andreas I. gewesen.
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DIE ENTSTKULNti CJlOATIENb.
Die Könige beriefen eich um so lieber auf die Einwilligung
ihrer Söhne, wenn eine Begierungsverfögtmg sich auf das Terri-
torium ihres Herzogtums bezog.
Die königlichen Prinzen hatten eine der königlichen gjinz
ähnliche Hoflmltung. Am Schlüsse einer Urkunde Herzogs Bela
vom Jahre 1:^30 werden sein oberster Kanzler, sein Schatsmeister,
sein Truchsess» sein oberster Mundschenk und oberster Stallmeister
genannt. Sogar ein siebenbürgischer Wojwode Jula wird erwähnt,
weil Belli damals die siebenbürgischen Landesteile regierte. Im
Jahre Il'GO, als Bela noch nicht Herzog von Slavonien war, wird
Moys, Obergespan von Somogy und Varasd. Bela's Schatzmeister
genannt. König Bela IV. leistete dem Separatismus keinen ge-
ringen Vorschub dadurch, dass er im Jahre 1251 an die Seite
seines zwöiijahrigen S(>hnes einen eigenen Palatin und Landes-
richter ernannte. Es ist kaum nötig zu bemerken, dass die grossen
Vorrechte, welche die königlichen Prinzen im Lande zwischen der
Drave und Saye ausübten, nicht irgend einem Staatsrechte der
genannten Gegend entspraniren, sondern die Folge einer Faniilien-
politik des königlichen Hauses waren. Diese Vorrechte knüpften
sich an die Person des königlichen Prinzen, und wenn zwischen
der Drave und Save kein solcher regierte, sondern die Verwaltung
* in Händen des Bans lag, erloschen auch diese Vorrechte, und die
Verwaltung la wegte sich in gewolmten Geleisen. Tnter dem «Drit-
teil des Landes» musste man nicht notwendiger Weise das alte
Slavonien oder dessen Nebenländer verstehen, denn die geschicht-
lichen Ereignisse nahmen oft einen Verlauf, dass es wahrscheinlich
wurde, es werde künftig Siebenbürgen jene Provinz sein, welche
als iiMiches Dritteil den Herzogen aus königlichem Ge])liite
hinausgegehen werden soll, natürlich noch erweitert mit einigen
Nachbar-Comitaten, denn das Drittheil wurde gewiss nicht mit
mathematischer Genauigkeit verstanden.
Diese FamilienpoHtik war nicht nur eine fehlerhafte, sondern
auch schädlich, weil dit^ Wirksamkeit der königlichen Prinzen
zwischen der Drave und Save unwillkürlich Separatist isclie Ideen
reifte. Es konnte nicht vermieden werden, dass ein Teil des
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DIE ENTSTEHUNG CROATIENB.
151
grossen * Ansehens, welches die Prinzen in ihrem Gehiete ge-
nossen, als Erbschaft auf die Bane übergehe und diesen ver-
bleibe» wenn Herzoge anch nicht mehr an der Spitze simden.
Unter dem Glauze des Herzor^tums wuchs auch dns Territorium
seines Landes, denn das, worauf die Croateu als Volk, welches in
der Nähe der Adria wohnte and von König Koloman an Ungarn
geschlossen wurde, keinen Ansixrach erheben konnten, wurde von
der Familienpolitik dem königlichen Prinzen anstandslos be-
will iirt, — mit dem Wachstum des herzoglichen Landes wuchs
aber auch jene Provinz, welche, einen fremden Namen usurpirend,
unter dieser Firma, vielleicht unbewusst und absichtslos, im Staate
eine Sonderstellung einzunehmen begann.
Dass in diesem Zeitalter die pereönliche Politik, wenigstens
in der vorlie<^endeu Frage mass^ehend gewesen sei, geht schon
daraus hervor, dass das Land zwischen der Drave und Save bald
ducatus (Herzogtum) bald Banat genannt wurde, je nachdem ein
Herzog oder ein Ban an der Spitze der Verwaltung stand ; und
wenn Papst Urban im Jahre 1264 schreibt, dass Posega im Her-
zogtum Slavonien liege, so kann das nur so verstanden werden, dass
Herzog ßela, des Königs Zweitgeboruer, dieses Comitat als zu
seinem persönlichen Gebiete gehörig betrachtete, weshalb auch
der PApst intervenirte, dass die Königin aus dem Besitz von
Posega nicht verdrangt werden möge.
König Koloman, Herzog von Slavonien, verleiht den Gästen
von ValKoviir Privilegien, ohne Valko zu Slavonien zu zahlen.
Solcher Beispiele gibt es zahlreiche, auch aus dem heutigen croa-
tiachen Lande. Im XUI. und XIV. Jahrhundert sprach man in der
Regel nur von jenseits der Drave gelegenen Landen und von
transdravanischen Comitaten, — ein Provinzname war hier noch
ungebmuchlich.
Namentlich Posega war damals noch ungarisches Comitat und
gehörte nicht zu Slavonien. Die Bichtigkeit dieser Auffassung wird
auch durch den Umstand bestätigt, dass Herzog B^la gleichzeitig
die Oomitate Baranya, Valkö, Soniogj^ und Zala zu seinem slavo-
nischen Herzogtum zälilt (adducatum suum Slavouiie pertiuentia);
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152
DIE ENTSTEHUNG CR0ATIEN8.
WO doch vernünftiger Weise Niemand behaupten kann, dass die
genannten Comitate Teile Slavoniens gewesen wären, obgleich das
herzogliche ßefriment sich jukI] auf diese erstreckte, denn diese
waren nichts anderes als Behi's de« sl.ivoniöcheii Herzof^s Privut-
besitznngen, sowie dessen Vater Pressbnig und Neutra durch Do-
nation besass.
Alles was bisher über das herzogliche Dritteil gesa^ wurde,
wird durch König Andreas III. im Jahre 1299 hei Gelecrenheit dessen
bestätigt, als er seinen Onkel Herzog Albert Morosini für den Fall
an Sohnes statt mit dem Erbrecht auf den Tron annimmt, wenn
dem König kein Sohn geboren werden sollte, sonst aber immer mit
dem Bange nach dem köni^dichen Prinzen. Andreas III. behandelte
ihn bereits als Tronfol^^ r und ^,Mib ihm das Herzogtntn Slavonien,
welches die «erste Würde des Königssohnes ist» und die erbliche
Würde der Posegaer Obergespanschaft, bemerkend, dass diese sum
Besitzrecht des Königs oder der Königin gehöre. Dieses Comitat
war daher nicht Slavonien und hing mit diesem nur durch die
Person des Herzot^s zusammen.
Die berzogiichen Besitztümer, deren es in verschiedenen Teilen
Ungarns g.ib und die ihnen als Appanage dienen sollten, hatten
die Natur des Eigentums und konnten, wie es scheint, vom König
nicht unbedingt conferirt werden. *
Jenseits derDrave bt- sassen die Herzoge das Land auf Lebens-
dauer, oder richtiger gesagt auf Begierungsdauer als Eigentum,
und hieraus wird erklärlich, dass, alsBelalV.im Jahre 1265 das in
Zagorien liegende Ujudvar dem Ban Boland verlieh, er bei dieser
Gelegenheit auf die Einwilligung seines Sohnes Herzog Bela
Bezug nimmt.
Die herzogliche Administration hatte auch andere sonderbare
Consequenzen, wie z. B. dass der Herzog irgend welche königliche
Privilegien bestätigt, ja sogar erweitert, wenn diese auf Territorien
sich beziehen, welche in seinen Wirkungskreis fit b n. So tat Herzopj
Bela im Jahre iiij^ in Bezu^' des von seinem Vater Bela IV. den
Iharos-Berenyem verliehenen Freibriefes; weil das Somogyef Co-
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DIE ENTSTEHUNG CROATIEN8.
mitat, in weichem Ibaros-Berenv liegt, zum W-rwaltirngsj^ebiet des
Herzof^s <:ehärte.
Die hier geschilderten VerbaltnisBe iiind allerdings selbst von
emheimischen ScbriftetcUem nicht begriffen und nicht beleuchtet *
worden, es nimmt uns daher keineswegs Wunder, wenn ein dentschf r
Gescliichtsfbreiber dem Verständniss derselben ferne <?eblieben i^t.
Ottokar Lorenz (Deutscbe Gescbiebte im XIII. imd XIV. Jahr-
hundert, I., 187) sagt hierüber : «Da die Magnaten immer grösseren
EmfloBs auf die Erbfolge erlangten, hatte schon Andreas II. und
nnn Bela diesen Weg betreten, der im Gmnde nur eine freilich
zit mlieb unpassende Nacbalnnnnt^ (b^s deutschen Gebrauchs der
Wahl der K'^niif beim Leben dei Kaiser gewesen ist. . . Die Sache
hängt mit den Wahlagitationen zusammen und verdient eine ge-
nauere TJntersnchung.i
Das XIII. Jahrhundert wollte, wie es scheint, die mit der her-
zoglichen Wurde verbundenen Vorteik- niclit mehr ausscliliesslich
von der viiterbchen Gnade erwarten. Stefan V. erwähnt bereits her-
EQgliche Bechte, und damit er das Becht» weiches setner Ansicht
nach seine Vorgänger, die königlichen Erstgebomen, feststellten,
zur Geltung bringe, erhob er die Waffen gegen seinen eigenen
Vater.
Die Gesetze und die von 126^ bis 1 267 zwischen Bela IV. und
seinem Sohne Stefan geschlossenen Friedensverträge beweisen,
dasB die von ihnen regierten Landesteile tatsächlich von einander
unabhängig waren. Seit Andreas II. hat also der Separatismus
mächtige Fortschritte gemacht.
Stefan V. bekam als Erstgeborner nicht die Administration
des Landes zwischen der Drave und Save, sondern Siebenbürgen
and das Gebiet jenseits der Donau, doch konnten die seinerseits
erwähnten herzoglichen Rechte auch von seinen Vorgängern in
Anspruch <:enommen werden, welche nicht die Gegend an der
Theiss. sondern jene an der Save regierten, und da hier mehrCon-
tinuität bestand, so führte das persönliche Recht der Herzoge in
seinen Consequensen zur Lockerung des Verbandes mit diesem
Landesteile.
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154
*
DIE BNT8TBHUNO CBOATIBNS.
VI.
Ungeachtet der später entstandenen Verwirrimg blieben noch
mächtige Denkmäler dessen übrig, dass zwischen dem ungarischen
und dem alten croatisch-dalmatinisehen Boden ein bedeutender
Unterschied sei. Die Meister der Tempelheriren und Johanniter be-
eassen ihr Amt stets per Himgariiim et Slavoiiiam ; und das ist
die richtigste Auffassung der Situation. Diese Kitterorden, obgleich
ihr Hauptsitz Dalmatien und das Littorale oder das eroatische
Grenzgebiet war, bezeichneten diese letzteren Gebiete als 81a-
vonien. Selbst im XIV. Jahrhundert ging die Kenntniss dessen noch
nicht verloren, dass die Conütate Agram, Varasd, Körös (Krmtz).
mitverstanden das aus diesem exscindirte Belovar und die Militär-
grenze, ursprünglich ein unmittelbar ungarisches Territorium waren.
Der Meister der Johanniter, Filipp von Granana, schreibt sich im
Jahre 1 324 Prior von Ungarn und gebraucht nicht die gewöhnliche
Formel : per Hungariam et Slavoniam prior, — in demselben
Geiste schreibt derselbe dann fortsetzungsweise, er sei in gewisse
Gegenden Ungarns, insbesondere in die Agramer Diöcese gekom-
men, um seine pflichtmässigen Functionen auszuüben.
Bis zum Ende des XV. Jahrhunderts ward in der könißUchen
Titulatur eine solche Keihenfolge beobachtet, dass nach l'ngnrn
der Name D.ilmatiens, dann jener Croatiens folge, — Slavunien
kommt niemals vor, obgleich die königlichen Urkunden Slavonien
in einem oder dem anderen Sume und die slavonischen Baue nn-
zähUgemal erwähnen. Nur König Mathias setzt den Namen Böh-
mens zwischen jenen Ungarns und Dalmatiens, als er auch König
von Böhmen wurde.
Kann das wohl ein Zufall sein, was sich Jahrhunderte hin-
durch als consequenter Gebrauch darstellt?
Slavonien, mögen wir darunter was immer verstehen, wird
bald (hicatus. bald banatus geoannt^ üudet aber im köuiglichen
Titel keinen Platz. Dass Bela IV. im Jahre und Ladislaus IV.
im Jahre 1^74 nebst vielen anderen Titeln auch jenen des Bez
Slavonitt führen, ist ein ausnahmsweiser Fall, dessen Ursache
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DIE ENTSTEHUNG CROaTIBNS.
1Ö5
noch Niemand zu erklären >ni8ste. Zwar teilt Endlieber den Frei*
brief Bela's lY. an die Iliuros-Berenver vom Jahre 1 i^Gl dt rart mit,
als würde unter den köiii^licben Titeln aucli der Rex Slavouia?
vorkommen, allein der Text enthält hier offenbar einen Fehler,
statt Bex Servi».
Doch die Ansnahme bestätigt ja noch mehr die mehrhundert-
jahrige GepHo^^enbeit. Ladislaus IV. spricht einigemal (1277) von
einem Regnum Slavoniffi, doch dies bedeutet hier eben so w eni^;
Königtam, als wenn von Begnnm Transüyaniip die Bede ist. Selbst
Ladislaus IV. nennt sich in seinen Urkunden nicht König von Sla-
Tonien. Auch König Sigmund gebraucht zuweilen das Wort regnum
Slavonite.
üebrigens muss ich bemerken, daas der Text der citirten zwei
königlichen Urkunden nicht über allen Verdacht erhaben ist. In
der Urkunde Bela's lY. Tom Jahre nämlich folgen die könig-
liehen Titel solcherweise: Hungariflp, Dalmati», Oroatie, Slayoniflp,
Servia-, Gallicia , Lodomeriu- et Cumanin' l^ x. Es ist bi< r auffallend,
daas Bela IV. sich hier König von Rama zu nennen verf^isst. Der
Name Slavoniens steht gerade an jener Stelle, wo sonst der Name
Bamas zu stehen pflegt, welcher in dem Titel während dieses Zeit-
alters immer gebraucht wird. Üebrigens kennen wir auch das Ori-
pnal dieser Urkunde nicht, sondern nur ein Trausciipt derselben
aus dem Jahre 1409. In der Urkunde Ladislaus' IV. vom Jahre 1 274
kommen zwar Bama und Serbien unter den Titeln yor ; doch ab-
gesehen davon, dass wir die Originalurkunde, ja selbst deren
Fundort nicht kennen, sondern nur eine Abschrift HcTenesj's, so
ist es auffallend, dass der Name Slavonieiis zwischen dem Dalma-
tiens und Croatieus vorkommt, während doch nach diplomatischem
Gebrauch Jahrhunderte hindurch dem Namen Ungarns immer jener
Dalmatiens und Croatiens folgte, und als im XV. Jahrhundert auch
der Titel Blavoniens in Aufnahme kam, dieser in der Beihenfolg(>
nach jenem Croatieus zu stehen kam. Als die KönijxeT'ii^.irns auch
K(»uige von Böhmen waren (Albert, Ladislaus V., Mathias, Wladis-
law IL, Ludwig II. etc.), ging der Name Böhmens in der Titulatur
jenem Dalmatiens voran. So war es, dass zur Zeit Ludwig's des
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15«
DIE ENTSTEHUMO 0R0ATICN9.
Grosht'ii und Wladisl.iw I. iUt konii^liche Titel Polens zwiscbtn
jenen Uupirns und l);ilniatiens zu stehen kam. Ludwig der Grosse
nannte sich im Jtibre U51 auch König von Jerusalem ondSicilien,
deren Beihenfolge nach dem Titel Ungarns und vor jenem Dalma-
tiens erscheint. Als Sigmund und Albert römische Könige wurden,
kam dieser Titel noch vor jenem Un^^anis zu stehen, die ührige
Beihenfolge der Titel hlieb unverändert. Bulgarien schloss den
Beigen und folgte erst nach Cumanien (Moldau- Walachei).
Einer der vollständigsten Titel Köm'gs Mathias ist jener, den
er im Jahre 1465 gebraucht, — darin ist keine Spur des König-
reichs Slavouien. Wir mii.^sen l>is Wladislaus II. hinaufsteigen, uiu
den slavonibchen Köuigstitel zu linden, und dieser erscheint aller-
dings im Reichstagsahschied vom Jahre 149^; doch war auch dies
nur eine flüchtige Erscheinung, die alsbald aus dem diplomatischen
Leben verschwand. Die Geschichte kennt keinen König von Slavo-
nien, Wladislaw IL wollte also mit diesem Titel nur seiner Souve-
ränität über Johann Corvin Ausdruck gelx n, dem er Syrmien und
das heute so<;t nannte Slavonie^n und Croatien als Herzogtum über-
gab. Selbst Wladislaw II. gebraucht den slavonischen Königstitel
nicht» als er im Jahre 1 496 für Slavonien ein besonderes Wappen —
laufende Marder im rothen Felde zwischen zwei horizontalen sil-
hernen Flüssen — concedirte. Die hier erwähnten Titel erscheinen
erst auf den Lünzen König Mathias' II., die königlichen Siegel
führen diese erst unter Ludwig II. Den slavonischen Königstitel
finden wir nicht unter jenen Johann Zäpolyai's und Isabella's, ja
selbst unter denen Johannis II. nicht. Selbst Ferdinand I, enthielt
sich Anfangs desselhen und ^ebrauelit diesen erst Mitte des Jahres
15:27, nicht ohne ihn noch öfter fallen zu lassen.
Die Beichstagsdecrete übergehen in der Hegel den slavonischen
Königstitel, mit Ausnahme jener aus den Jahren 1546, 1548» 1560
und 1653. Endlich kommt der Titel Slavonien s — in der Bedeutung
des ethnographisch ganz fälschlich henannten Totorszög — immer
mehr in Aufnahme, um die Titel der Herrscher aus österreichischer
Dynastie noch mit einem zu vermehren.
Ladislaus Szalay hat in gewisser Beziehung Recht» wenn er
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DIE ENTSTEHUNG CROATIENS.
157
schreibt, dass, nachdem der zwischen derDrave und Save gelegene
Teil des heutigen Groatiens im ersten Jahrhundert des ungarischen
Reiches unmittelbar zu Ungarn gehörte, der Name Slavonien, wel-
chen das benannte Gebiet Jahrhunderte hindurch (doch — wie ich
beifügen muss — nicht nrsprüncjheh) tru^. nur einen nationalen,
nicht aber einen staatUchen Sinn hatte. Doch hätte die Stainm-
yerwandtschaft, auf welche der gefeierte Geschichtschreiber an-
spielt, ohne die partielle Begierungsgewalt , welche durch die
königlichen Prinzen ausgeübt wurde, es nimmermehr bewirken
können, dass hier sich eine Provinz mit immer zunehmender
Autonomie entwickle, el»ensowenig als die Stamm Verwandtschaft
in den Gomitaten unterhalb der Karpathen ein Tötorszäg (SlaTo-
nien) gründen konnte. Ohne die Gontinuität der Eegierung könig-
licher Prinzen hätte der Name Slavonien nur zur Bezeichnung
(-ines Gebietes von unliestimmten Grenzen gedient,- sowie man
einst Teile des Zalaer und Eisenburger (' >init.its Totsäg, Sjrmiens
gewisse Theüe Bascien nannte, nach der Abstammung der be-
treffenden Bewohner. Auch die Groaten wissen es, dass die in
ihrem Bereiche liegende i Kleine Walachei» nicht eine Provinz
bedeutet.
£s ist kaum zu glauben, dass es die Absicht König Koloman's
und seiner Nachfolger gewesen sei, dass zwischen der Drave und
Sa?e während ihrer Herrschaft neue Königreiche entstehen sollen.
Koloman Hess sich im Jahre 110^ zu Bio^äd zum Köm^ von
Croatien krönen, — dies liatte Sinn fur das jenseits der Kulpa
liegende alte Croatien, doch liatte die Krönung keinen Sinn gehabt
für die Gegend zwischen der Drave und Save, welche sozusagen
erst in unseren Tagen den Namen Groatien angenommen hat. Es
ist ein bedeutungsvoller Umstand, dass die ungarische Diplomatik
das alte Croatien Jahrluindorte hinduroll immer Croatien naiintc,
während sie das Zwischenland dt-r Drave un*! Save, nach der Ana-
logie der partes transilvauit als Teile jenseits der Drave bezeich-
nete. Städte, Flecken und Besitzungen dieser Gegenden wurden
entweder mit oder ohne Bezeichnung des Gomitats, in welchem
dieselben liegen, namhaft gemacht, sonst aber nur mit dem Zu-
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158
DIB ENtSTEHUNO CB0ATIEN8.
satze, dass dieses transdravanische Teile siud, — ein Proviuznaine
wurde nicht gebrauchti da eben der transdravanische Teil Ungarns
keine Provinz war.
Bevor die Verwirrungen des XVm. Jahrhunderts um sich
griffen, imtersehied die Diplomutik sehr scharf die transdravaiii-
ßchen Teile von Croatien. So Behl IV. im Jahre 1 :250. Er schenkt
dem Alexander Agari das Neutraer Dorf Säg und hebt dessen treue
Dienste hervor, welche er nach Abzug der Tartaren in den Teilen
jenseits der Drave und in Croatien leistete.
Der slavouische Bau Mikes niv^t in seiner aus Koros (Krentz)
vom Jahre 1326 datirten Urkunde, dass er mit hewaffneter Macht
in Croatien euibrechen wollte, um die dortigen Rebellen zur Treue
für den König zurückzuführen, dort aber eine Niederlage erlitten
habe. Wenn der Ban sich in Eörös auf eroatischem Boden gefühlt
hätte, so wäre seine obige Darstelhuig sinnlos und unverständlich.
Die ungarische Nation führte die ihr eigentumliche Institution
der Comitatsverfassung in allen jenen Provinzen ein, die sie ihrem
Lande einverleibte. Wir haben es an anderer Stelle bewiesen, dass
es jenseits der Unna, im nördlichen Teile des heutigen Bosniens,
gleichfalls solche Comitate gab, nämlich die Comitate Zana und
Orbäsz. Im alten Croatien, welches westlich der Unna liegt, fasste
das Comitatswesen niemals Wurzel und gelangte nie zur Entwick-
lung; die dort befindlichen und in unseren Urkunden erwähnten
Comitate sind eigenthch Zsupanate, deren staatsrechtliches Wesen
ein ganz verschiedenes ist von jenem der ungarischen Comitate ;
ebenso gewiss ist es, dass Zsupanate ausserhalb des altcroatischen
Territoriums nicht vorkommen.
Alles dies in Betracht gezogen, kann man ohne Voreingenom-
menheit l>eluiupten, dass das unmittelbare Besitztum Ungarns so
weit reichte, als die Einrichtung der Comitatsverfassung reichte,
und dass in dieser Beziehung neuere Zustände auch die Frage
der alten Landesgrenzen erklären können.
Hieraus folgt, dass, als König Eoloman Dalmatien erobert«,
er bei diesem Auhiss das Gebiet zwisehen der Unna und Verbasz
unmittelbar in Ungarn einverleibte, im alten Slavonien (d. h. in
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DIE ENTSTEHUNO CBOATIENS.
159
Dulmatit-u und Croatieu) die Zsupunate belassend, wtlrhf mit
einiger Veränderung, ohne sich jedoch zu Comitatsmunicipien zu
«ntwiekeln, bis snm beutigen Tage sieb erbielten.
Allerdings wird das Land swiseben der Unna und Verbasz, in
welchem wir zwei j^anze Comitate und ein anderes kennen, welches
sich an heiden Ufern der Save erstreckt (Dubicza), in unseren
GeschichtsquelU n auch Ünter-Slavonien gentinnt, doch stammt
dieser Name des Landes aus jener Zeit, wo die linkuferigen Teile
der Unna und Save (Agram, Kdrös, Varasd) bereits Slavonien
genannt wurden ; nur mit Bezuf:; auf diesen Umstand konnte man
die diesst iti<^('n Teile (Zana, Orbasz und die Hälfte von Dubicza)
Ünter-Slavonien nennen.
Später erbielt aucb der Name Unter-Slavonien eine andere
Verwendung. Der 118. Gesetzartikel des Jabres 1715 ordnet näm-
Kch die Wiedereinverleibung Ünter-Slavoniens an. Unter diesem
Xiimen kann iiuturlicli nicht da;^ einstige Comitutsterritorium von
Zana, Orbasz und Dubicza verstanden werden, weil derzeit das
heutige Bosnien schon in türkischen Händen sieb befand. Gyuri-
kovics meint, das citirte Gesetz babe unter Unter-Slavonien den
radlicben Teil des Eöröser Comitats und den transsayaniRehen
Teil des Agramer Comitats verstanden, welcher unter der Gratzer
Kammer und dem Karlstiidter Generalat stand. Doch musste der
Name Unter-Slavonien eine weitgreifendere Bedeutung haben,
denn es wird im oitirten Gtesetz die Wiedereinverleibung Unter-
Slavoniens tsammt allen darin liegenden Comitaten» anbefohlen,
und der "jO. Gesetzartikel vom Jahre 1741 wiederholt das Verhin-
gen der Wiedereinverleibung mit dem Beisatze, dass Unter-Slavo-
nien der Jurisdiction des Bans unterstellt und dabin Obergespäne
ernannt werden sollen. Hier kann also von einzelnen Gomitats-
Bestandteilen nicht die Bede sein.
Der IS. Gesetzartikel vom Jahre 171-1 spricht von Unter-
Slavonien und ausserdem noch von öyrmien, woraus erhellt, dass
das damalige Untt-r-Slavonien mit dem beutigen Slavonien nichts
gemein hatte. Doch verrieten die Stände bereits, dass sie nicht
wissen, was sie wollen.
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1<X)
DIB ENTSTEHUKG CB0ATIEN8.
Damals schwaakte übrigens noch sehr der Begriff über
L atf r-81uvouieu, von welchem jedenfalls gewiss ist, dass derselbe
nicht in seiner nrsprüngliohen Heimat Bosnien verblieb, wo wir
diesen Namen bereits im XIII. Jahrhundert finden.
Der 59. Gesetzartikel vom Jahre 1790/91 nennt die Gomitate
Agram, Körös und Varasd Ober-Slaronien.
Wenn wir oben sagen konnten, das alte Groatien sei oft, mit
Inbegriff Dalmatiens, Slavonien genannt worden, so ist es ein
Beweis der Zähigkeit dieses Namens, dass er seine Bedeutung
jiiicli noch in viel späteren Zeiten beibehielt, ja soirar neuere Ge-
biete eroberte. Unsere Gesetze des XVI. und XVII. Jahrhundert«
sprechen sehr häufig von Slavonien (verstehe Agram und die
gleich sitttirten Gomitate), während unter diesem Namen Alt-
Groatien verstanden wird, und dies geschieht in einer Zeit, in
Nvelclier im Titel des Bans die Nauun Dalmatien, Groatien und
Slavonien vorkommen, die Baue selbst aber im diplomatischen
Verkehr nur einfach slavonische Baue genannt werden.
Der Beichstag vom Jahre 1537 (50. Gesetzartikel) verfügt über
die Ernennung eines Bans von Slavonien, versteht aber einen Ban
Von Dalmatien. Groatien und Slavonien. Bei einer anderen Gele-
LT^^nheit trilit derselbe Anordnungen über das Dreissigstwesen in
blavonien, — ohne dass Groatien besonders ermähnt würde, denn
letzteres ist ja im Namen Slavonien inbegriffen. Der Gesetzartikel
'iir vom Jahre 1563 betrifft das slavonische Gerichtsverfahren:
dt-r !0. vom Jahre 101)9 und der 9. vom Jahre KilH das slavo-
nische Steut-rwesen ; der 45. vom Jalire 1">95, der 33. vom Jahre
1598 und andere handeUi von der Verteidigung Slavoniens, in
allen diesen Gesetzen ist auch über das heutige Groatien kraft der
Benennung Slavonien verfügt worden, üeberhaupt wird das alte
Groatien unter diesem Namen über die Mitte des XVI. Jahrhun-
derts hinaus in unseren Gesetzen kaum mehr erwähnt.
Es sind auch Beispiele dafür, dass eben dieses Alt-Groaüen
auch Groatien genannt wird. Der 32. Gesetzartikel vom Jahre
1590 erwähnt, dass Georg Zrinyi's Bur^^^en : Grobnik, Bakar
(Buccari) und Hreliu iu Dalmatien liegen, gleichsam, als wtae
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DIE ENTÖTEHÜNO CBOATIENS. lÖl
das alte Uebergewicht Dalmatiens über Groatien neuerdings
entanden.
Nach der TartareninTasion begann man den Namen Slavonien
im einf^escbränkteren Sinne zu gebrauchen. Damals wendet man
auf den westlichen Teil des Zwischenlandes der Drave und Save
den Namen Slavonien an, ein Gebiet, welches im XIX. Jahrbun*
dert ganz irrig, geschichts- und rechtswidrig den Namen Croatiena
tragt Die Zahl der Urkunden, welche dies beweisen, ist beinahe
Qoerschöpflieh. Ans den vielen entnehmen wir für mageren Zweck
nur so viel, dass von den Comitaten Vanisd im Jahre 1251 und
1258, Agram im Jahre 1249 und 1537, Koros im Jahre 1214,
Zagoria im Jahre 1258, der District Marocza im Jahre 1279, Ber-
sencse im Jahre 1517, von den Bargen nnd Festungen Nagy-Eemlek
im Jahre 1283, Appnröcz im Jahre 1523 — 15^7, Szomobor im
Jahre 1550, Petriuia im Jalire 150G, 15*.»7, 1601, Kaproneza im
Jahre 1575, Belovar im Jahre 1G50 als in Slavonien liegend be-
idebnet werden, und in dieser Weise hält sich der diplomatische
Gebrauch von der Mitte des XIII. bis in die Mitte des XVIII.
Jahrhunderts.
Als die Landesgrenze gegen Steiermark eine Berichtigung
erheischte, sprechen unsere Gesetze des XVIII. Jahrhunderts von
Slavonien als an Steiermark grenzend. Dies kann doch nicht das
Slavonien an der Drave- nnd Savemündang sein ! Der 4. Gesetz-
artikel vom Jahre 1813 fand bereits veränderte Verhältnisse vor
und konnte demnach schon von Croatien sprechen, als von
einem Lande, welches an Stei»-rrnark grenzt.
Dem gesammten Landesteil zwischen der Drave und öave
gebührt nach dem Zengniss der Geschichte nicht die Bezeichnung
Regnnm (orsz&g, Land), weil man ' voraussetzen mnss, dass ein
rnnf angreich eres Gebiet erst dann Regnum (Königreich ) genannt
werden kann, wenn es von eigenen Königen regiert wurde, was
aber im Gebiete zwischen den zwei Flüssen niemals der Fall war.
Der Titel rex Croatie hatte wenigstens im alten Groatien jenseits
'i der Kxdpa seine Berechtigung, der Titel rex Slavoniae aber hatte
eine solche nirgends und niemals, weil dieser nur zu Ende des
Uii«gri«ch» Rani« Ifäii II. BUt- H
i^iyiii^uü Uy Google
DIE ENTSTEHUNO CR0ATIEN8.
XV. Jahrhunderts in Folge der oben geschilderten Verhältnisse
aufkam nnd einem WasserschiiBB am Obstbäume gleicht. Wenn
das Zwischenland der Drave und Save nioht ein wirklicher, direeter
Teil Ungarns, eondem nur eine eroberte Provinz gewesen wäre,
wie das alte Croatien, die Könipe Unfrarns hätten nicht gesäumt,
den betreffenden Titel unter die Zahl ihrer übrigen aufzunehmen;
aber es geschah anders : das Zwischenland der beiden Flüsse hiess
nor partes trans Dravante, oder partes slavonic».
Noch im Laufe des XVIII. Jahrhunderts biees das Agramer
Comitat mit den pleichsituirten anderen bis zur Kulpa Slavonien.
Dies ist eine derart jeden Zweif« ! ausschliessende Tatsache, dass
man es für ein Vergehen ge^^^en den guten Geschmack ansehen
müsste, diese Wahrheit fortwährend beweisen zu wollen, gäbe es
nicht begrifbstätsige Politiker und sogenannte Staatsmänner, die
niemals lernen. Auf Tausende belaufen sich die Urkunden, aus
welchen man sich hierüber die l'eberzeiij[?ung verschaffen kann :
die literarischen Werke, welche sich mit dieser Frage befassten,
bilden bereits eine ansehnliche Bibliotek; Gesetze nnd KeicÜs-
tagsverbandlungen erteilen dieser Lehre die höchste Autorität
Wo all dies nicht hinreicht, dort hat sieh jedenfalls die Bevolation
gegen die Vernunft und pejien alles Hecht eingenistet.
Es war nicht meine Absieht und habe ich auch vermieden
Alles zu wiederholen, was Josef Podhraczky, Georg GyurikoTics
und Emerich Palugyai in selbständigen Werken über die geogra-
])hi8chen und staatsrechtlichen Verhältnisse der Landesteile an
der Save veröfft iitlicliteii, — ieh wollte vielmehr die hocliwichtipfe
und eine bedeutende practische Tnig weite besitzende Frage von
einer neuen Seite und mit neuen Daten illustriren, eine Aufgabe,
welche leider heute weniger überflüssig ist, als sie es jemals ge-
wesen ist.
Wer nur die Wahrheit und nichts als diese sucht, wird sich
auch mit wenii^'t r lieweisführuu^en be^mügen ; — wer aber andere
Tendenzen hat. dem führen wir vergeblich die triftigsten Argu-
mente vor; wir bekehren ihn nicht und mögen die Daten zahlreich
sein wie der Sand in der Wüste.
uiyiii^cü Uy Google
DOB KNT8TBHÜNO C1UUTIBN8.
163
Die schwachmütigen Politiker dürfen aber den wahren Histo-
riker nicht irre machen. Der überzeugungstreue Historiker tran-
fligirt nicht und compromittirt nicht 8ein Wahlspruch ist:
£ pur si mnoye !
vn.
Es sei uns noch eme Beiiezion gestattet über die Geburt der
keMtigen Zu$tänd€,
Die Jahrhunderte haben viel schlechten Samen ausgestreut, —
die Saat ging auf an der Grenzt^ doB XVII. und XVIII. Jahrhun-
derts, doch ^^llsste mau auch damals noch nicht, welcher Art der
neue Weizen sein werde.
Die Geschichte benötigte noch mehr als eines halben Jahr-
hunderts, um aus den Ruinen der Schwankungen und Gonfusionen
etwas gestalten zu können.
König Leopold I. zählt in seinem Schreiben, welches aus sei-
nem Schlosse Ebersdorf vom September 1 697 datirt ist, die
Oomitate Posega, Veröcze und Yalkö zu Slavonien.
Diese irrige Auffassung erhält schon in den nächsten Jahren
üue Berichtigung, namentlich im Jahre 1 als bei Gelegenheit
des Palatinal Concurses und Aufnahme der Porten die Comitate
Syimien, Posega, Valkd und Veröcze zum Kreis jenseits derDrave,
und die Comitate Agram, Yarasd, Körös, Lika und Corbavlen zu
dt-ni vom genannten Kreis verschiedenen Slavonien, Croatien und
Dahnatien gerechnet werden.
Das an den Palatin gerichtete königliche Besohpt vom
20. Daoember 1712 unterscheidet den District jenseits der Drau
(die obigen vier Oomitate) von Croatien.
Der 9:2. Gesetzartikel vom Jahre 171") verordnet die Wieder-
ein?erleibung der Comitate Posega, Veröcze, Valko, Syrmien,
Ceongrid, Csanäd, Arad, Bekes, Zaränd, Torontäl und Szöreny
in Ungarn« es ist also unzweifelhaft, dass alle 11 Comitate
pleichmässij; ungarische Comitate waren. Der 118. Artikel des-
sellteii litichstages verhingt auch die Rückeinverleibung vi>n Unter-
Slavonien und muss also unter diesem Namen etwas Anderes als
11*
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DIB BNTBTEHDIIO OBOATIBNa.
die in erster Bdhe genannten vier Gomitate 2U verstehen gewe-
sen sein.
Die Unterbruitung(?n des Reichstages vom 18. October 17i:i
und wiederholt vom 12. März 17^3 zählen die Comitate Syrmien»
Posega, Yälkö nnd YerÖcze als solche auf, welche unzweifelhaft
in Ungarn liegen. Diesem zufolge kamen der Gesetzartikel :20
vom Jahre 17ii;i und der Gesetzartikel 7 vom Jahre 17i*'.) zu
Stande, welche die Durchfühnmg des bereits citirten Gesetzes
vom Jahre 1715 nrgiren.
Der Gesetsartikel 18 vom Jahre 1741 verfügt, dass der Syr-
mier Distriot nnd Unter-Slavonien wieder mit üngam vereinigt
werden sollen, sobald der Friede her stellt sein wird. Und in
demselben Jahre verordnet der .iO. Gesetzartikel (mit Berufung auf
den 18.), dass Unter-Slavonien der allgemeinen Verwaltung des
Landes und des Bans unterordnet werden, und dass dahin Ober-
gespäne ernannt werden sollen. Hieraus ist ersichtlich, dass Sjr-
mien auch jetzt noch nicht zu Unter-Slavonien gehörte, — über
die Bedeutung des letzteren habe ich mich bereits oben ausge-
sprochen.
Die im Jahre 1741 zur Durchführung der hierauf bezügUchen
Gesetze ezmittirte königliche Commission waltete ihres Amtes
nicht in dem Sinne, wie dies die Gesetze von den Jahren 1715,
1733 und \7'29 vorschreiben, sondern nach Instructionen, die
jenen entgegen«,'esetzt waren. Die Commission, deren Präsident
Graf Alexander Patachich, Obergespan des Somogyer Gomitats und
Bat der königlich ungarischen Hofkanzlei, gewesen, begann ihre
Function im Jahre 1745, und nachdem das Valköer Comitat auf-
gelöst wurde. Mildere L:indesteile aber zur Formirung des Militär-
Grenzgebietes abgetreten wurden, constituirte er die Comitate
Syrmien, Posega und Veröcze, welche künftig Unter-Slavonien zu
nennen waren. Die im Jahre 1751 in Angelegenheit derlülitär-
grenze ezmittirte Commission, welche aus dem Grafen Anton
Grassalkovich , General Engelshofen , dem Ge.sclii(;litschreiber
Balthasar Kerehelich und Anderen bestand, bewilligte den neu
creirten Coraitaten nicht das Hecht der Ablegatensendung an den
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DIE ENTSTEHUNG CROATIEN8.
I
165
Beicbstag, allein der Gesetzartikel 23 gab diesen Comitaten wieder,
und zwar jedem «nzelnen, Site und Stimme im Beiohstage.
In dieser Epoche wnrseH jene Zweideutigkeit, welche später
so nnerwartete Fol^'en brachte. Denn als während der Reiehstaj^^s-
Verhaiidlungeu die Frage auftauchte, ob die neu creirten drei
Comitate su Ungarn oder zu Slavonien (d. h. das heutige Croatien)
geschlagen werden sollen, wurde teils aus Berechnung, teils in
der Absicht, beide Teile zufirieden su stellen, bestimmt, dass alle
drei Comitate zwar der Jurisdiction d» s I^uus unterstehen, im
Uebrigen aber beim Reichstage einzeln (und nicht wie die shivo-
nischen Comitate coUectiv) vertreten sein sollen. In solcher Weise
worden die genannten Comitate der Verwaltung beider Länder
untersteUt und erhielten Verordnungen von beiden. Sie schicken
einzeln ihre Vertreter zum ungarischen Reichstage, zahlen Steuer
vie die ungarischen Comitate und stehen als solche mit der unga-
rischen Statthalterei und mit dem ProvinciaUCommissariat in
Verbindung; die Banal-Jurisdiction aber erstreckt sich auf sie
insofeme, als dieselben auf den croatisehen Provincial Landtag
berufen, von den königlichen Erlässen durch den Bau verstandigt
werden und ausserdem ihre Processführung vor den croatisehen
(jericbten geschieht.
Wie wir sehen, refusirte der Reichstag damals noch den Ver-
•such, die genannten drei Comitate als* Slavonien zu bezeichnen,
und beschrjinkte den Zusammenhang mit dem (heutigen) Croatien
nur auf einige Fälle. Doch nach dem ersten Schritte pflegt der
«weite zu folgen. Der Beicbstag vom Jahre 1790/91 (Oes.*Art 59)
nannte die Comitate Agram, Eftros und Varasd Ober-Slavonien, ^
und bahnte hiedurch den Weg dazu, dass den Comitaten Syrmien,
Verocze und Posega der Name Ünter-Slavonien zu Teil werde.
Vorboten dessen leigten sich bei den Beichstagsverhand-
hingen vom Jahre 1790. Der Judex Curiae empfahl in der Sitzung
vom 4. Deeember, dass die fünf neuen königlichen Freistädte:
TeraesvÄr, Maria-Theresiopel (Szabadka), Karlstadt, Posega und
Füufkircben inartikulirt werden mögen. Zur Begründung seines
Antrages führte derselbe an, dass in ganz Slavonien nur eine' ein*
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IM DIE ENTSTEHUNO CBOATIEN8.
zige königliche Freintiult, namlicli Posega sich botindo, und t-s
könne schon deshalb nicht zweifelhaft sein, dass Posega diese
Eigenschaft erhalten müsse.
Als über die WiedereinTerletbnng des Varasdiner Generalats
verhandelt wurde, betonte man diese Notwendigkeit mit der Hin-
weisung, dass dieses Generahit nicht nur die o))erslavoni8chen von
den unterslavonischen durch die Mitte von einander trenne, son-
dern anoh das Kdröser (Kreutzer) Comitat derart durchschneide»
dass man in diesem Comitate von einem Besirke in den andern
nicht j^^elangen kimu. ohne unter Militaijurisdiction steliendoa
Terrain zu betreten. Hier haben wir also das Zwischenland der
Drave und Sare zum erstenmale als Ober- und Unter-Slavonien.
Das ist aber noch nicht das leiste Stadium der Entwicklung.
Jetzt kam unter der Firma Kegnum Dalmatiie, Croatise et
Slavonia* eine stille Transtigunition zu Stande. Unter dieser
konnte nämhch Jedermann verstehen, was ihm beliebte. Dem
Einen hatte Croatien und Slavonien diejenige Bedeutung, welche
man damit im XIV. und XV. Jahrhundert verband, einem Andern
lag Slavonien an der Mündnn<^ der Drau. Unter Croatien begann
man jetzt Agrura und die Mit-Comitate zu verstehen.
Indessen muss man doch annehmen, dass, wenn die Nation
und ihre Gesetzgebung es in ihrem Interesse gefunden hätte, ein bis
jetzt nicht bestandenes Land zu schaffen, und zu diesem Behufe
aus dem Territorium des Mutterlandes einen bedeutenden Teil
auszuschneiden, dies nicht etwa so ganz nebenbei, durch P]in-
schmuggelung einiger schlecht redigirter Gesetznrtikel geschehen
wäre, sondern das in dieser Beziehtmg zu schaffende Gesetz hätte
an der Stime frei und offen diese Absicht erklärt. Es war zu einer
solchen Landescreining weder die Notwendipfkeit noch die Ab-
sicht vorhanden, und wurde auch von keiner einzigen Seite ein-
bekannt.
Die Verletzung der Landesintegrität wurde durch die Uner-
fahrenheit der Staatsmänner in der (beschichte und in den Ge-
setzen verschuldet.
^ Auf dem Reichstage vom Jahre 183^ 30 gingen zuerst lang-
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DIB BMTSTBBUNO 0R0ATIBN8.
wiexige Verhandlnngen an beiden Tafeln (in beiden Kammern) dem
BeschlusBe voraus, dass statt des zu streichenden Namens Unter-
Slavonieu, welches im köni^'liehen K^scripte vom :28. Aii':^U8t lS^i4
in Ürbarial-Angelegenheiten vorkommt, die Namen Syrniien, Po-
segaer und Veräezer Comitat gebraucht werden sollen. £& wurden
diese Namen tatsachHch im Urbarialgesetze aufgenommen.
Es mag als Beweis des wiederkehrenden politischen Gewissens
angesehen werden, dass der ö. Gesetzartikel vom Jahre 1848,
welcher die Zahl der Keichstagsvertreter feststellt, bei dieser Ge-
legenheit die Comitate Veröcze, 8yrmien und Posega in der Keihe
der nngarisehen Comitate aufführt.
Doch was sagt dazu das Leben ? Syrmien, Yeröcze und Posega,
mit inbegriffen das in die letzteren aufgegangene Comitat Valkö,
werden heute Slavonien genannt. Umsonst haben Stefan Broderics,
Fanstus Verancsics, Nieolaus Istvänffy» Stefan Yerböczj, Nicoiaus
Olih, Bon0n und zahlreiche SchriftsteUer des Mittelalters, femer
G. Hevenesi, 8. Timon, Palma, Szegedy, Pray, G6vay, Kerchelieh,
Kovachich, Gyurikovics, Podhraczkv, Emericli raliigvav. Emil
Recsi, Theodor Bottka, Gustav Wenzel, Ladislaus Szalay, Julius
Pauler und zahlreiche sonstige bedeutende Staatsmänner» Präla*
ten. Gelehrte und aulgeklärte Männer jedes Standes geschrieben.
Umsonst liegt vor uns ein fast unersohöpflieher Wust von diplo-
matischen Daten, welche beweisen, dass diese Comitate in der
Tat Ungarns Bestandteile bildeten, — wir haben dieselben doch
verloren, und ihr Name ist gemeinsam Slavonien.
Wenn jemals, so ist es jetzt an der Zeit die Warnung auszu-
rufen : Yideant consules !
Mit mehr Recht führen Agram und dessen Mit-Comitate den
Namen Slavonien. Doch wann tauschte dieser Landesteil seinen
Namen für jenen Croatiens ein?
Schon der ehrliche Kerchelieh klagt darüber, dass man sein
Vaterland (in verstehen Agram und die Mit-Comitate) Croatien
nennt, während doch der Name dieser Provinz Slavonien sei. Zwei
Gei^etzartikel, welche den Fehler und die Unwissenheit <les Com-
pilators verraten — sagt Kerchelieh — waren genügend, die in
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l'^S DIE ENTSTEH UNG CIlOATIENä.
80 vielen königlichea Urkunden ausgesprochene Wahrheit zu ver-
dunkehi.
VIII.
Wir fcileu jenem Puukte der Geschiebte zu, bei welchem die
geographischen Begriffe unter fremder Maske auftreten, eine
falsche Firma gebrauchen und im öffentlichen Leben Anerken-
nung finden. Ich sweifle nicht, dass gegen Ende des XVIII. Jahr*
hunderts das bessere Wissen noch oft gej^en die falsche Erklärung
der in Umlauf gekommenen geographischen Namen angekämpft
haben müsse, allein die Sorglosigkeit und der Leichtsinn war in
den politischen Kreisen sn gross, als dass die sich vorbereitenden
Veränderungen Aufmerksamkeit erregt hätten.
Als die Comitate Temes, Torontal und Krasso dem in Ofen
im Jahre 1790 versanimelttn Reichstage am 0. Juni im Interesse
des denselben zu bewilligenden Sitz- und Stimmrechtes eine Peti-
tion einreichten, schlichen sich in den Text, welcher auf die schöne
Ansprache : «Erhabenes Vaterland, wohllöbliche Stände» (felseges
haza, tekintetes rendek) folgt, bereits einige Irrtümer ein. Die ge-
nannten drei Comitate sagen niimlich. dass, obgleich diesell)en dem
Laude bereits gesetzlich iucorpohrt wurden, sie doch keine Ein-
ladung zur Beschickung des gegenwärtigen Beichstages erhielten,
wo doch sie wahre Mitglieder des Landes seien, während «81a-
Tonien» nur ein Nebenland desselben sei.
Hier wird der Name Slavonien auf Posega, Syrmieu und
Veröcze aufgewendet.
In der Begnieolarsitzung vom 3. December 1790 wurde das
Verlangen discutirt, dass die «croatischen Comitate» der unga-
rischen Statthalterei unterstellt, und zu den bei diesem Dicasterium
betiiidliclit n höheren und minderen Aemtern auch Croaten ernannt
werden mögen ; das3 Angelegenheiten, welche insbesondere Croatieu
insgesammt betreffen, auch künftig in der Generalcongregation des
letzteren, welche durch den Ban so oft es nötig einzuberufen wäre,
erledigt werden sollen. Die Stände bewilligten das Meritorisohe der
Sache, eine Frage entstand nur darüber, ob wohl der Ban dazu
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DIB ENTSTEHUNG 0BOATIEN8.
109
>,'e>etzlicli befugt sei, ohne Wissen Seiner Majestät eine General-
C(mj,'regation Croatiens einzuberufen? Hierauf wurde von Seite
Croatiens erwiedert, dass die früheren Bane, bis zur Zeit des Grafen
Fiaius Nidasdy, immer von dem Usus Gebrauch machten, so oft
sie es nötig fanden, aus eigener Machtbefuf^niss die Generalver-
sammlung einzuberufen, welchen alten Usus die croatischeu
Stande mit ihrer gegenwärtigen Petition ivieder aufzurichten
wünschen. Weil indessen das erwähnte Befugniss des Bans aus
keinem Gesetz hergeleitet werden konnte, überdies auch der ge-
dachte Usus scbon feit vielen Jahren nicht zur Ausiiliungkam, so
wollte der Reichstag Croatiens Verlangen derart mit den Rechten des
Königs in Einklang bringen, dass die W^orte, welche von der Art und
Weise der Landtagspublication handelten, einfach ausgelassen
wurden.
So entstand der 59. Ges.-Art. des Jahres 1790 91, in welchem
Groatieu von Ober-Slavonien unterschieden wird, und aus w elchem
wir ersehen, dass letzteres aus den Gomitaten Agram, Körös und
Yttasd besteht. Hier stehen wir an der OelmrtsBtätte de$ keuti'
gen Croatiens ; denn es regt unsere Aufmerksamkeit in hohem
Grade an, diss ungeachtet des oben citirten Gesetzes bei den
Beichstagsverhandlungen die erwähnten drei Comitate nicht Ober-
SlaTonien, sondern Croatien genannt werden. Noch in der Sitzung
vom 3. Deoember wurde die Petition eingebracht, dass in Fällen
der Sedisvacanz in der Banalwürde nach altem Usus der älteste
Obergespan der drei «croatischeu Comitate» sogleich eine General-
▼ersammlung einberufen mög», welche dem König vier geeignete
Personen für die Bansstelle in Vorschlag zu bringen hätte. Folgen-
den Tags bittet der Beputirte «Croatiens», dass die Privilegien
der Handelsstadt Buccari inartikulirt werden mö;^en.
Der officielle Titel des Hans war Jahrhunderte hindurch : I^an
von Dahnatien, Croatien und Slavonien, — doch wurden seit £nde
des XVin. Jahrhunderts alle unter der Jurisdiction des Bans
stehenden Landesteile einfach Croatien genannt. In ähnlicher
Weib»- nennt sich die Gesaiumtheit des Gebietes jenseits der Drave:
•Stände Croatiens» (Status et Grdines Croatia*). Als man über die
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t
170
DIB ENTSTEHUNG. CBOATIEKB.
richtigen LjiucUsgrenzen ^^egen Steiermark in Zweifel geriet,
wurden von mehreren Reichstagen Commissionen zu deren Be-
ricbügung entsendet; die betreffenden Gesetze sprechen immer
von den Grenzen zwisohen Slavonien nnd Steiermark. Doch die
1 790er Gesetze gehen der Steiermark einen neuen Nachbar, denn
au die Stelle Slavoniens tritt Croatien. Ehen dieselhe Erfahrung
machen wir hei den Verhandlungen über die Grenzstreitigkeiten,
welche zwisohen dem Zalaer nnd Somogyer Comitate, und anderer-
seits den Comitaten jenseits der Drau yorkamen. Während einer
Reihe vieler Decennien war eine der streitenden Parteien immer
Slavonien, jetzt stellt sich plötzlich ein Croatien den Comitaten
Zala und Somogy entgegen.
In der reichstäghchen Liste über das freiwillige Anerbieten
des Snbsidiums erseheint der Syrmier District, welchem die Co*
mitate Syrmien, Veröcze und Posega heigeziihlt werden ; der
District wird aber nicht Slavonien genannt. Doch sagt diese Liste
vom Agramer District» dass zu diesem die croatischen Comitate
und Städte gehören. Fiume wird hier separat als Stadt angeführt
Es ist demnach Tatsache, dass das heutige Croatien ein nagel-
neues Land sei, welches seinen Namen in der 1 71)0er Beichstags-
epoche erhielt, von w elcher Zeit angefangen der neue Name immer
mehr zum ausschliesslichen Gebrauch gelangte.
Es ist Tatsache, dass diese Verwurrung gerade vom 1790er
Reichstag ausging, welcher Ungarns Unabhängigkeit von Oester-
reich in so energischer, obgleich eigentümlicher Weise betonte.
(Siehe den 10. Ges.- Art.)
Die unglücklichen Kriege, welche Oesterreich im Jahre 1809
mit dem im Zenit seiner Macht stehenden Napoleon führte,
hatten den Wiener Frieden zur Folge (unterschrieben am 14. Oe-
toher), worin der Kaiser unter anderem Croatien bis ans rechte
Ufer der Save und bis Bosnien, femers Istrien und Krain an Frank-
reich abtritt. Während der Verhandlungen, welche djam Kriege
vorangingen, wurde der von der Save bis sur Adria sich erstrek-
kende Landstrich nur einfueli Croatien genannt. Es gelang zwar,
diese französischen Eroberungen, mit Inbegriff von Fiume und des
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DIE ENTSTEHUNG CROATIKNS.
171
Seegesüides, im Anfang des Jahres 1814 wieder ziiruckzuer langen,
doch die zar ongariBcben Krone gehörigen Teile wurden niclit
in Ungarn reincorporirt, sondern mit Istrien vereinigt.
Dies berührte die Groaten sehr sehmerdioh, und die Adresse»
welche sie am 22. September 1814 aus ihrer in Kal lstadt abj^^e-
haltenen General-Congregation an den König richteten, und worin
de erklären, dass sie nicht unter deutschen Gesetzen steheui
nicht Tom Laibaoher Gouvemement abhängeuj sondern unter der
(Vmstitntion Ungarns leben und sterben wollen» — liefert einen
Bchönen Beweis ihrer constitutionellen Gesinnung. In dieser Adresse
wird mit Bezug auf das Zwischenland der Drave und Snve kein
liroTinaname gebraucht, die Groaten bitten nur so viel, dass die
seit so langer Zeit Tom Lande getrennten Teile mit dem Agramer
Oomitate vereinigt werden mögen. Der provisorische, das heisst
ungesetzliche Zustand dauerte indessen selir lanj^e, und erst der
Reichstag vom Jahre 1827 konnte es als erfreuliches Denkmal in
den 13. Gesetzartikel eintragen, dass die «jenseits der Save ge-
legenen Teile» in jenen Zustand räokversetzt wurden, in welchem
diese sich vor dem Jahre 1809 befanden. Noch einmal, und zwar
im Jahre 1 830 befasst sich der Reichstag mit diesem Landesteile,
indem derselbe im 12. Gesetzartikel die während der französisclien
Oecupation und des darauffolgenden Provisoriums vorgekom-
menen Gntsverkäufe und Urteile bezüglich ihrer Giitigkeit ordnet.
Beide Reichstage nennen die fraglichen Territorien trans-
savanische Teile, und ungarisches Küstenland.
Werfen wir einen Bückblick auf die geographischen Epochen.
Die bisher besprochenen geschichtlichen Ereignisse, königlichen
Urkunden, Urteile, Adressen, Beichstagsbeschlüsse u. s. w. liefern
den Beweis, dass in der Geschichte der Provinzen, welche von der
Mündung der Save und Drave in die Doiüiu bis zur Adria. und
von hier bis zur Büdspitze Daimafeiens reichen, drei Epochen zu
unterscheiden smd.
Erste Epoche : Groatien und Dalmatien untersteht Herzogen,
später Königen, — das Land wird in dieser Zeit synonim auch
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17S
DIB SMmSHQNO CBOATISIie.
Slüvonien genanDt. Die GreuzeD desselben sind nördlich die Kul]);!,
büdlich Ragusa. Während dieser Zeit liefand sich der Teil dies-
seits der Kulpa und das Zwischenland der Drave nnd Save unter
byzantinischer, Später unter frankischer Herrschaft; das Land
führte damals keinen Eigennamen. Im X. Jahrhundert eroberten
die Ungarn das Land zwischen den zwei Flüssen, welches daher
ohne besonderen Provincial-Namen ein Bestandteil Ungarns
warde.
Zweite Epoche : Von der Mitte des XIII. Jahrhunderts bis in
die Mitte des XVIII. Jahrhund(^rts. Der westliche Teil des Ge-
bietes zwischen der Drave und Save (Agram und die Mit-Comitate),
welcher seit dem X. Jahrhundert ungarisches Territorium war,
nimmt successive den Namen Slavonien an, welcher auch auf die
trans-saTischen (heute einen Teil Bosniens bildenden) Comitate
übergeht. Das alte Land der croatischen Könioje jenseits der Kulpa
gelangt immer mehr in den ausschliesslichen Besitz der Namen
Croatien und Balmatien. Der östliche Teil des Landes zwischen
den beiden Flüssen bis Semlin verbleibt noch femer directes un-
garisches Land.
Dritte Epoche : Diese l)efiinnt in den letzten Decennien des
XVIII, Jahrhunderts. Der westliche Teil des Zwischenlandes der
Draye und Save (die Comitate Agram, Varasd, Körös etc.) wechtelt
zum drittenmale feinen Namen, und wird Croatien genannt; der
von diesem Gebiet bisher gebrauchte Name Slavonien gleitet nach
Osten, und wird den Comitaten Posega, Veröcze, Valko und Syr-
mien gegeben. Das Territorium Alt>Croatiens verbleibt als Militär-
grenze, die jenseits der Save gelegenen bisherigen unterslavo-
nischen Comitate werden Tärkisch-Croatien genannt. *
Diese Einteilung und Nomenclatur erhielt nur durch die
(Jccupation Bosniens und durch die im Jahre 1881 erfolgte Auf-
lösung der croatischen Militargrenze eine Abänderung.
Beweisstellen und weitläufigere Arg^umentationeu, sowie tirkund-
licher Ai>parat zu allem bisher Gesa.^ten finden sich in Friedrich Testy'g
Werke : Az eltüut r^gi vdrineiryek ( I )ie verschollenen alten Comitate). Ins-
besondere Band II, ISeite 145—224.
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DIE ÜNTSTKHUNa CEOATItNb.
m
IX.
Wir hatten also gute Gründe dieses CrooHen eine FieHon za
ütfünen, und es bkilit fiir immer eine ^eschiclitliche Merkwür-
digkeit, wie Jubrli linderte dazu beitragen kouuteu« diese Fictiou
zu solcher fintwickelang za bringen.
In dieser Entwieklnng ist noch immer kein Stillstand einge-
treten, vielmehr haben Böswilligkeit und Missgriffe aller Art ans
dieser Fiction ein D'nv^ von nicht gerinji^er Realitiit j]jese}iaflfen,
welches der Kühe Ungarns, und somit jener der ganzen Monarchie
sehr onbeqaem geworden ist.
Der in Pressbnrg tagende letste ständische Beiohstag vom
Jahre 1847/48 wnrde dnrch die eroatischen Prätensionen auf harte
Geduidproben ^jestellt. Schon in der Circuhirsitzun«^' vom 11. De-
cember 1 847 erklärte Kossuth sein Bedauern, dass bei uns der
Name Croatien convalescirt sei, und Bezug nehmend auf eine Bede
des Abgeordneten der Stadt Kaproncsa, erwiderte er diesem und
seinen Collef^en, dass sie nicht Abgeordnete Croatiens seien, da
nach dem Gesetze vom Jahre 170:^ die Comitate Agram, Körös
and Yarasd den Namen Slavonien führen. Die dortseitigen Herren
werden also nicht verlangen können, dass man sie für Abgeordnete
Croatiens ansehe. «Uebrigens finde ich — bemerkt Kossuth — in
der Rede des Kaprouczaer Abk^gaten etwas, was mic h tief inner-
üch verletzt; nämlich, dass sieli durch die croatische frage ^vie
ein roter faden eine gewisse Paritäts-Affectation zieht, welche
auch der Legislative gegenüber zur Affectirung eines Separat-
Parlaments ausartet.» In der Oircnlarsitzung vom 7. Januar 1848,
als der Gesetzvorse'ldajj ülHr die ungarische Sprache und Nationa-
lität verhandelt wurde, bemerkte Kossuth, dass in diesem Vor-
schlag bald von Croatien tmd den annexen Teilen, bald von
Dalmatien und Slavonien die Bede sei, welche Benennungen in
unseren Gesetzen und Beichstagsverhandlungen Gegenstand eines
fatalen Spieles sind und oft verwechselt werden, woraus eine
Sintllut von Widerwärtigkeiten für das Land entstehe. Kossuth
erklärt, dass Croatien gar nicht ezistire und will weder diesen,
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17i
DIE EMTBTBHÜNO OROATIENS.
noch den XameD Slavonien gebrauchen. Auf seinen Antrag ^\ird
daher die Gesetzvorlage zu neuer Bedaction an die betreffende
GommisBion gewiesen. Andern Tags sah sich Kossath abermals
veranlasst, im Laufe der Debatte den Wunsch anssuspreehen, ein-
mal in die glückliche Lage zu kommen, dass die croatischen Ab-
geordneten nicht fortwährend mit Eroberungspratentionen hervor-
treten könnten. Wann werden wir uns endHch aus der jetzigen
Lage herauswickeln ! Im Uebrigen beantragt Bedner, dass statt
eines ProTinsnamens im G^setzvorsohlag die Namen der Comitate
K6rd8, Agram imd Varasd sammt den betreifenden Städten auf-
gezählt werden mögen.
Auch die Magnatentafel sah die unlautere Eutwickeluug der
Dinge jenseits der Drau für eine (jelahr für die Monarchie an. In
der Sitzung vom 5. Februar 1848 fragt der hoohoonsenrative Graf
Emil Dessewfify : Welchen Nutzen gewährte es, dass die Frage : ob
die Comitate Posega, Veröcze und Syrmien zu Ungarn oder zu
den aunexen Teilen gehören, seit so langer Zeit in Schwebe ge-
lassen wurde ? mir scheint es gar keinen, — Yielmehr sehen wir
eine grosse Gefahr vor uns.
Zu solchen und ähnlichen Aeusserungen gaben die Debatten
des Pressburger Reichstages reichlichen Anlass, denn Jedermann
fühlte das Drückende der privilegirten Stellung Croatiens. Deshalb
sprach auch Kasimir Tamöczy, der Ablegat des Neutraer Comitats»
am ±7, Januar seine Hoffnung aus, dass eine Zeit kommen müsse,
in welcher mit Zustimmung des Königs der Provinciallandtag
Croatiens aufhört lu zwisi hen einem Ungarn und Croatien aber
kein Unterschied sein wird.
So nebengehend hätte jedoch die Frage nie gelöst werden
können. Dies sahen auch die Stände ein, welche schon am
29. November 1847 ein Oomitö für croatische Angelegenheiten
entsendeten, dessen Aufgabe nicht sowohl in der Prüfimg der
croatischi n ( Iravamina, als vielmehr darin bestand, in den geo-
graphischen Wirrsal, den die Namensverweehslungen verursach-
ten, Klarheit zu bringen. Von den 17 Mitgliedern dieses Comit^
nennen wir nur Ludwig Kossuth, B. Simon Beyai, Anton
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DIE ENTäTEHUNO CBOATI£N!:>.
175
Hankär, Sigmund Bernatb, Samuel Bouis, Josef Maau und Bartol.
Smaieh.
Am 29. Februar 1848 verlangte Sigmund Bemith, der
Ablegat des üngher Gomitats, als Mitglied des obigen Comites in
der Circiilarsitzung die Ermiiehtij:^ung zur Drucklegung des Ope-
rats ; am 7. März aber beantragte der Graf von Turopoija A. Josi-
povich die Anberaumung eines Tages zur Verhandlung der croa-
tischen Angelegenheiten. Koseuth erwiderte hierauf, daes die
tte$ammten Angelegenheiten noch nicht yerhandelt werden können,
da das betretfende Operat noch nicht fertig sei, indess können die
Vorschläge in Bezug der Comitate Posega» \'eröcze und Syrmien
bereite yorgelegt werden.
Dies ist die letzte Spur, welche wir von dem hochinteressan-
ten Operate haben, denn unsere Bemühungen, dasselbe im Landes-
Archiv, in der Reicbs-Bibliotek, im Museum etc. zu entdecken,
blieben erfolglos ; auch scheint es ziemlich gewiss, dass es nicht
in Druck gelegt wurde.
Diese Ansicht wurde uns bestätigt» als gegenwartiger Artikel
bereits dem Druck übergeben war. Das Elaborat bestand nur in
einem einzigen handschriftHcheu Exemplare und dürfte sich
irgendwo in Wien unter den bei Ko^^suth im Jahre 1849 conlis-
cirten Schriften befinden. Die Anton Vörös'sche Sammlung der
Kossuth'sohen Schriften enthält dieses Operat nicht.
Zur reichstäglichen Verhandlung gelangte das Operat nie,
denn die gewaltigen Mürzereignisse gahLii dir Politik eine andere
Hichtung, und der Keichstag selbst löste sich auf, nachdem er die
Nation mit den ewig denkwürdigen 1848er Gesetzen beschenkt
hatte, in welchen jedoch die Verhältnisse jenseits der Drau
keine Regelung fanden.
Es wäre für uns höchst wichtig, den Inhalt des Operats zu
kennen, nicht als ob wir darin unerwartete historische Aufschlüsse
suchen würden, sondern um der concreten Vorschläge willen,
welchen dieLegislatiTe beizustimmen sieh anschickte. Eines scheint
uns unzweifelhaft, nämlich dass die unmittelbare Vereinigung der
Comitate Posega, Veröeze und Syrmien mit Ungarn beabsichtigt
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176
DIE ENTSTEHUNG CRO ATIENS.
und in Vorschlag gebracht war. Wir wollen hiebei bemerken, dass
anoh Franz Deäk schon in den frühesten Reichstagen entschieden
dagegen opponirte, dass diese drei Gomitate unter dem Namen
Slavonien verstanden werden. '
Ein junger imgiirischer Historiker, der in der ersten Hälfte
des Octobers 1881 bei Kossuth auf Besuch war« erzählt im Pesti
Nt^lö (Nr. 29^), derselbe habe sich geäussert, das Beichstags-
operat sei aus seiner Feder geflossen, und auch er sei zu dem-
selben Resultat gelangt, 7Ai welchem Testy in seinem Werke iiher
die verschollenen Comitate, und vorher schon Gyurikovics gelangte.
Ob sich der grosse Patriot gerade in der mitgeteilten Weise
geäussert, wissen wir nicht; so viel ist aber gewiss, dass Gyuri-
ko?io8 nur die halbe Wahrheit sagte ; denn er bewies wohl, dass
das heutige Croatieu das eigentliche Slavonien sei, wahrend wir
bewiesen, dass letzterer Name in Anwendung auf das heutige
Croatien nur seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts aufkam, vor
dieser Zeit aber das gesammte Gebiet zwischen der Drau und Save
ungarisches Territorium war.
Uebrigens erfahren wir von Franz Pulszky, Kossuth habe
sich zur Autorschaft des Operats bekannt, ja er soll dasselbe
als sein bestes Werk betrachtet haben.
Nach den Ereignissen des Jahres 1849 und Niederwerfung
der Revolution ward es in Croatien ganz stille. Nur manchmal
hörte man hüben und drüben dif Aussa<ze, dass, was Ungarn für
seine Empörung zu Teil ward, dasselbe den Croaten als Beloh-
nung zugemessen wurde. Aber mit verschiedenen Gefühlen wurde
dieser Ausspruch getan — wie sich denken lässt. Die Passivität
Ungarns drängte zur Herausgabe des OctoVterdiploms (ISfU),
:iO. October), und erst jetzt begann sich Croatieu wieder bemerkbar
zu machen. Zuerst war es den Croaten in erster LUiie nur darum
zutun, die alte Comitatsverfassung zu revindioiren, in deren
Besitz sich Ungarn via facti auf Grund der 1848er Gesetze
einsetzte.
In einer Banalconferenz vom November 1860 erklärte
Ivan Kukuljevics: «Wir alle wissen, wie weit sich einstens die
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DIE ENTSTEHUNG CB0ATIBN8.
177
Grenzen lilos Croatiens ausdehnten. Hier jenseits der Unna und
Sa?e liegt Türkisch-Croatien, dort über dem Velebit und dem
Quarnero das dahnatiniBche Groatien ; jenseits des Monte Maggiore
und des Sehneebergs das istrianische Groatien und jenseits der
Enlpa das kämtnerisohe Groatien mit dem Mötlinger und dem
Tschornerubier Kreise.»
Es ist wirklieb merkwürdig, dass dieser Grosscroate an die
Haoptsacbe, die auch uns am meisten interessirt, an das. Groatien
swiscben der Save und Dran ganz rergass.
DieBanalconferenzen zogen sich in die LHD<];e, die Forderungen
wuchsen riesi<:; empor, und die Aniiuosit.it niid Gereiztheit pe^en
Ungarn stei^^ rteii sich immer mehr, — gegen jenes Ungarn, das
eigentlich sein Seibätbestimmungsrecht noch gar nicht zurücker-
laDgtß und noch gar nicht in der Lage war, sich in gesetzmässiger
Weise über Groatien zu äussern. Nur die Tagespresse signalisirte
die herrschende Stimmung, und die war in Ungarn auch damals
noch den Croaten günstig.
In der Banaleonferenz vom 15. Janner ISO 1 wurde ein Project
zur Vereinigung Groatiens mit Ungarn verteilt. Der erste Funkt
dieses Projectes bratet : Der König lasse sich als König von Un-
garn, Dalmatien, Slavonien und Groatien krönen, schwöre auf die
coMstitutionelle Freiheit und die separaten Rechte des dreieinigen
Königreichs (!). Das Inaugural-Dii)lom soll gleichzeitig auch in
croatischer Sprache ausgestellt werden. Der Titel des Königs sei :
König von Ungarn, Dalmatien, Slavonien und Groatien. Der Aus-
druck: annectirte Teile (kapcsolt r^szek) möge gänzlich ent-
fallen: statt diesem soll die Benennung Cum regnisociis /gebraucht
werden. Laut Punkt -2 des Projectes soll zum Gesammtterritorium
des dreieinigen Königreiches gehören: Groatien, Slavonien und
die dazugehörige Militärgrenze. Femer Dalmatien mit den Inseln
gemäss jetzigen Umfanges, endlich Syrmien (!). Von der Abtretung
der Murinsel und des croatischen Litorales. welches tatsaclilich
und auch nach historischem liechte zum dreieinigen Königreiche
gehurt, kann keine Bede sein. Wenn später einmal irgend welche
slavisehe Provinzen, welche jetzt unter tärkiechemJoohe schmaeb-
OagHiwlM Bfvw» ISn. n. Haft. «•
L.iyui^cü Uy Google
178 DIE ENTSTEHUNO CR0ATIEN8.
ten, au die ungarische Krone heimfallen sollten, dann sollen diese
Frovixusen, in Folge ihrer Spraeh- und Blutsyerwandtachaft, axLch
mit dem dieieinigen Eöiiigreiche yereinigt werden.
^ Die Croaten brachten immer mehr eioh selbst in Hitze and
Hcitirten sich selbst hinauf, wälirend der ungarische Reichstag
noch kaum in Sicht war. Da erschien das liundschreihen des
Ägnuner Comitats, welches an üebermni and Gtehässigkeit nichts
zu wänsehen übrig Hess. Anf dieses Bnndschreiben aatwortete
Fran« DeÄk im Pesti Naplö (Nr. 70 vom 24. März 1861) in einem
höchst merkwürdigen längeren Schreiben, welches uns die Seelen-
grösse dieses Mannes lebhaft vor Augen führt, aber trotz der vielen
mramstösslichen Wahrheiten, die es enthalt, der Staatlichkeit Un-
garns nicht volle Bechnong tragt. Es werden darin Ooncessionen
gemacht, die eine richtij»e Politik niemals gewähren darf. Wir
sprechen nicht davon, dass auch Deäk die Formel Dreieiniges Kö-
nigreich nachspricht, nicht von den verschwommenen Anschannn-
gen über die Entstehung Croatiens, nicht von der mit der histo-
risehen Wahrheit collidirenden Aeasserong, dass Croatien and Sla-
vonien nicht eigentliches Unf^arn gewesen sei. Wir heben nur die
Gesammtrichtung der Enunciation hervor, die starke Anklänge
an die späteren weichherzigen Ansgleichsgesetze hat.
Merkwürdig erscheint ans der Schlnss des Artikels, wo es
• heisst : Wenn Croatien jedes staatsrechtliche Verhaltniss, welches
zwischen uns bisher bestand, aufheben und jeden Verband gänzlich
zerxeissen will, dann werden wir wohl nicht aussprechen können,
dass wir in die gänzliche Trennung einwilligen, vielmehr würde es
unsere Pflicht sein, zur Aufrechterhaltung unserer Rechte Protest (I )
einzulegen, gleichwie auch Croatien protestiren würde, wollte man
irgend einen Teil des Könij^reichs von demstdben lostrennen.
Doch würden wir zur Verhinderung der Lostrennimg tatsächlich
gar nichts unternehmen und würden zur (Gewalt selbst dann nicht
schreiten, wenn es in unserer Macht stünde, solche anzuwenden«
Wir glauben kaum, dass Oesterreich eine solche Politik be-
folgen würde, wenn Croatien von ihm abhinge, — Oesterreich wird
auch Böhmen nicht in diesem Sinne behandeln, und keine Macht
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DIE ENTSTEHUNG CR0AT1EN8.
179
Bmopa'B wird geneigt sein eine Politik zo aceeptiren, welche Deäk
hier in die Luft gezeichnet hatte.
X.
Wir wollen nicht die Geschichte der Neuzeit in Bezug auf das
Verhältniss Ungarns zu seinem verzogenen Kinde Neu-Groatien
dantellen. Dazu wird sich noch oft Gelegenheit hieten, wir wollen
ntnr die allgemeine Ansicht aussprechen, dass die begangenen
Fehler gründlich reparirt werden müssen ; damit aber dies ge-
Bchehe, mnss mit der traditionellen Ausgleichsmeierei und Con-
oeesionsmaefaerei für immer gebrochen werden.
Eine im jenseitigen Lager sehr beifallig aufgenommene Aens-
seninfr Deak's war: «... man müsse trachten die ungarische Con-
stitution den fremden Nationalitäten lieb zu machen.» Sammt-
Uche poUtische Weisheit, über welche Ungarn, — und wur mögen
getrost beifugen, — welches Land immer Terfogen kann, wird
De&k'fl Wort nicht zur Wahrheit machen können, sobald die Er-
fahning lehrt, dass gewisse Nationalitäten ein Centrum ausserhalb
dee Landes suchen. Diesen könnte mau die Constitution nur dann
logenehm machen, wenn sie es ihnen erlauben wärde, das von
ihnen bewohnte Land an ihren Fusssohlen weiter zu tragen, d. h.
daraus einen neuen Staat für sich zu bilden.
Viel grösser war der Fehler, dass Ungarn den Croaten ein
weisses Blatt gab. Es war ein Cardinalfehler, der in seinen Folgen
veihängnissvoU wurde.
Allgemein ist im Lande die Ansicht verbreitet, Franz De4k
habe den Antrag bezüglich des weissen Blattes gestellt. Indessen
muss dieser Meinung im Interesse der historischen Wahrheit
widersprochen werden. Es war Paul Somsich, der verdienstvolle
Abgeordnete und Verfasser des Werkes über das legitime Recht
üugamB, welcher am 18. Mai 1861 wahrend der Adressdebatten
erklarte: «Wir wollen uns mit Croatien neuerdings vergleichen
und ihnen in unserer Constitution immer ein weisses (tiszta) Blatt
aufbewahren. •
Wie es kam, dase diese Phrase nicht wie andere spurlos
12*
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180
DIE ENT8TEHVKO 0R0ATIEN8.
veiklaDg, dies dürfte nur aus Deak's späterer Politik erklärlich
sein, der es für gut fand, die Bechtscontinaität ruben zu lassen
imd die Opportunität zu intromsiren. Grewiss sehr merkwürdig, da
De4k (wie es seine eben gesammelten Reden, I. Teil, Seite 185
beweisen) schon am IG. Juli \KV,) eine reichstä*^liclie Enunei:itiou
mit den Worten i)egann, dass dieCroatt-n k» ine eigene Nation bilden.
Deak hat niemals in einer Beichstagsrede, niemals in einer
journalistischen Enunciation von einem weissen Blatte gesprochen,
und es scheint» dass auch die öffentliche Meinung erst später ihn
für den Urheber des weissen Blattes hielt. Dies dürfte erst zu jener
Zeit f^esclielion soin, als Deiik sich krankheitshalber von der poli-
tischen Laufbahn und vom öll'eutliehen Leben zurückzog, und die
Folgen des Ausgleichs sich schon in so trauriger Weise bemerkbar
machten. Deik war der Träger der AusgleichspoUtik, und auf dieser
Führte gelangte die öffentliche Meinung zu dem Irrtum, den
Crossen Patrioten für den Krhnder des weissen Blattes zu halten.
Wir erinnern uns nicht, diese Beschuldigung gegen Deäk ro/* dieser
Zeit gehört zu haben.
Gewiss ist es eine Ironie des Sohicksala, .dass gerade Franz
Deäk, der elassische Verfechter der BechtscontinuitÄt, als welcher
er verdientermassen ltoss ist, die Politik des weissen Blattes mit
seinem Namen decken musste. Ungarn gab selbst der Dynastie und
auch dem Tronfolger kein weisses Blatt, — es hielt dem Herrscher
die 1848er Gesetze vor und forderte vor allem deren Anerkennung,
und die Anerkennung erfolgte. Wie kam es, dass man den Oroaten
mit dem weissen Blatte ein solch' wahnsinnigt s Opfer brachte und
die Eechtsbasis von sieh wart? Es war immer und immer die
falsche Voraussetzung, dass ein solches Volk durch Edelmut und
Concessionen eu gewinnen sein wird.
Das Gesetz vom Jahre 1868, Artikel XXX, welches den Groaten
eine mit der Einheit und Sicherheit des Staates unverträgliche Auto-
nomie gewährt und Tugarn uu..'er*'chte materielle Opfer auferlegt,
und das Gesetz XV v»>m Jahre 18Ö1 liefern gleichfalls den Beweis
von der schlechten Politik Ungarns gegenüber Neu-Croatien, wie
auch die Folge bewies, dass es den Groaten nicht einfallt, mit dem
uiyiii^cü Uy Google
DIK ENTöTEHUNG CROATIENS, 181
extravagantesten Maass von Freiheit sich zufrieden zu stellen ; ilire
Tendenzen sind auf ein ganz anderes Ziel gerichtet, welches sich
am dentlicheten in den Aenssemngen der Starcsevicsianer zu er-
kcLllen fliht.
Das kleine Croatien hat dein im«^' irischen piirhunentarischt'n
Leben die Schlagworte Parität, Kechtscontinuität, Landesintegri-
tät etc. abgelernt und vergisst, dass das von den Oroaten miss*
branchte weisse Blatt keine Rechtscontinuitat, die ungarische
Landesinte<;rität aber mit dem Bestände Croatiens unvertni Jülich
sei. Ja noch mehr, Croatien ahmt nicht nur das verhabbte Un-
garn nach, sondern — nocli Ix vor es sich zur Staatlichkeit empor-
geschwungen — hat es sich schon in das Becompensationssystem
wie irgend eine europäische Orossmacht eingelebt Hat sich doch
während der Landta^'ssaison im Jahre 1881 eine eroatisehe Stimme
erhoben, welche sich bereit erklart. Fiiime an T'n^^arn hinzu-
geben, wenn d?ifür dieHerze*:()vina an Croatien abgetreten würde!
Eine Nachahmung der Berufung auf die Stefanskrone ist
auch die Berufung auf die nirgends existirende und niemals ein
Btaatsrechtliches Princip repräsentirende Zvonimirskrone. Kennt
jemand ein croatisches Staatsrecht?
Keine Nachahmung, sondern eine echt eroatisehe £rlindung
ist aber das mystische «dreieinige Königreich!.
Dieses Phantasiegebilde beweist, dass auch das neue Zeitalter
nicht weniger geeignet ist zur Prodneirung von Namen, welche
weder durch die Geschichte nodi thuch die Diplumatik begründet
sind. Das «dreieinige Königreich», dessen Name schon in den I8i7er
Reichstagsverhandlungen auftaucht und so unvorsichtig gebraucht
wird, pochte schon wiederholt an die Pforten der Gesetzgebung.
Mögen unsere Politiker dieser neuen Erscheinung, die sich in die
Staatengesellschaft einschmuggeln möchte, gut ins Auge sehen.
Der Historiker hat mit derselben nichts zu schaffen.
Für air die schweren materiellen Opfer, uelchc Ungarn für
Croatien bringt, für die Schädigung seiner staathchen Interessen,
hat Ungarn in Croatien nur Undank undHass geemtet. Wer dieses
Factum aus politischen Gründen erklären wollte, der gtibe sich ver-
L^iyiii^uü Uy Google
182
♦
DIE ENT8TBBUNO CBOATUeNS
gfebliclie Mühe, — solche krankhafte Zustände sind nur psycholo*?isch
zu erklären, und «gehören daher nicht in dasBessort der Politik.
Die traarigen Erfahrungen» welche Ungarn mit dem fiotiven
Croaüen gemacht, hat in einer grossen Zahl Patrioten einen un-
aussprechlichen Ueberdruss erzeugt, und mehr als einmal hörten
wir Aeusserungen des Unmuts , deren Sinn war : die Croateu
mögen sich hinsebeeren, wohin es ihnen beliebt. Darin liegt aber ein
anderer Fehler» der nicht minder schwer wiegt» als die monströse
Geschichte Tom weissen Blatt. Man würde ja dadurch alle dispa-
rirt n<lt n Elemente, von den Krivoscsianern angefan<;(^u bis zu den
Walachen jenseits des Königssteigs lehren, sich nur sehr unange-
nehm zu machen» um ihre Absichten durchzusetzen. Die grollenden
Patrioten» die sich ihre Seelenruhe durch politische Unverschämt'
heiten nicht stören lassen wollen und ihre feindlichen Brüder lieber
ihrem eigenen Schicksal überlassen, vergessen, duss der Staat
ebenfalls den Gesetzen der öffentlichen Ehre unterliegt, folglich
seinen Bestand mannhaft zu verteidigen verpflichtet ist. Sie ver-
gessen femer einen Blick auf die Karte zu werfen» welcher sie
lehren würde, dass die Zurückschiebung^ der Verteidigungslinie
Ungarns bis an die Drau ein Unding sei. Ein Held, welcher ernster
zu nehmen wäre» als der weiland famose Jellachich, könnte an der
Spitze eines von einer reactionären Macht in Bewegung gesetzten
Heeres leicht den Beweis liefern» wie schnell man von der Drau
die Hauptstadt Ungarns erreichen kann.
Es wäre eine unauslöschliche Schmach für Ungarn» eine solche
Preisgebung des Landes jemals ernstlich in Erwägung zu ziehen.
Allerdings scheint uns aber die Zeit gekommen» uns von der
fehlerhaften Politik, welche wir Croatien gegenüber ausgeübt,
gänzlich loszusa<jen. Es scheint uns die Zeit gekommen, von
welcher Gabriel Kazinczy in seiner Reichstagsrede vom ^1, Mai
»
1861 sprach» in welcher wir dies Land wieder werden erobern
müssen von dem Heereszuge der Auflösungsideen und Decom-
positionsstrebungen.
Wir sprechen es often aus, dass die Landesteile jenseits der
Drau mit Ungarn in einen festeren Verband gebracht werden
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DIE XNT8TEHDHO OBOATIBNB.
188
müssen, und iius diesem Grunde plaidiren wir auch für eine
Bevision der mit den Croateu vereinbarten Ausgleiclisgesetze,
aber gewiss in einem andern Sinne, als die Groaten es beute
meinen.
Der knnlieh verstorbene geistvolle Graf Stefan Bethlen
nannte das Nationalitätengesetz einen scbmachvollen Friedens-
scbluss nach einem siegreichen inneren Krieg. Diese Bezeichnung
verdienen in weit grösserem Mlaasse jene Gesetze, welche von der
Idee des weissen Blattes dietirt worden.
Die üebersengung ist allgemein, dass Ungarn diese Zustande
nicht ertragen darf, und auch nicht auf die Gnade des Zufalls,
welcher eine Besserung bringen würde, warten kann.
Die Frage muss formulirt und zur legislatorischen Ver«
bandlung vorbereitet werden.
In erster Linie verlangen wir die Wiedereinverleibung der
Comitate Syrmien, Veröcze und Posega — welche heute fälsclilich
Slavonien genannt werden — in L'ngam, da vielhundertj übrige
Gesetze dieses Gebiet nur als ungarisches Land kennen. Wir ver-
langen femer nicht nur Fiume, sondern auch ein entsprechendes
Gebiet, wodurch das Littorale mit Ungarn in unmittelbaren Con-
tactkäme, wir verlangen endlich, dass Croatien, oder eigentlich
die Comitate Agram, Körös, Belovar, Yarasd sauunt dem einstigen
Militäigrenzgebiet in Allem den (besetzen Ungarns unterworfen
sein sollen. Eine Provineialautonomie könnte ihnen nur etwa in
Form eines königlichen Comraissariats l>ewilligt werden, welches
die Administration in croatischer Sprache führen würde.
Die Einheit der Gesetagebung macht auch den croati^en
Landtag überflüssig. Die Wahl zum ungarischen Beichstag wäre
eine directe.
Es fallt uns gar nicht ein, diese Autrage nur aus poHtischer
Taktik zu stellen, und den separatistischen Tendenzen der Croateu
das Bestreben der Ungarn nach Assimilirung aller Landesteile
entgegen zu setzen ; wir sind vollkommen von der Notwendigkeit
solcher Beformen überzeugt, und glauben, dass diese den un-
garischen Staat und auch die dualistische Monarchie mehr cou-
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184
DIB SNT8TBBUNO CROATIBKB.
ßolidiren werden, als wenn wir aus eigenen Mitteln an der Save
einen staatlichen Embryo dulden« der sich auf unsere Kosten ver-
grössern möchte.
Die Bedeattmg Siebenbürgens ist eine weit grössere als jene
Groatiens; schon seit Bepfinn des XVI. Jahrhonderts fahrte es
ein t'if^enes politisches Leben, und später oft eine europuisclje Holle.
£s war auch nicht, wie Croatien, auf dem uuj^arischen Heichstag
▼ertreten. Trotz alledem ging die Vereinigung Siebenbürgens mit
Ungarn Tor sich, weil die staatlichen Exigenzen den mittelalter-
lichen Separatismus bei Seite schieben mussten, sollten nicht die
iiociiHteu Interessen gefährdet werden.
Was hat Croatien voraus, dass es nicht wie Siebenbürgen in
Ungarn- aufgehen soll ? Es ist nur noch das Wrack einer vergan-
genen Zeit, und je eher es beseitigt wird, desto eher wird die Bahn
frei zur materiellen und staatlichen Entwickelung Ungarns, das
berufen ist, der Monarchie und diesem Teile Europa s noch grosse
Dienste zu erweisen.
Mit der Bäckeinverleibung Fiume's, welche demnächst den
Beichstag beschäftigen wird, geschieht der erste Schritt zur Inte-
grität Ungarns in dem jenseits der Drau und an der Adria gele-
genen Gebiete. Geschichte und Gesetz sprechen Fiume der unga-
rischen Krone su. Die öffentliche Meinung ist von der Notwen»
digkeit der Annectirunfi; Fiume's so sehr durchdmngen» dass die
Frage unbedingt im Sinne Ungarns ausgetragen werden muss.
Man ist aber darauf gespauntj in welcher Weise die Quadratur des
Cirkels gelöst werden wird, welche im 1868er Ausgleichsgesets
aufgegeben ist« wo es nämlich heisst, dass die staatsrechtliehe
Stellung Fiume*8 endgiltig nur im Binverständniss aller drei Fao-
toren : Ungarns, Croatiens und Fiume's gelöst werden soll.
Ministerpräsident Tisza hat noch während der Adressdebatten
im October des Jahres 1881 sich dahin geäussert, dass die Zuge-
hörigkeit Fiume's nur im Sinne der 1868er Gesetze geregelt
werden wird.
Da die Starcsevicsianer Fiume den Ungarn nicht überlassen
wollen, und da die croatische Kegierungspartei sich nur in der
Diyiiized by Google
I
DIB ENTSTEHUNG CBOATXBNS. ><>d
Metode , docli nicht im Wesen von der Nationalpartei nnter-
sdieidet, und folglich auf die Einwilligung Croatiens in die Ver-
einigaiig Fiame's mit Ungarn nicht zu rechnen ist, so flüstert man
sieh in, es sei die Absicht der Begienmg» den Groaten fär deren Ein-
willigung in der Fiumaner Frage irgend welche Concessionen zu
machen.
Wir haben die traurigen Folgen, welche die Goncessions-
madierei und das Bdoompensationssystem uns gebracht, in aller
Bitterkeit zu kosten bekommen, und können unmö<]flicb glauben i
dass die Ke^^ierung das gesetzliche Kecht Ungarns und dessen
Existenzbedingungen sich erhandeln wolle. . ■
Ueberdies fragt es sieh, wenn wir das seit der Erteilung des
weissen Blattes befolgte yerderbliche System auch fortsetzen
wollton : was l'n<^arn den Croaten noch bieten konnte, was diese
von unserer Naivetnt nicht schon längst erhalten hatten ? Ihre
Autonomie überschreitet bereits die Grenzen des Vernünftigen, das
Defidt ihrer Yerwaltnngskosten bestreitet Ungarn. Die Militär-
grenze ist ihnen überantwortet etc. etc. Es bleibt nichts übri<;, als
dass wir, wie der Berliner Congress, fremdes Land verselienken ; —
ein Vorgang, der übrigens die Bewunderung späterer Zeitalter
noch viel weniger erlangen dürfte, als es in der Gegenwart der
FUl war.
Da wir weder Länder zu verschenki n haben, noeli uns auch
iur unsere «croatischen Brüder» (ein Name, der schon längst zur
Ironie geworden ist) weiter finanzielle Lasten auferlegen können
und wollen, so könnte es vielleicht manchen sonderbaren Schwär-
mern, die sich in ihrer beschaulichen Ruhe von der «Bruder-
nation» nicht stören lassen wollen, einfallen, die gesetzlichen
Rechte Ungarns auf Croatien noch weiter zu schmälern. «Denn
Gottlob, Etwas haben wir noch gerettet vor den Fingern der
Groaten.» Etwas, aber nicht viel. Da hat uns ja noch der §. 9 des
XXX. Gesetz-Artikels vom Jahre 18G8 das Post-, Zoll-, Eisenbahn-
uml Tfkgraphenwesen, und einige Kleinigkeiten übrig gelassen.
Vielleicht beliebt es von diesen Bechten Etwas als Gompensation
fnr Finme zn opfern?! und hiemit Namens der Autonomie noch
Diyilizüa by v^üOgle
186
DIE SKT8TXHVN0 OBOATISins
die letzten Faden durchzuschneiden, welche Croatien hu Ungarn
binden.
Doch w glauben, ohne im geringsten Optimisten zu sein,
dass sich mit solchen albernen Projecten heute Niemand mehr
hervorwagen wird, denn die Stimmung ist hente fürwahr eine an-
dere, als sie im Jalire 186S war, und kleine — leider erst sehr
kleine — Besserungs- Symptome haben sich acbou «gezeigt, als in
Folge Einverleibung der Militärgrenze die Zahl der croatisehen
Deputirten beim ungarischen Beichstag normirt wurde. Die poli-
tische Bewegung bezüglich Croatiens kann nur nuhr eine rück-
iauüge werden und kann nur mehr darauf gerichtet sein, den un-
garischen Staat zu unificiren.
Die gesammte Presse beurteiltjetzt den croatisehen Schwindel
schon richtiger, als es noch vor einigen Jahren der Fall war, wo
die Bewunderung für die Weisheit des Ausgleichs noch alle Sinne
gefangen hielt ; und ein tonangebendes Tageblatt (P.Lloyd 1881
Nr. 29) erklärt ganz offen, dass das berühmte (sagen wir lieber
berüchtigte) «weisse Blatt» auch bezüglich Slavoniens und dessen
Wiedereinverleibung mit Ungarn ganz anders hätte beschrieben
werden können, als dies in Wirklichkeit geschehen ist.
Für die unersättlichen • Brüder» neue Opfer zu bringen,
daran denkt wohl Niemand mehr. Aber dabei wollen wir es nicht
bewenden lassen ; es muss auch dem croatisehen Hexensabbat ein
linde gemacht werden.
W^ir erwarten es von der Regierung, dass sie energisch an's
Werk gehen wird, die Integrität Ungarns bis an die Save zur
Geltung zu bringen. Hierin kann dieselbe auf die Unterstützung
aUer Parteien rechnen.
Die Frage ist lancirt und wird nicht früher von der Tages-
ordnung verschwinden, bis sie gelöst ist.
Friedrich Pbstt. *
^ Ans deiu nngariscbeu Manuscripte des Verfassers.
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UNOABISCUE OKFli.Vilk:iiI£ CLOISONN^E.
187
UNGAßlSCHE OßFEVßEEIE CLOlbOiSNEE.
#
Eb 'A Ürde kaum eine cultiirhistorisch interessantere Epoche geben,
als diejeni^o. in welcher sich die Barbarenvölker auf den Trümmern
der römischen Civüisation ansiedelton, das Christentum annahmen und
Staaten gründeten, wenn diese Epoche genau beobachtende und ein-
gehend berichtende Historiker gehabt hätte. Aber gerade diesen Zeiten
giugen die aufmerksamen, gewissenhaften Berichterstatter ab. Den Jor-
danes und Paulus Diaconus abgerechnet, blieben uns blos lücken-
hafte Chronikenangaben erhalten, fabelhafte Sagen, alte Gesetze, höch-
stens magere Beschreibungen einzelner Episoden, welche kein klares
Bild des Zeitraumes vom vierten bis zum zehnten — ja bei uns bis zum
eUfien — Jahrhunderte geben. Doch sind uns ans diesen Zeiten ver-
borgene Schätze und zahlreiche Denkmäler in Gräbern erhalten geblie-
ben, welche insbesondere in neuerer Zeit viele Gelehrten beschäftigt
baben. Unter den Engländern sind Boach Smidt» J. M. Eemble und
Angustus Francks zn erwähnen, unter den Franzoson Abbe Cochet und
Charles de Linas, unter den Deutschen insbesondere L. Lindenschmit,
der gegenwärtig in einem grösseren kritischen Werke aus den Denk-
miilern und Literaturreliquien dieses Zeitraumes die Culturgeschichte
der Völktrwundeiungs-Pcriode snsammenzustellen beginnt. Sein Werk
wird, nach dem Titel desselben zu urteilen, die gesammte deutsche
Altertumskunde zusftmmenfassen ; bisher ist davon jedoch erst das
erste Heft des ersten — die Altertümer der Merovingerzeit behandeln-
den — Teiles erschienen. Der Wert des Werkes wird indessen durch
die patriotische Gesinnung des Verfassers beeinträchtigt, welche säramt-
liehe Denkmäler dieser Zeit ausschliesslich der deutschen Bace vindi-
oiren möchte. Der Zeit nach betrachtet Lindenschmit das in Tournay
entdeckte Grab dee Frankenkönigs Childerich I. als sicheren Markstein
nach aufwärts — nur dass an den darin gefundenen Schätzen der
Typus der Goldschmiedearbeit dieser Zeit bereits vollständig entwickelt
ist» — die andere Zeitmark bilden ihm die durch das Christentum ver-
inderteo Begräbninformen, welche in der Karoltngerzeit die alten
barbarischen Traditionen in Leben und Kunst vollständig verscbwin-
* Haudbuch der deutschen Altertumskunde, üehersiclit der Denk-
mäler und Gr;il)Lifiinde frfihcjeschichtlicher und voifreschichtliclif^r Zeit von
L Liiideusohmit. lu drei Teilen. Erster Teil: Die Altertümer der mero-
TingiBchen Zeit. Erste Lieferung. Braunschweig. Friedrich Vieweg und
8olm. 1880L Mit zahlreichen Holzschnitten.
L^iyiii^cü Uy Google
UNOARISCHE ORF^VBeRIE CL0I80NN£b<
den lassen. De Liuas forscht aufwärts anoh über Childerich hinaus.
Indem er der 6'oldschmiedekunst ein besonderes Angenmerk zuwandte,
gelang es ihm in der Tat, dieselbe mit orientalischen, passanidischen
Denkmälern in organischen Znsammenhang su bringen nnd die«e
neuere, von der altclassisdhen und ihrer byzantinischen Fortsetzung
abweichende Bichtung des KuDstgeschmacks aus dem Osten und
namentlich aus Persien herzuleiten, wofür der zu Kagy-SzenMifiklös
im Torontdler Comitate gefundene reiche Goldschatz, der gegenwärtig
in der Wiener AltertümersanimluDg aufbewahrt wird, einen pchwer-
viegeudeii lieleg lüetet.
Die topot^'iaplii^-clie Ausbreitniig betreilenii scheint ims Liuden-
bchniit die Gren/o dieser Deijl\iu}iler allzu eng zu stecken, indem er
diesrllie im Xurdoslen v<in UoUand über die Göttinger nnd Erfurter
Gegend nach J^ühmen, von da südwärts, derEnns und Salzach entlant^
über die baieriscln- Hnc-hi'l*( ue in die Schweiz und von hit-r wieder
nach Burgund und in den Westen Frankreichs fuhrt. Sein^-r I»e!uiup-
tung nach lioren gegen Norden und Osten jenseits jener (irenzi ii die
Gräberfunde dieser Art auf. Er anerkennt zwar, dass ähnlichf Funde
in Ost[ reussen, Diiremark und an der schwedisclien Küste in zahl-
reichen Exemplaren vorkommen, nur dass diese doch eiuigermassen
von den in Deutschland, England und Frankreich gefundenen ab-
weichen, indem sie fast ausschliesslich aus edlen Metallen gefertigt
sind. Deshalb hält er sie ebenso für importirte Gegenstände, wie die
häufig mit ihnen zusammen gefundenen byzantinischen und orien*
tahschen Münzen. Dasselbe behauptet er von Ungarn, nur dass seiner
Behauptung nach die ungarländischen Funde, welche den deutschen
ähneln, auf spätere Zeiten hindeuten, und dass unter ihnen die Schätze
zahlreicher sind als die Gräberfunde. Er bemerkt femer, dass im
IX. und X. Jahrhundert Ungarn und der skandinavische Norden nicht
sowohl als Heimstätten entwickelter Kunstindustrie reich producirender
Ländejr, sondern vidtiehr als Stapelorte massenhafter Beute bekannt
sind. £s ist klar, dass Lindenschmit in dieser seiner Behauptung hlos
an Ungarn zur Zeit der Herzoge denkt und des Avarenstaates, der hier
vom VI. bis zum IX. Jahrhundert bestanden hat, ToUständig vergisst,
auch nicht weiss, dass, mit Ausnahme des einen Ssent-Miklöser
Schatzes, alle unsere anderen zahlreichen Funde in Gräbern gefunden
worden sind — teils in Friedhöfen, teils in Grabhügeln, den soge-
nannten Hünengräbern. Künhalraok.
Die Alterlumsforscher haben diesen Funden verschiedene Namen
gegeben. Die Skandinavier nennen sie '«zweite Eisenzeit», was keinen
Sinn hat ; denn bei uns, bei den Franzosen und Engländern würde dies
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UNGAIU6CUB ÜBF^VREUIE CL0I60N'NE£.
jedenfalls schon die dritte
Eisenzeit sein, da wir die
Keltenzeit als erste, die
Bomerzeit als zweite
Eisenzeit ansehen mÜ88-
teD. Die fingläuder nen-
nen dieselben zur schnel-
leren Oiientirung angel-
-trhsiscli. Henszlraann
bat diese Denkmiiler den
Gothen zu vindiciren
vewncht ; Lindenschmit
liut sie lange Zeit frän«
kisoh • alemanaisch ge-
nannt, jetzt aberbat auob
er, in Anbetracht dessen,
dass die merovingiseheo
Konige tatsächlich Deut-
^sehe gewesen sind, die
franzödische Benennung
seeeptirt, und spricht in
seinem letzten Werk be-
reits ausschliesslich von
deutschen Denkmälern
der MeroTingerzeit. Wir
dürfen die in Ungarn ge-
fundenen kohn Denkmä-
ler der Avarenzeit nen-
nen, da wir in Ungaim
keine über das VI. Jahr-
hundert zurückgehenden
I>enkmäler dieser Art
kennen, welche die be-
sondere Technik dieser
Zeiten repräsentirten.*De
linss hat diese Technik
bezeichnend Orfevrerie
doisonn^ genannt, in-
*Da«Us Email rloisuuneu
Dil Zdlenschmelz fiberaetet
köiim ii wir dies mit ili'm
AosdrucktZeliongoldsclimied-
ArWt* bmeiohneii.
Komorner (7) >Scbworl«cliei<lon-Ortban«l nnd Bdttuül«.
UNOABISOBX OBF^VBlfilB CLOISOHNte.
dem die Faesnng der roten Gnuiatetdxie in maniTe Zellen (doisonB)
von Gold oder BUber ihr Typus ist; bisweilen sehen wir zwar sneh
dcadtn-FIbefai.
audere Steine, Lapis Lazuli, Amethyst, Karneol und Glas so gefasst,
am häufigsten aber den edlen Granat (Almandin).
I
Diyiiized by Google
I
UNOARISCHE ÜliF^VREBlE CLOIÖONNiiE,
191
Email kommt bei diesen Denkmälern so selten vor, dass de Linas
es ihnen gänzlich abspricht, und von Sanct Eligius, dem berühmten
Goldschmied des ersten Frankenkönigs, behauptet, er habe die Kunst
des Emaillirens nicht gekannt. An dem hier (S. 180) abgebildeten
Scbwertscheiden-Ortband aber, welches inKomomi ?) gefunden wurde
und gegenwärtig in David Egger's Besitz ist, sehen wir in der kleinen
Rose zwischen den roten Granaten in der Tat wirkliches weisRCS
Email. Die mit Granaten verzierte reiche Goldspange aber stimmt
ToUBtandig mit dem Schatze des Königs Childerich iiberein.
GiMtai-niMla.
Derartige Zellen-Qoldsehmiedearbeit findet sioh yomehiiilioh anf
Behnallen, Bingen, Erensen, HaUketten, Haarnadeln und Fibeln.
Hier pablioiren wir jetzt eine ganze Beihe solcher Kleiderspangen,
««khe neb dnreh ilve Form von den deutschen, französischen und
englischen Fibeki unterscheiden, indem sie, wie unser bekannter Natnr-
fcndtor Otto Herman beweist, unverkennbar Cicaden yorstellen. Nr. 3
(& 190) wurde in Siebenbürgen, in der Gegend von SAromberek, gefan-
deo, ist ans massiyem Gold gefertigt, hat Augen von Granaten, den
L^iyiii^cü Uy Google
UNGABISCHÜ ORFEVRERIE CLOISONN^E. 1^-^
Leib und die Flügel mit Linien und Kreis-Zierrat geschmückt ; 3/» und
3r zeigt die Rückseite, die Application der Fibelnadel. Spange la und
Szcgedin-Siiv^nyhdzer Fände.
\h — von vorne und hinton gesehen, wo noch die Art erkennbar ist,
wie der verloren gegangene Dorn in die Dülle eingepasst werden
konnte — wnrde, zugleich mit seinem Paar, zu Györköny im Tolnaer
CasBÖMb* B«Tne, 1882, II. Heft. i >
9
12 /
UNOAEISCHE OBFi:VBERI£ CLOISONN^E.
195
Comitat gefimden und gelaugte aus dem Be-
sitze des Vicegespana Magyari-Kösa in die
NicoUuB Jaakovicli'sche Sammlung nnd mit
dieser in unser Nationalmnseum. Sic ist von
Silber verfertigt, mit einer Goldplatte über-
fogen, in deren Cloisons die Augen und der
Ftogelsolunnek dtixeh Qiaoaten gebildet werden.
Noch charakteristiBcher
i8ldieFibelNr.2(8.190),
welche bei Göd gefunden
wurde nnd als Gesohenk
des Herrn Schroy in das
Hnsenm gelangte ; Her-
man siebt dieselbe indes-
sen nieht für eine Cicade,
sondern für einen Asca-
laphns an. Unterer. 4,5,
6(8.191 ) folgen diesen ^ ^
ahnliche Brouze-Elei-
derspangen ans deiu
Mnseum, wek'lie be-
wtiseu, dass die Ciea-
den-Fibel eine rij^'en-
tnmliche nngarliindi-
sclipFarm ist. welche
bi-utr im Anshmde
nicht gefunden, daher
ni' iit als Hnsländische Beute hereingebracht, sondern wahrscheinlich
bier verfertigt wurde.
Nicht minder charakteristisch ist eine abweichende, in der Kegel
aus stellenweise vergoldetem Silber verfertigte Fibelform, deren Kopf
«n mit hervorragenden Knöpfen verziertes Halbrund bildet, mit kur-
sem gewölbtem Rücken, die Fiisse mit Gravenrarbeit oder Granaten
'Verziert. Solche Spangen kamen häufig im Auslande bei späteren
Merovingerfunden vor und sind auch in unserem Museum mehrfach
vertreten, in einem siebeubürgisohen Exemplar auch aus Blei, in einem
Kesfthelyer Exemplar aber aus Bronze. Dieses ans dem Keszthelyer
prilnstorischen Friedhofe ausgegrabene Exemplar ist besonders merk-
weil seine unzweifelhaft merovingische Form auch das Zeit-
jener bronzenen Biemenenden feststellt, welche mit ihm zugleich
Irfonden wurden und in ungarlandischen vorgeschichtlichen Friedhöfen
SctgwUa-öthftliiiflr Fand«.
13*
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UNGARISCHE OBF^VBERIC CLOIbüNNEE.
197
so häufig aufgegraben wirdfii. vie z. B. 1 ei den Funden von Adony,
Sze^erlin, Solor, Ordos. Höd-Mezö-Väsarhely, Kesztliely und dem
Fester W ettrennplatz. Solcshe bronzene Biemeuenden kommen eben-
falls im Auslande kaum vor und zählen zu den Eigentümlichkeiten der
nngarländifcheu Funde. Ihre Anfertiger besapeen keine lebendige Ein-
bildungskraft, denn sie wusEten der Form dereelben keine Mannigfal-
tigkeit zu geben, in (b i Verzierung abrr verrät sich die Armut der
Phantasie. Spiralische und geometrische Linien, Gewächsranken,
Greife, 7wei Hunde, die einen Hirsch vürgen, und ein darüberweglau-
fender Hase, Vögel und Drachenköpfe erschöpfen so ziemlich das £in-
Ke^'Ztüel^cr Fände.
^büdnngsTennögen des avariscben Künstlers. Besonders häufig ist der
Meifsienrat, dem wir in den verschiedensten Teilen des Landes vieder
WtA wieder hegten, in Nagyfalu, im Comitat Szolnok-Doboka, in
HÜ^sdin, Ordas, an der Donau ; ja Gonze pnblicirt Nr. 9, Tafel 37,
^|iiid X der «Monumenti del Istituto di Correspondenza Aroheologica»
1877 einen im Trentino gefundenen derartigen Biemensohluss, weleher
ait einem ähnlichen Biemenende ans dem alten Vorrat des nngari-
sohen Mationalmuseums und mit einem zweiten, der ans einem gele-
inflieh der Szegediner Erdarbeiten ausgehobenen Grabe zu Tage
§dBetdati wurde, vollständig' übereinstimmt, mit drei hintereinander
uiyiii^cü Uy Google
198
UKOAfilSCUE obf£vrerie cloisonn^e
kauernden Greif- ij. oben uhcr mit einem langohrigen, kurzschwünzigen.
laufenden Tier, weldies elicr Ha^^e als Hund ist.
Von Szetjediu liat bereits der i Arcliacologiai flrtesi'ttl» (Arcliacolr>-
giecher Anzeiger) vom Jahre ISSO auf Tafel 4-9 einen reichen Grabfund
aus der Avarenzeii pnblicirt, auf der Tafel S. 194, 195 g^ben wir
jetzt jenen noch prachtvolleren Fund, welcher den Kern der Szegediner
AltertttnierRamm1iin<7 ])il(len soll. Unter Nr. 12 sehen wir das groe»e
Biemenende mit den drei Greifen und dem Hauen ; bemerkenswert ist,
das8 die dazn gehörige, ebenfalls mit einem Hasen verzierte Schnalle
noch damit zusammenhängt. Nachdem wir ans zahlreichen Fanden
ersehen haben, dass in jedem Grabe allemal nur je ein solches längeres
Biemenende gefunden wird, können wir kühn behaupten, dass das-
selbe zum Gürtel gehört habe. Die Gfirtelklappeii Kr, 7, 9, 10, 11
zeigen dasselbe Oreifomament, nur dass bei Nr. 1 1 die Flügel minder
charakteristisch, verkümmert und ganz ähnlich wie beim Ordaser
Funde sind. Dermiter Nr. 8 sichtbare Zierrat, deseengleichen ebenfalls
nur zu je einem Stuck in den Gräbern gefunden wird, gehörte wahr-
scheinlich in die Mitte des Gürtels, die Riemenenden Nr. 4 und Nr. 5
gehörten wieder zusammen, diejenigen unter Nr. 1, 2, 36 zeigen Pflsn-
zenzierrat. Der begrabene Held trug demnach wahrscheinlich einen
breiteren Gürtel und ein schmäleres Bandelier von der rechten Schulter
bis zur linken Hüfte.
Noch interessanter ist ein anderer grösserer Grabfund, insofern
wir bei demselben abweichende Formen finden, ja in der Platte Nr. 1
eine Technik, wie sie uns in anderen Grabstätten der Avarenzeit bisher
nicht vorgekommen ist. Wir sehen auf der dünnen Bronzeplette in
i^etriebt'uer Arbeit einen Adler mit der rechten Kralle einen imifrokehr-
ten Fisch haltend und mit dem Schnabel dessen Ihinch aiif.sciilitzenil.
Die Technik erinnert an die Bronzedecke jener beiden kleinen romi-
schen Kästcljeii, Avilche uns ans dem Anfang des Y. Jahrhunderts
erhalten bhebeii : der Kuiistf^esclimack aber mahnt (üniji^ermassen an
denjenigen der Luxusgehi^se des Na^'v-SzentMi klüger Goldfundes,
ebenfalls von getriebener Arbeit. Bei diesem Kunstdenkmal ist eine
viel lebendigere Beoliachtniig der Natur wahrnehmbar, als bei anderen
Altertümern der Avarenzeit, deren Ornamente verraten, dass der
Erzeuger nur nach traditionellem Must^^r gearbeitet hat. Auch die
übrigen Teile des Fundes weisen seltener vorkommende Formen a«f,
wie z. B. die Kleideromamente Nr. 2 und 3 und die uugewöhnhch
breiten, perlenverzierten Riemenenden Nr. 12, 13 und 17 (126 zeigt die
Seite des Riemenendes 12«), und erinnern an die ebenfalls von den ge-
'wöhnlichen abweichenden Formen des Adonyer Fundes (S. Arch. £rt.
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l
l y Google
UNGARISCHE ORF^VREUIE CL0IS0NN6e.
1S80, Tafel XLUI, Nr. 8).
Die Gürtelklappen Nr. 6, 8,
11 und 10 unterscheiden
sieh weniger von den ge-
wöhnlichen Formen, diese,
sowie die unter Nr. 4, 5 und
7 sichtbaren Riemenenden
und Zierrate dienen sämmt-
lieh als Belege dafür, dass
das Leder bei der Beklei-
dung der Avaren eine grös-
sere Rolle gespielt habe als
das Wolleugewebe ; dieses
begleitet nämlich die Fibula,
in deren hohlem Rücken die
Falten der zusammenge-
steckten Wollenstoffe Raum
finden, jenes die Schnalle.
Die Bronzeplatteu Nr. 9 uud
10 haben den Oberteil und
die Mitte der Schwertscheide
zusammengefasst, die Platte
Nr. 14 aber ist wahrschein-
lich au das untere Ende der
Schwertscheide als Zierrat
befestigt gewesen.
"Wilhelm Lipp , der
glückliche Erforscher des
Keszthelyer avarenzeitli-
chen Friedhofes, hat der
archäologischen Gesellschaft seine neueren Funde eingesandt, unter
denen die in den Fraueugräbern gefundenen interessanten Ohrgehänge
hervorragen, welche ihrer Grösse wegen früher für Armbänder ge-
halten wurden (S. Arch. £rt. 1880, S. 122), obgleich sie unter dem
Schädel der Frauen gefunden \vurden ; sechs derselben geben wir auf
der Tafel S. H>G, 197. Die Ringe sind aus Bronzedraht verfertigt,
dessen unteres Ende breiter ausgeplättet und mit Zierraten versehen
ist ; von ihnen hing ein aus Draht gefertigtes buuförmiges Gehäuge
herab, dessen Unterteil durch eine blaue Glaspaste verschlossen ist.
Sonderbar ist es indessen, dass dieses Anhängsel in allen sechs Exom«
1-1
Biegediner Fände.
L i i^co l y Google
KUB2E SITZUN08BERIOHTE,
901
plareii mittelst Draht an den Ring befestigt ist. Die Denkmäler der
TatVl b. 199, 2(X) gehören zum Szegcnliner Ywuü aus Miinnergriibern :
eiu eiserner Zügel Nr. 5, ein Stei^Lügel Nr. 8, Güi-telklappeu Nr. G,
7, Messerklingen Nr. 9, Schwertheft Nr. 11 ; die Armbänder Nr. 1, 2
und 4 rühren ans Franengrübern her. — Es wurden in den Grübern
ausserdem zahlreiche Eiseugegenstiinde gefunden, die jedoch derart von
Rost angegriffen sind, dass über ihre Form wenig Bestimmtes gesagt
werden kann, meistens Messer, ein Scb\vert, massive Nägel, Steigbügel,
Lausen- und Pfeilspitzen. Fbauz vok Pülszky.**
KÜRZE SITZUNGSBERICHTE.
— Akademie der Wiesensehaften. 1. In der Sitzung der ersten
Classe am S. Januar legte Sabl Szisz bisher unbekannte Gedichte des
Gnfen Lad. Tblbki des Aelteren Tor. Vortragender hat nämlich von
Michael Herozegh einen Band Mianuscripte erhalten, welche in Lölle
im Somogyer Comitat auf einem Dachboden gefunden worden sind.
Der Band enthält 313 Seiten und auf diesen 27 Gedichte ohne gemein-
icbaftliehen Titel. Diese Gedichte haben keinen poetischen Wert, doch
offenbart sich in ihnen ein wsrmes Gemüt. Vortragender liest mehrere
Fioben daraus ; am meisten iuteressirte ein au ein jnnges Mädchen in
leiditem, neckischem Ton gehaltenes Gedicht. Vortragender schliesst
mit der Bemerkung, dass wenn auch Graf Ladi-^laus Teleki nicht zum
Dicliter gt l)oren war, sein dichterisches Wirken aus historischeu Ge-
dieh tepULktt-u doch Beachtung verdient.
MiCH vLL BoöisK n legt der Classe ein katholisches Gesangbuch
ans dem XVII. Jahrhundert in Manuscript vor. Dasselbe führt den
Titel: Vantinnah' t't }>as.<ti<)nalt' huuijarinim societatifi Jesu und ist sein
Autor unbekannt. Die Sammlung besteht aus zwei Teilen ; der erste
eLtliiilt Messgesänge für die Hauptfeste des Jahres, der andere Lamen-
tationeu nach K<ildy's Bibel-Uebersetzung mit Ciregoriauischen Noten.
Der Text der Lieder ist sangbar, die Musik zumeist im Sopran- und
Alt . selten im Tenor- Schlüssel geschrieben ; der */«-Takt ist Vorherr-
sclif-nd. Ihrem Ursprung nach zerfallen die Melodien in Gregorianische,
nationale und fremde. (Von den nationalen trägt Vortragender das unga-
I>r. I-ij'p hat seitdem seiiif Atiswrnbnngen mit %ielem Erfolge fctrt-
Ct und unter dreissig Ohrgehängen blos eiu einziges gefunden, wo cUu
fiei herabhängt, nicht mit Druit ungebunden ist
** Aus dem ersten Hefte des Archaeologiai J^rtuitö (Ärch. Anzeiger).
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KDfiZB SirZUMGBBBRICBIS.
rische Advent- und Fasten-Kyrie mit Olavierbcglcitung vor.) Die frem-
den sind Bnmei9t deutschen Ursprung^:, doeh haben sie hier einen unga-
rischen Bhythmti9 angenommen. Die neuen Gesänge, die in dieser
Sammlung enthalten sind, gingen in das Abt'sche Cu siuigbnch Pisne
kotholickt' über, das im Juble 1700 erschien, so dass dieselben sich
im VolkMuniiil erhalten kounten.
In der Sitzung der zweiten Cbtsse am 0. Januar sprach zuerst
BfeLA Majläth Über die ( 1 t schii htt du- tnhiiiri^rlit n ( h tsnawen. Kr warnt
davor, bei dem Ursprunc: nine^ ( )rt-naiiiens den Klang des Wortes oder
die vergleiciiendc ICtymdloi^ne anzuwenden, da man l)ei dieser Methode
Kehr leiclit auf Irrwege geraten k(»nue. Diese Methode befnlgtoii früher
und teilweise noch heute die slavischen Historiker, welche in allen
ultlateinisehou ( Irtsnanien sluvische Stiiraiue entdecken und die sogar
die Szekler für einen magyarisirten slavischen Stamm halten. Dieselbe
Methode befolgend hat auch Franz balamou die Umgegend der Haupt-
btadt Ungarns von slavischen Ortsnamen bevölkert gefunden. Vortra-
gender, der diesbezüglich eingebende Studien blos im Liptauer Comitate
gemacht hat, gelangt zu dem Resultate, dass in diesem gegen wär^
fast ausschUesslich slovakischen Comitat ursprüaglioh die meisten
Ortsnamen ungarisch waren und dass auch da die magyarische zu den
ersten Ansiedlungen gehört. Slavisohe und deutsche Ansiedlungen
erfolgten erst im XIII. Jahrhundert ; am Ende des XIII. Jahrhunderts
gab es in diesem Comitat 90 Ortschaften, ron denen 41 ungarische,
30 slayisohe, 5 deutsche und 5 lateinische Benennungen hatten. Vor-
tragender citirt nun interessante Beispiele, wie die meisten dieser
ungarischen Ortsnamen im Laufe der Jahrhunderte sich slavisirten.
So z. B. wurde aus villa noya, dem lateinischen Namen Ton Ujfalu,
das heutige Dianova. Hieraus ist zu ersehen, dass man selbst dort, wo
man heute slavische Ortsnamen antrifft, nicht sofort darauf schlieseen
dürfe, dass die Ureinwohner slavisch nnd dass die prima occupatio
keine ungarische gewesen sei.
Hierauf verlas Thomas Y^csey aus einer grösseren Arbeit, welche
<Uf I Urktstristenschaft unter den Arpdden behandelt, jenen Teil, der sich
mit dem Kechtsunterricht beschäftigt. Es gab unter den Arpaden ver-
schiedene hollere Anstalten, wie Gran, Martinsberg, Tirnau und
Veszpiim; doch blühte am Jüngsten die Hochschule zu Yeszpnm,
welche nach dem Muster der Pariser Universität eingerichtet, keine
Teilung nach Nationen nnd Fächern aufweist, l'nterrichtet wurden:
liberales artes. mandata divina und cultus justitia\ Von einer medici-
nischen Facultät ist noch keine Spur zu entdecken ; wurde doch die
Heilkuust als eine Fülle practi&cher Erfahrungen von den Geistlichen
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KUBZE 8ITZUN08BERICHTE. 2C»3
betrieben. Was ilen Reclitsuuterricht (cnltns justitiii) anbelanget, so
wurdon gelein t : legt s s;ecnlares, mores et cousiietnclioes, ars cnrialis
und ars notariali«, Vnter den leges f^a^cnlares ist t-elbstverstiindlich
auch das römische Pic eht zn verstehen, dessen Unterricht respective
Anwendung die Papste Ilondrins nnd Innocenz IV. erfolglos verljoten.
Den fünf Büchern Jnstinian's entsprechend, war der Cursus auf fünf
Jahre berechnet nnd lelirten nicht weniger als füiifzelm Doctores utrins
juris an dieser liechtsanstnlt. Der berühmteste derM-lhiii war der
Probst nnd Magister Paulus, der auch liei Padishius dem Kuuianier
sehr beliebt war. Vortragender führt nun den Beweis, dass die Rechts-
wibsenschaft unter den Arpaden m Ungarn geblüht habe und belegt
«lies mit einem von dem Erzbischof von Gran und dem Bischof von
Waitzen abgeschlossenen NutzniessuDgs- Vertrag, der voll der subtil-
sten juristischen Distinctionen ist.
Michael Zsilinszky behandelt auf Grund von neueren Arehiv-
stndien den ['irsshHi iH r iMmltaii com Jahre ISOO und besonders die
geheime Geschiebte der Wahl des Protestanten Georg Thurzo zum
Palatin. Entgegen der bisherigen Ansicht stellt Vortragender fest, dass
die Wahl nicht mit Acclamation erfolgte, da auf Thnrzo Stimmen
entfielen, während der Candidüt der Katholiken Graf ErdiSdy 51 Stim-
men erhielt.
3. Sitzung der dritten Cias^e am 16. Januar. Erster Vortragender
war L Fröhlich, welcher über die Experimental- Untersuchungen Be-
richt erstattete, die er über die ItUentität de* in-heittßoi Lichtex bei
Difiractionserecheinungen mit grossen Beugnngswinkeln angestellt, und
welche die Fortsetzung nnd den Abschluss einer vor einigen Jahren
ausgeführten Untereuchong bilden.
Durch eine in der mathematischen und natarwissen^^chaftlichen
ComixuMion der ungarischen Akademie gewährte materielle Unter-
stntznng wurde Vortragender in den Stand gesetzt, die zn einer solchen
Untersuchung nötigen sehr kostspieligen Apparate anzQüchatTen und
demnach die Untersuchung selbst auszuführen nnd teilt nun die Besul-
tate mit, die er durch Beobachtung von mitte Ist äusserst enger Glas und
Metallgitter dargestellten Ersclieinungen erhielt. — Im ersten experi-
mentellen Teile der Arbeit behandelt Vortragender die Beobachtungs-
Methode, die Beduction der Beobachtnngen und gibt die endgiltigen
Baten für Licht, das zur Einfallsebene senkrecht, und solches, das zn
dieser £bene parallel polarisirt ist. Ans diesem erhellt sofort, dass die
erfahrungsgem&ssen Werte der Intensität mit der gewöhnlichen Beu-
gnngsiheorie im grössteu Widerspruche stehen. Diese Tatsachen erfor-
dem eine grondliche Verallgemeinerung der bisherigen Theorie der
L^iyiii^cü Uy Google
KUBZK SITZUNOSBERICHTE.
Beugungsgitter. Vortrageuder entwickelt diese YerallLreineincrunfr im
zweiten Teile und sucht diejenigen an der GitterobortlHclio möf^liclien
Lichtbcwcgui gen. welche mit der Erfahrung übereinstimmen. Durch
AuNVf i)di;n«,' der Fourier'fchen Reilien gelingt es Vortragendem, dies
Problem ganz allgemein und streng zu lösen, er beweist, dass nneud-
licli viele li"iii(igene Lichtbewegungeii möglich sind, die die Beobach-
Uiij<:» n vollstaiiilig wiedergeben und die sehr einfach i)estimmt werden
können, dn^s aber die Entscheidung zwischen diesen bei dem gegen-
würtigen Stande unserer Erfahrung unmöglich sei.
Nicolai s v. Konkoly erstattet Bericht über die im Jahre ISSI lu
der (t ihiaUatr Sternwarte angestellten Beobachtungen. Es wurdt-n
Merkur. Venus, Mars, Jupiter, Saturn und Neptun beobachtet, ferner
wurden relractive Beobachtungen angestellt n. R. w. Ferner erstattet
Vortrujrfuder Bericht über Sonnenflecken und Sternschnuppen des
verflossenen Jahres. Schliesslich macht Vortragender die Akademie
auf die seit Kurzem von den Brüdern Eugen und Alexander Gotthard
auf eigene Kosten errichtete Privat- Sternwarte zuHereny aufmerksam,
welche eigentlich ein vorzfigHch eingerichtetes astropbysikalisches
Observatorium ist und eis solches schon einige Beobachtungen an
Himmelskörpern anstellte, deren Besultate v. Konkoly vorlegt.^
Max t. Hantkem bespricht das Vorkommen der Clavulina Szaboi
Seltichtm (Kleinzeller Tegel und Ofiier Mergel) in dem Gebiete der
Euganeen in Italien und der Meeralpen in der Grafschaft Nizza. Gele-
gentlich seiner im verflossenen Jahre in Italien gemachten Studienreise
machte er selbst einen Ausflug in die Euganeen, um das Vorkommen
der Mergel an Ort und Stelle kennen zu lernen. Ausser dem fraglichen
Mergel wurden auch die in den Euganeen m&chtig entwickelten, der
oberen Kreide angehörigen Kalke gesammelt. Vortragender teilte die
Besultate der Untersuchung dieses sowie des vom Professor 8zab6 ge-
sammelten Materials mit. Die Mergel sind sehr reich an Foraminiferen,
die mit denen des üfner Mergels übereinstimmen. Die ppärhch vor-
kommenden Mollusken und Ceiuoidenreste sprechen für die vollständige
Eichtigkeit der Zuweisung der fraglichen Mergel in die gleiche Alters-
stufe mit dem Ofner Mergel. Sehr interessant sind die Besultate der
mikro>copischen Untersuchung der oberen Kreidekalke. Sie erweisen
sich vornehmlich als Resultat der Anhäufung sehr \vinziger Foramini -
feren-Schalen. die vornehmlich aus Rotulideen bestehen. - - Gelegent-
lich seines Aufenthaltes in Turin wurden Vortragendem gelegentlich
Wir kommen auf das Her^nyer Observatorium im n&chsteu Hefte
zurttck. D. lled.
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I
KUBZB SITZUNOSBERICHTB.
der Besiclitiginig der tlortigeu paliiontologisclien kSammlimgeu Schh^mm-
proben von Mergeln aus der Grafschaft Nizza vorgezeigt, in welclien
iiim beim ersten Anblick sogleich einige charakteristische Foraminiferen
des Kleinzeller Tegels auffielen.
Zur Illustration zeigte Vortragender auch die systematisch geord-
nete Sammlung der in besproclienem Mergel gefundenen Foraminiferen,
lowie auch gut gehmgene Photographien der Dünnschliffe der ober
kret-asischem Kalk und in demselben vorkommenden Ilornsteine, aus
welchen sehr deutlich die zoogeue Entstehung dieser Gesteine zu eut-
sehmeu ist.
YixcENz BoRBÄs. als Gast, bespricht das System und die geogra-
phische Verbreitung der A'iuiUuiien, welche Pflaazengattun g in Ost-
A?ien und Nordamerika am schönsten gedeiht. Was unser Vaterland
anbelangt, so wetteifern die in den Siebenbürger Alpen vorkommenden
Arten an Varietiit und Formenreichtum mit der Flora der übrigen
europäischen Alpen. Bezüglich des Systems der Aquilegien schlagt
Vortragender eine neue Einteilung vor, welche der geographischen
Verbreitung und der Verwandtschaft der Arten gewissenhafter iiech-
nung trugt.
Hugo LojKA, als Gast, legt ein Werk des Dr. H. Rehm, könig-
hchen Laudesgerichtsarztes in Regensburg vor, unter dem Titel :
tAscomycetes ab H. Lojka in Hungaria, Transsylvania — et pro parte
— in Gahcia coUecti.» In dieser Arbeit behandelt Dr. llehm in latei-
nischer Sprache die Ascomyccten, welche Lojka gelegentlich seiner
hchenologischen Reisen gesammelt und Dr. Rehm zur Bearbeitung
uberlassen hat. Es sind in dieser Abhandlung 92 Arten von Discomy-
ceten und 100. Arten Pyrenomycoten genau beschrieben, darunter ein
neues Genus, ein neues Snbgeuuö und im Ganzen 28 neue Arten. Die
betreffenden Pilze wurden in den Jahren 1868 — 1880 in den Comitaten
Siros, Zipa, Liptaa, Gömör, Pest, Ször^ny, Somogy, Arad, Krasso und
Hunyad, sowie im Stryjer, Samborer, Sandeczer und äanoker Kreise
in Galizien gesammelt.
4-. In der Sitzung der ersten Classe am 23. Januar las Alexius
Jabab über die Geschichte der »iiAettbüryiachen Journalitük bis 1840. —
Vortragender schildert vor Allem nach einem kurzen Excurs in die
Geschichte der Zeitungen überhaupt, welche Schwierigkeiten es kostete,
in Siebenbürgen iu den beiden letzten Deconnien des vorigen Jahr-
hunderts je eine ungarische oder rumänische Zeitung zv gründen. Der
letzteren stand die geringe IntelHgenz der Bevölkerung, der erstereri
der Umstand im Wege, dass das Publikum sich mit den in Wien redi*
girten ungarischen Zeitnngea begnügte. So entschlief denn das erste
L^iyiii^uü Uy Google
S06
KDRSUB 8ITZUN08BBBICHTE.
im April 1700 gegründete ungarische JUatt bereits im Juni desselben
Jahres. Die Gründung der ersten uuf^^arischen Zeitung in Ungarn
g- lall',' (knn auch nur dem wiedererwachten nationalen Geiste. Brassai
giimdute da das erste ungarische Volkeblatt, Samuel Mehes erwarb
sich grosse Verdienste um die Förderung der periodischen Presse und
in der Periode 1834 — 1840 wirken wechselseitig die Parteikamiife und
die immer zahlreicher entstellenden ungarischen, deutsciien und rumä-
nischen lUatter anfeuernd auf einander ein ; in diese Epoche fällt auch
die Tätigkeit Franz Szilägj'i's. Auch nachdem Baron Sigmund
Kemeuy und Ludwig Kovacs in Folge einer geheimen Denunciation
flächten miissten. blühte die Presse trotz der bald unmenschlichen,
bald blöden Strenge der Censur fort. Die ungarischen Zeitungen führ-
ten den Kampf für die Pressfreilieit und für die Union mit Ungarn,
Aviilirend die bachseu in ihren ürgaueu der Beactiou in die Hände
arbeiteten.
JosKF BrDEXz hielt hierauf einen Vortrag über die Bedeutung
und den l'r>prung der beiden Worte Bdlvnnij (Götze) und frifn ((Jrab-
mal von HolzK Voriragemler fiiln t mit Zuhilfenahme eines reichen
wissenschaftlichen Apparates den Beweit-', dass beide Worte aus der
Heidenzeit stammen und zwar «bälvany« aus den Syrjenischen. wo
das Wort bolban = Klotzbild lautet. Aehnlichen Klang hat das Wort
noch hetite bei den slavischen und ugrischen Völkern. Es bedeutet
einen in den Boden gesteckten, ol)''n in einen Mcnsehenkopf auslaufen
den Pi'ahl. l'ijja bedeutet desgleichen «Kopfliolz - und stammt aus der
Zeit, da der (Irabpfahl noch in einen Kopf auslief, ein Brauch, der
nicht nur bei uns, sondern auch bei den Türken vorkommt.
— Ungarische historische Gesellschaft. In der Jahresversamiulung
der Gesellschaft am 12. Januar las Franz Sala.mon eine Abhandlung unter
dem Titel: ^och tin verschtnindencs Cainitat. Dieses «verschwundene Co-
mitat» , das vor dem Erscheinen der Magyaren nach verschiedenen Anga-
ben den deutscheu Kaisern, respective den Erzbischöfen von Salzburg
Untertan war. hiess nach seinem ersten Grafen Privina, nach seinem zwei-
ten Keczel, nach seinem Hauptorte aber Mosaburg. Dieser Hauptort soll
an der südöstlichen Spitze des Plattensees, an der Mündung des Flusses
S/ala gelegen haben. DasComitat war von grossem Umfang ; es dehnte
sich im Westen über Pettau hinaus, während es im Osten bi^ zur
Draye-Müudung reichte ; es umfasste demnach die heutigen Comitate
Baranya, Somogy und Zala. Die dreissig Ortsnamen, welche dieQuellea
mit dies' ir< « verseil wundcnen Gomitati in Verbindung bringen, sind
deutschen Klangs. Der Saizbarger Anonymus erwähnt Quinque Basi-
uiyiii^cü Uy Google
KUBZb SITZUNGSBERICHTE
207
(Füufkirclieii), Mosaburg (Szalavär), Saln piungiu (Szalaber),
Sala (Szala) und Unter^Paimonien, wo diese Orte und Flüsse gelegen
sein sollen. Voriaragender sucht nun sn zeigen, dass obige AngabiMi auf
sehr schwankender Grundlage ruhen nud daas das sogenannte Comitat
Pkivina, beziehungsweise Keosel, beziehungsweise Mosaburg gar nicht
in Ungarn existirt haben durfte. So z. B. ist unter Quinque Basilie»
uieht nur nicht Fünfldröhen, sondern überhaupt kein Ortsname zu
Teretehen, wie deon auch die übrigen Ortsnamen sich nicht auf unga-
rische Localitaten beziehen.
Kabl Szabö hat eine Liste der steuerzahlenden Burger Klauten'
kurgt ungarUeher yattoiudität aus dm Jahre 1468 entdeckt, welche sehr
interessante AufiBohlüsse über die Namen und die Beschäftigung der unga-
Tischen Bürger Klauaenborgs im Jahre 1453 erteilt Etwa 550 Namen ent*
hilteud, lehrt uns diese Liste» dass unter den ungarischen Bürgern
Kkusenburgs schon im XV. Jahrhundert alle Gewerbe vertreten waren
und dass dieselben zumeist aus den ungarischen Ortschaften der Umge-
bung «tammteil. Sehr lehrreicli wäre es, könnte man die Liste der deut-
irkni stfuerzahleiidi;ii Bürj^er Klaiisenburgs aus derselben Zeit finden.
BekauntUch liieltou die Zahltiiverhiiltui-se der beiden Nationalitilteu in
der Hauptstadt Siel)eiibürgens einaiuU r (laiuals die Waaj^'e, und der Bür-
germeister musste abwechselnd ein Unu'ur und ein I)eutcclier sein und der
Hunderter-Rat aus liintzig Deutsclien und aui^ fünfzig Ungarn bestehen.
Schon au^ diesem Grunde war.- es sehr interessant zu erfahren, in
wt'lclier Nationalität die verschiedenen Gewi rbe l)esser vertreten waren
und welche Nationalität höliere - Taxen" zalilte. Aus culturgeschioht-
lichem Gesichtspunkte ist scldiesslieh die erwähnte Liste desluill) wich-
tig, weil derselben auch die stiidti&chon Ausgaben aus demselben Jahre
angefügt sind ; wir erfahren da denn auch die Preise verschiedener
Gebrauchsartikel aus dem XV. Jahrhundert. Ein Bogen Papier kostet
2, ein Kübel Hafer 50, ein Fisch t S Denar u. s. w.
Zun Schlüsse berichtet I^idw io SzAdkczky über ih> histnrhchen
EdUionm der Krakauer Ahoileiiiir .h r II /.s.s> ;/.s/7*r//>p«, insofern dieselben
sielt auf unsere Geschichte beziehen. Sehr vi«dc interessante Daten
euthiUt für uns das «Gorrespondenzbnch aus dem XV. Jahrkundert -,
das die Berührungspunkte zwischen Polen und Ungarn mehrfach
bslenebtet.
908
I
VEBMIS0HZE8.
VERMISCHTES.
— Die T7niver«ität Klausenbarg ziihlte im Studienjahre 1880'81
im (liin/en 'j3 Lehrkräfte und im ex'steu «Semester 513, im zweiten 484
Hörer. Davon entfielen auf ilie
Jääbnt HOnv
philoBophisohe Faoolt&t ... 14 72 zesp. 66
mathematisoh-iuhtiirwiBs. Faoultät 11 60 • 53
jariBÜBche Fscoltät ^13 228 • 217
mediemisehe Fftonltät ... 25 I&3 » 148
Zusammon H3 513 renp. 484
Von den 63 Lehrkräften waren 41 ordentliche imd 1 ausserordent-
licher Professor, 1 Supplent, 6 Pzivatdoceuteii, 2 Privaiiehrer und 11 Assi-
stenten.
Von den Hörern waren im ersten Semester i07 ordL-ntliche. ;{•*» uus^^er-
urdenthclie, :29 Apotheker und 4:2 Hebaunnen; im zweiten SemeHter 3'i2
urdeutliche, 22 ausserordentliche, 28 A})otliekor und i'2 Hebammen.
Von den Hörern waren ihrer Contession nach lolnie die Ilehanniicn» :
römisch-katholisch 214 {II. Semester 204), giiecliisch-katholisch 24 (23).
griddiiseh-orientaliBoh 10 (7), evangelisch 29 (29), reformirt 143 (131),
mosaiBch 22 (20).
— ]>M JAMÜMPoljtecluilkBm im Bvd*p««t zfthlte im Studien-
jahre 1880/81 im Ganzen 57 Lehrkräfte; von diesen waren 28 ordeniliehe
Professoren, 1 Adjunkt, 7 Privatdooenten, 2 ausBarordentliohe Lehrer,
1 Repetitor imd 18 Assistenten.
Die Zahl der Hörer betinig im e^ten Semester 481, im eweiten
Semester 431, und zwar zählte die
L fitmastar U. Hea><'-<tf<r
allyemrine und clK inische Abteilmig ... ... 291 248 I lorer
Inf^'enieur-Abteiluii^' 119 115 »
mechanihclj-teclmische Abteilung .. 42 38 »
Architekten- Abteilung 10 . 10 •
Ausserordentliche ... ... ... ^ .„ 19 10 »
Zusammen ... ... 481 421 Hörer."""
In diesem Studienjahr betrug die Zabl der ers^ährigen 119, von die-
sen hatten 21 das Gymnasium, 98 die Realsohule absolvirt (im Voijahre
10 und 90).
Ihrer Confession nach waren von den 481 Hörem des enten Smne-
sters: 240 römisch-katholisch, 4 griechisch-katholisch, S griecliisch-orienta-
lii;ch, evangelisch, 35 refonnirt, 1 unitansdi und 153 (nahezu ein
Drittel) Israeliten.
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ALBRECHT DÜREB'S SCHMERZENSMANN
LEIN aoLZ-PA88ioN nennt tinser Meister im Tagebnohe seiner
1\. Reise in die Niederlande (Fr. Campe, Reliquien von A. Dürer,
Nürnberg, 1828, S. 1 16), im Gegensätze zu dvn drei grossen Buchern
{Apokalypse, Murienleben, grosse Holz-Passion) eine in den Jah-
ren 1509 — 11 entstandene Folge von dreissig nnd sieben Blättern
(B. 16— 3S), welche Darstellungen ans der Heilsgeschichte von
der Ersehaffnng des ersten Mensehenpaares bis znm allp;emeinen
Weltgericht enthalt, uud ohne alle Anmassimg die Dürer- Bibel
beisseu könnte, so wie 54 Bilder in den 1 3 Kuppeichen der vati-
kanischen Loggien gewöhnlich Kafaers Bibel genannt werden.
(Vgl. J. D. PassavantJUlael von Urbino. Leipzig» 1838. U, 203.)
Kimstlerii und Kunstsachen, Dresden, 178^), 1, 170, — wiedtrh.
Leipzig, 1804-, s. AV. Heinsius, Allg. Bücherlex. ib. 181:i. II. 'M'S)
w;ire dieses so oft wiederholte Holzscbnittwerk Dürer's in erster
Auflage in 4^ ohne Text erschienen. Es hebt mit dem Titel an,
•woranf die Fignr des leidenden Heylandes, der anf einem Steine
sitzet, mit dem Dnrer*8chen Zeichen. Oben steht : Figurse Passio-
nis Domini nostri Jesu Christi.» Hierauf folgt das Verzeicimiss
der einzelnen Blatter, in der Anordnung, wie solche Bartsch
(Le Peintre (jravenr n. ed. Leipzig, 1866. VU, 119 — li21) herüber-
genommen hat. .
Heinecken schickt seinem Yerzeichniss der Albrecht Dnrer'-
scheu Holzschnitte (a. a. 0. S. Dil) die Bemerkung voraus : er habe
neben anderen Sammlungen, sonderlich die Mariettische, welche
leb vorzüglich auserlesen gefunden, zu Bäte gezogen.» J. Helleb,
IhHpHMlM B«vact 1881^ m. Haft. |4
Zeugniss (Nene Nachrichten von
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^10 ALBUECHT L»Li4EK's «CHMERZENöMANN.
noch immer einer der vorzüglichsten Gewährsmänner in den
Dürer'8 Blätter betreffenden Fragen, nennt (Das Leben und die
Werke Albrecht Därer*B, Bamberg, 18:27. II, 2, S. 307) dies Yer-
zeiehniss «ein sehr Yollstandiges». «Die Blätter sah er alle selbst,
und bey jenen, wo es der Fall nicht war, gab er sorgfaltig die
Quellen an, woraus er seine Nachrichten entnahm.» J. Ch. Brünrt
(Manuel da Libraire. V« ed. Par. 186i2. III, 8!2) spendet desgleichen
Hemecken*B Beschreibungen das Lob: /ort exaetet/
B. Hausmann, einer der vorzügliehsten Kenner Dürer'scher
Arbeiten, schreibt (Albrecht Dürer's Kupferstiche, Puidiruugen,
Holzschnitte und Zeichnungen, Hannover, 1861, S. 63): Heller
erwähnt nach Hbinbcken * einer ersten Ausgabe mit Text, auf
deren Titel über dem Holzschnitt die Worte : Figune Passionis
Bomini nostri Jesu Christi, und am Ende: finit impressnm Nori-
berga- löl 1, stehen sollen.» «Ich, fährt Hausmann fort, habe einen
solchen Öchluss nie zu Gesicht bekommen, er kann aber nicht
echt sein, da bei allen Dürer'schen Werken mit lateinischem Text
steht impressnm Numberge, niemals Impressum Noriberg».^
Sehade, dass Hausmann Heilerts Anfuhrung mit Heineoken's
eigener Aussage nicht verglichen hat, er wurde (a. a. 0. Nachr.
S. 172) gefunden haben: «Diese kleine Passion ist von neuem ge-
druckt worden mit dem Titel: Passio Christi ab Alberto Durer
Norimbergensis effigiata, cum Tarii generis carminibus fratrum (?)
8. Benedicti, Chelidonii, Mnsophili, mit Text auf der Bäckseite,
und am Ende: finit impressnm NoribergaB.«
Heinecken spriclit hier offenbar von einer zweiten Ausgabe
dieses Passionsbiichleins mit Text, gibt aber den Titel dieses
ungenau, er lautet nämlich wie folgt : Passio Christi ah Alberto
* Sonderbar cronncr Bchreibt nicht nur Hausmakk , tondam aach
A. Bartsch a. a. O. IS. 2s n. 12, und IIellkk jcilesnial tltni Namen (liesos
Kunstforscliera Hcineke, wahrend liRUXKT Heineken Ijnuieht. In der \oni
'A. Mai 1789 datirtt-n Vorrede zu den neuen Nachrichten von Künstlern
utul Knn.stsachen zeichnete er sich: Carl Hrinrich von Heincckcn. In «lern
Avortissement zum II. liaud des Dictiouairo des Artiates, Leipzig, 1788,
liest man: C. H* de Hsinshen,
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ALBRECHT DÜRER'ä SCHMERZENSMANN.
tu
Dwrer Nu || renhergensi ('fjujiatu cu varij (jeneris carnii II nibus
Frairii Benedicti Chelidon^j II MuaophiU, In der Mitte de;: dieser
Abbuidlang beigegebene facsimilirte HobsBcbnitt des 8cbmerzens-
manneB, darunter die Dittyeben :
O mihi toutorom . iusto xnilii causa dolonun
O cnicis O mortis causa cruenta mihi.
O lioiiio sat tuerit . tibi nie seiiiel ista tulisse.
O cessa culpis me cruciare iiouis.
Cum priuUegio.
Die Vorderseite des letzten, d. i. B8. Blattes, enthält den xoXo^wv :
Impressum Nurnbergc per Alhcrtu Dura' Pictorc \\ Anno christi
MüUiimo quinquentesimo vndecimo. Ausser dieser Scblussbemer-
kang» welcbe AuBkunft gibt über Ort, Drucker und Zeit der Aus-
gabe findet sieb nacbstehende Androhung: Heus tu msidiator . ao
aüeni laboris . et ingenij . surrep II tor . ne manus temerarias bis
uodtris operi li biis iuicias . caiie. Scius oni a gloriosissi '[ iiio liomu-
Rorii imperatore . Maxi ü miiiauo . nobis cucessum esse ii uequis
sQppositicijs for || mis . bas imagines imprimere . U seu impressas
per impe II rij limitesTendere audeat . q • II sipercötemptum • seu
auarieie eri II men . seeus feeeris . post bonorum eon II fiseaoio*
nem . tibi maximum periculum sube II imdum esse certissime
scias. * «Ob nun schon Kays eil ige Freiheit, bemerkte längst
H. C. Abbnd (Das gedecbtnisz der ebren eines derer ToUkomm-
nesten Eänstler seiner und aller nachfolgenden Zeiten Albreeht
Dürers, Goszlar, 1 728, § 9), dahin ging, dasz niemand dieses werk
sollte naelimaeben. r^o fand sich doch l)al(l ein Italiänischer
Kupferstecher, der dieses lateiu nicht verstand, oder nicht ver-
stehen wollte, und also alle stücke in Venedig (?) nachmachte,
und dessen name biesz Marcus Antonius.» — Doch hierüber
später, kehren wir zu Heinecken zurück.
Von dem ersten Zu?taude der Platten, vor allem Text gibt es
lu öffentlichen und privaten Sammlungen ganz vorzügliche Folgen,
* Ein ganz getreuM Faosimüe davon «ibt H. Lbhpbrtz, Bilderhefte
cor Qeidiicfate des Büeberhandels. Cölu. 186t. Tafel IL
14*
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213 ALBRECHT DÜRBR*8 SCHMERZENSMANN.
bei denen aber stets das Titi'U)l;itt ubgebt. So bewahrt das Amster-
damer Museum dieses Holzschnittwerk in nenn onzerschnittenen
Bogen» je vier DarsteUnngen auf einem Blatt. Aneh hierin fehlt
der Titel. Hansmann meint, dieser sei ohne Text nie in Handel
gekommen, füjjft aber sogleich an : «wird daher nur für die Ausj:;abe
mit Text gearbeitet» sein. Dem sei wie ihm wolle, man wird billig
jsugestehen müssen, dasB der Grund von dem «impressum Neri-
hergs« allein gegen das Zeugniss Heinecken's nicht entscheidet ;
denn abgesehen davon» dass Nonbergae ein Schreibfehler ist, der
bei sehr geschätzten Bibliographen * sich wiederholt, spricht ja
Heinecken von der Textausf,'abe des Jahres 151 1, und nicht von
der ohne Text, von der wir annehmen müssten, es sei auf dem Titel
des ersten Zastandes der Name Dürer's ^ß^Dz verschwiegen geblie-
ben. Freilich hat der Kunsthistoriker für seine Behauptung durch
Urkunden einzustehen, und da müssen wir unbedingt zugeben,
solche habe Heinecken nicht beif»ebracht, da er sogar den Ort
unerwähnt liess, au welchem er den Titel vor dem Text zu Gesicht
bekommen hat.
Sicher ist zwischen der Herstellung der Gompositionen, den
Zeichnungen auf die Stöcke und deren Schnitt eine geraume Zeit
verflossen. Es scheint, der Meister konnte sich selbst nicht leicht
zufrieden geben, er besserte noch an den vollendeten Stöcken. So
gibt es, wie Hausmann (B. Naumann, Archiv für die zeichnenden
Künste, Leipzig, 1855, 1, 54 ff.) gezeigt hat, von dem Blatte : der
Vertreibung Adam und Eva*s aus dem Paradiese** (B. 18)
zweierlei Abdrücke, die in <ler Zeichnuiij; des Rückgrates der Eva
abweichen. Der Akademiker A. Firmin Didot hatte in seiner
«
Z. 13. G. W. Panzek, .\jiualeä typti<,'r}i]»liici al) Anno MDl jul immim
MDXXXVI coutiuuati. Xorimbergae : 1790. VII, i5(). no 77. — J. G. Tli.
Graf.ssr, Ttiaot de livres nores et pröcieux ou uouveau dictiouuaire bibUo-
grupliKiue. Dresde. 1861. II, 4o3.
Diese Darstelltiiig epigrammirte ein neulateinischer Dichter der
BenaiBaanoe (Caspar Velins ?) also:
ADgelos hos cemens, miratiis diiit: ab horto
Non ita formosos tos ego depnlenun.
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ALBBECHT DÜBKR's SCUMI RZENSMANN.
213
bMÜhmten jiuustsammlung (Catalogue des dessins et estampes,
Paris, 1877, p. 39, Nr, 282) eine Ausgabe ohne Text, in welcher
die Gebort Christi (B. 20) mit den bisher bekannten Abdrneken
in einii^en. wvim auch geringeren Sachen nicht übereinstimmt.
Piiss Dürer den Heihmd am Oelberge zweimal (B. :20 und 54)
für diese Folge componirte, wird allgemein angenommen (M.
Thaosing, Dürer, Geschichte seines Lebens nnd seiner Knnst.
Leipzig. 1876, S. 345).
Auch Bücher haben ihr Erlebtes ! Ihr äusserer Werl ändert
sich im Allgemeinen merklich von Zeit zu Zeit, im Ganzen für
grosse Meister steigend, für kleinere sinkend. Da ich Ton der
ealtorgeschichtUchen Wichtigkeit der Nachrichten, su welchen
Freisen Därer's Blatter und Werke verkauft wurden, überzeugt
bm, hoffe ich, es werde Kunstfreunde intercssiren, nachfolgende,
die Wertschätzung und Concurrenz der Amateurs aufhellende
Preisnotizen hier mitf;eteilt zu finden. In den Tagen Dürer's
geschah der Verkauf von Kunstwerken in sehr prinütiver Weise,
der Kunstler verausserte sie an Ort und Stelle, und führte diesel-
ben auf seinen Reisen als Waare mit sich, seine eigene Mutter,
die gute Bauüara, hielt die Stiche und Holzschnitte an Tagen, wo
das Volk zusammenströmte, öffentlich feil. Beweis dafür tindet
sich in den Venediger Briefen ihres Sohnes, der in seinen heiter-
sten Lebensstunden nicht vergisst, am 2. April 1506 seinem Freund
W. Pirkheimer 'zu schreiben: «IIv mit last mich ewch befolhen
sein vud sageut meiner Muter daz sy awti' daz Heiltum * feil las
* Campb, Reliquien 8. 19 liesB Hbetelln droeken, was Etb, Leben
mdWfarken A DOter'e, IL ÄnlL, Kördlingen, 1869; richtig 8. t.04 in heUtm,
nuammengexogen aus Heylighmbf verbessert hat. Im spätem Mittelalter
nnd nur Zeit der Renaissanrr wnirden die h- Bcliqaien in knnstvoU gear-
beitc'ten Schan<:errissen und prachtvollen Öchreiuen von einer EmporbÜbne
theyltunibstiiel» gezeigt. So z. B. in Wien, nm St. Stofansmünnter : alle iar an
tontag nach detti Ostcrfmi. Ver^'l. M. DtNis, Wiens Buciidnickerf^eseliiiht.
Wien, 1782, S. 15. Der Wu ner 1 1. iltunisstiilil erbaut liSo \Mir(le 1700 uh^e
brochen. Eine Abbildiuig diivoii in den .Mitteilun<;en des Altt riums-Vi reins,
Wien, XVI, 35, p. 47. V. a. Das Wiener Ileiligthuiubucii. Wicu. ISbi!. p. IX.
Nach G. W. C. Lochnsb's Forscliimgeu : Ditf Pereoueu-Nauien io A. Dfirer's
L^iyiii^uü uy Google
214
ALBRECHT DÜRER's SCilMKRZKNäMANN.
haben.» Einzelne Preise der Dürer 'sehen Kunstwaare erfahren
mt aus dem Tagebache seiner niederländischen Beise. Fleissig
▼erbncht darin der Meister seine Einnahmen, wir geben daraus
nur die Aufzeichnungen, welche die kleine Heilige Passion betref-
fen. So erzählt Dürer (1520): «Item Schaidt Fischt r hat mir zu
Antorff (Antwerpen) abkanfft 16 kleiner Passion pro 4ß.9 (Campe
a. a. 0. 8. 81.) Noch mehr Beachtung yerdient das genaue Ver-
zeichniss der ungeheuren Menge von Kunstwerken, die er daselbst
dem portugiesischen Handelsagenten Buandan (Factor von Por-
tugal) geschenkt hat: «ein kleines geschniedenes Kindlein. Mehr
hab ich ihm geschenkt ein Adam und Eva, den Hieronymum in
Geheisz» den Herculum, den Eastachinm, die Melanckolj, die
Nemesin. Darnach auf dem halben Pogen drey neue Marien-Hild,
die Veronicaixi, den Antonium, die Weyhnachteu und das Creutz.
Damach die besten ans dem Viertelbogen der sind acht Stücklein.
Damach die drey Bücher unser Frauen Leben, Apocalypsin, und
den grossen Passion, dsmach den klein Pasnon und den Passion
in Kupffer, das ist alles irerth b Ü.» (Campe. S. S7. 88.) Weiter
fanden wir angemerkt: «Ich hab gelöst aus zwey Atl.im und Eva,
ein Mehrwunder, j Hieronymus, j Beuther, j Nemesin, j Eustachium,
j ganz Stuck Holzwerk, sieben stuck des schlechten Holzwerks
2 Bücker und 10 hh in Hol: Jossion. alles iimb Sil.» (Campe.
IOC).) Und nochmals erwähnt THir^r; «Ich bab 3 ti. aus dem klein
H0I2 Passion gelöst.! 1>h8 Tagebuch zeigt von der übrigens nie
angezweifelten noblen Natur des Künstlers, der bemüht war,
Freunden Andenken, Dienstleistenden irgend eine Entlohnung in
hinterlassen. Zu erstereu zuhlte der Ant\veri)eiier Stadtschreiher
CoBNEL Gbapueus, eigentlich Scuryyeb genannt, * dem Dürer am
Briefen aus Venedig. Nümber«;. 1870. S. !>, wurden am Freitag nach Quoii-
modogeniti, d. i. nach dem weisssen Sonntag, d» r im .luliro 15O0 anf den
19. Apnl fiel, die Iielicjuien und der d. Krinningsoniat »dVentlidi aungestt-llt.
* (iK.vHHKrs. ein l'olyliistor. verlasste zu dem in neuerer Zeit viel-
b©8proc]ienen Kinzug Kaiser Karl 1.520, in Autwiqien eine Gratulatio.
Vergl. J. Fr. Foj)i)on .s Uibliotlieca Belgicu. Unixell. 1739, I, 201, wo auch
sein cburakteristiseheB, von N. Lannesrin gestochenes BüdniM su aeheti ist
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JlIiBRSOHT d€bEB*S SCHlfBBZBNBMANN.
315
I. Febniar 15:21 ein Exemplar der kleinen Holzschnitt-Passion
verebrt^, welches den Vermerk hatte: Albertvs Dvrer pietor opt.
max. C. Grapheo dono dedit, propria ipsius manv. YII. die febr.
ID. DDD.XXI.^ und sich später in der Bibliothek des bekannten
Biographen der Aldns und Etienne Ant. Aug. Benouard befand. *
üebergehend zur Geschichte der Preise, mit welchen nach
Durer's Hinscheiden die Blätter dieses Holzschnittwerkes abgin-
gen, wollen wir nicht nnsere Studie durch ein mechanisches
Aneinanderheften von Zahlen und Namen bis zur langweiligen
Armnt verzerren. Ciilturgeschichtliche Daten sind niemals dürr
und trocken, denn Namen und Zahlen werden für den Forscher nnr
wertvolle Wegweiser auf langem Weg. Die Abgrenzung aber und
Auswahl des bisher gehörigen Materials bietet mehr als eine
Schwierigkeit, wasinsbeeonderuns ans dem XVI. und XVII. Jahr-
himdert bekanut geworden ist, war kar^^lich genug; allen denen,
die in dieser Beziehung an die Ceiitr< n grosser Sammlungen
gestellt sindi möge die Ergänzung des bisher Zugänglichen em-
pfohlen sein.
Joachim Sandrart yersäumt in seiner «Teutschen Aeademie»
nicht, wiederholt auf die Kostbarkeit der Dürer'schen Werke hin-
zuweisen, allein Anhaltungspunkte für den Handel derselben zu
seiner Zeit bietet er nicht. Teuer waren sie nicht. Die aus 836 (?)
Därer*schen Kupferstichen und Holzschnitten bestehende J. G.
pAüLi'sehe Sammlung in Breslau wurde in der ersten Hälfte des
XVIIl. Jahrhunderts auf 400 fl. geschätzt. ** Der französische Ama-
teur Jean de Juliemne (1686—1766) besass 300 vorzügliche Dürer-
Behe Blätter, darunter 101 Kupferstiche, die im Jahre 1767 um den
geringen Preis von 301 Livres verkauft werden mussten.*** Exgie*
biger werden unsere Quellen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts,
mit den 1790 anhebenden Verzeichnissen des I^iirnberger Kunst-
* VexgL Catalogoe de la Biblioth^que d*an amateur, avec notes
IdUiograpbiqiies, oritiqQes et litt^raires. Paris, 1819. I, IG.
^ Hellkr, das Leben und die Werke Albiecht Dtiier's, II, 1. Zeieh>
nnngen. Gemälde, plastiBche Arbeiten. Bamberg. 1821, S. 150.
'^^'^ Ii. Clemsnt ob Bis, les amatenni d'aatrefois. Paris. 1877, p. 31 1.
216
ALB&BCUT DÜfiKE'8 SCUUSRZENSMANN.
händlers Johann Fbiedbich Fbauenholz. Diese wurden (I — IX,
1804) darum yeröffentlieht, um Liebhaber von Eupferstieh- Werken
und Kunstsachen einzuladen, in der Behausung des Genannten
zur ötfentlicheu Versteigerung derselben zu erscheinen. Die haar
zu leistende Bezahlung geschah in Conventionsgeld, an Provision
wurden 12 Prooent genommen; da unser Exemplar genau die
Preise eingezeichnet hat, so sind wir in der Lage, dieselben zu
reproduciren, was vielleicht auch desiiall) nicht überflüssig ist,
da sie bei Heller, welcher bei andern Blättern Dürers die Frauen-
holz'schen Preise anzeigt, nicht aulgenommen sind.
Wir lassen in Nachstehendem den Titel des Frauenholz*schen
Auctiüus-Cataloges, welcher immer der jjleiche blieb, ful^^en :
« Yerzeichuiss einer betrachtlichen Kupferstich-Sammlung alter
und neuer, grösstenteils seltener Blätter aus allen Schulen, nebst
Kupferstich- Werken und Eunstsachen, welche den 21. März 1791
in der Frauenholzischen Behausung in den gewöhnlichen Vor-
und Nachmittags-Stunden öffentlich gegen bnare Bezahlung in
Conventionsgelde sollen versteigert werden. Nr. I, Nürnberg,
1790, kl. 8, 8. 6, Nr. 75. 36 Bl. Die kleine Passion, complet
ohne den Titel, verkauft um 4fl. 30 kr. Am 21. November d. J.
(II, Nr. 112) i^iii;; ein ähnliches Exemplar gar nur mit 2 fl.
:iO kr. ab. Den 30. September 1703 (IV, 1:J, Nr. 173) sind 37 Ps.
La vie de Jesus, ou la petite passion, pet. 4. suite complette et bon-
nes epreuves um 13 fl. veräussert worden. Ein noch schöneres
Exemplar, 37 fl., Figura» Passionis Domini nostri Jesu Christi,
premiere editiuu avant le texte, erzielte im Februar i7U7. lü Ü.
(VI, 20, 1, Nr. 186.)
Zu den vorzüglichsten Verzeichnissen über die besten und
gesuchtesten Blätter der Kupferstecher, Formschneider, Litho-
graphen gehört R. Wbtoel*s Knnstoatalog, welcher durch 28 Jahre,
1S3S- - »■>(), in 35 Abteilungen mit dem V)esonderen Titel: «Catalog
von Kunstsachen und Büchern, welche in der Anstalt für Kunst
und Literatur (B. Weigel) in Leipzig vorrätig oder durch dieselbe
besorgt werden», 8^, erschienen ist. Bei so einem reichen Vorrat
von Holzschnittbücheru, wie er K. Weigel vorlag, ist es höchlichst
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ALBBfiCHT DdBEB*tt 8CHMBBZBN8MANN. 217
aoffallend, dass Dürer's kleine Passion in dieser langen Eeihe von
Jahren vollständig nur <in eiuzuje» Mal vorliegt (Nr. :27*JU, II,
106), Folge von 37 Blättern mit dem Titel 1511. Erete Drucke
mit lateinischem Text, mit breitem Bande, im Original-Pergament-
band, nm 15 Thaler offerirt.
In der viel genannten Ali x. PosoNYi'schen Dürer-Saninilung,
die 187() von Hulot in Paris erworben, 1877 dem Berliner Kupfer-
fltieh-Cabinet um 100,000 Frs. verkauft wurde, * befand 8ich(Gatalt-
Nr. 133, S. 20) die Anagabe mit dem Texte, dem Originaltitel und
dem Impressum, 38 Blätter, welche Posonvi in der PoKOBNr'scheu
Auction für 2^6 Gulden in München erstanden hat. Bei Brfntano
in Frankfurt, 1870 (p. 24, Nr. :254), wurde die Ausgabe vor dem
Teite, ohne Titelblatt, um S55 fl. dem Londoner Kunsthändler
Golnaghi zugeschlagen. Marchese Jaoopo Dubaszo besass ein
coD]pletes Exemplar mit dem Text, in altem gej^ressten Lederband,
welches Gutekunst \Hl'2 (I, 181, Nr. iNöS) um 400 ti. an Mann
brachte. Derselbe Kunsthändler verkaufte am 24. Nov. 1881 nur
i7 BL um 280 Mk. Für die yorzngliohen 38 Abdrücke der Textes-
Ausgabe vom Jahre 1511 wurden 1876 (Nr. 480, S. 46) ]ye\ C. B.
Lii HART 201 Mark geboten, wahrend im December des darauf folgen-
den Jahres der Frankfurter Kunsthändler F. A. C. Prestel für die
G. MABSOHALL'schen Drucke vor dem Text (B. 17—5^, Nr. 259,
8. 17), dabei der Titel mit dem Text, etwas schmutzig, 370 Mark
bezahlt hatte. G. J. Schwabe, Catalogue de livres rares, Nr. VI,
Paris, 1879, zeigte p. '27 (j, Nr. :2i221 die Veuediger Ausgabe von
D. Bifittccio mit :250 Francs an.
An der .Seite des ernsten Schrifttums und der schwierigen
Konstubung geht immer die literarische und artistische Freibeuterei
einher, das hat A. Dürer trotz aller kaiserlichen Schutz-Privile-
gien und drohenden Verboten sattsam erfahren. Sah er doch mit
Beben eigenen Augen in Nürnberg unter dem Bathause einen
fremden Mann mit Beprodnctionen seiner Eunstwaare unver-
sehamten Hansirhandel treiben. £r war genötigt, den Schutz der
* Kunst-Chromk« XIIL J. Leipzig, 1S7S, u. 14.
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S18
ILBRECHT DÜRBB*8 8CBMERZrN8MANN.
Obrigkeit dage<:^en anziirüfet). Am B. Januar 1508 erliesa hierauf
der Xuinbercrer Magistrat foljzendes Verbot (bei Cainpe u. a. 0.
8. 183): «Item einen frembden Mann, so imdter dem Rathaus
Eunstprif feyl hat, vnnd vndter denselben etliche so Alhrecht
Dürer'a Hand2seißhen haben, die Izne betmglieh nachgedraekt
seyndt, Boll man in Fflieht nehmen, dieselbe Zeichen alle absn-
thun und deren keines hir fayl zu halten. Oder ^Y0 er sich des wHidern
■würd, soll mnn ihme dieselben Prif alle als ein Falsch auffheben vnnd
eines Eaths hannden nemen.» Marc Anton HAniONDi scheute sich
nicht die kleine Passion mit Hinweglassnng des Dürer sehen Mono-
gramms naehznstechen nnd die Blätter mit einem leeren Täfelohen
versehen, in drei verschiedenen Abdrücken in der Welt zu zer-
streuen. * Sie sind hart und steif und «^egen das Original gehalten
leblos. A. Bartsch hat sie XIV, 401—16 genau beschrieben.
Es bedürfte einer ganzen Abhandlung, um alle Oopen der
kleinen Passion eingehend zu besprechen, leider fehlt hierzu der
Baum, und wir beschränken uns darauf, dieselben der Zeitfolge
nach aufzuzahlen. Schon erschienen die Copieu von Virgil
Sons in der bei V. Geyssler gedruckten: Passio vnsers Herrn
Jhesu Christi. Die Venediger Drucker J. Osta und P. Valgris
liessen dieselben löö7 ropiren, von einem Ungenannten, für
ihre : Gontemplatio vit8> et Passionis Domini Nostri Jesy Christi.
H. Lufft liess kleiner" Copien herstellen für sein Witten-
berger Betbüchlein mit Caleuder und Passioual D. M. Luth.
Aehnliche enthält : Novi Testamenti »ditio postrema per D. £ras-
mum B. Frankf. 1560. Vorig. Hau. Den Jahren 1665 — 9 gehören
die vom Monogrammisten ^ signirten Abbilder. Hierauf
Hierüber hat auch G. Vasari, Mure-Antonio Bolognese, le vite
de'pin* eccellenti pittoh scultori ed Architettori. Firenze, 1880, V, p. 40&
seq., ab«r märcfaenbait beriditet« Milanen nennt mit Recht diesen Berieht
eine novella. C. Th« Mnrr hat in der Sache das Richtige in seiner descrip-
tion da Cabinet Frann, 1797, bereite geeehen nnd aneeinandeigesetEt p. 88.
*^ Und dflera. Vergl. C. K. Nagler, die Monogranmiieten. Mtlnohen,
1819. V, 267 ff.
Nagler a. a. O. III, lOo. liült difst-n Copisten fiJr den Meieter der
e. 1576 in Holz geschnittenen Baseler und Bemer Todtentäoxe.
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ALBBBCHT dOrSB's 80B1IBBZEN8MAMN. 319
folgen die 1671 veroireutlicbten Copien von Nie. Solis. * Hei-
necken gibt (a. 0. a. 0. S. 173) Nachricht von einer Wiederlioliing
in Kupfer, 37 Blätter, unter dem Titel : Paseio Christi ab Alberto
Dorero eüfigiata. I. A. Colon, eze. A. B., desgleichen Wtisbergen
ete. Der Angsbtirc^er Copist Lambert Hopper hat nach demselben
Gewährsmann von tlitser Passion 18 Blätter im ersten Drittel des
XVL Jahrhunderts nachgestochen.** Melch. Ki ssell fertifjte
Copien der Wäsbergen'schen Copien an.*** Im Jahre 1644
erschien bei Jos. Mommart in Brüssel eine Ausgabe in Qaart mit
der üebersehrift: Historia Passionis Bnl. nri. Jesu Christi ab
Alberto Diirero delineata. + In unseren Tagen wurden sämrat-
liche Blätter 1862 von A. Burchard in Berlin photolithographirt ;
1S6H getreu in Holz nachgeschnitten von C. Deis. ff
Noch haben wir der Original-Holzstöoke zu gedenken, von
welchen Heinecken (a. a. 0. 8. 17S) richtig berichtet hat, sie
wären nach V enedig gebracht und hier neu aufgelegt worden.
Weigel besass davon im Jahre ein Exemplar, welches er
Nr. 5603 6., I, 4, 38 eingehend beschreibt und um 1 5 Thaler an-
bietet. Das Buch hatte die gesammte Folge von 37 Blattern mit
dem Titel : La Passione di N. S. Giesv Christo D'Alberto Durero,
auf der Rückseite die Verse M. Moro's. In Venetin, 161l'. AppresRO
Daniel Bisuccio. i. 4:2 B). nebst Dürer s Portrait, Kupferstich,
Medaillon. Brunet, Manuel II, 911, gibt eine einlässliche Be-
sehreibung nach Didot's Exemplar. Nach ihm sind im Jahre 1839.
36 von den sehr abgenätzten Originalstöcken nach London in das
British MuBüum gekommen, wo sie sich auch heute noch befinden.
Henry Cole nahm ls4i galvanoplastische Abformungen davon
nud deu ergänzten Titel für Abdrücke, die er in dem Buche
* Vergl. J. D. Passnvaut, le Peintre-Gvaveiir. Leipsig, 18Gn. IV. 127,
BartHch VIII, 52(5, imd nach iliui A. Auilresen, IlatKlbucii für
Kui»ferstich-Sanauler, Leipzig, 1870, 1, 694, zählen nur 15 Blatter.
Heller, a. a. O. S. 610.
^ l>itseii r\)j)ien können die bei I'rubenius. l'l'ii. i)i Hitmbur«; mit dem
fikUchen Titel: Alberti Dureri Noriberg. Genn. Icones sucnie nicht auge-
leiht Verden« es Himl 38 von den 40 Blättern Albkkt Altdor|''kr s.
H Eiehititt und Stuttgart. A. Eye gab 1873 dazu EriiuterongeD.
L^iyiii^cü Uy Google
ALBR£CHT DÜ&Ea'S SCHMERZ EK8II ANN.
«Events in the life of Jesns Christ» verwendete. Weigel offerirte
Nr. 14593, 1845, XVI, 73, die gewöhnliche Ausgabe um 7 Thaler,
Tondrueke um lOV 2 Thaler und Pergameutdrucke um 21 Thaler.
Von iiilen Bilderfolgen Dürer *b ist die kleine Passion in Holz-
schnitt am meisten verbreitet, besonders im zweiten Zustand mit
dem Texte ; doch sind, wie Hausmann, der eompetenteste Zeuge
in dieser Sache, berichtet la. a. 0. 8. (VA) : «die vollständigen Fol-
gen mit dem echten Titel ausserordentlich selten, wie denn von
den reichen Wiener Sammlungen (1861) diejenige des Erzherzogs
Albrecht allein eine solche besitzt und keine der Münchener
Dürer-Sammlungen einen echten Titel aufweisen kann.« * Das-
selbe gilt selhstverstjindlich in erhöhtem Maasse von Privat-
Samiulungen, welche meistens durch eine spatere Copie oder
Handzeicbnung das Titelblatt ersetzt haben. **
Die Darstellungen Christ des Heilandes als „Schmerzen»^
matni*\ sei es mittelst Wort, Stift, Pinsel. Grabstichel, Meissel.
sind so zahh'eich, dass der Kunstforscher keine geringe Mühe
hatte, den gebotenen Stoff auch nur in allgemeinen Schilderangen
zu überwältigen. Die unterschiedlichen Daratellungsweisen des
leidenden Erlösers als Sckmerzentmann, Ecce Homo, das Antlitz
des Herrn auf dem Seliw eisstuche S. Verouica's, sind aus den
Auffassungen des Jesaja'nischen Gesichtes (53, 3), und aus
dem Verständnisse der vier Evangelisten (Matth. :27, ^26 — 30,
Marc. 15, 1.5 — 19, Luc. 23, 25« Joh. 19, 1 — 6) geflossen. Jesaja
'i' Die Bichtigkeit dieser Behauptang können wir aas eigener Erfah-
rung bestätigen.
P. PftAUK (Murr, Cab.-Nr. 138 — 74) hatte ein eompletes Exemplar,
welches 1801 mit der gesammten Sammlung an Franenholz tlbeiging.
Verg^. Deutsches Ennatblatt Nr. 23, 8. 904. Das Dii>OT*sehe «tirage non
decrita, Cat, Par. 1877, Nr. 282, p. 39 wurde bei der Auctiou zurückge-
zogen. Unvollständige, d. i. Ausgaben ohne Titel he.^aBseii die Amateurs :
Dkks( Hai' (Nürnberg, 1825), G. Fümf.e (Wien, 18l26). M. Hkld (ib. ISSGi,
F. X. Stikkl (ib. IS'ASu L. Ci((»(iNAKA (ib. \><3'.h, 13. Tetzold lib. 18451,
E. r. Otto (Leix)zig, 1851 1, A. W. .Tixomfistfr lil». 18.V2i. W. A. Acker«
MANN (ib. ls.'»;^i, B. Sphinkmann (ib. l>5.'Ji. C. Mk(HJ.i, (Leipzig, 1854),
.7. KiShKNHAKT ^-München, 1861), J. C. Endri^ (Wien, Ib^id) und J. D.
BouM (ib. Ibtib).
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ALBRECUI DLKEU'ä SCHMERZENSMANN.
sieiit denGepla^n, welchen sich die Schmerzen zu ihrem Manne^
mit welchem sie es zu tmi hahen wollen, erwählt haben. Nach
dem neniestamentlichen Bericht wurde Christus vom Landpfleger
den römischen Kriegskncciittii zur Geisselung überpehen, an
diese scbloss sich die Verhöhnung seines israelitischen Königtums
in der Aoisetzung der Domenkrone, Anlegung des Pnipurkleides
md der damit yerbundenen rohen Gewalttaten an. Pilatus, um
dnrefa den erbarmungswürdigen Anblick das Mitleid der vor dem
Richthause versammelten ungestümen Menge zu erwecken, stellte
Jesum, auf ihn zeigend, mit den Worten vor: seht, welch ein
Mensch! Nach der lateinischen Uebersetzung sprach er: Keee
Brno!
Das künstlerische Motiv des Srhmerzensnmnnes entspross also
der einfachen heilsgeschichtliclien Erzählung und ist lün;jst vor
Därer verwertet worden. So z. B. hnden sich aus der Zeit der
Wiegendrucke allein im Gatalog frühester Erzeugnisse der Brucker-
konst der T. 0. WeigeVsehen Sammlung (Leipzig, 187^) sechs
verschiedene Darstellungen aus den Jahren 1450 — löOO (Nr. lOS,
5U; m, 73; .i6'.3, 184; 466, d'IS; 472, :233; 486, 24J), meistens
der stehende Christas in der Grabkiste, zwischen Engeln ver-
sinnbildlichend. Der Meister mit den gothischen Buchstaben
E. 8. von 1466 hat in einem in Dresden befindlichen Kupferstich
Christus als Schmerzensmann dargestellt. (Passavant II. 58,
Nr. 155). Von demselben ist ein anderes, von 1467 datirtes Blatt :
das Antlitz des Heilandes auf dem Schweisstuche, welches von
8. Peter und Paul gehalten wird. (Nagler, Monogramm. II, 660.)
Ein ungenanutt r alter Meister hat, nach Heineckeu (Deutsche
KupftTstichgeschichte, neue Nachr. I, 309), den Heiland st» hend
mit der Domenkrone, um ihn herum vier Engel mit den Instru-
menten der Passion abgebildet. Ein Blatt mit dem Beiher
gedruckt. Eben dieselbe Vorstellung, etwas grösser, dann ein
Brustbild des Heilandes mit der Dornenkrone und kreuzweise
übereinander gelegten Händen auf der Brust kennt unser Ge-
vähramann. Berühmt ist Martin Schongauer's Schmerzens-
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^REOHT D0BER*8 SCHMERZENSMANN.
muun, * von grosser Schönheit der Form, Tiefe der Empfindung.
Dass Dürer Scbongauer's Blätter kannte und studirte ist sicher»
eine Y^gleichnng der Ereuzschleppnng dieses Meisters, B. 21,
mit der I>är6r*8 grossen Holzsehnitt-Passion, B. 10, liest darüber
keinen Zweifel aufkommen. **
Ist aher keinem aufmerksamen Freund älterer Kunst enc-
gangen, wie dieselbe von ihren Anfängen an das Bild des Schmer-
zensmannes in Darstellungen aller Art verewigt hat, so ward ihm
andererseits auch offenbar, dass Dürer eine Beibe von Darstel-
lunjTfen dieses idealen Vorwurfes geschaffen bat, die in ihrer
Hoheit wohl oft wiederholt, niemals aber übertroffen worden
sind. £wig denkwürdig bleibt es aber, wie Dürer denselben
(Gegenstand so oft behandeln konnte, ohne Spnr einer müssigen
WiederholunjT, ohne im geringsten den erhabenen Gedanken zu
verflachen. Dem Schriftsteller, der heute über Kunst schreiben
will, wird kein Material des Beweises erlassen, und so wollen wir
innerhalb der uns gezogenen Grenzen Dürer's sämmtliche hieher
gehörige Darstellungen, so weit sie bekannt geworden sind, vor-
führen. Wir beginnen mit den Kupferstichen, Radirungeu und
Holzschnitten, deren Zeitfolge und Autheutie sicher gestellt ist ;
hieran werden sich die Handzeichnungen und Gemälde ansohlies-
sen, letztere bilden einen wichtigen Teil der Dürerkunde, aber es
fnbt auf diesem Gebiete viel Gestrüpp, Heller's unzuverlässige
Aufstellungen sollten berichtigt werden. Die neuere Forschung hat
hiezu so manche verdienstvonile Beiträge zu Tage gefördert, im
Pi. 60. A. AVurzbacli, M. bcliongauer, Wien, 18M). S. Ui, versetzt
ihu in che Zeit 1470 — 3. In der Didot'scheu Auctiou, Mai 1^77, wurde die-
ser 8ticli Ulli 1500 Fr. vtakauft.
* S. G. Dehio, die Coinposition von HatTaers Spasimo di bicilia uud
ilxre Vorläufer, Zeitschr. für bilcL Kunst. Leipzig, 1881, XVI, S55.
W. Gbimk*« Urteil über DOnr's Veronies und Eece Homo-Bilder:
«In den Holzschnitten, die wenige und harte UmriBse Terlaiigen, hat er
vorzugsweiHe den Typus beibehalten, aber den herben und nngefiUligen ;
in den Kupferstichen sucht er mehr gemeine Naturwahrheit, die oft nnsebdn
ist» (Die Sa{ie vom Ursprung der Christusbilder, AbhandL der BerL Akad.
Phil. Hist. Cl. 1842, S. 167) mm als unbegrOndet beeeichnet werden.
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ALBRECHT DÜREH'S SCHMERZENSMANN. --3
Ganzen aber mehr mit den Handzeiclmungen als mit den Gemäl-
den Dürer 's sich befasst. Wir begnügen uns aber im Allgemeinen
die beachtenswerten Compositionen einfach an unseren Augen
vorbeiziehen zu lassen, nur das Titelblatt zur kleinen Holzschnitt-
Passion und eine in unserem Besitze befindliche Handzeichnung
Albrerlit Diiret"« Ecrc norou. ßartseh H>.
soll nacb der künstlerischen und inhaltlichen Seite eingehender
jTe\vürdigt werden.
Zuerst tritt uns das Bild Christi, als der Mann der Schmerzen,
mit ausgebreiteten Armen in einem (B. :20) Kupferstich entgegen.
224
ALBRECUT DÜRER's 6CUMERZENSMANN
Thausing (Dürer, S. 174) tadelt die wulstige Anatomie, den ver-
zdiohneten Kopf und Augen, und findet die sehwache Stichel-
fühning derart auffallend, dass er die Arbeit vor das Jahr 1497
zurückzuversetzen versucht ist, während Hausmann (a. a. 0. S. 1 3)
die sort^fjiltige und durchgebildete Behandlung des Vorgruudes
hevorhebt und wegen der grossen Uebereinstimmung in Gefühl
und Ausdruck mit B. 21 in das Jahr 1512 verweist. Hetberg
(a. a. 0. Nr. 90 p. 40) lässt es mit Becht um 150T entstanden sein.
Zunächst folgt das lö09 datirte Titelblatt der Passion in Kupfer-
stich : der ächmerzensmann steht mit den Wundmalen und der
Domenkrone an der Martersäule mit gekreuzten Ajrmen, in der
Linken die Bute» in der Bechten eine Geissei haltend (B. 3). An
dieses schliesst sich das herrliche, nur in der Albertina und iu
Dresden aufzufindt iHle Blättehen : Veronica, sie hält mit beiden
Händen das Tuch mit dem Antlitze des Herrn. Der Stich, mit
der trockenen Nadel geritzt, tragt die Jabreszahl 1610 (B. 64).
Mit 1510 ist auch das Veronicabild (B. 38) der kleinen Holzschnitt-
Passion bezeichnet. Mit demselben Datum ist der Holzschnitt
(B. 9) in der grossen Holzschnitt-Passion versehen, welcher die
Schaustellung des domgekrönten Herrn im Biohthause darstellt.
Aus dem darauffolgenden Jahre 1611 stammt : das Titelblatt za
derselben Passion (B. 4) : der sitzende Schmerzensmann, seinen
spottenden Teil) igern gep;enüber; das Titelbhitt zur kleinen Pas-
sion in Holzschnitt (B. Uh und die Schaustellung (B. 35) aus der
nämlichen Folge. In das Jabr 1612 fällt der mit gebundenen
Händen abgebildete Scbmerzensmaim, ein mit der kalten Nadel
ber<:estelltes Blatt (B. -2 \ ), und der «Ecce Homo» der Kupferstich-
Passion ^B. 10). Das von zwei Engeln gehaltene Tuch mit dem
Antlitze Christi (Kupferstich B. 25) zeigt 1613 ; der Aetzdmck,
sitzender domgekrönter Heiland (B. 22), 1616, die Badirung des
von einem Engel gehaltenen Linnentuches mit dem Antlitze des
Herrn (B. 1516 als Entstehungszeit. Schliesslich dürfen wir
das sogenannte grosse Cbristushaupt, das Bartsch (Vli, 18:2, Ap.
Nr. 26), Betberg (a. a. 0. S. 120, Ap. Nr. 141) unter die zweifel-
haften, Heller (a. a. 0. S. 613, Nr. 1639), Eye (a. a. 0. 8. ol6>
üiyilizuü by GoOgle
ALBKECUT DÜRER S 8CUM£RZ£NSMANN.
225
und ThauBiog (a. a. 0. S. 363) unter die echten Blätter deBKönst-
Un setzen. Schwerlich sind Gestalten, wie der Schmerzenflmaxm
Doier^e in den vorher angefahrten 14 Daretelltmgen, wirknngs-
reicher zu ersinnen ; überall zeigt Dürer jene ausgezeichnete
Brgabunfr, das, ^vils er im Bilde vorführen will, mit der streng-
sten haushälterischen Verwendung der Mittel, wie Bildnereien in
ewigen Fels gehauen, zu zeichnen, immer das Wesentliche aus
der Idee hervor zu holen und den geschichtlichen Vorgang in
Beiner stillen Grosse an's Licht zu stellen. Unstreitig besteht
penide in dieser Fähigkeit ein Hauptteil des ausserordentlichen
Erfolges und verleiht diese Eigenschaft den Dürer'schen Typen
einen so wunderbaren Beiz.
Werfen wir nun einen Rückblick auf das Titelblatt der kleinen
HoLxchnitt-Püssion. * Wie die auf S. :226 stehende Nachbildung
weist, ist diese einfache Darstellung Christus als Schmerzensmann
nicht Zeichnung in Linien, sondern natürliches Leben. ** Im An-
schauen derselben schöpft nicht nur der Amateur, sondern auch
der Kunstforscher uns einem fast unversiegbar erscheinenden
Brunnen. Gründliche Sach- und Fachkenner spenden dieser
Composition ungeteiltes Lob. G. H. Hotho (Geschichte der
dentschen und niederländischen Malerei, Berlin, 184S, I, 118)
bekennt als das Tiefste, was sich in Inhalt und Ausdruck der
Stininiimg erreichen lasst, sei ihm immer Dürer's Titelblatt zu
seiner kleinen Passion in Holz erschienen. A. Springer (Bilder
aas der neueren Kunstgeschichte, Bonn, 1867, 8. 197) bemerkt:
«Das arma virumque cano Virgil*s ist keine bessere Einleitung
* Unser Original mit dem Waascrzeicben der holieii Kroiu-. von tno-ser
Scharfe. Doublette einer d. Staatssammlnng, ist leider durch VerBchiUttdiimg
ohne Text. Es gibt von dem Titolblatte ausser den scbon oben angefiihr-
ten Copien in den Gesainnitfolgen auch einzelne, die Heller 8. 3öt^ ff. auf-
zahlt. Wir selbst besitzen deren ihei. Zu den bestell rechnet mau die
Sr. 129 veröffentlichte (.Opie von R. v. Iletberg.
** H. C. Areni> a. a. O. schreibt naiv: «Ich wollte 'ntKli im )ir stueckc
von besagten 151 1-teu jalire anfueren, wenn nicbt durcli anscliunmi'^' des.
gebundenen Jesu mein ziun zaeitigsten mitleiden bewogenes genuit nur
«tat jener brater passionsstuecke voxstelleto.t
Ün^arii4:i)« B«ra«, 1862, UI. H*l|. « e
Diyilizeü by GoOgle
ALBRECHT DUBEB ä SCÜMEBZENSMANN.
eines epischen Gesanges, aU der in scharf charakteristisohoi
Zügen von Dürer verkörperte Held seiner Erzählung. • Nach
^affio (Cb»(hab2Ubeitol^ur<r i^u
rcnbcrgenfi cffigi aca ci3 vari jgencns ca
nibus Pracns Bencdi'ifli Cnelidonii
MuTophili*
carmi
O mt(ü cantoruni.m{lo mihi caufa d^^t^
OaucisOmoretscaufa crucnta mihi.
O homoftf fucrit.öbi mc ferocl ifta tuliflc»
Occ{raculp^niccruciare nouis*
IlMbteH n» Umümb H6Iit9hattt>Pwrtoa.
A, Etb (ErUnter. 8. 18) gehört das Blatt tzu den Dnrohdachte-
sten und tiefst Empfundeuen, was unser Meister geleistet.» Dörer
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!
▲LBRECHT DÜREH's äCUMGRZENöMANN. ^
bat iu idealer Auffassung seinen Schmerzemmann als bddeutungs*
▼olles, symboliaehes Andachtsbild gesobaffen ; mag immerhin für
Viele die Zeit der Allegorien vorbei Bein, die Symbole yerblasst»
ihre Erklärnngen verstäubt, wer diese Vorstellunj^j verstehen will,
muas sich auf Dürer's Standpunkt steilen. Könnten wir die
Albrcobt Dürer*! «Eeo« Homo*. BarUoh ü.
Schranken der Geduld unserer verehrten Leser erweitem, so
wollten wir durch theologische Exegese den wunderbaren Sinn
deesexit was wir mit Augen sehen, deuten. In Schonung dessen
lassen wir alles liegen, was nicht unbedingt zom Verständnisse
noaeres Vorwurfes vonnöten ist Dürer zeigt uns den dornen-
IS*
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HB
ALBRKCHT DÜKERS 8CH1IEBSB1I8KAMN.
gekrönten Christus, im dreistrabligen Nimbus, sitzend das heilige
Haupt mit der rechten Hand unterstützend, voll Schmers über
die Bünde nnd Schuld des Mensebengeschleobts und doch yön
Barmherzigkt'it für dieses, um dessen Erlösung willen er Mensch
geworden. Nach den pauliniHchen Worten, Gal. 3, 1, soll Jesus
Christus so anschaulich vor Augen gestellt werden, als wäre er
unter uns gekreusiget ; auf seinem sinnenden Angesicht schwebt
die tiefernste Mahnung (Hebr. 6, G), nicht auf ein Neues den Sohn
Gottes zu kreuzigen und zu verspotten. Naturumgebung, Bau-
ond Beiwerk, * überhaupt Alles, was für den äuBsereu Sinn den
inneren Seelenvorgang zur Anschauung bringen kann, hat er mit
Vorbedacht hinweggelassen. Er, der nicht müde geworden ist,
in figurenreichen Compositionen jenes wunderbare unbegreifliche
Ereigniss des gottmenschlicben Leidens zu zeicbiien und auszu-
maleq» verschmäht es hier, die Tat des Gottmenschen durch Aus*
breitung des Herganges zu entwickehi, sondern erzählt in einer
nnd derselben Figur dem aufmerksamen Betrachter das Epos von
Gotteskraft und ^fenscbenleideu. Dürers S€hmer:cn8m(inn lebt
fort, er ist eine populiire beilige Figur geworden, das Volk batte
seine Gestalt verstanden. Bei uns und dranssen in den Gebirgs-
ländem finden wir an Strassen, Feldwegen, Thälem und Bergen
den unvergleichlichen Vorwurf Dürer's nachgebildet, oft mit der
Klage Jereraia- (Tbren. 1, \'2) bezeicbnet: 0 ibr Alle, die ibr vor-
übergeht am Wege, gebet Acbt und schauet, ob ein Scbmerz gleich
sei meinem Schmerze. An diesen Schmerz Jesu, der alle Welt durch-
zittert, hat offenbar B. Chelibonius gedacht, als er für das Titel-
blatt die oben abgedruckten Verse als ünterscbrift machte. ***
* Marc Anton stellt«' B. Ss-i, 1 die Fi^iir in ein Rennissnnco-Thor,
von welchem eine leere Ins(?lirift-Tafel unf drei Schnüren lieraljliun^'t.
^* .T, A. Met^snier, über A. I>ürer's Titelblatt zur kleinen I'assiuti,
Mitth. der Centr.-Coinni., \\'ien. ISOI, \I, 2lS, l>leil)t bei den» aujj.serlicheu
Motiv des Sitzens, iJasteus stehen, inid deutet gekünstelt diu'ch Herbei*
Kiebtmg feruliegeuder geschichtlicher Notizen die künstlensche Seite der
Composition.
4«« Bon, Chelidomiu war l^nedietiner zum h. Egyd in Ntlmberg nnd
wurde 1615 Abt U. L. F. zu den Sehotten in Wien. Genaue Kacfarieblen
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ALBRBCBT DÜfiBR*8 SCHMEßZBNBlUNN,
319
Auf die Hamlzeichnunfjen übergeliend, müssen wir die ullf^e-
meine Bemerkung vorausschicken, dass dieses Gebiet, indem wir
den Entwicklungsgang des Meisters kennen lernen, bei der ge-
sehicbtlichen nnd ästhetischen Würdigung der Yorstellungskreise
desselben 'unserer vollen Beachtnng wert ist. Nor müssen wir
eingestehen, dass wir nach dem heute vorliegenden Material noch
nicht in der Lage sind, eine sichere Einsicht in den Bildungsgang
tmseres Lieblingskünstlers xu gewinnen. Wir können uns der
Ueberzeugnng nicht yerschUessen, dass die ergänsende und bes-
flernde hieher bezügliche Forschuug seitHELLBs's Zeiten in dieser
Hiusii ht einen langsamen Gang genommen hat ; insbesondere für
die kritisch-historische Beurteilung der von Dürer (femalten, ihm
mtreffend oder irrtünüich angeeigneten Bilder fehlt uns ein ver-
Usslicher Führer, ^«chwohl Hausmann und Thausino vieles rich-
tig gestellt, erläutert und erforscht haben.
Von den unseren Gegenstund darstellt udtii Dürersclien
Handzeichiiungeu sind bisher bekannt geworden: Die iMHor'sche
Sam ulung hatte 1588 zwei Eooe Homo „gar guet" (Heller, II, 1,
Dnrer's Zeichnungen« Gemälde, plastische Arbeiten, Bamberg,
1827, S. 79). Joachim Sanurart erzählt uns 1679 (Akad. II. H.,
Tb. n, 89), in seiner Kunstkummer wäre unter den Handrisseu
des weltberühmten Albrecht Dürer's : «Ein Ecce Homo mit
sehmerzhafften Angesicht, Reissig mit schwarzer Kreide gezeich>
net» gewesen. In der HELLER'schen Sammlung in Bamberg
(Nr. 75, 76, a. a. 0. S. 33) befand sich neben einem zweifelhaften
tEcce Homo mit zusammengebundenen Händen, eine Studie von
einem Ecce Homo, mit vieler Einsicht und i^rossem Geist» behan-
delte Federzeichnung. In dem königlichen Kupferstirh-Cabinet zu
Berlin befindet sich ein • Schmerzensmann t, mit dem Monogramm
tiln-r iliffioii \VrsiHcat()r f^ibt M. l)enis, die M€*rk\viir<li^'koitt'ii <ler ^'tin Ui-
schen IWbliothek. Wü n, 17sO. Nr. 507 — S. — Wieim IiuclulruckL'igt.'schiclite,
ib. 1782, S. 201— 2. — J. Ascbbach, die Wiener Universität und ihre Hunia-
oisten im Zeitalter Kaiser Uas I., Wien, 1877, erwähnt seiner S. 8t, 260,
369, ohne die biogra2)lii8ehen Kachriehten des ileiasigen Denis genauer sn
beachten.
SBO ALBBKOHT DÜBBB's 8CHHERZEM8M AMN.
versehener Federentwurf: Christus sitzt von Maria und Johannes
umgeben unter einem Tronhiinniel, getragen von 15 Männern«
Femer ist dort ein domengekröntes Cbristusbaapt, auf grünem
Grund mit Gold gehöhet, monogrammirt und datirt 1510. (B.
. Hansmann, A. Dnrer's Enpferstiche, Eadimngen, Holzschnitte,
Zeichnungen S. 1 1 6 — 1 7.)
DasKupferstich-Cabinet in Dresden bewahrt einen vouCiruner
in Photographie Teröffentlichten, 1510 gezeichneten Schmerzens-
mann. (Eye, Lehen Därer*s 8. 3S7.) Bei J. G. Fr. Danthe in Leipzig
<kam 1817 nnter den Federzeichnimgen der gegeisselte Heiland
von Dürer vor. (Heller, II. 1, S. i7.) Neuestens Imt das Berliner
Kupferstich-Cabinet eine flüchtige Skizze von Dürer's Hand, Chri-
stos als Schmerzensmann (nach Jes. 63, 2) in der Kelter stehend»
erworhen. (S. Catalog einer Ausstellung Ton Zeichnungen alter
Meister im Kupferstich-Cabinet. Berlin, 1881, 8. 5, Nr. i,) Unter
(IfU l)iirt'r-Zf ichmmpen der rniversitäts-Bibliotht-k in Erknnjen
ißt eine Aquarelle : der sitzende Ecce Homo, von Th. Krüf^er
1614 in Nürnberg ge.stochen. (Hausmann a. a. 0. S. 127.
geller H, % Nr. :2260, S. 84.3.) Das Printroom des British
Museums besitzt von Dürer einen aufblickenden domengekrönten
Ghristuskopf mit der Jahreszahl 1503 und der Beischrift«
wahrend Krankheit gcztielmet.M (Hausmann, R. Nauman's
Archiv für die zeichnenden Künste. Leipzig, 1858, IV. 36.) J. G.
Silberrad, ein eifriger Kunstfreund, hatte eine grau in grau aus-
geführte «Ecce Homo ••Zeichnung, dif später in die Nagler*8che
Sammlung in Berlin kam. (Heller a. a. O. 8. 91.) Im September
1793 wurde von J. Fr. Fraueuholz aus der ^Ve]ser'schen Samm-
lung in Nürnberg ein «Ecce Homo» Nr. ö-24i7 (Cat. IV, 306) um
166 Gulden versteigert; die folgende Nummer 5)248, der Heiland
mit der Dornenkrone, um ^7o fl. 30 kr. für die Albertina gekauft.
Im Cabinet Oavlns, später dn Roy, war auch: der gebundene
Christus. (R. Wei^'el, die Werk«- der Maler in ibreti Handzeieli-
nungen. Leipzig, 1800, S. 19:2.) Zwei mit sehr vielem Fleisse
gearbeitete £cce Homo-Zeichnungen soll die Bildergalerie in
Weimar besitzen. (Heller, a. a. 0. S. 95.) Zu den unvergleich-
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ALBRECUT DÜBER 8 SCÜMEBZBNSMAKN.
liehen Schäisen der Albertina in Wien zählt die Sohaustellnng
Christi in der sogeua^nten grünen Passion. (Braun, Phot. Nr. 553.)
Der HaiidzcichnuDgsbestand des Wiener Kunstsamiulers Josef
Grünling wies 18:27 einen mouogrammirten, mit 1022 bezeich-
neten £coe Homo auf. (Heller, a. a. 0, S. li^.) Gleichzeitig wird
eine Zeiohnung in der Sammlung der Amateurs J. M. Birkenstock
und F. Lefevre, Inspector der Albertina, bezeugt. (Heller, a. a. O.
S. 120, l:)2.) Unter denHandzeiclinuugen der Biidapester Landes-
Gallerie fand Custos Dr. Karl Pulszky eine Studie, die er ini
Anbange zu unserer gleichnamigen Abhandlung in «Archaeologiai
&rtesitöt, Budapest, 1881,1, 1, 127, veröffentlicht hat. Wie der
Augenschein, nach den Fücsimilen. zei^^t. haben wir es mit einem
EutNN-urfe zum : Manu der iSciiiuerzen mit gebuudeueu Hunden,
B. il, zu tun.
. loh besitze eine Zeichnung von Dürer mit der Feder und
teilweise mit dem Pinsel ausgefährt, \7 % hoch, 10 ^ ^ %i
hreit, den Sr Jtmerz'nsmnnn vorstellt-nd. Statt einer eiu^Tehenden
BeKchreibung dieser auf einem starken Papier, mit lilutferuung
der Drahtstriche von 3 %», dem ungewöhnlichen Wasserzeichen
einer Schlange mit breitem ovalen Bahmen, gezeichneten Abbil-
dung gelte der S. 231 stehende Holzschnitt nach derselben,
welchem wir auch den Kupferbtich B. 20 (oben S. 223) in zinko-
graphischer Illustration beigefügt haben ; denn Dürer hat diese
Gomposition^ wie wir schon oben erwähnt haben, in Kupfer ge-
stochen, allein der Vorzug unserer Zeichnung wird jedem vorur-
teils fr« ien Kichter autYalKn.
Die Entdeckung einer ])isher unbekannt gebUebenen Dürer-
Zeichnung begegnet heutzutage billig einem Zweifel und der Zwei-
fel hat so gut seinBecht als die Behauptung. Die Lösung in einem-
solchen Falle, wo nicht unwiderlegliche Beweise für die Prove-
nienz beigebracht werden können., liegt in ein« r gewissenhaften
Vergleichung mit authentischen, ausser aller Frage stehenden
Handzeichnungen desselben Meisters, bei welcher man nicht nur
die Vorzüge, sondern auch die Schwächen des Künstlers ins Auge
zu fassen hat. Wir hatten oft Gelegenheit, m den bedeutendsten
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AIBBBOHT DÜBE&*8 SOBMEBZBNSHANN. '
t33
"Öffentlichen Saminlun<?en die Handzeichnuugen Dürer's zu stu-
diren, gestehen aber gerne zu, weder Sicherheit noch eine andere
Giliigkeii miBerer Prüfung in Anspruch zu nehmen, ausser jener,
die in der sachlichen £ntwickelung unserer Gründe liegt. Hahen
sich doch die besten Kenner Ton Handzeichnuugeu alter Meister
nicht einmal ;:,'et!iuscht.
Der Totaleindruck spricht für die Echtheit, es tritt uns in
'dieser Composition Dürer's eigenartige Handschrift neben den
Monogrammen in der gesammten des Meisters würdigen Qehand-
lung entgegen. Die Gestalt des Schmersensmannes ist von der
ungezwuntiensteii Natürlichkeit, in tkni Beiwerk herrscht eine
wohlberechnete, höchst vorteilhafte Harmonie. Vergleichen wir
•diese mit der des Stiches, so finden wir Christus in der Zeichnung
▼iel feiner empfänden und sorgfältiger gearbeitet. Der Stich zeigt
Abweichungen Ton aufiaUender Verschlechterung. Die Figur ist
mehr bewegt und wenijjer raassvoll, im Einzelnen ist der hnke
nach unten gehaltene Arm steif, auch das rechte Bein ist hart,
das Knie tritt nicht gehörig hervor, das Standhein int weniger
markig und wirkungsvoll. Bedeutend schöner ist in der Zeichnung
das Gewand und mehreres andere im Beiwerke. Schliesslich
kann nicht angenommen werden, ein Copist hätte die Abbildung
grösser gemacht (der Stich ist lU %t 4 hoch, 7 % hreit) als
das Original. Selbstverständlich sehen wir mit Spannung dem
Urteüe der SachTcrständigen hierüber entgegen.
Kürzer können wir uns über die Tafelbilder Dürer's mit
Compositionen wie der «Schmerzensmann» auesprechen. Es sind
folgende, meistens zweifelhafte Stücke bekannt geworden. Das
Augshurffer Rathaus hatte ISrii' ein sogenanntes Dürer sches
Eoce Homo-Bild (Heller, II, 1, S. 138). In der Hopfeld'schen
Sammlung zuBreiAau befand sich 1741 ein «EcceHomo» mit
der Jahreszahl 1512 (Heller, a. a. 0. S. 150). Die EunsthsUe zu
Jiri ni' ii hat das Glück, einen mit 1 ö 1 i bezeichneten echten und
gut erhaltenen Dürer'schen £cce Homo unter seinen Gemälden
aufzuweisen. Bei Burtin in Brüssel zeigte man 1514 euien Ecce
Homo unseres Meisters. Die einst in Dresden und Florenz nach
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234
ALBBECBT ]>ÜBEB*8 fiCHV BBZRMSMANK.
Dürer lieuannten Ecce Homo-Bihler sind schon vor geraumer
Zeit verschwunden. An einem Sclimerzensmann in der Wendel-
Btadt'ficben Sammlung zu Frankfurt und an einem anderen in der
(3;ö^ji<jrerUniYenitat8galerie lobte Heller (1805, 8. 170; : die
ebenso zarte als sorgfältige Behandlung. Josch in Lim hat einen
monogrammirten. von 151:2 datirten Ecce Homo besessen, welcher
der bekannten Aebtissin Charitas Tirkheimer gewidmet war (Heller,
8. 186). Nach Thausing wären die Ecce Homo-Bilder im Dogen-
palasti nicht minder wie in der Casa Trivulsi zu Mailand aus der
Beihe der Dnrer*sehen Werke zu streichen. (Dürer, 8. 271, Nr. 1.)
In Xiirnherff, wo einst H. Imhof der Aeltere ein kleines echtes
Ecce-Homo-Bildchen verwahrte, hatte Praun (Catal. Nr. '.K), p. 1 1 )
den Schmerzensmann der kleinen Passion in Gel auf Leinwjind
gemalt. Der in der Moriz-Capelle Dürer'sche tleidende Christus»
ist eine Fälschung (Eye, a. a. 0. 8. 405). Nicht besser wird es mit
dem von M. L. Zapj»! 1821 in Rom entdeckten •Ecce Homo» be-
stellt gewesen sein, für den man die ganz anständige Summe von
1500 Gulden verlangte. (Heller, a. a. ü. S. iiU.) In diesen Tagen
tauchte bei einem Mainzer Antiquitätenhändler aus der Nach-
lassenschaft des Malers Fh. Veit (f 1877) ein 8chmerzen8antlitz
des Erlösers mit der Domenkrone auf, mit dr*m Monogramm
Dürer's und der Jahreszahl 1505. Das Bild soll ^ich vormals im
Besitze des Deutsch-Herrenhauses in Saehsenliausen hei Frank-
furt a. M. befunden haWn. (AUg. Zeit. 1881, Nr. 69, 8. 1008.)
8ch]iesslich wollen wir noch an eine (Gedenktafel mit der Pieta
und dem hf'tenden Donator erinnern. Zahn (Jahrbücher für Kunst-
wl^•,ell^t•haft. Leipzig, 18(18, S. '2\ ) fand in den Dürer'sclien Hand-
sciiriften (III, 73 h) des Britischen Museums eine Bild-Bestellung,
flüchtig niedergeschrieben, folgenden Inhalts: «Xps soll in der
kaltr sten, maria soll zw der rechten selten stan, dij engell sw
der linken Seiten, der korher for maria kniett, petms unden.»
Lippmann hält dafür, die oben erwiihnte Haudzt ii hming des Ber-
liner Kupferstich-Cabineta sei der Entwurf dieses bei Dürer von
einem Chorherrn bestellt! n Gemäldes; doch bleibe untiestimmt,
ob der Meister je diese Arbeit ausgeführt hat.
T7VOABNB 8TBÜEB8Y8TIM IM JAHSE 1760.
335
Bei allen ErfoI«:en ist es Dürer nicht vergönnt gewesen, in
der Monumentalinalerei etwas dem Schaffen der gleichzeitigen
Meister des C^qüecento £beiKbürtige8 an die Seite zu stellen ; in
seinen Gonceptionen aber für den Stieh nnd Schnitt ist er den
Italienern weit überlegen. Hier hat seine Ennst der Phantasie
und dem Gemute iinverjrän<^']iche Werke zii^refuhrt. Was ißt
durch alle Zeiten hindurch, in Palasten und Hütten, in Schule
nnd Hans die erhabene Gestalt seines Schmerzensmannes für eine
stille» gewaltige Predigt geworden, wahrhaft volkstämlich tmd
herzerquickend! * Josef Dank6.
UNGAKNS STEUERSYSTEM IM JAHRE 1780.
Die ungeheure Masse des historischen Stoffes scheint dem
Forscher die Aufgabe zu erleichteni, ein treues Bild von I nfjarn,
wie es vor hundert Jnhren war, zu liefern, aber es felilt auch
nicht an Factoren, welche die objective Anschauung erschweren.
Kaum gibt es auch nur ein Moment des öffentlichen Lebens von
damals, das rein nur historisches Interesse böte; die meisten
Ideen und Interessen, für welche die ungarische Nation vor einem
Jahrhundert ksimpfte. leben noch heute, wenn auch umgestaltet.
Auf Schritt und Tritt fühlen wir, dass wenn wir auch nicht von
der Stufe berichten, auf der unser Volk heute, nach der Arbeit
eines Jahrhunderts, steht, wir doch die Faetoren behandeln, welche
den heutigen Zustand und das jetzige Leben hervorbrnchten.
Es ist bekannt, dass das moderne [ ngarn in Folge der
Initiative des Grafen Stefan Szj^chenyi zuerst in wirtschafthcher
Beziehung reformirt wurde. Und wenn wir auch nicht der Ansicht
huldigen, welche alle geistige Bildung und Regsamkeit nur als
* Wie tuau Uürer's kleine Paßsiou schut/te geht auch daruiis hervor,
dass dieselbe oft nachgeahmt wurde. So bat «1er als Bildner vorteilhaft
bekannte Hans Brttggemann, 1514—2], tan Altarwerk nach den Motiven
der kleinen Paanon geschnitzt, welches jetzt im Schlesniger Dome sich
befindet VergL L. Eanfinann, A. Dflrer. Köln, 188], S. 98.
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^ QNOAIINB 8TBUEB878TBM IM JAHBB t7M.
ErgebnisH der materiellen Güter eines Staates betrachtet, ist es
doch gewiss, dass der wirtschaftliche Zustand eines Volkes dessen
ganses Leben und Entwickelung am trenesten wiederspiegelt und
erläutert
Die Uin^,'t'staltuni; auf dem wii-tschafthcheu Gebiete geht
immej: am legelmässigsten von Statten und ist dem Auftreten
einzelner groeser Männer oder den Zufällen der auseeren Politik
veniger auagesetzt, als die constitutionellen,. militärischen, ja
sogar die literarifichen Verhältnisse. Die Darstellung ist dabei
leiclit. Alles liisst sich auf Zahlen zurückführen, und es ist ein
alter Satz, dass Zahlen nicht nur die Welt regieren, sondern auch
zeigen, wie sie regiert wird.
Unser Zweck aber ist ein geschichtlicher, nicht ein statisti-
scher. Bei der Darstellung wirtschaftlicher Zustände ergibt sich
leicht der Missgrifif, dass wir etwas als nationale Eigentümlichkeit
betrachten, was ein allgemeiner Charakterzug einer gewissen öcouo-
mischen Stufe ist. Jedermann weiss, dass man insbesondere bei
uns viele solche allgemeine Zuge für specifiseh ungarische ange-
sehen hat. — Wir streben nicht nur das zu beschreiben . was war.
sondern auch, wie es sich entwickelte. Unser Endziel aber kann
nur sein, nach der Schilderung der einzelnen Momente der Ent-
wickelung, sowohl im wirtschaftlichen wie im politischen und auch
dem vorzugsweise sogenannten geistigen Leben, den organischen
Zusammenhang Aller nachzuweisen. Vor dem Volkswirt, dem
Gesetzgeber oder dem Schriftsteller kann auch das einzelne Datum
Ton Wichtigkeit sein. In den Augen des Historikers kömmt es
nur insofern in Betracht, als es einen Teil des frisch pulsirenden
nationalen Lelieus biKit t. So will uuseri- Arbeit ein bescheidener
Beitrag sein zur Begründung der Ueberzeugung, wie notwendig
die Verbindung zwischen der sogenannten Culturgeschichte, an
deren Namen man so viele falsche Vorstellungen geheftet, und
der streng genommen politischen Geschichte sein muss.
Wenn auch das Land, als Ganzes, sich verhaltnissmiissig nur
wenig geiindert hat, ist doch das Verhaltuiss der einzelnen Landes-
teile zu einander ein gründlich anderes geworden.
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UNOABMB 8TBUBRfiT8TElI lU JAHRE 17M.
337
Der Ausgangspunkt unserer Darstellung ist, was im Mecha-
nismus des alten Ungarn das einfachste war : die in Geld zahlbare
Last» welehe der Staat seinen Einwohnern aufbürdet : die Steuer.
Die Verfassung ist eine ständische, der geistliche sowie der welt-
liche Adel sind von der directen Geldsteuer befreit, da sie dem
Staate ihre Schuld durcli die Wehrpflicht, den bewaffneten Auf-
stand, hier zu Lande «Insurrectiot genannt, abtragen. Der Adel
sahH gar keine direote Auflage, von den indirecten geht ihn auch
nur der Preis des Salses an, welchen die Begiemng und derLand-
tag zusammen festsetzen. Die königliche Regiemn^r war unter
dem Einflüsse der allgemein-europäischen Strömung,' wohl bestrebt,
dieses Vorrecht zu verkürzen, aber die Stände boten für dessen
Behauptung Alles auf. Im Landtage von 1728 — 9 erfochten sie
nach harten Kämpfen die Anerkennung des Frincipes: «ne onus
inhiereat fundo*. Diesem Satze verlieh der 8. Artikel 1741 Ge-
setzeskraft und machte ihn für alle Zeiten verpflichtend. Es w-ar
dies sozusa^^H D der Lohn für die machtig für Maria Theresia ins
Gewicht fallende Insurrection dieses Jahres. Als der Adel dem
Vaierlande den letzten grossen militärischen Dienst erwies, wollte
er zugleich seine Privilegien für immer sichern. Ein Jahrhundert
lang war die Steuerfreiheit des Adels für Ungarn, was einst das
Theorikon im alten Athen gewesen ist. Dort bildete es den
Schlussstein der zur Herrschaft gelangten Demokratie, bei uns
den der Aristokratie. — Nur ein Demosthenes konnte das eine,
nur ein Eossuth das andere stürzen.
Der Landtag von 1 715 bewilligte zuerst die ständige Contri-
bution zur Erhaltung des kaiserhch- königlichen Heeres. Diese
Contribution drückte ausschliesslich auf die königlichen Fk istädte
und auf die Schultern der «miserai contribuens plebs». Im Jahre
1724 ward die Ertegssteuer auf iS.13S,000 fl. festgesetzt. Vier
Jahre später kamen 118,652 fl. dazu zur Ablösung des Fleisch-
kreuzers. ' Der Landtag von 17:i8 — 9 erhob die Summe auf
* Die m Ungarn gamisonireude Mannschaft hatte dae Reoht, für
einen Kreiuer von dem Qnartiergeber Fleischkost zu fordern. Da dies
ntttttzticfa m vielen Besehwwden Anlass gab, wurde die Ablösung bewilligt.
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238
UN0ARN8 BTBCTBB8T8TEM DI JAHBB 1780
!2.5OO,00O fl. Unter der Begierung Maria Thereaia's veremigten
sich die Stände zuerst auf 3.200,(X)0 fl. (1751), dann nach den
grossen Ausgaben des siebenjährigen Krieges auf 3.900,000 ti.
(1765), wobei aber die Kosten zur Erhaltung der königlich unga-
rischen adeligen Leibgarde (1^0,000 fl.) mitgereehnet waren. Als
das Land immer mehr von seinen alten Territorien zurückgewaim,
wurden auch diese reincorporirten Gebiete besteuert. Das im
Jahre 17öl reincorporirte Nieder-Slavouien zahlte 89,287 fl., die
im Jahre 1772 von der Krone Polen zurückerlangten 13 Zipser
Städte nach :£5 Porten 17»2äO fl. 50 Denar, ausserdem noch die
1776 einverleibten Städte Lablö, Podolin und Gneada 1377 fl.
40 Denar nach 2 Porten. * Das im Jahre 1780 unter die unga-
rische Fiuanzdirection kommende Croatien und Ober-Slavouien
vermehrten die Steuer um 109,707 fl., die im Jahre 1782 ganz
vereinigten drei Conjitate des Banats mit runden 372,000 fl. So
hätte die ganze Contribution 4.404,079 fl. 46V4 kr. ausgemacht,
hätte man nicht im Jahre 1767 von Sjrmien und 1783 Tom
Krassöer Comitat mehrere Dörfer zur Mihtargrenze geschlagen
xmd also der Laudessteuer enthoben, so dass dadurch, die Haupt-
summe auf 4.39i,91 1 fl. 53*/i$ kr. herabsank.
Mit heutigem Maasse gemessen erscheint diese Summe als
verschwindend klein. Auch damals betrachteten sie die Staats*
luaiiurr m Wien als solche, und wenn sie iu Zoll und Handel die
Interessen unseres Vaterlandes unerbittlich denen der deutschen
Erbländer unterordneten, konnten sie ihr Verfahren damit be-
gründen, dass die Last Ungarns eine leichtere sei als die der
anderen Länder. Auch Josef II. gab dieser üeberzeugung oft Aus-
druck ; sie war einer der wirksamsten Motive seiner Politik. Aber
für die belasteten Classen selbst war sie keinesfalls gering zu
nennen. Die Landtage von 1751 und 1765 übei-trieben nicht, als
sie darstellten, das Land könne keine grössere Auflage ertragen.
* Porta psUtinalis hiess in Ungarn schon seit dem XIV. Jahxhnnderte
die Steuereinheit. Früher bedeutete das Wort einen ganzen Hof. Später
war es die bestimmte Stimme Yom 688 d. TiO kr. Die Auflohen der einzelnen
Oomitate und Städte werden immer nach Porten bezeichnet.
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ÜNOABKS 8TBÜBB8T8TEH IM JAHBE 1780. 3^
"Nicht der Wert an und für sich war so überwältigend gross, son-
dern der Umstand, dass der Bauer seine Zahlung in Baargeld zu
leisten hatte. Baares Geld aber war im Laude so selten, dass das
Ck>mitat Siros 1 783 die Befürchtung auBspriehti es könne wieder
za einer Aera des Tanschhandels kommen. Und im selben Jahre
geben mehrere Gomitate das Gntachten ab, das Militär solle Fro-
dncte an Zahlungsstatt annehmen.
Der Landtag setzte nur die Hauptsnmme der Contribution
fest» weiche dann bis snm nächsten Landtag eingehoben wurde ;
dann bestimmten besondere Commissionen, wie die Last unter
die einzelnen Munieipien yerteilt werden soUe. Der alte Name der
«porta palatinalis» verblieb als ideale Einheit, 688 fl. 50 Denar.
Die neue Aufteiluujj: zwischen den Comitaten hiess «rectificatio
portarum». Es ging sehr schwer, einen Ausgleich herbeizuführen,
jedes Comitat war bestrebt, seine Armut vorsehütsend, die Last
anf seine Nachbarn abzuleiten. Sohon ün Jahre 1737 fahrt Graf
Alexander Efirolyi Klage, wie viel Mühe ihm die Porten verur-
sachen. Besonders erschwerend war der Mangel eines bestimmten
Stouerobjectes, so dass man zu künstlichen Steuereinheiten, den
sogenannten «Dika» greifen mussAe, nm die Last auf die einseinen
Gomitate, dann die Gemeinden und dielmzelnea nt verteilen.
Man muss aber bemerken, dass der SteuerscUnssel bei aller
Künstüchkeit ein ziemlich rationeller wai-, und auch der englische
Reisende Townson ihn als solchen anerkennt. * Der Bauer, seine
Familie, allerlei Vieh, die Herbst- und die Frühlingssaat, das Heu
u. s. w. bildeten alle solche Einheiten oder deren Teile.
Da aber der Geldwert der Arbeit oder der Ernte in den ver-
schiedenen Teilen des Reiches sehr ungleich war, ist es natürlich,
dass die Belastung einer «Dika» beinahe in jedem Com itate eine
andere war. Der Hauptgesichtspunkt ist, die Leichtigkeit Geld zu
erwerben, die Verwertung der-Producte. Daher ist die Steuer jener
Munioipien und Ortschaften verhaltnissmässig die grösste, die
* Towxuon bereiste Ungarn im Jahre 1793. Sein Werk TraoeU in
HvM§ainf eiBchieii 1797 in London. 4".
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S40
WGABNfl 8TBUBB8Y8TSM IM JABB8 1T80.
nahe und sichere Consumenten hahen. In den Städten aber ent-
scheidet die Ausbreitung und der Ertrag des Handels und der
Gewerbe. Hier gibt es auch eine ständige bestimmte Gnmdia^e :
die BaiiBstener. Alles in Allem zahlten die königlichen Freistadte
als Handels- nnd Indnstrieorte 548V8 Porten, also nnr etwas
mehr als den zwölften Teil der ganzen, r)344^/4 ausmachenden
Hauptsumme. Und dabei muss man noch in Betracht ziehen,
dasB für mehrere Städte die Landwirtschaft, insbee^mdere der
Weinbau, eine grossere Bedentong besass als die wirklieh städti-
schen Gewerbe. Andererseits ist es auch wahr, dass grosse indu-
strielle Ortschaften, wie Kecskemet, Miakolcz, Yeszprim u. s. w.,.
das Stadtrecht nicht hatten.
Groatien genoss schon seit der Zeit Uladislaus IL, also vom
XV. Jahrhundert her, ein sehr bedeutendes Vorrecht, das es bis
zum Jahre IS47 behauptete: dass es nämlich zu der Contributiou
verhältnissmassit,^ nur die Hälfte von dem beitrug, was die Last
der andern Landesteüe war. I^as Vorrecht dauerte also viel län«-
ger als der Grund, durch den etf erworben ward : nämlich die fort-
währende Türkengefahr.
In der Zeit, in welcher die Ansprüche des Staates friiher
fühlbar sind als die Dienste, die er seinen Bürgern erweist, in der
Zeit, da das sich mehrende Heer, die Aemter und die stets stei*
genden Bedürfoisse des Hofes sswar Bedeckung fordern, aber die
Lasten der Hierarchie und des Lehenswesens noch nicht aufjje-
büben haben, kam die Steuer keinem Volke leicht an. Schon
MacohiaTelli erzählt über den Steuerdruck in Frankreich und die
Gorrespondenz des grossen Colbert ist roll mit Klagen über die
schlechten Steuerzahler. Er verordnet zwar, dass der Steuer-
Execiitor die nötigsten Werkzeuge und das Arbeitsvieh des Lan<l-
mannes nicht in Beschlag nehmen dürfe, schreibt aber zugleich
vor, dass dies im Geheimen bleiben müsse, da sonst die Leute
zum Zahlen nicht zu bewegen wären. Auch dies ist einer jener
Züge, die mit einem gewissen Entwicklungsgrade der Volkswirt-
schaft verknüpft sind und nicht als lür L'ngarn charakteristisch
angesehen werden können. Auch in Ungarn ist die Klage der
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UNGARNS 8TBÜBR8TBTBM IM JABRB 1780.
S41
Begiernng über die Restantien oine so alte, wie die des Volkes
über den Steuerdruck. Und dann war bei uns dem Steueruicht-
sftblen eine ge^dase nationale Färbung eigen : die Steuer diente
dasn, ein fremdes, knechtendes Eriegsyolk zu anterhalten, sie diente
zur Erhöhung der Praeht in einer fremden, nieht nngarisehen
Hauptstadt. In den Jaliren, da iidelif^^e Dichter das Loob des
Landmaunes, des Natnrsolmes verherrlichen, klagt der Bauer,
dass Kraut, Schlehen, Holzbirnen seine Speise sind, daas er vor
Schulden keinen Wein trinken könne. Die Gontiibation (Porosiö)
und der Vorspann (forspont), den er mit seinem Vieh dem Militär
schuldete, wurden zu lebenden Personen in der unf^arischf n Volks-
dichtung als «Forspont Peter»» und «PorczioPäl». Die Möglichkeit
eines Bauernaufstandes bricht immer hervor: das Blatt kann sieh
noch wenden. Wie Volkslieder klagen, hat der Bauer nicht einmal
die Seele frei, alles ist er schuldig. lEr erwartet einen Tag nach
dem andern mit Zagen, denn jeder Ta^ bringt dem Unschuldigen
neues Unglück ; die Execution ist über ihm wie der Tartar. Oft ist
das ganze Dorf nur mit einem Groschen im Bückstand, der Bichter
wird mit dem Stock und dem Eisen bedroht, man fuhrt sie in
Wagenladungen ins Geföngniss und doch können sie nicht zahlen,
und wenn du sie umbrinsi^t. » Der Gnmd davon ist, dass «Viele
das Geld nicht einniul der Form nach kennen». Und nicht von
einem oder zwei Fällen singt das Lied : «Kaum gibt es einen Ort
oder ein Dorf im ganzen Vaterland, wo dies nicht gang und gäbe
ware.t
Wir können aber schon hier bemerken, dass im Allgemeinen,
einzelne Missjahre und die unfruchtbarsten Gegenden ahgerechnet>
die Execution und die grossen Restanzen in einem grossen Teile
des Landes gar nicht vorkamen. Um das Jahr 1780 htten fast nur
die nordwestlichen Comitate unter ihnen. In den anderen war die
Last nie so drückend. Einzelne Territorien mussten stets unter
detn Wechsel (h s Verkehres und der Handelsverhaltui.sse leiden.
Man konnte n;imlich nur schwer die Auflagen verändern. Die
Satze des Landtages von 1765 blieben im Grossen und Ganzen
bis ans Ende der Begierung Josefs IL in Giltigkeit, und wenn •
OafuiadM Bm«» 1882, m. Htft. ig
L^iyiii^uü Uy Google
UNGABMB BTBUBBBTBTBM IM 4AHBB 17M.
auch die Last einzelner Ortschaften erleichtert wurde, blieb doch
auf dem Comitat die ganze Steuer haften. Die wirtschaftlichen
Verhältnisse aber, die zur Basis des Steuersystems dienten, waren
mit niohten unwandelbar.
Wenn wir die Verteilting der Porten yon 1724^1780 im All-
gemeinen l)etrachten, erscheinen uns die Hauptgegenden Ungarns
in folgenden Umrissen. Verbältnissmässig sehr viel Porten haben
die Oesterreich benachbarten Gomitate: Pressburg (Possonj),
Nyitra, Oedenbnrg (Sopron), Wieselbuig (Mosonj) und Eisenburg
(Vas). Nicht nur weil sie bis heute den am besten berdlkerten
Teil des Reiches bilden, und es damals noch weit mehr waren,
auch nicht nur ihrer Fruchtbarkeit halber. Es war von Gewicht,
wie leicht man von dort Getreide, Vieh, Wein und Heu nach
Oesterreich ausführen konnte und wie gross der Vorteil war den
anderen Comitaten gegenüber, wo man, wie s. B. in Somogy, die
Schweine mit Weizen futterte, da man ihn doch nicht wegführen
konnte. In jenem Gebiete lag Pressburg, der Hauptsitz der Landt s-
amter und Wohnort vieler Magnaten, Tymau mit der Laudes-
Universitat, die weinberühmten Städte Oedenburg, Bust und Set.
Georgen und viele kleinere gewerbetreibende Flecken. Die Um-
gegend vonMiava im Nyitraer Comitat braucht den Vergleich mit
den Manufacturbezirken des Continents nicht zu scheuen. Die im
Lande verbrauchten gewöhnlichen Stoffe wurden da verarbeitet.
Mit der heutigen Lage verglichen erscheint die Last noch
grösser in den Comitaten Trencsen, Liptau, Turöcz und Arva, im
unwirtlichen gebirgigen Norden. Aber das Volk ist fleissig, seine
Arbeit findet Absatz ; auch Herren tragen in ruebo (im Trencsener
Comitat) gewebte Kleider. Die Urwalder, die Arzneikrauter, Lein-
und Flachsbau tragen alle daau bei, Gelderwerb mögUch, Arbeit
nutsbar su machen. Noch viel später ist in dieser Gegend bei den
Bauern das meiste Gold und Silber im Umlaufe. Einer Angabe
nach gingen im Jahre ITSO nur au 3oOü slovakische Oelhäudler
in aller Herren Länder hausiren.
In den Landschaften um das Erzgebirge tragen die Bergwerke
und die sahhreiche Beamtenschaft zur Nahrung bei. Schenmiti
uiyiii^cü Uy Google
VNGAm» 8TBÜXRBT8TB1I IM JAHRS IfSO
t«3
\%-ird uooli im Jahre 1 787 von dem königlichen Commissar Baron
Ladislaus Pronay als sehr blühend bezeichnet. Den Ertrag der
GruboD scbätste man von 1 740 — 1/73 aaf 70 Millionen, also betrug
der DorcbBchniitsertrag beinahe Ifillionen Gulden jahrlich.
Nensohl ist zwar arm, bat aber dennoch eine entwickelte Indnetrie,
man verfertigt dort ausgezeichnete Klingen und die Zahl der
Färber ist sehr Ln^vss. Und da nun die Bergstiidte einen nahen
tind Stehern Markt darbieten, ist aacb die Contribution der Comi*
täte Zölyom, Hont und Bars eine hohe.
Die Zips und das Gomitat Siros sind auch stark besteuert.
Hier steht die Tjeinwaudspinnerei in der Blute. Die Städte Kes-
märk und Eperjes haben den grössten Teil an dem gewinnbrin-
genden Weinhandel nach Polen. Einzelne Familien schwingen
eich ZQ ungeheurem Beichtume auf. Das ganze Gomitat Siros ist
mit herrschaftlichen Schlössern imd Lustgärten besäet. Mit einem
Worte : teils durch die Naturgaben, teils weil du- Industrie die
Wirkung auswärtiger Concurrenz noch nicht empfindet, nehmen
diese Gegenden im öconomischen Systeme Ungarns eine sehr her-
vorragende aotive Stelle ein.
Unbedeutender ist die Berggegend von Marmaros und Szat-
mar, aber auch sie übt ihre Wirkung. Auch dort ist die Zahl der
Porten eine hohe.
Im Allgemeinen ist die Hauptgeldquelle des Landes damals
in der kleinen Ebene * und in den Bergen und Tälern der Land-
schaften, welche seine Nordgrenze bilden. Die hier liegenden
Comitate und Städte sind nicht nur als Producenten, sondern
auch als Abnehmer von grosser Wichtigkeit. Die Steuerbezirke
von Pressburg, Neusohl und Kaschau mit dem zu dieser Gegend
gehörenden Teil des Steuerbezirkes von Oedenburg zahlen gerade
die Hälfte der ganzen Landessteuer.
Interessant ist es, dem die Steuerverhältnisse der grossen
Ebene und des siidlichen Teiles des jenseits der Donau gelefjjeneu
iüreises entgegenzustellen. Jetzt liegt der wirtschaftliche Schwer-
* Von Ptwabnrg bis Komom.
16*
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UNGARNS STEUEBBTSTBM IM JAHBB ntO.
punkt Ungarns in dieser Gegend, damals aber war sie unbewohnt^
grossenteils Ton Wäldern oder Sümpfen starrend. Der Haupt-
Erwerbszweig, die Viebzaehti konnte natargemäss nur sehr wenig
Bewobner ernähren. Die grossen Grundbesitzer anf ihren Prädien
(Puszten) })etreibeii ibn viel mehr als die Bauern. Aber die Be-
Kiedelung schreitet vor, die Verkehrswege werden gangbarer. Kacb
1 740 hört die Alles lähmende Türkenforoht anf. Eine rasche» an
Amerika erinnernde Entwickelnng maeht sich bemerkbar.
Die Steuer des Comitates Pest macht im Jahre 1 723 noch
nicht das Drittel der vom Comitat Pressburg bezahlten Öuuime
aus, im Jahre 1780 ist es schon mehr als die Hälfte, im Jahre
1847 hat das leitende Munidpium der grossen Ebene das des
kleineren Donaubeckens auch an Steuer sehon überflügelt. Das
Comitat Neutra zahlt im Jahre 173'.^ sechsmal mehr als Bäcs-
Bodrog, im Jahre 1780 nicht einmal mehr dreimal so viel, und
1847 hat schon Bäcs-JBodrog um 66 mehr Porten. Liptau zahlt
im Jahre 1724 doppelt so viel Steuer als das sehon stark gestei-
gerte Comitat Tolna. Im Jahre 1780 zahlt sehon letzteres mehr,
und im Jahre 1847 schon viermal so viel als ersteres. Und so
kann man die Vergleichung weiter führen.
Das Landvolk zahlt ausser der Kriegsstener auch noch die
Domesticalsteuer, trotzdem alte, aber nicht befolgte Gesetze auch
dt n Adel zum Mittragen dieser Last verhielten. T)ie Doiiiestical-
bteuer diente zur Erhaltung der Comitats-Selbstverwaltung und
zur Deckung der Municipalausgaben« und betrug gewöhnlich ein
Fünftel oder ein Viertel der Kriegsstener. Grosse Gomitate trugen
sie leichter als kleine und arme, denn der Beamtenstand war ja
in allen boiu;iijt' gleich an Zahl und gleich besoldet. Im Conutate
Oedenburji zahlte jede Dika (es gab zusammen 127,371 und ^, 6
solcher Steuereinheiten im Gomitate) 1 fl. 63 kr. Kriegssteuer und
37 kr. in die Domestical-Gasse.
Die Fruchtbarkeit des Jahres, oder der Misswache, die Eröff-
nung neuer Wege, oder die Sperruug der zu den cousumirenden
Gegenden führenden, Elementarunfälle u. s.w. waren auch damals
von Einfluss darauf, ob einzelne Landschaften ihren Pflichten
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UNOARNS STBüERSYälEM IM JAURE 1780. W
nachkommen konnten oder nicht. Wie wir schon hervorgehoben,
waren die Steaerrüekstände im AUgemeinen unbedeutend. In dem
Militaijahre 1778—1779 bUeb man zwar mit 132,619 fl. im Buck-
stande, man konnte aber anderwärts 939,483 fl. noch äber die
Aufla;:;!' einhebeu. so (la<s noch ein Ueberschnss von 1(M'),8(>4 fl.
verblieb. * Doch nimmt die Summe der Rückstände in den näch-
tten Jahren immer au, beträgt am Ende des Jahres 1784 schon
eine halbe Million und sinkt erst 1787 wieder herab.
Darin, welche Comitate ihre Steuer regel massig abliefern
und weicht nicht, gibt sich eine gewisse Beständigkeit kund. Die
Comitate Pressburg, Nyitra und Trencsen hh il»t'U stets im Kück-
stande und mehr oder minder alle Comitate der Steuerhezirke
Fressburg, Eaechau und Neusobl. Die Städte aber sind auch dort
bessere Zahler als die Comitate. Von der Ende 178!2 im Gkmzen
47:2,H34 fl. ausmachendtn Rvickstandssuiimie falh^u auf diese drei
Bezirke 3Ur>,(K)0 Ii. also S4 ^. o. Die Bezirke von Üedenburg, Fünf-
kirchen, Ofen, Debreczin und Syrmien, die eben so viel Steuer
bezahlen, haben nur 60,000 fl. Bestanzen. Von den neuincorpo-
rirten Landesteilen haben die drei Comitate desBanats auch mcht
einen Kreuzer Rückstand, auch die syrmischen Comitate sehr
wenig. Croatien dagegen gehörte immer zu den schlechten Steuer-
zahlern. Die restirenden Comitate mussten dann die Executionen
erleiden, deren Zahl im steten Zunehmen begrififen war und über
700 jährlich betrug.
Wir sehen also, dass jene Comitate die meisten Bückstande
luihen, deren wirtschaftliche Bedeutung seitdem stillstand oder
geradezu sank. Auf dem Alföld und in den Comitaten der Phitten-
seegegend kommen Bückstände oder Executionen nicht einmal
Tereinaelt vor. Im Steuerbezirke Ofen, der ausser dem Comi-
tate Pest noch die Comitate Kögräd, Gran, Stuhlweissenburg,
Csongrad, Csanad, Bekes, Arad, die Gehiete der Jazygen und
Kumanier und die in deren Grenzen eingeschlossenen Städte in
* Düa Militiirjahr begauu mit deiu 1. Nuveiuber und wahrte bis zum
31. Ootober des Büchtten Jahres.
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M6 CNOARNS 8TEUEB6T8TEM IM JAHBB lf8«.
sich begriff, betrug der Rückstand nur 8475 fl,, wovon GUOO auf
N6gräd, 1574 auf Gran entfielen. * Zala, Somogy, Tolna, Baranya,
Oedenburg srnd ganz rein, und aueh die Gomitate Eisenburg und
Veszprem sind nur 10,489 fl. Schuldig geblieben. Daf?egen hat
Gömör 51,000 ti., Presbburg 49,900, Nyitra 43,000, Wieselburg
46,000 il. Bücksttinde.
Nicht nur die Naturverhältmese gestatteten das rasche Ge-
deihen der neubesiedelten Landesteile, aueh bei der Einhebung
der Steuer ward ihnen {grosse Erleichterung gewahrt. An den Süd-
grenzen des Landes ^lagert noch immer zahlreiches Kriegs volk,
besonders Cavallerie, und die von ihm besetzten Gomitate können
also zum grossen Teil ihre Steuer in Naturalien einliefern, die
den Bedürfnissen des Heeres dienen. Die gelieferten Nahrnngs--
mittel und das Futter wurden nämlich nach dem noch giltigen
Militar-Kegulament vom Jahre 1757 in die Steuer eingerechnet.
Es ist gewiss, dass das Regulament für Getreide, Hafer und Heu
einen sehr geringen Preis ansetzte. Selbst Ausländer mussten
über die Geduld der Ungarn staunen, die ein so zahlreiches frem-
des Heer unterhielten.** Wo es aber keinen anderen Verkehr gab,
war das Militär der einzige Gonsument. Viele Gomitate baten
sogar, man möge Militär, besonders Reiterei, in ihr Gebiet senden.
Die Entrichtung der Steuer in Producten war noch ein Erbe der
alten Naturalienwirtsclmft uiiti war mIso in den am wenigsten ent-
wickelten Territorien am meisten im Schwange. Die Gomitate
Nieder-Slavoniens entrichteten von 120,000 fl. Steuer nur 20,000
in Baargeld; das Gomitat Somogy von 70,261 blos 15,660 fl. In
den Berg- und Industriebezirken dagegen macht die Natural-
iieferung kaum 1 — 2 <*/o des ganzen Quantums aus. Dort wiire es
auch gar nicht rationell gewesen, zahlreichere Mannschaft zu
gamisoniren, da die Lebensmittelpreise viel höher waren, auch
erforderten es die politischen Verhältnisse nicht.
^ Diese Comttate geliören ihrer Bodeubeschafleuheit und Bevölkeniiig
nadi zum Teil nodi sum nordwestliidieii Gebiete.
** Gespräche im Reiche der Todten swisdhen Ihren M^jeetäten Franz L
und Maria Theresia. Wien, 1781, Seite 8S.
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UNOABKS BTSUEB8YSTEM III JAHRE 1780.
247
Auch jene Einriohtiiiig hatte das Wohl der prodaeirenden
Glaase im Auge, welche vorsehrieb, man solle drei Viertel der
Jahressteuer schon im Wintt rhuUtjiihr (Mnheben. Der Leibeigene
kam durch Ernte und Yieh damals zu Oelde.
Das alte Steuersystem hatte jedenfaUe das Verdienst: die
Bevöllcening und das Gedeihen des Alföld durch übertriebene
Lasten nicht sn hemmen. Auch der Österreichische Zoll druckte
mehr auf den Wein als auf Getreide und Schliiclitvit h, Die Strasse
von Karlstadt nach Fiume wird eröffnet. Die Schiffbarmachung
der Save, dieser Verkehrsstrasse ersten Banges, beschäftigte die
Regierung seit ]7Ho ununterbrochen. In Folge des nordamerikani-
schen Freiheitekampfes kam ein neues Product der Ebene, der
Tabak, auf dem Weltmarkte zu voller Geltung. Unter Maria
Theresia und noch mehr unter Josef II. selbst kamen die fleissigen
Colonisten zu Tausenden und 'wurden mit allen möglichen Vor-
teilen bedacht. Kurz : wenn Ungarn auch noch nicht alle Spuren
der zweihundert Jahre dauernden Verwüstung verwischt hatte,
wirkten doch schon damals alle Elemente des späteren Aufblühens
zusammen.
Aber zugleich zeigen pich die ersten Symptome des Verfalles
der nordwestlichen Gegenden.
Zum Teile wirkte dabei auch die Begierung mit. Von einem
anderen Gesichtspunkte aus ist die Institution Josefs II., dass er
alle Hauptämter des Landes in Budapest vereinigte, Epoche
machend. Hier kömmt sie nur so weit in Betracht, als sie auf die
Contribution zurückwirkte. In Folge der Umsiedelung der Aemter
ward die Contribution der um Pressburg liegenden Comitate und
Städte um ASVt Porten erleichtert, die der um Ofen liegenden um
ebensoviel erhöht.
Aber die Ursachen des Verfalles wurzelten tieler. Als Josef
1785 das Königreich in zehn Kreise zerteilte, gab er Josef Ürmenyi,
einem der hervorragendsten Staatsmänner jener Zeit» dem Gom-
missär des Nyitraer Kreises den Auftrag, die Ursachen der Ver-
armung diöses Landesteiles zu ergründen. Ürmenyi kaiu dii'sem
Auftrage in einem gründlichen und schön ausgearbeiteten Vor-
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348
UNOARMS 8TBUER8T8TEM IM JABBB 1780.
trage nach. Später, in seinem Berichte vom Jahre 1787 kömmt
er wieder auf diese Frage zurück.
Er bezeichnet iils Gründe des Verfalles:
1. Die ungarische Weinausfubr nach Schlesien hat aufge-
hört. Im Gegenteil» man führt sogar nach Pressbmrg und Oeden-
borg wohlfeile Weine ans Oesterreich ein.
2. Früher hat das Gomitat Nyitra die gebirgigen Bezirke mit
Getreide \ ersehen. Seit der üccupation Gahzienö beziehen sie von
dort ihr Brod.
3. Die zahlreiche Judenschaft richtet in den Wirtshänsem
das Volk durch Trunk zu Grunde.
4. Das Gomitat Trenesen ist sehr verschuldet. Die einzelnen
Gemeinden haben zusammen iiber 70,()00 Ii. Schulden.
5. Bei der Lebensweise des Volkes, der gemäss es nur im
Sommer Geld erwirbt, ist die Einhebung von */4 Teilen der Steuer
im Winter hier von Nachteil und leistet dem Wucher Vorschub.
Ans anderen Quellen erfahren wir, dass auch die Bergstädte
an grossen Gebrechen kranken. Der Segen des Bergbaues fängt
an al)zunelimeu. r)ie Elementarschluge, unter deren Wirkung
besonders Kremnitz leidet. Feuer und Ueberschwemmung^ sind
sehr häufig und verwüstend. Die Stadt Karpfen lebt zumeist nur
mehr vom Wein- und Obstbau.
Seit Polen zerstückelt ist und Preussen sich mit schweren
Zöllen abgeschlossen hat, liort die grosse Ausfuhr ol)erungari8cher
Weine (Hegyalja) nach Nord-Europa auf. Nicht nur das produci-
rende Gomitat Zemplen muss dies empfinden, auch die vermit-
telnden Handelsplatze Eperies, Bartfeld, Eäsmark und Leutsehau.
Das Leinwandgewerbe in der Zips und in Säros besteht zwar
uocli, hat aber aufgehört eintraglich zu sein. Fremde, besonders
griechische und raizische Handelsleute, kaufen die bittere Arbeit
der armen Leute zu Spottpreisen zusammen und bereichem sich
damit ausserordentlich.
Es gibt aber einen noch wichtigeren, allgemeineren Grund
dieses Xieder.Lranges. in dessen Besprechung' sich \ved<er Urmeuyi
noch die anderen Staatsmänner und Schriftsteller einlassen.
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UNGARNS 8TBUEB8Y8TBM IM JAHBB 1780. ^
In der ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts waren diese
industriellen Landschaften wie an Sprache ßo auch, was die Er-
werbsverhältuisse anbelangt, nur wenig von dem benachbarten
Mahren und Böhmen versohieden. Noch Maria Theresia läset
anfangs beiden gleiche Gnnst zn Teil werden. Ihr Gemal, Kaiser
Franz I., gründet in Hohes (Nvitra) eine blühende Poreellan- und
Majüiiku-Fabrik. In Presslaii j^. Sassiu (Schossberg), Ungarisch -
Altenburg und Neusohl erheben sich, prossenteils mit der Unter-
stützung einzelner Mitglieder des Herrscherhauses, grosse Webereien
und Lederfabriken. Die im' Jahre 1766 in Gseklesz gegründete
Ksttnnfabrik begann ihre Tätigkeit mit einem Capital von
iKt.oCH) H. Y.a waren hier alU- XOrbedingungen einer nicht nur be-
j^innenden, sondern auch einer nach den Ideen des XVIII. Jahr-
hunderts sich entwickelnden Industrie vorhanden. Die Dampf-
maschine hatte das Werk der Centralisation und der Nivellirong
noch nicht vollbracht. /
Schon in den letzten Jahren der grossen Königin ist es
augenscheinlich, dass sie die Industrie der österreichischen Erb-
länder mehr begünstigt, besonders seit dem Landtage von 1765,
da sie einsehen musste, dass der Adel sieh keine Steuer anf bürden
wül. Unter Josef II. tritt schon ein vollständiger Umschwung ein.
Er .si)richt es klar und uuverhuh-n aus. dass, so lauge in der Con-
tribution keine griindiiclh- Keform zu IStaude komme, das heisst,
BD hinge der Adel steuerfrei ist, man an die Begünstigung der
ungarischen Industrie, insbesondere wo von Ooncurrenz mit den
Erbländem die Bede sein kann, auch nicht denken dürfe. Grerade
seine Einrichtungen, als er durch Schutzzölle die österreichische
Industrie in den Stand setzte, sell>st gegen die englische und fran-
zösische zu bestehen, stärkten die österreichischen Manufacturen
in emem solchen Maasse, dass die ungarischen ihnen nicht mehr
gewachsen waren. Der Verkehr hob sich. Immer grösser ward die
Zahl derer, die in fremden, feinen StotlVn einliergingen und die
inlimdischen Manufacte verschmähten. Der ganze Adel Ungarns
und Siebenbürgens und die wohlhabenderen Bürger kauften ihre
Kleider in Wien. Die gewerbdeissige Bevölkerung der Comitate
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SSO
UN0ABN8 8TSCBB8YBTBH IM JAHRE iT»i.
Pressburj?, Nyitra tind Trencsen sah ihren Markt von Tag zu Taj^
Kchwinden. Von Wichtigkeit war auch, dass in der grossen Ebene,
wo sie bis dahin einen sichern Absatz fand, seit der Zeit Josefs IL
immer mehr fremde Handwerker sich niederlasseD, so dass aoch
das Volk in der Lage ist, sich an Ort nnd Stelle mit dem Notwen-
wendigen zu versehen. Die Herren aber geben ohnedies in aus-
ländischen Stoffen.
Alle diese Gründe wirkten zusammen, und das unfruchtbare
Land konnte seine sich rasch vermehrende Bevölkerung nicht
ernähren. Die Auswanderung nach 'den südlichen fruchtbareren
Gegenden nimmt grosse Dimensionen an. Die von 1787 bis 1847
stattfindenden Volkszählungen zeigen demgemiiss ein Sinken oder
ein Stehen der Bevölkerung sowie der Porten. Die der Ebene und
im Allgemeinen die der Tormals türkischen Gebiete heben sich, oft
in ungewöhnlich starkem Maasse. Besonders ins Auge fallend ist
die VerÄndemng, wenn man die Städte beider Territorien betrach-
tet. Zur Vergleicliung setzen wir die Volkszahl und die Zahl der
Porten in den Jahren 1787 und 1847 her.
Öroise Ebene und Hügelland.
BOTflUiirong Pottm
ComUat
I7R7
lBi7
1723
1780
1847
Jozygieu uud KuinaDien
195,233
67»'-
83
125
Heves .
180.856
296,8 Iß
95^ 3
123'/a
14v8
CHniiin"ü'^ .
GP.IS«!
137,883
58»/4
107
S/.al»olcB
108,6i5
9iiV2
73»/4
70
Haiduken-Stäilte
28,470
66,521
35V4
87»/*
31«/«
Soniogy
165,939
j31,359
90
109
193
^ToljUk *•• M* ••• ■••
133,734
197,381
97«/«
68
198
FehAr „. ... ... ... ~ ... ...
110,317
184,393
56
87
III
Cisnid ... ».
95,793
75,379
i5
91
39
B^IL^S ... ... ... M. mmm ...
71,638
155,056
20
39
84
A \. ^ ^ M* •»« 9mm »mm
319,794
oOo.OOO
137»/«
249
363
B4cs-Bodrog...
228.20S
4i»;;.is6
66
159
386
Summe ...
"^1.5^7,069
^844,i>i9
741V4
J096»/4
1714Sa
UNGARNS STEUEBSYSTLM IM JAHRE 1760.
251
Nordwestliches Bergland und die kleine Ebene,
BcTiMkernne
Porton
Comitat
1787
1847
1723
1780
1847
AfVft M« mm »•«
74,515
84^156
71Vt
63
54
Zölyom — ...
69,693
88,130
106*/4
103Vs
73
IVbdcbIh ^ M.
. 393,310
380,334
334V«
903
133
Ijpt6 — ...
67,923
76,548
64^/4
51
34
TnnSez
37,606
44^810
46Vi
46
34
m^jM'W^wBvmm 4M
394,685
364^351
3l.0';t
3l3*/4
399
^iir*oft,«« *»• **i
197,818
1«.6V«
llfi
89
i^^^^ ■■• •*»
107,fJ71
1 30,218
160V 4
14.9' 4
98
Hont
I2o,o7ß
110,218
1 75-/2
173
Pozeony (Pressburg
231,21«
295,048
44-1 ^ 4
392^ 4
209V»
Mosony iWieselbiirfji...
53,6Ü<>
(»1,862
153V 4
162
120
8oproin( »edenburg) ...
159.98K
2 10.0 10
.387-' «
31.9' a
225
Suniint^
~ i.r,89.<>f;3
1.912.920
23i9
2 I 22' 4
113 t~i
Die Bevölkerung der hier angeführten zwölf Comitute lieider
Gegenden war im Jahre 1 787 gleich, ja die der nordweBtlichen
war noch nm etwas höher. Im Jahre 1847 sind schon die süd-
Heben den nördlichen um 90(),(X)0 voran«. Die Bevölkerung der
Comitate im Alfold und jenseits der Donau hat sicli wahrend »
dieser 6() Jahre beinahe verdoppelt, die des Berglandes und der
kleinen Ebene aber sieh kaum nm ein Viertel erhöht. Und selbst
▼on dieser Vermehmng von 353,000 Seelen fallen anf die Comitate
Pressburg, Nyitra und Oedenburg, also die flachere Gegend, 185,000,
also mehr als die Hälfte.
Diese Yergleichnng weist anch in einer anderen Beziehung :
m Hinsieht anf die Nationalitäten, ein sehr wichtiges Ergebniss
auf. Die von uns in den südliehen Landesteilen oben Angefahrten
Comitate sind am reinsten ungariscli. Die im Nordwesten dagegen
sind, gerade mit Ausnahme von Oedenburg, Pressburg und Xvitra,
beinahe rein von Blaven und Deutschen bewohnt. So haben die
natörlichen und wirtschafÜichen Verhältnisse selbst die Hegemonie
des ungarischen Elementes vorbereitet.
In un.seren Tagen, da die Politik bei der Beurteilung aller
Fragen den Ausschlag gibt, kann die Frage auftauchen, ob die
Belastung der eine fremde Sprache sprechenden Bevölkerungen
nicht eine bewnsste und berechnete war, zu Gunsten der rein
Diyiiizedby Coog^
252
UN0ARM8 STEUERBYSTEM IM JABBE 1780
ungarischen Gegenden. Diese zu erwartende Frage wollen wir
beantworten.
Wir dürfen getrost behaupten, dass Ungarn im XVIII. Jahr-
hundert die Nationalitätenfrage, im heutigen Sinne genommen
nicht kannte. Die herrschende Classe, der Adel und der Glems,
bildeten eine solidarische Einheit, ohne Rücksicht auf die Sprache,
wie dies ja in allen feudalen Ländern Europa s der Fall war. Sie
waren alle Mitglieder der «Sacra corona», der croatische Edel-
mann ebenso wie der slovakische oder ungarische, nur dass natür-
lieh die Zahl und Bedeutung des ungarischen Teiles sehr über-
wiegend war.
Der Adel und die Städte beschlossen, als Gin der der heiligen
Krone, auch im Namen derjenigen und über die, welche als unter-
worfene Classe die fmisera contribuens plebs» bildeten. Und da
gab die Nationalität wieder nicht den Ausschlag. Der ungarische
Bauer in Scuno«zy oder He%*es stand ebenso ausserhalb der Ver-
fassung wie der deutsche in Wieselburg oder der slovakische in
# Turdcz. Andererseits gab es ganze walachische und slovakische
adelige Dörfer ebenso wie ungarische. Der Grundbesitzer aber hat
nicht nur das Recht über seine Leibeigenen zu beschliessen : sein
Interesse fordert es, dass sein Bauer möglichst gedeihe und den
Lasten nicht unterliege. Da das Vermögen des Bauers eigentlich
zum Besitze des Edelmanns gehört, ist die Besteuerung des Volkes
sozusagen eine indirecte Steuer auf die Herren. Dies wurde
immer so aiif^esehen. und besonders fasste der Laiidtau; von 1765
die ganze Steuerangelegenheit in diesem Sinne auf. Die Comitate
sind zwar bestrebt, die Last auf die Schultern ihrer Nachbarn zu
wälzen, aber nicht weil sie nicht ungarisch sprechen, sondern um
ihre Bauern, d. h. ihr Gut zu verschonen. Die nordwestlichen
Comitiite waren aber damals in Wirklichkeit reicher, als das l)ei-
nahe unbewohnte Niederungam. Dort vermehrte eine zahlreiche
Bauernschaft und ein blühendes Gewerbe die Zahl der Dika ; hier
rubte die Wirtschaft noch grösstenteils auf Viehzucht, die Binder-
und Pferdeheerden aber gehören den Herren, die nicht zahlen.
Und gerade im Nordwesten und iu der kleinen Ebene liegen
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«
UNOABNB STEUERSYSTEM IM JAHBB 1700. 358
•
die Besitzungen derjenigen, die ihr Intcresso und das ihrer Bauern
am besten geltend zu machen im Stande waren. Die alten grossen
Ifagnaien-Familien, die Esterhäzy, Batthyinyi, P&lffy, lUeehäzy,
ZohSaj, die das Steuer des Landes in starker Hand halten, haben
sich dort erhoben, dort erstrecken sich ihre Besitzungen. Ebenso
sind dort die zahlreichsten Güter ihr hohen Geistlichkeit, in erster
Linie die des Primas. In der Ebene und jenseits der Donau ist
der Grundbesits meistens in der Hand der Gentry und der neuen
Familien. Die drei Gomitate desBanates und der nordöstliche,
von Rnthenen und Rumänen bewohnte Teil des Landes sind bei-
nahe ganz im Besitze der königlichen Kammer und einiger
Fremden.
Die folgenden Zahlen mögen einigermassen die Besitzverhält-
msse erläutern. Es wird vielleicht mit ihrer Hilfe gelingen, diese
60 sehr Ternachlassigte Seite unserer Gesehiehte anfsufaellen, —
obwohl wir nur die Zahl der einzelnen Guter vergleichen können,
nicht ihre Ausdehnunfj.
Die Geistlichkeit und der hohe Adel besitzen 58 Vo der Güter
in der kleinen Ebene, der kleine Adel nur 9 ®/o, 24 Vo gehören Com-
possessoren, 6 Vo der Kammer und der königlichen Familie. In
der slovnkischen Gegend sind 41 ^ o im Besitze der Geistlichkeit
mid der Magnaten, der kleine Adel besitzt 29 Vo, die Composses-
soren 9 Vo,
Dagegen sind in dem nördlichen Teile der grossen Ebene
nur34Vo in den Händen des hohen weltlichen und geistlichen
Adels, der kleine- Adel besitzt M u, die meisten zu ihm f;t'liörin;en
Compossessorutf l'S 0. Der südliche Teil ist, wie schon gesagt,
noch grösstenteils Domäne.
Eb ist iAao sichtbar, dass der am meisten besteuerte Landes*
teil Diejenigen zu Grundbesitzern hatte, deren Wort zu seinen Gun-
«ten ins Gewicht fallen konnte. Denn das XVIII. Jahrhundert ist in
Ungarn die Zeit der Herrschaft der hohen Geistlichkeit und des
hohen Adels, der Kitterstand konnte sich, was politisches Gewicht
nnd Verdienste anbelangt, ihnen nicht vergleichen. Wenn also die
Boidwestlichen Gomitate zur Zeit der Bectificatio Portarum über-
L^iyiii^cü Uy Google
254
UNOABl» STBUBRmTBH IH JAHBB 1780.
lastet erscheinen, haben sie au gewichtigen Fürsprechern keinen
Mangel. Und wenn das Yerhältniss im Laufe des Jahrhunderts
sieh nur wenig verändert, so ist das nur ein Beweis dafür, dass
auch die wirtsohaftliehe Grundlage gleich blieb. Die Zeit war noch
nicht fern, wo 3i Comitate die Last des ganzen Landes tragen
mussten.
Und damit sind wir auf einen allgemeinen Standpunkt ge-
langt. Die ganze Weltgeschichte ist ein Beweis des Satteo, dass
nur Der herrschen wird, der den Anderen dient. Im XVIII. Jahr-
hundert führt bei uns der hohe Adel die Reichsangelegeuheiteu
nicht nur mit Wort und Tat, sondern seine Güter, seine Leib-
eigenen haben auch die materielle Last des Staates zu tragen.
Es ist . gewiss, dass im vorigen Jahrhunderte die Sicherung
und Besiedelung der grossen Ehoue das grösste Ereigniss unserer
Geschiebte war. Der notwendige Erfolg dieser neuen Anpflanzung
aber war, dass wie die Last auch der Lohn, wie der Dienst auch
die Herrschaft in die Hände des rein ungarischen mittleren Adels
gelangte. Denn mit Ausnahme des Banates ward und wird das ganze
neu colouisirte Gebiet ungarisch. Die deutscheu und slavischen
Colonien, welche das ethnographische Bild Ungarns noch am Ende
des XVIII. Jahrhunderts so bunt gestalteten, verschmolzen immer
inniger mit dem herrschenden Stamme.
Unter diesen Colonien nahmen an Zahl und Wichtigkeit jene
eine hervorragende Stelle ein, die wegen des Verfalles der wirt-
schaftlichen Verhältnisse aus den nordwestlichen Comitaten aus-
wandern mussten. Denn nicht die mangelnde Vermehrung ver-
ursachte dort die Stagnation der Bevölkerung. Ungarn war noch in
der gliicklichen Lage, nicht nur Fremden, sondern am li seineu eige-
nen Kindern als Amerika zu dienen. Die arbeitsamen und iebenafri-
sehen Schaaren aus dem slavisch-deutschen Berglande, wie sie nur
ungarische Sprache und Sitte aimahmen, wurden zu einem wichtigen
und wirksamen Element der modernen Entwicklung des Landes.
Heinrich Mabczali.*
* Atu des Verfiusen im Anftrage der nngariaoheu Akademie ansge*
arbeiteten cOesohiehte üngams im Zeitalter Josefr ILt
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PBNXBKDB AUF DT. ADOIiF DUZ.
166
DENKREDE AUF Dr. ADOLF DUX/
Entsteige dem Grabe, du guter alter Freund, entsteige dem
Grabe, in das wir dich zur letzten Ruhestätte an einem düstern,
nebligen Herbstinorgeu gebettet. Entsteige dem Grabe und nimm
wieder deinen Platz ein in diesem Saale, in welchem du ein gut
Teil deines Erden^lens verbracht« in diesem Kreise, in welchem
do mit dem besten Teil deines geistigen Schaffens wurzelst. Ent-
steige deinem Sarge,, in dem du den ewigen ScVilaf an der Seite
der Trefflichsten deiner Glaubensgenossen schläfst. Du kannst
getrost erscheinen, denn ich will dich nicht verherrlichen ; nur
sprechen will ich von dir und eraählen möchte ich blos, was das
Werk deines Lebens in diesem Saale, in diesem Hause, unter der
Ae^ide dieser Gesellschaft gewesen. Doch fürchte ich, dass, wenn
ich erzählt, was und wie du gewirkt, wenn ich dein Streben, deine
Rümpfe, deine Erfolge und auch Misserfoige geschildert, dass ich
dich dann doch verherrlicht haben werde und dass du durch mich
jenes Schicksals teilhaftig wirst, dessen du die Besten unserer
Literatur ein Menschenalter und darüber teilhaftig werden liessest.
L'nd ich fürchte, dass du deine klugen Augen dann vorwurfsvoll
auf mich richtest, dass deine Lippen jenes spöttische Lächeln
umspielt, das sich in deine Feder nie verirrt hat, und dass du dein
graues Haupt schüttelnd, deinem Unbehagen darüber Ausdruck
sibst, dasB nun ich im Begriffe bin, die Reihe unserer literarischen
Grössen, die du ohnehin ^'enug lang ausgedehnt, noch weiter
lortzospinnen. Doch verzeihe, gütiger Geist, dieses Beginnen;
denn an diese Beihe füg* nicht ich dich an, deine Aufnahme in
derselben ist die spätgereifte Frucht deines eigenen segensreichen
Schaffens und Wirkens. . . .
UmsoDst, unser guter, alter Freund will nicht verweilen ; er,
* Gehalten in der Sitrong der Ki8fidad7*0eMll8cliftft vom Sf . Febmar
188t.
L^iyiii^uü Uy Google
256 DBNKBBDE AUF Dr« ADOLF BUX.
der Andere so p^erne, mit so viel Warme und Bcgcisterunf^ .!?eprie-
Ben, er hat sich selbst niemals gelobt und er kann es auch jetzt
nicht dulden, dass ihn 'ein Anderer lobt. Er konnte aus dem Leben
scheiden, ohne die Anerkennung zu hören, welche das Land dem
Erforscher der Originalgedichte Simon Pecsi's, des sabbatharischen
siebeubürgischen Kanzlers, gezollt hätte, und die Laufbahn, die er
BD erfolgreich beschlossen, enthält in jedem ihrer Abschnitte viel,
gar viel, was des Lobes, ja des höchsten Preises würdig wäre.
Weit, sehr weit ißt der Weg von dem aiissersten Ende der
Pressburger Judeugasse bis zu jenem Ehrensitze, auf den die
geistigen Nachfolger Karl Kisfaludy's Adolf Duz erhoben haben.
Der Weg ist so weit, dass zur Zurückleguog desselben ein wohl-
angewandtes Leben notwendig ist. Und Adolf Dux hat sein Leben
wohl angewandt. Was er geworden, dazu machte er sich selbst;
dem Schicksal hatte er nur wenig zu danken. Selbst die W^iffen
im geistigen Daseinskampfe mnsste er sich selber erwerben. Waa
dem Ungar der Tiefebene wie Wasser und Luft, wie die selbstyer-
stündliche Gabe der Natur erscheint, die Kenutniss der vaterbin-
dißchen Sprache, er konnte sich dieselbe nur mit Mühe und Nüt>
nur mit Fleiss, Ausdauer und einer gewissen Selbstverleugnung
verschaffen. Eines armen Juden Sohn, in dem Pressburg der
zwanziger Jahre geboren, wie gabst du dich der ungarischen Idee so
zu eigen, was hiess dich, dein Leben di in Berufe widmen : deinem
Vaterlande, das dich nicht als seinen Bürger anerkannte, deiner
Nation, deren Lieder über deiner Wiege nicht ertönten, Ehre und
Bnhm im Auslande zu erringen? Was weihte dich zum Apostel
der nationalen Idee, dich, dem es so schwer geworden, selbst zum
Bewusstst'in dieser Idee zu gelangen ?
Als Antwort wirst du auf die glänzenden Gestalten unserer
Dichtung hinweisen, die dich Begeisterung in einer Zeit lehrten,
wo diese Begeisterung so selten war ; die dich in ihren Zauber-
bann zogen und ihre Ideale zu den deinigen machten ; du wirst
auf unsere grossen Dichter hinweisen, die innerhalb und ausser-
halb des Landes für dasselbe Eroberung machten und als deren
üiyiiized by Google
DBNK&EOS AUF DA. ADOLF DUX.
257
Emmgenschaft aaoh da auf den Blättern der Literatorgesehichte
enchemst.
Ihun die jrrossen StaatsmanncT und flamraenzünfijipen Red-
ner, die wir in jenen Decennien besassen, in welche die Lehrjahre
Adolf Dax' fielen, sie wkten auf keinen allzngroBsen Kreis ein;
bei den primitiven Verhältnissen der dnroh eine brutale Censnr
geknebelten Presse drang ihr Wort oft nicht weiter als ihre Stimme
oder als der Zauber ihrer Persönlichkeit ; die einheimischen Insti-
tutionen gemahnten noch an den alten Feudalsta:it ; das verstei-
nerte System priviiegiirter Stände stand schroff den Menschen-
reehten gegenäber, welche das Jahr 1789 als Weltgesetz proclamirt
bstte; der Wohlstand war nicht allgemein und das Kleinliclie der
Verbaltnisse dämmte das Denken und Fühlen in enge Schranken
ein. £e gab damals nichts oder nur sehr wenig, was die nationale
Idee den nicht ungarisch sprachigen Bürgern Ungarns hätte sym-
pathisch machen können. Darum schmäht dieses Pressbnrg nicht»
Weil es in den ersten Decennien dieses Jalirhunderts sicli dem natio-
nalen Gedanken gegenüber indifferent benahm, weil seine Bürger
vielleieht nicht einmal ungarisch verstanden ; schmäht es nicht
ond macht ihm daraus keinen Vorwurf ; denn nicht anders sah es
in den übrigen Städten Ungarns aus, deren Mauern niclit von der
Hochflut der lebenden nationalen Sprache bespult wur<len.
Schmäht sie nicht, sondern rühmt die Söhne dieser Städte, die
och trots ihrer kühlen Umgebung, fast gegen den Strom schwim-
mend, fär die nationale Sache begeisterten, und preist vor Allem
die Dichter, deren Genie selbst politische, hürf^erliche und <:,'esell-
schaftlicbe Proletarier für die heilige Idee des Patriotismus zu
galvanisiren verstanden.
Und Adolf Duz vereinigte in sich in den vierziger Jahren all*
diese drei Arten des Proletariertums ; er war ein politischer Pro-
letarier, weil er nicht adelig, ein bürgerlicher, weil er ein Jude,
ein gesellschaftlicher, weil er arm war. Doch all' dessen vergase
der zwanzigjährige Jüngling, als er Eötvös* erste Bomane, als er
PetAfi's erste Gedichte kennen lernte ; es liess ihn daran vergessen
die erhabene Gerechti^'keitsliebe und der edle flumanismuB des
Diyiiizeü by GoOgle
S38
D£NKRED£ AUF DU.. ADOLF DUZ,
Dichters des «Earthäuserst und des iDorlhotänt, und es liess
ihn daran vergessen die blendende Offenbarung des nationalen
Oenius, die er in Petöfi erkannte. Als ob er durch den Zauber*
Spiegel der schwer fjenug erlernten ungarischen Spraclie eine jranz
neue Welt erschaut hätte, so heeilte er sich, seine Entdeckung
Jenen mitzuteilen, die er ohne diesen Zauberspiegel wusste, und
80 entstand seine erste Fetöfi-Uebersetzung, * die er als S ij ähriger
•Tüngliug herausgah und deren sich der 23jährige Petöü so unbän-
dig freute.
Mit welch' zärtlicher Liebe ist nicht die Skizze der ungari-
schen Literatur geschrieben, mit der er diese Uebersetzungen
einleitete! Wie ergreifend schildert er da das feurige Streben der
erwachenden Nation nach grossen und erhaheuen Zielen; wie
überzeugend entschuldigt er die Scli wachen des vorwartöstürmen-
den Uebereifers und die Lücken der nationalen Bildung auf einem
und dem anderen Gebiete ; wie männlich macht er Front gegen
einzelne Auswüchse der nationalen Idee, die (wie Ignaz Nagy in
seinen «Pester Geheimnissen» ^ Reinen Glaubensgenossen die Men-
schenwürde streitig macheu wollten, und mit welch' freudestrah-
lendem Angesichte erzählt er schliesslich von seinen eigenen
Lieblingsdichtem !
Von jenem Tage an ist Adolf Dax ul»cr jene iuuereu Kampfe
des sprachliclieu und nationalen Amphibientums hinaus, die er
in seiner Erzählungs-Sammlung «Deutsch- Ungarisches» (Wien,
1871) und später in seiner Studie über den Dichter Friedrich
Eerenyi (Ghristmann)** so ergreifend schildert; er hatte es als
seineu Beruf erkannt, dem Auslande die Anerkennung für die Cul-
turbestrebungeu seines stiefmütterlichen Vaterlandes abzuringen,
und wahrlich, wenn Jemandem, so ist es ihm zu danken, dass der
deutsche Sangesbmder Petöfi*8 schon im Jahre 1 849 singen konnte :
«Wenn loh den Namen Ungar höxe,
Wird mir das deutsche Wamms su enge.»
* Wien, Capeller'a Verlag 1846 uud 1867.
^''^ Ans Ungam, literator« und cnltnrgeschichtlicfae Studien von Adoli
Dnx. Leipsig, Hermann Fols,
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DENKREDE AUF DR. ADOLF DUX.
Diesen Beruf hat er getreulieb, mit uuermüdlichcm Fieisse und
imerscbütterlicber Ausdaaer erfüllt. Beine eigenen Versuche auf
dem Gebiete der Humoreske, der Novelle und des Lustspiels sind
Belege dafür, dass er selbst der Originalität, Erfindung und
scböpferischen Kraft nicht j^anzlich entbehrte und dass der Lorber
auch für ihn nicht unerreichbar gewesen wäre; seine literar-
imd eulturbistoriscben Studien bezeugen, dass er in hohem Maasse
die Gabe der Beobachtung inne hatte, dass er selbständig zu den-
ken und die ErRcht* inuu)j;en bis zu ihren K tzten Gründen zu ver-
fol^^tn verstand ; doch er, der auch materielle Entbehrungen so
leicht ertrug, er, der sein ganzes Leben lang die Lehre der Stoa
befolgend, seine Meisterschaft im Entsagen betätigte, er entsagte
aoeb der Hoffnung, seinen eigenen Buhm zu begründen und wurde
der selbstlose Herold fremder Namen und Taten. Er wurde üeber-
setzer «von Profession«».
Seine Uebersetzer- Laufbahn war es, auf der er seine meisten
Erfolge erntete, und da muss wohl oder übel bemerkt werden,
ds8S er in der Wieder<;ai)e der ungarischen Prosa viel glücklicher
war, als in der wirksamen Wrdolmetschung der gebundenen Rede.
Er war viel zu gewissenhaft und zu scrupulös, als dass er ein
echter Kunstübersetzer hätte sein können. Jeder Ausdruck, jede
Wendung, jedes epitheton ornans des Originals waren ihm eben
BOTiele unantastbare Heiligtümer und eher tat er der Sprache, in
die er ubersetzte, Gewalt an. als dass er die geringste Nuance des
Ovigmals auff^geben hätte. Doch wenn er auch nicht jenes sou*
renne Gefühl des Künstlers besass, der jeden Dichter für seines-
gleichen haltend, sich alsUebersetzer für dessen gleichberechtigten
Mitarbeiter ansieht, so ragte er doch riesenhuch über jene wohl-
g^niemton, aber bald unbeholfenen, bald geradezu komischen
Uebenetzungen hinaus, die eine grosse Zeit lang den deutschen
Markt überfluteten und dadurch der Unverwüstlichkeit unserer
Dichter, welche selbst solche l'ebersetzungen nicht zu comprimit-
tirt-n Vermochten, ein bleibendes I )enkuiul errichteten.
Diese grosse Gewissenhaftigkeit im Vereine mit einer bedeu-
tenden Sprach- und Formgewandtheit war es aber, welche seinen
17*
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M DBNKÄBBE AUF DR. ADOLF DCX.
prosaischen Uebersetzungen den Stempel des Miistergiltigen ver-
lieh. Er fühlte die ersten Bomane Eötvös' und Jökai^s mit Erfolg
in die deatsohe Literatur ein« er zwang das Ausland, die Genies za
respectireD, welche die nnf^rische Nation hervorgebracht, und er
zeigte st inen doppelsprachigen Epigonen den Weg, auf dem sie
das zweifelhafte Geschenk ihrer vielfachen Muttersprache auf
das Verdienstlichste verwerten können. Doch erschöpfton seine
üebersetzungsarbeiten keineswegs den Inhalt seines so arbeitsamen
Lebens. Keine einzige Gelegenheit liess er vorbeigehen, ohne das
Ausland über die vaterländischen Verhältnisse aufzuklaren. Er
stand fortwahrend in Bereitschaft, um von dem schlecht informir-
ten Ausland an das besser zu informirende Ausland zu appelliren
und jedes deutsehe Lexieon, jede Zeit- und ünterhaltungsschrift
im Keiehf draussen diente seinen diesltezüglichen patriotischen
Bestrebungen als williger Ablageriingspiatz.
Es sei mir jedoch gestattet, das Hauptgewicht seines Wirkens
nicht in den Arbeiten, die er für das Ausland schrieb und über-
setzte, sondern vielmehr darin zu suchen, was hier im Lande sei-
nen Alltagsberuf ausmuihte, in seiner journalistischen, und zwar
in seiner deutsch-journalistischen Tätigkeit.
Der Beruf des deutschen Journalisten in Ungarn ist oft ver-
kannt, selten anerkannt worden. Man sah es nicht überall ein,
dass eine deutsche Presse für Ungarn ein Lebensb« diirfniss sei, so
lange es noch im Lande viele Zehntausende lesbegieriger Menschen
gibt, die nur der deutschen Sprache mächtig sind. Ueberflüssig
wäre sie, wenn ihr Aufhören der nationalsprachigen Presse zum
Vorteil gereiehen wurde. Doch steht die Sache nicht so. Das plötz-
liche Aufhören der deutsch -ungarischen Presse in Folge von ge-
waltsamer Unterdrückung oder spontaner sozusagen patriotischer
EntSchliessung würde nicht zugleich das Bedürfoiss nach deutscher
Zeitungslektüre verschwinden machen, würde nicht den Leserkreis
der nationalsprachigen Blätter vermehren, sondern würde geradezu
von gefahrlichen und schädlichen Folgen sein, indem hiedurch die
Einfuhr auslandischer Zeitungen gefördert würde, so dass unsere
Deutschen eine Leetüre erhielten, welche sie in ihren patriotischen
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DENKREDE A.UF DU. ADOLF DÜX.
S61
Neigungen nicht bestärken, souderu dieselbeD im Gegenteil mit
Stampf und Stiel ausrotten würde. Da uns also hierzulande eine
deatsehe Presse not tut, müssen wir es mit Freuden begrüssen,
das8 dieselbe eine patriotische Richtun«:; befolßi; und ihren Leser-
kreis mit der ungarischen Staatsidee, mit den vaterländischen
Einrichtungen und nationalen Aspirationen zu befreunden sucht ;
daher übertreibt man auch nicht, wenn man sagt, dass die gute
eoireete und patriotische Haltung der ungarländischen Deutschen
Torzogsweise der Tendenz und dem Geiste ihrer politischen Lec-
türe zu danken ist.
Diese deutschsprachige Ungarpresse ehrte nun in Adolf Duz
einen ihrer berufensten- Vertreter. In den drei Jahrzehenten, da er
die Literatur- und Kunstrubrik des ältesten und einflussreichsten
politiöcheu Tageblattes Ungarns * leitete, wirkte er in einer ganz
besonders erspriesslichen Weise ; er machte die deutschsprachi«^en
Borger des Landes Tertraut mit den Erscheinungen und Hervor-
brtngungen ungarischer Literatur und Kunst, mit den Fortschritten
unserer Wissenschaft, mit allen Momenten unseres «geistigen Le-
beii>; seine Buch- und Theaterkritiken, seine Berichte aus der
Academie und anderen gelehrten und schönwissenschaftlichen Ge-.
lellschaften spiegelten ebenso das Wohlwollen wieder, das ihm die
Böcksicht auf sein besonders geartetes Publicum auferlegte, wie
auch die wissenschaftliche Geschlossenheit und den Ernst, die ihm
in so hohem Maasse zu eigen waren. £r besass nicht den Hoch-
mut der Kritik, die auf ihren Gegenstand von TomhereinTomehm
hecsbblickt, noch die Schadenfreude, die jede Bresche und Lücke
mit Hohu^'elachter l)egi-Ü8st ; im Gegenteil, seine Freude machte
es aus, wenn er Lobenswertes fand, und wenn ihm ein junges
Talent begegnete, das er nach Herzenslust hätscheln konnte.
Einen ganzen Stoas machen die Hefte ans, in denen er seine No-
tisen über die zu kritisirenden Werke und Stücke yerzeiehnete, und
diese fleissigen Notizen, die seihst hei den ersten Versuchen rosiger
Anfänger oft mehrere Seiten in Anspruch nehmen, bilden wohl
r
* Peeler Llojd.
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DENKKEDE AUF DR. ADULF DUX.
einen eclatanten Contrast zu jener Kritik, die sich nicht einmal
die Mühe gibt ein Buch aufzuscbneiden, wahrscheinlich ans
Fnrehti sie würde sich sonst von dessen Inhalt in ihrem Urteil be-
einflussen lassen. Da er zu keiner politischen Partei und zu keiner
literarischen Coterie gehörte, konnte er sich auch bezuglich der
Personen jene Objectivität bewahren, die wir bei rein-literarischen
Fragen oft so schmerzlich vermissen ; da er sich nicht för einen
Apollo dnnkte, braaehte er aneh keinen Marsyas, und diese sym-
pathischen Züge seiner Persönlichkeit schützten seine Kritik vor
der herechtigten Anklai^e der Pai*teiliclikeit und verliehen ilir viel-
mehr jene lehrreiche und befrachtende Bichtung, ohne welche jede
Kritik ein steriles nnd überflüssiges Unding ist.
Diesem gewissenhaften, pflichtbewussten und hochgebildeten
Journalisten gegenüber entledigte sich nun die Kisfaludy-Gesell-
Schaft eine geraume Weile nach ihrer Neubegründong einer drin-
genden Schnld» indem sie ihn im Jahre 1867 zn ihrem auswärtigen
nnd drei Jahre darauf zn ihrem internen Mitgliede wählte. Das
neue Mitjjlied beeilte sicli denn auch, deu Erwartuuf^en zu ent-
sprecheu, welche mau angesichts eines solchen Mitglieds zu hegen
berechtigt war;
•Mit der Baschheit der Eisenbahnen trägt den Journalisten sein
Benif fort, und wenn er im Fluge ein Feld erblickt, dessen Pflege zn
einer schönen Ernte berechtigte und das zu pflegen er auch N<'it,nuifT
in sich verspürte : er kann nicht weilen, er kann auf das Feld nur
hinweisen nnd mnss weiter nnd weiter ziehen.» Mit diesen Worten
leitet er seine Abhandlung «das Theaterwesen als öffentliche An*
gelenheit» tiu. welche ihm, dem auswärtigen Mitgliede, zum An«
trittsvortrag diente, und inwelclier er einerseits die kräftige Unter-
stützung der Schauspielkunst der Aufmerksamkeit der Municipien
empfiehlt, andererseits aber die Beform des Volksstückes in jener
Biehtung beantragt, welche bereits durch die Bereicherung vorge-
Bchrieben ist, die der IJe^a-iti' Volk seit dem Jahre 1 848 in poli-
tischer und socialer Beziehung erfahren. In demselben Jahre ge-
wanner mit seiner Abhandlung tüber das Komische» den Preis der
Gesellschaft, und nach einer Weile wählte er zum Thema seines
üiyilizuü by GoOglc
DENKREDE AUF DB. ADOLT DDX.
S63
Aiitritt8vortra<!:e8 als internes Mitf»lied den Darwinismiis in sei-
ner Anwendbarkeit auf die Aesthetik, in welchem gedankenreichen
Essay er den Idealismus mit dem Idealismus zu versöhnen bestrebt
ist Bei dieser Gelegenheit war es auchi dass August Gbeouss das
Dens interne Mitglied mit einer Bede begriisste, welche die Ver-
dienste von Adolf Dux und dessen Mission zu eclatant anerkennt,
als dass es nicht angezeigt wäre, hier einige Sätze ans derselben
la wiederholen.
f Indem Adolf Dux seinen Plate in unserer Mitte einnimmt —
so Gre^uss — und indem ich ihn ans diesem Anlasse einführe,
futsprechen wir nur dem Buchstaben der Statuten; denn braucht
man wohl Jemanden einzuführen, der in unserem Kreise besser
gekannt ist als so manche unserer älteren Mitglieder? Und braucht
vohl Jemand einen Antrittsvortrag zu halten, der schon so viele
seiner Abhandlun<,^eu hier vortrug und so viel Berichte über ihm
gewordene Mi^-sionen abstattete ?
•Es ist bekannt, dass die Eisfaludy-Gesellschaft Adolf Dux
SQ ihrem auswärtigen Mitglied gewählt, weil er die Hervorbrin-
gongen unserer Gultur durch Publicationen und Uehersetzungen
seit zwei Jahrzehnten mit <:erec}item Erfolge in der Literatur joner
Nation heimisch gemucht hat, die durch ihre Nachbarschaft, durch
ihre Grösse und durch ihre Bildung seit Jahrhunderten ihre
Wirkung auf uns ansäht. •
Nachdem Redner dann des Kampfes gedacht, den die unga-
rische Nation fiir iiire staathche und geistige Existenz zu führen
gezwungen sei, fuhr er fort :
« Wur müssen fortwährend beweisen, nicht nur, dass wir leben,
sondern dass wir des Lebens auch wert sind. Und wie können wir
das am augenfälligsten beweisen ? Doch wohl nur diu"cb die Gel-
tendmachung des wirksamsten F actors, unserer geistigen Souve-
rinetät.
«Das aber ist vor allem Ihre Aufgabe, geehrter College; da-
rum bitten wir Sie, bleiben Sie auch ferner das, weBhalb Sie die
Kisfuliidy-Gesellschaft in die Reibe ihrer auswärtigen Mitglieder
aufgenommen, der Dolmetsch unserer Literatur bei den Deutschen,
264.
DEMKBKDE AUF DR. ADOLF DUX.
aber bleiben Sie dabei auch femerbin ein wirkliebes internes Mit-
glied unserer Gesellsohaft, der Pfleger unserer eigenen Literatur ! »
Oftmals haben wir ancb seither unseren guten alten Freund
am Vortragstische Platz nehmen sehen ; seine ästhetischen Stu-
dien, welche sein gesummtes Denken und die ganze Zeit, die er
sich vom Broderwerb abkargte» in Anspruch nahmenj yereinten,
sich mit den naturwissensebaftlicben Arbeiten, denen er sich als
Dilettant hingab, um ihm bei Verfassung seiner Abhandlung tPsy-
chologie des Komischen und Physiolo*;ie des Lachens» behilflich
ZU sein. Er hielt in unserer Gesellschaft die Denkrede über un-
seren halben Landsmann und treuen Förderer unserer Literatur»
den eyangetischen Pastor zu Bättebtedt, Gustav STEniAOKKB, und
vor kaum zwei Jahren erstattete er an dieser Stelle Bericht über
ein noch unViekanntt-s Schreilien des Mannes, dessen Namen unsere
Gesellschaft auf ihre Fahne geschrieben. Die letzten Arbeiten sei-
nes Lebens bezogen sich auf die Ermittelung dessen, welche Ge-
sänge in dem Lieder- und Gebetbuch der siebenbürgischen Sabba-
therier Umarbeitung und üebersetzung hebräischer Texte* und
welche Gr ginal , namentlich Griginaldichtungen Simon Pecsi's,
des einstig'» !! Kanzlers von Siebenl)üigen der als einer der
Hauptgründer dieser Secte gilt, angesehen werden können. Nur
sein allzufrühes Ableben verhinderte ihn an der Beendigung dieser
Arbeit, die er ebenfalls für die Editionen dieser Gesellschaft be-
stimmt hatte. Braucht es also noch mehr der Worte, um uns ins
BewusKtsein zurückzurufen, was uns Adolf Dux gewesen und was
wir in ihm verloren haben ? *
Wenn wir Adolf Dux als Kunstübersetzer von ausgesproche-
nem Beruf und unermüdlichem Fleiss, wenn wir ihn als patrioti-
schen Publicisten und feingehildeten, unparteiischen Kritiker ge-
würdigt, wenn wir scliliesslieh die Tati<Tkeit, die er als externes und
internes Mitglied dieser Gesellschaft entwickelt, uns vor Augen ge-
halten haben, so bleibt uns noch immer eine erfreuliche Aufgabe
^1 Derselbe lebte iiud wirkte gegen Ende des XVI. und gegen Anfimg
de« XVII. Juhrhuuderts.
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DBRKBBDB ADF DR. AFOLF DÜX.
S65
iihrif;, und die wäre, den MeDschen in ilnn in Au^^enschein zu
ncdimen. Es ist dies, wie gesagt, eine erfreuliche Aufgabe, denn
selten wird was Gelegenheit» eine glücklichere Harmonie zwischen
Beruf, Talent und Charakter wahrsunehmen, als sie die Persön-
lichkeit Adolf Bux* aufzuweisen vermofchte. Wohl ging sowohl
seinem äusseren Mensclien wie auch seiner Feder jener j^hitte Zug
ah, der gemeinighch Liebenswürdigkeit genannt wird; ein manch-
mal märrisch und fast sauertöpfisch erscheinendes Aeussere und
sein oft schwerfälliger und kerniger Styl entbehrten der Leichtigkeit
und der einschmeichelnden Eleganz. Aber er war kein mürrischer ^
und sauertöpfischer Gesell; er iia in itt- vielmehr ein heiteres und
fröhliches Gemüt sein ei^^t.n. und er war nicht jener bedauerns-
werte, unglückliche Mensch, den Femstehende in ihm zu erkennen
glaubten. Er führte ein schönes Leben, ein xaXov ßtov im edleren
Sinne des Wortes, indem er sich stets glücklich und zufrieden
fühlte und des frivolen Lächelns der Ällerwelts-Glücksgöttin leicht
entraten k^mnte. r>ie Kampfe, an denen sein Leben nicht eben arm
war, vermochten ihn weder zu erbittern, noch auch ihn zum
Zweifler an den Menschen und an der höheren Ordnung der
Dinge hienieden zu machen. Er fühlte sich glücklich, da er ausser
seinem täp^lichen Brede stets soviel erwarb, um armen Verwandten
Gutes tun, um den Lebensabend seiner betaj^ten Eltern vor Sori^en
bewahren zu können, und er fühlte sich mehr als glücklich, als er,
auch Ton diesen Sorgen befreit, ein gleichgestimmtes Weib an
seine Seite fesseln durfte, ein Weib» das ihn verstand und seines
Lebens würdige Gefährtin ward. Er hatte nur zwei Leidenschaften :
Geistiges in sich aufzunehmen und dasselbe wieder mitzuteilen ;
er las und schrieb gern, und zur Befriedigung dieser beiden
Leidenschaften boten ihm sein Beruf und sein täglicher Wirkungs-
kreis Gelegenheit die Hülle und JTülle. Selbst körperliche Leiden,
die ihn in denietzten zwei Jahren seines Lebens mehr als billig
heimsuchten, vermochten die Harmonie seines Gemüts nicht zu
fttören, und er freute sich fast srints Leidens, das ihn dazu zwang,
nach Italien, dem Laude seiner Sehnsucht, zu reisen; seine Ge--
burtsBtadt, das finstere Haus, in dem seine Wiege gestanden, die
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%
S66 DBNXKEDB AUF DB. ADOLP DUX.
Um^'ebung Pressburgs, sie alle erweckten in ihm stets die aller-
freimdlichstt'ii Krinnerim<:^en. Ein bogeisterter Freund von Natur-
ßchönheiten. machte er alljjihrlicli die Wanderversammlungen un-
garischer Aerzte und Naturforscher mit, nnr um sich an den man*
nigfachen und abwechslungsreichen landschaftlichen Schönheiten
seines Vaterlandes ergötzen zu können. Diese Gennsslrendigkeii
blieb ihm ebenso wie die Arbeitshist treu bis ans Ende. Mit dem
Kopfe und mit der Feder arbeitete er, so lange er eben lebte; als
seine Hand schwach geworden und zu versagen drohte, dictirtc er
seine letzten Feuilletons, die von der alten Frische seines Geistes
zeugten. In einem hohen und weiten Gemache eines Zinspalastes
der Ofner Donaufroni stand der Lehnsessel, in dem er seine
letzten Tage verbrachte. Von da konnte er hinabsehen auf den
miijestätischen Strom, auf die herrhche Kettenbrücke, auf die
Akademie am jenseitigen Ufer und auf das ganze junge Fest. Der
irdischen Sorgen ledig, die Zukunft seines geliebten Weibes gesi-
chert wissend, so sass er da, schöne und erhabene Gedanken den-
kend, " und in .seiner scherzenden Manier vergHch er wohl auch
seinen erhabenen Standpunkt und seinen weitreichenden (iesichis-
kreis mit jenem, den sein Geburtshaus in der Pressborger Juden-
gasse gewahrte. So sass er sinnend da und so starb er, Tor dem
Tode nicht erzitternd, denn, wie er vor einigen Jahren tröstend
seiner Gattin ^reschrieben :
«uiH All /iiriickyt'kelirt m\h\ die (ieweseiu ii, •
Diese Worte, welche auch auf seinem Grabsteine sichtbar sein
werden, mögen sich auch unserem Gedenken einprägen, in welchem
sich Adolf Dux eine würdige und bleibende Statte gesichert hat. Er
ist nun in das All zurückgekehrt, das dem Vaterlande noch Viele
Seines Gleichen bescheeren möge. ** Albbut Sturm.
I)ieseU)en Hind am Tage nach meinem Tode Aber Bein aiudrttck-
liciieK Ersnclieii im • Tester Lloyd» erschienen.
** Ausser den obtjenjinnten Kditionen wollen wir von den wioliti^eren
Werken l>r. Adolf Dux' hier nocli nachfolgende verzeichnen; «üngaiische
Dichtungen», l'i-essbiu'g und Leipzig IS."»!-. — Biinkhuni, Driiina von .losef
Kalona, Leipzig l^^öS- — «Das ungarische Natiouaimuseuiu», Test 1858. —
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267
FKANZ PULSZKY'S MExMOIEEN. *
Kustig schafft Franz Pnlszky an Bciuem Memoirenwcrk»- lort, \on
dem uns nun schon der dritte Band in ungarischer Spraclie vorliegt
und dessen deutsche Ausgabe, wie wir liören, gleichzeitig mit dem
ErFclieinen dieser Besprechung das Licht der Welt erleben dürfte.
• Mein Leben und meine Zeit», das ist der Titel, den Pulszky stijien
Memoiren gegeben, d^^ren erster Band bekanntlich den Schilderungeu
der ungarlüudischeu Verhältnisse vor der Picvolution gewidmet war.
Die Ereignisse, welche die Revolution vorbereiteten und die Geschichte
des Freiheitskrieges selbst, waren der Inhalt des zweiten Bandes, von
dem man mit Recht sagen kann, dass er ebenso hochwichtig war, wie der
erste Band interessant gewesen. Der uns nun vorliegende dritu Band, der
den Subtitel ,,Wdliren'l <ler Vi rbununno in Auwrika iufl f'it'iliinil"' fiihrt,
vereinigt die Charakteristik seiner beiden Vorgiinger in sich: er ist
interessant und wichtig zugleich. Interessant, weil tr uus i inen tielVifu
Einblick in jene kuriose Welt raachen lässt, welche man Fmigrutiou
im Allgemeinen und ungarische Emigration insbesondere nannte,
abgesehen davon, dass er uns amiisante Excursc in das englische und
amerikanische Leben gestattet, — wichtig, weil er uns nicht zu unter-
schätzende Aufschlüsse über noch immer nicht genug aufgehellte Par-
tien der Zeitgeschichte gibt. Einige Briefe Li dwig Kossi th s und
Fhanz Deak's bilden die kostbaren Zugaben dieser Pul'lifatioii, die
uns vorläufig nur bedauern lässt, dass wir auf die Fortsetzung dersel-
beD, auf den IV. Baud iiümlich, wieder ein Jahr laug warteu müsseu.
I.
Der Tag von Vilägos hatte den Sieg der Beaction in ganz Europa
besiegelt. Frankreich war nur dem Namen nacli Republik, in Deutsch-
land war das Parlament gesprengt, in Italien halten ^ieh Sicilien, Horn
nn<l V« nr(l ig ergeben, die Reaction feierte überall ihre Siegesorgien
und nur England bot den flüchtig gewordenen Opfern der Revolution
ein sicheres Asyl. Franzosen, Russen, Deutsche, Italiener. Walachen,
Polen und Ungarn Üücbteten über den Kanal. Nur KoBsutb uud seine
•l>iebtiing0n von Jobi|nu Arany», Pest 1861. — «Für den Glanz di s Hauses»,
Roman von Baron Josef K()tv«is, bearbeitet und t rtrauzt von Adolf Dux,
Loipxig 1873. — «VaUus es tudomäuy* (Behgiun uud \\ i.ssenschaft), Buda-
pest 1976 IL 8. w. n. 8. w.
* Siehe «Literarische Berichte. IV. Band, IIL Heft (1880) und
•XJngariache Bevue* Februar- Heft, 1881.
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^68
FRUfZ paL8ZCT*8 MEICOIBBN.
Getreuen Bcliiunchteten in den ciliciBcben Bergen, bis endlich die nord-
amerikunisclH^n Freistaaten Europa von der Gefahr, welche dieselbe in
KosRuth's Einfluss erblickte, befreite. Kossiith ging aber nicht tlirect
uacli Amerika. Hoiiderii liereiste zuerst, ubenill mit mehr als königliclieu
Eliren empfangen, England, und erst später begab er sich nach Ame-
rika, no er, von Franz Piilnzky begleitet, Triumphe feierte, wie sie der
• Gouverneur'« eines unterjochten Volkes wohl noch niemals gefeiert
hat. • Niu h England zurückgekehrt, mussten wir uns dem bürgerlichen
Tieben anpassen ; wir mussten leben, um conspiriren zu können, bis
wir endlich unseren Glauben aii die Conspiration selbst verloren.»
Das war die erste, zehn Jahre währende Epoche der Emigration,
welche mit dem Frieden von Villafranca abgeschlossen erscheint, eiu
Fnedensscliluss, der die Hofü uugen der ungarischen Emigration auf
die Befreiung Ungarns durch eine neuere Revolution zu Grabe tru«;.
«Meine Erlebnisse ans jener Zeit will ioJi in den folgenden IMiit-
tern allen Jenen erzählen, die Auteil nehmen an meinem nnd au der
nngarisehen Verbannten und Emigranten Schicksal. Die Engländer
haljen uns viele Gefälligkeiten erwiesen, sie wurden aufrichtige Freunde
der ungarischen Sache und der dieselbe vertretenden Persönlichkeiten ;
viele Freundlichkeit erwiesen uns auch die Ituliener, die uufere Tätig-
keit öfters in Änppmch nahmen. Unsere Odyssee versohaffte dem
nngarisohen Namen aacli jenseits des Oeeans Aebtnng; wenn wir
gelitten haben, so blieben unsere Leiden doch nur individuelle, wäh-
rend die ungarische Nation dureh unser Missgepchick auch dort be-
kannt wurde, wo man bis dahin nicht einmal ihren Namen gekannt
hatte.»
Die Schicksale der Emigration selbst schildert Pnlnsky, ohne
etwafi beschönigen su wollen, was nicht beschönigt zu werden braueht.
In London war seit An£ang des Jahres 1849 ein «Centraibureau für
ungarische Angelegenheiten» errichtet, welchem Franz Palszky vor-
stand. Obwohl aahlreiche hervorragende Emigranten, wie Edmwd
fisöTHT, Graf Paul EsztbrbIzt, General Vetter, Oberst Baron Wolf-
OANo Kem^ny, Oberstlieutenant JcfAsz, General Klapka mit den beiden
SzABö und mit Mednyäwbzktt, im Laufe der Zeit nach London kamen,
hatte Pul^zky nahezu allein für die grosse Menge der aus Ungarn ver-
bannten Kevolutioniue zu sorgen. Dies machte ihm viel Aerger und
Plnge. aber schliesslich gelang es doch, mit Hilfe der Engländer,
welche den Emigranten Geld lur die l'eberfahrt nach Amerika und zu
eiumonatlicliein l'nterhalte daselbst vorstreckten, die Schützlinge unter-
zubringen. Kr scbreibt hierüber: -IHe Beförderung nach Amerika,
mit der sehr Viele einverstanden waien, betrachleteu Andere aia
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FBANZ msaKY*9 MEMOIBBN.
m
Deportotioo ; mit Einem' Worte, die Emigranten vernreachten mir
wnrilhlige Unannehinliehkeiten. Die Juden Melten sieh am besten. Sie
entwiekelten viel mehr Lebensklngheit, und fast alle hatten binnen
drei Monaten irgend eine Stellung gefanden, die sie vor Not nnd Elend
sicherte. Die Uneinigkeit unter den Emigranten wuefas mit ihrer Zahl ;
manche, die ihrer Pflicht dem Yaterlande gegenüber ein Jahr lang
Genüge geleistet hatten, glaubten dadurch vollen Ansprach darauf
erworben au haben, dass von nun an Andere für ihre Zukunft und
Eidstent sorgen. Da man Jene, die genügende Existensmittel nicht -
nachweisen konnten, in Paris nicht duldete, so kamen die Unbeholfen*
sten nnd Unfiihigsten und eben deshalb AnsprnchToUsten und Unver-
schümtesten pftmmtlich nach London, wo sie mir oft sehr lästig fielen.
Ein gewisser Mzbalöozt, dem ich meinen Bock geschenkt hatte, benahm
sich dermassen frech, dass ich ihn aus dem Zimmer werfen lassen
mneste. Hierauf forderte er mich zum Zweikampf heraus, und da ich
erwidert hatte, ich könne doch nicht meinen eigenen Bock durch-
löchern, drohte er mir fortwährend und fiel mich auch einmal auf der
Qasse meuchlerisch an, als i<di Nachts mit meiner Frau und mehreren
Bekannten von einem ungarischen Meeting nach Hause ging. Ich liess
ihn vor das Polizei gericht citireo, und dort musste er Bürgschaft lei-
sten, den Königsfrieden nicht mehr zu stören. Oberst Emerioh Szabö
aber redete mir unaufhörlich zu, mich mit Mihalöczy zu schlagen, denn
wie niederträchtig er auch immer sei, so sei er doch Honvöd-Offioier
gewesen. Ich erklärte mich endlich einverstanden ; aber in London ist
es nicht so leicht sich zu schlagen, wie anderswo ; nur mit vieler Mühe
verschafften wir uns Säbel. Mein Secundant, Graf Julius ANORissY,
brachte einen vom Herzog von MANCBBsna, einen zweiten erhielten
wir von einem HonvM'Offieier. AndrAssy mietete in einer Vorstadt
zwei Zimmer ; an diesem ziemlieh verdächtigen Orte kamen wir zu-
sammen. SxzvAM TcBB war Mihalöczy's Secundant; während wir
fochten, bearbeitete der Arzt mit aller Kraft das im Nebenzinmier
befindliche davier, damit man das Säbelgeklirr weder im äause noch
auf der Gasse vernehme. Mihalöczy erhielt eine starke Hiebwunde am
Arme, ich wurde nur schwach geritzt. Sobald mein Gegner wieder her-
gestellt war, ging er nach Amerika, wo er sich dann anständig benahm.
Ais ich mit Kossuth in der Union ankam, war er dner der Ersten, der
mich um meine Protection ersuchte ; im Secessionistenkriege diente er
bei den Nordstaaten und fiel, wenn ich mich gut erinnere, bei Vicks-
burgh.»
Interessant ist eine Stelle in den Memoiren, welche von den
ersten literarischen' Leistungen des naohmaligen (und ehemaliguu)
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S70 FRANZ PUL8ZKT*8 IIBMOIBBN.
>
dBterreiohisch-UDgarisehen Ministers des Aeussem, Orafen Jaliiis
AndrAssy, spricht. Die betreffende Stelle Uutet: «Julias Andrissy
hatte eine Stndie über die ungarischen Verhältnisse geschrieben and
ersuchte mich, deren Yeröffentlichmig in- der «Edinburgh Review»
durchzusetzen ; dies gelang mir jedoch nicht, die Studie erschien später
in der •Ecclectic Review».
Piilszky traf übrigens auch mit den deutschen, spauiFcheu, ita-
heni^ch^-'ll und tVanzosisclien Emigranten zn«ammen, und er erziihlt
sehr liübsche Ziige von Ledru-RoUiu und Mazzini. «Von deutschen
Emitjranteu lebten» — wie Pnlszkv schreibt — »damals in London:
der Dichter Frk.ilk.rath, als Buchhalter in einem englischen Handlungs-
hause ; Blind wurde spater sozusagen Engländer ; der geniale Architekt
Skmi'ER lebte im Elend, bis er später zum Zeichenlehrer in Maribo-
rougii-House ernannt wurde. Kinkel, den seine Frau und sein Schüler
Karl Schurz, s^pater in der nordamerikanischen Union Minister des
Innern, aus der Festungshaft mit Geschick und grosser Kühnheit be-
freit hatten, erregte bei den Deutschen Londons sowohl durch sein
romantisches Schicksal als auch durch seiue männliche Schönheit und
s^oen herrlichen Vortrag Aufsehen. Kuoe, einem Hauptvertreter der
nen-hegehscheu Schule, ward es nicht so leicht, für seinen Unterhalt
zu sorgen : mau kümmerte sich wenig um ihn. Dr. GoLDSTi'CEER war
Professor für Sanskrit am University-College und wurde als der gründ*
lichste Sanskritist ganz besonders hochgeachtet. Lothar Bucher, jetzt
der treueste Berater des Fürsten Bismarck, lebte damals gleichfalls
als Verbannter iu England ; er war mein Nachbar ; wir kamen häufig
zusammen, bald bei mir aum Thee, bald bei üun, um uns an pommer-
aehen Gänsebrüsten gütlich zu tun. Auch der schleswig-holsteinische
Fürst NoBB und sein Sohn lebten in London, der Letztere war häufig
unser Gast ; aber es war unmöglich, die deutsehen Bevolutionäre unter
Einen Hut zu bringen ; der Partieularismus äusserte sich bei ihnen
auch in der Verbannung, und zwar viel stärker als bei den Italienern,
die, wenn auch versohiedeneu Ländern angehörig, die Idee der Einheit
Italiens innig verband.»
n.
Das Hauptbestreben der ungarisohen Emigration war, Kossüth,
der iu Kiutahia intemirt war, befreit zn sehen ; aber alle Schritte bei
der englischen Begierang waren vergeblich. Eossuth selbst fühlte sich
in dem fernen asiatischen Neste sehr unbehaglich und gibt dem in
seinen, vom April 1850 datirten. au Ladislaus Teleki nud Pulszkv
gerichteten Briefen iebhulteu Ausdruck. Endlich kam von Amerika
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FBAN^ PUUKST'S MUf OlBEN.
W8 Hilfe. Im dortigen Senate hatte Foon« der Senator des Staates
Mississippi, den Antrag eingebracht, die Kegieruug der nordamerikani>
sehen Union möge Eossnth als Gast zn sieh einladen, seinen Gefikhrten
ein Asyl anbieten und ein eigenes Kriegsschiff aaeh Asien entsenden,
um die Bitemirten nach Amerika za bringen. Der Autrag wnrde ein-
stimmig, mit lebhafter Begeisterung angenommen. Das Schiff ging auf
der Büdcfidirt nach Amerika im Hafen von Spezzia vor Anker, aber
die piemontesische Begiemng erlaubte Kossath nicht, auszusteigen,
denn das Volk hatte sehon auf die Haehrieht von dessen Ankunft
ringsum auf den Bergen Freudenfeuer angezündet und im Hafen brau-
sende Evviva's gerufen. Auch die französische Regierung verbot Eos-
sntb, durch Frankreich nach England zu reiseu, ja in Marseille durfte
Niemand sich dem amerikanischen Kriegssehiffö nähern. Ein Arbeiter
machte die Sache kurz ; er sprang ins Meer, schwamm zum Schiffe
hin, um Kossuth die Hand schütteln zu können, und als dieser sich
über die Kühnheit verwunderte, rief der schlichte Arbeiter : «Nichts ist
dem unmöglich, der einen Willen hat ! * Dies Wort gefiel Kossuth
ungemein und er wühlte es fortan zur Devise. Er fuhr nun nach
Gibraltar, wo er von der englischen Festungsbesatzuug festlich empfan-
gen wurde. Hier erklärte er dem amerikanischen Capitüu, er werde
mit einem englischeu Schiffe nach Sonthampton reisen, aber sehr bald
eciocn Gefährten nach Amerika nacheilen.
Der Empfang in Southamiiton war ein grossartiger und die eng-
lische Bede, welche Kossuth hielt, versetzte die Engländer «^erarlezu in
Ekstase. Als die Nachrichten hierüber nach London gelaugten, tele-
graphirte man von dort, Kossuth möge noch zwei Tage in Sonthampton
bleiben, damit man in der Hauptstadt Zeit gewinne, einen würdigen
Empfang vorzubereiten. So wurde denn in Southampton noch em
Resses Banket veranstaltet, bei welchem Richaud Cobüen einen Toast
«nf Kossuth aufbrachte und ihn bat, Aufklärungen über das Verhältniss
l'u!4;iiu9 zu Oe.sti ireich zu geben. Kossuth gab diesem Verlangen in
einer zweistündigen Hede nach, welche die grösste Wirkung hatte und
von der Col'den selbst sagte, sie reihe sich würdig den besten oratori-
J^clicn Leistungen Peel's an. Der KiuptauL: ni London war feierlich und
grossartig, wie beim Einzüge des Lordmiiyor und hier wie in anderen
englischen Städten, wohin Kossuth >icli auf wiederholte Einladungen
begeben musste, fanden seine Punlen Bewmi'U ruug und Zustimmung.
Gegen Ende Octobcr begab sich Kus>uth auf den Weg nach
Amerika. Auf dem Schitl'e bet'iuultui sieh Pi ls/kv und -eine Frau.
Ihäsz, Giuatou Pf.tiilkn, Pai l IIa.tnik, Pf.tf.r Na«;y und einige II uived-
Ofliciere, welche' den Gouverneur vuu Kiutaliia aus begleiteten. Auf
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973
FRANZ PULSZKY's MEMOIBEH.
demselben Dampfer fohr auch die einet berühmte Tänzerin Zjoxjl
MoMTBZ nnd fiel Kossath durch ihre Zudringlichkeit zur Last. Pnl^sky
versprach, ihn bald von deu Annäherungen der Dame zu befreien und
fand auch die günstigste Gelegenheit dasu. Eines Tages sagte nämliob
Lola Montez zu Kossuth :
— General, wenn Sie wieder einmal gegen Oesterreich Krieg füh-
ren, dann geben Sie mir ein Husarenregiment 1
Pulszky replicirte sofort :
— Ich bin überzeugt, mein Fräulein, dass ein geringeres Corp«
Sie nicht befriedigen kann. Diese starke Lection nutzte.
Auf dem Schiffe arbeitete Kossuth jene Bede aus, welche er in
New-York halten wollte, wohin die Beise von Southampton aus zwei
Wochen dauerte. In Staten Island hielten sie einen Tag Bast nnd
hatten immerfort Deputationen zu empfangen. Seibat die Freimanrer
erschienen und zwar im vollen Ornate mit allen ihren Abzeichen. Auch
der Mayor von New-Tork kam dahin und benachrichtigte Kossuth,
dass die Bevölkerung eine Bede erwarte. Bei der Ankunft in New* York
wurden sie mit hundert Salutschnssen empfangen, die gesammte Be-
völkerung war ihnen entgegen gekommen. In Castel Garden bestieg
Kossuth eine Tribüne und wollte sprechen, aber er konnte vor den
donnernden Hurrahrufen drei Viertelstunden nicht zu Worte kommen
und mnsste endlich die Tribüne vörlassen, ohne die Bede gehalten zu
haben, welche dann in den Zeitungen erschien. Ueber die Bede, welche
Kossuth in Amerika hielt, berichtet der «Esgouverneur* selbst im
ersten Bande seiner vor zwei Jahren erschienenen Memoiren. Der
Gesammtertrag der Beden Kossuth's auf seinem Triumphzuge durch
Amerika belief sich auf 96,000 Dollars, welche er zum grössten Teile
der Unterstützung der Emigration widmete, während er für sich selbst
kaum 20 Percent der Summe behielt, obgleich die Amerikaner den
Wunsch aussprachen, Kossuth möge mit diesem GMde sone und seiner
Familie Zukunft sichern.
Die Schilderung von Land und Leuten in Amerika gehört nicht
nur zu den besten Partien dieses Buches, sondern zu dem besten über-
haupt, was über Amerika je geschrieben wuirde. Folgen wir dem amü-
santen Erzähler bei der Schilderung seiner Ankunft in New- York :
Man empfing Kossuth mit grosser Begeisterung und bat ihn, einen
Tag hier zu verweilen, damit man iuNew-York, wo man erst in diesem
Augenblicke seine Ankunft erfahre, die nötigen Vorbereitungen zu
einem feierlichen Empfange treffen könne. Hierauf entwickelte sieh
eine gemütliche Conversation ; der Major wendete sich an mich und
titulirte mich General ; ich erwiderte, dass ich das nicht
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FRANZ PULSZKY's MEMOIREN. f 3
— -Al.so Herr Oberst —
— Auch (las bin icli nicht, ich war niemals Soldat.
— Also lieber Connt Pulszky —
— Auch das nicht ; blos Mr. Pulszky, nicht mehr und nicht
weniger.
— Das kann nicht sein : ein Manu, dessen Namen wir hier in
Amerika schon kennen, kann nicht ein einfacher Master sein. Wie sehr
Sie sieb auch dagegen sträuben mögen, so lange Sie in Amerika bleiben,
sind Sie Count Pulszky, für uns sind Sie es.
Und so war es auch in der Tat ; ich erinnere mich, dass ich
einem Dr. Hotfmann, der Piechtslehrer an der pennsylvanischen Univer-
sität war und der von mir Aufkhirungen über europaische Etiquette
und Titulaturen wünschte, eine halbe Stunde lang die Verhaltnisse,
Hechte, Grade und die sociale Stellung des europäischen Adels erläu-
terte und dabei hervorhob, dass ich zwar von ungarischem Adel sei,
aber dennoch keinen Titel fülire ; als ich ihm dann noch die ehemaligen
Privilegien des ungarischen Adels und die jetzige Stellung unserer
Magnaten auseinandergesetzt hatte, sagte er endlich :
— Nun verstehe ich Sie, Herr Count, und kenne Ihre Stellung.
Ich sah, dass alles Protestiren umsonst sei und Hess mir nun den
Titel Count in dem Lande gefallen, in welchem trotz aller republikani-
schen Ideen Jedermann seinen Titel führt. In Amerika gibt es mehr
Excellenzen als in Europa, jeder Minister, jeder Senator, jeder Gou-
verneur beansprucht diesen Titel ; weil nun diese immer nach drei,
vier und sechs Jahren wechseln, so wimmelt es in der Union von
Excellenzen. Allen Mitgliedern des Congresses und der zweiten Kam-
mern der einzelnen Staaten gebührt der Titel Honorable, der Governor
und Judge gibt es unzählige. Die Eeihe der Generale und Obersten ist
endlos ; in allen Städten befinden sich Milizregiraenter, die ihre Offi-
eiere selbst wählen, und da werden denn geinröhnhch die hervorragen-
den Hotelbesitzer, die vor der Wahl dem ganzen Regiment ein Festmahl
geben, zu Obersten gewählt. Ich gewöhnte mich sehr bald daran, in
jeder Stadt, bei jedem Hotel nach dem Obersten zu fragen. Einmal
aber kam ich übel an. In Cincinnati hragte ich in dem ersten Hotel
nach dem Obersten, worauf der Kellner verächthch fragte : was für ein
Oberst, Sie suchen wahrscheinlich den General ? Ich entschuldigte
mich und unterhandelte dann mit dem General — dem Hoteher —
wegen der Anzahl der Zimmer und teilte ihm unsere Wünsche mit.
üöchst amüsant ist in der Pulszky'schen Darstellung auch die
Geschichte des Generals Houston, von dem er Folgendes erzählt : Sein
Vater hatte in VirguuA gelebt und war materiell sehr herabgekommen ;
üaiMiMilM BOTBt» 1881, HL H«(b «o
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974
FRANZ PULBZKY*6 MEMO IBEN.
iiacli seinem Tode verkaufte die Witwe die übrigen Landereien und
h.iedelte sich in Tennessee an. wo der Sohn heranwuchs, eich al?
Advocat ein Vermögen erwarb und endh'ch zum Gouverneur des Staa-
tes gewählt wurde ; aber seine Frau quälte ihn derart, dass er seioeu
Gouverneurposten im Stiche Hess und zu den roten Indianern floh, wo
or 9{ch in Tierfelle kleidete und bald zum Häuptling gewählt wurde.
Als die Bevölkemng von Texas daroh stete Einwanderung ans der
Union sehr aagewaclisen war und nun den Unabhangigkeitskampf
$;egen Mexiko, unter dessen Botmässigkeit sie stand, begann, <ln
braobte sie die mexikanische Armee in nicht geringe Verlegenheit,
denn diese eroberte einen Teil des Gebietes von Texas. Die Aofotindi-
f-ohen sendeten eine Deputation nach Washington zu dem gewesenen
Präsidenten General Jackson, um diesen zu bitten, er möge ihnen einen
General anempfehlen, der ihnen zum Sieg verhelfen könnte. Jackson
sagte, einen besseren als Houston könnten sie nicht finden.
— Was ? der ist ja ein halb Wilder, er trägt nicht einmal Panta-
lons und kleidet sich in Büffelfelle.
— Ich sehe, dass Euere Lage noch keine sehr ge&hrliche ist und
will Euch daher die Adresse des besten Schneiders in Washington ver-
schaffen, der kaon Euch dann Auskunft geben, wer die tadellosesten
Pantalons trägt. Wenn Ihr aber einmal in eine Lage kommt, in dsr
Euch der Verstand mehr gilt als Pantalons, dann wendet Enoh an
Houston.
Die Deputation wendete sich nun doch an Houston, der die Füh-
rerschaft annahm und die Ti xaner so glücklich führte, dass sie bei
San Jaciuto die ganze mexikanische Armee sammt dem Priisidenti'ii
von Mexiko, dem (xcaeral Santa Anna, gefangen nahmen und dadiircli
ihre Unubhuu.fjigkeit eiulgiltig sicherten. Sie wollten nun Houston zu
ihrora Präsidenten wühlen : in der Volkbveröammlung hielt er eine
liede beiliiutig folgenden Inhalts :
•fBürjjrer! Mit Stolz blicke ich auf Euch ! Mit solchen Männern
hat Komnhis Rom «^en^rundet ; denn, so scheint es mir. siimmtliehe
Mörder, Räuber, Falsch-^pielor, bankerotte Verschwender «icr Union
sind hier .aisammengekommen, kein einziger ist zuriickj^eblieben. Ihr
Hoid ein \'olk, das im Stande ist, jede Armee civilisirter Völker zu be-
biegeu, zu vernichten, aber zu regiereu seid Ihr nur, wenu Ihr den
Druck einer eisernen Hand auf Euerem Nacken fiihlt. Wenn Dir mich
zu Euerem Präsidenten wählt, so sollt Ibr die eiserne Hand, die Euch
Ordnung lehrt, fühlen, das schwöre ich bei Gott.»
Dieser Rede folgte beifälliges Vivatrufen und alsbald auch die
Wahl Uouston's zum Präsidenten. Er selbst erzählte mir, dass er drei
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FBANZ PULSZKV'S MEMOIEBN.
i7b
Jihre hindaroh so streng und rücksiobtolos regiert habe, wie irgend
ein enrop&iecber Tyrann. Das Volk duldete dies, aber nach diesen drei
Jahren erschien eine Deputation des Senates und de« Bepräsentanten*
haiues bei ihm, die mit Pistolen bewaffnet ins Zimmer trat und ihm
in energischer Weise erklärte, dass das Volk von nnn an eine anstän»
digere Behandlung fordwe, sonst würden sie ihn wie einen Hundnieder>
sdiiessen. Der Prftsident ging ihnen hierauf entgegen, umarmte den
Sprecher und sagte, dass dies der glücklichste Tag seines Lebens sei,
da er sehe, dass in den Texanem endlich das Ehrgefühl erwacht sei; er
lege hiemit seine Stelle als Präsident nieder, Yon nun an könne eine mil-
dere Persönlichkeit dieses Amt versehen, da sie bewiesen hätten, dass sie
Ehr- und Selbetgefuhl besässen und Ahig seien, sieh selbst zu regieren.
Auch diesmal folgten seinen Worten begeisterte Vivatrufe und bei der
nächsten Wahl wurde er wieder zum Präsidenten gewählt. Während
seiner zweiten Präsidentschaft setzte er die Aufnahme Texas' in die
noidamerikanische Union durch und vertrat seit jener Zeit diesen
Staat als Senator in Washington.
m.
Nach der Bückkehr aus Amerika traf Koseuth oft mit ICazzini
und Ledm-Bollin in London zusammen ; hierauf liess das englische
Ministerium des Aeussern eine Hausdurchsuchung bei Eossuth anord-
nen, aber der damit betraute Polizeimann meldete dies am nächsten
Tage in einer localen VolksTcrsammlnng, diese sprach Lord Palmerston
ihre Miasbilligung aus, diese Sache kam auch vor*s Parlament, aber
der Polizist wurde weder amovirt, noch bestraft. Kossuth schrieb nun
einige Zeit die Leitartikel für die «Sunday Times», aber da diese nicht
den Erfolg hatten« den er erwarten dürfte, gab er es bald auf. Später-
hin hielt er in einzelnen Städten Englands und Schottlands Vorträge,
welche immer zündend wirkten.
*
Während Kossuth zurückgezogen lebte und mit der grossen eng-
lischen Gesellschaft wenig verkehrte, stand die Familie Pulszky in
lebhafter Verbindung mit den vornehmsten Girkeln der englisehen
Hauptstadt und war mit den bedeutendsten Schriftstellern eng b^freun-
Mit DicKBNs und Tbackerat verkehrten sie oft und hatten Gele-
g^nheit, den nie versiegenden Humor des Letzteren zu bewundem.
Einmal sprach man von Lord Ellenborongh ; Hayward, der sich gern
mit seben aristokratischin Bekanntschaften brüstete, erwähnte, er
'Werde am Freitag dort diniren. Schön, sagte Thackeray, das trifft
sich vortrefflich, ich bin auch für Freitag geladen, wir können zusam-
men hingehen. Hayward schwieg einen Moment und sagte dann, als
18*
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976
FRANZ PULSZKY'S M8M0IRBN.
ob CB ilim ebeu erst einfiele : «Nicht für Freitag bin ich zu Ellenbo-
rough B geiudea!» worauf Thackeray trocken bemerkte: tJch auch
nicht ! »
Volle elf Jahre wolmte die Familie PuLszky iu London. Aus jeder
Seite des BucIh s * r^-ii ht luan es, dass Franz Pulszky die englische
Gesellschaft, ihre Sitten und Brauche, die engli-^chen Institutionen,
die wifisenschaftlichen und politischen Verhältnisse besser kennt als
irgend Jemand auf dem Continent ; nach dieser Richtung bin l'ietet
sein ^Verk eine reiclie Fundgrube zum practisch raschen Verständnisse
der englischen Verhiiltnisse. Von London begab sich Pulszky mit seiner
Familie nach Italien, wo f^ben der Krieg ausbrach, der bekanntlich die
Hoffnungen der ungarischen Emigration aufs Neue schwellte. Die
Briefe, die Kossuth an seinen Freund Pulszky nach dem Friedens-
ßchlusse richtete, führen eine erscliütternde Sprache ; sie zeigen die
tiefe Leidenschaftlichkiit. den stolzen Patriotismus und die Politik
Kossuth's. An einer Steile sagt er wörtlich : «Die ungarische Frage
steht zu unserem Glücke in inniger Verbindung mit jeder Politik, die
sich auf das Wohl der Türkei Itezieht. Auf diese letztere müssen wir
unsere ganze diploniHtiselie Geschicklichkeit conceiitriren, von uns
selbst müssen wir schweigen. Wenn wir es durchsetzen, dass sich
England mit der Türkei verbündet, so brauchen wir nicht mehr, unser
Vaterland ist dann gerettet.»
Eine riihrendere Sprache führen aber die vom Marz 1859 datii teu
zwei Briefe, die Franz Deäk an Fi;.\nz Pulszky gerichtet hat. Wir
können uns nicht enthalten, die Hauptstellen derselben hier zu ver-
ötf entlichen :
«Als Prosaiker (Pulszky hatte in scherzhaften Hexametern ge-
schrieben) folge ich Deinem Beispiele nicht und schreibe sowohl von
mir als auch von Anderen. Freund, ich werde alt. Die wirklichen und
eingebildeten Krankheiten des Alters sind mein Gefolge. Meine Besitzung
verkaufte ich für eine Lebensrente an die Griiün Stetan Szechenyi,
lebe von meinen bescheidenen P^inkünften, sieben Monate in Pest, den
Sommer und die Hälfte des Herbstes verbringe ich in Zala und
manchmal in einem oder anderem Badeort — als lediger Mensch.
Klaüzäl ist verheiratet, wie du weisst. Er hat einen Sohn, eine T(K-h-
ter, in Kleiu-Teteny einen prsichtigen Weingarten und einen Obst-
garten, er ist ein grosser Weinzüchtcr und Gärtner und lebt ganz
dieser Wissenschaft und seiner Familie und gibt sehiem klein»>u Kinde
selbst zu trinken (natürlich nicht von seiner eigenen Milch). Sein Ge-
sundheitszustand ist nicht ärger als früher, ja sogar besser als im
Jahre 1848, doch leidet er auch jetzt viel an Blutwaliungen. Eötvök
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FBANZ PULBZKT*8 MEMOIREN.
«77
«rzieht seine Kinder, schreibt und präsidirt in der Akademie. Er
"wohut in Pest, klagt viel über sein Leberleiden ; seine Kinder — er
bat viere — entwickeln sich prächtig. Tbefort hat auch den Winter
hier in Pest verbracht, er schreibt wenig, klagt aber viel über öcono-
mische Missstände. Graf Stefan SztcHKNvi s Gesundheit ist hergestellt,
er hat aber die Heilanstalt noch nicht verlassen. KEMfeNY vertieft sich
bis über die Ohren ins Zeitungsredigiren und Romanschreiben, dabei
ist er so zerstreut wie früher und gemütlicli wie sonst. Csenoery ist
trotz hcines schwachen Gesuudheitszustuiides sehr tätig. Die Buda-
pp sti Szemle», welche er redigirt, wird mit grosser Anerkennung auf-
genommen. — Dies sind von unseren alten Freunden Diejenigen,
welche wemgsteuh einen Teil des Jahres hier verbringen, von den Ab-
wesenden erfahren wir selbst wenig. Gott mit Dir, mein lieber Feri,
Deiner lieben Gattin richte in meintui Namen sehr herzliche Grüsse
aus. Deine Kinder küsse statt meiner. Icii umarme Dich ! Dein treuer
Freund Fkanz Deak.»
Das nächste Mal schreibt Franz Deak :
«Mit ausserordentlichem Intiieese und inniger Teilnahme las ich,
was Du über Deine Kinder schriebst ; iln' Fleiss und Fortschritt
erfreute mich wohl, überraschte mich aber nicht, denn ich erwartete
nicht Geringeres von Euern Kindern. Du hast nicht genug Vermögen,
bchreibst Du, um Deinen Kimkiii einen Erzieher zu halten, Du und
Deine Gattin unterrichtet und erzieht sie selbst. Freuud, dieser Man-
gel, denke ich, ist für Eure Kinder ein wahrer Segen, denn sie könnten
keinen besseren Händen anvertraut werden. Ich weiss, dass Ihr selbst
unter den glänzendsten Verhältnissen die Erziehung Euerer Kinder
geleitet hättet, aber so ist es doch besser, denn die Erziehung ist
gleichmussig, keine fremde Hand wird in dieselbe störend oder verän-
dernd eingreifen. Auch freut es mich herzlich, dass die Kinder Lt dwio
Kossi th's im Lernen vorzügliche Fortschritte machen ; schon in ihrer
zarten .Jugend verrieten sie die Entwickelung ausgezeichneter Fähig-
keiten ; dnmals zeigte sich beim Kleineren, wenn ich nicht irre, ein
leibhafterer (Jcist als beim Grösseren. Du schreibst mir, dass Ludwig
grau geworden. Dies. Freund, wundert mich nicht, bei den vielen
SchicksalsRchliigeu uiul Unglücksfällen, die ihn trafen. Er ist, glaube
icii, um einige .Talire älter als ich, und die Zeit ist auch an mir nicht
olme Spur vorübergeeilt und selbst Pepi Eötvös, der doch um zehn
JaJire junger ist als ich, trägt Spuren des herannahenden Alters . . .
Ich kann es wohl begreifen und verstehen, dass Kinder ihren Eltern
bei vielen Sorgen auch viele Freuden bereiten, aber ich bereue es den-
Doch nicht, dass ich Klauzäl s Beispiel nicht befolgte und mich im
278
DBB «UMSS DAdCUS»
fönfeigsten Jahre nicht verheiratete. Ueber fünfzig Jahre hinaus kann
sieh Niemand viel Lebensjahre mehr verspreehen. nnd wie druckend
dänkt mir die Besorgniss, nnmfindige kleine Kinder hinterlassen sn
müssen, die eosuBagen in die Welt gestossen, einem ungewissen Sehick*
sale preisgegeben sind. Ob mir sechs Kinder in den Schoss passen
würden, kann ich nicht beurteilen, aber es ist mir recht, dass ich keine
habe. Gott mit Dir, mein Freund f Ueberbringe Deiner Gattin meine
anfrichtigstou, herzlichsten Grüsse. Grüsse imsere Freunde und liebe
Deinen wahren Freund Deäk.»
Den Schlnss dieses Bandes bildet eine mehrere Druckbogen starke
Abhandlung Pubzky's : < l)ie ungari.Nclieii Bildungssilben und Suflixe
im Lichte; des Sprachsystems des Sanskrits-. l)ie-e Abljjindlnng, in
deren Interesse sich Pulszky an Deak wandte, hatte er als Directioji-^mit-
glied der Londoner Philologischen Gesellschaft in einer Sitzung derselben
gehalten und sandte sie nun der ungarischen Akademie, deren Mitghed
er war, behufs Publication ein. Aber es kam lange keine Antwort ;
später erfuhr er, dass die ungarische Akademie in grosse Verlegenheit
geraten war, da sie einerseits die Abhandlung iiicht unterdrücken
durfte, andererseits aber die Connivenz mit einem iBevolntionär* in
der damaligen Zeit noch gefährlich war. Endlich liess sie dieselbe aber
doch im t Neuen Ungarischen Museum» unter dem liamen Frans P.
V. LüBocz (das Adelsprädicat Puls/ky's) erscheinen nnd so waren denn
Ziege, Kraut und Wolf unversehrt über das Wasser gekommen.
Der nächste Band der Memoiren dürfte uns über die zweite nnd
letzte Epoche der ungarischen Emigration, die sich bis 1867 hinzieht,
interessante x nd anziehende Anfechlnsse geben.
DER «LIMES DAGIOUS».
Die von Kahl Tobma im Jahre 1858 entdeckte Inschrift auf einer
ara Totiva in Kapjon (Comitat Szolnok-Doboka) ist die wichtigste
Inscription, die seit Jahrzehnten auf dem Gebiete Daciens gefunden
wurde. Sie spricht von einem Valium nnd dem Vorlande desselben,
einer Region Daciens, über welche wir bis jetzt keine einsige Nachricht
hatten. Dieselbe ist im Corpus Inscriptionum Latinarum (III, 165,
Nr. S*27) abgedruckt und bildet den Ausgangspunkt zu den Unter*
Buchungen über den Limes l)acicus. Als der Entdrcker die Inschrift
Momiusen mitteilte, antwortete dieser unter Anderem : tDas Vallnm
uud sein Vorland wird Ihnen genug zu denken geben.» Der Meister
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DER «LIMES DACICUSt.
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hatte nur aUsQ recht. Torma gelang es jedoch schon im Jabre '1862
die Sporen d«e Valium zu entdecken. Die Beenltate seiner Forsohnn-
gen hat das gelehrte Ausland im Grossen nnd Ganzen angenommen ;
jedoch wnrde das Vallnm von Theodor Ortvay in seiner «Auf dem
Gebiete Daciens und Mösiens» betitelten Abhandlung (Arohsologiai
firtesittf 1875) als nicht römisch, sondern als das Werk der Barbaren
erklärt, mithin seine Identität mit dem Limes Dacions bestritten.
Derselben Ansicht war auch B6mer. Ortvay's Beweislohning stützt
tjieb anf die nennte Zeile der Inschrift, wo er statt des verstömmelten
ngio troHwalflum), tran»val(lm) lesen will, mithin jeder Hinweis anf
ein Tallnm falsch ist. Die von Torma nachgewiesenen Propngnacnla
und Castra anf nnd neben dem Valium beweisen nach Ortvay noch
nicht, d«s8 diese Befestigung ein römisches Werk war, viel weniger
sind es Teile des Limes Daciens. Torma nahm daher seine Forschun-
gen wieder anf. Im Jahre 1879 durchforschte er aufs Neue und noch
viel grundlicher den oberen Teil des Limes und reine Resultate liegen
nun in einer acht Bogen starken Abhandlung vor, welche jedoch nur
den ersten Teil seiner Untersuchungen enthält, da die Forschungen über
den unteren Teil des Limes ihn noch gegenwärtig beschäftigen.
Die vorliegende Arbeit zerfällt in vier Teile. Der erste behandelt
die Gegend des Samus^Flusses (SzamoB), reepective den Ager Napo-
eensis und dessen Verhältniss zum Limes. Mommsen hat nachgewie-
aen, dass anf dem Platze des heutigen Klausenburg die römische
Golonie Napoca stand. Hier beginnt Torma seinen Excurs. Zuerst
bespricht er den Ager Napocensis. Von Napoca fahrten mehrere
Strassen gegen das Valium, beziehungsweise durch den AgerNapo-
eensis, von denen Torma sechs nachweist: die Strasse von Napoca
nach PoroHssum (Klausenburg — Torda), diejenige, welche sich von
Napoca gegen Szamosfalva wendet und zum Szamos- und 8aj6>Flu8se
fährte, nach Porolissum (Mojgräd) und die gegen Besculum (Kis-Sebes) ;
ferner die Heerstrasse von Porolissum nach Värmezö, dann jenevonZutor
über Nyercze und Nag}'-Hajtolcz nach Värmezö, endlich die von Zutor
über Közöplak, Nagy Almäs und wahrscheinlich Közöp-FüldnachBescu-
lum führende. Aji diese Strassen scliliessen sich jene 99 Ortschaften,
"welche Spuren der römischen Colonisation tragen. Der Verfasser be-
spricht jede einzeln und bestrebt sich, eine genaue Topographie des
Ager Napocensis zu geben. Eine ausführliche Erklärung der erwähn-
ten Inschrift und die Befetimmuiig der Regio des Samus, welche nach
Torma jener Landstrich war, der sich zwischen Kis-Sebes, Mojgräd,
^ A Limes Dacicus lelbo r^K/e. Toriua E4rolyt61. Akademie-Verlag.
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280
DER tUMSB OACI0U8».
Tihd und Also-EosAly in der Biohtang des Valloms tuid des nftior-
liehen Limee ausdehnte, sehHesst diesen Teil der AbhandluDg. Das
VerhältnieB des Ager von Napoca zum Limes gestaltet eich folgender-
massen : Napoca wurde von Trajan gefjründet, jedoch hatte die Colonie
eiuea biirgerhcheii Charakter , denn die Haiipt-MiHtärBtation des
nördHcheu Dacieu war die ebenfalls von Trajan gegi-ündete Stadt
Potaissa. Dort lagerte die Legio V Macedonica bis zur Uebergabe
Daciens. Die meisten in Torda gefundenen luschrilten beziehen sich
anf Soldaten dieser Logion und die gestempelten Ziegel der Leg-ioii
konimou massenliaft znni Vorsehein. Diese Legion versah auch deu
Limes mit der nötigen Waciie und im Notfalle mit Hilfstruppen und
bildete die strategische Basis der Grenze. Aus deu bisher entdeckten
Inschriften kann man mit Bestimmtheit schliesseu, dass der Sitz der
bürgerlichen Verwaltung des nördlichen Daciens, d. i. der provniciaPoro-
Usseusis. Napoca war, während die militiirische Behörde in Potaissa
residirte ; deshalb ist diese letztere Stadt und nicht Napoca als Basis
der Verteidigung des oberen Teiles des Limes Dacicas zu betrachten.
Der zweite Teil bringt den Kern der Abhandlung, nämlich das
Castrum von Sebesväralja und das Valium Kis-Sebes — Tibö, d. i. den
nordwestliehen Teil des Limes. Mit Interesse folgen wir dem
Wege, den Torma geht. Die detaillirte Beechreibong des Castrum
von Sebesväralja nebst den daselbst gefundenen Inschriften,
welche in den «ArchsBologisch-epigraphischen Mitteilungen ans Oester«
reicht und cBevidirte und neue Inschriften sn Oorpns Inscriptio*
nnm Latinamm HE (Dada)», erschienen sind, liefern den Beweis,
dass der Name dieses Castrnms Bescolnm und der nnter seinem
Schatze stehenden Ortschaft vicus AficaBnornm oder Afigtenomm
war. Dieser Ortsname bereichert die Topographie Daciens mit einem
wichtigen Platze, nicht nur weil wir von sehr wenigen römischen ^
Oastris Daciens den Namen und die Lage kennen, sondern hanptsäoh-
lieh darum, weil wir nun den Namen eines wichtigen strategischen
Punktes des Valium am südlichen Ende des Limes wissen. — Nun
folgt das Valium, dessen fünf Teile genau besehrieben werden, woran
sich die Befestigungen Porolissums und die römischen Spuren der
Umgebung Tihö's ansehliessen. Nach dem Vergleiche mit Hadrian's
britannischem Walle, dem sogenannten Picts Wall oder Limes Britan-
niens, mit Antoninus Pius' caledonischera Walle, dem sogenannten
Grahams Dyke oder Limes Caledonicus und dem Limes Germanicus.
kommt der Verfasser in Betrefi' des oberen Teiles des Limes Dacicus
(Valium Kis-Sebes — Tihö) zu folgenden Kesultaten : Die C'onstruction
des Valiums ist verschieden. Von Kis-lSebes bis zum Karpiu schen (Nr. 1 )
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OBR «LIMB8 DA0ICD8»
I
381
Propugnaculum führt eine mit Baukalk errichtete Steinmaaer ; Ton
hier bildeten, wahrscheinlich wegen örtlicher HindemiHse, nicht ein
Tallum, sondern Pfahlbauten den Limes bis zum Pusztakerter (Nr. 18)
PropQgnaculum ; die Richtung geben die Wachtürme und besonders
die Strasse, welche vom 11. bis zum 18. Wachturm sichtbar ist. an.
Von diesem Propugnaculum bis zur W'asserscheide oberhalb Värteleks,
gegenüber von Porolissum, zieht sich teils ein mit Graben versehener
Damm, teils nur der Damm allein ; von der Porta Meszesina bis zum
Pogujorer (Nr. 2ti) Cnstellnni finden wir wieder die Steinmauer. Dieses
Castellum wurde mit dem Mouastirer Propugnaculum durch Pfahl-
bauten verbunden, deren Richtung die Strasse neben dem Limes be-
zeiclinet. Vom Mouastirer Wiichturm bis zum letzten Propugnaculum
am ( )rmoz6er Berge gegenüber von Tihö führte ebenfalls ein Dumm,
endlich uherhalh Tihö's bis Al«6 KosiUy bildete (kr Szamos-Fluss den
natürlichen Limes. - Der Agger war nur aus Erde, ohne dazwischen
gelegte Steine. Die innere Seitenhöhe des Dammes wechselte zwischen
2"50 und »), die äussere zwischen 3'üO und 7. die Breite -Icr Basis
zwischen 11 -."jO und 12, die der OberHache zwischen 1 "40 und 2'.%
Meter. Die verschiedene Höhe des Agger rührt wahr>ehtiiilich daher,
dass an dt n exponirten Stellen, d. h. dort, wo hiiufige Einfalle der
Barhurt-n zu befürchten waren, der Damm hoher war, wahrend an ilen
anderen Stellen der niedrigere Agger, oder die einfachen Pfahlhauten
genügten. Mit einer Fossa wurde der Damin nur dort versehen, wo
der iii>ti<7e Platz vorhanden war. ja seihst dann nicht immer, weil der
Berj^auckeu des Meszes, an dem ilas Valium entlung läuft, so steil
ist, dass die Graben überllüszig sind. Wo eine Fofcsa war, lief parallel
mit dem Agger nach aussen eine terassenartige 3'70 bis 4 Meter breite
Stiege, von innen entweder eine ahnliche Terras.se oder ein 4 Meter
breiter Laufgraben. Die Breite der Fossa variirt o})en zwischen 1.20
und 2, unten zwischen 3 und 5, die Tiefe hingegen zwischen 1 und
3-3ü Meter.
Auf der ganzen Linie des Limes, oh Valium oder Pfahlhauten
denselben bildeten, standen niei<t auf dominirenden Punkten meiner
Entfernung vonS(X) — KXK) Schritt kleinere und grössere Propu,i;nucula,
welche wahrscheinlich krei>förnng waren. Hier camjiirten kleinere Sol-
daten-Abteilungen, welche den Limes zu bewaclien hatten. Nach dem
Umfange der Propugnacula zu schliess-en. bestand eine solche Wache
etwa aus 20 Mann, die abwechseln«! auf .lern bestimmten Baume di--
Wache besorgten. Die meisten waren, wie es scheint, aus Holz erbaut,
nur der (irund war aus Stein. Zu den im Durchschnitte 1 BiJ Meter
dicken Mauern heferte der Bergrücken d'-~ Meszes das Gestein ; die
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DER «LlMEfi DACICUSI.
Tinbehanen«!! Steinmassen hielt der starke Baukalk »nsammen. Das
hölzerne Dach war wie gewölmhch mit Ziegeln gedeckt, was die zahl-
reichen Ziegel-Bruchatüoke der Biünen beweisen; jedoch scheinen
mehrere AVachtürme nur mit Brettern oder Sehindehi gedeckt geweeeo
an sein. Die Propugnacnla waren meist in den Damm eingebaot,
derart, dass dieselben ein vrenig hervorstachen ; ob dieselben auch ein
gegen das Land der barbarischen Vdlker geriehtetee Tor hatten, wer-
den erst Nachgrabnngen zeigen. Wahrschemiich ist dies nicht ; da das
Valium einen mehr defensiven als offensiven Charakter gehabt hat
Die Oesammtzahl der Propugnacnla des Kis-Sebes — Tihöer Val-
iums l&sst sich heute noch nicht bestimmen. Wenn man nach der 65
Kilometer oder 81 ,250 Schritt langen Ausdehnung des Valiums schliesst
und auf je 1000 Schritt ein Propngnaculum annimmt, so müssten auf
den oberen Teil des Limes Dacicus 80—81 Propugnacnla fallen ; da
aber an manchen Stellen die Entfernung mehrere tausend Schritte
betrug, so können wir im Durchschnitt 40—41 Wachturme annehmen»
von denen Torma S3 nachgewiesen hat ; die Lage der übrigen würde
«ich durch fortgesetzte Untersuchungen gewiss auch bestinmien lassen»
Auf jedes der sieben Castra kamen also sechs Ftopugnacula, welche
man mit stehender Besatzung versehen musste ; rechnet man für jeden
Wachturm 20 Mann, so kamen von den Castra Stativa — die aus einer
Cohorte von 500 liann bestanden — je 120 Mann als Wache für das
VaUum, während die übrigen Gamisonsdienste leisteten. — Die Mauer
(murus) war, nach den Ueberresten des Eis-Sebeser Castallum zu
sbhliessen, am südlichen Ende des Valiums 0*85 Meter, beim Pogn-
jorer Castellum au der Biegung des Valiums gegen Osten hingegen
1*40 Meter dick und bestand aus opus ineert»m, — Pfahlbauten waren
zwischen jenen Propugnacnla, welche grosse Abgründe von dnander
trennten (wie die von Nr. 1 — 5), oder wo man den Agger nicht auf-
werfen konnte. Diese Orte waren den feindlichen Angriffen weniger
angesetzt. Der die Palissade von innen schneidende^ 3—4 Meter breite
Weg war mit Schotter bedeckt.
Durchgänge lassen sich am Limes vier unterscheiden und zwar :
1 . beim Kis-Sebeser Castellum, 2. bei dem Pogigorer Castellum an der
porta Meszesina, die sogenannte Soola ; 3. bei dem Doppel-Propugna-
culum an der Arsure (Kr. 10) und 4. bei dem SuvArer Wachturm
(Nr. 20). Der erste war bei der Krümmung des Limes, d. i. dort, wo
derselbe ins Biharer Comitat auszweigt, ein wichtiger Durchgang zum
barbarischen Gebiet imd wahrscheinlich auch statio portorii; der
zweite bildete dasjenige Haupttor, durch welches der nordwestliche
Teil der Provinz mit der regio trans vallum, respective mit den
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. DER «LIMES DAOIGUSt.
S83
Barbaren verkehrte. Diese Strasse verband Dacien mit dem pannoni-
schcn Hochland nml wahrscheiuhch mit dem Csörszgrabeu selbst, und
war die scola die statio portorii dieser Verkehrslinie. Der dritte und
vierte Durchgang diente zu untergeordneteren Zwecken. Der Engpass
des Egregy-Tales bildete bei Borzova ebenfalls einen Linies-Dnrcli?ang
und spätere üntersuchnngen werden die Spuren de< dortigen Castel-
lums gewisB zu Tage fördern. Die Mündungen des Almas- nnd (lorbo-
Fliisses neben dem Tihoer Castrum Bind als grössere uod freiere Aditus
des Limes zu betrachten.
Innerhalb des Valiums standen in ungleicher Entfernung, jedoch
immer in paralleler Linie die Caslra stativa, deren Kette die strate-
gische Basis der Limes-Verteidigung bildete. Diese Castra versorgten
die Propugnacula des Valluma mit der notwendigen AVache und zwar
derart, dass die Besatzung eines jeden Castrums die Wache für die
naheliegendeo Propngnaenla stellte. Diese Castra stativa, welche eine
Heeres- Strasse mit der andern verband, sind folgende : 1 . das Sebes-
f&nüjaer (Besculum), ungefähr 3 Kilometer entfernt vom Valium,
respecÜTA vom Kis^Sebeser Castellum ; 2. das Värmez<!>er a ; 3. das
8BSD(*Pöterlkü.Taer 5 ; 4. das Magyar-Egregyer (Largiana) 7^4 ; 5. das
Bomlotter (Certia) 7Vs ; 6. das Mojgr&d-ZsAkfalTaer (Porolissam) V/t,
nspeetive 3V«, und endlich 7. das Tih6er am Ende des YaUnins SV«
KiUnneter entfernt. Die Castra mnssten wegen topischer Schwierig-
keiten ein wenig entfernt vom YaUum erbaut werden, und zwar unter
den südöstlichen Abhang des Messes-Qebirges in das Egregy-Tal,
rsspective am Eörös- und Almds-Flnsse. In den schmalen Bergkanten
war überhaupt kein Platz für diese Castra ; lagen sie doch ohnedies
genug nahe dem Valium. Der römische Stratege, der die Lage dieser
Ctstra bestimmte, dachte kaum daran, dass eine Zeit kommen wird, in
der man Zweifel errege gegen den römischen Ursprung seines VaUums,
dsahalb, weil die Castra nicht eng am Valium liegen. Wenn wir dae •
IfeezeS'Gebirge erenauer betrachten, werden wir sehen, dess er anders
gar nicht verfain en konnte. -- Porolissums Befestigungen am nord-
westlichen P^nde des Limes hiiugen mit diesem aufs Enge zusammen.
Weun wir nun die Stiuctur des oberen Teiles des Limes Ducicus
sowuh! im Cianzen als in seinen Teilen mit dem britischen, kaledoui-
sclien und iianptsäehlich mit dem germauisciien Limes vergleichen, so
überzeugen wir uns, dass siimmtliche nach denselben strategischen
Principien, zu demßelben Zwecke und — abgesehen von den durch die
Ttr>cliiedenen Verhiiltnisse und die Lage der Provinzen [,'eboteiien
kleineren Aeuderung» n — nach derselben Art errichtete IJefestigungs-
werke waren, obwohl sich zwischen dem britannischen Limes und den
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DER • LIMES DA0I0U8».
Übrigen durch die parallel laafenden doppelten BefestigimgsliDien
jenes, der zugleich zu defensiven und oflEensiven Zwecken gedient haben
mochte, eine gröseere Divergenz ergibt ; jedoch erforderten die strategi-
Bchen Verhältnisse jener Provinz dieselben. Unser Valium ist eben ein
so römisches Werk ab die anderen. Die analoge Structor, die näm-
liche Disposition der Castra stativa, das Vorfinden römischer Alter-
tümer anf der ganzen Linie des Vallnrns: all dieses beweist zur
Evidenz, dass dieses selbst in seinen Buinen bevunderongswnrdige,
imposante Valium das Werk römischen und nicht barbarischen Geistes
ist. Gegen wen hätten wohl die Barbaren diese Schutzmaner dorthin
' gebaut; wo sie steht, und ganz nach römischen strategischen Principien
errichtet, von denen sie nichts verstanden ?
Der dritte Abschnitt befiasst sich mit der Regio transvallum.
Nach der erwähnten Inschrift war dies jenes Gebiet, welches jenseits
des oberen Teiles des Limes Dacicns lag. Wenn es auch nicht zur Pro-
vinz gehörte, so stand es doch unter römischer Clientel, wie dies die
Inschrift bezeugt, nach welcher man im Jahre 239 n. Chr. in der Begto
transvallum den census zusammenschrieb. Diese Clientel war aber
keine beständige, denn das Gebiet entzog sich, wie es scheint, oftmals
der Obhut der römischen Gewalt. Atifangs bewohnte ein kriegerisches
Volk, nach Torma die Metanaster Jazygen, diese Begio, gegen welches
man die Grenzen der Provinz schützen musste ; später entwickelte sich
jedoch der Verkehr, und die Handelsverbindungen führten endhch zum
Patronat und zum Steuerzahlen. Die Ausdehnung dieser Begio können
wir nur mutmassen. Torma ist überzeugt, dass der Limes Dacicns
westtich von Kis-Sebes gegen das Biharer Comitat in einem geraden
Winkel abbrach, da denselben bis gegen Grosswardein der Eörös bil-
dete, und dass man von hier aus die Fortsetzung des Valiums gegen
Arad und Temesvär suchen muss, einerseits in dem sogenannten
Csörszärka (Ceörsz-Graben) im Biharer Comitat, andererseits in dem
trömisdie Schanzen • genannten Damm. Unterhalb Grosswardeins,
um Püspöki, musste sich die Csörszärka in der Gegend von Csatär,
Siter, Nagy Tötfalu, Fegyvernek, Szalärd um den Berettyö-Fluss,
femer um Verzär, Baromlak und Sz^lak gegen Zälnok und Eegye
ziehen. Demgemäss ist als äussere Grenze der Begio transvallum
(denn die innere bildete das Eis-Sebes-Tihöer Valium) diese Linie der
Csörszärka zu betrachten. Torma meint nämlich, dass der ursprüng-
liche Plan der Bömer die Umgrenzung Daciens mit einem von der
Donau auslaufenden bis zum oberen Flusse der Theiss sieh ziehenden
Valium war. Dieser Plan, der wahrscheinlich von Tnyan ausging,
konnte jedoch nur teilweise realisirt werden; Daciens westlicher
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DEB tUMEB DACICU6».
3b&.
Grin/wall konnte nur teilweise erbaut werden und wurde aus unbe-
kannten Gründen .sistirt. Die Römer waren demnach gezwungen, den
Limes Dacicns wenigstens oberhalb des Koros weiter einwärts zu
ziehen, respective mit einem Valium zu befestigen. Die IJegio trans-
valliim wurde von den Römern nie besetzt, obwohl dieselbe unter iiirer
Obrigkeit stand; dies beweist, dass ausser der Linie des Valiums bis
jetst noch keine römischen Altertümer (von der Zeit vor der Völker-
Wanderung) gefunden wurden. Diese Regio bestand demnach ans dem '
Gebiete zwischen dem Körös-, Berettyo-, Kraszna* und Szamos- Flusse.
Hierauf bespricht Torma die Altertümer, welche an der Linie
des äussern Yailnms anf barbarische and Metanaster Jasygen-Wohn-
ntie denten.
Im letzten Abschnitte stellt der YerfiMier die Heeresstrassen des
nfirdliehen Badens, die an ihnen aufgestellten Gastra und die gamiso-
oirenden Truppen snsammen. Nachdem er die Bichtang der beiden
Hauptstrassen : der Napoca-Porolissnmer und der Szamos-Sajö-Maroser *
geieiehnet hat, folgen der Beihe nach die Castra und die Truppen.
Dieselben sind : Potaissa = Torda seit Septimins Severus mit der
kgio y Macedonica; Macedonica = Ssucsäg mit der legio XIII gemina;
Optotiana s= Zutor mit einer unbekannten Ala miliaria ; Largina =
lisgyar Egregj abwechsefaid mit der Cohors I Batavorum, der Cohors
\1 Tr(ibocQ«rum) und der Cohors H Hispanomm ; Certia = Bomlott
mit der Cohors I Batavorum und der Cohora II Britannica ; Porolis-
sam = Mojgräd-Zsäkfalva, anfangs mit der legio XIII gemina, später
mit der Cohors I Vangionum Antoniniana ; Vdrmezö mit der Cohors II
Nnmi(iiirum ; Resculuin = Sebesvaralja abweclischid mit der Cohors I
Aigyj.tiorura, Cohors I und II Hispauorum; Tihö mit der Cohors I
Cypria ; Szamosujvar mit der Ala II Pannoniorum ; Alsö-Kosaly mit
der Cohors I Britannica miliaria, früher waren wahrscheinlich regulilre
Truppen der legio XIII gemina und legio V Macedonica hier ; Alsö-
Ilosvii mit der Ahl I Tuugrorum Frontoniana und der Cohors II Bri-
tannica miliaria ; Viirhely mit der Cohors I Alpinorum e<initata ; end-
lich Vecs mit der ala nova Illyricorum. Die Besatzung dea bzeut-
Peterfalvaer Castrums ist unbekannt.
Dies sind in Kurzem die Resultate des unermüdlichen Forschers,
dem wir zu seinen weiteren Untersuchungen über den unteren Teil des
Limes und über das Alter des ganzen Befestigungswerkes auch weiter-
hin Gluck wünschen.
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^ MKUBBE AUSaBABUMOBN IN ALTOFBK.
NEUERE AUSGRABUNGEN IN ALTOFEN.
Seitdem Karl Torma uordwestlicb von Altofen mit ebensoviel Glück
als Sachverntilndniscr die Ruinen eines bedeuteudenAmphitheaters aufge
deckt, bekundet man allseitig reges Interesse für die römische Gescbichts-
Periode unserer Hauptstadt. Der verdienstvolle Erforscher des Amphi-
theaters setzt auf der einen Seite seine Ausgrabungen rüstig fort, und hat
die Genagtnuug das Wiederaus Tageslicht gebrachte Denkmal römischer
Baukunst auf Landeskosten vor ferneren Zerstörungen der Zeit bewahrt
zu sehen, auf der andern Seite wieder legt er die Besultate seiner For-
schungen in gelehrtön Abhandlungen nieder, welche auch die Aufmerk-
samkeit der Fachleute im höchsten Grade zu erregen wissen, die nicht
blos aus localem Interesse an diesen Trümmern einer längst veigan-
genen Gultur Gefallen finden. Das Hnnicipinm der Hauptstadt Buda-
pest, stets bereit für die Wissenschaft in liberalster Weise zu opfern,
beeilte sich schon vor mehr als zwei Jahren für archäologische Zwecke
2000 fl. in sdn Jähresbudget aufzunehmen und eine eigene GoDmtission
mit der Veranstaltung diesbezüglicher Untersuchungen zu betrauen.
Noch im Jahre 1879 untersuchte diese Oommission, an ihrer Spitze ihr
Präsident, Alexander Havas, die Umgebung von Alt-Ofen, bestimmte
diejenigen Stellen, wo richtig geleitete Ausgrabungen von Erfolg sein
dürften. Hiebei lenkte sich ihre Aufmerksamkeit besonders auf den
«Kirchfjrund- (papfölde, « Pfatfenfeld» ), gegenüber den Ruinen des
Amphitheaters, em ±2 Joch grosses Feld, welches schoji durch seine
Bodeuforinution verrat, dass hier Kuiuen von grosser Ausdehnung iuj
Schoosse der Erde verborgen liegen.
Am 1. Juni ISSl begann hier Professor Jmsf:i Hvmpkl im Auftragt
der Hauptstadt die systematischen Ausgrabungen, welclie er dauu zwei
Monate hindurch an 49 Wochentagen mit durchschnittlich 28 Arbeiteru
bei einer Arbeitszeit von tiiglich eilf Stunden rüstig fortsetzte. Dem
Vorberichte, welchen Hampel vor Kurzem der erwähuten Commissiou
unterbreitete ''}, entnehmen wir. dass er erst von Nord nach Süd einen
i l>is () Fuss tiefen Laufgraben ziehen Hess und dadurch in Erfahrung
brachte, dass sich in römischer Zeit am nördiiohen Ende des Ausgra-
bungsterrains Gassen und Plätze mit einigen PriTathäusern befanden.
JelenU$ az 0-hudii papföldi asafäsröl, 1881, Budapest. (Bericht über
die Ausgrabungen am Kiroli(;nmde y.n Altofen 1881.) Ks ist begründete Hotf-
uuug vurhaudeu, dass Hampel die liesultutc seiner vurjuiirigeu Ausgrabuugeu
bald in einem der Hauptstadt würdigen Praohtwerk wird Teröffentlicnen
können.
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NEUERE AUSGRABüNGtN IN ALTOFEN. ^87
All manchen Stellen sieht man noch die Spur von \Vjigen in da-^
aus breiten Steinplatten zusammengesetzte Pflaster eingedrückt und
finden sich noch — wie in Pompeji — die Trittsteine für Fussgänger
vor. Etwas weiter nach Süden stiess man auf grossere Baiireste, welche
zur Vermutung berechtigten, dass sie von einem grösseren ofieutlichen
Gebäude herrühren ; auf diesen Punkt also concentrirte Hampel alle
ihm zu Gebote stehendeu Arbeitskrilfto. Und schon in der zweiten
Woche der Ausgrabungen war es ihm klar, dass an der Stelle, wo be-
rufene Kenner des alten Aquincum römische Befestigungs werke vermu-
teten, auf einem freien Platze das architektonisch schön geschmückte
Hauptbad Aquincums lag. Die Colonie war überhaupt nicht arm aa
Bädern, reicher als die meisten übrigen Städte der römischen Provinzen
von ähnlicher Grösse. Auf der Werfte-Insel fand man Spuren von zwei
Badern, auf dem Floriani-Platz entdeckte vor einem Jalirhundert
Schönwisner ein Hypocaustum, aucli südwestlich von der durcii die
neueren Ausgrabungen wieder bekannt gewordenen Krempl-Mühle und
anderswo haben sicli Spuren dessen erhalten, dass die alten Römer den
Schatz an warmen Quellen, den die Umgebung von Aquincum besitzt,
wohl zu würdigen wussten. Doch ist das von Hampel aufgedeckte Bad
unstreitig das grösste, welches wir aus dem alten Aquincum kennen, ja,
wenn wir von den zwar grösser augelegten aber w eniger gut erhaltenen
Bischofsweiler Bädern abseben wollen, das grösste, das römische Bau-
kunst in Nortcum, KhaBtium, Vindelicium und Deutschland jemals er-
richtet bat. Es ist zwar noch nicht ganz ausgegfraben — nach West und
Süd hat man die äusseren Umfassungsmauern noch nicht erreicht —
doch lässt sich schon jetzt ein ^ter Ueber])lick über einen bedeutenden
Traet des Gebäudes gewinnen. Von Norden treten wir über die ur-
Bprungliche Schwelle in den grossen Wartesaal, dessen Mauern sieh
noch 3 — 4 Fuss über den mit kleinen Biacuitteziegeln mosaikartig be-
deckten FuBsboden erheben. Eine enge Türe nach links (Osten) führt
in ein kleineres Zimmer, welches gleichfalls der Unterheizimg entbehrt,
eine andere nach vorne (Süd) in düs ursprünglich mit Stucco schön ge*
schmäokte, grosse Frigidarium, das kalte Bad. Diesen beiden Zimmern
sehliessen sich nach Süden vier andere Räumlichkeiten an, welche mit
einem durch 1— IV» Fuss hohe Trachytpfeiler gestützten schwebenden
Boden versehen sind; es sind dies die Tepidarien und Caldanien,
die lauen und warmen Bäder, die aus den mit den eben erwähnten
Trachytpft ilern versehenen Hypocausten direct durch den Fussboden
und auch durch ^'ermittlung von Bleiröhren geheist worden. Noch
weiter nach Süden finden wir ein kleineres Hypocaustum mit einigen
NebenlocaUtäten angebaut, doch werden erst die fortgesetzten Ausgra-
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S88
NEUBBE ACSORABtmOBN IM ALTOVBK.
bnngen dartim, ob wir es liier vielleicht mit der weiblichen lirtdc-
abteilimg zu tuu haben oder mit einem nicht zum ursprünglichen Plaue
gehörigen Anbau, der mit dem Hauptbau blos die Centralheizkammer
gemeinnam hatte. Auch letztere wurde noch nicht aufgefunden ; doch
ist sie mit Gewisüheit in südlicher liichtung zu suchen, und wird aich
bei ihrer Auffindung wohl auch ergeben, anf wclclie Weise unser Bad
mit der kaum eiiiiue hundert Schritte entfernten grossen Wasserleitung"
Aquincums zusaumienhing. In der Nahe des sogenannten Pulverturmes
entsjiringen namlich dem IJoden fünf (Quellen mit mineralhaltigem
bläulichem Wasser, deren constante Warme 1 R. beträgt. Ihr Waaser
vereinigt sich noch jetzt in dem grossen Becken, welches vor mehr als
150(J Jahren von römischer Hand gegraben wurde, und Üieast erst in
südlicher, dann in östlicher Kicbtimg der Donau EU, wobei ee vier
Mühlen treibt. Zur Zeit der Börner wnrde ihr Wasser durch die grosse
Wasserleitung, deren Pfeiler noch jetzt in gewältigen Ueberresten er-
halten sind, nach Aqaincum geleitet, und ist es nicht anders denkbar»
als dass auch unser grosses Bad aus dieser Leitmig mit dem oötigen
lauwarmen Wasser versehen wurde, welches dann mit der grössten
Leichtigkeit — da das Bad auf dem höchsten Punkte der Ebene von
Aquinonm gelegen ist — entweder in die Donau oder auf einen tiefer
gelegenen Ort der Umgebung abgeleitet werden konnte. Jedenfalls war
die Lage des Bades mit dem den Böoaem eigentümlicheu Scharfblick»
auf das sweckmässigste ausgesucht.
Leider können wir aber den Zeitpunkt nicht bestimmen, wann
dieses Bad erbaut wurde. Als bester Anhaltspunkt dienen noch die auf
dem Ausgrabungsfelde gefundenen achtzehn Stück alte Mfinsen, vom
Anfange des zweiten bis zur Mitte des Tierteo Jahrhunderts. Sie bestft-
tigen die Annahme, auf die man auch sonst notwendigerweise verfallen
mässte, dass unser Bad nicht aus dem ersten Jahrhundert der christ-
lichen Aera herrührt, wo Aquincnm noch eine kleine Stadt war. Erst
im zweiten Jahrhundert erhielt es die Selbständigkeit eines Munici-
piums, und erst unter Septiraius Severus wurde es zum Range einer L'o-
lonie erhoben. Wahrscheinlich müssen wir die Erbauung dieses Com-
muualbades in die ersten Jahrzehnte des zweiten Jahrhunderts setzen;
eine ara votiva, welche wir tief in die Wand des Tepidariums einge-
mauert tiii<l('n, scheint zu bezeugen, dass man sich schon um die Mitte
des zweiteü Jahrhunderts so wenig um das Andenken des Acdilis colo-
nia- A. Ponipeius kümmerte, dass man sich nicht sclu utc. das von ihm
errichtete Zeichen der Andacht als schätzbares Material beim Umbau
des Bades zu gebrauchen.
Ferner ist noch nicht festgestellt, ob wir dem Bade einen civilen
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I
KUBZEB BITZUNORBBBIOHT.
S89
oder eioen militftriFohea Cbaraktor beilegen dürfen. Wenn die Annahme
htTTorragender Gelehrter richtig iBt, dass sich nämlich das Lager, da»
Ca^trom Stativum der Garnison von Aquincum in dieser Gegend be-
fluid, könnte man eine Insohrifb vom Jahre welche besagt, dass
die BU Aquincum gelegene Legio II Adintrix die Restauration «der
grösseren Bäder» besorgte, auf den Umbaa dieses unseres Bades be-
ziehen ; doch scheint dieser Annahme der Umstand zu widersprechen,
dass sich im ganzen Verlaufe der diesjährigen Ausgrabungen nielit
tnehr als vier Ziegel mit dem Stempel der genannten Legion und über- •
haupt kein Merkmal gefunden hat, welches r.ns berechtigen würde, den
Bau oder auch nur den Umbau unseres Bades den Garnisonfstruppen
zuzuschreiben. Viel sicherer ist die andere Vermutui]^' llHiuperR. dass
das Bad noch während der Henscliaft der Römer, viel i'riilior als das
benachbarte Amphitheater, dem Verfalle rtnlit'iinii(d und auf gewissen-
lose Weii^e seiner notweudigsten Einricbtnnf^sstiieke bemüht wurde. Auf
Schritt und Tritt linden wir Spuren dessen, dass die Bleirohren, welche
die wanne TiUft aus den IJypocuusfa in die Badezimmer li'iti'ten, ge-
waltsam entfernt wnrden ; an anderen Stellen sind die den Fussboden
stützenden kleinen Traeliytpfeiler bei Seite gcschatTt worden, lauter
Objecte, für welche nur ein römischer Baumeister Verwendung finden
konnte. Doch können wir noch nicht einmal vernniten, was diese auf-
fallende Zerstörung eines so gemeinnützigen Communalbaues veran-
lasste; wir hoffen, dass die weiteren Ausgrabunfren, zu welchen die
Hauptstadt gerne die nötigen Kosten beisteuern wird, auch iiber diesen
dunkeln Punkt der Geschichte des alten Aquincum wenn auch nicht
völliges Licht, so doch Anhaltspunkte fiir einigermasseu wahrschein-
liche Vermutungen an den Tag iurderu werden. £. Abel.
KÜRZEil SITZUNGSBERICHT.
— Akademie der Wissenschaften, in der (Jesammtsitzung am
30. Januar hielt STKFANKAroi.NAi eine Denkrede auf das am 15. Januar
1881 verstorbene corres}>()ndirende Mitglied Johann Korponay, der sich
als Verfasser militärwissen' chafthcher Werke Verdienste erworben hat.
Hierauf referirte der Generalsccretiir über laufende Angelegen-
heiten, von denen wir die financiellen Mitteilungen hervorheben. Das
Vermögen der Akademie betrug Ende 1S80 1.8ii3,80S tl., Ende 18SI
1.8i8,8ß7 fl., die Zunahme beträgt also jri.oriO fl. ; die Einnahmen im
verflossenen Jahre betrugen 136,482 fl., die Ausgaben 1 1 1,422 fl. ; die
ÜnSMlMlM B«vm, 188t, III. H«ft. 19
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290
VBBMI8CHTEB.
Einnahmen des bcsoiulors verwalteten Editionsgeschuftos botrnj^cii
15,;{77 fl., diu AiKsgaben 10,i2«>t H. Zu rein wissenschaftlichen Zwecken
wurden veruusgabt : An Schriftf?t<?ller- Honoraren "24 ,938 H., an Unter-
stützung wissenschiiftliciier Forschungen iilO ti., an Unter Stützung
von ZeitBchrifteu und gelehrten Unternehmungen 11,7(K)Ü., anpreisen
2925 ri., an Druckwerken und Kunstheilngf ii ;U .()7<> Ii.
Für das Jahr 1882 sind prjiliniinirt : als Einiuihmen ll(»,r>(M> tl.,
als Ausgaben 1 ir),(JÜ(j H., und zwar für das Jahrbncli, den Ahnanac h
11. 8. w. 2(.)0() Ii., L Claf^se und Coinmissionen 1 l,V(J<) fl.. 11. Classc und
Commis.sionen 2(i,r)(K) fl., III. ( lasse und Unnimissionen 22,5« HJ H. ;
Unterstützung des Verlagsiniti rnehinens und Herausgabe der S/(''ehc-
nyi" sehen Scln-iften .jOOO H., Trcise 4(K)() tl., Bibliothek 5(HK) tl., .liuda-
pCKti Szemle», «Ungnrische Revue", »Kevue Hongroise» i3(Ki ti., per-
Bönliche Bezüge 2v»,iJ0011., Gebäude, Steuer u. b. w. l.j,7U0ti., zusammen
115,UUU 11.
VERMISCHTES.
— Ungarisohe Jonrnalistik im Jahre 1882. Nach dem jiiugHteQ
Ausweise des bekannten Bibliographen Josef Szinnyei in der 5. Nummer
der Va$arnaj)i Ujsag (Illustrirte SonntAgä-Zeitnngl eriicbeinen gegenwartig
412 ungarische Zeitungen und Zeitschriften.
Von diesen sind:
1861
188i
Diffenos
1. Politische Tii«,'(sbl;ittfr
23
21
2. PolitiöcliH Wochenblätter
25
30
-h
m
O
3. lllusfrirtc JUattor ...
5
5
4. Kirclicii- uiiil Sclmibiutter
23
29
-f
a
h. Bf lletn>tisc]ie BlatUr
20
22
(». Huiuoric^ti^che »
4
8
+
4
64
77
13
8. Nichtpolitische Provinzblätter ...
78
93
15
9. Inseraten-Blätter
Ii
4
1
10. Zeitschriften
!*7
101
+
7
11. Vermischte Beilagen
M
19
+
5
Znsainmon
3.56
4lä
561
Von diiMii Iii' ioiimalen erscheinen 182 (-f 14) in der Hauptstadt,
220 (+ 41) in (4- 13) verschiedenen Städten in der l'rovine (eines in
Wien).
Ausser diesen iin'j<iri.srln ti .biuriialcii ersclieiiien in Ungarn im üau-
zeu 174 Zeilungcu und ZeitHchnltLii iu uudenii Sprarhin. und /.war:
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VERMISCH TBB.
S91
18B1
1882
Differonz
1 . deutsche Jonnmle ^. ...
180
104
— 16
66
4f
— 14
3. mmftniBebe »
SO
98
+ 2
4. italienische »
... 3
3
5. hebräische » ^, ...
1
1
6« fimnsösische *
8
ZasasDmeii
808
174
— 88.
Die Gesammtsiimme der in Unoram erscheinenden Zeitungen und
Zeitisclirifton l.otrii'jt dalior n.so 2S».
Ks (-ntfalt (IciiUKicli ii.icli den lifsnituten der nonoHtcii Volksxabluug :
cinv Zeitung oder Zeitschrift auf 23,I)S,S Einw uhuer
ciu uuf^nrischea Bhitt auf li,H<J4 Ungarn
» deutHches » • ^ ... 17,!ü92 Deutsche
> slavisohes • • 66,655 Slaven
i nunäniscbofl » b 106,687 Bnmänen.
l!^it dem Jalire 1780, da die erste ungarische Zeitung, Magjfar Sir-
mondö (Ungarischer Courier), in Pressbnxg ins Leben trat, also im Laufe
der letzten hundert und zwei .Tnhro, erschienen in riiu':irn im Ganzen im)
Jonniale in ungarischer Sprache, und- zwar 1018 in der Hauptstadt, 834
in der Provinz.
I)ie zweite nngarische Zeitung erschien im Jalne 1788 in »h-r Huiii)t-
stadt. Jm .lahre hetrug die Zahl der unguriHchen Journah« 10, im
Jahre IStO: 2ü, — 18i*0: 9, — 1861; 52. — 1870: 146,— 1880; 368.
WIEDERSEHEN.
Vou Paul Gyul.m.
O tiiuHch mich nicht, o täuHcli mich nicht,
Lichthlauer Himmel, lauer Strahl,
l>u gnine.s Lauh, du l'lmne rot.
Du Vöglein, einsam hier im Tal ! —
Du hist kein Lenz, hi^tt llDltumig uicht,
Dein Lebensrot ist Farbe nur;
Herbst bist du, die Erinnerung,
Ergrttnend auf der Gräber Spurt
1% tili-,'»- iiirlit dich ."^ellist. mein Her/.;
(ihuji), Teure, nimmer meinem Wort:
Mir in der Seele /.ittert nur
Des alten Lietle.H Kcho fort-
Ich pflocke ein paar Blumen nur
Auf todter Vorseit welker Au,
Und was in ihrem Kelche blinkt,
Getauter Reif ist*s bh>s, — nicht Tau
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992
▼ER1II80HTE8
Kdnnt ich dich lieben noeb, wie einsfc,
— War gross anoh meiner Wunde Pein —
Und raöoht mein Loa noch trauriger.
Dein Herz auch melir noch sündig sein;
Ich segnete die granse Qual,
Dein Stolz selbst schüfe mir Oennss, —
Und sieh, iln stellst erniedrigt hier,
DasB ich dich tief bedauern muss.
Nicht klacr ich Uioli des Truffea an,
Nur hast du nie mich, nie jjehold,
l>ücli dicli hetroLT, (hn du )hk]i hebst,
l'nd fühlst (he iViii, lUe Litd»e «<ibt,
l)u (h'n, dem unser I1:ish <,'ebührt
Wir über alb holten lieiss,
Und da nicht iiuÜeu darf dies Herz,
Das nimmer eu vergessen weiss.
Auch ich hab Gleiches einst gefühlt, —
Nun ist mein Hen cur Buh gebracht
Ein traurig Hirtenfeuer nur
Glimmt dort in tiefer, tiefer Nacht.
Doch nun ich wieder dich gesehn.
Doch nun des Lehens Afut <hr sehwand.
Loht auf von deiner heissen Pein
Der Asche liest zum Uölleubrand.
Komm, ruh an meiner lUust, an der
l)u (inst gt-rulit 7M süssem (Ihick;
Hat kerne Liebe auch mein Herz, *
Noch bheb iiiui so viel Selmuiv. zurück,
Dass es versteh und iuhl dem Leiii,
Dich tröstend einen Augenblick! —
Oh, keine Macht der Erde mehr
Kann wenden unser Missgeschick I
Adolf voh dbb Hakdb.
MEIN CAriTÄN.
Von Paul Gvulai.
«Mein Capitäu, mein Capitänli
««Nun Junge, was ist dir geschehn?»»
«Von Eurem Itock rinnts rot zum Grase . . .»
««A bah, ich blut wohl aus der Nase.»»
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▼ERMI8CHTE8.
• .Mein CupitHii, mein Capitän!
Dir Wiiukt t ja. könnt kuiim molir stt^hn . . .»
««Mir kam ein Stein just in die Quere —
Kur vorwärts — fallet die Gewehre t»»
Die ManiuelMit neht, der FtUirer sinkt.
Aus seiner Brost ein Blntstrom dringt
•Mein Capitän« o Gott, geschwinder I ...»
t«Nnr vorwärts, vor-^^wärts, meine Kinder <— —
Laoislaos Nbooebaukb.
GLOCKEN-TRAaÖDIE.
Bullade von Joskk Kiss.
Ein Brnvobe war^s, ein branner, den sie in*8 Herze scliloss,
Ilir Vater duch verwehrte den Bund erbannungslos,
Gab sie dem andern Freier —
Sie wob ins Haar sich Myrten und warf sich in den Weiher.
Hin arinor Fisclic) lu<^tc drei Tatjo nach ilir aus.
Am viert*'n hraclil" er ti:inii}< ili»' Leich' ins Vaterhuu.s,
Vom Kirchturm adizt es huuf^e —
Das war am fünften Tage — zu iln'em letzten (Jange.
Man weckt des Dorfes Käte beim ersten Hahnenschrei:
•Wacht anf, wacht anf; Ihr Herren ! Ihr soll't, so fir&h's auch sei,
Zum alten Hans Euch sputen —
Er liest an sich Euch bitten — für wenige Minuten.« —
•«So sdiweig doch, schweig. Zigeunert Siehst Du nicht, wer da nalit?
Des Dorfes wohlgebomer und hochgelehrter Bat:
Notar und SchöfT und Kichter —
Bei Gott! die ganse Bude der würdigen Gesichter 1
Zigeuner, hu?se Fiedel Tuid Brummhass mir in Ihih !
Was taugt (his Musiciren, der Klingklaug mir wozu!
Ht>r ich tidili all::rH unnu r
Dort jener grus»eu Glucke wehklagendes üewiuimer ;
Sie droliut un^l stohut und uclizet und hriillt in wilder Wut,
hie withlt in meinem Fleische, sie saugt an meinem Blut,
Sie will miifs Hizn versengen —
Und was da tönt auf Erden, erstirbt vor ihren Klängen . . .
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UNOARIflOHG BIBLIOOBAPHIE.
Wohlan Ihr Hflrr*ii vernehmet, weshalb ich Euch verlaogt:
Verkauft mir doch die (! locke, die dort im Tnrme hangt
Bin reich an jidcr ÜüIm' -r-
An Aeckem, Schafen, Tferdeu — und 's Kind liegt mir im Gräbel
Für F.ure G locke gel/ ich Euch Iloerdcn ohne Zulil ;
Nicht lang bedacht ! Ihr findet ja keine besAre Wahl,
Doch — hol' das Vieh der üeier!
Tut's Not, nehmt meine Aeeker — kein Preis iat mir m teuer t
Und Eurer alten Olooke kein Leide« tun ich mag,
Von mir ans kann sie hangen dort bis cum jOngsteu Tag,
lux Sonnenglanze gleisRcn —
Nur ihre grause Zunge will ich heraus ihr reiasen . . .
Nun steht der Kauf, ihr Herren? Schlacht »in - - ein Wort, ein Mauul
Was <,düt/t den alten Hannos Tlir so verwundert an?
Mich rent nicht mein llefjiiuien
Ks ist ein glatter Handel . . . ich bin bei volhn Sinnen»* . . .
— Da plötelich es vom Kirditurm zur Morgenmette sehallt
Und diesmal läutete wirklich / . . . Das Blut des Alten wallt —
Hussa! Mit Einem Satse
Ist er davon, — lässt Bande und Bat verblüfft am Platze;
Hinatif den Kirchturm reimt er: <— Stirl» M.nderin zur Stell!»»
Die Gloeke scliwin^^ und diolinet: «]>aK Uaupt ich Dir zerscheUl»
Da tlchfs — ans (irabesarnien :
«Für ujeinüu gieiseu Vater, o Uiiumel, hab' Krhurmen!!»
Ladislaus Neloeuaukr.
UNGAIÜSCHE BIBLlOGlUriilE. *
Alionyi L„ Ag öxvegy feh/nheje (Die Kuh der Witwe, ErzÄhhni'j: von
Ludwig Auonyi). llndaiiest, 1SS2. Hevai. Iii S.
Alcsani/' i ]',., Klint I Kant s I.ehen. V!nt wickelnii;,' niid riiilosoplÜG
vou lienili. Alexander. 1. Jiand). Jiudajiest, 18M, Akademie, iö9 8. und
Kant's Porträt.
Inhalt: f. Die «xeisti'jen ljewe<rnn}(eu de^ Will. Jahrhunderts. —
II. Kaut H Leben. — III. Kaut's uatiu-wissenachafthche Forschungen. —
* Mit AusschluHs der Schulbücher, Erbanun^^'sschriften nud UeberseizuDMen
aus fretu(h-n Sprachen, ihiKeKen mit BeräokHichti^iuif; der in fremden Spraeoen
emhienenen. auf UnKuni Im /.u^'lich« n Schriften. — Die mit einem * bezeichneten
Schriften werden wir ausführlicher beHprccben.
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I
ÜN(iAIiISCHE BIBLIOGRAPHIE 2^5
Kant8 piiili.sophiscla' Eiitwickehui}^. — V\ Dio neue Tlicoric der Sinn-
lichkeit. — VI. Dit! neue TluMnif tler Vernunft — Kiu zweitt'r ]Jan«l wirtl
dM betleut^'iKle Werk, das Hilf den gründlichsten Studien foMi nntl in an-
spreclif iidstcr I'orni al )•.■(■ Ciu-: st ist, zum Absclilusst' l)ring('n.
liallo M., BndapcM f vuros inwizti Trinkwasser Budapests ans
livgieuiseiien (iesichtspunkteu und Anulysc einiger Mineralwasser von
Malh. BaU6). Budapest, 1881, Akademie, 53
Cnapliir /?.. Jicvdi Mifili's riefe (Nicolans Kevai's Leben von Benodict
Csaplür. I. Bandi. Budapest, ISM, Aijiuer, '.Ihl S. und iJovai s Portrait.
l>cr erste Bond einer umfasseutlun, aui ileii gründlichsten Quellen-
studien fnssenden Biographie des grossen ungarischen Sprachforschers
|17I9— lM»7i. znj,'Ii icli, in l ol«,'«- seine« weiten Gesichtskreises, ein wertvoller
hU'itrag zur Lit< ratnr- und 1 '■ildun<,'s«;« schielite T'n^'arns in der zweiton
Hallte »les vorigen und des eiöten Jahr/elints des gegenwärtigen Jahr-
hunderte.
Bdiczaij Joruis, MarsitjH rhtc r.s iiiunhii (^farsigli^S Loben und
Werke von Jonas Bclit/ayt. Budapest, Akademie, S.
Borbn» l'., BekrHvtrmetjyc ßoroja (Die Flora des Bekescr Comitates
von Vinoenz Borb4s). Budapest, 1881, Akademie, 105 8.
Fikrfe Z»iym, Okazerü vixniiivrhlian (Hationelle Hydraulik von
^?i>:niund Fekete. I. Band). Budapest, 1881, Aigner, 31^2 S. und 9 Steiudruck-
Tabelleu.
'^Fraknoi K, A ntngyar orazäggyiUetelc iiirUneU (Geschichte der
:i - trisclien Reichstage von Wilh. Frokn6i). VI. und VlL Bd., Budapest,
li>^^, Aka<lemie, \)i und lü'J S.
■ Goldzihcr lyn.^ As iszlmn (Der Jslam. Studien zur ücbchiclite der
oiuhammedaniRdien Beligion von Ignaz Goldxiher). Budapest, 1^1, Aka>
demie. ilt! S.
Inlmlt : I. J »ie llt ligion der Wüste und ih r Islam. — II. Die Tradi-
tionen des Islam. — III. Der Heiiigeu-Cultus und die liest« der alteren
Rehgion im Islam. — IV. Die Baudenkmäler des Islam im Zusammen-
bange mil il' r nnilianniu il.iniselien WeltansrlminniL,'. \'. Mubatnmedani-
SChes }i<n•h^<■lndielM•n. \ 1. l'alsche Ansicbteii über den I.-lam.
GreguHH Ay. vtruci (Gedichte von August tiregussj. Budapest, 18S2,
Athenaeum, SSO 8.
Hunyady ./,. A Steinerfeie Irilt rinmrol (L'eber das Steinei'sche
Kriterimu in d« r i beorie der Kegelschnitte von £ugen Hunyady). Buda-
pest, IbN), Akademie, 13 S. ^
Hunyady A pantokhdl vayy erintSkhdl » a mnjufftilt hdrotmzvg-
bi'l mtghalurozolt küptaelet li eber tk n Kegelscbnitt, der aus Punkten oder
Tangenten und dem conjugirten Dreiecke bestimmt ist, von Ellgen Hnnyacly).
BadApest, 18bl, Akademie, 17 S.
Kiipolnai Pauer /s/v., A hadtudomäny viazonya a (iihhi iudomd-
nyohh<n iDas Verliältniss der KriegnwiN-t nscbaf't v.\x den übrigen Wissen-
schaften von Stefan Pauer v. Kapolnal. Budapest, b*<8l, Akademie, 17 S.
*Kis9 Aron^ A X\'I. itzdzadban iarlotl retorm. zsinalok vegzesei
(Die Beschlüsse der reformirten S3moden des XVf. Jahrhimderts. Gesamt
melt und erklj&rt von Aron KisB). Budapest, ISSl. Franklin, 7.36 IS.
Knn'nj Gif., Hdinilfrnif'lf renfianick iDie Iluniilton sclun Systeme
und (bc allgemeine Tlieohe der ])artiellen DiÜereutialgleicbungeu erster
Ordnung von Jul. König). Budapest, 1881, Akademie, 72 8.
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luulapcfit im Jalire 1S8!. Die Be-ult;ttf der N'olksziiblung. Von Josef Kön)si.
V. Heft). Budapest, 1^81. Statiütiscbes Bureau [M. liatlij, 175 b. und eine
Tabelle.
KtKUfai J., Me::ögazdasägi vizmutan (Landwirtschaftlicbe Hydraulik,
von der ungarischen Akademie der Wisscnschalten mit dem Fay-Freis
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S96
UNOABIBCHB BIBLIOGRAPHIE.
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A<;no.s(]uelle im WeisBenbuiger Comitat von B^a Lengyel). Budapest, 1881,
Akadfinio. l'J S.
L'uyyel Ji^, Ktfij ujabb aztrkc^chi vizmivat/ yuval combinull higantf-
legHzivattyurol (Ueber eine mit einer neu ccuHtruirten Wauserpumpo coiii-
binirt« Quecksilber Luftpumpe von Bela Lengyel). Budapest, 1881, Akaileuiie,
8 b. und eine Tabelle.
Molieres Lunlspiele in ungarincher Vehertelznng ^ lierausgcgel>en
von der Kisralutlv-OisoIIscliHlt, IUI. I— III, 3. Anfl., Bndapest, 1881, Atbe-
naeuni, XXVII, MJs. 'IUI ±1^ S.
Iiiliult: 1. TartuÜc, übers, von üabriul Kazinczy. — II. I>er Geizige
und George Dandin, {iber^. von dem«. — III. Der Misanthrop, übers, von
Karl 8z&W.— > I>ie {»clelirton Frauen, iibors. von Lud. Arany.
Neil wann l\'h\ A »tn]i<i nn/it (I>in .Inzxrf-inuntia (Ursprunf^ un»l Fnt-
wickeluug der nioliuiiiuieduuibclieu JutielKSUge von Eduard Neuniauu). lUida>
pest, 1881, Fr. Kilian, 13S 8.
Ornios Zsifjmond, Arpiidkori muvft'idesünl; fnricnrtr (('ultur<^rschichte
UnganiB im Zeitalter der Ar|}&deu von Signiimd Uruios). Budapest, 1881,
Atheuaeuiu, 5(>0 S.
Poloifäe Ft Az cn ede» otthonom (Mt in teures Heim, Bilder und
Skizzen aus dem Volksleben von Faustin Talotas). Budapest, 1881, Aigner,
189 ä.
K. Papp MiltUs, Itt ia oft (t. KiaSja a PHöß-ttintutig (Hier und
dort. Kkiy./.eti m'h Xicolauß K. Papp. Herausgegeben von der Petöfi^Oesell*
Schaft). Hud.ij.esr, jssl. Ai-rner, S.
PaultkovuH Jj., Baltufna ZnuzMiHna (Susutiua von iialaesa. Historische
Erzählung ans dem XVII. Jahrbnndert von Lndw. Panlikovies). Kaschan,
1880, Maurer, 207 S.
Ptihzlif F., Khdt'm es koroin (kleine Zeit unil iiM-iii Ix'bon von
Franz l'ulszky. III. Bd. ]>ie Zeit dos Exils in Amerika luul England). Buda-
pest, 1881, M. Rath, 355 8.
S. dieses Heft, oben S. 2ß7— 278.
Schüller AlaJ., A viznek kepzödeai mclegt röl lUuber die Bildung»-
warme des Wassers von Alois Schuller). Budapest, 18S1, Akademie, 8 S.
Szabo Fr.^ A' Carludovira ca a Canna gummijäraaairol (Ueber die
riniinnirr;Hii:c der (^trludovicu inid der ('anna von Frans baabö). Budapest,
IbhJ, Akademie, Ih und eine Tabelle.
Törtik A,^ Mfifftjttr tufrlvbuvärlatok (Ungarische Sprachforschungen
von Ar]i;i 1 Török». Dudancst. 1881, K6kai, bisher 3 Hefte zu je ici S.
Wniiht'ry A., A Iryiijnhb »^jmntdnrhiai mc-zgahnal; hfli fru iHio neue-
sten Völkerwanderungen im Ost«n, Vortrag von Hemi. \ iuul>erv». Budapest,
1881, Naturwissenschaftliche Oeselkcbaft [Fr. Kilian], 11 8.
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RArilAEL SANTI
IN DER UNOARISCHEN REICHS-GALLERIE.
1.
Madonna mit dem Kinde. Perugia. Ende des XV-ten Jäkrhundetis,
licirhiigaUe^'ie. Nro. 4f^.
DIR UHBRISCHB Kunstrichtung, ans welcher Raphael entwuchs, ist
in der nngarischen Reiehagallerie durch ein einzigen Bild,
einer Madonna mit dem Kinde, vertreten.
Der neue Katalog nennt keinen Meistemamen, er sagt zur
Orif'ntirniig dos Bp,<!chaiiors blos dass dies Bild gegen das Ende des
W. Jalirli. in Perugia gt'inalt wordon sei.
Er/bischof Pyrker hat mit .scinor (lallerio, auch dieses liild
der ungarischen Nation geschenkt. Es hat demnach vom lahre 1844
an im Nationahnusenm gehangen, von wo es 1875 mit den Übrigen
alten Gemälden, in die Reichsgallerie Uberging. Von seinen yorher-
gegangenen Schicksalen ist keine Kunde auf uns gekommen. Wir
können höchstens yermnthen, dass es der ehemalige Patriarch von
Yenedig in dieser Stadt gekauft habe, da im ältesten ~ von Gab-
riel Mtftray angeferHgten — Katslog ein Werk des fkfih-Tenesia-
nischen Malers Luigi Vivariiii genannt wird. Im neueren — 1870
von Anton Ligeti verfassteu — Katalog trägt es den Namen Piii-
toricchio M ; was dem Richtigen näher kommt.
Dieser Name stimmt in der That zu den kleinen Bildern in
den alten Theilen des Kähmens : dem Englischen Gruss. Die Fignr-
chen sind mit Tempera angefertigt ; die Wangen und Hände mit
GrQn untermalt, (Ue frische Hautfarbe aber ist durch rothe
Pinselstriche hergestellt, welche der KQnstler an den lichten
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298
RAPHABIi SANTI IN DKR UNOARISCHKN REU'HSOAI.LKttlR.
Engel Gabriel (UeicbHgallerio).
Theileü, selbst längs der Contouren, anhringt,. Das Haar Maria's ist
etwas mehr aschblond als der Lockeukopf dos Engels Gabriel. Bei
keinem von beiden entgeht
der Künstler einem gewöhn-
lichen Mangel der Tempera,
ja der frühen Oelmalerei :
dass das Haar keine leichte,
schwebende , weiche Ober-
fläche zeigt, sondern die be-
leuchteten Theile desselben
sich von den übrigen wiw
Dralit abtrennen. An den Ge-
weben — ob sie nun blau,
roth oder gelb — deutet der
Maler die Kanten der Falten
durchweg mit gelb an.
Maria's Kleid ist sehr
einfach. Sie ist in die alten symbolischen Farben — des Glaubens und
der Liebe — gekleidet : ihr Mantel ist blau, ihr Leib roth. Der
Abgesandte des Himmels er-
scheint schon in einem präch-
tigeren Anzug. Sein weites,
faltenreiches, gelbes Gewand
lässt an der Stelle, wo der
den Oberarm bedeckende, an-
liegende Ärmel sich auf die
Schulter hinüberzieht untl
einen zweiten äusseren Ariuel
bildet, ein rothes Unterfutter
sehen. Der Kragen ist braun ,
Den Unterarm deckt ein dun-
IJ kel bläulichgrüner enger Är-
mel, aus dessen Schlitz da«
weisse Hemd hervorschim-
mert. Über die rechte Schulter hat er einen rothen Mantel gewor-
fen. In seiner Hand trägt er die herkömmlichen blühenden Lilien-
stengel.
nelHKO JniiKfniu (RoicliHRaUerio).
t RAPIUKL SANTI IN DEB aMGABISCRSN RKICnsaALLBBIB. 299
An beiden Gestalten, erkennen wir Pintoriccliio'8 chiirak-
teriiitische Züge. Der Künstler strebt nach Anmuth in der Haltung
lind daher überschreitet er beinahe die'Grenze des Gekünstelten ;
im Ausdruck sacht er Innigkeit iind Andacht, und erreicht &sst
nur Kraftlosigkeit, Süsslichkeii
Der gegenwSrtige Rahmen hat ursprünglich nicht zu dem
liiklo gehört, da er um drei Centinieter höher und br(»iter ist.
Daraus also, dass wir den Meister des Eiii^lischeu Onisses mit
ziemlicher WalirsclK'inlichkeit hestimmeu köiiueu, gewinnen wir
gar nichts t'ilr die Bestimmung des Hauptbildes. Der erste verglei-
chende Blick, den wir, unsere Augen von der kleinen Annunziata
emporhebend, auf die halblebensgrosse Madonna werfen, überzeuj^
uns, dass sie ihr zwar ahnlich, aber doch das Werk einer anderen
Hand sein muss. Die in ümbrien so beliebten, hochgew^bten
Augenbrauen, die offene Stirne finden wir bei beiden vor. Die Wan-
gen der Madonna sind aber voller, ihr Kinn stärker ; dies macht
den Urariss des Antlitzes so manigfaltig. Der Ausdruck ihrer Li]»-
\ten ist, trotz ihrer ( ieschweiftlieit, weicli und sie spitzen sicli dt »eh
nicht derart zu, wie jene der kleinen Maria ; ihre fiache Nase ist
minder spitzig als diejenige der letzteren.
Der Künstler hat die voll entwickelten, aber noch glatten,
schwellenden Formen der Jugend getroffen ; welche auch durch den
schlanken Hals und die weichen blonden Haarlocken, die längs des
Antlitzes herabschlangeln, angedeutet wird. ^Ein dünner, durchsich-
tiger, weisser Schleier sieht unter dem, das Haupt umhüllenden grau-
lich-violetten Tuch hervor. Ein schwerer, dunkelblauer Mantel
be>l«'( kt die Scliiiltern der Jungfrau und vcrliülU. da er unter ilireji
Annen in <len (Jiirtcl gf'schür/i ist, ihre 'iestult; die stumpfV»n Fal-
ten derscdben deuten auf Ihiterfutter, welches hie und da an den
Kändem dunkelgrün hervortritt. Das anliegeiule Kleid, mit engen,
bis zum Handgelenk reiclienden Ärmeln, ist karminroth. lin'ite,
mit fdn eingeritzten Arabesken gezierte Goldborten bilden die
Säume des Mantels und des Kleides.
Das Jesukind, dessen Leib nur in ein feines Linnen gehüllt
ist, sitzt auf den beiden Händen der Jungfrau. Seine linke Hand
niht auf seinem Knie ; mit der rechten segnet es den Beschauer,
auf den es aus dem Bilde herabsieht. »Sein v(dl«'s, rundes selbst-
20*
300
RAPnAEIi SANTl IN T>ER ITNQARISCHEN RRICHSGALLKRIE.
bewiisfltcs Antlitz, und sein entsclii(;(lener Blick bilden zn dorn
untorwüi-figen, jungfräulichen, unbewussten Ausdruck, der sich in
jedem Zuge der Mutter entspiegelt, einen scharfen Kontrast ; sie
schmiegt sich gesenkten Auges, zärtlich an den Heiland.
M»<1onna. (RclchnRallorlo Nr. -18.)
Die göttliche Gruppe steht inmitten strahlenden Glanzes. Die
Strahlen, zwischen welchen rothe Flammenzünglein emporsclilag^'n.
fasst ein dunkler Streif zur Mandelglorie zusammen. Ihn* Aussen-
ränder haben ehemals in llegenbogenfarbon geschillert : aber dor
erbarmungslose Pinsel eines alten He««t}un*at<M's hat dieselben theil-
weise, den Goldgrund der Ecken vollständig, mit Schwarz überdeckt.
' Google
BlPBAKIi SAKTI IM USB. irMOABItiCIIBll BKlCHBOAIiLEBlE, 801
Acht Seraphien mit je sechs rotheiif gelben, blanen tind violetten
Flügeln verleilu'U der Muiidelglorie ein buntes Ausscheu.
Es ist wahr, dass die Komposition nnseres Bildes and die
Details der Figuren weder in Anffassong, noch in Anordnung
wesentlich Yon den zahlreichen gleichzeitigen Abbildungen der
Madonna abweichen ; aber die sichere, die Formen so richtig cha-
rakterisireiule Zeichnung und PljLstik, die wahre Eiuptiiidung der Ge-
sii-lits/J'tg«' und Bewegungen, legen Zeugniss von der entschieden«')!
ludividuulität des Malers ab. Dieser Künstler hat nach alter Art
gearbeitet ; so, wie es noch zu Anfange des fünfzehnten Jahrhun-
derfcs Gennino Cennini lehrt : .firfreue, Tergnflge dich unermüdlich
mit den besten Sachen, die du von Händen grosser Meister finden
kannst . . . Dann wird es geschehen, wenn dir die Natur nur ein
bischen Phantasie verliehen hat, dass du eine dir selbst eigene
Manier wühlst und sie wird nicht anders als gut sein können, da
deine Uuud und dein Verstand, stehts gewohnt, lilumeu zu piiük-
ken, schwerlich Disteln nehmen werden.*
Welcher von Perugino's Zeitgenossen mag dieses Bild wohl
gemalt haben? — denn, dass es Einer von ihnen gewesen, darüber
lüsdt die Zeichnung und die Kumposition keinen Zweifel.
Einigen Fingerzeig giebt die Behandlung der Farben. Der
Künstler hat das Bild zum theil mit Tempera, zum theil mit Oel-
&rbe gemalt ; jene hat er zu den Leibern benützi Den geglätteten
Gy])sgnind hat er gleichm^ssig mit graulichem Ghrfln fiberzogen ;
dieses dient, wo er es unbedeckt lilsst, als Halbschatten ; die lich-
t»»n Theile bringt er mit roseiirothen und blassgelben, die Glanz-
lichter mit dünnen weissen »Strichen hervor. Die wenigen tiefen
Schatten und die Umrisse zeichnet er mit Braun. Die ganze Ober-
flache ist spiegelglatt Die übrigen Theile aber stehen sämmtiich
h5her und bilden keine Fläche, sondern die Lichteren liegen tiefer,
die Schatten aber sind erhöht In alledem können wir die Bfanier
der Oelmalerei des ftlnfzehnten Jahrhunderts erkennen ; — dieses ,
gemischte Verfahren war ja bei den älteren Geschäftsgonossen Te-
rugiuü's iiblich.
Andrea Alojsii Ingegno ist der Malemame, den ich unserem
Bilde hatte beilegen können, wenn ich mir bei der Anfertigung
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302 UAPBAEL SAMTI IN DKK OMOABItfCHBN KBICHBtfALLRllIK.
(U'H Kataloge« der Laudesbildergallerie mich mit den landlSiitigen
15t /.('i( linui)ge?i begiiüngt hätte. Ich könnte mich auf hervornigende
au^jlüutlisclie Autoritäten berufen — was unsere „eriisteu Fachge-
lehrten" immer besser Überzeugt, ak irgend ein aui' selbststän-
diger Forschang ruhendes Ergebuiss — ani' PassaTant, den Bio-
graphen Raphaeb; auf Womnm, den Caatos der Londoner
National-Gallerie, der den Katalog mit grosser Sorgfalt ange-
fertigt hat; auf Charles Blanc, der «Membre de llnstitut*
und ganz gewiss einer der namhaftesten französischen Kunst-
historiker ist ; auf Ciowe und Cavalcaselle , die europabekaiin-
teu Verfasser der Geschichte der italienischen Malerei.
Sie führen insgesammt die in den Bildergallerien Torfindli-
eben Kopien unserer Madonna unter Ing^no's Namen auf. Sie
erwähnen sieben Exemplare : ein Sir Anthony Stirling in London
gehöriges; eines in der National-Gallerie (Nro. 702); zwei im
Louvre (gegenwärtig ist nur eines davon aufgestellt, Nro 435, da«
andere war im Musee Napoleon III. Nro 175); das neapolitanische
(ehedem Nro 74) ; das in der Brera zu Milano ; das im JSt.
Klarakloster zu ürbinc». Das achte ist das Exemplar unserer
Reichsgallerie. Wenn wir indessen die Zeilen aufmerksam durch-
lesen, welche die hochansehnlichen Autoren diesen Bildern und
deren angeblichen Schöpfer widmen, so überzeugen wir uns
sehr baldf dass sie sieh nicht nur — bei dem Mangel einer siche-
ren (irundlage — keinen bestimmten Begriff von den Eigentliüm-
liciikeiteu des Meisters bilden konnten, sondern dass die erwähnten
Bilder nicht einmal sorgfältig mit einander vergüchen wurden.
Crowe und Cavalcasselle sprechen bestimmt genug : das beste
▼on sämmtlichen genannten und offenbar das Original der übrigen
be&nd sich bis vor kurzem in London bei Sir Anthony Stirling :
Madonna, Halbfigur in einer halben Mandelglorie mit acht Gherub-
köpfen und in den Goldgrund eingegrabenen Stralen ; sie tragt das
segnende Kind auf dem linken Ann. während dassel])e auf deu
anderen Bildern rechts steht. Unser Bild hat mehr Weii lüieit und
Zartheit in Bewegung und Ausdruck, die Formen sind genauer
gebildet und die Züge sprechender ; auch der Faltenwarf ist natür-
licher und besser, die Farbe ansprechender, die Zeichnung richti-
ger, so dass es sich dadurch als Vorbild der Torgenannten ausweist,
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I
B1PMA8L SANTI IM llEK UMUABWUlUX BElCHSaiLUCIUE. 806
tli«* von vt'rschiedejii'ii lländen lierstjuiimeii luifl sich im Werth
fh rartig folgen, dass au zweiter Stelle dus Bild in Url)ino, au
dritter das der Natioualgallerie in Loudon ateht und nach dieser
«Iiis iu Paris, in Neapel und in Mailand kommen. Das Stirliug'sche
Hild ist mit vollem iiecht dem Pintoricchio zngesclirieben, hat aber
dabei alle Merkmale, welche beweiBen, dass er seinen Stil von Fio-
rtmzo herleitete. Sämtliehe Madonnenbilder, die wir aufgeführt, wei-
sen auf Fiorenzo zurüek, aber durch Yermittelong Pintoricc1iio*8 . . .
^at man die Mehnsahl der obigeu Bilder wirklich dem lugi gno
zu/.uschreibeu, dann ist wenigstens so viel sieher, das8 der Muler
ein Schüler des Fiorenzo und Genojwe de« Pintoricchio war.
Hiernach sage nun Jemand, was die Meinung der ehrenwer-
ten Verfasser sei; ob Fiorenzo, Pintoricchio oder Ingegno die
Bilder gemalt habe? Denn die einige Zeilen nachher gegebene
Erklärung : ^.Immerhin dient Tngegno Torläntig als ChHnnijsbajnff',
unter dem sieh eiue grosse Zahl von Bildern iu europäischen Gal-
leriiMi befinden. ** kann doch kaum etwas Anderes, als eine Umge-
iiung der zu lösenden Frage genannt werden«
Ingegno hat ganz gewiss ezistirt Nicht nur Vasari erwähnt
ihn; auch Urkunden sind vorhanden, die er unterschrieben hat.
Wir dfirfen ihn demnach nicht als Grattniigsbegrill' gebrauchen.
• Wenn kein nachweisliches Werk von ihm auf uns gekommen ist,
sollen wir uns von seiner Individualität keinen verkehrten Hegritt*
aus Hildcrn l)ilden die ein und derselbe Mensch kaum geschalVen
luiben kann. Soviel Wahrheitsinn darf jeder geistige Arbeiter von
der Nachwelt fordern.
Aber nicht nur dies ist unversländlich in Crowe^s und Gaval-
caselle's Auseinandersetzung. Aus ihrem Text wird es eniem nicht
einmal klar ol) diese Bilder in der That nur in unwesentlichen
Kleinigkeiten von riiiandcr abweichende - Wiederholungen ein
und derselben Koni])osition seien? vSie scheinen das Bild der
Natiomil-CJallerie (Nro 702) mit dem von ihm völlig verschie-
denen Nachbarbüde (Nro 703), einem Werke Piutoricchio's, ver-
wechselt zu haben, auf welchem wir die Madonna inmitten einer
Landschaft sehen, hinter einem teppiehbedeckten Steingesims, auf
welchem das Kind stelii
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304
UAIMIAEL rjANTI JN UEK UNUAKlsjfHKN UEltH.SüAU.KUlE.
Der HiiikTgriind de« Ur))iuoer Bildes i«t aiuli eine l^uid-
schutt und die Serai»hkt3pfe mit der Mandelglorie fehlen ; im
Übrigen aber stimmt die Besehreibung desselben mit der Madoima
unserer Ueichsbildergallerie.
So ungenau zusammengeHtelltem Material gegenüber bleilit
uns nichts Anderes übrig, als ausschlieslich unseren eigenen Augen
zu trauen. Die Exemplare der Nationalgallerie (Nro 702) und de.s
Louvre (Nro 435) kenne ich. Ihre Composition und Farbengebung
sHnimt, sogar noch in den Details der Draperie, mit derjenigen
der Budapester Madonna. Die Abweieliungen sind in der That nur
unwesentlich : auf dem Londoner Hilde ist die rechte t^hulter der
Madonna und die Mandelglorie mit Öt^^ruen geschmückt ; auf dem
Pariser Bilde sind in den beiden oberen Ecken noch zwei Senipli-
köpfe sichtbar. Auf beiden ist die um die Leibesmitte des Jesu-
kiudes gehende Hülle ein viel stärkeres, weniger durchscheinendes
UAI'UAEL äANTJ IN D£U LNUAUlSCllEN KKIt'UäUALLKlilE. 805
(iewebe, al» auf unserem Exemplar. Die Formen sind bei uuserer
MiidoimH edler, der Ausdruck inniger, als bei ilcr Londoner und
Pariaer. Ob die unsrige das Original ist oder alle drei nach einem ge-
meinsamen Vorbild angefertigt sind ? das ist eine Frage, auf welche
nur Urkunden oder auf den Bildern befindliche Jahreszahlen be-
stimmt antworten könnten ; eines solchen Beweissmittels entbehren
wir aber vollständig. Wir müssen uns daher begnttgen festzustellen,
Ulis welcher Umgebung diese Werke liervorgcgangeii, in welclier
Zeit sie verfertigt worden seien. Und wenn wir diimit die ])ereeli-
iigte Neugierde des Beseluuiera auch nicht ganz befriedigen können,
— muthen wir wenigstens Niemandem, das Werk eines Anderen zu,
welches er yielleicht seiner nicht wördig erachtet haben würde ;
mid fiUschen wir wenigstens das Bild seiner Individualität nicht
dmnh Züge, dicrihm ftemd sind und thun wir somit der Pietät Ge-
nüge, welche wir den alten Meistern schulden.
IL
Federzeichnung, FassaoafU iido.
Die wichtigsten unter den Bildern aus Raphaels erster unab-
hängiger Wirkungszeit 1502 — 1504 sind die vier Altarbilder: Die
Verklärung des heil. Nieuluus von Tolentino, der Gekreuzigte, die
Kröiuing Miiriii und Maria Vermälihing mit Joseph. Die Entwicke-
luiig des Künstlers lässt sich am besten aus der Krönung Maria s
erkennen — welche er laut Yasari, auf Bestellung Maddaleui delii
Oddi'» für Sau Francesco in Perugia malte — denn su diesem
Bilde sind dreizehn Hand-Zeichnungen auf uns gekommen.
Im Thale Jehosaphat ateht d{i8 Steiiigral) ; um dasselbe sehaa-
ren sich die Apostel : links sechs, Petrus an der Spitze ; rechts
fiiuf, mit Paulus, der dem ApostelfUrsten gegenüber steht, und mit
Johannes am vornehmsten Platze des Vordergrundes. Mitten hinter
dem Sarkophag sehen wir den ungläubigen Thomas. Auf sein
DriUigen haben sie den Deckel des Grabes abgenommen und ge-
wahren nun mit Staunen an der Stelle des Leichnams Mariä blü-
hende Lilien und weisse Bosen. Zur Beglaubigung des Wunders
fillt auB der H$he in die Hand des Thomas der Gürtel der heiligen
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306 BAFHACL äANTI IN DKK UNtfAKltfOaitN UKlüUMtiALUIBlK.
.IuiiL(tVau lierul» iin«l die (liiduivh autiiicrksain afev\ or(l»Mi«Mi Apo.st^'lii
ln!wiiinlri n i'i[</,iu kt die hiiniulisclie Ersclicinnii^ : oIkmi am I lini-
luelsgewülbe crtüllt Christus seiu VerMprechen : er krönt -di«- Hraut
vom Libanon**. Eugel begleiten die feierliche Haudlung mit Musik-
klüugen; aus den Wulken, zu Füssen des erhabenen Paares, tauchen
anbetende Engelskinder empor; über demselben aber sehwebt der
Chor der Seraphim.
Zu drei Apostelgestalten finden wir Skizzen unter Raphael»
Zeichnungen : zum heil. Thomas auf einem Blatte im Wiear*8chen
Nachlass in Lille (Nr. 384 in Passavant^s Katalog RapliaePscher
Zeichnungen); /Aim Haupt, dem Hals und den den (türtel hulÜMideii
Händen des Apostels. Der heil. Johannes kommt viermal vor : in Lille
(Passuvaut Nr. 385 verso) eine fStudie zum Faltenwurf des Gewandes ;
y in Venedig das Haupt, der Hals und. leicht liiugeworfen, der nackte
Oberleib (Passavant Nr. 57), das Antlitz ist hier Ton rechts nach
links gewendet, während es auf dem Bilde umgekehrt steht; — in
Oxford derselbe Kopf und Hals (PassaTant Nr. 555) ; und in John
Maloolm*s Sammlung wieder derselbe Kopf (PassavantNr.dO?), nur
das» der Künstler hier den Kleidsanm, dem Bilde ganz entsprechend,
angedeutet hat. Die lieiden letztgenannten Zeichnungen hehainhdii
die l)isherigen For.scher: Passavant, Kobinson und luilaiul als Studie
zum Kopf des heil. .Jakob, der auf dem Hilde dem heil. .lohanues
gegenüber im Vordergrunde steht. Der Hauptunterschied zwischen
den beiden Figuren besteht darin, da-ss die Haltung des Johannes
eine viel leidenschaftliehere ist; er ist soeben yorwärts geschritten
— das Gewicht seines Körpers ruht noch ganz auf dem rechten
Fuss ; er drückt die Linke an seine Brust ; die Rechte öffiaet er un-
willkürlich und hat sie nach hinten, abwärts ausgestreckt Er hat
plötzlich emporgeblickt, indem er sein Haupt nach rückwärts bo«»,
so dass wir den Hals in voller Vorderansicht sehen. Ans jdlen
seinen iJewrgungen leuclitet sclnvärnierische Hingebung hervor.
Am heil. .Jacobus spiegelt sich vielmehr die Ueberraschuug : ersteht
ruhig auf beiden Füssen : seine Rechte hat ein Buch ; die Linke
hebt er verwundert in die Höhe ; er liält mehr seinen Blick, als sein
Antlitz nach oben gerichtet, dessen Profil demzufolge fast senk-
recht steht. Die verkürzte Zeichnung des Kinns stimmt auf den
erwähnten drei Studien mit dem Antlitz des heiL Johannes auf dem
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lUPHABL SAHT] IM DBtt QKOABIBüHBN KSlClUtiALIiBlUS. 807
Hililt' so sehr zusanimeu, da»» es bei einer genauen Vergleichuug
im verkeil nhar ist.
Die kleine Kreidezeiclinuug der Lilleer vSiininlung (Wicar-
katalog Xr. 720) beschreiben Passavant (Nr. 412) und Buland
(S. 331, U. A. Xll) zwar, haben aber nicht erkannt, dass auch sie
zur Krönung Märiens gehört. Sie ist eine sehr ins Detail ausge-
ffthrte Stadie des Kopfes des alten langbärtigen Apostels, der gleich
neben dem heil Jacobus, von Petrus aber an dritter Stelle steht.
IHeselbe ist nicht mehr unmittelbar nadi der I^atur angefei-tigt,
«ondern nach genauer Bestimmung der aufeinander bezogenen
Stellungen der Figuren, indem das rechte Ohr und der Hurtruiid
des Apostels, durch das Protü des heil. Jacobus verdeckt wird und
die Zeichnung leer bleibt.
Zum oberen Theile des Hildes kennen wir sieben JStudien-
Blatter. Eines derselben befindet sich in der Sammlung zu Lille
(PaasaTant Nr. 384 verso) ; es stellt die Mittelgruppe dar: Christus,
vrie er Maria krönt Der Kflnstler hat auf diesem Bilde die Bewe-
gung der Figuren gesucht Er hat awei junge Menschen in die ent-
sprechende Stellung hingesetzt und sie auch, so wie sie waren,
treu auf sein Papier hingeworfen : iu ihren anliegenden Klei-
dern ; mit den weiten Aermeln am Oberarm ; mit dem })reiten
( »iirtel und seinen runden Schnalleu. In Marians Figur hat er voll-
ständig das getroft'en, was seiner Fantasie vorschwebte; Christus
dagegen hat er in der Ausführung etwas abgeändert, ihn dem
Beschauer etwas mehr gegenüber gestellt; die Figur ist dadurch
breiter geworden : sie macht einen würdevolleren Eindruck.
Auf der Zeichnung des British Museum (Passayant Nr. 440)
hat Raphael den Kopf und die rechte Hand des äussersten, geigen-
den Engels in der Stellung studirt, welche er schliesslich heibe-
lialten hat. Auf der Lilier Zeicdunuig (Passavant Nr. 383) sehen
wir die ganze F^igur desselben Engels, doch wendet er uns sein
Antlitz hier nicht entgegen, sondern blickt grade vor sich hin, so
dass wir ihn von der Seite sehen. Daneben hat ihn iiaphael in ähn-
licher Stellung wiederholt, indem er ihm anstatt der Geige eine
Guitarre in die Hand gab ; auch hier hat er irgend einen seiner Ge-
holfen, in seinem engen Kleide, ab Modell gehraucht und das wal-
lende weite Gewand des Engels s^mter darflber gezeichnet Ein
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30ti lUPHAKIi SAim IK UEH UMUAKHCUBN BKlCUdtiAUJSBIX.
anderes Blatt (Paesayant Nr. 885) enthält wieder eine Eugelskopf-
• Mtudie ; auf einem dritten (Passavant Nr. 407) erkennen wir in dem
Antlitze des jungen Knaben, dessen Kopf eine Kappe bedeckt, den
Kopf des Engels mit der 'i'ambunu
lu Oxford finden wir jsorgt altige Zeiclmungeu uaeli der N:itur
zu zwei Engeln (Passavant Nr. ID.i). Der vuio siebt ebenso wie auf
dem liilde der äusserste links und selilägi ebenfalls dns Tamburin ;
die Haltung der Hände bat dem Künstler die meiste Miilie gemacht;
er hat sie deshalb nochmals in vergrössertem Alassstabe hinge-
zeichnet nnd die glanzlichter besonders mit weiss angedeutet Der
andere Engel spielt eine Mandoline ; er ist aber völlig yon dem-
jenigen yerschieden, der auf dem Bilde dasselbe Instrument spielt,
«timrat dagegen in allen Punkten, in der Haltung des Kopfes, der
Jiiiiide, der Füsse mit <leiiiieiiigen übereiii, der auf der Haudzeich-
nuug der IJeicbsbiliU r^^ullerie die (ieige sjtielt.
Die Zeichnung der lieiehsbildergallerie (Piiüsavant Nr. 'J40)
eine 0*157 m. hohe, n-llj;; m. breite Sepia-Haudzeichnung — stellt
den ganzen oberen Theil des Bildes vor; aber nicht die Krönung,
sondern die Himmeliahrt Maria. Die heilige Jungfrau, — in einem
auch das Haupt einhüllenden langen Mantel, welchen am Hals eine
Schnalle, am Leib ein Qürtel zusammenhält — steht in der Mandel-
glorie mit zusammengefalteten Händen. Oben an der Spitze der
Mandelglorie ist ein Seraph an den Seiten und unten je zwei Sera-
phim sichtbar; der Madonna zu Füssen al)er taiiLliiii zwei Engel-
kinder hervor. Vier Engrl mit Taml)ura, («(ige. Harfe und Man-
doline bilden auch hier, wie auf dem Bilde, diu Begleitung
der Maria.
Unter den Skizzen des für Maddalena degli Oddi gemalt^'u
Bildes steht die Zeichnung der Reichsbildeigallerie yereinzelt da.
An den übrigen zwölf Zeichnungen können wir Raphaels damaliges
Verfahren bei der Schaffung einer Einzel6gur beobachten. Die
Figuren, die Bewegung( n, die Hand- und Fussstellungen, welche
Perugino und Pintoricchio festgestellt hatten und die umbri-
schen Maler allenthalben anwandten, erfüllten aiu li IJapbaels Fan-
tjisie. Aber während die übrigen, auch die beriilimten altnu
Meister, die einmal gezeichnete Fiu;ur wieder nnd wieder verwende-
ten, begnügte sich iSauti mit der sklavischen Wiederholung nicht,
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KAPIIAEL SANTI IN DER FNOARISHTEN REirnsOALLERTE.
309
.son<lf»rii sf^llte sein Moiloll ein ; er henl)aclitet die Veiiheihiiig der
Beleuchtung an der Gestillt und zeichnet die einzelnen Formen genau
nach der Natur : Alles, was er nur erblickt. Er lüsst nicht einmal
ilie Kappen nml Schuhe, ja nicht einmal die zufälligen Oehrechen
«fiiifr (iehiilfen — z. B. : auf der Liller Zeichnung (Paasavant
Xr. 107) die W niid»» am Augeidiede des kleinen Knaben — hinweg.
310
BAPIIABL SANTI IN r«R OVOABIACHEN RBICH.S4UT.LERTB.
Die Ski/zc der ileiehsbildergallcrie chigegeu verrütli die
heimuiflse der Bildsdiönfuiir^. Sie ist das erste Heispiol jenes (Ge-
dankenganges, welchen Kaphael auch später befolgte, und zwar bei
Gelegenheiten, wo er alle seine Kräfte anstrengte : bei der Grab-
legung Christi für Atahinta Baglioni — wo er sich auf den ersten
Skizzen mit der Beweimmg Christi befiisst, dem Bilde, mit wel-
chem er in Florenz Riilim zu erringen strebte ; und bei seinem
letzten Werke : der Verklarung Christi — mit welchem er «rejxen
Michel Angelo und Sebastian del Piorabo, welche zusammen die
Auferstehung des Lazarus malten, in die Schranken trat ; — auch
hier war seine erste Absicht eine andere : er wollte dieAnfer-
stehnng Christi malen.
Die Krönung Marians erwähnt weder die dem Johannes Theo-
logus, noch die dem Joseph von Arimathia, noch die dem Bischof
von Sardes, Melit,o, zugeschriebene apokryphe Schrift, nocli eiidlirh
das Buch des .Jacr>bus de Vonigine, in Italien die verbreitetste Quelle
für (las [.eben der Heiligen. Alle diese handeln von der Himmel-
fahrt Maria. Mit der Verbreitung des Christenthoms, als die sdne
Entstehung begleitenden Begebenheiten immer grösseres Interesse
erweckten, geschah es nothwendigerweise, dass der im Volke leben-
dige epische Drang das Schicksal der handelnden Personen, Ton
welchem die heilige Schrift schweigt, aus ihren bekannten Charak-
terzi'jgen detaillirt entwickelte. Von Maria's Martyrium ist nirgends
eine Spur, von ihrem Tode nirgends eine Erwähnung. Die natür-
liche Ursache dieses Stillschweigens ist, dass der Heiland seine
Mutter Tor der Verfolgung und yor dem Tode bewahrte, und ihre
langwierigen Leiden damit belohnte, dass er sie geradeswegs an
seine Seite in den Himmel nahm. Aber nicht blos ihre Seele fuhr
zum Himmel. Denn wie könnte ein denkendes, frommes Gemüth
gbauben, dass der Leib derjenigen, die einst den Herrn unter ihrem
Herzen getragen, dass dieser gelieiligt«» l?eli(|niensclirank ein Fmss
der Würmer werden, verwesen und in Staub zerfallen soll, wie der
Leichnam eines sündigen Menschen ! Und Zeugen dieser Verklärung
zu sein : das muss unzweifelhaft eine der begeisternden Wonnen
' gewesen sein, welche den treuen, opferbereiten Jüngern zu Theil
wurden. »€^ott, der Du in Deiner grossen Güte Deinen eingebomen
Sohn vom Himmel herabgesandt hast, dass er in meiner niedrigen
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RAPHAEL SANTI IN »ER UNUAKLSCIiBN RBICilSGALLEKIK. - 311
Person weile, und so gnädig gewesen biüt, Ilm durch mich, deine
nie(lri«i^e Magd, geboren werden zu lassen : sei barmherzig gegen
die Welt and gegen jede Seele, die deinen Namen bekennt! Unser
Herr! König des Himmels! Sohn des lebendigen Gottes! nimm
jeden an, der deinen Namen bekennt, auf dass deine Gehnrt g<?*
pneeen werde. Unser Herr Jesns Christus, der dn allmächtig bist
auf Erden und im Himmel, ich berufe mich mit dieser Bitte auf
deinen lieiligen Xumen : heilige jede Zeit und jede Oertlichkeit, in
"vveltdier iiu-in Name genannt wird, und verherrliche diejenigen, die
mit meinem Namen dich verlierrlicheu, und nimm von Solclien ein
jedes Gelid)de, ein jedes (Tcbet, eine jede Bitte gnädig auf*, also
betf»t, auf die Bitte der Jünger, Maria in ihrer Todesstunde. Und
der Herr antwortet : «Dein Herz frohlocke nnd frene sich, denn dir
'ist gewähret worden jegliche Gnade nnd jegliche Gabe durch meinen
Vater, der da ist im Himmel, nnd durch mich, und durch den hei-
ligen Geist : die Seele, welche sieh auf dich bemffc, bleibt nicht in
Schanden, sondern findet Barmherzigkeit, Trost, Beistand und Auf-
nnijitorung vor dem Angesielit meines Vaters, der da ist im Him-
mel, sowolil in der Welt, j»'tzt ist, als auch in derjenigen, die
da seiji wir«l .... komm Braut vom Libanon, komm und du sollst
j^ekrönet werden." Wer könnte d.iran zweifeln, djiss der llerr seine
Verheissung erfüllt hat? Das fromme Volk zweifelte an dieser Er-
fOUnng nicht; die Maler malten sie; die Kirche erkannte sie an,
indem sie auf zahllose Altare die Kr5nung der heiligen Jungfrau
hinstellte.
Maddalena degli Oddi hatte Marians Verklärung bestellt. Die
Skizze unserer Landesgallerie beweist, dass der Meister bei der
Ltisung der Aufgabe zuerst an dir lliiniiieli'ahrt daclit«'. Er b^vschäf-
ti<rtr sieh mit dieser Seen»' so (unm'hend. dass (»r bereits die d;r/u
j^ehörigeu Engel uacli der Natur zu zeichnen begann (Oxforder
Zeichnung, Passavaut Nr. 493) ; dann aber laset er sie fallen und
malt die Krönung.
Wenn wir die beiden Scenen mit einander yergleiehen, so
entdecken wir die widffscheinliche Ursache dieses Entschlusses
Raphaels. Bei der Himmelfahrt vertheilten sich die handelnden
Personen in drei tlhereinander stehende Reihen : unten die das (Irab
umstehenden Jünger ; über ihnen Maria von musizireudeu Engeln
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» 31d RAFKAIL SANTI IK DXB UVOAMRCIIBN BUCHSOAliLIRn.
iini^('l)eii ; oben eiullicli, inmitten <lor Seraphiraschnar, der Hrrr,
(k-r die V'erklärU^ SfgiieiHl <'nipfVuigt. Bei der Kniiiun^ kommen
die Hauptfigliren und ilir»' Begleiter obeu, nebeneinander zu stehen ;
nur diese dm Gruppe fesselt die Aufmerksamkeit der auf der Erde
Zurückgebliebenen : sie bedingt jegliche ihrer Bewegungen.
Raphael manifestirt sein starkes, dramatisches Geftlhl, indem
er die Himmpl&hrt Marians fallen Iftsst und dafftr ihre Krönung zur
Daratentin^ wählt; indem er anerkennt, djiss die Handlung je ein-
facher, desto wirkungsvoller sei ; dass er den Beschauer desto nielir
interessirt, je mehr er die Handlung eoncentrirt, je begreiflicher er
den Zusammenhang zwischen ihr und den Bewegungen der Per-
sonen macht In diesem Werke beweist vSanti, dass er bei seinem
AuHtritt aus Perugino\s Werkstatt nicht allein bereits gut zu malon,
Aondem seine Vorwürfe auch gehörig 2u gestalten versteht.
ra.
Bihlniss eines Kardinals (?) Nr, öS, Madonna Eseterhdey Nr, öl.
Als Raphael sich in Firehze niederliesit, wurde sein empfäng-
liches GeraQth durch den geheimnisvollen Zaulier der Werke Lio-
nardo's uiiwiederstehlich ange7,o;^en. Seine nach Harnioiii»' strebend«'
Natur <lu]det(' nur die stufenweise Entwickelung. Miclidangelo, (Ut
damals die Mittel der Kunst als Zweck ansah, hatte daher auf ilni v(»r-
läufig keinen EiuHuss. Als ersieh von PiNTUgino trennte, bemühte» «t
sich, den angelernten Formen Lehen einzuhauchen, indem er da^ Pr»-
tail der Natur ablauschte, und dies machte ihn reif für die Ofifenba-
rung, die aus Lionardo^s Werken leuchtet : dass mit den menschlichen
Formen nicht allein Handlung und Leidenschaft, sondern auch em-
pfindendes Gemüth ausgedrOckt werden soll. Dass er den iiefidrhen-
den WerÖi der OflFenbamng erfasst habe, bezeugen seine Zeichnun-
gen, insbesondere die Studie zum Porträt der Maddalena Doni, die
uns gegenwärtig unter d»'n Sehätzeu des Louvre entzückt.
Das Interessante und die gewaltige Ausdnicksfahigkeit der in-
dividuellen Züge im (regesatse zu den von den Vorgfingem fihemom-
menen Eopfmodellen, in die jeder Kttnstler höchstens sein eigenen
Schönheitsideal hineinlegte, erfasste Raphael eben au derselben Zeit
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RAPRAKL 3ANTI TN nKF TTNOARISCHUN RElCTTSOAUiERlE. 31-^
und von df^inselhen Eiiiflnss angeregt. Er bat wUhreml seiner zwan-
zigjährigen Thätigkeit — so viel wir wissen — ueunundzwanzig
Porlrrit>! gemalt und von diesen sind zehn in der Zeit von 1504 bis
V)07 in Klorenz entstanden. Passavant und Unland zäblen zu diesen
mit ß«cht das Porträt des jungen Mannes in unserer lleicbsbilder-
Hunrt/.cichnnnp im r.onvro.
j^allfrie. Sie wähnen darin die Züge des Francesco Maria della Rovcre,
Thronerben von Urbino, zu erblicken. Doch wir müssen diesen
Namen sofort fallen lassen, wenn wir erwägen, dass der junge
Prinz 1491 geboren wurde, demnach selbst 1508 erst sein sieben-
zfthntes Lebensjahr vollendet hatte. Auf unserem Portrat selien wir
«lagpgen einen vollendeten jungen Manu, mit vollentwickelten Scbul-
Coffarittehn Rovno. lf<Ä'i. IV. Hoft 21
814 > RAPHAEL SANTI IN I»ER ONGAKISCHEN REIC'USOALLEUIR.
lUpbael. Portrait Beicbabildergallerio Nr. 5a.
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«
BAPHAEL SASTI JN DKK UNOAUISCHEN HEICH.SGAU.EKIE. 315
bt rii, tt'.stuusgel>il(leteu Zilgeu und nüchteriR'iii, überlegtem Gesiclits-
Äuadnu'k. Auch auf »einen Lippen thront das angehende Ijiicheln — ■
nicht der Vorläufer des infolge bestimmten Einfalls hervorbrechenden
Lachens, sondern vielmehr das Zeichen zu&iedenen« liebenswürdigen ' "
Gemüthes. Die Sifcnation der Figur auf der BildflSehe ähnelt so
anffiillend dem Portrat AgnoloDoni*8,dass dies allein genug Beweis
fllr die gleichzeitige Entstehung der beiden Bilder ist. Der Jfing-
Hng lässt seinen Arm auf dem am Rande des Bildes angebrachten
Steinsims rnhon ; im Hintergrund blicken wir in eine Landschaft:
auf in der Ferne blauende Berge, auf einen Hügel, dessen Gipfel ein
Sommersitz krönt und zu dessen Füssen sich eiusclilängelnder Fluss
in einen See ergiesst, — eine Gegend, die, wenngleich sanfter, den
▼on Lionardo beliebten ähnelt Der junge Mann trägt ein braunes
ärmelloses Gewand und darunter ein rothes Kleid, welches der Saum
eines Krausenhemdes vom Halse trennt Sein Haar hangt beinahe bis
auf die Schulter herab und bildet einen dunkeln Rahmen su dem lan-
gen Antlitz. Auf seinem Haupt hat er ein rothes Biretnin; ganz von
der Art, wie es die Kardinäle tragen. Dasselbe unterscheidet sich von
der damals üblichen, gewöhulichcu Berretta dadurch, dass es keine
Krempe hat und dass vier Kanten seinen viereckigen Grundrisa be-
zeichnen. Auf den dieser Zeit angehörigen Porträts, welche ich be-
hufs Feststellung der damaligen Mode durchmusterte, £uid ich diese
Kappenform nur bei kirchlichen Würdenträgem, — um ein nahe lie*
gendes Beispiel zu erwähnen, bei Bernardo Dovizio da Bibiena, den
Raphael in Rom malte.
Wenn wir in diesem Jfingling in der That einen GeistUch^en
erkennen müssen, so würde dies als Ausgangspunkt für die sichere
Bestimmung der abgebildeten Person dienen und möglicherweise
Licht v^'rbreiten können über den dunkelsten Punkt in Kaphaels
Künstlerluufbahn : über seine Verbindung mit dem päpstlichen
Uofe, welche den Grund zu seiner Berutung nach Rom und seinem
raschen Fortschreiten in der Gunst Julius des II. abgeben konnte.
Wir dürfen indessen nicht ausser Acht lassen, dass das Biretum erst
um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein integrirender Be-
standtheil der Kardinalstracht wurde ; es ist möglich, dass es vorher
auch yon Weltlichen getragen wurde. Eben weil wir auf diese Be-
stimmung wichtige Muthmassungen bauen könnten, ist es unsere
21*
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316 RAPHABL SAKTI IN »BB ÜNOAHliKlISir lUIClISOAUiERlB.
Pflicht, mit (lopiK'lt.'r YorHieht vorzui^i'lu'ii und den Jiin^liiiij; '-rsf
dann zu hpiu'iint'n, wenn uns oin «(iinstii^cr Zulull ein mit Inscliri 1 1
versehenes Porträt desselben in die Haud spielt, welches jeileu
Zweifel an seiner Identität aussei iliosst.
Unter den Madonnenbildern Bapbaels aus seiner Florentiner
Zeit sind diejenigen die bedeutendsten, in welchen er gleichzeitig
bemüht ist, sein dichterisches Sinnen zu entwickeln nnd eine schwie-
' rige malerische Aufgabe zn lösen. Diese yollendetsten Frfichte seiner
Florenzer Thätigkeit sind : «Madonna nel verde* in Wien, die «Ma-
donna del Card» düno" in h'lorenz, die , Rolle Jardiniere* in I\iris
und die Madonna in Hudapest. Atif alU'U vieren sitzt Maria mit dom
Kinde im Freien und Joliaunes der Täufer, der kleine Gefäliri«^
Je<u, ist ihnen l)eifrosellt, bald zur Hegrüssung des Jesukindes
das Knie beugend, bald zu dessen Unterhaltung ein Spielzeug brin-
gend: ein Vögelchen oder ein Kohrkrenz. £ine ganze Serie von
Zeichnungen beweist auch hier, wie Raphael die yersehiedenen Si-
tuationen ans einander entwickelt, mit einander verbunden und
wie er sie wieder zn einer neuen Komposition arrangirt hat; wie
er das bereits verarbeitete, aber noch nicht erschöpfte Sujet wie<ler
. aufj^rnoninien und mit unbedeutender Andening zu einem neuen
Meisterwerk «'estaltt-t li;it .
Auf dem Wiener Bilde sitzt Maria und unterstützt mit ihren
Banden das Jesukind, welches das vom knienden Johannes ihm dar-
gereichte Kreuz ergreift Auf dem Florenzer stehen beide Kinder ;
Jesus, an die Knie seiner Mutter gelehnt, streichelt das Vöglein,
welches ihm sein Spielgenosse überreicht. Auf dem Pariser schmiegt
sieb Jesus ebenfalls an Maria und blickt schmeichelnd zu ihr empor,
nicht auf den, knieend zn ihm' aufschauenden Johannes. Auf dem
Budapester kniet Maria und hält das auf «'im^m Hüfjjel sitzende Je-
sukind, das seine Hände gegen den ebenfalls knienden Johannes
aussti-eckt.
Zwei Skizzen bilden das Bindeglied zwischen der »Belle Jar-
diniere" und unserer Budapester Madonna. Auf dem einen (Passa-
vant, im Kiitalog der Zeichnungen des Königs Wilhelm von Hol-
huid dd. RuUnd : S. 61. XXIL 10. Philpot Photographien 1124.
Dieselbe Composition, nur mehr ins Detail ausgearbeitet, war 1879
in Paris unter dem Namen Timeteo delle Vite ausgestellt Braunes
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KAPH^VEL »ANTJ IN ;>EK UN<iAKJSUHEN KBlCIlsliALLEUlB. 317
Pbotcigrutien Nr. 12(3.) sitzt Miuria, so wie die. , belle Jardiuiere/
nnr wendet sich ihr Oberkör]>er mehr von uns ab : wir sehen auf
ihre linke Schulter; ihr Kopf aber wendet eich gegen uns zu^ck,
indem sie, auf den ihr zu Ffissen knieenden Johannes blickt, so dass
wir sie en face sehen. Und dieselbe komplizirte Haltung, — wo die
Axe jedes einzelnen Körpertheiles in anderer Richtung steht, wo«
ilunli auch die ruhige IJeweguug eiue das Auge beleidigoudc
IMaiinigfaltigkeit gowiniit, — fiudoii wir noch Ix-ssf-r aungflx-utct
l)oi der Maria unserer Iieichsl)iklergallene. Johaiiix's eriuert auf
der Zeichnung wieder theils au das Pariser, theils au dasBuda|M>st('r
Bild ; die Heine und den uns näher liegenden Arm desselben hat
Raphael darauf ebenso angeordnet, wie auf dem letzteren ; sein Blick
aber ist Jesus zugewandt, wie auf dem Pariser Bild, wo wir eben-
falls sein Profil sehen. Das Jesnldnd der Zeichnung und der »Belle
Jardini^re* stimmen darin Uberein, dass sie auf der Erde stehen;
aber die ueckische Bewegung desselben auf der Skizze, mit der es
sich halb hinter das Knie der Mutter verkriecht und (hiss seine
Aufmerksamkeit auf seinen Kanuradcii g^'riclitet ist, l)riiigt es
wieder um einen Schritt der Madouna unser Landesbiklergalierie
näher. Wie auf dieser, hat Johannes auch uuf einer Florenzer Zeich-
nung (Passavant 1 17) einen Hund mitgebracht; die Stellung Ma-
rias und Johannes weicht hier zwar von derjenigen ab, die wir auf
den erwähnten Bildern sehen, diejenige des Jesukindes dagegen,
nähert sich derjenigen des Budapester Bildes; Maria hat das Kind
auf ihren Arm genommen und es streichelt mit beiden Händen den
Hnnd, den .loluinnes mit Anstrengimg zu ihm em])orhe))t. (lanz die
Komposition der Buda])ostrr Mudouna finden wir auf c'uwr ande-
ren Floreuzer Zeichnung (Passuvant 114.); dit- einzige wesentlich«'
Abweichung zeigt sich in der Anordnung der Landschaft, welche
auf der Zei' bTinng liöher hinauf reicht, SO dass die Hügel dem
Haupte Maha's als Hintergrund dienen, während wir auf dem Bilde
liinier demselben den heiter blauen Himmel sehen.
Noch zwei, ebenfalls in Florenz befindliehe Zeichnungen, auf
beiden Seiten desselben Papierblattes, beziehen sich auf das Buda-
pester Bild. Passavant (116.) und Ruland (S. 95. XXX. s. 1., 2.)
halten dieselben für lOuLTrlkopfstudicn ; si»- wurd<'n sirhcrlich durch
das wallende Haar irregeführt, welches der Art aufgelöst, bei Engeln
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318 UAPHAKL SAMTl IH 1>KU LN(iAKläCH£N UEltUäiiALUEUlE.
häutig vorkommt. Die charakieristiHche Haltung des Kopfes und
der Schultern indessen, ja selbst der lluuipfaussclinitt, der mit
demjenigen des Gewandei der Maria auf dem Bilde ttbereinsiimmi,
laagen keinen ZweiÜBl darüber, dass wir es hier in der That mit
UAud2elcUuuiig ia Floreuz.
äner sargfiUtigen Studie des Kopfias der Maria nach einem leben»
den Modell zu ihnn haben.
Die Madonna der Reichsbildergallerie ist unvollendet geblie-
ben ; sie ist blos untermalt ; die Formen- und die Parbengebnng
ist halb fertig. Dieser Umstand hat bisher als Fingerzeig für die
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KAFHiEL ijAMTl IN DEK UNUAKISCHEM UEICUoUALLEBIt. 319
Bestimmung ihrer Eutstehuiigsz'Mt gedient. Vusari bemerkt, dass
K5il)hfl Im'I seiner Abrciso nach Rom — Ende 1508 — seine Ar-
beiten in Florenz nnvoUendet zurückgelassen habe : s. B. die naeh
Siena bestimmte Madonna — wahneheinlieb die «Belle Jardinite*
— nnd dae Air Baldaaaare da Pesda begonnene grosse Altarbild.
Diesen wird mit grosser WahrscEeinlichkeit auch nnser Bild bei-
gezahlt.
IV.
HandMeit^mmigm mt DispcifA
Der Gei^t der Renaissance gelangte mit Tommaso da Sar-
zana, Nicolans V., auf den päpstlichen Thron. Seine anmittelbaren
Vorgänger, Eugen IV. und Martin V., erfreuten sich zwar bereits
des Friedens der Kirche ; sie mnssten aber all ihr Streben darauf
richten, Rom wieder wohnUcb, zur sicheren Residenz des Papstes
9EU machen. Dass es wieder die Hauptstadt der gebildeten Welt
werde, machte erst Nicolaus zur Aufgabe und Pflicht der Kirchen-
oberhäupter. So lange er regierte, strebte er ohne Unterlass diesem
Ziele zu : er versammelte um sich die hervorragendsten Gelehrten,
Schriftsteller und Künstler ; er gründete eine Bibliothek ; er begann
den Bau eines der päpstlichen Würde entsprechenden Palastes —
des Vaticans — und eines der Macht der römischen Kirche ent-
sprechenden Tempels — der Peterkirche; und liess, was von aUe-
dem fertig wurde, dnrdi die anerkanntesten Meister seiner Zeitans-
schmtlcken. Die kurzen acht Jahre, die er auf dem Stuhle des
AposteHttrsten sass, reichten zur Ausführung seiner BiesenplSne
nicht aus. Es war daher eine Hauptsorge seiner Sterbestunde, den
üeberlebenden die Fortführung seiner Unternehmungen auf die
Seele zu binden ; sie zu ül)('rzeugen, dass dieselben nicht Erzeug-
nisse einer individuellen Passion, sondern einer durchdachten Po-
litik seien ; ^öret, höret, icli sage Euch, ehrwürdige Brüder, er-
waget die Ursachen und Absichten, die uns zum Bauen und Schaffen
bewogen und unsere Aufmerksamkeit in so hohem Masse darauf
gerichtet haben' ; ~ also spricht er in seinem Testamente zu den
Kardinalen — .wir wflnschen, dass Eure Ehrwttrden dies wissen
nnd yerstehen. Unsere Bauten hatten zwei Hauptursachen : die
ganze Hohe und Grösse des Ansehens der römischen Kirche be-
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820
KAFBAIL 8AHTI IN DBK UVOABISCBBN KBlCUäaAUJIRIE.
greifen nur cUejenigeii, die ihren Ur.s]»rüng uml ilir ^Vut•h.sthulll au>
dem Studium «1er Geschichte kennen gelernt hal)eu ; die ühri^e
Menscheit aber in.sge.sammt, der ganze grosse Haufe, ist imhvwnu-
dert in der Wissenseliait, ja er ernuuigelt derselben Yoilstäudig. äie
hören zwar oft Ton weisen und gelehrten Männern, auf welche
Weise die römische Kirche entstlmdenf su welcher Grosse sie em-
porgewachsen sei ; sie nehmen eine solche Meinung auch als wahr
und gewiss an ; dessenungeachtet steht ihr Glaube auf einem
schwachen, hinfälligen Fundament^\ und schwindet im Laufe der
Zeit dermasseu, dass er gewisslich allinählig vollständig zunickt«
wird, wofeme nicht augenfällige Schauspiele auf sie einwirken.
Eine erstaunliche Anhänglichkeit entwickelt und wurzelt sich
fest, wenn die auf den Aussprüchen gelehrter Männer beruhende
öffentliche Meinung tagtäglich ohne ünterlass durch gprossartige
Biiuteu, bleibende Denkmäler, gleichsam gotterschaffene, ewigwah-
rende Zeugen bestätigt und bekräftigt wird, »^o kann sie sich vererben
von Generation zu Generation, welche gleichermassen Augenzeugen
der wunderbaren ächüpfaugen äiud; so kann sie ungeschmälert
bleiben, so kann sie grosser werden. Je hervorragender und ehr-
würdiger unter allen übrigen die ewige Stadt ist, je mehr sämmt-
liehe Christenvölker dieselbe mit höchster Hingebung yerherrlichen
ar\i\ bewundem, desto nothwendiger hat uns ihre Sicherung und
Ausschmückung geschienen; vor allem Andern, weil wir nicht
ausser Acht lassen durften, dass der allmächtige Gott sie zur l)K'i-
benden Residenz des Fürsten der Kirche, zum ewigen Schauplat/.e
der Heiligkeit des Papstes auserwählt hat .... In Folge solcher
Ursaclien sind in unserem Geiste und unserem Herzen die Pläne
zu 80 grossen und so prächtigen Bauten erwachsen : nicht aus
Ambitioni nicht aus Prachtliebe, nicht aus eitler Ftehlerei, nicht
aus Ruhmbegier, nicht um das Andenken unseres eigenen Namens
zu erhalten ; sondern damit das Ansehen der römischen Kirche zu-
nehme, damit die Würde der Apostelresidenz in den Augen sämmt-
lieber Christen Völker wachse . . .
Oben im Saale des zweiten Stockwerkes des Vaticans, wo wir
jetzt Kaphaels berühmte Wandgemälde bewundern, schmückt den
Schlussstein der Wölbung das Wappen des bescheidenen Papstes
Nicolaus, — der in sein Wappen kein Familienemblem, sondern
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RAPHABL SAHTI IN DBK UNüAUlSCIOtN XEI(;UtiÜAIJ.BBJX. 821
die Schlüssel des heil. Peiams setzte — verkündend, dass bei den
Siolzesten Schöpfungen der Renaissance der LSwenantheil der Ini-
tiative ihm gehühre. Die Wände staiul»!n nicht insgesaiiiml leer
da, als Kaithuel 1508 nach Koni kam. Dort urheitcte ITir Nicoluiis
bereits Beuedetto Buoufigli, der Nestor der perugiaer Meiste i- '»
Andrea di Castagno, einer der kühnsten unter den gelehrten Flo-
renzer Malern ; Bartolomeo di Tommaso ans Foligno ; Piero della
Francesca, der geniale Begründer der Perspektive. Ein reges Künst-
lerleben bewegte sieh in den Sälen des Vaticans Jolins II., der
seinen Wohnsitz hieher verlegte, nm nicht einmal zwischen den
Maaem leben zn müssen, welche das Andenken Boderigo Borgia*s
besudelte. Perugino, Antonio Bazzi, Laca Signorelli, Bramantino
Suardi, Lorenzo Lotto und Jan Iluyach arbeiteten hier von 1507
angefangen.
In der türstlich Eszterliazy'sclieii Sammlung fiihrte das auf
• Seite 322 — 323 mitgetheilte Blatt den Namen Raphaels. Auf
beiden »Seiten dessell^ßn befinden sich Figuren. Passavant erwähnt es
in seinem Katalog BaphaeFscher Zeichnnngen nicht ; wahrscIleinHch
hielt er es nicht für ein Werk dieses Meisters. Derselben Ansicht
scheinen anch Jene gewesen zu sein, die 1878 die Skizzen der be-
rBhmtesten Meister aus unserer Beichsbildergallerie auslasen, um
auf der Wiener Weltausstellung das fachkundige Pubhkum von der
Ik'achtungswürdigkeit unserer Sammlung zu überzeugen : sie nah-
int'ii dieses Blatt in ihre Auswahl nicht auf. Die mehr in die Augen
fallende der beiden Zeichnungen desselben lässt uus, ihrem Vor-
warf zufolge, in der That nur schwer an Baphael denken. Sie
scheint eine Studie zu einem Skulpturwerk zu sein. Sie stellt einen
birtagen Mann dar; die erhobene Bechte desselben halt ein Lau-
senende ( ? oder einen Blitz) ; seine Linke stemmt sich auf die Hüfte ;
Mn Blick ist seitwärts gewandt; sein Schritt resolut; die Bewe»
gung seines schlanken Körpers reich an Abwechslung ; seine Hal-
tung kühn, herausfordernd. Zu seineu Füssen liegen Waffeu : ein
Panzer, ein Schild. Er steht auf einer »Stiegenstufe, die auf breitem
Untergestell ruht. Aui Kande des letzteren sehen wir einen g<'-
tiügelten Knaben, der irgend einen Schaft in der Hand hält. Das
obere und untere Gresinis des Untergestells springt stark hervor.
Die £ckenTerzierung hat der Zeichner in zwei Varianten Tersucht;
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322
BIP^ABL SAMTl lH LKU UKtiABlSUUEN JlEltU£»GALL£&l£.
links nistet ein menscheiiköpfiger Drache ; rediis aber liegt ein
ScMdeL
Wir yermögen diese Darstellung mit keinem Werke Raphaels
in Verbindung su bringen ; Bkulptor-Studien sind bei ihm ausser^
^^('wöhnlich — kaum auf zwanzig von seinen nahezu sechshundert
JSkizzen tiudeu wir derlei; — unsere Federzeichnung ist aber so
Hudwtolmniig tn Budapest.
leicht mit Sepia hingeworfen, dass wir, bei dem Mangel eines Beleges,
blos ans dem Zuge der Hand urtheilend, es kaum wagen würden,
fttr sie den Namen des grossen Meisters in Anspruch zu nehmen.
Der nothweiidige Beleg ist gliieklicliLTweiHe vorliaiideii : in den an-
spruchslosen Figuren der anderen Hlattseite, deren Bedeutung die
bisherigen Forscher nicht bemerkt haben.
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324 ' KA1'HA£L SAUri UEK fK'.AKLSC liKK Ü£lL li>«.ALLEKiK.
Iii der ol)ereu Ecke links — ul)erhu11> eitler .schräg uiiiwarU»
^••lu'iitlen, uuierbrocIlciieuScIleidelinie — dräiijj^en sich nenn £ugel-
kiiider zuaammei]. Weiter unten sehen wir den Oljerleib eines aus-
gewachsenen Jünglings nur kaum mit einigen Strichen angedeutet ;
• *.
Baudieichiiiiiig su Oxford.
aber das wallende Haar und die charakteristische Haltung des
Nackens reicht doch zum Ausdrucke einer ungestfimen Bewegt niif
liiii. Wer IJapliaels iraiul/.eiclniinii^en pfenuu kennt, «»rinnert sich
dem Anblicke liesselbeu soiurt einer »Studie liaphaels y.u deii iungebi
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RAPITAEL SANTI IN DEK TTNriARISCIIEN REICHBOAl^LBBIS. ' 325 '
seiller Disjnita in der Oxt'order ►Sammlung (Passavant 50^3, Jiuland
8. 182, Ol), auf welcher wir «lieselbe Figur etwas mehr ansgpfiihrt.
findeii. Damit schwindet jeder Zweifel darüber, wohin unser Blatt
' gehdre, und wenn wir das Wandgemälde genau untersuchenf fiber-
zeogen wir uns alsbald, das die in der oberen Ecke der Zeichnung
skizzirten Kinder Studien zu den auf dem Fresko sich zwischen den
Lichtstrahlen um den Gottvater sehaarenden Englein seien ; das-
jenige, welches vorne, mit dem IJiicken gegen den Beschauer sit/t
lind den Kopf zurückwendet, ist auch auf dem Bilde unverändert
^ebli*'1)<Mi.
In der iland/eichnuugen-Sammlung unserer Keichsbilder-
gallerie befindet sich noch eine zweite, auf die Disputa bezügliche
Studie. Diese ist schon lange als solche erkannt worden. Passavant
führt sie unter Nr. 21 seines Eataloges an. Ruland besehreibt sie
unter Nr. III auf S. 183 seines Werkes mit folgender Bemerkung:
«wahrscheinlich eine alte Kopi(> einer der vorhin erwähnten Zeich-
nungen" — nSmIieh der in der Sammlung des Herrn Gase in Paris
oder dor in der Siiininlung des Herzogs von Devonshire in Chas-
worth Ix'findliclu'n. Damit lenkt, er unsere Aufmerksamkeit auf eine
Thatsaehe, welche auch A. Springern in seinem Werke über Raphael
und Michel Angelo eben bei der Behandlung der Disputa aufge-
fallen ist. Er sucht dieselbe mit folgenden Worten zu erklären :
Alsbald werden Raphaels römische Skizzen als praktische Zeichen-
schule benützt ; die jüngeren Künstler kopiren dieselben mit grosser
Sorgfalt und Genauigkeit. Die zur Disputa gehörigen Studien
scheinen sie mit Vorliebe wiederholt zu haben, sowohl die auf ein-
zelne Figuren, als auch die auf den linken unteren Theil des Bildes
bezüglii'lK'n.'' Die Erklärung ist in der Tliat die allein wahrschein-
liche, wenn wir einer und derselben Studie wiederholt begegnen,
und die einzelnen Exemplare Zug für Zug übereinstimmen, ohne
dass der Zeichner den Zug seiner eigenen Hand zu verbergen be-
strebt wäre ; dies schUesst die Annahme aus, dass wir Falsifikate
vor uns haben. Man wfirde zu interessanten Ergebnissen gelangen,
- wenn man die aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf uns
gekommenen Handzeichnungen prfifen und einzeln die jungen
Meister zu bestinnmen suchen würde, die Raphaels und Michel An-
gelo's Zeichnungen Studiums halber wiederholt haben ; wenn man
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t
\
BAPHABL 8Aim IN VBR CHOABISCHSN RKICHBOAUXKIS. $27
die Oompoisitioiieii /u.sammei).si«*ll«'n wiirdc, l'ür welche sie «ich am
lueisteu iiitereHsirteii. Daraus wiinlen wir uns klare Hecheiischat't
geben können Uber die Einzelheiten des Ziistiindekoniiuens jener
grossen Yeründerun«^, welche die Kunst erlitt, als sie aus den Händen
Kupbsiels und Michel Anf^elo's in diejenij^on BenvenutoCellinrs und
Giorgio Yasari's überging. Betreffs der HandzeichnuDg in unserer
Landesbildergallerie glaube ich nicht irre zu gehen, wenn ich Rn-
lands Bemerkung dahin er|^nze, dass ihr Autor Giovan Battista
Franco sei. Ich habe indessen hier nicht die Aufgabe, diese Zeich-
nung aus dem eb*»Ti ani^edeuteten Gesichtspunkte zu würdigen, son-
«l«*rn ihre oder vielmehr ihres Ori<jfi)mh'.s — SUdle inid Beden-
tuiig in der lieihe der vorbereitenden »Studieu zur Disputa zu be-
stimmen.
Wir kenneu die Entstehung keines ein/igen liaphaersclien
Werkes so genau, wie diejenige der Disputa. Unland erwähnt 40
Studieublätter ; zu diesen dürfen vrir aus dem in Photographien
pnblizirten Zeichnongen-Yorrath noch mindestens vier hinznfOgen.
Die erste Idee lernen wir auf drei Blattern kennen : auf dem Wind-
sorer (Passa?ant 429, Rnland S. 180, Nr. 69) sehen wir die linke
Seite der Composition; auf dem Oxforder (Passavant 501 ^ Ruland
S. 1S*2, Xr. 73) den oberen Theil derselben ; auf d«'nijenio( n des
Herzogs Anmale (Passavant :ir,r., Rnland S. 182, Nr. 98) den nn-
teriMi Theil. Aus der Vergieieliung derselben ersehen wir, dass
lUphael anfänglich die im Himmel befindlichen Ji'iguren in drei
Reihen über einander — nieht in zweien, wie auf dem Wandge-
mälde selbst — placireu wollte : oben den Gottvater; in der Mitte
Christus, in voller Glorie, zur Rechten Maria und zwei Heilige, zur
Linken Johannes den Täufer und wieder zwei Heilige; unten,
unterhalb Christus, den heiligen Petrus und Paulus mit je zwei
Evangelisten zur Rechten und zur Linken. Unten, auf dem Hofe
einer im Bau begriffenen Säulenhalle, welchen hinten eine niedrige
Schranke umschliesst — so dass wir darüber hinweg auf* eine hüge-
lige Landschaft hinaus blicken — • sitzen die vier Doctoren der
Kirclie ; hinter ihnen gruppiren sich die stehenden Figuren. Die
Kirchenväter blicken in ihre liücher oder empor zum Himmel; ihre
Begleiter beobachten entweder ihre Bewegungen oder stehen in
Gedanken versunken da. In der Mitte der Halle steht ein Jflng-
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328 1ULPn \EL SANT1 m nSR üiraARI.SLIIEN REK-nsOAUiERIE.
liiig ; er dcntof ein auf das Kapital einer Säule ))etestigtes Wap}»en :
er ist vom Bilde weg, dem ßeschauer zugewandt and kümmert sich
nm die auf dem Hofe Befindlichen ebensowenig, wie diese sieh um
ihn. Die Figuren der Scene hangen miteinander nicht Knsammen :
ihre Bewegungen sind in keiner Weise motivirt; der Sinn der-
selben ist zwar begreiflich, aber eigentlich nicht ausgedrückt Die
ewige Kirche thront oben im Himmel ; unten sind diejenigen ver-
sammelt, die auf der verfrimglicheii Welt für ihren Sieg gekämpft
haben ; der Papst aber errichtet zur Verkündigung des Ruhmes der
römischen Kirche einen Prachtbau.
Baphael begnügte sich nicht mit dieser Form der Darstellung;
dessenungeachtet studierte er bereits einzelne Köpfe, Bewegungen
und Faltenwürfe nach der Natur. Dies beweist — wenn ich nicht
irre — das ehemals in der Sammlung von His de la Balle, gegen-
wärtig im Louvre betiiulliclie Bliitt (Passavant 3G1, Unland S. 31]?»,
XXVII), auf welchem wir den Alten mit dem rasirten Gesichte er-
kennen, der auf der Aumale^schen Zeichnung, nach vorne geneigt,
in das Buch des heiL Ambrosius blickt.
Im StaedePschen Institut zu Frankfurt finden wir eine Studie
(Passavant 280, Ruland S. 182, Nr. 101), auf welcher die Anord-
nung der schliesslich zur Ausffthning gelangten schon weit naher
kommt, mIs auf den ebenerwähnten. Der Meister l)eschäftigte sich
mit der linken Seite des unteren Theiles der 8ceue ; die Konn>o-
sition ist noch sehr verschieden von derjenigen des Wandgemälde:* :
siebzehn Figuren bilden hier die Gruppen, in welchen später drei-
undzwanzig figuriren; dennoch sind die wesentlichsten Abände«
rangen hier bereits yollzogen. Das den Raum hinten begrenzende
GebSude, nebst der darin stehenden weiblichen Figur, ist wegge-
blieben. Auf der Windsorer Handzeichnnng, wo wir ebenfalls blos
die linke Seite des Bildes sehen, ist die irdische Kirche l)]os durch
eilf Männer repräsentirt. Raphael aber hat nicht blos ihre Zahl
▼ermehrt, sondern auch ihre Anordnung gründlich verändert : Aul
seinen ersten Skizzen grnppirt er sie auf eine Ebene ; die Stelle der
Hauptfiguren, der Kirchenvater, fallt in die Linie des Halbkreis-
bogens : auf beiden Seiten sitzt der eine, dem Beschauer den R&cken
zukehrend, im Vordergründe ; der andere, ihm entgegengewendet,
im Mittelgrunde; vor ihneji bleibt ein leerer Raum, die übrigen
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lUPHABI. SAVTX IN DER ITNOAttlflCRBN BRICHSOALLSBIE. SÜt^
skehenden Figuren drüngen sich hinter ihnen. Mehr Raum l&r die
ÄBordnmig der Figuren xn gewinnen, dem (Jemfilde eine grössere
Tiefe sn geben, damit die Grandlinie der Komposition, der Halb-
kmsbogen, länger .sei, nnd so wirke, selbst wenn er ihn, behnfs
Belehiiug, durch Veründoning zulilreicher Figuren wieder und
wieder durchl)richt : das war es, was der Kfinstler, nach dem Zeug-
nisse des Frankfurter Blattes anstrebte. Hieronymus und Gregorius
haben jetst nebeneinander auf der erhobenen Ebene Platz ge-
nommen, TO welehor Ton allen Seiten eine freie Treppe führt Hinter
ihrem Stahle stehen drei Figuren, Tor ihm knieen ihrer drei aaf
der folgenden Stafe, nnd auf dmelben, im Hintergrande, stehen
wieder drei ; unmittelbar vor den KirehenTatem, in der Mitte des
Bildes kommen zwei Männer im Zwiegespräch von hinten die
TrepjK.' herauf. Die linke Ecke des Vordergründe.^, welche jetzt frei
geblieben ist, nehmen vier Männer ein ; sie sind im Zwiegespräch
miteinander ; mit der Hauptgnippe .sind sie blos dadurch, dass sie
die Treppe hinanfetiegen, and doreh ihre aaf sie hinweisenden
Hsndbewegongen yerbnnden. Da sie ans am nSehsten stehen,
zeigen sie die grössten Masse ; sie Überwiegen aber trotadem, auch
fonuell nicht, die intellektuellen Hauptfiguren, indem diese, ob-
j?leich .sie im Mittelgründe sitzen, durch die Stufenhöhe Uber jene
l^t'holien werden. Die Figuren -^ind hier sämmtlich nackt abge-
bildet : der Ktinstler berechnet gewissenhaft die wirkliche Lage -
jedes einzelnen Gliedes, damit er nicht nachher, wenn dasselbe yom
Gewände Terdeekt ist, Edpfe and Extremitäten dorthin male, wo
der entsprechende Leib in Wirklichkeit nicht Ranm hai
Der schUesslichen Lösung kommt Raphael wieder am einen
^Mihritt näher auf jener Studie, von welcher wir vier Exemplare
kennen: das des Herzog.^ von Devonshire (iiuland S. 183, Nr. 108);
das des Herrn Gase (Ruland S. 183, Nr. 109); das des Louvre
(Ruland S. 183, Nr. III), und das unserer Reichsbildergallerie
(PsssaTant 241, Rnhind 8. 183, Nr. 110). Er dentet die Schranke,
tof welche sich spftter die Hanptfigur der in der linken Ecke stehen-
den Gruppe stützt, bereits an ; die Grappe selbst hat er anabhan-
giger gemacht — sie ist abgerundeter : die uns am nächsten ste-
hpiide Figur weist mit ihrer Linken, nicht mit ihrer Hechten, nach
dem Mittelpunkt, und so ist die grosse Geste, zufolge welcher ihr
^ üatMtoeh» Bevoe^ U8X IT. Boll. 22
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880 KAPHAIL SARTI IN DIB ÜHOARISCHUI BS^CHSOALUIRIB.
. Arm zwischen die mitteleien Grappen hineinreiclite , hinwegge-
blieben ; im Hintergrunde ftihren jetzt vier Fignren ein Gesprach,
wodurch die bisher zwischen dem Vorder- und Mittolcrniiido klaf-
fende Lücke ausgefüllt ist. Hinter dem Stuhle des (^regorius knien
und stehen auch hier je drei, wie auf der Frankfurter Zeichnung ;
auch ihre Bewegungen sind nur kaum verschieden. Die beiden
Kirchenväter sitzen jetzt ein wenig entfernter von einander und
zwiBchen ihnen ist hinten ein Kopf 8icht])ar; hinter dem Hiero-
Djmos aber, wie auf der Frankfurter Zeichnong, ebenMls zwei,
jedoeh andere — mehr in die Angen fallende.
Der wichtigste Fortschritt, den wir auf dieser Zeichnung wahr-
nehmen, ist der, dass Raphael den Mittelpunkt des unteren Theiles
des GenüUdee — ebenso formell wie intellektuell — jetzt zum
erstenmal bestimmt : yor den KirchenT&tem steht der Altar mit
dem Kelch und der Hostie.
Der Meister ist auch damit nicht zufrieden; die Gmppining
hat noch nicht genug Abwechslung : vorne sehen wir laut^er stehende
Figuren, in der Mitte die drei knieenden, hierauf die sitzenden ; —
das Gektinstelte ist allzu augenfVillig. Er sucht die glücklichen Ein-
falle der älteren Skizzen von Neuem hervor : von den vor dem Throne
des Gregorias Knieenden richtet sich der Hinterste empor und bengt
sich aber seine Gefährten, wie auf den allerersten Studien. Den schö-
nen JOngling, der hier zwischen den Säulen auf das Wappen des Paps-«
tes hingewiesen hat» bringt Raphael jetzt weiter hervor, an den Rand
der im Vordergrund stehenden Ghruppe, — an die Stelle desjenigen,
der dem Beechauer den Rücken wandte ; diesen aber stellt er zwi-
schen die Knieenden auf die dritte Treppenstufe^ Von den hinter dem
Throne konTersirenden drei Männern, nimmt er den Mittleren, der
mit einer gewaltigen Geste seiner Hand auf den Altar weist, heraus
und stellt ihn neben Hieronymus ; dadurch macht er die (iruppe
voller und lenkt die Aufmerksamkeit des Beschauers entschie-
dener auf den Mittelpunkt. Dieses Sta4lium <ler Anordnung finden
wir auf der Wiener (Pussavant 199., Ruland S. 183 Nr. 113), Mai-
länder (Rtthind S. 183 Nr. 112), Turiner (Ruland S. 184 Nr. 115)
und Florenzer Zeichnung (Ruland 8. 184 Nr. 110).
Auf dem Wandgemälde endlich erscheint die Gruppe des
Vordergrundes wieder Termehrt Raphael Terwendet neuerdings Fi-
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»APRABb BAHTI IN VfBB UNOABIROinni BnOHSOALLntlK. 881
fl^reii, wflcho or im Verlaufe der Aiiordnimf^ fallen gehis.sen hatte.
Aiit" der Frank l'nrter Zeichnung iuitten wir hinter liieroii} mus zwei
Männer g(\^e]ipn, von denen der eine iiufwärts und auf seinen Ge-
fährten znriickldicltt, der gegen ihn gel)eugt zu ihm redet. Diesen
lehnt der Künstler jetzt ganz vonie an die Schranke und giebt ihm
ein Buch in die Hand, in welches, über seine Schulter hinweg, der
andere hinein blickt. Hinter ihnen tauchen noch drei andere Köpfe
anf^ 80 dass die anfänglich ans vier Figaren bestehende Gruppe jetat
deren nenn zählt Der ^ÜnsÜer ist demoaeh fortwahrend bemflht
die Gruppen lebendiger zu maehen, wahrend er dagegen die leb-
losen Gegenstände immer mehr vereinfiicht, alles augenfalligeQ
Sehmaekes entkleidet. Die Schranke steht in den Zeichnungen auf
zierlich gegliederten Sttktzen : auf dem Bilde sind diese zu glatten,
viereckigen Pfeilern vereinfacht. Die Treppe hatte auf den Zeich-
nungen vier Stufen; die letzte, höchste, auf welcher die Thronse.ssel
stehen, theilt sich in der Mitte, vor dem Altar, um l)equeraer zu sein,
in drei kleinere : auf dem Bilde ist auch die>< einfacher; die Tn'inx'
hat bloss drei Stufen und die oberste theilt sich iu der Mitte blos in
zwei. Der Altar ist auf der Budapester und Wiener Zeichnung
wiiklich reich : wir sehen auf gesimstem Untersatz an der Ecke
einen Sngel, auf dessen Kopf die Tischplatte ruht ; auf dem ersten
Felde desselben sehen wir eine Tafel mit Inschrift vor einem mit
• ein-zwei Ingeln befestigten Gewebe, Aber welchem ein Seraphkopf
geschnitzt ist; auf dem Bilde ist der Altar ein ^D&eher Würfel, be-
deckt Ton einem glatten Tuche mit eingewobenem Zierat
Auch die Bedeutung der Darstellung wird auf dem Bilde be-
stimmter : auf dem Altar stehen nicht K»'k'h und Hostie, wie auf
d»'n Zt'iclinnngen, sondern die Monstranz, in welcher vor unseren
Aug<'n die Transubstantiaton vor sich geht. Raphael ist consetjuent
bestrebt, seinen Gestalten eine je lebendigere Bewegung, eine je
natürlichere Gruppirung zu geben. Er möchte den Urundriss, auf
welchem er seine Komposition anbringt, in möglichst abwechs-
lungsreicher Weise ausbeuten ; gleichzeitig bestrebt er sieh aber auch
den Gedanken deutlicher zu entfalten und durch genauen Ausdruck
anziehender zu gestalten. Er scheint sich in diesem Bilde die Auf-
gabe gestellt zu haben, den Bau der Set Peterskirche, der monumenr
talen Terkörperung der römischen Kirche, zu Yerherrlichen. Das
22*
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882 RAPHASI* SAim Df IttB IINOiBISOBXN BSICH80ALUSR1B,
grosse Unternehmen zu feiern erschoint am Himmelsgewölbe die
triumphirende, und es versammelt sich auf Erden die streitbare
Kirche. Dies sahen wir auf den ersten Skizzen. Die verschiedenen
Studien beweisen, dass Raphael das IJnkünstlerische dieses Oearpu-
standes empfanden hat Die Unsterblichen mit einem vorübergehen-
den Vorgänge, wie das Bauen, in Verbindung zu bringen, ihr Er-
scheinen dadurch asn motifiren, is für ein monumentales Gemälde
unpaeaend. Dagegen begreifen alle diejenigen, denen die Thatsache
bekannt ist, die Besiehung anf dieselbe auch ans einer kleinen An-
deniong. Der EflnsÜer yerwarf denn auch seinen ersten Gedanken :
die sich erhebenden Hallen augenfällig dannsteUen. Wir sehen auf
dem Freskobilde nur fem im Hintergründe die im Bau begriffenen
Mauern, und dies genOgt, uns an das grossartige Unternehmen des
Pabstes Julius II. zu erinnern. Das höchste Ziel, welches der Künst-
ler sish vorsteckte, war : seine Gestalten wirklich verständlich zu
machen. Seit Jahrhunderten war es gebräuchlich gewesen, derartige
Versammlungen dadurch durzustellen, dass die von der Tradition
geheiligten Hauptfiguren nebeneinander gescliaart, die Erkeunungs-
seichen ihnen in die Hände gegeben oder an die Seite gestellt ^ iu
Ermangelung solcher ihre Namen ihnen beigeschrieben wurden : so
konnte der Beschauer begreifen, was sie susammen genommen be-
deuten. Der in der Symbolik bewanderte Eatholik wnsste, dass
jener Kardinal mit dem Löwen der heiL Hieronymus, jener ffischof
mit der Peitsche in der Haiid der grosse Ketaerrerfolger Skt. Am-
brosius, jener andere Bischof mit dem flammenden Hersen in der
Hand der heil. Augustinus, jener Papst mit dem Vogel auf der
Schulter der heil. Gregorius sei ; und er wusste, dass diese nun
zusammen die streitbare Kirche vorn teilen. Raphael war mit einer
dei jirtigrn Darselluug nicht zufrieden ; er stellte das sichtbare Mo-
tiv der Versammlung hin : den Kelch und die Hostie, als die Werk-
zeuge des heiligen Abendmahles, der obersten Ceiemonie des christ-
lichen Gottesdienstes. Über ihre Bedeutung sinnen, mit ihrer Deu-
tung bemtthen sich die sammtlichen Versammelten.
Schliesslich drückt sich der Künstler noch bestimmter aus :
auf dem Altare prangt die Monstranz und darin verwandelt
sich die Hostie in das Blut, in den Leib des Herrn. So wird
das Schreiben mit Gestalten, welches der mit den Einzeln-
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BAPSAXL SJLVn IV DKE DVOABISCBBH BBICBSOALLBBIB.' 888
heiten der flberlieferung unvertiAute Besclianer nur sebr schwer
entziffern mag, in seinen Händen zur unmittelbar verständlichen,
lehensvollen Scene ; so vernichtet er die angeblichen Schranken,
wflclic (üp sog»^nannte symbolische und die .sogenannte realistische
Kunst Voll einander scheiden ; so wirft er mit seinem schöpferischen
Genie die aus Buchstaben und Wörtern zusammeiigeflickteii Lehren
der modernen Ästhetiker über den Haufen.
V.
Ilatuhcichnutig zw Roxane.
Ein ialent?oller Maler des sechzenten Jahrhundert^ Giovanni
Paolo Lomasso, der sein Augenlicht schon im dreissigsten Lebens-
jahre yerlor, suchte der Kunst, der er bis dahin sein Leben geweiht,
dadurch auch weiter zu dienen, dass er die Ergebnisse seiner Er-
fahmng niederschrieb. Seine Bücher interessiren, nbgesehen von
den zahlreich darin vorkommenden, auf grosse Meister bezüglichen
Angaben, insbesondere dadurch, dass sie die Kunsttheorieu seiner
Zeit treu wieders|)iegeln. In der Idcd dcl Temp'w dclla Vif turn,
welche er 1590 in Milauo schrieb, kleidet er seine Betrachtung in
ein fantastisches Gewand : er stellt sich die Malerei als einen Tem-
pel vor und erklärt sie, indem er die Theile desselben schildert :
»Gleichwie sieben Planeten die Welt regieren, — als sieben Säulen,
deren jede yom Urlichte, Ton Gott, ihren Glans erhalt und hienle-
den, zum Wohle der geschaffenen Dinge, allenthalben Terbreitet : —
also regieren und stützen auch diesen meinen Tempel sieben Re-
genten, gleich sieben ^ulen. — Ich stelle ihre Standbilder im Kreise
auf .... ich stelle sie lebenstreu dar ; ich gehe ihnen die zur Her-
vorbringung ihrer Werke gebrauchten Werkzeuge in die Hände ;
ich verwende zu ihrer Anfertigung das Material von derjenigen
Natur und Eigenschaft, welche dem von ihrer Natur und Eigen-
schaft beherrschten Planeten entsprechen .... Kaphael, der fünfte
Recront, ist Kupfer; was auf sein anmuthiges reizendes, liebens-
würdiges, holdseliges Wesen hindeutet . . . Raphael hat die Ver-
hältnisse des Yennsstemes angenommen, die richtigsten und ent-
sprechendsten unter allen. Die uralten babylonischen Mathematiker,
die jedem Planeten dn seiner Natur entsprechendes Thier zutheil-
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884 RAPBABL SAIITI IN DBB DKOABIDCHeN BBICliifGAUiEiaB.
ten, weiden ebendesbalh der Venui den Menseben za.* Unser Autor
nennt Raphael, im Vergleich mit den übrigen Meistern, mit R<»eht
einen Menschen — einen Menschen nach der Auil'ussnng der Hu-
manisten. Im Gegensatze zu allen übrigen Wesen, die je eine
Eigenschaft repriisentiren. ist der Mensch universal. In Kajihael
erkannte schon seine Zeit diese Universalität, diese Empfänglichkeit
• ftlr jede Idee und Richtung, diese Fähigkeit, die Ergebnisse der
Vergangenheit objektiv zu erfassen — so müssen wir Lomazzo's scho-
lastisches Gleichniss verstehen; — die Nachwelt aber, findet in
dieser seiner neugestaltenden FSbigkeit den Grand dazu, dass allezeit
er als der vollkommenste Personifikator der Renaissance ersebeinL
Als Raphael in Rom anlangte, hatte er sidi in Perugia unter
den religiösen Blalem ümbriens den ersten Rang errungen; in
Florenz hatte er sich die von Jahrhunderten gereifte Frucht der
monumentalen Malerei gepflückt ; er niusste sieh noch die Traditionen
der klassischen Kunst erobern, damit ihn seine Zeit als den Verwirkli-
cher des Ideals der Kunst ])etraclite. Das Vorbild der Renaissance
war das Alterthuni ; ihr Streben aber nicht, es zu kopiren — dies
erlaubte schon ihr »Selbstgefühl nicht — sondern, seine von «bn*
Barbarei unterbrochene Entwickelung fortzusetzen ; den Wettstreit
mit ihm aufnehmend es sogtir zu übertreffen. Raphael selbst spricht
es in seinem, an den Pabst Leo X. geriehteten, die Erhaltung der
alterth&mliehen Ennstdenkn^er Roms betreffenden Berichte aus :
,In der Reihe der Anfjgaben Eurer Heiligkeit, ist mit Recht nicht
die letzte die Bewahrung jenes Wenigen, was von der XTrmutter dee
italienischen Namensund Ruhmes auf uns gekommen ist. Es ist ja
ein Zeugnis» der Hoheit jener Männer, die auch heute, mit ihrem
blossen Andenken, die unter uns lebenden Talente erwecken und
zur Kraftentfaltung anspornen. Es niuss gerettet werden, damit
die Bösen und Unwissenden es niclit spurlos vertilgen und zerstören.
Bis jetzt hat man schon allzusehr die Männer gekränkt, die der
Welt, unserem Vaterlande und uns mit ibreni Blute soviel Ruhm
gebracht haben. Eure Heiligkeit lasse die aus dem Alterthume übrig-
gebliebenen Vorbilder stehen ; strebe rasch sie zu erreichen und zu
übertreffen. Dies thut Eure Heiligkeit ohnehin mit den grossarti-
gen Bauten, mit der Ennnnterung und TTntersttttEung der Bestre-
bungen, mit der Erweckung der Talente und mit der Ausstreuung
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BAPHiBL 8ABTI » DBB T7M0ABISCHBH BB1CH80ALLBBIB. 886
dea hcriligen Samen» unter den christlichen FOniten. Das Unheil
des Krieges gebiert Verderben, den Untergang jeder WisBensdiaA
nnd Knnst; ans Frieden und Eintracht erwächst und gedeiht Sü
s»'ijier Somieiihöhe das Glück der Nationen. Von Eurer Heiligkeit
gottgegebeiier \N\'islieit und Macht erwarten wir Alle, dass dies in
unserem Jahrhundert geschehen wird.*
ir müssen uns allemal an diese selbständige Auffassung
erinnern, wenn wir die italienische Renaissance verstehen wollen.
Wir suchen hier vergebens knechtisches Kopiren antiker Formen.
Wer sie nicht aus Büchern, sondern ans den Denkmalem jener Zeil
kennen lernt, ttbensengt sidi mit Überraschong von der geringen
Ähnlichkeit Bwischen der Kunst TonFloreus und Venedig und deijeni-
gen von Athen und Klein^Asien. Die Benaissanee hat die Statuen nnd
GemElde des Alterthums nicht TerrielfSltigt, sondern — weil sie
mit einer neuen Weltanschauung bekannt wurde, als sie die antike
Kultur von Neuem entdeckte — ihrer Kunst ein von den bisherigen
verschiedenes Ziel vorgesteckt. Die christliche Welt hatte das Le-
ben als fjeideu betiaclitet, die lienaissance lernte es von den Heiden
als Cieuuss betrachten; sie sah als höchste Tugend nicht die Entsa-
gung, sondern den Erwerb durch geistige Arbeit an ; ihre Gedan-
ken waren nicht auf die Deutung iiberweltlicher Mysterien, sondern
auf das Yerstäudniss irdischer Erscheinungen gerichtet. Die Auf-
gabe der Kunst war also nicht mehr die Verherrlichung Gottes,
sondern die Befriedigung des Fonnensinnes der Menschen ; nicht -
mehr die Popularisirung kirchlicher Lehren und Wunder, sondern
die OiFenbahrung der Schönheit des mensehliehen Körpers und
6et Natur.
»Die Vollendung, jenes gewissen Etwas, welches noch fehlte,
sagt Vasari — fanden die Künstler, als die schon von Pliuius ver-
lierrlichten Statuen des Altertluims aus der Erde zu Tage kamen :
der Laokoon, der Herkules, der grosse belvederische Torso, die Ve-
nus, die Kleopati-a, der Apoll." Die Funde wurden gerade zur Zeit
der Ankunft liaphaels inEom gemacht} ja auch von der Malerei
nnd Dekorationsmanier des Alterthums gab eben damals die Auf-
findung der Thermen des Titus einen klaren Begriff. Wir würden
jedoch irren, wenn wir das Zustandekommen der den Geist der
Renaissance am charakteristischesten verirörpemden Bjinstwerke
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836. RiPHAKL 0Aim m DKit UHOABIBCHBK BBlCUSQlLLBBlE.
diesem gltteUidieii Ungefälur zusdireibeii wollten. Ereignisse Ter-
ändern den Lauf der Eoltnr meht, wmm ihnen eine gewaltige Indivi-
dualität nicht das wirksame Gewicht verleiht. Die Wnnder der an«
üken Kunst hätten viele von Raphaels Vorgängern und Zeit-
genossen mit Augen sehen köuueii. Sie sahen aber nicht über
die von Überlieferung, Voreingenommenheit, Gewohnheit geschaf-
fene Grenze hinaus ; sie gewahrten nicht die fruchtbaren Land-
Schäften in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, auf welchen eben
jene Blumen blühten, jene Früchte reiften, welche sie aut dem von
Alters her gewandelten, im Kreis laufenden Pfade vergebens gesucht
hatten* Nur sehr Wenige ahnten« wo das sehnlich erharrte Wort
verborgen liege, wenige entzifferten es und kanm Einige widmeten
sich nebst dem Meister von Urbino der vollkommensten Angabe
des Zeitalters : der VerkOndigung des EvangeEoms der schSnen
Formen.
Wie Satnnras seine ihm Gefahr drohenden Kinder, so ver-
schlingen die aus der Menschen Mitte hoch emporragenden Gestal-
ten das Andenken ihrer Nebenbuhler. Der Anthropomorphisnuis,
der die Völker veranlasste, die Naturphänoraene in ihrer Religion
durch Eigenschaften und Handlungen menschenähnlicher Wesen
zu erklären, macht sich auch in der herkömmlichen Auffassung der
Geschichte geltend : wenn wir von Epochen, Entwickelungsphasen
reden, schwebt uns allemal das Bild bestimmter Individuen vor
Augen. Dieses Bild seigt aber in der Regel mehr, als den in Wirk-
lichkeit vorhanden gewesenen Persönlichkeiten eigen war ; denn
wir dichten ihnen alle charakteristischen Zfige, alle grossen Ergeb-
nisse, VorsQge und FeUer ihres Zeitalters an. Die Saat war Iftngsfc
aufgewachsen, in Ähren geschossen, gereift ; nicht äe haben sie
gesäet ; sie haben sie nur geemtet. Wenn von der Kunst der Re-
naissance die Ilede ist, pflegen wir nur an drei Gestalten zu denken :
an Lionardo, Raphael, Michelangelo. Der Begriff, der so Ausdruck
gewinnt, ist richtig : sie repräsentiren in der Tbat die höchsten
Kunstbestrebungen ihrer Zeit. Doch entspricht ihre von uns gedachte
Gestalt nicht der Wirklichkeit : sie sind zugleich kleiner und grös-
ser gewesen, als wir sie uns vorzustellen pflegen, weil sie mensch-
licher, individueller gewesen sind. Je eingehender wir ihre Ge-
schichte studiren, desto interessanter erscheinen sie uns : wir
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liAi'UAEL öAüTl IN DEK UNOAUISCHKN KKlt'USÜAUJilKlE.
337
gewiliiieu die Überzeugung, duss die Bedingungen ihres Wirkens
doreh das Torhergegangene Wirken vieler KOnstlergenerationen
gttchafen worden sind ; dass sie den Vomuig nieht leicht erruii- ^
gm baben ; dass sie mit würdigen NebenboUem zu ringen hatten,
die ihren 8ieg lange zweifelhafk maehten, welcher eben dadurch
noch glänzender wird. Wir können sie nur dann gründlich würdi-
gen, wenn wir nieht nur die Schlussergel)nisse, sondern auch die
Nebenumstände ihrer Küu8tlerlaufl)ahu in Betracht ziehen.
Giovanni Antonio Bazzi — il Sodoma hat in seiner Entwicke-
long ond Kunst mit Raphael Ähnlichkeit und ist, einen Weg mit ihm
Handelnd, anch nnr nm ein Weniges hinter ihm zurückgeblieben. Er
wurde, wahrscheinlich 1477, in dem Ton den Mittelpunkten der Kunst
■bgelegenen Vercelli in Savoyen geboren, wo er von dem kaum
lokale Bedeutung beanspruchenden Ilundwerksmaler Martino 8p;ui-
zotti blos die Anfangsgründe der Kunst lernen konnte. Die ältesten
seiner uns bekannten Arbeiten beurkunden Lionardo da Vinei^s
Einflnss; es ist wahrseheinlieh, dass er während der Jahre 1497
bis 1500,. aus welcher Zeit uns alle Angaben Aber ihn fthlen, in
fiülano gelebt hai 1501 gelangt er schon nach Siena und kommt
Iiier in unmittelbare Berübning mit zwei Hauptmeistern der umbri-
schen Kunst : Piiitorieehio, der die Bibliothek Piccolomini mit
seinem grossen Wandbildercyclus ausschmückt, und Luca Siguo-
reUi, mit welchem vereint er im Monte Oliveto Maggiore bei Chiu-
suri arbeitet 1507 oder 1508 nimmt ihn der steinreiche Banquier
Agostino Chigi nach Rom und gibt ihm Beschäftigung, als er im
Vatikan mitsammt seinen (Übrigen Kunsigenossen vor Raphael
dss Feld räumen muss.
Die Wände der heute unter dem Namen der Farnesina be-
kannten Villa Chigi schmückt die Hochzeit Alexanders des Grossen
mit Koxane ; ein Bild, dessen Schöpfer, selbst wenn er nichts ande-
res schuf, sich schon damit seinen Platz unter den Vorzüglichsten
der Künstler gesichert hai Die Wahl und Ausführung des Vor-
wurfes bietet gleicherweise ein charakteristisches Beispiel für das
VeihaHniss der Renaissance sur Antike. Aus Lukianos Schil-
derang {AETiQN H HP0J0T02) kennen wir Aetions berühm-
tes Bild : „Wir sehen darauf ein prächtiges Gemach, darin ein
Biauibett ; auf demselben sitzt die reizendste Jungfrau, Egxane :
338 IIAI'HAEL .^ANTI IX DEU INliAKIÖtUEX UEIt'H.süALLEKlE.
iliiT AugüU silul vor ileni «'iiitrett'iKk'ii AleXtindcr selmiiihuft zu
Boden gesenkt. Das Paar ist vou lächeliidon Liebesgöttern umge-
ben : einer derselben steht hinter ihr, zieht ihr den Brantsehleier
vom Hanpt and seigt sie dem Brantigam; ein zweiter eilt ihr
dienstfertig die Sandalen Ton den Fttssen zn nehmen, damit sie sieh
niederlegen könne ; ein dritter hat Alexander am Mantel gefasst
und zieht ilni juis allen Kräften zu lioxane hin. Der Könij' selbst
reicht der Jungfrau eine Krone dar. Als Bräutigamsfiihrer steht
Hephaistion neben ihm, eine brennende Fackel in der Hand, auf
einen liebreizenden Jüngling gelehnt — den Hymanaios, wie ich
yermnthe. Auf einer anderen Partie des Bildes spielen die flbrigen
Eroten mit Alexanders Waffen; zwei derselben tragen seine Lanze,
sich wie Zimmerlente geberdend, die mühsam einen schweren Bal-
ken auf den Scliulti-rn schlejipen ; ein anderes Paar zieht eiiuMi
dritten, der den Kr)ni;^ Hell)st vürst<'llt, auf dem an den Handlialicii
gefassteri Schilde, wie auf einem Wagen, heran. Noch ein anderer
ist in den rückwärts liegenden Panzer gekrochen, wo er zu lanem
scheint, um das letztere Paar, wenn es in seine Nähe kSme, so
erschrecken.*
Aüf Sodomas Gemälde finden wir alle wesentlichen Zfige
der antiken Beschreibung wieder; er schmückt die Scene nur
noch mehr aus, wie der \ icdiuvirtuose die einfache Melodie.
Wir sehen durch die olfnu-n Saalthüren auf Säuleuhalleü
hinaus und in eine ferne Hügellandschaft, die ein von FrUhlings-
gewässern angeschwollener Bach dnrchschneidet Die geschnitzten
Simse des Prachtbettes zeigen Reliefs von Nymphen, Seepferden
und Kentauren; die Draperie des Betthimmels halten Versteck-
spielende Eroten; ihre Genossen aber durchschwilnnen die Luft
und zielen mit iliren siissverwund(Mi(len Pfeilen auf das Liebespaar.
Roxane sitzt mit gesenkten Blicken auf dem Bett; sie i?it nur
noch in ein dünnes Schleiergewand gehüllt; auch dit'sos gleit**t
bereits von ihrer Schulter herab und nur ein neben ihr stehender
kleiner Eros halt es noch einen Augenblick. In ihrer jungfrauli-
chen Befangenheit gewahrt sie es gar nicht, dass der Sros, der ihr
• den Schuh yom rechten Fasse zieht, seine Arbeit mcht ernst nimmt,
sondern mit komischer Anstrengung nur verzögert; auch da«
nicht, wie der andere, der ihren linken Fuss streichelt, schelmisch
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RAi'ILVEL .SAMl IN DEK INUABISCÜKN KEItlUSliAliLBRIB.
riiekwärts hlickt auf div tortgclu'iKlcii Z«»lrii, von deiioii dii' riiu',
eine Negerin, zurückgewauclt und «'iregt, bewundernde Blicke auf
den Bräutigam wirft, der ebenfalls befangen stehen geblieben ist.
Alexander tiberreicht seiner Braut huldigend die Krone ; ein Eros
sieht ihn, den Zipfel seines weiten Mantels erfassend, vorwärts.
Seine Büstting hat er abgelegt ; anch ihrer bemächtigen sich Ero-
ten ; einer hebt keuchend .hinter dem E5nig ein Stück derselben ;
ein zweiter schleppt die Lanze ; zwei tragen den Schild, von dem
ein dritter herunterpurzelt, weil sich die Trager plötzlich nach
ilirem Kameraden umgewandt haben, der sie, im schweren Har^
niscli st«Akend, eben erst einjjjeholt hat. Zwischen ilinen stehen
Alexanders Begleiter Hephaistion und Hymciutios.
tSodonia erklärt mit dem Ausdrucke der Bejj;leitnng die TTr-
saclieu der Alexander und Roxane berauschenden Erregiin«.;,
welche sich auf den Gesichtern der Zofen und Begleiter, im Spiele
der Eroten wiederspiegelt. Er betont nicht, wie Lukianos, den
komischen Kontrast derselben zum Ernste der Hauptfiguren. Der
Auffassung des alten Autors b^guen wir auf einem anderen
Werke der Renaissance, welches in einem Freskogemaide, einem
Stich und drei Exemplaren einer Handzeichnung auf uns gekom-
men isi Das Gemälde befand sich einst in der sogenannten Villa
Ra&ele ; gegenwärtig ist es Eigenthum des Herzogs Borghese. Es
leidet keinen Zweifel, dass es ein Schüler Raphaela gemalt hat.
Den »Sticli liat Jacopo Caraglio, ein Schüler Marcantonio's, verfer-
tigt. Unter den Hundzeichnunf^en wurde das in der Alljertina in
Wien aufbewahrte Exenijtlar iniiucr als Rajdiacls Werk anerkannt.
Erst neuerlich hat Morelli VVieders)»ruch erho))eu und die Zeich-
nung Sodoma zugeschrieben : er hält sie für eine Studie zum
Frescobilde in der Villa Chigi. Morclli's Geschick in der Bestim-
mung von Haudzeichnungen ist so bekannt, dass wir seiner Autoritöt
mit einfachem Leugnen nicht entgegentreten können, wie Lfibke
und Fdrster thaten, indem sie in ihren seither erschienenen Wer-
ken an der alten Auffassung festhalten. Ein Berliner Gelehrter
(wahrscheinlich Lippmaun) theilt diese Ansicht; er sucht sie darauf
zu stOtzen, dass die Raphael zugeschriebene Anordnung auf einer
alten Composition (Miliin 541) fusst, und dass eine derartige Be-
nützung eines alten Kunstdenkmals bei Raphael häufig vorkoninit.
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840
% •
KAPHABL SAim IN DEB UNOABISCBKN BlIüHSOALLBBIB»
hvi .Sodoiiia dagegen in kciiiciu »'iiizigtMi Kalle envieseii ist. Die
Aliiiliclikeit zwischen ihm Werke des Alterthums und der Renais-
sauce ist indessen eine so geringe — wie uns eine sorgfältige Ver-
gleichung sofort überzeugt — dass sie kaum das Uecht gibt, auf
einen Zusammenhang zwischen beiden zu schliesBen.
Ich glaube indessen ein entscheidendes Zcugniss in den Wor-
ten des aeitgendssisclien Schriftstellers Lodovico Dolce zu finden. In
seinem Aretino betitelten Dialog spieehen Pietvo Aretino und
Francesco Fabrini folgenderweise miteinander :
Aretino : .Habt ihr bei unserem Freunde Dolce die 2jeich-
nnng der Roxane, ein Werk von Raphaers Hand, welches auch
schon in Kupfer gestochen worden ist, gesehen?'
Kabrini : „Ich kann mich dessen nicht erinnern.*
Darauf folgt eine lange Beschreibung der Iland/X'ichnung, und
dieselbe lilsst keinen Zweifel übrig, dass dem Autor in der That
eines der auf uns gekommenen Exemplare — yielleicbt das jetzt im
Louvre befindliche — vorgelegen hat.
Das Buch Lodovico Dolce*s ist 1557, im Todesjahre Pietro
AretinoVs, erschienen, der zn dem Werke — dessen Spitze sich
gegen Michelangelo richtet — die Inspiration gegeben und die
Handschrift desselben sicher gekannt hat. Aretino war ein guter
Freund Sodomas, kannte auch Raphael ; er lebte mit ihnen in Rom,
im Hause seines Gönners, Agostino OhigL W&re die Handzdch-
nung Sodoma*s Werk gewesen, er wlirde den venezianisehen Autor
sicherlich berichtigt haben.
Wen ich nun auf Grund dessen die Wiener llandzeichnnng
mit Beruhigung Raphael zuschreiben kann, so kann dies zugleich
als JJeh'g dienen, dass wir in der llandzeichiiung unserer Iveichs-
bildergallerie — der reizenden kleinen weiblichen Figur, welche
eine Studie zur lloxane nach einem lebenden Modell ist — eben-
falls ein Werk Raphael's besitzen. Unland erwähnt die Handzeich-
nung in seinem Katalog (S. 317, Nro XXXI), aber er hat nicht
erkannt, was sie vorstellt. Der Kopf, der Oberleib, die Haltung des
linken Armes stimmt vollständig mit der Wiener Rozane Qberein ;
die vollen Formen ähneln einander Zug für Zug, die abweichende
Haltung des rechten Armes und der Beine aber ist dadurch motivirt,
dass Rozane auf der Budapester Zeichnung steht, auf der Wiener
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RAPHAEL SANTI IN DER TJNfiARISCHKN BEICHöOALLEBIE.
841
diigogfii sitzt, weil auf
die übrigen Figuren
schou gezeichnet sind.
In Agostino Chigrs
Öalen konnten die gros-
sen Meister der Ke-
naksanoe nnbeselirilnkt
sdiaffen. Hier konnten
sie ihre individuellen
Qeft&hle unmittelbar of-
fenbaren. Hier legten
ihnen keine Rücksich-
ten auf einen Herrscher,
auf ein Amt, auf die
AufFassung eines Bestel-
lers Zwaug an. Ago-
stino ist -in seiner Villa
nicht einmal Banqoier,
— daheim ist er aus-
schliesslieh Humamst :
kein einsiges Bild hat
bei ihm Bezng anf den
Handel ; Poseidoni Her-
mes figofhen nnr mit
den übrigen Göttern
zusammen. Er wollte
dou prächtigen Luxus
des Altertliums zu fri-
schem Leben erwecken ;
nicht allein durch
Sammlang alter Kunst-
werke , sondern auch
dnreh Schaffung ihnen
Shnlicher. In seinem
Hause Tersammeltesich
die BUte der rfimischen
GeseUschaft, nnd wenn
dieser die Kumposition vollendet ist« auch
BMidwfehmrag m BndiHPn^
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:TI2 RAPHAKTi SANTI IN DT.K rNOAlttSf'HEN REKilSOALLBRlE.
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BAPHASL SAÜTI IN T)RR 1TN4lAB»CIIBir BUICRBOALLVRIB. 848
er das Tuleut seiner G^ie in Anspruch nahiu, spielte er nicht die
Holle des steinreii lieu Miicens, sondeni diejenige des Freundes, der
die Sehafflust des Künstlers mit seinem verwandten Geschmack
erhöht, ihn mit verstiindigem IJathe unterstützt, ihm mit seinem
TJrtheil beim Schaffen Richtung gibt. Dies berechtigt uns, in den
hier dargefitellten G^enstäuden die frv'w Wahl der Künstler zu
beobachten; und ans ihnea auf ihre dichterische Begabung zu
schliessen.
Michel Angelo*a erste bedentungsTolle Schöpfung ist der Kampf
der Lapithen, — smne letzte das Jflngste Gericht. — Baphael*8
erste die Madonna, eine seiner letzten die Geschichte der Psyche..
Der Fiorentmer Meister beginnt mit der Darstellung des Kampfes
— der TJxbinese mit derjenigen der Andacht ; jener schlieast mit
dem Gericht, dieser mit der Liebe. Aber Raphael verherrlicht nicht
jene Liebe, welche die Künstler Venedigs zu so vielen und so
bezaul)eniden Werken entzückte : er malt nicht die verhängniss-
volle, verborgene l.iebe der Venus und des Paris, welche Zwietracht
und Hader der Menschen und Götter entfacht ; sondern die Ver-
'einignng Cupidos, der welterobernden Macht des Mannes mit dem
opferbereiten, zarten Gemüthe des Weibes — mit Psyche. Eben
darin liegt das Goheimniss des bestrickenden Zaubers, welchen
dieses Werk Raphaers aaeh jetzt noch, Terblichen, von Stfimper^
- banden entstellt, auf den Beschauer übt : dass hier nicht malerische
Darstellung die Ehuptsache ist» sondern dichterisches Schafften ;
dass hier nicht Pinselgewandtheit ergdtzt, sondern wahre Empfin-
dung hn Beschauer verwandte Regungen wachruft.
Und der Maler krönt sein Werk würdig mit der Darstellung
eines von der Befangenheit eines Zeitalters, von der ( le.sclii( lite
einer Nation, von der Anffassnng oiner 8ekte, von detn < M schtiinrk
eines Lidividunnis uinildiiliigigen Vorwurfes, in der rei/eiidsten
Form diejenigen Fmptindungen verherrlichend, die den innersten
Kern jedes Menjichengeinüthes bilden.
Karl v. Pulszky. *
* lux Au«*zug auB «leui 1. iiiiiide der neuen Folge de^ Ai'chacologiai
ErtcKitö.
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344
WORBft DEH RAflä OlOm ÜSOABM.
< •
WOHER DER HASS GEGEN UNGARN.
1.
Es ist gewiss eine sonderbare Erscheinung, der weitverbrei*
tete Hsss gegen Ungarn. Als wäre unser Land der einzige Stören-
fried in Eufopat so wird es von allen Seiten mit Misstranen be-
trachtet» nnd Fanste ballen sich, offen nnd verdeckt, nm auf den
Störenfried lomscblagen. Was hat denn diesen Haas erregt? darf
man wohl fragen; nnd nm eine zutreffende Antwort geben xu
können, muss man den Quellen des Hasses nachgraben.
FVanz Palacky stellte 1836 im I. Bande seiner »Geschichte
von Böhmen" eine allgemeine Hetrachtnng über die slavisclie Wt'lt
t(e<reii den Ausgang des IX. Jabrliuiiderts an, und fand, dass sieli
in Mitte des weitverbreiteten Slaveutums unter den Fiirsten IJatis-
lav und Svatopluk ein höchst fruchtbarer Kern einer eigentümli-
chen nationalen Cultur gebildet hatte, der die grossartigsie Entwi-
ckelnng versprach ; tmd dass sich an diesen Kern mit der Zeit alle
slavischen Stämme hätten anschliesscn mflssen. Wie im Westen
unter dem römieehen Einfluss sieh das irankisehe (und darauf das
deutsche) Reich entwickelt hat: so hfttte sieh im Osten unter byzan-
tinischem Einfluss ein slaYisehes Reich entwickelt, und dieser Theil
Europa^s wäre um ein Jahrtausend frtther zu einer ▼orzllglieheni
Stellung gelangt, als die gegenwärtige ist Allein diese Hoffnung
wurde durch das Vordringen der Ungarn in diesen Kern auf ewige
Zeit«'H verniohtet. Die Niederlassung der Ungarn in der Mitte Eu-
ropaVs ist demnach das allergrösste Unglück, welches die slavische
Welt im Laufe der Zeiten betrotlen hat.
Ähnliche Hetrachtungen und Folgerungen erlauben sich auch
andere Geschichtsschreiber; es ist allgemein bekannt, dass deutsche
Historiker auch die Reformation für ein grosses Unglück dea
Dentschtum's halten. Wenn nämlich statt der geschichtlichen
Ereignisse das geschehen wibre, was wir uns yorsteUen, so wäre
notwendigerweise vieles anders geworden : allein wenn sich denn
doch nicht unsere Vorstellung Terwircklicht hStte, was wäre dann
geschehen? Wir sehen, dass dergleichen historisches Philosophiren
an und fQr sich eitel Geschwätz ist : es kann sich aber zu einer
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WOHKB DEB HAÖf« GEOEK UNüABH. 345
Ansicht verdichte»!, wolcho dio Masse der (iIüubi»j;eTi zum Dogma
irhebi Die Hiuiderttaaseiicle unter den 80 — 90 Millionen Slaven,
welehe lesen ond «ehreiben, haben sieh die Sehlassfolgemng der
Palaeky*schen Betrachtniig angeeignet, nnd sie sehen in den Un-
garn die Fnitdaner jenes allergrrissten slaTischen üng'IOekes, und '
ilas Hiiuloriiis.s ciiior sluvisclu-n Zukunft, di^ sicli in der IMuiiitaaie
wunderschön abspiegelt. \V as ist natürliclicr l iir jech'U Slaven, als
der \VuU8ch, dieses Ilinderniss weggeräumt %u wissen ? i^ud wei-
iev, was ist natürlicher, als der aus diesem Wunsche entspringende
Hsfls gegen die Ungarn, die noeh immer da sind, wo sie sind ?
Ako eine scheinbar ganz unverfängliche Betrachtung wurde zur
Quelle eines nnge rechten Hasses, der an Stärke zu wachsen
scheint.
Und dieser slavisrhe Jfass hesehränkt sifli nieht melir auf die
Ungarn, er uuifasat schon »lie ganze öst^^rreichisch-ungarische Mon-
rvnliie. Xieht selten ersehallen Stimmen aus Uiissland, dass der
Weg nach Konstantinopel Uber Wien und Budapest führe. Un-
längst soll der russische Generalkonsul in Sophia, Hitrowo, in einer
Rede sieh den Ausspruch erlaubt haben, die Tage Österreich-Un-
^m^s seien gezahlt ! Umsonst werden dergleichen Ansbrflche wi-
derrufen oder ni issbilligt : sie stecken im slavischen Gewissen, da.s
Franz I^alacky wachgerufen hat.
Die Anthropologie und Sprachwissenschaft in dem Sinne, den
iie heute haben/ sind Wissensehaften der neuem Zeit, und hahen
such noch nieht die wünschenswerte Bestimmtheit und Vollstän-
digkeit erreicht, die Tielleicht auch gar nicht erreicht werden kann.
Was namentlich die Anthro])ologie anbelangt, so ist es durchaus
nnch nicht ansgeiu.ieht, ob sie auch Ethnologie, d. h. Lehre von
ilfui Entstehen und dem Wesen der V«jlker sein könne, oder ol> sie
«ich auf die physischen Merkmale der Menschen heschränken
mrisse, also bloss Zoologie des Menschengeschlechtes sein dürfe.
Als «solche mag sie kühn das ganze Geschlecht in Kassen einteilen.
Die Bassen haben aber für die Völkerkunde gar keine Bedeotung,
ds auch der verhärtetste Materifdist und Monogenist zugeben muss,
dass der eigentliche Menaeh mit der Sprache beginnt, und dass die
Sprache — wir meinen nicht das Sprrrhvermöffen. sondern wirk-
hche Sprachen, wie das Sanskrit, das Griechische, das iiehräische
VatulMhe Bewck UM. IV. BMI. 28
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346
WOHRR DEB IU.S8 (iKUEN ÜNOABN.
u. s. w. — mit dem Knochengerüste und den Sprechonjanen in VA-
ner metaphysischen Verbindung steht. Denn fände eine solche \ er-
bindung staifc : dann würde jede Menecbenrasse eine und dieselbe
Sprache reden, die besondere Sprache wäre dem Menschen ange-
boren ; nnd er irkte physiologisch '^ar nicht im Stande, sich aoeh
eine andere Sprache anzueignen.
Wie sehr man noch in der Charakteristik der Menschenrassen
schwankt und wie willkürlich man in <ler Aufzählung dersell)en
verfährt, so dass das ganze Geschäft mehr für eine Spielerei mit
Worten und Nomendaturen, als f&r eine wissenschaftliche Classifi-
cation genommen werden mnss, Migen die Gompendien der Vdl-
kerknnde oder der Ethnologie. Im Allgemeinen nimmt man ftr
Europa nnd Asien — die arktischen Völkerschaften abgerechnei
— zwei Rassen an : die Mittellätulisrhc und die Moncfolischr. Zur
Mittelländischen Rasse zählt man die Vfilker der ariselien und semi-
tischen Sprachen, die Basken u. s. w. ; zur Mongolischen Hasse Aw
Japanesen, Chinesen, Mongolen, Türken, die Völker der finnischen
nnd der ngrischen Sprachengmppe, also auch die Ungarn. Wa-
mm man aber die Westfcürken nnd die Ungarn am dieser Basse
' dLhlt, das wissen eigentlich die Anthropologen und Ethnologoi
selbst nicht. ,,Die westlichen Türken sind so stark mit arischein
und semitischem Blute gemischt, dass ihre ursprünglichen Köryier-
merkmale bis auf dio letzten Spuren verloren worden sind und nur
die Sprache noch ihre ehemalige Ahkunft bezeugt*", lesen wir in
PeschePs Völkerkunde. * Da aber die Sprache durchans nicht sur
Charakteristik der Basse gehört, so Mgt man mit Verwondernng,
nach welchem Ghmnde die westlichen Türken dennoch snr mongo-
lischen Rasse gesählt werden müssen ?
Und wo steckt das Mongolentum der Ungarn ? in den Kör-
permerkmalen oder in der Sprache? „Einer Vermischung des zur
monirolischen Rasse gehörenden Stammes der Ungarn mit Slaven
und (iermauen verdankt das kräftige und ritterliche Volk der Ma-
gyaren seinen Ursprung*, behauptet Friedrich Müller. ** Aber wir
* Völkerkunde Ton Oscar PMchel. Zweite Auflage. Leipsig, 187&.
Seite 405.
Allgemeine Ethnographie von Friedrich Müller. Zweite Auflage.
Wien, 1879. Seite 62.
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J
WOHKR DKR JIASS «KfJKK TNt^ARN. 847
mflsHeii tnigeii ; zeigen denn noch wirklicli Kör]iernierkiuali', dass
die Ungarn mongolisclier Ka,sse seien ? Znm leiblichen Typus der
niongolisehen Rasne gehört nach demselben Etlmograplieu, Fr.
Maller, Folgendes : «Das üaupthaar ist schlicht, grob und schwatz
glänzend. Der Bart wt schwach entwickelt, dfinn und Ton sehwar^
zer Farbe ; er wächst in der Regel nur nm die Lippen nnd die un-
tern Teile des Kinnes. Bw^mhärte sind innerhaßt der numgoUtehm
Rasse etwas Unerhörtes,'^ * Nun was passt von all diesem auf die
Ungarn, und zwar nicht nur auf die Kunstmagyaren (ein allemeu-
ester terniinus teclinicns), sondern auf die geraeinen Magyaren?
Gar niclits. Wir sehen hier y.u Lauch' krausliaarige und schlicht-
haarige, hraiinliaarige und hlond-, ja sogar rothaarige Magyaren ;
was aber (h»n Hart und l >ackeii])art anbehmgt, so ist es ja allbekannt,
daas kein Witzblatt in Europa eine nr^järtige Carricatur des Ma-
gyaren geben könnte. Sollte also nicht auch von den Ungarn gel-
ten, dass sie so stark mit slavischeni nnd deutschem Blute gemischt
sind, dass ihre etwaigen mongolischen (?) Körpermerkmale «bis auf
die letzten Spuren yerloren worden sind*, und dass sie demnach zur
Mittelländischen Rasse gezählt werden müssen? Zwingen zu diesem
Schlüsse nicht selbst die Schädelmessnngcn, die in der Anthropo-
logie Ton entscheidender Wichtigkeit sein wollen? Nach die-
sen ist der
Breitenindez
Höhenindex
Diffcrens
der Örtemicher
. . 79
75
4
, Italiener .
. . 79
75
4
« Franzosen
. . 79
75
4
„ Polen . .
. . 79
75
4
„ Baiern . .
. . 80
74
ü
, Magyaren
. . 80
7(i
4
n Rmiiiiueu .
. . 80
7(i
4
« Hlovaken .
. . 81
7G
5
w Kroaten .
. . 82
78
4u.s.w.
. Welcher kraniologische Grund nötigt also die Ungarn zu
einer andern Rasse zu zählen, als die ()sterreicher, Franzosen,
* Ebonda, Srito 412.
** AuR WoUker's Kraniologiachon Miticilnnuren. in PoDcher« Völker-
kande, Soite 559. ^
23*
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\
S4S WOHER DF.R HASH GEGEN UKOAKN.
Baif^ni, Polen, Rumäuen u. s. w. ? Sollte nicht der ]iliilo.s<>pliischp
Denker sieh ^czwuiicrpn fühlen z» beliaupUMi : die Ungarn sind
mit Haut nnd Haar, un»l vom Sehädel bis zur Fusasohle j^enoniniftu
HO gut Europäer, wie alle Andern ? Aber die Sprache! wendet man
ein. Out, wir kommen anf die Sprache snrfick ; hier roflfnen wir
aber da» Keraltat der anthropologischen Fornchnngen geltend ma-
chen« dass die SpfW^ in gar kntter Verbindung mit der Rasfie steht
und nieht stehen kann. Jedoch das VergnOgen der deutschen Philo-
sophen von den Ungarn sagen «n dflrfen, sie gehörten nicht aar
mittelländischen, sondern xnr mont^olischen Rasse, seheint eben so
gross oder noch grösser zu sein, als das der blinden Orthodoxen, von
ihren Na<'lil»arn satten zu dürfen, sie seien Ketzer. Es «^ibt »hircliaus
gar nielits SicliUmn's, wonueli man die Ungarn zn den Monj^olen
zäiilt, was bei dem weit verl>reiteten slaviscben Stamme uml bei
einem grossen Teile der Deutschen nicht aucb erscheint. Aber je-
mand hat einmal deu Ausspruch getan, dass die Ungarn Mongolen
seien, und seit der Zeit klammem sich die deutschen Philosophen
wie ächte Kapuxiner an diesen Glauben, fis schmeichelt der Eigen-
liebe derOlanhe: ich bin orthodox« aber jener ist ein Eetaer,ich bin
Arier« jener aber ist nur ein Turamer ! Was denn aber an diesem
Tnranier das eigentliche Mongolische sei? darum kümmert sich der
Glaube nicht; auch will er es ja nicht wissen, denn er besteht eben
im Nichtwissen.
Der (flanl)e das Minigolentinn »b-r l )i)i;ain scliien anfangs
eben SD nnverliiiit^licb zu sein, wie die I 'alack v'srlic IJetraeldiing.
Aber wie aus dieser der sfarisrhr Hass «;e(r«Mi die l ngarn , so
entpuppte sieb ans dem authropologischeu Glaul>en der deuiache
Hass gegen dieselben.
IL
Im Jahre 18C6 kam der Ausgleich zu Stande« in Folge dessen
die heutige »Österreirli-Ungarische Monarchie* ein diplomatisch
anerkannter Dualismus ist. In Europa und besonders in Österreich
wird dies als eine Neuemn^betrachtet« weil man vergisst, dass der
Dualismus in Wirklichkeit seit 15^7, wo Ferdinand I. 7.um ungari-
schen Könige gekrönt wurde, bestand, I ny^arn batte .seit dieser Zeit
eine eben so unabhängige Gesetzgebung und Administration, wie
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vor 1527. Aiuli «Ins aI»i(«'trt'iiiiU' kSiclH iilüir^^Mi betrHclitete .sicli
uiiuiit«'rlir(nln'ii h1> eiut-n inlc^JirireiKlfii Teil drs Köiii<^r»Mi'h.s Uii-
j^ani, und Lt (»i»i>l(l 1. iihIuii c« 1 (iUO als Köni^ von Ungarn iu Besitz.
Zwiachea den 8eli)ststündigen Laudent dfr ini^Mris<]it>n Krone und
den sogenauutttn Kr)>8tuaten, welche Tcik des duUscIyn Hcichra wa- .
ref», l>eMtand kein anderer Verband, als die Gemeinscbaftlichkeit
des regierenden Hauses, was die «Pragmaiisohe Sanction^ gans ge-
nau auch dadurch ausdrückte, dass Ungan mit seinen Nebenlän-
dem, nach dem etwaigen Aussterben der m&nnlichen und weibli-
chen Linie der Dynastie, frei und ohne Rücksicht auf die «Erb*
Staaten* Aber sich verfügen kann.
Aber trotz der Selbstständigkeit der ungarischen Lüiuler,
niiis.ste die (Jenieinschattliclikeit der Dynastie, nocli mehr aher die
t/i off/ apJii.^r/ic ('(intinuitäfn, genieiiisohaftliclie Ang('l«'<^euluMteii «*r-
/.en^a'ii. Die.se warei) bis iSlS nicht genau uuiHchrii'ljen, noch we-
niger war die Form der Behandlung l'eatgestellt. Der regierende
König von Ungarn beschloss mit dem ungarischen Reichstag Über
dieselben, aber als unumschränkter Herrscher konnte er iu den
£rbstaaten ganz frei entscheiden. Als nun durch die europftiBche
Bewegung Ton 1848 das conttitutionelle Leben auch in den £rb-
ataaten erwachen wollte : da trat sofort die Notwendigkeit zu Tsge,
die gemeinschaftlicheu Angelegenheiten genau zu umschreiben und
ihre Behandlung durch bestimmte Oi-gane fest zu stellen. Es hätte
auch sogleich geschehen können, »si mens non laeva fuisset* hfi-
l)«*n und drüben. AIxt es geschah erst IS«»»», und zwar ii!it»T der
ausdriicklicheu lk'«lii>«^uiifi[ von Srite l n^ariTs, «lass ancli in d»'m ,
sogenannten „Cisleithaiiieii'* di»' ( 'onstitutitnu'lb* bN'^^n rungsforui
eingeführt werde. Diese Bedingung mag <'in politisclier Fehk'r ge-
wesen sein : a)>er sie kann Tor dem Hichtersituhl der Geschickte den
Ungani nicht als 8ttude angerechnet werden.
ieHx Austria nube" hiess es im XVI. Jahrhunderte Im
XVm. und XIX. Jakrhundert hatte dieser Spruch in der Meinung
der Österreicher eine solche Bedeutung erhalten, als wären sie,
die Österreicher, der Bräutigam gewesen, und Ungarn wäre ihr
angeheiratetes Gui Sofort nach dem Ausgleich erhoben sich Stim-
men über ihre Vergewaltigung durch die Ungarn, nnd Über die
Beraubung ihres Eigentumes. Au diese btinuaen schlössen sich die
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850 WOfiBR DBB HA88 OBOBV UNGABK.
•Kittgen der Siebenbfliger öachBen, welche es uneriräglich tandeo,
dass ihre Sonderprivilegien eben so aufgehört haiiten, wie alle andern
Privilegien der gesammten Provinzen. Sie acceptireu sehr »reriie
die Gleichheit des Hechtes für die übrigen, nur sie sollten ein»-
Ausnahme machen dürfen. Die IStimmen und Klagen verbreiteten
sieh in der oesamniten deutschen Presse, und um sich mehr Gewicht
vor der öffentlichen Meinung zn yerschatfen, nahmen sie gewisse
Aasdrfieke zn Hilfe, welche die gesammten Germanen erschrecken
mnssten. Die Vergewaltigung und Beraubung der Österreicher nnd
das ^Erwürgen* der Siebenbttrger Sachsen wird durch „Mongolen*
verül)t I ! Ja wenn die Ungani Arier wären, wie etwa das r'uUiir-
vulk der Krivosciijaner oder der Herzegoviner, dann wäre es etwas
anderes : aber sie sind Mongolen I Und weil niemand recht wamste,
warum die Ungarn Mongolen seien, so fügte man die Erklärung
hinzu : sie sind Allophjlen. Das verstanden alle, es ward nun dem
deutschen Lesepnblikum klar, dass die Ungarn eigentUeh kein
Recht haben in Europa zu wohnen ; sie mOssen, wie die Türken,
hinausgestossen werden. Das slavisehe Vorurteil und der slavische
Hass begen;nen hier dem aiithrojxdogischen Vorurteil und dem
deutschen Hasse ; viribus unitis stürmen sie auf die Ungarn los.
Und nun entdeckte man auch das unendlich hohe Alter d'^r
Ungarn, welches sie zu jeder politischen Action unfähig mache.
Paul de Lagarde vericfindete «urbi et orbi*, dass er bereits im No-
vember 1853 das physische Alter der ungarischen Nation geltend
zu machen suchte, ^welchfs von vome herein vermtft^n hei^^ dass
dics(jlhe (jefjmwärtHj ccrhrduchf ist* Damals hatte, wie es scheint,
das deutsehe Puljlikum hiefür noch kein Verständniss ; aber seit
1801) ward es zur Auf- und Annahme solcher sil>yUischen Weisheit
befähigt. Darum erzählte ihm Paul de Lagarde 1870, dass er „im No-
vember und Dezember 1844 mit Max MttUer bei Friedrich Bttckert
peraisch horte, und dass damals dieser Meister auseinandersetzte,
dass die Sprachen Südindiens mit den turanischen Idiomen Hoch-
asieus tdeell verwandt seien, wonach dann die Indogermanen und
Semiten als ein Keil zwischen den turanischen Stäniuien ('rnrauier
und Südindier), als die älteste Lagerung der geschichtlichen Vi'H-
ketbil(lmi<f gelten könnten.** «Ist nun diese Anschauung Rückerts
richtig, meint de Lagarde» wie sie es ohne Frage ist, so gehören die
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I
WOHBB DBB HABS 6B6BH ÜBOABH. 351
Tiimnier (also auch die Ungsrn) einem Altertume an, das vor aller
semitischeil und indogermanischen Entwickeluug liegt.* Die Un-
garn gehören also zu den prähistorischen Völkern, die schon ver-
schwunden oder im Verschwinden begriffen sind. „Den Ungarn
eine politische Rolle unter den historiselion Völkern zu erteilen,
kann eben so wenig ern.stliuft gemeint nein, als wenn ein Arzt
einen Achtziger zum Heiruteu und Kinder erzeugen auhalteu
wollte.- *
Paul de Lagarde stellt sich die Nation der Ungarn wie einen ,
alten Raum Yor, dessen Mark längst modert, dessen Zweige abdor-
ren und der Ton aussen und von innen keine neue Lebenskraft
erhalt. Er kennt nicht die Noth der Anthropologen, die in den Un-
. gam, m^m deren starker Vermmhung mit iSZatwn- und C^ermanen"
biiU, das Mongolentum nicht herausfinden können, das sie dem
anäiropologischen Credo gemäss suchen. Gerade aber diese Blut-
vermischung beweisst, dass die Ungarn die allerjüugste christliche
Nation in Europa sind. Das physische F ortbestehen einer Nation
liäugt durchaus nicht von der Sjirache ab, tn)t/ lUni, dass diese
das psychologische Princii) derselben l)il(h*t und ihr ethnisches
Fortbestehen bedingt. Es ist nicht nur (l('iikl)ar, sondern historisch
erweisbar, diuss das Blut der Arpaden und ihrer bchaaren heute den
weit geringsten Bestandteil der Nation ausmacht ; aber die frem-
den, slavischen, germanischen etc. Zuschlisse sind Ungarn gewor-
den, uud die Nation besteht. Es ist aber auch denkbar, dass das
Blut der Arpaden und ihrer Schaaren unTermischt hätte bleiben •
können, .und dennoch wäre die Nation erloschen, wenn die Indivi-
duen des unvermischten Blutes nach und nach, etwa zur Zeit, als
sie das Christentum annahmmen, oder als sich die Reformation
unter ihnen yerbreitete, die ungarische Sprache verlassen und oine
andere sich angeeignet hätten, was mit vielen andern Nationen
wirklich geschehen ist. Die Sprachen, oder die Seelen der Nationen
sterben nur so al), dass die redenden Iiulividuen sie verlassen uiul
vergessen. Das Christentum hat aber die ungarische Sprache nicht
iu die Vergessenheit geätoäsen, die iiet'ormatiou hat sie im Uegeu-
* Über die gegenwärtige Lage des deatechen Beiche, ein Bericht,
erstattet von Paul de Lagarde, Dootor der Theologie a. Philosophie n. §. w.
Gottdngen, 1876. Seite 11.
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852 WOHBB Vm BASS eEGKM VNGABK.
teil gewaltig gefördert, ao wie ihr die* Bildung der neuesten Zeit
nicht nur keinen Abbruch Terursacht, sondern, sie Tielmehr kraftigt
und ausbreitet.
lU.
Es ereignete sich aber etwas Ungeheures. Die Repräsentanz
▼on Budapest beschloss mit einer Stimme Mehrheit die Sperrung
des deutschen Theaters. Wir, hier in Budapest, betrachteten diesen
Beschlnss der Repräsentanz als eine betise, die früher oder später
aus dem Wege geschafft werden mnss und werden wird. Aber nicht
s(» Audere. Als wäre ein Pfeiler des Firmaiiieiits »geborsten und als
jiiiisste man augtMiblieklicli tiirchteii, <las,s das IJiniiiit'lsgewöllir ein-
stürzt, .fractus illaltatiir orhis* — so <n"liehteii die 50 Millionen
Deutselie. Und die Redacteure der Zeif scliritten <^alten sirh das }^e-
geuseitige Verspreelien, die Ungarn y,u ignorireii, ausser man wollt«
ülier sie 8chittij)ien. Nun, <]ie Ix-tis«' ist längst gut gemaeht vv<u--
den; liessen sicli doch alle politiselien Felilgritt'e und Fehltritte überall
SO leicht gut machen! — die Vorstellungen im deutst hen Theater
haben ihren ungestörten Verlauf, mit und ohne »Meiuinger* ; der
AehilleflKom der deutschen Redacteure verkocht anch nach und nach :
aber «manet alia menterepoetum Judicium,* dk Schliessung des detd-
sehen Theaters htetU doch unvergesdich. — In letzter Zeit wird Un-
garn so behandelt, als siSnde es wirklich unter der Vormundschaft
voll Deutschland, und als wäre Ungarns Kr»nig, Franz Josef I., nichts
auderes, als ein Kosakeiilietinan, oder ein iiidianisrlicr Knzihf!.
^Lhyjarn ist ein Stück deitf scher und i.nivntnl'isrlirr Friujr. Mit
der Ht'freiiuig der Länder, di»* unter türkischer Herrschaft standen,
und die mit Hülfe Europa's frei wurden, ist die Aufgahe, die Kuropa
dort liat, nicht zu Ende geführt.** »Wie mau sich um die Junerver-
hältnisse von Hosnien, Bulgarien u. s. w. bekümmert, so muss niaa
sich in gleichem Masse um die von Ungarn bekümmern.'' — ,,In Uu-
gam gehören die Magyaren su den ingrimmigsten Feinden Deutsch-
lands.* — ,Es ist keine Frage, dass im Augenblick schwerer äusserer
Gefahr der Hagyare nicht zu den Freunden Deutschlands sich
stellen wird." *
Der y«r&8ter dieses Artikek greift weit surllck in der orien-
* Allg. Aogtb. Zeitnng* ^ November, 1881.
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WOmB DBB EASS CSOBH UliOABV. S58
t
talischeii Fra^t*. S«»it die Türken aus Ungarn vertrieben wor«1eii
sind, hat sieli manches ereignet, was <lie deutschen <ielehrten
niehf vergessen söllten. Aher aueh zur Betrt iiing TugarnH von der
Türkenherrsehaft hat Europa sehr, sehr weuig beigetragen. Die
deutsclien Fürsten thaten wohl dazu, aus Schuldigkeit gegen deu
Kainer, der freilich auch König von Ungarn war : allein sie liessen
sieh ihre Dien.ste gar theuer hezahleii. Doeh aUe« dies ist vorüber. —
Nun folgte der Krieg um diuErbtheil Maria TheresiaV Alle Mächte
Euiüpa's, zumal alle Ffirsten DeutiEichlands, Prenssen an der Spitse,
hatten die Pragmatbche ISanction garantirt, ho wie sie aueh die
ungarischeii Stände angenommen hatten. Und siehe da, alle
Mächte, Preussen an der Spitze, wurden wortbrQchig : nur die unga-
rischen „Mongolen* hielten nicht nur ihr Wort, sondern zogen auch
das Sehwert für Maria Tlieresia gegen Prcusseu, iiuioni u. s. w.
Wi Y wollte damals den Orient in Verwirrung bringen und wer ret-
t«de damals den (isterreichiseh-nngarisehen Orient? — l nd als sieh
der Herzog von Hraunseliweig die iStietVl und Sporen putzen Hess,
um nach l'aris zu reiten : war es nicht wieder l'reussen, das Leo-
pold II. drUngte einen nachteiligen Frieden mit deu Türken zu
schliessen und diesen das grosse „ungarische' Bollwerk, Belgrad,
zurückzugeben ? — Und abermals auf den Schlachtteldem gegen
Napoleon verblutete nicht Österreich-Ungarn mehr ftlrDeutschlandt
als flßr sich selbst? Doch auch das ist TortLber.
Wie stellt sich nun* der Verfasser des angezogenen Artikels
die fjosnng der orientalischen Frage vor? Etwa so, dass in Buda-
pest nicht ungarisch, in Agrani nicht kroatisch, in Bukarest nicht
runiiiniseh, in S( rhien nicht serbiscii, in Bulgarien nicht bulgarisch
verhantli'lt u crdi'n soll? Oder s(dl hios in Uudajiest das Tugarische
gestrichen werden, denn nur liier wohnen Mongolen, in den amlern
genannten Ländern aber lauter \ ölker mittelländischer Kasse, lauter
pure Culturvölker? Besteht darin die Lösung der Orient4dicheu
Frage? Ja! jal muss es heissen, denn „in Ungarn gehören die Ma-
gyaren zu den ingrimmigsten Feinden Deutschlands." Was hat deu
, deutschen Gelehrten diese Überzeugung beigebracht ? Mochten sie
doch heikommen und unter uns nur einige Monate leben und sie wür-
den eines anderen fiberzengt werden. Lasst euch nicht durchDr.Kudolf
Heinze abschrecken, der tou »stner amteroräml^chm SjHmmeÜe
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WOHBB DIB BASS GStOKS DH01B5.
der cthnoyraphisckcn Vcrsi'hicdcnJmt'^ /wisclifn den Uiifj^arii uud deu
Deutschen aiis irgend ein eu Compeudium etwas gelesen hat und nun
damit und mit ähiilichem Zeuge seine Klageschrift spickt* Er
findet in dieser Verschiedenheit einen tiefer liegenden Grund aaeh
der Niehtversdbmelzong der verschiedenen Volksindividuen in Un-
gacn : denn als Gelehrter hat er natOrlich nirgends, nicht eimnsl
in Deutschland, das Volksleben unmittelbar kennen gelernt Der
Bauernstand ist überall excluöiv, selbst wo die Confession uud Sprache
keine Scheidewand bilden; der Bürgerstaud, der Stand der Industrie,
des Handels, der (ielehrtenstand lassen sich durch die erwiilmte
Scheidewand nirgends absolut trennen. Der Adel vollends keuni
keine Schranken ; die deutsche Baronin hat von jeher den ungari-
Baron sehr gerne geheiratet und umgekehrt, aumal wenn Grundbe-
sitz oder Kapitalien den procus machen. Kommen Sie also getrost
her, Sie Gelehrten Deutschlands, und um sichere Beobachtiin;^»'!!
machen zu können, lassen Sie ihre Köpfe durch Virehow in Berlin
oder durch v. Holder in Stuttgart messen, und bringen Sie die Masse
mit, um sie au die sabnormeu und un europäischen" Köpfe der Ma-
gyaren anlegen zu können, uud selbst die ausserordentliche Spann-
weite der ethnographischen Verschiedenheit su constatirenl
nTls ist keine Fragen behauptet der angezogene Artikel der
Allg. Augsb. Zeitung, dass im ÄuycnhlicJc äusserer Gc/'alir der Ma-
gyarc nicht zu den, Freunden DeutscIiJands sich stellen tvtrd*^ — Doch!
meine Herren, es ist das eine Frage, auf welche teils die TTeschichte,
teils auch die Gegenwart eine Antwort zu geben wagt. Uftgam ist
<^ne die herrschende Djfmetie nkiht denkbar ; Böhmen und Österrdch
aber sind ohne dieselbe wohl denkbar.
Das slavische Vorurteil uud der slavische Hass gegen Un-
garn braucht, auch selbst vor deutscheu üeleiirten, nicht bewieseu
zu werden.
Was ist also in der Zukunft die notwendige Stellung der
Ungarn? Es ist die Stellung der herrschenden Dynastie! Und noch
mehr wagen wir zu prophezeien. Wenn der Ur-Urenkel des Herrn
Franz y. Löher die Grabstatte der siebenbürge r Sachsen, deren «Er-
* Hnngariua. Eine Klu^auchrift. Vou Dr. Rudolf Hoiuze.
Hungarica. Seite 21.
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VrOESSt DS& HABS 080SH UNOABN. * 85&
würgiing" s»'iii Ahn als «mii zweiter Jeremias beklagt Imtt^, besu-
uheii wird, und tr in Huil;ij)L'st, mit einem Worte in Ungarn, noch
herrschende Mong(tlen vorfindet : dann werden ihm gewiss in Iler-
nianstadt deutsche Jinigtii ,Sie sollen ilin nicht haben!" und „Was
ist des Deutschen Vaterland ?* entgegen singen ; findet er aber hier
keine herrschende Mongolen, da wird ihn sicher kein deutsclior
Grnss in Siebenbürgen empfangen. Denn gewiss, nicht Deutschland
würde durch Ungain und Siebenbürgen vergrössert worden* sein l
IV.
Die Sprache der ungarischen Reichstage und dea dffentlichen
Lebens in der Administration nnd der Rechtsi)Hege war seit 1527
lateinisch. Das Latvinische war im XVI. XVII. Jahrhundert auch
anderwärts die Sprache des Staates, der Kirche, der Wissenschaft.
Zuerst verliesseu die roinaniehen Völker und das stark romanisirte
England die lateinische- Sprache ; zuletzt auch Deutschland. Der
ungarische Reichstag verhandelte zuerst 179%i in ungarischer
Sprache, doch die iiesetze wurden bis 1832 lateinisch verfasst; seit-
dem wnrde die ungarische Sprache zur diplomatischen erhoben.
In Siebenbfirgen war die Sprache der Landtage nnd der Ge-
setze Ton 1550 bis 1690 ungarisch. Aus Unwissenheit oder Vorsatz
schreibt z. 6. W. St. Tentschlander, dass in Siebenbürgen nnter den
bcsondem Fürsten die Geschäftssprache Iciteinisch war. * Nur die
wenigen Lautltage von 1000 — 1840 verfassten ihre Beschlüsse
lateinisch ; die letzten Landtage waren aber wieder ungarisch. Die
heilige vScheu vor dem Un<j;arisclien, welche die Siebenbürger Sach-
sen iu unsern Tagen' ail'ectiren, war vordem mclU sichthart und sie
* Michael der Tapfere. Ein Zeit- und Charakterbild aus der fle-
scfaichte Rumäniens von W. St. Teutschländer. Wien 1879. Seite 2. Diese
Behauptung Teutschläiulcr'a ist um so iinfVallfinlor, da er sich in der siebcn-
Itürginchcn GeHchichti' 1)> wandert zeigt. Udor \r,\iU'. er wirklich keine Notit«
von den unzähligen .sielioiibürgischon ]>umUagcn von Johann iL bis
Apafi ? und hätte er auch nie die „Approbata" und „Couipilata" gesehen?
84nn Held selbst correspondiHe ungarisoh mit den stebunbirgisehfln (Shos-
sun und dem Pürsten. Oder sind dies alles non-entia in den Augen des
deatsch-scbreibenden TentschUbider*s ?
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356
WOHBB DD SiS8 WEM OVOAlUr.
hatten sich auch wirklich durch die KcuntniH« des Ungarischen
nicht (legi'üdirt, was sie jetst zu hefürchten scheinen.
»Die lateiiiischo Spracht? war ein neutrales Territorium* fl\r
alle Nationalitäten in Uiigani," sa^t iin<l .s('lin'il)t man. <ianz rich-
tig. Al>er wer nalnn iiiid komitf an dit'si m lu-iihalen Tcnitoriuni
Anteil nehmen? Doch nur die (h^sclmltcu, tilkr SationaliUkkn. al.so
die (jeruujstc Zald der Gcsammtbcvulkei nny. Datt eigeutiicke VolJ^
aller Natioualitilteu war auHgeschluMsen.
Nun tritt die ungarische Sprache au die Stullü des Lateinischen.
Wer kann jetat von den 13 Millioneu — denn Kroatien nnd wan
daran hängt steht mit seinen 2 Millionen in dieser Hinsicht ttir
sich da — wer konn jetct, wiederholen wir, yon den 13 Blillioneu
an dem öfientlichen Leben Anteil nehmen ? Erstens die Geschul-
ten der ü Millionen Ungarn, zweitens die Geschulten aller andern
Nicht-Ungarn, mit dem grossen Unterschiede jedoch, dass die
Sprossenleiter aller dieser Geschulten viel tiefer herabreiclit, als tlieje-
nige der in der latciiiisclien Sprache (Jeschulten. Schon heute gil>t e.s
in Ungarn sehr wenige <«e.scliulte - - ausser den siehenbürger Sach-
sen und denjenigen Slaven, deren Blicke anderwärts ihr Mekka
suchen, in denen aber nur der blinde Magyarenhass des , Deutscheu
tSchulverein's" uud des gesamniten deutschen (ieh hrtenstandes „im
Augenblick »chwerer äusserer (Jefahr" warme Freunde DentscU-
lands sieht — schon hente gibt ee in Ungarn sehr wenige Geschulte,
denen die angarische Sprache fremd ist Dadurch also, dass dus
ungarische Sprache a» die SMe des LateimscheH getreten ist, gesehak
Niemandem der geringste Alfbruch.
Es ist aber dies nur eine Übersetzung der Germanisation in
das Magyarische, die unter Joseph II. und Franz Joseph nicht ge-
lingen wollte, beliauptt't Dr. IJudolt llein/.e, und /war eine Uber-
setzung bereichert mit Unbill und Hedriickungen »dine Ende.*
Lassen wir die Zeiten Josei)li'.s II. aus dem Vergleirbe weg, denn d«;r
Widerstand gegen dessen lLeiV)ruien loderte zuerst in den Niederlan-
den auf, und auch die siebenbürger Sachsen erkobeu ein gar kläg-
liches Gejammer dagegen,** nnd vergleichen wir bloss die Zeit
* Hungarica, Seite 7.
** Siehe .Die politiMche Roformbewegnng in Siebeabflrgen lur Zeit
JoMph*t IL und Leopold*« II. Von Dr. Ferdinaiid von Zieglaaer. Wien,
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WOHER DER UASH OBOKN UNOABN ßT»?
1H:,0— 1S60 mit tW Zoit nach 1S(57. Iii <l.'n .luliivii IH'.U— l.sr.O
iliirttf» kein Blatt }^<^K*''i il«-** Ihm rscluMule System so .sclireibeii wie
hont*» (las *Siel)enbUrgisch-Deufscl»e T.ijrblaft" «^e«»eii die ^uiugyari-
Ache Tyrannei*^ schreibt; damals (hirlte sich Niemanil so irei änsseni,
wie man sieb beute im nncrarinchen H^iehfitage äussern kann; wenn
es ein ungarischer Zay, Wolf, 8teinacker u. s. gewagt hatte
gegen das System nnr in einer Kneipe so zn wispeln, wie sie heute
im ungarischen Reichstage laut und mit einer gewissen Ostentatton
declamiren, wäre er flugs hinter Schloss und Riegel gesetat worden.
Sie sehen, Herr Doctor, die Obersetzung in das Magyarische er*
reicht bei Weitem nicht das deutsche Original.
ITnil iler Vergleicli liinkt auch sonst noch gewaltig. Damals
wartlas Deutsche von 2 Millionen Einwohnern gegen 11 Millionen
Nicht-Deutsche zur diplouiatisclien Sprache gemacht denn aucli
hier wollen wir die Kro.it^^'n bei Seite stellen — ; heute ist das Uu-
garischo von G Milli{»nen Staatssprache gegen 7 Millionen, die
aber deutsch, slowakisch, walacliisch, kroatisch, serbisch, ruthenisch
a. s. w. sind. Herr Hein/e glaubt sich wohl zu der Annahme berech-
tigt, dass bei der Volkszählnng am 31. Desember 1880 ^dUe Hebel
und Künäe, vielfach auth TäuM^ngen und Drohunffen in Bette-
gmig geseM worden nnd, tm die mag^iseJten Rubriken aufgU'
homehenj* allein er yerabsäumt es Beispiele solcher Hebel und
Künste, solcher TäMschmtfen und Drohungen her zu zählen, die
ihm doch wenigstens aus «dem Laude der Sachsen" in grosser
Menge mussten mitgeteilt worden sein. Das, was er in der Note
(Seite S) über Ihnlapest anfiilirt. ist durchaus nicht hinreichend,
seine Aunalune von dem \ Orwurfe der Verläumdung /u reinigen.
Aber er selbst muss gestehen, <lass für die 6 Millionen Ungaru
nicht uur das historische liecht plädirt, soudem auch das Hesit/-
thum und die Societät, wie sie nun einmal bei uns, gut oder schiecht,
beschaffen i.st
Nichts desto weniger, meint Dr. Heinze, hat Ungarn doch
kein Recht, das Ungarische zur Staatssprache zu machen, denn es
ist nur ein prähistorisches Fossil, hingegen das Deutsche der 2
l^'^l. St'it«^ nt. r,o, ."."^ n. <<. w. ..riisi'i'- f^fliloji siml ^\'\o scliincrzli;irt«stcii
tunl nnsl rt' nii \ i rdn nt i n l>rangsale »iiid uubt'.sclueiiilich niederbeugend,"
so jauimerten «ie 17{<9.
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358
WOHBB DER HASS OKOBN imeABN.
Millionen Eiuwolmer Uii^arif s liat 50 Millionen ändert^ Deutsch*'
mit einer nberreichen Literatur zur StUts^.
«Wie die uralaltuische Sprachengruppe überhaupt, ist das Ma-
gyarische auf einer Stufe der sprachlichen Ansbildong nnd Aos-
druckweise zurückgeblieben, welcA« verglichen mU der EniwiiMmig
anderer Ijmdeitspraehen einen prähisforischen Charakter an
trägf^ (Seite 10). So spricht der an lUrxlsinn reichende arische
Hochdünkel, der U'idor auch der Wissenschaft nicht fem hh'i))t.
»Als nächste Verwandte der Magyaren gelten die Ostjaken
und die Wogulen ; ihrer Sprache stehen in Europa am nächsten Fin-
nen, fisthen, Liven, Lappen.* Dies soll natürlich die Wertschätsnog
der »Magyaren* Terringera. — In der stolzen Verachtung der Finnen,
Esthen u. s. w. begegnet Herr Dr. Heinze einer bedeutenden Zahl
von Vollblutmagyaren, die ihre Nichtkentniss für Wisflensehaft
Ii alten, wie der Herr Doctor. — Es steht auch durchaus nicht, was
er uaclilier beliauptet, dass das I.ateinische seit l^ erdinand 1. th's-
wegeu als Staatssprache gegolten hat, weil keine der lebenden Lan-
dessprachen für den allgemeinen Gebrauch geeignet und ausreichend
schien. Der ungarische Stil des XVI. Jahrhunderts war gewiss dem
Stile Martin Lnther^s vergleichhar ; der ungarische Stil des Xvil.
Jahrhunderts aber Übertraf den deutschen Ourialsiil desselben
Jahrhunderts ; die Sprache der damaligen ungarischen und deut-
schen Wissenschaft könnte sich külni die Stange halten. Nur hat
der Herr Doctor auch liier das Vorrecht mir nicht zu glauben, denn
er kann seine Unkenntniss für Wissenschaft halten.
Er stellt der ungarischen Sprache auch damit ein »testimo«
nium paupertatis* aus, dass sie keine Dialecte erzeugt hat Nun die
Volksdialecte neben der Schriftsprache sind wie die Feldblumen.
Diese haben für die Botanik grossen Werth, die Oekonomie be-
trachtet sie aber als Unkraut und jätet sie aus. Auch die Dialccto
haben für die Sprachwissenschaft einen hohen Werth : der Cultur
des Volkes sind sie aber nicht förderlich, sondern hinderlich, darum
jätet sie die Schule überall aus. Dass die Sprache der ü Millionen
Ungarn auch Schriftsprache ist^ hat einen nicht genug zu scha-
taenden Vorteil ftlr ihre Cultur. Das Uebel der Dialectaersplitte-
rung fühlen bei uns die zahhreichen Slayen ; hat man doch Mfih«»
herauszufinden, welcher Dialect wohl den Meisten verständlich ist
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WOHER DBB HARB OBCHm ONOABN.
359
,£)ie Dürftigkeit des magyurisehen Idiome hafc nichtt wie die
westeuropäischen Sprachen, swei Tenchiedene Worte für »nnga-.
riseb* nnd «magyarisch*.
. Es lastet wie ein VerhSngniss anf dem yielepnichigen Reiche
nnil (lesscn Hürgoni, dass cli(» ^unj^^efüge" »Sprache des herrscheiideii
Stammes die Vorstellung von einem l nfcerschied zwischen diesem
seinem Stamm und der Gesummtkeit gar nicht aufkommen lässt.
Die magyarische Sprache hat für «ungarisch* kein Wort* *
Kaiser Sigmund soll sich einmal das Recht angemasst haben,
das «xrammatische (^enns der lateinischen SubstanÜTa 2u bestimmen,
sei er doch genug Kaiser dazu. Die deutschen Gelehrten, vcrniuth-
lich von den 8ie])en])iir<^er Sachsen ermuntert, wollen nun den
Sprachgebrauch der verflossenen zehn Jahrhunderte rrtormiren;
sie dürfen doch dazu genug Gelehrsamkeit haben ! Die occiden-
talischen und byzantinischen Schriftsteller des IX. und X. Jahr-
hunderts benannten das neue Volk Ungern (fälschlich »Ungarn*,
wie es jetzt gebrftuchlich ist), ungerii, olyyQoi, und das von ihnen
occupirte Land Ungern, Ungarn. Unter diesem Namen verstand
und versteht man iiit'iiiaud andern, als die „Magyareu.'' I)a.ss
das Land und das Königreich Ungern, Ungaria, Hnngaria benannt
wiir(l(>, hat seine historische Wichtigkeit, die sich nicht w^iäugnen ^
lässt ; dass man aber unter dem Namen Ungern, Ungarn, nur die
Magyaren yerstanden hat und yersteht, das kann auch niemand
lingnen. Nun wollen die deutschen Gelehrten, dass die Sieben-
bQrger Sachsen, die ungarischen Deutschen, Slaven u. s. w. «Un-
garn" genannt werden sollen. Dagegen haben wir keine Ein-
wendung.
Es ist ferner nicht /u läugnen, dass die ungarischen lieichs-
tage mit ihren Königen die Gesetze nicht für Deutschland, f«ondem
für Ungarn geschaffen haben, und auch kOnftig nur fOr dasselbe
schaffen werden. Aber die deutsehe Wissenschaft dient uns eben
so wie die französische, die englische u. s. w. und wir trachten uns
die Gedanken und Ideen derselben anzueignen. Die europäische
Wissenschaft, ob sie in deutschem, französischem oder englischem
oder italienischem u. s. w. Gewände erscheint, leuchtet allen, wie
* Hongarica, Eine AnklagesohrifL Seite 15, 16.
360
WORIB DIE SA8B OMIll ÜIIOABN.,
ilie Soinic. an dcn'ii »Strjihleii wir uns wärinen. Trotz tlioser ffe-
iiH'insrli.ittliclipn Erwiirmiin^ niüssj-n wir »loch in Un^^ani nianch-
in:il l't'l/,*' tra^rii. wenn solcli»' uikIitsiwo iinaussf (^Iilicli Ikmss niaclion.
iJi«' Kleidung njuss sich dem loealon Klima anpassen, sowie tlie un-.
gariache Geflet/gehiiu^ den particuiaren Verliältnisson zn ent-
fiprßchen versucht. Dazu IxMiiUzt »ie wohl tVip ^rogs^n Literatnren
Enropa*«, aber sie darf uie für die Länder dieser Literaturen ar-
beiten.
' »Die deutsche Sprache wird der andern Hälfte der Monarchie,
dem Heer und der Dynastie zum Trofx mit Fnssfritten behandelt*'*'
— Dip andere Hälfto dpr Monaroliie hat iliro rijjrenen Sort^en, wir
wollon ihr die »iiiseri«_(en ni» ht atit "hi'irden. — Heer ist kein
<leut~s( hos, sonch'rn ein (isterreieliiseh-nii^arisrlips llej»r, in dem nirlit
nur von Ueehtswegen, sondern auch aus Itüok-^iohi für das W»dd
der Arme« kein deutscher Offizier eine 8teUe finden sollte, der mit
seiner Mannschaft nicht in deren Sprache reden kann. Die Hohe
Dynastie gar nicht zn erwähnen, wäre das Allerschickliehste. we-
nigstens solange Frans Joseph I. lebt. Die Hohe Dynastie lässt seit
einem halben Jahrhundert die Prinzen in der ungarischen Sprache
unterrichten. Kaiser und K$nig Franz Joseph — mSge er ddch
. noch recht lange leben I — ist den Deutschen sehr wenig Dank
schnldig. Denn wo waren denn alle deutschen Gelehrten, als man
die Hohe Dynastie, trotx ihrer nr-uralten Rechte, ans Deutschland
verdrängte? Und jetzt «Irohen sie »mit dem Drucke einer mäch-
tigern Hand!** Ja, im Artikel der ..All'^em. Au^^sh. Zeituno^" vom i'O.
Pebr. 1882 spriclit es Dr. Heiuze tijanz deiitlicii aus: „Asiaten woIKmi
als Asiaten hetraeiitei und behandelt w«M'den, auch wenn sie in
Europa wohnen !'* — Ungarn^ oder wenn ISie wollen, Magyarien, kann
ohne die Hohe Dynastie niclit gedacht werden. Wem gehört denn
die mächtigere Hand, deren Druck auch Ungarns König empfinden
müsste ? Und wer soll die Asiaten, d. h König und Ungarn, asia-
tisch behandeln ? Hat wohl der Herr Doctor alier Rechte bedacht,
was seine Drohung bedeutet? Ist der König von Ungarn euch
deutschen Gelehrten nur ein Kosakenhetman, ein indianischer
Kazike? Nun so werden wir ihn als unsem König gegen Euch ver^
* Hungarica, Seite 22.
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'WOBBB DER HASS'OMm HHOAlir. 361
theidigeii, und in diesem Kuini[tfe werden sich gewiss alle Deutsche
Ungarns an die Magyaren unschliessen und mit ihnen wetteifern!
Sehen Sie, Herr Doctor, was Sie da so leichtiiin geschrieben haben,
überwiegt bei Weitem alles Geschwätz politisch unzurechnungs-
fehiger Narren, das Sie so fleissig in ihrem Buche gesammelt haben.
Und dennoch sind Sie noch zu entschuldigen, man hat sie •
mit iQgneriflchen Naehriehten getäiucht In einer Stelle Ihres Buehes
behaupten Sie, die ungarische Regierung hätte auch die Spemmß
des hemanstädter Theaters versucht! Das kann ich nicht glauben,
es scheint mir einfach unmöglich zu sein. Doch ich kann das
Gfgentheil nicht behaupten, weil ich mich darüber in Hermanstadt
nicht erkundigen kann. Sie schreiben aber in Ihrem Artikel vom
20. Febr. 1882, y,dass der lutherische Geiieralconvcnt des eicjenttichen
IJrujarns jüngst tcirJclich das DnUscJie aus dem Lehrjüan 'deiner MH-
tdsrladen gestriclwn Jiahc." Damit hat Sie jemand abscheulich an-
gelogen. Ich bin Mitglied des lutherischen (u'neralconyente.s, noch
mehr, ich i'Uhre den Vorsitz in dem Ceutralausschuss der vier Snper-
intendenzen über das Gymnasialwesen derselben. Ein solcher An-
trag wäre nothwendiger Weise zur Begutachtung dem Gentralaus*
schuss Toxgelegt worden. Ich weiss nichts you einem solchen An-
trag, und der GeneialconTent bat gar keine Ahnung davon, was Sie
über ihn berichten. Es ist einfiach eine grobe Lfige.
In nnserm öffentlichen- und Privatleben giebt es gar Vieles,
das Tadel verdient, und wir selbst sind gar nicht in ^e eigenen
Fehler verliebt Aber einen Hass gegen das Deutschtum, gegen
deutsche Wissensclmlt, deutsche Tüchtigkeit dürfte doch Niemand
als Charalcterzng weder dem öü'eutlichen noch dem Privatleben in
Ungarn vorwerfen. Wohl haben wir der politischen Narren und
gedankenlosen Schreier genug, vielleicht sogar mehr als es an-
derswo giebt, weil wir eher zu viel als zu wenig Freiheit besitzen.
Anderseits aber wagen wir zu liehaupten, dass sich unter um hein
ernster Maum finden dnrftey der in solcher Weise Hass gegen dos
deutsche Weeen verkflnden und verbreiten wollte, in welcher Weise
angesehene deutsche Gelehrte, die man doch für ernste Männer
halten muss, gegen Ungarn Hass predigen.
Paul Hdnfalvt.
Ihiattliehe Beme^ IWB. ZV. Beft. 24
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362
DU ifeDiiAamstBORiN vnHUfiiiaBi tmoAii».
DIE EliDMAüNETISCHEN VERHALTNISSE UNGARNS.
WoU Kiemaiiclem dürfte es hente in den Simi kommfln, die Fhge
ni stellen, wosn denn eigentfieb die Beobecbtongen des Ürdnwgnelis-
muH dienen, und ob sie überhaupt auch praktische Bedeutung haben.
Stehen doch Krdmag1leti^)muH nm\ amlere kosmische Erscheinan-
gen 4or Erde erfahrnngsgemäss in unverkennbare ni Zusammenhange
und nnus es doch als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Aufgaben
betrachtflft wwden, die VertheUnng und Ändempg sowie die Gesete-
mlsaiglceit des Brdmagiietismiis an! dem gansen Erdball feetEOsteUen.
Ja» der Peldmesser, derPorstmaim, der Bergingenieur, der oft nur
mtt der Bonssole arbeiten kann, woher entnimmt er denn die Angaben,
mittels welcher er seine Messungen auf den Meridian rednziren kunn,
wenn nicht aus den Resultaten erdmagnetischer Beobachtungen? —
Sehen wir nun zu, wie es mit der Kenntniss der erdmagnetiachen
Verhältnisse Ungam's in firttherer Zeit bestellt war, und wie wir gegea*
wlrüg damit stehen.
Ober die erdmagiietisefaeii Verfalltmsee Üagani*8 sind ans lUerer
Zeit nur sehr wenige Daten bekannt. Hansteen gibt In seinem an^
dehnten Werke * die magnetische Deklination von vier Ponkten Un-
gam*8 ans dem Jahre 1696, und zwar :
„Biya 10** 19'
Erlau (Agria) 9° 30'
Ofen (Buda) 10'' . 0'
Segedin 10* (K.«
Leider ist die Qoell^ ans welcher Hansteen diese Daten entnahm,
nicht angegeben, ebenso wenig der Beobachter; es ist jedoch sehr
wahrscheinlich, da^s sie Ileisebeobachtungen waren.
In demselben Werke befinden sich die Werte der raagnetis» he
Deklination von Ofen für den Zettraum 1781 — 1788. Auch hier i^t der
Beobaohter nnd der Beobachtnngsort nicht genannt, doch Iftsst sich
leiebt nacbweiBen, dass die Daten ans dem Obsenratorium der Uni? er*
sitst an Ofen hentammen.
Als nflmlieb diese UniTOfsitlt von Tyman (Nagy-8zombst) un
Jahre 1777 nach Ofen verlegt wurde, erhielt sie in der königlichen
* Untomielmageii über den M agnetiamua der Lrde. Chhütiania 1819.
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DIE £&DMAONKT]SCHEH VEBUÄLTNldSK UNäASllS. 863
Barg am Festuagsbeige ein astronomUches und meteorologisches C)l>-
ffirvatoriiuii.
Der damalige Astronom und Vorstand war Pater WeiiB, S. J. ; nach
dessen im Jalire 1785 erfolgtem Tode ftbemalmien die Eigesniten Pater
Frans Totidber und Pater Frans Bruno die Leitung des Obüenratorinm's.
Die Original-BeobachtangM gingen indess verloren, wshrschein-
Vu h Wiiliieuil der Zerstörung von Seite des I'öbels, deui nacli Kiniiahuje
der Festung Ofen am 23. Mai 1849 auch die ätemwarte tun Gerharda-
(Bloiks-) berge bei Ofen zum Opfer üel.
Als im Jahre 1780 in Mannheim die KSocietas meteorologica Pala»
tina** entstand, war Pater Weiss einer der ersten die lieilrateo. Die Instra-
mente worden von der chnrRkrstlichen Akademie ans Mannheim ange-
schafft, und die meteorologischen BeoHachtnngen sn Ofen begannen am
8. November, die luagnetiüchen um 14. Dezeml'er 1781, also vor fast
genau hundert Jahren.
Diese Aufzeiohnungen blieben glückliclierweise in den »Epheme-
rides Societatis meteorologicae I*alatinae, Mannbeimü^ erhalten; und
in dieser Zeitschrift finden wir auch NSheres über den Stand und die
Einriehtang der Inatnunente*
Zur Beobachtung der Deklination diente eine Bonssole mit einer
8 pariser Zoll langen Nadel, die auf einem Gnoinon postirt war. Dia
Äblo-ung gcsebah mittels eines Xoniusses bis zu 3 Bogenminuten genan
und zwar Vonnittagd 7 Uhr, Nachmittags zwisrhen 2 und 9 Uhr.
Die ßou^f<ole war in einem sieben Klafter breiten Saale, im vier-
ten Stockwerke des Observatoriums aafgestelllJBslftsst sieh voraossetsen,
daas die Mittagslinte mit derjenigen Genauigkeit bestimmt worden war,
welche das Instrument gestattete, indess konnten die in der Sternwarte
TorfaandAnen Eisenmassen (es befand .sich dort ein seeh^fOssiger Hftuer-
qnsdrant aus Kisen) nicht ohne störenden Einfiuss auf die Angaben
dfr Nadel wirken. Leider wiäseu wir nicht ob dieser l*2iniiu^ erforscht
und die Beobarbtungen davon befreit wurden.
Die Mittelwerthe der Deklinationi die wir aus dem grossen
Werke des Direkteres der k. nng. meteorologisflien und erdmagneti*
sehen C^tralanstalt, Dr. Guido SohenaPs entnehmen * waten wie folgt :
* ßeitrftge zur Kenntnias der erdmagneti sehen Yerhftltniase in den
liänderu der ungarischen Krone; Budapest, Verlag der k. nng. Natnrwiss.
QeMibchalt. i88L
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364
DIE ERDMAOKBTISCIIEN VKKHÄLTMövSE ÜKGABNS.
Jahre Deklination gegen Weet
1782 15° 31'
1783 15 36
1784 15 8j»
1785 15 48
1786 15 58
1787 15 55
1788 10 4
1789 16 2
1790 16 3
1791 16 4
1792 16** 6'
Die meteorologischen und magnetischen Beoboehtnngen am ObM^
vatorinm zn Ofen worden anch nach AnflOsung der mannheimer OeaeU'
fichaft fortgesetzt, nnd mir ans dem Grande nicht publiziii., weil hieai
kein geeignetes Organ vorhanden war.
Aus den Bruchstücken der meteorologisichen iSrhriften, die Her
Zerstörung im Jahre 184:i> entronnen, ist ersichtlich, dass am 22.
Januar 1800 eine neue BeobachtongSFeihe begann, die sich anf 7 Uhr
Voimiitaga nnd 3 nnd 8 Uhr Nachmittags besog. Wie lange die Auf*
zeiohnnngen fortgesetzt wurden, ist nngewiss ; jedoch kann mit Sicheiheit
behauptet werden, , dass sie schon im Jahre 1810 unterbrochen wurden.
Da von keinem dieser Jahre eine vollständiiire ]ieoba< htunsjffreilie
voilianden ist, tlieilen wir hier nur zwei Monatsmittei der DeklinatioD
auH 1800 und 1802 mit :
1800 Juni 15'' 53'
1802 n 15** 47-5'
Aus diesen Daten scidie'st Dr. Schenzl, dass die westli« iie Dek-
lination zu Ofen ihren ijrüssten Wert um das Jahr 1795 erreiilite,
während v.u Paris da» Maximum der westUcben Abweichung im Jabre
1814 beobachtet wurde.
KOn. Beigrath Julius lUinay verglich Altere GrubenplAne mit
neueren Messungen, nnd stellte daraus iür Nagy^BAnva (BeigHtadt an
1Tngam*8 Östlicher Grenze) folgende Reihe zusammen :
Jahre Dckhnation go^'rn West
17S5 15° 30'
1788 15 24
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On EBDIUOMKrillCHBll TBBHALTHISSB yMOABNS. 865
Jabie DekUoatioB gegen West
1796 . . . . ♦ 14** 61-5'
1806 Ii 22*5
1812 12 55-5
1816 12 49-5
1835 11 100
1844 9° 13-5'
Demnach fit-l dus Muximum der wostliehen Abweichung in Nagy-
Bänya, das um 4^ 34' östlicher als Budapest liegt» in das Jahr 1785
oder noch früher.
Dies ist Alles, was wir an Batan über die erdmagnetisehen Ver-
hültnisse Ungam's ans den früheren Jahrhunderten und der ersten
Hälfte des gegenwartigen Jahrhunderts beeitsen.
Dr. Karl Kreil, Direktor der 8t6mwarte zu A'ag, spBter der k. k.
Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus zu Wien, der in
nielii weniger als 229 Stationen die ordmagnetiscben Konstanten be-
stiimntv;, bereiste in (ba* Zeit 1847 — 1857 Ungarn t>iel»ennuil und
stellte an fünfzig iingari-clien Stationen genaue Ueobaclitungen an. *
Die2»e Stationen, von W«'st gegen Ust ge/.HliH, sind die folgenden :
Fiunio, Kai'lstadt, Agram, Steinaraanger, Petrinje, Warasdin,
Odenburg, Bellovsir, Pros/.biirg, Neii-Gradiska. Trencsin, Keneso, Neu-
SKÖny, Fünfkirchen, Esseg, Tolna, Scheninitz, Ofen, Liptö-Szt.- Wiklös,
Losoncz, Karlovicz, Szegedin, Ssolnok, Erlau, Semlin, Kftsmark, Leut-
schan, Temes^Ar, Kasohau, Arad, Weisskirelien, Tobg, Debresin, Gross-
wardein, Karansebes, Ungvir, Orsova, Mebadia, Dobra, MunkAcs, 8sat-
tair, Vereozke, Nagy-Bänya, Gjula-Feh^ir (Alba Julia), Klausenburg,
Hennannstadt, Bistrits, Marofi^Väsirbely, SchSssburg, Fogaras.
Kreil gab die auf den 1. Januar 1850 reducirten drei erdmagne«
tisdien Elemente in Tabellenform und mac hte diese Verhältnisse auf drei
Karten ei-sicbtlich, deren erste die Isogouen, die zweite die fsoklinen,
die dritte die Tsodynamen <larstellen. Pie Isogonen haben im Allgemeinen
einen zum geographischen Meridian nahezu parallelen Verlauf; nur in
Siebenbürgen ist eine interessante Anomalie zu bemerken, wo die Iso«
gone um die Orte Maros-VAsärbely, Schttssbuig und Silchsisch-Begen
* Magnetiaehe und goographisclx? Ortsbrstinuitungen im üsterroi-
chischen Kaisers tatate, im südöstlichen Europ.i und einigen Kü8tenpunkt<>n
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DB 1BD1IA0HBTI8CHEN VEBHlLTinSSE ÜMÖABV8.
eine föi nilirho Schlinge ?>ilflpt. I>er X erhuif lUsr rs<»klinen un<l Isodjna-
tuen ist im < aussen pai jillel «len u;eogi jijiIh-m hen Parallolkt eisen.
Von den Kreil'schen Daten heben wir nur eine hervor. Di«; auf
den 1. Januar 1850 reduxirte Deklination für Ofen beträgt 12^ 26't>',
wihreiid dieselbe m Anfang des Jahrhundert'« 15'^ 50' war: die Ab-
nahme der Deklination betrog albo wtthrend fttnfxig Jahre etwa d*^ 24'.
Nach Kreil*« Belsen trat in der Erforsohnng der erdmagaetischen
Verhiltnine abermals eine Pause ein, die aber glftcUichenreise keine
80 lange war, wie die vorige.
Die üng. Akademie bevchaüte nltmlich im Jahre 1868 für das in
der Bealsehnle zu Ofen anfgestellte meteorologisehe ObBenratorinm
mehrere Apparate ftir Erdmagnetismus, und es begannen auch dann
thatsÄchlieh. unter Leitung des damaligen Direkt<tr's der Realsc liiil»'. Dr.
(Jnidn Srhenzl. erdmagnetif^che IJcobjichtnngftn, die seitdem (von 1870 an-
gefangen schon in der besonderen staatlichen Centraianstalt für Meteoro-
logie und HrdmagnetismasI in ununterbrochener Folge anj^estellt werden.
Die Unterstnteungen der ung. Akademie, spUtcr die Massnahmen
.des StaateR und das Eingreifen der k. ung. N^t. Gesellschaft brachten
schliesslich diese Angelegenheit in ein Stadinm, das sowohl der Wichtig-
keit dieser Wisseasohaft ab auch der Wftrde des Staates in gleicher
Weise gerecht wnrde.
Dr. Schensl ftshied nun bald tob der DirektioB der Bealsehnle,
nm als Direktor der Laades-Centralanstalt Ahr Meteorologie nnd Brd-
magnetismn!) seine ganze Kraft und Zeit derartigen Untersuchungen
zu widmen. Schon in der Mitte 1864. als Bchenzl im Verein mit Prof.
St. Knieper zur Versammlung der ung. Är/.le nnd Naturforscher n?ich
Mai osvasfirhely reiste, ma« htcn sie iintei wej^f- mehrere geographis' he
und erdraagnetische Ortslu-siimmun-^en. Die Anerkennung, welcher die-
ser erste Versuch in Fachkreisen begegnete, veranlasst« Dr. Schonzl in den
folgenden Jahren 1865, 186t;, 1867, 1869 nnd 1871 in Gemeinschaft
mit VtoU 8t Krusper, später Prof. Kondor, femer Prof. 6. Ruvoffh
in Kecskem^t, A. JRoUer in Budapest, I. KwUMeTf Observator der
Anstalt, Dr. R. Sekrader, Astronom der Sternwarte m Ö-Gyalla, — die
besonders interessant scheinenden Gebiete, nlmlicfa im Norden die
hohe Titra, im Süden die Kohlenlager Iftngs der nntem Donaa in den
Kreis seiner Untersuchungen zu ziehen.
Alle diebe späteren Reihen geschuh^ja mit materieller UuteiHtüz.
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*
sä BBNUiOvinscnnr jwutLnuu mradUun. M7
21111g der mig. Akademie «ad enehienen die ▼oriftnfigea Beentteto der Be-
obechtnngeii von Zeit su Zeit in dea MitheUungeD der Akademie «nd ein
Brucbtbeil in den geeigneten auslSadiachen Fachjournalen. Es bestand
dumals noch nicht die Absicht, diese UnteiftUchungen auf «la« ganze -
Gebiet der Ungarischen Krone autsziidehnen, man begnügte sich mit
der Aufzeichnung einzelner , Biuammenbanglofier Daten und deren
sporadischer Mittheilung.
Kine entschiedenere Wendung erhielt diese Angelegenheit im
Jahre 1Ö72, ab die k. ung. Natnrwisäenschat'Uiohe Gesellschaft aus der
▼om Reioheiage bewUligten Laadeanaterataitiiiig Dr. Guido Sckenal
mit der Uiiter^achiiiig wid der BeMhreibiiiig der erdmagnetaacbeii Ver*
hlltmaee dee ungarifelieB Beiehes betraata, aad ihm daaui Gelegenheit
gab, die sahlreieb yoifumdeaea Lftekea der iMsherigea Statioaeii ajate-
malisch la ergMmea, die interesaaateien Gebiete wieder la bereieea
aad la erforachen, aUe BaobaehfoageB fllr daaaelbe Jahr sa berechnen
und da^ gerammte Material planmttssig in Form einer xusammenhän-
genden grossen Monographie zu veriirbeiten.
Jedoch wurde die Erwartung, da«8 die Arbeit innerhalb dreier
Jahre vollendet werde, nicht erRillt. Im Jahre 1872 - 1873 war e« die
Cholera, die mehrere Gegenden de« Landes verheerte, später die
an der Südgrenze entstandene Insurrektion and deren Folgen, die die
Arbelten ven&dgerten und unterbmchen, ao daas dieflelbea erat im Jahre
1879 xam AbeohlaaB gelangten.
Eadliefa konnte daa groese Werk im Sommer 1881 eneheinea.
Sein beacheidener Titel laatei : « JidoMM a magTar korooilhoB tartoao
orsiigok Aldmtfgnessflgi nnonjainak iameret^ea"» j,Bßiträge .rar
Keaatniw der erdm^etiaeken Veiliiltaiase in den Ltodem der «aga-
* fiedien Krone"! mit sw«i Tabellea aad aeehs Kartea, im Aallnige der
k. ung. NatarwiineaschaftUchen (Gesellschaft, Ton Dr. G. 8chenil.
Dieser be.<?cheidene Titel läKst die Ausdehnung und Vollständigkeit des
Werkes kaum verinuthen. Da^sselbe hat, wie alle auf die ungarischen
Naturverhältnisse bezüglichen Publikationen der k. ung. Naturwissen-
schaftlichen Gesellschaft, kolumnenweise ungarischen und deutschen
Text and betrttgt 69 liogen in Gross-Quart. Die erste Tafel enthält
Kr&üs Aufnahmen, die zweite diejenigen SchensPs ; ebenso enthalten
die drei ersten der sechs Karten, Kreü*s magnetische Karreni die leta-
teraa drei, die ana 8eheBsl*a If eaeaagen folgenden Linian.
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868
*
DIB BBOMAOintTlBCHBN VSBHil/llllBSB UKOAlfflS.
In der ausgedehnten Einleitung gibt Schen/-1 eine liistoi istlie
Obersicht der bidherigen enl magnetischen Me^;^ungen in Ungarn ; hier-
auf folgt die Beschreibung der bei seinen Messungen benützten Apparate,
der befolgten Methoden; die Mittheilnng der Formelii, die der Berech-
nnxig zu Onmde gelegt wurden. Anf Seite 25 — 521 ist das riesige
Beobadhtiingsmateiiel gegeben, nnd xwor mit einer AnsfElbrliohkeit»
die jede Zahlenangabe des Verfassers zn verfolgen nnd m IrontrolireB
gestattet. Nicht weniger als 1^0 vollstän<lige Aufnahmen, die sich auf
IJf^ Stationen beziehen, sind detaillirt mitgetheilt ; die Differenz von 13
ergibt sich durch zwei- oder mehrfache Aufnahmen derselben Station.
Unter diesen 113 Stationen finden sich die obigen fün&ig Stationea
Ereü*s fiMt ausnahmslos wieder, die übrigen sind neue Stationen, in
welchen bis dahin noch keine erdmagnetischen Me^songen angestellt
waren. Es sind^diee, wieder von West nach O^t geiahlt» folgende Orte :
Sissek, Oünz, Herenj, Gross-Kanizsa, Klein-Zell, Kessthelj, Alt-
(iradiska, 'J'yniau, Bakouybel, Herend, Pannonhalma, Kaposvar, Pöstyen,
Tihany, Vespriui, Brood, Neutra, Komom, 0-Gyalla, Nedanöcz, Greg-
Tagyos, Stuhlweissenburg, Gran, Zsolna, Düna Szekcso, Vinkovce, Krem-
nitz, Biga, Kalocsa, Zombor, Waitzen, Balassa-Gyarmat, Szada, Arva-
Ujhelj, BreznÄbinja, liaria-Theresiopei, Hatran, Kecskem^t, Salgo-
Tm4a, Nensate, Buna-Siombat, Schmeka, Gross-Kikinda, Bosenan,
Miskolcs, B^k^Osaba, Eperies, Werschets, Badna, Oravicsa, Gsiklova,
Gurahoncz, Maros lllye, Csucsa, Hnszt, Petrozseny, Felvincz, Miramaros-
Szigeth, Dees, Medgyes, Abafäja, Szekely-Udvarhely, Kronstadt, Cäiksze*
reda, Kessdi-Väsarhely.
Im folgenden Kapitel erlUuteit der Verfasser die Methode, welche
er TOT Umreohnnng der Beobaehtongen anf eine bestimmt^ Pexiodfl^
und zwar den 1. Jannar 1875 benützte. Schenzl wShlte diessn
Zeitpnnkt, weil er von der Kreirschen Periode gerade ein yiertel Jahr-
-hundert entfernt ist Wenn nnn nach Ablanf eines viertel Jahrhnnde^
tes, etwa um tlas Jahr 1900 wieder eine erdmagnetische Landesver-
messung veranstaltet werden sollte, kann vielleicht das Gesetz der
säcularen Änderungen der magnetischen Elemente erforscht werden ;
* jetzt sind wir jedoch nur in der Lage, da^ jährliche Mittel dieser Ande-
rangen aus den einen grosseren Zeitraum umspannenden Daten za
berechnen. Von 1850 bis 1875 betrSgt die jährliche Abnahme der De-
klination in Ungarn etwa 7Vs Bogenminuten, die ganze Abnahme etws
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DIE EBDJtfAGMETlSUHBN VEUHALTNlfvSE UNGABH8. 369
rlrei Grad ; die jährliche Abnahme der Inklintttioa iäi viel geringer, für
Badapesi etwa 1*4 Bogenminutes.
Wir wollen Uer die absoluten Werthe der Deklination und Inkli-
oation Ar Bodapeet mittelen. Wie schon erwKfant» erreiobte die De-
klination nm^s Jahr 1795 das Maximnm 16^ 10' ; yon da ab sank sie
1800 auf 15^ 58', 1848 auf 12*26', 1857 anf 11** 28' 1875 auf 9»
23'. gegenwärtig, 1881. betrugt sie nur 8° 40'. Die Inklination war 1848
63^ 20', 1875 62° 39' und gegenwärtig 02° 31'.
Im letzten Kapitel sind die Anomalien der magnetischen Kurven
(Brian, Sohemniti, Tok^j, Peterwardein, Orayieia, Nagybdnya, und
jenadtB des Kdnigssteigee in der Umgebung Schtosbnrg's) detnillirt
behandelt und deren lokale Ursachen analysirt Zahlreichere künftige
Beobachtungen, mit vollkommeneren Appai^aten angestellt» werden sicher-
Itcb zur Lösung solcher Fragen tühreii. die in diesem Kapitel gerade nur
angedeutet sind. Die späteren Beobachter werden wenig.stens orientirt
sein, auf welche Punkte sie ihre Aufmerksamkeit besonders zu rieb-
im haben. —
AJber nicht bloss die räumUdie Vertheüung des firdmagnetismiis
ianerhalb Uogani*8 Chrenzen untersuchte Sehend, sondern er verfolgte
and beobachtete seit 1861 konsequent die seitlichen Änderungen, für
Badape-üt, wodurch im Anschlnnse an andere Observatorien die Lösung
der Frage über die Periodicität der erdmagnetiscben Kraft und ihr Zu-
äammcnliang mit anderen periodischen Erscheinungen der Natur ange-
bahnt wird.
In dkeem stattlichen Bande, mit dem Guido Schenxl Ungam's
Lüentnr berekhertef liegt die ununterbrochene Arbeit von sechssehn
Jahren vor uns. Wenn wir bedenken» welch* grosse geistige Arbeit, wie
▼id Beisemfthen aus diesen Zeilen zu uns sprechen, und wenn whr dieje-
nige Arbeit, die in Italien ein Denza mit vier Assistenten und einer
Staatssubvention von 16,000 Fi-s vollführte vergleichen, mit der, welche
bei uns ein einfacher Ürdensgeistlicher * mit einem oder dem anderen gu-
ten Freunde, und einer vom Staate, von der Akademie und der Natur-
wissensohaitlichen Gezelisohaft einzeln erbetenen Subvention von zu-
ssaunen 2000 fl. und einer Summe von etwa 1500 fl. aus eigenen
Mittebi, an doppelt so vielen Stationen in zweifiich gr(toserer Ausdeh-
* Dr. Guido Schenzl ist Capitular der Skt. Benedikte-Abtei au
Admont in Steiermark.
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870 KVBEi snsciTomiiüin.
niing zu St^mle brachte, ergreift uns ein tiefes Geffthl <ler Achtuui^
für «liesen Mann, der seine I'flichten pef^en sein Adoptivvatei'land in so
edler Weise uad reichlichstem Mattöc erfüllte.
Pkof. Kuloman V. SZILI.
KÜRZE SiTZUNGSBEKICHTE.
VolkmvirtlMolitftliolit imd ititittiiolie CMimittioii der Akideiiiie.
iSitxuag vom 19. Jamiar 1882. — Gegensland : ReichstagMal^ordtteier
AuxAMDBE HtoiDüs referirt aber die inißniaiionale MiMunferm».
Voraiixeiider Graf IfoiiC-moB TAHXAr, — Amwesend waren : Lso
Bfatht, Oraf AüRin. Dbssbwfpy, Dr. Julius Qwa/tCEY, Johann Hunfalvv,
Dl. Jllil> Kautz, Kakl Kelkti. — Schriftführer : Dr. Bkla Földk.-! (Weisz).
Der Vortragende erläutert jenes Referat, welches er iils Vertreter
Her ungarischen Regierung auf der inteniationalen Mün/konferenz zu
Paris an den ungarischen Finanzminister richtete. Er findet eine der
Hauptn rsachen des Misslingen^ der Conferenz in dem ümstandei dass
die Gonferens niohi mit einem bestimmten Zweck und mit einem be-
stimmten Phigramm einbemfen wurde ; Mitglieder der Gonferens waraa
thefls (belehrte, theils Diplomaten, theils von den betreffenden Regie-
mngen änfgelbrderte, saftUig in Paris anwesende Personen» Die Gbn*
ferenx war ftberhaupi nieht entspreehend ?orbereiiet Beforent bieli
sieb streng an die Weisung des Finananinisters, welebe eine reservirte,
beobaebtende Stellung gebot, wie die<r ancb von Seite der öslerrdcbi-
Bchen Regierung geschah. Referent hält vom wi.ssenscbaftlichen Stand-
punkte blos den Monometallismus für ^'ererhtfei tigt, cla beständiges
Werihmaa^ss nur ein Metall .sein iiann ; der Himetallisinus besitzt keine
wi8sen8chaftliche Hasis ; .^eine ijedeutendsten Vertreter, Arendt in Deutscli-
land und Cernuschi in Frankreich, vermögen nicht desi^en innere Oo'
rechtigung zu beweir^en ; der £ine weist nnr nach, dasn bei der deutschen
Mttnireform Fehler begangen wurden ; der Andere beweist, dass die
Depredation des Silben ein grosses Uebel ist ; aber keiner von Beiden
bew^t» dass die Doppelwibrung und namentUeb das Verblltniss von
1 : 15 Vt zwischen Silber und Gold, die berrsehenden Uebel an beseitigen,
resp. die zukllnftigen an veriiindem vermöditen. Es unteiUogt aatfirlioh
keinem Zweifel, dass die Depredation des Silbers eine Calamittt Ist» uad
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KÜBZZ äIT2UM0SBESICHTl. 871
das8 es wünsch en-swertb wäre» die^e ( 'Hluiuttäi wenig:itens nicht weitei'
greifen zu hwsen ; da-ss es aber möglich wäre, das Werth verhältniss
beider Edelmetalle auf die frühere ßeiaiion zurückzuführen, gUabt der
Vortragende nicht. Dass aii«jh bei monometalUstischein System mehr
Silber in den Verlrahr eindringe, das hilt er ancb dorcb andere Mai«* ,
regeln für erreicbbar. Der eine Weg wtre der dnroh die dentäche Be-
gierong voi^eecUagene Weg, die goldenen Fttnftnarkstflcke ond die
kleineren Papieneioben einnuieben ond durob Sflberstfloke ta ersetzen.
Femer die Annahme eines andern PrägnngsverhSltnisses. Ein gleichem
Kx|)€<liens wäre, wenn die englische LJank gemiis^ der Feelukte wirklich
ein Fünttel ihrer Noten mit Silber decken würde. Auch in den andern
SUiaten .-iollte das SilltergeM vermehrt weiden und zwar gleich lalU
durch Einziehung der kleineren Cteldmünzen und i'apiergeldzei» iicn.
Diese Verfügungen würden den Preis de:;» Silbers heben und da hie-
durch ein bedeutendes Quantum Gold frei würde, wäre die Durchfüh-
mng der Goldwährung erleichtert. Beferent hält es für onwabrscbein*
livb, dass aacb ein alle civilisirte Staaten umfassender Münzbnnd em festes
Verhältniss zwischen Silber nnd Gold zu diktiren TermOchte ; denn das •
in Binden der Speculation nnd der Indnstriellen befindliche Edelmetall
ist bei weftem grosser, als das von Seiten des Staates für die Mttnz*
prägung benötbigte Quantum, und so können diese Faktoren das Wertb-
verhftltniss jedesmal slteriren, sobald die Produktion»- nnd Verkehr»-
verhältni.s>e der Kdelinctalle hiezu (Jelegonheit bieten. Redner er-
blickt einen Grund des Mis.>lingens der Konferenz in «leiii Umstände,
da^s die fanatischsten Binieialli^ten, wie Arendt und Cernuichi, ihre Ke-
gierungen vor einer unvoisit htigen Ausprägung von Hilbcrmünzen
warnen. Auch gleiche Uestimmungen der Legirungsverhälthisse und
eine Verbreitung des CheqUesystems wären wünschenswerih. Kr hofft,
dass bei einer Vermehrung des Metallgeldes auch latentes Gold und
Silbergeld zum Vorschein kttme. Jedenfiüls kann eine endgUtige Bege-
hmg nnr anf Basis des Monometallismus erfolgen.
Prof. Dr. Kauts findet es erfireulich, dass der Monometallismus auf
derPeriserConferenz energisch betont wurde. Er bedauert, dass die nn«
gariscbe Regierung eine so einscbrSnkende Direktive ihrem Vertreter
gegeben, was mit dem bewussten Vorgehen der ungarischen und Öster-
reichischen Kegierung im Jahre 1867 im Widerspruch steht. Das
ÖcheiLem der (Jonferunz erklärt er aus den heterogeueu Interessen der
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872 XUBSS SmoVOiniBBICBTB.
I
tiidlnehmenden Staateiii nunentlieh daraus» dass die Vereitiigteii Staaten
und Franlcreioh die Gonftiraiiz benützen wollten, um aoe ihren Silber-
kalamitllten heransznkonunen. Die Ergebnisse der Conferenz beetttiigen
die Ton so bedeutenden Fadimttnnem wie Ctöschen, Fawcett, Oiffen, Knies,
Nasse, Roscher. Soeibcer, Leroy-Beaulieu und A. vertretene Theorie des
Monometallismus und beweisen, dass der Bimetallismus der Wulowski,
Arendt, Cernuschi, Dana Horton auch in internationaler Form undurch-
tuhrbar i^it. Er unterschiitzt nicht die Schwierigkeiten des reinen Mo-
nometallismus, und bedauert gleichfalls die Depreciation des Silbers.
Oodi wäre dem letztern durch die von dem danischen Staatsrath Levy
vorgeschlagenen Mittel, sowie dnrch jene Verfügungen abiznhalfen,
welche er in seiner Arbeit «a Umginz valutäröl** (ftber die MetaUmünx-
frage) Torschlng. Znm S^hlnas^ drückt er den Wunsch ans, es möchten
die beiden Begiemngen Oesterreichs und Ungarns Torbereitende Be-
rathnngen einleiten, dass ans eine etwaige LOsnng der Frage nicht un-
vorbereitet treffe.
Kasl Keleti theOt nicht die Ansicht Hegedfis^s, dass nur der Mo-
nometalli5«mus wijjsenschaftliche Berechtigung habe; eine Theorie, die
80 unüber\vintlli( he Schwierigkeiten in der Praxis verursacht, hat keine
Berechtigung. Auch ist die Behauptung unrichtig, da.s.s das (leid nur
VVerthmesser sei ; es ist auch Verkehrsmittel und als solches hat auch
das Silber seine Berechtigung. Der Feliler des Bimetallismus liegt nur
darin, dass er das den Umständen nicht entsprechende Verhältniss von
1 ! 15^1 aufrecht erhalten wiU. Es mnss ein anderes Verhfiltniss aocep-
tirt werden nnd anch dieses rnnss wieder gelndert werden, wenn es
die UmstSnde erfordern.
Dr. BtLk FöLDBB hätte ein energischeres Auftreten der Osterndchi-
schen und ungarischen Vertreter auf der Conferenz gewflnscht» da diese
als unparteiische Tfaeflnehmer einen ESniluss auf die Versammlung
hfttten gewinnen können. In dem Vortrage vermisst er die Beant-
wortung dessen, welcher Valuta sich jene Staaten bedienen sollen, welche
bei dem begränzten Quantum an Geld diese Währung nicht einführen
können. Die Gefahr des Bimetallismus liegt dai-in. dass er ein vorüber-
gehendes üebel durch ein bleibendes heilen will. Denn die Ursachen
der Depreciation des Silbers sind voräbergebende ; die Werthschwan-
kungen bei Doppelwährung würden dagegen fortwährend drohen. l>er
BinietaUismns kann nur dann sein Ziel erreichen, wenn er mit den Ver*
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EOliKi BITEDHOSB^CflTB. ' 878
*
bSltnissen im EinUang ist, -und dann ist er nicht notiiwendig. Die
Losung der Valutafrage kann nicht gelingen, insolange in den Produe-
tions- und Consumtions-Verhältniääen der Edelmetalle keine grössere
Stabilität eintritt.
Graf MEi.cinnR Lönyay weist nainentlit li auf den Vorgang zur Zeit
der Münzconferenz vom Jahre 1867 hiu, wo er als ungarischer Finanz-
minister die Direktive der Vertreter festsetzte. Gegenwärtig spricht er
sich zu Gunsten der Doppelwährung ans. Das Gold allein genügt nicht»
um dem Bedfirfniag das Verkehrs in genfigen. Die EinfÜÜining der
Ooldwihrang bedeutete Ar Ungarn die Erhöhung aller OfTentliehenund
Priyatschnlden. Von dem Hervortreten des von Hegedfla erwihnten b>
tauten Gbldes erwartet er in Ungarn nicht viel : auch nidit vom Cheque-
und Olearing-Sjstem, welches nur in den grossen Verkehrscentreu zu
einiger Bedeutung gelangen kann. Er wünscht, dass die Regierang sich
eingehend mit der Valutafrage beschäftige.
— Sitzung vom 23. Februar 1882. — Gegenstand : Dr. Földes'
(Weis7.) Vortrag über dafi Staat'^hahnsysfem mit hcj^onclerer Berück-
sichiigung des Votums der italienlsrhen Eisenhahnenqtiete.
Vorsitzender : Graf Melchiou L6nyav. — Anwesenrl waren : Leo
FiF. miv, WoLFOANG Deäk. Graf Ai kel Desewffv. Dr. Ji lii s (iEKLücxT,
Dr. Julius Kautz, Josif K6bö8L — Schriftführer Dr. Foldbs.
Baferent begimit mit dem Hinweiss daraur, dass, als setnenseit
die ersten Ooncessionen zum Bau von Eisenhahnen ertheilt wurden,
man Aber die Bedeutung dieses Vehikels, sowie fiber dessen volks-
wirthsehafttiche Natur nicht im Reinen war. Bald aber zeigte die
Erfahrung, wie tief dieses Mittel ins wirthschaftliche, ja ins geistige,
politische Leben der Völker eingreift. Als man dem gegenüber
wahrnahm, da*!S dieses Institut in erster Reihe enj:lKr/igen Privat
intfressen dient und diese Interessen dun li ^Wc rnin urrpii/. ni< lit kon-
trollirt werden, da die Bahnen zumeist ein wirthschaftliches Monopol
besitz^ so drang inuner mehr der Gedanke durch, dass die Bahnen
unter strenger Gontrolle das Staate^ oder direkt durch das Eigenthums*
recht den allgerndnen Interessen dienstbar gemacht werden. Dieser
Gedanke fhnd namentlich in neuester Zeit Wiederhall. Inmitten die-
ser S^mung geschah es, dass die italienische Begierung eine Enquftte
im Jahre 1878 zu dem Zwecke einberief, um die verschiedenen Blibn*
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894 ' Kfm& dmuKosBEBtcort.
agrsteme xa prüfen. Die Enqudte bat ihre Arbeiten vulleiulet und in 7
atftrlceii Binden dem Parlament YOrg«!^ Trotidem, daes die £nquöie
zugeben mvM, daM das Siaatsbahnsyetem in Italien. — der gr^SesteTbeil
der Bahnen ist daselbst im Staatsbesita ~ dnrehans keine nngOiutigeB
Besnitate anfweist, gelangt sie an der Oonelnsion» dass das Priratbahn-
»jstem das TGraOglichere ist Die EnqoAte — deren Aensserongen der Vor-
tragende eingebend wiedergiebt — befllrcbtet namentlich die mit diesem
System verbundenen politischen Gefahren : die Uebermacht der Regie-
rung, die Beeinflussung und Abhiingigkeit der Bevölkerung, das Hinein-
tragen von Privatinteressen ins Parlunient. die Schwierigkeit der parla-
mentarischen Controle, die Scliwieriürkeit der Festsetzung »»ines halb-
, Wegs sicheren Budgetvoranscblages. Aucb hebt sie mandie Unzukoium-
1i( bkeiteu her?or, welche daraus entstehen, dass der Staat so gronne
Untemehmnngen in seinen Händen concentrirt. Der Vortragende wür*
digt die you der KnqaAte berrorgehobenen Qe£shren des Staatsbabn-
systems, aber aneh die dieses System befBrwortenden Qrttnde und skisnrt
die neuesten Erfolge des Staatsbahnsystems. Seiner Ansieht nach kann
von einer Wahl swischen beiden Systemen nur dort die Rede sein, wo
sieb reines Ftivatbahnsystem nnd reines Staatsbahnsystem gegentlber-
stehen. Bei nns ist dies nicht der FalL Unser Bahnsystem erfordert
ansserordentliche Opfer, ohne uns die Wahrung unserer volkswirth-
sc!iaftli< ben Interessen zu gewalirleisteii. Dabei ist auch jetzt s" lion der
Regierung eine weitgehende Intervention gesichert und ist. das FiUlK'et
auch von den Bilanzen der Hahnen iieeintiusst. Unsere wirfbschartlii he
und tinan'/ielle Lage nüthigt uns aber, wenigstens für die Hauptlinien
das ätaatsbahnsysteoi zu adoptiren. Ueberdies erinnert der Vortragende
daran, dass ja in den meisten kontinentalen Staaten das Staatsbahn*
qrstem mit Ablauf der Concessionen gewissermassen Ton selbst ein-
treten wird. Aneh daran darf nicht yergessen werden, dass die Bahn-
frage heute schon au den internationalen Frsgen gebort, namentlioh für
die kontinentalen Staaten. Wenn lR. Deutschland mittelst der Verstaat-
lichung der Bahnen den Kampf gegen unsere Getr^ideprodnoenten,
• gegeu unsere Weinproducenten, gegen unser Mehl, unser Holz etc.
fahren will, dann können wir nicht darauf verzichten, gleiches zu ibun.
Aber an zwei Dinge sagt der Vortragende sollen wir ganz be'^ondera
erinnert werden. Ks genügt uii ht, das Stjiatsbahusy>tem auszusprechen,
sondern es mutts auch organiäirt werden. Das Beispiel hiefür zeigt
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Kottti 8tnujeäiiiiBlcttr& - 375
■
PMsseB. Es tntlsseii localo Ünstuixeii geschaffen werden, um dn In-
teresse der einselnen Gegenden sn sidiem ; es ninse aneh möglichst liftufig
Ar die Berfihning der Bahndirektionen mit den Yeitretern der einzel-
uen Interesaengruppen gesorgt werden. Die Stautsbahufragü lösen, heisst
nicht, die Bahnen zusammenzukaufen, sondern alle Garuntien am schaffen,
dass dieses Institut a\ irklieh seine grossen Dienste für das wirthsihaft -
liehe Leben des Volkes eritiUe. Dann erinnert der Vortragende daran,
dass das Bahnsystem auch eine grosse Consequenz f • rdere. ÄUCepHrm wir ,
dtis Staatssystem^ dann dürfen wir so wichtige Linien, wie die am
rechten Donamfer gegen Wien zu bauende nicht, oder mmMindeeten
meht dme feste QarmUie»dem MvaMriebUbeHauen. Das wSre ein
grosser, nnTeraeihHcher Fehler. Der Vortragende hebt noch einen hOchst^
hemerkenswerflieii Yorschhig der itaUeniiMihea Enquete Komission hervor,
deiaiiMiBj^h,das$ierShatimehheim PrieaMknsjfeiem accft daeBeckt
sichern edtte, dk Tarife herabeueetien, wenn es eieh um ein groms •
wirthschaftliehes Interesse kandeUf sofern der Staat den eventuellen
Verlust iihernimttü.
Graf LoNYAY spricht dem Vortragenden .seineu Dank für den Vor-
trag aus, in welchem er einen theoretischen und j)raktischen Theil un-
terscheidet. Er hält die Frage des Bahnsystems für eine relative. Die
Tb&tigkeit der staatlichen Organe ist mangelhail und entspricht der
Natur dieses Betriebes wenig. Unter unsem Verhältnissen ist er ent-
ecbieden für das Staatsbahnsystem n. s. in dem Sinne, dass die Haiipt<
lienien unbedingt dem Staate gehören sollen. Auch nOthigen un« schon
die Ton den Bahnen in Anspruch genommenen Zinsengarantien, das
Stastsbahnsystem su propagiren, da ja unsere Frivatbahnen eben des-
halb eigentlich Staatbahnen sind, weil sie ja nicht bald die Zinsenga-
rantie entbehren werden hOnnen.
Graf AuvKL De^kwfpy : Die 'l'heorie mag Tielleicht viel Gründe
lür das rrivatbalinsystem kennen, für Tingarn ist das Staats! adinsy stein
das allein gebotene. Schon aus dem einen Grnnde. weil bei der Zoll-
gemeinschaft mit Österreich, die Bahnen zu jenen wenigen Mitteln ge-
hören, mit welchen wir Manches im Interesse unserer N ulLswiithschaft
thun können. Bezüglich der gegen Westen zu bauenden Bahn hält er es
namentlich mit Rürksicht darauf, dass wir sowohl dar Osten*. Bahn als
der Donaugesellachaft nicht gut zu Leibe kSnnen, f&r wllnachenswerth,
dass dieselbe als Staatsbahn zu Stande komme. Sollte dies jedoch aus
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.376 OKOAlitdCBB nBLIOOBAPBlB.
• *
finanziellen Gründen nicht möglieh sein, so mOge der Staat sie
einer Privatbaha übergeben, aber für nachdrückliche Eittflnaanalime
Sorge tragen.
P. B. Wkisz spricht sich für cla:s Staatsbahusystetn aus und legt
namentli(.]i auch aus Eücksichten der Vertheidignng und KriegTüh-
rang hierauf Gewicht,
Prof. Kautz : Von allen wirthschafÜichen Fragen gehört gewiss
die Eisenbahnfrage zn jenen, welche eine absolnte LOsung nicht zulas-
sen. Er freut dch sehr, dass der seit Jahren propagirten Idee der Ans*
dehnnng der Staatsthltigkeit anf den Teisohiedensten Gebieten in dem
Votum der itaüenisehen Enqnetekommission entgegengetreten wird.
^ Hit Bücksicht auf Ungarns geographische Lage» staatliche und nationale
VerhSltnisse, nnd atu Gründen des internationalen Verkehrs ist in Un-
garn das Staatsbahnsystem TorzDuehen. ^ ^^^^ Földes (Weisz).
UNGARISCHE BlBLIOGBAPHIfi.
*Badlcs Forencz, tiaal Jözsef 61etc es niuukäi. (Josef Gn;irs Lebcu
und Wnrkc von Dr. Franz Badics). Bndapest, 1881, Aigner, 1112 S.
Ueikk F. besz^dei Ig2«-1H47 (Franz Deäk's Reden 1829—1847, ge-
sammelt von Emannel Könyi) Budapest, 1882, FlraaUia, 628 S.
Onln TIT., Ead«kbeis«d wniiam Stephen Afklnson felett (Denk-
rede flher das auswärtige Mitglied William Stephen Atkinson von Theo-
dor Duka). Budapest, 1881, Akademie, 17 8.
Klamarik J., k ningyarorsz&gl kSz^pIskoUk ssenrez^se (Die Orga-
nisation and Praxis der ungarischen Mittekchulen. Sarainlong silmnitliclior
• anf die GyninaBien und Realschulen bezüglicher Gesetze. Verordnun;^ron,
Ht-skriptc, Instruktionen u. 8. w, von Dr. Johann Klainarik). Budapest,
1881, Kggenbcrger, 511 S.
'flUkszAth K.y A tut atyafiak (Unsere ülowakiscben Landsleute. Er-
zählungen nnd Skiisen von Eoloman Mikszdth). Budapest, 1881. Grimm, 189 S.
Ptorsias Snlpleia MtlrÜ (Die Satiren des Anlns Pendaii FhuKos
und der Snlpicia, flbereetst von Dr. Ignatz Bama). Bodapest, 1881,
Tettey, Ol S.
TIbuIlns ElegfÄi (Die Eb gim de» Albius Tibullus , übenetzt nnd
erklärt von Michael Latköczy). Budapest, 1882, Aiguer, S.
*V^da .Unos osszes koltoni6njei (Smnmfliclio Dichtungen von .lo-
hann Vajda, 2 Hde, 1. Klein»'ro G< dichte, 11. Krzühlende Dichtungen). Bu-
dapest, 1882, Aigner, 203 uud 3*»» S.
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DIE BILDENDE KL NST IN UNGAllN. *)
WÄHHEND Bich die nationale Poesie in üngum in den ersten
Deasennien dieses Jahriinndertes anf die Höhe der politischen
Sntwicirelang emporschwang, hat die Nation in neuerer Zeit uul"
dem Uel^iete der bildenden Kunst einen Aufschwung genommen, .
wie er nur in den glänzendsten Epochen der nationalen Selbst-
ständigkeit beobachtet werden konnte, und wie er seit den Königen
au<» dem Hause Arp^d^s und Anjou's nicht erreicht wurde, da Dome
päd Basiliken gebaut, da in den Konstsehnlen nnd Banhtttten der
Mflnster nnd Gathedrale vaterlftndisehe Eünsüer gebildet wurden,
ond da — nnier dem Ungarkönig Mathias — die italienische Re-
naissance auch bei uns in voller Blüthe stand.
Wenn sieh nun auch die Erinnerung an diese glänzende
Kunstvergangenheit in dem Bewusstsein der Nation nicht erhalten
bat, wenn selbst die Wissenschaft über dieselbe bisher nur wenig
Anfsehlnss gibt, so ist es doch nachweisbar, dass sich die Fäden
der nationalen Kunst durch unsere ganze Vergangenheit durchzie-
hen und dass wir auch in dieser Besiehung bereits ein Gestern haben.
Ohne das Bewusstsein dieser Vergangenheit ist aber eine wahre
nationale Kun.stentwiek*4ung nicht donkbar. Und iin.seru Kunst
hat bereit«? die .Stufe der Grossjährigkeit erreielit. auf welcher ihr
das nationale Erbe nicht länger vorenthalten werden kann ; dieses
Krbe ist der Genius der selbstbewussten nationalen Kunst, welcher
ihr den Boden gewahrt^ in dem sie Wurzel lassen, die Quelle, aus
• Nach der ErOfiEaongsredo, wclelic Bischof Arnold Ipohji als Prä-
sident des Landesversiat für bildende Kttnate in der letzten Jabresver-
«aminhing dieses Vereins gehalten hat.
UoitriMbsReni», 188S. y.H^ft. 25
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878
DIK BILDENDE KUKST IN UNOABH.
wcloht-r der KimstltT Leben «nd Er^uickuug schöpfen und der
Nation mittlieilen kann.
Doch während in der Vcrgangeiilieit, in der glänzend»Mi Fiiuu iie
nationaler Kunst, in dem Zeitalter der grossen mittelalterlichen
Kunsistyle, Kunst, Geschmack und Künstler znmpist importirt
waren und unser Vaterland den französischen und deutschen Mon- •
chen, den Italienern Masolino nnd Lippe kaum einen Michael Hon-
garne, kaum einen AquilaTonRegede, einen Nikolaus YonLentschan
und eine kaschauer Seliule zur Seite «teilen kann, gehört es zu dem
Gharacterzuge der gegenwärtigen Epoche, das sie bereits ezportiren
kann. Und wir exportiren heute, wenn auch nicht ung. Eunstf so doch
nng. Eunsttalente, von denen manches so ausserordentlicher Artist,
dass der Export uns fast schon zum Nachtheile gereicht. An 150 he-
trägt zur Stande die Zahl unserer Maler, Bihlhauer und Architekt»'ii,
die auf den Künstlernamen gerechten Ansprucli halben. Es ist dies je-
dt'nfiills mehr, als unser im Ul)rigen unkünstlerisclies, ütfjmtliches Lo-
ben vertrügt und mehr als unser Kunsthedürfniss beschäftigen kann.
Was Wunder daher, wenn die Hälfte unserer Künstler aus-
wärts Beschäftigung und Ruhm sucht, während die andere Hälfte
zum gprossen Theil unbeschäftigt, oft wider Willen feiern oder sich
anderen Bahnen zuwenden muss, die ihrem Talente und ihrer Nei-
gung weniger entsprechen, ohne sich den nicht weniger ehrenvol-
len Gebieten der dekoratiTon Kunst und dem Kunstgewerbe zu-
wenden zu wollen, auf welchem wir noch immer zu imporüren
gezwungen sind.
Wird aber das ung. Kunstgewerbe von den einheimi-
schen Talenten noch allzuwenig gepfle<jct. so kann sich doch die ung.
Kunst zur Stunde mit Namen und Erscheinungen In'üsten, die
keineswegs zu den Alltäglichkeiten gehören. Das epochale Hihi
eines der grössten Meister der Gegenwart zieht gegenwärtig im
Triumpfe durch die Welt ; einer unserer Künstler hat die höchste
Auszeichnung der französischen Kunst errungen, ein anderer hat
soeben Schiller's Glocke nnd Goethe's Faust mit einer seltenen
kfinstlerischen Vollendung illustriri Unsere Landsleute sind Di-
rektoren und Lehrer an Kunstschulen von europäischem Ruf ; sie
sind Künstler an Höfen fremder Fürsten und fremde Nationen sehen
mitstolz ihrenSchdpfifngen entgegen; un^re Künstler erscheinen auf
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DIB BILDBMDB KUNST IN imOABN. 879
allen 'AoBBtellmigeii, sie arbeiten in den Ateliers und Ennstschnlen
TOD FlBriB und Rom, yon Münclien und Wien, nnd in Rom ist e6
desgleichen einer der ünserigen, der als einer der ersten in der
alten korrekten Heili^enmalerei gilt. Ausserdem aber haben wir
anch zuhause ausgezeichnete Meister, die berufen sind zum Baue
und sur künstlerischen Ausschmückung unserer Kirchen und Pa-
läste, znr Schaffang yon Monumenten für unsere grossen Manner.
Mit einem Worte,* die nng. Knnst zeigt sich heute der grössten
Aufgaben gewachsen. Aber das Land, die Oesellschaft bieten ihr
nidit Gelegenheit, sich in ihrer Tollen Bntftdtnng sn zeigen.
Der Ilauptfaktor der Kuiistfiitwickelung in Ungarn ist noch '
iTOmer der Landesverein für bildende Künste, der auch in materi-
eller Weise erfreuliche Fortschritte macht. So betrugen seine ord,
Einnahmen im y. J. (bei einem Präliminare von 56,093 H.) 05,974 fl^
seme aosserordentlichen Einnahmen (bei einem Präliminare Ton
22,000 fl.) 32,581 fl., die ord. Ausgaben pr&liminirt 47,841 fl., in
WiiUiebkeit 65,748 fl., die ausaeroidentliehen Ausgaben praliminirt
11,846 fl., in Wirklichkeit 6,313 fl. Dieser Verein ist seit Jahr und
Tag bemüht, Regieming und Gesellschaft zur Errichtung einer Aka-
demie der bildenden Kiinste zu bewegen, und es ist gegründete Hoff-
nung vorhanden, dass die Errichtnnu^ einer solchen Anstalt nicht
lange wird auf sich warten lassen, welche sans phrasc einem dringen-
de Bedfirfiusse entsprieht. Denn die Musterzeichensehule und die
Zeiehenlehrer-Ptäparandie, die einstigen nng. Bildungsst&tten die-
ser Art, haben bereits eine Überproduktion anSchtÜem zuwege ge-
bracht, die mit sich nichts anzufangen wissen, wenn ihnen ihre
Mittel den Besuch auswärtiger Akademien behufs Beendigung -
ihrer Studien nicht erlauben. Es thut daher eine Anstalt noth,
welche als Krönung des Kunstunterrichts zu betrachten wäre und
anch tmseren Meistern Gelegenheit gäbe, ihr Wissen und Können
dem hoflhungsYoUen Naehwunsch mitzutheilen. Dann w8re auch yiel
Tou der Wechselwirkung zu erwarten, welche Schule und Leben
auf einander üben. EunstbedÜrfhiss und Kunstgesehmack wttrde
der Akademie auf das Publikum ausgehen und andererseits
würde auch der wachsende Geschmack des Publikums die Künstler
zur Erreichung des Höchsten anspornen.
Bis aber die Akaclemie der bildenden Künste errichtet wer-
.25*
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0
380 DIB BILDKHBB KUMOT IN UNOABlT.
' den kann, ist es notliwendig, die vorhaiidenen wirklichen Künstler
zu beschäftigen und in dieser Beziehung wetteifern bereits die
Regierung, die Hauptstadt und andere Munizipien, die Akademie
der Wissenschaften, wie auch einzelne wenige Private - rari
nantes — mit einander, um Arhitekten, Malern und Bildhauera
Arbeit zu geben ; es ist all' dies nicht viel, aber es ist doch Etwas
nnd jedenfalUi hundertmal mehr, als seit einem Jahrhundert in die-
ser Besiehtmg in Ungarn geschehen ist Den wohlthStigsten Ein-
flnsa auf Förderung yon Geschmack nnd Ennstsinn ttht jedoch der
oft erwShnte Landesrerein durch seine periodischen AnssfceUungen,
weldie, wie bekannt« Ton vielen bedeutenden Ellnstlem des Aus-
landes schon regelmässig beschickt werden. Auch das materielle
Erträgniss dieser Ausstellung ist keineswegs zu ignoriren. Im v. J.
wurden daselbst Bilder ung. Künstler im Werthe von 18,172 H., Bil-
der auswärtiger Kiinstler im Werthe von 15,233 fl., zusammen also
flir 33,315 fl. verkauft. Auch die Preisausschreilmngen des Vereins
. erfreuen sich günstiger Resultate, indem die drei ersten Preise im
Tcrflossenen Jahre wirklich trefflichen Bildern zuerkannt werden
konnten. Auch erhält der Verein regelmässig Einladangen zur Be-
sehioknng der grösseren auswärtigen Kunstausstellungen, auf de-
nen die ung. Bilder stets gute Platze und gute Preise erhalten,
kurz, es ist ein Fortschritt sowohl eztensiyer wie intensiver Natur
auf allen diesen Gebieten der Kunst zu konstatiren.
Als das gtibizendste Ereigniss unserer Ausstellungen muss
srohldas Erscheinen von Munktfcsy^s »Christus vor Pilatus* au^ge-
ihsstwerden, welches Gemälde von der Kunstkritik so überaus hoch-
geschätzt wird ; das Verdikt derselben lauü't daliin, dass die Kunst
des XIX. Jahrhunderts nichts Bedeutenderes gesehaÜ'en hat ; dass
seit Rembraudt kein grösseres Meist^^rwerk zu Stande gekomnu u
und dass der Name Munkacsy's neben Michel Angelo und Bafael
genannt werden darf. Es ist nicht unser ITrtheii, welches da nur
leicht in die Waagschale fiele, sondern das Urtheil Solcher, die sich
für uns sonst nicht sonderlich begeistern. Und es ist dies das Lob
Jener, die die Werke unseres grossen Landsmannes auf ihrem
Triumpftng dies- und jenseits des Ozeans mit Enthusiasmus anfiieh-
men nnd mit riesigen Summen bezahlen, und es ist dies das Urtheil
jener eiinsten und bedachten Faehm&nn%r, eifersfichtiger Kflnstler
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DIE filLDJ:,NL>K KU^ST IN UliUAKll« Söl
und strenger Kuiiatkritikervdie ihrer Nation und deren Kunst gern
den höchsten Preis, in dem geistigen Weftkampf zuerkennen. Mit
patriotiBchein Stolze erwähnen wir diese fremden UrÜieile, damit
wir nicht der snperfötatiyen patriotischen Begeisterung oder der
beschzinkten Befengenheit des Oharndnismns geziehen werden,
indem wir selbst unseren Stolz über Munktfcsy's Leistungen zum
Ausdruck bringen.
In der Metropole der Kunst, dort wo mau in olympischen
Spielen gegenwärtig um die höchsten Preise ringt, hat unser
Künstler diesen höchsten Preis schon vor Jahren errtingen ; doch
durch sein neuestes Werk hat er sich selbst über seine bisherigen
Schöpfungen erhoben. Paris hat das Erreigniss anerkannt und ge*
feiert. Man TcrkÜndete seinen Ruhm in Ptosa und in Versen, in
Leitartikeln, Feuilletons und in Gedichten. Doch wSre nus all' sein
Ruhm ein kalter Strahl, eiu hohler Glanz, verbände sich in Mun-
kacsy nicht der Genius der Kunst mit dem Genius der Nation, und
wäre er nicht ein treuer Sohn seines Vaterlandes. Und deshalb
imisste anch der französische Dichteir Ton ihn singen :
„Stolier Meister, der dn Chnstna
Voller Andacht hast gemalt,
Klio schrieb schon deinen Namen
In das Buch der Ewigkeit,
üngain sind es imd Fransosen,
Deren Stols du, Meister, bist
^ _ II
Und ein anderer Dichter singt :
»Nicht wahr ist's, dass Altäre gesunken all' in 8taiil>,
Dass, was prross und erhaben, bereits der Zeiten Raub.
Noch lebt in unserem Herzen des Gottos Herrlichkeit,
Noch opfert man auf seinen Altären weit und breit.
Der Genins der KOnste, er lebet ewiglich
Und Ungarn und Fraasosen sind beide stols anf dich.
Und wieder auferstanden seh*n wir die Ahnen gross.
Es öflnet sich die Kette, die sich mit Sembcandt scUoss.
Haan, Michel Angelo, sie Offinen Ihre Beih^n,
Sie heissen dich willkommen, sie sagen dir : „Ititt ein !"
Solche Dithyramlien preisen in Munkacsy nieht nur den
Künstler, sondern auch den Patrioten ; doch verlas.seu wir den Sa*-
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882 vis BILDENDE KUV»T Ol TISrOABN.
genkreis, der sich um den Efinstler zn bUden beginnt und beschäf-
tigen wir uns mit seinem (Gemälde, in welches Viele die Tendenzen
der Zeit hinein rerlegen zu dürfen glaubten. Wir, die wir das Kid
gesehen, die wir die Geschichte seiner Entstehuug und Wandlun-
gen kennen und die wir es nicht durch das Glas flüchtiger Tagesfira-
geii imd Ideen betrachten, sondern es mit dem Apparate tiefer und
gründlicher Kunstkenntnisse und auf (Jrund der ikonologisch-
typologischen Studien, welche wir an religi(")sen Bildern gemacht
beurtheilen, wir können auch beziiglich dieser angeblichen Ten-
denz des Bildes bald ins Klare kommen. Aber ohne diese Studien
kann nur der individuelle Geschmack oder die beschränkte Auf-
fassung, kann nur das geistreichelnde Apercu angesichts dieser
Schöpfung zum Ausdruck gelangen, und immer wird es dann der
Geist d^ Beschauen sein, der sich in dem Bilde widerspiegeln zu
können glaubt, der Geist des Bildes wird yon diesen aber gewiss
nicht erkannt werden.
In der Ghristos-Bconologie des Gottmenschen, angefangen
Ton den byzantinischen, romanischen und gothischen primitiYen
und erhabenen Typen, von den Bildern Giotto's und Angelico's,
Michel Angelo's und Rafaers, Leonardo da Vinci's und Guido
Reni's bis 7,ur neuesten Zeit, gibt es keine erhabene und gibt es
keine Zcngestalt, welche Meister und Stümper bei der unerreich-
baren Darstellung dieser allerhehrsteu Gestalt nicht angewendet
hätten. Doch bleibt es zweifellos, dass auch die beste Darstellung
fern blieb von dem würdigen Ausdruck des unerreichbaren Ideals,
und konnte demselben stets nur ein individuell mehr minder mei-
sterhafte oder menschlich gefällige Gestalt verliehen werden,
denn das Göttliche konnte nur durch mehr minder gelungene
menschliche Gestaltung wiedergegeben werden. Die Gestaltung
Munk4c8y*s nähert sich nun in der Familie dieser Bilder, ikonolo-
gisch genommen, am Ehesten jenem Typus, welcher seit dem Mit-
telalter den im Garten zu Gethsemane leidenden Erlöser mit dem
Ausdruck dt's Schmerzes un<l mit dem vSelbstgefühl göttlicher Kraft
und Gerechtigkeit darzustellen pflegt. Diese Auffassung wiire nur
insofern motivirt, als Jesus aus dem Garten zu (iethseniaiie zu sri-
sem iüchter geführt wird, wo sich der Schmerz des Dulders mit
seiner göttlichen Kraft und mit dem Ausdmck seines Gerechtig-
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^ ME BIIiDENDB KUIfST IM ilMGABN. 383
keitsgefQhls Tereiiugt Diese Wirkung ttbt die Gestalt auf jenen
aus, der sie vom Gesiditspunkte kunstgeschichtUcher Studien tuid
der religiösen ikonographischen betnkchtei *
Wesentlicher ist es, wie uns in diesem Werke die grossen
Fragen des künstlerischen IdeaHsmns und BealisninB entgegentre-
ten. Die geschichtliche und kirchliche Malerei, die wirkliche grand
art kilmpft stark gegen diese Tendenzen' an. Die realistische Auf-
fassung, die naturgetreue Reproduktion, die lebensvolle Copie des
Modells, sie hat als Errungenschaft und Tendenz der heiligen
Kunst die liichtung jener Meister verdrängt, die nach der alten
klassischen Idealisiiniug und nach dem Erhabenen strebte. Doch ist
der erhabene Geist und die ideale Auffassung durch diese reale
und materielle, wenn auch meisterhafte Darstellung, ebensowenig
wie durch die yoUst&ndige Vernachlässigung des Realen und Na-
turgetreuen zufidedenzustellen, und dies umsoweniger, je stärker in
ihm das Geffthl des Idealen ist und je starker sein Wunsch ist, sich
in die Höhe und zu dem Ideale zu erheben.
Dabei ]>leil)t aber die Berechtigung der Natiu'troue und des
Modellstudiums ausser allem Zweifel. Doch ist dies bloss ein Theil
des Ganzen, welches durch den geistigen Ausdruck des naturge-
treuen Körpers und durch die ideale Erhebung gebildet wird ; bloss
diese höhere Synthese und Vereinigung des Idealen mit dem Na-
turgetreuen ist im Stande, der idealistischen, geistigen und materi-
ellen Natur des Menschen, seinem geistigen Ideale und seinen realen
Erfidirungen und Kenntnissen zu entsprechen. Es ist dies eines der
grossen Probleme der Menschheit, zu deren Ldsung auch die Kunst
berufen ist So oft wir daher den Genius der Kunst in diesem Stre-
ben begriffen finden, können wir ihn stets getrost begrüssen.
Und das ist es was wir auch in (\tnn Meisterwerke unseres
grossen ung. Meisters begrüssen können, der die Kunst auf jene
* Von anderen Gesiclitäpunktuu der kirchlichen und religiösen Ma<
lerei betnushtet das Bild Laversant in seiner geistvollen Schrift : „Le
Christ devant Pilatej de Miehel de MunkAosy." Lavennuit hielt nämlich
in der Pariser Geaellschsft sum h. Johannes eine Reihe von Vortragen,
welche die religiöse Bedeutung des Bildes erklärt nnd nachweist. Wie
sehr dieses Werk mm auch gelungt n f*oin mag, halten wir den oben ski-
.xirten Amgangspnnkt dennoch fär motivirter.
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384
DIS ULSIOIDE KUNST W UliGA£N.
Höhe gehoben hat. auf welcher sich das reale Leben mit dem geisti-
gen Twlnndet ond die allerhehrsten Ideale und Probleme dör Reli-
gion nnd des historischen Lebens sich nmschlingen. Dem Genius
der nationalen Kunst bleibt nur noch Ehnes zu wünschen übrig,
dass nämlich der Ellnstler das verwirkliche, was der Kunst seines
Vaterlandes noch abgeht, und was wir als patriotisches Opfer von
ilim noch erwarten, dass er nämlich mit seiner Kunst einzelne
ruhmwi'mligo Szenen aus der vaterländischen (jtscliiclite ver-
ewige. Michael Munkacsy hat seine Laufbahn mit der gefühlvollen
Darstellung des ung. Volkslebens, das er sich aufgennramen, begon-
nen und damit sich einen Namen gemacht. Wir glauben da-
her mit Recht, dass er seinen Ruhm durch die erhabenen Bilder
seiner vaterländischen Geschichte krönen wird. Damit wird er
die wunderbare Vergangenheit seiner Nation illustriren, die im
Stande war, durch heroische Sntschlossenheit und durch ihre
staatenbildende Kraft mit einer HandToll Menschen inmitten der
grSssten und gebildetsten Völker eines der schönsten Länder au
erobern, daxin einen Staat au grttnden und denselben inmitten so
▼ieler Geihhxen, tausend Jahre hindurch zu behaupten, die im
Stande war, sich auf jene Stufe der Bildung emporzuschwingen,
welche von den sie umgebenden Völkern nur noch eines einge-
nommen hat und auf welcher sie der Welt solch' einen Künstler
schenken konnte. ^'ielIeicht nirtl uns aus seinen Bildern die Welt
besser verstehen als aus unserer loOO jährigen Geschichte und aus
den Bestrebungen unserer Literatur und unserer Staatsmänner. Und
vielleicht wird es schliesslich unserer Kunst gelingen, eine Schule
der ung. Historienmalerei zu begründen und so ein neues und
glttckliches Gebiet der Qestaltungen zu betreten.*
Vielleicht wird es unserer Kunst gelingen, der Welt zu erUft-
ren, was unsere nicht fiberall verstandene Literatur und was unsere
nationale Selbstständigkeit und unser Staatsleben ihr nicht begreif-
lieh maohen konnten, wie dies auch Italien gelang, als es ein eige*
nes staatliches Leben entbehrte und unter der Fremdherrschaft
seufzte, und wie dies den Niederlanden gelang, da ihre Kunst die
* Miehael Munbicsy hat sich scitlier beit it orklilrt, ftir den Prank-
aaal der ung. Akademie der Wissenschaften ein Bild : »KOnig Mathia*
unter seinen Dichtem and Gelehrten'^ malen zu wollen.
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AMTIKB BLKICFSOBBSTAKDB IM UN0AU8CHEB SATIONAUfDSKLll. 385
Welt beherrscbte. Möglich da«« auch tmsere künstlerischen Talente
mit der Änderung der Cultiirriehtung nach einigen Jahrzehnten
schon eine Ahnahme erfahren werden, wie wir dies l>ei nnHercii
politisi'lien und dichterischen grossen Talenten nach einigen Jahr-
zehnten kurzer Blüthe erfahren liaben. Ergreifen wir dalier die (le-
legenheit, jetzt, da sie iu solchem Glänze auftauchen, ihnen Arbeit
und Beschäftigung zu geben. Errichten wir für die grossen Meister
und für ihre zahlreichen zu so grossen Hoffnungen berechtigenden
Schiller eine Akademie, damit sie die nng. Knnst begründen nnd
der Nation monnmentale Werke scbaifen. Schrecken wir von den
Schwierigkeiten des Anfangs nicht zurück, sondern kämpfe ein
Jeder hoffhungsroll fttr die bessere Zukunft auf der Stelle, welche
ihm die Yotsehung als Wiikungskreia angewiesen !
ANTIKE BLEKiEGENSTÄNDE IM UNÜiUUSCHEN
NATIONALMUSEUM.
Herr Redakteur !
Das Interesse des Ghemiker^s an der Greschichte der Metalle,
die zugleich ein nicht unwichtiges Stü«^ der Geschichte menschli-
cher Entwickelung bildet, führte mich diese Ostern in Ihr reichhal-
tiges Nationalmuseum. Mit gütiger Verstattung des Direktor*s der
Antikenabtheilung musterte ich unter liebenswürdigster Beihilfe
Seitens des Gustos^ Herrn Dr. Hampel, die dortigen Schätze nach
Bleiobjeliteu durch, da gerade die Bleifunde (diesseits der Alpen
iiberhaupt selten) bisher mit Ausnahme der ^Piombi" nur gerin-
gere Beachtung ncheinen gefunden zu ha])en. Als ich später in
einer ( n>sell.schaft mich mit Ihnen über diesen (iegenstand unter-
hielt und das Gespräch abgebrochen werden musste, hatten Sie die -
Freundlichkeit mich aufzufordern, ich möchte nber das fallen ge-
lassene Thema — den Gehrauch des Bleies bei den Alten, namen-
menüich den Römern — einige Notizen aufsetzen. Dieser Auffor^
demng komme ich hiermit nach, obgleich, wie ich gestehe, mit
einigem Zögern im Hinblick auf die Lückenhaftigkeit meiner bis-
herigen Eenntniss dieses Gegenstandes.
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386 AMTIKE BLBlOKaSHSTÄNDB II miGAIUSGHBV NATlOMALMUSBUll.
Die Leichtigkeit, mit der sich das Blei gewinnen und bearbeiten
lasst, seine Weichheit, sein hohes speeifisches Gewicht einerseits,
aeine Unansehnliehksit anderseits bestimmtenr schon bei den alten
Völkern seinen Gebranch zn Zwecken, denen es snm Theil noch
iieute dient. Man verwendete es so^ar ausgiebiger, als heute, wo zum
Theil das Eisen und manche andere Stoffe dessen Stelle vertreten.
Durch die oherwühnten Eigenseluilten taugte das Blei für
viele technische Zwecke sehr wohl, als Material für artistische Ar-
beiten dagegen sehr wenig. In der letztern Richtung findet man
darum auch kaum mehr als blosse Produkte des Kunsthandwerks
mittelmässigster Sorte. Ich will mit der Besprechung dieser Klasse
Ton Gegenstand«! beginnen. Sie umfasst, soviel ich bisher davon
gesehen habe: l.gans flach gearbeitete Darstellnngen yon mensch-
lichen Gestalten nach Art der Bleisoldaten unserer Knaben ; 2. Plat-
ten mit figoralen Darstellangen ; 3. Gefftsse.
Im Bndapester Museum finden sich swei weibliche Figttrchen
ersterer Gattung. Die eine (Seite 387 Fig. 7) 10 Vi Om, hoch, hraun-
lich weiss oxydirt, ist zu Steinamanger gefunden. Die Gestalt ist
ganz unbekleidet, was besonders deutlieh an der ])esser aiisgear-
Ijoiteten und erhaltenen Rückseite ersichtlich ist. Ungeachtet das
Figürchen ganz flach ist, zeigen sich ►Schultern, < iesäss und Wa-
den etwa wie im Flachrelief gearbeitet, ganz wohl erkennbar. Dtni
Haarknoten am Uinterhaupte bildet eine regelrechte achtstrahlige
Bosette. Um die ganze Gestalt geht ein Streifen, in welcliem die-
selbe, wie in einer Nische steht £a ist unzweifelhaft ein Venusbüd
in einem Eapellchen.
De Meester de Rayenstein fOhrt in dem Verseichniss des
Mus^ de RaTcnstein, Bruxelles, 1880 zwei ähnliche Venusbild-
chen an (Nr. 1490 und 1491). Vielleicht hatten diese Figuren eine
ähnliche Bedeutung, wie die Heiligenbilder, welche heutigen Tages
von Wallfahrern /um Andenken von einem Gnadenorte h<'imf5e-
bracht werden, oder si»* di»'nteu als Votivbihler. Dass der Handel
mit !sok*hen .Triupelchen** ein nicht minder sohwunojhafter war,
erfahren wir aus der Apostelgeschichte c. XIX. v. 23 u. ff. — Mit
vieler Lebendigkeit wird uns erzählt, wie sich die (loldschmiede zu
Ephesus, welche »silberne Tempel der Diana" machten, gegen Pau-
lus wegen Gewerbstörung zusammenrotten, weil er lehre, es gebe
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ANTIKE BLEl(iK«jENÖTANI»E lU UNGAKIt<tHKM XATlONALMl >EÜ1J. 6bl
keine Götter, welche von Händen gemacht sind ; ihr Handel müsse
dahin geraten, dass er nichts gelte.
Ich erinnere mich eines herciilanischen Bildes, das eine Szene
aus Iphigenie auf Taims darstellt. Darauf sieht man ausser den hei- *
Autikc Bleigcgcnstüudc des Nationalniuscums.
den gefesselten Freunden auch das Corpus delicti : ein Dianenhild,
um das gleichfalls so ein Tempelchen augebracht — ein runder
Bogen.
Dass nicht zahlreichere Funde dieser Art bekannt sind, mag
zum Theil von der leichten Zerstörbarkeit des Muteriales herrüh-
ANTIKK BLEKJEßENSTÄKDF. IM UNiiAIlIbCHEN NATIONAI^'SEUM.
ren. Manches mag ülirigens uoch in den Sammlungen aun^ewahrt
und imbekannt geblieben sein, weil bisher das Augenmerk darauf
nicht gerichtet worden ist. Ich kann hier die Bemerkung nicht un-
terdrücken, dass das Material von »Seite der Archäologen bisweilen
gar keine Beachtung findet, oder das« man bei der Beurtheilung
desselben sich bisher fast allein vom Augenschein hat leiten lassen,
wo nur chemische Analyse entscheidende Aufschlüsse geben kann.
Antike Dleicc^eustündo im Nntiotialinnscnu).
Blei, Zinn und deren Leginingeu werden noch mit einander ver-
wechselt.
Zu solchen Votiv- oder Gedeukbildera dürfte auch ein klei-
ner Neptun zu rechneu seiu, der sich nach gefalliger Mittheilmig des
Herrn Direktor Lipp in der Sammlung zu Steinamanger befindet.
Die zweite, ebenfalls flacli gearbeitete Figur, die im ungari-
schen Nationalmuseum aufbewahrt wird, ist eine 5 Cm. hohe»
ANTIKE BLEIGECENSTÄNDE IM ITfOARISCHEN NATIONALMUSEUM. 389
kopflose, mit einem faltenreicheu Gewand augctbaue Gestalt. Auf
der Rückseite, entsprechend der Höhe des Gürtels sind an der Lehne
des Trousessels sehr deutlich die Buchstaben CISON in erhöhter
Schrift zu lesen. (S. 387 Fig. 2 a, 8. 388 Fig. 2 b.) Gestalt und
Inschrift zu deuten muss ich
dem Scharfsinn der Archäologen
tiberlassen.
Auch von der zweiten Art
figuraler Darstellungen — Flach-
relief auf Platten — finden sich
zwei Exemplare im National-
museum. Die eine Platte misst
77» Cm. im Geviert, die andere
ist l^it Cm. lang und 9— O'/a
Cm. hoch. Die Darstellungen
auf beiden haben Bezug auf den
Mithras-Cultus, und sehen sich
bis auf einzelne Kleinigkeiten
ganz gleich. Die eine Platte ist
mit einer ganz besonders schö-
nen gleichmässigen, grauweissen
Oxydschicht überzogen. Be-
schrieben und im Kupferstich
abgebildet sind die Gegenstände
in Tudomanyos Gyüjtemeny. An.
1818. III. p. 64. (Aus der Bitt-
nicz'schen Sammlung von Stein-
amanger).
In ähnliclier Art gearbei-
tet fand man im Amphitheater
zu Metz eine Bleiplatte mit der
Darstellung einer Viktoria, wel-
che eine Büste der Roma bekränzt. (Grivaud de la Vincelle,
Recueil. p. 30.)
Von omamentirlen Bleigefasseu ist wenig bakannt gewor-
den : eine Vase mit Bacchus, Silen und den vier Jahreszeiten fülu-t
Gerhard an (Antike Bildwerke, 1. 87), einen lUeibecher mit auf-
•4'.
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I
890 AHTIKB BUIOBOBimrlNDB IM ÜN6aBI8CHRN HATKHIAUlirSBint
geprägten Bildern in Medaillonfom findet man in Overbeck, Pom-
peji, 3. AuH. 8. 548, Fig. 812 abgebildet.
Ausser den Objekten der drei oben angeführten artistiscb-
technischen Richtungen wären ganz kunstlose Figürclien von Sol-
daten, Reitern (De Meester, l. c. Nr. 1492 und 1493). ( iaukleru
(Caylus, VT. \). 277) u. s. w. zu erwähnen, die wohl aU Kinderspiel-
Sachen aufzufassen sind.
In künstlerischer Beziehung werden die von mir bisher auf-
gezälilten Gegenstände weit übertrofFen durch einen kleinen Wid-
derkoi)f, den ich in der roichen, mit der lieben. swiirdi'^sten Bereit-
willigkeit mir zugänglich gemachten Privatsammlung des Rathes
vom obersten Gerichtshofe, Herrn v. Rath zu sehen Gelegenheit
hatte. Die stark gebogene Nase, die gracilen nur einmal nach vom
gekrümmten Homer erinnern an den Typns mancher Widderkdpfe
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4
.lul" griechischen Arbeiten. Au den vorsprüngendon Theilen ist der
matte Glanz des Metalls gut sichtbar ; die tiefereu Partien sind mit
weisaliehem Oxyd überzogen.
Weit wichtiger ist die Bolle, welche das Blei auf techni-
schem Gebiete spielte.
4. Das Blei diente zunächst wegen seiner Zähigkeit als Bin-
demittel. Bei Stdnhanten goss man dasselbe entweder iu die Fugen
zwischen die Steine, oder mau trieb in Quadern, welche durch
Eiaeuklauimorn zusammengehalten worden sollten, Löcher, die man
mit Blei ausfüllte, um dadurch den Klammern mehr Halt zu geben.
(Ver<^l. Vitruv. IT. cap. 8. §. 4 : his ansis ferreis et plumbo frontes
vinctae). Diese letztere Art war offenbar sehr alt, denn schon He-
rodot spielt auf dieselbe an. Er erzählt (I. 186), Königin Nitokris
hätte die beiden Theile Babylon's durch Überbrückung des Euphrat
T^^einigt ; die Brücke hatte sie aus Quadern errichtet, wobei sie die
letztem mit Eisen und Blei verband (öiovaa robg U&ovq aiSfi^
t$ xtd ftoX^ßdifi), Beide Arten kann man noch hent an Teischiede-
nen Bauten des alten Rom sehn ; die erst besprochene (AusfUUnng
▼on Fugen) kam gewiss, wenigstens stellenweise am Amphitheater
zu Aquincnm in Anwendung. Die Besucher des Museum*s werden
unter den dortselbst gefundenen Gegenständen auch ein solches
Stück zerflossenen Bleies beuierkeu
Auf einem ülmlicheu Principe beruhte die Anwendung dieses
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/
\
392 ANTm BLBI0EGEN8TÄNDK IX UNGARISCHEN NATIONALMUgEülf.
Metalles bei Marmor- und Bronzewerkeii. Bei ersteren wurden die
zusammeugeliörigeu Marmorstücke durch Nägel zusammengebal-
ten, welche in Löcher derselben mit Blei eingelassen ¥rauren (Ar-
. chaeoL Zeitg. N. F. I. 65) ; bei grOaseren Bionzewerken waren die
Lacken, die bd dem Zusammenpassen der Gnssstficke flbiiggeblie-
ben sind, mit Blei vergossen (interque omnes sinns conunissnia-
rumque juneturas plumbuni ire suflPusum, sagt Amobius in den Di-
sputationes uilversus geutes <>, IH.)* Auch womU'te mau das ge-
schmolzene Blei zum Festlöten von Gegenständen an. Ol) die iu
Dodoua gefundeneu BleistUcke (in den Tempeln und im Temen os)
dazu dienten, die Steine zusammen zu halten oder Weihegescbeuke
auf ihrer Unterlage zn befestigen, lässt Carapanos (Dodone et ses
' Rnines, Textes, p. 106) nneniscliieden.
Endlich wandte man die bindende Kraft des Bleies sogar bei
hölzernen und eisernen Bestaudstücken landwirth schaftlicher (Ge-
räte an z. B. bei der Ohlpresse (Cato, De re rustica, 18). Auch die
Säule der Uhlmühle (Trapetum) empfielt Cato zuerst mit Weiden-
holz zu verkeilen und dann noch Blei einzugiessen, damit sie nicht
wackle (eo plombum effiindere caveas, ni labet columella) ; ebenso
wird die Nabe mit Bleireifen umgeben (modiolos circumplumbato).
Das ganze hiezu nötige Blei kostete zu Gatows Zeit 4 HS.
5. Um Colossalstatuen eine grössere Stabilität zu geben, goss
man die Füsse derselben mit Blei aus. Ein interessantes Beispiel
dieser Art hat der Custos des kaiserlichen Antikenkabinettes zu
Wien Herr Dr. Kener die Güte gehabt mir zu zeigen.
6. Wie man noch heute aus edlem Metall angefertigten, leich-
ter gearbeiteten Gegenständen bisweilen durch Unterlage von ge-
ringerem Material mehr Halt gibt und sie vor Verbiegen schützt,
so füllte man auch manchmal getriebene Verzierungen (emblemata)
mit Blei aus. Dergleichen sieht man z. B. an einem Stück des Hil-
desheimer Fundes — der Schale mit dem Belief der Kybele (R.
Schöne, Zum Hildesheimer Funde. Hermes. DI. 477).
Grosse Gefösse, vor allem die irdenen Fässer (dolia) wurden
* Siehe O0ppert*8 interessante HabiUtatioiiflKhrift : Ober die Be-
deutung von femuninare und adplombaie in den Paadecten. Breslau 1869.
(Seite 34.)
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0
ANURR BUnOEOBKi^TAimR IM ÜNOABISCHBN »ATIONALHUSSDM. 393
mit Blei reifen umgehen, um sie haltbarer zu machen (dolia phimbo
vincito, vel niateri(^ (|uernea . . . ulligato. ('ato. ed. ^^Jesner. 40).
Caveiloni be:icheibt (Bull. d^lF Jiistituto archaeologico 1846,
S. 34) ein l'>a<|ment eines solchen grösseren Gefasso^;, an welchem
diese Bindearheit zu sehn ist. Es ist an mehreren Stellen durch-
bohrt, in die Löcher sind Bleinägel eingetrieben, welche dann an
der Innen- and Anssenseite mit halbcylindrischen Bleistreifen
verbanden sind, indem sie so ein Netz bilden. Anf Thera fiuid man
auch «'ine wertloJ«e Amphora mit Blei «genietet (Koss. Inselreisen I.
67). In den »Sammlunj^en Huden sich solclu» Gefusse selten, nicht
weil sie überhaupt nur selten aiilLretunden werden, sondern weil
die Landleute, wenn sie auf solche stossen, sie zerstören, um das
Blei zn gewinnen. Auf diese Art, die Fässer zn festigen, bezieht
CaTedoni anch die Worte des Plinins (XVIII. 64. 2) «dolia qnassa
saidre ipsommqne laminas scabendo purgare ant novas facere.* Er
rersteht anter sarcire das Anlegen der Bleistreifen, and bezieht aaf
sie, da^s sie durch Schaben zu reiuiV^eu seien. Mir scheint aber doch
warscheinlicher, dass das sarcire auf das Anlegen von Keifen (nia-
teries queruea) geht und dem „alligare'' des Cato entspricht, die
laminea aber Fassdauben sind, die entweder zu reinigen oder durch
nea eingezogene zn ersetzen wären. Üs lag nahe, auch serbrochene
Tongeschirre mit solchem Bleigeflecht zu umgeben (wie man es
bei ans mit Eisendraht thut), ja man fügte bisweilen in die Ldcken
Scherben von andern Gefässen ein und hielt sie dann durch Blei-
klanimern fest. Ein sehr interessantes Beispi«'! ist die von Gerhard
al)gebildete Vase (Auserleseue Vasenbilder. II. Nr. 145. Beschrei-
bung S. 180). Das Ausbessern mit Blei scheint ganz gewöhnlich
gewesen zu sein. In Ter. Varro's Saturarom Menippearum reliquise
(ed. Biese S. 227) fand ich die Stelle : Sed quae necessitas te jubet
aqoam effnndere domi tua? si uasa habes pertosa, plumbnm non
habes?
Mit Blei befestigte man auch Deckel von Gefässen, die be-
sonders dicht schliesst n sullteii, z. B. an M^dikamentenbüchsen mit
einem Bleiring oder einer Bleikappe (Güp]>ert. 1. c. 30).
7. Wenn die ßömer auch schon das «Verzinnen" der Innen-
flache von (Gegenständen in der Weise, wie es bei uns üblich st,
gekannt haben, so Aberzogen sie doch oft die erstem mit Blei, da
ÜngMiwlie B«v»c. im. V. Holl.
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394 * AMniB BtAtOBOBNflTlKnR IX UNOAtttSCIIBN VATIMAUIÜSEOM.
dieses, wenigstons zn Plinius Zeiten (XXXIV. 18. 2.) um mehr als
(las elffache hilliger war, als Zinu. Mau kleidete mit Bleiplatteu
ganze Sär^^e aus.
8. Eine sehr wichtige Verwendung hatte das Blei zur Her-
stellung von Waaserleitungsröhren, die Vitruv (VIII. 7) fistulae im
Gegensatz zn den Tonrohren (tuhuli) nennt. ^Fan stellte sie aus
Platten her, die um einen Kern gehogen wurden. Die Ränder wur-
den auf einander gehämmert und dann änsserKchTerlStei Die Plafc*
ten sollten nicht kürzer, als 10 pedes(2'96 Meter) gegossen werden.
Seit Agrippa*8 and Vitrav^s Zeiten bestand, nach Beseitigung iUte-
rer Masseinheiten, die «quinaxia* als ,modalns.' Nach YitniT^s
Angabe (VUL 7) meinten die pltimbarii damit ein Bohr, das aus
einer 5 digiti breiten Platte ge))ogen war. (Ex latitudine autein
lamnarum quot digitos hahuerint antequani in rotnmlitioneni fleo-
tantur, magnitudiiiuni ita noniina concipiunt fistulao.) Es hätte al«o
eine (^linar-Külire, da 1 digitus 18*5 Millm. (Hultseh. Metrolo-
gie) mass, einen Perimeter von 92*5 Millm. besessen. Frontinus (Do
aquis I. 25) 1)emerl<t aber ganz richtig, dass eine solche Bestim-
mong des Modulus etwas sehr unsicheres habe (sed hoc incertam
est quoniam cum cireumagitor [lamina], sicnt interiore parte adtra-
hitnr, ita per ülnm, quae foras speetat, extenditur). Der Qesammt*
durchmesser des dünnsten Rohres hätte nach Vitrar etwas Uber 29
Millm. betragen. Frontinns (unter Nerra lebend) hSlt es dagegen
ftbr das waiseheinlichste, dass die quinaria ihren Kamen daher
ftihre, weil ihr Diameter 5 Quadranten eines Digitus d. h. 18*5 -1-
4*6 = 23*1 Millm. mass. Während die Namen der Röhren hei
Vitruv sich nach der Breite der l*latte, in Zollen ausgedrückt rich-
ten, werden sie nach Frontinus bis zur vicenaria durch die Zahl der
t^hiadranten des Durchmessers bestimmt; also z. B, senaria bei
einem Durchmesser von " < digiti. Von der nicenaria an wächst
der Diameter Tiel langsamer. Die Octogenaria müsste nach dem
bis zur nicenaria befolgten Prinzip 80 Qoadrauten = 20 digiti im
Dianieter messen, tatsächlich aber mass sie nur 10 digiti und 26
seripuli (Frontin. 1. 58.), die centenaria hätte 25 digiti Durchmesser
haben mfissen, hatte aber bloss 11 digiti und 80 seripuli (Front. I.
62). Das dickste Bohr soll nach VitruT einen Umfang Ton 100 di-
giti gehabt haben d. h. 1*85 Meter, was einem Durchmesser yon
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ANTIKE BLEIOEOENSTÄNOB Uf UK6ABI9CBBN KATtONALMUSBUX. ^%
588 Millm. entspricht! Nach Frontinus war von den seiner Zeit
gebraueliliolien 25 modnlis der weiteste, dem die fistnla centennm
▼icenuin (I. 03) entsprach, ^e hatte einen Diameter von 228*3
MiTIm. Die Dimensionen des VitniT sind kaum glaublich. Dass sie
Pliiiius (XXX J, 31) auch anführt, kann kaum als Bestätigung gel-
ten. Ich glaube, er hat das ganze 31. Kapitel von Vitruv abge-
schrieben. Selbst bei den von Frontinus angegebenen Massen müs-
sen Röhren brüche nicht gerade eine Seltenheit gewesen sein,
namentlich da man die Bleirohren mit Vorliebe dort anwendete, .
wo der Wasserdruck besonders stark war (Plin. XXXI, 81. 1).
Das Nataonalmusenm bewahrt eine Röhre von etwa 52 Gm.
Lange (also fast nur von '/e der ursprünglichen); sie hat einen
Durchmesser von 08 Millra. bei einer Wandstärke von 5 — 7 Millm.
Sie ist also nach der Terminologie des Frontinus eine „fistula qui-
nam denum,'' deren Durchmesser 69*3 Millm. betragen sollte. Die
Commiaanr der Plattenränder khi£ft ein wenig. Die Röhre ist rauh,
mSsdg angenagt.
Die Tafeln, welche für diese Röhren bestimmt waren, goss
man in Formen, in denen die Inschriften vertieft waren, so dass sie
auf der Röhre selbst erhaben erscheinen. Sie tragen meist Angaben
ül)er die Consulen, wie die zu Lyon befindlichen, (von Roissien :
Insc. ant. de Lyon. 1854 beschrieben) .der Kaiser oder Stadtnia-
gistrate in deren Auftrag, der Privatpersonen (Leitung des Pop-
paens Hermes zu Bi^ae) oder Gesellschaften z. B. der Puellamm
municipii Gnmanomm zu Cumae (Opere dell' Instii areheoL 1838.
p. 77—70), auf deren Kosten sie errichtet worden sind. In andern
Fullen ist der Fabrikant (plumbarius) genannt z. B. ex ott'icina
Martini plumbarii (Lanciani, Ricerehe topografit lie suUa citii di
Porto. Annali dell' Instit archeol. 18<)8. [». 192J; die liöhre im Pester
Museum tragt keine Aufschrift. Vielleicht stand diese auf dem ab-
gebrochenen Stfioke, das sich nicht erhalten hat. Bei dem so hoch
entwickelten Leitungssystem der Römer, mnssten nicht bloss in
dem ausgedehnten Rom, das unter Nerva von nenn Wasserleitun-
gen versorgt wurde , sondern selbst in Provinzialstädten ausge-
ln-f'it€^ -Röhrennetze" bcstehn. Der aufmerksame Tiesncher Pom-
peji'« findet solche dort noch zum Theile sehr wohl erhalteji.
Yitruv fQhrt in sehr eindringlicher Weise den Tonröhrcu das
26*
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3a0 ANTIiTE BLEIOBOENSXAKDB im mrOillSCBBll KATtOSAIflnTBEini.
Won gogonüber den bhnorueii. VITT. 7 : mnlto scaliil)rior est ex
tubulis (irdenen) aqua quam per fistulas (bleierne üöhren) ; quod
per plombam videtor esse ideo yitiosa, quod ex eo cerussa nascitor,
liaec autem dicitur esse nocens eorporibns humanis. Gleickwol
wendete man sie an, and liess sich nicht abhalten, es selbst dort tu
thuu,wo die ehemische Wirknng des Mineralwassers sie bald zerstS-
reu musste. Pausaiiias maclit (IV. 35. 12) die interes.sante Angabd
tlass zu Dikaiarchia (in <ler Nähe von Puteoli) .^icli seiner Zeit eiu
heisses Wasser {r<)ioQ acpiai ö'tQfiöi') finde, welches die Bleirölue,
dnrch die es läuit, (Öit^fju yäQ 8ia fioX^ßdov ^ov) in wenigen
Jahren zernagt
Bei so ansgebieiteter Venwendnng der Bleiröhren wird es
nns nicht Wunder nehmen, dass die Herstellnng derselben einen
mächtigen Geschäftszweig gebildet hat, in welchem besonders zur
Zeit der Kaiser zum Theil bedeutende Vermögen investirt waren.
9. Sehr auifüllig ist es, dass man bei der zum Theil ganz
richtij/ erkannten Gefährlichkeit des Materials doch Kessel zum
£inkochen des Mostes (sapa) und Scliüsseln zum Abmachen des
Brodteiges anfertigte. Einen solchen Kessel £uid man in einer
Pompejanischen Eineipo, wo er vielleicht zur Herstellnng der Calda
dienen mochte, yon letztem mehrere Exemplare in einer Backerei
(Presuhn). Proben von beiden hatte ich Gelegenheit zu analysiren
und habe darüber au einer andern Stelle berichtet. Es gab sogar
dolia plumbea.
Bleigefässe lienützte man auch, um darin Pflaster zu kochen
(Plin. XIII. 3.) und andere pharmacentische Praeparate darzustellen
(Plin. XXXTII. 35. 4.) Bleimörser {pioXvßSivti d-vta) znr Bereitung
yerschiedener Medikamente. (Dioscorid. V. 95 nnd Plin. XXXIV.
50, 2.). Viereck i<^< Küsten aus Blei oder doch mit Blei geföttert
dienten oft zum AuftVngen des aus d^ r Presse abfliessenden Oliven*
öhls (Cohimelhi. XII. 50). Zuweilen findet man ancli Blcigefüsso,
deren Bestimmung sich nicht mehr ermitteln läast. Das Musee <le
Ravenstein bewahrt (Nr. 1494) ein cylindrisches (lefass, das bei
Frascati gefunden ward und yon de Meester f&r eine Aschenurne
gehalten wird. Im Nationalmuseum befindet sich ebenfalls eineyliu^
drisches ganz schmuckloses Geföss, dessen Durehmesser 3 Gm. be-
trägt; der obere Rand ist ungleich ausgebrochen. Es ist 6— 7Vt
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AHTIKB ÜLBIGEtigNäTiVDE iM UNUAKlüCBBa HATIüNAUfUSBUM. 8U7
Ciu. liiich und bestellt nach meiner Aiuilypi»' uns ri incin l>lei. Viui-
leicht diente es zur Aulbewuhruug einer Salbe. Fundort j'
10. Eine wichtige Rolle spielte ferner das Blei im Kriege.
Man go88 ans demselben die Glandee. Mommsen (Corp. Inaer. lat
I. p. 188—194) macht darauf aufmerksam, dass sie vor allem bei
Belugerangen in Anwendung kamen. Sie sollen darum aueh am
häufigsten um solche StSdte gefunden werden, welche erwiesener*
massen harte Belagerungen zu erleiden hatten. Die römischen sind
überhaupt seltener als die griechischen und gehören vor allem dem
7. und d( 111 Aiil'aii^a* des 8. Jahrhunderts der Stadt an. Sie waren
wahrsclieinlit li iu Tunlormeu «gegossen (glandes tundero, Bell. Afric.
cap. 20) und hatten bisweilen Inschriften iu erhöhter Schrift. Eine
hübsche (Tlaus mit schlanken aculeis (Liv. 38. 21) und der Auf-
schrift L. XV. fand ich in der bereits erwähnten Sammlung des
Herrn v. Rath. Obgleich der Besitzer über die Provenienz keine
bestimmten Daten hat, so darf man doch annehmen, dass der Fund
Panonien (im weiLesten Sinne) angehört , da wie mir Dr. Hampel
mittheilte, die XY. Legion eine Zeit in Panonien stationirt war. .
Mau schleuderte, wie en scheint, gauz gewohnlich, Glandes,
auf denen Nachricht*»n geschrieben waren : besonders verräthc-
rische Mittheilnugen aus helat^erten Orten konnte man so den Be-
lagerern zukomnieu lassen (iudicium glande scriptum misit und
mittere glandem inscriptam solebat. Bell Hispau. c. 13 und 1 8).
Dass die Glandes im Fluge geschmolzen (liquefacto plumbo.
Virg. Aen. IX. 588 und Lucan. VII. 513) oder gar rothglühend ge-
worden sind (Lucret VL 305 uff. ignem concipit in auris) ist na-
türlich nur poetische Obertreibimg. Liegt doch der SehmebponU
des Bleies erst bei 334% einer Temperatur, die ein abgeschossenes'
Blei nicht annimmt, noch weniger ein aus der Hand geschlendertes.
Ich kann von dem Gegenstände nicht scheiden, ohne der schwung-
vollen nnd durrh Wfdlaut ausgezeichneten »Stellf in Ovid's Meta-
luürphosi'n (11. 727) zu gedenkon. Indem er da« leidenschaftliche
Ergliih'u der Liebesehusucht schildern will, macht er den V ergleich :
Non .set'U.s exarsit, quam cum B.iit'uricii iiluiubuiii,
Funda jacit. Volat illnd et incandescit eundo.
Bt quof Bon habuit, sub nobibns invenit igne«.
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30»
Ausser den Glandes scheinen auch einfache Kugeln (i>Ium-
Y)ene sc. pilae) geschlenderl; worden m sein. Als Severus in der
Schlacht bei Trimurtiuiii (in der Gegend von L\'on snr Sanne) mit
seinem Pferde stürzte, glaubte man ihn von einer Hleikngel t<5dt-
lich getroil'eu (mortuus ietu plumbeae credebatur. A. Spartiaui Se-
verus, c. 11. 2).
Zu Kriegszwecken fand ich das lilei noch zweimal erwähnt.
Einmal drücken Belagerte den an ihren Mauern arbeitenden Sturm-
hock (aries) durch schwere Bleigewichte zur £rde (Liv. 42. cap. 63.
li. 4). Kin andermal rath man dem Scipio Aemilianus hei der
Belagerung einer Stadt die Furten des Flusses mit hleibeschwer-
ten Brettern, die Kägel trugen, (nach Art von Fussangeln, muri*
ces) zvL belegen (tahnlis plumhatis consternere), damit die Belager-
ten nicht hinüberkommen und das Lager überi*umpe1n könnten.
(Valer Maxim. III. cap. 7. n. 2),
11. Iileikug<'hi landen noch mancherlei andre Verwendung
ebenso wenig harmloser Art.
Die Pankratiasten flochten sie in ihre Caeslus, nni die Schläge
wurhti'_,^'r zu macher (Virgil. Aen. V. loo). Die Plunibatae waren
wohl mehrschwäuzige Geissein mit Bleikugeln. Weniyjsfens fand
man in dem Grabe eines Märtyrers su Rom eine Peitsche, die ans
mehreren Kettchen besteht, an deren Enden Kugeln hangen, frei-
lich ans Erz, doch ist das vermutlich ein verbessertes Exemplar
dieses Folterwerkzeugs. Aber auch die regelmässige Rechtspflege
späterer Zeit schien dieses Justizapparates schwer entbehren zu
können. (Vergl. Codex Theodosian. 9, 35. 2—11, 7, 3—12, 1, 80.)
Endlich werden Bk'ikugeln zum Beschweren von Schnüren
(am Senkblei, an Augelächnüren) sclion in ältester Zeit erwähnt
(Homer).
12. In ausgedentester Weise bedient«« mau sich des Bleies
für Murken (Tesserae) verschiedener Art, die man heute zum Theil
ans Weissblech oder Messing, Papier u. s. w. anfertigt. Die Zahl
der uns erhaltenen Gegenstände dieser Art, besonders römischen
Ursprungs ist sehr gross, augenblicklich nicht einmal zu fibersehn.
Schon in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat Baron Alex.
Recupero zu Rom eine Sammlung tou mehr als 2200 Stock zusam-
mengebracht Ihre Bedeutung ist zum Theil noch gar nicht er-
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AHTID BUSliSEQJaUTiVVE IM DiaiBlSClliai MATlOKALUDSmil.
kannt; bei manchen kann man ihieu Gebrauch leichter eich
erklären.
Manche dienten als Eintrittsmarken in Cirkus, Amphitheater
und Theater (zwei sulche sind durch Abbildungen in Overbeck's
Pompeji auch dem grössern Publikum bekannt geworden) und zu
andern Festvorstellungen. Die mit Götterbildern yersehenen wur-
den Tielleicht als Denkmedaillen bei religiösen Au&ügen und an-
dern grossen Festen unter das Publikum yerÜheilt. — Wieder an-
dere (Tesserae ftumentariae) waren Anweisungen fÄr die Getreide-
auwtheilung, einen Modiu.s zeigend mit hprausragendeu Kornähren,
das SvniV»ol der Annona. Noch andre wurden als Eticjuetten an
( iegenstäude z. B. Amphoren befestigt. Manche sind durclibohrt,
hingen also offenbar an Schnüren und trugen den Siegelabdi-uck.
Einige dienten als Amulette, andre waren Familienmedaillen. Auch
mögen manche als Spielmarken gedient haben (Stieglitz, Archäo-
log. Unterhaltungen. II. S. 133). Solche, die Münzen ähnlich sehn,
lii«'lt Stieglitz (1. c. 159) für Pr(d)e-rräguujj;en neuer Mün/stcmpel.
J. Friedländer vermutliet, dass bei alt-italienischen Bronzemeduillcn
(aus dem Cinquecento) das »Original-Modell, da.s Wachsmodell,
zuerst in Blei abgegossen und Yom Künstler selbst ziseliert wurde,
und dass dann solcher Bleiguss zum Modell für die Bronzegttsse
gedient habe.* Könnte bei den in der Technik der Bronzebearbei-
tung 80 erfahrenen Alten nicht etwas ähnliches üblich gewesen,
und solche Modrdle auf uns gekommen sein ? Femer ist bekannt,
tl;i<<s scll)st Miin/.en zum Theil gegossen und »lann erst unter den
Prügstock gebracht worden sind. Es wäre nicht unstatthaft anzu-
nehmen, dass uns unter den „Piombi'^ auch Bleimodelle für solche
neue Münzen erhalten seien.
Die Tesserae sind gewöhnlich rund, seltener drei- oder vier-
40U AVTHB BLBIOBGlSNaTANUB IM UKUAEISCICBN HATIOSIALIfCBCÜM.
eckig, rautenförmig oder oval, meist Haeli. auf einer oder iH'iden
Seiten geprägt ; einige sind kuglicli, durchbohrt, nur auf einer
beite die Prägung tragend. Entsprechend ihrer Verwendung hüben
sie meist ein rohes Gepräge : einzelne Buchstaben, Monogramme,
ganze Worte oder unerklärte Zeichen. Andre sind hübsch ausge-
führt, zeigen Köpfe oder anderweite fignrale Darstellungen (Gail-
lard im Katalog der spanischen Nationalbibliothek 1852. p. 24.
und Tav. \\. in Spanien bei Lucena gefunden). Trotz der Weich-
heit des Metalls sind viele wohl erhalten.
Hier zu erwähnen wären noch runde, münzförmige Stücke,
, welche die innern Kerne (animae numorum) falscher, silberplatir*
ter Münzen bildeten.
Von den Tesserae und Medaillen verschieden sind jene
«piombi,* die als Boletten dienten. In Hölungen von Marmor-
blöcken eingelassen und mit Kaiserbildnissen geprägt mochten sie
dazu dienen, solche Blöcke von y\b«raben zu befreien (tStieglitz. 1. c.
II. 139). Mit die,>^('n nicht zu verwci-liscln sind Bleistücke, welche
man in kleinen Hölungen von bäuien u. s. w. eingelegt fand. >ie
tragen Namen yon Privaten und waren wohl bestimmt, das Anden-
ken des Erbauers der Nachwelt zu übermitteln. (Besonders seit
Trajan^'s Zeit, Stieglitz. L c 140). Boletten andrer Bestimmung
sammelte Salinas auf Sicilien (Descricione di una racoolta di
Piombi antichi siciliani. Annul. delFInstit. arch. 1864. p. 343 — 355).
Sie tragen griehische Aurschriflen, haben zwei durch einen sclima-
len Streifen verbundene Platten, von denen an einzelnen Exem-
plaren die eine mit einem < onischen Fortsatz in eine entsprechende
Hölung der andern passte. Mon. dell' Instit. VoL Ylll. T. 1 1. A. n.
1* Ein schönes Stück, aber bereits zusammengepasst, sah ich im k.
Antikenkabinei — Da Sicilien durch seine Stoffihbrikation sehr re-
nommirtwar, so ist es wahrscheinlich, dass diese Bleie Fabriksmar-
ken sind, die dm Stollen ant;*t'li.'nkt wurden, ganz in der Art, wie
es bisweilen noch jetzt grsdiieht. Darauf deutet aiu h das liiiufiufe
Vorkommen von ganz gleichen Exemplaren (l)is zu 1" Stück), die
offenbar bestimmt waren Produkte einer und derselben Fabrik zu
bezeichnen. Salinas nennt sie darum »piombi mercantilL*
13. Obgleich yon allen Metallen das Blei das ungeeignetste
hiezu war, f<^rtigte man daraus doch Gewichte an. Auch das Natio-
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ANTIKB IMJHtiBUlKSTlBDB IM UNaAKISCilKN NATlONALBfU.SBUH. 401
nalmusettiii besitet ein sehr gut erhaltenes. Es ist viereckig, eine
Seite miMt 16 Cm. Auf der eiiu« Fläche steht »uf der
indem ^ erhöhten Bnchstabeu. (Abgebildet in den Monu-
ments epigrapliiijiips du Musec national IToiigroi«. Tal). XLIX. Xr.
239. Im Text steht irrigerweise Alt-Ofen als Fundort angege-
ben. Vergl. auch Kiss F. in Tudom. Tär. 1839. 197). Das Gewichts-
stöck wiegt 3*25 Kilo : 10 libraesind nach den genauesten Bestim-
mnngen 3*27 Kila (Hultsch. Metrologie, p. 117.)
14, Blei diente als Schreibniateriale. Man linirte damit. Wem
fiele nicht Catullus reitzende.s Spottgedieht auf den groben Suttenus
ein, in '.velehem der membrana dereeta phnubo Erwälmuug ge-
schieht ? Anderseits schrieb mau auf Bleiplatten.
Auf solche (plnmbeis volnminibns) trag man nach Plinins
Angabe (XUL 21) in ältesten Zeiten öffentliche An^seichnnngen
(pabliea monnmenta) ein. Dem Pansanias zeigte man an der Hip-
[»okreue eine stark zerstörte Bleitafel (uö'/.irj ()()}>) auf welcher He-
siotrs ^'Lnyci sollen geschrieben gewesen ^ein. (Paus. IX. 31. 4).
Auf Bleitäfelehen waren die Verfluchungen i^nuTuöiauoi) eingetra-
gen, von denen Tacitus (Ann. II. 61>) spricht. Solche bleierne
Flnchtafeln aus griechischer Zeit sind in einem Grabe bei Athen
gefunden worden (Boeekh. C. J. Gr. 538 und 539). Eine ähnliche,
ans einem Grabe zu Oumae, stammt ans dem 2. oder 3. Jahrhun-
derfc nach (Jhr. und enthält, in griechischer Sprache, Verwünschun-
gen wahrscheinlich irgend eines gekränkten Ehemannes gegen
seine Gattin Valeria Codratilla (Henzen. Abgebildet Annali delV
lustit. 1840. T. d'Agg. G.) Endlich sind hier die Überreste des
Orakelarchives von Dodona zu erwähnen. Bleiplättchen von 1 — 3
Millm. Dicke, Anfragen und Gebete yon Völkern und Einzelnen an
das Orakel des Zeus Naios und der Dione enthaltend. Die yon Ka-
rapanos und Foucart entzifferten 42 T^elehen haben den manig-
&chsten Inhalt : Anfragen politischen Inhalts Frieden garantien
betreffend, AnlVagen wegen gfstulileuer Kopfkissen und Matra/zen,
Anfragen von Kranken, durch welche Opfer sie ihre (usundheit
wieder erlangen könnten, von Geschäftsleuten ob ihre Unterneh-
mongen glücken werden, Ton einem misstrauischen Lysianias ob
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Nyla von ihm in der Hofinuug sei, werden dem Gotte vorgelegt
(Carapanos-. Dodoue et ses Ruines. Pjiris 1878.) Mehrere solcher
PlättcheD, im Besitse des Wiener Teehändlers Herrn F. Trau, hatte
ich Gelegenlieit zn sehen. Eine der Inschriften gehing es Prol W.
GorUtt zu entziffern (Archaeol-epigraph. Mittheilnng. ans Öster-
reich. IV. 61—64).
15. Zain Schluss bliehen noch einige kleinere Objekte zn er^
wähnen, deren Zweck und Bedeutung schwer zu errathen ist. Hier-
her gehören i^wei Ringe desNatioiialmuseums.Der eine (Fig. 4, S. 289)
mit einfacherer Verzierung, hat 5 Cm. im Durclimehser : die lireite
de.s Ringes ist OMilhn. Der andere(Fig. 5, 8.:*»88) reicher oi uanientirt,
hat 7*5—8 Cm. Durchmesser, ist 2'/3 Cm. breit und von 4 im <^2ui^-
drat gestellten 1 Cm. weiten Löchern durchsetzt. An emer Stelle
der Periferie geht ein kurzer, abgebrochener Fortsatz nach ab-
wärts. Beide Ringe sind flach, der grössere rothbraun oxydirt. So
gering das Ansehn des Bleies ist, sdieinen beide Objekte decorati-
▼en Zwecken gedient zu haben.
Das henkellose Erttglein (Fig. 8,8.887 in natQrlicher Grdsse
abgebildet), stark gelbbraun oxydirt, zuÖ-Szony (Bregetio) gefunden,
besteht aus Blei mit sehr geringen Spuren Ton Zinn. Es durfte wie
das zum Vergleich abgebildete, aus reinem Zinn bestehende (I'ig. <»)
vielleicht ein Weihegeschenk gewesen sein. Man kann an ihm ziem-
lich gut sehen, dass es in einer aus zwei Stücken bestcluMiden Form
gegossen ist. Auf Delos fand man eine Nachbildung eines Köchers
aus Blei, solid gegossen, 5*8 Kilo schwer — ein Voti?gescheuk
(Urlichs. Ann. dell' Inst. 1842. S. 88 und Tav. d'ad. K.)
Es erübrigt noch, die Verwendung des Bleies als Beimischung
von MetalUegirungen nnd in einigen seiner chemischen Verbin-
dungen anzuführen.
16. Das Blei ist nicht selten zur Beförderung des Flusses beim
Gasse dem Erze zugesetzt worden (Mfiller, Handb. der Archäol. 3.
Aufl. g. 306, S. 423). Später mochte man diesen Zusatz in betrüge-
rischer Weise Torgenommen haben, so dass endlich im 8. Jahrhun-
dert n. Ch. Tacitus Augustus sich genöthigt sieht die Bestimmung
zu treffen : si quis miscuisset m-ri ))lumltuin, eajiital esset cum bo-
norum j>roscrii>ti(>ne. (Flav. Vopiscus : Tacitus c. !l §. -l)
17. Eine andre Legirung, die mit Zinn, fand viel Verweu-
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ABTTfKX BUUOBGBNSTlNBB IM UlfäABISCBIH NATIONALHUSBUM. 403
diing zum Löten (Femiminare, nach Göppert's scharfsinniger Be»
firrnndung dieses tecliiiischeii Auritlnick's in der wiederholt /itirten
Habilitatioiissclu-iit). Pliuius keuut zwei luiserm Schuellloth ent-
sprechende Mischnu^:en. Nachdem er angeiiilirt, dass lUei mit Blei
durch Harz (ghitinum resiua plumbo. XXXllI. 30) oder Zinn zu
löten sei (plumbum nigrum albo juugitor XXXllL 30) und umge-
kehrt (jtingi inter se piumbam nigram sine aiho non potest ....
ac ne albiim qnidem Becnm sine nigro XXXIV. 47) beaprieht er
genauer ihre Legimng (stannnm). Ab Loth für Bleiröhrra nennt
er das stannnm tertiarium ans 2 Theil Blei und 1 Theil Zinn beste-
hend (XXXIV. 48. 1), als Lot für Bronze nnd Silber das stannnm
argentarinm (nach Göppert^s Vermnthnng. L c. 26. Ann. 10) aus
gleichen Theilen beider Metalle gemischt.
18. In römischen Gläsern findet man bisweilen nicht unbedeu-
tende Mengen lilei das der Masse offenbar mit Absieht zugesetzt ist.
19. Zwei Bleiverbiudungen dienten vor allem als Malerfarben :
als rothe, von Plinins unter die colores floridi gerechnet (XXXV.
12), die Mennige als weisse, zu den colores austeri gezählt, das
Blei weiss. Mit Minium strichen die Römer an Festtagen das Gesicht
des Jupiter an, mit Minium schminkte sich der Triumphator, nnd
als dies in späteren Zeiten aufhörte, blieb das Minium wenigstens
ein unerlasslieher Bestandtheil der Salbe, die beim Triumphal-
mahle gebraucht ward. Leider Iftsst es sieht nicht mit Sicherheit
enscheiden, wann die Börner damit Zinnober, wann unsre Mennige
verstanden. Letztere ist nach der Bereitungsweise auch unter ee- •
TUssa usta (XXXV. 20) zu verstehn. Die feinste war die asiatische
(purpurea genannt). Das Bleiweiss (ceriissa Hchlechtweg) bereite-
ten sie nach der Weise, die noch heut als , holländisches Verfahren*
geübt wird. Zu Smyrua fand man auch cerussa nativa, die bei den
Griechen nach dem Grubenbesitzer Theodotion hieas (Vitruv. Yll.
7, 4). Cerussa diente den römischen Damen als Schminke (Plin.
XXXIV. 54). bchon Theophrasl kannte das kohlensaure Blei und
nennt es tf»fi^&tov>
20. Zum Schluss mag noch der Anwendung des Bleies in der
Medizin kurse Erwähnung geschehn. In metallischer Form (als
Bleiplatten) empfielt man es zum Niederdrücken Ton Karben, auf
den Unterleib gelegt gegen Qneirogmus (lascive Traume und näeht-
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4(M ZUK TBBATKEQlWCHlCIiTB BUDANST^S.
liehe Pollutionen), ttberhaapt zum Massigen des Geschli^chtstriebcs
(Plinius, Caelius Aurelian. V. 7 u. s. w.) Als feingeriebenes, ge-
schlemmtes BleipuWer wird es bei unieinen, schlecht heüendexi
Eiterangen, bei Teischiedenen Hautkrankheiten, chronischen Au-
gciikatarrhen, endlich auch gegen den Biss des Skorpions empfoh-
\cn. Cenissa (oft mit Bleizucker gemengt) galt als kühlendes Mittel
uiitl t'aiid in deu eben uufgeführten Krankheiten ihre Verwendiiiij^.
Als Mennige und Cerussa beuUtzto man das Blei zur Herstellung
von Pflastern und Salben.
Nununero 4.
Ich bin mir, geehrtestei Herr Doctor, sehr wohl ])ewusst, wie
lückenhaft diese Notizen sind. Sie stellen nur ein Fachwerk vor,
das weiterer Ausfüllung bedarf. Wenn ich dessenungeachtet sie
Ihnen Yorzulegen mir erlaube, so geschieht es Tor allem darum, weil
ich dem festgehaltenen Gesichtspunkte, welcher — wenn ich nicht
irre — neu ist, einigen Wert beilege. Von ihm aus erhalt man nämlich
Einblick in die bisher wenig beachtete Geschichte eines wichtigen
Mei alles.
Graz, 10. Juni 1881. K. B. Hofmann.
Züß THEATERGESCHICHTE BÜDAPEST'S,
III. (1817-1827.*)
18J7 Nw.—lSlS, Iis, MarM. Ueber diese 143 Tage — wohl
die letzten der Direktion dritten Jahres des Grafen Gedeon Bdday
fehlt merkwürdigerweise jeder Nachweis ; denn das Repertoire im
* Die beiden ersten Artikel a. S. 636—658 und 845—879 de« ersten
Bandes (1881) der „Ungar. Reyne." Kertbeny ist indess am 28. Januar d. J.
gestorben. Das Leben und die Leistungen des Gesdbiedenen behundeln wir
demnftohst in einem selbständigen Artikel D. Red.
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ZüB THBATEROBSOHtCBTB BDDAP88T ß, 405
Jahrgang 1816—17 Piidet mit 31. Okt.; das dos närhsfon Alma-
nachs aber geht vom 23. März bis 31. Okt. 1818 — hat also nur
222 Tage.
33. Märe Ms Sl. Okt. ,Theater-THsch«Mil.ucli auf das
Jahr ISIO." Voji Jos. Ertel^ Franz lliihcl und Job. SchrecJJcbt
Soulleurs. Otea, 1819. Anna Laudcrer's Druck.
Kl. 12", 05 nnpaginirte S. — Die Ober-Direktiou (ungenannte
Grössen). Direkiions-Sekretär : Witten. Beehmmgsftthrer : Textor*
Ober-ßegiMear : Sehm^iimaam.
Inspicient der Oper : E. Btmni ; der Scluuispiele : Exner,
Kapellmeister und Compositeor : Tuegek, KteinheUu (alao 1818 zum
Ersiemnale). Orehestordirektor : Karl Mormcetg.
Balleianeiflter : Vonäern-Beirg, — Sänger und Schauspieler :
30 ; darunter :
Herren t
Tenor Buhn'Kjn (seit 9. April 18 lö (Migagirt).
Hass 1)1 um (giug in diesem Jahre ab), nachdem er 1810 neu
engagirt worden.
Hariton Detnini (seit 1817).
Sod uiTi JoimU, MaUishy^ u. s. w. Dagegen Schinagel fehlt in
diesem Jahre.
Damen :
Fran Ctbtdka (Ostern 1815 nen engagiri),
Fran Jandl,
Fran KUmeUeh.
9ran Spengler, Und noch 13 Damen. •
Das Jahr 1818 brachte zwei fremde Schauspii lerincn nach
Pest, die sicli durch eine lange Kcilie von Jalirt u liei uns einbür-
gerten, beliebt, in zahlreichen Familien bekauut wurden, zuletzt
auch hier starben, also mit zu unserer Stadtgeschiclite gehören.
Es waren dies Frau KUnietsch^ zuerst jugendliche Komikeriu,
dann komische Alte ; die Pester Haizinger oder Trieb- Blumauer, blos
nicht so fein wie diese, sondern derb gemüthlich ; und als Tragikeriu
wie im Salonfeche. Auguste Dsny. Eingehender Ton beiden kann aber
erst im Nachtrag gesprochen werden; denn über die Kliroetsch sind
nähere Daten versprochen ; das Leben der Deny, das sich anf 00 Jahre
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40C 2ÜR THEATSBOBSCRICHTB BÜDAPBStV.
streckte, war aber von <ler Wiege h\n ancr Orab ein derart absonder-
lici» tragisches, dass es sit li iiitlit in ein paar Zeilen erzählen lässt.
Das Repertoire 23. Miir/ )>is 31. Okt. 181S weist ans : 4-iual
(rnUparzey^ Almfrau (zuerst ge.lruckt : Wien 181«>), Inial MiUl-
nrr'ü Schuld (zuerst Leipzig 181 G), welche beide Stücke für Pest
aber 1818 keine NoTitäteu mehr waren; denn Mülhier's Scliick-
salsspuck gab man bei nns zuerst schon 181 f>, und Grillparzer's
Schicksal 8 trag(") die zuerst wahrscheinlich in den 143 Interimsiagen
1817—18, darttber das Repertoire fehlt
1818 direkt zum Erstenmale führte man — 2. nnd 5. Aug.
— den Qfi&em nnd Festem Q9Ms Qdts Yor, der also 45 Jahre ge-
braucht hatte, bis er auf einer Btthne Ungarns erlaubt wurde, aber
nicht sehr durchgegriflfen zn haben scheint, denn eryersehwand
wieder vom Repertoire. Dagegen gab man auch dies Jahr wieder-
holt die Räuber, Kabale und Liebe, Carlos, M. Stuart; (iötlie's
Faust; nicht minder Macbeth, Hamlet, Othello. — Linter 31 Operii-
abenden braclite man 3 Novitäten; nämlich Paer's Sophonisbe.
und Boieldieu's sHuhm und Liebe; sowie Kapellmeister
»Arabella", das waren die Opernnovitäten dieses Jahres.
Gäste gab^s 1818 nur 8, und zwar die Sängerinnen : Frau
Neumann, Frau Grttnbaum, Frau Borgandio (italienisch), Fräulein
Sessi; sowie das Hofopemtheater-MitgUed RSckel; und zwei un-
bedeutende Schauspieler. — Also ein sehr armseliges Theateirjahr !
— Und doch war es das erste des neuen Pächters, des Grafen Franz
Brtmamk — Ton dem im nächsten Jahre ausführlich die Rede sein
wird — der sich aber nie öffentlich nannte, sondern von 1818 — 20
hinter dem Titel »Die Oberdirektion* wie hinter einer Wolke
tlu'onte.
Noch ist zu emähnen, das« l^L"^, am 15. Juni der damals
2 Ijührige Prai^er Ignaz Moschcles — darnach Lehrer Men<lelsohn\H
uud Thalbeig's im virtuosen Klavierspiel — im Pester deutschen
Theater ein Konzert gab, nacli London ziehend. Mit ihm l>eganu
das moderne Virtuosenthum nnd 5 Jahre darnach hörten die Pester
den 1 1jährigen Knaben Franz Liszt, ihren Landsmann — Mo-
scheies spielen. Doch davon seiner Zeit.
1818 Nw. bis 1819 OH, •Theater-Taschenbuch auf das Jahr
1820. Von J. Ertl und F. Hybl. Pest, 1820. Druck von Job. Thom.
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2ÜB THBATBBGBSCmitHTI BQDAmia 407
von Tn.ftner. Kl. Ißo, 81. S. — ,Di.' Obcrdiicktion" — Dir.-Se-
cretär: Wiesen, liecluiifligsluhrfr : Tr.i tar. \\\h\u)i\\v\ii\r '.C::cnvcnha,
üperinspizieiit : E. Demini. Kayelliii'-ister : Klcinhcmz^ Tmzeli.
Aus dem Männerpersouale felileii : Tfahnigg^ Blum, Schinagl.
Geblieben sind : beide Demini, Deny, KUmetich, JancU, Ma»
lÜMkjf und noch 20 Kollogon.
Damen : Cibulkat Dmnif (bislidr Wittvre Spen^)^ Frau KU-
metsck — und im ersten Jahre die dann in Pest so berObmte als
zuletst berftchiigte W<äku — Frau Bosalie JoikS geb. 1763 in
Prag, starb in Pest 2. April 1819.
Im 8dkausi)iel gab*s an NovitSten : Voltaire*s Tancred von
Ooethe ; Lessings Nathan und Grillparzer's Sa})pho. — Dagegen iu
der Oper ))egauu die Herrschaft BosMni's, mit der Elisal>etli, dem
Otliello und dem Italiener in Algier, welche schon von ISlo — 10
ihre Triumpfzüge über die Bühnen Europa s angetret<*n hatten. —
Dazwischen hörte man aber auch noch 17 andere neue Opern, von
unserm Landsmann Weigl, von Volkert, Kauer, Wenzel Müller?
Hoildieu, Isonard, dem alten Schikaneder und zuerst Bäuerle's
«Falsche Catalani" mit Musik von Ignaz Sehuster; sowie Ton
Tuczek ein biblisehes Melodram.
GSste gab es zwar 22 — aber darunter keine mit Namen, die
sich in der Theatergesohiehte erhielten.
Die WaXkk aber, die bis 1826 in der Gunst der Pester die
BoUe spielte, welche Frau Blaha in unseren Tagen im ungarischen
Volkstheater sich gewann, — hatte ihr Engagement am 20. Sept.
1819 augetreten.
Sonst ging alles den alten Schlendiian ruhig weiter.
Jedoch zwei Thatsachen erhoben das Jahr 1819 zu einer denk-
würdigen in der Theatergeschichte Budapests.
Graf Franz Brunswik von Korompa — geb. 1776, gest 1852,
76 Jahr alt — hatte wahrscheinlich schon — unmittelbar nach
Oraf Gedeon Rada/s Direktion 1814—17 im März 1818 das
Pester deutsche Tbeater «in Pacht* genommen, nannte sieh aber
nicht, sondern zeichnete n^e Oberdirektion^ und zwar no^h
1819—20, Tielleicht sogar noch 1820 — 21, doch letzterer Älmanach
fehÜ — Genug, Graf Franz Brunswik war der intime Freund
Beethoven^ s — dem dieser 1806 das Tripleconcert Op. 57 — ge-
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408 ZÜB TnEATKRGKSCmrnTE BCDAPE3T'P.
niiiiMt „Die Appassionata" gHwidinof liati»» — luul seine Scliwester,
Grilfiii Maria Thrrcsia — goh. 1775, gest. I8«i0, 85 Jahre alt,
gilt uoch heute als die „unsterbliclie Goliebte" an die der grosste
Tonhoros unserer Zeit jenen »^lühciulcn Brief „aus einem unga-
rischen Badeorte. 6. Juli'' (1806) gerichtet hntte, welcher sieh 1827
mit andern wichtigen Papieren in einem alten Schranke Tor&Dd
und seither in den „Briefen Beethovens^* (Stuttgart, 1865) abge-
drockt ist Graf Franz war nämlich Besitzer der Herrschirft Mir*
tony^sar, die er, als berOhmter Landwirth, zu einem Paradiese nm*
schuf; Beethoven hesnehte 1806 den Grafen, aber sagt uns
nicht, ob in Mürloiivasar oder in Ofen ? In Beethovens Xai lilass
fand sich auch ein Oelliild, das I ';.rtriu der (rräfin M.Therese Bnuis\\ ik
vor, nnd zwar mit der Aufschrift ,T^<'ni seltenen Genie, dorn grossen
Künstler, dem guten Mt nschen von T. B." — Graf Franz nun ver-
mählte sich erst zu Anfang der 30er »fahre — schon nahe an 50 —
mit Gidanie von Ju8th, und 1 832 wurde ihm die Tochter Marie —
1881 noch Ehren-Stiftedame in Brünn — nnd 15. Aug. 1834 der
Sohn Graf G^ Brunswik geboren, welcher, 1859 in Prag sich mit
der Eomtesse Josefa Deym vermShlend — die ihm 3 Töchter gebar
— noch heute auf Schloss Bf&tonvasir bei Pest lebt und zahl-
reiche Reliquien Beethovens besitKeu soll. — GrSfin Maria Theresia
a))er — meist in Pest woiuieiid — verewigte ihren Namen in Ungarn
auch noch dadurch, dass sie die Gründerin der jetzt so zalilreicheu
Kleinkinderbewahranstalten wurde. Dagegen die jetzt aiisgestor-
beue Linie „Bruns wik-Forgäch-Nadasdy" war die der Nachkom-
menschaft des lleichsrichters Grafen Josef Brunswik (1787 — 1827),
deren älterer Bruder Anton eben Vater des Grafen Franz wurde.
Also Beethovens Freund, Graf iVana BrnnswÜf hatte 1818—
1820 das Pester deutsche Theater in Pacht Er engagirte 1817
Frau Deny nnd Frau EUmetsch, 1819 die Walla, 1820 Fedor Grimm.
Nebenbei bemerkt, der Graf selbst war als Violoncellist in Fkivat-
kreisen berühmt.
Aber es sollte sich an seinen Namen auch eine nationale
That knüpfen ; die Erniöglichunj^ eine> dritten, und nun schon
bedeut«Miden Erfolges des ung(^risc}^en iSeliauspiels in Budapest.
Und das kam also :
Als 1B15 — nach 8jährigem Wirken in der lieichshauptstadt
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ZUR THKAimOBSdnOilTK BUDAPBST*8. 409
— die 2weife ungariadie Theatelgesellschaft Vida-Kulcsdr von Pest
nach Miskolcz ausgewandert war — ihit ihr die damals 22jährige
Derff — und dort gastfireimdlichste Anfiiahme fiind, hatte sich in
Chrosswardein eine andere Wandertruppe ans den Fester nnd Sieben-
bfli^er Resten gebildet, welche sich Mßepablik** nannte und auf
dem Lande umherspielte. Doch sie verfiel bald in Anarchie, und
um sich vor Auflösung zn retten, wählte sie einstimmig den schon
♦Twähnteii Komiker und Verfasser des Schiiuspiels „(ieorg Cserny*
Stefan Balotj, /um Direktor, und dieser, v'm sehr fnergischcr Mann,
führte denn auch Jahre lan«( diese neue Truppe in deu Städten au
der Tbeisz und Donau mit Glück umher. Diese (»esellschaft wurde
nach und nach die beste ihrer Zeit, und gewann 1818 die Protektion
des Komitates Stuhlweissenburg, besonders durch den Oberrichter
Paul Eolozsyiiri. Man richtete ihr in dem 8 Stunden Ton Pest ent-
fernten Stnhlweissenbuig — der einstigen Krdnungstadt und Grab-
stätte der alten Könige — eine htlbsche ällhne ein, und sie spielte
dort schon einige Monate, als — das KisfoHudy-Ereigniss eintiai
Die beiden Kisfalndy (sprich : Kischfaludi). Ein Edelmann
alten rieschlechh'S, im Koniitate Eisenbur;^ am Plattensee, iiatte im
vorigen Jalirliundert 1 SfJlme und 1 Tochter, Zwei dieser Scihne
sollten den ^Gefeiertesten Namen in der uii<^arischen Literatur der
ersten drei Dezennien dieses Jahrhunderts erwerben, der Aelteste
als Lyriker, der Jüngste als Dramatiker.
. Alexander KisfaMjf — geb. 27. Sept. 1772, gest. 28. Okt
1844 — kam 1793 zur ungarischen Leibgarde nach Wien, wo
er finanzösisch und italienisch lernte, auch Musik und Malerei
trieK Ln Jahre 1796 zum Regiment nach Mailand versetzt, ward
auch er Bonaparte*8 Kriegsgefangener und nach Frankreich ge-
schickt, wo er mehrere Monate bei Ayignon und Vaucluse ver-
bmchte. Auf Parole lieimgelassen, 1798 nach W ürtteml)erg als
01)erlieuteuaut versetzt, kämptte er dann 17111) auch in der Schweiz
mit, trat aber 1800 aus der Armee. Heimgekehrt, vermählte er sich
mit iiosa 6zegedi, und lebte auf seineu Gütern. Plötzlich, Ofen, 1801
erschien anonym ein Büchlein mit 200 ungarischen Liedern, be-
titelt : M^es Himfy Liebesleben. 1. Unglückliche Liebe.^^ Weder
früher noch später haben jemals ungarische Poesien solch einen
Enthusiasmus im ganzen Lande hervorgerufen. Der ^grosse Un-
UngHtooto Zovn». 188L V. Bell. ^
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410
ZüB THBATEüaSöCiUCUTK BlDAPBäT*8.
bekannte^* llimf'y namito .sich erst 1807, als er nnn die „Ulilckliehe
Liebe, auch in 200 Ldedern/ond im selben Jahre zugleich den ersten
der 7 Bde nSagen sob ongarischer Vorzeit^ erscheinen Hess.
Und TOn da ah war der Name JUezander Kisfalndj^ der des ersten
modernen Klassikers der Nation.
Kad KisfcUudy — geb. 5. Febr. 1788, gest. 17. Not. 1830 —
war der jüngf^tc Bruder des gefeierten Hiiiifv -Dichters. Seine Geburt
kostete seinfr Mutter das Lebeuund ihm für immer die Liebe seines
Vaters. Den Knaben erzog seine Schwester Therese. Er war 1801
in Pest Kadet, nahm 1805 au dem Feldzug in Italien als Fähndrich
Theil, ward 1800 in München Oberlieutenaut, erschien 1810 iu
den literarischen Kreisen in Pest und nahm ohne seines strengen
Vaters Wissen 1811 Abschied — woftbr ihm dieser Ton da ab alle
Beihülfe endgflltig enteog. Zuerst wendete er sich an seine Schwe-
ter, damals schon Gattin des Kapitins Gabriel Parkas in Pressburg ;
nahm dann Geld auf sein mütterliches Erbtheil auf, um sich Tellig
der Malerei zu widmen und ging nach Wien, wo er einige Jahre
sich durcli Porträtmaku erhielt, aiicli die Akademie besuchte, und
in intimer Freundschaft mit Theodor Körner, mit dem Schauspieler
Ochsen Ii ei mer und mit seinem Landsmanne, dem Baron Vinzenz
Berzeviczy lebte, der so sehr Napoleon L ühnlich sah und später als
„Johann Horn'* Schauspieler am Hofburgtheater war (ausge-
zeichnet durch Kaiser Franz), 1828 aber als Intendant dem Theater
in Easchau Torstand. Genug in solch geistanregender, daueben
auch in lustiger Gesellschaft verzehrte der 26j&hiige ungarische
OberKeutenant doch allmählich sein geringes mütterliches Habe.
Da Terschwand er 1817 spurlos aus Wien. Man weiss nur, dass er
Deutschland, die Schweiz, Frankreich nnd Italien bis Rom bereiste,
sich nicht nur durcli deu IMnsel erhaltend, sunderu auch werthvolle
alte Gemälde er\verl)eud. 1817 erschien er bei seiner Scliwester iu
Pressl)nrg. Docli auch sein gefeierter Bnuler Alexander, der Himty-
dichter, konnte ihm die Verzeihung des Vaters nicht erwirken. So
liess er sich denn 1818 iu Pest — als Maler nieder.
Jedoch Karl Kisfaludy hatte schon 1811 geheim eine „vater-
ländische Dichtung in 5 A.** geschrieben, „Die Tartaren in Ungarn**,
welche unter seinen Freunden handschriftlieh zirkulirt hatte. 1818
gerieth eine Kopie des StUckes der Balog^schen Schanspielgesellsohaft
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ä
SUB TBkATEBGEdCHtCirrE bUUAP£dT*S. , 411
. in StiihlwciHsenl»iir«jr iu die HiiiuU', wurde ohne Wissen des Verfassers
gegebeu und rief frem-tisehen patriotischen Enthusiasmus hervor.
Als dieser Erfolg auch in Pest bekauut wurde, lud Graf Franz
Brutisunik die Gesellschaft zu Gastrollen nach der ßeiehshauptstadt
1819^18:^. Die SiMweisaenburger m Bsst und (He Kisfc^
hid!f'3rfolge. ünd in der Thai, es findet sieh in den Almanaehen
1818—19 ond 1819—20 der dentsehen Theater Ton Ofen und Pest
folgendes unfforisd^ Repertoir ausgewiesen :
1819. Mai 3. Die Tartaren in Unffarn. 10. Die Sonnenjung-
fmu (Kotzebue); 14. Uolla's Tod. 17. Zrinyi's Tod. 21. Indianer
in England ; 23. Verrath und Eifersucht ; 25 (in Ofen) Julius von
Saasen; 28. Alexander Bünduer; 31. (in Ofen) Indianer in England.
Juni, 1. Die Schuld (M Uliner); 4. Themistokles ; 8. die 2Vir-
taren in üfiffami 11. Karl XlLin Bender; 12. die Verschwöning ;
16. Bka.
September 7. Stüfor; 10. Genna und Baohe; 11 (in Ofen)
Farteiwufh (Ziegler); 14. Die Liebhaber nach der Mode; 17. Stefan«
Ungarns erster König (Kotasebue); 20. Sieg der Trene; 24. die
Brautwerber ; 28. B^la^s Flucht ; das Landhaus an der Heerstrasse
(beide Kotzeljue) ; 30. (Ofen) die Gattin zweier Männer.
Oktober 1. Bis auf den Meeresgrund: 5. Ilka; 8 Stif)or ; 12.
Jobanna v. Montfocou (Kotzebue) ; 15. Benyovszky (Kotzebue).
1820, Mai. 2. Marie Ssechy. 5. Die Rebellen ; 8. Simon Kc'
meny; der Mörder; 9. die Deuischritter in Nizza (Kotzebue); IG.
Kind der Liebe (Kotasebue); 19. Sappho (Grillparzer); 23. die Templer
(Kotoebne); 26. der Taubstamme (Kotzebue); 80. Marie Bätwy,
Juni 8. (Ofen) K(hiig Mathias Korwin ; 7. 8tSH>r ; 9. Auszug
der Ungarn aus Asien; 12. die ungarischen Insurgenten (1809);
14. die Welt der Hora in Siebenbürgen.
Sept. 27. König Mathias ; 28. die Tartaren in Ungarn.
Okt. 2. Zriu yi's Tod ; 4. (in Ofen) Stefan, ungarisch ; in Pest :
Stelan, deutsch.
Nach E. Vachot's Angabe sollen die Ungarn auch noch 1821
auf dem grossen deutschen Theater gespielt haben ; aber leider fehlt
der Almanach 1820—1821.
Also die dritte ungarische Gesellschaft in der Hauptstadt
spielte 1819 an 80 Abenden in Pest, und zwar in 4 Stfleken —
21*
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412 ZUB TEBATBB0S8CHICHTS BUDAPBgT'B. -
Tartaron, Ilka, Stibor, liraufcwerl>er - von Karl v, Kiafaiitdy zu-
sammen 7-mal.
1820 spielten sie an 18 Abenden 5 neue Stücke von Karl
Küfalndy — Maria Szechy, die Rebellen, Kemeuy, Marie B^tori,
der Mörder — 4mal, und zum drittenmale die Tartaren ; daneben aljer
aneh nooh 5 angarisehe Onginalstlloke — Zrinyi's Tod Yon Daniel
Horväih ron Petricaeyics ; König Mathias Yon LUwnwolgifi ; die Un-
garn ans Asien ; ungarische Insurgenten; die Welt des Hora.
Somit gab^s non bereits ein ungarisehes Originalrepertoir tod
15 Stücken.
Als die Ötulilwei-ssenburger 1819 nach Pest kamen, besuchten
sie den Dichter, den sie als Maler fanden. Er gestattete, dass sie
am 3. Mai mit den „Tartaren in Ungarn'' beginnen sollten, schrie!)
einen Prolog hiezu, und liess sofort das Stück drucken. Die Auf-
nahme war eine glühend enthusiastische und es fehlte wenig, dass
man den Dichter auf die Bühne schleppte. Dieser Erfolg schmei-
chelte und ennnthigte den Dichter. Er schrieb in 4 Wochen sein
zweites Stück : tflUu, oder die Einnahme von Belgrad*' vaterländischefi
Originaldrama in 4 Akten — gedruckt Ofen 1819 — das man am 16.
Juni mit nicht geringerem Erfolge als Abschiedsrorstellung gab.
Denn die (lesellschaft musste nach diesen triumpfreichen ersten 15
Vorstelliiii<reii zurück nach Stuhlweissenburg ; versprach aber im
Herbst wieder nach Pest zu kommen, denn sie hatte auch gute Ka.sse
gemacht.
Und im September kamen sie auch wieder.
Küsfatudy hatte in den 2 Monaten rasch notie 2 Stücke geschaf-
fen : das yaterlandische Drama in 4 Akten «Woiwod Stibor* — ge-
geben 7. Sept n. 8. Oki — machte aber das Publikum durch seine
demokratische Richtung stutaen; um so mehr gefielen 24. Sept.
«Die Brautwerber*, als das erste theatersichere Lustspiel ungari-
scher Bühne. Auch diese Stücke wurden sogleich gedrukt. Dage-
gen die Dramen „Klara Zach* n. ^Köni«^ Salamon von Un«^;irn*
gestattete die Zensur weder auf den Brettern, noch in der Presse.
1820 aber war Kisfaludy noch fruchtbarer, da auch dies zweite
Jahr die Stuhl weissen burger wieder eingerücJ^t waren. 2. Mai das
Drama Maria Szechi oder die Belagerung von Mui-any * (gedruckt). 5.
Mai »Die Uebellen* Lustspiel in 3 A. (gedruckt), welches so ausser-
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ZUK TUKAT>.KGhtitlli(.UJ£ bl DAl'Eäl's.
413
onleutlich gefiel, dsiss sofort ganze bzeneiL wiederholt wtmlen
nmssten ; 8. M»i «Simon Kemeiiy' hisi Drama (gedruckt) und das
Lustspiel .Der Mdrder* — also in 0 Tagen 4 Triumpfe — endlich
80. Mai «Maria Batori* hisi Drama. Drucken Hess er 1820 noch
sein jetleiitiills reifstes Stück, das .^aktij^e Trauerspiel «Irene*
ilas aber damals nicht mehr auf die Hühnc gelangte; und das Lust-
spiel .Als es knallte, glaubte ichs nicht", das jedoch nicht im Ori-
ginal, sondern aln die Ungarn schon fort waren — zweimal deutsch
in der Uebersetznng von Georg Gaal gegeben wurde.
Georg Gaal (1783—1855) war damals in Wien Bibliothekar
des Ponten Paul Eszterhitey. Er gab — BrOnn 1820, 800 S. —
Karl Kisfaludvs .Tartaren*, «llka" und «Stibor" deutsch heraus, und
hatte durch seine Korresponden/ grossen p]inHn8s auf seiin-n Lands-
uiaun, <len jungen Dramatiker. Kr rieth ihm. ernstliait der Ileinuit
(jieschichte und Shakespeare zu studieren. Karl Kistahnly, der
gerne abenteuernd, durchaus nicht die gründliche Schulbildung
seines gefeierten Bruders, des Himfy-Dichters, aher entschiedenes
dramatisches Talent und grössere Vielseitigkeit besass, eigab sieh
nun um so eifriger bist. Studien und dem des grossen Britten,
ward aber, jcniehr er in der Selbst^'rk» nntniss fortschritt, um so
entmuthigter ; auch nun liteinan ilm auf die f<'hlerhat te Handhabung
der uiigarischeu iSjiraehe antnif-rksani. Endlich gab es keine I).ir-
sleller in der Hauptstadt, die ibu durch Erfolge auf den Brettern
weiter enthusiasmirt hätten. Genug, Uber 1820 hinaus versiegte
seine dramatische Muse. Er schuf fiber die ersten 10 gedruckten
grosseren Stocke hinaus, im nächsten Dezenium nur noch 13 Ein-
akter, die nicht vor die Krimpen kamen. Dann von 1822 — 30 gab
er in 10 Jahrgängen das Tasclienbuch , Aurora" heraus, das der
Zeutralpunkt aller jungen Dichterkräfte des Landes wurde, für das
er aber nur Romaue, Novellen, Humoresken und sehr schöne \ olks-
lieder lieferte, bis er in Folge einer Erkältung, erst 42 Jahre alt,
dem Tode verfiel, auf dem Sterbebette die Ernennung zum erstge-
wählten Mitglied der eben konstitnirten Akademie erhaltend. Die
Gesammtausgabe seiner Werke in 10 Bden erlebte von 1831 — 74
*»pch«« Editionen und seine Lustspiele irebßren noch dem Keperkoire
an. Den beiilen Fb'iidern zu Klireu «rriindete Dr. Toldv 18i{<» die
«Kisfaludy-Uesellschait'', weh:be 1844 königlich geueiuuigt, seither
414 8UB THtiATSBUK^jCUlUITK i^UDAl'E^T'd.
zahlreiche belletnstiflche Werke Jüngerer herausgibt, und Preise
Teriheilt.
Uebrigens yersiichte sich aach der altere Bnider, Aleun-
der Eisfidndy, der grosse Lyriker, im Dramatisclieo, Hess 1816
und 1825 sechs historisehe Theater dmeken, sefadne IHehtaugen,
die aber auf der Bühne nicht zu beleben waren.
Die S/f^/i/M7e/55en^Mr/7cr Wandertruppe, welche und 182»»
der ungarischen Thalia zum dritten iSiege in der Reichshauptstadt
verhalf, und Karl Kisfaludp zu den ersten nnd bedeutendsten 8
Schöpfungen seiner Mose ermnthigt hatte, zählte 4 Damen — Praa
Muratiifi, Frau Bdog^ Frau Nagy and vor allen die grosse Tragödin
Frau Kdnicr. — Die 12 Herren aber waren : Farkas, der als Lieb-
haber und jugendlicher Held so beliebte Köseeni. der Intriguant
KomJo'^sy, der gut»* Komiker Pista Nafjy; sodann Fder, Szcüwj,
Sziliujyi Pal (Vater der Frau Bulyovszky), Michael Nagy^ Dcmjen,
Cryörß, KinUij — und Aneder: vor allen, der ausgezeichnete tra-
gische Held Jösef Borvdik — Wir werden Ton diesen 16 Bahn-
brechern noch Weiteres bören.
Aber eben 1819 — als die Siohlweissenbnrger in Ungarns
Hauptstadt der ungarischen Thalia zu Triumphen verhalfen —
war der Bau des Xationaltheaters in Siebenbürgens Hauptstadt, in
KlauHenburg, ft*rtig geworden — da« erste stabile TiuMter im gan-
zen Reiche für ungarische Schauspielkunst — brauchte aber bis
1821, um auch im Tnnern vollendet zu sein. Dieses Momentes har-
rend, war jene 1815 nach Marosrisärhely gezogene Bestgesellscbaft
1819 wieder in Elansenburg eingetroffen nnd behalf sich einst-
weilen damit, dass sie im Kreischen Saale abwechselnd mit der
deutschen Truppe spielte, bis sie ihr eigenes Haus bezog. Darüber
existirt ein lustiges Kapitel in dem uiis( h;it/,l)aren Tagebuche der
Frau Dn tj, auf das wir seinerzeit zurükkommeu.
ISliß Nov. Iris 1820 Ohf. »Theatertaschenbuch auf das Jahr
1821. Von Ertl und Hyld, Soufleurs der k. Stadt Theater in Ofen
nnd Pesih. Pesth, 1821. J. Th. Trattners Druck. Kl. 24' 112 S.
«Die Oberdirektion*. (Drittes Pachijahr des Grafen Brunswik).
Intendant der beiden Theater: Eftferff. — Oekonom : Wtesm, ^
Operinspizient: E. Demini. — Bibliotliekar : ('.:crvenka - - u. s. w.
Kapellmeister : Kleinkcins^ Tuczek, — BuUetmeister : Job. ÜMicit, —
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ZOB TBKATSBOESCBICHTE BVDAPBST's.
415
Dekorationsmuler : Kerker (3-te8 Jahr). — ZetteHrä<^( r (soit 1815)
der eleu Pestlieru uuvergessliche komibche Josef Sciuikl, — Per-
soual :
Männer : Tenor Babnigg, beide Denimit Qned^ Qrimt Jandl^
ZlMnefed^ Konmiämery MaUUhy n. 8. w. (im Gänsen 25.)
Frauen : OiMX», Ekier$^ KUmästh^ WaUa vu s. w. (im Gan-
zen 15).
Weitt;rs : 14 Chorsänger, 12 Chorsängfrinfn, 10 Kinder, Ö
Knzer und Täuzerinen. Abgegangen üerr uud 1- rau Deny,
Babnigg, der 1818 Pest Terlassen batfce, nachdem er seit 1815
hier geglänzt, kam 1820 im Sept zurück, und zwar als ,yom k. k.
Hof-Operntheaterin Wien* und trat wieder ins Pester Engagement.
Vorher sang er noch als Gast, vom 13. Sept. ))is ;](). Okt. lÜ-mal,
lind zwar als .losef, Leicester, Argir, Graf Armand, Itamiro uud
Hjon im »Oberon**.
Wie? K. M. Webers Oberon ward ja erst 182(5 in London
komponirt) und kam dort am 12. April zur Auff&hruug, 54 Tage
Tor des grossen Komponisten Tod ? Immerhin gab man am 19. Okt.
in Ofen, am 22. Okt. in Pest, die 1820 schon ultc Oper , Oheron,
König der Elfen*, zum Vortheile des Sängers Treuhold, und lial)-
uigg saug den Hüon. Also es gab schon vor Weber eine Oper, die
den, auch von Shakespeare verewigten N^amen des Fabeiiielden
altfnoizdscher Sage trug? Das ist für die Musikgeschichte neu und
interesMOit.
Gnech Bassist, vom k. k. Theater au der Wien, war in Pesth
scheu 1819 eugagirt worden.
Aber Grimm, wer war das ? Er spielte am 8. April im Schutz-
geist den Berengar, am 9. den Franz Moor, und spielte oder sang
am 10. April im Moses den Sesostris. Aber war das Bossinrs Oper
«Moise,' eben 1819 komponirt, oder ein Schauspiel ? War daher
dieser Grimm zugleich Intriguant und Sänger, und was die Haupt-
sache, — war es Fedor Grimm, von 1824 an Direktor des Pesther
deutsciien Tlieaters?
Endlich F. L KortUheuer, der in Wien so gefeierte Komiker der
Leopoldstadt, schon {roher in Pesth, liesssich im Januar 1820 wie-
der bei uns engagieren, aber freilich nur für Ein Jahr. Er war ge-
41(j ZUR THKATS&GKHCHICHTI BUDApieST*».
borner Wiener und eben 41 Jahr alt Doch er brachte es nur txm
Fflnfziger als er starb.
1820 war im Repertoire das Rossini-Jahr. Man gab an 46
Abciiden : Tuncredi (IBUJ); Die Italienerin in Algier (IHM) ; Eli-
sabetli V. England (1816); Barbier (1816); die diebisch«- EUa-t
(1817); Moses (1819); so wie Riceardo und Zoraida (1819) ; die
letzten 6 Opern als Novitäten. Dawäre es denn freilich interessant
SU wissen, wer die 15 nwnnlichen und weiblichen Hauptrollen sang?
Aber das elende Soufleurmachwerk lasst uns darüber, wie über
Vieles, im Stich.
Auch noch weitere 19 Operniiovitäteii bot dieses Jahr ; vor
Allen K. M. von Wolters heroische Oper «SylveuH", von der man je/1
kaum mehr weiss, und neue Kompositionen von Wenzel Midier,
Dresler, l'avesi, Volkert, Mehuls Helene, Simon Mayers Essighändler,
B'erdinand Pär, F. Glaser, usw., sowie Z. Wemer's Attila (1812) mit
' Musik des Kapellmeisters TucMek.
Was soll man aber erst m den zahlreichen Schauspielnovita-
ten dieses Jahres sagen?
Kffteebue war am 23. März 1819 ermordet worden. Von 1795 —
1820, also während eines Vierteljahrlninderts, hatte er auch dem
Ot'ner und Pesther dentschen Repertoire über 100 Stücke geliefert;
und die ungarischen Wandertruppen hatten sich t'aät nichts als
Kotzebue übersetzen lassen, denn er wirkte am sichersten. 1819
führte man den Pesthem seine lezten Novitäten ror : Der gende
Weg der beste; Seelenwanderung; Trunkenbold; Cleopatra; die
Abendstunde ; Grossmama ; Mantel und Pelzmütze. 1 820 brachte
nuin noch als neu: Der hölzerne Säbrl und Gisela; und von da ab
versiegle für immer dies«« lustige Quelle. Dt.uin — wie Hr)rne sehr
richtig sagte — dieser karakteriose rrivatmensch hatte als Theater-
dichter dui'ch 30 Jahre Millionen heitere Abende und Tausenden
▼on Schauspielern Leibrollen yersehafft ; und was man immer von
der Unsittlichkeit seiner Stücke sagt, er. war ein harmloses Kind,
▼erglichen mit den modernen franzosischen Comödienschreibem.
Sogar in Italien sind seine Lustsjiiele noch Volkslieblinge und
sogar noch im Xachuiärze gab Laube einige davon auf dem Hof-
burgfheater. Ludwig Devrient, Seydelmann, Laroche, Wilhehni.
EszUdr, Dessoir, dogar Dawison und zahlreich Andre zählten aber
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Kotzebue'Hche Figuren zu ihren Glanzrollen, und in Unguiu Benke,
bzeiitpetery, MegyeiT.
Das Jahr 1820 brachte — wie schou gesagt — 25 neue
Opern, und 53 neue Stücke, also zusammen 78 Novitäten.
Unter den dramaüselien Werken waren die bemerkenswert
theeten: Bäuerle's «Reise nach Paris, ; Marivauz «falsche Vertrau-
lichkeiten* ; Komtheners «FttrstenglOck*' ; Werners „24-ter Fe-
bruar' ; Miilhiers „20-ter Februar* und „Onkeley* ; Ranpachs
, Fürsten Cliuw aiisky, sowie von Fvönig (iustav HI. von Schweden
(erschossen 1792) das Schauspiel »Öiri Brahe" übersezt von F. A.
i-iruttschreiber.
Schlieshch gabs auch genug der Gästt?, nämlich 32, und aus
' dieser Liste er&hren wir auch, wer dem Kunstüache nach die neu-
engagirten Mitglieder waren : Zixmiemfmn Tenor ; Grabow Intrigen-
fach ; Ofted Bassist ; TreyhM Bariton ; Frau Gr^er zweiter Sopran ;
Geyer Tenor ; Ehler erster Tenor. Femer gaben blos Gastrollen
die k. k. Hofopemsängerin Fräulein Teyber; Frau Mümfcnmtnn
als Rappho, Medea, Lady Macbeth, Jungfrau, Stuart, Orsiui, und
eiidlicli Jost aus Breslau den Lear.
1820 Nov. bis 1821 Okt. fehlt leider der Almanacb. Somit lässt
sich denn auch nicht sieher bestimmen, ob Graf Franz Brmswik
auch noch in diesem vierten Jahre Pächter, war.
1821 Not. bis 1822 Okt. „Theatertaschenbuch auf 1823.* Von
Brtl und Hybl. Pest, 1823, J. Tb. v. Trattuers Druck. Kl. 24, 112 S.
In dem Exemplare, das mir vorliegt, steht handscliriltlich bemerkt:
His L April 1822 standen die Theater von Pesth und Ofen unter der
Überdirektion des (jirafen Bnm^^wiJc laut diesem Aimanach.
Der Almauach aber begiout auf Seite 9 mit der Erklärung :
f,Die Oberdirektion der k. st. Theater in 0. und P. übernahm
eine Aktten-Gesellseliafl^ welche mehr als 100 Mitglieder ans dem
Adel, dem Bürger- und Handelsiande zähli Ein Ausschuss dieses
Yeteius, bestehend aus Präses, Viceprases und 11 Beisitzern, lei-
tet das Ganze und bildet die eigentliche Direktion." Aber die Ver-
inuminten iiaiinti'n sieh nicht.
Inspektor l)lieh Tcxtor \ Hechnungsführer war Franz; l^iblio-
thekar Kurz \ Theaterarzt dies Jahr zuerst der nachherige Proto-
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418
8UB THBATBBGBüCHICHTB EÜDAPBST*8b
medikiis von Ungarn, Dr. Ignaz v. Stahly (f 1849); Regisseur der
Oper Bahni(j(j ; luipellmeister CihKlJca iniil KU inheinz (also TwBeh
war zurückgetreten oder entlassen). Im Orclieater finden wir als
Violino Primo, neben Karl Moravetz und Urbani, SchiUinfjor,
Fagotisten Franz Brauer (seit 18 19), fürs Comi Josef jßrvmer. Thea-
termaler war noeh immer Kerker. Personal :
Männer : Bahnigg^ beide Bemini, GrafHno, Grinrn, JamU,
Klimetsch^ Mc^eUi^ MMshy^ Treu}ioldy Zimmenmnn^ und noch
13 Namen.
Damen : CibuikayDmmi^ Den/y^ iMer5,Mde. Uysd^ MUe. Uysd,
KUmeUehf Frl. Tßyher^ Mde. WäUa und noch 6 Damen.
Gred, sowie Herr und Frau Geyer waren mit noch 11 gerin-
geren Mitgliedern abgegangen.
Opernnoyitäten : Webers Freischütz (vom 13. Mai an, au 1(>
Abenden); Bossims Torwaldo und Dorliska, sowie Armida;
Faust; nnd 6 Opern von W. Müller, 2 von Gläser, 2 Ton Roser;
sowie je eine yon Drechsler, yon Pixis, und „ Bettina* von Klein-
heinz. Schauspielnovitäten 44. Darunter : Schülers Demetrius
Wallmsteins Lager, Klci'^fs iSchroffenstein, bearbeitet von Holbeiii ;
HoutocUds „Fluch und Segen*' ; Birons »Vampyr** ; Töpfers »Herzogs
Befehl* ; und sonst noch jezt längst vergessene Stücke von F. v.
Heyden, Lebrun, Baron. Biedenfeld, Frau Weissenthum, Bauerie,
Heigel, Bteigeniesch, Theodor BeU, Knrländer, Koch, Pannasch,
Klingemann, W. Tegel, Holbein, Grafen Riesch usw.
Gäste 32, darunter Hofopernbassist SVcte^rH 4-mal ; Hofopern-
sänger Bariton Forfi 2- mal; und die k. baierische Hofopemsäuge-
rin Fräulein Siegl 9-maL
In diesem Jahre sollte auch Frau Rosa Bery ihre grSssten
IMumpfe, deutsch vor deutsehem Publikum feiern. Doch dieser im-
provisirte Effekt und der Anlass zu demselben ist schon im Zweiten
dieser Artikel, im Nachtrüge, S. 8(39, in fliiclitigor Lebonsskizze der
Diry erzählt. Hier ist also bloss eine doi)pelte Korrektur nachzu-
tragen. In den gedruckt vorliegenden 2 Bänden ihres köstlichen
Tagebuches irrt sich, und ich kontrollirte sie g^enau, die 79 jährige
Erzählerin in Angabe historischer Daten und Xamen fosst nie, Best
sie auch echt weiblich, ganze Kapitel hindureh, die Jahreszahlen
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I
XUB TBBATIKOBBOBICRTI BÜDAPI8T*». 419
vfcff, was sie ja selbst bedauernd im Sclihisskapitel gesteht. Jedoch
der kroiiologischen Reihenfolge bleibt sie im ganzen Tagebiiche
gewissen liat't treu. Um so auffalle lul er ist es daher, dass sich f^O'rade
betreff 1822 und gelegentlich der Erzählung ihres ersten interna-
tionalen Triumpfes, zwei Angaben finden, bei denen ihr Gedächt-
nias sich gleich um 8 — 10 Jahre vergreift. Sie sagt nämlich, Babmgg
sei 1822 zu okkapirt gewesen, Meyerbeers »Robert der Teufel" in
Ssene zu setcen, and habe sie desslialb ignorirt. Aber der «Roberfc*
kam ja erst 1830 in Paris auf die Bühne. Direkt unmöglich aber
ist es, dass die 1822 im Tankred mit A^nese SehAegt sang,
auch 1827 — 28 unmöglich. Denn die darnach weltberühmte Altis-
tin und Hivalin der Schröder-Devrient, meiner Jugend Freundiu,
A. vSchebest war ja 1813 in Wien geboren, also 1822 erst 10, 1827
erst 15 Jahre alt, und war in Pest während 3 Jahren, erst
1832 — 1836 engagiri Wer sang also 1822 mit der Dery den Tan-
kred ? Dem Almanach jenes Jahres zufolge kann dies nur Fräulein
TeybOy nachherige Zotnb gewesen sein, von welcher später noch
die Eede sein wird. Aber wie konnte die in der Provinz umher-
singende Dery überhaupt den Namen «Schebest* kennen, und
zwar die deutsche Altistin sehr richtig karakterisirend? Also die
Dery muss in den Jahren 1832 — 37 nicht nur irgendwann in Pesth
gewesen sein, sie muss die Schebest auch persönlich kennen gelernt,
so^&Y he\ irgend einer Gelegenheit vereint mit ihr gesungen haben,
idx'rliiiuft mit Lob von Seite der deutscheu Kollegin. Denn im ge-
sammteu Ta<^ebuche findet sich keine Spur, dass die Der}' Neigung
hatte, derlei Angaben zu erfinden. Sie war zu überstrrimend voll
Ton Erinnerungen an wirklich Selbsterlebtes, um noch dazwischen
was hineinzndichten, und gar noch Begegnungen mit Kiehtungarn.
Es ist Schade, dass sieh hier nirgend die .Erinnerungen* der Sche-
best finden, von denen sie mir 1860 in Stuttgart ein, seither leider
verlorenes Exemplar schenkte. Ich entsinne mieh genau, dass in
jenen Erinnerungen auch von der D^ry die Rede ist, die ich 1837
auf dem damals eben eröffneten Pesther Nationaltheater singen
hörte, daher ich mich des Namens entsann. Aber i( h weis nicht
mehr, \vn^ die Schebest von ihr rrzälilte. Also die Tliatsac-he steht
fest, dass die Dery und die Schebest sich kanuteu ; aber nur nicht
schon 1822 oder 1827.
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420
zeit TEBATSBGIttiC'Hlt'HTS BQOAPBäT's.
ISjii^ Nav. bis IfiJ^o Oh. Titelblatt fehlt an dem Torliegenden
Exemplar, das in Kl. Ü l ", uiul 128 S. stark, koiuplet i«t.
Oberilirektiou : Aktien-Gesellschaft (2-tt a Jahr),
Das Administrationspersonale wie im Jahre vorher. Ebenso-
die artistische Direktioii Babm^g, Cibtdhot Kkinhemg usw.
"Persoml eben&Us das gleiehe. Männer: 24, an deren Spitse
Babniyg^ beide Ikminit Qrmm^ KlmeUfh n. 8. jedoch pl6tilich
ist der Bassist Blum wieder da, welcher 1819 abgegangen war.
Aber 1821 kommt er nicht mehr vor.
Frauen, «gleichfalls dieselben : die Cibiühi^ die Dcnify die KU'
wetsch, Frl. Tcißer^ die Walla und noch 1 1 Andere.
Jedoch der Schauspieler Deny ging ab, und mit ihui noch 11
Personen minderer Rollenfächer.
Und der alte Ja/näl starb, der 28 Jahre den beiden Bfihnen
als Darsteller, wie als Direktor angehört, dem der Alniauach
aber iiiclit einmal einen Nachruf widmete !
Auch Urbfmy, ScJiiUingcr, Josef Bräner und noch 12 aus (h-ni
Orchester gingen ab ; dagegen beide Momwcfz^ Tahonky^ l)eide
Hladkyt Franz Bräticr blieben. Und noch immer war Kerker Deko-
rationsmaler (ö. Jahr) und SehM im 9. Jahre Zettelausträger«
Opemnovitaten : Bomms Dona del Lago, Corradino,Zelmire;
Kretäjsera Libiissa; QmeraHs Baohanten; Ihravanies wandernde
Virtuosen; EhifBsBeBhe Frau und Bireys Oemsenjäger. Sodann
hatte Bänerle seine Aline oder Wien in einem andern Welttheil,
Musik von Wenzel Müller^ in „Pest in einem anderen Welttheil
umgewandelt; lio'^er brachte die Pervonte ; Gläser ein fantasti-
sches Zeitgemälde MeisPs, also insgesammt 11 neue Opern.
Im Schauspiel 42 Neuigkeiten: i£omer«fiosamunde, die 6oa-
▼emante, die Bnuit; Kleists Fehrbellin; OeklensiMäffers Ludlamer-
höhle ; KUngenumns FOrstenwort ; Claurens Bräutigam aus Mexiko ;
Gasthans zur Sonne; AuffeHherys Flibustier; Die Verbanten ; und
Ephemeriden von Lembert, Pannasch, Ziegler, D'Arlinconrt, Weid-
mann, Tö])fer, Häuerlc u. s. w. Mit besonderem Erfolg wurde aber das
8chauerrnelodram ans dem Englisehen ,Ein Uhr,** Musik von Baron
Lanoys, gegeben ; und dieses JuJir l)egegnen wir zuerst Scribc
uud Melesüille mit der «Ualuielle'' ; sowie Melesville mit der »jun-
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ZUB THEATBSGB.SCIIIC'HTB tiUPAPESX's. 421
gen Tante* und noch zwei Lustspielen ^nacli dem l^Vaim^dBchen,
?oB GasteUi*. Hier beginnt also der Einfluss der neuen französi-
seiien Schale.
Gäste 18. Obenan der aue Prag gebürtige Rosenfeld als Mo«
ritz Hott »vom Theater an der Wien" den Jaroniir, Teil, Scharfeneek,
Karl Moor, Amolph, und im „Leben ein Traum" den Uoderich.
Sodjinn der k. k. Hol'schauapieler lleurter den Zrinyi, Jaromir,
Eselino, Hugo, Teil, Faust und auch den Roderich. Die Hofopem«
rängerin Frau Qrünbmm sang 9-mal, die Kosiue, Donna Anna,
Zelmire n. s. w. Die übrigen G&ste sind heute unbekannte Grössen.
1823^1821 fehlt wieder der Almanach. Wahrscheinlich war
es das dritte Jahr der ATeHm^G^eB^chaft'' , Aber wir haben {Ür
ilieses Jahr zwei hübsche Einhigen:
„ Test 1823 f 1. Mai. Franz JAazt wird im grossen Saale zu den
»Sieben Churfürsten", unter freundlicher Mitwirkung der Herren,
Babfiigg und Dr. Teyber^ ein Concert geben. Franz Liszt wird sich
in Variationen von Eie$8 und Moschdes, sowie in freien Fantasien
hören lassen, und bittet das p. t. Publicum m leztgenantem Zweck
schriftlich nm Themas. Hoher Adel! löbliches k. k. Militilr! Ver>
ehrungswürdiges Publikum! Ich bin Ungar, und kenne kein grös-
seres Glück, als meiner Erziehung und Ausbildung erste Früchte,
vor meiner Abreise nach Frankreich und England, auf dem Altar
meines Vaterlandes niederzulegen, als erstes Opfer meiner innigs-
ten Anhänglichkeit und meines Dankes. Was noch fehlt, werde
ich durch ausdauernden Fleiss xu ersetzen suchen, was mich zu
höherer Vollendung, und einst rielleicht in die glftckliche Lage zu
Tersetzen Termag, dass auch ich einer der Zweige der Thenxen Hei**
math sein werde.*
Am 22. Okt. 1881 feierte man in Ungarn wie im Auslände
den 70. Geburtstag jenes iiaidinger Dorfkiudes, das 11 Jahre alt,
am 1. Mui 1823 in seines Vaterlands Hauptstadt zum Erstenmaie
seinen Namen Tor die Oeffentlichkeit brachte. Ungarn stand an
der Schwelle seiner nationalen, politischen und socialen Wieder*
geburt, und der Knabe ging mit seinem Vater in die weite Welt,
auch sich eine grosse Zukunft zu bereiten. Heute können Ungarn
Qud I Vanz Liszt mit Stolz auf die 58 zurückgelegten Jahre zurück-
blicken. Der Ungar ist wieder eine Nation, seine tSprache die her-
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422 ZUR THBATBfiOBSCmCHTS BUDAPEST'».
sehende, soiiu; Literatur in der Weltliteiatar eingebürgert, sein
Land im Verein mit Oesterreich ¥deder Groasnmeht. Franz Lint
aber wurde ab geniabier IQanenrirtaos nnseres Jahrhunderts eine
Weltberühmiheit und hat keine Sekunde nnterUween, rieh mit Stolz
Ungar zu nennen, der Heimath getreu zu bleiben. Durch ihn er-
fuhr die Welt, dass es auch eine ungarische nationale Musik gibt,
und offenbar durch seine Erfolge angeregt, haben seine jüngeren
Laudsleute, wenn auch aof anderen Instrumenten Virtuosen, wie
Joachim, Bemäiyi, Singer, Auer n. s. w., das Ausland daran ge-
wöhnt, anznerkennen, daes Ungarn aneh in der Mosik keine Mit-
tehn&ssigkeiten gebiert Ale aber der 11 jährige Franz ÜBzt 1823
ans seiner Heimath sehied, nahmen sie Ton einander noch in deut-
schen Worten Abschied. Jedoch 1840 Ijcsaug den damals zuerst
Heimgekehrten Vörö.<^marty^ der Olympier ungarischer Poesie,
den gefeierten Landsmann in einer seiner prächtigen Oden, un-
garisch, und sie singt noch heute das ganze Land enthnrias-
tiseh nach.
Doch geben wir jezt zur Abwechslung auch etwas Lustiges
aus dem Jahre 1823.
Nachdem Rosa DSry am 29. März und 27. Mai 1822, auf so
geniale Weise improvisirt in Pesth erscheinend, auf dem grossen
deutscheu Theater deutsch gesungen und das ihr völlig [fremde
deutsche Publikum gleich enthusiasmirt hatte, wie schon seit 15
Jahren ihre Ungarn, — ward sie, fast gefiungen, znrQck nach Stuhl-
wrissenbnrg geführt und machte mit dem dortigen Intendanten
wegen ttbertretenen Urlaubs eine stürmische Scene durch, die mit
▼äterlicher Vergebung und Versöhnung endete. Doch noch den
Schreck in allen Gliedern, gab sie eine Weile klein zu, obgleich
sie schon eine Dame von 29 Jahren und der Juwel aller Theater-
gesellschafteu war. 8o mag der Sommer 1822 vergangen sein. Frau
D4Ty ist nämlich fast ohne Ausnahme in allen ihren Angaben
Ton Namen und Sachen flberrasehend zuverlässig, riesiges Gredächt-
niss auch fürs geringste Detail verrathend, nur laset rie, echt weih*
lieh, fittt Überall die Jahreszahlen weg. Jedoch es muss ihren son-
stigen Angaben nach im Sommer 1822 gewesen sein, als nie bei J^r
Gesellschaft Eders in Debreczin gastirte, dann im Herbst über Pest
nach Miskolcz hinauf ging, wo wieder £der mit seiner Truppe war,
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ZUB TUSATSBfflBSCmCBTE BD1>4PBST*S. 428
und dann mit diesem zu An&nge des Winters nach Erlau. Hier <
passirie es ihr denn, dass sich geheim die Leiter des National-
iheatera in Klausenburg, Udvarhely und Josef Sz^ely, einstellten,
abgeschickt von Magnaten Siebenbürgens und reiciilicli mit CJekl
versehen, um „die Dery gutwillig oder mit Gewalt" nach Transylvu-
nieus Hauptstadt zu schleppen. Es erlolgteu fürchterliche Auftritte
von vSeite Edeia, der solchen Kontraktbruch auch gegen reichliche
£ntsehadigang nicht dulden wollte, bis sich endlich die Komitats-
behSrde dreinlegto, und sechswSchentlichen Urlaub dikiirte.
Mitten im Winter 1822 — 23 fuhr also die ^ungarische Cata-
lani" mit ihren beiden Begleitern nach dem ihr bis dahin völlig
finemden Siebenbfirgen Nach 14 Tag Reisen, — heute mit der Eisen-
bahn 1 V« Tag — &st erfroren, traf man in dem ersehnten IQan-
senbnrg doch endlich ein.
A))er lassen wir die reizend erzählende Dery selbst reden,
zugleich als Probe des Siyls im unTergleichlicheu Tagebuch einer
79 jährigen Frau :
»Am vierten Tage nach der Ankunft — bevor ich mir noch
die Stadt betrachtet und den Intendanten gesehen, durch dessen
Fürsorge ich schon eine sehr behagliche Wohnung hatte — sagte ich
zu meinen Entffthrern : „Aber jezt setzen wir uns zu einer kleinen
Berathung zusammen. Wann soll ich auftreten und in was ? Die Zeit
des Debllts zu bestimmen, das h&ngt von mir ab. Jedoch in was?
Ihr sagtet mir, Ihr habt ein kompletes Schauspielpersonal. Aber ich
möchte in Singspielen auftreten. Giebt es hier Säuger und San-
geriueü?**
«Ich sah, dass Kollege Sz^ely sich sehr die Haare kraulte,
und dann Terwirrt sagte: Sänger? SSngerinen? Solche warhaftig
i^ibt es hier nicht."
— «Also mit Wem soll ich denn dann singen P*^ rief ich la^
chend ans. —
— »Da wäre hier die Oper »Agnes Sorel* ; die ist in der Bi-
bliothek vorluinden. Und mau hat sie auch schon gegeben.* —
— »Man gab sie schon ? Also wie, wenn luau keine Säu-
ger hat?« —
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424
ZUR THKATEUaKdCmCirrB BUOA>>EST*.S,
— nNuu du int der gnädige Herr »Samuel v. Dea/Hf, er wird
Alles ins Beine bringen.* —
,Ds klopfte es nnd der zweite Kollege, der Schauspieler
Udvarhelyi trat ein. —
— „Kommen Sie nur, kommen Sie!* rief ich, „sagen Sie mir
dooli, wie konnte man die Oper ,Agn<'.s Sorel" gel)en, wenn mau
keine Sänger hatte? denn ich lache mich sofort zu Tode!'* —
— j,Ahf sehr bitterlich* — erwiederto Udwhelyi — »meine
Frau, sang die Agnes*. —
— »Also ist Ihre Frau Sängerin ? —
— „Durchaas nicht! Nur dass das Publikum stets naelj Sing-
stücken lärmte, und da Herr Samuel v. Deaky ein sehr leiden-
schaftlicher Musiker und ^nger ist, nnd obgleich beim Gubemtnm
angestellt, sofort ins Orchester hinabsteigt, fehlt ein Instrument,
und es spielt, oder aber, singt ein Sänger nicht gut, oder gibts
Oberhaupt keinen, er es ist, der hinter den Koulissen die ganze
Rolle herabsingt .... so hat er denn auch die Gesellschaft beredet,
sie möge nur Opern geben, er werde sie ihr schon einlernen. Meine
Frau wollte durchaus nicht singen, weil sie's nicht kann ; doch Herr
Deaky tröstete sie, sie niTtgc sidi nicht fürciiten, niclit trauern, es
werde schon gehen, denn i r werde dort sein. Den ganzen Tag über
trieb er sich denn auch dort mit seiner Geige umher, und meine
Frau lernte auch die Agnes, soweit Jemand ein GesangstUck ler-
nen kann, der noch nie gesungen, X>oeh wahrlich, bei der Vorstel-
lung ging das Alles nicht. Herr Deäky kroch nun ins Souflenr-
loch und sang von da heraus die ganze Rolle der Agnes. Meine
Frau murmelte ihm dann alles nach, wie*s eben ging. —
»Ich brach fast entzwei vor Lachen. — »Uiid saug Herr
V. Deäky die Agnes mit männlicher Stimme ?* —
— «Ah, was nicht gar ! In der Fistel !* —
— »Ich fand diese Sache ungeheuer lustig. — «Aber einen
Kapellmeister hal)en Sie ?* —
„Das nicht, aber hier ist ein si^hr vorzüglicher Musiklehrcr
und Komponist, Herr BuMsicskaV) den pflegen: wir su ersuchen
nnd er kommt* —
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r
SUR THIUTIBOISGHIOBTB SüdÄPBBT*R. 42S
— ,ünd dann daä OroWter P* — frag ieh weiter.
— „Nun, das ist wklich vorzüglich I Durchgehend gnä-
dige Herren. Alle Mitglieder des Guberniums. Sie spielen in jeder
Oper ; denn hier gibts keine Maaiker von Profession/ —
— »XiiiL, ieh sehe schon* — sagte ich — t<hn8 wir das hier
nieht entseheideii könneo, wie und wann das Alles sein wird. Doch
Herr Ssäkely wird so ficenndlieh seia, die Theatenniliglieder ein-
Büladen, AUe mögen morgen im Frobensaal sosammen kommen
— vielleicht fällt uns was bei.* —
, Andern Tags ging ich hinauf auf die üühne. Ich war wirk-
lich überrascht, als ich dieses grosse schöne Gebäude sah, der un*
garischen Thalia ersten stabilen Tempel. Ich freute mich ausser-
ordentlich dieser Bühne. Nun, Ton hier kann man konragirt die
Stimme ins Publikum fliegen lassen. ^ Da erbUckte ich der BOhne
gegenftber eine praohtrolle Loge ; rother Sammt, schwere Vorhänge,
grosse Spiegel. «Was ist das?* — «Die Loge ihrer EzcellenXt
der (jrattin des Gnbemator Baron Samuel Jösika.* — »Nun das ist
schon etwas," erwiederte ich ermutkigt, »dass Klausenburg solch
ein Publikum hat." —
Nun, die De'ry blieb von 1823 an nicht blos 6 Wochen, son-
dern gleich 6 Jahre in Siebenbürgens ungarischer Hauptstadt, die
zu betreten sie vordem so gebangt, und in der sie ihr Debüt aller-
dings anfimgs als Solosängerin halten musste. Aber schon als
solche erregte sie solchen Enthusiasmus, dass man ihr jede Summe
zugestand, um auf ihren Baih hin rasch eine complette Oper aus
allen Landestheilen susammensutrommeln. So kam der Bariton
Alexander PtflyiTon der Wener Hofoper, ElSszegi, Megyeri, die Mu-
ranyi, Esedi u. s. w. Genug, in einem Jahre hatte man ein grosses
Personal und so ward denn Klausenburg die Wiege auch der un-
garischen Oper. Die Dery aber ward der zahlreichen und damals
noch so reichen Siebenbürger Aristokratie Abgott, Mignon. Die
Häuser der Jdsika, Teleki, Desse\vffy, Bethlen und Dutzend anderer
Magnaten standen ihr weit offen; die kleine Fee, die noch als
Drdssigeciu wie ein Kind aussah, aber eine Metallstimme wie eine
* Sjprifih: nBuaohitachka", der ber&hmfte Instromenüst des alten
Bäkdcsymanohe«.
UagMbeh» BeTO«^ tm» BMI. 28
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IBDR THgATBROSSCHlOHn &ÜDiPB8T*B.
Kie.siii hatk', ein Uei)ertoire aller iieueu Opern des Auslandes sang
und auch im Schauspiele ))rillirte, ward ühersrhüttet mit Schmuck,
Kränzen und ( ledichten, und war die Seele aller Salons, der ver- .
traute Liebling in allen Familien. Der geniale Tausendsasa Deiky
-ward ihr Priester.
Doch sehen wir nmif mm nnterdess in Ungarns Haaptstadfc,
was mit dem grossen dentsohen Theater in Pest Toiging.
ISäS-'ld^d fehlt leider wieder der Almanaeh. Bs wird das
dritte Jahr der ^AktiengetdMu^* nnd All» im alten SeUendrian
fortgegangen sein.
Um so mehr versprach mau sich das nächste Jahr 1825, unter
völlig neuer Direktion mit fast völlig neuem i'ersonule.
18;.^ J Nov. — lö^f) 21. Derember.^VesUiY Theater-Taschenbuch
für 182()-. Von Kturl Stern, fcioulieur. Pest (182G), Landerers
Druck. KL 24^ 55 &
Also Ton diesem Jahre an stand das grosse Pester deutsche
Theater unter selbständigor Direktion, das Ofiier Festungstheater
war in den Pacht nicht mit einhexogen.
Direktoren : Anton Balmi^, Fedor Qrmm,
EapeUmastor: Urhany^ Bo9er. — Generalinspizient: TrmhM
(hiess eigentlich Wagner). — Sekretär : Czerwenha. — Bailot -
im.'istfr : Beauval. — Chordirektor: Menner. — Orchesterdirektor:
Karl Morawets. — Dekorationsmaler : MartincUi u. s. w.
Sänger und Schauspieler : 16. Sängcrinen und Schuaspielerincu : 12.
Artour. I'rau Deny.
Eduard Demim (wieder engagirt). Fräulein Leonore Kcnäarusai
Grabow. (neu).
Jlfeloftior (neu). Frauen: MaründUf Mdekior,
Artour spielte sowohl Jaroniir, als auch Staberl; — Eduard
Dein 'miy der Bruder des ungh'iclilicheu Bariton August, gehörte dem
Schauspiel ao. — Wilhelm Grabdd gleichfalls, wie auch Melrhiar
Trmhold.
Watsifujer.
August FlscJ^er (neu) und noch G.
Maeho (neu).
NöfMl (neu).
NSUH (neu)
Frau Julia WäUa.
Fräulein Schweiteer, die Aeltere
(neu).
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kos THt&llBOlSCttICBXI mn>AFl8T*8. ' 427 ^
uml Frau. — MaUfzky war seit Juhreu zweik'r Komiker. — Madwy
aus der Nähe von Wien, war in Pest mehrere Jahre beliebter Ko-
miker, machte aber noch im Vormärz eine Erbschaft uml lebt
vielleicht noch in Wien als — Itentier. — I^ötsl spielte Heldeurol-
len, vrie den Zrinyi, Mathilde Notäl die Stuart u. d. — Leonora
Kondortmi soll sehr hübsch gewesen sein, gab in Pest einige
Jahre hmduroh GnrhroUen, lebte noeh in den 50er Jahren in Wien«
als Qattin einen yiel jOngeren Advokaten.
Besonders ins Auge zu fassen sind die beiden Schwestern
Schweitzer. Töchter einer Wasserträgerin in Ofen. 1825 war die ältere
im Schauspiel, die jüngere im Ballet berühmt ; Letztere ward später
die vorzügliche dramatische Sängerin Therese Minh^ die am 24. Sept.
1881 in Wien, als ehemals k. bayer. Kammersängerin, 69 Jahr alt
starb, also 1812 geboren war. Doch, von ihr wird noch die
Rede sein.
Anch mosz WSM Vater — der Pesth schon 1815 Yerlassen
hatte — 1824 wieder engagirt gewesen sein ; denn er kommt im
Almanach 1825 neuerdings als „abgegangen" vor.
Einzig neu im ersten Jahre von Grimm -Bahnigg war 1825
das Tanzpersonal : StöcU und die Fräuleins : Millitz, Müller, Stelzer,
Therese Schweitzer, Tuffwer und Frau Stelaer.
Dieser Almanach des Sonflenr Stenz ist noch schlechter redi-
girt, als all die froheren. Er e&thalt nicht einmal ein Verzeichmas
der Gäste und der Novitäten dieses Jahres.
Nur aus dem , Journal vom 1. Nov. 1824 bis 21. Dez. 1825*
ist mühsam zu entnehmen, dass man als tk??^ blos aufifUhrte : „Blaue
Katze" Zauberoper. — »Galeerensklave* Melodram. — «Dorf im
Gebiig** Oper. — OddamMi^B «Van Dyk." Schauspiel. — „Meister
Martin der Kttfer und seine Gteaellen* Lustspiel — QriXlpairteii^s
Ottokars Glack und Ende* (8mal) — fi^poftt« (?) »Faust* Oper 4
Act — 8p(miM^ «Ferdinand Gortez' — und das war Alles !
Als Gäste sah und hörte man : Vaulyuw Zrinyi, Lear. Teil —
Josef Fischer bayrischer Kammersänger, als Don Juan, Barbier —
Mathilde Kaim^ vom Hoftheater in Florenz, sang Rosine, Tancred,
Agathe, Desdemona. — Ferdinand KeUler spielte Don Carlos, Don
Casar, Kojneo. — Und endlich KtUgianer seit 18 1G| mit Frau, fort
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428 BDB TRUTEBaiSCBICnB BODAPin^fl.
▼on Pestii — spielte im Juli nnd August wieder 8iiud, Teil, Ziiny,
Abelino, Hugo, Loxd Algemon« Carl Moor, Bayard, CSaspar den
Thoringer.
1825 war in Presburg der berühmte Regenerations-Reichstag,
mit dem die nationale Wiedergeburt Ungarns begann, die Versöhnung
mit Franz I. stattfand, der am 18. Sept selbst den Reichstag eröff-
nete, während am 25, Sept. seine vierte Gemahlin als Königin ge-
krönt wurde, indess am 7. Not. der bis dahin völlig anbekannte,
35jährige Hussarenkapitän, der nachher so grosse Giaf Stefan
SMiekenif die denkwOrdigenRefomiworte spraeh alJngam war noch
nicht, es wird erst werden* nnd seine Jahresrente Ton 60,000 fl. snr
GrOndnng einer ongaiischen Akademie der Wissenschaften her-
schenkte. Am 30. Des. war die Dankadresse an den K5nig dehattirt
nnd der Bmchstag ging nach 4 Monaten auseinander.
Die Komitais-Stände von Stuhlweissenburg, begeistert durch
diese Gelegenheit, hatten auf ihre Kosten eine ungarische Schau-
spielergesellschaft nach Pressburg geschikt, — in der Balog Istvan,
Czelesztin, Jos. Szekely, Alex, üjfalusy, Bartha, Megyeri, Telepki, vor
allem der Heldenspieler Jos. Horväih, sowie die grosse Tragödin
Frau Kantor und andre 7 Damen glänzten — nnd, im dortigen
deutschen Theater spielend, erregten sie Enthnsiasmns. Jedoch die
BeichsstÜnde, eben von brennenderen nationalen Angelegenhieten in
Ansprach genommen, widmeten der ungarischen Theaterfrage noch
nicht soviel Beachtung, um schon jetat rdehstBglich einen Fond
8U ihrer Stabilisiruug in Pesth zur Bede zu bringen.
Die Stuhlweissenburger grosse Truppe zog also über Raab
wieder heim. Bei diesem Rückzüge mag es gewesen, dasa sich
einige MitgUeder dieser Gesellschaft nach Pesth verschlugen und
so den
Vierten Versuch ermöglichten, ungamnhes Schauspiel in der
Hauptstadt einzubürgernf denn irgend eine ungarische Gesellschaft
gab im grossen deutschen Theater:
1. Sept Ki8fühidy*8 Marie B^oiy. — 4. Sepi Die Grafen
Montebello. — 5. Sepi Die Templer — nnd am 24. Nov. Die sieben
ungarischen Anführer im Imperium. Drama in 4 Act.
Die Genehmigung zu diesen 4 Vorstellungsabenden war das
Ganse, womit die neuen Direktoren des deutschen Theaters
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im TUKATBUOIBCHICUTI BCOlAPBn'*^
489
Buhiiig^ luul (u immden historiselieu grossen Moment der uatioua-
leu Wiedercnveckimg Ungarns feierten.
1826 1. Jan. bis 30, Ifav. Theater-Almanach d. k. st Festher
Theaters. Von Carl Stene und Paul Wüh^mi, Soufleoxi. P^th
Landerers Dnick kL 48. S.
Zweites und letetes Jahr der Direktion
Kapellmeister : ürhaßn^BMer — Generalinspektor TrenAM —
Sekretair : Cgenrikha — BaUetmeister : Landtert-Beamall — Ghor-
direktor : Meimer — Dekorationsmaler : Engert (neu) — n. s. w.
FcrsoDiil :
-Artour, Schauspieler Frau Dmy
Aug. Fischer^ Sänger Frl. llentd
Franke, Schauspieler Frau Klein
Wilh. Grabotv, Schauspieler Frl. Kondormsi
Franz Kfönimg, Schauspieler Frauen : Krönimf, Melchior , Mik-
Mdchior thOde NätO, Tr^nkM
Mditäsjf Frl Böser und ShiomUer d. Ä.
Jfiidlo» Komiker
Chor : 12 Hftnner, 12 Frauen,
TVevUiM^ Schauspieler darunter die jüugere SchweUtfoir
Watssinger und noch 5 (zuaam- (später Mink)
men 16)
Tauz : Franz StöcJd; die Frl. Emerle und TnfFner und l Damen.
1826 gingen fort : Julie Walla, Eduard Demini und Familie;
sowie der yieljährige Soofleur üSrtd,
Mit den .A/iovitöfon war*8 sehr jämmerlich bestellt «Bihar
Baakö o. Ungarns erste Krenafohrer.* Schansp. 5 A. (Nor Imal) <—
Bo9inl^$ .Semiranis' — «Die Hdhie Soneha» oder die 40 Rftuber*
Drama, 3 A. (4mal) — ,Die Belagerung v. Solothnrn* Schansp.
3. A. — «Jacob Callot der Fratzenmaler' Schansp. 5 A.
Aber dies Jahr gab*8 schon bedeutende Gäste :
Wilh. Kumt, KegisHeur des Münchner Hoftheaters (29 Jahr
alt) gab im Mai und Juni : Hanilet, Karl Moor, Teil, Don Carlos,
Jaromir, Mola, Fau8t, Aba, Herzog Albrecht, Friedrich, Don Caesar,
Ferdinand, Herzog Heinrich, Roderich, Phaon, Leice8ter,£8taT^ieli
ja er sang sogar den Sarastro !
8(^Mo Sehrdder-KmH (45 Jahre alt) k. k. Hof sehanspiele-
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430
ZUB TBKiTlBCnSCniCHTB BDDAIISt^S.
n'n, kam zuerst ilica Jahr nach Pestli und spielte zusammen mit
ihrem dritten Gatten (von dem sie sieh 1829 scheiden Hess)
19. Juni die Sappho, 21. Juni die Stuart, 25. Juni die Monfaacoiii und
am 24, Juni allein die Jungfrau von Orleans.
Heinrich Anschüte (41 Jahr alt) k. k. Hofschauspieler, gab im
Juli : Bssex, Erbrerirag, PoBa« Ottokar, Graf Banelona, WaUenalein,
Lear, Bayard, Don Gnittiere, Nathan, und auf Verlangen noeb-
mak Lear.
Clara Siebert and Frans Siebert, ihr Vater, vom Hof theater in
Baden, sangen zusammen im April im Tancred, Zauberflöte, Frei»
schütz und zweimal im Johann von Paris.
Ludwig WalJbach vom k. k. Ilofburgtlieater, spielte im Mai:
Graf V. Burgund, Don Carlos, Corregio, Gustav Wasa, den jungen
Klingsberg, Tamino, Jo8e£
LöMe der k. bayr. Kammersänger sang ün Sept : Lieiniaa,
Max, Apollo» Franz.
Ftan Brede vom k. wflrt. Hoftbeater spielte im Okt. die Fürstin
Gbawanska, Donna Diana, LadyMilford, Sappho, Medea, EÜsabeth.
Also betreiF der Gftste hatten sieb die Pesther dieses Jahr nicht
üu beklagen.
Zum Schlüsse das Sonderbarste :
Eine unf/ariscJte Oesellschaft — also die fünfte auf Pesther
Brettern — sang 11. Sept in der ung. Oper »Belas Flucht" und
spielte 14. Sept. in einem Drama : «Stefian Bocskay." — Was war
das für eine Improvisation ?
Frans Binder^ ans Phigi sang erst im Oktober den Almaviva,
Savgino, Roderigo im Otiiello, Max, Asyr, Georg in der weissen Fraa
(3mal), war also Tenor. Ob dies woU der berühmte Teaor SAastian
Binder ans Prag war, der 1845 in Pesth starb, oder vielkiebt aem
Bruder ?
Margaretha Binder van der Glogen spielte in gleicher Zeit
mit ihrem Gatten 8mal : Gurli, Käthehen, Agnes, Fanny, Lottchen,
und sang auch die Jenny in der weissen Frau.
1826, 1. De2. Ins 1827, 30. Nov. »Theater- Almanach u. s. w.
von Pesth" Von Paul WUhehm und Franz Leutner^ Soufleor. Pesth.
Joeefine Patzko's Droek. KL 16. 48. S.
Fedor Grimmas Erstes selbststSndiges Direktionsjabr.
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/
Anton JJabiügg^ 32 Jahr alt, verliess Pestb, nachdem er hei
uns von 1811 — 10 durch 6 Jahre als erster Tenor (damals 20—26
Jahr) brilliri, und 1825 und 1826 Mitdirektor des Pesiher deut-
aelien Tbesters gewesen. Geboren in Wien 10. Not. 1794 moss er
schon Mk nach Pesth hexabgekommen sein. IfaiMos Babnigg war
wahrscheinlich sein Vater, ftir den er am 20. März 1826 eine musi-
kalische Abendunterhaltung gegeben hatte. Anton Babnigg ging
Yon Pesth nach Linz, Graz, Prag, und wohl 1828 nach Dresden,
wo er als k. sächs. Hofopernsanger bis 1838 eine Berühmtheit war,
Ton der man noch heute spricht, auch Ubeiall hin Kunstreisen
machte, z. B, bis Petersburg, endlich aber Tichatschek weichen
mnsste. Er war später noch öfter in Pesth, wo er sogar noch 1870
gewesen sein soll. Jezt lebt er schwerlich mehr, oder wäre 87 Jahre
alt. In seiuer Blüthezeit nannte man nach einer seiner Hauptpartien
den distinguirten Restaurant im Klopfiuger'.schen Hause „Zum
Licinins", allerdings aber auch Damen ihre Möpse «Licinerl". Uber
seine in Pesth gebome Tochter Emma Babbnig an einer ttideren
Stelle.
Kapellmeister 1827 waren : Ürbamt und neuerdings der alte
Cibulka, der, 1817 zurückgetreten, von 1827 — 1832 wieder, aber
nun y.weit>er Kapellmeister war, iudess seine Frau, 1807 — 182.'i,
durch 16 Jahre Erste Sängerin, von 1823 an als Gesaugslehrehu
private lebte.
Kapellmeister Roser mit Frau waren nach Wien übersiedelt.
Das Direktionspersonal wie 1826, TreuhM, (kmomka^
Mmier, K. MoramoeUi, Btgeri — nur Balletmeister war nun Bei'
herger, Operninspizient Maeho, Schauspieler und Sänger zumeist
auch die alten: Artour, A. Fi'fcher, Franke, Melchior, Miüitzhj,
Maeho, NöUl, Treuhold, Waitssmjcr, Aber neu hinzugekommen waren
Latigcndorf^ Heldendarsteller
Hagel Sanger
Bäger Singer
Sdtinni dieser Letstere, Baasist und Komiker, soll Schusterssohn
aus Gran gewesen sein, fignrirt im Personalstand bis 18S5, wurde
aber dann — ist es vielleicht noch — Säuger der Primatialkapelle
in Gran.
Schaospielehnen und Sängerineu die Irüheru: Deny, MA'
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^02 Smt TBlATKlieBäCHlCHTB BUDATim*«.
chior, NöfsL Treuhold, Frl. Koiidorussl. Jedocli neu liinzukuuieii S
FrUuleiD, die bald wieder abgingen, und Frau Baimum^, — Julie
WaUa fehlte aneh* in diesem Jahre ; und das jOugere Fruulaiii
SehweitMer sang noch im Chor, der 24 Penonen »Ute. Tsub-
personale: Fnma 8tlM nnd Beibeirgeri die Emerk und noch 3
KoriphSen. Die Tuffner fehlte.
Das ^(OttVä^ew-Repertoire war in diesem Jahre ein überra-
achend miserables. Ausser »Riiialdo Riualdini" uud der Posse ^ Wis-
per! und Fisperl gar nichts! 1 826 Ferdinand Balmunds drittes Volks-
stück „Der Bauer als Millionär", und f827 sein viertes aMoisasur^s
Zanbexflach* erregten grossen Enthusiasmiis; dagegen in Peeth
gab man in diesem Jahre als Novität von Kaimnnd mt dea»
sen zweites ZaoberstQck «Der Diamant des GeisterkChiigs*, das
schon seit 1824 populär war. FreiHeh, zu den poesieyollen Possen
dieses Wiener Shakespeare bedurfte es auch Darsteller wie Raimund
selbst und Therese Kroues. In Pesth fehlte aber gerade in diesen
zwei Jahren Julie Wattoy von der es hiess, sie geniesse indess Flit-
terwoehen mit Metternichs nachherigem Schwiegersohne, dem un-
ISagst Teratoifoenen Giafan Moria SMor^ der 1827 erst 17 Jahr
alt| dm;eh seine Exeentrioitaten schon ganz Ungarn Ton sieh spre-
chen machte.
Auch au fremden Güsten gabs dieses Jahr nur Eineu Neu-
nenswerthen, den reitzenden Wiener Hofschauspieler Karl FicJtJ-
Mer, der im Juni im Erbvertrag, iu der Phädra, im Schüchtern uud
dreist, in der Montfaucon, im Schauspieler, im Grafen von Burgund,
dann den Ferdinand, Hamlet Beiisar, Isidorj inlezt zweimal den
Fiesko spielte,
Kirchner ans Berlin, der berttehtigte Weiberkarikisi, gab im
August dreimal seine , Falsche Catalani" uud einmal «die falsche
Sonntag''.
Im Oktober sang ein Frl. tipeisc^ßr die Agathe im Freischütz,
worauf noch zurückgekommen wird.
• Denn so unbedeutend dies Jahr fürs deutsche Repertoire war,
mn so bedentender war es fllr die Entwiekelong des mngoriichm
Theaters.
Irgend eine ^ U)^garische GreseUschafl'^ spielte nehmlich schon
im April, Juni uud Juli in zusammen 8 Stücken — Ki^almli s Ö.
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SUB TBEATEKGBSClllcmJ^ ÜUi^Ai'BbX't».
Kemeny, Fays Alte Münzen, Stefan Boeskai, Matliias Dmc. und in
den fibersetzten Stücken : Jolantha von Jerusalem, Wald bei Her-
mannstadt, Fridolin, die getarnten Liebenden — auf der Peetber
dentscben Böhne.
Das war also der «ecA<<0 Versneh der Ungarn, in der Hanpi-
atadt dnreliiadringen.
Aber es sollte in diesem Jahre noch bedeutender konunen,
Die durch Rosa Dery 1822 sn Klansenburg in Siebenbürgen
geschaffene Erste ungarische OpemgeselUchaft schloss sich nemliph
an die Dery an, als diese 1827 mit Direktor David KiUny 'i kon-
trahirte, um hinauf nach Ungarn zu kommen, denn er wollte mit
grosser Truppe den Winter über in Miskolcz und Kascbau Vor-
stellungen geben.
Man spielte und sang auf der Herreise in Szegedin, Väsärhely,
Temesrar, Aiad. Aua lesterer Stadt beförderte schlieealieh die
Ander Komitatsbehörde anf ihre Kotten in 12 Reiaewagen die
mehr als dO Gaste bis Peatfa, um von dort weiter bis Easdum an
ziehen.
In Pesih besachte Kil^nyi mit der ganzen Truppe das dentsche
Theater, mehrere Bänke füllend, iudess der reiche Kileuyi durch
seine Diamanten noch besondere Aufmerksamkeit im deutschen
Publikum erregte. Es war dies am 7. Okt. als die Speissegger die
Agathe sang. Kilenyi flüsterte der De'ry die Frage ins Ohr, ob sie
es wohl wagen würde, sich mit solch einer Sängerin an messen ? —
«0 an jeder Zeit !" war die Antwort. — »Also dann geben wii-Vor^
atellimgen in Peeth* sagte Eil^yi ~ «Sind sie Terrliekt? wer
wllrde ans denn auftreten lassen?* — »Das ist meine Sache* er-
widerte der Dhrektor ; «im EondtatsarchiT liegt das Geseta, dass der
deutsche Direktor durchreisende ungarische Schauspieler drei-
mal müsse debutiren lassen." -• Und wegen o Abenden sollten wir
abpacken ? meinte Dery. — »0, Sie, Rosa und auch die Andern
werden derart gefallen, dass auch 30 Abende daraus werden !*
Und so kam s denn richtig ! Direktor Fedor Grimm machte .
zwar ein saures Gresicht zu dem Paragrafen« den er wohl kannte,
stellte dafür aber auch harte Bedingungen : nur zweimal wöchent-
lieh und bloss halbe Einnahmen; an Sonntagen aber Nachmittags-
▼orstellungen.
/
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V
434 ' 2UU TUEATBJtGESCHlCllXK BUDAPEST*».
»So begann man denn am 27. Oktober mit dem ,Bar})ier.*
Die Dcry die Rosine, Talyi den Almaviva, Udvarhelyi Basilin,
SaUagyi ßartolo, Sserdahdyi aber unvergleichlicher Figaro, — Da«
Haus gesteckt voll, der Beifall der Deatschen ein nBgehenrer. Be-
sonders die Dery ward Tergdttort
Und 80 ginge fort Aach noch im NoTember und Dezember
1827 und sogar noch im Januar nnd Februar 1828.
An 18 Abenden Opern mit der Dcry^ an C Abenden »Schau-
spiel} zusammen also 24 Abende.
Anna Kantor, die grosse Tragödin, gel »rauchte in jeuer Zeit
eben da.s Ofner Blocksbad. Sie kam sofort lierüber, schloss sich den
Landsleuten- an und spielte zweimal mit grossem Erfolg die
Preciosa.
Der Erfolg war ein revoltanter, das Hans andi stete überfüllt,
die Eiuiahmen znr Hälfte dekten buun die Bedürfnisse von 30 bis
40 Personen wShrend 5 langen Monaten.
Welche Anstrengungen Grimm machte, die Dirif für die
deutsche Bühne zu gewinnen, ist schon im Zweiten dieser Artikel
S. 871 ausführlich erzählt, ebenso der Misserfolg — sonach die
, ungarische Catalani* nicht zu europäischem Kufe gelangte. Und •
auf jener Seite ist auch das ganze liepertoire gegeben, das die Un-
garn im Winter 1827 — 28 im deutschen Theater in Festh sangen,
detaillirt
Immerhin mnssten sie im Februar 1828 weiter nach Miakolz
undEBSchan.
Aber durch dies Gastspiel ward der Hauptstadt glänzend be-
wiesen, dass die Ungarn aneh besonders für Musik befShigt sind,
nnd Opern besser zu singen wissen als das damalige Opernpeisonale
im Tester deutscheu Theater.
IVotzdem mussten sie noch 10 Jahre warten, bis sie in der
Reichshauptstadt diesen Beweis in ihrem eigenen Nationaltheater
antreten konnten, deren Primadonna 1837 gleichfalls die dann schon
4^äluige — Dery war.
Nachtrag. Friedrich v. Genta und seine Tochter j Frau Deny, Im
J. 1764, 8. Sept in Breslau geberen, studirte der junge Ksuftnsnniwcihn
Gentz in Künigsberg, ging nach Berlin, TermlOilte sich — 21 Jahre alt
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ZUR TOBATBROSSCBICIITE BUDAPBäT*8. . 4^5
— dorf, mit liernhanline von (nWy, wurtlo 178G Sekretär bei der Ge-
neraiclirektion und liess sich gesetzlich in diesem Jahre von seiner ersten
Gattin scheiden. Nun Avieder frei, ward er der Held der Berliner „geist-
rdehen Zirkel" jener Zeit and besuchte besonders viel die Theater. Da
gab er die 80 sebdiie als geistroUe Hoftchanspielerm Friederike Kock,
Sie war die Tocliier eines Baren Vamia oder Vamim ans Königsberg,
der, obgleieh ialenilosi ans Leidenschaft som Theater lief, in Weim»
die Schauspielerin Bomana Koch geehlicht nnd deren Namen ange-
nommen hatte. ') üm diese Zeit hatte die Tochter des jüdischen Arztes
Levin Markus Bakei, geb. 1771, als dessen wohlhabende Erbin jenen
Kreis von Künstlern und Schriftstellern um sich zu versammeln be-
gonnen, in dem auch ihr Freund Prinz Louis Ferdinand von Preussen
sich befand. Dort, bei der nach herigenVamhagen scheint der nun schon
26jährige Gentz Friederike Koch kennen gelernt zn haben. 1789 hei«
ratheto er sie, und sie gebar ihm eine Tochter, die nachberige Frau
Denj. Letzterer Tanftchetn lautet :
„Nach Angabe des Tanfregisters der Lnisen-BSrehe ist dem Ge- .
lieiinen Sekretär Herrn Friedrich Gcntz von seiner Ehefrau Friederike,
geborne Koch am (ausgeschrieben) 9. des Monats Januar im Jahre 1790,
Abends */* ^ ^^"^ Tochter geboren worden, welche am 3. Feber
1790 die h. Taufe und den Namen Angoste Wilhelmine empfangen hat
Taufzeugen waren 1. Herr v. Begnelin; 2. Herr Conducteur CJentz ;
3. Herr 6eh.*Sekretfir Genta; 4. MdmeWemits} 5.Mademoi8eUeKunst.
— Dieses wird glanbbaft nnd ordnnngsmAssig biednrcfa bescheinigt.
Berlin, 7. Febr. 1818. Kobland. m. p. (L. 8.) Beyer, m. p.*
Aber auch diese zweite Ehe endete mit gesetzlicher 8chei-
dnng und zwar schon 1791. Der stets egoistische Gentz ward 1793
Geh. -Rath, richtete das bekannte öff entliche Schreiben an König Friedrich
Wilhelm III. bei dessen Thronbesteigung 1797, und heirathete zum
drittenmale 1800, und zwar noch in Berlin, die jüdische Bankierstochter
Marianne Mßtfer, die 1797 — 99 mit dem Fürsten Heinrich XIV. von
Benss-Greiz — 8obn des k. k. FeldmarschaUientenants und Gesandten
in Berlin, Heinrich XL — ▼ermihlt gewesen, erhoben znr Prinzessin
YimSißienberg, nnd dessen ^ttwe geworden war.
* Ihm wurde 1770 in Hannover Friderike geboren, nnd schon mit
18 Jahren gUbiste sie auf dem Berliner Hoftheater.
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486 TBBiTltllO wcmcBTi BUDinsr*!*
Uentz, dei' mit dem damals in Preussen herrschendem Systeme
nicht übereinstimmte, ging 1802 nach Wien, wurde katholisch und
Hofrath bei der Huf- und StaatskanzleL Seine dritte Frau folgte ibiu
dahuif wo sie 1814 starb, Gentz zum Universalerben einsetzend.
Enederike £oe4 jedoch — die 17dl dnroh die Scheidung dem
Namen (knts entsagt hatte — sog sieh tief betrftht Yon der Bflhne sa-
rüek, und mit ihrem TQchterehen m einer Frsnndin, Lydia Matj/eri nach
Freienwalde (6 Meilen Ton Berlin) siehend, — wo deren Bmder eine
Fabrik hatte — lebte rie nnr ihrem Kinde. 1796 war Ifflsnd Direktor
des Hoftheaters in Berlin geworden. Er kam öfters nach Frmenwalde nnd
redete der noch so jungen und schönen Frau zu, doch ja wieder die Bühne
zu betreten, ihr Talent nicht in der Kinsanikeit zu verbergen. Friederike
Koch nahm denn auch ein Engagement ans Hot'theater in Schwerin an.
Intendant daselbst war ein Herr Kriecheberg (nicht n^on*'), mit dem sie
sich nun zweitenmale vermählte, noch in den 90er Jahren. Diese
Ehe war selir glücklich. Einer Familientradition nach soll Sekiüer dem
jungen Ehepaar zum Hochzeitsgescheiike die Handschrift seiner «Maria
Stuart* geschickt haben, welches Drama er aber erst — 1800 dichtete.
Doch dem sei, wie ihmwoUe. Krieokeberg ttbenmhm später dieThetaer
Direetion in Bremen, und nm 1810 die des Hoftheaters in Hattnever,
nnd so kam Friederike Koch, nunmehrige Krieokeberg, zurück in ihr«
Vaterstadt Auch ihi*e Tochter aus der einstigen Ehe mit Gentz führte
nun den Namen ihres Stiefvaters, und da sie von KindlieiL au ^Tosses
Talent fiir Deklamation zeigte, widmete sie sich gleichfalls, als Auguste
Krieckcberg, dem Theater. Damals gab*8 in Hannover einen Schauspieler
Spengler, der geschieden lebte von einer Schauspielerin, die in anderer
Ehe spVter die Mutter der gleichfalls Pestis deutscher Theatergesohichte
angehörenden Frau Klara Qrül geworden war, Dieser Spengler hm-
rathete in «weiter Ehe Auguste Krieckeberg, Friederike Koches Toch-
ter aus dem Bund mit Gents. Jedoch Spengler muss schon vor 1818
gestorben sein.
Denn 1818 kam die nun 2 8j ahrige Wittwe Augaste Spengler
' nach üngaiTi, und als tragische Schauspielerin und für Salonrollen anN
grosse deutsche Theater nach Pest. Das war unter erstjähriger Direk-
tion des Grafen Franz Brunswik. Sie wurde da mit dem Schanspieler
Deny bekannt, der im gleichen Jahre mit ihr engagirt worden, nnd mit
dem sie schon 1819 in die Ehe trat Das junge Paar verliees Pest
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ZUB TinUTIROISCHICSTI B0D1PB8T*R, 487
und wiu- 1820 in Graz. Aber scliün 1821 zurückberulen. war Augiiste
Deny volle 59 Jahre in Ungarns Hauptstadt. Auch ihr zweiter Gatte
kam mit ihr zurück ins Engagement, ergab «ich jedoch dem Trünke,
machte ihr das Leben zur Hölle und starb im Säuferwahnsinn. Kr hinter-
liess ihr eine Tochter, die gleichfalls Augusto hieas, gleichfalia Schauspie-
lerin wurde, aber sehr talentlos war.
Friodrioh von Gente dagegen war in Wien eine Macht geworden.
Geadelt schrieb er 1806 f&r Frenssen, 1809 und 1815 für Oesterreich
die berObmten Kiiegsmanifeste gegen N^ioleoii, war 1815 beim Wiener,
wie beim Pariser Kongress erster ProtokoUfUirer.
Reich geworden und Sybarit, umgeben von Bhimen und Parfüms
und Heine's für Oesterreich verbotene Gedichte lesend, verliebte sich
der 65jährige Staatsmann, Metternichs rechte Hand, trotz seiner weissen
Haare und schwai-zen Hornbrille, noch 1829 in die damals 19jährige,
allerdings unvergleichliche T&naerin Fanny £lBEler und starb 9. Juni
1882, 68 Jahre alt.
Angnste Dmjf, die ihr sweiter Gatte sehr nnglfieklich gemacht,
beenchte um 1880 ihren Vater in Wien, ih^ am Hüfi» anflehend. Gents
erwiderte ilir, er bsibe sich schon 1791 yon ihrer Mutter geseiaUch
geschieden nnd dabei dieeer ein Kapital ansbeiahtt, Ton dem man
anstlndig existiren könne, und ftberdies sei Friederike Koch in
zweiter Ehe Gattin des nicht unbemittelten Herrn Krickeberg, und lebe
noch ohne Notli in Hannover. Dies musste Auguste Deny zugestehen,
aber habe auch ihre Mutter kein Recht mehr auf den Namen (ientz, so
gebühre ihr doch der Name ihres leiblichen Vaters aus legitimer Ehe,
also aach das Hecht, sich an diesen um Hilfe zu wenden. Gentz wollte
aber davon nichts wisM, und gab endlich seiner Tochter, sie als solche
nidit anerkennend, 500 fl., um sich weiter m helfen. Die Deny ging
zorOck ins Engagement nach Pest, nnd in tiefer Verbitterung ergriff sie
eines Abends ihres Vaters Liebesbriefe an ihie Mutter — die sie als
Belege nach ¥^en mitgenommen, — nnd warf sie ins Fener. Erst als
fiie verkohlt waren, schreckte sie entsetzt anf, denn erst jetzt fiel es ihr
ein, <la><s sie jene 500 fl. in die Briefe gesteckt hatte.
1832 starb Gentz, 1842 dessen erste Gattin, Frau Deny's Mutter.
1838 verlor Auguste Deny durch die Pe^ter grosse Ueberschwem-
mang zuerst den grünsten Theil ihrer Habe.
1847 2. Febr. brannte das grosse dentsche Theater in Pest ab,
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438 SDR TBBAmoiSCBICOTB BODAPISf^S.
und dabei verlor die Deny, die in dem Qebinde wohnte, all ihre KoetOine
nnd Wäsche und dazu ihr erspartes Greld.
1860, im Angust — ^ schon 70 Jahre alt — reiste sie zu ihrer Tochter
Auguste nach der Schweiz. Diese hatte in Basel einen Muaiker Schuster
geheirathet. Anfangs nahm sie die alte Mutter wenigätcns friedlich auf,
doch zuletzt entblösste sie dieselbe allen Schmuckes, der der Alien noch
geblieben, nnd drohte ihr, sie dahin polizeilich zurückbringen zu lassen,
wohin sie nutändig sei So knm denn Fran Bmj im April 1861 sorilek
naofa ihrer zweiten Heimat Pest^ nnd jeiit traf sie der hirteate Sehlag. Sie
wurde dnrch TieleB Weinen idber den Undank ihrer Tochter — hlind»
Einen Pensionslbnd hatte des Pester deutsche Theater nicht. Las
Armenhaus wollte man die greise Künstlerin doch nicht geben. So er-
hielten die Blinde nocli 19 Jalire hindurcli ihre Freunde und Freun-
dinen in der Stadt Denn sie war in früherer Zeit sehr beliebt in den
besten Kreisen durch ihre geistreiche Unterhaltung und ihre vielseitigen
Erinnerungen. Auch war sie sehr belesen., besonders in wissenschaft-
licher Idteretnr. Frau Wittwe Marie Giergl hatte die Arme in ihr
Hans genommen, pflegte und Tersoigte sie Jahre hiadnreh, und dort
starb sie aueh, Tolle 90 Jahre alt geworden, am 4* April 1880.
Ich entsinne mieh persönlich noch sehr gut der Augnste Dsny. Sie
war keine geniale, aber eine vortreffliche Sehanspielerin in der T^ragOdie^
dem bürgerlichen Drama und im Salonstficke Ar Itters Bollen — wenig»
stens schon zu meiner Zeit Nur hatte sie, hervorgegangen aus derTradition
Iftland'scher Schule, eine höchst monotone, weinerliche Vortragsw eise.
Monologe jammerte sie völlig herab. Diese Deklamationsweise hatten
übrigen"^ auch so viele andere deutsche Schauspielerinen ihrer Zeit zur
Gewohnheit, dass sie deshalb nicht getadelt werden kann,
K. M. Kebibbht.
DIE PETÖFI-UEBERSETZUNOEN ÖIUSEPPE
CASSONEU*)
Wir haben bereits im vorjllhrigen Juni-Hefte dieser Zeitschrift
die gesammten Petuti-Uebersetzungen der italienischen Literatur einer
* A. PetAfi : Foglie di oipresRo m U tomha di Etelke. 'nraduzione
di O. Cauoiie, socio onorario della Pet5fi-Tftnaaäg di Budapest Noto,
Fr. Zammit 1881. 8. lif«.
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. • Dkl pMfi-vraiBsiniimoBR giubipfb oab8ohb*& 48d
kurzen Besprechung unterzogen un«! niuniten wir auf diesem Gebiete
den ersten Platz dem sicilianischen Dichter (riuscjipe CaSROnc ein. Da-
mals kannten wir von iliin verhältnissmüssig noch sehr Weniges, da seine
Uebersef Zungen bis dahin blos in versehiedenen italienischen Zeitschrif-
ten zerstreut erschienen waren. Die in dem erwähnten Artikel bereits
aagekfindigt gewesene Sammlang eines Tbeiles seiner Uebersetziingen
hat nun die Presse rerlassen, nnd nnserem Yerspreolien gemSss beeilen
wir uns somit, die ,|Foglie di cipresso sn la tomba di Etelka* — 'das
der Titel seines Büches — nach Qebfihr zn würdigen.
HanptsBcblich ist es die Treue der üebersetzungen, die wir bei
Cassone besonders hervorheben müssen ; er fälscht seinen Dichter nie-
mals, er hält sieh strenge nicht nur an den Sinn, Sondern aurh an das
Wort des Originals, olme sich dabei gegen den Geist seiner Muttor-
sprache zu vergehen. Er verzuckert den Fcuerwoin retöfi's nicht, und
tröpfelt in denselben auch keinen Zitronensaft, damit er Demjenigen,
denen er in fremdem Geisse kredenzt wird, Tielleicht besser mnnde ;
er bewahrt das „Aroma'* des köstlichen Getrtnkes nnd mischt es nicht
mit seiner eigenen Fechsang. Cassone l»piiH semen Dichter ; er hegt
nicht die Ansicht, der so Viele seiner Kollegen huldigen, dass nIniUeh
bloB der Gedanke beibehalten werden mfisse, die Form des Ansdmeks
aber na/ h Belieben geilndert werden könne ; er producirt nichts Neues,
sondeni stets dasselbe, was Petöfi bereits zum Ausdrucke gebracht ; für
ihn hat sowohl die äussere Form der Dichtung, wie auch jedes Wort
derselben eine Bedeutung ; er bewegt sich fast immer in dem liahmen,
der ihm im Original vor Augen schwebt, er erweitert ihn nicht und
meidet auf diese Art den Schwulst, macht ihn aber auch nicht enger
und whNl dedialb niemals geswnngen, durch aUxngrosae Sparsamkeit mit
den Worten „der Bede Sinn* sn Terdunkeln.
Nun mnss aber eine UebersetEnng ausser dem Vomge der Treue
noch einen anderen besiiaen, der zum Mindesten ebenso wichtig ist, wie die-
Rpr. Sie darf uns niemals zu sehr darauf aufmerksam machen, dass dmr Au«
tor, falls ihm durcli das Original keine Fesseln angelegt worden wären,
Hich in viel schöneren, viel liiessonderen Versen hätte ausdrücken können.
Und eben das ist es, was wir in so mancher Uebortragung Cassone's mer-
ken. Tn erster Reihe ist es der Hiatus, den er viel öfter anwendet, als
dies selbst in der italienischen Metrik erlaubt ist. Das macht dann den
Vers ein wenig holperig, hartklingend | es treffen sich da Zeilen, wie :
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«
440 Ott FBT^n-inBiiBSBTiinicmr oidhvpb OAsaoim's.
Dwnii ta pnoi, o mia caia (8. 56)
Dal eiel se paoi ainteimi (S. 68)
Gioia io ne avea» come se il ciel dischioso (8. 76)
Seppi che auMrka, o gioia mia, eri tu. (S. 90)
So foaee Tero, o bionda mia aogioletta (S. 185)
Da bnncht wohl nicht lange deinonstrirt zu werden, wie sehr an
diesen und ähnlichen Stellen eine Feile am Platze gewesen wUre. In tler
Arbeitsstätte der Musen sollte ja dieses trefHiehe Werkzeug stets bei der
Hand sein. Hütte es Caääone öfter benützt, so wären aus seinen üeber-
Setzungen ausser einigen nnmelodischen Zeilen auch viele unpoetische
Aosdr&oke yerschwuidan, die so, wi» sie bei ihm Torkommen, siem-
lieh störend wirken.
Besondera mfichten wir genie Wortweadnngen Termieden sehen,
wie I» B» diese :
Percha cadon le stelle a questa sorta ?
he lachme, io 90 bent per una morta!
Derartige Yeiplaitniigen des Ansdrackes dnreh Bindewörter ete.
finden sich auch an anderen Stellen ; man lese z. B. fieses kleine Lied :
Kri il mio fiore, e poi che ti pi^[aati
Deserto e il viver mio ;
Eri il mio solo, e poi die tramontosti
La nette nii coprio ;
Ala de gU astri miei, ^x)» che oadesti
Jo piü non roh al oielo;
BoUor del saagne mio i poi ehe ü fetti
81 fireddo : oh oome io gelo.
Anstatt alfio m singen : „Warst meine BlamOi bist verwelkt —
verwüstet ist mein Leben, explizirt nns CSassone : „Warst meine
Blume, und nadidem du mm Terwelktest, ist mein Leben TerwQstet :
warst meine Sonne, und neehdem du niedergingst, bedeckte mich die
Nacht* Q. s. w. Mut Tersuche einmal nnd streiofae aus der obigen
Ueber-setanng die poi eke\ — die hinkenden Zeilen werden sogleich
steht und stramm einbergehen, ohne dass man ihnen die Amputation
anmerken würde.
Ein simples cosi ist es auch, das den Effekt des Liede» „Alltain
sirhalma mellett" zu Grun<le richtet. Hier bes( hreil)t PetoH in der er-
sten Strofe, wie er an Unm Grabe seiner Geliebten mit niedergeschlagen
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DIB PBT^FI-ÜBBEBSIiTZUNäEH GIDfiBPPX CASBOHS's. 441.
uen Augen dahin br&tety und setzt dann in der zweiten Strafe hinzu :
„Es steht der Schiffer am Strande, und bUekt anf das weite Meer, das
ihn zum Bettler machte, und ihm alle seine Sch&tze raubte.* Diese bei-
den Bilder, in kurzen acht Zeilen neben einander gestellt, sind im Ori-
ginal tosserst wirirangsvoll ; Cassone findet es jedoch fllr nSthig, ihren
ZiLsaiumenhang zu erklären, und schreibt deshalb : „Ebenso steht der
Schiffer" etc.
Verfehlt ist auch die Ueberset/ung des Gedichtes ,Keket inutat»
nak meg," wo Cassone nn Stelle der fragenden Form die bejahende ge-
brancht, und so den Grundgedanken des Liedes in Verlost gerathen
Iftsst. Der Dichter irflgt nämlich hier, ob die BAnme noch grünen, o))
die Flösse noch rauschen, ob das Morgenroth noch glfiht? Zum Schlüsse
motivirt er dann die Fragen : „Der kleine Hfigel, der meine Liebste
deckt, verbirgt meinen Augen Erde und Himmel." Wie ersichtlich, hat
diese Pointe keinen Sinn, wenn im ersten Theile des Gedichtes keine
Fragen, sondern blos Befahungen au^^gesprochen werden.
Ich will mich in keinen Haarspaltereien ergehen, und erwähne
blos noch einen einzigen Fehler, dem aber ebenfalls eine PoifUe zura
Opfer fallen niusste. Am Schlüsse des Liedes „K szobaban küzködütt"
spricht Petoti den Wunsch aus, es möge ihn aus dem Zimmer seiner
Geliebten der Rappen St. Michaels hinaustragen. Die nngnrisclie Mythe
bezeichnet nOmlich die Bahre mit äiietem Ausdrucke. Wenn mithin
Cassone ausruft :
Di San Michel uii porti via *1 destriero,
wird es kernen einzigen Italiener geben, der da wissen würde, was der
Dichter hier eigentlich gemeint ; hingegen vnrd Jeder darüber mediti-
ren. wanim Pei«")ti den Spazierritt zum Grabe seiner Geliebten gerade
auf dem Pferde des heiligen Michael machen will ?
Doch genug des Tadels. Es ist eine ülde Eigenschaft nicht nur
des Kritikers, sondern aller Menschen, dass sie lieber nach Mängeln,
als nach Vorzügen spähen. Wo wir /um Rühmen blos zehn Worte fin*
den, finden wir zum Hägen hundert Worte. Da wir nun schon eine
Probe aus den minder gelungenen Uebersetsungen CSassone^s lieferten,
mflssen wir auch leigen, welcher Art das Oute ist» das er geschaffen.
Und da wird uns die Arbeit betrBchtlich erleichtert; wir brauchen nicht
lange zn suehen, denn fast auf jedem zweiten Blatte treffen wir einzelne
UagariHchc Revue. 1882. V. Heft. 29
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442 DIE PBTUFI-UEBKBäBTZUKUKN GIUSEPPE GASSOME'S.
StrofeUi die füglich als Musterübersetzungen gelten dürfen. Vollkom-
menes Iconute Cassone ebensowenig liefern, wie jene nnzfthligen Peiöfi-
Uebeneizer, die bisher ausser ihm erstanden sind, nnd von denen ihm
blos zwei oder drei gleichkommen. Gehört er doch nnter die leider nnr
allzn wenigen Anslflnder, die nm unseres grossen Dichters willen die
ungarische Sprache erlernt haben, die nicht Pet6fi*s Dolmetsche, son-
dern ihn selber verdolmetschen.
üebei -oizunf^cn, wie z. J5. ilie liier folgenden, gereichen der Li-
teratur, die sie hervorbrachte, in der That zur Zierde.
La neye*
Ia neve, lUnTemal fimefteo manto
De la oampagna morta
Stanotte il oamposanto
CSoprl ;
La tmorta
Luce del dl
Rigguarda tristaraonto
11 mute r^{no de resiinta gente.
Tatto h ooperto il campo; e pur la breve
Zolla dov' h Repolta
L' Ktelka mia, piü neve
Non ha :
Ne sciolta
Ve Thanno gii\
Del solo i caldi rai,
Ma il piiinto, il lungo pianto ch*io versai
Die Art und Weise, wie Cassone sich hier über die Schwierig-
keiten der ein wenig exzentrischen Form des Originals hinwegzusetzen
wusste, sowie die snsserordentliche Treue der Uebersetzung stempeln
dieselbe zur besten des ganzen Bandes. Dir Ulbert sich die üebertra*
gung des Liedes „Littam köt hosszu nap
II tno freddo ciulavere
Duo luughi dl guardai ;
Onacdai le labra taoite
E gli oochi sensa rai.
Baciui l;i fronte vorgine,
Fatta discrto Eduime :
Ua bacio — il primo — e a scuoterti
ün brivido non ▼enne.
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Dn FiTQFi*omB8BiiimQBii QiuaBpPR oAsmnnV 443 '
Bftciai la froiito Candida»
Mio rovinato altare
Ed a quel baoio ranima
Tutta seniü g«lac6.
Baciai, badai *1 fonereo
LensDol de la tua bam,
Inviolabü termlne
Che me e il oiel iepara.
Vidi i torcctti accendere
AI tuo foretro e il ncro
Carro de' morti niuovere
In via del cimitero.
E quivi io era, e orrilnle
n tonfo a me ginngea
De la terra, che tiarbaia
Vanga m, te spiiigea. *
K tutto que^^to, oh miscro !
Io so, ma pur no U credo,
E spesBO anoor nel dnbbio
~ Sogno noa M — mi chiedo.
In casa tua con ansia
Vado, qua e la ri^ardo,
Ma non veggo il tuo splendido
Cielo, ü tuo dolce sguardo.
No *1 Teggo ; invano ogni aagolo
IiM> a goaidar rimaiigo,
Foi tomo» qnad etapido
A la mia staiua e {»iaiigo.
Hier ist besonders die zwar im Wesen getreue, dennoch aber
echt italienische Form hervorzuheben; die sogenannten versi sdnitcioH
in dar ersten und dritten Zeile bilden mit den Halbreimen die wohl-
küiigendste Harmonie.
Die«e und viele ähnlich gute Arbeiten brachte Cassone anf seinem
Krankenlager hervor, das er fa^^t seit zwei vollen Jahrzehnten nicht ver-
hisaen bat. Sie sind sein Trost im Leiden, seine Arzenei wHlirend der
Qxialen, die seinen Körper heimsuchen. Den Dank, den ihm unser Va-
terland för seine Leistungen schuldet» hat sowohl die Petöfi-, wie auch
die Kisfidndy-GesellBohaft dadurch zum Ausdrucke gebracht, dass sie
29*
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444 . KUftZB SlTZUVaaBEEICHTB.
rien verdienten Mann in die Reihe ihrer Mitglieder auäiahmen. M5ge
diese Anerkenniing ihm Aosdaner und Lust m weiterem Schaffen
Terleihen. Amton Rad6.
KUBZE SITZUNGSBEEICfiTE.
Akademie der Wissenschaften. I. In der 1. Klasse am 20,
Februar las Hermann Vambäky über die Reise Julians in Gross-Uih
gam. Es ist dies ein Kapitel au& des Verfassers grosserem Werke über
den Ursprung der Magyaren. Es ist bekannt, dass unter der Regienmg
IV. mehrere MOnche nach dem Osten wanderten, um die ür- Heimat
der Magyaren aufzufinden, besonders deshalb, weil sie ▼emommeii hat-
t«n, dass die in Asien gel)liebenen Magyaren noch Heiden waren. Ihr
Zwe( k war, die^ellieu /.um Cliristenthum zu bekehren. Unter den Hei-
senden des Dominikaner-Ordens befand sich auch Jalian, der sich mit
' yier Ordensbrüdern auf den Weg begab. Zwei kehrten jedoch baldzn-
rück. Julian ssog weiter mit seinem Freunde Bernhard, der unterwegs
starb. Julian selbst kam nach Groes-Üngam, kehrte Ton dort wieder
zurtlck, um spttter die Heise abermals anratreten, wurde daran jedoch
durch den Tod Terhindert Seine Beise-Be^chreibung befindet sich hi
der Vatiranu /ii Rom; im Jahre 1778 erschien der lateinisch«' Text m
Ofen : Kurl Szabo übersetzte dieses Werk nach der verbesäcrten Aas-
gabe Thkinek's ins Ungarische.
Vamh^ry bestreitet nun die Richtigkeit dieses Doeument;« der
' magyarischen Urgeschichte. Er gibt die Oeachiohte dieser Reise und die
einseinen Daten der Beschreibung, nach weloher sieh die MOnche m
Constantinopel einschifflen, 38 Tage reisten, bis sie nach Yichia (sftdlieh
vom Azow^schen Meere) gelangen, von dort durch viele Wüsteneien sieh
nach dem Nonlcn wenden, bis endlich Julian nach Gross-Ungarn gelanfjt.
Kr trifft die Ma^ryarcii im wilden Zustande, versteht jedoch deren S[)nit lie,
so wie sie die seiuige. Der barbarische »Stamm ist geneigt, das Christen-
thum anzunehmen.
Zuerst legt der Vortragende dar, dass diejenigen, welche die
Reise zwischen das Jahr 1286 — 89 legen, irren, da die KSmpfe und
sonstigen Begebenheiten der Tarlaren, welche Julian erwfthnt, dieser
Zeit nicht entsprechen nnd mit den damaligen Zuständen Asien's gar
niclit haiiuoniren. Weder die lie.sehreibungen, noch die verworrenen
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KUBBB SmUHOSBIBfCBTB.
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Augalieii über den Weg, noeli was Julian von flen einzelnen »Stiiinmen
ijerichtet, kann vor der Kritik l)estehen und mit den bo;/laubigten 'J'hat-
äachen in Einiilang gebracht werden. Julian xiezmt nur lünt' Städte«
Namen, jedoch auch diese bezeichnen Stämme und nicht Städte; er
gelangi früher in die nördlich, als südlich gelegenen Sittdte. Sehr ver-
wegen ist anoh die Behauptang, dass Julian die Sprache der snrOckge-
bliebenen Magyaren Tentand, da doch mindesteBs 500 Jahre verstrichen
waren, seitdem sich die Ungarn von ihnen getrennt Wihrend dieser
Zeit verflnderte sich ihre Sprache durch den Umgang mit Petschenegen, ,
^ Ghasaren und Deutschen. Auch ist es nicht glaablich, dass das kleine
Häuflein Magyaren, das in der Ur-Heinuith geblieben war, seine Siira« he
unt-er tlen «zrossen Kvolutionen und Schicksal.s.schliigen des Ostens ganz
rein l-ehalten liiitLe. Wenn Julian wirkli<'li die TTr-Ma<jyaren autgefunden
hätte, so hätte er mehr über die- selben berichtet. Kr erwähnt aber nui ,
dass sie wild seien und eine äulche Lebensweise führen, wie sie nach
den neuesten Forschungen kein asiatisches Volk geführt hat» sondern
noi* in der Phantasie der Missionare des Mittelalters entstanden ist —
Nach Vams^bt ist der gaose Bericht Juliana falsch. Wahrscheinlich war
der Verfittser desselben ein ungarischer MissionSr, der die Au&eichnun-
gen des Anonymus üher die alten Msgyaren kannte und als Patriot der na-
tionalen Tradition schmeicheln wolltOi Die Erwfthnung von fflnf geogra-
phischen Namen, viele Widersprüche und sonstige Oberfliichiiehkeiten
machen die::«e Reise üehr problematisch ; die ätrenge Kritik darf auf die-
selbe nicht bauen.
Nach dem Vortrage entspann sich ein reger Wortwechsel zwiticbeu
Faul HuKFALVY und dem Vortragenden.
HüMriLVT anerkennt die Glaubwürdigkeit der Beise-Beschreibung.
Julian diktirte auf seinem Sterbebette seine Erlebnisse und betrachtete
nicht die Einzelnheiten der Beise, sondern die Hervorhebung seines
Zweckes als Hauptsache. Die Beisenden des Mittelalters hatten keine
gehörige Bildung; dies beweist auch Schiltbbbobb, von dem wir be-
stimmt wissen, dass er jene Orte besucht hat, in deren Beschreibung er
so oft irrt. Diese Reisenden erzählten ihren Weg aus dem Gedächtnisse
und b'gten nicht viel Wertb darauf, wohin sie zuerst kamen. Aus <ler
Sclirift Julian's ergibt sii h, dass er ohne bestimmte^ Ziel viel berum-
irrte. Was die Sprache anbelangt, kann er eiienfalls nii bt VAiiiißRY's
Meinung acceptiren. Unser ältestes Sprachdenkmal versteht jeder Ungar
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446 KUBSK utsuhosbebicbh.
»
auch nach vielen Jaliihundeiieu. (iross-Ungarn (Magna HungaiiaJ hat
exiatirt, wie dies cUimalige geographische Daten beweisen.
Vämukky bemerkte hierauf, tlass Hunfalvv nicht so leicht berech-
ügt seil ein abteilendes Urtheil über seine Behauptungen abzugel)en,
denn er hat die Daten ans solohen Quellen (tartarischen, persischen
Handschriften nnd ans nenasten rassischen Pnblicaiionen) geschöpft,
die HuHFALYT nicht sehen konnte. Es ist dies nnr ein kleines Fragment
ans seinem grosseren Werke, in welchem er mit den Vertretern der
finnisch-ngrischen Theorie in solche Widerspräche gerltb» die nicht sn
flherMeken sind. — Gerade dorch SoBitTmaosR kann Julian widere
legt werden. Was den Namen Magna Hungaria anbelangt, bemerkt er,
dass in Asien das Wort „(irosö'^ auch von .-olchen Ländern gebraucht
wird, welche einst existirten ; Magna Hungaria hei-sst also nur : das alte,
gewesene Ungarn. Marco Polo diktirte seine Heise-Beschreibung »ehn
Jahre nach seiner ßttckknnft im Kerker zn Pisa nnd seine Daten sind
dennoch richtig.
Hierauf las Stefiu Baetalüs ,fBeiiräge mir Gfesehiehte der unffo-
risehen Musik*^ Die Ansicht des Vortragenden ist, dass wir heute die
Vergangenheit der ungarischen Musik noch nicht genilgend kennen,
um behaupten zu kdnnen, wir hitten mit der Entwickelung der Musik
anderer Nationen Schritt gehalten. Wir wissen von Melodisten, aber
nichts von solchen Tonkünstlern, welche die Harmonie und Ck)mposition
cultivirt hätten. Zwei Namen ragen jedoch hervor ; der eine ist Valen-
tin Bakfask, den man den ungarischen Orpheus nannte, und dessen
Werke in der Krakauer Bibliothek aufbewahrt werden. Bakfark war
ein Siebenbftrger Sachse, der nach Krakau an den Hof des Königs Si-
gismund ging; er bereiste Deutschland, Frankreich und Italien und
starb in Padua im Jahre 1676. Seine Werke liess König Sigismund im
Jahre 1569 drucken. Diese Sammlung besteht iheils aus Liedeni fran-
zOeiBchen Textes, theila aus lyrischen Gesingen und Phantasien ohne
Worte. Ist jedoch sehr sdiwer, die damalige Notensdniffc zu ent»
räthseln ; der Vortragende konnte bis jetzt nur einige umschreiben.
Diese, so wie Baki'ahk's anderwUrts erschienenen Compositionen bestii-
tigen die Lobeserhebungen, die ihnen zu Theil wurden. — Der zweite
ist Herzog Paul Esztkrhäzy, dessen kirchliche Lieder- Sammlung „Har-
monia Coelestis'^ Tor 172 Jahren erschienen ist» bis jetzt jedoch anbekannt
war. Nur Baetalus und Domherr Bubics zu| Grosswardein besitBen je
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KUBSB ammiQSBnucBTJt. 447
ein Exemplar. Der Herzog ist wol nur Dilettant, jedodi als ungarischer
Compositeur nimmt er einen elmmwerthon Platz ein. — Die.>ie zwtii
Namen vertreten mithin bis /um Anfang dos 18. Jahrhiintlets die
Technik in der Musik. Baktalcs tmg auch einige Stücke auf dem
Klarier vor.
2. In der Plenar-Sitrang am 27. Feber las Alezander Komik eine
Denkrede auf Johann Suhiajda eorr. Mitglied der Akademie. Sühajda
wurde geboren zu Mi.skolcz im Jahre 1818. Seine öftentliche Tliütigkeit
begann er aLs Katlisherr der Stadt ^Vaitzen. Im Jahre 1848 wurde er
an die l'ester Universität berufen, da Yizkslbtx, der Landesspriiuhe nicht
mfichtigi abdanken mosste. Suhajda war der erate, der an der üniver-
dttt das kanonische Beoht in ungarischer Sprache yortmg. Jedoch die
politischen Unmhen machten seiner Professoren-Laofbahn ein Ende.
& verlegte sich nun auf die juridische Lüeratnr, wurde aber bald
Präsident des Pester Gerichtshofes ; später wirkte er in Kecskemet
und Stuhl-Wcissenburg. Immer pflegte er die juridischen Fächer, und
wenn er auch kein epochales Werk geschaffen hat, so trug er doch die
Bausteine fleissig zusammen und gab sich den Interessen der Bechts-*
pfl^e hin, die er auch als Kiohter förderte. Seine Werke fimden grosse
Verbreitung bei der lernenden Jugend. Sein bedeutendstes Werk ist :
Ungarns Öffentliches Becht ; das System der ungarischen Bechtsftbung,
welches in filnf Auflagen erschienen ist Am meisten verbreitet ist sein :
Sjsten des ungarischen Privatrechts, welches in 6 Auflagen erschien.
Die Akademie wählte ihn im Jahre 1864 zum corr. Mitgliede. Suhajda
hatte auch beim Statthalterei-llath eine hervon-agende Stellnng. Im
Jahre 1867 wurde er Sectionsiath im Justia^-Ministerium, Mitglied der
Stiatfr-Prilfungs-Commission, spSter Richter bei der Curie. Er nahm
•tets regen Antheil sowol an der Ck)dification, als auch in den juridischen
Zeitsehriften ; auch war er einer der fleissigsten Richter. Er starb im
September 1881. Um die Kenntniss des ungarischen Privatrechts hat
er sich grosse Yerdienäte erworben.
3. In der Sitzung der II. Klasse am 6. Mttrz las Stefan GtAkfäs
Über das staaUiehe Leben der Jag^gm-Kumanen m ZeUraum van
14Q0 — J4iJ9, Es ist dies ein Kapitel aus des Yerfiyasers grösserem
Weike über diesen interessanten Stamm, dessen inneres Leben im 18.
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448 KüKZs !:»rr2UMaäBKⅈiiTK
and 14. Jahrhanilerte der Vortragen<lo schon fiüher in der Akademie
besproehen hal Diesmal beq>raieh er cUe&i^-Oxganisaüon, die Wafien
und die innere Yerwaltang der Ja^ygen in der eraten Hülfte des XV,
Jahrhoaderte. Hieranf behandelte er die Stellnng des Palatins, ate ober*
sten Leiters der Kumanen, das Gerichtswesen, die Ausdehnnng ihrer
Oomitate und deren Beftagntsse. Besonders ansfahrlich besprach er das
Steaer-System und die verschie<lenfii J-Jinkünftc »ler Krone, rnter »Ue-
sen befand sith auch die Morgen_;iibe. respective die Apanage der Kö-
nigin. Auch die Justiz- Verwaltung' wurde eingehend dargelegt; endlich
die Besitz- Verhältnisse, die Privilegien, das Erbrecht, die Lebensweise
und religiösen fn^titutionen, bei welchen PunKteu der Verfasser stete
* eine Parallele mit den Sz^klem zog. Die Studie beruht dnrchaiis auf
. QuellenlorsehYingen und ist reich an neuen und werthToUen Daten.
£ugen SzsiiTKiiBAT sprach : Über die deuUdte Cciimisaam
in Säd-Ungam unter der Beffiemng Josefs IL Die ersten dentechen
Cdonisten erschienen unmittelbar nach 1716 in der Theiss-, Donam-
und Maros-Gegend, als dieser Theil von den Türken befreit wurde und
von üngran getrennt unter dem Titel ./l emeser Banaf* unter öster-
reichisch militäri-che Regierung kam. Nach der Wiedereroberung Te-
uiesviir's kam ein Theil jener Deutschen, welche im Anfange des XVIII.
Jhdts. in der Umgebung von Pest, Pills, Promontor, in Szathmär, Bereg -
tind der Baranya wohnten, nach dem Banat. Graf Claudius Mebcy, der
erste militftrische GonTemenr der Proyinz» f&hrte zahlreiche Würten-
beiger, Heesen, Nassauer und rheinische Colonisten nach dem sftdlichen
Ungara. Man findet demnach in Sfld-Üngam viel frfiher Deutsche» aU
dies GusUiiNi und Oboekvio behaupten. Nach dem Passarowitzer Frie-
den eirculirte ein Colonisations- Aufruf, der zur Folge hatte, dass im
Jahre 1728 schon 10 deut-che D«ufer im Banat existiren. Die Wiener
Regierung glaubte im Jahre 1735 noch nicht, da.ss diese l'rovinz. wegen
der argen kliuiaticsclien Verhältnisse, /u colonisiren wäre und gebrauchte
sie auch nur für Str&flinge als Exil. Damals kam die.Poena arbitraiia
in Gebrauch und so wurde der Schlacken des Volkes nach dem Banat
deportirt Bis zum Jahre 1763 finden wir weder eine Otganisaüon,
noch sonüt ein regelmässiges Vorgehen bei der Colonisation dieser Pro-
vinz. Maria Theresia Hess wol im Jahre 1745 grossere Anwerbungen
in den oberrheinischen und fränkischen Distrikten bewerk8tel]%en, und
es siedelten sich auch zwischen 1749 — 1758 gröiisere deutsche Massen
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KUKZB aiTZLNü.süEiacum 449
in dieser Gegend an, jciloch war dieä noch keine rationelle Colonisation.
Die oisie systematische Colonisation beginnt mit dem Colonisations*
Patent ans dem Jahre 1768 (25. Feber) ; dies ist jedoch adion die
swdte Periode der deatschen ÄnsiedlimgeiL Im Jahre 1768 wanderten
bei 1600, und in den nSchstfolgenden zwei Jahren 1000 — 2000 dentsche
Familien ein. Unsere Historiker setzten die Zahl der Einwanderer vom
Ende des siebenjährigen Krieges bis gegen Ende der Regierung Maria-
Therefiias anf 25,000 : wahrscheinlich beträgt aber die Zahl sämuitlicher
Colonisten das Doppelte. Dies beweisen auch die Kosten der Colonisa^
tion, welche »ch im S&eitranme von 1763 — 1773, anf swei Millionen
stellten, welche Summe theils als Reise-, theils als sonstige Kosten Ter*
ihmlt wnrda
Die bedeutendste Periode der Colonisaion ist jedoch die dritte,
welche im dritten Regierangsjahre Josef II. begann. Diese Coloni-aiionen
tragen aiu h einen anderen Charakter, sowol was Umfang und Auafübrung,
als anch die Resultate anbelangt.
Josef IL siedelte zwischen den Jahren 1784 — 86 7600 deutsche
PamiUen (88,000 KOpfe) in Ungarn an, was dem Aerar 4 IGllionen
Gulden kostete. Von diesen Familien wanderten 2988 in die Comitate
Bftd-Ungams. Wenn wir anf eine Familie 600 Gnlden rechnen, so be*
' läuft sich die Summe nuf 1.494,000 Gulden. Durch die Besitznahnjo
der Aerar-Ciüter verlor der StaatssUkel drittlialb Millionen Gulden. In
diesen zwei Jahren hat sich die Zahl der deutschen Colonisten verdoppelt
Bis nun Tode Josef II. wanderten noch bei 1500 Familien nach Süd*
Ungarn ein.
in Josef IL Gdonisation erkennen wir sofort die politische Ten-
dens. Badnrch dass er den Einwanderern den Boden schenkte, wollte er
sie f&r immer ans Land fesseln nnd dadurch an der südlichen Creme
des Reiches das deutsche Klement vermelireu, den Landbuu in dieser
fmchtbaren Gegend durdi deutsche Bauern heben und endlich die Zahl
der mit Blut und Geld steuernden Bevölkerung vergrössem. Das hicisn
geeignete Volk nahm er aus dem rOmisch-dentschen Beiche, von dessen
Irene und Anhtoglichkeit er überzeugt war. Am 21. September 1782
gab er das erste Cdonisations-Ffttent herans nnd befahl dem firankftirter
Beridenten IKymLBiN, dasselbe zu TerOffentlichen. Alle möglichen Frei-
heiten und üntersf üt/ungen wurden den Auswanderern zugesagt. Jedoch
auch dieses Patent hatte seine politischen Motive. Das Österreichische
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450
KÜBSB SmUHOttBmCBR.
Cabinet wollte die Niederlande in zwei Theile tlieilen ; den ^'l ö^^eren
Tlieil dem bairischen Kuriürsten als Tausch für Baiern geben, den
kleineren hingegeben an Frankreich abtreten, wenn es Üstt-rreich in der
Vollfiihnmg seines Planes behilflich sein würde. Es war demnach zweck-
noAssig, die Unterthaaea der minder verlAssUchen deutschen Ffinton
dem Wohle des Staates dienstbar zu machen.
Das Patent machte seine Wirkung. Die Bauern des oberrheinisdiea
Kreises wollten sftmmtlich auswandern. Mit der Golonisation wurde
(iraf Christof NiczKY, I'rlisident des StatthiUtereiraths, betraut. An semer
Seite wirkten : Graf Jankuvrh, Graf Szk( iikn, Bai on Si'Lknyi, Baron
MsüiiYiM8ZKV, die Grafen Bbunsevik, Bi^vay, HaUiIia, SzArÄay, Baioa
PoDHANicsKT, KsMFBLBV, Elobusicskt, BuDMTiNSEKT und Andere. — Die
Forsten der Bhein-Proylnsen waren jedoch gegen die Auswaaderoog
und suchten sie auf jede Weise au hintertreiben. Von der Kmkuü, durch
Flugschriften, wurde das Yolk gewarnt, so dass die meisten Auswan-
derer nur versteckt, als Flüchtlinge, ihrer Heiiualh entkamen. Mit der
Colonisation für Süd -Ungarn wurde speziell ein Ungar, Graf l'eter Kkvay,
für die Jahre 1784 — 88 betraut. Eine Colonisations-Comulis^ion der
Teniesvarer Administration wurde ihm attachirt Nach seinem Berichte
liens das Aerar im Jahre 1184 — 88 1215 neue Häuser bauen, welche
mit allen Hausgeiftthen und Landbau-Bequisiten, sowie den ndthigen
Hausthieren yersehen wurden, so dass die Einwanderer gleich sor Ar-
beit sehen konnten. Jeder bekam so viel Land, als er zu bebauen im
Stande war. Unter solchen günstigen Umständen wanderte das deutsche
Element in diese fruchtbare Gegenden, in den Besitz der ungarischen
Krone ein, von wo die Macht der Waffen die legitimen ungarischen
Besitser Terdrfiiigt hatte. Die Kosten der Colonisation bestrittdas Aenur
mit jenem Oelde, welches ihm durch die Feilbietung der sUd ungiri-
scheu Krön- und adeligen Gfiter sufloss.
Im Jahre 1785 nahm die ISinwaademng derartige DimensioBen
an. dass die Regierung derselben Einhalt thun luusste. Sie gestattete
jetzt nur ausnalunsweise, quasi als Benefiz, die Ansiedlnng. Trotzdem
beträgt die Zahl der Colonisten vom 1. Januar 1785 hm zum Mai dieses
Jahres 909 ; das Aerar baute ihnen 815 neue Häuser, und f&r die zn-
künftigen Einwanderer wurde der BauTon 1275 Hftusem in Yoischlig
gebracht Auch die Grundbesitser S&d-Üngams wurden aufgeforderi,
dass sie eüusebie ESawanderer in ihre Dörfer unter die Leibeigensn
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KÜRZE älTZVNGSBBBICHm. 451
aufnehmeii mögen. Aber die Comitate, ilu ihre niunicipulen Freiheiten
von Josef ohnedies sehr beschränkt wurden, zeigten wenig Lust dem
▲afruf EU gehoreheot denn all dies geschah ohne JBinwiUigcing dee Laa*
des, ja eogur ohne die Komitai8<St8nde zu hefragen. Die Comitate be-
(Archteten, da« doreh dieses fremde Element» das keinen Sinn f&r
Yerrassmig und imgansche BechtezvstSnde hatte, ihre sdion bedrohte
Existenz noch mehr aufs Spiel gesetzt wikde. Damm meldeten sich von
116 <üd-ungari8clien Grundsbesitzem Mos LAzar. Kiss. Karäcsonyi, die
Stadt Temesvdr, Näkö, Jankovics, IUjzäih und Graf DEisKOvicH, um
Golonisten anfisnnehmen. Am 13. März 1787 worde die Colonisation
big auf Weiteres ^jstirt — Gleichseitig mit dieser Colonisation erfolgte
die Dislocining der hereitB in Ungarn ansBssigeii deutschen Colonisten
Bsch dem Sfiden. Dadnrch ▼eränderte sich die geographischoKarte der sftd-
nngarischen Comitate. Die alten ungarischen Ortsnahmen wurden germa-
nisirt oder verdreht. Die Fluth der Colonisten brachte auch da« auslän-
dische Proletariat und viele arbeitsscheue Individuen mit sich. Die Comi-
täte wurden dadurch gezwungen den Befehl zu erlassen, dass^die
anslindischen Einwanderer ohne Pass und die Hansirer, welche mefst Tom
Diebstahl lebten, gefimgen nnd zum Militär eingereiht werden sollen.
SrnnLABAT bespricht hierauf ^e dTilisatonsche Mission dieser
deutschen Colonisten. Er findet, dass diejenigen, welche nach deutschen
Quellen von der grossen Cultur-Mission dieser Einwanderer sprechen,
die Facten verdreht und vergrüssert darstellen. Wenn dieselben auch
einige höhere Begriffe und Ansichten mitbrachten, so concentrirte sich
ihr Wirken dennoch nur um den Getreidehandel, aber im Allgemeinen
gsben sie der Civilisation keinen höheren Aulschwnng. 8ie waren nie
die Vorkämpfer cnltnreUer Ideen, sie trachteten nur sich zu bereichern,
ohne auf ihre Umgebung einen erziehenden Einflnss zu Oben. Abge-
schlossen wie ihr Wesen war, haben sie nur eine locale, aber keine na-
tionale Bedeutung. Von den Strömungen des Landes blieben sie ferne,
ihr geistiger Einflnss ist nie bemerkbar gewesen, der rege üntemeh*
mung^geiit mangelte ihnen. Ffirs Vaterland opforten sie nie etwas,
auch hatten sie auf andere Nationalitäten keinen Einflnss nnd ent«
sprachen auch in dieser Hinsicht nicht den Erwartungen, die Kaiser Josef
an sie knflpfte. Im Gegentheil ; sie schmelzen immer mehr zusammen :
sie werden Ungarn. Dank dem nationalen Bewusstsein magyarisiren
sie sich von Tag zu Tag, schicken ihre Kinder in ungarische SchuleU}
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452 KUHSB amUNOtABBlOHni.
laa^en sie in nngarii^c licn Häu^ein erzielien und vciübelichen üie auch
mit ungarisclien Familien.
Biese »Icutsche Colonisation gewinnt noch mehr an Intero.s.se,
wenn wir die ungavisthen Ansiedelungen in Hiul-üngam des Nfthem
i»etraehten. Unter Josef IT. geschah für die Verbreitnng des angarijscheii
Elemente in die^n Gegenden gar nichts. Weder das Kabinett nooh der
' Statthaltereirafh <hat etwas für die Ungarn. Die Ansiedelung und nu-
abhftngigen Besitse widerstmbton den poUtiscben Ansebaunngen des
' Herrschers, dessen Tendenz es war, dsss das sAdliche Ungarn von einem
kleinen Österreich umgehen sei. So geschah es, dass sich In Sfld-Ungain
jede Nationalitat kräftigte, gi'ossen Grnndbesitz inne hatte und sich
not Ii besonderer Privilegien erfreute, willii end die spiirli< lien Ungiirn
in ihrer Hciniath heimatlos wurden, ohne IJosit/ und Vermögen ein
kümmerliches Leben fristeten, und meist im Dienste der eingewander-
ten Fremden standen. Die wenigen nngarisihen Colonisten wurden von
einigen Grundbesitzern aufgenommen ; die Regiemng legte für sie nnr
kleinere Gttrtnereien an. Neben den sahlreichen deutschen finden wir
nor 24 nngarische, aber anch A&r deren Znknnft war nicht gesorgt
DieBegienmg der Kammer, die geadelten grieohischen nnd armenischen
GntsbesitBer nnd das damalige Leibeigenthnm lastoten schwer aof der
ungarischen Bevölkerung. Die Daten der Comitats-Protocolle illnstriren
am besten die grosse Noth dieser Armen, während ein fremde^s Element
sieh fortwUhrend bereicherte. Der deutsche Colouist hatte von der Re-
gierung allerlei Unterstützungen, während der ungarische Leibeigene
unter dem schweren Joclie seiner Herren darben musste.
Endlich überreichte Alexius Sslauka eine Abhandlung unter dein
Utel : Unser Fotisehrüt und die menschliche QUicks^igkeit, Der Ver-
fasser findet, dass swisehen dem Fortschritt nnd derGlflckseligkeit nicht
das rechte YerhSltniss bestehe, Ja er meint sogar, dass durch die gei-
stigen wie körperlicheii Gebrechen, dnrch die fiüschen Schlüsse, die
man ans der Wissenschaft sieht, durch die Erziehung nnd Sitten das
Verhältniss ein umgekehrtes sei. Hierauf bespricht er den Ursprung des
Weltsehiner/es, dessen Grund er im schwachen moralischen Gefiihle
findet. Die Glückseligkeit ist nach ihm : das au> der Zufriedenheit stam-
mende Gefühl, welches unser Schicksal mit dem Weltenlauf versöhnt.
Die Familie mus gereinigt werden : dies sei das Schlagwort,, denn ohne
Moral und Glaube sinkt die Geaellschaft
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KÜBSf: AmUMOSBEBICHTK. 45»
4. fri der Sit/ung der II. Kla.s.se am 6. Febniur las liarOii Bela
Kadviinszky einen auf durchaus selliststüiuligen »Studien und Forschun-
gen beruli enden Vortrag über die ungarische GMschmicdckunsL
Die häufigen Bron< ofuncle in nnserem Vaterlande \)ewei8en,
daas sich bereits die Ureinwohner mit Bergbau betassten. Und Hand
in Hand mit diesem Gewerle ging anch die Goldsehniedelauist, deren
erste Sparen wir bereits unter Stefim dem Heiligen vorfinden, unter
dessen B^gienmg, wie Babbi Jehuda Haoohen Snssert, die Juden mit
bier und in Bentscbland Yerfertigten Gold8ehmiede*Ärbeiten Handel
tiieben. Im 11. Jahrhunderte hatte diese Kunst in unserem Vaterlande
l>eielt.H; eine hohe Blüilie erreielit Am Hofe unserer Könige befanden
sieli Giililsclimiecle, deren Dienste nicht selten durch grosse tiüter be-
lohnt wurden.
Ausser den Hof- Goldschmieden gab es selbstverstiindlich auch
Goldarbeiter, die auf eigene Faust arbeiteten. Von den Anjous wurde
diese Kunst nicht minder geehrt und ein Goldsobmied Karl Robertos,
Meister Peter, wurde sogar Viaegespan des Zipser Komitates. Auch im
Alfittd finden wir die Pflege der Kunst; Albrecht Dftrer^s Vater, recte
Ajtdsi, stammte ans BAte-Csaba, und Albrecht entfernte sieb erst 1455
▼on hier nach Hamberg. Und der Ruf der ungarischen Kunst muss
weit gedrungen sein, denn Ivan HI. von Russhind erl)at sich 1488 von
Kr»nig Mathias Gold- un<l SilberaH»eiter. T)ie (ilanz/.eit der ungaris( hen
Kunst fällt jedoch in das XVI. resp. das XVII. Jalirhundert. Die Thur-
* zös und die Fuggers Termittdlten einen bedeutenden Au&chwung in
den Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Ungarn, was auch
auf die Goldschmiedekunst fördernd und belebend einwirkte.
Unsere Altvordern legten auf Werke der Gddschmiedeknnst
einen grossen Werth und sie investirten in solche auch bedeutende
Sununen. Die Ausstattung Barbara Gsiky^s entbielt solche Werke im
Werthe Ton 20,000 Dukaten. Die Sehatskammer Christof B&thory's
entbielt 1580 über dritth&lb Wiener Zentner Silbergegenstände; nicht
minder reich waren die Schatzkammern (ieorg 'riuir/.o's , (labriel
Bethlen's und die der Uaköc/y. Die von Helene Zrinyi im Jahre 1G88
ausgefolgten lldköczi'schen Mobilien rei>räsentirten au Pretiosen, Waf-
fen und Pferdegeschirren einen Werth von 70.476 fl.
Vortragender spricht nun von den einzelnen Schmuckgegenstin»
den. Zneriit von den Ifantel* und Halsketten (nyakba vet6), deren erst»
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454
KUBZr smUMOäBE&lCHTE.
Bpawik wir 1415 ankeffen. Dieselben bestondeii ans purem Golde und
waven mit Edelstein und Email gesiert; toh den weiteren HalsketteB,
die sich nicht eng an den Hals anschmiegten, hingen zomeist «n oder
mehrere Berloqnes (nisfa) herab, in deren Verfertigung unsere Gold-
schmiedekunst besonders exzeUirte. Solch© Berloques wurden einzelnen
(ietreuen von den Königen verehrt und durften solche ausuaimibweise
auch an den Hüten getragen werden.
Auch in OhrgehMngen und Brochen wurde grosser Lnxos getrie-
ben, femer bot die Ansschmüclrang der Mftdchenhanbe mannigfiMhe
Gelegenheit znr Anwendung von Werken der Goldschmiedelmnst. Das
üblichste Ornament war die emaillirte Rosette, wobei der Glanz des
Kmails dur« Ii verschiedenfarbige Edelsteine gehoben wurde. Lange Zeit
waren die Damenkronen in Mode, die In getriebener Arbeit verfertigt
wurden und reich mit Perlen nnd Edelsteinen geschmückt waren. Zu
den Schmnckgegenstfinden der Damen gehörten n. A. aoch die ans (mit
Perlen oder mit Bnbinen besetsten) Bosetten gefügten KopfkriBM.
Einen besonderen Scfamnck der Mflnner bildete die ^Medaille'' ge-
nannte Agraffe auf dem Hute, die Anlas s zu grosser Lnxusentfidiimg
bot. Die Damen liebten auch Ketten und Gürtel aus rotben und
schwarzen Korallen, Perlen- Armbänder, deren es die verschiedensten
Arten gab, temer Ringe, die zumeist am Goldfinger der linken Hand
getragen worden. Die Binge waren viel reicher gearbeitet, als sie ss
hentztttage sind, auch waren sie zumeist emaiUirt Die Brantringe «nt-
hielten in der Regel Brilknteii; der Stefim Bocskaj^s kostete
z. B. 4000 fl.
Im 17. Jahrhundert kamen auch die kleinen Damenuhren auf,
die man an goldener Kette trag. Kostbar waren auch die Gürtel, die
beide Gesohlechter tragen. Ausserdem gab es in den Sehatskammem
der Grossen viele Kostbarkeiten aus Edefanetall, die keine besondere
Bestmunung hatten und blos als Luxusgegenstftnde dienten.
Hierauf las Professor Paul Hoffmann eine civil-proce>>iuili>ihe
^Studie über Cicero' s Bede pro Roscio, welche dem Vorti-agenden Ge-
legenheit bot, ein lebendiges Bild des Bömischen Gerichstverfohrens m
entwerfen.
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UKOABISCHK BIBUOOBATUIfi. 455
UNGARISCHE BEBnOGRAPHIE.
Daniolik Jän., A Jog alapja 6s kntforrisa (Die Grundlage und
Qnel]c dos Rochtca mit Racksicht auf die Scholaaüker von Job. Danielik).
Erlau, 1881. 39 S.
Közöpkori ällttintan (Mittolalterliche Staatslehre mit Rück*
Hicht auf die Scholastikor von Ut'iuöclbeu). Erlau, lSb2, 52 S.
Degr^ Alojos, BökesQ nssoris (Der Freigebige Wuchrer, Roman
▼on Alois Dvgv4). Budapest, 1882, R^vai, 2 Bde, 149 und 164 S.
FelTM4k7i ProtevtMitItmis 4t ptiitlaTtams (Proteatantinniis und
PänalftTiimiiB Yon Felvid^ky). Budapest, 1888, Bfith, 160 8.
'Qyiilal P4I k81tem4uyel (Paul Gyulai's Gedichte, 2. vermehrte Auf-
lage, mit dem Bildni.ss des Verfassers). Budapest. 1882, Franklin, 495 S.
Hanyady J., £gy negyedrendQ felillctrol (Über eine Flüche vierter
Ordnung von Eugen Hun3'ady). Budapest, 1881, Akndemio, 20 S.
Jakab Elek, A magyar Flume (Daa ungarische Fiume von Alexius
Jakab). Budapest, 1881, Aigner, 36 S.
Jendrassik Jeuö, A mag&t<il Borakoztato csö-myographinm (Da^
Myograpbium und seine Anwendung von Prof. Eugen Jendrussik). Budapest,
1881. Akademie, 44 8., in 40 und 6 Tafeln.
Kmkelr Mlkl., AdAtok Jupiter physikAjälioi (Beiträge nr Physik
des Jupiter im Jahre 1880 von Nikolaus Konkoly). Budapest, 1881. Aka-
demie, 41 S.
Napfoltok megflgyeUse (Beobachtung von Sonnenflecken im
Jahre 1880 und mikrometrische Messung von 1382 Sonnenflecken, Ton
dems.). Das., 71 S. und 2 Tab.'lbm.
Hnllö csillagok megllgyeltoe (Beobachtung von Stemsdinup-
pen im Jahre 1880 von dems.). Das., 12 S.
— — CsillagÄszati megflgyel^sek (Astronomische Beobachtungen
auf der Sternwarte ixi Ö-Gyalla von dems.). Das., 23 S.
Liebermann Leo, Köslemönyek as iUntonrosI tnnlnt4selMl (Mit-
iheilungen aus dem chemischen Laboratorium des Thieraroiei-Institnts
▼on Dr. Leo Liebermann). Budapest, 1881, Akademie, 8 S. und eine
Tka>elle.
*Moniinientn Hnngnrlne arehaeologlen mtI pracUstorld* B* Hjiry '
Jenö) As agfteleki barlang (Die Höhle von Aggtelek als vorhistorische
GrabstiUtc von Baron Eugen Nyäry). Budapest, 1881, Akademie. Folio
170 8., mit einem Plane, diei Photographischen Tafeln, und 335 UoU-
schnitten im Text.
Nagy L., Zsadalnyl IstvAn (Das ereignissreiche Leben des Stefan
Zsadilnyi, Roman von Ladislaus Nagy, 2 Bdc). Budapest, 1882, Aigner,
528 und 419 S.
Pnskny 67.9 A hnniiin€ik4l mnes (Die iwehmddreissig Edlen, his-
torischer Roman von Julius Ftakay.) Budapest, 1881, Orimm, 282 S.
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45<S . iwoiinciii muLKKiiAraii.
SdnUer Al^|., A vlinek MptMM mdegfedl (Über die Bildungs-
wSime dei Wassere von Aloie Schuller). Budapest, 1881, Akadoniie, 8 8.
SIh^bTI ZügmwAf A vagyar kditadk (Die ungarisdieii Binde-
wörter, nigleioh Syntax des aosammengesetaten Salus. !• TheiL Die bei-
ordnenden Bindoworter. Von der Ungarischen Akademie der Wissenschaf-
ten gekrOnie Preissohrift von Sigmund Simonyi). Budapest» 1881, Aka-
demie, 268 S.
Steiner Alb., SzliAcs (ül )fir dip natQrlichon warmen Hi''enbiidpr und
die übrigen Ileilquellen von SzliacB, von Dr. Albert Steiner). Budapest,
ltJ81, LauftVr, C8 S.
SzAsz K., A rllAgiroUalom nagy eposzai (Die grossen Epen der
Weltliterator von Karl BUn, L Bd.) Budapest, 1881. Akademie, 681 S.
■ > Der bisher erschienene erste Band dieses gross angel^ften Wer-
^ kes behandelt nach einer kunen Einleitung Uber das Wesen und die Bni-
ttehong des Epos die epische Dichtung des Orients und der alten Welt,
und zwar das Epos der Inder und Iranier, anhangsweise auch der Flebnlor,
die homerischen Epen und die Aeneide Vergils. Der Vorfa.ssor gibt überall
auf Grund der neuesten Forschungen eine umfassende Darstelinnsr dor Knt-
stöhun}^. dos Stoffos und der Ofschicbte der behandelten liedichte und
führt den Leser in das historische und ästhetische Verständnis^ der Dich-
" tungen ein. Besondern Werth und Reiz erhalt das Werk durch die zahlrei-
cheu, in den Text verliochtencn Übersetzungen aus sümmtlichen aualy.sirten
Epen, weiche den Verfasser neuerdings als einen der berufensten und
sprachgewandtesten Ühersetser der Gegenwart erweisen«
TeleU S« gr^f^ EgyWM nisr^l (Von diesem und von jenem, Erin-
nerungen von Graf Alexander Teleki, 8 Bde). Budapest, 1882, B^vai, 316
und dO i S.
VAmb6ry Ärniny Indlai tHnd^nneaAk (Indische Feenmärehen von
Hermann Vambery, aus dem Englischen von Job. Jön&s). Budapest, 1881.
Franklin. 2. Auflage. 362 S.
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GABIUEL BETHLEN
UND Dlfc: SCHWEDISCHE DIPLOMATIE.
FÜR die Aufhellung der diplomatischen Thfttigkeit Gabriel
Bethlens ist in nnserer historischen Literatur xwar anch bis
j<*tz si'lioii viel gpsclu'hf'ii, trotzdem aiier sind wir iirx-h weit eiit--
lernt von der Möglichkeit ein voHstündi^es, der W irklichkeit
(Mitüjireclieudes Bild derselben entwerten zn kiinnen. Wir kennen
))lo8 Einzelheiten, soztisagen blos Bruchstücke dieser Thätigkeii
Uud wenn wir Yon derselben auch soviel wissen, um uns Ton ihm,
als Staatsmann, eine Vorstellung bilden zn können, so würde es uns
doch unmöglich sein, die zusammenhängende Kette seiner Wirk-
samkeit in ihren gesaminteu Eiuzelgliedern vor Augen zu legen.
Und dies hat seinen ganz natürlichen (irund. ] )as siel»eiil)ür-
gische Landesarchiv ist zu Grunde gegangen, Coucept-Hücher hal)en
sich blos aus den ersten Jahren seiner iiegierung erhalten, von seineu
diplomatischen Akten, Instruktionen, Correspondenzen sind nur
sehr geringe Brnchstacke auf uns gekommen und anch das Übrig-
gebliebene liegt uns nur in zusammenhanglosen Fragmenten vor.
üm diese Lflcken auszuftlllen, sind wir daher geuöthigt, zn den aus-
wärtigen Archiven nnsere Zuflucht zu nehmen.
lijsbesonih^re sind es die letzten Jalire seines Lebens, von
welchen wir am wenigsten wissen : die Jalire, welche auf den Ab-
schluss seiner zweiten Ehe und des Szönyer Friedens folgen. Wenn
wir die massenhaften Denkmaler seiner ausserordentiichen Thätig-
keit in den Toraufgeg^genen Jahren mit den Denkmälern der fol-
genden Jahre vergleichen : möchten wir glauben, dass ein grosser
Theil seiner Zeit dnrch HofFestlichkeiten zum Amüsement seiner
jungen Gemahlin in Anspruch geuomnien worden sei. J)ie8 ist je-
ütisMiaclw' U<>viifs 1882. YJ. Heft. dO
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458 OABBIBL BBTHLBN WD DIB 80RWROISOHB niPLOMATlB.
(locli nicht der I'all. (irade iu diesor Zeit giug er wieder, jetzt le-
reits zum vierten Male, an jene Sisyplms-Arbeit, welche er bis jetxt
jedesmal, wegen der Macht der Verhältnisse oder wegen der Fehler
Anderer, hatte unterbrechen mttssen, — welche ihm als zu ^erwiik-
lichender Plan wie ein Traumbild unablässig vor Augen schwebte;
er ging an sie mit grosserer Aussieht auf Gelingen, and in dem Gkn-
ben, endlich den Bundesgenossen gefunden zu haben, in welchem
er sich nicht täuschen würde.
Dieser Bundesgenosse würde aber kein Anderer, als sein
Schwager, der Schwedeukönig Gustav Adolf gewesen sein.
Es ist eine höchst natürliche, sozusagen von selbst yerstönd-
liche Sache, dass, wenn zwei so hervorragende Geister, wie Gustaf
Adolf und Gabriel Bethlen, durch das Band der Schwagerschaft
verbunden werden, dieselben, selbst wenn sie dnrch ein Meer und
zwei Tiänder von einander getrennt würden, mit einander in Be-
rühnni}^ kommen. Und dies ist inderThat der Fall gewesen. Einige
Spuren dieses Kontaktes haben sich zwar in unserer Geschicht-
schreibung erhalten, dieselben rednziren sich aber auf wenig mehr
als einige Indicien. Jetzt ist es uns durch Vermittlung des Henrn
Ärp^ K^ol ji gelungen, zu höchst werthvollen, in schwedischen Ar-
chiven aufbewahrten und dnrch gütige Veranstaltung des ausge-
zeichnet^Mi sehwedisclien Historikers Herrn Dr. Taube für uns ko|»ir-
ten Urkunden zu «gelangen, welclie üb>*r die Verl»indun<( <iabriel
ßethlens mit Gustav Adolf tiu ziemlich helles Licht verbreiten.
£s kann durchaus nicht behauptet werden, dass das Bild auch
so schon ein vollständiges geworden wäre, da auch diese Urkunden
bloss Theile, Bruchstttcke grösserer und längerer Unterhandlunges
bilden. Gleich die erste derselben, die Dirschauer Resolution, ist
iiiclits aiuh'res, als ein einfaches Aniwf)rtschroil>t'n, welches 7.war
«'lückli<*li< r\veise ancli di«' FordernniXJ'n tiabricl Bethlens enthalt,
uns jedoch den wünsclienswerthen Aufschluss über die interessan-
ten Fragen schuldig bleibt : wie und wann die ersten Schritte /,n
diesen Unterhandlungen gethan worden, wer dabei der Untcrhänd«
ler Gustav Adolfs und derjenige Gabriel Bethlens gewesen sei?
Noch schmerzlicher vermissen wir des letzteren Instruktionen Ar
Strassburg, Strassburgs erste Kelation, welche die Bouselleschen Ver-
handlungen zum Gegenstand hatte, und hauptsächlich die tod
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GABRIEL BETIILSM. UND DIE SCHWEDISCUE DITLOMATIE.
45»
I
ihm verfasste Biographie < iabriel Bethlens. Aber wenn wir gleich
diese ohne Zweifel hochwichtigen Details zu unserem Bedaaern
entbehren müssen, so ist das Gewonnene doch immeriiin so be-
deutend, dftss durch dasselbe unser bishenlges Wissen erweitert,
berichtigt, geklärt wird, und dass es Tcrdient, io ein flbersiehtUches
Büd zusanunengefiisst zu werden.
Wir wollen dios versuchen, indem wir uns zu diesem Zwecke
auch derjenigen Daten bedienen, welche Wilhelm FraJcnai aus dem
kön. Archiv in Koppeiiliaujen im vorletzten Jahrgange des ,Törte-
nelmi Tar* (Historisches Magazin), ferner Heinrich Marczali in seinen
»Regesten in ausllindischen Archiven* veröffentlicht hat, sowie auch
deijenigen, welche in der Section aPolonica* des Wiener Uehei-
. men Archives aufbewahrt werden.
1.
Ghistav Adolf fahrte am 25. Not. 1619 Maria Eleonora, eine
Tochter des ChurfÜrsten Sigmund von Brandenburg zum Traual-
tar. Gabriel Bethlen vermählte sich, in Folge englischer Vermitte-
lang, am 2. Wkn 1626 mit ihrer Schwester Katharina. Als Gustay
Adolf getraut wni-de, befand er sich im Kriege mit Polen, und als
Gabriel Hethlen sein Iteilager hielt, rüstete er bereits zu einem
neuen Kriege. Der Krieg des Scliwedenkünigs dauerte auch damals
noch fort und eine schleunige Beendigung desselben stand — an-
gesichts des mächtigsten nordischen Staates — um so weniger zu
gewiirtif^en, als der Polenkönig von seinen Fordeningen nicht das
mindeste nachzulassen geneigt war. Das Indielangeziehen des
Krieges gereichte indess nur dem Schwedenkönig «um Vortheile,
und es war sehr natOrlich, dass dieser berechnende Feldherr, der
die ersten Jahre zur Einttbung seines Kriegsheeres, zur Begründung
einer neuen Taktik bentttzt hatte, nun mit verdoppelter Energie
beflissen war, die Lebensfähigkeit seiner Theorie auch praktisch zu
bewälm'n. Und jetzt, als er zu (iabriel Betlilen in ein schwüger-
liches Verhültniss trat, war er durch diese Verbindung darauf hin-
gewiesen, mehr oder minder l)edeutende Dieiinte seines Schwagers
in Anspruch zu nehmen. Aber die Natur (b»r Saclie brachte anderer-
seits auch das mit sich, dass sich anch der Polenkönig den Beistand
30»
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4G0 * GABRIEL BETHLEN UVD OK SCHWEDISCUB DIPLOMATIE.
des ilim verschwäf^erten Kaisfrs ausliafc. Von dalier war dann nur
noch ein einziger Schritt l>i.s dahin, dass die bisher gesondert ge-
i'ührteu zwei grossen Kriege in eine einzige Flamme zusammen-
lodem.
Diese Eventaalität trat jedoch, insbesondere in Folge der Tlm-
tigkeit der Diplomatie, eine lange Beihe von Jahren htndureh nicht
ein, selbst dann noch nicht, als der in Böhmen ausgebroehene Krieg
seinen looalen, seinen religiösen, ja selbst seinen deutschen Charak-
ter verlor nnd znm enropaisehen Kampfe wurde. Die Sache hing Ton
Prankreich ab, wo während der Minderjährigkeit Ludwigs XIIl. die
schwache Regentschat't, mit der Politik Franz I. nnd llrinrioh.s
brechend, anfangs den kämpfenden Protestanten gegen n]>er eine
feindliche Stellung einnahm. Als jedoch Kichelieu die Zügel der
Regierung ergriö, lenkte er wieder in die Bahn der traditionellen
Politik ein und nahm in der Kriegsfrage gegen Österreich Stellung,
natürlicherweise innerhalb der Grenzen, welche einem Kardinal
nnd Katholiken seine Stellang und Religion gestattete.
Dafttr aber, dass er dies auch innerhalb dieser Grenzen thnn
könne, sorgte die österreichische Regierung, welche ihre Armee auch
nach der Tollstindigen Niederwerfung der Protestanten auf dem
Kriegrfusse erhielt nnd Massnahmen traf, welclie, ausser der Unter-
jochung des Protestantismus, auf die Etahlirung der al)s()luten
(iewalt gerichtet waren. Die auf dieses Ziel lossteuernde Tendenz
der miteinander solidarisch verbündeten spanischen und deutschen
Linie des Hauses Habsburg wurde von den Zeitgenoasen „ das spa-
nische System* genannt, nnd wenn Richelieu sagte : es ist Frank-
reichs Selbsterhaltungspflicht hiegegen zu kämpfen, weil die Habs-
burger den Katholizismus nur als Verwand für die VerwirUicliung
ihrer ehrgeizigen Pläne gebrauchen, — sagte er damit in der That
nur etwas, was damals ein grosser Theil Deutschlands empfand,
glaubte und verstand, und was auch ausserhalb Deutschlands Wie^-
derhall fand — weil, weuiigk icli die Lehre vom europäischen Oleicb-
ge wicht noch nicht ausgesprochen war, jedrr Staat fühlt«', dass,
wenn dem Hause Habsburg die Unterjochung Deutschlands g'-lTnige,
die V en'inigung des deutschen und spanisclu-n Zweiges desselben
eine Bedrohung der Unabhängigkeit jedweder Westmacht werden
könnte.
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UAUKJEL 1{£THL£M UND DIE .StUWEDlätHE Dll LOMATlK. 461
0})^l('ic]i (lies indessen die |)rott'staDtischen Stajit^'n mehr weni-
ger empiaudeu, obgleich sie uach der Schlacht am weissen Berge
aach eine Intervention versuchten, unternahmen sie doch eigentlich
ernstere Schritte nicht ; denn weder ihre Unterhandlungen mit der
Pforte, noeh ihre Übereinkunft mit Gabriel Bethlen waren geeignet,
dem Laufe der Dinge eine Wendnng za geben. Der englische Ge-
sandte Thomas Roe sandte seinem Herrn in seinen Briefen viele
weise Rathschläge, deren Befolgung diesem die Angelegenheit der
europäischen Coalition in die Hände gelegt haben würde — aber
der Mann war keines kUlmereu Entschlusses fähig. Die Dinge
nahmen eine hedeutsunie Wendung, als Kichelien das zu thun unter-
nahm, WHS Jakob hätte thun sollen. Die Coalition gegen Oster-
reich begann sich sofort zu organisireu. Anfangs standen die Dinge
8o,dass Sehwf'den und Dänemark gemeinsam auftreten, die deutschen
Ffirston sich ihnen anschliessen, Fraukieieh und England den Krieg
unterstützen sollten; die hierauf abzielenden Unterhandlungen mit
den beiden nordischen Königen führte der GhnrfÜrst von Sachsen«
Es frag sich indessen, wer an der Spitee der UffensiTe stebn,
wer der Anführer der yerbttndeten Heere sein sollte ? Es galt die
Wahl zwischen zw»'i nordischen Königen : dem Dänenkönig Chris-
tian IV. und dem 8chwedenkönig (liistuv Adolf. Der letztere, fak-
tisch in Krie^ mit den Polen verwickelt, würd«' es nur um den
preis beträchtlicher Opfer haben thun können ; der erstere, aucli
sonst ein thatlustiger und ehrbc^^icriger Manu, hatte, in zwölfjähri-
gem Genasse der Segnungen des BViedens, Kraft und Vermögen
gesanunelti und zeigte sich bereit, die Gelegenheit zur Erwerbung
Ton Buhmeslorbern su ergreifen. Der Plan des sachsischen Ohur-
fürsten, dass der Eine sich dem Andern unterordnen sollte, fimd
selbstverstiuidlich bei keinem von beiden Gehdr. Solcherweise
scheiterte das Projekt des gemeinsamen Auftretens der beiden Noid-
mächte eben an der Führerfrage, und als die Wahl infolge engli-
Kch«'n Einliusses auf den Däuenkünig fiel, wurde dieselbe vom
»Schwedenköui'j^ warm bewillkommt ; <t sdlist aber /(>g sicli /urück.
An Bethlen wurde anfangs weniii; ^i'duclit. Es wurde ihm,
trotz seiner seinen deutschiändischen Bundesgenossen geUisteten
Dienste, nur eine KoUe zweiten Ranges zugedacht, entweder weil sie
ihm nicht vertrauten, oder weil sie bezüglich der Endziele des
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462
GABRIEL BBTRL£M UND DIE SCHBDISCHK DIPLOMATIB.
Krieges mit ihm nicht eines Sinnes waren, indem er als solcli« s
die Veruichtiing oder vollständige Demüthignng des Haukes
Hahslmrg aufgestellt haben wollte, während die Fürsten ao weit
nicht gehen wollten. ^ Als indessen die Idee der Coalition zu rei£m
begann, sahen sie ein, dass sie ihn doch nicht entbehren könn-
ten, und Jakob sandte seinem Pforten-Gesandten Roe am 28. Mai
1624 die Ordre, ihm in Allem beizostehen nnd in die Hände zu
aibeiten. Aber sie waren weit entfernt dayon, das Gewicht zu wfir-
digen, welches er bei thafkr&fHger ünterstUtBung in die Waag-
schale zu werfen vermochte, nnd erwiesen sich seinen Absich-
ten zwar forderlich, als seine Ünterhiauller im Interesse seiner
zweiten Eheschlies8unt(, di«^ auswärtigen Höfe besuchten, Hessen
^ber seine Bevollmächtigten au den Allianz-Unterhandlungen kei-
nen Antheil nehmen.
Die Coalition kam grade in den Tagen definitiv au Stande,
. als seine Unterh&idler in der Heiratsangelegenheit zum zweitenmale
am Brandenburger Hofe weilten. Einer seiner Agenten, Quaad, bot
Mitte Oktober am dSniscben Königshofe die guten Dienste seines
• Herrn an, und ein Zweiter, Siegmund Zaklika, hatte einen Monat
später daselbst Audienz. Christian sandte dem l'ürsten, seinem zu-
künftigen Schwager, ' anlässlich seiner l)evorstehenden Vermä-
lung einen warmen (»russ : das Bündniss aber wurde doch ohne
ihn geschlossen, wiewohl sein Agent Skultety an den Verhandlun-
gen theihiahm.
Der Bund wurde am 9. Dez. 1625 zwischen England, Holland
und Danemark abgeschlossen : der Schwedenkönig und Betiüen
wurde soweit berflcksichtigt, dass man dem ersteren die Möglichkeit
des Beitritts yorbehielt (P. XL), den letzteren dazu aufforderte
(P. XVI). Die Ratification wurde fttr den 10. Marz 1626 im Haag
anberaumt, und Christian verständigte Bethlen hievon mit der Auf-
fordening, auch er möge zu diesem Termin seine bevolliuächtigt^^u
Vertreter dorthin senden und sich den Verbündeten anschliessen. '
' Als Sculteti sich beim Braudeubuiger Churfürsteu auf Brautschau
befiMid, sprach er dies bei der ersten Audienz auch aua. S. Marc«Ji Re-
gelten S. 154.
* Briefe des DSnenkOnigs an Bethlen. T0rt. T4r 1881, S. 98. fL
* Der DSnenkönig an Bethlen 80. Des. 1925. a. a. 0.
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OABUIBL BKTllLKN UND !>!£ .StUWKOISCilK i*Ü LuMAXUS.
Hctlilt'ii hatte 8ich die Bache nicht so \ ur^e.stellt. Er wullte
gleiclizeitig mit den Verl)uiuleten seine ganze Macht in die Waag-
schale werfen, mit einem Corps sich ge«^en die polnischen Grenzen
sichern, mit einem zweiten die Csepel-Insel besetzen, ein drittes
nach Schlesien weifen, und persönlich g^n Prag ziehen. ^
Er drang durch den im NoTemher hei ihm erschienenen Ge- *
sandten des Dänenkönigs darauf, dass ihm die Garantie-Akten und
erforderlichen Hülfs^elder rechtzeitig zugesandt werden, der Bchwe-
(lenköiiig aher sich zum Anschluss bereit halten möge. Am 29. Dec.
schrie)) Herhistorff : «Wenn ilim gleich auch die Krönung des kai-
serlichen Priu/.en Ursache zur Offensive geboten habe, würde er aich
doch nicht in Hewegnng 'petzen, so lauge ihm die Conföderatiou
keine Bürgschatten böte. *
Bethlen's heyorstehende Vermäluug bot eine gute Gelegen-
heit zu ünterhandlui%en : es ersehien ein ganzer Haufe von Abge-
sandten an seinem Hofe. Das Geräusch der Vergnttgungen, der
Drang der Festlichkeiten war wohl geeignet die Aufinerksamkeit
von den geheimen Verhandlungen abzulenken. Bethlen erhielt die
Verheissung von monatlich 40,000 Reichstbalem und die Zusiche-
rung, «luss Mansfehl mit zehn- Ins zwidttausend Mann seinen An-
.sehhiHs in Schlesien erwarten wenle, Und am 5. Marz — drei
Tage nach der am 2. März sUitt;^elundenen Vennählungsfeier —
wurde auch die ßerathung mit den Abgesandten der conföderirteu
Mächte abgehalten. Bethlen versprach hier nur seinen Vertreter
nach dem Haag zu senden, äusserte sich aber noch nicht definitiv :
es war natOrÜch, dass er in dem Moment, wo so Viele yon des Kai-
sers Partei an seiner Hochzeitsfeier theilnahmen, aus seiner reser- /
virten Haltung nicht heraustrete. Erst als die Festlichkeiten TorOber-
ijerauscht waren und er in sein Heim zurückkehrte, nahm er die
Uuterliandlungen erustlich in Angriff, und nachdem er am 2 —5. April
seine Forderungen, Besorgnisse, Projekte dargelegt hatte, beschloss
er definitiv, Mathias i^uaad alä seiueu Bevollmächtigten nach dem
• Alarczah Ho^'i -f' ii l"»«"».
» Fraknoi'ß Mittii. iltmK'. Tört. 'iar. 18«1. S. 112.
* Brief dea Däneiikünigs vom 30. Jänner 1U26. Tört T6r. 1881. S. 101
und Brief des fienogs von Weunar an den BOhmenkOiiig Friedrich von der
PürI« vom 27. J&n. 1626. Marcsali Regeaten, S. 144.
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464 GABUIEL UKiHLüN UND DIU {»cnWKDISl Hü DIl'LUMAilE.
Haag zu entseiulon, damit er den 8cli1\i.ss der Verhandlungen i)»-
warte — seibat aber inzwischen soviel au tirnn, als in seiner Knft
stehe.'
Und als diese Beraihung zu Bnde war, machte Bethlen on-
Tersttglich Ansfulten znr EHnlSsnng seines Versprechens. Er lien,
<jjleiclizeiti^' mit Qiiaad, \v;ihrsche)nlieb um niclit Aufselien zu err»»-
gen und .seine Al)sichten zu maskiron, seinen Netten P*tcT
Bethleu, deu 17-jährigeu iSohn seines Bruders btepliciUf in Heglei-
tung von Lehrern, iStudiengenossen und eines ansehnlichen Gefol-
ges, anf die Leydener Universität ziehen. Kronstadt am 15. April
fertigte er ft&r dieselben die Instmktionen und Empfehlongs-
briefe ans.' Am 18. April stellte er fttr Mathias Qnaad von Wichrodt,
den Kapitän seiner deutschen Tru])pen, das Beglanbigungsschreiben
aus, worin er ilnn \'olhnacht ertheilt. mir den im Haag versam-
melten Gesandten zu verhandeln und, hezüglieh alles zur F(»rderung
der Interessen des unterdrückten Deutschlands Dienlichen, \ ertrüge
za schUesseAf ' — und gleichzeitig schrieb er an die verbündeten
Fürsten und an die Stände der Niederlande. *
Damit war es entschieden, dass Bethlen in das Bündniss ein-
treten werde, nnd um dies thnn zu k6nnen, that er auch bei der
IMorte die in dieser Hczieliuiig nothwendigen ^Schritt»'. Er glanhte
noch immer, dass aucli Gustav Adolt" der ('onfr^lmilion l)eitret»'n
und mit ihm gemeinsam operiren werde : soviel steht fest, da,ss die
diesbezüglichen Unterhandlungen damals noch nicht ahgeschlossen
waren. Indessen erfogte sehr bald, was vorausgesehen werden konnte:
die Hoffiiungen auf den Eintritt Gustav Adolfs in die Gonföden
tion erwiesen sich als eitel.
Es war das Jahr — 1626 — und ungefähr eben der Zeit-
punkt, wo Gustav Adolf deu Schauplatz seiuer Kriegsoperationeu
' Ober die sehr intere^ante Berathung berichten Marczali Reget-
ten S. 158.
* Ifarcsali Regesten S. 156. Peter liest rioh am 85. Jnli an der Le}-de-
Her Universitilt einschreilien. Seine HeisegenOMen 8. Archiv des Vereiw
fttr iiebenb. Landefkund.«. N. F. X\ I. 8.
' S. die Vollmachtsurkunde. Tört. T4r. 1882. S. HL
* Marczali a. a. 0.
^ S. Törökina^yarkori ällamokmäayt&r (Diplomatarium aus der Tür-
kenzeit in Ungarn) Bd. 1.
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OAUHJKL UKTlimM UNI) lüt äCUWEUläCHK DIPLUMAIIE.
465
vi'riiii(l»'rl(', — deu Kri(»gsschHnplatz, auf dem er üIxt secb« Jahrr
lang gekämpft, Livland und Kurlami, verlies-s uud gegen polnisch
Preussen zog. Dies war eiu Lehen dea Churfiirsten you Brandenburg,
der seinem Schwager das Versprechen gab, dass er seiner Laudung
mir scheinbare llinderuisse entgegensetzen werde. Der Schweden-
k5nig brach mit 12000 Mann auf nnd stand am 14. Juni mit seiner
Flotte unter Piltau. Die Geschütse wurden vom Fort abgefeuert,
aber sie waren nicht mit Kugeln geladen. Die Flotte landete bei
Passerg und ihr Herr hatte binnen fifonatsfxist eine ganze Reibe
von Städten in Händen.
Als er den Kriegsschauplatz verlegte, reehiiete er aueli auf
seinen »Scliwnji;! !- (iubrit j Jiethleii. Li Preussen einfallend und in
die unteren W eiehselgegenden luarschiereud, kanieu seine Truppen
Siebenbi'irgen näher, in ein (tcI»!« !, wo Betlilen, wenn er gegen den
Polenkönig auftritt, ihm nützliche Dienste leisten konnte. Und
Gustav Adolf stellte an ihn auch wirklich das Ansinnen, ihm bei
der Offensiye gegen Polen hCÜfreiche Hand zu leisten, und sandte
zu diesem Zwecke einen Botschafter an ihn, welcher Mitte Mai in
Karlsburg eintraf. Nun hatte Bethlen die Wahl, an welchem von
beiden grossen Kriegen er sich betheiligen wolle : wenn er sieh ■
den ('ouluderirten anschloss, konnte er seinen EiiiHnss im Westen
vermehren, wenn er seinem Schwager zur Hülfe eilte, konnte er im
Nordost«'!! Schadenersat'/ erhalten.
Aber wie gross auch die Vortheile waren, welche jeder der
beiden Antrüge bot : Hethlen fand eben diese Wahl nicht nach
seinem Sinne. £r hätte den polnischen Krieg gerne beendigt und
die Conföderation sammtlicher protestantischen Mächte gegen die
Habsburger naarschiren gesehen. Zwar band ihn noch weder ein Ver-
trag, noch ein Versprechen an die Westmächte, nnd trotz der Abreise
Quaads war ihm die Theilnahme am pcdnisehen Kriege noch mdg-
lieh ; aber er fand es für die Unabhängigkeit seines Vaterlandes
und für die Interessen des Pi-(»teHtantis!nns vortheilhafter, sich der
Conföderation auzuschliesen. Er war also in dieser Hinsicht un-
entschlossen — aber er machte noch einen Versuch die auseinan-
dergehenden luterresseu zu vei-einbaren und dem Zustandekommen
dieser Kinigung wenigstens für die Zukunft den Weg zu ebnen.
Bethlen billigte es nicht, dass der Schwedeukönig in polnisch
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466 OABBIBL BtfTULKN UBD 1)16 tiClIWBIIlSCill DlPIiOJUm
PreuBsen einfiel, weil er dadurob die polnische Bepublik angriff,
während er bisher blos mit dem König za schaffen hatte; auch
hinderten ihn die zwischen Ungarn und Polen bestehenden Vertmge
undlocale Schwierigkeiten, sicli dem Schwedeiikünig anzuRchliesseu.
Er schlug diesem vor, der Oder entlang nach Schlesien vorzudrin-
geu ; in diesem Kalle uükme er das ange})otene Büncbiiss an.
In einem Schreiben vom Juli forderte er auch den Diineu-
k5nig auf, je eher in Deutschland einzufallen : er seiltet wolle dann
mit ganzer Macht in Schlesien einbrechen, während der T<irke den
Kaiser an mehreren Punkten angreifen würde. ^
Es war zn spät Bethlens Beyollmächtigter, der zugleich mit
dem schwedischen Gesandten die Botschaft seines Herrn fiber-
brachte, traf den Schwedenkönig auf der offenen See und schon zu
weit vorgegangen, um noch zurücktreten zu können, indem er
Bruun.sberg, Elbing, Marienl)urg )>ereits in seiner Gewalt hatto. Sein«'
Antwort ist Dirschau am 20. ,hili datirt. Er spricht darin sein Be-
dauern aus, nicht frUher darüber unterrichtet gewesen zu Hein,
dass Bethlen der prenssische Feldzug unangenehm wäre : er würde
gerne nachgegeben haben, wenn er einen anderen angemessenen Lan-
dungsplatz gefunden hätte. Er setzt umständlich die Grfinde aus-
einander, welcher halben er die Sache nicht ändern könne ; er sei
' seinen Freunden gegenflber bereits gebunden. Er macht auf die
Schlauheit der Polen aufmerksam, welche den König von der Repub-
lik trennen, w'ahrend doch das Land selbst den Krieg unterstütze.
Kr meint, wenn Hethlen sich ihm mit seiner ungarischen Reiterei
an der Weiclisel anschh'isse, würde er damit ein Hanptglied der
spanisch-dentschen Liga treffen — und er hätte dazu auch iiin-
reichendeu (inind. So würden sie vereint die polnische Angelegen-
heit rasch in Ordnung bringen und sodann vereiut um so sicherer
gegen die schlesischen Erbhinde des Kaisers vorgehen können. £r
ennche ihn, und hoffe auch, dass er sich ihm mit seinem Heere an
der Weichsel anschliessen werde ; sollte ihm dies jedoch unmöglich
' sein, so bitte er ihn wenigstens, tausend ungarische Reiter in seine
Dienste treten zn lassen. '
' S. Bethlens Schreiben an den Dilneidv ui-. Tört. Tar. 1881. S. 105.
- S. tlos S( lnv( (lonkönig!=i Resolution Dirschau 11. Juli ^24. Juli n. St)
1020. im Stockholmer Archiv. Vgl. Törökmag^'ark. Allamokm;injt. 1. 8. 446.
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UABUI£L B£I11LEN DHD DIE ÖtinVHDläClIE Dul LOMA'JiK. 4(37
Weun es aber iUmu Schweileuköuig — weioher den hauptsiicU-
liehen uad allein entscheidenden Grund, dass er TiHtnlirh unter dem
DänenkSnig als Oberanffihrer der conföderirten Heere keine subor-
dinirte Sielhmg annehmen könne, mit Stillschweigen fiberging ~ nn- '
möglich war, seinen Eriegsplan zn ändern, so war anch Bethlen nicht
in der Lage, vom hetrefeiirn Wege zurücktreten /u können. Indessen
ward das, worjiul' er st iiieu Kriet^splan kalkulirt hatte, saiiimt und
sonders zu Wasser : der »Schwedenkönig rülirte sich nicht aus pohlisch
Preiissen; bei der Pforte ward Gurcsi Mehemet, der eifrige Freund
der Union, gestürzt, und nahm Keczep, ein Gegner der Union, seine
Stelle ein, und so unterblieb die geplante türkische Offensivbewe-
gaug; selbst der neue englische König, Karl, der Nachfolger Jakobs,
nahm eine zurückhaltende Stellung ein. Endlich, was das Schlimmste
war, wurde dt*r Diuienkönig bei Lutter um Baremberg von Tilly
aufs Haupt geschlugen.
Und dies geschah am 20. Aug. 1(326, eben in der Zeit, wo nur
noch er, nebst jener Handvoll müder Truppen, welche die Union
unter Mansfeld nnd dem Herzog Ton Weimar gesandt hatte, den
Krieg weiter führte. Dies reichte indessen eben hin, um die Hoff-
nung auf künftige Erfolge aufirecht zn erhalten. Und nun beeilte
man sich auch, Bethlen in die Conföderatioii hineinzuziehen, weil,
wie Wake, der englische Gesandte in ^'enedig, schrieb. ,nun er der
Atlas war, auf dessen Schultern die Freiheit ruhte." Quaad erhielt
Tom Dänenkönig schon unter dem Datum des 9. Sept. ein Empfeh-
lungsschreiben an den König von England ^ und schloss bereits am 30.
Not. das Bflndniss zwischen Karl nnd Bethlen ab. ' Darauf folgte
am 9. Feb. 1627 das Bündniss mit den belgischen Stünden und am
28. Feber der Bund mit dem Dänenkönig. *
Auch dies war verspätet. Er schloss schon am 28. Dec. 1620
in Lentschau den Frieden — uothgedrungen, gegen seinen Willen,
und ganz und gar in der HotVnuiig, dass er Mittel und Wege finden
werde, ihn zu brechen. Aber Alles kam anders, als er erwartet hatte.
Die Allürten, die ihm, so lange ihr Stern leuchtete, blos eine Rolle
' Marczali Rcf,'esten S. 146.
^ Das Orif^inal im Archiv von VrirfVsvur. publizirt in meiner Abhand-
lung „Beiträge zur Goschirlifo dur ADi in/t'ii Gabriel Bethlen«.**
* Beide Aliiauaur künden ebendaselbst.
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40ti UABIUBL BblULKS UND 1>]E tfCllWEDIBCUB DirLONATIK.
zwj'ik'ii h'anges zuged.icht hatten, nahmen ihn jetzt iiit lit nur in die
Alliunz aui^ sondern erwarteten von ihm die K^^paratur der durch sie
verdorbenen Angelegenheit. iSie sandten ihm Anführer ohne Sol-
daten, Geld aber sandten sie gar nicht. So war denn aneh BetiüfiO
nicht im Stande die Angelegenheit sum Besseren zn wenden. Von
den bei ihm weilenden beiden Ünions-F^eldherren starb der Herzog
von Weimar während der Dauer <ler riiterhjindlnDgen, und der an-
dere, Mansleld, eilte aus dem Lande, el)ent'all.s — um zu sierlM'n.
Hierauf folgte der Frietle von S/ön v und dessen Katifikation. Bethlen
säumte auch nicht, den Schwedenkönig davon zu benachriclitignu : —
«denn der Kaiser werde, — schrieb er ihm — nun von allen Seiten
gesichert, seine ganze Macht daraaf verwenden, im Reiche die Rohe
herzustsUeu.*
IL
Die llotfnungen, welche die ju-otestaut-iache Welt aut den Da-
nenkönig gebaut hatte, waren sämmtlich wieNehelhilder zerronuen —
die Kettung der an den Rand des gänzlichen Unterganges gelang-
ten Angelegenheit erwartete auf diesem Wege niemand mehr. Aber
in welchem Verhaltnisse der Stern Christians sank, in demselb»
eriiob sich der Stern Demjenigen, der seinetwegen znrOckgesetst
worden war : der Stern (Instav Adolfs. Unter den nordöstlichen
I^liiciiteu stand Polen in einem gliinzrndenNimbus da — die ganze
Welt achtete es für eine Macht ersten Ranges. Der Kampf mit
Schweden dauerte schon nahezn ein Jahrzehnt lang, und wählend
dieses Zeitraumes begann sich die öffentliche Meinung Europas in
diesem Punkte allmahlig umzugestalten. Nach der Schlacht von
Riga (1621) nahmen es auch die Polen selbst schon wahr, dass sie
von den Schweden im Festnngskampfe ttberflügelt seien : aber ne
behielten noch das liewusstsein, dass sie in offener »Schlaelit die Olur-
hand haben. Der Feld/ug von llilitl und insbesondere «lie Schlacht
von Mewe bewies indeusen, dass die schwedische Infanterie der
polnischen überlegen sei. 1627 brachten die Schlachten umDIrschan
auch der schwedischen Gavallerie Lorbeeren, und nunmehr behielten
die Polen nur noch in einem einzigen Punkte die Oberhand fiber
die Schweden : ihre leichte Reiterei verstand sich vortrefflich auf
kleine Plänkeleien, unvermuthete Überraschungen, Ermüdung de«
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OABRIKL BBTHLEN UM) DIB 8CHWBni89RX NPLOXATll. 4G9
Cicirners und Erschwerung der Truppen \>'r]ifle«(im<jf. Koniepolski l)a-
sirt«' s«'iiien ganzen Feld/n «^spl an auf diesen Yortlieil und verstand
es mit grosser Geschicklichkeit den Entöcheidungsschlachten «aus
dem Wege zu gehen. Für diese Weise der KriegfUhmng war
Gustav Adolf in hohem (irade auf die Hülfeleistung seines Schwa-
gers Gabriel Bethlen hingewiesen und deshalb verlangte er von
ihm schon firtther und wiederholt in dringender Weise ungarische
Beitei^, und als er sich endlieh entschloss, weiter nach unten vor-
Kodringßu, that er aneh die entsprechenden Schritte, um mit Bethlen
und der Pforte in eine engere Verbindung zu treten.
Mit der Zuwegehriniifung derselben hetraute er einen seiner
intimsten Käthe, Faul JStrassburg, den «»r /n seinem ständigen (ie-
sandten in Siebenburgen ernannte, und dem der Kanzler auch eine
wichtige vollLSwirtschai'tliche Mission auftrug : von HeUilen zu er-
fuhren, ob er nicht geneigt wäre, die Kupferausfuhr aus seinem
Laude zu verbieten uudaus derselben, im Einvernehmen mit Schwe-
den, ein Monopol zu machen? Auf diese Weise würden diese bei-
den Länder für Europa den Preis des Kupfers bestimmen. * Btniss-
burg machte sich auch, nach Entgegennahme seiner Instmktionen,
. am 23. Juli 1628 von Dirschan auf den Weg.
Er eilte dnrch das feindliche Polenland rasch dem Orte seiner
Hestimmung zu und b«>fand sich Anfang Sept. l)ereits in Kascluui.
Hier »Mupfing man ilm mit der Naeiiriclit, da.ss der I''ür.st mit dem
siebeiibürgischen und ungiirländischen Adt'ls- und UeidacktMilirer,
deRKen Zahl über 10,000 betrug, kaum zßlm Meilen entfernt unter
. Muukäcs stehe. ' Weshalb ? zu welchem Zweck? darüber vernahm
er einander vollständig widersprechende Gerüchte.
Er wolle dem Sultan gefällig sein und ziehe gegen den Kaiser,
' S. Oxenstierna*» Schreiben vom 26. Juli im Archiv der Univerüitilt
Upsala.
-' niosor Krio^srü^tuii^ Bethlens tnwiihnt dor Uv'wi' des Polciikoiii^'H
an don Kaiser vom 11 Juni 1G28, dessen Uiij^iuiil sich unter den l'olonica
des Wiener Geheimen Archives befindet : „Hx literis Mtis V»e Pkagae die
13. m. ad nos datia clare peräpeximiu, res nostras Mti Vrae eurae
eiiRe, dum nos de hoBtili Bethlenü machinatione certiores faoit. (Dieser Brief
des Kaisers ist nicht vorhanden) I>e Bethlenis, quid moliatur, nihil explora«
tom habemus : certmn est, bellnm ab eo snmma cnra parari, qno vol Mtm
Vram vol nes oggrediator etc.
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470 OABItllL BBTHLBir Vjm PIK flCHWfiDtBCftS DtPliOlUTtS.
•
' um die jüngsten Sehnrlen an ^zuwetzen and dem Vordringeii Wallen-
ftteins einen Damm piitj^o i^ehznsetzen t sa^n Einige. Er wolle
jnrh mit dem Scliwedenk(Miig vert'inigen um ihm Hülfe zu leisten
und gemeiiisaiu mit ihm die Polen anzugreifen : erzählten Andere.
Strassburg aber sagte die letztere Deutung zu und er beeilte
sich, nach gepflogener Berathnng mit dem Kaschaner Seelsorger
Peter Alyincsj and dem Kaschaner Stadthauptoiann Johann Bor-
nemisza, Bethlen von seiner Ankunft zu benachrichtigen und ntn
Gewähmng einer Audienz anznsnchen, mit der beigefügten dring-
lichen Bitte, er möge ja bei seinem löblichen Vorhaben beharren.
Die Sache hütti« vielleicht auch dahin auslaufen können, die wirk-
. lirlif rrsarhe indessen, welche HetLleJi l)ewogen hatte, an der Spitze
«•ines Heeres nach Munkacs zu ziehen, war die, dass er einen Ein-
fall des Moldauer Woiwoden Hernawski, der Kosaken und einer
Tatarenhorde bef£Lrchtete. Der Vorwand aher, unter welchem er
die Truppen zusammenzog, war' die Bestattung Gabriel Bathoiy^s
in B^thor. Und nach yoUzogener Bestattung sandteer an Strass-
burg den Bescheid, dass er ihn in ^ansenbnrg empfangen werde
und machte sich selbst nnverzüglich auf den Rfickweg. ' Anch die
FQrstin — welcher er ebenfalls seine Ankunft zu wissen gethan
hatte — schrieb ihm unter dem 16. Sept. : dass der Koramissar,
welcher ihm auf der Ifeise nach Klausenburg das Geleite gehen .solle,
licreits die Onlre erhalten liabe. *
Strassburg eilte denn auch nach Klausenhurg,woihn derOberst-
hofmeisier Franz Miko freundschaftlich empfing und gleich am
folgenden Morgen vor di-n Fürsten führte. Die Morgenandienz rer-
lief unter wechselseitigen BegrQssnngen : es war darin blos von
den Angelegenheiten der Fürstin die Rede. Erst Nachmittag fand
die geheime Audienz statt. Den Gegenstand der Konversation bil-
dete die preussische Campagne des Schwedenkönigs, über welche
sich Ik'tliN'n mit sehr wenig \ i-rtrauen äusserte, wodurch l^rasshnrg
veranlasst wurde, den Stand der Angcle<4t'n]ii'it in licllcrcm Lichte
darzustellen, die l^cs.trgnisse, welche lii'tlih'u hezüj^dirli der ühcr-
legenen Macht der Polen hegte, zu 7<erstreuen und Gustav Adolfs
' Siritssl.iirgH Botschaft slx'iiclit im Stockholmor Archiv.
> Original in der Bibliothek m Upsala.
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(lABBIlL lOmrLKW UVn Dil SCHWSmSCRK HIFLOKAlm
47i
' ruliTiiroichen bVldzug, hv'ww })isln'rigpii Triiiiiipli«' umstiiiullic-li zu
or'/;ili1('n. Dies gab Botlilen ^ eraiihissung, sicli nach (1»t Kiirijs-
tührunifsweiso dos ^^cliwedciikönigs. poinor Aniiec. ilirt r Besolduug
iiiid VerpÜeguiig, seiner iSeeiiiacht uudsemeu wir i schaftlichen Ver-
hältniMen zu erkundigen.
Bethlen war mit dem Vernommenen sehr znfirieden. Er war
eben im Begriff nach Fogaras zuTeisen and nahm Sirassburg mit
sich. Die gemeinsame Reise gab dem Fürsten Gelegenheit, dem Ge-
sandten seine Ansichten Ulier die eiiropäischeu Ilöfu mitzutlieileii und
er entwic kelte vor ihm seinen Plan mit einer Offenheit, welclie zcit^te,
welch pjrosses < Jewicht er darauf lege, ilin dafür zu gewinnen. Das
allgemeine Bild, welches er von der 4Amaligeu »Situation Euro})aa
und von den ;Wechsell)eziehnngen der kriegführenden Mächte
entwarf, die eingehende Analyse, in welcher er die Ursachen der
Erfolglosigkeit aller bisherigen Untern^mnngen der Union und
Gonf!5deration auseinander setzte, bewies, dass ihn die gemachten
bitleien Erfahrungen zu einer klaren Auffassung der Sachlage ge-
ftlhrt hatten. Er zählte ohne jede Übertreibung auf, in welchen
Hinsichten und in welchem Grade er den Verbündeten hätte nütz-
lich wenlcii können, wenn sie sich seiner Dienste hätten bedienen
wollen, wa:> sie indessen systematisch und konsequent abgelehnt
hätten, det/t erübrige das Einzige, dass (lustav Adolf offensiv auf-
trete und die Reparatur der an den Rand des Verderbens geführten
Angelegenheit in die Hand nehme, wobei er ihn aus allen Kräften
unterstützen wflrde. Er vertraute ihm den Zweck seiner Heise nach
Fogaras : er wollte einen seiner Terlässlichsten Staatsmänner,
Michael Tholdalagi, auf die Pforte schicken. Wenn der Friede der
Pforte mit Ferdinand Tollzogene Sache sei, mflsse dahin gearbeitet
werden, dsss die TQrken ihre ganze Macht auf die Polen werfen,
liber welche sie weffen des Uberfalles der Tataren durch die Kosa-
ken und we<jjcn der Aufwiegelei des Mfildauer \V()i\vodcn Hernawski
ungehalten seien. Und dies wäre um so leiehler erreichbar, da die
Uesandteu des russischen Czars in Konstantinopel für « in /wischen
dem Czar und der Pforte abznschliesseudes Hündaiss thätig Heien. '
Wie aufrichtig aber auch Bethlen in aUedem war, was er d<»m
* Paol Straffifburg*« Bericht an Oiutav Adolf.
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472 OABBIEL BmUH ÜID DIB SCHWBDISCB DIPLOIUTIB.
schwedischen Gesandten sagte — Älles sa^te er iluu doch niclii.
Denn es ist zwar f]jewiss, dass seine Reise nach Fogaras keinen an-
deren Zweck hatte, als Thoklalagi auf die Pforte zu schicken, um!
ebenso ist es sicher, dass er dem scliwedisclien ( Gesandten den *(röss-
ieu Theil der Mission dieses erfahrenen »Staatsmaiiueä luittlieiltc^ :
einen der geheimen Punkte dieser Mission verschwieg er ihm doch«
denjenigen, 'der es seinem Orator zur Aufgabe machte, den Gross-
▼ezier zu sondiren : ob in dem Falle, dass der vom Schlage gerdbrte
PolenkSnig Ton ungefähr mit Tode abginge nnd man ihn anf den
polnischen Thron beriefe, die Pforte semer Wahl Hindemisse
in den Weg legen wttrde ? ^ Und ausserdem hatte Tholdalagi auch
den Auftrag, mit den russischen Gesandten — Thomas,* wie er ihn
nennt, oiKt Odokimosi und Vennuitevicze, wie Strasshurg selireiht —
die l»ereits])e<;()nnenen rntt-rhandlniiL^en tortzusetzen : wenn Aussicht
auf Erfolg wäre, würde er gerne eiuen (gesandten au den Czar senden.
Tholdalagi empfing seine Instruktionen am 21. Okt.* und
maehte sich unverzüglich auf den Weg. Bethlen kehrte ebenfalls
mit. Strasshurg nach Earlsburg znrClck. Hier wartete ihrer eine
erfreuliche Nachricht: die Nachricht TOm Entsätze Stralsunds.'
Dies war der letzte feste Punkt, an dem sich die Protestanten noch
hielten, und dessen Belagerung Wallenstein mit der stolzen Äusse-
rung unternahm, dass er ihn eiunehiiien würde, selbst wenn er mit
Ketten an den Himmel geschmiedet wäre. Er nahm ihn trotzilem
nicht ein und dies dünkte den an Bethlens Hof weilenden Kat holi-
ken so unwahrscheinlich, dass sie au der Wahrheit der Nachriclit
zweifelten — bis sie durch neue Posten bestätigt wurde. Und auf
sie folgten alsbald auch andere Nachrichten von Siegen Guatay
Adolfs in pienasiBch Polen, wo die bedrängte Veate Strassbuig,
trotz der yerzweifelten Yertheidignng ihres Kommandanten Mon-
tagne, im September starke Prüfungen bestand, bis sie aehliesslich
* Wenigstens erwähnt dessen Strassburg in seinem Bericht mit kei-
nem Worte, während es einen Pankt der Instruktion Bethlens för Thol-
dalagi bildete. S. TOrOkmagyarkori äUamokm&nytdr. II. S. 91. fF.
' Thomas Ursus. wie Strassburg an Anderer Stelle «chreibt, war
„sobdelejfüiuf." die beiden andern Oberge»andtp.
Kv hatt*' Ulli 1. Aug. I(i2!* s tat ige fanden} die Nachrieht kam alno
nach mehr aU zeku Wochen in äie)>enl»Urgen an.
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GABRIEL BETHLKN UND DIE SCHWRDISCBE DIPLOMATIE. 473
doch üeL Uud in eben diesen Tagen kehrte auch Peter Bethlen von
seinem mehrjährigen Aufenthalte im Auslande heim und brachte
die Beetiltigung der günstigen Nachrichten. ^ Aneh der Famt
meldete dieselben nns&omlich an Tholdalagi ' snr Damachach-
tniig - unmittelbar darauf sandte er aber auch einen Tntenranoins
an den Cliurfürsteii von Brandenburg und durch seine Vermittlung
an den Schwedenköuig.
m.
Der Courier, welcher, wegen Vervollständigung des Hofper-
sonals der Fürstin Katharina, zum Churftirsten von Brandenburg
al)ge.sandt wurde, war Martin Honczliidai. Er wurde in Warschau
angehalten, weil man argwöhnte, dass er auch an den Schweden-
könig eine Commission habe. Da man nichts dergleichen heraus-
bnngen konnte, liess man ihn wieder los, gab ihm jedoch ein £o-
saken-Qeleite mit, welches ihn beaofsichtigen sollte. So erreiehte
er glücUich Königsberg und vefstandigte von hier aus unter dem
29. Jänner 1629 den schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna, duss
er Mittheilungen an ihn habe, jedoch fürchte, zu ihm zu reisen,
damit ihm unterwegs nichts zustosse. Er bitte ihn daher um Zu-
sendung eines TolUtändig verlässlichen Mannes, dem er die Botschaft
seines Herren anyertrauen könnte, und, da sein Pferd unterwegs
nmgestanden sei, zugleich mnes Pferdes, auf dem er in seine Hei-
mat znrilekkehren könnte. *
Der Kanzler fand es natOrlich, dass Bonczhidai mit ihm nicht
in direkten Verkehr treten wolle und sandte Johannes Nicodemi,
eiih'ji angesehenen schwedischen Bürger, dessen er sich auch sonst
zu delikaten Missionen bediente, von Elbiug nach Königsberg und
ausserdem auch das gewünschte Pferd. * Der Brief, den er durch
ihn au Boncaihidai sandte, diente ihm zugleich als Begiaubigungs-
schreiben, * — er gab aber auch ihm selbst eine Instruktion mit,
' S. Strasaburgs Bericht.
' S. seinen Brief vom 12. Dec. Törökma^yar AUam-OkiuÄnjt.
IL S. 93.
' Bonezhidai'H Brief vom 29. Jän. Ui2l) im Stockholmer Archiv.
♦ tVixeu Hiatoire de Guntiiv Adolf 8. I<t2.
* Concept im Archiv der Akademie zu Upsala.
UngMlKbe Heyne, 1882. VI. Heft. 31
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474 OABBISL BKTHLEN l'ND DIR SCrn\T,DI8f'IIE DIPLOHL\TIK.
I
was er AIIps anszutorsclu'U halx'. liislipsoiulfre war fr )>pauftraj(t
anszuforsclien, wie sich die türkischen und tatarischen Augelegenhei-
ten verhalten, wie cr nm die polnisch-türkischen Bezielnmfren stelv,
m welchem Zwecke der Kaiser einen Abgesandten nach Warschau '
gesehiekt habe« was die rassischen Abgesandten bei der Pforte im
Sachen gehabt haben ?
Aber hei dieser ganzen Abf:jesandtschaft unterlief eine eigen-
thUmliche Täuschung. Houczhidai war gar kein Ahgesan<lter, son-
dern ein t'iiitaclier C'ouricr, mit g<'iinir delikaten Instruktionen /.war,
aber doch nicht derartigen, wie sein Auftreten sie voraussetzen lies-;.
Ausserdem war er ein habsüchtiger und listiger Mensch, der sich
auf die Ausnutzung der Vorth eile seiner Situation wohl verstand,
wiewohl er nnr eine mittelmassige Bildung hatte and Latein fliessend
weder schreiben noch sprechen konnte, so dass Nioodemi gendthigt
war, sich eines Dollmetsch za bedienen, der denn auch alsbald merkte,
mit wem er es en Üion habe : »es ist kein Mensch, dem der aoch
sonst sehr vorsichtige Bethlen Etwas von Bedeutung anvertraut
haben konnte.* Am 7. Feber in Kiinigsberg angekommen, hatte
er mit ihm sogleich eine Zusammenkunft und begann die. drei Tage
hindurch fortzusetzenden, ermüdenden und unangenehmen Ver-
handlungen mit ihm.
' Darüber gielit der IJrief Aiifschlusa, den der Kaiser unter dem
12. Dec. 102^ an seine Schwester, die Könijfin von l'olen. schrieb (Concept im
Wiener Geheimen Arciiivj, und der »ich aul" die Fricdeudverhuiidlung iy>i'
sehen den Polenkönig einerseitB, den Schweden nnd dem Hause Branden-
burg anderseits besieht. Als weise Fflistin k9nne die KOnigin beartheilen:
»Wann mit erstemantem Gustave allein wo nicht gar ein Frieden, dorh
wenigst aof eine Ans^l Jahr nur Anstuid, mit Aussohliessong des Reichs
gesu. bt und getroffen werden woUti'. dass meine Widwwftftige hiebei ihr
Abuehen ohne allen Zweift l dahin gerichtet haben werden : wie sie sich
al«dann mit ihm Gustave otiV-ntliih eoniungiren, und den ganzen Krie^j
wieder mich. «I is; röniisclie Keicli und nns^ r Kr/hans ma><sen i» h dann
gewisse Nacliriohtnng erlangt, dass fie y.n dr-ni Knd bereits ein stiirke Con-
fbederation und Verbündtniss miteinanth^r aufgerichtet haben — wieder
einführen mögen/ Deshalb habe er auch den Churfürsten von Branden-
burg bereits ermahnt und bitte jetat auch die Königin als seine Schwester^
dahin an wirken, dass, falls die Verhandlungen faktisch begonnen hätten»
das Reich bei denselben nicht übergangen werde. Im Übrigen aber bittet
er um Nachricht durch einen Courier. (Impumm.)
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GAIiRIEL BBTilLEN UND DIE SfilW^mHCIlE DIPLOMA'ilK. 475
Nicodeini hiess ihn im Namen seines Ilefreu herzlich will-
kommen und sagte ihm, daeeder Kansbler, in WttrdigimgderGrrQnde,
welche dem Erscheinen des fttretlichen Gesandten in Elhing ent-
gegenstflnden, ihn beyollmftchtigt habe, die Details seiner yertrau«
liehen Semlmig zu erfahren.
Bonczhidai ergoss sich in schwülstigen Timden darüber, da.s.s
Kicodemi zn ihm gesandt worden sei, nm za erfahren, was ihn hie-
her gebracht hatte; dass aber er sich seiner Mission mit einem
einzigen Worte entledigen kdnne : er habe die Sympathie Bethlens
fttr den Schwedenkoni^^ znm Ansdm^ an bringen — er habe das
Herz seines Herreu hit.'her gel)racht.
Nicodemi nahm anch dies noch als Höflichkeitsbezeugung,
liethlcir» Sympathie, antwortete er, habe im Herzen seines Herren
tiefe Wurzeln geschlagen — dies sei jedoch eine so. allbekannte
Sache, dass sie der Erwähnung gar nicht bedürfe. Weni^ er ausser*
dem Tertrauliche Mittheiluugen zu machen hätte, würde er dieselben
mit A ergiiügeii anhören.
Bonczhidai nahm eine ganz beleidigte Miene an. Ist das also
nicht genug, wenn ich das Herz meines Herren überbringe ?
Ich — entgegaete Nieodemi — bin hieher berufen worden ;
ich muss abwarteu« ob ich nicht noch etwas Anderes zu hören l)e-
komme.
Schliesslich stellte sich heraus, was Bonczhidai verstimmt
habe : er hatte wenigstens eine goldene Kette als Geschenk erwar-
tet und fimd sich mit dem Pferde nicht befriedigt Das Pferd aber
war Yon edler Ra^e und hohem Werthe und schliesslich kamen sie
doch überein und lionczhidai wurde mittheilsamer. Aber auch dann
ging es noeli flcliwcr vorwärts. Nirodenii wolltt^ttber dio türkischen,
tatarisclipu, russisclu'u \'erhültnisso Etwas erfaln-en, und Boncz-
hidai pries die Macht Bethlens, schilderte sein Verhältniss zum Sul-
tan, dem er ein Freund, ein Sohn sei.
Es ist wahr, sagte Nicodemi, und anch ich kenne die Macht
deines Herrei), aber ich weiss jiuch und zwar direkt aus dem Sclirei-
boii Strasshurj^s, sein*» Hoh«Mt selie es uu}X«'rne, dass das Haus
Habsburg die übrigen Herrscher unterdrücken wolle. Und ich
zweifle auch gar nicht daran, wie anch alle Anzeichen darauf hin-
81*
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«
I
47Ü OABKIKL BBTHLKK UND 1>IE 8CHWEDISCHK DirLOMATIB. '
deuten, dasfi du einen auf diesen Goj^enstand be/figlirljen Aufing
habest, — warum wilUt Da demielben also für dich behalten ?
Bonczhidui erhob sein Haupt. Es ist wahr, mem Herr liit
;,'i'gfn Österreich und Polen etwas im Werke : aber er will sich
des Erfolgs im vorhinein versichern.
Mehr als dies konnte Kicodemi ftlr diesmal aus ihm nicht
herausbringen. Bonczhidai nahm ihn am Arme und führte ihn zur
Mittagstafel Nach dem Mittagsessen, als sieh die übrigen Gäste
zerstreut hatten und sie selbander geblieben waren, fing Nioodemi
das Examen von vorne an und Bonczhidai antwortete wieder mit
(lein Her/en. Wenn mein Herr — rief er, seinen Sül>el heraus-
ziehend — seinen Säbel geschickt hätte, würde ich diesen gehriiclil
haben. Er hat sein Herz geschickt, nehmt damit ?orlieb. Damit
ging der Tag zu Enda
An den beiden folgenden Tagen braehte Nikodemi denn doch
den Zweck seiner Sendung aus ihm heraus. Er brachte eigentlich
bloss Nachrichten, aber diese bestätigten das, was Strassburg schrieb:
BeLhk'iis Bestrebimgeu beginnen von Erl"ol<^ gekruiit zu werden, —
es ist starke Aussicht vorhuuden, tlass dh^ Türken, Russen, Tuta-
ren über Polen herfallen werden, liethiens rforten-(ie8andter,
Mikö, hat ausgewirkt, dass 120UO Janitscharen, 100,000 Tataren
Ordre bekamen, auf Bethlens Ruf bereit zu stehen. Auch die Kosa-
ken sind gewonnen, sich auf ihre Seite zu stellen oder doch neutral
zu bleiben. Bethlen hat auch in Polen viele Freunde : den Siarost
▼on Sandoiuir, der an der iirenze Ungarns luiust. den Palatin Lecz- '
noszky, den Kru kauer Kastellan iSbarasky, den Landesmarscliall,
Uadzivil, »Supieha und viele andere. V on einigen hat er auch Briete
gebracht, von mehreren aber hat er sie in Warschau vergraben,
welche er nur vorzeigen wird, wenn er in Sicherheit sein wird. Von
nun au werden häufiger (iesandte ab- und zugehn — einer dersel-
ben, BiQintfi, wird in Breslau festgehalten. ' Auch Bethlen selbst
bereist unter allerhand Vorwänden die Landesgrenzen.
Nicodemi wollt»' noch über ein»Mi l'unkt liowi«.slu'i( erlan^'cii ;
üb «icii Bethlen nicht zum König von l*olen wählen lassen wolle?
Aber Bonozhidai kehrte den Spiess um und stellte die uaiuiicbe
' Vgl. Uftgf ar töii4neltni tär (ung. bistor. Magasinj X.
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UABK1£L UliTllLBli U^D DJ£ äUUWEDJäCHE üU'LUMATIi:. 477
Frage bezuglich des Schwedeukönigs. Nun fing denn Jeder von
beiden an, den Gebieter des Andeni mit Lob zu ttberschClttea —
aber Bonczhidai verrieth doch soviel, dass sein Herr einer solcben
Eventnafitat nicht abgeneigt sein wQrde. Zum Schluss warf der
Siebenbürger auch noch bin, dass Bethlen den Schweden gerne zu
Hölfe kumnieii würde und dass sein Wunsch würo, die wachsende
Macht des Kaisers und der Spanier zu Ijrecheu.
Damit verabschiedeten sie sich am dritten Tage der Verband
long Tollstandig von einander. *
Anf das Sehieiben. welches Bonczhidai von Strsssbnrg mit-
gebracht hatte, antwortete Oxenstierna sogleich. Er bedauerte, dass
er mit dem siebenbürgischen Gesandten nicht sprechen könne.
Was er von der türkisclieii, tatarischen, russischen Angok'nheit
geschrieben liuh«', nehme er mit Vergnügen zur Kenntniss — al)er
in der Frage des pohlischen Königthums möge er vorsichtig zu
Werke gehn. Er möge schreiben, wenn er merke, was der Fürst
wolle : ob er sich selbst oder den Schwedenkönig aof dem polni-
schen Thron zu sehen wünsche ? Bis dahin möge er den Forsten nur
anfenern, Polen anzugreifen und die Russen, Tfirken, Tateren zu
gleichem lliun anzutreiben. Er gieht ilmi zu wissen, dass Fahrens-
baeh in schwedische Dienste getreten sei und iu einer Mission nach
Siebenbürgen gehe. *
Er schrieb diesen Brief geraume Zeit bevor er Nicodemi^s
Relation gelesen hatte : damals musste er darQber bereite im Rei-
nen sein, dass Bethlen der Annahme des polnischen Königthums
nicht abgeneigt sei. Indessen noch geraume Zeit, bevor Fahrens-
bach anlangte, trafen iu Siebenbiirgeu andere wandernde Diploma-
ten ein.
IV.
Seit Strassl)urg mit Bethlen näher Itekannf wurde, seit er
<t»'legenheif mit ihm hänfiger zu verkelireu, Zeuge seiner
Thätigkeit war, seinen scharfen Verstand, seinen festen Charakter
kennen lernte, sah, wie sicher er die Fäden der diplomatischen
' Nicodcniis R^^lation an Oxenatiema Eibing am 14. Feb. 1628. Original
im flchwed. 8taaUarcbiv.
* Otenstiema in Chiffem geschrieben Biief an Strawbaig.
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478
UAbUlEL liblHLKK UXD DIE äCllWBUlSCHE MI'LoUATlB.
Thätigkeit in den Hiliuleii hält und leitet, und iusbesuuiler-s sah,
welch .schwierige Aufgabe er zwischen den zwei Mächten habe,
und mit welcher Sicherheit er diese Schwierigkeit löse : wurde er
Ton «aufrichtiger Bewunderung fQr ihn erfüllt Er setzt in einer
seiner Denkschriften weitläufig auseinander, was damals am
Hiebenbürgischen Hofe vorgegangen sei : welche Plaue dortge-
.sflimiedet wurden, und wie nahe die Eiuuiischung iu die j)ohii.si-bf*n
Angelegenheiten bevorstehe und zwar mit Unterstützung .seit»^ijfi
der Nachbarstaaten in einem Masse, welches sozusagen die Bürg-
schaft des Erfolges in sieh trug und welchem zu Folge — wie wir
aus einem Memoiristen wissen * — Bethlen die zur Offensive notk-
wendigen Anstalten bereits getroffen hatte und auch sein Heer
organisirte.
Tholdalagi kehrte im Jänner 1G29 heim. Er brachte die Eiu-
willigung zum Angriff i.i( ht mit; um diese hatte Bethleu gar nicht
gebeten : aber er hatte die Stinmiung dort ganz günstig gefimdeu.
Mit der Fortsetzung des von ihm Begonnenen war der stöndige
Gesandte, DonlKth, betraut ; er sollte die Unterhandlungen mit den
Divanhaltenden Vezieren, dem Patriarchen Cyrill und mit dem Oe-
sandten der vereinigten belgischen Stände, Kornel Hagai. fort-
führen. Die »Sache sollte so veranstaltet werden, dass der AugriÖ
zu gleicher Zeit von allen Seiten her, durch die an Polen gräuzeu-
den Staaten erfolgen sollte, denen sich sofort die Kosaken an-
schliessen sollten. Die Gewinnung der letzteren war die Aufgabe Cy-
rills, welcher den Angelegenheiten der Protestanten durchaus nieht
abgeneigt war, und bei welchem Bethlen auch in Betracht der Be-
kehrung der Walachen Si Inittc» tliat. Dieser Cyrill hatte den Pfor-
tenge>»aTitlten der verbündeten Mächte auch bereits versprochen,
dass er sich in dieser Angelegenheit alle ihm mögliche Mühe geben
werde. Andererseits bestand auch die Verbindung mit Russlaud und
war auch der Ton dieser Seite kommende Angriff in den Galeul
einbezogen. Auch in Polen selbst erwartete eine beträchtliche
Partei die Stunde der Befreiung, das grösste Ckwicht aber wurde
auf die (Gewinnung des Fürsten Radzivil gelegt, welcher Litthanen
hätte zum Ubertritt bewegen sollen. Dieser war zwar ein von Xa-
' Johann Kemeny Selbstbiographie. S. 13G.
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• ' OABBIBL BBTHLBN TTBU I)IB SCBWlDIfiCiiE BIPIiOlUTlB. 479
ttir furchtsamer Mciun — seiu Übertritt wurde trotzdem nicht für
uuwjihrscheinlich dehalteu, uachdemdort bereits Vieh* für die vSache
gewüuuen waren. ^Nichts würde — öcbrieb Strasaburg — für
den Feind schrecklicher sein, aLs wenn die Macht des Ostens und
NordenB gleichzeitig ihre ganze Wucht auf ihn wQrfe." ^ Und das
Endresultat dieser Coalition und vereinigten Offensiye des Ostens
und Nordens hatte sein sollen, dass der Polenköuig seinem Schwa-
ger, dem Kaiser, keine Hülfe mehr würde geben können. — Ja,
weun er im I>aut tler Ereigiii.sse oder seiner Krankheit wegen seineu
Thron verlieren würde, würde gerade Polen zum mächtigsten Oeg-
iier der Liga. Bei »Stralsund standen der Kaiser und der «Schnee-
könig^ (wie Gustav Adolf von Ferdinand genannt wurde) einan-
der bereits gegenüber ; sie waren zwar noch nicht erklärte Gegner,
aber die Messung der beiderseitigen Kräfte hatte bereits ange&n-
gen and die Intervention des Schwedenkönigs war nur eine Frage
der Zeit. Darauf wartete Gabriel Bethlen, dies wünschte und be-
reitete er vor.
Aber Alles, was zu diesem Zwecke geschah, war so kühn, so
verwegen, dass es wirklich als Uirngespinnst, als unausführbar er-
scheinen konnte. War doch hier von nichts Geringerem die Bede,
als von der Vereinigung der gegnerischesten Elemente. Es ist wahr,
dass die Hauptsache geschehen war : der Krieg der Pforte mit Per-
sieii war beigelegt uud damit die Hoffnung gegeben, dass sie dem
Kriege mit Polen nicht abgeneigt sein und auch Jietlilens Jnter-
yention unterstützen werde. Damit waren iudessen noch nicht
sammtliche Schwierigkeiten beseitigt Die Tataren und Kosaken
kämpfen seit Jahren nuteinander und machen häufige Einfalle in
ihre beiderseitigen Lander. Fand doch der einige Jahre vorher ver-
triebene Tatarenkhan in der Ukraine Zuflucht und Beistand. So-
dann sind die Kosaken den Poleu unterthan uud diese haben den Mol-
dauer Woiwodt'ii Beniawski gewonnen, ihm das Indigoiiat verliehen.
Was die Küssen anbelangt, so war ihr Friede zwar im Ablauf be-
griffen, ihre Gewinnung aber würde doch nicht ohne Schwierigkei-
ten abgelaufen sein.
Es ist gewiss, dass Betiilen diese Schvrierigkeiten mehr als ir-
' Paul Staneburgä Denkachrift im Stockholmer-Staataarchiv-Original.
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480 ' tilbJUSL BBXÜLBM UVD i>lJ£ St'HW£mäCUE UlI'liOHATJS. •
geud Jemand in Reclmang sog und auf ihre Beseitigung i\k\\i
erst jetet lunzaarbeiten begann. Er stand mit dem Patriarchen Cyrill
bereits seit Jahren in Verbindung, und schickte durch seine Ver-
mittlüDg seinen Gesandten nach Rnssland. Bei den Eosakenerfreate
sich der Patriarch einer unbedingten Autorität ; durch ihn arbei-
tete Bethlen an ihrer Gewinnung. BGt den Pforten-Residenten Eng-
lands, Frankreichs, IloUumls verhandelte er fortwährend ; sie on-
terstützteu rortwäbreiul seine Angelegenheiten und er die ihrigen,
und auch jetzt hatten Tkoldalagi, Donath ähnlich lautende In-
struktionen.
Die Verheissungon, welche Tholdalagi mitbrachte, machten
taue Entfaltung der diplomatischen Thatigkeit in noch grosserem
Massstabe wtlnschenswerth. Es wurde eben darüber berathschhigt,
wen Bethlen suRadsivil und wen er an die Pforte senden sollte, als
das Eintreffen zweier Ehrenden Diplomaten an seinem Hofe die
Frage löste.
Es waren dies zwei Franzosen : Mar([uis Karl Ysideus Tale-
rand und Jac. Rouselle, die Ende Feber in Fogaras anlaugt^^n, ^
mit Empfehlungsschreiben vom Herzog von Mantua, vom Fürsten
Rohan und von den in Venedig residirenden Gesandten versehen.
Zu der Zeit, als sie ankamen, kränkelte Bethlen bereits. Er war schon
seit längerer Zeit unpässlich, aber am 16. Feber hatte er «inen so
heftigen An&ll, dass man für seine Gesundheit emstlich besorgt
" £u sein begann. Der Paroxysmns liess allm&hlig, wenigstens zeii-
weilig nach, so dass er sich fähig fühlte, sie zu empfangen. I^e erste
Audienz machte auf ihn einen ausserordentlich guten Eindruck,
er wurde davon völlig elektriairt: seine alte Kraft schien noch ein-
mal zurückzukehren.
Und in der That, die beiden Franzosen schallten ihm manche
genussreiche Stunde. Ysideus war der Sprosse einer vornehmen
französischen Familie, ein schöner Mann von distinguirtem Betragen,
gewandt in der Conversation und ausser seiner Muttersprache der
italienischen und lateinischen m&chtig. Bonselle war ein vielgereister
Mann, hatte einen grossen Theil Europas gesehen, besass ein brillan-
tes-GedSchiniss, faseinirende Beredsamkeit und scharfes ürtheil,
) TOrOkmsgyarkori iUMnokmAnyUbr. II. 8. 112.
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QABUBL BSTHLSH TJMD ÜtK SCUWBOIÜt'BB J>IPL0IIAT1B. 481
WHr insbesondere mit den polnischen Verhältnissen yt-rtrani Heine
vertraulichen Enthüllungen, sein gewählter Vortrag gewannen ilie
Neigung des Fürsten, der sich in seiner rfesellschuft hörlist beliag-
licli fühlte. Dessenungeachtet gab er dem ersten Eindrucke nicht
nach, ging er bedächtig zu Werke Dinge von solcher Wichtigkeit
wollte er nur bewährten I.<euten anvertrauen. Er unterhielt sich viel
Hud eingehend mit ihm und erkundigte sich nach den russischen und
polnischen Angelegenheiten, nach den tttrkisehen Verhaltnissen,
welche dieser sieben Jahre hindurch studiert hatte, ünd als er die
Überzeugung gewonnen hatte, dass er es mit einem ernsten und Ter-
lässlichen Manne zu thun habe, beschloss er ihn zum Leiter der diplo-
matischen Aktion zu machen, jedoch so, dass Kornel Hagai die
IWhrung der Verhandlungen mit der Pforte in seiner llaud behalte
und das.s Strassburg die Verordnungen und Instruktion» ii ausfertige.
Dieselben wurden am 2. März an den Sultan, an den Tataren-
chan, an die Könige von Frankreich, Enghind, Dänemark, an die
niederländische Bepublik, an die helvetischen Protestanten, an den
Rath von Venedig, an die Herzoge von Savoyen, Mantua, Oranieu
auch fertig. Und weil Bethlens Krankheit bereits Grqnd zu Besorg-
nissen gab, und die Ärzte keine Hoffiiung zu seiner Herstellung
hatten, Hess Strassburg Rouselle sich eidlich verpflichten, dass er
die Interessen des Schwedenkölligs in aller Welt mit allen ihm zu
Gebote stehenden Kräften fördern werde/
Der Fürst sandte mit den Franzosen Sigmund Mikes an die
Pforte, und diese kamen am 4. April dort an. Um dieselbe Zeit
trafen über Ofen auch andere (jresaadte bei der Pforte ein, und in
der zweiten Hälfte des April waren hier bereits abenteuerliche Ge-
rüchte in Umlauf ; BeÜilen sind 15,000 Tataren zugetheilt, ein
Heer von 13,000 soll Polen angreifen. Wenn Ferdinand BetUen
angreift, eilen diesem die Saschas Bosniens und der unterworfenen
Läudertheile zur Hilfe. * Die Gerüchte waren verfrüht, sie kanieu
aber in ihren Verliandlungen dennoch vorwärts, und nachdem
sie die ganze Angelegenheit ihrem Wunsche gemäss wolil hesorgt
hatten, verlieüdeu sie Ende Juli Konstautinopel, reisten jedoch nicht,
' Sfrapsburg« ohon anf^ofiihrtf Donkschritt.
' Kuefttteiufi Beriebt im Archiv der Universitäte-Bibliothek.
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482 UABUBIi B£1IILE^ VKD IIE 6CHWB0I6CUB OIPLOIUIIB.
BethleiiH Anorcliiung j^'eiuüss, nach Kiisslaud, sondern naeli Hol-
land. ' Dass aber ilu.s Emlrcsiiliat jeiien llolliiiiiigcii nicht Put"
H]>rai-]i, zu welclieii man sich nach deu Autezedeiiti»'!! bertchti^^
glauben konnte, haite semen Grund in der hinrällig gewurdenea
Gesundheit Beihleus, in der zunehmenden Hoffnungslosigkeit sei*
nes Zustandes.
V.
Diese TerhängnissvoUe Krankheit war von grossem Einiiuss auf
die politische Aktion. Sie lähmte die Thätigkeit derDiplonuten de^
Fürsten und derjenigen, die das Zusammenwirken mit ihm in ihre
Kombinationen aufgenommen hatten, andererseits erliillte sie Ferdi-
nands Hot' und ungarliindiHeli*' Part*M^;iu!j;er mit lloftiiungeii, Erwar-
tungen.* lustav Adolf hatte jedoch keine Ahnung hievon, und weil bis-
her alle seine Friedensversuclie an Sigmunds Halsstarrigkeit scheiter-
ten, legte er ein Gewi(;ht darauf, Betblen je eher in die Aktion hereia
zu ziehen. Er liess im Winter 1628 einen fisdirenden Diplomaten eine
Rundreise nach der Pforte und nach Siebenbürgen antreten.
Dies war Wolmar Fahrensbach, einer der gescheidtesten, aber
verderbtesten Abenteurer des dreissigjiihrigen Krieges. Einer lit-
thauisclum Adtdsfamilie entsprossen, fiel er KiOl in sehwcdisolu«
( iefangenschaft und verlebte mehrere dahre in diesem Lande. Ii<>>^-
gekauft, trat er in kurläudische Dienste, ging aber von dort zum
Schwedenkönig über. Gustav Adolf nahm ihn als einen tapfem
Krieger und thatigen, schlauen und gewandten Diplomaten got
an£ Da ihm aber seine Unbeständigkeit, ÜnTerlässlichkeit und sein
Eigennutz bekannt war, demzufolge er oft von beiden Parteien Geld
nahm und keiner von beiden diente, liess er ihn beobachten. Dies
merkend, wurde er (10 14) /.um Verrät her, eutfloli und trat in pol-
nische Dienste, blieb aber auch hier nicht Laug»', somlt'i n kt lirte
wieder zu Gustav Adolf zurück, der ihm verzieh. Diesmal hielt er
länger bei ihm aus und wurde am 15. Nov. 1028. in einer vertrau-
lichen Mission an verschiedene europäische Höfe geschickt.
Er ging am 1. Dez. in Gothaburg an Bord, von dort nach dem
Haag und Uber Boulogne nach Paris. Von hier ging sein Weg nach
> In „Gabriel Bethlens leiste Tage*'. (Budapesti S^mle. N. F. Bd.
YIl. S. 218. ff.) ist ihre Oesandacliaft ausfUhriich beschrieben.
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1 *
aABBIlL BKTULBM UKb DJB atUWBi*Ii»tUK VIVLOIUHE. 4t>3
dVüt", WO er am 17. i'eljt r eintrat". So Jaiin reistt* er über dit* Stliweix
iiat li Venedig, wo ihm eiu sehr freundlicher Empfang ZU Tlieil ward.
A.m 14. April weilte er in Spalato. Er wollte gradeswegB nach Sie-
beubOrgen, aber der Kaimakam liess ihn wissen, er habe strengen
Befeh], Jedermann anzuweisen, Torher beim Sascha Ton Ofen yor-
zusprechen. Das war denn aneh mit ihm der Fall, und er langte am
7. Mai in Üt'en an. Der Bascha eiuj>iing ihn freuiidseliaftlich und
drückte sein Heduuern darüber aus, dass er nicht zwei Monate frü-
her gekommen aei, in diesem Falle würde der diesjährige Feldzug
gegen Polen gerichtet worden sein. Erst auf diesem Umwege konnte
er Anfang Mai seinen Weg nach Siebenbürgen nehmen. '
Eben einige Tage Yor seiner Ankunft Terliess den Hof Beth-
lens Johann Kery, der Gesandte des Palatins, mit der Nachricht,
dass Bethlen, sobald er genese, zu den Waffen greifen werde, weil
er auf den juilnischen Thron asj)irire, und dass willucnd seiner Anwe-
senlieitaii seinem Hofe ein schwedischer (Gesandter eingetroiVen sei.'*
Er war nicht genau ])enachrichtigt. Falirensbach befand äich damals
noch unterwegs und traf dort erst am 15. Mai ein.
Bethlen empfing ihn im Beisein Strassburgs und nahm seine
Beglaubigungsscbreiben entgegen. Es war von der OflfeusiYe gegen
Polen die Bede ; Bethlen sagte : «der König m(")ge sich dessen erin-
nern, was ich ihm diesbezüglich durch Dreiling habe sagen lassen :
Se. Majestät ist in der Angelegenlie't plum))eo ])ede vorgegangen."
Die Werbung anl»elangend entschuhligte er si» h , wesshalb er
keine Reiterei habe schicken k(»nnen. Und auch Fahrensbach be-
fttätigte, dass durch den letzten Ausgleich ein grosser Theil der freien
Haidnken unter die Botmässigkeit des Kaisers gekommen sei und
dass auch die Oesinnungen gegen ihn eine grosse Veränderung er-
litten haben, so dass er ohne Wissen und Zustimmung der Pfortet
besonders jetzt nach dem Abfall des M(ddaner Woiwoden, den Krieg
zu beginnen ausser Stande sein würde. ' Er erwarte die Zustimmung,
uud sobald sie eiutn-tle, werde er ])e.stimmteu Bescheid geben. Wich-
tiger, als dies, war, dass Bethlen nicht zuliess, dass Fuhrensbach die
* Sein norichf an (iustav Adolf im Staatt^arcliiv zu Stockliolm,
* Ker^'s Boricbt iu l'rays i'rincipiitus Uabr. Bt thl» n. II. lOö.
■ Von «liescm Gesinnuiigswechöel der Siebeubiirger »chreibt auch Kery :
denelbe hatte Jedoch kaum einen andern Grund, als Bethlena Kmakheit.
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4S4
UABKIEL BmUini UMb DUt Bt'UWKl>JbCS£ DIPLOMAT».
für ditrpolmscheu Edelleute mitgebrachten Briefe au ihreu Bestim*
muugsort gelangen lasse. Unter solchen UmstSiiden fand dieser &
uoth wendig, die begonnene Unterhandlung bei der Pforte fortan-
sttzen und bittet um l 'bersendung der hiezu errorderliclieu Mit(»d -
(icdd uud Vnllinaclit. Er l)liel) bis nach dem 8. Juui bei dem Fürsten,
welcher sich (gerade in diesen Tagen nach Mühlbacli zum Landtag
begab, und verliess, nachdem er den Major Wit/.leben mit Instruc-
tionen an den König zurückgeschickt, auch selbst Siebenbürgen,
seinen Weg nach Stambul nehmend.
Es scheint, dass er sieh weder selbst wohl befunden, noch
Vertrauen einzuflössen vermocht habe. Die langwierige und schwere
Krankheit hatte die Kräfte Bethlens bereits viel zu sehr gebrochen,
als dass ihu dieser i» seine Pläne, Absichten hätte einweihen kön-
nen : er sah nur m(dir die Inline des jrrossen Mannes. Dies ist d^-r
(irund, dass sowohl Keiy als Fahrenabach zur Überzeugung kamen,
dass Bethlen seine Popularität einzubüääeu anfange. Die alU'n
Feinde des Fürsten hoben ihr Haupt in d('nisell)en Masse höher
empor, iu welchem er mit seiner schwindenden Kraft weniger im
Stande war, sie zu Paaren zu treiben und die Zllgel fest in den
Händen zu halten. Dies verhinderte ihn, Bethlens noch immer mäch-
tigen Einfluss bei der Pforte seinem yoUen Gewichte nach würdigen
zu können, darum misst er demselben eine so untergeordnete Rolle
bei. Vielleicht aber auch darum, weil er als Abenteurer es mit der
Wahrheit nicht genau nahm. Er wollte die Sachen in der Weise
darstellen, dass das Verdienst der voraussiclitlicdien Erfolge bei der
Pforte zum grossen Theile auf «eine Keclmung falle.
Dies mag auch der Grund davon gewesen sein, dass er sich
mit Strassbnxg entzweite und diesen bei der FOrstin der Art an-
schwärzte, dass dieselbe einen wahrhaftigen Anklagebrief gegen
Strassbuig an ihren königlichen Schwager sandte. Aber sobald er
abgegangen war, kamen seine Verleumdungen zu Tage und Katha-
rina nahm ihre Anklage in einer feierlichen Erklärung zurÖck.'
Dass er verleumdft habe, wurde bald auch in anderer Weise
offenbar. £r veräpielte eine grosse iSunune ihm anvertrauten Geldes
' Katharina» Brief vom 6. Sept. au Gustav Adolf, im schwedischen
Staatsarchiv.
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GABRIEL BETIILEN UND 1»IE SCHWKni.HCHB DIPLOMATIE.' 48.^
und flüchtete sich zum Kaiser hinüber, wo ( tustav Ailolf.s Lelirlinge
fremidliche Aufiiahme zu finden pflegten. Als eolcher erhielt auch er
eine Verwendung. Aber sein Übertritt war aneh jetzt kein Tollständi-
ger : er hielt seine Verbindungen mit den Schweden anfrecht und
machte diesen Tertranliche Mittheilungen. Darflber ertappt, wurde er
in Regensburg verhaftet und zum Tode verurtheilt. Seine Gemahlin
wirkte ihm Begnadigung aus, doch dieselbe kam zu spät au. Als
sich nemlich Fahrenshach, von Soldaten umgeben, dem Kichtplatze
näherte, wollte er sich mit wahnsinniger Verwegenheit durch die
Menge dorchhauen und fing, seine Httter bei Seite stossend und
dem Einen das Gewehr entreissend, zu laufen an, wurde aber yon
den Soldaten eingeholt und niedergesabelt ; — in demselben Momente
langte das Begnadigungssehreiben auf dem Bichtplatze an.
VI
Rouselle bereitete bei der Pforte Alles gehörig vor, und die
erste greifbare Folge davon war, dass der Moldauer Wojwode Ber-
uavski im Muiiat Juli durch den Buscha von Bosiiieu von nciucui
Stuhle entfernt und an .'seine stelle der Wojwode Alexand»r ein-
gesetzt wurde. Auch Bethlens Truppen, mit denen er ül)er die
Theiss ^hen sollte, sttinden in Bereif si haft ; bei Szolnok aber er-
wartete ein türkisches Heer den Marschbefehl gegen Folek ^ Die
freund«chaftliehe Haltung der Pforte gegenüber dem Schweden-
könig wird, — meinte Strassbnrg — auf die erfolgreiche Durch-
führung der mit den Polen begonnenen Friedensunterhandluugeu von
Eintiuss sein, denn die erschrokenen Polen — glaubte er — werden
in der Frage der Abtretung Freussens und Livlauds nachgiebiger
werden. Auch ohnedies sei in Polen bereits eine mächtige Partei
gebildet und im Falle der Erledigung des Thrones werden die Nach-
barstaaten darauf bedacht sein, dass denselben Jemand erhalte, auf
dessen Freundschaft sie bauen dfirfeu. '
Es hatte den Anschein, dass der Erfolg dieser diplomatischen
Aetion auch durch die in den europäischen Angelegenheiten ein*
' StiaHslfUrgs vorliliifi-^er Bericht im sc-hwoiUBchen Süiat«aichiv. Vgl.
„Osbriel Hethlens letzte iHgc.'- (Budapesti Szeiule Nr. 7. VII. S. 251)
* Strasgburgä SchluBsbericbt. Ebd.
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48*> GABRIRt nSTIILEN Uin> HIB SCIIWBniMIIR UmAMltK.
getret*;neii IxMlciilsaiiu'n W'ciulinvjr^Mi g<'.si( liert \v<'h1<mi würde. I)a>
TOm Kaisf^r am Mllrz 1G2!> erlassene ,odictum restitiitioiiis*' öffnete
auch denjenigen die Augen, die bisher nicht einsehen wollten, wontnf
das Absehn des spanischen Systems in Wirklichkeit gerichtet m.
Der am 22. Mai unterfertigte Friede tob LflT^eek seMed dm
Dancnk»*nii<i: an.*« dem Verhande der Union, Hess aber aneli die SMle
des Oberfeldherrn unbesetzt, welche er ausznfnllen unveriiiögenJ
war, und welche bisher eben seinetwegen keinem anderen, befäliig-
teren anverlraut werden konnte. Wer sein Nachfolger auf dem
Oberfeldhermposten sein werde, darüber konnte kein Zweifei mehr
sein, als Wallenstein im Frühling 1629 Amheim nach Frenssen, in
des Poleuk5nigs Dienste sandte, wo dann die kaiserlichen ond
königlieh schwedischen Trupj>en einander bereits gigenöber
standen : das war das Vorspiel des späteren grossen Kampfes.
Eben den Augenblick, wo der Kaiser und der «Schnet könig*
einander gegenüber standen, hatte Bethlen immer herbeigeselint,
und als dadnrch, dass die Friedensverhandlungen zwischen GustsT
Adolf und Sigmund ernstlich in Angriff genommen wurden, nur schon
ein Scliritt bis dahin war, dass der Kriegsschauplatz zwischen den
beiden Mächten nach Deutschland verlegt werde : befand .sich 1 Wil-
len nicht mehr in der Verfassung, Theilnehmer am Kampfe werden
zu können. £r war nicht mehr in Stande, sich an die bpitae seine^i
Heeres zu stellen.
Bei Bethlen begann, infolge des langwierigen and angreifen-
den Leidens, neben dem Niedergang der körperlichen, auch die intel-
lektaelle Kraft zu schwinden. * Die Krankheit gewann die Ober*
liand über ihn und er sah es auch seihst ein, dass lUr ihn das Ein-
treten in die Aktion eine T"nmr)gliciikeit sei. Er fühlte, dass alle «lie
Pläne, die er mit solcher Hingebung gehegt hatte, an seine Person
geknüpft seien, und dass nach seinem Ableben Alles das, was er
von der Zukunft gehofft hatte, in Rauch und Dunst aufgehen weide.
Aber er fühlte auch, dass selbst ein Theil seiner Schöpfungen wanke:
es war ausbedungen, dass die sieben Komitate, welche ihm der
Nikolsburger Friede zugesprochen hatte, nach seinem Tode zurück-
fallen sollen. »Sein eventueller Nachfolger, wenn er seine Politik
* StniMbargA Donkschrift im Sfockholmer'ArchiT.
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OABRIF.L BETHLEN TND MK S( IIW EI'ISCHB DirLOMATIK. 4^7
X
- befolgen will i'^t gonnthi«^t dort zu begiiuieii, wo or l>f>g(>iii)Cii hatte>
Zu seinem Nachfolger aber war seine Gemahlin noch bei seinen
Lebzeiten ge^^hlt und durch die Pforte bestätigt worden. Er hätte
gewünscht, dass ihr wenigstens das von ihm Erworbene erhalten
bliebe.
Er berieth sieb in dieser Angelegenheit mit Strassbnrg und
beschloss die nSthigen Sehritte zu thnn, dass die sieben Komitate
definitiv zu Siol)enbürgen geschlagen werden. ' Tn VerWiiidimg
hiemit aber wollte er Alles tlor Art einrichten, dass er, falls sein
Tod früher einträte, als er hoft'te, Alles iu gehöriger Ordnung /.u-
rQcklaasen könnte.
Am 31. August begann er seinen letzten Willen zn schreiben
nnd l)eschlo8S an die Pforte einen Botschafter zu schicken. Mit die-
ser Würde bekleidete er Georg Apafi, dessen Hauptaufgabe die
Erledigung der Frage der sieben Komitate war. Gleichzeitig wollte
er für seinen Plan auch dieTerlasslichsten ungarlSndiscben Grossen
gewinnen, und berief dieselben zu einer Berathnng nach Gross-
wardein, wohin er sich auch selbst begab.
Strassbnrg, welcher einsah, dass sein längeres Vorl)leiben an
<ler Seite des Sterlx-ndeu keinen Zweck habf\ bat nra die Erlaubniss
zur Heimkehr, liethlen erhob keinen Einspruch und auch Katharina,
welche sich überzeugt hatte, dass er von Fahrensbach schnöde ver-
leumdet worden war, sandte am 6. Sept. an ilu'en Schwager ein
warmes Empfehlungsschreiben voraus. ' So trat Strassbnrg am 15.
September seine Heimreise an, aber dnrch die gegnerischen Lander
konnte er nur langsam vorwärts kommen. Am 22. November traf
er in Riga ein. Aucb hier mnsste er sich längere Zeit aufhalten
und konnte nur auf Umwegen weiter reisen. Anfang Januar 1630
gelangte er nach Upsala, von wo er seinem Herrscher durch Salvins
Xfichrichton sandt«*. Nachher begab er sich auch selbst zn ihm hin,
un<i erstattete miuulHcli und scliriftlieh Bericht. Damals war Heth-
leu schon längst nicht molir unter den Lebenden, und auch in
Siebenbürgen selbst waren uamhaite Veränderungen vorgegangen.
' Die von Str;iH"»burg oiugoroichton Punkte im schwediHuheu ^^taiitü'
Archiv.
' Original im gchwedischen Rttatd- Archiv.
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488 I)ENKBEr»B AUF WILUA31 ^TEPHliM ATklNSOK.
Strassblirg spricht in s('in( r D<^jik.selmt't von Itethl« !! im Tone
dt'r höclisteu Anerkennung uuil Verehrung. Er hatte während sei-
nes langwierigen Verkehres mit ihm seine guten Eigenschaften,
5<eine Thatkraft, seinen festen Charakter nud seine staatsmännische
Weisheit kennen gelernt. Da er die Yerhältnifise ans der Nahe sah
und allm&hlich in einen grossen Theil seiner FiSxie eingeweiht
wurde, war er in seiner Auffiissnng billiger, anerkennender, als
Diejenigen, die bloss nach den Erfolgen oder nach dem Schein lu^
theilten. Er wurde aber zugleich mit seiner ganzen Unigebimg, mit
Meinen Tlofleuten bekannt und gelangte durch diese in deu Besitz
vieler werthvollen Daten. Auch der Fürst selbst würdigte ihn des
ausserordentlichen Vertrauens, dass er ihm seine Memoiren mit-
theilte, und er beschloss, auf Grund dieser und der anderweit ge-
wonnenen Daten, seine G^ehiehte zu sehreiben und zu verSifent-
lichen. «Ohne Parteilichkeit, mit historischer Wahrheit wollte er
sie schreiben; er wollte der Naohkomroenschaft den zwar edel-
geborenen, aber armen Privaten vor Augen führen, der, sich über
die Wandelbarkoit des (ilückes hiiiweghebeud, ohne Verwandten-
bülfe. Intriguen, Protektion und Pnpnlaritiitshascherei, aus niedri-
g(Mn Loose zur höchsten Stufe des Ruhmes und der Würde empor-
stieg, was in der Tluit seit .Tal irhunderten nicht geschehen war.*
Ob er dieses Werk habe drucken lassen, wissen wir nicht.
Dass er es aber geschrieben habe, beweist das erhaltene BmchstQck
desselben. Die Historische Commission unserer Akademie wird so-
wohl nach diesem Werke, als auch nach Bethlens Commentarien
forschen las'ien. Sollte diese Forschung von Erfolg gekrdnt werden,
so würde dies kein alltäglicher Gewinn ftir unsere Geschichtsfor-
schung sein. Ar.EXANDER ÖZIUGYI.
DENKim^E AUF WILLIAM ÖTEPHEJIi ATKINSON.
VoK Dr. THEODOR DÜKA.*
Geehrte Akademie l Noch nie empfond ich tiefer den Mangel an
Kraft, als indem ich von der geehrten Akademie der Wissenschaften
* Oelesen in der r!(>s:iniiiit8iteuug der ungarischeu Akademie der
Wistteodc haften am 30. Mai lääl.
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DBNEBBDI IUP WILLUM 8TIPBBS ATKBMOK. 481^
(leu ehreinv »'ithen Aul'tnig erhielt, icli luÖge eine Denkretle uut ein
ver^torbeues Mitglied balteu, desseu Nameu und Thütigkeit wohl
Mehrere, den aber persöulich, wenn ich nicht irre, ausser mix nie-
mand kannte. Auch mein Verhältniss zu ihm war nur ein entferntes ;
nichtsdestoweniger will ich dem mich ehrenden Aufrufe gehorchen,
obwohl ich mir der Unfähigkeit, dem Gegenstande vollkommen zu
' entsprechen, bewusst bin. Ich thue dies nicht blos der ehrerbieti-
tjeu Gefühle halber, welche jeder, der mit dem verstorbenen Ge-
lehrten verkehrte, gehegt hat, Huudern weil es mir auch eine ange-
nehme (ielegenheit bietet, die Krinnertmgen jenes Welttheiles
wach zu rufen, mit dem die ))estoii Jalire meines Lebens, beinahe
durch ein \'iertel-Jahrhundert hindurch verknüpft waren, und an
den mich noch immer so viele Interessen und das liebe Andenken
so vieler Gefahren fesseln. Die Erfahrung lehrt im menschlichen
Leben oft, dass der Glanz des Resultates die wirkungsvollen und
emsten Bestrebun^n des menschHehen Ringens nur seiton mit
schön»'ii Krt'olgon knhit. Die Erreichun«^ jenes Kreises, aus dessen
S|diiin' der Lorbeer der Unsterblichkeit winkt, pflegt nicht jedes
ringende Genie mit seinem i)eneidenswerthen Kranze zu zieren.
Die Kraft bricht vielleicht an der Schwelle des Zielpunktes, oder
das Leben erir»8cht bevor der nach Gutem und Eldlem strebende
Sterbliche die Schwelle des Tempels der ewigen Fama erreicht
Aus diesen Gesichtepunkten, geehrte Akademie, mQssen wir
das Leben Atkinson^s betrachten; wir mfissen jene einseinen Re«
snltate des rastlosen Streben« des Verblichenen sammeln, die er in
seiner Stellung aufzuweisen hatte, und welche, wenn auch keine
bewun«lernswürdige ( iliui/punkte, doch d:is redliehe Wirken einer
edlen Öeele und den eutaprecUeudeu Nutzen seiner Lebensaufgabe
klar zeigen.
William Stephen Atkinson wurde im September des Jahres
1820 in Chesterton, Distrikt Suffolk, in England geboren, wo sein
Vater Thomas anglikanischer Pfarrer war. Den Klementar-Unter-
richt genoss er im vaterlichen Hause, und da er der Erstgeborene
war, wurde viel auf seine Ausbildung verwendet. Früh entwickelte
^ieh in ihm die Liebe zu den Xiiturwissenselialteii und diese Nei-
gung wurde noch stärker, als sein Vater in die benachbarte Uu-
geiej Diöcese, in die Umgebung der ausgebreiteten Canuock-
UagMfMk* atme. IMl. VI. Heft. 32
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490
nniRSKOB AW mUAAM 4TBPREX ATKINWir.
Chane-er Kohleu-BiM-^werk« venetet wurde. Hier rerbraehte der
junge Atkinson die ^^orcrenlosen Jahre seiner Jugend, und hier
legte pr jon»* SehiiK'ttf^rliiig-Saminluii^^ an, welche später so gross-
artij^ wiirrl«'. in<l»Mu sie micli die Tiiieina-Kiasse enthielt, welch»*
ilim imter einem anderen Himmelsstrich einen interessanten (ie-
geustand zur P^orschung bot.
Unter der Aufsicht und Leitung seiner Eltern verbracht«?
Atkinson auch seine Jttnglingsjabre, bis er im 19. Lebensjahre als
Akademiker ins Trinity-Gollege der Cambridger ünirersitSt auf-
genommen wurde und hier wegen seines ausdauernden Fleisses
ein Stipendium bekam und drei Jahre spftter 1843, auf Grund der
Schlu.s.s}>rütiingeu als Wrangler (mit Auszeichnun<r) des mathema-
•tischen Tripos' »gewürdigt wurde. Nach dif'ser t-rloli^reiclien 13een-
diginiff seiner Üniver.sitäts-Laufhahn blieb er iiocli einige Zeit in
Cambridge als Correpetitor. Später kam er nach London und
wollte sich zum Ingenieur ausbilden. Während des Aufenthalt<*s in
der Hauptstadt erhielt er einen Antrag aus Ost-Indien, die Di-
rection des La Martini^re-CoUegrinms in Calcutta zu übernehmen.
Hierauf reiste er im November 1854 nach seinem neuen Bestim-
mungsort gegen Bengalien; im Juli des n&chsten Jahres wurde er
• Mitglied der dortigen Asiatic-Societj und einige Monate sp&ter
zeichnete ihn diese gelehrte ^Tesellschaft dadurch ans, dass sie ihn.
als Arthur Grote abdankte, zu ihrem Secretär wählte. Der Freund-
lichkeit dieses eben «genannten ehrenwerthen Mitgliedes verdanke
ich es, dass ich die zu erwähnenden Daten benützen konnte.
Vom Anfang des Jahres 185.*) bis Ende 1874, also ungefähr
zwanzig Jahre wirkte unser Terstorbener College in Ost-Indien
und zwar auf dem schönen aber schwierigen Gebiete der Erzie-
hung. Die ersten fOiif Jahre yerbrachte er als Direktor des La Mar-
tini^re-Collegiums in der Hauptstadt des Reiches, in Calcutta, die
letzten f(infzehn Jahre auf einem viel glänzenderen Posten als
Oljer-Direktor — ich möchte sagen Minister des bengalischen Lu-
terrichts-Wesens.
Jenes überseeische Kiesen-Reieh (iross- Britanniens, dessen
Bewegungen nicht nur die Besorgniss seiner Herrscher, sondern
das aUgemeine Interesse der ganzen Welt wachrufen können, um-
&8st heute schon mehr als anderthalb Millionen englischer Meilen
OBKKXBDiS IVF WJIXUV STRPHEK ATKINSOK. 491
mit einer BeTÖlkeruii^ von übfr 250 Millionen, welche Menschen-
Masse »Inrch ein lliiuHein (kunni ir)(»,0OU) Europäer, also durch
ein freiQiles Element regiert und beeiiiflusst wird.
Es iat dies eine einzige Erseheinang in der Weltgesehichte,
die am besten beweist, dass in der Gestaltung der Staats-Verh<-
ni.'^sp nicht innner die zahlreiche Nation, sondern vielmehr ein gut
dnrclulachtcs und mit grosser (leschickiichkeit geleitett-s h'pgie-
rungs-System die Massen anzieht und selbst dort ein friedfertiges
Element schalt, wo vordem durch Jahrhunderte dauernde Kämpfe
and Kriege gewfithet haben.
In dem so einti^erichteteii Staate ist jedes zur Kegierungs-
Kaste gehörende Individuum ein Fact4)r, mit dem zu rechnen ist,
und seine Wirkung ist in einem solchen Masse eingreifend, dass
man sich in anderen Ländern unter anderen Staats- Verhältnissen
kaam einen richtigen Begrift' darüber machen kann, üm also den
Wirkungskreis Atkinson^s des Näheren betrachten zu können,
mnss ich um die Nachsicht der geehrten Akademie bitten, indem
ich mich zu scheinbar weiterliegenden, aber fttr meinen Zweck
doch erforderlichen Bemerkungen genÖthigt sehe.
Ich erwähute die Hochschule La Martini^re, an der Atkinson
seine ostindisehe Laufbahn begann* Dieses Institut hängt mit
einem Namen zusammen, der nicM nur im brittischen Reiehe, son-
dern auch in seiner französischen Heimath einigen Ruf hat; es ist
der Name des glückliehen Abenteurers und Sonderlings General
Claude Martin. Er spielte zu jener Zeit eine Rolle, als die Macht
der Portugiesen in den östlichen Meeren durch die Franzosen ge-
brochen wurde, und diese letzteren einen Kampf auf Tod und Le-
ben gegen den immer steigenden Einfluss der Engländer führen
mussten. Martin wurde zu Lyon im Jahre 1735 geboren und
wurde englischer Kriegsgefangener, — gerade so wie einige Jahre
nachher der spätere schwedische König Bemadotte in der Schlacht
▼on Caddalor in Misore, wo die Franzosen die Verbündeten des
8ultans Tippu warcu, um 25. Juni 1785 als Feldwebel gefangen
genommen wurde. Auch Martin wurde als (Jemeiner mit seinem
Regiment nach Indien geschickt, trat aber nach Ubergabe der
Festung Pondichery im Jahre 1778 in englische Dienste, ayancirte
38»
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4ft5f nEXKREDE AÜP Wn^LIAM STEPimN ATKTNSON".
stiiirnniässig, bis er 179(i General wurde und im ersteu Jahre de«
jetzigen Jahrhundertes in Liickno starb.
Martin hatte sich, so wie andere europäische Abenteurer in
jener Zeit, in Ost-Indien ein riesiges Vermögen erworben; in den
letzten Jahren seines Lebens war er Kaufmann und versorgte den
König Ton Oude und andere indische und mohammedanische
<^erende Häuser und auch reiche Herren Indiens uiit europäischen,
l>esondHrs französischen Tjuxus-Artikelii. Das auf diese Art p^esani-
raelte Vermögen erschien vselbst im Osten als fabelhaft, denn ilic
Summe, die er zur rirlindung einer Hochschule spendete, betrug
sammt Zinsen eine Million in ßupi ; nach englischem Werthe wir
dies im Jahre 1832 mehr denn 100,000 Pfund Sterling. Dies war
aber nur ein geringer Theil seines immensen Vermögens. Zur Cha-
rakterisimng Martinas diene noch, dass er in der Stadt Lnckno
einen befestigten Palast bauen liess, in dem er mit seiner zahlrei-
chen Familie, welch«' nach Mohammedaner- Art eint^erichtet war,
durch mehrere Jahre in Luxus lebte. Da er eriahren hatte, da!<s ilcr
König von Luckno die Aneignung dieses grussartigen Baues plante,
so spielte er ihn derart ans, dass er in der Mitte des Palastes den
Plata für sein eigenes Grab bestimmte, wo er seinem Wunsche ge-
mäss auch begpraben wurde. Auf diese Weise erreichte er auch «ei-
nen Zweck, da wie man weiss, ein treuer Diener des Profeten, and
ein solcher war auch König Oude, sich in keinem Hause nieder-
lässt, in dem einmal ein todter Körper begraben wurde. Ein
Schriftsteller jener Zeit sagt, dass Ueneral Martin nach christliflu-ii
Begriiien ein unmoralisches Leben geführt hat ; in seiner Jugend
war er wohl römisch-katholisch, aber damals bekannte er sich xu
keinem Glauben. In seinem sonderlichen Testament, welches in
schlechtem .Englisch abgefasst ist, gibt er einige Voltaire^sehe Ge-
danken ttber die Lehren des Glaubens und dessen Priester mm
Besten. „Nachdem ich aber*, sagt er unter anderem ^auch die Leh-
ren anderer Religionen geprüft und auch diese ans so Ifteherfieben
Ceremonien l)t'stehejid gefunden habe, wie jene, in der ich erzogen
worden bin*, so kelirte er daher wenigstens dem Namen nach /um
(tlauben seiner Kindheit zurück, ohne seine Überzeugung und Le-
bensweise geändert zu haben. Da er sich aber, so sagt er, in Folge
seiner Studien ttberzeugtei dass alle Beligionen, die er kennti die
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DENKREDE AUF WILLIAM STEPHEN ATKINSON. 493
Baimherzigkeit gegen dit* Annen empl'elüeu, uud da er die Fehler
aeiiies Lebens in dieser Uiiinicht offen eingesteht : so verordnete eri
«Um ein Theil seines VennSgens zu ehnsfclichen Eriuehungs-
Zwecken Terwendet werde. In Folge dieees Testaments Ufiht eine
La Martiniero-Eniehnngsanstalt in seiner Geburtsstadt Lyon uud
zwei in Ost-Indien ; an das berOhmteste dieser Institute wurde At»
kiuson als Direktor berufen.
Im Jahre 1860 eröffnete .sich ihm ein grosserer Wirkungs-
kreis. Fünf Jahre ))lieb er in seinem ersten Amte an der Martinii're,
und waltete dessen mit solcher AusKeichnung, da^s der Gouverneur
▼on Bengalien ihn des höchsten Postens der Untenichts-Lauf bahn
würdigte. So wurde er als Direktor of Public Instmetion mit der
höchsten Leitung der Ersiehung als Ünterriehts-Minister betraut
Unter der Regierung Lord Pahnerston^s im Jahre 1854
wurde jenes wiehiage Ediet erlassen, auf Grund dessen die ostin-
dische Uegieriing in allen drei Gouvernements ihres Reiches, näm-
lich in Bengal, Madras und Hombay zuv Organisation des allge-
meinen Volks-Ünterrichtes angewiesen wurde. Ks wurde die Kr-
riehtung von drei Universitäten, von Hoch- und Mittelschuleii nach
europäischem Muster und der Beginn des Elementar-Unterrichtes
angeordnet.
Es ist dies ein riesiger Gedanke und noch riesiger ist dessen
Ausftdiranj^ durch ein fremdes, kleines Element, besonders wenn
wir in Betracht ziehen, dass die indische Gesellschaft im Allgemei-
nen, bescmders auch die Urentwicklung jenes Volkes ihren Ur-
sprung in der arisrJien Geniehule-i 'onstitution hat, und auch heute
noch in dieser seine nationale Entwickeluug fortsetzt.
Menü, der uralte Gesetzgeber, begründete vor dreitausend
Jahren jene einfnehe gesellschaftliche Einheit, welche Ton der indi*
sehen Kation pietätsyoll bewahrt, die Stfirme so vieler Jahrhun-
derte überdauern und in ihrem Chrnnde bis heute unversehrt beste*
heu konnte. Diese voiksthümliche Institution blüht be.sonder8 in
jenen Provinzen Hindostan'«, wo sie vom EinHuss des Islam frei
geblieben ist. Eijen weil dieser Organismus so einfach ist, konnte
er sich in seiner interessanten Echtheit erhalten. Einige Ähnlich-
keit hat mit ihm der russische Mir.
Auf den unübersehbaren reichen Ebenen Hindostan's seiht
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494 DENKBEDE AUF WILLIAM .STEPHeN ATKIN.<<OH.
der Waiuh^rer kleiinTc ntlcr ^rösst iv [»anniLrnn<pen in der Ferne,
welche meist au« den Palraenbauiuen üeus rt lif^iosu nud iudica,
mango mangifera und der borassus fiugelliformis bestehen : man
glaubt es waren öde Huiue, in Wirkliclikeit sind es aber schatten^
leiehe Baume, unter denen die einfachen Wohnungen der Bflrger
der indischen Gemeinde ein Schutzdach finden. Eine solche Colo-
nie ist ein £drnlein in dem Gemeinde-System Menu*s.
Die Nothwendigkeit der Entwickelung eines derartigen Sys-
tems unter dem tropiscben Klima sieht man leicht ein, wenn man
bedenkt, dass dort der Kanipt" des Mensehen mit den El«'in«'iiti n in
mancher Hezielninj:^ viel wichti^rer ist, als unter den nrudlicliereii
Breitegraden. Die glühende ►Sonne, welche in der heissen Jahres-
zeit von £nde März bis Anfang Juni unsere Uuudstage Ix i Wei-
tem übertrifft, sendet ihre Strahlen, und wenn die von Nord-Ost
kommeoden Monsun* Winde im Juni den Himmel nicht mit schwe-
rem Gew6)k bedecken würden, genügte die Hitze einiger Wochen im
Jnli oder gar August, um die Ernte, die Nahrungsmittel so vieler
Millionen zu vernichten, und es entstünde jene verheerende tro-
pische llungersuoth, von welcher die National-Oekonomen zu be-
haupten rtnran;j;en. dass sie im Osten, gerade wie die Pest und der
Krieg, ein natilriichcs i*ostiilat des WeU-Svstenis zur Verhinderung'
der Übervölkerung sei. Die gewöhnliche regnerische Jahreszeit
dauert von Juni bis Ende September und Uberschwemmt alsbald
die Ebenen. Der Verkehr in Unter-Bengalien geschieht zu dieser
Zeit meist durch Kühne; das Wasser erquickt die Pflanzenwelt
und befruchtet auch die in Gärten umgewandelten höheren Reis-
felder. Wenn daher der Landmann seine Saaten brach liegen Hesse,
so würde der Tiger und das Rhinoceros, sogar der wilde Elefant
dieselbe als seine Trheimath in Besitz iiehnion. Es ist also leidit
begreiflich, dass man die Elieneu Heugaliens nicht in Weiden oder
ausgedehnte englische Parks mnändern kann. W o sich der Mensch
niedergelassen hat» dort muss er bleiben und ohne Unterlass seine
Felder bebauen, — schon ans Öelbstwehr <^«'gen die wilden Thiene.
Die Verfassung der uralten, reinen Hindu-Gemeinden beruht
auf der Gesammtheit der Familien-H&upter ; diese entscheiden Über
die Rechtsfragen der Einwohner in den Pantschajat d. i. ans fünf
Friedensrichlem bestehenden CoUegien. Der Versammlungsort
uiyiii^cü Uy Google
vMmmim Avt wuaiam sibprih athssoh.
495
dieser Pant.schajat ist der kühl«' Si-liutteii eines grossen BuunicN in
der Haii|)tM(ra8se der ( ioiiieiiide, l)i<' Zeit der Versammlung^ ist der
Irühe Morgen oder eine .späte Abendstunde. Die Mitglieder der Ge-
meinde sind luisscbliesslich Landlente; einen Gutsbesitzer, nach
ocddenialischem Begriff, gibt es nieht ; wohl aber Vermittler zwi-
schen der Regierang und Ffirsprecher des Volkes bei dieser, die
Mandaten, die die Interessen des Volkes yerÜieidigen. Da man
durch den Landbau allein jeden Bedarf der Gemeinde nicht decken
kann, so werden auch Handwerker, Religionsdiener und Lehrer als
ergänzender Thcil dieser demokratischen Republik autgenommen.
Heim Eingänge der <M'meinde. welche wie so viele Dörfer
unseres Tieflands, aus einer Hau)»tstrasse besteht, l)eHn(let sich
auf einem kleineu Hügel die Werkstätte des Tiipfers; hier betreil)t
der Töpfer der Gemeinde von Geschlecht auf Geschlecht sein Hand-
werk ; hinter den Hutten sehen wir unter blühenden Baumalleen
die oinÜMshen Webegeräthe, derart dass sich oft mit der Farbe des
bunten Gewebes der Wohlgeruch der herab&Uenden Blumen
mengt. Auf der anderen Seite der Gasse formt der Kupferschmied
sein Erz in Form einer Schate oder yon Tellern, und wenn es auch
einen Silbersehmied im Dorfe gibt, so verfertigt er für ilie reit-he-
reii Familien die theueren Schmncksaeben. Am KmU' des Durfes
steht der Tempel der Gemeinde mit stinem Pyramidal-Thurme,
dessen Zinne die dreizackige Gabel V' ischnu^s ^iert ; neben dem
Tempel befindet sich auch der Teich der (Gemeinde, dessen Ober-
iliche meist die breiten Lotus-Blätter und Blüthen bedecken. Hie-
her kommen die Weiber der Gemeinde in den Nachmittagsstunden,
ihre Gefisse su füllen, die sie dann, zwei bis drei an der Zahl, auf
dem Kopte nach Hause tragen : gegen Abend treibt der Mann die
Kuli und das Zugthier nach Hause, die Webe-Maschinen werJen in
Ordnung gel)ra( lit, die \\ erkslätten feiern, die Thiiren der Hiiusi r
werden verschlossen: die Dämmerung d;iuert in den tropischen Ge-
genden nur einige Minuteji. und den liusteren Abend erhellt das
Licht des einfachen ()hltiegel8. Nach dem Nachtmahl werden die
heroischen Lieder des Mahabrata oder Ramayana gesungen, bis
endlich alles stille ist und nur die wohlbekannte Stimme des Nacht-
wäehters Temommen wird, znm Zeugniss dessen, dass auch dielier
treue Diener des Dorfes das von seinen V&tern geerbte Amt pflicht'-
L^iyiii^uü Uy Google
496 D£NKK£ü£ AUF WILUAM STEPHXN ATHNSON.
I
getreu erfüllt. Beim Soimenautgiing wÜHclit nicli jeder Hindu, wo
möglich im Wasser des Gauga oder eines andereu heiligeuiötromes»
betet seine Mantra's zu den achützenden Hausgöttem und setii
seine gestern unterbrochene Arbeit fort.
So lebt das einfBche indische Volk in seinem alteonstitatio-
nellen Dorfe, an dem weder die gegenseitige Fehde, noch die dureh
Jahrhunderte dauernde Fremdherrschaft eine empfindliche Veran- |
deriing verursachen konnte. Die (Tlückseligkeit des Volke.s besteht
im Keize seiner einfar lien und sparsamen Lebensweise : die C^icllc
seiner nationalen Cultux sind die heroischen Lieder seiner ui*aheu
Religion, deren strenge Regeln zu beachten und dieselben pflicht-
getreu zu erfüllen, die einzige Aufgabe des guten Hindu in diesem
Leben ist ; er findet im Ramayana und Mahabrata in ganzer Voll-
kommenheit all das, was nach seinem Begriffe Literatnr, Kunst,
OiTilisation in sich sehliesst. Unter solchen Einflüssen erstarkte
jene hundert und aber hundert Millionen zählende Menschen-
fauiilie, von der ein neuerer englischer (lescbiehtsHchreiber. abwei-
chend von Lord Macaulay sagt, dass wir, alle Umstände in Hj-trai ht
gezogen, mit Hecht fragen können, ob es wohl auf dieser Erde
einen zuTOrkommenderen und intelligenteren Volksstamm als die
'Bewohner Ost-Indiena gebe? «Der Hindu ist heiter, nachgiebig,
gesellig und meist liebenswfirdig ; unter sich behandeln sie ihre Kin-
der mit ausgezeichneter Liebe, — mit yieUeicht libertriebener
Nachsicht ; sie bezeugen tiefe Ehrftircht gegen ihre Eltern und die
Greise: die Wohlthätigkeit und d;is Erbarmen ist ein strenges •le-
bot ihres (ilaul)ens; unter einaniler sind sie aufriobtig, in ihrer
Beschäftigung Heissig und in Sachen des Glaubens — wenn sie
nicht ein besonderer Grund zum blinden Eifer verleitet — tole-
rant* (Meadows Taylor.) Die englische Regierung griff daher zur
Lösung keiner geringen Aufgabe, als sie dem durch so riele Jahr-
hunderte entwickelten und noch heute hunderte von Millionen um-
fiMsenden alten, wohl nicht genug praktischen, jedoch in sich
selbst VüllstäJidigen nationalen Leben, die tieniden Tiinzipien der
westlichen Cnltur und Erziehung, wenn auch ]iicht si lmurstrak.s
entgegen, so doch zur Seite stellte. Eine sehr schöne, jedoch riesige
Aufgabe, besonders dort, wo man mit vierzig Millionen üanatischex
Mohammedaner rechnen muss.
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DENKKBDE AU7 WILLUM SIEPHRN AXKU^N. 497
i
Bengaliens Regierungsbezirk m if fsst 2()0,000 englische Q
Meilen, die Sinwohnerzahl betrug im Jahre 1860| als Atkinson die
Ober-Direktion des Unterrichtes Obemalun, 40 Millionen. Unter
der Aufsicht der Regierung standen damals 826 kleinere und grös-
sere Anstalten mit 50,714 Bchfllem. Als jedoch Atkinson nach
♦iint/cliiijähriu^eni Wirken 7.n Anfang des Jahres 1875 in seine Hei-
math zurückkehrte, finden wir seinen Wirkungskreis verzeliutaeht ;
die Zahl der Hehulen wuchs auf 17,940, die der »Scliiiler auf
517,000 : jedoch mus.s zugestanden werden, dsiss die Volkssiähluug
vonlJ^74 in Bengalien fiinfundsechzig Millionen Einwohner aus-
wies. Ich fühle es, dass ich die Geduld meiner geehi-ten Zuhörer
allzusehr missbrauchen würde, wenn ich die diesbezüglichen Daten
und den mir selbst so interessanten Gedankengang noch weiter
fortsetsen wollte, obwohl ich nicht bezweifle, dass die Volkserzie-
hnnp, welchen Welttheil sie auch betreffe, im Schoosse dieser »^e-
lelirten Akademie — schon des Vergleiclis halher — immer das
_ wärmste Int4M'esse erregen kann ; anderseits fühle ich al)er auch, dass
OS nur meine Aufgabe ist, den Wirkungskreis unseres verblichenen
Mitgliedes zu zeichueu, damit sein Andenken iu desto hellerem
Lichte erscheine.
Betrachten wir nun die Thätigkeit Atkinson^s auf dem Ge-
biete der wissenschaftlichen Forschung. Als er im Jahre 1855 in
Galcutta landete, machte die ihn umgebende reiche Fauna des tro-
pischen Klimans einen bezaubernden Eindruck auf sein empfängli-
ches Gemftth : mit der Hilfe und dem Rathe seines Fi'enndes Arthur
(?r()te l)e(il)iicli(ete er tleissig die stufenweise I niitmlerung und Ent-
wickelung mehrerer ( iattunircn Küfer : in diesen Studien leistett-n
ihm jene jugendHclieu Erfaliruugen einen grossen Dienst, welche
er sich aui' diesem Gebiete schon in England augeeignet hatte. Mr.
8iainton war dazumal in England die grosse Autorität in diesem
Zweige der Naturwissenschaften. Atkinson machte ihm Mitthei-
Inng über jene interessanten Entdeckungen, welche er bei Be-
obachtung der Tineina-Elasse gemacht; eine schwere Aufgabe,
welche bis zu dieser Zeit in Ost-Indien niemand studirte, und es
scheint, das» er (1er Erste war, der die Exemplare der Mikrolepi-
dopteren, näuilicii di»* von der Lithocolletis Bauhiniae Species nach
Europa sandte, weicht; auch you Mr. Stainton beschrieben und
L^iyiii^uü Uy Google
496 • OEXKBEDX AUF WILUAM STi'PHEN ATKINSON.
publicirt wunleii/ Dadurcli wurde .\tkiri«oii zum Mitgliede der
£iitomoIogical Society of London gewühlt. £r seb.te seine Lieb-
Hngsstudien mit grossem Eifer fort, Aber deren Umfang wir niu
aas den Berichten Stainion*8 übersengen können, der 25 neae
Species Ton der Klasse der indischen Mikrolepidopteren beschreibt
und bestimmt, welche alle Atkinaon eingesendet hatte. Eine dieser
Gattungen fi liielt den XcimüU Atkiii.soiiia ( ■lilerodendronella. ^
Mr. Stainton legte auch eine dritte Arbeit der Entomological
Society vor,^ in welcher er neun neue Gattungen aus dem Genas
der Gracilaria bestimmte, von denen vier Atkinson verschaffl hatte.
Zeller * nennt in seiner Abhandlung : «Monograph of the Cram-
bidae* ebenfiills fHnf Species, welche aus der Sunmlung Atkinson*!
.staininleii, niinilieh : 8eirpopha<^a AuriHua. Scirpophaga gilviber-
bis, Sclioenobius puuctellus, ISchoejiübius minutellus und Calamo-
tropha Atkinsonii.
Es ist zu bemerken, dass alle diese kleinen Nachtiaiter
welche Atkinson mit so grosser Sorgfalt nach England gesandt, an-
ter seiner Aufeicht heranwuchsen ; er selbst beobachtete und be-
schrieb ihre Larren. Die Schwierigkeiten dieses Vorganges wQr-
digte Mr. Stainton selbst in einem Briefe yom 11. Juli 1856, in
dem er sagt : .,B8 ist äusserst .schwer mit den kleineren Tineinen
nmziigeln'n. weil unsere Finger, die Werkzeuge und sonstigen
(legenstände in der feuchten Hit/e nass werden ; wir wissen, dass
man in Bengalien ohne Pnnka (Fächer) kaum athmeu kann; man
kann sich demnach leicht denken, wie schwer es ist, diese kleinen
Insekten, welche nicht grösser sind als die Nepticulen, auf Nadehi
zu stechen; es wird daher Niemand Wur.der nehmen, wenn ich
sage, dass es mir hier in England überhaupt unmöglich war, die
kleine Pbvlloenistis und aiuleie winzi<;kleiiK'ii Thiere aufzustechen.
Die ostindisrlien Tiiieinen sind aber noch viel kleiner, als die
europäischen, wa» auö'alleud ist, weuu wir bedenken, dass die
' TranMactions Entouiologicai bociet^ ot Ijondon (New Öeries) vol.
Hl. pag. 301. l?55<i.
■ Trans. Knt'niiol- ."^oc. ol London (New Series) Vol V. p. III. iN'»^
■ Tran»?. Kutoinol. Soc. of Lonilon (:)-rd Seriei*) Vol. I. P. p. 291.
tit seq, 1862.
* Chilonidanm et OmmbidiiruiB Genera et Spectes. Zeller. ld9S.
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DBNKKEDE AUE WILLIAM STEPHEN ATKINSOS.
490
Pflanzenwelt, auf der .1i» sr Nuclitfalter dort yegetiren, viel üppif^er
ist und die ostindischeu Tages-Lepidopteien an Grösse die der
gemässigten Zone wirklich übertreffen."
Seine kurzen Herbstfeiien verbrachte Atkinson meist in der
Gregend von Galcntia mit entomologischen Exciirsen. Im Jahre
18H0 bpsuclite er zum orstenmalf am östliclu'U Iliiiinlayu die 7000
Fuss hoch liegojule Station 1 )ariiliiiii:. zu d«'rc'ii Füssen die (iienz-
ströme h'augit und TisUi sich vereinigen und das l)ritische Ost-lu-
dien östlich von Bhutan, westlich Ton Nepal und nördlich von
Sikkim trennen. Sikkim lie^t an der <irenze Tibet's; sein Herr-
scher regiert auch über eine Provinz Tibet^s und bildet so einen
ergänzenden Theil Ghina^s.
Die Station Darjiliug im nordöstlichen Himalaja am Fusse
der mit ewigem Schnee l)edeckten, heinahe 30,000 Fuss hohen Ge-
hirgskette d«>s Kiuoiiiiijinga und Everest, ist der geehrten Akademie
kein unhekanter Ort. Ein edles (Tcfiilil der patriotischen i'ietiit wird
bei der Erwähnung Darjiliug's wach. Wenn wir das Andenken un-
serer Grossen von Zeit zu Zeit auch nur mit einem einfachen Seufzer
erwecken, so thut es nicht nur den Lebenden wohl, die Saiten der
Sympatiiie zu rühren, es muss auch dem Genius des Verstorbenen
wohl thun, wenn wir bezeugen, dass wir fortwährend nur mit Pie-
tät jenes entfernt liegenden Punktes gedenken, unter dessen Schol-
len l)einahe seit einem halben Jahrhunderte die (iebeiue unseres
Csoma ruhen!
Atkinson verdankt den grüssteii Theil seiner untomologi-
ücheu tiammluugen seinen zeitweili^^en Excursionen in den östli-
chen Himalaja, in die Gegend von Darjiling ; liier bediente ex sich
einer sehr ein&chen Erfindung : er hielt in mondscheinlosen Nach-
ten eine brennende Lampe vor einen weisslinnenen Vorhang : die
Nachtfalter und die ganze Schaar fliegender Tnsekten zogen zn dem
Liockmittel, und so bereicherte er mit immer neuen Speeies seine
Saninilnn<Ten. In diesen Arbeiten stand ihm seine geistreiche l''rau
hillreich zur Seite. In Begleitung des Regie rungs-Custos des bota-
nischen Gartens zu Calcutta. Dr. Thomas Ander^jon, unternahm er
eine Ezcursion in^s Innere des Sikkimer Kaja-Keiches, wo er inter-
essante Beobachtungen machte: er erwähnte derselben oft vor
seinen Freunden, aber leider sind seine damaligen Notizen noch
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I
1
I
500 DENK&EDE ALT WILLIAM STEPHEN ATKINSOV.
nicht vorgefunden worden; sie sind gewiss so interessant, wie je-
nes Tagebuch, welches er von seiner Kaschmerer Heise im Jahre
1874 führte. Von seiner Sikkimer Ezcursion haben wirbisjeict
nur den Nutzen, dass sie Atidnson befSUiigte, den von HonfieH
und Moore fttr^s Galcuttaer Museum verfertigten Catalog an meh-
reren Stellen wesentlich zu verbessern.
Im Jahre 18(i4 dankte Atkins;ün vom 8eki*etariat der A?ia-
tic Society ab und wurde Vice-Präsident und Trustee des .Indi-
aicheu Museum^s". Dem ostindischen Hegieruugs-Beamten lassen
seine amtlichen l'eschät'tigungen sehr wenig freie Zeit: diesem
Umstände und der abgesonderten Lage, in welcher der Fachge-
lehrte, entfernt von seinen Mitarbeitern und Büchern, leben mus?,
ist es zuzuschreiben, dass auch Atkinson an der Classificinuig und
Pnblication seiner reichen, interessanten Sammlungen
wurde. Er stand in steter Correspondenz mit Mr. Moore in London,
der aucli im Jahre 18*>r> drei S{iturni<len heschriel»,' welehe Atkin-
son gesammelt und zur l^osi lireil)ung nacli Hause geschickt hatt<'.
11. z. : Oricula drepanoides, Saturnia auna und Loepa Sikkimia.* In
der Zeitschrift der entomologischen Gesellschaft vom selben Jabie
finden wir noch eine neue Species von Atkinson, nämlich die Loepa
Miranda, ebenfitdls von Moore beschrieben.
Auch das britische Museum |>articipirte an seinen Sammlun-
gen; im Jahre 1865 und 1800 beschrieb Mr. F. Walker mehrere
von Atkinson eingesendete Pleteroeera Lepidoptrrt ii und jiuldifirte
dieselben in den Öupplementliet'ten dieser Jalne. Xr. iW -3*».
In Hewitson's ^Exotic butterflies*" sind folgende drei SSpecies Atkin-
son'^ beschrieben :
£rycinidae : Dodona dipoea. DaijiHng. III. Band. 1862 — 66.
^ . ( Hesperia phoenices. Daijiling.
üesperidae : | ^ Darjiling. IV. Band. 1867-71.
Im Jahre 1865 stattete Atkinson seiner Heimath einen kiu--
zen Hesuch ab und wurde mit Mr. Hewitson persönlich ))ekanDt,
der auch in seinem pusthumen Werke eine neue Specie» von Atkin-
" Froccedings Zoological Society of London, 1865. On lepidopteiow
Insects of Bengal. p. 755.
* TransactioDi Entomological 8odety of London. Seriee 8. vol. IL
p. 424. 1865.
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DKRKBRDK AV? WILLIAM flTEPHKN ATKINAOK. .^Ol
sou ho.si'hril')), niuiilicli tlif Myrinu f^ymini, Darjiliii;,', welclu» sieh
im Vlll. Theüp l^etiiulet uud abgehililot ist; wülu'eud zwei andere
Spftcies von den Hesperiden, nämlich die Hesperia oephala und .
Hesiteria Gyrata in den noch folgenden Theilen des Werkes hätte
beschrieben werden sollen. Aber auch Hewitson starb t Nachdem
jedoch seine cinsige Sammlnng, in welcher sich Ton Atkinson
zwölf neue Speeles der Rhopalocera befinden, in den Besits des
British Mnsenm gekommen ist, steht zn hoffen, dass wir die Be-
schreibung der uuch übrigen Gattungen von dort bekommen
worden.
Als Major Sladen von seiner Vunaner Mission zurückkehrt**,
über-^andte Atkinson der Londoner Zoological Society eine Abhand-
lung (welche Dr. Anderson 1871 vorlegte), in der er drei neue
Speeles der Tages-Lepidopteren beschrieb, welche Anderson im
Jahre 1878 gesammelt hatte. Die drei abgebildeten Speeles sind
die folgenden : Aemona lena, Zophoessa Andersonia, Plesioneora
liliana. Im Jahre 1873 reichte Atkinson dieser gelehrten Gesell-
schaft noch zwei Abhandhingen ein; in dereinen beschreibt und
bildet er eine ])rachtvolle Gattung der Schmetterlinge ab, welche
Dr. Lidderdale ihm ans Butan gesandt hatte.
Die dritte uud letzte Mittheilung, welche wir aus der Feder
Atkinson^s besitzen, erschien in der Zeitschrift der Zoological So-
ciety; zwei neue Schmetterlinge aus den Andamau-Inselu sind
dort besehrieben und abgebildet; n&mlich eine sehr schöne Species
der Papilio Mayo ans der Polymnestor Klasse und die Euploea
Andamensis.Hier beschrinkte er sich nur anf die einfiuhe Beschrei-
bung — obwohl niemand berechtigter war als er, seine Beobach-
tungen über die gen.iuere liestimnmng der einzelnen Species der
gelehrten Welt mitzntheilon.
Atkinson's anitlielie Wirksamkeit in Ost-Tndicn als Professor
nnd später als Ober-Studieu-Direktor 1{» iii^alien's — Director of
Public Institution of Bengal — habe ich den Umständen gemäss
ausfuhrlich genng erwähnt, iün erschöpfendes Zeugniss Uber die-
selbe legen jene alljährlichen Berichte ab, von denen jeder ein be-
sonderes Buch bildet Wir überzeugen uns ans denselben, dass die
Regierung sein Wirken guthiess nnd nnterstfltzte. Unsere Folge-
rung wird nicht unberechtigt sein, wenn wir ssgen, dass Atkinson
L^iyiii^cü Uy Google
nRNKBlDIt \Vf HirXfAU STIcPHEN ATKIMSM>K.
sownlil als ln'i*v(irni«;»'mU*r Stuats-HeiUiitcr Jiiit' dem (u'MetC tler
Vollvscr/ieliuni:;, als aneli als Fachtifelchrter nicht y.u (Icn alliägli-
clieu Taleuten gezälilt werden dart". VVeiin er mir Zeit gehabt hätte,
wenn der Tod ihn nicht so rasch würde abl)erufen haben, so hätte
er die Wissenschaft gewiss mit einem selbstständigen, auf seiner
riesifi(en Sstiimlung basirendeii Werke von bleibendem WertKe
bereichert
Zu Beginn des Jahres 1875 verliess er mit einem hingereii
Urlaub Indien und brachte seine «»ammtliclieii Sehmetterling-Sannu-
lungen mit sich, um, wenn er drei .lahre in England bleiben künnt- .
den riesigen Ötott' aufzuarbeiten, den er sich durch so viele Jahr»'
mit grossem Fleisse und vielen Opfern gesammelt hatte. Er kam
jedoch in schwachem Gesundheitszustände in seine Ueimath; seine
Ärxte und Freunde rietheu ihm daher, bevor er an seine mQhsame
Arbeit gehe, in der Winterzeit unter einem wärmeren Klima seine
Kr&fte zu sammeln. So entschloss er sieh, die kalte Jahreszeit in
Italien zuzubringen. Im Herbste besuchte er seinen Freund Artlmr
Grote, theilte ihm seinen Plan mit und benachrichtigte ihn vrui je-
nen Anordnungen, die er in Betreff seiner ^Sammlungen, die viele
Kisten umfassten, bereits iX»Mnacht hatte. Atkinson dachte unt fro-
her Lust an seine zukünftigen Pläne und erwähnte oft der grosj^eu
Freude, die ilim zu Theil werden würde, wenn er im nächsten
Frühjahre seine aus Ost-Indien gebrachten Schätze öffiien werde !
Leider sollte dieser beglQckende Wunsch des edlen Mannes nicht
in ErfBllung gehen.
Im Jamiar 187G erkrankte er in Kom und mich einigen
t|ualvoll('n Tagen miichte eiin> Lungen-Entzündung am IT), dieses
Monates seinem L('l)t'n im Alter von Til) Jahren <'in Ende. Seine
Laufbahn brach vor der Zeit al). bevor er die reifen i'rüchte seiner
grossen Wirksandxeit für die Nachwelt selbst zubereiten konnte.
Die mehrmals erwähnte reiche Schmetterling- und Insekten-
Sammlung, welche ungefähr 650 ^ ganz neue, und bisher unbe-
kannte Species umfasste, kam nach dem Tode Atkinson's in den
Besitz Mr. Hewitson^s und nach dessen bald erfolgtem Hinscheiden
' Im folgenden ITerhUtniBse : Bombyccs 200, — Hoctuae 90<^ —
Qeometcae 200, — fyfales 50.
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DWn»REr»K AtTF WirjJAH STEPHEN ATKINSON.
503
nach I)eiitsclilaii<l ; "'s isf jcdorli ln'türclitcii, clu.ss si«* in Kriiiuer-
liiinfU* gelaiigeu wird. Für die englischen Gelehrten ist ulso dieser
Scliat/. tiieilweise verloren, aber ps scheint, dass die bengalische
Asiatic Society ein ausftlhrliches Register der Samoilungen in
einem Bande zu drei Heften publiziren wird, zu dem die Einleitung
der gewesene Pi^sident der Society, Arthur Grote, dem ich wie
erahnt, die meisten hier vorgeführten Daten verdanke, bereits ge-
schrieben hat.
Atkiiisoii war von zarter Nahir und t'rliilltc mit svm|>a-
thischeui, wariiieiu Getühle .seine Pflichten als Gatte, Vater und
Fremitl. Iltihmeud erwähnte er oft der Auszeichnung, die iluu die
ungarische Akademie schon im Jahre 1863 zu Theil werden Hess.
Br beabsichtigte ihr bei seiner Ankunft in Europa durch seine
wissenschaftlichen Arbeiten auch persöhnlich seinen Dank abzu-
statten ; aber auch diese Hoffiiung wurde durch seinen Tod zu un-
8eieui gro.sseu \'erluste vereitelt.
Ich bin mit meiner Aufgabe zu Ende.
Ich wollte dem ehrenden Vertrauen der Akademie voll-
kommen entsprechen, jedoch genOgte meine Kraft nicht Mein
Bestreben ist jedoch vielleicht nicht ganz ohne Erfolg geblieben ;
wollte «ich doch die Akademie nur piet&tsvoll jenem Genius nä«*
hem, den wir tlieihveise auch den unserigen nennen können. Ob-
wohl Atkinsoii persiiiilieli dieser iHustreu ( Jesellscluitt uiilx'kannt
war, .*?ü möge er nun in ihrem AndeiiktMi turtleljen, so wie wir
wünschen, dass einst unser Name nicht fremd ^ei, wenn die künf-
tige Generation auf die geistigen Arbeiten einer vergangenen Zeit
dankbar zurückblicken wi^
Friede seiner Asche !
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f>A.S l'NüARlSCHE INTERKItHTSWESKN.
DAS UNGARISCHE UNTERRICHTSWESEN
IN DER r. HÄLFTS DES XVIII. JAHBHCJNDERTa *
Nach zweihniulortjühri^rin Mutigen lliiiL^eii gegen die Macht
des Halbmondes und naoh l^eilcLjuiig der mit den Namen Tökrdy's
und Rak<)C/,y'.s verknüpften \N'in"en beginnt in Ungarn eine Epoche
äaflserlichcr Ruhe, ein Zeitalter der Sammlung und Erholung, eine
nothwendige Vorbereitung für künftigen materiellen und intellek-
tuellen Aufschwung, aber an und ftlr sich eine der schlimmsten Pha-
sen, die in dem Leben eines Volkes vorkommen können. Nicht
während der Aufregung des Kampfes, sondern während der nachfol-
genden Abspannung machen sich die naehtheiligen Folgen der flber-
niässigen Kraftvergeudung geltend. Welciien Schaden die nngliiek-
seligen N'erhältnisse des XVI. und XVII. .lahrhunderts anrichtfteii.
das lä.s.st sich in der ersten Hiilfte der auf sie folgenden De/cnnien
erkennen, besonders auf kulturellem (rebiete. Vom XVL und XVII.
Jahrhuuderti» kann Alad^Molnar mit Recht behaupten : « Vielleicht
nie hat man in Ungarn so viel für Bildung und Unterricht gethan,
als in dieser, seit dem Einbrüche der Tataren meist heimgesuchten
Zeit» inmitten des Elendes türkischer Eroberung und innerlicher
Kampfe.* Sobald aber fQr das aus tausend Wunden blutende Land
die so nothwendige Rnhe eintritt, zeigt sich im Schulwesen eine
mindere Uührii'keit. Ks ist das eine auch in d«'r nnj/arischen
Literaturgeschichte ül)el berüclitigto Ei)oclie , ilie VerHaclnmg
und Mangel an produktiver Kraft kennzeichnet. Soll man >ie
de^balb mit Stillschweigen übergehen y Nein ! Eine solche Ebbe
des geistigen Niveauos ist vom kulturhistorischen Gesichtspunkte
besonders beachtungswerth. Man kann einen spätern Aufschwang
nur dann gehörig würdigen, wenn man ihn mit den Zustünden
des VerfoUes vergleicht. Zur Beurtheilung des geistigen Lebens
aber dient die Geschichte deii Unterrichtswesens gewiss als ein
Docnment hervorragendster Wichtigkeit. Wir glauben daher
das am breitesten ungelegte Werk de.s allzu Irüh verschie-
* A közoktatds tört^net« Mogyarorszigon a XVI II. ss&zadbaii, irta
Molnir Alad&r, a m. t. akad^mia iev. tagja. L kötet CMi(ia a m. t. aka-
d^mia törtäneti bisotte^ga.
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DA?» ÜKUABIrfCHE rNTEllKKHr.SUESEN. 505
d«'ueu verdieiistvolleu Aladar MolnÄr, welches jene Gehclückte be-
handelt, einer etwas eingehenderen Besprechung untensiehen zu
sollen.
Moln^ hatte; freilich nicht die Absicht, sich auf das Schnl-
Wesen der Zeit des VerfSEilles zu beschränken. .Es ist unsere Anf-
pabe", so beginnt er, „die Geschit lite des vaterläudischen ünterrichts-
wrjst'iis im XVlIl. Jalirhiiiiderte vor/utra«jft'n, /u erziihlen, wie die
Xatiou nach der \\ rjao;uiig der Türken und Beendigung der laug-
wierigeu üürgerkriege und Freiheitskämpfe die Zeit des Friedens
aach auf dem Gebiete der Bildung zum Öchaifeu innerer Ordnung,
zur Empomfifnng ans der Zurückgebliebenheit ausnützte; ....
bekannt zu machen die durch Maria Theresia in Gang gesetzten
grossen Kiiltnrbewcgungen, die vielen Schöpfungen und die gross
angeleimt«» Organisation des Unterrichtswest'us, die so zu Stande
gebracht wurck' . , — Der Tod hat leider den Verfa.'^ser verhindert
den zweiten Theil seines Programmes auszuführen. Mit Rücksicht
hierauf wäre der von der historischen Commission der ungarischen
gelehrten Gesellschaft herausgegebene 1. Band ein Torso, da die
Beoiganisation des Unterrichtswesens unter der Regierungszeit der
E5uigin im zweiten Bande hätte folgen sollen. Aber als Beitrag
zur Gesehiehte eines scharf abgegränzten Zeitalters, sozusagen
jenes des Winterschlafes der Xation, hat auch die.ser erste Hand
das Gepräge eines selbststiindigeii und al>geschlossenen Werkes.
Ungefähr den dritten Theil des Buches nimmt eine austühr-
liche Darstellung des Humanisten- und des .Jesuifen-Unterriclits-
sjstems ein. Diese Partie ist ein gründlich geschriebenes und recht
interessantes Kapitel aus der allgemeinen Geschichte der Pädago-
gik, konnte auch nicht ganz wegbleiben, weil sowohl protestantische .
als auch katholische Schulen Ungarns in der ersten Hälfte des
X\'I11. .lahrlmuderts den EinHuss der Inuiiaiiistischen Pädagogen iler
lieforniationszeit erkennen lassen ; trotzdem hätten aber Aip icola,
Frasmust, Mf'kmrhton^ Sturm, Trotsendorf und die ^liatio atqne in"
' Muiio stttdiorwn Societatifi Jesu'' eine etwas knappere Behandlung
▼ertragen können. In fünf Abschnitten finden wir nach dieser um-
fangreichen Einleitung der Reihe nach beschrieben: die Unterrichts-
snstalten der Jesuiten in Ungarn, die Verfügungen der Staatsge-
walt bis 1740, «las Schulweseii der Protestanten, die Anstalten der
DiMfviKhe Bevae, 16a2. VI. Heft. 33
J
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%
S(K) 0A9 PMaft]U8cns uinrBBKic-UTswB!j«r.
Piaristfn und, iiM^inem kiirxeii AUiisise, Uas Unterrieht«we.sen .Sie-
beübürgens.
Anstatt uns un diesf* Ueihef'olgeii zu binden, wollen wir zuerst
die nur wenig fordernde Kinflnssnahme der Regierung und des
LandtogMt akizziren. Den Protestanten war dieselbe nicht nur
nicht förderlich, sondern geradezu ein Hindemiss. Der XXVI.
G. A. Ton 1681 gestattete nur in gewissen Städten, den sogenannten
Artiknlarorten, die Erhaltung protestantischer Schulen. Ein Erlam
LeopcHd's vom Jahre 1701 erlaubte in den von den Tllrken zurück-
eroberten Gebieten nur die Ausübung der katholischen Religion und
somit, nur katholische Schulen. 1710 nnd 1711 verfügten /.
und die Kaiserin Eleonora in Religions- und Unterrichtsangelegen-
lieiteu die Wiederherstellung der Zustände vor dem Ausbruche der
Tökölischen Wirren. Es war demnach nnmöglich neue protestan*
tische Schalen m errichten ; während der Revolutionszeit entstan-
dene wurden verfolgt und aufgehoben. In denjenigen Städten,
wo selbst nur ein Theil der Einwohnerschaft katholisch war, durf-
ten die Stadteinkftaifte nicht auf protestantische Schulzwecke ver-
wendet werden. Ja es war untersagt, Protestanten 7ai Schulzweckm
mit Abgaben zu l)elasten und deren Schulen erhielten sich blos durch
freiwillige Spenden.
Den katholischen Schulen Hess die Regierung schon einige
vaterliche Fürsorge augedeihen. Karl III. liebte die Wissenschaften
und suchte das Unterrichtswesen zu befördern. Auch religiöse In-
toleranz war ihm persönlich fremd, wie aus der huldvollen Behand-
lung erhellt, die er dem lutherischen Geistlichen und Pftdagogen
Mathias angedeihen liess.
Die ThStigkeit der LegiMive auf dem Gebiete des Unterrichts
war keine besonders rege, fehlte aber doch nicht ganz. Die Com-
misson des Krünungslandtagfs 1712 — 1715 brachte gleich im er-
sten Jahre die EiTichtung einer Hochschule in Vorschlag, was aber
nur Projekt blieb. 1714 richtete der Fürstprimas die Aufmerksamkeit
auf den Unterricht der Protestanten, doch nur um diese wegen
Nichteinhaltung des XXVI. G. A. 1681 zu denunzireu, was eine
neue königliche Verordnung zur Folge hatte, die die protestanti-
schen Schulen auf die Artikularorte beschränkte. Der XXX. 6. A.
von 1715 rief die sogenannte Pester Conmisaion ins Leben, deren
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l»A9 CKOABldCHB rNTKKKKHTSWEHFK.
507
Rerathun;j[fii erst IToM (Mi<li«j^t<'U und /.ui' Cdrolin lachen liesolution
führten, laut welcher Akafcholiken niedere TTnterrichtsaustalten biB
Sur Cvnimmatik inelasiye an Aridkalarorien frei errichten durften,
hinsichtlich der h5hem Anstalten aber verhalten wurden, um Pn*
?3eg und Erlaubniss des Königs nachsusnchen. Zu Letsterem wa*
ren seit i73-t auch die Katholiken verpflichtet, was aber nieht als
l'aritiit .luszulegen ist, denn Katholiken crhielteu die Erlaubnis»
immer leiehfc, Proteshiuteu selten und mit liurter Mühe.
Wichti«^ ist der 1. §. des G. A. 1715, LXXIV, welcher der
Krone das Aufsiehtsrecht über sämmtliche Stiftungen zu Unter-
riehtsaweeken einräumt.
EÜn direktes Bestreben, die ünterrichtszostftnde zu heben
zeigen die Stftnde 1722. In mehreren Adressen an die Krone behla»
mm sie den Verfall der Studien und die Nothwendigkeit, die Jüng-
liiigo wegen höherer AusläUUuig ins Ausland zu schicken und we-
isen .\[aii*^els einheimischer Kräfte ausländische Fachleute in im-
mer grösserem Masse zu verwenden ; sie wünschen eine bessere
Dotation der üniversitäteu, die Errichtung einer politischen Aka-
demie; sie raihen im folgenden Jahre, dass der zn errichtende
Statthaltereirath die adeligen Familien ewmge^ den Kindern eine
bessere Erziehung zu ertheilen, für die vielen Waisen in dieser
Beziehung Sorge trage, den jungen Leuten durch Herbeiziehung
zum öffentlichen Dienste und zu Hofe Gelegenheit gebe, sich prak-
tisch anszubihlen. Diese Vorstellungen und Wünsche fanden die
HilliguTig der Krone. Es ert^ing an die Stände die Auffonlerung,
iiinsichtlich der Austilhrungsniodali taten concrete Vorschläge zu
machen, was aber leider nie geschah.
Der erwähnte StatthdUereirM {UntemdUsccmmsgion, in ne-
gatio stndiorum) hatte sämmtliche XJnterrichtsangelegenheiten zn
besorgen. Carl III. verlangte am 7. März 1733 einen Bericht über
die Art und Weise, wie man am Besten die studia trivialia ordnen
kiinnt«». Trotz wiedorliolter Auttorderung unterblieb der erwartete
Bericht und so kam in Osterreicli die , Schulordnung * von 1735
zu Stande, ohne in Ungarn ein Analogou zu finden.
Wir wenden uns nun zur Scbilderang des eigentlichen Un-
ierrichtswesens. Die katholische Jugend war fast ausschliesslich den
Jaratten» in geringem Masse Fiaristen (Minoriten u. a. w.) aaver-
88*
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508
DAS ÜNOABISC'HE nrTEBRU HTSWESBN.
' traut. J)«'r Uiih'iTicht, den die protestuntiscln' Jiijjfeiul genoss,wir
sehr Hbniich, denn daH System der Jesuiten int denselben humsüt-
stischen Pädagogen des XVI. Jahrhunderts entlehnt, nach det»
Principien anch die Protestanten ihr Schnlwesen modelten. Di»
.Tosiiit*»n fanden die fertige nnabänderlicbe Norm in ihrer lUtip
atqn»' institntio. Wir i»;laul»*'ii uns «ler Kritik ülior Miiiitxel uinl
Vorzüge ihres Systems hier <Mitha1ten zu kiMineii. \u\<\ wollen nur
hervorheben, <lass Moliiar, obwohl Protestant, ein sehr ol^jective.»
und unparteiisches Urtheil fällt. Die Protestanten hatten ihre Pä-
dagogik schon im XVI. und XVII. Jahrhunderte yon deutsches
und holländischen TJniTersitäten heimgebracht, nnd hewahrtm
diese Traditionen auch in der Epoche, von welcher hier «U»
Rede ist.
Nicolaus Oluh berief die Jesuiten nach Ungarn, 1.561, .Stefan
BdfhOf'f/ nach Siebenbürgen, 1.579. Sie standen niiter dem ri>t'r-
reichischen Proviuzial, was ihnen hierzulande stets übel vermerkt
wurde. Im Jahre 1716 yersahensie 28 Gymnasien mit Lehrkräften:
sechs dieser Anstalten waren niitGonyictenTerbunden. Diese Zahlen
erhöhen sich bis zur Auflösung des Ordens auf 41 und 7. Zwei
XTniversitftten (Tyrnau und Kaschau), drei CoUegien (Ofen, Kltu-
senburg, Raab), ebenfalls in den Händen der .Tesniten, dienten nh
Hochschulen. Die Collegien unterschiedon sich von den Universi-
täten durch die geringere Anzahl der Lehrkräfte und Lehrgegen-
stände. Zur Heranbildung von Geistlichen wurde Theologie und
Philosophie auch an den Grosswardeiner, Raaber und Waimn
Gymnasien dosirt. Die eigentlichen Seminarien waren bis sur
Mitte des XVIIL Jahrhunderts fost ausschliesslich jesuitische
Lehranstalten. Eine grfissere Conenrren«, als auf diesem Oehiele.
leisteten die Piarist-en im (^ymnasialnntorrirlite, wovon weiter unten
ausffihrlicher die Rede sein soll. In Arnd und Mid'olrg finden wir
Miuoriten, in Papa und Segnia Pauliner-Gymuasien.
Bei den .Jesuiten ertheilte in je einer, manelunal auch i»
zweien der 4 untern Klassen ein Magister den Unterrichte £fl wur-
den oft auch Laien als Lehrkräfte verwendet. In den obem Klassen
unterrichteten Professoren. Wir finden folgende Klassen : infinia
grammatica (mit sswei Abtheilungen : Parristen und Prinzipisten),
media grammaticao,suprema granimaticac (wiederum zwei Abtheilun-
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DAS UNGABItlCiaS (/llT£ilBICiiI8WES£N. 509
gen), classis poetariim, rhetorices classis. Seit 1735 wurden in der
österreichiaehen Provinz, also auch in Ungarn nur solche ZögHnge
aufgenommen, die lateinisch lasen und schrieben. Es war demnach
nothig, an mehreren Orten Elemeiitarcurse zu organisiren, meist
mit weltlichen Lehrern. Die Ratio stuilioruni kennt bekanntlich
keinen besondem L('hrgegenstand der GeHchichte und sehreibt
gelegentlich eiuzuÜechteude historisclie Kenntnisse nur in den
zwei obersten Klassen vor. Trotzdem beflissen sich die Jesuiten in
Ungarn schon in den unteren Klassen, die Jugend mit den Bege-
benheiten der römischen und biblischen Geschichte bekannt zu ma*
chen. Das war aber nur eine geringe Goncession, die sie dem immer
lauter werdenden Verlangen des Piiblicums nach Fortschritt nuicli-
ten. Da sie an der Ratio studiorum. die für das XVI. Jahrhundert
pauste, unabänderlich fest hielten, ist es kein Wunder, dass man
an ihi-em Unterrichte mehrere Mängel fand ; wie z. B. die Vernach-
lässigung der Landessprache, des Griechischen und der Realien,
Einige Abhilfe brachte 1735 die yom Provinzial McUndes heraus-
gegebene jiInstmeHo priwUa sm tffpus mrsm avmiL^
Die JefPuiten verstanden es, durch Dedamationen, Disputa-
tionen und öffentliche Preisvertheilungen an die lernende Jugend
l>eim Pul)likum Interesse zu erregen. Sie Hessen häufig Theater-
stüeke aufführen. In Tyrnau waren zwei Theatergebäude, und allmo-
natlich fand eine Jugend Vorstellung statt. Die Stücke waren la-
teinisch oder auch ungarisch geschrieben und behandelten biblische
und moralische Themata, sowie auch die Siege Engens. Die Vor-
stellnngskosten bestritten oft hochgestellte Qönner, die sich gerne
als Zuschauer einfanden. Franz Rdkdczy IL unterhielt sich in
Kaschau o Stunden lang Itei «'iner derartigen Vorstellung. Manche
Stücke dauerten a)i 7 Stunden. Die Insiriietit» jirivata sebränkte
das Theaterwesen ein wenig ein und scIiaHte da.s Coatunie ab.
Die feine Behandliiug der Jugend, die Orilnuug und ilie Dis-
ciplin der Jesuitengymuasien zogen trotz des häufigen Wechsels
der Lehrkräfte die Zdglinge massenhaft herbei. Obwohl alle Stande
Tertreten waren, ist dennoch erwähneuswerth, dass die Mehrzahl
der Zöglinge aus Nichtacleligen bestand. Die Adeligen wurden in
den Convirtcn uiitergebra< lii. die unter <ler Leitung je »nnes Prä-
fekten standen, bei groä.ser Anzahl der Zöglinge auch eigene Lfehr-
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510 ' DAS U2iOAiUdCHE UFrESRIGUTSWEfiEN.
kräfte hesasson und durch n*cht }>pd(Mitende Fundatiouen erhalten
wurden. Häufig finden sich in den Jesuitengymnasien die Marim^
vereine zn andachtigen und asketischen Zwecken.
Di<' Tj/ninucr I uifcrsifät, von Pa/,inaii ^t'^riimlrt (l^i.).")), he-
sass autauju^s weder eiue juridisehe uoeh eine medizinische Fakultät,
erhielt demzufolge von Paläste aueli kein Univer»itätMprivilegiuni,
wohl aber von Ferdinand II. »Sell)stverwaltung und Jnrisdii tion.
Sie war den Jesuiten anirertraut ; der Kector (als Jesuit) hing daher
vom Pionncial und Genend ab. Ein hochgestellter Weltlicher be-
kleidete die Würde des judex academiae. Die drei Fakultäten :
Theologie, Philosophie und facultas lingvarum (d. h. Gymnasium)
bildeten drei einander untergeordnete Lehrstufen. Coordiuirt war
von l<i67 an eine juridische Fakultät. Es wirkten au der Üniver-
sit-ät der Hector, Kanzl«'r, Dekane und Professoren (2 für Theologie,
je einer für fixegesis, heilige Sprachen, Casuistik, controverse t^lau-
benslehre, ferner je elii Professor der drei philosophischen Jahr-
gängCi der Ethik und der Mathematik ; zusammen 11.) Der heil*
Thomas y. Aquino und Aristoteles galten als Hauptautoritäten. —
Die Zahl der Studenten betrug 1000—1200, wovon aber die Hälfte
aus Gymnasiasten bestand. Man wurde nach beendeter facultas
lingTaram Baccalaureat und am Ende des UiiiTersitätslnirses Ma-
gister der Philosophie oder Doktor der Theologie, indem mau eiue
öffentliche Disputation ))eätaud.
Die juridische Faeultät grflndeten die Primaten Lodsy und
Lippay. Ein Jestut mit 300 Gulden Besahluug trug Kirchenreeht
Tor. Ausserdem wirkten zwei oder drei yom Primas ernannte welt-
liche Professoren, die das heimische und römische Recht lehrten
und 300 — 500 Gulden jälirlit h »-rhielten. Hs gal> wenig Hörer der
Rechte, <lenn theoretische Rechtskenntuis.se anszuwoisen, war hei
keiner öffentlichen Lann)alin )iöthig, etwas Veruunttrecht wurde
auch im (jrymiia.siiun gelehrt, und den Verböczy studirte man durch
die Praxis ein. Die Hörer traten in den akademischen Verband
ohne festgesetiste Vorbildung und blieben, so lange sie Lust hatten*
Die Professoren dozirten, was ihnen zusagte. Sie wechselten meist
sehr häufig.
Wir wollen endlich erwähnen, duas an der TjTnauer üuiver-
PAS OHOABISCHI nNTIBBICHTSWlffiBr. Sil
sitftt 4 SetninariQD und 8 fromme Gesellsohaften bestanden. Sie
hatte seit 1644 eine eigene Drackerei.
Die Kasehauer ünhemtät war ähnlich organisirt, be-^tHtid
bis 1777 als alma universitas episeu}>itli.s, mit 15 — l(i Professoren
uiul 40<) - 5(10 Schülern, nnil zeichnete sich durch die Pflege iler
ungarischen Sprache aus. £s hen'schte hier mehr Askese als iu
Tyrnau.
Dies wäre in Kfirze der Zustand der jesuitischen Uuterrichts-
anstalten. Mit elementarem Unterricht befihssten sich die Jfinger
Loyolas auch in Ungarn sehr wenig. Wir sollten hier noch ihre
bedentenderen Pädagogen Revue passiren lassen, wenn sie deren
anfznweisen hätten. Da sie aber das Lehramt nur als gradus ad
majora betrachteten, überdies ihren Lelirplan (Ratio studiorum),
ihre Lehrbücher (Alvarius, Cyprian) ein für allemal festgesetzt
hiitten, bezeigten sie weder Lust, noch fanden sie Gelegenheit sich
auf schrittstellehschem Uebiete hervorzuthun. En versuchten sich
auf diesem nur Wenige. Wir begnügen uns zu erwähnen Fram
Kan^ den Historiker des L Jahrhunderts der Tymauer Universitilt,
und Andreas ßpaiigdr^ Verfasser mehrerer historischer Werke
(Magyar krdnika, Magyar könyvt^.)
Die Erziehung derjenigen katholischen Jünglinge, die keine
Jesuitenanstallt besuchten, lag, wie schon erwähnt, meisten theils
den Piftrist<»n ob. Diese wfiren aus zwei Ursachen beliebt. Sie leg-
ten, dem Geiste d»'s ( iri'inders ihres Ordens, Calasaiiz getreu, grosses
Gewicht auf den elementaren Unterricht, mit dem sich die Jesuiten
fast gar nicht befassteu; tenier trugen sie den Erfordernissen der
Zeit weit mehr Rechnung, als die durch eine unabänderliche Vor-
schrift, die Ratio, gebundenen Jesuiten, die etwaige Fortschritte
nur anf Umwegen einffthren konnten. Nachdem die Piaristen in
Polen weite Verbreitung gefunden hatten, kamen sie aus Podolin,
einer der XVI Zipser Städte zuerst (1660) nachPrivigye und brach-
tnn HS bis zum Ende der llegieruug KarFs III. jiut 18 Gymnasien.
Ohne Besitz, aut Stiftungen und die Unterstützung der Städte an-
gewiesen, wirkten sie an£uigs unter Entbehrungen mit dem Eifer
▼on Missionären. Sie waren um so willkommener, weil auf Dörfern
eine katholische Elementarschule höchst selten war. ja auch in
Städten manchmal fehlte und durch Hapslehrer abgeholfen werden
L^iyiii^uü Uy Google
512
DAS UVOAKISCIII ÜHTBBBICVTSWBSBVr
musst<». Drr C)nlt'n wurde 1715 rezijtirt und l«i]<lt't<». s(nt 172'» eine
eij^«*Tif* liiigarisihf l^mviiiz. Karl III., riii <ir»iiiu'r «Irr l'iariHtcii.
bestätigte 17;i3 uuter Viirl)«*halt königlicher Geiuhiuigung <la>
ihnen diircli päpstliches Breve ertbeüte Hecht höhere Anstalten
zu errichten.
Der Provinzial stand natürlich an der Spitze des gesammtcB
Unterrichte. An jeder Anstalt wirkte ein Rector und ein Prafeki
An Lehrkiüften war manchmal Mangel. Bis 1741 wurden theolo-
gische und philosophische Wandervortrilge gehalten. Man muflste
jungt' Leute zum Lehren hrranzielM'n, «Ii«' noeh iiieht die Philo-
•«'pliie ahsdlvirt hatten. Latein hiklete einen I >estandtheil sclion
des Lleinentaruiiterrichtes, der in 3 Klassen errheilt wurde (Lesrii,
Hclireihen, Kechueu). Das Gymuasium bestand aus 5 Klassen in
i) .lahrgängen. Ein zweijähriger philosophischer Cursus (mit Ma-
thematik und Physik) und das dreijährige Studium der Theologie
krönten das Lehrsystem der Piaristen, die im Ghrossen und Ganzen
Ton den Jesuiten nicht besonders abwichen.
Indem wir uns nun zum protestantiselieii Hclmlweseii wen-
den, müssen wir vor Allem bemerken, dass hier von einem einheit-
lichen, allgemein giltigen Lehrsystom. wie das der deMiiten keine
Kede sein kann. Es gab einzelne llauptanstalten, die sich selbstän-
dig eutwickelteu, und an die sich kleinere l)enachbarte Schulen an-
lehnten. Molnär's Werk gibt daher als Geschichte des protestan-
tischen Unterrichts eine Reihe Monographien lutherischer und
reformirter Gollegien. Junge Leute beider Gonfessionen besuchten
behufs höherer Studien ausländische TJniTersitäten und brachten
yerschiedene Systeme nach Hause. Manche waren vorher im Aus-
lande angestellt gewesen. l>a >ie durch <lie Hilfe bemittelter (iönner
in den Stand gesetzt wurden, Deutschland. England. Holland z".
besuchen, juussteu sie sich schriftlich veriillichten, ihre aussen cr-
worbenen Kenntnisse zu Hanse zu verwerlhen. Der rege Coutact
mit <lem Auslande hätte die protestantischen Anstalten zu höherer
Entwickelung bringen können; dem stand aber die Verfolgung
durch die Regierung und die katholische Geistlichkeit und die
Beschriinktheit der materiellen Mittel im Wege.
Nach dem Frieden yon Szathmär bestand nur noch ein ge*
ringer Theil der in den vorigen zwei Jahrhunderten gegründeten
DAS ÜN0A11I8CBB ÜNTBlIItlGIITSWSSBN. . 518
protestantischeii Schulen. Die lutherischen Hyiunasien waren TK>n
70 atif 10 horabgeschmolzen. Als Corapensation gah es in den
Hflilösscni einzelner vonielunor Herren Privatlateiiiscluilcn, an
tl«Mio7i aiu'li änut're Kinder Unterricht genossen. Die iil>riggel)lie-
heuen üüentlielien Schulen. Verfolgungen ausgesetzt, innssten iu
AVien Ageute]) halten, die bei Hole, oft auch bei prot4.'.stau tischen
Mächten znr Abwehr der Massregelungeu Schritte thaten und ein
Heidengeld kosteten.
Fast jede protestantische Gemeinde besass ihre Volksschule,
wo auch schon Latein gelehrt wurde. Wo sich ein Gymnasium be-
fand, bildete die Volkfpchule dessen erste Klasse. Die schola verua-
ciila war eine Miidehensehnle meist mit Lehrerinnen.
Düs lutherische Gymnasium Itestand aus 5, das ret'ormirte aus
6 — 7 Klassen. Die Hauptanstalten hatten auch höhere Kurse, liei
den Lutherischen gab es einen Uector, Conrector, Subrector f'iü* die
drei obersten Klassen, femer sogenannte Praeceptoren, bei den Ue-
formirten einen Rector und einen Professor und ausser ihnen
Togaten, d. h. ältere Studenten als Lehrer.
So sehr auch die einzelnen Anstalten ron einander abwichen,
bildete doch den T/elirgaiig des Oyninasinnis überall Grammatik,
Synt4ix, l*oetik, IJlietorik, Logik, Lektiire der Klassiker mit den
Hüllshiu-heni von Ktmienius und ErasniU'«;. etwa'^j tJrierlnseh, <ieo-
graphie, (M'scliiehte und Physik. Die höhern Kurse boten Philo-
sophie nnd Theologie, aber nur als Vorbereitung für den Besuch
ausländist^her Universitäten.
Wir können die obenerwähnten Monographien auch auszugs-
weise nicht reproduziren, so interessant und ereignissyoll sich auch
die Geschichte mancher hart verfolgten protestantischen Lehran-
stalt gestaltet. Die Hau]itsclnilen lutherischer Konfession waren in
Eperies, Pre^shur^ und ( )di'nl)urLC. Im Eperieser TNdlegium. das
170.") den .b*suiten altL(enom)neii wurde, uiikte als Dirt'etor .lohann
Hczik^ der in Tliorn stu(Urt und aucii als Professor eine Ötelle ge-
funden hatte. Er hinterliess ein dreil);indiges Maunscript, die
«Gymnasiologia'' oder (jreschichte der Gymnasien seiner Confession.
Nach ihm hatte die Schule viel zu leiden. Das Gebäude wurde
viermal confiscirt. Das Prembiirger Lycenm brachte Mathias Bü
zu hoher BHlthe, ISr studirte in Halle, wurde Erzieher im Hause
L^iyiii^uü Uy Google
514 DAS jnmmacBE vmaaicmwaBm*
Franke'ff^ unterrichh'te in desiseii verschiedenen Anstalten, ward
Reetor in liergeu uihI führte in Pressbiirg, wohin er 1714 berufen
wurde, den Frank e'schen Uealiamus ein. Er lieas sogar die fran-
zösische Sprache leliren. Bei hat als Gelehrter und Sehriftstfller
einen Namen hinterlassen. Nach fünfjähriger Lehrth&tagkeit wurde
er zum Pfarrer gewählt
Ausser den erwähnten 3 Lehranstalten gab es noch 8—9
lutherische Mittelschulen.
Oie Brennpunkte des SchtUwescns der liefonnirfen waren
Siiros-Patuk und Dehrezin. Das Srtros-PatakiT Collogiiini, gegrün-
det 1531 durch Perenyi's Mnnificenz. fand in Ueorg 1. llakoczy
und dessen < iemahlin Susanna Lorantfj hochherzige Gönner und
stand vier Jahre lang unter Arnos Oonienius' Leitung, der es zu
hoher Blüte beförderte. Ais die Anstalt den Jesuiten übergeben
wurde (1671), wanderten zwei Professoren mit den SehUlem hel-
vetischer Confession ins Edl nach Gyulafeherrar. Tököly vertrieb
die Jesuiten und eine Zeit lang gab es in Patak nur reformhrte
Studenten unter ihrem Senior ohne Professoren. Wieder verjagt
zogen die Studenten nach Göncz und dann nach Kaschau. Endlich
stallte der Rakdczy'sche General Orosz 1700 die reforinirte Schule
Patiik's wieder her. Mau wollte sie zwar auch später zu <nin>:ten
der Jesuiten confiszireu, und es ereignete sich, dass die zu diesem
Behufe entsendete Comitats-Deputation durch die Frauen von Pa-
tak mit Besenstielen verjagt wurde ; schliesslich blieb aber die An-
stalt doch unangefochten. Nun brachen aber Zwistigkeiten aus.
Der sehr gelehrte, jedoch unverti^liche Professor TiHsi (der Jan-
gere) haderte mit seinem Oollegen JFÜSelb* und, als dieser versetzt
wurde, mit dessen Nachfolger Nagi/mllMlyl. Die Studenten nahmen
Partei: es kam zu Schlägereien, Nagymihalyi wurde in seinem
Hause förmlich belagert. Nach 20-jährigein Hader musste endlich
der König durch Absetzung beider streitenden Professoren Ord-
nung schaffen.
In der besten Zeit des Collegiums, noch vor den Verfolgun-
gen, wiikten nie mehr als 3—4 Professoren mit Hilfe der Praeoep-
toren, d. h. des Collegiums absolvirter Studenten, die auf diese Art
1^2 Jahre den ProfSessoren an die Hand gingen, dann 2--3 Jahre
in einem kleinem Orte als Lohrer wirkten und endlich auslän-
DAS UNGARISCHE ÜNTERRICHTSWESEH.
515
dische Universität*^!! l)eMUchten, um sich /u Piofe.ssoreii oder Geiat-
lichen aiis/nhildon. Eh gab 3 Cur^e zu Patuk : Grammatik, Rheto-
rik und der höhere Lehrknra, wo Theologie, Jas, Geschichte, Logik,
Metsphysik, Ethik, Geometrie gelehrt warde. Das eigentliche Gym-
nasium bestand aus C Jahi'güugen, wie bei den Jesniten oder viel-
mehr wie in der Strassburgischen Anstalt Sturms. Man zahlte an •
1200 Schüler. Diejenigen Hörer des liöhern Curse«, die Wohltha-
teii Lr^nossen, hiesseu Tomaten (naeli ilircr Tmcht). Ihre Zahl be-
triiji all oUO, im Alter v<ui 17 bis zu :ir> Jahren. Flöchst riihnilich
ist die Sitteureinheit, die sie bewahrten. Die vielen Schüler konnten
in den Lehrsälen keinen genügenden Platz finden. Viele mussten
stehend oder liegend schreiben. Höchst merkwürdig ist das Self-
goTemement, das sich unter der Jagend S^ros-PataVs entwickelte.
Die Anstalt stand unter dem Protektor (gewöhnlich der Gutsherrn
Patak's), Curator und Consistorium. Der Coetus aber, der die Schul-
iiugelegeuheiteu regelte, bestand aus l^roteSHüi cu und fStudeuten :
ja erstere übten blos die Oberautsicht au«, die Verwaltung lag den
Schülern ob. Der Senior der Studenten führte die Finanzen, denn
den Stiftungen gemäss gehörte das Vermögen nicht der Anstalt,
sondern der Jugend, und von dieser erhielten die Professoren ihre
Gelwlter. Man wollte einmal diesem Zustande ein Ende machen ;
aber die Studenten ertrotzten sich durch offene EnpÖrnng ihre
alten Keehte. Ausser dem iSeiiior wählten die Studenten einen Con-
Tiasc-riba (Xotär), Provisor. Oekonomen u. s. w. und In Primarii,
di«* als primaria sedes das erste Forum in Schulangelegenluiten
bildeten. Das höhere I'orum, die amplissima sedes bestand aus Pro-
fessoren und Studenten. Der Bector präsidirte und der Gontra-
scriha fungirte als Schriftführer.
Das Debreiiner CoUegliiiiiy Ton Anfuig an eine stadtische
Schule, wurde durch die Fürsten Siebenbürgens öfter reiehlich be-
dacht und erwarb sich durcli gelehrte Professoren (K(unaromy
r'sipkes, Szila'gyi, Martonlalvy) bereits im XVII. .Tiilniuiiulerte
einen ehrenvollen Uut. Im XVlIl. verdankt«^ das C'oUegium viel dem
genialen Georg Marothy, «ler nach siebenjährigen ausländischen
Studien (in der Schweitz und Holland) 1738 als 23-jähriger junger
Mann berufen wurde und in sechs Jahren, bis ihn nähmlieh ein
frilhseiiiger Tod hinwegraffte, den Unterricht reorganisirte. Ma-
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516 • ' DAS tirOABlSCBB ÜSTIBBICHräWESBK.
rdthy schrieb eine aAritmeUcs vagy szamvetesuek mestenege'
1743, ftlr deren Gediegenheit und Popularität Zeuguiss liefert,
dfts8 man .sprichwörtlich zu sagen pflegte : »Ez bi/ony eiinyi Ma-
r<it1iy nrani sz»'riiit,* — dji.s macht so viel nach Marüthy. Eiu au-
•Ircr herilhmtt r Professor war Ötefau Hatvaui von 1749 au für
Physik und Geometrie.
Nach den Reformen Maröthy'ä bestand das (iymuasium, zu
welchem auch der Elementarunterricht gehörte, aus 7 Klasseo.
Hierauf folgte der 3-jahrige philosophische und endlich der eben-
falls dreijährige theologische Cursus.
Dieses Cone<^iuni war ein Internat. Die 3 — 400 Schfllerleb-
ten unter kasernennülssi^'er Zucht. Ärmere Schüler leist^'ten al>
Famulen den Hemitteltereu Dienste. Es gab Alumnisteu und solche,
^ die nur im CoUogium wohnten, für Kost selbst zu sorgen hatten
und Speisegesellschaften (quadrae) bildeten. Wir finden auch hier
den Senior, Gontrascriba, Oekonomen, ausserdem Yigilen, Janito-
ren, Apperitoreo. Sogenannte CoUationen waren wie die Akade-
mien bei den Jesuiten Selbstbildnngs- und Wiederholnngsrerane.
— Die Jugend bildete eine organisirte Feuerwehr.
Wir könnten noch an 15 kleinere reformirte <TyniiiHsien auf-
zählen, die sich theils nach dem Muster der zwei erwähnten, theils
ziemlicli unabhängig entwickelten. Wir glauben jedoch in keine
weitere Details eingehen zu sollen und beschränken uns auch hin-
sichtlich Siebenbürgens auf die blosse Erwähnung der sächsischen
Gymnasien (Hermannstadt, Kronstadt u. s. w.), der refbrmirten
(Enyed, Elausenburg, SsAely-UdTarhely) und der unitarischen
(Klau.senburg, Torda).
Das (iesanuntbild des uugari.schen Unterriclitswescns im
XVIJLI. Jahrhundert veranlasst Aladar Molnar zu t'olgeuder Ke-
flerion(S. 117):
«Dass wir uns der europäischen Givilisation nie yerschlossen,
dass im Westen kaum eine Enltonichtung oder Bewegung auf-
tauchte, die früher oder später nicht zu uns gelangt wäre : ist mt*
ser Olttck und unser Verdienst. Aber dass wir uns nie gonug bc-
8trel)en, bei uns zu Haus«> eine, wenn auch mit d»Mn europäischen
Fortschritte zusamiuenliängj'Ucb' uiul Schritt haltende, aber den-
noch selbststäudige nationale üildung zu entwickeln, und das« wir
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ÜNOAßlSCHE KIBCnENLIBPER I>E5i XTIII. JAUBHl'NnE&T>.
517
lins nichf angolcj^cn s»*iij licsson, ([or |)uliti.sch»'n )SL'lb.st8täudiglv<'it
die geistige »Selbstständigkeit) die selbstständige Uildung zu Grunde
zn legen : das ist unser grosses Unglfick and eine SOnde, die sich
in unserer Geschichte schon mehrmals gerächt hat.*
Wahr niid «gerecht ! Aber aus deiL Unterrichtszustäiideu der
ersteu Hälfte des XN'Ill. Jahrlmudert müssen wir noch eine andere
Bemerkung ableiten, die gerade dem Auslande gegenüber zur Zer-
iitrenung gewisser Vorurtheile betont werden muss. Türkenkriege
und innere Kämpfe vormochten nicht die Bildung auszurotten. Zur
Zeit als die Folgen der Terderblichen Verhältnisse zu Tage traten,
sehen wir die Nation um einen bedeutenden Schritt weiter zurück,
als die ^lüeklichorii westlichen Nationen , aber immerhin im
Vorwärtsschreiton begritt'en. ITiertür liefert der erste Band des lei-
der unvollendeten Molnar'.^chen Werkes einen auf unleugbaren
Thatsacheu «^et^rilndeten Beweis, der zur gerechten Beurtheilung
▼on Ungarns KuUnrßhigheit gewürdigt zu werden verdient
Db. Moritz Daryai.
UNGARISCHE KIRCHENLIEDER DES XVHI. JAHR-
IIINDEUTS.
Das uiifjari-if lie Kirchenlied erfreute «ch im vorigen .Talii liuu.liM te
einer regen I'llege. Nach <len grossen Küuipfen «los XV[. und XV IL
Jahrhundert-«, wclclie auch auf religitt>em Gebiete ausgefochten wui-len,
brachte der Szatlnnarer Friede (1711) «He erwünschte Huhe, und Katho-
liken, sowie Protestanten beeilten nicb die inneren Schäden, die der
religiSse Cultn^ erlitten hatte, wieder gut zu machen. Wieder ertönten
in den Kirchen die heiligen Lieder und dieser Zweig der Poesie war es,
der wahrend langer Zeit das nationale 6ei)räge trag, während überall
da«? fremde Element dominirend wtir. Weder die Lieder selbst, noch die
in die-^em Zeiträume erschienen^'n t]iooroti<elien Werke >ind voll>tündig
dureljfors. lit. Mielmel Hogisi« Ii lud <\c\\ d« !- Aufgabe unter/ogfU. die natio-
nalen Woi-ien nach (iebühr zu würdigen, welche seit dem Tode Gal»rl«l
Mätrav's keine Forscher gefunden hatten. In meinem akademischen An-
trittS' Vortrag hat er unter obigem Titel die diesbezüglichen Resultate
.-,18
rNGAUISCHE KUH HENLIEftEB DRü XVIII. JAHIlHrNr»EUTS'.
dargelegt, welche nnn im Druck ersi-liieneii * unil aus denen wir Fol-
gendes entnehmen.
Der Ldwen-Antheil der im vorigen Jahrbnnderte ert^cbtenenen
Qesangsbächer gehört den Protestanten. Mit grosser Hast beeilten sieb
dieselljen. die durch den Szathraarer Frieden gewöhrleisteten VortheUe
zu l>enut/f*n und trncliteten duicli dl»* Samniliin^en der Kin lieiigesänge
ihre (ieti»'uen /u.>;uumen/.uludten. Die l*re.s>en konnten kanm dem An-
dränge «^enütren. In Debrezin, KLnisenburg, Pre«sburg, Knjred, theilwei««
auch in Pest, Ofen, Kascliau und Waitzen ei i^chienen die meisten ; man«
che wurden sogar im Auslände gedmokt und in Ungarn verbreitet. Eine
ganze Reibe von ScbriftsteUem und Sammlern finden wir hier, anter
denen einige ancb sonst als Dichter wirkten. Szenezi Holnir Albert»
Benjamin Sztojri, Panl Rüdai, Stefan Losonczi, Georg Maröthi gaben die
meUt rerbreitesten heraus ; jedoeh ftlbrte der erster« in seinen Psalmen
die trnn7.").si><ehen Wei>en Claude Ooudimel's ein. welche dem uni,'ari-
.sclien Xiiturel niclit enNpr;u heu und so sehen wir, dass die-e Mii^ik
im fortwllhrenden Kampte ;j:egen den nationalen Rhytmus war. Trotz
der grossen Kru' iitl)ai keit zeigen diese Werke dennoch keinen Frot^^t hritt.
Je mehr sich die Gesänge von denen der Katholiken entfernten, desto
mehr verloren sie an nationalem GefBble und Inhalte and die fremde
' Musik, deutsche, fianzOsische, belgische, holländische und böhmische trat
in den Yordergrond. Die katholischen Gesänge hingegen bildeten immer
mehr das nationale lied aus, und ans dem langen Kampfe, den es mit dem
römisch-gregorianischen Gesansre zu besteKen hatte, ging es siefrreich
hervor. Wenn die Katholiken nueli weniger ])rodueirten, so Huden wir
dennoch, dass sie in deu wenigen (»esaugsbüchern den eelit ungarischen
Geist ausprägten. Allen voran geht die Lyra coelestis <les (ieorg Naray,
des begabten Dichters und Musikschriftstellera, in dessen Gesängen der
leichte populäre Rhythmus mit dem feierlich ernsten nngarischen so-
sammensobmilzt. Als Poet und Musikus ist auch Stefiin Dlyte bekannt
dessen Werk den grGssten Theil der Poalmen in alten nngarischen Qe*
fiängen erhalten hat, und berufen war den französischen Melodien Mol-
när^fl die Waage zu halten. Die meisten diödbezflglichen 'Werke jedoch
sind ohne Angabe des Verfassers erschienen ; in ihnen finden wir die
* Magyar cgyhäzi n^penekek a XVIIL szä.2adböl. Bogisich' IGhäfy'
Ul, Akademie 1881.
uiyiii^cü Uy Google
UKOAItlS« HB IIRCHIi»UED£fi VSB XVTJI. JAUliliÜNi>EUl'S. 519
sehönutea Marien- fiieder. welche bewegen, da^ die nationble Poesie nucb
hier Grosses gescliaffeii hat Aach Paul Abjtds und Flatus Verseghi, be*
rtthmte rHehter aas dem vorigen Jahrhanderti verfaßten kirchliche
Oesftnge Hammt Melodien. Gross ist die Anzahl deijenigea Lieder, die
in einzelnen KlOstem and Bibliotheken als Manaseripte anfbewahrt
werden, iind <lie der Verfasser noeh nicht durchfoi-Sc ht hat. Seltener
find jedoch die tlieoretischen Werke über die Kin henmusik ; Geor^^
Mardthy schrieb zwei nro-icliüren über den Vortrag der Psalmen und
ü]>er den Unterricht im Gelang. Ihm gebührt die Palme des Palin-
Ineehers. aber sonst sind die l)ei<len Werkchen ziemlich unbedeutend.
Verseghi pnblicirte nach Sulzer'tt Theorie der schönen Künste einige
Artikel flher Musik.
Wenn wir den Charakter des ongarisohen Kirchenliedes hestim-
men wollen, mttssen wir swisehen dem katholischen und protestanti-
schen scheiden. Beide Oonfessionen haben prachtvolle kernmagyarische
Kirchenlieder, web he wir bei analeren Nationen vergeben?» ^uchen. Der
Hauptcharacter des katholisciien (i(3sanges war immer Patriotismus und
innige Hingebung. Die katholische Kirche besang die Heiligen in schö-
nen Rhythmen, aber aach der Patriotismus, die ungarische Glorie zeigte
sich in den Hymnen zu £hren der ungarischen Heiligen. Unter allen
diesen Gesingen ragen die Marien-Lieder am meisten hervor, bilden die
Seheidewand, welche die Reformation gesogen hat Die Protestanten ver-
warfen den Caltns der Heiligen, deshalb fehlt in ihren KirchengesUngen
der patriotische Ton. Ihre Gesangsbttcher zerfallen in drei Thelle : festliche
Hymnen, aus den Psalmen gesi hüpfte Lobgesänge und Molnar'sche
Psalmen mit fraazösi.>cheu Melodien. Die beiden er>ten repriisentireii
den ungarischen National-Gesang, sind aber meist von den Katholiken
üliemommen. Die<'e hatten eine Jahrhunderte lange Überlieferung; die
Gesänge des Mittelalterä nach den Melodien des ungarischen Minen* und
Heldeagesaages enthielten ein gnt Stück nationalen Dichtens and Schaf- -
fena. Die Gesinge der angarischen Heiligen (Stefan, fimerich, Ladiskkus,
Elisabeth), der verschiedenen Feiertage and Ceremonien haben alle ihren
eigenen Charaktei*, welchen jedoch immer das nationale Element gemein
ist. Ja der Verfasser geht so weit, dass er Parallelen zieht zwischen den
.Melodien de> Volks- und Kin hcnliedes nnd lieweise bringt für die Iden-
tit.'it iiei>ell»en. l>as Kirchenlied liat im T'ngai i-rlit*n -»Hin fij^'enc- Vcr. -
maas und musikalische Bezeichnung; das gewöhnliche Metrum ist der Dac-
L^iyiii^uü Uy Google
>20
ZUB VBRQUICHBNDFir TIOPIE.
tylus, jedoch köiiunt auth nlt iler AniipJSäi vor, und tlurch Vcr.-climelmn.'
• lieber l>ei>len Metiii ent>iehen <lie ver.-chiedenen (J^. 12, rukte:
es gibt aber auch ungerade Takte. Die Perlen dieser ganzen iN>esie uml
Musik dind die 'l'üdtenlieder. weh he in grds^ci Anzahl bei beiden Con-
fetwionen vorbanden sind. Der Tod inaeht alle gleich, and so finden irir
Blieb hier dass die melancholischen Töne in ihrer farbenreichen Pruht
am Bande dee Grabes gleich erschallen nnd wehmütbig Abcchied neh-
men von denen, die in ihrem Leben Freude nnd Schmerz bei den
Tünen der nationaU-n liieder getülilt IuiIm u.
In der verdienstvollen Abhandlung sind die -cliunstt-n Lieder uul
Noten versehen dem Texte beigefügt und eingehend be>prü(-lieu.
ZI ß VEllULEICHENDEN.TROPIK.*
Die A])liandlung des Prof. Williem Per/, über die Tropen de-
Uuripides ist die Forlsetzung einer Seri(i von ."Studien, die der Verfav-er
mit seiTUM- StfSteiuati^irhcn Darstellung der P)oportions-Troi)m bei
ikphocles (Zeitschrift f.d.08terr. Gymn. 1B77. X. Heft) und der Troi/m
des Äesehfßm und Sophodes (Sprachwissenschaftticbe MittheflnogM.
heransg« durch die nng. Academie, XI V. Bd. 1878) begonnen bat
und die den Zweck haben, die Tropen der Dichtungen in efilturhistori'
srhrr U)id [tuet i srhrr Uiirhsi cht zu behandeln. J >er Verfasser ist Wil-
lens, wieer<las in den Schlussworten seiner Arbeit sagt, nuth da;? üi'ii:J<'
grieclüsche Drama, da.s Epos und die Lyrik, lerner die römische Po&sie,
sowie die ausgezeichnetsten poetischen Produkte der neuem Zeit ans dem
selben Gesichtspunkte zu bearbeiten und glaubt damit fernere Beiträge
mr Grundlegung einer vergleichenden Trcpik der Poesie zu liefern.
In der Einleitung bespricht er vor Allem den rhetorischen, gm-
matisehen und lexicographischen Standpunkt, nach welchen die Tropt>n
gewrdmlich behandelt werden, und na< hdeni er die rnätatthaftigk-^it
dieser Autra>sun<-r bervoi gt liolx n. spricht er seine Meinung dahin aii?.
dass die Tropen nur in cultur historischer uud poetischer Kücksicht be-
* Die Tropen des JCuripides rerglithen mit den Tropen dee Acsjnjl i
und Sophotkt» In cuUurhistorischer und jtoetisdier BüdksitM behandfU. Ein
Bei(rag eur ver^eiihenden Tropik der Poesie. Von Dr. Wilhelm Pect. A«
dfn Abhandinngen der nngar. Akademie der Wissenschaften« Bodapett, 1882.
Verlag der Akademie.
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SVH VFKIH.EK HEJ^1»EN TBOPIK. $tX
bandelt werden können, indem men nachzuweisen hat, in welchem Zu-
sammenhaage Zeitalter, Dichter nnd Tropen mit einander stehen, wel-
ches Licht die Tropen auf Zeitalter nnd Dichter werfen. Diesen Aue*
einandersetningen folgen mehrere Beiepitle ans Enripides znm Beweise
dessen, dsss die Proportionstropen (Oleiehniss, Allegorie nnd Metapher)
die Phantasie, die Synecdoche und Metonymie den Verstand (die An-
schauung und Hetiexion) zur Quelle ihres Entstehens haben. Nach eini-
gen Bemerkungen über die Behandlung des Stoffes wird der Unterschied
zwischen der Tropik der Poesie und der Tropikder Sprache hmorgeiho" '
ben ; als Begründer der letztem kann Brinkmann durch sein ansgezeioh-
netes Werk : IHeMekiph0irn.8Mien Über den Chut der modernen i^pra-
ehen t Bd, TkkrUlder der Sprache (Bonn. Marens 1878) betraohtetwer-
den. Znm Schlnss werden die Kategorien, welche bei der Behandlnng der
Tropen des Enripides gelVinden worden, zusammengesient. Sie sind die
folgenden : 1. Synecäoche : Der Mensch, die Religion, Mythologie, der
Krieg, das «taatliclie Leben, die Pferdezucht und das Pferderennen, die
Schiffahrt und die Natur mit folgenden kleineren Abtheiliingen : Die
Tbiere und die meteorologischen Erscheinungen. 2. Metonyntie : Der
Mensch, das menschliclie Thon nnd Treiben im AUgemeinen, die Bali-
gion, Mythologie, der Tanz, die Mnsik, die Webeknnst, der Krieg, das
staatliche Leben, die Pferdeancht nnd das Pferderennen, der Ackerbau,
Weinbau, die Sehifl&khrt nnd die Natur mit folgenden kleineren Abthei-
hingen : Das Waaser und die meteorologischen Ersebeinungen. 3. Pro-
parücnstropen : Der Mensch, das Haus, das menschliche Thun und
Treiben im Allgemeinen, die Religion, Mythologie, die Wettkämpfe,
der Tanz, Gesang, die Musik, Architektur, Malerei, Ar/neikuude, der
Krieg, das staatliche Leben, die Jagd, der Fischfang, die Pferdezucht
nnd das Pferderennen, die Viehzucht, Bienenzucht, die Ciärtnerei und
der Ackerbau, der Weinbau, Handel nnd die Natur mit folgenden klei-
neren Abtheüungen : Allgemeine Natureigenschaften, die Tbiere, Pflan*
zen, das Feuer, Wasser und die meteorologiseben Ersehemungeo.
Es folgt nun der bei weitem grösste und eingehendste Theil der
Arbeit, in welchem der Verfasser die möglichst genaue nnd Tollstindige
/usammenstellupg der Tropen des Enripides nach den eben genannten
Kategorien zu geben trachtet.
Den Schluss bildet die Vergleichung der Tropen der drei IVagi-
ker, wobei der Verftsser au folgenden Resultaten kommt :
innifiMkt un», um. n. H<ft.
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ZfJtL fKROLHOflüNDKM TBOPlIt.
Alle drei Dk-Iitcr repra^ontiien -chon in ihren Tro|)€n einzelne
Zeitalter der Gesehiclitp Athen?; : Aeschylus das der Per serkiiege, i^opho-
olei? das des IVrioles und Kuripides das de^ Kleon. Bei Sopbocles wird da%
Indmdaun in dea Bintergiund gedrängt, bei EuripideB» ganz beaoadan
aber bei AeRcfa^ns ragt es hertor. Doch wlhrend der Held yuii Mm*
tiion seinen Krieger mit den Blumen seiner Phantasie sohmtökt» ar*
gliedert nnd mrreisst der skeptische und grfibelnde Dramatiker AtlieiB
mit seinen 8yne< dof lien und Metonymien den Menschen. Rezeiclmeid
ist aber auch, das^ der \Veil»erfeind Kuripide^ das Wort ^TJeth" in vier-
undzwanziir verschiedensten und kühnsten Wendungen metonjmiich
gebraucht. Aescbylus luit als der religiösere, siebenundzwanzig Propor-
tiottstropen ans der Beiigion und Mythologie, Sopbocles eine einiige;
finripides, der Glttalrige, gebranoht Proportioostropen, der Skeptiker.
Syneedoehe und Metonymie. Sophooles, der ganz Diditer war, hat wenige
Bilder ans dem Krieg und dem staatlichen Leben, der knegensdie
Aeschylus viele Proportionstropen, der reflectirende Euripides mehrere
Syneedochen und Metonymien. Interessant sind die ziemlich ^^elen un-l
gewagten Bilder des marathonischen Kämpfers aus der Arzneiknnde,
t^berhaupt sind die Bilder aus dem friedlichen Leben zahlreicher bei
Sophooles nad Euripides als bei Aeschylus, wfthiend die ana dar Sekif •
fiihrt entnommenen mehr bei Aesehylna und Sophodes henrortnten, sk
bei. Märntera, die mit Stolz auf die grosse Seemacht Athens bUdniL
Aeschylus hat die meisten Propörtionstropen und die wenigsten 87tte^
dochen und Metonymien, Kuripides die meisten Synecdochen und Me-
tonymien und die wenigsten Propörtionstropen, Sophodes steht in der
Mitte : also hat auch Aeschylus die ^'^rös>te Phantasie und am wenigsten
Reflexion. Euripides die grösste Reflexion und am wenigsten Phantasie,
Sophodes Terbindet Phantasie und Beflezion in glfiokliehster Barmcnia
Dio Synecdoche und Metonymie ist sdmeidigtir bei Aeschylus ab bsi
Sophooles, aber bei Euripides am schnddigsten, -Die Phantade des
Aeschylus ist nicht nur um vieles grösser, sondern auch um Tides ge-
waltiger als die des Sophoeles, wahrend Euripi»les, was die UrOsse der
Bilder an]»elangt, als der Nachahmer des Aeschylu-^ erscheint. Der üui
fttand, dnss di»; Proportionstropen bei Euripides bald häufig sind, bald
so zu sagen verschwin<len, bei Aeschylus und Sophodes dagegen gleich-
mftssig veriheüt sind, bezeugt, dass die Phantasie der Letzteren gldcfa
anhdtende Kraft besass, während sie dch bd JSuripides nur adtwipof
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DAS GRABFELD AM f>oBoGO Btl KE^miKLU
5S3
«mporrin<:t. An'-h kommen hei den drei leichtern atis eweifachen Bil-
äön hetUkende Qrupi)m Tor, die dadvoh enistehen, das« Synecdoohe
lud Propertionsirope oder Metonymie und Piroporiionetjrope so enge
«mcmmenbängen, dass sie ein eigenibtoliolieB Gkunen bflden. Amch
DoppffhUdier erscfieinen Me nnd da, die durch den roeUphoriscben Oe-
braauh der s \ necdochisthea oder metonymischen Bedeutong eines Wortes
gebildet werden.
Im Anbange wird die anf die Tropen bezfigliohe neuere Literatur
nt Aazeige gebractit.
DAS GRABFELD AM DOBOGÖ BEI KESZTHELY. -
Keszthely nnd seine nUch^te Umgebling entpuppt sicli nachgerade
als eine nnerscliöpfliche, und, was die Hauptsache i;<t, noih vor
Karzern unberührte Fundgrube ftir Antiquitäten aus allen Period«n
dttf menscbücheji QeBcbiobte. Meines Eracbtens ist dies zumeist der
topograplÜMben Lage m danken. Im SNldem der nnabeebbare, fisehi-eicbe
8e6^ im Osten freundliche» waldbewacbsene HObenzfige, im Korden eine
Ihicfatbsre Hochebene, im Westen sanft abfallendes Httgellaiid» das eine ^
ziemlich grosse Niederung, mit einem warmen See, dem H^vi^., ein«
fchliesst, — was Wunder, da.ss die Menschen aller Zeiten diesen Fleck
auf Gottes Erdboden so einladend fanden, dass sie da Hütten bauten !
Pass e« gerade mir vergönnt ist, die archäologischen Schätze die-
see Landstriches zu heben, ist ein giftcklicher Zufall ff^r mich und fUr
die flache. Fitr mich, weÜ ich meinem Lieblingsstndiam mit ToUein
Herzen nachhingen kann ; fBr dA» Sache, weil ohne meinen, Tielleif ht
mir angeborenen Spfirsinn und meine Zshigkeit, mit der ich eine
gefnudene Spur zu verfolgen pflege, und mit*der ich manche Lente,
die nicht einsehen können oder wollen, dass das feste Ausharren eine
Hauptvorbedinyung «les Erfolf^es auf areh.lologiscliom Gebiete ist,
manchmal seiion fast ratend gemacht habe, — alle diese Fundobjekte,
die beute schon so helle Streiflichter anf die dunkelsten Punkte der
Völkerwanderung werfen, wer weiss wie lange noch unl>eachtet im
'Sdie^se der Erde geruht- bStten, oder, was sogaor noch wahrsckein-
Heber nnd auch vor meinen Arbeiten schon vielfaeb geschehen ist,
ans Unkenntniss von Alien nnd Jungen levetCrt worden wlren.
34*
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»
MS OBAlFtCD All BOMOÖ Bit mSTflBLT.
Die jjt'chi lcn Le>er »lieses RIattes werden von nieineil Avtsgim»
bungen am Kes/.tlielyer Orabfelde theils tlurch eine r>chon erst hieneiie
Mittiieilung, theils <liir(h raeinen Vortrag, »len irh am Osteraienstag
vorigen Jahres im Haui>tst«dtis( hen Industrie-Kasino hielt,* zur Genüge
untorriehtet seiii. Um daher Wiederholungen zu vermeiden, werde ich
das Keszthelyer Grabfeld nur im NotbfaUe einer Vergleichnng oder
Riebtigstelluiig i)erllbreni im Ganzen aber nur meine Wahmeiumugen
am Dobog6 darlegen.
An der nordwesiliclien Grenze des Kssslheljer WeichbUdos ballt
sich ein mU.ssig hoher Hügelknftuel, als letzter An^lSnfer des Tomajar
Weingel »irges, in die Niederung des Heviz hinein, dessen westlicher
Abhang von einem ziemlich grossen Hacli bespült wird. Dieser Hügel-
knäuel, ein kreide weisser und nur mit spärlichem Grase bedeckter
Dolomüfelsen, bildet mn nnregelmftssiges Dreieck, auf dessen südliche
Scbenkel» nnweit des, von der Hanptstrasse abiweigenden W^ges, d«r
zum Badeort H^vis fthrt, sieb ein eioxeln stabender Csgel mit zwei
Spiteen erbebt. Das ist der Dobogö. Der Hfigel bet seinen Namen m
der Mfthle, die einst am westlicben Abbang gestanden, gegenwirlig
aber in einen ^chafstall umgewandelt ist; der HQgel selbst, wie auch
die übrigen mit ihm in Verbindung stehenden dienen nur zur Schaf-
weide, und auch die^^e ist nicht die beste. In Folge dessen werden die
Hügel auch seit einem halben Jahrhundert schon an verschiedenen
Stellen zur Gewinnung von Strassenmaterial abgebaut. Der ganze Kom-
plex igt £igentbum des Grafen Festetics.
In den Jabren 1879 — 80, als ich mich mit aller Kraft dem Kesii-
belyer Grabfeld widmete, &nd ieb immer Zeit, aneb anf dem Dobogi6^
wo ich gleich bei der ersten Besichtigung Spuren Ton Ofibem Torftad,
nachzuspüren, da bekanntücb auf dem Kesatbelyer Grabfeld Hansglr-
ton stehen, und ich meine Arbeiten in der Zeit der Gemüsekultur noth-
gedrungen abbrechen musste. Die Erlanbniss zu Nachforschungen aut"
dem Dobogö ward mir von der Güterdirektion zuvorkommend ertheilt.
Vor allem Andern wollte ich mir Gewissheit darüber verschaffen, ob ich
es hier mit einem wirklichen Grabfeld oder nur mit vereinzelten Gri-
bem zu tbnn bebe*
Der erste Versncb fiel kllg^ ans. Es war im Juni 1879. Die
* S. ^Ungarische Bevue'', idSl, S. 429—444. Das Avaren-Grabfdi
in Keazthdjf.
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DAS OaABFELD AM ÜOBOGO BBl KEäZXHSLr.
525
^^ngende Hitze, daa schwer, nar mittelst der Spit/hane bearbeitbftre '
Tenaiii, die Hartnäckigkeit meiner Arbeiter, die Alles besser wissen
wollten, als ieh, und bei denen weder gnte nocb soblecbte Worte etwas
frvehteten, der aoeeerst geringe Erfolg mtcbten : dass. ieb nach drei
Tagen es vorsog, meine Forsebungen auf eine günstigere Zeit m ver-
schieben. So viel konnte ich aber schon bei diesem Versneh bestimmen,
dass dm hier begrabene Volk mit dem vom Kesztbeljrer lirabield
identisch ist
Vom 29. April bis 7. März 1880 Hess ich wieder hier, und zwar
von meinen geschnlten Leuten arbeiten. leb theilte den Hügel in Zo-
nen ein miil 0ffiiete an venchiedoien Stellen zosammen 45 OrftW, und
zwar mit sehr ermuthigendem Erfolge. Meine Frende Über die schönen
Fnnde überwog aber beiweitem die leicht erUSrlieheUeberraschnng und
Erregang, als ich bei dieser Gelegenheit die Ueberzengnng gewann, dasi
ich vor mir ein riesiges, mehrere Tausend Gräber in sich bergendes
Todtenfeld habe, hier, wo meinen Forschungen und Nachgrabungen
nichts, gar nichts hindernd im Wege steht. Ich f&hlte so etwas von dem
Stolze eines Entdeckers in mir nnd ich kann mSnniglich versichern,
dass dies dnrohaiu kein unangenehmes (befahl ist» besonders wenn man
CS!» wie ich, snm erstenmale im Leben hat.
Da mein Vordringen anf dem Keszthelyer Chrabfelde in gewissen
Kichtungen durch verschiedene Lokalverhältnisse erschwert wurde,
stellte ich dort meine Arbeiten, nachdem ich im Ganzen 449 Grül>er
durchforscht, im Frühjahre 1881 vorläutig ein. Einen kurzgedrängten
Beriebt über die Resultate dieser Au^grabnngen lieferte mein schon
erwfthater Vortrag in Budapest
Am 28. Mai wurde der Bobogö in Angriff genommen. Mit 29^
Juni l0gte ich 174 Orftber bloss. Da gingen meine Lente in den Schnitt.
Am 81. August wurde die Arbeit wieder aufgenommen, und bis zu
dem heutigen Tage, den 15. März 1882 ununterbrochen fortgesetzt, da
der überaus gelinde Winter lieuer meinem Zwecke wie gewünscht kam.
Bis zum obigen Datum habe ich Alles in Allem, die zwei vorhergehen-
den Versuche auch mit eingerechnet» 1594, sage eintausend iHnfhun-
dert und viemndneunzig Oiftber am Dobogö geSffbet ; die bei diesen
loradniBgea enielten Besnltate will ich in Folgendem kurz zusam-
nnBifossen«
Das Grabfeld am Dobogö besteht aus Flach- oder ücihengräbem,
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52d Q&ABFXU> AM DOBOOÖ B£I K£äZTH£LT.
die an der Oberflttche heate keine Spur von Bezeichnung mehr seigett.
DaaB ober einselDe GrAber, wenigstens die der Reiohen, einefcen'» doch
beieidinefc gewesen sein mteen, scUissse ieh ans dem Umstände^ dass
ich eelir hinfig inmitlen yon 20 — 80 imber&hrtan GrSbern «n unge-
wtthltes ftnd, in dem, nach den noch Torgeftindenen Bmchst&cken zn
vrfheilen, reicher Goldschmnck gewesen sein mods. Wann dieser RAoh
geschehen i^t, kann ich natüi'lirli nicht wissen, jedenfalU aber schon
vor vielen Jahrhunderten, vielleicht noch vor der Einwanderung' der
Ungarn, jedenfalls aber nicht gleich nach der Beerdigung, da die durch-
einander geworfenen Knochen sehr häufig schon Ton Bronze grün ge
filrbt sind. Bleibt nnr die Annahme übrig, dass entweder die nachfol-
genden Generationen der BeTdXkerong durch mündliche UeberUeteang
gewQset haben, wo die Reichen li^a, oder, dass deren GrSber irgend*
wie beaeichaet warsn.
Der Hügel, auf dessen südlichen und östlichen AbhSngen sich
dai Grabfeld ausbreitet, ist, wie schon bemerkt, ein Dolomit fel-en. des-
sen Oberfläche mehr oder minder verwittert i:>t. Diese seine Heschatfen-
heii bedingt auch die Lage der Gräberreihen. Auf den höher liegenden
Stellen, wo der Dolomit theils kreideweich, theils sehr bröckelig ist.
sind die Seihen, die von Weiten nach Osten laufen, sehr dicht nnd
knapp nebeneinander, es ist S09msi^(en jedes Fleckchen ausgenützt, die
Scheidewlinde iwischen den Bethen nndGrübem sind Öfter kanm 5—10
' Gentimeter stark. Gegen die Mitte zu werden die Interralle breiter,
weil das Gestein in festerer Form zu T^e tritt und eben d^halb
schwerer zu bearl>eiten war, am Fusse des Hügels liegt eine bis 2 Meter
starke braungelbe Thunsehichte auf dem Dolomitgrand, und dort wer-
den die Reihen wieder dichter. Je nach diese» Bodenverhältnissen ist
euch die Tiefe nnd Breite der Gräber verschieden. Oben, wo die Gru-
ben in den Stein gehauen sind, sind sie sehr schmal, und erreichen oft
nicht einmal die Tiefe von einem Meter ; nnten, un Lehmgrand, sind
selbe nicht selten bis in anderthalb Meter breit nnd ftber zwei Meter
tief. Die Skelete liegen in der Bogel von Westen nach Osten, nnr am
süd($et]ichen Abhänge, und zwar ganz unten fand ich zu meiner nicht
geringen Ueberruschuug drei Reihen Gräber, in denen die Todten von
Osten nach Westen gebettet sind. Diene Gr.iber gehören offenbar elut-m
anderen Volke und einer jüngeren Feriode an, weil die spärlichen 43ei-
gahen anisohliesslich von Eisen sind.
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Qi8 OSABFXLD IM D<»006 BU OanSiaiT. 527-
Avoh mnss ich noch «rwfthiieii, dasB das Grabfeld an drei SteUeq,
YOB wo Bum im vwigen Jahrzehnt dai Geröll zum Strassenhan atisge-
hoben, sehr grosse Lücken anfireisst, wo, nar beilttalig gesehfttzt, gewiss
über tausend Gräber zerstört worden und mit ihnen eine grosse Menge
von kostbaren Antiquitüteu, die tüi* die Wi^senscliaft onrettbai' verlo-
ren äind.
Auf dem ganzen Grabfelde iät nur eine ein^e Art von iie^tut-
tong vertreten, nämlich die einfache Beerdigung. — Das einzige Ur-
aengrab mit Spuren von Leichenverbieonnng, das ich unter so vielei^
Gzttbem fimd, kann hier nicht in Betracht gezogen werden. Der nnvoU-
kommene Leichenbrand im Grabe» wie ich ihn an mehreren Stellen in
Kessthelj geftwden, kommt hier gar nicht vor.
Von der Herrichtung der GrSber ist nichts besonderes zu bemer-
ken. Es sind einfache Gruben, deren Soiile immer uinu schiefe Kl>ene
bildet, und zwar vom Kopfende abwärts, und die immer sorgfältig ge-
glättet ist. Spuren von Holzsärgen sind hier häufiger &U in Keszthely,
Ja in einem Grai)e waren sogar noch ziemlich respektable üeberreste
von den handbreitdicken Planken aus Eichenholz da, ans denen der
Sarg gezimmert war; nach ganz genauer Untersuchung zeigte sich, dass
der Sorg zwar Seiten und Boden, aber keinen Deckel gehabt hat, was
ich Übrigens schon bei anderen GrKbem, wo Sargspuren vorhanden wa-
ren, ahnte. — Dies erklärt das Vorkommen ganz verkohlten Matten-
gertechtes, das ich häutig über das Ökelet gebreitet in Keszthely i'und.
Die Lage der Skelete ist in der Hegel die hinggestreckte, (loch
sind auch verschiedene Abweichungen nicht selten, aber beiweitcin
nicht so häufig wie in Keszthely. Kine, und auch nnr ein einziges Mal
beobachtete merkwürdige Sitnation verdient eine besondere Erwäh*
nnng. In einem Doppelgrade forderten zwei Ifttnner, jeder mit 5 — 6
Messern und einer Hacke anegerüstet, Arm in Arm das Jahrhundert in
die Schranken. Dieses seltene Bebpiel von Freundes- oder Bruderliebe
inuss man aucli im Grabe ehren. Ich liess die lieiden unangetastet wie-
der zudecken. Uebrigens waren '' <■> der hier Beerdi^^'ten Frauen und
Kinder und nur \ 0 Männer. Das beweist, dass es eiu kriegerisclies Volk
war, dessen Männer weiss Gott auf welchem ächlachtfelde ihre Gebeine
Hessen. Und dass es ein Beitervolk gewesen sein mag, dürfte auch der
Umstand beweisen, den ich hier so httnfig beobaehtetei nttmlich, das«
sehr viele von den hier bestatteten Männern onverkennbare Merkmale .
/
L^iyiii^cü Uy Google
DAS muanuo am DOBoeö ns dmblt.
!
TOB schlecht znssrnmengeheilien Beinbrflohen anfwie^en. Die gros^
Mehrzahl der hier nilienden Männer besteht nach der Aus^tiittnnp der
Grilber entwe«ler aus >ebr annen Leuten, vielleicht Sklaven, oder an-
Greisen und KrUppeln. Reich ausgestattete M&nnergrAber siad hier ver-
httltnissinfissig viel weniger als in Keäzthely.
Von Thierakeleten fand ich nur ein eiasiges Mal einen Hund in
einem Kindergnibe. £b wurde mir aber von ganz glnubwArdigeft Peno-
nen Tersieherty dass bei An^grabnng der oben erwähnten Lfloken einig»
Male auch Pferdeskelete in den Gribem vorkamen
Die Skelete der Hensohen sind in der Reg«! noeh ganz, aber sehr
morsch tind weisen, mit sehr geringen Ausnahmen, auf einen mittel-
grossen Menschenschlag, mit sehr knochigem, gedrungenem K jrjierban.
Die Männer haben zumeist Säbelbeine, das Attribut eines Heitervolkes.
Die Sch&delform ist durchaus eine dolichokephale, mit sehr breit ent*
wickeltem Hinterbaupte. Die näheren anthropologisoben BestimmmigeB
mnse ieh Henrn Profiossor Dr. Anrel I^rak überlaasen, dem ich n
Neiqahr eine grosse Kiste toU Sohlidel vom Dobogd geaandt habe.
Das Geschlecht der hier Beerdigten, aber nnr der Erwaehsensn,
iSsst sieb mit siemlicher Gewissheit an den Beigaben eilrennen, mit de-
nen die Ueberlebenden die Gröber ihrer theuren Hingeschiedenen viel-
leicht auH Pietät, vielleicht aus ererbter Volkssitte, vielleicht aus bei-
den zusammen, ausgestattet hal)en. Die Ausstattung der Kindergrübei
bleibt sieh durchwegs gleich, und ich müsste auch Anatom von Fach sein,
der ich nicht bin, wenn ich auch bei diesen den Geschleohtsantenchied
bestimmen wollte. Und weil ich schon von Kindergrftbeni qHreohe, so
will ich anch gleich meine diesbezQgUchenWahmehmnngen anfreichnoa.
Wahrend in Keszthely fast in jedem Grabe irgend ein Geftss,
oder wenigstens dessen Bruchstttoke zu finden waren, so kamen am Bo*
bogö nnr sehr wenig, im Ganzen sechs Gef^sse zum Vorschein, und diese
waren bei Kinderieiihen, und zwar immer in der linken Grabesocko ^
neben dem Koj>fe. Das interessanteste war jedenfalls ein Humpen aua
Hol/, dessen mit eingeschlagenen Panktreihen verzierte Bronzblech-
Beschläge sammt Henkel noch ganz gut erhalten waren. Die übrigen !
sind : ein kleiner Trinkbecher ans Thon, nnr mit der Hand geformt,
aber ziemlich gnt ansgebrannt, — wwter vier banchige Tdpfohen mit
eingedrückten Ziokzadklinien.
Eine regelmässige Beigabe der Kindeigräber sind die meist dni-
uiyiii^cü Uy Google
DAS 0B4BFBLD AM DOBOGÖ BBI UCaZTHBLT.
kelfarbigen, herzförmigen Gla-iiperlen, zwischen welchen Aach durchbohrte
kleine, aber sehr schlecht erhaltene Römermünzen ans dem IV. Jahrhnn-
dert dMilioli liin6g sind. Als anderweitiger Habaehmnek erscheulen ;
HasdmiMgTosse Schellen ansYergoldeiem Silber, ebensolche ans Brome,
Triforien aas swei aafeinanderpassenden, halbhohl getriebenen Scfa«p
ans Silber nnd vergoldet, mit einer Oeffnnng oben nnd
iinlen, zum DurL*hziehen der Schnur; ferner kleine Amulete au-i trlas in
Zahnform, durchbohrte Wolf- und Schweinszühne, wie uuch ganz kleine,
dünne rohe Täfekhen aus Kalkschiefer, ebenfalls mit einem Loch zum
Aafbftngen verdehen. Der Kinderdcbmuck ist sehr einfach. Ohrringe ans
Bronze oder Silberdraht, theils ganz glatt, theils unten mit einem ge*
drehten SohnArkel, theils mit einem Tropfen geeiert, welcher bald eine
naefa naten sich erweitemde Bronsehfilse, bald eine, anf diesen Orab-
feldem charakteristische Kflgelchsmierde, wobei auf drei aneinander-
gestellte Kfigelohen das vierte als Anfeats dient, — bald eine einfach
gefasste Glasperle ist — Die kleinen Armringe nnd Spangen sind von
gewöhnlicher Form, mitunter ist da.s 15ru< hstüi k eines grossen Arm-
rings zu einem Kinder-Ai'mring zusammengeb(igen. — Einfache kleine
Bronzenadeln dienen zum Znsammenh alten des Kleidchens auf der
Bni9t. — Aber ich fand aach an demselben Zweck hier eine ganz nene
Erscheinung, die in Keszthelj ganz nnd gar fehlte, aimUoh die Schei-
benfibnla. Von diesen fand ich sehn Stück.
Diese Scheibentibulae sind, mit einer ovalen Ausnahme, kreisrund :
ihre Grosbo wecliselt von der eines Kreuzers bis zu der eines grossen
Thalers. Bei acht derselben ist die untere Ph'itte Silber, die obere, mit
getriebenem Ornament versehen und ausgebaucht, von sehr dünner
Bronxe, der Baum zvrischen Beiden ist mit Kitt ausgefällt Die Eisen*
nadel war nnten aageschweisst, fehlt aber bei stehen gans, an der ach-
ien sind noch Brachst&cke davon vorhanden. Die obere Platte seigt
▼erscfaieden sl^lisirte Sterne. — Die swei grössten, die auch die Nadel
noch haben, sind ganz von Silber nnd zeigen im vergoldeten Medaillon
liguralische Darstellungen. Die eine ist besonders merkwürdig, weil
«hristlieher Arbeit; — es steht nämlich in der Mitte des Feldes auf
einem Hügel ein Kreuz, rechts davon ein Engel, links eine Frauenge-
atalt mit kreisrondem Ueiligenscheitt.*
* Im Katienalmnsenm so Budapest.
580
DAS OKABf£LU AM DüB0G6 BEI KBSZTHELr..
Rndlich a'md noch als lleigaben »ler Kindergräber versrhiedene
Spielzeuger wie Bronzekettrhen. Spiralen aus Silherdrabi, zwei- bü
seohslöoherige PfctÜBhea ans Üoin, Spielkiosd und Seauuuchclii m Ter*
z0icfa&#ii>
Als Heigahen der M;innergi;llier will ich vor allem Andern die
l'>i>enwart'en erwähnen, die zwar auch nicht /ahlreieh. aber doch mehr
sind, als in Keszthely. Verschiedene Dolchni<'-<ev in Holzseheiden mit
Zwinger und Hingen aus Bronze oder Eisen, sind die fast nie fehlenden
AUributo eines Mannes. Daneben waren Pfeilspitzen mit nnd ohne Tfllle
Yon sechs yersehiedenen Formen, kleinere und grossere Warfbeile,
StreithSmmer mit Spitze (GsAktoy) auch nieht selten. Auch &nd eich
eine Ijanzenspitse mit Tlllle Tor, wie auch Tier 8ttick Scheideenden,
oder OrtbOnder ans Bein. Sonderbarerweise war vn einem Orab an^*
ein Steinbeil aus polirtcm Ser[>entin. — An HausgerSthen hat der Mann
"sehr häufig Stahl und Feuerstein bei sieh ; der St^ihl weist häufig eine
phantastisch verschnörkelte Form auf. In Keszthely wusste ich noch
nicht, was diese Terrosteten Paragraphen zu bedeuten haben.
Auch an Schmnckgegenstflnden fehlt es dem Manne nicht. Er hat
sehr häufig einen Armring, aber immer am rechten Arm, öfter von
Bronze, seltener von Kisen, auch fand ich einen silbernen und drei
bronzene sehr hüb;<chc Fingerringe. Von «len letzteren i>t einer echt bar-
barisch. Kl besteht aus drei zusammenlaufenden Spiralen, deren mitt-
lere Tom, in einem breiten Stirnband ausgebtimmert ist, das in getrie-
benen Punkten ein abscheuliches Fratzengesicht zeigt. Die übrigen
Ringe ähneln den römischen ; der eine hat auf der SiegelflSche einen
pluiupen Herkules mit Keule eingraTirt.
Die grösst« V'erticbiedenheit in Form und (Jruamentirung hat dec
tiürtelschmuok. Iiiemenenden, Gürtelschnallen, (uirtelhaken nnd Krap«
pen, Rienenbeeohlflg«, Zierkndpfe, — bilden, was Venienmg anbelangt,
j« in einem Grabe, eine einheittiche Qamitnr. Qflrtelgarnitaien ana
Bronze, theilweise auch durchbrochene Arbeit, zeigen ThierkKmpfe, Dra*
chen, Banken mit Bllttern nnd Trauben, sehr achdn gefasste gliseme
Miischeln, — Gamitnren ans Silber, die ebenso oft, wenn niciit Öfter
vorkommen als Bronze, immer sehr fein ausgeführtes Gerieiusel, —
(jiamituren aus Eisen mit Silber tauschiert, verschiedene Linien-Kom-
binationen. Nor muds ich bemerken, dad« von letzter in der A^ei
DAS (RUBmo AV DOBOO^ BSI EE^^ZTHELT.
$31
nur einzelne Stucke mehr erkennbar sin'l ; das meiste int vom Best
gaBZ zerfresi^en.
Die GrÄber der Franen nnd Mädchen aiiid imiMr am aüMinigfiil''
tigsien ansgestaltot j sogar in dem Srmlielisteii iittd, westf eoust Biohk^
etniga Perlen zu finden. Ein apreehender Beweia, daaa daa aehwflcfaere
aber acMnere GeaoUeeht bei diesem Volke nnbedingt in Ehren gestan-
den haiben -mim und keineswegs als snr SklsTerei geboren betrachtot
wurde. Die vielen Hundert 'Pranen- und Mä<l( liengrflber, die ioli unter-
sucht, lieferten auch sonstige Belege /n meiner obigen Behauptung. Die
weitaus gröbste Zahl von Sargspuren war in Frauengräbem. Aber wo
diese auch nicht waren, bemerkte man in der Ausfüllung des Qrabes
einen Unterschied. Denn während die Männer mit dem a«t9geha«enen
GerflU zugedeckt worden, findet aich obar dem Körper der Fraifen im»
mer eine mamlieh atarke Sand- oder Erdachichte, nnd anf dieser erat
das OerOUe. Immerhin eine ao zarte Aufinerksämkeit» die ma» bei
einem Volke der VSlkerwanderung kanm snehen wArde.
Von den SilHnur ksachen der Frauen muss ich in erster Reihe
die Perlen erwJihnen, ni' ht nur darum, weil ich sie zu Tausenden Hude,
• — sind doch in einem GraV)e am Dobogö ül)er 600 Stück gewesen, —
sondern auch w^en der Mannigfaltigkeit der Form, und auch des Stof-
feSf ana welchem sie bestehen. Die seltensten sind die römischen ans
schwarzem Glaaflnss, selbe sind flach, gross nnd gerippt. Weiters die
an^ blutrothem Jaspis, diese sind entweder ganz regehnäasig geschliffen,
oder bilden einen doppelten Kegel. Ferner aind auch die Thonperlen;
meist flache, zwei bis dreimal durchbohrte Tellerchen, nicht häufig ;
ebenso <lie nns Be'n, Kalkstein und Sillier. Die grosse Mehrzahl der
Perlen ist hns Glas, auch deren sind aber vielerlei. Hier haben wir alle
Farben und alle Grössen vertreten, von der nus8gro8sen MilleHoriperlc
angefangen bis zur Sandkorngrösse herab ; f«ie weiiien hunderterlei von
Arten auf, die eine wunderbar entwickelte Technik der Perlan£sbrika-
tion bekunden« ünser Volk muss diese Perlen jedenfiUls im Handel be-
kommen haben. In jedem Grabe sind Perlen Ton Terschiedener Sorte
vorhanden. Die -Perlen waren au Schüttre gereiht, und zinten Brust,
Hals, wie auch das Haar. Das lässt sich durch die Fondstellen ganz
genau beweisen. Hin und wieder wai- die Bronze- oder Süberschliesise
auch noch da.
t Von geraden, langen Nadeln, mit and ohne Öhren, mit und ohne
582
OlS OBABfILD-lM DOBOCK^ BEI KB8ZTHBLT.
Ohrlöffel, habe ich gegen zwanzig Typen, nur musä ich ausdrücklich
hervorheben, dass, während ich diese Nadeln in Keazihelj sehr häi^ig
unter dem Kopfe g«ftuiden habe, und ia Folge desun de aU Haanui-
dein beieiühiiete» iiier am Dobogö diese «uBBohlieMUeli quer ill>er der
Brost kgea» also ab Gewattdaadela gedient haben. Die vorwiegende
^ Form ist die laaggeqielten-Yierfthnge» die Eigenart nnserer GiaiH
felder, mit Ponkten, Scbnörkeln, Linien vielfiMdi Tonierb Unter dsa
dreissig und einigen, die bis jetzt Torkamen, waren nur fünf aus Silber,
die übrigen aus Bronze. Auch der Urtypus dieser Nadel, unter dem,
auf schlanker Spitze sitzenden Obilöffel mit einer vierkantigen eben-
falls gelierten Verdickung, war hier nicht selten ; in Keszthelj fand er
sieh gv nicht. Diese Form hat auch Lindenschmit in seinem Worin
▼ecOtatliohti Die tihrlgen Nadehi haben mehr oder minder bekannts
Formen; einige derselben sind mit eingesohhigenen Linioii und Ponk-
ten sehr hftbsdh Tendert.
Yen eigentUohen Spangennadehi (Fibula) kann ich im Oeosssi
nur drei verzeichnen ; davon sind zwei entschieden römisch, eine kaum
zwei Centimeter lange aber hat den fränkischen, sogenannten mero-
vingischen Typus. Nur ist, meines Erachtens, diese Nadel ält^r als die
IrAnkische Periode. Denn sie ist erstens ganz flach, hat gar keinen Bä*
gel, nnd ist von oben bis unten mit eingeschlegenen konsentnschea
Kieisen vertiert, ein Ornament» das auf die TorrSmisohe Zeit snrAek*
weist Sollen ja die reioh omamenttrten derartigen Fibnlae von Keoit-
hely, dem Urthell gewiegter Fachmänner nach auch schon llter sein
als die gleiehgestaiteteB frSnkiseheB. — Da das erwihnte bavharisdie
Ornament hier am Dobo^,'6 auch an Itiemenenden, Gürtelhaken, Arm-
spangen und manchen Beiugegenständen sichtbar ist, in Keszthely aber
gar nicht bemerkt wurde, schliesse ich, dass das Grabfeld am Dobogö
etwas, wenn auch nicht viel, älter sein mnss, als das in Kesstheljr.*
* Dass gewisse Gegenstftnde, wie Stecknadeln, Nadeln mit Iftagü-
eben Ohren, sogenamite Steften» mit verdicktem Kopfende, weiter die ge>
wohnlichen Topfgattungen, Trinkaohalen mit und ohne Henkel Jahrkan-
sende lang nach flberlieferter Form gemacht worden, theOweke noch
honte gemacht werden, bedarf keines nlheien Beweises« Aber ich hebe
ansserdem noch Fundgegenstände, die merkwürdige Analogien mit Schlie»
maner Funden aufweisen. So hat die jetztcrwlihnte Fibula eine frappante
Aehnlichkeit mit einem Ctegenstand aus Elfenbein (S. Ilios, 297. Seite Nr.
142), den Schliemann fllr ein Idol erkUrt — Sbcodort 550 Seite St. 866»
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' DAS OKABFh LD AM DOBOOÖ BEI KESZlHEIir. • 536
Die grofisen Ohrringe der Frauen and Müdchen sind die eigen«
sten Spezialitftten dieser Grabfolder, Tcn denen einielne Gettangeft
bisher noch nirgeids sonst wo gvAmden worden. Die geme Bnt^k-
Inng Ton der einfachstsa bis rar reichsten Form llsst sieh am Dobogd
bestimmen. Die grOsste TerseUedenheit» sow<^ was Qftoe^ als aiKh
Yeniening anbelangt, seigen die mit den feinen Filigran Tropfen Ter«
sehenen. Ich verweise hiemit auf die im Nationalmuseum aufliegenden
Exemplare, und will nur noch bemerken, dass ich am Dobogö auch sil-
berne in hübscher Anzahl zu Tage förderte, während in Keszthely kein
einziges von Silber zom Vorsohein kam. Die Filigran-Tropfen, die nur
bei euiem einsigen Paar silberner Ohrringe lose herabhingen, bei allen
Übrigen aber ohne Ansnahme ihrer gaassn Linge nach siit Draht an
dem nnteten Tbeile des l^iges befhstigt sind, seigen am Dobog6^ aber
nur in Silber, swei yerseUedene Typen; die bronsenen dergleichen
Ohrringe, manchmal von ganz ungeheuren Dimensionen, waren einst
alle vergoldet o<1er versilbert. Man hat diese Tropfen mit Birnen oder
auch Körbchen verglichen, aber ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich
sie für stylisirte Blumen-, resp. Rosenknospen halte. Die gleichgestalteten
vad gleiehgrossen bemalten Perlen ans Thon (im Vamnegffei BSgM^
ist ein Gegenstaad aas Gold inm Anhängen von Zierrathen. Ich habe den-
selben gefunden aas Silber, (gegenwärtig im Nationahnnseum) and swar
noch mit den Ueberreaten der Perlenschnüre, also, was man sagt : eine
Schliesse. Nr. 003 und 004 sind reichverzierte Scheiben nus Blattgold»
fiwt identisch mit der oberen Platte, einzige Scheibeufilnila von hier. —
Die kleinen Kinderflöton oder Pfeifchen Nr, 526, 534, 525, sind ganz die-
selben wie die unsrigen, aber unter Nr. 535, 536 brinj^t Schliemann zwei
Gegenstände aus Bein, die er nicht näher bezeichnen kami. Ich habe von
denselben Gegenständen elf Stück gefunden, ebenfalb aus Bein, theils ein-
flicfae mit dicksn Enden, ^eüs konisoh xugespitst und mit Bmidstäben
hittiseb Yeniert Das chaiaekteristiisohe Merinnal an ihnen ist die in der
Mitte hsmmhmfende Binne. Ich kann aooh positive AnfUirong Aber die-
sen Gegenstand gehen» der immer swiaehsn dem Gürtelsohmuck vorkommt»
und der wesentlioh nichts Anderes iat, als was die Bauern und Fischer
hier an I^nde : i,lteleviZ'CBat'^ nennen : der kleine Querstab am Ende einer
Schnur» Kette» eines Strickes oder Riemens, um schnell eine passende
Schlinge machen zu können. Bei unsenu gewöhnlichen OchaengcHpiiun
hält dieser Querstab die Kette oder den Strick auf der Stirne des Uch-ea
zusammen, bei unseren Todten hing derselbe an einem dünnen Biemohen
vom Gürtel herab.
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0
ii\r), die leli in Kes^zthely fand, bestärken diese ineine Ansieht. Glatte
0 hrringe, di» doroh eiiM hoble lüig«! gehen, £uid ich mehrere CiatteA-
gen am Dobogö, tbeile bronsEene mit nnveraierter Kng^ theils «iHNn^
wo ^ Kngel entweder lumettbi, oder mit Fifigno^ehHörh A ^
schon Terriert wer. Bin Paar der leteieren ist noch in mainnm Be«itML
(irössere und kleinere Uhrringe mit Perlentropfen, oder mit mehreren
i'erien besetzt, sind in Hülle und Fülle vorhanden.
Kin iernerer, aber hier beltener Frauennchmuck sind die Zier-
leheiben, kleine ßronzeräder mit drei oder vier Speichen, einet, mit
vier Halbmonden, die auf dem Bade innen mad heMna anfliegan (im
NatioaalmiKenm); leh hdbe aber dieea dnrehbredienen'Seheib«: stait
im Verdadii, dais sie aneh 'eine Gattung ron Gewancbiadeln iraven; -
Armringe und Annspangen treten bei Franen in grosser Menge
auf, es waren .Skeiete. die auf den Armknochen ober der Handwur/^
zwei bis drei und auch ober dem Ellenbogen je ein Armband tiak'en.
i)ie Armi'.nge ^^ind mit eiugeticblagenen konstentriachen ICreii»ea. die
meisten aber mit den hier gewöhnlichen Wellenlinien geiiert, die Ann-
bftnder, .sowohl die .znm Einhaken ab aneh die offenen mit fledua
Scfalingnnköpfon an den Enden »igen im Kittentwb wnndMMbMh ^
ansgefittirte Linien, Pankt- nnd Baaten<Omamente, aber sw« gaw
gleiche SSeichnnngen dttrfte man kanni finden.
AlslJeigabeu der Fiaueu fanden sich noch : Spinnwirt^el aus Thon
verschiedener Grösse, kleine Ei>enmesser, halbmondförmige Scheiben
aus Bein und kleine durchlöcherte Hürner über und über ledeckt mit
eingescUnittenen, konzentrischen Ereieen ; kleine eill>enie £ügelcbea;
kleine silbenie Halfamosde mit Oehr anm Anhingen ; nnaegroeee eiaeine
Schellen, die in die Oewandetoffe eingenttht waiwn, was ans dem Ab>'
druck der Stoffinvster auf ihrer rostigen OberflSche erhellt» nnd die iA
in Kestthelj Irrthümllcherweise für massive Gewichte hielt; eiserne
sogenannte grieehiftche Schlü.sdel, darunter ein kolu^^ale.•s Ivveimdar mit
Ring zum Aufiuingen ; eine gros.-^e ihiche römische IVrle aus hartem
pechscli Warzen Glaafluss mit einem Medusenkopf cn telif^f; mehrere
dOnne Scheiben von Bein bedeckt mit konzentrischen Kreisen, Feuer-
»teine, Netebeschwerer, durchlöcherte kleine Scheiben auf» .gebranntem
Thon, endlieh Braofastttcke von HaarkAmmen ans Bein«
Mit nnd neben diesen GegenstSnden &nd sieb noch in Udbein
beiderlei Qesehleohtes eine Antahl anderer Sachen ans vemehiediH
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' DAS OBAKFELD AM DOBuGÖ titl KBSZTUELV. S§p
Stoffen, deren Gel)rniu h ich nicht kenlie und ilie ich t'oigiich auch niclit
htämmm kaiiD. Im AUgemetneii xnius noch Ji)emerkfc werden; daas die*
nee YtXk dm ZnssmmenlOtlieB gebrochener MetallgegenBtliide mekt
kante. Diese Baohen worden einliMh vernietet^ wie dies bei mefaveren
Ann* trad Obrnngen, ferner Haarnadeln ganz ^enan zu sehen ist. Und
doch waren die eisernen Nadeln an die silberne Rii< kwand der Öcliei-
l)enfi1>ula nngesch weihst. Wie? — ist wirklich ein bis jetzt noch nnge-
Itetes Räthsel.
Am Dobogo habe ich bis jetzt, die Perlen nicht mit eingerecb^
nelr gegm dmlanaend Alterthtbner in Tage gefördert. Die Mehnabl
ist nua B«mse, dsnn kommt im Verhiliaiss Eisen, Silber ist das we-
nigste, aber immerlmi nook einige hundert Sttlok. Wer aiok' d«rob
Angensehein von diesen Fnnden überzeugen will, bemfihe sioh fns Na-
tionalmuseuni zu Budapest, dort ist die kleinere Hälfte der Funde vom
Keszthelyer Grabfeld (die grössere im Vasimgyei Regisiytdr v.u Stein-
amanger), dann sUmmtUche ]:'\inde aus den ersten 513 Gräbern vom
Dobog6 ansgeatellt , wo alle erwähnten Typen vielfiich yertre-
ten sind.
Zum Sohlasse will ich noch die Frage berühren : welcher Zeit
«nd welchem Volk gehört dieses Grabfeld, nnd anch das in Keszt-
hely an f
Ein inschriftUches Denkmal würde diese Frage mit einem
Schlage erklären, aber leider gerade ein solches habe i< h bis jetzt nii ht
eefunden. Bleibt also nichts Anderes übrig, als aus deui vorliegenden
Materiale einen Schluss sn sieben.
Die in den Giibem geftmdenen BOmeirnttmen gehen bis Grati-
anns, eine spStere, i.B.hynBtini8che oder gar fränkische Hllue kommt
gar mcht Tor. Dies beweist, dass man den Grftbem kein höheres Alter
als das T. Jahrhundert anweisen kann. Das VII. oder Vlll. Jahrhun-
dert anzuuehmen, dürftt-, meiner uumu>sgeblicben Meinung naeli, aurli
nicht richtig sein. Dafür spricht ersten- das absolute Fehlen einer
Münze späteren Datums. Zweitens fand ich am Dobog*'). wenn auch in
sehr geringer An/ahl, noch wirklich römische Gegenstfinde, wie Fibula,
Perlen, Schlüssel, Bruchstücke von glftsemen Armringen, welche deut-
lich leigen, dass unser Volk der unmittelbare Erbe der in Pannonien
anslssig gewesenon Römer war. Drittens ist die Herstellusg unserer
Sdunncksachen dne Kadiblüthe der rtbnischen Kleinkunst» twahrscheln»
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4Sb' ('N«iABJSCHK BIBLiOOUAPHIl.
lieh von kuQsttertigeo, im Lande zurückgebliebenen römischen Hand-
werkera im Dienste und nach dem Geachmacke der neuen barbnrischeii
Hwron tii8g«ftbi. Und daw diMe eum swar originelleD, Tielfacb an
den Orient erinnernden, aber darehMU keinen eeUediien Geecbmaek
betten, seigt ein Blick anf nneere Gegenstinde, die^ was KnnBteiaa
nnd Ansftbning betriiti die gleicbartigen Produkte der leisten ritaii-
sehen Zeit beiweitem übertreffen.
Alles dies zusauiinengehalten ergibt sich fa^t mit (lewissheit,
dass auf diesen Grabfeldern Hunnen bestattet waren, es ist aber auch
nicht ausgeschlossen, ja durch die gi'osse Ausdehnung der Grabfelder
sogar mehr als warscheinlich, dass die nachfolgenden Avaren die.«e
Grabetitten ancb benfttst haben. Diese meine Ansii ht wurde auch durch
Fachminner, wie Franz Pnlssky und Dr. Otto Tischler, die im f er-
gangenen Herbste die Orabfelder und meine Funde benichtigteu, im
ToUsten Ifasse getheUt p^^j.^ Wilhelm Lim
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i'
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DENKREDE AUF MORIZ LI KACS.
Vom AUOÜST TR^FORT. •
ES WAR im Jahre 1834, an einem sehSnen Frahlingstage, ah ich
Moriz LnUes im Saale des Nationalkasinos zum entenmale
Bah. Das Nationalkasino war damals nicht nur ein YergnügnugH-
lokal, sondern ein waren Knlturinstitut, so wie es Gruf Stefnn Sz^-
chenyi, tlor die Natur inul Wirkung der Assoziation besser kannte,
als ircrpi)d Jemand in Ungarn, entworfen hatte und in diesem
(leiste auch zu h'iten und zu erhalten wusste. Die Hepräsentanten
aller Klassen der Geselhchaft trafen sich in diesem Verein und
kamen in demselben mit einander in Berührung ; die steinreichen
und Adelsstolzen Grafen, die Gmndbesitier des mittleren Adels,
die höheren Beamten nnd Richter ebenso, wie die Repräsentanten
des bürgerliehen Elements, Pester Grossh&ndler, Advokaten, MSn-
ner der Wissenschaft nnd Literatur; — nnd gebildete junge Leute,
von derien man voraussetzte, dass sie das Kasino nicht des Billard-
und Karti'uspieles halber, sondern zur Benützung der Bibliothek
besuchten, — alle konnten ohne jedes Entgelt die Rüume des Na-
tionalkasinos als Gäste betreten. Das Kasino kultivirte auch die
edlereu Genüsse, es veranstaltete Konzerle, und kein Künstler von
Namen kam nach Pest, ohne sein Spiel in den Sälen des National*
kasinos hören zn lassen. Zn diesen musikalischen Vortrigen waren
die Mitglieder nnd ihre Familien de jure geladen, aber es wurde
auch ausserdem eine grosse Anzahl von Eintrittskarten vertheilt,
nnd einmal gelangte auch ich als erstjähriger Jurist in den Besitz
* Gelesen in der feierlicbeii JahTesrenammluiig dsr Uagariaehen
Akaaemie der Wissenschaften am 4. Juni 1882.
Ungarlaoho Revue. 1884. TU. Ball. 85
uiyiii^uü Uy Google
888
DVMXRKDB auf MOBIS LÜKicS.
einer Karte. Während ich nun dort den Tdnen der Musik aufmerk-
sam lauschte, fiel mir ein hagerer, kränklicher junger Mann arf.
der sieh fortwälireiid auf und al> l)fweu;te, so dass ich ju^laubeii
musste, er sei an diesem Orte keiu Gast, sonderu einer der Haus-
herren. £& vergiü«^ eine längere Zt it. (dine dass ich dieser Gestalt
wieder begegnet wäre. Als ich aber im Feber 1837 von meiner
ernten Reise zurttekkehrte and in das Kasino eingeführt wurdet
machte mich Graf Ladislaus Sertfnyi mit der erw&hnten PersSnlick-
Iceit bekannt, die Niemand anders war als Moria Lnkacs, doreb
den ich nach einigen Tagen auch Ladislaus Szalay vurgestellt
wurde.
Von dieser Zeit an, also 43 Jahre laug, stand ich mit Muriz
Lukacs in ununterbrochener HerUhrung, in einer immer herzlicbeD.
den Verhältnissen und Umständen gemäss zwar bald näheren, bald
entfem^ren Freundschaft, die aber immer ein sympathisches und
Tertrauliches Verhältniss blieb.
Besonders .aber tou 1887 bis 1848 stand ieh in so nmuiiig-
faltigen He/iehuiiLCcu zu Moriz Lukacs, dass ich sagen kann, ilies«
Zeit mit ihm durchlebt und mit ihm Hund in Hand zur Erreicliuuji
gemeiusanier Zwecke gewirkt zu haben. Dieses Motiv bewog luich
auch dazu, dass iclt es wagt4% die Denkrede auf Moriz Lukucj^ zu
halten, in der Meinung, ihm dadurch den Tribut mitfühlender
Freundschaft und Achtung abzustatten. Und ieh ghinbe auch, daas
idi,. mich auf solche Thatsachen und Zustande beschriUikend, die
wir zusammen erlebten, fähig sein werde, einige Momente einer
schon «'iitschwundenen und ben'its hist4)risclu'ji Zeit vielleicht ge-
treuiT /u scliiklern, als solche, die diese Zeit nur :ius der Trailiti^n
kennen, und dass es mir vielh'icht gelingen wird, eine Persöulioh-
keit zu würdigen, die einer jeden Körperschatt zur Zierde gereicht
hätte, deren Gedächtniss zu feiern eine der Aufgaben unserer heu-
tigen JahresYcrsammlung ist, — die sich eben durch solche Eigen-
schfiften auszeichnete, welche es erwttnsehtwäre in den Mitglieden
einer jeden wissenschaftlichen Gesellschaft zu finden, so den aka-
demischen Ueist und das humane (iemüth im ^>inne des» Huuiauis-
mus Herder's.
Im Auachluss au diese Worte kamt ich von Lukacs behaup-
ten, dass ich in dem weiten Kreise meiner Bekannten kaum Jäoßü
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I
/
DKNKREUE AUF MORIZ LUKÄCS. $ffB(
Irenue, der sich dureh 40 Jahre so tteii gehlieben wäre. Ich will
damit nicht gesagt haben, seine Meinungen hätten sich im Laufe
Ton 40 Jahren nicht g^ndert. Luhtfes besass viel mehr Gei^t und
Verstand, als dass er ans den Ereignissen nichts gelernt Und dem
Einflüsse der verändei-ten Weltzustämle gewehrt haben würde —
es ist j;i nicht nur keine Sünde, seine Meinungen in Folfrp «euer
Kenntnisse und Erfahrant^en zu ändern, sondern sogar eine Tugend.'
Ich will nur das andeuten, dass sich der (irundton des Gemüthes
und der Denkweise Lukäcs* nicht veränderte. Er war ein unbefan-
gener, humaner Mann und dabei Skeptiker, das Schicksal des Men-
schen glaubte er unabhängig ron den politischen Formen, deshalb
war ftlr ihn die Politik nie von einer solchen Wichtigkeit, wie ftlr
Jene, die auf diesem Gebiete eine Rolle gespielt haben oder eine
solche zu Spieleu wünschen, und deshalb war es ihm niö{^licli, ob-
wohl er im (»anzen stets zur liberalen Scliule f]jehörte, auch mit den
Konserrativeu, ja auch mit den revolutionär Gesinnten immer auf
gut«ni Fusse zu stehen, denn bei Betraditung der zwar von ver-
schiedenen Richtungen gehegten, aber gleich aufrichtigen Ueber-
Zeugungen drängte sich ihm immer die Frage auf : ^Uhi est
verUas?* (Wo ist die Wahrheit?) Solche Menschen pflegen nicht
Manner der That zu sein, sie besitzen auch nicht jene Artyon Am-
bition, welche die Männer der That belebt. Auch schrieb er zwar
wenig, Ix'sass aber dennoch das schriftstellerische Temperament,
er war ein litfenirif ticntleiuan pur ctccllour.
Er besass ein inniges Gemüth, wusste zu lieben und mit sei-
ner Liebe war jenes sich bewusste Pflichtgefühl verknUpft, das
Selbstaufopferung fordert In seiner Jugend hing er an seiner Mut-
ter und opferte ihr seine Existenz, und als er sich sp&ter, schon im
reifen Mannesalter eine Lebensgeffthrtin nahm, die Jahre lang
krftnkelte, opferte er sich seiner Gattin. Ich bin ttberzeugt, wenn
Moriz Lnkacs nicht jenes traurige Schicksal getroffen hätte, einen
grossen Thell seines Lebens als liebevoller und zärtlicher Kranken-
wärter zubringen zu müssen, so wiinle seine Produktivität und
seine Thätigkeit einen viel höheren Grad erreicht haben ; den Stoff
zur Produktivität besass er, er sammelte aber diesen Stoff, nicht
um ihn zu verwerthen ; er lernte und bildete sich aus, weil er die
Selbstbildung als Zweck betrachtete. Und dies eben ist ein ebarak-
86*
L^iyiii^uü Uy Google
PtMKBBDE AUF HOBtt tüliCB.
teristischer Zug seines GemQtlies und st iner geistigen Individiiali-
tfit, die bei uns orii^iiiell. n^hÜ selten ist und die häutii;er in solchen
Ländern vorzukommen pHegt, wel< he in geistiger und materieller
Hiuaiclit melir entwickelt sind, ul^ das nnserige ; eine IndiTiduali-
tat, wie solche besonders im gesellschaftlickeu Leben durch ihre
Liebenswürdigkeit eine Bolle zu spielen pflegen, da die geistreiche
Gesellschaft nnd KonTersation gleichsam ein Parfüm der Bildung
ist.Ueber diesen Punkt sagt Lukacs in einer seiner Abhandlungen:
»Bei der Pflege der Wissenschaften ist der wahre Zweck nicht da«
Wissen, sondern das Lernen. Darin tiiiden wir Trost nnd Zerstreuiaii^
bei den ^Vecllseliallen des Lebens. Die wissenschaftliche Thutig-
keit findet ihren Lohn in sich selbst, nicht in Erfolgen."
Da es nicht meine Absicht ist, an dieser Stelle eine Uiogi'a-
phie von Moriz Lukacs /u liefern, will ich mich iu dieser Beziehung
blos auf einige Hauptdaten beschranken.
Moriz Lukacs wurde am 5. September 1812 in Pest geboren«
Er wurde hier und auf dem Gute seiner Eltern zu Bressto?4cz im
Temeser Komitat erzogen. Im Jahre 1831 wurde er Honoiftr-Vtze-
uotiir des Krassiier Koinitats ; \>^''\2 übersiedelte er nach Pest und
lebte ganz literarischen Studien. Auf Wunstdi seiner Eltern nahm
er 1830 die St<dle eines Ilouorär-Vizenotärs des Pester KomitAta
an, legte dieselbe aber nach dem Tode seines Vaters nieder und
beschäftigte sich seitdem bis 1848ausschlies.«lich mit Wissensehaft
und Literatur.
Lukacs war, wie erwähnt, kein Mann der Aktion, er besass
aber in grossem Masse Gemeinsinn und Patriotismus, besonders
aber einen regen Sinn f^r alles Oute, Schöne nnd NfStzItehe. Seine
Freunde, wollten sie etwas ins Lfben rufen, konnten ihn mit ein
weni-jj Teberredung, neben einigen kleinen liedenklichkeitsäu.s.*^e-
ruugeu von seiner Seite, immer für ihre Sache gewinnen.
Die erste derartige (relegenhcit war die Errichtung des Kuuat-
vereins im Jahre 1S3.S. in gothischem und romanischem Style aus-
geführte Kirchen beweisen es, dass es zur Zeit der Erbauung der-
selben auch bei uns nicht an Kunstsinn und Geschmack fehlte ;
unsere Kirchen waren die Museen jener Zeit, und während die
Gläubigen ihre Gebete zum Himmel emporsandten, konnten sie
zugleich die Wirkung der Kunst emjjfinden. Doch die späteren
DBNKBEOB AÜP KÖBIZ LUKiOS.
541
Zeiten wären der Entwicklung der bildenden Künste in Ungarn
nicht günstig. Die Epoche der Stagnation, welche mit der Regie-
rung Franz I. eintrat, konnte keinem Fortschritte, also auch den
hiMcrulen Künstoii nicht j^ünstig soin. Für.st Estevlnizy liesass zwar
♦ 'iiie ausgezeicliiieit' liildorgalt'i ic, da sicli (lios»^l)»(' alxT in Wien
beiaud, so konnte anch sie keine \Virkung ausühen und war auch
gar nicht mit Berücksichtigung der nngarischeu KuUurbedürfnisse
zusammengeaiellt. Es ist kein geringes Verdienst Pyrker's, des
Brzbiechöfs Ton Erlau, ans Venedig eine kleine Bildersammlnng
mitgebracht zu haben ; doch wurde auch diese — in den enebischöf-
lichen Anpartements zu Erlau untergebracht — nur ron Wenigen
besucht. Unsere Verbiiubuigeii mit dem Auslände und mit W ien
selb.st waren nicht so reg«' wi«- lirut/utage, und eine h*eise nacli
Wien galt in jener Zeit schon itir eiu grösseres Unternehmen, so
dass die Wiener Sanimhmgen nur wenigen Ungarn bekannt waren.
Interesse für die bildenden KUnste fand sich nur in jenem kleinen
Kreise, der sich im Auslande, besonders in Italien, bewegt und die
dortigen Kunstschätze kennen gelernt hatte und der es wusste
oder wenigstens ahnte, welch' ein mächtiger Faktor die Kunst im
Leben der Nationen ist.
Wir, jüngere TiOute, <Ue wir im Ausland Iieisen gemarlit hat-
ten, waren nach unserer Rückkehr über unsere Armuth bt trotten;
wir beriethen uud besprachen uns darüber, was man zur Hebung
der Kunst, respektive snr Erwecknng des Kunstsinnes im ungari-
schen Publikum thun könnte. Dass der Staat in dieser Hinsicht etwas
tbun sollte, dayon wagte selbst der kühnste Reformer nicht zu träu-
nieu ; der ungarische Staat im heutigen Sinne des Wortes existirte
ja damals noch gar nicht, und namhaftere Summen auf dem Wege
der Subskri()tion zusammenzubringen, wäre in solch einem geid-
armen Lande, wie es unser Vaterlan*! damals war, ein Ding der
Unmöglichkeit gewesen. So brachten wir, dem Beispiele Wiens und
des Auslandes folgend, die Errichtung eines Kunstvereins in Vor-
schlag. Moriz Lnkacs entwickelte im Vereine mit uns und Anderen
eine rege Thätigkeit in Wort-, Schrift und That uud unsere Wirk-
samkeit blieb nirlit oline Erfoljjf.
Der Kunst vorein kam zu Stande, er veranstaltete Au.«stelhin'
gen, vextheiite Kunstblätter und Lukacs konnte Uber diese erfolg*
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SiS- OBVKRIDE AVF UOVa LÜKiCB.
/
reiclie Thätigkeit schon 1845 in eiuerii seiner Briefe iil>er «lie uii^a-
risclu'n Zustünde in der , Augsburger Allgemeinen Zfitung* das
Folgeade sehreiben : .Die Kuust nahm hier in den letzten Jahren
einen erfreulichen Aut'sckwuDg, was grösstentheils dem Kunstver-
ein als Yerdieust anzurechnen ist Jährlidi veranstaltete Aotstel-
lungen, die Verlosung der durch den Verein augekauften Genmlde,
Vertheilong von Pramien-Kunstbläticrn unter die Mitglieder, er-
weckte den schlummernden Kunstsinn der Laiidesbewohner und
lenkte einzelne Talente, die noch nicht zum Bewuastsein "Hires Be-
rufes erwacht waren, auf die ri<'htige Halm. — Der Fortschritt, d«*u
Ungarn in dieser Be/.iehung tlnreli die Errichtung des Kunstver-
eius machte, erhellt am besten daraus, wenn nuiii die Zahl uüd
den Werth der Bilder vaterländischer Künstler mit den (lemälden
■ vergleicht, die in den ersten Ausstellungen zur Schau gestellt wa-
ren. Während wir hier fast ausschliesslich Werke auslindiseher
Ettnstler fanden und unter denselben kaum einige inlandische auf-
fielen, worunter nur wenige auf wahres künstlerisches Verdienst
Anspruch erheben konnten, entfiel in der letzten Ausstellung ein
Drittel der ausgestellten W crke auf iiiliüulisrhe Künstler und es
fand sich unter denselben so uianclies vor/.i'igliclie Werk. Die Zahl
der ausgestellten Werke belief sich auf mehr aU 250 und 80 darun-
ter rührten von vaterlämlischen Künstlern her.
t Als Haupthinderniss des höheren Aufschwunges der Kunst
— setzt LukiScs seinen erwähnten Brief fort -r- kann man den
Mangel an Kunstsammlnn^en betrachten, durch die der Oesehmaek
des grossen Publikums geläutert wird und die strebsamen Talente
eine künstlerische Anregung lunl l{ichtnng erhalten. Die einzige
uennenswerthe »Sammlung des Landes ist die <ialerie des Natioual-
museums. Ich hoffe, man wird mich nicht der Unbescheidenkeit
zeihen, wenn ich einem Wunsche Ausdruck gebe, den in Ungarn
jeder Freund der Kunst hegt, dass nämlich Fürst Esterhasy seine
auegezeichnete Gemäldegalerie von Wien nach Pest bringen lassen
möge.* ^ Und seitdem ist auch dieser fromme Wunsch in Erfül-
lung gegangen, wie so manche heilsame Dinge, die einst selbst die
8anguinischest<?n Reformer nur für fromme Wünsche hielten.
Die neuere Epoche unseres Kunstlcbeus beginnt mit der Er-
richtung dieses Vereins.
Die Angele^enheitf einmal in Gang gebnwlii, bewegte sich
fort, ab«T der kleine Kreis, in dessen Schoss diese Bewegung eni-
»innd, bemühtt» sicli, die KulturzuHtäiule Ungavns aucli auf anderen
Wegen, mit anderen Mitteln zu befördern und damit :&ugleich die
politische Umgestaltung vorzubereiten.
Inmitten der allgemeinen Stagnation, die am Anfange der
viersiger Jahre auf aUei;? Gebieten der Staatswirtbachaft, der Poli*
iik« der Wisseiisdiaft in unserem Vaterknde am dcb gegriffen
baUe, war der An&ohwung der ungyurisehen Literatur eine erfreii*
liehe Erscbeinnng; neben Diehtem and politisehen 8ehrifi4teU^
begann auch dif Tagespr^'sse ihre Schwingen zu regen. Es bestand
aber zwischen dem politivschen L«')>eu und dem der Wissenschaft
und Literatur keinerlei Zusammenhang. Die Meisten schöpften ihre
allgemeine Hihlung aus den üeilagen der Augnburger «Allgemei-
nen Zeitung** ; die gebildeteren und höheren Kreise, die auch. des
Franaoeiaehen und £aglieohen mächtig waxien, laaen die «Ketne
des denx Mondes" und die englischen Bevieiu. Sa eziatirte iwar
»neb bei uns ein «Tudomanyos Gyüjtemeny** nnd aneh früher sehon
andere Zeitsehriften ; die Artikel derselben beschiftigten sidi aber
meist mit speziHseli ungarisehen Angelegenheiten, und Form nnd
Geist ihrer Mittheilungen waren so veraltet, der Kreis ihrer Leser
so beschränkt, dass «liese Zeitschriften sozusagen keinerlei Kintlusx
ausübten : ja jene literarische Form, die in dieser Hinsiebt einer
Wirkung fähig ist und besonders in Krankreich und England schon
xar Bltttiie gelangt war, ezistirte in der nngarischenLiteratar noeh
gar niehi Zu dem Zwecke der Grttndang nnd Heraoigabe einer
Zeitsehrift, die im Gewände der im Anslande so wirksamen Form
des Kssays die wissenschaftlichen Errungenschaften und Ideen ver-
mittle, verbanden wir uns drei : Ladislaus Szalay, Harnn Eötvös
und ich, nnd beschlossen, wir niüssten, bevor wir die An^'elej^reu-
heit in einem grösseren Kreise besprächen, vor allem Moriz Lukäcs
gewinnen ; er war eben eines jener Talente, die zu Essay-Sebrift-
steUera qualifieift sind. Möns Lukaes erwog nnd aberlegte mit
seiner skeptisehen Natur unsern Plan, er erhob sahireiche Beden-
ken gegen die AnsAlhrbarkeit desselben, endlieh aber trag der ihm
innewohnende (iemeinsiuu den Sieg davon und er schloss sich
uns an.
L^iyiii^uü Uy Google
544
Dismin iiJF xoBn LVKics.
4
Der erste Band der »Rndapesti iSzemle" (Badapester Revue)
erschien im Jänner 1840. Dieser Band enthielt von Lukacs eiii<^
Abhandlung über den thierischen Magnetisnuis ; der zweit*» brai-hte
aus seiner Feder einen vorzüglichen Artikel über die .strafrecht-
lichen Theorien« Magnetismus und HtraiVecht eiud so lieterogene
Begriffe, dass man mit Recht fragen darf : was gitbLokaos den Im-
pnb, gevade Aber diese Gegenstände zn schreiben ?
. Jede Bewegung, die in den Ländern des westliehen Europa
die Geister und Gemflther ergreift, reagirt auch auf unser Vater-
land. Der thierische Magnetismus mit seiner innewohnenden wis-
senschaftiicheu Bedeutung und mit dem IJumbug, der sieh alimäh-
lig um ihn gebildet, war schon in den dreissiger Jahren auf der
Tagesordnung. Auch wir hatten unsere magnetischen Propheten,
magnetischen Kranken und magnetisireuden Aerzte. Die Seherin
▼on Pre Vorst und die (refangene yon Weinsberg fanden fiberall
xahlreiohe Leser. Der Gegenstand erweckte so viel Interesse, dass
es auch in einer encyldopädischen Zeitschrift am Platze war, fiber
ihn zu sprechen. Und Lukto erörterte dieses Thema mit solcher
Grttndlichkeit und Klarh^t, dass man seinen Essay auch heute noch
mit Interesse lesen kann.
Von grösserer Wichtigkeit waren die Theorien des Straf-
rechis. Die neue Generation, die Zeuge der Schaffung des heutigen
Strafgesetzbuches war, ahnt es gar nicht, wie viele Phasen diese
Angelegenheit passiren musste, bis sie zu ihrer Losung gelangte.
Schon auf dem 1790/91-er Landtage kam die Angelegenheit zur
Sfurache, neunzig Jahre mussten veigehen, um dieselbe zur Reife
zu bringen ; es ist die Schuld der alten ungarischen Staatsmänner,
sie immer nur verhandelten und die Verhandlungen nie zu
einem Resultate zu führen wussteu. Eine wichtige Angelegenheit
auf literarischem Wege zu befördern, gesunde Begriffe einzubür-
gern, die Männer der Praxis zu orientiren : dies war die Aufgabe
des Artikels von Lukacs. Die literarische Lösung der Frage ist ihm
in jeder Beiuehung gelungen, denn seine Abhandlung kann noch
heute mit Genuas gössen werden.
Grosse Sensation verursachte in unserem gesdlschaftUchen
Leben, das sich immer nur in kleinen Verhältnissen bewegte, das
Erscheinen des «Pesti Hirkp* im Jahre 1841. Da aber 1843 zwi«
uiyiii^cü Uy Google
DBBmi» AUF XOBIS LÜKiCB. 545
sehen dem Kedakteur und dem Herausj^eber Differenzen entstan-
den übernahm Szahiy die Kodaction des ,Hirlap'. Neue lieliren stan-
den auf unserem Banner ««geschrieben. Eötvös und ich versicherten
den neuen Redakteur, dasä wir ilin mit air unseren Kräften unter-
stützen und mit ihm wirken würden. liukäes zo^ sich aber zurück ;
weder die DoktriDen noch das Verfahren fanden seineu Beifall,
worfiber er sich anch in einem späteren Briefe ftnsserte.
Dies trftbie aber unser freondsehafUiohee Yerh<niss nicht
im Mindesten ; die Reformbesirebnngen des Landes und der libera-
len Partei — denn die damalige Opposition ))ildete die liberale Par-
tei — vertheidigte Lukacs auf anderem Felde.
In den vierziger Jahren, besonders während des 1843/4-er
Landtages, wurde Ungarn von der deutschen Presse, besonders
aber von der , Augsburger Allgemeinen Zeitung*, die damals bei
uns viele Abonnenten und noch mehr Leser hatte, sehr heftig und
ununterbrochen angegprüFen, theils mit der Beschuldigung — wie
es auch die heutige deutsche Presse thut — dass wir die Deutsehen
und jede Nationalität unterdrücken wollen, theils mit der Behaup-
tung, dass die Bestrebungen der National partei ungerechtfertigt
seien, dass Alles, was dieselbe fordert, unausführbar sei, das« der
Konstitnti()?ialisnius eine Chimäre sei, dass es Ungarns Loos »ei,
von Wien aus regiert zu werden.
Die heftigsten Angrifle kamen aus der Btaatskanzlei, wo
solche Männer sassen, die glaubten, sich nie geirrt zu haben, bis
sie eines schönen Morgens zu der Einsicht erwachten, dass jenes
Oesterreich und Ungarn, das sie aufrechterhielten, mit dem Wehen
des ReTolutionswindes in Staub zerfiel, ohne dass Jemand Muth
und Lust gehabt hätte, es zu vertheidigen.
Anf diese Angriffe zu antworten, das Ausland aufzuklären
und mit den \ erliältuisseu und Bestrebungen Ungarns bekannt zu
n.acheu : diese Autgabe stellte sieh Moriz Lukacs und er war der
Lösung derselben auch in jeder Hinsicht gewachsen. Er schrieb
ein korrektes Deutsch, denn die Generation, der Lukics und seine
Freunde angehörten, lernte und sprach deutsch, ohne dass sie auf-
hörte, ebenso gut ungarisch zu bleiben, wie Jene, die sieh heute
damit prahlen, nicht deutsch zu wissen ; er besa^s die erforderliehe
Bildung und wai' ül^er alle yaterländischeu Zustände orieutirt, über
L^iyiii^uü Uy Google
S46 zwasEDE Avr xobv tmioa.
alle politischen and andereti Fragen unterrichtet, dabei nnbefao*
gen genug, um, während er das Vorgehen der ungarischen Oppo-
sitioa rechtfertigt»', dasselbe, wo es nöthig war, auch einer Kritik
KU unterziehen ; endlich Hess er auch die Kegeln der schriitsielie-
riechen Urbanität nie ausser Acht.
Getrost darf ich behaupten, does man die Artikel Lukact^
auch heute mit Interesse und Belehrung lesen kiinn, und würde «•
(Vlt aehr w&nschenewerth halten, wenn jene Artikel geeammelt und
auch in nngarischer Uebereetzuug herausgegeben würden, damit
jene Partei, die das heutige Ungarn hüben und drüben unausge-
setzt angreift, die fortwährend unser Barbareuthvun und di^ hei
um» herrschende Demoralisation im Munde trägt, die iu ihrer In-
wissenheit so i^richt, als wäre I^ngarn vor 1848 ein in national-
ökonomischer, politischer und kultureller Beaiehuag blähende«
Reich gewesen, — damit diese Partei lernen würde, in welch Urinli-
chen, primitiven VerhaUnissen diese Nation vor 1848 lebte wid
welch grosse Forfc^chritte sie seitdem gemacht hat
Während die jüngere (leneration theils unter Szechenvi';*.
tiieils unter Deäk'.^ Küliruug, theils unter den Inspirationen Ko.ssuth .>
vorwärts zu schreiten bestrebt war: wurden wir 1848 plötzlich
durch die französische Itevolution und deren Folgen Überrascht
Besttglich der Stimmung und der Antiehten, die über dies
Srreigniss herrsohten, habe ich im Garnen und Grossen — insofon
ich Gelegenheit hatte, Menschen und Dinge zu beobaehten — diei
Strömungen gesehen. Es gab Solche, auf die auch die urbarialen
V'erhältuisse einwirkten, die die Ereignisse zwar mit Resignation
aufnahmen, aber keinerlei »Sympathie für die neuen Uestaltungeo
hegen konnten, da .sie .sich inmitten jeuer Staatstrümmer, aus denen
die ungarische Konstitution vor 1848 bestand, nicht nur wohl Ahl-
ten, sondern angesichts des neueu Umsehwunges Tiellsicht bcns
fide auch der Meinung waren, dass alles, was geschehei nur vos
heute auf morgen sein Leben fristen könne und wieder so sekneH
Terschwinden werde, als es entistanden war.
Die zweite Strönuing bestand aus naiven Leuten, die nur
eine Seite der £reiguisse sahen und glaubten, der Frühliugder
Volksi'reiheit sei mit seinen ewigen Blüthen und Frilchten ersdos*
neu, welche nun in .Jedermanns Seboss fallen wOrdaik
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DBinuEDe AUF xoBÖs lukIcs.
547
In diesem Lager liegaimen ili^ l iii«'iten grossen I^iirrn zu
schlagen, uud auf diene VVei^^o kniueu Terschiedeue Diuge zum Vur-
iichein, die zu gewöhnliehen Zeiten unsichibar zu bleiben pflegen.
Vielen wollte ee nickt in den Sinn kommen, dass grosse flrrungen-
Schäften stete auch grosse Opfer kosten.
Die dritte 8tr5mung war jene der grossen Gruppe der Beson«
neuen, die die lievolution als ein fait accompli hinnahmen, die sich
wohl auch dariiliiT die Kfipfe y.erl>rachen, oh mau die nolitisclien
Kragen nicht aut dem Wege ganz Iriedlicher Het'ornion hätte hisen
können, uud, du sie »ich üherzeugteu, dasa dies iu Uugaru uumüg-
iieh gewesen wäre, auch dariiher im Keinen waren, dass Uugaru
selbst im besten Falle grosse Wirren zu bestehen haben werde, dass
die Kreirung neuer Institutionen viel Mfihe kosten wird, und dass
wir bei dieser Mühe riel Besonnenheit nnd Massiguug ixitiiig ha*
ben werth'u, denn die ^cliwehenihui Fragen zwischen Tugarn und
Oe.^terreit li niüssen geh'ist werden, uud dans es (he l*Hieht eine« je-
den guten i'atrioteu ist, an dieser Arheit theilzunehmeu und zur
Rettung dos getUhrdet^n iStaates und der (tesellschat't mitzuwirken*
In die Reihe dieser Männer gehörte auch Moriz Lukacs«
Nack der Kotistttuirung des ersten ungariscken Ministeriums
wurde Lukacs vom Blinister für Ackerbau, Haadol und Gewerbe,
Gabriel Klauzal, dessen Talente nnd Verdienste heute noch nicht
genug gewi'irdigt werden, autgetordert, als Präsidial-Öekretiir mit
ileni I\aug und (.MdwiU eiues Ministerialrathes, an seine Seite /u tre-
ten, liukaes wollte anfangs von der Annahme eiueH Amtes gar
nichts hören ; er eutnchnldigte sich mit der Krankheit seiner Mut-
ter, sowie aeiner selbst, mit der Lückenhaftigkeit seiner Vorbil-
dong : da iha aber sehie besten Fremide, die Alle Amtsstelleu be-
kleideten, bestflrmten, beschloss er, der nickt nur ein guter Patriot
war, sondern auch viel (temeinsinn in seinem Innern hegte, da er
nichts vom »Spie.sshihger besass, der jiur seinem Interesse uud seiner
Btquemliühkeit leben mag, — seihst in dieseu schweren Zeiten die
ihm angebotene »Stelle an/unehuieu. Uud was er einmal auf sich
nahm, dem kam er auch mit der grössten Gewissenhaftigkeit nach.
Da ich iii demselben Ministerium Staatssekretär war, so kam ich
wfthrend dieser Zeit, vom April 1848 bis Ende September, niekt
aar tagÜek piit Lukacs in Ber&hruug, sondern lebie sozusagen
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\
548 PEKEBEDE AUF XOBIZ hVKiCB.
ganz mit. ihm. Im Jalii«' l!^ IS ♦'utNi>i'Hch<'ii Wciiij^»^ den in sie ^r^-
aetztea Erwartungen in solchem Masse wie Moriz Lukac«^. Er war
ein pQnktlicher, gewissenhafter, fleiJ?sigpr, gpgen Jedon znvorkom-
mender, liebenswOrdiger Beamter. Er arbeitete präzis, schnell und
gründlich, und wenn die 49-er Ereignisse nicht daswischen gekom-
men wären und Ungarn sieh auf der Basis von 1848 forteniwiek^
h&tte : so würde Lnkacs einer der vorzüglichsten Beamten gewor*
den und gewiss auch geblieben sein, denn er würde die ihm anver-
traute Sektion nicht nur mit mechanischer Geschickliclikeit gelei-
tet haben, sondern er hätte auch die hier und im Aushmde daniit
in Verbindung stehenden Fächer studirt und gekannt. Das Charak-
teristikon des TorzUglichen Beamten ist : volle Kenntoiss des Fa-
ches, in dem er arbeitet, und die Gabe, seine Kenntnisse bei gege-
bener Gelegenheit, den Verhältnissen angemessen, in (lassender
Form, in präziser und klarer Sprache und möglichst schnell anwen-
den zu können.
Die biir«'aukratiHL'he Carriere Lukäcs' war aber nicht von
Dauer. Bevor sie jedoch ihr Ende erreichte, nachdem das erste Mi-
nisterium aufgehört hatte und ein anderes nicht zu Stande kam
und ich mich nach der Katastrophe vom 28. September entfent
und meine Stelle niedergelegt hatte : war Luktfcs bis aum Einsog»
Windiflchgräta* als Leiter des Ministeriums ihätig und reprSsen-
tirte auch im Landesvertheidigungs-Ausschuss das PortefeuiOe ftr
Ackerbau, Handel und (bewerbe.
Ueber diene Epoche schreibt Lukäcs interessant in den Frag-
menten seiner Memoiren.
Nach dem im Jahre 1851 erfolgten Tode seiner Mutter Hüch- j
tete auch er mit gebrochenem GemOthe in^s Ausland, nachdem er
XU Hause keinen angemessenen Wirkungskreis fand. Während sei-
nes jahrelangen Aufenthaltes im Auslande machte er mehrere Bei-
den im Westen Europas. In den Jahren 1860 und 1861 war er m
Hause, ohne hier eine l^olle <^espielt zu haben; er erzählt selbst in
seineu erwäliutcn ))iogrHphischen Fragmenten, wie unangenehm es
ihn berührte, dass es im 1860-er Landtage keinen Platz für ibu i
gab. Ich erinnere mich sehr gut, mit Lukacs öfter über diesen Ge-
genstand gesprochen seu haben. Wir, die wir ihm näher standsn,
wollten ihn ftberreden, als Abgeordneten-EMididat aufEutreten, h
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LXNK&EDE AUF MOBIS LCKiCS. 549
k
sieh gewiss ein Wahlbezirk finden werde, in dem man ihn gern
wählt; da er aber keine beetimmte Erklärong gab ond mit den
Wählern nicht in Kontakt treten wollte, unterblieb seine Wahl
Im Jahre 1862 beginn^ eine neue Periode im Leben Lnktfcs*;
er heirathete, er. ilor früher jeilen Heirathsgedanken Ton sich ter»
gelialU'ii liatto. Die (ieschichte dieser Ehe wäre ein Stoff zu einem
intt^reaaanten psycliologischeu Problem; ich bin aber iu die Geheim-
nisse derselben nicht eingeweiht.
Seine Frau war kränklich und ihr Zustand zwang Lukäcs ein
wirmeres Klima au&usuehen und sich gleichsam su expatriiren.
Aber die langwierige Krankheit endigte auch so mit dem Tode.
Nach dem Tode seiner Frau hielt sich Lnkäes mit gebrochenem
Gemüthe und geschwächter Gesundheit bald hier, bald im Aualande
auf und lebte nur dei- \ Crgangenheit. Er wollte seine Menioireu
niederschreiben» doch, wie es scheint, hat er davon nur jene 8ki//.e
geschrieben, die den Prospekt der Arbeit enthält und im »Szegedi
ArmkÖnyr* erschienen ist.
Jetat, wo ich dem £nde meiner Kede zueile, mnss ich noch
Ton anderen FHlchten der schriftstellerischen ThSljgkeit Imkto*
reden. Seiner belletristischen Arbeiten wird an einem andern Orte
i(i*dacht werden ; ich will nur seiner im alten „TudomÄnytir* und
in der neuen ^Budapesti Szemle* erächieneueu Artikel Erwüh-
nong tlmn.
In den vierziger Jahren erschien von ihm im «Tudomanytär'^
ein Essay nach Guizot Uber die Elemente der neueren Zivilisation«
Der Uebergang von der alten, besonders der römischen Welt in die
neue christliche, germanische und romanische, ist ein interessantes
Problem, und Lukäcs bearbeitete dieses Thema so klar und durch?
sichtig, dass in der Gesammt- Ausgabe seiner Werke, auf die wir
liotientlich nicht lauge werden warten müssen, schon diese eine
Abhandlung allein die Auinierksaiiikeit der Leser fesseln wird.
Nicht minder werthvoll ist seine »Studie über die römische Ge-
schichte, deren Quellen und Glaubwiirdigkeit in Csengery's , Buda-
pest! Szemle.* Es scheint, dass Moria Lukacs, der sich dfter und
i&ngere Zeit in Rom aufhielt, dem Beispiel Gibbon*s und Ampire^s
folgend, die römischen Geschichtswerke dort an Ort und Stelle las.
Die Abhandlung ist das Resultat eines umfassenden Sfudiums nnd
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550 I>BKKKEJ»E AUr MORIZ LUKAC.^.
als fiflsüy ausgezeichnet Sie ist. in ganz kritischt'ra Geiste gehalten
QDd nnterzielit die Ansichten der alten Schriftsteller, Niebuhrs,
Bebwegler's, Lewis* und Maeauhiy^a einer grQndiieheu Kritik. In
Folge seiner Natur konklttdirt er mit keiuerpositifen MeiuniigaMd
ishreibt statt dessen das Folgende: »Die FVage, welcher wohl Beeht
hat, wage ich ohne Zogern zu beantworten : ein jeder und keiner;*
er niotivirt alier auoli ilioseu Ausspruch in scharfer Weise. Lnkac?
schrieb diesen Essay 1858. Ich bin darüber nicht unterrichtet, was
für Vorstellungen die neuere ungarische ( Jeneration von der Weh
der Römer hegt, ob sie in ihnen Halbgötter, Heroen. ])hjintastische
und ideale Gestalten sieht, — wir lernten die römisehe CUvschiehte
noch in solchem C^iste. Die neue Geschichtswissenschaft beweist
aber, dass auch die Römer nur gewöhnliche, aber mit äusserst piak-
tischem Verstände begabte Menschen waren, die es yerstanden.
grosse Werke zu schatten, fremde Völker in «ich auflösen zn la-ssen,
— die aber weder Tugend, nodi Bes(Hnn*nli(Mi vt»ii etwas al)hielt.
was zu erreichen ihrer Meinung nach in ilireni Interesse stand, und
die in Folge ihrer realistischen Natur solche Fehler und Sünden
begingen, die sie zur Vertheidigung der alten Welt gegen die
hereinströmenden Barbaren und gegen die »ich verbreitende n^ie
Lehre onfShig machten. Die Studie Lukäcs* war bei ihrem Srschei-
nen sehr aktuell und ist auch heute noch nicht veraltet.
Im Jahre' 1860 sprach Luk^s in der Akademie eine Denk-
rede auf August De Oerando. Der Gegenstand dieser Rede, die
Persönliehkeit. deren GedÜchtniss sie gewidmet war. übte auf nn>
einen eigenthiinilichen Zauber au>'. Ein Franzose, einer gekannten,
gebildeten und geachteten Familie entstammend, der sich durch
seine Talente und Verbindungen eine glänzende Position in der
französischen Gesellschaft hätte erringen können, kommt in den
yierziger Jahren nach Ungarn, um unser Vaterland kennen zu ler-
nen, sieh unsere Sprache anzueignen, die Insiit^utionen zu studim
und sich mit dem Lande und dier ungarischen Nation zu identifizi-
ren, und schreibt in unserem Interesse ein ebenso gründliches, wie
begeistertes Werk. Fürwahr, eine poetische, edle Ers lieinnng!
Leicht erkliirbar i>it also jener Ton, in dem die Kede Lukacs* gehal-
ten ist, jene .sympatiiische Wärme, die dieselbe durchdringt. Lukäcs
endigt seine Rede mit den folgenden Worten : „Ein ungarischer
i^iyiii^cü Uy Google
DtNKKSDE AUF MOBB &UKiC6. 551
Sehriftsteller, wie reiehe Talente er auch besitze, wie sehr er auch
4er fremden Sprache mfichüg sei, wird doch den Platz des Verbli-
ehenen nie in vollem Masse auszufüllen iahig sein, denn unsere
Feinde werden die Glaubwürdigkeit seiner Worte, seiner Behaup-
tungen und seine Schlüsse mit der Beschuldigung der Befangen-
heit, Beeinflussung und'Parteüichkeii bezweifeln und abschwächen.
Nur die Nation selbst ist im Stande, ihre Tadler Terstumuen zu
machen oder wenigstens den Stachel ihrer Verleumdungen abzu-
brechen, wenn wir Alle für Einen und Einer für Alle jede gegen
uns erhobene unbegründete Heschuldiguug luit Thaten widerlegen,
wenn wir uns durch unerschütterlichen Patriotismus, durch mora-
lische und materielle Opferwilligkeit, durch gemässigte Bestimmt-
heit, durch Billigkeit gegen Jedermann, durch vielseitige Ausbil-
dung unserer Fähigkeiten und durch die Pflege der Kttuste und
Wissensehaftten in die Reihe der ersten Nationen der Welt erhe-*
ben, und, was wichtiger als all* dieses ist, wenn wir in den schwer-
sten, wie in den verlockendsten Verhältnissen - „mög' uns die
Hand des Schicksals segnen oder schlagen* — uns und unserer
Ehre treu bleiben.*
Am 27. Mai 18öl hielt Lukacs in der Akademie seine Denk-
rede auf den Grafen Ladislaus Teleki. Diese Rede hat auch als
rhetorisches Werk Bedeutung, ist aber besonders ein treues Spie-
gslbild jener Periode, das die Stimmung der Zeit oder vielmehr
des Tages getreu wiedergibt. Lukacs stand von seiner Jagend an
in sehr vertrautem Verhältnisse zu Ladislaus Teleki, obwohl ihre
Charaktere, Naturen und TeniiMTaniente sehr verschieden waren ;
aber Lukacs besass el>en jene Eigenschaft in grossem Masse, auch
solche (^*haraktere, die mit dem seinigen in Widerspruch ntaudeu,
zti verstehen, zu erfassen und zu wfirdigen.Das tragische Schicksal
Ladislaus Teleki*s ergriff aber auch Jene, die ihm nicht näher
standen. Nach einer langen Verbannung nachhause zu kehren,
monatelang in fortwährendem Kampfe mit der Welt und mit sich
selbst zu leben und schi»*s.slich seinem Leben durch eine Kugel ein
Ende zu machen : ist walirlich mi tra*;iscli('s Loos. Alle, die wir im
Jahre 1861 seine Abgeordueteu-K(»l legen waren, werden uns ewig
jenes Tages erinnern, als wir im Abgeordneteuhause erschienen
und statt einer grossen Itede Deäk's die ersehUtternde Nachricht
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559
{»INKRBDK AUF HOBIZ LUKACS.
erliieltcu : Teleki habe »ich t rschosseu! Und der Nachhall tli<»<«<'r
Wirkimg, dio dun ganze Land durchdrang, war auch damaU nock
nicht ToUstandig geachwunden, ala Lakics aeeha Wochen spiter
aof der RednertribQne der Akademie den Charakter Teleki's nnd die
OrOnde seines Selbstmordes mit der «ersetzenden Kraft des Pny-
chologen und mit der aufrichtigen W'Urme des treuen Freundes
schilderte.
Moriz Lukacs endigte im Dezember des vorigen Jahres seine
irdische Laufbahn. Seine Gesundheit war schon längst gebrochen,
seine Augen wurden Tom Staare verdunkelt, so dass er selbst nicht
mehr lesen konnte ; für ihn war der Tod eine Wohlthat, er befreite
ihn von den bitteren Leiden des Lebens und vereinigte ihn mit
Jenen, die er am meisten liebte, die aber noch vor ihm ins Grab
gegangen waren und ihn hier allein zuriickgclasseu hatten.
Unter th*n in seiiioin Leben verötlentlichten oder hinterlas-
seiien Werken Lukacs' ist gewiss nicht das schlechteste sein TeMa-
ment, welches beweist, dass Lukäcs ein vernünftiger, humaner, auf
die geistigen Interessen grosses Gewicht legender nnd für diesel-
ben warm begeisterter Mann war, ein edler Mann im straigen
Binne des Wortes, ein wahrer Gentleman. Dies Testament ist io
mehr als einer Hinsicht lehrreich. Es widerlegt jene Ansicht, daie
bei uns die Gentry unbedingt zugrunde gehen müsse. Gehörte ja
doch auch Lukacs zu dieser Klasse, und er ist nicht nur nicht zu-
grunde gegangen, soiulern hat sogar noch sein ererbtes Wrniögen
vermehrt. Zweitens beweist dies Testament und dient zugleich als
Beispiel dafür, dass in einem Lande, wo Gemeinsinn herrscht, ein
vermügender Mann, der keine Familie hat, der allgemeinen Insü-
tnte nicht yergeasen kann, wie dies in der letzten Zeit in mehreren
sehr auffallenden Fällen geschah, dass reiche Leute ohne Familie
▼erschieden, ohne der (iemeininstitute des Landes auch nur mit
einem Worte, mit einem ll»'ller geda» ht zu haben. Das Lan»l. iu
dem solrlie Männer leltten wie Moriz Lnkaes, kann kein ilenioiali-
sirtes, kein korrumpirtes Land sein. Die Jugend, deren erste Aut-
gabe es ist, zu arbeiten und zu lernen, folge seinem Beispiele, und
Ungam wird fort4anem zur Freude seiner Söhne und Freunde and
zum Yerdmss seiner Feinde !
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Dil mtoHKinwnir toh twmm. SsS
DIE KffiCHENRÜlNE VON TOPUSZKO.'
Es ist das grosse Verdienst des ersten Gnstos des Agramer
Ifneernns, H. Lnlneh nachgewiesen zu haben, dass der Spitssbogen-.
styl in den Ländern der ungarischen Krone fniher Anfnahme fand,
als in Deutschland, welches ehedem als Gebartsland dieses Sfcy-
les galt.
Der einschlägige Beweiss wird durch die Kirchenruine von To-
pnszko geliefert, welche Lubich im «Viestnik' (einer in kroatiseher
Sprache encheinenden archfiologischen Zatschrift) r. J. 1879 und
1880 ansffihrlioh bespraeh; auch ist der Artikel mit hinlfingUchen,
naeh genauen Messungen sanber ansgeftthrten drei Tafeln des Inge-
nieurs Fr. Erben illustrirt, welche wir mit Zustimmung des Verfassers
in verkleinertem Maasstab reproduciren.
Der Besprechung der Eirchenruine wird eine Abhandlung
der rßmisehen Vergangenheit des Badeortes Topnsiko Tonrasge-
schickt, dessen Name «ad fines' war nnd anf dessen Boden sah!-
reiche romische Inschriftsteine an^fnnden wurden, welche Lubich
eingehend erläutert, üns interessirt vorzüglich die Enrchenmine,
welchf» ton den in Kroatien häufigen neueren Erdbeben gelitten,
seither jedoch wieder restaurirt wurde so, dass deren Bestand, ob-
gleich bloss als Ruine, gesichert erscheint.
Der Badeort Topussko ist in der ehemaligen MiUt&cgreiixe,
im I. Banalregiment südwestlich von Glina gelegen ; die drehen*
mine befindet sich im «Plantage Qarten" des Kurortes. Vom an-
stossenden Kloster ist nur wenig erhalten, oder vielmehr das Kloster
\vnrde nocli keiner durchgehenden An.sgrabung, wie jene der Kirche
unterzogen. Der Garten, in welchem sich die Ruinen befinden, ist
mit einer ^Wallmauer" umgeben, welche an dreien ihrer Ecken
bastionartige halbrunde AnssprQnge hat, an der rierten Ecke ist ein
«Gloriette* angebracht,
„Die Abtei", berichtet Lubich nach Siegers Aussage,' „ist unter
der französischen liegierung abgetragen worden, und aus dem Mate-
' Eine audcre Bebprechung dieser Ruine habe ich im „Archeologia
^rtesito" Jahrg. 1881 (respecUve 1882) S. 228—247 gegeben.
' Dr. Sieger „Die Heilquellen von Topuike in Oeoatiea. 1845.*
UnKarwcbe li«vue. 1882. VU. UefU 86
\
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S54
riale w unl»»ji in niehroreu Coinpa^nifsfatioiion Frurlitmai(a/iii<' uinl
andere (t^'bäuclo Jiiit^<*liilirt. Das imc Ii stHhemlo Portal»» («lor Kirche)
hat weilaml S Majestät Kaiser Franz I. hei Geleg»'uheit «eines
^Allerhöchste» Üesuckes tlieser Bäder im Jahre 1818 zu erhalten
befohleu.^
Ebenso citiri L. ans dem Werke v. Knnits (Hifltorisch-Iopo-
graphische Besehreibung des Mineralbades Topuszko Carlstadt
1829): «Noch leben au Olina und in dieser Gej^^end mehrere Pefso-
neu, welche diese Kirche jiorh (janz afrhrnd kannten, und sahen, wie
mau ilas prächtige goihisehe ( iewrdhe dem PJinwirken jeder Luft und
Witterung preis gah, untl so aiu h die Kirche selbst zerstr>rt ward
deren feste Bauniateriulien dann zu anderen ( Jehäudeu verwende *
wurden. Auf Befehl seiner Excelleuz des lianus Igiiaz Grafen Gynlaji
wurde durch die eifrigste Sorgfalt des Herrn Obersten und Comman-
d^nten des ersten Banal-Ghrenz-Regimeutes, Johann von Kestor,
das grosse prächtige Portal mehrerwähnter Kirche als ein eben so
merk- als ehrwürdiges Denkmal von der Zerstörung noch gerettet
und bis auf gegenwärtige Zeit erlnilten.*
Ein weiteres Verdienst des Ahl)ate liuhich ist erkannt und
ausgesprochen zu haben, wie das Kloster von Toplicza durchaus
dem älteren strengen trauzüsischen fcjpitzbogenstjrle angehört.
Ebenso hat Lubich durch Anführung einschlägiger Documente
den Aufbau des Klosters um das Jahr 1211 nachgewiesen.
Wir folgen nun der Beweisftihning dieser Thatsaehe, werden
jedoch die Documente ausführlicher, als Lubich thut, geben, indem
wir dieselben aus Ivan Krsi Tkalcsics »Monumenta historica epis-
copatus Zagrabiensis. Agrani 1873* anführen.
Das erste hierher bezügliche stammt von Andreas H. a. d. J.
1205. und enthält die Schenkung des Landstriches Gorra an die
aus dem inuizösischeu Kloster tou Clairevaux berufeneu Zisterzien«
■er Mönche.
«Andreas dei gmiaHungarie rezetcnotum ease Tolumosetc.
quod terram de Oorra, cum omnibus suis appendidis eo iure et ea
Übertäte, qua nobis tempore ducatus nostri seruire tenebatur, cum
Omnibus hominibus, servis et liberis deo et beate Marie eonhäinm
ad abbaciam construendam, de ämw darevaüensifOrdinis cystercifH'
sis, Dutum auuo regni uostro primo (1205)/
uiyiii^cü Uy Google
»IE nBCITKNRUINR VON TOPDäZSO. ISoS
In einer Urkunde t. J. 1211 desselben Königs Andreas II.
finden wir: ,
«proprie deTOcionis rota qnod dndnm animo conceperamns
indncti. raoimsterinm — in loco, qni dicitur Toplica, ' diixinms coii-
stnieiuliini, rratiihusqiip rJnyrraJJciifiis domns^ ordinis cystercieiisis
roiitulinms possidonduni. Si (jiiis vovo post tempus huius iiostre do-
nacionis que facta fnit regni iiosti'i anno seciindo* aliquid de rebus
f iusdem monasterii — fraudulenier vel Tiolenter subtraxerit, dis-
triete preeipimus et snb pena regte indignacionis edicimns, qnod
illnd cessante contradiccione eidem ecclesie restanretur. — (Monas-
terio) eam ooncedimns Hbertateni, qua agriensis et pelisiensis ecclesie
ex regali dono ntnntnr.*
In eiuei* weiteren Urkunde von Jahre 1213 sagt der König:
«Licet omnia Cysterciensis ordinis monasteria, qne olim bone
memorie patres nostri reges Hongarie constmzerant specialiter dili-
gamus, maxiine qnia ceteris deo firmins inherere et tarn assidnis
quam firequenter pro nostris excessibns ezorare crednntor monasterio
tarnen de Toplica, Cjuod de proprio nostro fundayimns regni nostri
nnno jn'info ampliori dilfceionis prerogativa tenemur, eo quodfratres
clarevdllensift ccnobii iiiihi cunrofarhnm re. (Folgt die Wiederholung
der Donation und schliesslielij Etutliee a nobis facta donacio nullis
inifjuaui temporilnis valeat aboleri, ad praeces vonerabilis Theobaldi
tunc temporis eiusdem loci abbatis presentem paginam sigilli nostri
testimonio fedmns insigniri".
Eine andere ürkimde von Jahre 1213 idederholt das hier
angeführte Wort (ür Wort: eine dritte von el)en diesem Jalire sagt :
.Ex conquestione dilecti abbatis nostri Toplice nobis innotuit,
qnod elemosina nostra, qnam ei per Privilegium nostrum contulimus
de die in diem minuitnr, qnod nobis in obprobrium cedit et in eceulesie
nostre Toplice maximnm detrimentam ; mazime de castrensibns
suis quos aliqni de Tieinis eins contra Privilegium nostram detinere
* Toplioa imd Topnnko taad xwei Namen denelben Ortet» der
mtere besieht «ich anf die hier bettehenden warmen BSder, wie solche
onoh der Stadt Tepliti in Böhmen den Namen gaben.
' In allen llltrig«« Urkunden tteht das enrte Jahr der Regierung dM
80*
i^iyiii^cü Uy Google
«
SSff VOt KlBCmtMWllil TOir VftVSOBt.
presuiiiuiit etc. (Den Hauen wird sofort autgetragen diese Eigen-
mächtigkeiten der Nachbaren abzustellen).
Es kommen noch fünf Urkunden des Königes Andreas II. vom
Jahre 1213 vor, welche alle auf die Güter und Einkünfte des Klos-
ters und die Spoliacioneiif welehe damlbe toh mäehtigeii Nachbarea
erleidet, Bezog haben ; in einer derselben sagt der ESnig, dass wer
immer das Kloster schädigt, gleiehsam sein Auge scbSdigt: .qni
male fecerit predicte domai, quasi qui tetigerit pupillam ocnli mei.*
Die wichtigste Urkunde aber ist jene, aus welcher sich der
Beweis ergibt, das unser Kloster bereits im Jahre 1220 fertig da-
stand, sie lautet in der Übersetzung:
,Ich Martin von Gottes Gnaden Bischof von Corbabia ^ tbue
kund den Lebenden und Zukünftigen : dass mir, als ich die Kirche
des h. Stephan in Vemice weihte, Ton Leuten des Abtes von Topliee,
welche diese Kirche mit seiner Znstimmong erbauten, in meiner
Gegenwart berichtet worde, dass benannter Abt und die MSnche
▼on Toplice dieselbe Gerichtsbarkeit in besagter Kirche d. b. Ste-
phan in Vemice besäs^sen, welche dem Herren oder Patrone einer
auf eigenem (irund und Jioden erbauten Kirehe zusteht. Und das.-j
durch Errichtung besagter Kirche des h. Stephan jene von Toplice
keinerlei Schädigung zu befahren habe, weder von Seite des Pfar-
" rers, noch einer anderen Person, sondern die Liegenschaft und die
Schenkung des Königs an die Kirche ?on Toplica für alle Zeiten
frei bleiben, ünd damit Besagtes nicht durch irgend Jemandes
Wagniss oder Ränke gestört werde, haben wir Torliegende Urkunde
mit unserem Siegel bekräftigt Gegeben im Jahre des Heils
MCCXX. '
1 Das Biathmn von Corbabia enstirt nidit mehr, es wurde im Jahre
1461 mit jenem Ton Zengg yereiiiigt
' Ego Martiaas dei giacia eorbabensia epiacopiu, notom fhcio tarn pn>
aentibiu qaamfiitniui : qaod cum eonaecracem eoclenam a. St^hani in Vemioe
seoognitmn eat in preaemsia mea de hominibna abbatia Toplioe, qat eaadeaa
eoclesiam per concessionero eins constrazerant, qaod predicias abbas et
tnonachi Toplaoe habent eandein iurifldiccionem in predicia eccleaia s. Stephani
in Vwiiice, quam debet habere dominus vel patronus in eccleRia fundata in
torra sua. Et quod occaaione prefate ecclesie b. Stephani nuUum tiet proiuJi-
cium ecclegie Toplice in poste (rum) de terra, vei de rcdditibus suis, neque
per sacordotem eiuadem ecclesie, neque per aliquam aliam personam, sed
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DIB JOBCBBNBUJVS TON T0PU8ZKO.
557
Ans dieser XJrkande geht hemr, das die Kirclie toh Vernice
eine Tochter der Mntterkirehe Ton Toplicza war, nnd daes, indem
exetero von Leuten der letzteren bis zur Etnweihiing im Jahre 1220
fertig gebracht wurde, die Fertigstellnngder Mtitterkirche in eine je-
denfalls um mehrere Jahre /.nrückgeht^ndo Zeit zu se/.eu ist ; weslialb
auch Lubicli die Erbauung der Kirche von Toplicza zwischen 1206
und 1211 annahm. Sollte jedoch die Fülle der Urkunden aus d. J.
1213 nicht eher anf eine vermehrte Bauthätigkeit in dieser Epoche
hmdentea?' JeäeHfiUU aber ist die Erbaumfug tm wemffttms ein MiT"
M^beifi über jene dsr äUeiien SpMogenkkdie m DeitlseKlanä hmamf
£» rücken, aHs wdeke die JJdtfraitenkireke in Trier, eine Toekter der
AbUikirche von Braine hei Bheitns, güt.
In einer Urkunde von Jahre 1213 wurden der Zisterzienser
Abtei von Topuszko dieselhon Rechte verliehen, deren sich die Ab-
teien desselben Ordens in £rUn und Pilis erfreuen. In anderen
tJrkonden werden als drei Hanptabteien des Ordens jene Ton Zirz,
Pilis nnd Ptetö augeführt. Die ursprünglichen Klöster nnd Kir-
chen dieser drei Abteien sind von der Erde Terschwnnden ; einzig
in Zirz st^ht noch zur Erinnerung an die alte Kirche ein reich ge-
j^liederter und verzierter Schaft, welcher starken Einfluss der fran-
zösischen Schale verräth, einsam auf dem Marktplatze des Ortes«
Dagegen ist die alte Kirche der Krlauer Abtei, jetzt von Ap^t-
lalTa oder «Abbatia de trium fontium** genannt, noch ganz
erhalten. IiK>l) i nimmt an. ^ sie sei von Erlaner Bischof Kilit
n. (Cletus nach Schmidt's ,Episc. Agrieuses" 1225 — 1242) ge-
gründet, sie wäre demnach jünger als jene von Toplicza; wäh-
rend doch in den auf letztere bezüglichen Urkunden die Berufung
anf eine in Apatfalva bereits bestehende Abtei geschieht Die Ein-
führung der Zisterziten nach Ungarn und zwar zumeist aus fran-
zSflischen KlSstem findet unter den Königen B^a III. und Emerich
tnna et elemotiBa donuni regia eoölesie de Toplioa libera manebit hi eter-
nmn. Et ne hoc qnaHbet temeritste vel alionius flnuKhileBoia de cetero
Taleai pertarbari, proBentem paginam sigillo nottro ÜBciiiiiis commumri.
Aetum anno grade MCX)XX.
* Vgl. deii Art. ,A Konok bfl-hiromkuti, mätk^p apitfalvi ap&t
•äga ^8 XIII. ratadi leiriaa** im VI. Bande der „Archaeol KOtlentfnjelt'*
(Jahig. im).
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1
558 KIUUIIENUUIXE VUN TOI'L^ZKu.
im letzten Viertel de.s XII. Jahrliunderts statt; nichts (lest»>\veuijL'»'r
wäre möglich, dass die Abtei von Aputtalva ihr Privilegium lange
jCft dem Ausbau der uoch bestehenden Kirche erhielt and sich
einstweilea durch lange Jahre an Bedftrfnisebaitteii genfigeu Üe«.
Ich sage dteas wire nieht unmöglich, doch inderspridit wieder
dieeer Annahme der Styl and der ganae Habitue der Apatfalfaer
Kirche, welcher ein ftiterer als jener yon Toplicza, nemlich der
des Überganges ist, und ebenfalls der iVaiizösisclien Bauart, und
noch näher bezeichnet jener der strengeren, der Zisterziten ange-
hört, wie Hie von dem (iründer des Ordens, dem h. ßernhardt ^
Gegensatz zur reicheren der Benedictiner angegelien wurde.
Es hat nemlich das Sanctnarium iu ApatfaWa, wie dies die
Ein&ehheit der Schule Tcrlangie, einen ein&chen geraden Schluas,
und fehlt jede Andeutung eines Thurmes, wie solcher an den gleich-
seitigen Kirchen der Benedictiner sogar als Dojtpelthurm gebräuch-
lich ist. Die Einfachheit zeigt sich sodann auch in der geringen
Länge der Kirche, welche bloss 4 Vi Einheit misst, d. h. die Miüel-
schififbreite von Axe zur entgegenstehenden Axe der Pfeiler. lii« r
333 Wiener Zoll multiplizirt mit 4V« = 1498 Zoll; ebenöo gehört
die Apätfalvaer Kirche zu den niedreren, indem die Höhe des Mit-
telschififes bis zum Dache nicht mehr beträgt als die Diagonale eines
ans der Einheit constmirten WOrfels, das ist 333" X 1«732 =
576,75". Endlich ist anch auf die sehr einfachen Pfeiler der Kirche
aufmericsam zu machen, indem diese blos aus einem an den Ecken
abgefasten Quadrate i)estehen. Seheidebogen und t^uergurte des
(iewöll)e.s haben einen stumpfen iSpitzbogen; die Fenster sind jedoch
Überall uoch im HalV)kreis geschlossen; im Chorschluss, an den
Kreuzarmen und in der Westfronte sieht mau Uuudfenster ; jenes
der Westfronte ist ein Badfenster, an welchem sich noch ursprüng-
liche Speichen eriislten haben. Kurse Streben kommen bloss am Thor-
schlttss und am nördlichen stark ausspringenden Querschiffe vor.
Den Schmuk der Kirche bildet das westliche, in das Mittelschiff
führende Purtul, die Kapitale und die Kragsteine, deren Blattver-
zieruugen und l'rofilinuig offenbar auf französisclie Muster hin-
weisen Aeusserst zierlich ist eine den Halbkreis des Tynipuuuuii?
am Hauptportale umgebende Einrahmung, welche au» treftlicb ge-
arbeiteten, iu fortlaufeude Voluten eingeschlossenen, gut «tyiisirteu
uiyiii^cü Uy Google
DIU KiUCMEN&UIMS VOM TOPÜäSKO. V ' 559
Blättern besteht. Das Fortal ist durch regelmSssige Anwendung
yenehiedenfarbiger Steine polyakrom^ was in nnflerem Yaterlande
als grosse Seltenheit ersoheini Die Pfeiler des Mittelschiffes halMn
reich profilirte Gonsolen, aus welchen einfiiehe Garten entspringen,
während in den Seitenschiffen den Pfeilern entsprechende Halhsankn
angebracht sind, deren Kapitale wie auch dieFüsse auf fhtnzösische
\'orbil(ler liimveiseii, dies «rilt vorzüglich von letzteren und von
den Kämpfern.' Di«' iiusgehulteu Knorreu oder Knospen der Kupitäl-
hlätter, wie auch ihr übergreifen und Zusammenwachseu von einem
Säolchen zum anderen, sowohl hier wie am Ilauptportale, endHch
ihr gewandartiger nach unten ausgebreiteter Styl sind echt iransö-
sisch. *
Es können hier zur Veigleichung noch zwei dem franaSsi-
sehen strengen Spitabogenstyle zugehörige ungarische Kirchen an-
geführt werden beide in Oedenburg : die Kirche des Erzengels Mi-
chael lind die Benedictinerkirclie ; beide haben mit dem (xotteshause
in Toplicza gemein, das ihre mittleren von den Seitenschi tfen nicht
durch Pfeiler oder Schatte, sondern durch Saiden getrennt werden.
Bekanntlich hat die französische Schule sich hier der Säulen sehr
lange bedient, so im Chore der Kathedrale ?on Rheims, wiUirend
in Deutschland die Säule bereits im An&nge des Spitabogens^les
dem Schafte weichen musste. Ich habe beide Kirchen mit Beigabe
Ton, nach Storno« Zeichnungen gefertigten Holzschntiten kurzbe-
schrieben und in «Magyarorszag c«ücsi ves stylü milemlekei'* welches
Werk ich im Auftrage des k. ung. Ministers für Cultus und Unter-
richt im Jahre 188U schrieb, pubUcirt.*
In der itfacAasIsr^irc^ gehört bloss das drdsehiffige Langhans
und der untere Theil des Einselthurmes bis etwas unter der Höhe
des Oiebels dem ursprünglichen Baue an, das unTollkommene <)uer-
' die so obigem Artikel Aber die Xirohe ron mir verfimten
Angaben ihrer VerbUtoiise und von mir geseiobnete neben Tafel.
* Vgl. Tafel 7. and VI. in der Beechreiboog der «Arcfa. KAslem^
nyek " Jahrg. 1866.
* Die „Micfaaelerkirche ist publicirt in den Mittbefl. der k. k. Central-
coRimiflsion nur Erforschung und Erhaltung der Band^nkmiUer*' 1. Band
(Jahtg. 1656) und die Benedictüicrkizcbe im VIU. Bande (Jahrg. 1866)
defselben Zeitedurift
L.iyui^Lü Uy Google
560
DK KIBCHENBUIME TON TOPUSZKO.
schiff, Chor und Sakristei bilden einen spateren Umbau, oder eine
Zusatzerweiterang nach Osten and Sttden. Demnach kommt bloss
das Lioighaiis hier in Betmeht, dessen Seitenschiff» etwas mehr
als die HiUfte des niittlereii zur Breite haben; alle drei haben
einfache Kienggewdlbe über sich, nnd zwar beginnen diese nicht
über den Kämpfern der Säulen, sondtru es steigen deren Rippen
über kleineren Säulchen empor, die auf Kopfconsolen ruhen,
welche einen Zwischenraum zwischen sieh und den Kämpfern der
Hauptsäulen lassen. Die Scheidebogen sind stumpf-spitzbogig, die
Säulen und Säulchen haben keine Kapitäle, sondern bloss vielglie-
derige Kampfer, Fenster kommen bloss in den Seitenschiffen tot,
sie sind sweitheilig, schmal, in Spitzbogen geschlossen, in welchem
fiber swei Eleeb]attik)gen eine Tierblftttrige Boseerscheint, also eine
noch dem strengen Style entsprechende Bildung. Ebenso zagt aneb
das westliche Portal des südlichen Seitenschiffes noch eine strenge
Bildung ; sehr schmale Hohlkehlen tiefen sich an jedem Gewände
zwischen drei Halbsäulen ein ; letztere haben den franzosischen
Fuss und das französische Kapital ; die Gliederung des Gewändes
wiederholt sich ganz im Spitzbogen, in dessen Felde die Kreuz-
abnahme gemalt war. Unter dem, ans dem Terkehrten attisirenden
Sinkninss gebildeten Eranzgesimse zieht sieh ein Bandbogen-
firies hin, dessen Schenkel zngerundet sind; dieses Glied ist noch
ans dem romanischen Style herfibergenommen, sonst gehört Alles
dem Spitzbogen-Style an. Die Streben sind massig vorspringend,
sie haben zwei Abtheilungen und schliessen oben mit Giebelu
unter dem Bogenfriese ab.
Obschon bedeutend kleiner, erscheint durch ihre reichere
Veniemng bedeutender als die besprochene eine Kirche, welche
ursprünglich den Franziskanern angehörte, in neuerer Zeit aber in
den Besitz der das ödenburger Qymnasinm Tersehenden Senedie'
Uner flbeigegangen ist; sie besteht ans einem dreischiffigen, nahezu
quadratem Langhause, einem bedeutenden Sanctuarium nnd einem
in der Mitte der nördlichen Langhaus wand aufsteigenden, verhält-
nissmässig sehr hohem und schlankem Thurme. Das Hauptschiff
wird von dem bezüglichen Seitenschiffe durch zwei starke Säulen ge-
trennt, hat daher bloss drei Joche. Diese Säulen ermangeln des Fus-
ses nnd haben statt eines umlaufenden Kapitals Kopf- und Blätter-
0
uiyiii^cü Uy Google
DIR Kiacamutww vok topusoo. S6I
eonsolen nnter jeder znsammenhiingendeii Kippeuparthie; die dcli
Ober den Stampfern erhebenden Rippien des später erneüerten Kreuz-
gewölbe» bilden spitzere Bogen als die eines gleichseitigen Drei-
eckes sind. Im Chore treten aus der Seitenwand HalhsUiilen vor,
über deren Kiimptern die Hippen der gk-ii hfalls einlachen Kreuzge-
wölbe aufsteigen ; die Kapital- Blätter dieser hesonders am Chor-
eingusge zahlreichen Saulendinste haben den Charakter der iran-
zöflisehen Schule. Ganz im Charakter derselben Sehule ist es, dass
die dreitheiügen Fenster den ganzen Zwischenraum zwischen den
SSatenbÜttdefai innen und den Streben aussen einnehmen ; die Fen«
sterptbsten hahen Füsse, jodoch keine Kapitale, sie bilden oben
Kleeblätter, über welclien ganz (Mnlaeh und strent^e wieder drei
ganze Kleeblätter erscheinen. Das Btrebensystem ist besonders
am Chore vollkommen entwikelt.
Weder die Michaeler- noch die Benedictinerkirche hat eine
ünterkirehe ; Ton keiner der beiden ist die Erbauungszeit genau
'bekannt
Wir können nun an die Beschreibung 'der Kirchenruine von
TopUe^a gehen.
Nach den von Erben, mit Angaben der Maasse gefertigten
▼oraussetzlich genauen Zeichnungen sind in der. Kuine erhalten :
etwas mehr als die Grundmauern des Chorschlusses nnd die Süd-
wand des Langchores, die letzten drei ^ulenstumpfe im Süden so
wie der erste im Norden des Langhauses, femer iheÜweise die Lang-
wand des südlichen Sdtenschiffes und beinahe die ganze westliche
Fa9ade an welcher bloss die Spitze des Giebels fehlt. Das Haupt-
portal ist oben ausgebrochen, erhalten aber ist das darüber befind-
liche im schwachen Lanzettbogen geschlossene grosse Fenster, und
ein über diesem im Giebel befindliches kleines über dem gleichzei-
tigen Dreieck geschlossenes. Erhalten sind auch die Sireben bis
zur Höhe, in welcher der Spitzbein des grossen Fensters beginnt
Es scheint, dass die Fundamente der Mauer des ndxdlichen Sei-
tenschiffes nicht blossgelegt wurden.
Das Sanctuarium ist der zumeist: befolgten Regel der Zister-
zienser Kirchen gemäss aussen geradlinig, innen in noch älterer
Weise im Halbkreise geschlossen, jedoch so, dass der Halbkreis
nicht ganz genommen wurde, aussen zeigt sich die Kreislinie
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562
um KIKt'HKNKUINK VON TOPUäZKO.
I.**
11f /
f f f f
Fl«. 1.
in einer kurzen Strecke
rechts und links Tom
geraden Schloss. Der
Langchor wurde nr-
sprQnglicb kOraer an-
getnigtMi, so daRH das
Laiigliiiu.s iieiiii Tnivees
erhalte» bätt«^' ; doch
schein t. es als ob mau
den Langchor, einer
grössmn Ansah! der
OrdensgeisUichen ent-
sprechend, bereits wäh-
rend des Baues yerlän-
gert und das Langhans
bloss acht Trave^^s er-
halten hatte. Das achte
Travee wird von einer
Halbaäule, ' ge^chlos'
sen, welche mit einem
aus der Westfront^
mauer vorspringenden
sehr starken Wand-
Schaft verbunden er-
scheint. Es folgt eine
Schlussmauer , welche
stärker ist als jene der
Seitenschitfe und in
welcher sich das ein-
zige Hauptportal dflbei,
an dessen Seiten toU«
kommen entwickelte
Streben stehen. Die
WesttVoutmauer verlän-
gert sich als kurze dicke
* Ist diese Hatbsftule in der That vorhanden, oder hat sie Eiber
bloM vorausgeietst?
uiyiii^cü Uy Google
I
I
564 DIB KIRCH LNRüIjre VON T0PC8ZK0.
Strebe nach Norden. Ob an der Schlussmauer des nördlichen Sei-
tenschiffes noch weitere Streben standen ist, wegen mangelhafter
Nachgrabung, nicht bestimmt ; am südlichen Seiteuschiffe ist der
Abgang der Streben durch die hier sich an dasselbe anschlissende
rig. i
Gebäudenmauern ersetzt. Gegen Thürnie eiferte der h. Bernhnrt,
sofort finden wir auch an unserer Kirche keinen mit derselben
organisch verbundenen und zweifeln auch, wegen der hier vor-
kommenden schwachen Mauern dass ein an die Südwestecke des
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DOr xnoBmünii yoK TOPüsno. 665
Gofctf^sliaust-s aiistosondcs GebSmlc, wio es Erber bezeirhiiet, als
Tluinn /.II 1 »et rächten sei. Wahrscheinlich wurde ilie Ausgrahunj;
nu der Nord.soite nicht uuteruommeu, weil man hier die Aupüan-
sung schonen wollte.
fiiif^iiiif 1 r ' — '
In Fig. 2 ist der noeli anfrecbt stehende Theil der Westfa^ade
und deren Gnmdriss in grösserem Maasstabe gegeben.
In Fig. 3. der Doppelsockel. 4. Portalgruiidriss. Profil
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1)IE KimJIENIM I.VE Vi»K T<»ri.s/Kü.
tle*i grosat ii I Vi ister». 6. btrebengeAimtte. 7. ficksäule. 8. Kapitale
der Feustersäulchen.
Das Gewände des Fensters besieht aus drri, durch Kehlen
von einander getrennten Halbsäulchen, ihre Blätter ha1>en f&nf
Lap))on, sie stellen in drei Reihen übereinantlor und sind von eiuem
Hiiulchen /um andern. \vi»' in Apätlalva, verbunden. Der Käni|'t\r
hat nicht die Form des umgestürzten attisiren<len Fusses, Houderu
zu oberst ein breit<'s Randglied, er ist rdud. In der Mitte des Siiu-
lenschaftes befindet sich ein durchUiufeuder Hing. Der iSauleufaas
i^t undeutlich, da er bei der im grösseren Maasstab gegebenen
Zeichnung nicht yorkommt.
Die Uber Eck im Winkel des Seitenschiffes stehende SSule
hat (MO m. im Durchmesser, und einen doppelten Untersatz: dessen
(ilieder siml von oben : Kelile, Band, l'linthe und höherer Clünder,
dann Kehle und über Eck gestellte Basis.
Die Gewände des Hanptportales stehen mit ihrer stufenför-
migen Basis auf der Hypothenuse eines gleichschenkligen Dreieckes.
Darüber haben sie drei grössere (0,2 1 messende) und drei kleinere
(0,07 messende) Wandsaulchen, alle sind durch Ofil im Dnrch-
messer lialtende Kehlen von einajider i^etrennt; ganz nach trany/»-
.sischer Art, \\ cK-lie dtMi Iluhlkelileii keine bedenteiiilere Breite ge-
stattet. Die Gliederung des »Säulenl'usses erscheint in Erbers Zeich-
nung ])riinitif einfach. Dagegen ist jene des Untersatzes desto rei-
cher ; denn dieser besteht (Fig. 3.) ans einem Doppelsoekel der
ron oben nach nnten hat : einen umgekehrten Kamies, Kehle«
Plinte; dann kommt der Wfirfel des oberen Sockels nnd unter
diesen der aus Kehle Plinthe nnd Würfel bestehende untere
Sockel.
Oauz einfach ist das Hauptgesimse der Strebe: ein gr(>sser
Wasserschliig und Hohlkehle, Terbuuden durch ein kurzes schräges
Glied, bildet das Gesimse.
Maasverhäliimset
Das Vorj'ehen der Alten bei Bestimm iin*!: ihrer Ma«!sverhalt^
nisse habe ich in meinen „Grabungen des Erzbischofs von Kalocsa,
Pest und Leipzig 1873^ und im VI. (Juni) lieite (1681) dieser Zeit-
DIU KlßCJlSKBITIKE YOK TOPl SZKO.
567
Schrift erörtort ; ich kniin mich demnach zur Erklärung der hier yor-
komnieDdeii Buchsiaben auf das dort Gesagte berafeu.
Die Einheit, bezeichnet mit \i\ ist imLanghanse in der Breite
des Mittelschiffes und in der Chorlänge zu 9*60 angegeben d. h. dort
ganze Breite der Kirche im Lichten 20*00 M. wovon die Breite des
jedsoitigen itonscliiffes von 5*20 abzu/ieluMi kommen. Vor dt-r
Kiri'lio fiml<^u wir zwischen den zwei Portalstreben 8'40 und zur
Axe einer jeden Portalstrebe entsprechend der Axe des Mittelschif-
rf s haben wir 0*70, daher ist hier die Einheit am jederseits 0' 10
hinanggerflcki
Nehmen wir den Meter zu 40*639 altrom. Zollen, so geben
32 Vs altrSmische Fuss ziemlich genau 9*60 Meter, was zum Beweise
dientf dass die mittelalterlichen Baumeister sich des altrümischen
Fosses bedienten.
Längmmmsae der Kirche. Tafel I.
Angaben
S JStilrke des Triumphbogens 38 .iO— 36*60 r= 1*70
f Langhanslicht«' 38-30— 1*70 " 3(»'60
Stärke der westlichen Froutmauer 1 *80
Strebenvorspmng 2*00
Gesammte Kirchenlange . 57*80
Gesammtlänge der Kirche . 57*83 Meter.
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56S
DIB KIBCHKNBDlin TOB mi78KK0.
9*60 d. h. die Einheit = Ii' sechsmal gibt 57-60, es ist dem-
nach zwischru ili'U Maussiuij^jilH'ii und tlen prinzipiellen Massen bloss
eiQ L'iiterRcliicil von ()'20, und auch dieser wird weit geringer, wenn
man hei der übermUs.sig starken Apsismauer statt 2 2) = 3*53 die
voUkoinnien genügende Stärke von = 3*24 annimmt.
Die Breite eines Seitenschiffes wird angegeben 4'00 l"2X>=
5*20, welchem zonächat entspricht die Stelle der Serie 2 B = 5-21^
Die Lange des Sdtenschiffes ist 41*50 entsprechend 4| Em»
heit=: 41*60.
Höhe
Angahen der Höhe der Fronte U* = 9*60
7-85 — 0-85 + 0*20 = 7*20
401
3-71
2-30
1'70
1*20
2*10
Ergänzung znr Giebelhöhe 0*95 = 13*57
Zusammen 23-17 ir + = 23-17 Meter.
Der Durchmesser einer Säule des Mittelschiffes betrSgtmf
der Zeichnung im kleinen Maasstabe zwischen 0*65 und 0*70, kmn
demnach nach Analogie andrer ähnlicher Bauten angenommen
werden zu g — 0-07 ; eine Traveelänge misst ^ I)* = 4.52. dem-
nach ist der Säulendurchmesser entlialteu in einer Traveelänge
6, «7 demnach nahezu siebenmal.
Wir haben zweierlei Mauerdicken, die Uberstarke der Apsis
ungerechnet^ nemlich jan der Westfa9ade der Angabe nach I SO
prinzipiel 4 i = 1*80, und am Langhause gemessen 1*40 priniipiel
V« k' = 1*40.
Die Strebenlänge ist« die Mauerdieke mitgemhiiel =3*80
piiu/.ipiel 4 (ß. — 3'84.
Die gerade Höhe des grossen Fronttensters ist angogel>eii zu
4*01, diesem entspricht = 3'97. Die gemde Höhe des kleineren
oberen Fensters ist angegeben zu 1-70, dem entspricht Vt k' = l'H.
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ttE KdtciimDiiik Y<« Tonraiko.
869
YMgleicheii wir nun unsere angezogenen Ti«r der tenxftsi-
sehen Scbnle angehürigeu Kirchen nntereinander, werden wir
finden:
Länge der Beiiediktiuerkin he in Oedenburg» mit
Hiiiziire<'lmung der Mauerdicke des Chores 4 W
A pätfalva, Chormsuerdicke uud StrebeuTorsprung 4 Vt U'
Topnszko 6 —
Die nreprOngliche Lange der Miehaelakirche in
Oedenberg iat unbekannt ? —
Die Hölien sind in den Zahlen der theoretischen Serie ge-
rechnet in : .
ApiUfalYa, Giebel 4 r = 0*425 rem Sockel zum
Dache D** = 1732 zuaammeu 2157
Toplicsa D' = 1-414 + II' = 1*000 .... 2*414
Michnelkirehe, Giebel 4 d — 0 601 + 2 W — 2 0ö0 2'60l
Heuedictiuerkirche U' = 1500 + 2 Ir = 2 000 3*500
YerhiUlniaa der Stataendurchmesaer zur Länge der Trav^a :
In Apatfalva derPfeilerdurchmeeserKurTraT^länge 1:4
In der Beuedictiuerkirche Säulendiirchuieaser zur
Traveelänge 1:6
In TopuHzko nahezu 1 : 7
In der Michaelskirche nahezu 1 : 8
Hiemaeh wäre die Michaelskirehe in Oedenbnrg der kQhnate
Bau, der schwerfälligate jener zu Aptftfalva, während daa Gottea-
haus Ton Topuazko zwischen beiden die Mitte einnähme.
Als Schluss der Untersuchung und Beschreibung stellt sich, mit
Beieidimg der aaktreidien, Um tkeilweiae angeßkrtm Urkunden
heraus^ dan der in F^anhrekh erfundene SfMtogene^ wemgeUme
em Jahreehent früher in Ungarn eingefUhti umrde tde in Deuteeh'
lanä, wo das älteste Denkmal dieses Styles^ die lAehfrauefHoircke Jsu
2 Z ier, in das Juhf^ 1227 yesetet wird.
Dr. E. Henszl.mann,
Referent der Laudes-Deukiuäler-Couuuissiou.
VsgMfiMte m&fvm, im, m bm. 37
570
mC KIHI HXl^Kt'lKH VON TOI'U.'^ZKO.
NACHSATZ.
Das eben ausgegebene Heft des «Archneologiai iSrtesitd^
bringt einige Hemerkungen von Jtilius Rainiss zu meinem im letz-
t»Mi vorjiilirigen Helte iles ^Eiiesitu" crscliienfnen Aufsätze über
Kirelienniiiie von Topuszko-, welche ihre iieitung auch auf
vorliegende Abhauillung haben.
Rainiss setzt den Anfang des Kirchenbanes bereits i. d. Jahr
1211, die Ankunft der fifSnche von Glainrauz nnd die Erbaoang
des Klosters aber noch weit früher i. d. Jahr 1208. Im WesentU-
'eben stimmen daher unsere Ansichten flherein, was bei der Fülle
der bierlier bezüglichen l rkiindni auch iH»t bw endig ist.
Dagegen bemerkt Jiaiuiss. in Hinsieht auf eine meiner Ne-
benlemcrkungen, wie unter dem Worte »Agriensis* (Erlauer), —
falls Tkalcsies nicht unrichtig gelegen, — im Decrete Andreas
II. bloss das Kloster von Egres im Torontaler Komitat, welches
auch unter dem Namen «Ärgia'* vorkommt, gemeint sein könne;
denn jenes von Apdtfalva sei nie als agriensis (als Erlauer) bezeich-
net worden.
Indem ich tUr diese Berichtigung meinen Dank ausspreche,
beharre ich andrerseits dabei, dass der Kirche zu Apätfalva der
Charakter der Uebergangszeit unverkennbar aufgeprägt ist
Vom Langhause der Kirche in Egres, welche unmittelbar aus
Pontigny berufene Zisterzienser erbauten, haben sich ziemlich be-
deutende Reste im (rarten des dortigen Försters erhalten, au die-
sen stösst, gegen Osten, ditt Fahrstrasse unmittelbar an, iiiiil fährt
man ttht-r dieselbe, klingt es bohl untrnu V\ agen, was fr\it, mit der
Nachricht überriTistimmt, als sei Iiier, in einer Uuterkirche, An-
dreas II. beigesetzt werden. Acusserst wünschenswerth wäre es
daher, hier systematische Nachgrabungen anzustellen.
Dr. E Henszlmann.
CMGAHISCHfi DICHIUNOKN IM AMBBIKA. $71
ÜNOAKISCHE DICHTUNGEN IN AMERIKA,
Die Atterkewkiiiig und V^reitimif migftriseher Qeisteswerke ron
▼otnelttMrett Range, sieht immttr Itamtere Ernse um sioh. Bisher er-
süfhienen Übetifetziingen unserer Llebling.sdiohter Tarzageweiee in dem
nn^ auch geographi^teh von allen Weltsprachen am nttohsten liegenden
Deutsf'heii, untl so stoben wir <i<»nn mit Preude. da^^H sioli zum lieispiel
nn.^er gefeierter Romancier Maurus rFökai bei unsern Nachbarn in und
aasser dem Reiobe immer mehr eiazabärgern beginnt, und wer
möchte die gnMse Aniahi air der uagarieehen; Autoren auch nur dem
Namen nach neiinen, die^ <die Älteren mii«inbegiiiffen — in demlaeh)«*
ÜbersdtEung und somit nncli in fernen Landen, wo nnr denikooh gelesen
ward, achon' einheimiseh an 'werden'aaftmgen 1 Eb gSbe dies wm alten
biederen J^sika an bis m den erst jüngst aufgetauchten, Tiel rerspre-
ohen<1en jüngeren Novellisten Ungarns eine gewiss recht stattliche
lieihenfolge. •. » .
Und ist es nicht dennoch eigenthümlich, dass die'flir den Ruhm
ihrer Kation warm fHUeiiden Sfihne deines jeden Volkes es als eine gros-
sere firrungenschaffc betrachten, wenn niekt ihre Prosaiker und
seien es auch die bebten — sondern ihre grossen Lyrifcrr, ihre gelieb-
ten Nationalpoeten den literarisehen Triumphzug clurch die gebildete
Welt machen ? Der nationale Ir ische Sänger ist einmal und bleibt dem
Heiv.en seiner Tiandsleute enger angewachsen, als alle anderen grossen
Schriftsteller, die aus deren Mitte herrorgingen. Ein Franzose, dem
man ' yon der GrSsse seiner Dichter spricht, wird in erster 'Reibe nicht '
an Sue oder Dumas, auch nicht an 'die Sand oder die Sta6l denken»
sondern sogleich semen "Victor Hugo bder Lamartine oder B^ranger
und Musset preisen. Der Brite freut sich mehr der Anerkennung seines
Byron, Hurns oder Shakespeare (denn aucli der Schwan V(m Avon"
war ja ein Poet in gebundenen Worten uml „auch Lyriker dazu"), ja
auch nur seines neuesten „Poet Laureate" als selbst Dirkens oder
Bolwer^s und Scotts. Schiller und Goethe bleiben einmal fftr immer
die grQssten ReprBsentanten des dentschen Volksgeistes. Daher die
innige Freude, welöhe da^ ganze ungfarische Volk e^fllllt, wenn es si^ht, <
dass sem Pet6fi und Bern Anmy wieder einmal, einen Schritt weiter
anf dem schweren Wege der [\^eltaip>rkennung gethau haben, vol-
" • • 87* •
578 DN01B|BCRB raCBTOVOlir tK AmiKA.
lenda Petöfi, diese VerkÖrpenuig all* der Fehler und Vorzüge seinfli
Volkes, iliese Tncftrnation magyarisclier Denirangsart, magyarucbea FM*
heitrsdranges, mag} ari^i hen Humor s und iimgyarisoher Liebe.
Und gerade neuerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass
unser Nationalpoet auch in die fernsten Regionen zu den fernsten Völ-
kern mit seinem Bnhme» seinen ewigen Schönheiten and Wahrheiten
dringt Wihrend Mher eine niM deutsche Übersetsnng Pet^fi's eio
wahres Eraigniss hildete, hAufen sich seit allemenesier Zeit die üa*
lienischen, englischen, schwedischen und framösisohen Übersetiungea
seiner Lieder. Im fernen Eilande Siziliens and auf Italiens klassischem
Boden bildet sich aus italienischen ^Petöfi Verehrern" eine eigene Schule.
Und was besonders hervorzuheben ist, schon tauchen einzelne Falle auf,
wo moderne Lyriker eines fremden Volkes, rein vom gewaltigen Oe-
nius des magyarischen Dichters dazu verleitet, sich die Mühe nicht rer-
driesäen lassen, unsere Sprache sieh anzueignen, nur um aus dem fri-
schen Born jener dichterischen Schönheiten, selbst, unmittelbar schö-
pfen zu können.
Da liegt ein schön ausgestattetes Buch in Grossoktar Tor w,
an dessen Schnitt, Druck und Papier seine amerikanische ProvenieM
sogleich zu bemerken ist. Der etwas lange Titel * «eigt uns, dass sich
hier zwei unserer drüben, über dem „grossen Wasser'* lebenden Lands-
leute zu.-^ammengethau haben, um die „Edelsteine" unserer dithttri-
sehen Produktion auch in engliscb-amerikanischeL' Fassung glänzen
an lassen.
Im Ganzen beschäftigten sich bisher nicht gar Tiele Engländer
mit der Bekanntmachung ungarischen Geisteslebens. Was spesi^ eag*
lische Übertragungen magyarischer lyrischer Dichter anbelangt, ao
zeigt sich erst neuerdings etwas mehr Leben auf diesem Gebiete. Und
wieder ist auch hier die erfreuliche Thatsache m venseichnen, das» die
englischen (''ber>etzer fu.st au^nahni>loH (sogar ^xv 3o\m Bowt'huj
eingerechnet, Jer unsere älteren voriniirzlichen L3n iker noch im Jahre
1Ö30 übertrug) sich die magyarische Sprache genügend angeeignet ha-
ben, um aus dem Originale zu übersetzen. In allemeuester Zeit tbat
sich diesbesflglich besonders der tfichüge Bibliothekar an der Bibliothek
*
* (jcms frum PHofi and other Hungarian Poeta (translated) with S
Memoir Ol the Former and a Review of Hungary'a Poetical Lateiataf« hf
Wm. N. Loew. Nnc York, l«8l. PaUished hy Paul 0. D. fksAerMiy.
uiyiii^Lü Uy Google
w »
inrttABISCHE mCWSXJVQES W ÄMEKULA* 573
des «British Masemii'* zu London, Herr John BMer hervor, den die
nngariflche Akademie wegen seiner mannigfachen Verdienste tun die
Obersefanng nngarischer Poeten erst nenlich zu ihrem externen Mit-
glied gewählt hai
Bei dem yor uns liegenden nOems* haben wir es aber mit einer
ganz, anderen Sorte von Übertragungen zu thun. Hier haben wir that-
ijächlieh den ersten Fall vor uns, dass ein (jch'nrf^fjcr UfUfar sieh dun h
Itingeren Aufenihalt in engli^cb-äpreehenden Ländern diese Sprache so
gut angeeignet hat, nm in derselben unsere Lieblingsdichier mit Erfolg
wiedergeben zu können. Bisher hatten gebürtige Ungarn sich höch-
stens nur an deui$die lyrische Obertragungen magyarischer Dichter
herangewagt) nnd die schüchternen Versache, die von einseinen poetisch
begabteren Hitgliedeni der ungarischen Emigration diesbezüglich z. hl in
französischer und italienischer Sprache wihrend der fünfziger Jahre
gemacht wurden, können auf bleibenden Werth nicht recht Anspruch
machen.
Der Name „Emigrant" passt übrigens auch auf unseren Über-
setzer. William Low^ ein Sohn des ob seines Patriotismus und seines
stapenden Wissens hochgeachteten gewesenen Ober-fiabbiners in 8ze-
gedin, Leopold Löw, ist schon seit niimnehr 16 Jahren Bürger der
grossen nordamerikanisohen Republik. Er ist aber in Amerika nur der
Aussenseite nach Amerikaner, richtiger EIngUtaider geworden. Sein
Herz hSngt heute noch wieTordem, mit allen Fasern an seinem geliebten
ungarischen Vaterland. Sclion vor vielen Jahren befasiste sich der junge
amerikanische Rechtsgelehrte — von Haus aus mit poetischem Sinne
reich begabt, mit Übersetzungen heimathlichcr Dichterwerke, die
nebst anderen verachiedenen Artikeln über ungarische Literaturver*
hültnisset in angesehenen amerik^schen Blättern erschienen waren.
Dieselben sprachen ausserordentlich an» und sowohl seine englischen
als ungarisdien Freunde zu New-York ermunterten ihn zur Sammlung
und Herausgabe seiner lyrischei| Übersetzungen. Der Anfang wurde
nun in wirklich vielversprechender Weise mit dem vor tfns liegenden
ersten Bande gemacht, dem, wie wir hören, bald ein zweiter — Ge-
dichte der verschiedensten klassischen Dichter Ungarns brinjjend —
nachfolgen soll. Nebstbei gesagt führte Low auch sehr intere-^santQ
amerikanische Correspondenzen für Budapester Blätter („Ellenor^ etc.),
in tadellosem Ungarisch Torfasst» nnd hält er die geistige Verbindnng
L.iyui^Lü L/y Google
574 ToroAiüsciiB Diconmonr nr ambbixa.
mit seiner Heimatih fortwährend aufrecht. Auch ist ilerselbe eines der
thUtigsten Mitglieder des New-Yorker Ungarvereins, und zu festlichen
Gelegenheiten , Sprecher** de-trclben, und gar viele Ungarn, die ihr
Schiksal nach Amerika führt, finden sich in seinem ga«tfreandlioben
Hanse zasamraen.
Im ▼orliegendea Bande sind im Ganzen 92 Gedichte wiedergege-
ben. Von diesen fUlt natürlich der LOwenantheil Pet6fi zu, nflmlich 45
Dichtungen, wie denn überhaupt der Übersetzer zayOrderst nur die-
sen Dichter in seine Sammlnng anfinehmen wollte, so dass alle Anderai
eigentlich nnr einen Anhang bilden. Von anderen heimischen Poeten
rinden wir die beiden Dichterfürsten Aranij und Voröstmrty durch je
acht, Eötvös um] Garay durch je drei Gedidite vertreten. E.s fi>]gen
Übertragungen von Kölcsey, Hajza, Karl Szasz, Karl Ki^faludy, Czuc/X)r,
Tonipa, Koloiuan Töth, Erdel}n, Jokai und von den jüngsten : Kiss;.
Anton Varady und Ladislaus ^eTjr. Ob diese Nomendatnr nicht bei
weitem geschickter hstte zusammengestellt werden können, ist eine sich
unwillktthrlich aufdrängende Rmge, auf die wir übrigens weiter unten
noch zurückkommen werden.
Vor Allem will ich es mit Freude eonstatiren, dass unser junger
Landsmann die Sprache Byrons und Longfellows mit einer Ungezwun-
genheit und Leichtigkeit handhabt, die einem jeden VoUblutamerikA-
ner oder Engländer nur zur Ehre gereichen konnte. Nel>st<lem geht
unserem Übersetzer eine entschiedene poetische Begabung, ein feiner
Sinn, ein gera<ler unti üglii her Instinkt für das formell und inlioJHich
Schdne bei Schritt und Tritt hillreich zuf Hand. Wie sollte da ein
günstiges Besnltat ausbleiben kennen» zumal wenn ein Maup^^OiUdai
aUer poäkehen Übertragungen nümlioh die der voHHänäigen Eamir
nks der Origindhprache des m$ uherfraijcnden Dkhters sdbsi^ tha
hier der magyarischen, in so reichlichem Masse wie bei Löw Y0^
banden ist !
Vor allem Anderen müssen wir der Treue lobend eingedenk >eui,
mit der J^öw den originalen Text l>ehandelt, eine Treue «lie sich nicht
nur auf WiedergaVte der kleinsten Metaphern, umsomchr der die einzel-
nen Gedichte beherrschenden Gedanken, sondern auch auf die Stellang
der Beime^ auf die Zeilenzahl der Strophen, kurz auf Äusseres und In-
neres der Gedichte erstreckt Und hier sei gleich des ümstandes erwihnt»
dass wfthrend die deutschen Übersetser Petöfi*s öfters, zur £rlaicb-
\
ÜN6AEIöCH£ DICIfTUNüEN IN AMKRIiiA. 575
teiung ihrer Arbeit auü den Kreuzreimen des Originals nur Haibreirae
machten, indem sie — gar oft ant Kosten des melodiösen Tones der
Gedichte selbst, nur die zweite und vierte Zeile reimen Hessen, LOw im
Gegentheil sich seine Aufgabe oft geradezu erschwert» indem er den ent-
gegengesetzten Weg einschlfigti und mehr Reime aU im Original gibt.
Dies ist fftr die Gewandtheit des Überiiettsers immer ein günstiges Omen,
und vollends bei Ciujll'^chcn l'bcrsotzungen sehr von Nöthen. Der eng-
lische Vers liebt nHmlich die reiiidosen Zoilon mit den reimenden ge-
mischt durchaus nicht, und der l)eknnntc Wolilkhing, jener süsse, volle
Ton der engli-<chen Verse, die sogar manches minder gelungene Gedicht
eines VVordsworth, Shelley, Longfellow, Üryaat oder Poe (von den gros-
sen britischen Dichtem k la Byron etc. gar nicht zu sprechen) mit
einem solch* unwiderstehlichen Zauber umgibt» ist oft zum grossen
Theile eben in dieser FormYollendung englischer Verse zu suchen.
Diesen wichtigen Vortheil hfttte sich auch kein deutscher Obersetzer
entschlüpfen lassen sollen, da ja das eben Gesagte auch auf den deut-
schen Vers passl. Und so überrasi lil es uns denn cigentliüinli' h. wenn
wir bemerken, ila.ss manches l*etoli">che Uedicht in englisrhcr < iewan-
ilong, wenn auch nicht kräftiger, doch — man möge uns hierbei niciit
missverstehen — melodiöseri hai*moni>cher als selbst im Originale
klingL Man lese ~ um von den vielen Beispielen nur eines zu erwäh-
nen — natürlich wenden wir uns hierbei nur an di^'enigen Le^er un-
serer Zeilen, die der Sprache Petdfi*s kundig sind das schöne, her-
zige Gedicht ^ My wife and my sword** (Felesegem es kardom). Wie
anmutbig klingt auch engli::»ch wenn der Dichter beginnt :
Upon thc roof a dovc,
A star within the «ky,
Upon my kneet« my love,
For whom 1 live and die ;
In raptares 1 embrace
And Swing her on niy kneea,
Just as the dewdrop sways
Upou the leal of trees.
Man wird gestehen miissen, datjs die Bereicherung der Strophe mii
neuen reimenden Zeilen und die Vervollkommnung des Verses selbst
dadurch, dass der l'berdetzer hier volltönende Jamben benützte, dem
Gedicht nur zum Vortheil gereicht.
L^iyiii^uü Uy Google
579 üwiiBiscinB mawm9ES nr axibsa.
Löw ist aber weit dATon, der scbltBeti Form auch nur einen
Hauptgedanken leichtsinnig oder nothgedrnngen hinznopfern. üisd
thnt er e^, so ist er selbst gemtg Poet da£tt, das Fallengelassene durch
eine andere edle Idee, durch ein anderes sthönec» des Originals meisten«
würdiges Bild, durch eine andere geschickte Kedewendung alirbakl zn
ereetien, lauter Dinge, die er in seinem eigenen poetischen Hansrath
in reichem Ifasee zn besatsen scheint Man sieht wfthrend des Dnreb-
leseas seiner Übersetsnagen — wir konnten hier fOglioh auch wihread
des mDttre^ffemes^ms* sagen — wieder jene Gmndmaiime bewahrhei-
tet, da^s 'der Übersetzer eines Dichters jsur selben Zeit ein forwge-
wamltcr uml an eujcncn Ideen reicher Poet sein muss. Trifft dies bei
einem Übersetzer nicht zu, so ents^tehen eben jene sinnestörenden, un-
schönen, aller Poesie baren, oft barocken und geschmacklosen «£in-
seMebsd^, die unter anderen die Übertragungen unseres unermfldli-
eben Kertbeiiy oft so hdkem, holperig und ungeniessbar maehten, toi
Opitz, der Pet6fi gar mSohtig au maltrfttiren verstand, gar nidit sn
sprechen. I>och auch bessere Übersetser, wie Adolf Dux, Neugebaner,
der biedere alte Steinaeker etc. konnten diesen unangenehmen Fehler
nicht ganz los werden, was wir mit zahlreichen Beibpielen dartbua
könnten.
Bekanntlich hören sich Daktylen in englischer Sprache nicht sehr
gesfchickt an, nooh weniger geschickt als in dentsoher, womit andi
etwas gesagt werden wilL LOw spürte diese Klippe, bevor er sieh ihr
noch niherte und so finden wir denn das herrliche Gedicht Pet6fi'i
„Szeptember v^gen" — eines der schönsten des Dichters — dssm
Übersetzung auch dem neuesten deutschen t^bersetzer desselben, Herrn
Ladislaus Neugebauer, mit am besten gelungen ist, englisch nicht in
würdevoll dahinschwebenden Daktylen wie im Originale, sondern in leicht
dahinftthrenden Jamben wieder. Man möge uns ausnahmsweise gestat-
ten, damit der Leser dieser Zeilen wenigstens seihst einen Veigleich
der Übersetiungskunst der Genannten anstellen könne, das wunder
Tolle Gedicht in beiden Sprachen hier ganz wiedergeben in dilrfen.
Bei Neugebauer deutsch :
Ende September.
Noch «pricsäen diu duftigttten Blumen im Thalc,
Noch grQat yof ^em Fenster die Espe so ech^q.
U2iGAftISCHE DICBIUKaJäN lü AMEBOüL
Doch siehst du dort drüljen das Walten des Wintent?
Verhüllet vom Schnpi^ sind dio hrrpigen Höhn.
Gluthstrahlender vSoinmer ertüllt noch nit'in Jlerze,
Der wonnijjsto Friihlinp noch blüht mir darin.
Doch sich da mein Haar schon, da« dunkle sich bleichen
Den Heil bchon des Wint«r» mein Haupt überziehn.
Es welket die Blume, entachwindet das lieben < . .
Komm iheuere Gattin nur her in den Arm,
Die .j«'tzt an dio Hrii«t mir du legtest dein Xöpfdicn
Sinkst mniu'^'n du hin aut' mein (Jrab nicht roll Ilarm?
0 «ap', wenn ich sterbe, wirst weinend du breiten
Da« (irabtiich. worin man zur Krde mich senkt?
Und könnte Dich jemals ein JüngUn«,' bewegen
' Vom Namen ku lassen, den ich dir geschenkt 'i
Doch wirfst du von Dir einst den Schleier der Wittwe
Dann pflanz' auf mein Grab' ihn als Trauer panier^
Ich komme herauf aus dem "Reiche der Schatten
Um Mitternacht — nehme hinab ihn zu mir :
Zu trocknen die Thriinen um I>ich, \h\ Geliebte,
Die leichiUch vergessen Du hast deinen Mann,
Die Wunden des Herzens damit zu verbinden.
Das ewig dich liebet, selbst dort noch, selbst dann ! —
Bei William Low englisch :
At the End of September.
The garden flowen still biossom in the vale,
Before oor honse ihc poplan still are greeii;
Bat soon the mighty winter will pravail,
Snow is already in the monntains seen
The Sommer Bun*s benign aad warming ray
Still moves my youthful heart, now in its spring;
But lo ! my hair ehows signs of turning gray,
The wintry days thereto their coloor bring.
The life is short^ too early fades the rose;
To tit here on my knee, my darling, come !
Wilt thon, who now dost on my breast repoee,
Kot kneel, perhi^Mi, to morrow o*er my tomb ?
0 teil me, if before theo I shoold die,
Wilt theo with broken heart weep o*er my bier?
Or will sorae youth efface my memory
And with his love dry np tby moumfal tear?
S7S iniGiBiscHE DfoaruiMgff or ahsuka.
If thou do8t lay »aide tlie widows vai) :
Pray, hang it o*er my tQmb. Ai midnight 1
Shall rise, aad ooming forth from death*» dark vale
Take it with me to where foigoi I lie.
And wipe with it my ceaseless flowing teara»
Flowing for theo, who hast forgotien me;
And bind my bloedinj? licart, wliich evor beara
Even then aod there the truest love for thee.
Eine der Hauptschönheiten des Pet6fi*8cheii, hier zn Oriinde lie-
genden Gedicktes besteht — aasser der stillen, ahnnngsFoUen Weih
muth, und dem orgroifenden Endansklang desselben — anch in dem
Reiz des i liytlinii.s» hon Wechsels der Krctcrci ine des Oripnnls. die al«er
der deutsrlio l lierset/.er, wie man au ■ Obi^'eni erse)icn kann, nin sich sein
Werk zu erleichtern, «j^anz einlach weglie.ss und lieher diese Ausi^erlicli-
keil als den Daktylus opferte. Damit hat er aber das (tedii hi seines
schönsten ättsseren Schmuckes beraubt. Gewissen Gedichten geht es wie
gewisseOi an sich allein wohl auch schon schönen ¥Vauen, die aber des
Glanzes ihrer ftnsseren Geschmeide beraubt, eines ihrer Hanptanae*
hnngsmittel verloren haben. « . . Knn wird man auch manche willkfibr-
liehe Wortverrenkungen im deutschen Gedichte bemerkt haben, die d*(>
Englische in seiner edlen, ungezwungenen Haltung nicht verrStb. Ich
erinnere nur an das gar zu oi'i slörond wirkende ., Ou" und ..Dir", da»
mei.stens nicht nothwendig. als Ijückenausliiller dient, an Ausdrücke
wie „mein Herze", »voll Harm", „leichtlich'' et* . Auch darf man sieb
Zusammensetzungen wie n'l'i'AUO*T^oi^" und dergleichen nicht erlau-
ben, es sei denn auf Kosten der Poesie, und wenn — was ieh ja gerne
zugebe — der denteche Übenetzer in einigen Zoflen an schönen Ept*
theta reicher ist, so wird dies durch die oft geschrobene, künstliche
Haltung de:» ganzen Gedichtes, in dem man zu oft daran erinnert wird,
dass es kchi Originalgedicht ist, wieder aufgewogen. Wir wollen damit
bei weitem niclit alle Schönheiten desselben leugnen, und geben
gerne zu, dass „Ende September", so wie es uns Herr Neugelmuer ver-
deutschte, von allen detUschen Übersetzungen des Gedichtes die gelun-
genste ist.
Dem gegenftber werden aber Kenner der englischen Sprache
willig anerkennen müssen, dass »At the End of September*' fast in
aämmdiehm Theflen ein gelungenes Ganze bildet, das steh filberall
frei und ungekünstült lie^t, wo auch die üu>serliche Zierde des Poems
t
UKeABiscHE DfoannMunr » akmwa. (79
getreu »'inj^'oijalten, und die Hauptgedanken des Diohler.s trettend und
richtig wiedergegeben sind. Pas (lan/e macht den Kindruck des natür-
lich uml uk Jd müiisam EihUtandcncn, und das i.^t ja bei jeiler metri-
schen Übersetzung — wir wlcdt rJiolen es — die Hauptsache. Auch
that L9w aelir recht, von zwei übelui nftmlich : entweder die Daktylen
oder die Krensreiine des Original» opfern zu müssen, das bedeutend
kleinere» nftmlich die Verwendung des daktylischen Verses zu wählen,
umso mehr, da derselbe sich im Englischen nicht angenehm liest Die
zarten Empfindungen des schönen Oediehtes sind auch in Folge dessen
mit neuer Unmittelbarkeit und lici aller (ietlankcntrcue in so gutem
Kngli;>tli wiedergegeben, dass wir nirlil anstellen, «b<r Löw'sclicn ri>cr-
sutzung von ^Szeptemher vegen'^ vor allen anderen bisher er.-3chienenen
den Vorzug einznrftnraen. Und das ist — mit geringen Ausnahmen —
fai»t bezüglich aller anderer dieser ^^Geras'' der Fall. Es würde viel zu
weit führen die einzelnen hervorragenderen der Sammlung dej Nahe-
ren beleuchten zu wollen. Eben um diesem vorzubeugen, und um die
Vorzüge des englisch-amerikanischen Übersetzers in*s gehörige Lieht zu
Stollen, haben wir in Obigen ein ganzes Gedicht herausgegriffen — und
mit eines der sdiönslen - - und es mit einer an<l<*ren, ebenfalls gelun-
genen t'berset/.nng gicichüam zur iierauslorderung des Urtheils der
Leser »eibst controntirt.
Im Ganzen genommen Iftsst sich aber dennoch sagen, dass es un-
serem, in der Hudsonstadt lebenden Landsmann besser gelungen ist, die
LieHeslieder Pet6fi*s wiederzugeben, als diejenigen kriegerischen oder
politisrhen Inhaltes, als die eigentlichen Tendenzgediclito das TyrtUus
unseres Freiheitskrieges. Wie glänzend es ilim aber gelingt, oft der
kühnsten Phantasie des Dichters in englischer Sprache zu ^•llren, davon
kennen wir nns nicht enthalten, den besten 1 beweis dadurch zu liefern,
dass wir das berühmte Gedicht »Egy gondolat baut engemet'' (Nur ein
Oedanke quttit mich) in der Löw*schen Übertragung, die die volle
Kraft, den grossartigen Schwung des Originals mit seltener Treue uns
so zu sagen ohne den geringsten Zwang wiedergibt, hier „in extenso^
abdrucken :
thought torments me.
The thou^rht t^jnii'Mits ni<' .M>ro, h^st I
lipon a piUowed couch »liould die —
L^iyiii^cü Uy Google
580 U2fOARIäCHE DICHXUNOIM IM AtfKRIKA.
Shonld slowly fade like the fair flower.
Whose heart the gnawing wornis devour ;
Or like the light in sonie void room,
Should fainily flickci into gloom.
Lei no such ending come to me,
Oh God ! bni rather let ine he
A trce ihroQgh which the lightnisg ehoott,
Qr which the etcennoas stonn nproota.
Or Uke the rock firom hiU ont^tom,
And thnnderüg to the Tslley bome !
WheB eveiy nation wearing chains
Shall rise and seck the battle-plains,
With flushing face shall wave in fight
Their banners blaxoned in the light:
„For lilwrty !**
Their cry ghall hc —
Their cry from east to webt,
Till tyrantä be depressed.
Therc shall I gladly yield
My lifc upon the field.
There shall mj hearts Ust blood flow oot»
. And if my lateet eiy shall ihont.
May it be drowned in claeh of tteel
In trampet*! and in cannon*s peal;
And o*er my oorse
Let tread tiie horee»
Which gallope home from victory s gain
And leaves me troddcn mid the slain.
My icattored bones shall be interred
When all the dead are sepulchrcd —
When, amid slow fiincical stnüns,
Banners .«hall wave o'ei the remains
Of heroes who hnve tlied for theo
U world-deüverijjg Liberty ! —
Wir liiitteu hauptsächlich bei diesem Gedichte nur gegen den
Titel etwaa einzuwenden, der doch mit „one thought torments me"
bedeutend kräftiger und treuer aU mit ptite thought etc'' ausge-
drückt wäre.
Schöne Betepiele wahrhaft gelongener OberBetsnagen sind noch
— um nur einige wenige aaznfUuren — »At the hamleis ontddrti'
(Fala veg^n hurta kocama), „Far<)well* (Toward the endoftiieyair
1847) (Bücsü), „If born a mau, then be a man'' (Ha ferfi vagy, legj
tJiroAiiiBcn üicHTüNonf m AHRftm.
591
ftrfi), „Ragged beroes'^ (Rongyos vit^zek), „On a railroad'* (Vosüton),
r^as grosse und wundervolle (ledifht „The ruins of the inn" (A csärda
ronyai), „The last cbarity" (Az utolso alamizsna), besonders aber da8
hente schon all erweltbekannte eigentbümlirhste Poem Petöfi's uDor
Wabnainiiige** dem wir hier miter dem Titel „TAe Mamae* begegnen,
ein Werk, in dem sich der biarre^ anstete vnd dennoch mXchtige Omst
des uns bo iVfth entrissenen Singen in gewaltiger Weise nnd pecken-
der Form ausspricht, und ilher das sieh schon allmfthlig eine ganee
kleine Literatur im Auslände zu bilden beginnt. Der Klausenbnrger
üniversitat«?professor Hugo von Meltzl übersetzte ilen „Wahnsinnigen"
7nni letzten Nfale in deutscher Sprache, und gab das Gedicht nebst
Commentar dazu in einem eigenen Hefte heraus. Giuseppe Cassone, der
geniale nnd nach so Tielen Bichtangen geistesverwandte italienische Dol-
metsch Pet5fi*8, hielt den n^aaaso^ auch Ar Wel zu eigensitig nnd interss*
ssnt um denselben in den Topf der anderen Gedichte Petdfi*8 gleichsam
mit hinein zu werfen, nnd gab demselben nnter eigener nnd selhststlndiger
Flagge in Tirochuren-Form das Geleite zu seinen italienischen Landsleu-
ton. Löw's „Mauiac" reiht sich diesen Heaiboitungen würdig zur Seite,
ja steht denselben in Bezug auf Klarheit des Aosdruckes, knappe und
prizise Form nnd richtige Auffassung vielleicht voran.
Klarheit des Ansdmekeel Gewiss ein schitiensweirther Yorsng
jedes Dichters, sobald er nur nicht in*s Extreme verfUlt^ nimlich JM klar
m werden, nnd das ist es — nm anch mit den Fehlem des LOw*schen
Werkes anzufangen — was wir hier und da in den „Oems'* zu rügen
haben. William Lfhv ist manchmal zu breitspurig, was nicht ohne Qe-
Hihrdung der poetisehrn Ausdrucksweise geschehen kann. Man sieht
es seiner Afuse förmlich an, dass sie sich auf dem stark prosaisch ange-
hanchten Boden der praktischen Yankees bewegt, nnd ich mOchte fast
sagen, dass seine Redewendungen oft «ine in das Gehiet halb mystittch
samnthender, zflchttg nnd veriiflllt einherschreitender Poesie nicht pas-
sende „spektttatiTe" Form annehmen. Wir kSnnten diesen Ahweg fÖrm-
lifih als einen Americanisnms bezeichnen.
Stellen, wie da folgende sind :
„Love 's di ink to quaff / oftm did makc hdd* (Seite 39, eben
auch im „Maniac**) oder ebendaselbst drei Zeilen weiter unten :
„Tet frem one dxop soch gall can he distilled
As thongh the sea with jxm'sommm ärof» weie flOed*
562
(Bei Pet6fi wörtlich, Toa der Liebe aprecbend : «ein Tropfen wem
dir ist « ttsser als ein Meer Yon Honig, doch ein Tropfen von dir iat bitte-
rer ^ ein Meer yon GifL**) Dann Ansdrück^ wie „oa parole* (die
b^tehstons in ein bnmoristisches, aber nicht in ein seriOaes Gedicht
hineinpassen) ^The travelleis . . . enjoyeil ihy store*^ efcc, endiidi dm-
gleichen TrockeuUeiteu witi :
„The fond remembrance of that tpot so dear
viH make mp heart «reü vrith ike tear*^
(J^-eit« 17, 1. 8irt>j»lM'), und dtnlei ineliieie ktiuiion unmrt^lich zur Er-
höhung der Schönheiten eiaeä Gediciites beitragen. Zum Glück pa>:>irt
dies bei Löw nnr ausnahmsweise, wirkt a)ier immerhin störend, umso-
mehr, da man überzeugt ist, daes der Mann das Zeug hat, an
Stelle der ft'aglichen Ausdrücke fiberall entsprechendere, poeäieTOÜere
zu setzen.
Nicht minder störend und unangenehm ist die 'nicht zu kleine
Zahl der sogenannten ^fiettren Reime'', einer Spezialität auf dem Ge-
biete des iieiiuens. dip eigentlit h nur im l]n;_rli-i'hen /.uhriuse i-^t. Wir
meinen mit der obigen Henennung jene bekannten Fälle in den engli-
schen (leiUclden, wo die Heime eigentlich nur dem Auge sichtbar, dem
Ohr aber »icht hörbar sind. Es ist und bleibt dies eine Unart des eng-
lischen Verses, die damit, dass sie die grössten Dichter Albions und
Amerikna, ?on Shakespeare bis Byron, und von Longfellow bis zur
Hemana ebenfalls anwendeten, ja so zu sagen durch ihr Beispiel nacb*
ahmungswürdig machten, von ihrem unschönen Charakter unserer An-
sicht nach nicht das Geringste eingebüsst hat. Van mag nnr die aka-
demische Richtigkeit von Reimen wie : tear«? — hearn, wo ein c mit
einem i reimen soll, oder come - bouio (ü mit o), dann : inind
wind (ei i), move — dove, love — tliercttf. come — U)m\> ed. noth
so haarklein beweisen, das Ohr, das bei Keimen allein den Ausscblag
geben darf, wird solcJw Reime nie anerkennen, und sie stören entschie-
den den harmonischen Klang der Stroplien. Nun macht Löw von diesem
allerdings durch den höchsten Aeropag englischer Dichtkunst sanktio-
nirten Unrug reichlich, etwas zu reichlich Gebrauch, ja versteigt sich so-
gar bin und wieder zu Reimen wie : this is — kittes (S. 18) etc.
Andererseit s muss innn es dem l bersetzer als Veidien-t anreib-
nen, ilaan er eigeaLliche Americaniduien, an denen die prosaischen
uiyiii^cü Uy Google
IW0ABI8C1IB BtCHTDirOSX IN^AinCBIKA. 598
«ragnbse jener ancleni Hemispbttre der englischen Weltsprache oft
ziemlich reich sind, in seinen Versen nicht anfirommen Itess. An»-
.drftcke wie : ^is begnn" (statt begun). „on i»arole^- etc. kommen
so reiten ror, dass sie gar uicht in lietraclit genommen werden können.
Hingegen wen.let .1er fl).Mset,/.er die — allerdings erlaubten — Ver-
kürznngeii ein/einer Wörter wieder etwas zu oft an. So : i'were, statt
it were. lie 'II. we'll (statt he will etc.), e'en (statt e?en), 's stutt is,
Vre statt I Imve (dies schon etwas gewagter) n. s. w. Ein Übereei«er,
sogar begabter Poet Ton der Fertigkeit und Ton dem feinen poetiscben
SrhOnbeitsgemhl Löw*s sollte dergleichen Anshilfsmittel womOgUch
immer za Termeiden trachten.
Sind air dies nur kleine Mangel im Vergleiche zu den grossen
5H-h;^nlipifen der Löw'scben Über^pt/ungen, so iiiu«?s ich besondere eines
mit gnxssem liedauem bemerkten ffrössrrcu Ver.süumniaseH erwähnen,
das das völlige Verstellen dieser Gedichte für den englischen Leser .sehr
erschweren dürfte. Es iai der fast gftnxliche Mangel erklärender Glos-
sen zn den einseinen spesiellen ungarischen Ansdrficken, die sich in
den Originalgedichten voifinden. Die riehen kleinen Notisen am Ende
des Baches sind viel zu wenig für diesen Zweck. Selbst Nengebaner, der
doch für DeuUehe schrieb, also einer Nation, die uns Ungarn bedeu-
tend nfther sieht, und von Ungarn doch mehr weiss, als Engländer oder
gar Amerikaner \vissen, fand es fiir angezeigt seinen l hersetzungen sie-
ben Seiten Erklärung beizufügen, wahrend diese l»ei Löw keine halbe
i-'eite ausmachen. Wir fragen : wie soll der Leaer ohne Erklärung in
New- York, Cincinnati. Chicago oder auch nur in London, Edinburgh
wissen, was eme „Csarda" ist, eine „Poezta" etc. ist? Zudem scheint
uns der Übersetzer in die historischen und geographischen Kanntnisee
seiner amerikanischen AdoptiTlandsleute bezfiglich üngeni« doch zu
▼iel Yertrauen zu haben, wenn er Namen wie MSzamos**, Ladislaus V.,
Mohics, Koni u. s. w. ohne alle ESrklBrung in seinen .,Gems* stehen
Itost. Auch wäre die zu Grunde liegende Begebenheit irgend einer
hervorragenden historischen Üallude ( /.. H. der .,Olara Zä. h'', Ladislaus
V. eü'.) einer kurzen erklilrenden Besprechung sehr bcMlürftig gewesen.
Haben ja die meisten amerikanischen und euglischen Leser solcher Ua«
dichte mit magyarisch-bistoriHcheni Hintergründe von dem fireigniss,
onf das sich das Gedieht besieht, keine blasse Ahnung, ja, wir zweifeln
daran, ob sie es der Mehrzahl nach begreifen kennen werden» warum
584 OHGABiBOBs mcwomms nr awuica.
z. B. der Ungar an Mobacs nur mit Welimuth und Sehmerz deokea
kann. (Siehe Eötvös's „Fureweir Seite 91). -
Deäto angenehmer berührt es uns, dass Löw wuMa tiedichUi
eiiM sehr warm» mit der vollen Begebterong eines seiner Natioa
und seinem Lande treu anhftngenden Sohnes geschriebene Itterari-
sche Einleitung voraus schickt, die den englischen Leser dea BneheB
wenigstens in die Hauptfasen der Literaturgeschichte unseres Volkes
einzufühlen geeignet ist. Die kurzen Kritiken der einzelnen Diibter
sind meistens gut und zutreffend, wenn auch hier und da zu über
schwftnglich, z. B. über Ressenyei, dessen Verdienste und Talente g»r
zu hoch hinan^eschmuht werden. Besonders gelangen sind die Stell«,
die vom grossen FreiheitssSnger Petdfi selbst sprechen, nnd diejenigM,
die sich mit dem ewig denkwürdigen nreiheitskampfe der Nation is
den Jahren 1848 — 49 befassen. Sfan sieht es hier dem Yerfiuser aa,
dass er sirh dessen wohl bewusst ist, zu einer Nation wie der anierikar
nisehen zu Hi»reelien , die, selbst in allen Schichten von dem Geiste
der Freiheit durchweht, allen Dichtern, die dieses hehre Ideal der gros-
sen transatlantischen Bepublik mit Feuer und Überzeugung besingen,
schon deshalb ein grosses Mass von Sympathie entgegenbringen wird.
ünd das ist nnn eine Seite des L5w*schen Bnches, deren Enrik-
nung wir ans mm Schlüsse aufgespart haben. Wohl hätten wir noch
manches Wort der Anerkennung für den talentvollen Übersetter fs
sagen, und wohl niüssten wir noch speziell nochuials darauf hinweisen,
dass sich diese ( Übersetzungen durchaus nicht auf Petöfi's» he Poesif
allein beschriinken, sondern auch manche unsterbliche Perlen der Mb)«
einea Arany, Varösmarty, EöiYÜa, Tompa eic in frappant gelungener
Weise vorAhren, wir mfissten, nm gerecht ta sein» die in ihrsr Art
bisher unerreU^ Wiedergabe des herrlichen Arany*8chen dedichtai
mA dalnok biga** (The minsfcrsls sorrow), von V0rdsmart7*s Si^ Donks
(„ßeautiful Helen ^The seng from Fot** (F6thi dal), dann wider voo
Arany*8 „Clara Zach" und „Ladislaus V.", von CJaray's „Kont'*, Karl
Szasz' „Hungarian Music", Kötvös's „Farewell" etc. etc. des Näheren
erwähnen. Alldies würde aber diese, ohnedies vielleicht schon zu lange
Besprechung gar ni sehr anschwellen, nnd müssten wir ja dsao,
schon des Qleichgewichtes halber, auch einige andere, allerdiagi
klefaiere, oder nnweeentliche Mängel berühren, die wir bisher vsr-
schwiegen.
UNOARISCHK DICHTUNOBM IN AMMilKA.
585
Wir erwähnten zuvor, dass uns gerade Amerika der geeignete
Boden erscheint» wo mit solch gelungenen Übertragangeii userar Dich-
ter der Acbtnng und der Verbreitang des guten Bnfes nnterer Nation
ein groBser Vorschnb geleistet werden kann. Zweifelsokne sebwebte
dem Änge des ÜbersetMra auch dieses sdidne Ziel vor, als er vorsngs-
weise dantnf Aebt hatte, in seine Sammlung je mehr solche Gedichte
aufzuiH'bmen. in denen sich der Freilieit^geist, der tolerante Charakter,
«iie rührende und j?lünzen<le Vaterlandsliebe, und die ritterliche Bra-
Yonr der ungarischen Nation am kräftigsten anadrückt. Löw hat somit
mit seinen nGems" nicht nur ein schönes, sondern auch ein unserem
ganxen Volke nfltElicbes Werk yollbracht. Ist ja er selbst das beste, und
beredteste Beispiel für 4ie nie Tersiegende Heimatbsliebe des Ungarn,
der nach Jahrzehnte langer Trennung ^n seinem Vaterlande, noch im-
mer an die süssen Laute meiner Muttersprache, an die lieben heimath-
lichen Halden und Fluren, an die so zu Herzen dringenden Lieder seiner
Dii-hter zurückdenkt, und für den es als der tbeuerste Triumph gilt,
wenn er den guten Ruf seinem Volkes in seinem grossen und mächtigen
Adoptivraterland durch einige literarische Bekanntmachung weiter
Terbreiten, demselben unter seinen neuen Landsleuten eine edle Propa-
ganda machen kann. Zu dem gibt es da drflben jenseits des „grossen
Wassers' tausende und tausende „Versprengte^ unsrer Nation, die
oder wenigstens deren sehon dort geborene Kinder allmählig der „An-
«flisirung" anheim fielen. Die Macht der Verhältnisse, die vielen Jahre
des Ringens und Kämpfens drohte bei diesen schon das letzte Band,
das sie noc h an ihre vierflüssige Heimath da drüben, mitten im alten
Europa gebunden hätte, zu zerreissen. Nun denn, mit den „Gems from
Petofi and other Hungarian Poets'*, denen bald eine zweite Sammtang
folgen soll und wird, ist ihnen aQen ein neues, theueree, fisstes Band
der Erinnerung an die Utaigst gesehene Heimath geschaffen, und
manche, die an den Ufern des Ohio, Missisippi und Hudson im Herzen
wohl noch ungarisch, in der Sprache aber schon längst englisch sind,
werden die-e «Gems" daheim in trauten Winteruächten, oder draussen
iu laubigen kühlen Schatten der amerikanischen WUlder und Parks
wieder und wieder durchblättern, und eine freudige Rückerinnerung
wird ihr Hers dabei durchxittem, »hat doch ihnen, und ihren Nachkom-
men der Landsmann aus Papa eine theuere bleibende Erinnerung an
ihre geliebte Heimatb, die erste dieser Art in Amerika, in di« Hand
UfegirlRchc Rero». 1S89. VU. Heft 88
586 . mrmcm JAHussininr« mb iiripwnfc
gegeben", eine Erinnerung, die in ihnen das alte Gefühl der Vaterlands-
liebe und der geiechttert igten Freude ihrer Zusammengehörigkeit mit
einer Nation, die solche Geister, solcl^ Lieder hervorgebracht, immer
M ieder rege halten und anlachen wird. Ja ! es ist ein Stück heiasar, glä-
bender Vaterlandsliebe, diese „Gems'', und dctö ist e^, was mir n
ibaeii wenigstens so gai gefiUlt, a>s die poetiscba Bsfpdnuig de»
wackeren William L5w, die sie auf jeder Smte, in jeder Zeile benr-
Prof. L. Palöczt.
FESTLIOHE JAHRESSITZUNO DER UNOARISCfHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Am 4. Juni d. J. hielt die ungarlstlie Akademie der Wissenschaf-
ten ihre ^t'e/firkii^tei'ir^s/e Jahresversammlung in Gegenwart eines zahl-
reichen Publikums, welche."^ die interessanten Vorträge mit geapanter
Anfraerksamkeit verfolgte und mü lantem Beifall entgegennabm.
PMsident Graf M nLCBioE Lövtaj erOffiiete die Versammhing mit
mner Ansprache, deren weeentliebsttf Tbeüe wir im Folgenden repro-
duzii en :
Unsere Akademie hat in ihrer heutigen Plenarversammlung die
Modalitäten festgestellt, unter welchen ihre Statuten zu ändern sein
werden. Meiner Ansicht nach war es korrekt, in dieser Beziehung tn
yerfttgen ; denn jede lebensstarke Seböpliing strebt nach VervoHkomm-
nnng und ihre Normen kOnnen sich nicbt anf ewige Zeiten, erstrecken.
Doch hat jede Schdpfiing ihre Grundlagen, welche ihre Ezistens-Bedin-
gnng bilden nnd diese sn Indem wire kein korrektes Vorgehen.
Die Basis, auf welcher die Organisation unserer Akademie be-
ruht, Lst eine eigenartige und weicht von der Organisation aller ande-
ren Akademien ab, was in der eigentbttmlicben Lage der uo|purisciida
Nation seine firklSrang findet.
Es sei mir gestattet, bei dieser Gelegenheit Uber diesen Gegoir
stand zn sprechen.
Unsere Akademie ist keine hawi^iche Akademie, unterscheidet
sich daher Ton jenen Akademien, die ihren Bestand der fnitiatiTe vcn
Herrschern verdanken. Der allerhöchste Protektor unserer Akademie ist
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FBSTLiCUJi JAHBEdälTZUNü DBfi AKADUUl.
wohl der König, der auch die Qnade hatte, den Stanunfond durch seine
Gabe zu bereiohem und der, ala gethcMm König, auoh daa Bachfc hat»
die gawtblteii Prlaidenten ni bestttigen mid dar AbBadenuig dar 8ta-
tetoB die all«rli5ehifce Apfirobalioii zu ertbeQea; in jedmr aadeMii
Hinsiehi aber ist die Akademie etil maliliängiges, selbBtottndiges
iBstitiii
Sie ist keine Landes-Akademie, die auf öffentliche Kosten, durch
die BettrSge der Spender erhalten wird ; in neoirer Zelt erat hat die .
Qeoetigebnng Ar bestimmte Knltnrtwecke bescheidene Suminen bewil-
ligt, wobei die Yerwendang durch das Oesati der Akademie über-
laaaen wnrde.
Sie keine ansschliessliGh aus Oelehrien tmä Merariichm
NoiaMUä^en bsstehende Akademie ; von Beginn ihrer OrOndong bis
auf den heutigen Tag sehen wir in dem Direktionsrathe und in den
Bethen der Ehrenmitglieder der Akademie die hervorragendsten Min-
uer unseres Landes, die sich <lurch einen allehrwürdigen Namen, Uureh
ihr Interesse für Wissenschaft und Literatur, durch Opferwillifjkeit für
das Gedeihen der Akademie hervurgeihan, el)enso Jene, die sich im
öffentlichen Leben in den lieihen der £r8ten erhoben und ihren Namen
in der Geschichte unserer Nation verewigt haben ; sie AUe geniessen
Bafliisa auf die Leitung der Angelegenheiten der Akademie. Dnrch
ihre Wahl zeichnet die Akademie sie aus, damit ihr dgener Glans ge-
hoben werde, ihre Wirksamkeit Nachdruck erlange und in schweien
Zeiten der be.scheidene Kreis der Gelehrten UnterstUt/.ung tinde.
Unsere Aksdemie ist somit kein königliches und kein Landes-
Institut, auch kein ausschlieeslich von Gelehrten geleitetes Institut,
sondern eine unfforMie Akademie im wirklichen Sinne des Wortss.
Ungarische Patrioten haben sie initiirt, die freiwilligen Gaben der un-
(^arischen Nation haben sie geschaffen und heute noch, nachdem mehr
als ein halbes Jahrhundert «:eit ihrem Bestände verfiosseu, vergeht
kaum ein Jahr, in welchem nicht ungarische Patrioten durch ihre Ga-
ben oder Legate ihre Fonds bereichern. Sie ist eine ungarische Aka-
demie^ weil ihre erste und grösste That darauf gerichtet war, eine ge-
bildete ungarische, literarische Sprache su schaffen und mitsolcham
Erfolge lu Terbreiten, dass die von ihr gebildete literarische Sprache
heute schon die Sprache des Volkes geworden, und bildet die Pflege
8b*
588
FBSTLII IIK JAHUKS>rrZUKO DKB AKADEBUK.
die er Sprache, die Bewalirung ihn r Heinlieit auch heute noch den Ge-
genstand ihrer TOinebmsten Sorgfalt
tTneere Akademie ist ein rnffarisehes und fuUianales Instilvt,
denn obgleich de in ihrer Thfttigkeit aUeseit innerhalb der Schranken
der Verbreitung der ungarischen WissenschaftHchkeit und der Pflege
<ler Sprache gebliel eu, wusste sie «iorli jene grossen Me«'n. welche Hie
Nation von Zeit zu Zeit begeisterten, sieb zuzueignen und den hiteie>-
sen der Matiou in stiller, aber konsequenter Arbeit m dienen.
Termftge der eigenartigen Lage onserer Kation war da« erste
wissensehafitliehe Institut des Landes schon bei der Gründung nicht
allein und ausschliesslich idealen Zwecken gewidmet, sondern es war
feine Bestimmung, idealen «ntl praktiM-lieii Zwecken gleiehmassij; zu
dienen und neben der Pflege der VVis.->env<chaften auch die prakti.si iie
Bichtung nicht auseer Acht zu lassen.
Graf Stefon Sa^henji, der Gründer der Akademie, hat in seiner
Person diese beiden Richtangen a»f das Glflcklichate Yereinigt; er war
Idealist in eeinen Zielen, Qbenkoa praktisch in der BentUsnng seiner
Mittel IKese Bichtnng bat die Akademie in der Wahl ihrer Pifsiden-
ten fortwfthrend und Ttelleiebt instinltmSssig bot Geltung gebracht
Pie e^^te Wahl Hei auf den Grafen Josef Tileki, der ein grosser Hist^«
riker und Gelelirter wa»- in des Wortes wirklicher Betleutung. Ihm /ur
Seite stand Graf Sze< hen\ i. der selb^- in seiner literarischen Thütigkeit
praktisch war, praktisch in der Gründung der Akademie und in allea
seinen grossen Schöpfungen.
Auch bei den spllteran Wahlen blieb dies« Eiohttnig Torben>
sehend. Die Leitung der Angelegenheiten der Akademie übemakm
Graf Bmil Dessewfl'y, die hervorragendste Notabilitftt der damaligen
prakti.'-chen Ziele. Zum Vizepräsidenten wurde Haron Josef Eotvös
gewählt, der die ausgezeic hnetste Gestalt unsere» «HTeutlichen Lebens
und unserer Literatur und die edelste Verkörperung des idealen Leben>
war. Diese Wahl war würdig der grossen Vorgänger und entsprach
▼oUstSndig den Forderungen der damaligen schweren Zeit.
Nicht nur in der Geschichte unserer Akademie, sondern auch ii
der Geschichte des 19. Jahrhnnderts unseres Yaterlandee wird stets
eine hervorragende Gestalt Graf Stefan Szeehenyi sein, der junge
iiU8<aren Uittiueister, der, als er durch einige auf dem Reichstage geapro*
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FmUCBft JAOaEättllZCKO DIR AKADBXIE^ 589
ebene begeisteite Worte und dnrob aeioe grosse Spende die Akadeinie
begründet batte, damit seine lange patriotiscbe Ouritee begann. Es
wird die« eine jener Saenen sein» welcher noch die späte Nachwelt
begeistert gedenken wird. Aber eine zweite herTorragende Gestalt in
der. wenn anch nnr kurzen Epoche der Geschichte dieses Jahrhundert«
wird auch (Jraf Kmil l>essc\vtrv sein, in jenem kur/cn Zeitrauin, wo
er tlüH l'iäsitliuii) der Akademie innehatte. Ah Privatmensch war er
eine gebihletoi gelehrte, liebenswürdige Persönlichkeit» aU Trüsident
der Akademie wnrde er eine Macht in jener Zeit, da einzig und allein
die abaolnte Gewalt herrauhte ; denn nmgeben vom Glanie aeiaer Stel-
Inngy verkündigte er von diesem PlalM ans laut der Nation» die seboa
ihre Hoflkniig zn verlieren begann, dass eine Nation aaf dem geheilig-
ten Boden diesee Taterlandea lebe, und wenn ihr anch jetzt die 800
Jahre lang offen gestandene Lanfbabn des politischen Lebens verscbloa^
>cn sei, so hat sie doch eine ungarische Akademie, die höhere Verkör-
jicrun«^ ihrer Nationalität, von deren Priisidialsitze herah die Devise zur
Austübrung patriotischer Thaten ertönt, und er brauchte nur zu sagen:
^Die Akademie hat kein Hans"^, und Reich und Arm brachten ihre Ga-
ben zum Bau dieses prftchtigen Palaetes. Kaum hatte er gesagt : „ Ge-
denken wir der hnndertäten Jahreswende der Geburt Kazinczy^s**, und
die Bessern der Nation pilgerten an den Geburtsort des ersten Pflegers
ihrer Sprache, um das Fest des Triumpfes der ungarischen NationalitSt
in der Zeit der amtlioihea Germanisation zu feie», ünd die Akademie,
um in den Hei-zen der Zweifler Hoffnung zu erwecken hinsichtlich der
Zukunft unserer Nation, begann mit zweifachem Fleisse die vaterlän-
dische Geschichte zu pflegen, als ob sie sagen wollte, dass die Nation,
die eine iausen^'ährige Vergangenheit hat, welche die durch das Schick-
sal, aber bttnfig durch eigene Schuld über sie verhängten Leiden zu
ertragen im Stande war, zu neuem Leben erwachen müsse. Ja, das
Staatsleben wird neu aufblühen, indem das Andenken an die gemein-
same geschiditliche Vergangenheit die verschiedenen Stimme mit der
den Staat bildenden Nation verknüpft.
Als auf eirund kühner Missdeutung und Fälschung der geschicht-
lichen Thatsachen neben der Theorie der He< htsverwirkung die Nicht-
existenz laut verkündet wurde, war es ein Ehrenmitglied unserer Aka-
demie, das auf der festen Hasis der geschichtlichen Wahrheit und des
Rechtes gtgpa diese Aichtung sein hochwiehtiges Werk schrieb. Die
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800 nSlUCBI JABBBSSmüVO DIE AKA08MIB*
Akademie zeiDhnete dieses Werk mii dem groesen Preise aas, und die
gaaae Nation veremigie sich auf dem Boden der Rechtskontinnitii um
diesen grossen Patrioten nnd dieses Mitglied der Akademie, mid an
ihm unerschütterlich festhaltend, erreichte »ie die Wiederhei fit^lliuig
ihrer Verfassung.
Diese, aus der Glanzzeit der Akademie in Erinnerung gebrachte!
Thatsachen zeigen wohl deutlich, dass die Organisation der Ungarischea
Akademie eine eigentbttmliche ist nnd tos jener der anderen Akade*
mien abweicht.
Ob es ihr gelungen wSre, anf die Nation einen so enacheidendeB
Einflnss ansznilben, wenn sie sich, wie anderwftrts, aasscUiesailch ans
den namhaftesten Gelehrten nnd Schriffestellem znsamraensetst, «acl
nicht au8 den bedeutendsten Vertretern der Wissenstliatt und dec Pa-
triotismus besteht, — die Akademie vergesse nie, dass sie ihre bihheri
gen gros.sen Erfolge zum guten Theile jener eigenthümlichen Organisa-
tion danken kann, welche sie eng mit der Nation verbindet. Zeit und
Erfahmng versetBen auch die Akademie in die Noihwendigkeit, ihrs
Statuten wieder an flndeni ; dabei aber verliere ^ nie ans den Aogea
die als geannd erwieeene Gnmdoiganisatien» welche ihre Grttnder mit
weiser Voraussicht Ar sie schufen, und welche durch ihre halbhundMi-
jftbrige Vergangenheit und durch ihre gllasenden Erfolge aanktionirfc
wurden. Auf dieser Basis bane die künftige Generation weiter und lasse
sich nicht verführen durch die anderwärts und anter anderen Verhält-
nissen als richtig erwiesenen Theorien.
Dem Grafen Dessewffy, dem durch seine gllnzende Vergaagm*
heit berühmten rrttsidenten nnd neueren iiegründer unserer Akademie,
hat das Schicksal nidit gestattet au erreichen, daas er in dem dardi
seine konsequente und ausdauernde Thtttigkeit errichteten Pabst bei
Gelegenheit der ersten ibierlichen GesammtsitKung aelbat die ertls
£r&iRiungsrede halten kOnne.
Zum dritten Mal seit seinem Tode ist die Nothwendigkeit heran-
getreten, das Priteidium der Akadeniie zu besetzen. Der edeL-to un<i
würdigsto Vertreter der Wi.s.^onschattlichkeit und Ideenwelt. I>aron
Josef Eo( vös, wurde vor 16 Jaliren einstimmig zum ersten Präsidenten
der Akademie gewählt, und ich bin kaum im Irrthum, wenn ich der
Tendenz, auch die vom Anbeginn befolgte praktische Richtung nr
Geltung au bringen, das unerwartete Glflok verdanke, daaa man
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FEaXLlCUX JAHfibSSITZUNa D£K AKADBXIE. . 591
der Ton ersier Jagend angefangen der Pflege der mit dem praktiachen
Leben znsammenhttngenden WiMeneohaAen und Intoreogon aieiae ge*
eammte Thttigkeii widmotor thm rar 8mte hok
In cUeeer Zeit begann die Epoche der Pflag« lud Verbratang
der Wiaacnsehagten in nngariacber Spraobe. Im Jabra 1870 bat zu die^
sem Zwecke die Akademie ihre Statuten umgestaltet, und indem sie
die einzelnen Klassen den versthiedenen Wissensföchern gemäss selbst-
8<Ändig umgestaltete, hat sie zur Ausbildung der Wissenschaften wei-
ten Spielraum gewährt. Mit der Organisation der selbstständig fungiren-
den st^^ndigen Kommissionen hat die planmässige Ausbildung der Wia*
sentfchaften iliren Anfing genommen, und hiedarch wurden auch
ansaeiiialb der Akadamie atebende Facbmloner in die Thfttigkeits«
apbire der Akademie gelingen.
Allein kaum hatte die Akademie dieae nennenswerthe ünigeBtal-
tung passirt, als zum tiefen Schmerz der Akademie und der Nation der
J od des Barons Eötvös eintrat, und ich, der sein Präsidenten-Kollepe ■
war. wurde, und zwar vielleicht deslialb durch das Vei'trauen meiner
Koliken mit der Stellung des ersten Präsidenten beehrt Diese Stellung
babe ich stets als die grösste und glänzendste Auaseichnung in meinem
langen dffentlicben Leben bebraehtet» als die ansgeseicbneteete tob allen
jenfln Stellen, welcbe in Ungarn dnrob WaU beeetat werden. Zu glei*
eher Zeit bat die Stelle dea sweiten Maidenten Anton Csengery einge«
■ommen« jener anegeoeiebnete Gelehrte und Patriot» welchem die Aka^
demie auch früher yiel zu verdanken hatte, der nicht nur als ausge*
zeichnete Individualität des öffentlichen Lebens, sondern auch als
Akademiker in seinem Vaterlande massgebenden Einfluss ausübte, der
während jener ganzen Zeit, so lange er mein Präsidenten-Kollege war,
mich in der Erledigung der Angalegenheiten der Akademie, in der
Führung der PMaidial-Agenden UBermüdUeb und erfolgreicb unter-
stfttate.
Auch er fehlt nun schon in unserem Krmse und er bringt mir
lebhaft in Erinnerung, dass ich einer der letzten Vertreter der schon
im Schwinden begriffenen (ienerafionen bin. Ich habe schon vier Mal
das Präsidium der Akademie erlangt. Jetzt beginnt das letzte Jahr
meiner letzten Wahldauer. Vielleicht spreche ich jetzt zum letzten Maie
▼OB ^eaer Stelle ; goätatten sie mir also, dass ich bei dieser Gelegen*
beii knrs nur ;jen«tt Theil mainer PtSaidanton-Au^be bembne,
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592 FBSILKIBK JAHBF88ITSUV6 DtR AKAUHO«.
welcher sich auf «lie wosrnllii he l>eilin«,'nng d«5r erlolgreichen Tliütigktit,
auf den materiellen Zuätanii, beschrünkl.
Vor Allem babe icb es als meine Aufgabe betrachtet, mit der
Mitwirkung meiner IVjlsi<lentcnkoll(^en un<l mit der nnter.stüt/.nng des
Dirokfion.sraf lies «laliin /,n wirken. <Iass «lie in früherer Zeit nach alter
Methode gefüiirto Kass^engehahning und Verrechnung radikal umge.sial-
iet und systemitiirt werde, dass der biand der Stiftungen gekh'irl un«i
vollkommen siehergestellt sei. dji.ss die grossen R^ck^iände aufhören
und die Bechtsangelegenbeiten in Evidenz gebracht werden. All dies ist
vollkommen gelangen. Die üngarisehe Bodenkredit^Anstalt hat mit pa-
triotischer Bereitwilligkeit» kraft des Interesses, welches die erste Hj«
pctekar- Anstalt nnseres Vaterlandes f&r das erste ungarische wissen-
schaftliche Institut bekundet, die Kassen- und Buchführunj^s Agenden,
und zwar ohne jede Gebühr übernoniiiien. S( lu>n seit 1 1 Jahren leistet
sie uns diesen patriotischen J)ien>t. riier Jiegeju un- «lie 1881-er Si hlnss-
rechnungen vor^ welche, verglichen mit dem ersten Jahre ihrer Maui-
puUtion, nennenswerthe Ergebnisse aufweisen.
Ich will mich nicht in Details einlassen und erwähne nur. da^-N
wilhrend vor 12 Jahren die Akadeinie noch unter namhaften Lasten
laborirte (au» dem Hau ihres Palastes und Zinshan^se« — unter Ande-
rem schuldete sie 40,000 tl. der I. ungarischen allgemeinen Assekuranz-
GeseUsuhaft), sie heute ihre Schulden vollkommen zurfickgezahit hat»
ja sogar trotz der Inzwischen nOthig gewordenen neueren Bauten, wie
zum ümban des Akademie-Palais-Daches, welcher 144,882 fl. kostete,
und d6B:sen Kosten sie eben&Us vollständig tilgte, ihre Bilanz heute um
355,095 H. günstiger steht, ohne dass wir in der Bilanz im Pahujlc uml
im '/in>liause der Akademie den nnfanglii Ii mit einer Million (»uhUn
angenommenen Werth um die neuen Bauauslagen erhliht hätten. Ein
grosser Theil namhafter Stiftungen ist eingetiossen ; der »Stand des
in Werthpapieren — sichersten Pfiindbriefen — plaoirten Vermögens
hat sich, mit dem fr&beren Znstand verglichen, von 321,340 fl. auf
574,884 fl. erhOhi Dieses Eigebniss kOnnen wir einerseits dem Um-
stände verdanken, dass die Spenden und Legate sich stets vermehrten,
allein andererseits auch dem, dass der Direktionsrath bei der Verwal-
tung des Akademie Vermögens die nüchterne Sparsamkeit geltend
machtOi jedoch ohne dass er die •lurch die einzelnen Kla^^sen zur Für-
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I
n^ucBS jABRBssrrscirG deb akadbiiik. 5d8
dernng wisiieiiscbaftlicher Ziele erwüiucbten materiellen Büttel nicht
stet« mit grÖBster Bereitwilligkeit votirt hätte.
Ich habe von der Vergangenheit ge.siirochen, getiUtten Sie
mir, Aasit ich noch Ton einer wichtigen Aufgabe der nahen Zukunft
>pit'cbc. nelcbo in iler Verbreitung der VVi.s>en«fcbHtUjii der Akaile-
mie barrL
Unser Vaterbin«! i4 an «lie i><bwello einer bemerkenNwerlben
Umgeslaltang gelangt. Heute i^t <lie Ueberxengong eine immer allge-
meinere geworden, das» es zum Tragen aneerer schweren Lasten und
im Intere^te unserer materiellen Wohlfahrt unvermeidlich nöthig ui,
das« Alles geschehe, was zur Entwicklung der nationalökonomischen
Krlfttf, zur Steigerung der nationalen Arbeit, zur Geltendmachung ver*
nünftiger Spar amkeit dient ; dies aber können wir nnr tUireh selbstbe-
wusbtes llan'lt'ln iM'reiilicn. In «lieser Ki' ljlunj^ kann «1er sicliero Vovi-
.scbritt nur so eiiiotit werilen, wenn jent^ Kenntnisse sieb verallgemei-
nern, weKbc, wie die Eifuhrung zeigt, reicli und so selb.stständig und
zufrieilen macbten. Die allgemeine Verbreitung der national« tkonomi-
schen Kenntnisse ist somit dringend nothwendig geworden. In einem
konstilutionellen Staate ist die Macht der Öffentlichen Meinung gross,
und weil das Schicksal der Kation von den Vereinbarungen der Legis-
lative abhSngt, verursachen die Fehler, ja auch die Versftunuiisse der-
selben unendlichen Sehaden ; bingegen kann deren selbstbewnsstes und
zweckmiissiges Han«leln nicht nur die zukiinn.ige lUüüic begriin<b'n,
sondern au« li die Steigerung «lorsclben in gr<'<-^<'m Massr bewerkstelli-
gen, ivt de-sbalb nötbig, dass die dur«b Verbreitung wi<srnseliat't-
Ucber Kenntnisse entstandene unwidersteldiebe ötlentlitbe Meinung
auch auf die Gesetzgebung entscheidenden Kinfluss auiübe und damit
dieser Zustand in unserem Vaterlande ehestens eintrete, muss die Aka<
demie ihre Thfttigkeit in dieser Richtung steigein.
Diese Richtung begann in der Akademie auch schon zur Geltung
zu gelangen. Die national ökonomisebe Kommission hat in jüngster Zeit
eine lebhafte Thfttigkeit cntwi« kclt. Diese Kommission wird zur Aut'gubo
bal>en, vei eint mit den au<s«'i ball) «ler Akademie siebenden Fjtrbm'innern
eine ver«iöj)j)elte 'rbäiigk«'il zu entfaUen. Kin /.weiter wiebtiger Faktor
der materiellen WohHahit ist die Verbreitung der Kenntnisse der Na-
turwissenschaften, und besonders die Darlegung jener grossen Errun-
genschaften, welche diese Wissenschaften auf dem Gebiete der prakti-
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694
nSIUCBB JAHBISSIISiniQ mtB AIIJ
sdun Aiiweiidaiig erreiclit haben ; und in dieser Hinnchi harrt aneh
' der driUen Klasee eine grosM Aufgabe ; in wekher Weise sie dieselbe
im jüngsten Jahre erflUlte, darAber wird der Oeneralsekretlca^Berichi
Details gewfthren.
Es ist nicht lange licr, da^s die hochwichtige Arbeit <ler Verhrci-
tung der AVissensi haften in dem damals bescheidenen Kreise der Akade-
mie lebte; seit jener Zeit \>i eine ganze »Serie wissenschaftlicher Gesell-
st haften entstanden, welche insgesammt von der Akademie als ihre
Kinder betrachtet werden.
Und damit von dieser StKtte aus anch Ui Zukunft sidi das Lichi
auf das ganze Vaterland erstredce» möge die Akademie auch femer die
wissenschafUicbe Thätigkeit anlÜhren, ihr die Biehtnng angeben, möge
sie auch femer das eifrige Streben nnterstfitasen und das wahre Ver-
dienst belohnen. Sie möge die 'I'alentc der jüngeren Generation zu si< h
erheben, damit sie der Wissenschaft und der vaterländischen Sprache
stets neue Priester zuführe und damit von hier aus von Geschlecht m
Geschlecht sich stets das Licht auf das ganze Vaterland verbreite !
Die Wissenschaft ist der gemeinsame Schatz der Menschheit, de-
ren FiMtischritt die Verbreitang der ZiTilisation, die Befeetignng der
Freiheit siehert. Eine höhere Aufgabe gibt es wohl nicht, sIs
unsere Nation auf ein Nireau mit den in Bildung und Wiesenscheflsa
fortgeschritteneren Nationen zu heben, und dadurch die höchsten bte^
ressen unseres Stammes zu fördern. Dieses Ziel zu fördern, war die Aka-
demie bestrebt^ dies möge auch in Zukunft ihre höchste Aufgabe seia !
Der Bericht des Generalsekretärs WiUBUi Frakn6i konstatirt vor
Allem, dass das Leben unserer Nation stets eine Kette von Klmpfea
gewesen; doch haben diese KSmpfe, wenn sie auch -unsere Verbreitnog
hinderten und unsere Entwicklung hintanhielten, unsere Lebe&sfk*
higkeit und die Berechtigung unserer Hegemonie bewiesen, üed
wenn sich auch Höswilligkeit und Hefangenheit dies anzuerkennen
sträuben, so muss unsere Akademie sie eines Hesseren belehren,
un.sere Akademie, in welcher sich jene Assimilationskraft, welche wenn
auch nicht die Masse, so doch die edelsten £lemente der eingewandert«ii
Völker amalgamirt und die Söhne Hunt*s, Pazmin*s und DrugeVs m
ungarischen Maj^naten machtQ, in miHlÜliger Weise manifestirt
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nSTUCBB JAHBBBSRZUMO DBB AKAOBJOE. 595
Während die ]iioht-ii]igaii8che& NattonaliUten Ungams seit Jalir*
lehnten kein literarisches Werk von Bedeutung geschaffen, sind die
•
hefTomgendsten Geister des Landes, ohne Unterschied des Ureprongs
oder der Ahstammong Hitarbeiter unserer Akademie von Anbeginn an
und PS ist gewiss bezeichnend, dass Jene, deren Ahnen nicht ira Lager
Ai pa<rs zu suchen sind, »lius (icliiet der ungarischen Spiai h Wissenschaft
ain fleissigsten kult.iviren. Und cl»cn .-uif diesem Gebiete zeigt die Aka-
demie, dass sie von jenem Chauvinisuuis un<l jener Einseitigkeit frei ist,
deren man unsere Nation zn zeihen pHegt. Soeben erscheint in unserem
Verlage das grosse Werk Armin Vimb^iy's Aber den Ursprung der
Ungarn. In diesem Werk führt der gelehrte Autor den Beweis, die un-
garische Race und die ungarische Sprache seien tfirldsch-tatarisohen und
nicht finn-ngrischen Ursprungs, und er kommt darin zn folgendem Re»
snltat« : „Jene sittliche Kraft, welche dem Ungar in Tannonien die
Herrschaft verlieh über f'etschenegen, Kumanier, Chazaren und son4ige
vpnvandte und fremde Stämme, sie lebt selbst nach tausend Jahren in
dem Ungar der Neuzeit, der inmitten von 81aven, Rumänen und Deut-
schen lebt, die stärker sind als er, nngeschwttclit fort. Aach anderen tür-
kisch-tatarischen StBmmen war die staatenbildende Potenz eigen, denn-
▼on China bb lum Balkan sassen auf allen Thronen tilikisch-tatarische
Hemrscher ; allein nur der Ungar hat sich die Macht der Staatseriialtung
bewahrt Nur der Ungar ist in Europa heimisch geworden, hat diesem
Welttheil wichtige Dienste erwiesen und ist berufen, ihm in den nnaus*
bleiblichen Wundlungen des europäischen Ostens noch wiebtigere Dienste
zu leisten.**
Der Bericht schildert nun die Thätigkeit der einzelnen Kla.ssen;
er enumerirt deren Editionen und die Vorträge, die in ihrem Schoss
gehalten wurden und liefert ein knappes aber prägnantes Bild der 6e-
sammttbfttigkeit der Akademie. Dann widmet er Worte des Bedauens
den rodten des Instituts : Anton Oorooe, Moriz LMes, Nikohms jSffO-
mere, Johann Baininer, Stefan MmrbeM^ Ludwig AMHk^ AladAr Jfol-
ndr und Graf Stefan Kdrolyi, und nchliesst mit folgenden Sätzen :
„Es hat sich heuer der im Leben der Akademie seltene Fall
ereignet, das« die nougcwiihltcn Mit^^dicder nicht alle durch den Tod
der im verHo-ssenen Jahre vereitorbonen Mitglieder freigewordenen
FlHtze ausfttllen. Ich glaube, mit den Pflichten der Stelle, auf der ich
mich befind^ nicht in Kollision zu ^erathon, weQii ich m^m^ indindn*
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596 , FBäTIiKHÜ JAIlR£ä&ITZ(7IIC DEB AKADEMIE.
eilen Uel>ei /.eugung Ausdruck gebe und mein Bedauern ül>er da> Re-
sultat der heurigen Wahlen aussprechei die unsere Akademie der MÜ^
mrhtmg viüer hervorragender MSmmr beraMeUt welche meht rmr
das PreeÜge, sondern auch das Niveau unseres InsHkds auf mehre-
ren Gebieten hatten h^>en kennen. Unsere Akademif , welche eine an-
dere Organisation, »l8 die Neutor-AnKtalt unter den bestehenden gelehr-
ten (Jesells( harten : t\'w Iran/ösisrhe Akademie, besitzt, sie ist in erster
Reihe l»enilen, die l)e.sch<'idenen, aber ilial.o.ji(ldit.li und koniinuirlirh
thatigen IMleger der Wissenschaft aufzunehmen. Aber eben.-jo die Inten-
tion unwerer Gründer, wie der Text unserer Statuten eröttnet unsei'e
Akademie air Jenen» die »ich um die Entwicklung der nationalen Bil-
dung auf welchem Gehiete und auf welche Weise immer bedeutende
Verdienste erworben. Wir wissen,; da88 man zur Beurtheilnng der Ver-
dienste keine Kegeln von absolutem Werthe, zu deren Würdigung keine
daH individuelle Gewissen unbedingt verpflichtende Gesetze si-hafTen
kann. So kam es, (iass Stefan JlornUh niclit wollte, dass lieorg hejer
nicht konnte die Schwelle unserer Akademie ül>ertreten, obgleich «lic
Thätigkeit eine.<> -Teilen von ihnen einer ganzen UelehitengeiieUächati
zur Khre gereicht hiUte.
Doch möchte ich dabei bemerken, dass sokhe Ausnahm^fiül«
nicht nur an unserer Akademie vorkommen. Es ist bekannt, dass Ho-
li^re, BoQsseau und Beranger vei^bens bemuht waren, die Fauteuil«
einzunehmeOi welche das Andenken Bichelieu's hüteten, so dass der
Biograph des Einen mit Recht sagen konnte : „Zu seinem Ruhme hat
nichts gefehlt, doch fehlte er zu dem un^» rigen." Und selbst Viktor
Hugo Itcwuili sich dreimal um diese Aiiszciclmuuji und einmal wurde
er sogar von einem Konkurrenten besiegt, dessen Namen und Anden-
ken blo8 von dem gei.stvollen Epigramme Dupatj's bewahrt wird, in
welchem bedauert wird, das» er für einen Augenblick die Siegespalme
dem berühmten Autor von «Ab^re Dame de Ports* entrissen habe^
Dennoch ist es unzweifelhaft, dass vnr mit der grossen Sorgfalt selbst
den Sdtein fem halten müssen, als Uessen loir uns in der AusSbung
unserer wesenÜiehsten Tßiehten von anderen MoHveUy als von den
Inferesaen der Akademie und der Wisficrnrhuß leiten. Dann wenlt^n
wir aber aueh dass Kccht haben, von den Lhdiiietschen der ausserhalb
der Akademie stehenden üfl'entlichen Meinung /.n erwarten, dass sie bei
vollem Gebranch der freien Kritik das Institut schonen, an desawi
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f
FESILKDE JAORKSälTZl NO DER AKADEUlE. 59^
.Scilwelle die poIiti-^<!ie Leidenschaft, die kpnt'essiouelle Befangenheit
und die individuelle Antipathie verstummeir mü^^ten. /
Wir für unseren Theil beanspruchen nioht den Titel „Unfiterb-
liehe**, doch reklamiren wir die Pietttt, welche der Zauber der Unaterb*
lichkeit seihet AUtagaseelen abringt, für unser unsterbliches Institut und
(tlr jene nnsterblichen grossen nationalen Interessen, Aber welche un«
i^ere Akademie zu wachen berufen ist, über welche sie treu wachen
wird füi* und für I"
Hierauf folgte die Denkrede August Tbüfort*8 auf Horiz LukAos,
welche wir an der Spitze dieses Heftes der ^Ungarischen Berue' Voll-
ständig mittheilen.
Zuui ^>eiiluss>e betrat Graf BUla Szk( üknyi die Redner-Tribune,
um über die von ihm geleitete ost asiatische Expedition und über
deren wissensehaftliche Resultate Bericht au erstatten.
Der Vortragende schilderte vor Allem die Vorbereitungen, die er
für seine Expedition traf. Die Idee, eine grössere wissenschaftliche
Reise zu nnternohmen, hatte er im Jahre 1874 gefasst. Nachdem er
seine Verliältnisse geoidnet und nachdem er si( h selbst drei Jalire hiii-
durcli durch dsm Studium der einschliigigen Literatur auf das Untcr-
nebmen vorbereitet — die körperliche Eignung iiaite er sich s« hou
vorher durch Reisen in Amerika und Afrika und durch Befolgung des
Wahlspruchs seines Vaters : ,»Der beste Fussglager ist der nnabhftn-
gigste Mersch" erworben — , sah er sich nach Beis^eflUirten um. Br
fand dieselben in Gabriel Sdlinif der die Reise in sprachwissentlicher
Beaehnng, in Oberlieutenant Kretthner, der sie in geographischer und
in Ludwig Loczy^ der sie in geologischer Beziehung verwerthen sollte.
Y^v selbst hatte sich den ethnographischen und als leidenschaftlicher
Jäger den zoologischen Theil der Arbeit, wie die Leitung des Ganzen
vorbehalten, wie er denn auch üUmmtliche Kosten aus Eigenem bestritt.
Nach Asien aog e» ihn aV>er als nach der Wiege der Menschheit, nach
dem Ansgangapnnkt aller Zivilisation, ▼omehmlirh aber als nach dem
Ursprung seiner geliebten Nation.
Nachdem er Ton dem damaligen Minister des Aenssertt Grafen
Julius Amhdssy ein Kmpfehlungsschreiben an unsere Vertreter in
Ostusien un»l von dem ungarischen Minister-Präsident. -n Kolomun 7isc(t
eine Legitimation in ungarisclier und frauzüsisehei- Sprache erhalten,
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598
nmicHB fäiansame dib akü
machte er sich mit seiner Reisegesellschaft auf den Weg. Bälint, der
erkrankte, musste bald zurückkehren und so mu.^ste der Ch«f der Ex-
pedition auch den sprachwisaeiuGliaftlicheii Theii der Arbeit über-
nehmen.
In Pekktg that er, nachdem die letate Anarfietmig ToUendet war,
Sehritte, um JUbre ptusage* dnreh ehiaeeisehes und tibeiaaisobee Ge-
biet zu erhalten. Es gelang ihm das leicht» da er weder Bnne noch
Englmder, weder Kaufmann noch Missionftr war nnd er durfte endKeh
dem Mininterrath, der aus 9 Ministern. sJI mint liehen Staatssekretären
und dem Vorsitzenden Prinzen Chuu bestand, seine Bitte vortragen.
Der Sekretttr der deutschen Botschatt, Herr Achen, hatte die Freund-
lichkeit, seine Bitte zn verdolmetschen. Da er Ton dem Respekt, den
die Chinesen Tor allem Schriftlichen haben, hOrte, setste er eich anch
ein schriftliches deutsches Gesuch auf, welehes Achen ins Chinesiacbe
ttbersetxte und das er nun dem Ifinisterrathe ftberreichte. In dem Ge>
RUche sa^te er unter Anderni, dass er, Reines Stammes ein Ungar, aus-
gezogen sei, um die Stätten zu linden, von denen seine Ahnen ein«t
ausgezogen, um an der Wiege seiner Väter für ilas Wold seines \'ater-
landes zu beten. Das Gesuch ging unter Grabesstille von Hand zu Hand,
endlich heiterten sich die finsteren Mienen auf, die Minister licoaen sidi
mit ihm in ein Gesprfich ein nnd endlich wollten sie gar httren, wie das
Ungarische klinge, weshalb er auch einen Tbeil des ^Sfößoi* und des
tF/Üi ä(d* vortrug, was >ihnen nicht wenig zu gefidlen schien. Allein
der Kriegsminister hatte no<>h immer Bedenken. Er fragte den Grafen,
ub er vielleicht Kalten von dem zu durchstreifenden Gebiete anfertigen
wollte. Graf Szechenyi antwortete, er werde das thun und wenle sich
auch erlauben, der i hinesischen Regierung Exemplare einzusenden, wie
er auch das Kabinet von dem Fortgange seiner Heise unterrichten wolle.
So erhielt er denn endlich die ersehnte passage Ühref die ihm
freilich in Tibet nicht viel nlICcte, weil die Lhunas das Volk gegen ihn
aufhettten, so dass er endlich vom Blauen See aus die Heimreise antre-
ten musste. Dennoch hatte er die Genugthuung, weiter vorgedmng»*n
zn sein, als vor ihm je ein Europäer gekommen war, weshalb denn aurh
die durch die Kxpedition verfertigten Karten die ganze Gegend in einer
anderen Gestalt erscheinen lassen, als dies bisher der Fall gewesen.
Nach einer eingehenden Schilderung des Verhältnisses, das zwi-
schen Tibet und China besteht» der Bolle, welche der Dalai-IiMna in
"nbei spielt, und der geringen Aussichten, welche für europlische Bei-
sende in jenen Gebieten vorlianden sind, skizzirte der Vortragende kurz
die wissenschaftlichen Resultate der Expedition und schloas mit einem
Hinweis auf sein im Entstehen begriffenes grosses Werk, das er an-
finge in nngarischart deutscher und englischer Sprache zngleiob erachei-
mh laaaea wollte. Allein er habe sich einesAnderen bescmiien; er wolle
poiiiem Voierlaiide die Piiotittt wahreii imd das Work TOr Allem in
ungarischer Sprache hemnegeben. Boich belohnt werde or doh für alle
Mubsale und Opfer sehen, welche ihn die Expedition gehostet, wenn
dieselbe in ihren Resultaten das Gebftude der Wissenschaft uiul der
vaterlAndischen Ehre, wenn auch nur um ein Staubkömchen, bereichert
haben wird.
DIE KROATEN.
Von dem grossen Sammelwerke »Die Völker Oesterreich-Un-
garns* liegt nns der die Kroaten behandehide Band * in der bereits
wiederholt rtihmlichst oharakterisirten Tonfiglichen AnssUUnng dieses
Unternehmens vor. Der Verfhaser dieses Bandes sShlt nicht zn den gif-
tigen, enragirten Kroaten, und darum wollen wir seine Irrthttmer mit
grösserer Schonung besprechen. Kr srh reibt am Schluss seines Werkes
(Seite 152) : „Gemeinsame staatliehe Interes.sen haben im Laufe der
Zeitm zwischen den Kroaten und den von ihnen ätammverschiedenen
Magyaren ein frenndschafUiches VerhiUtniss geschaffen, weh hes indes.
SMi aeit dem Erwachen der NationalitStaidee am Ende des Yorigen Jahr-
hunderte Tielfhch getrübt worden ist Unser Vertranen anf den stetigen
Fortschritt der Menschheit nährt anch hier in nns die Hofftenng, dass
schliesslich der Ausgleich im Interesse beider Theile doch zn Stande
konmien werde.**
Wir setzen diese Zeilen, denen ähnliche wir im ganzen Werke
nicht wiederfinden, an die Spitze unserer Anzeige, nm Herrn Stare, in-
dem wir seine Irrthfimer nachweisen, bei nnsem Lesern die 5o»a fides
in retten.
Der eigentlich historische Inhalt seines Bnches ist sehr gering ;
* Die Kioaten im Königreich Kroatien und Shironien. Von Joaei^
Stark, Wien mid TescfiOn, 1882.
6€0
DIE noATBir.
der grössere Theil desselben beschäftigt sich mit der Ethnographie de»
KroatenlilniUhens. dem Cliarnktor des Volkes, seinen GebrlneheB,
Klassen, seinem gesellschaftlichen Leben, seinen volkswirthschaftlichen
Faetoren u. s. w. Hier ist der Verfasser, wiewohl er wenig Neues snirl.
in der Darstellung klar und nüchtern. Er sagt in der Charakteristik
des Volkes und der Sehilderung seiner Sitten viel Tnteressant<>s, die
Sympathie für sein Volk fährt ihm die Feder, und vrir achten dies. Das
Volk bt überall interessant nnd sympathisch, wo es nna in seiner Un-
mdorbenheit entgegentritt.
Wvt entnehmen der Volkscharakteristik Star6*s twei Punkte, nrn
sie weiteren Kreisen zur Kenntniss zu bringen. "Wir meinen die HaUHt-
gemeinschaft und den ürv;prung der Schupaneien.
Wie bei allen Slaven — sagt Stare — haben sic h auc h bei den
Kroaten die staatlichen Verhältnisse auf der Grundlage der Familie
aufgebaut, welche sieb nicht blos auf Vater. Mutter und Kinder be-
schränkt, sondern sttmmtliche von einem Vater stammende mrinnlicbe
Nachkommen nebst ihren Frauen nnd ändern um&sste, bis die über-
massige Vermehrung einer solchen Familie eine theilweise Trennung
nothwendig erscheinen Uess. Der gemeinschaftliche Haushalt solcher
aus demselben Blut entsprossener Familie wird Hausgemeinschaft oder
Zadruga genannt. Säuiiutliche Glieder der Zadruga haben gleiche«
Recht; sie wählen unter sich das Familienoberhaupt, wehlies den Be-
sitz der Gemeinschaft verwaltet, Zwistigkeiten schlichtet uiul lur die
Vertheilung der Arbeit Sorge trügt. In der heidnischen Zeit war dieses
Haupt des Haushalts auch der Priester der Familie, leitete den Gottes-
dienst und brachte im Namen seiner Sippe die ndthigen Opfer. Der
Name des ersten Familienhaupts wurde der Zuname sämmtlicher Olie*
der der Zadruga und der Name der Zadruga selbsi Daher kommt es.
dass die ältesten Kroatischen Dörfer, welche ursprünglich nichts ande*
res als je eine grössere Hausgemeinschaft gewesen, noch heute Fami-
licnnamcu tnii^cii. Hiess z. H. der Begründer irgend einer Familie Vinko
(Vincenz). so wurden seine Xachkouuuen. sowie auch die Zadruga. uii'i
endlich die daraus erwachsene Urtschat't Vinkovci geuauut. So ist eine
Ortschaft namens Audr^jevci von einem Familienbaupt namens Andrija
(Andreas), ein Vidovci Ton einem Vid (Veit), ein Petrijetci von einem
Peter absuleiten. Erst wenn wegen allzustarker Vermehrung einer Fa-
milie ein Theil derselben auszuwandern genöthigt wurde und eine neue
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DIE EROATEH. 001
Hausgemeinschaft gründete, erhielten die Ortschaften topische Namen,
indem die neue Niederlassung, zum Unterschied von der alten, den Na-
men des benachbarten Berges oder Flusses, oder einer anderweitigen
NatitKeigenthamlichkeit erhielt Besehlfkigie sich irgend eine Zadmg»
mit einem besonderen Wirthechafts- oder IndoBtrie-Zweige, so konnte
der Name der nenen Ortschaft auch Ton diesem entlehnt werden.
Mit dem Voranstehenden steht in engem Zusammenhange auch
der 'zweite, die Schnpanien betreffende Punkt Die Hansgemeinsohaften,
welche nrspriinglieh ans je einer Zadmga entstanden, bewahrten aneh
nach ihrer Trennung das Bewnsstsein ihrer verwssidtschaftBchen Zn-
sammengehSrigkeit und bildeten eine Sippe oder Schiqmaschaft (oond-
tatu»), welche die Qrundlage alles staatlichen Lebens war und theil-
weise auch in die neuere Zeit herübergebracht wurde. Das Oberhaupt
dieser ersten Htaiitliclien Einheit, der Schupan, wurde immer aus der
ältesten Zadruga gewählt Die Glieder der letzteren standen daher in
höherem Ansehen, als diejenigen der anderen, und bildeten ehie Art
Adel, ohne dessen Vorrechte. Unter dem Einflösse Westeuropas erwirbt
der Adel alle Vorrechte der Klasse, erhilt rom Kdnig Landlehen, ent*
lieht sich nnd seine Unterthanen dem Verbände nnd den VerbindKch-
keiien der Schnpanei, bis seine Ifiiiglieder schliessUch nnter eigenem
Banner im Lager des Königs oder im eigenen Interesse kämpfen (Seite
29, 30). Ottokar Lorenz (Deutsche Geschichte I. Seite 358) fasst das
staatliche Verhaltniss der Scliupanschaften etwas anders auf, vielleicht
weil er vornehmlich Böhmen und Mähren im Auge hatte, aber auch
Duuuuler, %viewohl er von den Dalmatiner Kroaten redet Die Darstel-
lung Starö's ist für die Begründung der Frsge jedenfUls beach«
tenawerth.
Was den historischen Theü des Werkes betrifft, so ist darin keine
Spur selbststündiger Forschung und Bearbeitung wahrnehmbar. Die
Schicksale des Landes, seine Stellung zu den aDgememen Begebenhei*
ten, sein Beehtsrerhftltniss sind in Tersohwommenen Umrissen geseich-
net» — auch das wenige Gesagte ist im Dienste einer krankhaften poli-
tischen Idee gesagt Die tausency ährige Qeschichte Ungarns wird su-
rttekgreited im Interesse der gegenwärtig an der Save sich vordrSn-
genden Strebungen umgemodelt. Die Familie Zrinyi wird vom Verfasser
Zrinszky genannt, wiewohl die Welt den Helden von Sziget nur untei
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^ Ml KROATM.
d^in Namen Zrinyi kennt — wovon abznweiehen nnndthig war, wMi-
gleidi sich das eine oder andere Olied der Familie aneh Zriasskj ge-
echrieben haben mag. Der arme KOnig Mathiaa Gorrinns mnss nch ge*
fiülen laaeen, kroätisc^-imganfldier KOnig genannt an werden; dar
^ungarische Königsthron ist bei Star6 ein kroatisch-nngarischer KSaigs-
thron — eine Bezeichnung, worin ihm Übrigens schon andere neuere krö-
nt isilie Öchritlsteller /.uvoigekommen sind. Es ist bekannt, tlass sie auih
<lie uiivrarisehe Krone kroatisch-ungarische Krone genannt haben, biä es
ihnen von.aUerhöchter Stelle untersagt wurde.
Nie hat sieh em ungariaeher KOnig — weil er es ja gar nicht
nOthig hatte — snm kroatischen KOnig krönen lassen, mit der einzigen
Ausnahme des Königs Koloman, der die Grenzen seines Reichs bis aa
die Adria ausdehnte. Stare schreibt nun, die Kroaten hätten Koloman
auf den kroatischen Thron berufen, jedotli nur mit dein Bedinire. das«
er die Selbstständigkeit Kroatiens auch fenierhin anerkennen werde.
Es üind die alten Ammenmärchen, die Stare nicht erfunden hat, sondern
bloB gläubig und gedankenlos einem Kvatemik und aadaren Hislori*
.kern (9) Ton Ähnlicher Gewissenhaftigkeit nachbetet. Eine kleine Ttet-
.erweiterung, Hinweglassung eines unbequemen Ausdrucks^ Einschmng*
gelung einer ftlsohen Urkunde, wie sie aus den berilchtigten dahaa-
.tmischen KlQstam allneit an haben waren — und das sogenaante
kroatische Staatsrecht, von welchem übrigens die Geschichte kein Ster-
l>en.swörtchen weiss, war fix und fertig. Wer sich von derartiger Arh^^it
einen Begriff bilden will, lese das L. Leottzon de Duc-sche Buch : Im
Croatie et la conföderation italienne»
Wenn inan die heutigen Kroaten reden hürt, mnss man ghubea«
ihre VoHhhren hfttten den UngarkOnig Koloman aus purer Geffelligkeit
als ihren Herren anerkannt. Wie weit entfernt Koloman war, an einen
Vertrag mit Kroatien zu denken, beweist der Umstand, dass er mit ^e\-
nem Heere wiederholt nach Kroatien ging, um die unter seiner Kegi«^
rung ausgebrochenen Empörungen mit Wafiengewalt zu unterdrücken.
Oder sollten die Kroaten ihren eigenen Vertrag gebrochen haben ?
- Wir widerholen' es» dass sich nach Kolomann Niemand mehr tma
.Kdnig von Kroatien krönen Hess. Demungeacht^t spricht St^re an meb-
.reren Stellen (Seite U, 38, 70) von Personalunion. Nach ihm hestju-
den zwischen Ungarn und Kroatien auch allezeit gemeinsame Angelegen*
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I
«
*
jMi noimr. 808
heitoi and waren die dieebetilgllohdn ungarisol^
flrrt dann gOttig^ wenn sie «och der kroetisohe Landtag «mAlin» (|)
Aodi Ton Kroatiens Lage, Bestand und Aoadehnung hat Star^
irrige Begriffe. Er ztthlt dahin nicht blos die Stadt Kreuz, wo nach ihm
Kolomann die „Union" mit den Kroaten geschlossen haben soll, son-
dern auch Sissek, welches die Kroaten doch nie besessen haben. Dass
Hie vor der Einwanderung der Ungarn hier ein Bisthum gehabt haben,
ist Uoe ans einem Schriftstück von verdSohtiger Glaubwürdigkeit he-
ransgeleeen wotden. Constantinna Porpbyrogenitus, der die Lage des
damaligen Eroatiena jedeniUla besser kannte, sagt : uDie Kroaten alMr
grenaen gegen das Gelnrge an an die Ungarn.** Also nicht die Draye,
nicht die Save, ja anch nieht einmal die Enlpa trennte die Ungarn ron
den Kroaten, sondern erst das Velebit-Gtebirge, denn dieses ist unter
dem vom Kaiser Constantin erwähnten Gebirge zu verstehen. Damit
stimmt vollständig, was Constantinus Porphyrogenitus im weiteren Ver-
lauf seines Werkes von dem Bestände des alten Kroatiens sagt. Nach
ihm zerfiel dieses Land in eilf Schupanschatlen, die er auch namentlich
an&fthlt Aber welche von diesen liegt im Bereiche der Drare und
Sa?e? Nicht eine ^naige. Alle liegen jenseits der Knlpa und des Tele-
bitgebirges.
Daa awischen der DravOi Save nnd Eo^ liegende Gebiet geh5rte
nie znm Bestände Kroatiens. Dies ist schon oft genug und zwar ganz
nnumstdssHcb bewiesen worden. Die Voreingenommenheit der Kroaten
indessen achtet die Thatsachen, die tausendj {ihrigen Urkunden und Ge-
setze gleich nichts. Ihre fixen Ideen itüuen oft zu komischen Quidpro-
qnos. Ivan Knkuljevic j)ublizirt Seite 40. des IL Bandes des von ihm
heranagegebenen Codex diplomaticos Begni Croatiae, Slavoniae^ Dal-
matiae einen Brief des IVansosenkOniga Lodw^f VIL an den von ihm
wlhrend semer Abwesenheit mit djsr Begiening des Landes betraaten
Abt Ton 8t Denis, worin der König diesem seine Ankunft an den Gren-
?en Ungarns mit den Worten anzeigt : „De portis Hungariae soribimns
vobis." Kukuljevics verstand die Worte „de portis Hungariae", als ob
sie „de portubus Hungsriae" lauteten, von „ungarischen Häfen", worü-
ber sein kroatisdier Patriotismus in Auft^ihr gerieth. Er fand es uütliig,
den Text zu „berichtigen", und damit Niemand glaube, dass der Fran-
zosenkönig die dalmatische Küste ungarische Küste genannt haben
könnte, erklärte er die Worte „u Inke ngarske** in der kroatischen
89*
t
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604
MI ntOATIV.
Überschrift der Urkande als „daliiiatisch-kroatuiche Külte* und
gelte in den Text hinter das Wort HongariM swiachen Klammm dai
Wort Dalmatiae ein.
Kukuljevics wusste also nicht, dass Ludwig VII. im Jahr Ii 47
von Begensburg angefangen längs der Donau gegen Wien zog und bei
Üngarisch-Altenbiirg den Boden unseres Vaterlandes betrat, den er bei
Belgrad wieder Terliess, nm Uber Nissa» Sophia, Riilippopel und Adrii- ^
nopel zu. Lande Konatantinopel zu erreichen. Er wnsste nicht, daee dif
„porta Hnngariae" gegen Weeten an am rechten Donannfer utteilialb I
Haimburg liegt, ebenso wie der Vereezkeer Engpass, welcher yon Rn»
land her nach Ungarn hereinfuhrt, das „Thor Ungarns^ genannt wor- 1
den ist. j
Der kroatische Antor würde in diesen Irrthnm vielleicht nicht
▼erfidlen sein, wenn er die Geschichte der Kreuzzflge des Erzbischofr
von TyniBt Wilhelm, gelesen hfttte. Der Kansler^schen Verdentachnag
dieses Werkes ist sogar eine Karte beigegeben, welche die Marschliaie ;
des Krensheeres anfWeisi
Die Geschichte steht jenseite der Drare im Dienste der kroati-
schen Aspirationen. Es wird von Personalunion und Parität, von dorti-
gern Mtinzrecht, von der Banal-Gewalt und vom dortigen gestt/gtlMra-
den Körper gesprochen. Starö sieht darin das Souveränitfttsrecht Kroa-
tiens, dass dieses angeblich eigenes Geld prUgen liess. Anf Joseph
Wesserle*s nnmismatischen Tafeln (Orappe £. Talel L) liegen nns ftbsr
dreissig MtnsabbUdmigen vor, darunter nnr drei (Nr. 83 — S5) saf
SlsTonien besflgliche. Um Anfechrift hmtet : Monela Dvcis pro Slafo-
nia oder : Moneta Regis pro SlaTonia. Soviel ist fketom. Aber Ifisst sidi
daraus die Souveränität Slavoniens oder, wenn es ]>eliel<t. KroatieM
folgern ? In diesem Falle würde auch Steiermark, während es unter un-
garischer Oberhoheit stand, seine Sonveräniti&t bewahrt haben, weil
B^la rv. und Stephan V. als Hersoge oder Kapitäne von Steiermark
Milnsen mit dem Geprige „Moneta Stiriae*^ in Unüanf setsten. (fij m.
mnzenm 1858. IL p. 208. t) Ja, da auch Ofen ond Kronstadt Geld
prigten und das Recht datn bedingterwdse aach Kaschan erlhtüt
wurde — da femer 1480 IVessbnrg von KGnig Siegmnnd das Beeht
Gold- und Silbermüuzen /u prägen erhielt, Nagy-Bänya aWr 1468 (fie*
ses Ue( ht erwarb, müsste gesagt werden, dass die:* souveräne StäJte
gewesen seien. Matthäus Csäk liess (ield prägen, nun ja, das war jedocJi
DIB ROATHl. 605
ein Rebell. Oiskra that das Gleiche, weshalb Ladislaus V. an den Ka-
tjchauer Rath den Erlass richtete, diuss Giskra ohne des Königs CJeneh-
mignng kein Geld prfigen dürfe. Dies hat aber den Sinn, dass er mit
kOmiglicher Einwilligaog allerdings würde Geld prttgen haben dürfen,
obie da88 Ar ihn hierauB ein lügeetttftsreoht «rwabbsen wtoe. Kaiser
Friecbieh gab 1459, als er snm nngarisehen König gehrönt worde, den
Grafen Johann nnd Siegmnnd von Böhmen nnd St Georgen, Ladwig IL
1524 dem Bischof von Bosnien, Michael Keserü, nnd dem kön. Küm-
merer Johann Szcrecsen das; Münzprilgerccht. Ich weiss, dass diesfalls
«las in Rede stehende Recht tiir ein oder mehrere Jahre in Patht gege-
ben wurde, so wie bei xukB, in Frankreich und anderwilrts zu gewissen
Zeiten die Steuereinnahmen in Paeht g^hen worden ; deshalb haben
jedoch unsere Kömgs ihre Miyestttsrechie nicht YerpfuMiL Die Kroa-
ten mögen uns slayonieches Geld ans der Zeit nach der Sehaffnng des
7. Artikels der ersten Verordnung Königs ICathias I. vorseigen, und
wir werden geneigt sein mit ihnen bezüglich der Sonyerttnitftt Slavo-
mens zu unterbandeln.
Das Irrlicht der Selbstständigkeit Kroatiens foppt Stare unauf-
hörlich und führt ihn in bodenlose Brüche, aus denen kein Entrinnen.
Wer wftre am Stande die kroatischen Autoren aus denselben herauszn*
rtiuen? Oder wer wttrde daxu I«ist yersplbren, da wir wissen, dass sie
gtf nich willens sind, sich aus den PALisen bemustiehen in lassen? Bei
8tar6 spukt such die Frage der Königswabl, welche er ganz und gar
mcht versteht. Er sagt nämlich (Seite 16), dass die Kroaten nach der
unglücklichen Mohäcser Schlacht, kraft ihres staatsrechtlichen Verhillt-
nisses zu Ungarn das Recht gehabt hätten, unabhängig von diesem
einen neuen König zu wählen. Aber wo steht dies geschrieben, dass die
Kroaten je berechtigt gewesen wttren, von Ungarn unabhän^^ sieb
«iaen König su wlUen? Nach dem Aussterben des Arpidenhauses ftbte
die Kation mebreremale ihr 'Königswahlrecht aus. Auf Grund solcher
Wahl nalini, von Wenzel und Otto abgesehen, Karl Robert den Königs-
thron ein, auf solche Weise erhielten Siegnmnd. Albert, Uladislaus I.,
Mathias Uunyadi und Uladislaus II. die Krone. Wo ist in allen diesen
FiUen eine Spur davon, dass Kroatien apart um seine Meinung gefragt
worden sei? Und was beweisen die Wahlen nach der Mohäcser Schlacht ?
Wir sehen, dass, wie in Ungarn, so auch in den kroatischen Landes-
fluikn, die mne Ftotei ni Zäpolyai, die andsre su Ferdinand I bidi
•or
DU aoATiir«
Die Dombröer Versammhing erkannt« am 18. Dezember 1526
Zäpolyai, die Cettiner am 1. Jänner 1527 Ferdinan«! als König an. Je-
der der beiden Thronprfttendenten wird im <lemjenigen Theile des Lan-
des gewählt, in welchem seine Partei die stärkere war. Aber die Mü>
glieder der Cettiner Congregation itihlten es selbst, dass ihr legitimer
König nur der nngarisehe Kdnig sein kOnne, nnd forderten deshalb
Ferdinand sor Abhalttuig eines nngarischen Wahlreiohstags an^ nf
welehem de räch erscheinen und nach dessen Schlnss sie sich andi
selbst erklären werden. Dieser Beichstag wurde 1526 am 16. Desember
zu Pressbiirg gehalten und die Cettiner Versammlung vom 1. Jioner
folgenden Jahres beruft sich in der That auf diese Wahl in folgender
Weise : „Nachdem wir mit Fleiss jene Rechte erwogen haben, mit \vp1( hon
nnser genannter erhabener König sammt seiner Gemahlin, unserer ei-wähn-
ten erhabenen Königin, behufs erbrechtmässiger Erlangung des ungah*
sehen heiligen Reiches vollstftndig und hinreichend bekleidet und ans-
f^estafet^ ist» indem wir sie grOnelich betrachteten, lasen und wieder-
Issen : haben wir endlich, dm un^JätiäticheH Verotdnmigm und
Btmklümm gemäss^ in der Generahrersammlnng der Stande diesss
Beiehes, am 16. Tage des letstverfloasenen Monats Desember in der
Stadt Pressbnrg mittelst ordnungs- und gesetzmfissig geschehener, ans-
gesehriebenor WaJü^ aber ebenmässig ins Auge fassend jene vielen
Gnaden u. s. w. . . . ihn zum Könige dieses ganzen edlen Kroatenlamle^
erwählt.'^ Sie haben ihn aber, wie die Urkunde der Stftnde besagt
^Vormittag gewählt, als sie noch nüchtern waren.^
Die Cettiner Versammlung beruft sich hier auf kein kroatisches
Staatsrecht, sondern auf ungarisdie Verordnungen und Bestimmungen;
und weder die DombrÖer, noch die Cettiner Versammlung wtiüt eben
besonderen König, sondern denselben, der in Ungarn bereits gewifalt
worden ist. Weder ZÄpoIyai, noch Ferdinand fällt es im Traume ein.
sich in Kroatien krönen zu Ifissen, und selbst Ferdinand betrieb seine
Anerkennung in Kroatien nur auf Grund des ihm in Ungarn zustehen-
den Rechtes.
Übrigras war eine separate und von der ungarischen abweichen*
dra Wahl gar nicht gestattet, da unsere Gesetae den Bestand Ungams
und seiner Appertinrazen schon damals als untrennbares Ganses he*
trachteten.
. Bs ftUt üicht an Analogien äu^ n^nnrar Z^t,
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Dn. noATBir.
607
Wir wissen aas der Oesdiichte der anf deterreichisofaer Seite so-
geDsmiteii pragmatischen Sanction, dass die Annahme derselben ein
Jahrzehnt früher vorbereitet wurde. Die Kroaten ci kliirfcen durch eine
nach Wien entsandte Deputation ihre Bereitwilligkeit zur Anerkennung
des Erbrechts der weiblichen Linie (1712), ebenso aeceptirte Sieben-
bürgen (1722) dieses Prinzip, die Erbländer aber hatten bereits früher
ihre EiawiUigniig rar neuen Erbfolgeordniing gegeben. Dies war die
politiaehe Taktik des Wiener Hofes. AUes dies machte es jedoch nicht
fiberflüBsig, daas, als Ungarn anf dem 1728-er Beichstage die.Thron-
ftMgkeit der weiblichen Linie des Hanses Habsburg aussprach, das
hierüber geschattene Gesetz, welches keine pragmatische Sanktion ist,
gleichzeitig auch für die annexen Theile Unganis geschaffen wurde. Es
geschieht auf die zu anderer Zeit erfolgte Einwilligung Kroatiens keine
Bemliuig; eine solche war nnnttthig, da der ungarische Reichstag auch
die aoiMsen Theile obligirto ; nnd daraus, dass die Kroaten im Jahre-
1712 in Wien beiilglich der Erbreehtaaerkeminng der wdblichen Lte-,
■ie eine mfiusungswidrige ZuTorkommenheit bethfttigten, folgt eben-
sowenig, dass Kroatien nnabhiingig von XThgarn ttber die Erbfolge ver-
tügen konnte, als die Souverftnetät Böhmens, Österreichs, Steiennarks,
Tirols u. s. w. daraus folgt, dass die Dynastie es in den Jahren 1720
nnd 1721 Dir gut befiind, die Anerkennung. der pragmatischen Sanl(iion
auch bei ihnen eiBselweise zu betreiben.
Die obenerwähnte Einwilligung der Kroaten übte so sehr keinen
Einfluss auf die ungarischen Stande aus, dass dieselben gerade auf dem
1712-er Reichstag zu Pressburg ein Gesetz schufen, welches die weib-
liehe Erbfolge in Ungarn ansschliesst, und dieses Gesetz war natürlich
auch für Kroatien bindend. Die Kroaten wagten es gar nicht dessen
Erwihnung ra thun, dass sie die Angelegenheit in Wien ra der ihrigen'
gemacht hfltten, der KOnig aber sanktionirte das die weibliche Linie
ausschliessende Gesetz, und erkannte damit an, dass die Kroaten als
Ki oaten über den ungarischen Thron nicht verfügen, ja ohne den un-
garischen Keichstag auch nicht einmal über sich selbst
Ans den Gesetzartikeln von 1687 nnd 1723 (A. 2. §. 11.) f(dgt
zwar, dass. wenn sämmtliche Nachkommen Leopold I. ausstürben, in den
Österreichischen Erblanden auch die übrigen Nachkommen weiblicher
I^liie des l$ai|ses Habsbi^rg regieren wi&rden, während Uapari} seii^ Kd«
. j — i. y Google
nigswahlredit wieder erhiettoi dae aber Itest sich ans keiBerlei Oeeeti
heraosdeuteln, daes Kroatien andere Wege wandebi dttrfle als üngara.
Wir würden in<leH8en den K^^hlnen einer Kritik weit übersthrci-
t-en, wenn wir auf Alles antworten wollten, wozu dienes Buch auffor-
dert. Wir übergehen also was 8tare über den gesetzgebenden Körper
Kroatiens, über die Macht des Bans, und über ähnliche Auxesen sagt,
xm aek selbsi und die Welt (wofern diese nSmlich sein Buch liesi)
an die nahasii taiuea^j'^hiifi^ Belbsettndigkeit EroaldmiB glanben sa
machen.
Wir wollen nnr noeb ZQ jenen Ansspmcbe Star^^s eine Bener*
knng machen, nach welchem die Kroaten ihre Provin/jal-Autonomie
dadurch wiedererwor))en hiitfon, da.ss sie im Jahre 1818 zu Österreit h
hielten. Eine sonderbaie Behauptung, da Ötare weiter unten auch selbst
angiebt, daaa nach dieser Epoche in Kroatien die Zeitungen aufhörten,
die litemtnr verfiel, daaa die mit so ^elen Verheissiingen angetretene
„Matiea'' völlig bodontmigaloa war, die jeden Donnerstag gogebeaen
Theatervontdlongen sieht im entferntesten fttiig waren Interesse tfkt die
nationale Ennst sn erwecken. Er sagt, dass anstatt des DlTrisnras, die
Idee des Südslaventhums auftaucht sei, aber keine grosse Begeiste-
rung erregt habe; er klagt schliesslich, dass Jelasics dem Volke
manigtalüge Versprechungen gemacht habe und dass keine derselben in
]i<ri1Ulung gegangen seL
Dies Alles wissen wir in Ungarn sehr gut» — aber man hört von
kroatischer Seite selten ein Einsicht ▼errathendes Wort und dämm ha-
ben wir diese Änssemng der Erwinnng werth gehalten.
Dessenungeachtet ist die ganze Tendenz des Buches die Negaüun
des ungarischen Staatsrechts. Croatia farii da se. Dies ist das geheime
und meist unbewusste Streben. Aber die Geschichte der Neuzeit be-
weist, dass die Kroaten ans eigener Kraft es zn nichts bringen konnten,
nnd Miskatorics hat am 4. Mai d. J. in der Agramer Generalvetsamm-
long richtig gesagt : dass Kroatien einiig nnd allein in Folge des Sie-
ges des nngarischen historischen Bedites über den Absolntismns ans
dem Nichts entstanden sei ; dass es erst seit dieser Zeit bei ihnen einen
„Aufschwung" gebe.
Auch dies hat die Geschichte iiir die Nachwelt au^ezeichnek
Fribducb Pesct.
KUBZE dlTZUNQSbEKIoHIE.. 609
KÜRZE SITZUNGSBERICHTE.
Ungaritohe Akademie der WiMemohaflen. 1. Sitzung der voHa-
wirtlischat'tlichen rnid statistit^c-hen Commission vom 23. Miirz 1882. Ge-
genstand «ler SiUun^' war : I}ic umjarisvhc Monlan-lndnstric imd die
Bedithgungen ihres Gedeihetis, vorgetragen von Ai>kxandeu Konkk.
Nach einer kurzen Einleiinng, in welcher der Vortragende danrnf
hinweist» dase in Staaten» die mit grossen finanziellen Schwierigsten
zn kimpfen haben, die Reform des Staatshanshaltee nnr dnreh paraDel
gehende Beformen anf dem Gebiete der Volkswirthschait erreicht wer-
den kann — wie dies in neuerer Zeit das Beispiel Italiens zeigt — ,
geht VI aiil' die Schilderung der Entwicklung unseres üergbauwesens
vom Jahre 1867 bis zum Jahre 1880 über.
In den mebten Zweigen des Montanwesens zeigt sich in den
lotsten Jahren Verfall, namentlich was Menge nnd Produktion betrifft.
Aber auch in der Zahl der BergwerkbesitBer nnd Arbeiter zeigt sich
eine Abnahme. Es waren
Bergwerksbedtier Arbeiter
1867-1876 . . . 1245 , . . 44,609
1879 . . . 1224 . . . 41,803
1880 . . . 1222 . . . 41,799
Die Zahl der P'reischürfe war :
1867—1876 14,856
1877 21,881
1880 12,289
Der Werth der gcsammlen Montanproduktion war :
1871 12*6 Millionen
1875 19*7 „
1880 18'6 n
Es mnss Alles dann gesetzt werden, hier eine günstige Ansbente
das NaHonalTermOgens zn sichern.
Zn den einzelnen Zweigen der Montan-Indostrie übergehend,
ist zuerst der Erzmetall -Produktion zu gedenken. Silber zeigt entschie-
den Abnahme, was mit der Depreziation dieses Edelmetalles zusammen-
hängt Die Hebung dieser Zweige hangt namentlich vom Staate ab, weil
ein ansehnlicher Theil unserer Edelmetall-Bergwerke sich in den Hftn-
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0
610 KOISB sniDirGSBEUOHTI.
den des ^5taateä beiindet. Nun ^eigi sieb gerade hier eine bedeutende
Abnahme.
Die.ProdakiioB an Edelmetallen betrag :
(told Sin>er
1867—1876 . 1534-5 Küogr. 21786-5 Kilogr.
1880 . . 1604*0 « 17443*8 „
In der EigenprodnkÜon zeigt sieb gleichfiüls
welche aber gleicbermaseeii in allen enropoiecben Lindem in den
letsien Jahren eich geltend machte. Es ist also hier den Bergwerlibe-
idtzem kein Vorwurf zu machen« da »ich bei denselben geringeres Be-
streben zeigt.
Die Produktion von Roheiten betrag :
1867—1876 l*2MilLMatr.
1879 / 10 , ,
1880 1*8 , ,
Die Ph>dQktion der Steinkohlen smgt namentlidi in den ehMr>
eeits der Oeetorreiehischen Staatsbahn, andererseits der Donan-1)ami«r*
schifffahrt-Gesellschaft gehörigen Kohlen-Revieren Fortschritt«. Au< h
in der Produktion der Hraunkohlo zeigt sich konstante Zunahme. Hier
ist übrigens der Absatz nicht in genügender Weise getüchert.
Die Kohlenprodoktion betrag :
1867—1876 12*9 MUl. Mitr.
1879 16*0 , ,
1880 16*2 . ,
Znr Hebung der Kohlenprodoktion wir« namenttioh anch die
Regelung des Eigentbnmsrechtes an Kohlenlagern nothwendig.
Zum Schlosse wirft der Vortragende noch einen Blick auf <lie
übrigen Zweige des Montanwesens und macht eine Reihe von bö( hst
beachtenswerthen Vorschlägen zur Hebung dieses wichtigen Zweigen
unserer Nationalwarthschat't und wünscht namentUcb Einschrinkong dw
. Staatsbetriebes.
An diesen Vortrag knftpfte sich folgende interessante Debatte:
Ministerialrnth Kwpblt : Die Daten der Bergwerkidirektioma
werden bei den betreffenden ünteimehmungen eiogoholt. Anch die
dnreh den »Pester Lloyd* TeriMfentliditen Daten sind nidit sehr Ter-
lässlich. Bei uns ist die Privatindustrie nicht fortschrittlich genug ; die
Beäsemerätabl-Er^eugung wuid^ — mit AusnabmQ der Oesterreich)*
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KOBKB dlTZUtrOSBEBICHTB.
611
sehen StoatsbAha — Ton keiB«m Gnternehmer eingefiUirt. Es wilrenieht
wflnselMBswertli, wenn der Steat diese Iiidiisirie gaiuB enfgebea wttrde.
Kahib : Bezflglieh der Staatsbergwerke ist er der Meinmig, dtes
wir noch nicht auf dem Punkte stehen, dem Staatsbetrieb Alles ent-
ziehen m kffnnen. Wo der Staat Miisterwirthschaften aufstellen kann,
dort ist es wünsclionswerth, den Staatsbetrieb zu erhalten.
FOldes wünscht namentlich flie Erriclitung von Bergwerksachu-
Isn nie<leren Ranges mr AusbiKlung von Bergwerks- Arbeitern nn<l
«ine Schule für Eisenindustrie in einem der grösseren Eisenbesirke. Er
macht darauf anfmerksam, dass Ungarn f8r einen so nnbedentenden
AHikelt wie EisennSgel, monätlich drca 150,000 fl. an Oesterreich m "
zahlen hat Diese Industrie, wie auch die Erzengnng von Werkzeugen.
raü>.'ite befördert nnd von der Regierung unterdtötzt werden, wie ja
aueh in früheren Perioden der stärkste Impuls zur Hebung diej^er In*
dnsfoie von der Regierung ausging.
(iraf M. LöNTAY vermisst Eines in dem Vortrage, nHmlich den
NachweiB dessen, was wir imfXNrtiren aa EisenwaMrea. Wir müssen
trachten, Eisenwaareii selbst sn prodnsiren. Nach den llteren Answei-
sstt haben wir Ahr diese Waaren dnrchtehnittlioh 20^—25 Ifillionen
Gulden ansgegeben» Ancfa er ist der Ansieht, dass der Verkauf der
Staats Bergwerke nicht als Prinzip aufzustellen sei. Der Staat hat indi-
rekt viele Interessen dnn.h seine Bergwerke zu fördern. Der 8Uat könnte
dann an dem Werthe seiner Wälder, und an den indirekten Steuern
Verluste erleiden. Die grössten Schwierigkeiten bei Hebung der Berg-
werke bilden die hohen Eisenbahn-Tarife und Steuerbefrmnngen. Er
C^ubt, das ICnisteriam habe sehr gut gehaadelt, indem es eine neue
Orginisation ins Leben gerufen hat Auch das Vofgehen hllt er für gut,
dssfl der Staat die schlechten Betriebe aufgibt und anf die guten alle
Kraft vereinigt. Er erörti rt eingehend die günstigen Bedingungen der
Kiäen lndu:;)trie und eventuell deren Hebung mit allen uns zu Gebote
ziehenden Mitteln.
2. Sitzung derselben Commission vom 27. April 1882. — Gegen-
stand : Der WaarmKoerkehr Uiigam^s mit Österreiek mid d»m Aim*
Mfe, vorgetragen von Kabl KUiRI.
Nach einer langen historischen Skizze über die EntwickdttBg
uiffcr Verkehrsstatistik weist Vortragender die Resultate der mit G. A •
619
KDUB 8IISUII#«^BIllCBTBi
Xnr : 1881. ang»^or'lneten Waarenst«ti.stik nach. r>ie Daten l>e/ieh^n
si( h auf da» II. IlalVyabr (Juli — Dc/.cmber) 1881. Für (lio>e Zeit ^^ur•
•len in .1er Einfuhr 540,000, in der Ausfuhr 369,000 Wjuirenerklä-
r.ungen aufgearbeitet. Hetrachtet man die Eisenbahn und Dampfschifi»-
linien, welche uoseni Hauptverkehr mit Österreich und dem AuslaDde
vermiitelii, so erecheiiit die Südbahn in der Einfiihr mit 21*97, in dar
Aiufiibr mit 24'29*/o, die nng. Staatsbahn mit 22'49 und 18'88, die
Osterr. Staatsbahn mit 27*11 nnd 85*44, die Donau-DampfachiffiMirt«-
gesellsehaft mit 12*71 und 9*28 betheiltgt. Es sind daher ron den g»>
>amnilen 17 Linien diese vier diejenigen, welche mehr als vier Fünftel,
das heis.-t SS'TS" n des ganzen Waarenzuges bewältigen, währen«! auf
die anderen 13 Tiinien blos 16'22'Vo entfallen. Bezügli(;li dei Zeit er-
gibt sich, dass sowohl Import als Export im Monate September knlmi-
niren, von Oktober an aber gegen das Ende des Jahres wieder abneli-
men. Nachdem bereits das Material für 1882 Jänner — März yorU^
kann konstatirt werden, dass der gesammte Verkehr in diesen Menaisn
wieder raninunt^ um in der iweiten Hälfte des Jahres warsebeialicli
die fkrflhere Höhe zu erreichen oder noch zu übersteigen. Trotzdem anf
den Waaren-Deklarationen die Auf und Abgangsstationen verzeichnet
sind, lässt sieh hieraus die Provenienz der Waareij nur annähernd er-
n)itteln. Unser ganzer Aussenhandel hat sich nämlieb so sehr an (►ster-
reich anzulehnen gewöhnt, dass auf Österreich allein 6 7*20"/ » dessel-
ben entfallen. In das restlrende Drittel theilen sich die ühfigen Staaten
in der Weise, dass in die westeuropäischen Länder unser Eiport Aber-
wiegt, und zwar nach Deutschland mit 13*28V«, Bebweiz 2*28*/*, Iis-
Uen 8*26Vo, Frankreich 6*03*/«, Grossbrittanien 1*78%» während der
Import aus denselben (nach obiger Beihe) blos 9*01, 0*04, 1*85, 0*02,
0 96" « beträgt. Umgekehrt ist das Verhältniss bei Rumänien und Ser-
bien, von wo die Einfuhr 14*79 und 2'06"/n erreiclit, während die Aas-
fuhr dahin blos 2'57 und r24'Vo ist. Diese Perzente beziehen siih ant
die Gewicht "^mcfuje der Waaren, welche im be-jprochenen Halbjahr für
den Import 5.977,000 Metei-zentner, für den Export 13.729,000 Me-
terzentner erreiehte, im Ganzen daher einem WaarenTerfcehr tob
19.706»000 Meterzentnern entspraoh. Nack dem Gewichte der Wasren
Überwiegt demnach unser Export um 7.752,000 Meterzentner. Weai-
ger TerlässHeh sind die Ziffem bezOglieh des TFertfte» der mn- und
ausgeführten Waaren. Nimmt manu den athgemeideten Werth an, so
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EURZB »rrZUIIOSBSIUCBIT.
613
betrug die Kinfabr im II. Semester 150.586,99 t fl., die Ausfuhr fl.
197.494,024, aomit der Expori-UeberscbiigB fl. 46.907,088. Nun dürfen
aber diese SSifliom nicht ohne Kritik angenommen worden. Nach den
eingehenden ünterdnehnngen des Yortra^renden stellt es sich nämlich
berau«. dass, ganz im Gegentheil zu den in anderen Staaten gemachten
Erfahmngen, die Exportdaten bedeutend besser und veitraueuswürdi-
ger sind als jene deü Imports. Die Waare und deren Wertb, welche im
Lande aufgegeben werden, sind genau gekannt, der Wertb und auch
die Qattimg jener Gftter, welche nns im Import zugehen, weniger« In
diesw Richtung ist man ganz an die oftmals evident nnannehmbare
Werthaagahe der Deklaration gehnnden. Nor auf diese Weise war es
möglich, dass Ungarns Export Monat fftr Monat um einige Millionen
den Werth der Waareneinfubr übersteigen konnte, aus welcbem Um-
stände theil weise schon ganz falsche Folgerungen (gezogen wurden. Um
der Wahrheit näher zu kommen, versuchte der Vortragende für die
oiiselnen Waarengattungen den Ilundehwerth nacli den Aufzeichuun-
gen der Osterreichischen statistischen Zentral>GomisBion zu substitniren. *
Hiehn rousa jedoch hervorgehoben werden, daes dies nur ein Versüß
war und wurden die Schwierigkeiten betont» welche sich hei der Fest-
slalhing des IhirohsohnitlBwertheB namentlich solcher Waarengattun-
gen ergeben, welche, wie Scliaf- und Baumwollezeuge, Seidenwaaren
u. s. w., einen Werth zwischen 20 fl. und mehreren hundert, ja selbst
tauöcnU Gulden per Meterzentner reprUsentiren, Das derart erhaltene
Resultat führte natürlich zum entgegengesetzten Extreme und würden
sich hiedurch die Wertbe der Ausfuhr von 197 Millionen auf 229 Mil-
lionen, d. L um ISVt, jene der Waaren-Einfuhr aber von 150 Millio-
nen auf 886 Millionen, oder nahesu 55% heben. Dass auch diese Be-
leebnnng gerechte Zweifel wachruft, ist ersichtlieh und folgt daraus,
dass, um zu einem in jeder Richtung befriedigenden Resultate zu ge-
langen, die Mitwirkung von Sachver.>tändigen zur Feststellung des
Hamlelsicerthes der einseinen Waarengattungen unvermeidlich .^ein
wird, wie dies auch von Seite der Regierung in Auas'icht genommen
wurde. Durch die vom Vortragenden weiter Torgeführten verschiede*
Ben Daten wurde, unter Hinweisung darauf, dass sich aus den Resul-
iiten eines so kursen Zeitraumes durchaus keine Schlflase auf unsere
HsndelsbeweguDg ziehen lassen, das Eine klargelegt, dass die Mmgenr
no^weigmg unseres Aussenverkehrä zwar ziemlich richtig und an«
nehmbar sei, jene der Werthnachweisung aber noch vieler gründlicher
Studien und Arbeit bedürfe, um ebenso glaubwürdig zu werden. Nichts-
destoweniger erwies der wissenschaftlich-gründliche Voiirag und die
dai*aii geknüpfte DUkussion, dass die mit U.-A. XIII : 1881 gescbaffeiM
Basis zar Enurnng unserer Waarenverkehrs- Verhältnisse eine gesunde
Bei and die pflnkÜiobe Fortfübrnng der Arbeiten binnen weniger Jahn
ein wertbvoUee HU&mittel unserer volkswirtschaftlieben und Handels-
pc4itik bilden wird,
IM BALLSAAL.
Vov PAUL OTÜLAT, IfinmsmT toh LADISLAUS NEUQEBAUER.
Ich lehn* im Baal, in mich Tersnnken,
IMe schonen Paare» jngendtrunken,
Umkreisen mich, nnd keines ebnet
Des Lebens Sorg*, die sie nicht mahnet.
Der Klange Schwall, des FVohsinns Finthen,
Die ihre Her/.cu so durt liglutlien, •
Ergreifen mich mächtig . . . it Ii denke an'» Oiluck
Verlorener Jugend und Liebe zurilck I
Ancb mich erfreuten nächtige Feste,
Mu^ik und Tanz, der Strom der Gttste ;
Der Lichter gold'ne Strahlengarbe,
Der Blumensträusse Duft und Parlie,
Der Frauen Liebreiz, Lächeln, Scherzen,
Der stumme Kampf in mmnem Herzen . . .
Vorbei ist das Alles — ich denke an's Glück
Verlorener Jagend nnd Liebe snrfick f
Wie oft sah ich in diesen Räumen
Sief der mein Sinnen galt und Träumen,
Sie schwebte hin voll Anmatbschtmmer,
Doch liess fttr mich sie Tand nnd Flimmer.
Ihr Seelenschmnck, ihr himmlisch Lieben,
Sind tief im Herzen mir geblieben.
O selige Tage ! . . . Ich denk* an*s Qll&ck
Verlorener Jugend und Liebe zurück 1
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TBRinSCHTtä.
615
So freat sich manches Mädchen heute
Im Kreise hier, wie sie sich freute,
£• kennt noch nicht dee Daseins Sorgen, —
Heut ist es Bnuit nnd Gattin morgen
Und sohwelgt im Glflokl — Nach wen*gen Jahren
Wird wohl aneh sie xn Grabe fiihren . . .
Umdfifterten Sinnes, ach, denk* ich an*s Glflck
Verlorener Jugend und Liebe zurück !
Manch* JBngling unter diesen Paaren
Ist glücklich, wie ich's war vor Jahren.
Und wird nach flüchtiger Tage Schwinden,
Gleich mir, verstört sieh wiederfinden,
Wird in dem Glanz *nur Weh erblicken,
Am Heute nimmer sich entzücken,
Wird lelien im Gestm und denken an*s GIfick
Verbrener Jagend nnd Liebe xarfick I
Verloren geht» trotz nnserer ThrSnen,
Gar bald, was wir nns eigMi wfthnen ;
Ach, nns*re Blfith* ist rasch geknicket»
Ein Ranch nnr ist*8, was nns beglficket!
Doch lafSt den Kelvb, ihr Paare, schBumen,
h'h stör' Euch nicht mit meinem Träumen,
Und mir bringt es Linderung . . . ich denke an's Glück
Verlorener Jugend und Liehe zurück !
VERMISCHTES.
— Statistik der inlMisohon ZeitsohHften im Jahre »881. Im Korn-
mnnikationa-Ministeriam wurde eine Statistik der auf dem Gebiete der
Lflnder der nngarischen Krone im Jahre 1881 ersohieneiien Zeitachrif-
ten snsammengesteUt Das Resultat ist das folgende : 1. Im Garnen
erschienen 531 Zeitschrillen gegen 508 des Jahres 1880. Darunter
waren : a) polUisrhen Inhalts (die eingeklammerten Ziffern bedeuten die
eutsprerhenden Daten des .Iah res 1880) : in ungarischer Sprache 46 (43),
in deutscher 25 (25), in kroatischer 3 (4), in slovakischer 2 (2), in ser-
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626
I
bischer 4 (3), in itBlienischer l (1), in französischer 2 (2). zusammen
87 (84); b) von Jolalem Interesse : in imgarischer Sprache 91 (83). in
ungarisch-deutscher 1 (1), in deutscher 48 (43), in kroatischer 2 (1). in
slovakischer 1 (1), ia hebräischer 1 (0), zusammen 144 (129), c) ^eM^
tridiiCkm InluatB : ungarisch 53 (51), deutsoh 4 (4), kroatiseh 4 (4),
BlovakiBch 2 (1), aerbiflch 6 (8), bnjlgariacli 1 (0), rumlniBch 2 (3), n-
SMiiiiieB 72 (66) ; d) FodbMStter : nngarifleli 185 (184), nngiriadi*
deutedi 5 (7), deutsch 83 (38), kroatiseh 14 (14), sUmddsoh 6 (7).
rassisch 1 (I), serbisch 3 (5), rumänisch 7 (6), italienisch 1 (l)t ita*
lienir^eh-ungariseh 2 (0), hebräisch 1 (I), in ver?jchiedenen Spr.ulieo
1 (l), zusammen 209 (215); e) Witzhlättei' : ungarisch 9 (7). tleut>rb
5 (3), kroatisch 1 (0), slovakisch 1(1). serbisch 1 (1), rumfinisch 2 (2).
zusammen 19 (14). — Von diesen Zeitschriften wurden durch die To^A
veraendet: a) F<msche BUtter: nngariach 11.174,431 (9.741,907).
deutsch 8.187,646 (8.89 7,260^ kroatisch 146.000 (726,000), slovakiscli
188,890 (186,512), serbisch 289,160 (281,620), mmttiuach 286,948
(247,822), itaUeniflch 78,490 (25,628), franzOeisdi 11,400 (21,786X
zusammen 20.857,965 (20.077,985); b) LohalUäUer : nngariBch
1.372,047 (1.176,440), ungarisch-deut:jch 7000 (7000), deutsch 775.632
(661,899), kroatisch 60,700 (26.000), slovakisch 20.412 (18.997). he-
bräisch 2G17 (0), zusammen 2.2SS AOS {LS90, SSij) ; Iteüettistisck
Blätter : ungarisch 2.441,647 (2.313,796), deutsch 6640 (9556), kroa-
tisch 78,656 (86,794), slovakisch 3473 (3682), serbisch 71,500
(56,200), bulgarisch 2858 (0), rumänisch 54,868 (70,414), znssiiiinsn
2.659,687 (2.540,442) ; d) FaeMaUer : ungarisch 2.435,928
(2.115,768), ungarisch-deutsch 156,072 (258,894), deutsch 248,464
(377,480), kroatisch 185,881 (103,210), slovaldsoh 58,498 (46,708X
russisch 9600 (15,000), serbisch 11,224 (9980), rumänisch 40,718
(45,033), italienisch 41.600 (572), italienisch-ungarisch 17,040 (0),
hebräisch 568 (13,150), in verschiedenen Sprachen 4344 (4344).
zusammen 3.154,831 (1.985,084); c) Witzhh'Uler : ungarisch 159,8S6
(159,514), deutsch 22,250 (12,216), kroatisch 49,000 (0), slovakUeh
6121 (4794), serbisch 21,600 (36,000), rumänisch 10,952 (16,162),
zusammen 269,809 (228,789).
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N
DENKREDE AUF ANTON CSENGERY.
Vow PAUL GYÜLM.*
fo OFT icli diese Ilednpil>iiline betrete, muss icli der Dollinetscli
eiii6>4 neueu grossen Verlustes der Akademie, eines neuoii
grossen Sciinierzes meines Herzens sein. Die Akademie yerliert
naeheinander ihre hervorragendsten Mitglieder, welche Jahrzehnte
hindareh ihre Zierden und Stützen gewesen, nnd ich verliere in
ihnen nacheinander meine besten Freunde, an die mich die starken
Bande der Liehe und Anhänglichkeit gekettet haben, ünd doch
welch ein Uiitersolueil ! l)ie Akademie ist eine Körperscdiaft, deren
Lehen sich ül)er JahrhiimhM't e erstreckt, (h'ren Vf rluste (hircli neue
("apazitäten »TSet'/t werden, die ihr zu noch grösserer Zierde gerei-
cheu, zu noch stärkeren Stützen werden können.
Wo aher findet (hu* Einzehie, der Freund einen Ersatz des
Verlustes, insbesondere in einem Alfcer, in welchem das Herz für
nene Eindrttcke nicht mehr sehr empfänglich ist, neue Verhalt-
nisse nicht anknfipfen mag nnd ' sich mehr und mehr vereinsamji
ftihlt ? Nicht das ist das Behmerzlichste, dass wir das Leben, dass
wir unsere Lieben verUissen müssen, son<h.»rn das, dass unsere
LielKMi uns verhissen, dass das Lehen «gleichsam von uns zu si hei-
den scheint, indem es seinen Wertli zu verlieren beginnt. Aber das
menschliche Herz vermag nicht ohne Trost zu bleiben. Wenn uns
die Gegenwart wenig Freude gewährt, wenn nns in der Zukuntt
keine Ho&ung schimmert, fluchten wir in die Vergangenheit, um
unsere besseren Tage in der Erinnerung wiederzuleben. 0 wie oft
gedenke auch ich meiner dahingeschiedenen Freunde, wie oft lich-
tet .sich in meiner Seele das Dunkel der Vergangenheit, dämmert
* Gelesen in der 41-ten feierlichen GeneralverBainmlunff der Unga-
rischen Akademie der Wissenschaften am 22. Mai 1881.
üogMlMlie Bevw», 18H2. Vm— IX. Bell. 40
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^1** MKNKTtKI'K Wr ANTON OsKN'iKKY.
w i»'<l«M- nn'ii)(' V» rloriMH' Jugendzeit Imiiuf, \v<» ich, von ihrt^ii \or-
l>il«le begeistert, mit ilmon, an ihrer Seite /u kämpfen gelernt
habe! O wie oft erscheiiit mir Csengery r bleiches, ernstes Antlitz,
wie oft taucht seine Iianf balni vor mir anf. die durch die edelsten
Kämpfe des Verstandes und des Hensens bezeichnetet LanfbahiL
deren Richtung nvhr dnrch Pflichtgettlhl und Über/engnng, sl"
durch ElirlM>(ri,»i- nii<l Lei <len sehn t't iM stiinmt \vanl. ant ihr«^ .
Wege der iKM luMiiponagJMuleii Olanznuiiktf. dt-r roTiiantisrli rci/.e! -
doli P.irti«'n eiithohrt, ah»M' als («auzes, gerade in ihrer ernst<'!i
Einfachheit schön nnd dun'h ihre nicht in die Augen fallenden,
aber dest-o mnnigfaltigeren Ergebnisse segensreich ist. Und ick
glaube, indem ich das Andenken dieser Laufliahn auch an dieser
Rtelle Wiederaufleben m lassen beabsichtige auch in Ihren Henen
eine verwandte Saiti» /n heriihn'n. nnd. indem ieh l^indernng mei-
nes noeh l)r«MnH'nd»'n Selinier/.es snrie'. /.ngleieh Ihrer l'ietät Au.«- :
druck zu h'ilien.
Csengery war einer der liei*v(irrag»*nden Typen <1<t verjüng-
ten ungarischen (Tesellschaft', unterschie4l sich aber in Vielem von
den Gefährten seiner Lauflmhn. Kr betrat die |w>litische Arena h
Szalay^s und KStySs*» enossenschaft, war sodsnn Kcnn^ny*« trener
Gefährte und schliesslich der intimste Vertraute DeiCkV Er übte
ant" alh» diese Männer eineji hedentenden lOinthiss. jedmdi nicdit nU
ihr Nchfiiluildcr. Kr war nicht Parteitnluvr, wi»' Dea'k. nirlit H»'<1-
ner, wie p]r)tv(">s. iiiidit Fa« ligelehrter, wie »S/ala^', und Ud)(o nicht
so anss('hliessli(di der liiteratnr, wie Keni^ny. Ks nianL"^ tcn ihm
die Eigenschaften, die den Menschen zum Parteiführer oder Itetlner
befähigen. Er vermochte sich vor einem grösseren Püblikum selten
einer gewissen Steifheit oder Hefangeiiheit sn entschlageu ; nur in
eng«M-em Kreise erschloss sich der ganze R-eichthum seines Ver-
standcä nn«l Her/ens. Kr empfand eine iintinktmässige Sehen vor i
der \fenge. Sfim» Stimme war /n schwach, nm <h^n Lärm und di<' |
Leidenschaften der \ ersamndnngen Ijeln-rrsclieu zu können, nml ,
seine Natnr <ler rednerischen Int und Findigkeit sozusagen freiml
Aber im Frenndaskreise, in der Konferenz oder im Komiie, ver-
mochte sich Keiner seinem Einflnsse zu entziehen. Seine grosse
Bildung, sein Uedankenreichthnm, sein eindringender Geist gaben
der TIerathung, bahl in der Hau|4frage. bald in den Einzelheiten,
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HRNKBEUK AHP ANTON CSRNOKRT.
H19
nicht s^'lten <H*' lu«'litinig. un«l uns» !' <i«'.set/l»iu-li zeijjft häiiHi^ere
Spuren der Kinwirkmi«^ tliet^cs .stmuiucii Volksvertreters, als der-
jenigen vieler wohiredenden. NrhstdtMii la^ in s»'inoni Cliarakter
etwas, was auf seine Freunde höchst wohlthätig einwirkte und ihn
im Foix&glichsten Grade zum Vermittler zwischen Personen und
Parteien eignete. Auf fiötvös nachdenkliche und Eindrücken nach»
geliende Natur wirkte» pr mit seinem eiitsehiedenen und prak-
ti<«i*hen U enen. K'MinMiy's Skepsis urul 1%'ssiiiiisiiiiis mässi^«» er
mit seinem starken (ilaul»eii, die L'liiitit^ki'it «1«'^ zeitweise zaghaf-
ten Szalay belebte er mit den Antrieben der aut'riclitigeii Aiicrkeu-
noBg, den aufgeregten Deak wusste er mit seinem Takte fast
immer an beschwichtigen, und ihn nicht selten in Fragen, in denen
er minder gut bewandert war, zn orientiren. Da er nie den Ehr-
geiz Anderer Terletzte, Niemand an seiner uneigennfitzigen Ehr-
lichkeit zweifelte, Jedermann seiner Fähi<^keit nnd seinem Wohl-
wollen veitraiite. iialunen IN-rsoiien und Parteien seine Vermitt-
lung willig an. Und in der That verstand es Niemand hesser, als
er, die auseinandergehenden Ansichten iu einem Mittelpunkt zu
vereinigen, die fragmentarischen Gedanken zu einem organischen
Entwurf zu verschmelzen und pracis zu formuliren. Darum war er
seit 1865 die Seele der reichstaglichen Commissionen und die
rechte Hand DeiCkV
Als Schrift steller l)efa.sste er si( Ii mit mehr l 'iudiern als seine
Genos>en iinil stre))te (ine hiinnonis(diere Bildung an. Er vertiefte
8ich nicht blos in die momlischen VVisäenschai'teu, er hatte auch
^eignng zu den Natnrwissenschaften, interessirte sieli auch für
die schdneu Künste und hing mit besonderer Vorliebe an der
Poesie. Unter unseren Politikern hatte für die literarisch schdne
Form nnd die Eleganz der Sprache kaum Einer so viel Sinn, wie
er. Gleich wie er in der Politik für die innigere Verschmelzung
von LelxMi nn<l Wisseiiseliatt. Theorie nnd Praxis eiferte : el)enso
torderte er in der Literatur die Vermiiiung von \\ issenscliaft njid
(ieschmack. iSein drangsulreiches Lehen, seine schwach» Gesund-
heit, seine zerstreute Thätigkeit <j^ostatteten ihm nicht, seine Kraft
auf einige grössere Arbeiten iu dengenigen Fache, welches ihn am
meisten anzog, zu konzentriren, nnd er Übte gegen sich selbst,
wie gegen Andere, eine zu strenge Kritik, als dass er sich mit
40»
' DEHiOUäPE AUF ANl'ON LSENUEkV.
einem halben Erfolge liättt^ I.'-lü-ou köniu-n. I>anini l..t in
unserer Litenitnv mehr mir uU Kedaktenr, Knust über.etzur, Juur-
nalist nnd ^EsHayist tiefere Spuren zui-ückgelaasen. Er verga»» aber
auch unter den Unfällen des häuslichen und den Aufregungen de»
r,nVMitliciH'ii L.-Immi- niomuls dir grossen Interessen der Wwflen-
schaft und Lit.iutur. Das uahiv Tal.nt «chätzte Niemand niehr
als er, wahrt'ii.l or sich dem uulx-ivrlui^ncu Kliro^iz, der überscliatx-
ten oder «reradmi usurpirten Aut..rit;ii -eueuührr kalt und ableh-
nend verhielt. Durch seine Kounexioneu, venn.,^.c Mernes lu-rxMi-
lichen EinflusHes Terchaffte er meliiwcu vorzüglu hou <ü4ehrt.-i.
und Sehriftstellem Anstellung oder Arbeit; als Kcdakteur ^^a.* .r
so Manchem Antrieb oder Richtung, und hei der it^ierung Üiat er
l,is /,u soiiKMii h't/teu Lehenshauche alles nur Mögliche fOr die
KördciMiug der interrsseii der Wissenschaft und Literatur. Wa>.
uusete NWssc„8.-lialtH< lu'n und literarischen Institute an beaonde-
ren Begünstigungen -'iteu. d.- Staate. .oM.iesson, haben sie
aentheüs ihm zu venlauken. Er wusste w.dil. das. di. neuere Zeit
die Zeit der Demokratie, nicht mehr gut auf aristokratische Mae. c-
naten warten könne, und dass sich jede Nation, als .Staat und < . -
Seilschaft, in ihren wissenschaftlichen und literarischen Austalt^a
und Vereinen, ihre neuen Maecenaten selbst erschaffe. Die zweck-
mässige Organisatin,, und geordnete Vermögensverwaltang dieser
\nstalteu und N'ercim' Idhlet eine der Hanptbediugungen des Auf-
blühens der nationalen Kultur. Kl.endeshalb widmete er seine Tha-
tigkeit mit vollem Eiter der Saclie der öiVeutliclien Anstalten.
Durch seine vielseitige Bildung, seine juristische nn<l tinanzie k
• Fachkenntniss, seine gewissenhafti> strenge war er lür ibese lu.H •
sozusagen piiidestinirt Seine Ideen, Vorschläge, iMassnahmen iiihr-
ten bei so manchem dieser Institute den Wendepunkt zum Empor
jraivre h( rbei. Die Akademie verdankt ihm in dieser Hinsicht be-
s(mders viel, nnd de-^hall» betrachtete sie ihn nicht blos als eulf
ihrer Zierden, somh-rn au» Ii als einen ihrer Wohlthäter.
Csenger>'s Nameii umstralt weniger jnwr Ifnhm, weldier
den Namen seiner Genossen mit soviel Glan/, umgab. An Deak>
Namen haftet die Erinnerung einer grossen Idee, einer L,aos>. u
That; Eötvös's, Szalay's und Kemeny's Laufbahn ist durch ein.
ganze Koihe politischer, geschichtlicher und dichterischer Werk.
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DBNKhEDK AUF iNJüN CSKNOKitV. 621
Itezeiciuiet. Csongery nahm zwar lebendigen Antheil an deii
lH)liii8chen nnd literarisclien Kämpfen seiner Genossen, ja er
fibte selbst anf ihre Werke Einfluss, dennoch waren die höch-
sten Glorien -seines Ruhmes nicht diejenigen des Staatsmannes und
Schriftstellers, wiewolil w aiu-li in tlie.scn Kigr^iisclialtrn ^län/tt-.
S» in liiibni, wi'k-lifii seiiif (iciio^srii mit ihm in i5erin«»"er«'ni Mas.se
zu theileii vermögen, ist der Kuimi <h's einhiclieu Bürgers, der si( ii
tVir jedes Moment des nngarisehen Staatsichens interessirfc und bei
gegebener Gelegenheit zu jeder Zeit, auf jedem Gebiete mit gros-
sem Erfolge seine Pflicht erfallt. Seinen Genossen eröffnet ihre
(leburt, ihr Vermögen, ja die Eigenart ihres Talents sofort einen
weiten Wirkungskreis. Csengery dringt allraählig und unter minder
'iilnstii^fn l niständ'Mi cnipor. Heine (»enossrii dürien ihre ganze
Kraft anf ehf (»ehiot konzrntrin n : ( 'srn^ri-y wir^l dnreh Kifer nnd
Pdiclitgeiülil, Neigung und Nothdraug auf viele Gebiete hiuge-
ris>en. Seine Genossen interessiren siel» sozusagen nur für die
geiltigeren Seiten der Wissenschaft und Politik : Csengery^s Inte-
resse erstreckt sich auch auf ihre materiellen Seiten. Er be£ftsst
»ich mit Fragen des Staats- und Priratrechts, der inneren nnd
;m>8eren Politik ebenso, wie mit volkswirtlischaftlichen nnd fiuan-
/i»^1i('n Fragen : »-r sprir-ht mif glciclicr < iriindliohkcit znr Frage des
Eisfiibahniiet/,«'s uml des »itl'entliehen rntcrridits ; <'r füllt seinen
Watz als Friisideut der Akademie und Direktor der Hodenkredit-
anstalt gleich vortrefüich aus : er organisirt mit derselben Saeh-
kemitniss die Dramenbenrtheilungs-Eommission des Nationalthea-
ters nnd den ungarischen Industrieverein ; er nimmt ebenso eifri-
i?en Antheil an den lianptsfödtischen^ wie an den Landesangele-
j,'''iili<'it<'n, uncl rrwi ist sich chrnso genie !jn/.<'lnen, wie (l('m«nn-
<rlmfttMi mit Krthcilnng von |{athsrhläL(''n ninl l'Jnt>\ crfuiiü: von
ri iiicii get'Uilig. beiue (ien<>ssen erscheineu, als rednerisehe Vor-
kämpfer einer grossen Idee oder als literarische Schöpfer eines
grossen Werkes, unter dem ßei&U der Nation auf der Bühne des
öffentlichen Lebens : Cseugery wirkt mehr zwischen den Koulissen
und wird bloss der Würdigung der Eingeweihten theilhaft. Er
♦•rwies sich mehr riitligehen«!, als handeln«], mehr zeitigend, als
lenkend. me|u- kotliticaiis . als initiativ. Kr kannte die anslämlischen
uiid uiiguriäcbeu Vurhältui8i<ti genau uud war ein iiarmoiiiisc herer
622 IISNKKKDB AUF ANTON CstNUKKT.
Reprä^eutaut der Yerschiuelz\iii;r das uiigarisdieu Geistes mit deJi
enropäisclipii Ideen, als ßeine Geuossen es waren. Niemand Ter-
stand und empfand sa gat wie er die unabweislicben Bedürfnissf
und heiklichen Verwickelungen des nenersiandenen ungariscbeA
Staates, und Niemand diente demselben als einfacher ßflrger mit
Rath und That so vielseitig, wie er. In der That, Cseugerv
erselieiiit gleiclisuni als ilas Ideal des modernen inifi^ainschen Bür-
gers, und dies hildet den höclistcn Unlmi seiner Luiiiituliii.
Die Laufbahn des Munuf"^ ])ereitete sieh liereitä iui KnaVu
vor, Sein Vater war einer der vorzüglichsten RecUtsgelehrt<*u umi
gesuchtesten KecrhtsanwiUte (Irosswardeins, den auch der gefeierte
Redner und Dichter Kölcsey häu6g besuchte und dessen Hau«
gleichsam der Sammelpunkt der freisinigen Jugend des Bibarer
Komitates war. Csengery wuchs schon als i^chülknabe unter den
Htemrischen und politischen Eindrucken seines väterlichen Hau» s
auf, denen sieli alsbald »liejenigrn der Koraitats- nud Reiehsbig.-i-
vj'rsaninibingen /u;4«'s«dlt»'n. Er zei-^to als Knaln- dm Krust J»'>
Ji'mgluijfs. als .lüngling drnjriiigcn th-s Mannes. Kr las im »Selbvt-
bildungsklub srin«'r JStudiengcnosseu nicht Ueüii lite vor. sondeni
Ahhaudlungejj über tlir llauidlVageu des ungarischen 8taat8lel>eii«.
Als xwaiizigj ähriger Jüngling, im Jahre 1842, ]iraktizirte er an der
Seite Edmund 13edthy*s, des berOhmten Vizegespans nud Reichs-
tagsabgeordneten des Biharer Komitates, und schrieb in den wich-
tigeren Fragen jene berühmten Circulare, welche in den oppositio-
nellen Koniitattii ein<* so gewaltige Wirkung hervurriefeu. Er
begleitet«' iim au(di auf den ISlii-cr Ueiehstag nach l*n'<.sburg ini«!
war zugleich Keichstagsreporter des zuerst von Kossutli, dann von
8zalay redigirt^ni ^Pesti riirlaj»' (l'ester Zeitung). Kr las uixi
lernte viel, aber dachte noch mehr. Nach Pest übersiedelnd legte
er die Advokatenprüfung ab, fühlte sich jedoch weder von der
ungarischen Rechtswissenschaft, noch von dem öffentlichen Leben
Ungarns befriedigt. Ko.ssuth stand damals als Journalist eben aof
der Mittagshöhe seiner Wirkung und hatte sich als R-edner bereits
in die Reihe der Führer der OpposiHon eniporgesdi wungt ii. Csen-
gery bewunderte in ihm «len grossen K'edner in Wert nnd Schrift,
stand aber nicht unter dem Banne s« ines Zaubers. ,Wir snfhen
selbst iu den wirkungsvollsten Reden Kossutb^s vergebens aacli
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DKKKKBDB AUP AMTOIT CaKVaRRY. 623
.Gedaukeureiclithum, Gehalt — schreibt er einige Jahre später iu
einer seiner handschriftlichen Skizzen — ; er huscht meist nur
Ober tlie Spitzen der Prinzipien und thatsnchlichen Gmlidlagen
liiiiweg, wie ein Windhauch ül)ei' (Ins Aliiviiiuerr iliihinhusi-ht. Er
vrriiiieil dit' theoretischen Dt lnitteii. wie er vor Aurel DessewftV •
selbst eingestund. Desto reicher waren seine lleden au woiiltöuen-
den Perioden und glänzenden Bildern. Wir fiuden iu ihnen die
allverbreiteten Ideen, Losungsworte, Fahuendevisen der Neuzeit,
welchen die Menge nachgeht. Seine Uede hob in den Himmel oder
trat in den Staub, sie entwickelte aber den Gegenstand nicht, son-
dern beleuchtete ihn blos wie der Blitz. Und dennoch wurden
Viele von diesem Glanz getäuscht. Er schimmerte wie das Bild der
Sonne oder des blondes smt' der Oherfliiche des Wassers, schien
aiirr tirW In Kossutli lUaiiitVstirtf^ sich scheinliar tiefe Ül)er/.euguug
als Krgebuiss laugwierii^t II ^^tudiullls und grüudiicher Keuutui8S,iu
Wahrheit war es jedoch nichts Anderes, als eine gewisse Inspira-
tion, welche mehr ein Ausfluss der Empfindung, als des Verstandes
ist; starke Einbildmigskrafb mit flammendem GefQhl, fieberhafte
Leidenschaft und aufgeregtes Gemfith, welche so reiche Quellen
der Ausbrüche patriotischen Schmerzes sind.* f 'sengery war der
Ansicht, dass der Nation, ausser den })egeisternden und enttiaui-
nu'uden IJeden und Artikeln, iiucli fWirtcrnde und detiiillirende
Noth thiiten ; er suclitf in der Anarchie der Ideen umsoust die
Richtung, deren Anforderungen entsprechend, das Detail di r lie-
formfragen sieh g<'stulten, umsoust das System, dessen Gruudzü-
gen folgeml, die Regeneration Ungarns durchgeführt werden
sollte. Was er als System darin fand, war nichts Anderes, als das
Komitatssystem, als höchste Bürgschaft unserer Verfiissung und
unseres Fortschritts zu einem politischen System, zu einer gan-
zen Doktrin erhoben. Csengery war im Koniitat, im oppositionellen
Bibarer Koniitat aufgewachsen, dessenungeachtet theilte er nicht
die Ansichten Kossuth's, der das Komitatssystom vergcitterte, ,iu
w»dcliem sich — w ie er 1841 in einem seiner Leitartikel schreibt —
die Vorsehung des Gottes der l'ngarn bei dieser Nation yerkör-
pert, weldies mit dem Leben der Nation in dem Masse verschmol-
zen ist, dass die intuitive Anhänglichkeit an dasselbe, gleichwie
der Glaube an die Gottheit, der Fürsprache der Gründe wohl ent-
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/ ■
624 - DKNKKKÜE Alt AMW. CtiKNUEBY.
rathen kann.'' — Csengery sah iii dem Komitatasyntem weder för
die Verfassung, noch für den Fortschritt eine starke Garantie, und
wiewohl er glaubte, dass dasselbe iinter unseren ungladiseligeB
staatsrechtlichen Verhältnissen einstweilen beizobehalten sst,
sachte er dennoch nach neuen, stärkeren Bürgschaften und schloss
sich ebeu desshalb jener Fraktion der Oppositionspartei an, welcl»
dem vom Föderativsystem nicht weit entfernten Komitaissv.st^'iu
gegen ü})er die Faline der parlamentarischen Centralisation aiit-
pfltuizte und für die mdikalc Reform der ungarischen Verfas-
sung nach dieser Richtung hin ilire Stimme erhob.
Ssalay war der Doctrinar, £ötvds der Redner und Csengefj
der Journalist dieser Fraction. Szalay redigirte das neue «Pesti
Hirlap" (Pester Zeitung) nur ein Jahr lang und trat es im Sommer
1845 an Csengery ab. Der junge Redakteur leistete seiner Partei
vor/.üj'liche Dienste. Er «irlieitete unausgesetzt in alle Rubriken d«'S
Hhitte.s, trotzdem dass di«* HiMliiktion-s^orgt-n seine Z«'it um so mehr
in Anspruch nahmen, je mehr sein Streben darauf gericht<'t war,
dem Bhitte nicht allein strenge Consequenz im Prinzip, sondern
auch in Bezug auf Stil eine gewisse ^ileicliförmigkeit, Eleganz und
pracision zu verleihen. Zu jener iü^eit überflutete das rhetorische
Pathos unsere ganze Literatur» Di« Verfasser tou Romanen, Ab-
handluugen, Geschiehtswerken schrieben unterschiedlos oratoriscL
Die Journalisten kopirten die Manier der grosseren und kleineren
Kednrr, und selbst die l^allreportiT der Ah)debliitter referirten mit
Pathos. Csengery verbannte aus seinem Blatte den rhetorisrlien
Scliwulst und war bestrebt in demselben einen einfacheren, den
Verschiedenheiten des Gegenstandes und der Situation angepassten
Stil einzubürgern. Das gute Beispiel seines Blattes hatte über-
haupt keinen geringen Antheil daran, dass unser ZeitungsstU sll-
mählig ein mehr europäisches Aussehen gewann. Im Übrigen besass
er, indem er sich als einen Tagldhner der Sache des Fortschritts
ansah, keine grosse Ambition auf literarischen Ruhm ; der Bedak*
teur, der seinm* Anfgal)e vollstiindig entsprechen will, ist genöthiin
in seinem Tdattc; jtuf/ugehen, und f's^ngery erstreckte seine Auf-
merksamkeit in der Regel auch auf Bagatellen. Er schriel» Tagts-
neuigkeiten, Literaturanzeigen, Theaterkritiken, Auslaudsrubrik,
bisweilen auch Berichte aus dem Pester Eomitathaussaale. £r war
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nniKBSDB AUF AWm CSBNfimT. 625
der Ansicht, dass die Wirkiiii<jf einen Jourmils nicht alli'in durch
einzelne ^'rosse Artikel, sotidciii auch dureli kleine Details, ja
durch einzelne Notizen, mit einem Wort« durch den Geist dessel-
ben bedingt sei. Indessen nchrieh er auch grössere Artikel, jedoch
Anonym und vorzugsweise über Gegenstände, mit denen seine Kol-
legen sieh weniger beschäftigten, wie Regelung der Städte nnd
Gemeinden, Zoll- und Handelsangelegenheiten. Und er unter^
stfitaite seine Kollegen nicht . allein mit seiner literarischen Thätig-
keit, sondern ancb mit der Energie seines Charakters. Mit jener
äusseren luihe, aber inneren (ilut. mit jenem gewissenhaft erwä-
gendoji, aber entschiedenen Wesen, welches sein ganzes I^cImmi
charakterisirt, hielt er die, zu wiederholten Malen <ler Eutmuthi-
gong und Auflösung entgegengelieude Fraktion gleichsam in sei-
nem Blatte zusammen imd warb ihr neue Anhänger.
Es gab im ungarischen Öffentlichen Leben kaum etwas Eigen-
thfimlicheres, als die Situation und das Schicksal dieser Fraction.
Sie wurde als Verbindung einiger Theoretiker betrachtet; als aber
die Stunde der That schlug, folgten die Männer der That der von
jenen angedeuteten Richtung. Die (ienosscn dieser Fraction wur-
den als träumerische, unpraktische Politiker verspottet, und die
praktischen Politiker verwirklichten die Träume derselben schnellei:,
als sie selbst sie geträumt hatten. »Sie legten ihre kaum vierjährige
Laufbahn unter den vereinten Spötteleien und Verdächtigungen
der Regierung und der Oppositiou zurück. Die Regierung hörte
ihnen gerne zu, wenn sie ftlr die Nothwendigkeit einerstarken
Regierung eintraten und gegen die auf die Bchmälemng des
Recht«kreises der Regierung und der Legislative gerichteten Be-
strebungen der Komitate eiferten, aber sie zürnte iIitumi, weil sie
praktisch fortwäliri nd mit jeuer Opposition stimmten, deren Ideen
sie öfter Terurtheilten. Die Op{>osition sah sie gerne an ihrer Seite
kämpfen, verargte es ihnen aber ebenfalls, dass sie in der Theorie
unablässig die Schattenseiten des Komitatssystems erörtern, wäh.
rend dasselbe doch die stärkste Bflrgschaft unserer Verfassung
sowol als unseres Fortschrittes sei. Gsengery nnd seine Genossen
liessen diese Anklagen nicht unbeantwortet und entwickelten ihre
Ansicht duhin, da'-s insolange, als <lie (iuraiitie der parlamentari-
schen Cunceutration und verautvvortlicheu Hegierung nicht errungen
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m
DBNKBEUB AUF ANTUV C8IN0BHT.
SL'i, ji'iu' < KiiMiit ir, uflcln- wir in iin>erom Koiiiilatssysleni i>f>il/,»ii.
niflit uut"ge<:jt'li<^ij wcnleii kuinic, (laus e.s jttlocU notbwt'julig »ei,
die Mäiifijf'l 1s Systems sowohl der Hegieruug als auch der Oppo-
sition aui'zudeckeii. Und indem sie einerseits die Grenzen des
Rechtskreises der Komitate, der Legislative und der Regierung
gegenüber, umschriebeni steckten sie andererseits auch die Schran-
ken der exeentiven Gewalt ans. Ihr Rath <riiig mit einem Worte
(luliiu : der Kegienmg all»' jeiie Itei-hte /uzugestt'licii, welche ilir.
damit sie ihrer Aiitgal)»* cntspreclieii könne, in je(U'm >taate ii>»tli-
wendigerwei.se zukommen ; sie forderten indessen für die Ausühuug
(lieser Hechte, anstatt des Wiederstaude» der Komitate, in der
Kontrole der VolksYortretnng, in der parlamentarischen Verant-
wortlichkeit eine Bfirgsehaft höheren Ranges. Und sie hatten in
alledem Recht,- aber einen dritten und den wichtigsten Einwurf
machte ihnen niemand, und nuch sie selbst dachten kaum daran :
die Frag«; nämlich, wie sie das Institut der itarlanientari.soheii
gierung den \ « rhültuissen der Monarchie einfügen zu können
glauben ? und welche Getttalt das Hand der gemeinsamen luteres-
sen den konstitutionslosen oder konstitutionellen £rbliuidem ge-
genüber dann annehmen würde ?
Diese Frage blieb im Dunkeln, und auch Csengery wandtp
ihr seine Aufmerksamkeit nur in einem Punkte zu, indem er in der
Zoll- nml HaTidelsfrage «hesellie Hasis empfalil, widclie zwan/iL?
Jain-e nachher auch der desetzurtikel XVI. 18«)7 acc<'i>tirte. Indes-
sen dieut zu ihrer Kutschuldiguug, duss sie die Verwirklichuug
ihrer Ideen in viel weiterer Feme wilhuten, als daf!.«? sie die Di-ciid-
sion dieser heiklen Frage bereits für notb wendig hätten erachten
können. Und als die Sfönstage anbrachen, war ihnen nidit ver-
gönnt, an der Formulirung der neuen Gesetze theilznnehnieu.
Zwanzig .lahre später jedoch sind sie es gewesen, welche diese
Fra'jfe zuerst auf das Tapel hrachti-n, und alles uufboteu, dass die-
selbe im lS(i7-er d'esetze ihre Ijösnng erhalte.
Csengery Idieh auch währead der 1848-er Bewegung Hedak-
teur; er verwandelte sein Hlatt in ein Tagesldatt, uud erhob es
zugleich zum Organ der Regierungspartei, des Ministeriums Battja-
nyi. Er kämpfte mit gleicher Energie sowol gegen die Wiener wie
gegen die Pester extremen Tendenzen ; er schrieb auch damals
ULMiÜEDB AUF A^TOK t^»£.NUi!.liY.
627
auoiijm, }il)»'r in jenen kleiuen Artikeln, in welchen er die Evolu-
tionen der Bewegung Yon Tag zu Tag verfolgte, konnte die Prä-
cision, Prägnanz und ernste Schönheit seines Stils unschwer
erkannt werden. Und als wir in die Rerolution hineingerissen wur-
den, blieb er ebeiii'allH auf seinem Posten, seine Ideen jedoch än-
derten sich eben sowenig, wie sein iStil. Man ^-agt, «lic lu \olu(ioii
8ei dem Pliilosonlicn Idee, dem Volk Ruclie. CseMgery ii war nie
bhs Idee; er hatte an ihren Leidenachaiten keinen Theil. Als er
Ende Dezember 18^8 die Regierung nach Debrezin begleitete, zog
er sich Ton der journalistischen Lauihahn zurück, und später, als
Ministerialrath, beschäftigte er sich grösstentheils mit Codificaiion.'
Nach dem Tage von Yihtgos irrte er eine Zeitlang flQchtig umher,
nnd als er gegen Knde 1849, reich an Tiinschungen und Schmer-
zen. al>er de.sto iiniier an Vermögen, nach Pest zunirkkelirte. >ah
er sich jede Lautbuhn verschlossen. Indessen vermochte da« Miss-
geächiek weder seinen ( 'iiuriikter,noch seinen Geist /u unterjochen.
Er verlebte jene zehnjährige schwere Zeit, in welcher unsere
Verfassung nnd Nationalität mit Füssen getreten wurde und der
Patriot zur Unthätigkeit oder Erniedrigung verdammt war, so
wördevoll und so thätig, wie nur Wenige. Um seinen Unterhalt zu
gewinnen, gal» er Unterri« ht sstunden in einer Privater/.iehnngs-
an«-talt ; um die wüste (iej^a-nwart zu vergessen, versenkte er sich
iu die ^'ergHngeuheit, in historische Studien ; da die (irundlagen der
moralischen Wissenschaften in ganz Kuropa zu schwanken schie-
nen, verlegte er sich mit Leidenschaft auf eiuen und den anderen
Zweig der Naturwissenschaften ; da fttr die Pflege unserer Natio-
nalität nur ein einziges, das literarische Feld übrig blieb, nahm er
aufs Neue die Feder in die Hand und schrieb, jedoch keine politi-
schen lieitartikel mehr.
Als unsere verstummte Literatur im Herbst 184',> wieder das
Wort nahm, zogen die eben dahingebrausteu grossen Ereignisse
am Publikum so rasch vorüber, dass seine Erinnerung vollständig
gleichsam an ihnen haftete, und die Namen der erst eben vom
Schauplatz abgetretenen Männer nalira bereits die Muse der Ge-
schichtsschreibung auf ihre Lip])cii. Es erschienen kleinere und
jfrßssere Werkft üImt die Kreignisse d» r jüngstvergangenen Tage,
iJhai'akteristikeu der Männer, die iu dieser bewegten Epoche eine
628 DBNKBBDB AOF AHTOK OBSKOVKT.
tliätigo Uolle jL?fs|)i«'lt liiittt ii. Es w;in»ii iiH'ist obcrfliiclilirlii'. üImi--
eilU' Urth«'il<% von Princijiicii und Licschiclitspliilosojtlnscli»*]! < i<-
Hielitapunkteu keine lu^Je. Iii »liesM* /fit der ]»(>litisc'beii Cliarak-
terzeichnuogen bcschloss auch Csengery eine Sainmlang solchex
herauszugeben, welche ein treuerer Spiegel der jüngsten Vergan-
genheit sein und diese, ebendamals ihren Ahschloss erreicheud«
Epoche in ihren Vertretern jeder Richtung charakterisiren sollte.
So gab er 1851 sein «Mugyar 8Z(>nokok es allamfiMak kdnyre'
(Buch ungariselier Redner und Staateraänner) heraus, in welchem
die rharakter}»ildcr Vau] Xagy's, Ethninid I 'u'ilthy's, Moriz Szeiit-
kiralvi's, Aun l Dezscw fh 's, .r<»>cf E(>tM'>s's mul fiadislaus Szalav's
voD ihm herrühren. Das Charakterbild Ko.ssuth'js wurde für den
nicht erschienenen zweiten üaud reacrvii-t-, und ist bis hent*» nicht
gedruckt. Später schrieb er anch noch [eine Charakteristik Deak^s,
die er an dieser Stelle als Denkrede vorlas ; sie ist jedoch mehr als
Denkrede, sie ist ein wirklicher |£ssay, sein gelnngeuster Essav.
Csengery ist bei uns einer der hervorragenden Vertreter der Essaj-
iiit*'ratnr, ja in Hinsiebt auf Form und Sprache vielleiclit der her-
vorragensle. Er liatte eine iM sontb-re \ nrliclic lüv diese (ijittiniff,
welclie zwischen Hucli und .lournalurtikcl, A})lianillung und Kritik
in der Mitte steht, von der Wissenscliatt ihre Ideen, von der Lite-
ratur ilue Formen entlehnt, und in gleichem Mas^^e den Fachmann
und das gebildete grosse Publikum vor Augen hat Csengery war
während seiner ganzen literarischen Laufbahn fortwährend be-
strebt, diese literarische Gattung bei uns einzubürgern, welche von
den Engländern und Franzosen erfunden worden ist, von den
Dentschru mit wenig (»liiek nachneahnit wird. Kin HauptertVir-
derniss dieser iiattung i.st die Kuii>t der DarstelluiiL,'. un«l ant
diese verstund sieli Csengery vortrefHi. li. Die Komposition baut
sich bei ihm, ob er nun einen politischen oder einen wissenschaft-
lichen Essay schreibt, in harmonischen Proportionen auf, und ist
ebensowenig weitschweifig, wie überladen. Eemeny^s und Eötvds s
Essay^s sind an Ideen und Empfindung reicher, aber ihre Kompo-
sition ist eine losere und ihr brillanter Stil weniger präeis. Csen-
gery paarte die Durchsichtigkeit mit Wohlklang und die KAnw» mit
Fltissigkeit, Kr njeidet die l'erioden. al)er seine kurzen Sätze r.iit-
gireu »ich symmetrisch um einen llauptgedaukeu. Es ist seine An,
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raNKBIItK AUF ANTON C'SKNQKRV. G29
mehr zu urÜieileu und ym uiieiitiren, uJs zu analysireu, mehr zu
«'i'/ählHti und zu scliikierii, als ausemandeKBusetzeu, melir nur die
Haaptideen und Hauptpunkte hervorzuheben, aber derart, dass er
in seinen Lesern die ganze (rruppe der Nebenideen, den ganzen
Umriss des Gemäldes lebendig zu machen vermag.
Diese Samrahing politischer Charakterbilder, in welcher auch
die v'^zechfiiyi- niid Wossplenyi-EssavH dos Marons Josot' KeiiK-uy
Platz laiidpH, wurden, w alirsclicinlich iiir<'r historisrlieii Oljjcctiviliit
woj^'i'n, vr>m l'ublikuni niclit solir l)oifiiUig aufgoiiommeu. Die Leiden-
rtchaftoji waren mx li uiclit so weit beschwichtigt, um die Reflexion .
anhören zu könueu. in Frankreich war es anders; dort warf (luizot
eben um diese Zeit die Frage auf : warum reussirte die englische
Revolution? Csengery glaubte, dass diese Frage am besten durch
Macaulay'8 unlängst erschienenes Werk „Efighmd's GeschielUe seit
der Thrmhesteigu)«! Jakob' s IL' gelöst worden sei. Die Verpflan-
/.uii<^ des ewifr wertlivolleu Werkes in un-ere Literatur seliiiMi ilnii
tlihi-r eil; FuLjesinten's-^*' zu liai)en. Er schützte -Macaulav lioeli,
liielt ihn für deu urr»ssteii ( leschichtsse Ii reibe r der Neuzeit
und hegte besondere Vorliebe filr seinen Helden, Wilhelm von
Oranien. Dieses Buch war ihm ein grosser Trost und er glaubte,
es wttrde ein solcher auch seiner Nation sein. Auch bei uns gras-
Hirte, wie einst in England, eine verblendete Regierung, als Reac-
tion der Revolution : aber dort machte sie den Keim der Freiheit '
enjporschiessen, der versöhuliriie Patriotismus der Parteien, ilie
W eislieit des FiihnuN Ix^endete die ii'evohitiou. stellte die Verfas-
sung wieder her. < 'seugery glaubte, dass i'riilier oder später auch
Ijei \iixa eine Wendung eintreten werde, aber er frug sich, ob unsere
Parteien soviel versöhnlichen Patrlotisnms, ob wir einen so weisen
Ftthrer haben werden, wie die Engländer? Eben um diese Zeit
fibersiedelte Deäk nach Pest, mit dem Csengery eine immer engere
Freundschaft schloss. Wer hätte es wohl damals geahnt, dass zu
dieser c^rossen Holle eben Deak bernfen und Csentjerv sein treue-
sler SehihUriiger sein werde? Deak his das Duell ; es war aueli ihm
ein Trnsi ; d<*r alte Kritiker Paul Szeniere aber rief begeistert aus :
würde Kiiziuczy, wenn er lebte, über diese Prosa mtzückt
s»'in I weleh eine Präcision, Feinheit und Kraft im Ausdrucke I*
Diese Übersetzung ist in der That die beste Leistung prosaischer
L>iyui^ed by GQggle^
680 . MNKBVDS AUF AWTOV tttKHOKRY.
Ubcrsetzuiipfskiinst ans »liosor Zeit und sie isf aiuli auf die Eut-
wickclung tles uiigari.sclit'n lii.storischeii iStils uielit olnu* Einfluy»
gel>li«-'l»eu.
lu d<*n fiinf/^iger Jahrm uiilini Cseutforv noch an drei litera-
risclion Vntornphmungen, als Mitredukteui' oder Gründer Theil. Er
rief 1B54 mit Kenieiiy das «Magyar nep könyve'' (Bnch des unga-
rischen Volkes) ins Leben, übernahm 1855 die Redaktion d»
Feuilletons des «Pesti NapM" (Pester Tageblatt), und begrUodete
1858 die »Budapest! Szemle* (Bndapester Revue). Nach der-Rero-
IntioTt bildete sicli bei uns eiif j^aii/e l)osondiMe Literatur für das
Volk. r'seiig«M-v und soiiie <M'Uoss('n hielten es für ihre IMliclit. da-
gegen aufzutreten und es auHzufsprechen, dass die Kinfaeliheit niclit
in der Kinfaltigkeit und das Volkafchtimliehe niclit im Pöbelhaften
l)estehe ; daas andere gebildete Nationen unter dem Volksmässigen
das für das grosse Publikum Geschriebene verstehen ; dass es die
beste Sehreibweise sei, wenn das Geschriebene you jedem Leser
verstanden wird, vorausgesetzt dass dieser bereits einige Kennt-
nisse besilase. ünd sie stellten Atr die Werke der sehSiien Litecstur
die Regel auf, dass das Volksniässige die Kunst nii ht ausscldiesse.
iJas Werk gewinnt nur an Worth, wenn wir es allgenieiii verstiiml-
licb machen, wir dürfen jedoch, indem wir es da/u maeheii, seine
Voraussetzungen nickt ändern. Das in diesem Sinne redigirte Un-
ternehmen wurde von zahlreichen vorzüglichen Öchr iitstellem nc-
terstQtzt, und war von nicht unbedeutendem Eiuflnss darauf, dass
unsere volksthfimlichen Blätter richtigere Bahnen einschtogen.
Csengery selbst bearbeitete für das Unternehmen Johnston>
Chetmsehe RHäer, welche nachher auch in einer Separatausgalx»
erseliieuen. Als Kedakteur des Feuilletons d<'s „Pesti Naplö" «nd
(iründer der ,l>uda]tesH Szemle" wrdlh* er «'ine noch jj[njsserp
Lücke ausfüllen, einem noch luUl bareren Hedürfnisst» begegnen,
l^er Strom der ungarischen Wissenschaft und Literatur bewegte
sich in einem ziemlich engen l^tte. Wir kultivirten vorzugsweise
die sogenannten vaterlandischen Wissensdhaften und nahmen tob
den Bewegungen des Auslandes wenig Notiz, oder wenn wir das
auch thaten, blieb es für das grosse Publikum ein todtes Kapital.
Csengery hielt es für nnumgänglich nothwendig, dass das Feiiille-
toiL irgend eines iilatt<is oder, wenn möglich, eine ganze besondere
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Zeitschrift jL(Ifi< lis5aiii <1<'r A tTiiiiltlrr «'iiiorseits /wi^cheu der Wis-
senschaft uinl dem gebildeten Pnbliknni, andererseits zwischen der
▼aterländischen und ansländischeii Literatur sei, und den ungari-
schen Leser über alle die Ideen orientire, welche die Geister der
ganzen Welt beschäftigen. Daneben sollte auch der kritische Geist,
sowohl in der Wissenschaft, als nnch in der Literatur, geweckt
Werzlen. So wunh' das IVnilh'tnn «h's ,I't*sti Xiiplir und spiitcr <lio
-Hndapesti Özemh'" /mii V^-rtreter dieser Uiiditung. ( "seiigerv nahm
dal>oi niclit Mos ait der Aueifernng zur Arbeit, sondern auch an
der Arbeit sc1)>st theii. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Publi-
knms auf die bei uns so sehr yeruachlässigte Weltgeschichte. Er
schrieb einige kulturgeschichtliche Essay's über China, Indien und
Kgypten. Er zeigte zahlreiche auslündische Werke an, oder bear-
beitete darüber gesclirieliene Essay's. Bei der Hetrachtiing unserer
vaterländischen (.iesrliiiditsschreilinng fielen iliiu insl)es<)ndere zwei
Dinge auf, die er für schädlich liielt. Die Erforscher unserer Urge-
schichte hatten sicli, den Fnsstapfeu Otrokocsi's uud spät»'r
^^tephan Horväth's folgend, voRständig auf Abwege yerirrt, uud er
bestrebte sieh, indem er ihre Methode angriff, zugleich auf die rich-
tige Methode hinzudeuten, welche nicht aus einzelnen verwandt
klingenden Wörtern verwegene Folgerungen zieht, sondern Orga-
nismus mit Organismus v- rgleichr. nicht aus dem /usammen-
tretfen einzelner Ziiire. oft mit Ausserachtlassung der wesejitliclien
Verschiedenheiten, auf die Verwandsclinft der Völker scUliesat,
sondern sozusagen Physiognomie mit Physiognomie zusammen-
hält. Er glaubte ferner, dass die Materialsaromlung mit der Aufar-
beitung {Schritt halten mflsse und dass die Zeit gekommen sei, wo
auch unsere Schriftsteller, die klassischen Muster des Alterthums
und die grossen Geschichtsscheiber der neueren Völker zu Vorbil-
dern neluuend, die Wissenschaft mit Kunst paaren niüssten. weil
dieselbe nur in k iinstlerisciier bOrni wirklich nationales (uMuein-
gnt werde. Er begann deshalb »Studien Uber die künstlerische Seite
der ^rescbiehtsehreibung zu schreiben. Es sind, wie er sell)st sagt,
fragmentarische Artikel Uber die Form der Geschichtsschreibung
in coBcreter Gestalt : Charakteristiken . namhafter ausländischer
Geschichtschreiber nebst denen einiger vaterländischer, dazu Be-
leuchtung der Ansichten der hervorragenderen Kritiker des Aus-
«82 DKNKREPE AtF >»T01I ('Sj>6JtRT.
luinles. Diese fragnuMitariscliPii A rtikt l rrf*'üu/An\ «MiiaiHler iii<1essoi).
Öie stellen iu.slx'sondere den wohltliätigeu und nachtheiligeii Ein-
flnss, dea die Belletristik auf die Gt^scliiehtschreibimg ausübt, vor
Augen, und bezeichnen nach Polybius die Grenze, welche das schoo-
literariflche Werk Tom Geschichtswerke scheidet.
Mit der Gründung der »Budapesti Szenile* ging ein alter,
sehnlicher Wunsch Gsengery's in ErfQllung. Im Anfange der Tier-
ziger Jaluv liatteu Szalay und K()tv<»s eine Zeitschritt älnilichen
Inhalts und gleichen Titels begoniH-n. aber nur bis auf zwei liiiiidp
bringen können. Csengery gelaug es, di^ sfinigo zwidt' Jahn'
lang zu redigireu. Es scliaarteu sich um ihn die Mitarbeiter der
altrn »SzemLe : £ötvÖ8, Szalaj, Trefortt Moriz Lukacs, die Männer
die in unserer Literatur zuerst bemüht waren, die Politik und die
Wissenschaft, das Leben und die Literatur in engere Verbindaog
zu bringen. Diese Zeitschrift war gleichsam der Sammelpunkt der
alteren wissenschaftlichen und literarischen Kr^le und die
Schule der jüngeren Talente, t'sengery war verniüge seiner riel-
seitigeu Bildung und seines vorzüglichen (ieschmackes zur Redak-
tion einer solchen Zeitschrift grade der geeignete Mauu. Er ^mclite
, die ungarische Essay-Literatur zu 1)egründen, und wenn er keinen
genügenden Vorrath Ton Original-Aufsätzen hatte, liess er auslän-
dische übersetzen oder bearbeiten. Er yeranlasste so manchen ver-
stummten Autor, wieder das Wort zu nehmen, er bewog so man-
chen Gelehrten, für das grosse Publikum zu' schreiben. Er über-
redete sen)st Deak, das ])erüchtigte Werk . Lustkaiidrs in der
Szemle zu l)eurtheilen und bot ihm dal)ei zuj^leish seine Mithülfe
au. Die Entw iekeluug der europäischen AV' isseuschaft und Literatur
unausgesetzt mit Aufmerksamkeit verfolgend, mit den Lücken der
unsrigen wohlrertraut, gab er seinen Mitarbeitern die liichtung
und den Gegenstand an, und vertheilte die Arbeit unter sie. Er
lenkte so manchen Autor auf dasjenige iSebiet, auf dem er am
meisten an seinem Platze war, und aus so manchem in seiner Zeit-
schrift erschieneneu Essay wurde später ein ganzes Buch, da«
unserer Literatur zur Zierde gereichte, lu den fünfziger und sech-
ziger Jahren war seine einfache Wohnung einer der Ilauptsanunel-
plätze des ungarischeu Literatenthuma. Es kamen bei ihm nicht
selten die hervorragendsten Staatsmänner und Schriftsteller jeuer
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PKNKKKDE A« | AMoN <>iKN«}i;i<K
Zeit zusammeu. Sein einziger Iinxii8 war, dass er Diejenigen, die
er Tiesondera verehrte und liebte, hie und da zu einer kleinen Soiree
lud. Er sachte und fand im Schosse des Familienlebens nnd im Ver-
kehr mit seinen Freunden seine Freude, seinen Trost. Seine Ver-
schlossenheit erschloss sich, sein Emst erheiterte sieh bei solchen
Gelegenheiten. Hinter seiner schweigsamen und kühlen Art bi^r-
t{en sich starke GetVilile der Zu- und Abneigung. Auch Theilnahme
iiTnl Auhän^lichkeii äussert«' sicli hoi ihiu nielir in Tliaicu, als in
Worten. Er wurdo von ein«M' Idee, eiuer Sache oiler «'iner iVr-
sou nicht leicht eingenommen, blieb ihr aber, weun er sie eiu-
• mal liebgewann, um so anhänglicher. Er war bedächtig, aber ener-
gisch, yorsichtig, aber ausharrend und consequent. Die Leute kann-
ten seinen Emst und seine Opferwilligkeit, sie schätzten sein Ta-
lent hoch und wandten sich in öffentlichen Angelegenheiten aller
Art gerne an ihn.
Es ^ab in der That von 1850 — 1880 in Ungarn kaum eine
nahniliaft^M»', auT die kidlur«dlc oder iiiatei it llc Hebung des Landes
gerichtete Anstalt oder ( leseilsiliat't. an deren Begründung, Orga-
nisation oder Liefurm Tseiigery nicht wesentlichen Antheil genom-
men hätte. Unsere Akademie, der landwirthschaftliche Verein, die
ungarische Bodenkreditanstalt waren Tonugsweise Gegenstande
seines Eifers. Am Ausgange der flQnfziger Jahre, als unsere Aka-
demie sich wieder freier bewegen durfte, nahm auch Csengery leb-
hafteren Antheil an ihren Ang(degenheiten. Er nahm Einfluss auf
die neue Ausarbeitung der (leschäftsordnnng, regelte die Geschäfts-
gebaliraug, i»eantragte die ( )rgani<ati'»n luiMiren'r stehender Kom-
missionen, uml belebte mit seiiuMi Journalartikeln im Publikum
fortwährend die Theilnahme für die Wirksamkeit der Akademie.
Vordem hatten sich die Zeitungen um die Akademie blutwenig
gekümmert ; Csengery begann die regelmassige und systematische
Besprechung der Wirksamkeit ihrer Klassen ; seitdem ist die Aka-
demie eine stehende Rubrik unserer Zeitungen. Später, im Jahre
1BG7, wurde die Reform ihrer Statuten, die Regelung ihrer G^ld-*
angelegenheiten seinen Anträgen entsprechend ins Werk gesetzt.
Er wurde zuerst zum Mitglied ihres Direrktionsratlis. dann 1S71
zu ihrem zweiten PriUi«lenteii gewählt ; er war von allem Anfang
an Präses des Biicherverlagr.unteruehmeu«i und später auch der
Voffuiiicbe BsvaA, MKS. Vm-DL Heft 41
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e84 ramcRRrat kvr anton csvnqbrt.
*
hijiiorischeii Eomniissioi). Die geistigen imd jnateriellen Inkremi
der Akitdemie lagen ihm gleicherweise am Herzen nnd er war Ton
dem Doppekwecke dieses Tnstitnfc* : gleichmas^ig nnd gl*'ichzeitig
ilei) IiitiMHvsiüOii ih'Y Wissenschaft und «It-r Xiitionalifiit zu dif^nfii.
vollkommen «Inrfhdriiiij^en. im lund wirtli^cliaitli rlwn A «*reiii nahm
er un zwei wicliti<j;»Mi Angeieg»'iilH'it<'ii. welche uuf die materielle
}{ebnng rngarns von grossem Eiutiuss waren, tliätigen Autheil
Er schrieb im Auftrage des Vereins jenes in mehreren S]>ra-
chen erschienene Memorandum, welches das ungarische Eisenbabn-
nets zuerst feststellte nnd den zweifachen Zweck verfolgte : die
ausländischen Kapitalisten ttber die öffentliche Meinung Ungarns,
die mch anderswo nicht äussern konnte, zn orientiren, und der
künftigen ungarischen Regiertmjf die Jiiehtuiig /u geben. Weit
früher, im .hilin* 18r»S, verl"asst<' er, mit Mc]clii(»r Liiiiyay verciut.
elMMiialls im Auttrage und Intere.sse <les land\\ irthschatthcli«'ii
Vereins, ein an. die Regierung gerichtete.'« Memorandum über deu
Stand des ungarischen Bodeukredits. Als im Jahre 1862 die Bodeu-
besitzer, dem Memorandum gemäss, an die Gründung der ungari*
rischen Bodenkreditanstalt gingen, arbeitete Gsengery die Stataten
derselben und ihre Qeschäftsordnungs- und Manipnlations-Instruk-
tionen aus. Nicht minder schrieb er im Auftrage der DirektioD da»
an den Reich.stag gerichtete Memorandum, Als die An.stalt ins Le-
hen trat, wurde er zum Secretiir und s})Uter zu einem ihrer Direk-
toren gewählt. In beiden Eigenschalten machte er sich um <li''
Vervollkomnung der Geschäftsgebahrung und um das Autblidien
der ganzen Anstalt in bedeutendem Masse verdient. Zahlreiche
' Geldinstitute bedienten sich seines Rathes oder gingen ihn am
Pläne an. Er entwarf einen ungarischen Volksbankplan, welcher in
mehreren Theilen des Landes Terwirklicht wurde. Auf EdtrjSs*»
Ansuchen arbeitete er den Entwurf eines, den Pester Industrie
verein zu erzetzen besliiumien Landes-Industrievereins, in Verbin-
duntr niit dem eines Industricmuseums aus, und sickerte mittels
des Laudestitels den ungarischen Uiiarakter desselben.
Lidessen nahm die im Jahre 1800 in Fluss geratheue poli-
tische Bewegung die Tlültigkeit Csengery'a am meisten in An-
spruch. Er betheiligte sich an dem Kampfe zuerst als Journalist,
indem er dem Oktober-Diplom gegenfiber mit grosser Energie (tt
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r»KNKRKI»i: AI'F ANTON ISKNtiKRV.
die 18l8-('r <M>^;f>t/,r fintrat. Als er darauf im Jahre 18tll zuui Ab-
geordneten gewühlt wurde, schloss er sieli oiijjr au Dej'ik an. Seit-
drra war er bis zu seinem Tr)de Mitglied des Abgeordnetduhausea
und entwickelte insbesondere seit dem Jahre 1866 eine grosse Thft-
tigkeit in den reichstäglichen Eommissionen. Er hatte bedeutenden
Theil an der Zeitigung und Formnlirung der AnsgleicLsplüne
Detfk*s. Der Reichstag betrante eine fOnfhndsechziger Kommission
mit der l''orniiiliriin<^ des A iisglcidis. Dirso Ivounuission wählte
('seng«"rv /.u ihrem IN'lerent«'!!, und ontsniidte rin«* Suhkommission,
den'ii I't'ferciit «'henfalls CHenger\ wurde. Die bubkoniniissiou be-
traute Detik und Csengery mit der Formnlirung der Details. Der
Entwurf wurde fertig, da iudesseu der Keichstag am 20. Juni 18GG
plötzlich vertagt wurde, blieb fQr die Schlussredaktion des Textes
nur eine einzige Nacht übrig. Auf Antrag des im Jahre 1867 er-
nannten Ministerinms wurde dieser Text sodann als VIT. Artikel in
das nngarifiche Oesetzbnch aufgenommen. Csengery empfand hohe
Freude darülMT. das ;ill<'s dasiciiigr, wofür er nahezu drei .lahr-
/♦*hnt*' Inndureli gekämpft liattt-, » iidlich zur Waln-lwit geworden
sei. Bald jedoch überkamen ihn neue Jiesorgnisse und Hefürchtun-
gen, nnd er nahm eine einigermassen eigenthümliche Stellung zwi-
schen Desk und der Regierung, seiner eigenen Partei und dem linken
Centnun ein. Diese feine Stellung bot mitunter Anlass zu Missver-
standnissen, nnd sie war auch wirklich nicht natftrlich ; dies waren
jedoch auch die Verhältnisse nicht. Csengery gab nicht den Ein-
flüsterungon persr»ulirlien Ehrgeizes, ränkespinneiulen Eigennutzes
<M'hr»r, s(»n«lern ihn Ifathsehlägen der X(»tlnvtMidigkeit und der
\ uterlamlslii'he. Deiik war zwar d<'r Führer jener in der grossen
Majorität hefindlicheu Part*'i. welche mit ihrer Energie und Müssi-
guug die Verfassung wiederhergestellt hatte, er selbst trat aber
nicht in die Regierung, wiewohl ohne seine Unterstützung wohl
schwerlich irgend eine Regierung hatte Bestand haben können.
Csengery f&hlte den Widersinn dieser Stellung, er fühlte aber auch,
dass De^ seinen Einftnss nur so behaupten, die Opposition nur
duiiii i-nlwatfneu kTniiie, w»'i)!i dio nocli in (b'r Seliwt'lie l)eHii<ili-
chen Einzeltra'^en dt-^ A U'^irleichs iiu (Jciste des Austrleiehs };»'l(ist
werden, und die Krgicrinig die neuen Institutionen überhaupt in
dieser Richtung in ActiviUit treten lilsst. Deswegen machte er Deak
41*
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ItlNKRlDK AÜF ANTON CflRNeXBT.
fortwähri'iicl nnl 'n'<l<'s V^f^rsänmuiss. nuf j»Ml»'ti Missrrn'tf in di'*ffi»r
ilinj<i('lit aulnii'rksani. snriit*' al)er /iilcI<mi-1i mit sriin r F]rHinJsaiii-
keifc 1111(1 seiuem \\ ohlwdUoii jedem Koiitüki zwisciifii iJf.'ik iiu«]
dem Ministerinin vorznbtnicrpu. Ein \'<n*mittlpr diesor Art war er
auch sswischen seiner Partei und dem linken Oentrum. Niemand
hielt am Ausgleich fester, niemand verurtheilte die staatsrechtli-
chen Stnrmläufe der linken Mitte heftiger als er, dennoch hielt er
dafAr, dass der ParlaTnentariRmuf* bei uns nicht Wnnsel schlagen
wi'rIc. wenn nur eine (>in/,ig«* l'artpi zur l{«|Gfiernii|^ herpchtig^; J»ei.
niul <]ass es (leshalb notlnvendij^ schfine, mit dem linkt-n r't'iitrnni
Berühnuif^spunkte zu. snehon. I'nr den Kall einer Krise «iie Fusion
mit dieser Partei vor/nhereiten oder sie mindesten^ nieht der äns-
sersten Linken in die Arme zu treiben, und jedenfalls bezüglich
alles dessen, was gemeinnützig ist, ujid womit nichts preisgegeben
wird, mit ihr zu unterhandeln, sich mit ihr zu Tertragen.
In diesem Geiste trat Oaen^erv pfleich in jener reichstaglichen
Kommissinn auf. welche, im Sinne des isr»7-er XIl. Gesetz^rtikels.
he/iiglich der Lasten der als »gemeinsam erkannten »Staatsaiij^ele-
^enheit(*n, das Verhältniss zwischen Üiigarn und Österreich fest-
stellen sollte. Seinem Antrage genni« wurde die Art der Berührung
der miteinander unterhandelnden Parteien auf internationaler
Basis geregelt; er beantragte und redigirte die Nuncien der
ungarischen Kommission. Als zwischen den zwei Ministerien be-
züglich der Staatsschulden eine Ül>ereinkunft zu Stande kam,
wurde «liesdhe von ('sen«jferv angefociiten \ind auf (irund seiner
Amendements eine andere jj^eschlossen, welche, wenn sie im i.ittii-
zeu seiner Absiclit auch uieht entsprach, )>ezüglich der Staiitsscbul-
den wenigsti'Ds die Wahrung der im Xll. Gesetzartikel bezeichne-
ten Hechtsbasis, und insbesondere die Aufhebung der Solidarit&t
aussprach. Ffir die Gebahrung blieb zwar auch in der Obereinkunfl
die Gemeinsamkeit aufrecht, aber schliesslich sahen es beide Par-
teien doch ein, dass sie nicht halthar sei, und sie hörte aii< h wirk-
lich alshald auf, als im tolgenden Jahre, 1868, in der ersten Dele-
gation aut (inmdlage d<'r von Csengery eutwickelteu MotiTatifui
die Angelegenheit der Staatsschulden aas dem Wirkungsbereiche
der Delegationen faktisch ausgeschlossen worde. C^sengeiy nahm in
den Sitzungen dieser ernten Delegation noch eine herTorragendere
DKNKUKUE AUF AMON CSSNGERY.
687
Stelinng eüi. Kr betruchtete es als .seino Aufgabe, streng im (ieiHte
des Ansgleiefaes vorzngeheH uud Alles dafSr anfzubieteti, dasH die
Delegation sich itmeiiuilb der Schranken des Geaetzes bewege.
Deswegen wies er alles nicht dahin Gehörige nnd alle nicht als
IQfemciii.sani Hiierkuiint<'ii Angt'lc^piilu'ifen konse<|uent ziirnck. Er er-
wirkte, (luds lUe beideu Delej^atioiieii. als die Vertretungen zweier
Nationen, miteinauder unter lieibelialtung der iuternationalea
Koma in Berührung treten und als zwei besondere Körperschaften
betrachtat werden, wdche lediglich behufs der Diutoroiigkeit der
Beschlfisse in gemeinsamer Sitzung, jedoch ohne Dehatte, abstim-
men dürfen. Mit einem Worte : er formnlirte die wesentlicheren
Punkte der Geschäftsordnung der Delegation, und er setzte auch
das durch, dass die beiden DelegatiuiH-n, als zwei besondere Kör-
perschaften, durcli besondere Keseripte aufgebest werden müssen.
Seine StelUiug war in dieser Hinsicht eine umso schwierigere, als
er nicht allein die Ansichten der beideu Ministerien nnd Delegatio-
nen zn vermitteln, sondern auch jene vielen Meiunngsdifferenzen
aoszugleiehen hatte, welche zwischen dem damals noch in der De-
legation erschienenen linken Oentruni und derDeak-Partei zu Tage
traten. Der ungarisch-kroatische Ausgleich kam ebenfalls auf
(rrnndlage s«'ines \'orschlages zu Stande, Wfb her die Meiuungs-
verscliiedenheiti'u Deak's, des Ministeriiuns und der Kroaten in
einem vermittelnden Punkte zu vereinbaren bemüht war. Er nahm
ferner ratgebenden Einfluss auf das mit Österrei« b i^eschlossene
Handels- und ZoUbflndniss : den Gesetzartikel XVL vom Jahre
1867. Er war von Anfang an Mitglied, lange Zeit hindurch Prüsideut
der reichst&glichen Finanzkommission. Er forraulirte die Budget-
gesetze, und stellte die gegenwärtig bei der Abfassung der Gesetze
gebräuchliche Form fest. Er nahm an der \ erl)esserung der Steuer-
gesetzgebung Theil, brachte auch bei den BudgetverhautUungen
viele Reformen in Anregung. Von ihm wurde unter Anderem auch
die Errichtung des obersten Btaatbrechnungshofes beantragt, for-
mnlirt und durchgesetzt Er arbeitete das die Kontrole der schwe-
benden Schulden betreffende Gesetz aus, gestaltete die auf die ge-
raeinsamen Pensionen und auf die Expropriation bezüglichen Ge-
hetz«' lim und brachte zum neuen Gemeindegesetz die meisten
Ameudemeutö ein.
688 DBimutins auf anton obinobbt.
Ganz besoiidiTS aber lag ihm die Sache des öflPentliclien Un-
terrichts am llHr/fii. Er hielt dafür, dass nur die allj^onieine Bil-
dung nnser«')! dpiuokratisdirn Institutionell tieferen Gtlialt luid
unserer Nationalität ein stärkeres J^^undament geben könne. Kr
Hess bereits am Anfange der sechziger Jahre für seine Szenüe eine
ganze Artikelreibe über den Stand dea öffentlichen Unierriehts in
Europa ansarbeiten, und als im Jahre 1868 der seitens des Hini-
Bterinms Torgelegte Volksschulgesetzentwnrf den Antipathien aller
Partden und Glaubensbekenntnisse begegnete, gestaltete ihn Csen-
gerv durch seiiio Amcndcinents dergestalt um, dass »m* nahezu »'iii-
stimmig ang^noninicn wurde. Er hefas.ste sich eingi'hend mit »Umi
Fragen des Unterrichts an den Mittel- und Hochschulen und seine
darauf bezüglichen Artikel und AbhaudlungeUf welche auch ge-
sammelt erschienen sind, liefern einen schätzbaren Beitrag zum
Programm der ungarischen Unterrichtspolitik. Als Pester Stadt-
repräsentant hatte er grossen Antheil an dem, was in Pest fta die
Hebung des öffentlichen Unterrichts geschah. Seine dem Volks-
schnlgesetze eingefügten Abschnitte entschieden die Controverse :
ob die luuiptstädtischi'n Volksschulen koniniunal oder konfessionell
sein soUen. Er war i'nises der städtisichcn Finanz- und Ilür^er-
schul-Komniission. Die Idee der IJiirgerschulen führte er in das
Schulgesetz ein, und veranlasste hauptsächlich in Post dir Eröff-
nung solcher ächulen. Für die Vereinigung Ofens und Pests ein*
genommen, bewirkte hauptsächlich er die Aufnahme derselben in
den die Regelung der Hauptstadt betreffenden Gesetzentwurf. Er
formulirte schon yorher im Unterrichtsgesetz bezüglich der beiden
Sl^dte den gemeinsamen Schulrath, er beantragte auch den t^e-
nieinsanien Haurath und er ))rachte, unter den vortlieiiliaft»'>t«^ii
Bedingungen, im Wege öiVent]i(dier 8ul)<kri|»tion, auch die er^te
grössere hauptstädtische Anleihe zu Staufh», indem auf sein An-
rathen die Anbote der einzelnen Geldinstitute zurückgewieseo
wurden.
Sein unter der Last so vieler Kämpfe und Arbeiten sieh
immer mehr und mehr erschöpfender schwacher Körperbau sebieoi
ungeachtet dessen, dass er noch 1875 an der Fusion der beiden
grossen Parteien, nn«l ix'inahc his 1S79 auch an den licichstsfifS-
verhandlungen lel)hafteu Antheil nahm, dennoch zu ermatteu und
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DBNKBBDK AUF AXTOK C8SMOEBY. 639
«
lunfällig za werden. Er sagfcc oftmals : wie gerne er sich tou der .
PoKtik surflekziehen und wieder der Literatur leben und die Ge-
schichte Ungarns von 1790 — 1848 schreiben möchte, für welche er
viele Vorstuclieii gemacht hatte. Er konnte es nicht thun ;
seine Vielheschiit'tigung und seine Kränklichkeit hielten ihn
« fortwährend davon zurück. Wenn er aber auch sein Buch
nicht schreiben konnte, zeichnete er doch seit 18Ö6 alle bedeu-
tenderen und geheimeren Evolationen des ungarischen poli-
tischen Lebens, an welchen er selbst Antheil nahm oder von wel-
chen er durch Deäc^s Mittheilungen Eenntniss bekam, getreulich
auf. Diese Aufzeichnungen, welche Ober die Geschichte so mancher
Frage, ja selbst über den Charakter De£k*8 ein neues Licht verl)rei-
ten, werden für die Geschichtsschreibung die*er Epoche »'ine un-
schätzbare Quelle abgeben. Er hat dieselben in seinen letzten
Jahren noch einmal durchgesehen, und ihre namhafteren Partieen
gleichsam zu einem Memoire yerarbeitet. lu den letzten Monaten
konnte er wenig mehr arbeiten, nahm aber an den öffentlicheu
Angelegenheiten, RathschlSge ertheUend, Botschaften sendend,
noch immerfort Antheil. Erstarb in seinem Armsessel, angekleidet,
wie der Soldat aurseinem Wachposten.
Wie in seinen letzten Augenblielven, so wurde er sein gan-
zes Leben hindurch von der \'aterlan(lsliebe getrieben, vom Pflicht-
gefühl geleitet, von der Ehrenhaftigkeit gehoben, von der Thätig-
keit belebt, und vom Bewusstsein belohnt. Er war eine einfache,
ernste, thatkräftige Natur. In ihm war kein Pathos und Schauspie-
lerthum, aber desto mehr tiefe Empfindung und Wahrheit ; kein
Hochmuth, keine Überhebung, aber desto mehr Würde und Gha-
rakterkraft. Er war ein wahrer Mann, der seinen Platz ausfüllt, und
sich nicht einmal unabsichtlich dorthin rerirrt, wo er nicht an
seinem Platze ist ; ein Patriot, der starkes Natioualgefühl mit
europäischer Hildung, die Traditionen unserer Vergangenheit mit
den Ideen der Neuzeit verschmilzt, stunune Begeisterung mit aus-
harrender Arbeit paart, unablässig predigend, dass man dem Va-
terlande zu jeder Zeit, an jedem Orte dienen könne, und dass
Nichts bedeutungslos sei, was zu seinem Wohle dient In unserem
Vaterlaude hat es zu keiner Zeit an grossen Talenten gefehlt,
welche Yon Ehrsucht oder Leidenschaft auf die öffentliche Lauf-
640
Va LAimiüSllÜCRBlUViMTIUUniO.
bahn getrieben wurden und dort eine rege Thätigkeit entwickelt«!,
ja selbst im letzten Ungarn erwacht zuweilen jene Begeiitteniiig,
in kritischen Zeiten, in grossen Momenten sich ffir das Wohl des
Vaterlandes aut'ziiojiferii : al)er (»hiie Elirnm-lit, <»liiif Kitflkeit das
Vaterland zu liel)en, im N erbcirgeuen und <^eriiuschl«>s für des>tii
Interessen zu käiupt'eu, unter allen LebenaverhUltniHseu und viel-
leicht selbst uuter kleinlichen Umständen ausdauernd und unnw-
wegt die Putriotenpflicht za erfüllen — alles dies sind Eigen.>>chat>
ten, welche bei uns zu den selteneren zählen. Die Lücke, welche
Gsengeiy bei uns zur&ckgelassen hat, das Grab, welches seine ge-
segnete Asche deckt, das Thütigkeitsbild, welches sein Lebenslauf
▼or uns entrollt, mögen uns an die Gesammtheit dieser Kigen-
schaft/in, dieser Httrger-, sozusagen hürg«*rli('lien TugiMiden g»'-
nuilinen, deren wir su sehr bedürftig sind. Wenn Ungarn seiue
wiedereroberte »Stellung behaupten, ja dieselbe höher hiuaufrückeu
will, thun ihm je mehr von solchem ( leiste beseelte Bürger notli.
Dieser Gemeingeisi, diese ausliarrende Arbeit ist eine unserer Exi-
stenzbedingungen. Ohne dieselbe bewahrt uns weder die Gutist
des Geschicks, noch die liiacht des Genies vor dem Niedergange.
Dies müssen wir uns immer mehr zu eigen macheu, uns immer
mehr das Dichterwort einprägen :
Denn du» o VaterlauU, niusst leben
Und, ewig lenzgleieh blüh'n und grünen,
Weil, iirb, wir >fll).st in's Ni<lits SEerstöben
Aul" deincb üutergang'ö Kuineu,
0 Vaterland!
DIE LANDES-liCCHERAUSSTELLUNG.
Die letzten Monate haben ein 1)edeutendes Mcunent in il»-r
Entwickelungsgescliiclite des ungarischen Kunstgewerbes zu ver-
zeichnen. Das zur Hebung des vaterländischen Kunstgewerbes und
Kunstgeschmackes beruieue Ungarische Laudes-Gewerbeninseum
hat einen neuen Weg eingeschlagen, um das Interesse der bethei-
ligten Fachmänner und des grossen Publikums zu erregen, es hat
neben seiuen permanenten Ausstellungen in den MuseurasroumeD
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DIK LANl>E.SBÜCHEKAUä:$TBLLÜKO.
641
ttp^fonncTi grö.ssero periodi.sclie Expositionen aus »•in/clneii Zweigen
des Kunstgewerbes /m veranutalteo, und ist sein erster diesbezüg-
licher Versuch über Erwartung vorzüglich gelungen. Die vom
Senatsprasidenten an der königl. Curie Georg v. Bath unter Mit-
wirknng zahlreicher Fachmänner und unter thatkräftiger Untere
stfitzung des Kultusministeriums veranstaltete Landesbücheraus-
stellung, welehe vom 5-ten Marz bis 15-ten Mai 1. J. eine immer
•j^ÖH<ere Anzahl wiHshef^ieriger Besucher in die Räume d^r Landes-
bildergallerie lockte, errang vollaul',deii Erfolg, weklieii » in gros-
ses Ziel und eine umsichtige Leitung unter allen Umständen ver-
dienen.
Der Anfang vrurde mit einer Specialausstellung aus dem
Gebiete der Buchdrucker- und Buclibinderknnst gemacht, theils
weil ^ch dieser Zweig des Knustgewerbes bei allgemeinen, mehr
umfassenden Aus.stelluuyen an der Seite von atiirker in das Auge
fallenden Ohjekten nicht recht geltend machen kann, theils und
besonders, weil die geschmackvolle Ausstattung eines unserer noth-
weudi^'sten Tvebensbedürfnisse, des Buches, vom grössteu Einflüsse
auf die Veredelung des Geschmacks ist, und es auf diesem Ctebiete
am leichtesten ist, durch die bei solchen Ausstellungen rege ge-
wordene Conenrrenz bedeutendere Erfolge zu erzielen. Demnach
sollte also eine historische Zusammenstellung der in Ungarn ge-
druckten und gehundeuen Bücher die Hanptaufgahe der Au.sstcl-
luu^ St ill, doch wurden nach und nach in Verwirklichung eines
Yon Wilhelm Fraknöi bereits im Jahre 1877 gehegten Planes auch
andere einschlägige Gegenstände in den Rahmen der Ausstellung •
. einbezogen, welche einerseits den Gewerbetreibenden, andererseits
den Gelehrten willkommene Gegenstönde eingehenden Studiums
sein sollten. So namentlich die von Ungarn oder für ungarische
Besteller geschriehenen Handschriften (hesondors Codices Corvi-
niani), welche den Miniaturmalern und Kalligraphen als Muster die-
ueu konnten, im Auslande gedruckte und theilweise von ungari-
schen Buchhändlern bestellte Incunabelu, welche die Vergleichs-
objekte für die ersten Erzeugnisse der ungarisclien Buchdmcker-
kuDst abgaben, schliesslich im Privatbesitze befindliche interessante
Handschriften und Druckwerke, für welche sich so bald wieder
keine Gelegenheit bieten dürfte, anch von den den Besitzern femeste-
. j ^ . . y Google
642
DIE LAMliBSBÜCUBRAU8»lKLLU2ia
hende» Fachgelehrten eingesehen zu werden. Somit können wk
die in der Landesbficherausstellttng znr allgemeinen Beaichtiguiig
Torgelegten Objekte in folgende acht Gruppen tbeilen :
1. Werke iin«^ai ]än(lis(]ier Copisttm und Miiiiatoivn. <larunter
besoiulera uii(ijari.sclie Sprai-bdeiikinäler luid (»fschiclitswerke. 2. In
ungarischen Bibliotheken autliewahrte Haudscliritteii, welclie zwar
auf Ungarn keinen Hezu^ haben, aber wegen der Pracht ihrer Aus-
stattung besondere Beachtung verdienen. 3. Eine möglichst voll-
ständige Sammlung von Codices Gorviniani 4. Bedeutendere Ineu-
nabeln, die sieh im Besitze ungarischer Bibliotheken befinden. 5. In
Ungarn gedruckte Werke von 1473 bis 1848. 6. Interessante
Druckwerke ans Privatsammlungen und sonstige bibliographische
Merkwürdi|Lj!;krlfen. 7. Di»' l)pd»Mitendereu Produkt« der nocli beste-
henden uu^iirist hen Dnu kereieii, und 8. V'ergaugeuheit uud Ge-
genwart der ungarischen liuchbiuderkunst.
Um eine Übersicht dieses bedeutenden Materials zu ermög-
lichen, hat die Ansstellungskommission von unseren tfiehtigsten
Fachmännern einen »Führer' * verfassen lassen, welcher nicht
nur dem grossen Publikum in leicht fiui.«HcheT Form jeden wBn-
schenswortlien Aufschluss über die luisgestellten Werke ertheilte,
und den Fachmännern die AuttiiKluiiL:: jener Werke erleichttTt^.
welche sie zum (xegeustande ilirer sjx cit-lb ii Studien zu machen
wünschten, sondern auch eines unserer bedeutendsten biblic^pbi-
schen Qnellenwerke bildet.
Dieser im Laufe von drei Monaten zweimal aufgelegte „Führer^,
* „Kalauz az Orsz. ISagy. Ipannüveszeti Mii/enm resz^röl iend«Mtt
kÖnyvkiiiUitaslioz." (Führer zu der vom ünj?. Landos-Gewerberauseum ver-
anstalteten Bü«;herau88teUung. Budapest. mCCCLXXXlI. 4^ 2»;ö S ). Die
zweite vcrmelirto und verbessorf \nfla<;e diosps Werkes führt il»^n
Titel : „KönyvkiiiUitasi enilek. Kiadja az Or.szägos Majryar Ijianiiüve-
szeti Mnzeinn. A ,Könyvkiiillitiijji Kulanz* 2-ik bövitett kiadii^^ii.'* i'An-
denken an die LandesbüclieniusöU'lhni^'. ili.Tausgegeben vom l'ng. Land-s-
(lüwcrbt luuseuni. Zweite vermehrte AuHago des „Führers zur Büchfraiis-
8telluiig/ Budapest, Kommisnoii ron Friedrieh ^ian. MDOCCLXXXII. 4*.
267 8. Preis 2 fl. 70 kr.). Ferner enchien ausaer einem ungaruchem Aoa*
7.ug dieses Katalogs noch folgender, yon A. Saemere yerfasster Führer in
franxOsischer Sprache : „Visite & Texposition des lirres an palais de IW
d^mie. A. de Ssemeie. Budapest, HDCCGLXXXa." kL i^. 46 &
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DIU UNDlSBÜCHBRAüSCrreLLVirO
ein gtiUizeiides Zeugnifis für die Leistungsfähigkeit unserer haupt-
fltädtiBchen Druckereien, ist mit seinen zahlreichen schönen Ini-
tialen, alten Handschriften und Druckwerken entnommenen Titel-
V»liUterri und Yigiirtteii, und lianptsiiclilicli mit s<'iii('m g^nliegeiicn
Inhalt«' «'in wirkhch uioiiuinentaloH Denknuil dieser Ausstellung,
und lüsst schon jetzt ahnen, wie reichhaltig die in Vorbereitung
hegriffenen Werke sein werden, welche sich zur Aufgabe gestellt
haben, das hier aufgespeicherte Material f&r die Wissensehaft zu
verwerthen. An der Hand dieses Prachtwerkes wollen auch wir
▼ersuchen, ein möglichst treues Bild yon der Mannigfaltigkeit und
Reichhaltigkeit der Ausstellung zu g»d)en.
In <lei* ersten der oben .ski/./irtcn aclit < irnppeu verdient insltc-
Mouderc die beinahe vollständige Sammhuig ungarisclier Sprachdenk-
mäler vom Aufan go des XIII. Jahrhunderts bis 15^9 hervorgehoben
zu werden, an der Zahl vierzig Handschriften, welche eine unschätz-
bare Quelle der Geschichte der ungarischen Sprache bilden und
in solcher Vollständigkeit noch niemals an einem Orte beisammen
waren ; ausser den hier ausgestellt gewesen Codices sind uns flber-
haiipt hlos noch scclis alle Handschrilten in nngarisc^lier Sprache be-
kannt, danuiter freilich einige der ältosten : das Königsberger
Fragment aus dem Xl\'., sowie der Khrenfeld-Codex und der Wie-
ner Codex ans dem XV. Jahrlumdert. Die TJngarische Akademie
der Wissenschaften hat schon fast alle diese Werke einer genauen
Herausgabe gewürdigt, und beschäftigen sich unsere Gelehrten
sclion seit geraumer Zeit mit der Verwerthung des in denselben
enthaltenen literarhistorischen, grammatikalischen und syntakti-
schen Stoffes, eine Arbeit, die nniso grösseren Il]rfi)lg verheisst. da
ein nicht geringer Tlieil dieser Handschriften mit ziemlich grosser,
manchmal sogar mit absoluter Sicherheit datiert werden kann und
wir z. ans dem ersten Drittel des XVI. Jahrhunderts fast aus
jedem Jahre datierte ungarische Handschriften aufzuweisen haben.
Die Tortreffliche Beschreibung dieses Theiles der Ausstellung yer-
dnnken wir dem verdienstvollen Herausgeber altuugarischer Sprach-
denkmäler, Georg Volt', aus dessen Aufsatz wir insbesondere den Uni-
sf and erwäbncn. dass der zwar nicht bt'son«U'rs w» rtbvolle aber inmier-
\\\n interessant«' ("oilex Nr. 8!» aus dem ersten Viertel des X VI. dahr-
hunderts, seit 1877 Eigenthum des reformirten Ljceums zu Miskolcz,
DIE LAND£8BCCflKRAUS.STBLLl KG.
Itisin r ganz uiiljc'kanut war. — Eine weitere Serie von sechzig
Uandschrifteu gibt uns erwttnscliten Aufschluss Über die Tbätig-
keit ikr alten nngarischen Copisten und Miniatoren, welchen erst >
»eit kurzem durch die eifrigen Bemühungen Johann G«onton*s
▼erdiente Würdigung' zu tlieil wurde. Während Franz Toldriro
•lahre 18()2 aus dem XIV. und X\ . Julu liiiiidfrte Mos zwölf uuga-
risi-lie Co|>isr»'ii liiteiuisclier Haiidsfliritteii zu iieuneii wiistitt'.
(VYatttuliuc-li in neinem „bchrii'twesen des Mittclulterä^ kennt
keinen derselben) können wir schon jetzt nach wenigen Tab-
reu emsiger und angestrengter Forschung auf mehr als hao- |
dert solcher Copisten hinweisen. Die überwiegende Mehrzahl
der von ihnen copierten Werke ist zwar theologischen Inhal-
tes nnd findet mau unter ihnen nur ausnahmsweise Klassiker,
sowie j)liil<>suj»liisclie und uuturwisscnseliattliche Schrift**n, dtuli
kommt diesiuul der Inhalt der kopierten Werke blos in zweiter
Ittjibe iu Jietraelit ; die Hauptsache hleiht, dass unsere Compatrioten j
aneh vor Erfindung der Huchdruckcrkunät durch das Copiereu und |
Illuminieren von Büchern ihrer Pflicht der vaterländischen Kultur
gegenüber genüge leisteten, nnd dass sich ihre Werke ähnlichen
Arbeiten des Auslandes kühn sn die Seite stellen lassen.
Dass diesen von Ungarn geschriebenen nnd illuminierten
Kaiidsehrit'ten aueh liir die Geschichte der nngarischen Malerei
interessante Daten zu entnehmen sind, ertahren wir aus einem kur-
zen Artikel Karl Pulszky's, welcher höchst interessante lieiträge
zu den Kesultateu bietet, welche sich Franz Römer und Arnold
Ijiol^i aus den spärlichen, schlecht erhaltenen nnd nicht datierten
Oberresten von Wandmalereien in ungarischen Kirchen über die
fireschichte der älteren ungarischen Malerei ergaben. Die Ifalereien
in unserem ältesten Spradidenkmal vom Anfange des XIII. .lahrh.
stehen noch ganz unter )>y/.untiiiiselieni EinHus.-^e, doch zeigt sicli
in seinen vier ^nnsseu Illustrationen (die Kreuzigung und Eiubul-
samiruug Christi, die Kreuzesabuahme, die Marien l)ei dem Gniln'
«les Herrn und der Erlöser auf dem Throne) besonder« im Ansdnicke
der Köpfe nnd in der Bewegung der einzelnen Körpertheile, leb-
hafte Beobachtung der Natur. Der Westphäler Heiorich Stepht» <
Pfarrer zu Csukard im Pressburger Komitate, war nach seinem 1377
gemalten und an den »Styl der JJurgundischen Malerschule eriii-
mx LANDK^BÜCHRBAtOIRTItlXinrO.
645
nf»rn<l<»n <Jr;nior Missal«' /n iirt «»in sehr ifoübtrr KünsM<M- :
s«Mn»' Ku]ik»*n innl Hliinu'ii sowie drr I Hnt«'i^niiHl seirirr Jülth-u
xeugen von t rappiremlnin Realismus, der Faltenwurf seiner freilich
ziemlich .steifen menschlichen (gestalten von vielem (feschmack und
sorgfältiger Detailaiisfahmng. Italienischer Einflnss lässt Rieh in
dem Miasale des Ladislaus von Miskolcz (Maria und Johannes am
Fasse des Krenzes, aus dem Jahre 1394) erkennen, dessen Gestal-
ten trotz der im (ranzen weniger feinen Anaftihrung durch l)e<len-
tendere Couception. innigen Ausdruck und weichen Falf' iiwurt wir-
ken. Denselben < M'jrensfand finden wir in <lem grössten «1er sechs
iVHuiatureu dargestellt, mit welchen ein l u bekannter des XiV. Jahr-
hunderts das Missale Nr. l«» schmückte, und von welchen wegen der
originellen Auffassung das Bild des Königs David besondere Erwäh-
nung yerdient, wie er den Anfangsworten des Psalms gemäss (Ad te
levavi animam meam Dens meus) auf den Knien ruhend ein Wickel-
kind, seine Seele, dem über ihm erscheinenden Erloser überreicht.
V<»n «hMi ü]>rig<Mi Fildern aus diMu \IV. .Tuhrhuiidert erinnert «-ine
Verkündigung Mariae in einem Augustinus «le doctrina christiauu
(\r. 14) au den Verfall des Byzantinischen St vis, während das Kreu/
und das £cce Homo in dem Miasale Nr. 15 durch die primitive
Ausführung auffallt. Die von Ungarn gemalten Handschriften des
XY. Jahrhunderts (zu welchen die Ck>dices Gorviniani selbstver-
ständlich nicht zn zählen sind) sind durchgehend» im gotischen
.Style gehalten ; und scheint es eine besomlere Eigenthümlichkeit
Von Handschritt^^n ungarischer Provenienz /u sein, »lass in ihnen
das gothische Laubwerk als Kaudverzierung im XV. Jahrlnindertti
sehr häufig, vereinzelt auch im XIV. Jahrhunderte vorkommt, so
aneh in dem jetzt zu Augsburg aufbewahrten Ptolomaeus ann dem
Jahre 1465, dsssen Initialen jedoch schon ganz im Style der Renaisn
saucp gehalten sind. Am werthvollsten unter diesen Handschriften
sind die Protokollbücher der Bergstadte Kremnitz (1426) und Schem-
nitz n 1^»-). w«]'lche wahre Meisterwerke gothisclier Kunst enthal-
ten. L<'tzter»' mit Jesus auf d«'m Kreuze als 'riteHtild sind ein Werk
des ^Chemnitzer Bürgers Valentin Uobil, doch muss dieser dem
unbekannten Meister, der die Kremnitxer Stadtakten mit seinen
zwei kostbaren liluatrationen schmückte (Christus auf dem Kreuze
mit Maria und Johannes, das letzte Gerieht), unbedingt die Palme
I
f
64A ' . DIB LANPBSBOCBBBAÜSSTBUDX«.
reichen ; nnd streigert sich noch unsere BewDuderung ftVr die Bega-
Inuig «U's Künstlers, wenn wir liedeiik^n, iluss er die beiden einzigen
übrig gebliebenen Zeugen sein»'r Kunst in df'nisell)en Jalir»« »cliiii,
welches durch <len Altar der Hriider Eyck zu G-eat iu der Kunst-
geschichte der Transalpinen Länder gleichsam znm Markstein einer
neuen Epoche wurde.
I>ie letzte Abtheilnng dieser ersten Gruppe bilden die unga-
rischen GeschichtsqueUen des Mittelalters, fQnfundsiebzig meist
lateinische Handschriften rom Anfangt des XIH. Jahrhnnderb
bis zur Schlacht bei Mohnes (ir)2r)). uelcln' sieh zwar nur >cli\v»»r
in den Kalnn<Mi einer < ieNv«'rl)euusstt*lhing einfügen lassen, aber l't i
den Historikern und zwar in erster Reilie bei den Kulturhistorikero
sicherlich nicht den kleinsten Skrupel über die Berechtigung dieiies
Theiles der Ausstellung aufkommen lassen ; denn noch nie hatten
sie Gelegenheit, so viel werthvoUes Material an einem Orte benfitxen
zu können, mögen sie sich nun mit den Legenden der heilig ge-
sprochenen nngainRchen Könige und Königstcicher, den verschiede-
nen Uncrnrisoheii Kronik^'U. »Im S(;itiit<Mi in T nt^arn aiisässisfer
geistlicher Onkui, d<Mi Ue( linungs)>üchern nördnngarischer »Stiidte
(Eperies, Tirnan, Bartfeld, Krenmitz etc.) oder mit d«'r Zusainmen-
Stellung der Überreste ungarischer Bibliotheken des XIV. und XV.
Jahrhunderts (di r Garthauser zu Lechnitz und Liitökd, des Johan-
nes Yit^z und anderer Humanisten etc.) eingehender besehafdgeo.
Die an letzter Stelle erahnten Handschriften bilden den
Ubergang zum < Jlanzpunkte des historischen Theiles d(M* Aussj-elhinj;.
zur tirnpp«' der ( 'odi( «'s ( "oj viniaiii. Die lIotliiMioiln-ken zu W]<^u.
Dresden, l*etersburg und Farma, die Büdiofhek des Jesuiteukoiie-
giums in Wien, die Marciana in Venedig, dir Laurentiana in Flo-
renz, die Staatsbibliothek in München, die Bibliotheken der Bene-
dictinerstifte zu Molk und Göttweih, der Uniyersitäten Jena nnd
Prag, die k. k. Studienbibliothek iu Salzburg, die Bibliothek des
Gymnasiums zu Thom, des Kationalmusenms, der Universität und
der Akadenne zu lhuhi]>est, des bischrdlichen Seminars /u Iva^h, die
gräflich Teleki'sclw* Bibliothek zu Maro<-A'a'Narh«'l \ . dir histrikt?-
)>ibliotht'k zu (irau uiul die Fran« iskaner-lÜhliothek zu Pressburg,
haben der Büchrrausstelhmg ihre kostbarsten Oimelien mit der
grossten Bereitwilligkeit überlassen und durch ihr Tereintes Be-
DB TiAin>E880CHBRAüB«riLi;DirO. 647
mflhen Tienindsechsig Werke ans der Bibliothek des Königs
Matthiiui znaammengebrachC, eine Zahl, wie aie seii der Mitte des
XV] . Jahrhnnderts, also seit mehr als drei hundert Jahren nimmer
inu\ nirg' iuls heisaminen war. Diese schon ;iu sirli bedeiit<^ndo Zalil
gewinnt noch an Interesse, wenn man das liesultat der neneshMi,
fast ausscliliesslieh von ungarisrlien Gelehrten der Piri"or«chuug
der GoiTmaüberreste gewidmeten Untersuchungen in Betracht
zieht. Während niinilieli von den hundert oder liundert und drei
lateinisch«!, griechischen nnd arabischen Corvinahandschriften,
welche Yogel (1849) und Edward (1869) verzeichneten, blos ftlnf-
undvierzig unzweifelhaft der Corvina angehört haben, und auch
der um vieles genauere Fischer (1879) blos ' von zweiund*
sechzig sicheren und dreiundfthifzig wahrscheinlichen Corvina-
handsclirifteii authentisclic Kunde hatte, koiml«' I?()uier schon 187(5
konstutiren , dass ihm vicrnndachtzig sichere Codices Corviniani
ans europäischen Bibliotheken bekannt seien, und veröficntlichte
Csontosi vor kurzem, um der Kommission der l^an<l<'s1)iirheraus.stel-
lung ein sicheres Urtheil über die auszustellenden üandsehri^n
zu ermöglichen, ein äusserst lehrreiches vBibliographisches Ver-
zeichniss lateinischer Gorvina-Codices' (Magyar Eönyvszemle,
1881. p. 137 — 176.)i in welchem er aus dreinnddreissig Bibliothe-
ken hundertundsieben solche Corvinahandschrilten heschreiht, ülier
deren Aiitlienticitiit das an densflhen. sei es am Kinhande. sei fs am
Titeil tlaftf aiig('l)ni( hte Wappen de^ K'inigs Mattliias auch nicht
den geringsten ZweÜ'ei aufkommen läsät.
Wenn wir nun auch diejenigen zwei oder drei angestellten
Corrinahandschriften in Abrechnung bringen, von denen man nicht
mit der nöthigen Sicherheit behaupten kann, dass sie einst in der
Bibliotheca Gorviniana gestanden, so war doch immerhin mehr als die
Hälfte der bekannten sicheren Godiees Gorviniani ausgestellt nnd bot
diese Sammlung eine wohl kaum jenjals wieder v.u (nliofl'ende giin-
.stige (telegenheit, um diese, in die entlegeusieu Tlieile Euroj^as
zerstreuten Schätze besonders aus kuusthistoriscliem Interesse zu
untersuchen.
Es gereicht uns zur Irrende niittheilen zu können, dass un-
sere Kunsthistoriker mit Dr. Karl Pnlszky an der Spitze nicht ver-
säumt haben, diese Kunstschätze eingehend zu studieren und dass
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«48
niK 'LAI9l«f>1tO(^llRRAUSm!LI.rH<l. «
sie die Resultate dieser For«iohuiig^ii in einem mit FaesimileR m-
sebeiipu Prachtwerke niederlegen wollen.
Viel iK'Schoideiif r al^ die <i;l;*mzf'nrlp lif^lio (li»^s«'r voii .loliann
Csniitosi mit ixewnhntor (lonanii^keit l)f'srliriel)«^ii»'n r'orviualiaml-
srliriften, nimmt sich oiii Ap^iemlix (lerselfx'ii aus, eiuundsiebzig
Hamlschrilteu des IX. I>is \ \ . .lahrhuiiderts, welche im Vpreine
mit den schon oben erwähnten ein beredtes Zeugniss f&r den Kai-
tnrsinn des- ungarischen Mittelaltero ablegen. Den ersten Rang
unter denselben nimmt der sogenannte Codex Aureus der Batihja-
iiyischen Bibliothek zu Karlsbnrg ein, eine prachtrolle Evangelien-
hnndschriffc vom Ende des neunten Jahrhunderts, mit /ahtreichen
AMniaiiireii, Ramlvpr/.ienni«(en und /wci ^ross<Mi Uildcrn dor Evaii-
^elistfMi in ziemlii'li ]iriiiiiti\ er Ausf'iiliniii«^. l)i<'.S(' 1 laiuisrhrit't.
welclie blos die KvaiiL(t*li<'n Mattliaei und Lucae enthält, ist ilie
älte.ste und praciitvoU.ste UandHckrift im Lande, und ausser dem
.Codex aureus quatuor evangeliorum^'f dem einstigen Bestand-
theile der Corvinischen Bibliothek (jetst im Escorial), und einer
mit goldenen Lettern geschrielienen Bibel des Yicepalatins Paul
MiSghy (1529) auch der einzige Codex Aureus ungarischer ProTC-
nienz. Ausserdem finden wir hier eine Handschrift des X. Jahrhun-
derts von Paiil's Hrielrii au die Kthuer, drei Kxeniplare der Kvan-
<;elieu in L^riecliisclicr Spraclie aus «Icui X. un«l XI. Jahrluinil»'rt.
einen Buetius de aritlunetica, grometria, musica und zu Cicern's
Topica aus dem X. Jahrhundert, einen Virgilius aus dem XI. Jahr-
hundert, die ^riptores Historiae Augustae, Lncanus,*LiTius de
ßello Punico, die Episteln des Horatius, einen Lactantius de falsa
religione und einen Cnrtius ans dem XV. Jahrhundert (letztere von
philologischem Standpunkte nicht eben werthvoll zu nennen), xwei
altslarische Evangeliarien und ein altslavisches Psalterium an«
dem Xl\'. und XV. .lahrh.. zwei liud<lhistisehe Handsi-liriften. Werke
des j )scliagatai.s<'lieu l)icliters Mir Ali Sir. eine .\!nliari>elie Hil»» !
aus nnl)ekanuter Zeit, das liucli des Mardekliai-hen Uillel aus »Inn
Jahre 1373. di»* Diviiui C'orauiedia des Dante au.s dem XV. dahr-
himdert. schliesslich /ahlreiche Bibeln, P.salteria und andere Werke
theologischen Inhaltes. Kurz, dieses gleichfalls von Johann Osoo-
tosi verfasste Yerzeichniss kann mit den früher erwähnten getrost
die Grundlage eines ausführlichen «Catalogue generale* der in
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PIK UMtK-BÜtllKKAlISsTELliUNG.
04!»
TTngArn heP.iidlielieii ITniulschriftoii genannt werden, und wollen'
wir hoffen, das« das jüngst erschienene Handscbriftenverzeichnis«
<ler Bndf^ster UmTersitatBbiblioihek und die gflnstige Anfnahme,
welche ihm allerorts zu Theil wnrde, weit entfernt die Heransgabe
eines solchen G^neratkatalogs anf nnbestinunte Zeit zu Tertagen,
die betheiligten Kreise nur zu beschleunigter gemeinschaftlicher
Arbeit anregen wird.
Hierait achliesst die dritte Gruppe von Ausstollniigsgegen-
standeu, und was jetzt folgt, gehört dem Gel»iete der Buchdrucker-
Iranst an, demjenigen Gebiete des Kunstgewerbes, welches in Un-
f^tam. vor allen andern anf der höchsten Stufe der Entwickelnng
ftteht nnd welches allein nnter unseren sOdöstHchen Nachbarn,
ilen 8«rben und Rumänen, eine civilisatorische Mission erfüllt hat.
Der Proilronius des V('r/ei^•ll^i^'sp.s ungarischer Druckwerke besteht
au« sieh/.ig mehr oder wouig-T seltenen Incunabeln, deren Ver-
zeichnis-* wir Arpad Hrllolirandt verdanken. Wir finden darunter
das dritte datierte Druckwerk, de^i Durandus Ratiouale Divinorum
Officiomm, ein auf Papier gedrucktes Exemplar der zweiten Aus-
gabe Ton Fust ntid Schöffer*s «Biblia Sacra Latina* ans dem Jahre
1402, die Editio princeps der Epigrammata des Hieronymus Bal-
bns (Wien, 1494), die von Conrad Celtes besorgte Apuleius-Ans-
gahe (Wien, 14!l7), da?; von Wilhelm Fraknoi in der Krakauer I^ni-
versität?bil»lif)thek entdeckte Fragnieut einer ungariHchen Bil)el-
übersfHzung (das älteste Druckwerk in ungarischer SpracJie, welches
jedenfalls vor dem Jahre 15:59 erschienen ist) u. s. w. Ein beson-
deres Interesse verleiht aber tlieser Sammlung der ümstaud, dass
sie einige Druckwerke enthalt, welche in der bibliographischen
Literatur noch nicht verzeichnet wurden, daher wohl als XJnica
anzusehen sind. Es sind dies ein ans nenn Blättern bestehendes Heft-
chen aus dem Jahre 1 4^)0 (1 toOP), welches in neun Holzschnitten
,Die Anbeter Christi" darstellt (im Besitze der Bildiotliek des
evang. Lyceunis zu l'resshurg), ein deutsches Proguosticou auf das
Jahr 1473, das »Büchlein des Sterbens" in einer Ausgabe des Jah-
res 1339, eine zu Angsbnrg von Anton Lorg im Jahre 1479 ge-
druckte ^Historie von Troja**, welche Ausgabe in Zapfs Buch-
dmckergesebichte Angsbnrg^s nicht verzeichnet ist (ebendaselbst),
schliesslich ein ,Breviariuni Strigoniense" , welches Brhardns
Uogariwchc Ilevue, 188.2. VUI— 1\. Holt. 42
<t50 WE LAllDfl^BOCRtVAÜSaTELLinrO.
Uadtoldt im Jahre 1180 zu A t'in'ilitr «IriK-ki Ji li<>s. uinl ein
iiwi Kosten des Oliier Biuliliändlfrs .loluuni Paeji loiij /n W
iieilig gedrucktes Missale f^trigoiiieusü (beide iiu liesit/,e des Ung.
Nationalmuseums). Im Anschluss daran hesclireibt Ludwig Sii-
deezky einige lon der Badapeeter UiiiTersitätsbibliotkek Mige-
steUie interessaute Prognoetiea und Kalender für die Jalune 1478—
1496, 1483—1487, 1499—1531, 1514, 1518->1556^ welehe jedock
blos das grössere Alter vor den in Ungarn nieist in nngarischer.
seltener in lat<'inise]ier, deutscher und slaviseher Spnu'lie o^edrnok-
ten Kalendern voraus ha])e!i ; eine sehr lehrreiehe Colleetion dieser
schon der ungarischen Bibliographie angehörenden Hüehleiu vom
Jahre 1579 an aus den Stüdteu Tirnau (1579), Freistadi (1582),
Bartfeld (1583), Hermannstadt (1589), Debreezin (1593), feiner «m
Krens, Kaschau, Karlstadt, Gsepreg, PiCpa, Klansenbnig, MUchdorf,
Lentschan, Grosewardein, S^ospatak, SiUein und Gsik aus dem
XVn., Komorii aus dem äVhi. Jahrhunderfc (1704—1711), von
denen sich die Klausenburger und Leutscliuuer KaK iider in tprr»<?s-
ter Anzahl erhalten liaben, enthält die folgende Abtheilnuij; der
Ausstellung, in welcher an zahlreichen auserlesen Druckwerken
die Geschichte der Buchdruckerkunst in Ungarn vom Jahie 1473
an bis auf unsere Tage vorgeführt wird.
Wir unterscheiden drei grössere Perioden in der CSeechichte
der ungarischen Buchdruckerkunst. Die erste geht von 1473.
dem Jahre, wo Andreas Hess zu Ofen den Druck der .Chro-
nica Hungarorum" beendet«, bis zum Jahre 1711, dem Jahr»*
des Szatmärer Friedensschlusses, weh her nicht nur deshalb mit
Recht den Abschluss einer Periode bildet, weil er den erbit-
terten religiöaeu und politischen Kämpfen ein Ende bereitete,
sondern auch weil mit ihm eigentlich die Periode des Privilegiums
und der Gensur in der ungarischen Buchdruckerkunst anhebt Unter
dem Einflüsse dieser beiden Factoren stagnirte dann die Bueh-
ilruckerei, bis endlich der 15. März 1848 dem Laude die Press- nnä
Druckfreiheit brachte, unter deren Einwirkung die Buchdnu'kfM"-
kunst besonders seit dem denkwürdigeji Jahre 1807 die gröbsten
Fortschritte maclite. — Die Anordnung und theil weise Beschreibuog
der aus dem ersten Zeiträume unserer Buchdruokerkunst stammen-
den Druckwerke rtthrt von Karl Ssabö, dem bekannten ^bliognk
m Ii A N I )E SBÜ C H EB AUSft'l ELLUK»;.
pheu her, dessen epochale , Altungarische Bibliothek" (Hegi Ma-
gyar Köuyvtar. Budapest, 1879. Verlag dar Akademie) das erste
anBahemd ToUständlge und bibliographisch genaue Yensetchuiss
der bis zum Jahre 1711 in' ungarischer Sprache gedruckten Werke
184, und Ton welchem an eigentlich der Aufschwung in der unga-
rischen IJihliographie thiti»n*t. Kurl Szalx» hat in diesem Werke nicht
weniger als 1789 uiigarisehe Druekwei ke hesehrieheii, wovon eines
aus dem XV., 371 aus dem XVl., 1249 ans dem XVll. Jahrhun-
dert, 168 aus der Zeit von 1701 bis 1711 stammen, und Ton wel-
ehfin kaum ein Drittel aus fremden Sprachen übersetzt ist, mehr als
die Hälfte theologischen Inhaltes ist, während die übrigen
grdsstentheils aus Schulbüchern, Kalendern und besonders Wer-
ken der schönen Literatur bestehen, jedoch nicht ohne dass auch
hi.storische, juridisclie, nuturwissenseliattliche u. a. Werke vertre-
ten wären. Schon aus diesen wenii^^'u statistischen Daten, die wir
mit zahlreichen nicht wenigt-r iiit«'ressanten vermehren könnten,
ist ersichtlich, welch reiches Material diese Abtheilung der Aus-
stellung in sich vereinigte ; fügen wir noch hinzu, dass seit dem
Erscheinen von Szabö*s bibliographischem Werke auf Anregung
desselben mehr als zweihundert uugai-ische Druckwerke desselben
Zeitraumes entdeckt wurden, wird man sich auch nicht der Ein-
sicht ver8clilie<sen kininen, ilass es im Interesse nicht blos der (to-
schichte der eiuzehieu Wissenschaften in Ungarn, sondern in erster
Reihe im Interesse der Geschichte der ungarischen Buchdrucker- .
konst gelegen war, eine möglichst yollständige Sammlung all dieser
Dmckwerke zusammen zu bringen. Andererseits mnsste man aber
berfl6ksichtigen , dass die lateinische Fachliteratur in. früheren
Jalirhunderten' in Ungarn geradezu dominirte, dass manches auch
in deutscher und slavisrhcr Sprache gedruckt wurde, dass daher
eiue Ausstellung, die sicli auf Werke m Tingarischer Sprache,
beschräukte, notliwendigerweise ein. unvollstämliges und verzerrtes
Bild sowohl unserer älteren Literatur als auch unserer älteren
Bachdruckerkunst geben mnsste. Mit Recht haben sich daher di<«
Veranstalter der Landesbücherausstellung nicht darauf beschränkt^
die bei Szabo yerzeichneteu und die seit dem Erscheinen seines
Buches neu aufgefundenen ungarischen Druckwerke dem Publikum
vorzuführen ; in richtiger Erkeuntuiss dessen, ilass sich nicht so
42»
j ^ y Google
i(S2 pnt JikVTmwOrmmhVimrixrno.
\r,i]i\ wii'tlor < H'lp<^**nlioif fiinloii iliirlt*», ein«? so jjrosse AlieaW
seltoiifM" I)rnck\vprk<» uns den ciiiloufciishMi l:>il)liotln'k('ii an e\nm
OrU' dem Htudimn zugäuglicli /u iimrlion. liut ninii anf? mehr als
zweihniiderf öffentlichen und Privatbibliotheken alle Druclrvverke *
nu.igewählt, welche yon der Einfiihrang der Bachdnickerkunst ii
Ungam nn (1473) bis xum Jahre 1711 in den L&ndmi der heiHgni
Stephanskrone in welcher Sprache immer erschienen sind. Am
dem auf solche Weise gesammelten Materiale konnte Kail Sssbö
8oine hihliographischen Notizon heträclitlich vermehren, nnd wird
e<? hoffoiitUoli luchi mehr lange danern. wir von seiner Haml
eine vollständige vaterliindisehe Mil)liogra])hie von 1 173 bis 1711
erhalten. Die (irnndziige hiezu enthält ein nnserera ^Führer* ein-
verleibter Aufsatz, welcher zugleich eine lehrreiche Skizce der (k-
schichte der Bnchdmckerei in Ungam bietet.
Die Anfange unserer Buchdruckerkunst waren yiel yersprp-
chend. Schon zu Anfang des Jahres 1473 finden wir den dm-cli don
k«iniglichen Vicekanrler Ladislans Oerel» aus Italien nach l iigurn
berufenen Andreas Hess zu Ofen mit dem Drucke lateinischer
Werke beschäftigt ; nnd können wir mit berechtigtem Stolze auf
die Thatsache hinweisen, dass die Ofner Druckerei nicht nar die
erste auf dem Gebiete der Monarchie gewesen, sondern dass «ie
Überhaupt unter die ältesten Druckereien Europas isahlt : in Bei-
ginm (Alost) und Holland (Utrecht) wurde die erste Druckerei im
Juhre 1473 errichtet, in England (Westminster) und »Spanien (Va-
* l>if Zii'<;ininienst«'llnn(r der in oincr amloni Spraclio al^ in doi
iiiigiirifclion ^etlmekton v.iU'rlilinlisrlicii linu-kworko f^oscliali auf die Woi-se.
dass V. Hätli ein \ tTzoirhniss d»M-jfni;4^<'ii dioser Werke vorütli-ntlKiite, welcln'
sich im Besitz»' der Bibliotli«'k des L'iiijja riechen NationahunseiuiH befinden,
und die Biblioihekävorütändc uui Bezeichnung der darin etwa nicht ent-
haltenen Weirke ennehte. Das Verseichnisa fahrt den Titel : »JogvzA
Mon Magyarorsz&gon ia Eird^lyben 1711-ig nem magyar nyelven njomfa*
tott mank&kröl, melyek a Nemseti Mnsenm kOnyvtiribaii Arintetnek. Boda-
pest, 1881. FiankUn-TAranlat nyomdAja." (8^ 44 S.).
** Das Hauptwerk Aber diesen Oeflfenstaod ist : magyar ajeu-
däaiat tört^nehni fejldd^ 1472-1877. Irta Dr. Ballagi AkdAr." (Die g«^
fichichtliche Entwickelong der Bachdruekerkunst in Ungarn 1472—1877.
Yon Dr. AladAr Ballagi. Budapest, Verlag der Franklin-Oesellschalt. 187K
8». ft48 S.).
DIB LAKDEfBOCQKBAÜsaTBUiOKU. 05»
lenHa) 147], in Bochiueu (Pil.s«D) luid roUii (Krakau) 1 }7.'>, iu
Oesterreich (Wien) und Däneniark (Odensee) 1182, in Schweileu
(Stockholm) 1483, and in maucheu auUeru Läuderu noch später.
l)u«b konnte die neue Erßndung bei uns anfaiig» nicht recht Fu»h
iaastßk ; aus unbekannten GrOnden gieng üess* Bnekdruokexei bald
aiuy und larotB . dem, dass wir im letzten Drittel des XV, Jahrhun*.
derts mehrere tttehtige Buchdrucker ungarischer Herkunft in Städ-
ten Italiens und Frankreichs bei der Austtbong ihres Gewerbes
antreffen, musste Ungarn länger als ein halbes Jahrhundert sich
ohne Druckerei litdiellen und waren die geistlichen Behörden sowie
die uns vom Jahre 1484 an in ziemlicher Anzahl bekannten Ofner
Buchhändler schon 1480 gezwungen, ihre Missalien und andere
Verlagsartikel in Nürnberg, Augsburg, Brünn, Verona und Vene-
dig drucken zu lassen. Auch waren diese Druckwerke, wenngleich
auf ungarische Qegenstfinde Bezug habend und für Ungarn be-
stimmt, ausschliesslich in lateinischer Sprache abgefasst, mit ein-
ziger Ausnahme des 1484 zu NOmberg gedruckten Lobliedes auf
die rechte lland des Ii. Stephan. Erst der Keligionskrieg iu Folge
der Retbrniatiou führte in dieser Beziechuug eine entschiedene
Wendung zum Besseren herbei. Die tonangebenden Kreise der Ue-
ion^ation konnten jetzt nicht mehr mit den entlegenen Krakauer und
Wiener Druckereien vorlieb nehmen, die vitalen Interessen der Ge-
genwart zwangen sie ihren Bedarf an Büchern (in erster Reihe Bibeln
und theologische Streitschriften) im Vaterlande zu decken, und so fin-
den wir iu Kronstadt schon 1534, wenige Jahre nach der zu Her-
raannstadt um 1529 aufgestellten aber bald wieder eingegangenen
Handpresse, den bekannten Reformator Johann Honter eifrig be-
müht, den Lehren Luthers durch den Druck möglichste \ c^-brei-
tuug zu sichern. Denselben Zweck verlolgte die von Thomas Na-
dasdi, Ban you. Kroatien, auf meinem zu Ujsziget (Neanesos, iusula
Nova) bei Sarvar im Eisuiiburger Komitat gelegeneu Gute errich-
tete Buchdruckerei (1536 — 1541), die erste iu Ungarn, die in unga-
rischer Sprache abgefasste Werke veröffentlichte. Honter und die
Leiter der Üjszigeter Druckerei, Johann Sylvester und Benedict
A\M& erdfinen die lange Reihe der mit wahrem Feuereifer für die
Reformation thätigen Muchdrucker. Ihrem Beispiele folgte der
tüchtige Historiker Caspar lieltai, der im Jahre loöO zum Seelsor-
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654 LAlTDSSBOaiERAtlWrKLLimO.
_ t
ger der protestantiselieii Oemeiude zu Elausenbiirg erwiihltr dort
allsogleieh eine Buchdruckerei errichtete, die er «eitweilig in G«-
meiiiscliaft mit < M.'org Hoü'gn'ff bi.s zu s*'inein Tode (157Ö) leitete,
und die auch noch unter der Leitung seiner Er])fMi (bis lt>:;i)).
sowie .später, nachdem sie vom Fürsten Apafi dem Klausenburgor
und Gro88-£uyeder refonnirten CoUeginm geschenkt wurde (lti72).
nicht nur der Sache der Reformation grosse Dienste leistete, sondern
auch in technischer Beziehung den Anforderungen der Zeit entspfack
Doch während in Siebenbürgen * das Überwiegen der Re-
forniirten die unj^estorte Existenz der Kronstiidter, Khuist'uVmi-
ger und Hermannstiidttn* (seit IT)?")) Buchdruckereien sicherte, ja
die unitarisehen Druckereien zu l\arlsl)urg (15ti7 — l-*)?!) und
Gross-Schlatteu (loOÜ) durch den röm. katholischen »Stephan Ha-
thori -zum Schweigen gebracht wurden, hatten die ungleich zahl-
reicheren protestantischen Typographien Ungarns einen auBsero^
deutlich schweren Stand. H&tte nicht die reinste Begeisterung ffir
, ihre Sache sie entflammt, so wären sie sicherlich der un^gHcfaeD
Mühe unterlegen ; vor ihren unerltittliclieu W'riolgern von Ort zu Ort
zu fliehen, und dabei noch selbst die Typen zu verfertigen, das AVerk
zu drucken und auf den Jahrmärkten zu verschleissen, eri'orderte
wahrlich nicht geringe Willenskraft. Die bedeutenderen dieser wan-
dernden Typographen sind der reformirte Prediger Gallus Hnsiir,
der 1558 — 59 zu Üugarisch-Altonburg, 1561 — 62 zu DebiecoD,
1573 — 74 zu Komj^ti seine Druckerei aufischlug, — der polmsclie
Edelmann Hafael llot^halter ^K. Skizetuski, 1565 zu Debreczin, !
1567 — 68 zu Karlsburg), nach dessen Tode sein Sohn Kudoli zn ,
Alsö-Lindva (1573— 7 1), Nedelicz (1574), Debreczin (1577—1587), '
und Grosswardein (1584 — 85) das väterliche Gewerbe fortsetzte;
— dann Peter Bomemisza, Superintendent A. C, einer der fraehtr
* Eine der illt«■l•^•s^;lnt('stlMl Soltenheiton der Ausstelluii«^ war A\t
das urstt' und zweite Ituch Mosiw eiitlialtende rumänische Hi1)elUber>t'tzun|j,
welche vom Siebenbürgischen walachisclicn Bischof Michael Tordasi unter
• Mithülfe TOD vier Oelehrton verfasat iin Jahre 1582 auf Kosten Fnu»
Gessti*« Herrn von D^ya, durch Szerban und Marian «i Schftwlnixg ge-
dnickt wurde. Von Öffentlichen Anstalten beutet blos die Bibliothek do
NationabnuseunM zu Budapest und die Batthy&nji-Bibliothek ku KarUlrarg
jo' ein Exemplar dieses kostbaren Druckwerkes ; ein drittes soU »ick im
Besitze des Ganonicus H. Cipariu befunden haben.
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p» LAMDIABÜCBBlAUSfiTlSIiUDNQ. 655
baratei» theologischen Schrifbsteller des XVI. JahrhuiidertSf der
aeine dickknhigeu Postillen und andere theologischen Arbeiten /u
tSehintau (1573—1570), Dctrekö (1579—1581) und Kolubach
(1584) selbst druckte. Noch sind zu erwähnen Valentin Mantsko-
vit^j (1581—1585 zu Frei-stadl, 1589—1599 zu Vizsoly im Abaujer
Komitat), und besonders der Laibacher Buchdrucker Hans Manuel
(Manlins), den wir 1582 zu Gttssing hA den Batthy^yi's, 1587 zu
Varasdf 1587—1592 zu Eberau bei den Erdddrs, 1592—03 zu
Deuisch-Schützen, 1595 — 97 wiederum zu Oüssing, 1598 zu Kreuz
bei den Nadasdi's, ir)02 zn Sarvar, IGO;^ — IdOl wiederum zu
Kreuz unter anderem auch mit dem Nachdruck älterer Werke be-
schäftigt ßuden. Alles zusammen können wir die Zahl der in den
Ländern der heiligen Stephauskrone im Laufe des XVL Jahrhun-
derts entstandenen Buchdruckereieu auf dreissig augeben«. welche
mit wenigen Ausnahmen auch ungarische Werke druckten und
mit einziger Ausnahme der gleich zn erwShnenden Timauer Bnch-
druckerei insgesammt im Dienste der Reformation standen, welcher
sie ihre Entstfliuni^ und Erhaltung zu verdanken hatten. Ohne
Zweifel ge})ülirt ihnen ein grosser Tlieil der Schuld an der prekä-
ren Lage des Katholicismus gegen Ende ih s XVL Jahrhunderts
und war es daher natürlich, dass sie in erster Beihe von der katho-
lischen Beaction bedroht wurden, als diese endlich unter der FOh-
rerschaft des Kardinals Forgjich und des Graner Grossprobst^s Ni-
kolaus Telegdi kühn das Haupt erhob und der Bedrängniss der
Katholiken ein Ende bereitete, 'lelegdi hatte eingesehen, dass es
nicht mehr angicng, die apologetischen Schriften der katholischen
Partei in Wien und im Auslande dnukeu zu lassen; er kaufte
daher 1577 die seit vierzehn Jahren unbenützt daliegende Buch-
druckerpresse des Wiener Jesuiteneollegiums um tausend Gulden
an, und errichtete im nächstfolgenden Jahre zu Tirnau die erste
katholische Druckerei im Lande. Im letzten Drittel des XVL Jahr-
hundei-ts hatte diese Druckerei, die 1003 in den Besitz des Press-
burger Donicapitels, 1035 in den der Tirnauer Akademie übergieng,
mit welcher sie 1777 als Fniversitätsbuchdruckerei nach Ofen ver-
legt wurde, allein den Kampf gegen den Protestautismus und seine
noch übrig gebliebenen neun Druckereien zu fahren, und dass sie
diesen Kampf glorreich bestanden hat, trotz dass dem 1581
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656 DIB iiAMPBSBOoBSRAüssnuinre.
herausgegebenem Edikte Kaiser Rudolfs, demzufolge alle oioe
Privilegien arbeitenden Druckereien, d. h. mit alleiniger Ausnahme
der Tirnauer, alle Druckereien des Laiideö ilire Arbeiten eiustellfii
sollten, keine l'olg«' geliistet wunii-, Ijeweist iiuter auderii iiiuli dtr
Um«tan(l, da«s seit dem Er^^L-licineu der zu Tiruaii ^('druckten apolu-
getischeii und i)(>lemischeu Schriften eines Telegdi und Päzmany die
protestantische Streitliteratur zusehends ein höheres Uteransches
Niveau zu erreichen bestrebt ist — Im XVII. Jahrhundert suchieii
beide Lager ihre Streitkrilfte zu vermehren. Kardinal Foigaeh
schuf 1609 zu Pressburg seine schöne Primatialbuehdruflkeivi
(1609 — 1()50), deren grösserer Tlieil 1644 mit der Tirnauer Dnieke-
rei vereinigt wurde; ll)l)7 eiriehtete das Kaschaut r de."5Uitencitiie-
gium zu Kaschuu, wo bis dahin (seit 1(310) Idos protestantische Hu-
eher gedruckt wurden, eine kathulische Buchdruckerei, welche 1716
durch das Material der seit 1578 bestandenen Bartfelder Druckerei
vergrSasert wurde ; schliesslioh finden wir von 1676 bis 1685 aadi
im Franciscaner-Kloster zu Gsik-Somlyo in Siebenbürgen eine
Druckerei thätig, und trat 1097 zu Klausenhurg die Druckerei dw
von Stepliiin Hathori gegründeten Jesuit(Mic!dle<riniu.s wieder '\m
Leben, nachdem sie seit ilireiu ersten Auttreteu, iiu Jahre 1599,
fast ein ganzem Jahrhundert lang geschwiegen hatte. Andrerseits
legten aber auch die Protestanten die Hände nicht iu den Sebuss. !
In Kreuz (1610—1619), Päpa (1624—32), Csepreg (1625-43)
und Pressburg (1671) wurde die Buchdmekerkunst wiedmm em-
geföhrt, in Trencsin (1637—63), Milchdorf (1637), SommewiB
(1650), Eperjes{lt;5l>),{Sil!ei!i (lOÜo— 1708), Maria- Laureten (IrtiO) |
etc. wurden neue Druckereien eriiehtet, in Debreezin, (Umu Kiilvi-
uisch»>ii Kom, sehen wir von loDü bis 1704 die Buchdrucker eiuau-
der last ohne Unterbrechung abläsen und die Erzeugnisse der
Buchdruckerpresse der PraeyentiTcensur der reformirten Geisttieh-
keit und des Magistrats unterworfen ; in Siebeubflrgen ragt die tor
Susanna Lor^ntffy, der Witwe Georg Rakdczy*s des Ersten, m Siies»
Patak errichtete, jedoch vor denVerlolgungen der Sophie Bathori huM
nach Klausenhurg verlebte Druckerei (1 <>5 1--H>7 1) hervor inid wurdi-
in Kronstadt tlie Honter'sche Druckerei iu neuen Stund gesetzt, ia
Karlsburg von Gabriel Bethlen eine neue Staatsdruckerei (1619—
1058) errichtet, während im Norden Ungiinis die protestanti-
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DIZ LAHDBSfiUCIlElJlUdbTELLUKii. 657
sehen DruckereiLMi von Bartteld (1578- 17li>) und Leulscbau (seit -
ir>14) mit Hiiitausetzung der mehr oder weniger iinfruchtbareii
iheologiBehen Streitereien unter der Leitung des Jukob Khldsz
(1598-1657) und der Familie Brewer (seit 1624) sich um die Yer-
breitaiig von Schulbüchern und der ungaiischenVolksliieratur ver-
dient machten, und in Keresd, dem Stammsitz der Familie Bethleii,
Alexius Hethleii eigens zu dem Zwecke eine Ihiokerei errichtete
(l<i84 — 1(390), um das ^^escliiclitswerk seines im Jalire \i)79 ver-
storbenen Bruders Wullgang, Kanzlers von Siebenbürgen, drucken
•m lassen. In Bezug auf die Technik freilich ist in diesem Zeiträume
der immer mehr nni sich greifenden Buchdmckerknnst im allge«
meinen wenig erfreuliches zu melden ; wie in ganz Europa, so ist
auch bei uns ein stetes Sinken der Kunstfertigkeit wahrzunehmen.
Die katholischen Druckereien zu Timan und Pressburg machen
hierin zwar eine rfihmliche Ausnahme, auch den Brewer'sehen
Typen kann man zu ihrem llulime nachsagen, dass sie l)ei weitem
ek'gaiiter als die deutschen und niederländischen waren, im gan-
zen aber kann man behaupten, dass unsere protestantischen Buch-
drucker, trotzdem dass z. B. Debreczin junge Leute auf städtische
Kosten nach Belgien behufs Erlernung der Buchdruckerkunst zu
schicken pflegte , selbst hinter ihren niederländischen Yor-
Ixildem so weit zurttckblieben, dass man sich wirklich wundern
mnss upter ihnen zweien so ausgezeichneten Typographen wie •
Christian Szenczi und Nikolaus Kiss von Tdtfalu zu >>egegnen. Der
•erstere (f 1067) arbeitete mit schünen, aus Holland mitgebrachten
Typen seit ir)4() zu ( Jrosswardeiu, bis er si( h IGOo vor der drohen-
d»'n Türkcngefuhr nach Klausenburg flüchtete, über nur um bald
wieder nach Hermannstadt zu ziehen; der Letztere, einer der ersten
Buchdrucker seiner Zeit, der während seines Aufenthaltes in Am-
sterdam aus Schweden, Italien, Belgien und Frankreich Aufträge
erhielt, und der den Armeniern und Georgiern in Asien ihre ersten
Druckereien einrichtete, kam 1690 nach Siebenbürgen, um seinem
Vaterlande und der Reformation zu dienen, erlag aber schon 1702
einem SchlaganhiUe und den zelotisclien Verfolgungen des refor-
niirten Klerus : — seine Druckerei gieng in den Besitz der refornür-
ten Gemeinde [Wwv und blieb bi^ 1730 in Thätigkeit.
Mit Nikolaus Kiss von Tötfalu könueu wir in der Geschichte
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I
658 DIB LANl»K8lrt}CnBliAU8S'nELLin(0. '
unserer Buehdnickerkunst ilen ersten, dreihundert Jahre längen Ab-
schnitt schliessen, in welchem Fürsten, Magnaten nnd der hohe Klt*-
ruM gleichmussig bemüht waren Gnttenbergs Erfindung im Interesse
der einen oder der andern Confession zu verwerthen. Seit dem Sait-
nirtrer Friedensschlnsso (171 1) ist ilcr V«'rfall uii.serer l'uclHlriukef-
kmist iiocli aitLiciifälli^er, iU)cli Hegen aucli vlie UrsacluMi cles>.Hll»»;ii
klar zu Ta^«', Das sieljciibürgische nationale Fürsteiithum war erl<>
schen, mit dem Aufhören der roligiösen Känijife bemächtigte sich der
Geister eine nnüberwindliclie Lethargie, die nngarinche Literatur
beschrankte sich auf die Befriedigung der täglichen Bedürfnisse
mit dem Erstarken des Zunftwesens schwanden die Tielgeplagteo,
aber begeisterten Buchdrucker des XVI. Jahrhunderts vom Schan-
platze, und — last not least ~ legte sich die Censur, welche man'
(•hell ungarischen Schriftsteller iiöthigte seine Werke im AnHlaml'',
in Amsterdam, Utn^dit, Lcyth'n, Witteiil)erg, Marburg, Nürnberg,
Frankfurt und Basel drucken /ai lassen, wie Melilstanb auf die noch
gar sehr pflegebedürftigen Trielje der Tvjiographie. Der vom 18.
Juli 1715 datirte Erlass Kaiser Karl's des Dritten, in welchem die
Frage des Privilegiums nnd der Censur geregelt wurde, hatte zwar
auf Ungarn von Rechtswegen keine Anwendung, auch hielt man
sich nicht überall und immer streng darnach, ^vie ja z. B. es noch
1772 in Siebenbürgen nicht weniger als nenn Bnchdruckereien
ohne PriviU'ijrinin gab und die Komorner l)iKlidruckerei von 1780
bis ISJi.") uhnt.' i'rivik'gium l)estsuul, im allgemeinen alx.-r war die
Präventivcensnr und der ,Catalogus librorum a commissione cat'S.
reg. aulica prohibitorum" ganz geeignet, die Buelidrucker iu den
höheren Ortes vorgeschriebenen Schranken zurückzuhalten.
Die bedeutenderen Bachdruckereien dieser Zeit sind die von
Komom (1705 auf die Dauer von fünfeehn Jahren blos für den Drock
von Kalendern privilegirt) und Debrecsin(vom Feuer zu wiederholten
Malen verwüstet und von der Wiener Regierung hart bedrängt), dann
die 7M Raab und Ofen. An ersterem Orte w^irkte seit 1730 der 1726 von
\\ ildberg nach Oed«*nburg eingewanderte Joseph Anton v^treibi^, des-
sen Druckerei noch h«nite unter dem Namen dor Sauerwein'sclienlJucli-
druckerei fortblüht (eine fast kom]>lete Sammlung ihrer Erzeug-
nisse war auf der liandesbücheraussteilung zn sehen) , und au leti-
terem Orte seit 1724 der eine Zweig der Baohdruckerüamilie Lan«
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DIB LANDBBBÜOHKBAVaöTlLLUMO. 65P
deier, welcher aber bis anf die neueste Zeit grössteutheils blos
iCaleoder, uugarisehe und deutsche Volkslieder, litaneieu, Traum-,
b&eher und kleinere Erzählungen «gedruckt in diesem Jahr** auf
den Markt brachte. Bessere Dienste leistete der vaterlänUischeu
Literatur der Pressburger Zweig der Familie Landerer, deren ("lief,
Johann Michael Laiiderer im Jahre 1750 die 171.'> gesj^riindete
Royer'sche Druckerei um 11,000 ^(Juldeii kiiufiicU an sich brachte
und bis zu seinem 1795 erfolgten Tode in Pressburg und iu seinen^
Filialbuchdruckereien zu Kaschau und Pest an der Hebung der
Buchdruckerkunst thatig war. Am rührigsten jedoch waren die Je-
suiten, die um die Wette l)emflht waren ihren ohnehin schon ge-
waltigen Einflttss auf das Volk noch dureli die Buchdmckerei 2u'
steigern. Mit ihren billigen und zahlreichen ungariseheii, lateiui-
aclieu und Hlavisehen Druckwerken in 12", (in<*ist theologische
Werke, Streitsidirii'ten, T^niversitätssciiril'ten und Schulhücher)
welche auf schlechtem Papier mit schlechten, vom Auslände bezo-
genen Typen gedruckt wurden, suchten sie die Erzeugnisse ande-
rer Qfficinen zn verdrangen, und von 1711 bis zur Auflösung des
Ordens (1773) producirte ihre Timauer Buchdruckerei allein bei-
nahe ebensoviel, wie alle übrigen Druckereien des eigentlichen
Ungarns zusammengenommen.
Als dann im Jahre 1773 der Jesuitenorden aufgelöst wurde
lind uucli .seine Dnukoreien in fremde Hände iiltergehen sollten,
waren es besonders Buchdrucker aus Deutschland und den öster-
reichischen Kronländeru, die zum Theile durch Joseph's des Zwei-
ten aufgeklärtes, den Buchdruckern günstiges Regime herbeige-
lockt ihr Gewerbe in Ungarn weiter zu betreiben suchten; sie
wussten sieh Privilegien zu verschaffen, und errichteten sodann in
einzelnen grosseren Frovinzstädten ihre Pressen ; nur in Debreczin
konnte aueh während dieses Zeitraumes die Buchdmckerei den
Händen von Ungarn nicht entrissen werden. Diesem Hereinströmen
Irischer Kräfte ist es zuzuschreiben, dass wir im Jahre 1787 im
dreieinigen K<inigreiche zusammen 29 Druckereien Huden, welche
Zahl sich im Jahre 1810 in Ungarn und Kroatien (Siebenbürgen
nicht inbegriffen) auf 36, im Jahre 1817 im ganzen dreieinigen
Königreiche auf 50 hob. Doch hatten später fast alle diese Buch-
<lmckereien mit mannigfachen Schwierigkeiten zu kämpfen, iu
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■1
660 LA^I*E£UUCbBBA^^älELLlN<i.
eruier lUAhr mit deu die «^r wiiiiibiiitgeuUäteji Verljigsartikel betraf-
fendenPrifilegteu eiiize] ner Druckomen, heHOiiders aber mit der Coii*
curreuK der aus der Tiruauer Jesuiteudruokerei herFori^pgaiigeiiea
UtUTersitüttbQchdrttckcrei, welche insbesondere seit dem sie im Jafare
1777 nach Ofen ttberAihrt wurde, mit grosser Beharrlichkeit und spü*
ter aueh mit schönem Erfolge ihr Ziel yerfolgte, doioh ihre vollendet«
Technik alle übrigen Druckereien des Lande« zu übertreften. * l lul da
sie seit ihrer rbersiedclunf^ nacli Ofen mit umfassenden Privih fpeii
ausgestattet wurde, z. B. allein dasa Rtclit hatte serbische und he-
bräische liUcher, Landesscheniatismen, und — was am eintrüglichäteu
war — die SchuibQeher für die katholischeu Schulen zu drucken, ist
es nicht zu Terwundem, dass die Eraengnisse der übrigen Bach-
druekeveien, deren Erwerbsquellen sehr spärlich flössen, an Gefällig»
keit der Ausstattung selbst hinter den Druckwerken der letztenHIÜfie
des XVII. Jahrhunderts zurQckblieben. Einige bekanntere Kalender
zahlten sich zwar ohn»' Zweifelaus (der Komorner Kalender /,. 1>. er-
s( lii»Mi in jährlich 84,<t<M», (Wr Ofner in 15,000. der grössere Temes-
Viirer in 4,000 Exemplaren), doch fanden es selbstverständlich die
Buchdrucker nicht für nothwendig auf die Herstellung solcher ephe-
meren Produkte ihrer Prasse besoudere Sorgfiftlt m Terwenden.
• Vgl. ilie intoreä»unt*; Zu^ianunenbtelluuguii Stepliün Baloghy*8 «A
luagyar kirilyi egyetemi nyomda teimäkeiuek cziii]jcg}-zeke. 1777—1877.
A Magy. Omägos könyydueti UiUitis alkahniböl ÖWkeiUitotta Balogby
Istvin" (VerzeichniH der in der kOnigl. Ung. Unirenit&tKbufllidiuckerai
roa 1777 big 1877 gedruckten Werke. Ans Anläse der üng, Lsndesbücber-
auflflteOnng snsammengestellt von St. Balogby. Budapest, UniTerritfttgbocb-
dmckerei. 1882. 8^. VII. und 272 S.), aus welchen endchtUch ist, dass die
UniversitSt^^buchdruckerei, <lic Iii» zum Jahre 1870 auch als Staatsdnickerei
fungirte, im Laufe von hundert Jahren lb'4 lutfiiiische, 803 uujj-.iriache,
283 deutsche, 4 französische, itiilit-nistUf, 4 ^'liecbiHche, 46 slovukisclie,
10 kroiitisclie. 2^3 Herliisrhe, 23 nitluni-chf. !• bulgarische. 1> wiiHlischc,
rumiiuisi he uiul 1<jO hebräische Werke «hnekfc Km ilhnli( he.s Verzeich-
nisis der in dt'r l)ruekerei des Mirosväsarhflyer refonuirten CoUejjiuuiN
IT"?»» l'^O? erschieueneii Werke liat JoHepli Kone/, zum Verfasser : .,A Mü-
i*08VÄ«arbelyi Ev. Reform. (Jollegium köny vnyomd^ja teim^kcinek jegyneke
1786—1867 oldöber 1-ig. MaRM^Ytfeirhelytt. Nj. Imreli S4iidor, as Ev.
Ref. JtöUuk. Gjorssajit^iia. 1882" {8f>, 25 S.). Auch die Serbische Matica
hatte die in ihrem Verlage seit 1826 erschienenen Werke aufgestellt ; von
1836 bis 1863 worden dieselben fiut ohne AoMnahme in der Univenitftt«-
bochdrockerei bu Ofen, seit 18G8 meist in Neosats gedruckt
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I
fVM? LAKDKBnÜrHRBAU^STBU.üK«/ Ä«l
Erst mit dem Erwachen ih'r National- liittratiir fin(l«»n wir,
dass auch die Bnchdraekerkunst anfangi,sich dem Niveau des Aua-
landea so näbern, und niiid es besonders die Geschiehtsschreibnng
und die sebSnen Wissenscbaften, welcbe den Anstoss zn dieser er-
freolicbra Bewegung gaben. Es bauten zwar scbon frtther von
ungarischen Historikeni Matliia«: Bei nml Peter Bdd xiemlich viel
und mit (»cschmnck zn Hanse drucken lassen, doch fViiidcn erst
seit Ende des Will, .laiirliunderts eine Reibe vortrefflicher Histo-
riker, wie Prav, Katona. Kovachich, Schönwiesner, Feif^r. Uumv u.
n. in dem langsamen Wiedererwachen des nationalen Geistes den
Verbündeten, welcher zugleich mit der Taterländischeu Geschichts-
schreibung auch die Bnebdruckerknnsfc in den Stand setzte ibre
Kräfte zn entfalten^ Dieser Geist war es, der den jttngeren Jobann
Tbomas Trattner, den begeisterten Förderer der ungariseben Lite-
ntnr beseelte, als er in seiner Pester Druckerei von 1817 bis 7.n
seinem 1825 ertblgt^^n frühzeitigen Tode, meist auf eigene Kosten
827 Werke, darunter 418 in ungarischer, 250 in lateinischer, 1 in
tVauzüsischer, 127 in deutscher, 5 in kroatischer, 11 iu slovakisclier,
6 in griechischer Sprache drucken Hess. Auf der anderen Seite hin-
wieder sorgte das Aufblühen der schönen Wissensebaften dafi^r,
dass sieb der Fertigkeit in der Baebdmckerknnst aucb der Ge-
scbmack beigesellte. Die eigentlicben Regeneratoren der ungari-
seben Nationalliteratnrf die «Ungariseben Leibgardisten* (seit
1772), Hessen zwar ibre Werke meist an ibrem gewöhnlichen Auf-
enthaltsorte, in Wien dru( keu, konnt«^n mithin kaum irgend wel-
chen Eiufluss auf die Hebung der Rnchdruckerkunst in T^ngarn
ausüben, doch schon Gabriel Kaziuczy l)estrel)te sich den guten
Geachraack nicht nur in der Literatur, soudeni auch in der Buch-
drucke rkunst einzubürgern. Seine Briefe an seine Verleger sind
' ToU tecbniscber Unterweisungen für den Bucbdmeker, er selbst
pflegte sieb 1)ei der Heransgabe grosserer Werke in die Druckerei
zu begeben, um die Typen und Ornamente ansznsucben, die Breite,
der Columnen zu bestimmen n. dgl., was zur natflrlicben Folge
hatte, dass Kazinczy's W»'rke in der zeitgemissischen Literatur
auch in B»'zug auf gediegene äussere Ausstjittiing einzig dastanden.
In der Hauptstadt niaclite sich dieser Aufschwung besonders seit
dem Jahre 1831 geltend, in welchem Jahre es dem vereinten Be-
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668 DIB LANnS^CRRRAireS'nLrilTNO.
iiiiilp'ii Ka/iiii /v's mitl Ki>r;il\i(ly"s gelang die «T^njrai (^f-
li'hrtengc'.sellNclijirt " (Magyar Tiul(is Tarsasag), tlic >i>;if«^r<' Aka*l»*-
mie der Wisseu.schafteii, ins Lehen zn rufen. Bis dahin hatten die
Pest-Ofner Privatdruckereien mit röhnilifber Aiisiiahoie der }»e-
kannten Trattner sehen sieh mekt auf die Herstellnng yon Kalen-
dern, Gebet- und Schnlbücht-rn, und Erzeugnissen der Volkslitera-
tur beschränkt, seit 1831 aber nahm yon Jahr zu Jahr die Zahl der
in Pest-Ofen gedmckteu gelehrten Abhandlungen, der Zeitungen
und Zeitschriften politischen und belletristischen Inhaltes zu .
welche .sich durcli ihr geschniuckvulles Äussere recht vortheilliutt
repräsentirten. Hier wurde im Jahre 1835 vnn dem unerMiiidli'^h< j)
Stephau Karolyi, iUtr 1827 .von seinem Schwiegervater, dem alten
Trattner, die Pester Bnchdruckerei der Trattner ühernahm, die
erste eiserne Handpresse in Ungarn aufgestellt, hier liess derselbe
Etfrolyi im Jahre 1840 zuerst auf der Schnellpresse arbeiten, nnd
wurden bald darauf die «Nachrichten aus Ungarn und dem Aus-
lände** (Hazai s KUlfoldiTudö»it^k),8owie Helmecxy'» „Gegenwart*.
(Jelenkor) schon auf der Dampfpresse gedruckt.
Fliemit, kann nnin .«!a<]^eii. hatte die ungarisehe Typographie
die iiöcliste Stufe erreiclit , welclip untt^rdem l)ru<'ke «1er Censur, de^
Zunftwe.seus und der Privilegieuwirtschuft nur immer möglieh war;
der letzte und *j^r">sst€ Schritt hlieb dem neuesten Zeiträume (seit »teiu
Znsammenbruch des Ancien liegime im J. 1848) vorbehilten. Am
15-ten März 1848 zwang das Volk die Landerer und Heckeuast-
sehe Druckerei, damals die erste der Stadt, die spater auch die
Eossnth-Banknoten erzeugte, unbekOmroert um die Censnr,Pet5fi*s
wTalpra Magyar* und das Credo der nationalen Partei, die „zwSlf
Punkte- vM drucken, und hald ilarauf ratitieirte das Parlament den
AVilleii des \ olkes. 1 l^]i lolg lic^s nicht lange auf sich warten. Kaum
hatte das Parlament die ( 'eu.sur„aul ewige Zeiteu^^ abgescbali't und das
Pnnei]» atisgesprochen, ^das9 es jedem unbenommen sei, seine Ge-
danken durch die Pre.«?se frei auszusprechen und zu verbreiten', so
finden wir, dass sich in Pest-Ofen den bis dahin bestandenen fftnf
Druckereien, die in erweitertem Wirkungskreise fortarbeiteten, vier
neue zugesellten.
Anch in der Provinz nahmen während des Freiheitskampfes die
liuchdruckereieu in erfreilieher Weise zu, aber nur um heim Wieder-
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PIB i;AKPl£8B00HRSAira8nU.1JNO. 608
«Mnfritt Altsoliitisnuis obcnso rasch wiodrr zu vrrscliwiiuliMi. Das
l'ro.spt'rin ii «k'i" uiigurist-lioii Literiitiu* vvar('l>pii f ür die Hiirlulnicke-
rei eiin' lif'l)enst'nige, und hekauiitlicli irrtr in <l«'ii iünlzigcr Jahren
ein nicht geringer Theil unserer l)esten Literaten im Exil herum,
während der zuhausege1>liebe]ie Theil unter dem harten Drucke der,
wenn auch nicht dem Namen naeh, so doch de facto wiedereingefohr-
ten Gensnr senfzte. Doch war auch diese Zeit der grausamen Unter-
drHckung nicht ganz nnfrachtbar und verloren. Die Ton der Poli-
tik gewaltsam ferne gclialtene Nation concentrirte ihre Bemühnn-
j^en, so weit es ehen gienijj, auf dem (»(d)iefe der sociah^u Arheit,
und dem haben wir «'s woiil zu verdanken, dass « s l)oini Aui'l»(»reii
de« ärgsten Druckes, im J. 1860. doch uocii G8 Druckereien im
eigentliclieu rugarn (davon 12 in der Hauptstadt) gab, welche dem
Storm der Zeit erfolgreichen Widerstand geleistet hatten, oder
trotz der ungünstigen Verhältnisse festen Fuss zu fassen vermoch-
ten. Und dass unsere Druckereien während dieser Zmt auch in
technischer Beziehung nicht geringe Fortschritte gemacht haben,
beweist der Umstand, dass sich einige dei*8elben auch mit der
Herausgabe von ['raelitwerkfu nicht ohne Erfolg versucliten : — nn-
lueiitlich Ut die v(uii Ii. Sjephausverein IS.')? herausgegeheue und
bei Heinu'l uml Kuzma gedruckte ,LegentU* der Ii. Elisabeth* <*in
sprechendes Zeugniss für den hohen Grad <ler ^^)llkonlmeulleit,
welche einige unserer Typographen auch im Fari)endru(;ke erreicht
hatten ; von späteren Erzeugnissen unserer Buchdmckereien wurde
dieses Werk blos durch die bei dem ersten Buchdrucker der sech-
ziger Jahre, Gustav Emich, erschienene «Chronik des Marcus*
(1867) übertroffen.
Die Zeit des eigentlichen Aurschwunges auf dem OebiPto
unserer 1 Uichdruckerei datirt jedoch von IK(>7 lier, dem .laiire der
llersteilinig unserer Verfassung, l'jinerseits erniöglichte die Al>-
Hcbathmg des Zeitungstempels (187<)) das Erscheiueu zahlreicher
Provin/zeitungen und somit die Errichtung von Druckereien auch
in den kleineren Städten der Provinz, andererseits aber konnte der
Unternehmungsgeist unserer in die Fussstapfen Gustav Emichos
tretenden hervorragenderen Typogi-ai^hien, mit der' Buohdrnckerei
der Franklin-Gesellschaft^ einer der ersten der Welt^ an der Spitze,
nur in der Aera der auf die U«d>ung aller Gowerlie so mächtig ein-
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rm LAVDEfliiücifKltAüttmLLimA.
wirkt'iideii itolitisclicii Kr»-llioit /jir (ioltinig ^« lanii^en. U'alm'inl es
im J. ISf)«) in der Hauptstadt- 17, in der IVoviuz 105 Drnckereit ii
gab, welche Zahl sich im .1. li^77 auf 51,rps)>. 195 erhöhte, könuen
wir gegenwärtig die Zahl ^mmtlicher Buchdrackereien des König*
reich« wohl mit 300 angehen, woTon allein 70 auf die Haopt-
stadt entfiallen, welche demnach ebenso viele BnchdrackeieieQ ziMi
alR Leipzig, die erste Bttehhändlerstadt DentschlAnds. Und anf wir
liohor Stufe unsere hauptstiidtisclie Ruehdmclcerlrtinst sanimt den
ii)a*igeu mit ihr versohwistorteu l\inistg«iwerl»on steht, luit die im
Juni 187i^ in der Hauptstadt arrangierte ty]iographische Ausstel-
lung bewiesen, und hpweist der durch Mitwirkung der gi-ös-sten Bnch-
dmckereien der Hauptstadt hergestellte Band, welcher durch BiM
nnd Schrift die LandesbHcheransstellnng verewigt.
Auch in Beyng auf ein anderes, mit der Huchdmckeret in
fortwährender eugfr Verbindung stehendes Kunstgewerbe hat i»
Landesbilcherausstt'Uuug interessante Betrachtungen ermögHcl»!.
ja nach dem Urthcilc .T(\-!t'ji]i Koszlcr'-^ sind di»' liier iiher die <m-
Hchiclitp der vaterlündischeu Buchbin derkuu^t zu erlangeudcu
Aufschlüsse eine wahre Revelation zu nennen. Tn manchen Fallen
ist es zwar schwierig anzugeben, in welcher Stadt das betre0ende
Buch gebunden wurde, doch kann man im Allgemeinen den Grund*
satz anftitellen, dass bei der Abneigung der älteren Verleger ikre
Verlagsartikel ungebnnden in den Handel zu geben, und bei dem en-
gen V erhältniss der Buchbinderei zur Ruehdruekerei in friiheivn .lahr-
liuuderten, die Bücher in dersellien Stjidt gedruckt und eingebunden
wurden. Bestätigt wird noch diese Annahme durch die Thatsache.
dass grössere Städte, iu welchen auch die Typographie blQbte,
einen eigenen Stjl der Buchbinderei ausgebildet haben, insofern
sie die ans dem Auslande genommenen Muster mit verschiedenen
ungarischen Motiven vermehrten. So z. B. finden wir, dass aof
Ledereinbänden nach deutsciier Art diesell)en Ranken. lielieflnMer
und Scenen ans der Bib(d zu sehen sind, wie auf Kinliihnlen «leiij-
scher Provenienz, dass aber daneben in der Mitte und in den Ecken
der Rahmen anf ausländisclien Einbänden nirgends vorkommende
Ornamente hinzugefügt sind, deren Flenrons daher in Ungarn er-
zeugt werden mnssten. Übrigens kamen die Bnchbinder unserer
meisten Städte wohl aus Deutschland, denn nicht nur finden wir
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DIB LANDSSBÜCRRRAUSSTKUiüNO.
665
meist deutsclie Muster naeligeahmt, sondern machen wir auch die
trannge Erfahrang, dass die Buchbinderei in Ungarn, von den
neuesten Zeiten natttrlieh abgesehen, immer mehr verfallt, was
wohl 'nicht blos atif die Abnahme der Leselust nach Beendigmio
•lor roligiö^oii Känipfp. sondern violniohr auf das langsanip Aus-
st^rliou der aus I )entsclilaiid iierübergekommenen alten Kunst-
tradition zurückzuführen ist. L)n( Ii lassen sich, wie schon erwähnt,
innerliall) des vorherrsclienden deutschen Charakters der Ein-
bände sahlreiehe Variationen unterscheiden.
In Klansenbui^ finden wir gegen das Ende des XYI. Jahr^
hnnderts die Buchbinder naeh deutschen Mustern zwar, aber mit
Heranziehnng von Hildnissen ungarischen Characters arbeit4»n ;
im XVTI. Jahrhundert werden die Klausen l)urf;er Ledereinhünde
besonders durch den von Radien durchschnitten Kreis «ridvenir/eieh-
net, welcher das Mittelstüek in den Verzierungen des Deckels Inldet ;
gegen Ende des XVllI. Jalirhunderts wieder verfiel diese Specin-
litat, und traten an Stelle der alten Ledereinbände immer mehr
die Pergamenteinbande, in welchen besonders der im J. 1831 yer-
storbene Johann Guttmann excellierte. — Die Kronstadter, Her-
uiannstÄdtcr und Karlsburger gepressten Ledereinbände sind aus
weniger feinem, jedoch dauerhaft-erem Material, sonst aber in dem-
selben Style wie die K Lausen burger, verfertigt. — Auch in Debre-
«dn finden \\\x seit 1562 den deutschen Styl vorherrschend, doch
schon um die Mitte des XVII. Jahrhunderts begegnen wir daselbst
ungarischen Motiren, und wurden gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderte die bemalten Pergamenteinbande beliebt; die Buehbinder
ptiegten bei ihrem Eintritte in den Zunftverband vom reformirfcen
Collegiuiu ein I5uch au^zuleilu'u und an ihm Proben ihrer Geschick-
lichkeit im angedeuteten Style ali/ulegen. — In Grosswardein,
Sdrospatak und in den meisten anderen Städten begegnen wir
gleichfalls dem durch Anwendung ungarischer Motive variirten deut-
schen Style, blos in den obemngarischen Bergstädten, den festen
Burgen des Deutschthnms und de& Protestantismus, treffen wir
daneben holländische Einbände mit weissem und gefärbtem Perga-
ment an. und zeichnet sich neben Pressburg besonders Timau
dadurch aus. dass blos daselbst d«'r italienisch-französische Styl festen
Fuss gefusst hat. Die Einl)äude, die wir aus diesen beiden Städten
CqgariMshe Revue. 1863. VUI-IX. Ueft. ^3
DigitizetJ Ly vjOOgle
666 DR MVPBRBÜOBntAUSSmumo.
ans dem XVIH. JshrliaiideH; kennen, sind glatt, init einfadiem
Rncken, reich vergoldet, nnd nlle.s weht darauf hiu, da.ss die mit
d» r Tiniauer Josniten-Üiudidi lu korei und der Pressburger Prima-
tiallmclidnukeivi eng liirton Tiruaiier und Pressburger Huchbiiuler,
wobl uuter dem Einflüsse der Wipner Ordt nsbuebl)iiidprpieu, be-
strebtwaren, der Einfachheit der deutsch -protestantiacheii Einbände
d^ reichen Prunk der katholischen Einbände entgegensneteUeo.
Über den gegenwärtigen Stand der Buohbinderininst in
Ungarn lässt sich an dieser Stelle nicht viel sagen. Unsere hervor*
ragenderen Buchbinder aus der Hauptstadt (Posner, Dochnat.
Erezhegyi, Fritz, Oeller, ( iotieimaycr und Ifalfer, llirlia<^Pr, Lazar,
McliiKT, Moluaruud I V'iuitscli) und aus der Provinz (Czeruy, Haut?
in Klauseul)urg, BÖruer iu Zenta, Miliuaries in Eszek, Vegb in
Bekes-Csaba) Hessen sich auf der Land('sl)ücherau8steUaiig dareh
zahlreiche mehr oder weniger prächtige Einbände vertreten, und
hat die Jury mehrere derselben der Ausseichnung würdig eraehtet
Übrigens ist zu hoffen, dass eben dieser Zweig des Ennstgewerbes
den grössten ITntssen ans der Ausstelliing ziehen wird ; die sorgfäl-
tige Vergleichung der einliei mischen und der besonders durch
den Grafen Ah'xainhT Ajiponyi au.sgostellten fnin/r>sischen und
englischeu Einbände wird nothwcndigerweise dazu beitragen, dass
das Gefallen au soliden, eleganten Einbänden sich in immer weitere
Kreise verbreite.
Den letzten Abschnitt unserer Ansstellong bilden die
Sammlungen von Amateurs. Einen nicht geringen Theil dersel-
ben hätte man zwar, wie es ja auch mit einigen Werken gesche»
heu ist, recht gut in eine der vorhandenen Haupt«btheilungeii ein-
reihen können, doch hat es sieli als /weckuiässig erwiesen, den
Kern der einzelnen Sainniluugt^n nicht auseinander zu rrissen, und
dem grossen Pul)likuni einen tJl)erl)lick über die Seltenheiten un-
serer bedeuteudsteu Privatbibliothek(Mi zu ermöglichen. — An
Privatbibliotheken ist nnser Vaterland nie arm gewesen. Um
von den Büchtrsammlungen des Mittelalters zu schweigen —
es genügt in dieser Beziehung den E5nig Matthias Corvinus,
Johannes Vit^, Janus Pannonins und Georg, Erzbischof von Kalo-
csn zn nennen — heben wir besonders hervor, dass das langsame
Wiedcrerwachcn des nationalen Geistes gegen Ende des XVllI.
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l
Dlie LAKDKSbOCHKRAUSSTILLVMa.
m
Jahrhunderts den Impuls zur Errichtung nuyurisdier Bibliotheken
gab, solcher Büchersammlungeu, welche alles in Uiigaru und über
Ungarn Geschiiebeue und Gedruckte umfassen sollten, dabei aber ^
natörlichfirweifle auch die sonstige Literatur keineswegs ver-
nachlassigten. Der erste, der sidi dieser Idee bemächtigt^ war
Graf fVanz Ss^dienyi, der seine ans 50,000 Handschriften and
BroelEwerken bestehenden Privatbibliothek dem Lande zum Ge-
schenke machte, womit er den Grund zur Bibliothek des unguri-
schen Nation ahuu.seunis legte. »Semem Beispiele folgten in der
ersten Hälfte die3es Jahrhunderts Nicolaus Jankowich, Stephan
Horrath und Graf Joseph Kemeny. Die Sammlungen der beiden
ersteren wurden später für '-die Bibliothek des Nationahnuseums
angekauft, die des letzteren kamen in den Besitz des Siebenbfirger
Museums zu Klansenburg. Aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhun-
derts haben ^vir ))esonders zwei bedeutende Sammler von Hunga-
rica zu nennen, den Septemvir Stephan Nagy, dessen 2000 Werke
und 4000 Flugschriften umfassende Bibliothek die Antiquarbm h-
haudlung List und Francke in Leipzig um den Preis von 10,000
Thalem erwarb nnd dessen werthTollster Theil in den Besitz des
British Museum übergieng ; — sodann den ausgezeichneten Publi-
eiaten Johann TörÖk, dessen werthyoUe Sammlung von 8000 Wer-
ken und 2,300 Flugschriften der Szatm^Crer Bischof Lorenz Schlauch
im J. 1874 um den Preis von 20,00o Gulden an sich brachte.
Auch auf anderen Gebieten fehlte es uns nicht an begeister-
ten Bibliophilen. Graf Anton Apponyi brachte um 1774 eine Werth-
▼oUe Sammlung von alten Handschriften* (theilweise aus der
* Aii8ge»tellt war ein vollBtftndii^er PrudentiiiB aaec XL, Babani
Mauri de laudibu« S. Crucis Carmen snoc. XII, Aelianus de iii^truendis
aciebiis übersetzt von Thondonis Onza, und Onosander de optimo inipfra-
toff? Ubmetst von Nicolans Socundinus (boide suro. XV), dor werthvolle
Janus Pannonuis-Codex, den ich in meinen „Analecta ad Historiam Renas-
centium in Hnn^avia liitteraruni" verwerthet liabe, der von Raidelius in
seiner »Conimontutio Critico-Litteraria do Clauilii Ptolouiaei (Jeographia"
{Nürnb»'rg 1777) lipsclirichonc lattMnisclie rtolomatus sa»'c. XV, oin in
Frankreich <^'o>cluif l)Oii('s (lol.otliuch sa«'«\ XV, oin Broviaruni sat'c. XV, dem
Alexander Contarini von der Republik Von»'dij^ lä.SH— 1510 ertheilte In-
structionen, eine prachtvolle Sainndung von Wappen der Richter und
Rechtsconsulenteu der Bologneser Kaufmannszunfb aus den Jahren 1576—
48*
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DIR IJUnmtkTRBItADflSTBUUlO.
EbnerVhen Bibliothek zu Nürnberg), Incunabeln, Pracbtwerfceii
und Erzeugnissen <l»'r neueren Literatur zusammen, welche eine
Zeit lani": in Press])iir(r dorn öflPentliclien (Jebrauclie freistand,
später aber nach dem Nagy-Apponyer Schloss des Grafen überführt
wurde. Fast zu gleicher Zeit legten in dem kleinen Siebenbürgen diei
Literaturfreunde grossartige BüeherBammliuigeii an : Graf Igiias
BattJiyi^ny Buohof von Siebenbtixgen, Graf Sanrael Teleki nnd Baron
Bnickenthal; ihre Sammhingen, die jetzt za Karlsborg, Maro«-
VMrbely nnd Hermannstadt aufbewahrt werden, bilden noch
heutzutage wichtige Faktoren der Culturentwickelnng 8iel)enbür-
gena. In der neuesten Zeit liat die Zahl unserer Bibliophilen nur
noch zugenommen. Die Bibliothek des (rrafeu Alexander Appouji
ZU Lengjel (im Tolnauer Comitate) hat, von den Werken der mo-
dernen Literatur ganz abstrahirt, eine lange Beihe Ton älteren
anf Ungarn bezftgliclien nnd — was das Äuiisere betrifft — ror-
trefflich eonsermten nnd restaurirten Druckwerken des Anshtndes,
darunter ühiea und Exemplare von höchster Seltenheit, aufzuwei-
sen. Gustav Emich in Budapest hat zahlreiche werthvolle Ineuna-
beln und Handschriften (darunter einen Cicero de Officiis saoc. XV.
einen Orosius aus dem J. 1470, einen Ovidius de arte amaudi uiui
de Bemedio amoris aus dem J. 1433, einen Juvenalis und Persius
aus dem J. 1471) ausgestellt. Aus der Bibliothek des Kanoniknii
Ferdinand Enauz Terdienen besonders yierzehn ungarische Druck-
Werke, durchgehende Unica, aus der reichen Sammhmg des Senats-
präsidenten Georg Bäth eine Beihe seltener, auf Ungarn bezügli-
cher alter Druckwerke Erwähnung. Andere seltene Werke hatten
Joseph Ägostou, Graf Stephan Keglevich, Bischof Johann Paner»
Emerich Szalay, Attila Szcniere und Ilcrzojj; I^udwig Windisehirrätz
ausgestellt, doch waren es besonders die Privatexpositiouen von
Victor Myskovszky und Joseph Dankö, welche nebst Enea v. Lin-
francon^sauf die Wasserstrassen Mittel-Europa's, besonders die Do-
nau bezflglichen Prachtwerken in diesem Theile der Ausstellung die
allgemeine Aufinerksamkeit auf sich zogen, ilieils wegen der Selten-
heit der ausgestellten Gegenstande, theib wegen der eminent pnüiti*
1032, schlioHsHch dir» vom Kardiiiiil Pazmany mit Hainlbemorknnjron vei>c-
heno Originalhandschritt der ersten zwanzig iiüchor von Isthvantfy's Unga*
rijtcher Geschichte.
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DEB ALTKOMIsiCnH KALKNDBB. 669
scheu Bedeutung derselben. Myskovszky's Aiis>trlluug repriUeutirt
eine Collection von Zeichuungeii herTOxragender Initialen und von
Ornamenten Ton Bttehereinbänden aus dem XIV. XV. und XVI.
Jahrhundert und dient hiemit denselben praktischen Zwecken wie
die oben besprochenen reich yerzierien Handschriften und Druck-
werke. Auch des Graner Domherrn Joseph Dankd Sammlung aus -
dem Gebiete der Kunst-OniiHiientik ist eiiu» Ergänzung eines ande-
ren Theiles der Landesbücherausstellung; sie enthält niinilich
eine auf das XV. XVI. und XVll. Jahrhundert beschränkte Auswahl
ausDanko's mehrere tausend Xummem umfassender Sammlung Ton'
Titelbildern, Vignetten und Initialen von Druckwerken, deren sorg-
QXügp Beschreibung der Besitsser dieser kostbaren Sammlung in
einem blos in hundert Exemplaren gedrucktem Hefte* gegeben hat
Ein Theil dieser von Dank(5 noch während der Dauer der Ausstellung
erli^hlicli bereicherten »Sammlung zeigt uns wirkliche Kunstwerke
von der Haud eines Dürer, Holbein, Krauach und Künstlern glei-
chen Ranges ; mit Recht konnte daher Üankd hoffen, dass sie wür- *
dige Studienobjecte unserer Qewerbetreibenden sein würden und
dass das yaterlandische Kunstgewerbe auch aus diesem Theile der
Landesbllcherausstellnng nicht geringen Nutzen ziehen dürfte. Auch
wir sind der festen Überzeugung, dass diesmal der Same auf frucht-
Ijareu Boden gefallen ist, und dass der Erfolg dieser ersten Special-
ausstellung die DirectioH unseres Lande.s-(.iewerbemuseuni8 zum
Festhalten an der mit so vielem Glück eingeschlagenen neuen Rieh-
tung bewegen wird. Euobn i^BBL.
DEil ALTßOMlSUHE KALENDEll. .
Wenn es dem geneigten Leser sonderbar erscheinen sollte,
dass eine so oft und vielfach besprochene Frage wie die, welche
die ursprüngliche Einrichtung und nachmalige fortschreitende Ent-
wickelung des altrömischen Kalenders betrifft, noch heute Gegen-
stand einer langatfamigen Abhandlung werden könne ; so mag mir
als Entechuldigung dienen, dass so viel auch über denselben ge-
* Dankö Jözsef esztergonii kanonok könyvornampntikai kiälHtÄsa.
(Ausätellun^ aiH dem Gübiete der liärhorornamentik des Joseph Dankö,
Grauer Domherrn. Budapest, 1802. 6\ 36 b.)
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670 DES ALTBdiaSCBB KALBNDBB.
schriebea worden ist, und so auBgezeidinete Männer der Wissen-
schaft sieh aueh mit Forschungen auf diesem Gebiete befiLSsi ha*
ben : die Sache selbst dennoch noch ganz im Dunkeln liegt leli
verweise einfach auf das aus dem Nachlasse des verstorbeueu Otto
Ernst Hartniaiin. von Herrn ProtV.ssor Liulwii( Lanjje jüngst lie-
rausgegobone lJuch, um lU'ii Erweis für dieses Dunkel beizubringen.
Es liegt aber der Grund dieses Dunkels nach meiner nnmass-
geblic'lieu Meinung nicht so sehr in den Widersprüchen und Uu-
deutlichkeiten der alten Tradition und in den WülkOrlichketten,
die sich die neueren Gelehrten seit Scaliger und Petav theils wis-
sentlich erlaubt, theils unbewusst begangen haben, als sie die
uu gefügigen Daten der Tradition sich fttr ihre Zwecke znrecht leg-
ten ; als vielmehr in einem gauz andern Umstandr. Auf Grundlage
der bei Ovid (Fast. I. 27. n. folg.) erhaltenen, wohl ziemlieh äl-
testen, und im (lanzen von den .spätem Schriltstellerii oft wieder-
holten Xachricht hat man die Theorie autjgestellt : das iiiteste römi-
si'lie Jahr, das Jahr des Uomulus, sei zehnnionatlich gewesen;
Numa habe dasselbe auf zwölf Monate ergänzt, und zwar seien die
Monate des romulischen Jahres : Martins, Aprilis, Mains, Junius,
Quintiiis, Seztilis, September, October, November und December ge-
wesen; diesen habe Numa den Januarius und Febrnarius hinzugefügte
Abgesehen von den Abweichungen, die das wie der numaui-
schen Ergänzung l)etrt'tt'en, auf dif ich ohneliiu noch zurückkommen
juuss, lässt sicli wohl behaupten, dass dies seit dem 7. Jahrhundert
Borns bis auf die neueste Zeit so ziemlich die allgemeine Auffas-
sung war; so lernte, so lehrte mau allgemein. Natürlich drängte
sich die Frage auf, wie denn das romulische zehnmonaÜiche Jahr
beschaffon gewesen sein möge. Wer aus Brfiihrung wnssie, dass
auch zwölf Monate die Dauer des vollen Jahrs nicht ganz ausftllen,
dass man auch hier noch nicht wenig Tage zulegen muss, fragte
erstaunt : konnten denn die Menschen je so »'infäUig sein. /.Am Mo-
nate für ein volles Jahr zu nehmen ? Di«' Frage war um so berech-
tigter, weil sich ja Weise gefunden hatten, die zu erzählen
wussten, dass von den zehn Monaten vier 31 und sechs 30 Tage
gehabt hätten, und somit das Jahr 301 Tage gezählt hätte.
Die hier sich häufenden Schwierigkeiten lassen sich kurz so
zusammenfassen: a) die Dauer eines wirklichen Jahres betragt nooli
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' »BR ALTBOinSCBK KALBNDBB. 871
etwas mehr als 8(55 Tage ; anuäherimgisweiiie konnte mau' wohl
eine Zeit lang z. B. 360 oder 359 Tage für ein Jahr nehmen, allein
*ler liie))»'i hog.uip^ene Fehler luusste sich ja doch schon nach lU
Jahren haudgrei flieh lioraiisstellen ; wie sollte man deinioeli liabeii
glauben können, dass 304 Tage ein Jahr aufmachen ? Miisste ja
doch selbst der einfältigste Mensch schon am Ende des zweiten
Jaihres den auffallenden Unterschied wahrnehmen, h) Ein wahrer
Monat dauert jedenfiall« weniger als 30 Tage, und zehn Monate
ergeben noeh nicht ganz 300 Tage ; mit 304 Tagen musste man
schon nach Ablauf von 30 Monaten mit dem Neumondstag auf den
Vollmond kommen, und dies konnte mann doch unmöglich
übersehen.
Theodor Mommsen beseitigt in seiner römibcken Chronologie
diese Schwierigkeit einfach und kurz mit der Behauptung : das
zehnmonatiiche Jahr sei überhaupt nie ein bürgerliches Kalender'
jähr gewesen. Andere stellen die Meinung auf, die alten Römer
hätten gar wohl gewusst, dass zehn Monate das Jahr nicht aus-
füllen, hätten aber doch ihre sacralen, bürgerlichen und landwirth-
schaftlichen Agenden auf nur zehn Monate vertlieilt, und nach
Ai)laut' dit'.ser zehn iMonute nicht mehr weiter gezählt, sondern hat-
ten lagt' und Monate ungezählt verstreichen lassen, bis si<* an ge-
wissen Zeichen merkten, dass die Zeit der Arbeit wiedergekehrt
sei, wo sie dann ihre zehn Monate wieder zu zählen anfingen. Die
Formel hat bei yerschiedenen einzelne Abweichungen ; die Sache
aber ist im Ganzen bei Allen dieselbe, und läuft offenbar auf die
Annahme einer systemlosen Schaltung hinaus, deren ünbaltbar-
keit ich zunächst nachzuweisen habe.
Die regelniSssige Wiederkehr der Mondphasen hat sich zwei-
fellos schon im primitivsten Alter der Menschheit bcmerklii-h ge-
macht, und frühzeitig auf den Begriff des Monates geführt, (lewiss
ist der Monat uralt, und es dürfte kaum ein so wildes Volk geben,
das ihn nicht kennt. Aber eben aus dieser Gewissheit folgt etwas,
was bisher noch nicht die entsprechende Würdigung gefpudem
obgleich jederman davon spricht. Es ist dies der Unstand, dass
«fem unsere Erde I^nen Mond, oder dieser Mond keine Phoien
h'idc, es nie jemmiden enhgc fallen wäre einen Mo}iaf en bilden, der
B^(friff des Monates würde übcrJutujjt yar nicht existiren. Wäre auch
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f
078 ma AzanU^oMHB kaundbb.
jemand auf die Idee * TerfiJlen zwischen der Ideinsten natfirlichea
Zeiteinheit, dem natürlichen Tage, und der grössten, dem Jahie,
eine mittlere Einheit t iii/usclialwu, su hätte man diese mittlere Ein-
heit gewiss uieht Monat genannt, nnd wahrdckeiulich weder aus
29 noch auü '60 oder 61 Tagen gebildet.
Eben so unzweifelhaft und gewiss ist es, dass das Jahr dem
scheinbaren Kreislauf der Sonne und der Beobachtung des damit
verbuudeueii Wechsels der Jahreszeiten seinen Urspniug 'verdankt
Es ist durchaus nicht notliwendig bei Bestimmung der Dauer die-
ses flalires au ir«;endAvelche {genaue astronomische HeohachtnuiTeu
zu denken. Das Hinzutreten solclier hat in Folge der Zeit die Ge-
nauigkeit dieser Dauerbestimmuug erhöht; aber der Hegritt des
Jahres war durch die Beobachtung der mit dem Wechsel der Jah-
reszeiten verbundenen Erscheinungen des Pflauzenlebens sehon
viel frOher gegeben und seine Dauer konnte bis auf einen Unter-
schied Tou 4 — 5 Tagen der Wirklichkeit so ziemlich nahe kommen.
Halten wir die constatirten beiden Thatsachen wohl im Auge,
so kommen wir unmittelbar und naturgemass zu dem Resultate,
dass, da der Motiat rein der Beobachtung der Mondbewegungy und
das Jähr rein der Beobachtung der Sonnenbewegung Txnd der damit
Verknüpften Erscheinungen ihren Ursprung verdanken, das Jahr
in d&r Natur mi dem Monate gar md^s gemein hat; das Jahr ist
Tom Monate vollkommen unabhängig und umgekehrt. Die Aulfas-
sung, dass eine gewisse Anzahl von Monaten ein Jahr ausmache,
oder dass das Jahr in eine gewisse Anzahl von Monaten getheilt
sei, entbehrt in der Natur jeder Grundlage, ist also dem in der
Natur lebenden primitiven Menschen vollkommen fremd. Sie kann
nur bei vorgeschrittenen^ spekulirenden und vergleichenden Völ-
kern, mithin gewiss ziemlich mpSA entstanden sein.
\\'as aber früh gesclielieii sein kann, dass ist die Eintheilun«^
des Monates nach den deutlich unterscheidbareu vier Phasen des
Mondes. Wie es kam, dass diese Monatsviertel bei manchen Völkern
— so auch bei den Kömern — achttägig wurden, lässt sich nicht
klar ermitteln ; so viel ist aber gewiss, dass man diese achttägigen
Wochen, die dem Lichtwechsel des Mondes eben so wenig genaa
entsprachen wie unsere siebentägigen, als bequeme Zeiteinheiten
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OVB AVMHISCBE KAUiNDEft. ^73
fortbestehen und unabhängig und selb.ststiuidig al.s Nnndinen neben
Jahr und Monat herlaufen Hess, ohne im Entt'ernteaten daran zu
denken, dass sie aliquote Theile des Jahres oder des Monates seien ;
eben so wie unsere Wochen olme Rücksicht auf Jahr und Monat
ununterbrochen fortlaufen. * Ich lege auf diesen Umstand ein ganz
besonderes Gewicht
War man nun so weit vorgescliritten, diiss man daran gieng,
eine sjatematiseh geordnete und regelmibsige Zeitrechnung einzu-
führen, 80 fanden die Gesetzgeber die dies unternahmen jedenfalls
drei, beziehungsweise vier natürliche Zeiteinheiten vor ; den Tag,
den Monat, das Jahr und die Woche; und es musste bald das Be-
streben hervortreten, diese Einheiten mit einander in Beziehung
za bringen. Die Nothwendigkeit des Yorherwissens der für die
Aufnahme von Feldarbeiten, für die Eröffnung von Feldzügen, für
die Anlage ütientlicher Bauten günstigen Zeitpunkte führte natur-
geiuäss darauf, das natürliche Jahr als grosse Einlieit zu adoptireu,
währon<l der Tag sich selbst als kleine Einheit darbot, und da
die Eintheilung des Tages in Theile eine yerhaltnissmasflig sp&te
Erfindung ist, so war es natürlich, dass man im Jahre die Tage
zählte, und zwar je nach den Umständen von einer Ernte zur an-
dern, oder von einem l'rüliliiig zum Andern, wobei man als Früh-
liugsacfang entweder das Eintreten gewisser lauer Frühlingswinde
(Favonius), wie in Italien, oder die durch das Schmelzen des win-
terlichen Schnees eingetretenen Überschwemmungen, wie in Aegyp-
ten, betrachtete. Wie genau sich aus der Beobachtung solcher Er-
scheinungen die Dauer des Jahres erkennen Hess, ergibt sich daraus,
* Ich wsvde von befireandeter Seite anlkaerksam gemacht, dam bei
den nordischen Völkern ein Mondjahr von 13 Monaten zn 4 siebent&gigen
Wochen, nutliiii « in Jahr aus 52 Wochen oder 364 Tagen gebräuchlich
war. Nun : 4 Wochen oder 28 Tage sind kein Mondmonat, dagegen sind
3G4 Tage oflFenbar — wenigstens der Absicht nach — ein Sonnenjalir. Es
ist also tli«'.s nor<liscbe Jidir nichts weniger als ein Mondjahr, es bat mit
dem Montihiufc und dt n Mondphasen t^wv nichts gemein, es ist ein reines
Bonnt'njiihr. willkürlich in 13 Absrhuittf von 28 Ta^'cn getheilt, und i-s
niü»<ste ,s*dir sondrrbar sein, wenn dal»ei nicht oino .Schaltung von 5 Taj^a-n
in 4 Jahn-n. oder was wahrsch'^inlicher ist, eine ö3-te Schalt woche nach
je 6 Jahren mit einbegritlcn gowebcn wilre. Der Charakter des Jahres deu-
tet keiuesMIs auf sehr hohes Alterthuiu.
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674 DER ALIROmSCRE KALENDER.
dass d:i.s 365'tägige Jahr in Aegypten seit den uraltesteii Zeite;i
bekanni war.
Es schien nun aber zwischen Tag und Jahr eine mittlere
Zeiteinheit deshalb npthwendig, weil es in den ältesten Zeiten noch
keine Tabellen gab, mit Httlfe deren man die einzelnen Tage im
Jahre genau bezeichnen und bestimmen konnte ; und da standen
der Monat und die Woche zur Terfiiguug.
Aber hier trat {lucli gleicli eiue grosse Schwierigkeit ein ;
wenn nähnilicli auch 36'» Tage gegen das wahre Jahr zu kurz sind,
und in Folge dessen diejenigen, die 3(35 Tage aiii ein Jahr recliiifii,
nach Ablauf von vier solchen Jahren, die zusammen 1 iOÜ Tage
zählen, ihr fünftes Jalir schon am 1401-ten Tage begonnen, da
doch in Wirklichkeit dieses fünfte Jahr erst am 1402-ten Tage be-
ginnen sollte ; so war doch der begangene Fehler verl^tnissmäs-
sig gering, und Überschritt während der Dauer eines Mensehen-
alters noch nicht die Grenzen derjenigen Schwankungen, denen
die Wiederkehr der nicht eben mathematisch genau eintretfenden
Erscheinungen der Jahreszeiten unterworfen sind. Anders verliiilt
sich die 8ache bei Festsetzung der Beziehung zwischen Jahr uud
Monat. Wer z. B. wahrnahm, dass zu einer gewissen Zeit die Emte-
' reife des Getreides z. B. um die Zeit des Neumondes eintrat, rausste
sich binnen kurzen, nach kaum 5 oder 0 Jahren schon völlig fiber*
zeugt haben, dass diese Reife des Getreides mit dem Neumonde
nichts zu schaffen habe ; trat hiezu irgendwie die Kentniss, dass
das natflrliche Jahr ungefähr 365 Tage enthalte, so mnsste sieh
noch friiher die Überzeugung li< rausstelleu. dass diese oi»5 Tage
sich durchaus nicht in natürliche Monate eintheilen lass»Mi, denn
zvvöll" Monate sind bedeutend zu wenig, dreizehn um noch mehr zu
vieL Nichtsdestoweniger behielt der Monat bei einigen Vcdkern eine
besondere Wichtigkeit. Da uähmlich die von Monat zu Monat re-
gelmässig wiederkehrenden Lichtphasen des Mondes bequeme Aus-
gangspunkte boten, um die Tage innerhalb des Monates leicht und
sicher bestimmt bezeichnen zu können, und zum Verstandniss die-
ser Bezeichnung es weiter nichts bedurfte, als die Kunst bis acht
zu zählen ; sah sich die Priesterscliaft veranlasst, die Anset/ung der
religi<)sen PViertagf nach dem MonJe zu n'gt ln, und die mosaische
(jresetzgebuug liefert uns einen glänzenden Beweis, dt^sä die Neu-
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DER ALTRÖMISCHE KALKNbbR. 675
luoude und VoUmoude auch dort zur Feststellung der Feierta^^e
benützt wurden, wo der Mond uiclit als Gottheit betrachtet wurde.
Das mehr oder weniger strenge Festhalten an dieser uralten Sitte
hat zu yerschiedenen Resultaten geffthrt, die sich in drei Klassen
yertheilen lassen : 1. Wo man sieh frOhseitig auf geregelten Acker-
bau verlegte, wandte sich die Aufmerksamkeit zunächst den Br-
seheiiiimgen der Jahreszeiten zu. Das religiöse Gofühl bestimmte
für den Sehutz der jungen 8aat, für Bewahrung der reifenden
Frucht gogen Hagelschlag und Brand, für das Gedeihen des heran-
wachsenden Kornes, für glückliches Spriessen des in die Erde ge-
borgenen Samens zu den Göttern zu beten, ihnen Opfer darzubrin-
gen ; eben so ftthlte man sich gedi^ngt für die gedeihliche Zucht
der Herde, für die Ergiebigkeit der eingeheimsten Ernte den Oöi-
tern Dank zu sagen u. s. w. Aher alle diese Dinge richten sich nach
iler Jahreszeit, und hai)eii nichts mit den Mondphasen zu schaffen.
Was ist nun natürlicher, als dass solche Völker bei der Einrichtung
ilires Jahres den ihren Interessen sich durchaus nicht fügenden
Mond einfach ausser Acht Hessen, sich ein reines Sonnenjahr an-
ordneten, und dasselbe ganz nach Willkühr und ohne Rücksicht
auf die natürlichen Monate nach ihrer Bequemlichkeit eintheilten.
So thaten die Aegypter, so höchst wahrscheinlich auch die alten
Jtaliker.
2. Wo sich die Vcilker nur mit Viehzucht und Jagd hescbiif-
tigten und in Folge dieser Beschäftigung keine bleibenden Wohn-
sitze hatten, achteten sie auf ihren Wanderungen wenig auf die
Jahrszeiten ; dagegen spielte bei ihnen der bei Nacht leuchtende
Mond eine so wichtige Rolle, dass sie sich imi das Jahr gar nicht
kümmerten, sondern die Mondmonate in ununterbrochener Reihe
fortzählten. Es ist die Vermuthung längst ausgesprochen, dass die
in der biUlisi-hen Urgeschicht»' so häufig erwähnten Lebensjahrszah-
len der Erzväter nicht in Jahren, sondern in Mondmonaten au«ge-
diückt sind, welche jene nomadischen Urvölker ohne Rücksicht
auf Sonne und Jahr in stetiger Reihe fortzählten.
8. Wo man aus religiösen Bedenken von den Mondphasen
durchaus nicht abweichen, aber doch aoch den Jahreszeiten sich
anbequemen wollte, suchte man eine Formel, nach welcher Mond-
phasen und Jahreszeiten so mit einander verknüpft werden sollten,
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678 DU ALTBOxnCHB KAUnTOBB.
4
d&HS »ie sich von einander nie bedeutend entfernen, sondern inner-
halb ziemlich enger (henzen, wenigstens zeitweise wieder genau
zusammen treti'en sollen. Vm überhaupt an das Jiucheu einer sol-
chen Formel gehen zu können, war unbedingt nothwendig : a) die
ziemlich genaue Kenntniss der Dauer des Öonnenjahres und Mond-
monates ; b) die JBrkentnifls, daaa die Dauer dieser beiden Zeiteiii-
heiten ineommensiirabel, mitbin jede zwiseben ibnen angestellte
Gleiobong niemals genan sondern nur annähernd riebtig son
kdiine,nnd dass man sieh mit dieser AnnShenmg begnügen müsse;
c) das Vorhandensein der Grundidee der Schaltung. — Resultat
eiuer solchen Formel wird aber jedent'alls ein sogenanntes Mond-
sonnenjahr oder gebunilenes Mondjahr sein, welches verschieden-
artig conätruirt sein kann, aber nicht nothwendigerweise cyclisch
sein muss.
Man kann sich näbmlieb ein Yerfsihren vorstellen, wo man
Ton einem ans roher Beobachtung hervorgegangenen zwolfinonai-
liehen Jahre ausgebend zu dem Beschlnsse kam, jedesmal, wenn
man mit Ablauf des zwölften Monates zu weit von dem fC» das
Neujahr gewählten Jahrpunkt, zurückgeblieben war, durch Einschie-
bung eines dreizehnten Schaltmonates wieder in das richtige Geleis
' zu kommen. Die Nothwendigkeit der Schaltung ransste dann immer
in dem betreffenden Jahre durch unmittelbare Beobachtung fest-
gestellt werden. Die Existenz einer solchen Zeitrechnung ist kein
Himgespinnst. Nach Idelers sehr plausibeler Darstellung war die
Zeitrechnung der alten Juden so eingerichtet
Man kann mit einer solchen Zeitrechnung ganz gut aus-
kommen ; aber sie hat den grossen Mangel, dass man in ihr bedeu-
tende Zeiträume weder voraus noch rückwärts berechnen kann,
weil man eben nie im Vorhinein wissen kann, ob irgend ein zu-
künftiges Jahr ein zwölf monatliches Gemein- oder ein dreizehn-
monatliches Schaltjahr sein werde ; eben so wenig ob ein vergan-
genes Jahr Gemein- oder Schaltjahr war, wenn dies nich ansdrfick-
lich bezeugt ist
Eben dieser Mangel ftthrte auf die sogenannte cydisehe Rech-
nung. Ich lasse mich auf die Erklärung des Wesens dieser Rech-
nung, das ich als allgemein bekannt voraussetze, nicht ein, eben so
wenig erfordert es mein Zweck, die wirklich gebildeten und that-
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PBB ALTBOMISCHE KALENDER. «77
sächlich benützten Sehaltcyclen anfznzählen. In dem bisher gesag-
ten ist die Grandlage, auf die ich baaen will, gewonnen und ich
bitte den geneigten Leser nnr die folgenden Sätse als ResuUlit feet-
Kuhalten ;
/n einem reinen Soimmjtihy kann r^nn eifjenfJirhen Monaten
überall nie die Bede se!7i. Man kann das Sonnenjahr zu gewissen
Zwocken allenfalls in Abschnitte von einer gewissen Tageszahl ein-
theilen ; aber diese Abschnitte werden schon dämm keine wirk-
licheii Monate sein, weü sie mit dem Kreislauf des Mondes in gar
keiner Beziehnng stehen. Man kann sie zwar Monate oder, wenn
es gefSHig ist, Sonnenmonate nennen, muss sich aber sehr hüten,
sie mit den wahren Moiulmonaten zu verwechseln.
MandtnancUc bäden nie ein wirkUchcs Jahr. Man rnag ^le wie .
immer grappiren, nie werden weder zwölf noch dreizehn Monate
ein wirkliches Jahr von 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten nnd
46*83 Secnnden ausmachen. Man kann einen solchen zwölf oder
cireizehn monatlichen Zeitraum wohl ein Jahr nennen nnd man
nennt ihn auch Mondjahr, allein dies ist blos Redeweise ; ein sol-
cher Zeitraum ist kein wirkliches Jahr, und dari' mit dem wirkli-
chen Jahre nie verwechselt werden.
Es ist also auch das gebundene Mondjahr oder wie man es
ancb nennt das Mondsonnenjahr kein wirkliches Juhr; und wenn
man auch einen geregelten Kalender mit einem solchen Mondson-
nenjahr einrichten kann, so ist es doch gewiss, dass uir uns von
der Einrichtung dieses Kalenders keinen richtigen Hegriff machen
können, solange wir nicht mit Sicherheit ermittelt haben, welcher
Art das Jahr gewesen sei das ihm zur Grundlage diente, nnd in
was für Monate man sich ^ies Jahr eingetheilt dachte. Eben hierin
liegt nach meiner Meinung die Ursache des Dunkels und der Ver-
wirrung, die über dem altrömischen Kalender herrscht.
Wenden wir uns nun zu unserem römischen Kalender.
— conditor urbis in anno
Conitituit menses bii qninqne esse sno.
Worttretren sairt der Dichter : -Der OrCinder der Stadt setzte
fest, das in seinem Jahre zweimal fünf Monate sein sollen."
Ich lege Gewicht darauf, dass er weder von der Eintheilnng des
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078 m AVTBOMiaCHB KAUtHDOI.
Jahres in zehn Monate spricht, noch s-agt, das Jahr sei au« aefcn
Monaten gebiklet worden. Im ersten Falle müssten wir folgt-rich-
tig voraussetzen, dass die zehn Monate von t^leioher Dauer waren:
im letztem, dass das Jahr höchsteus 300 Tage zählte, ikeiues tou
Beiden ist richtig.
AI er snehen wir mit einiger Wahischeinlichkeii zu ermitieb,
was er denn unter dem Worte „Mensis' Terstand.
Dass er daranter nicht die zu seiner Zeit gebifiaehliehen
cäsarisehen Monate rerstand ist sicher; aber konnte er denn die so-
genannten repnblicanischen oder, wenn es gefallig ist, numanischen
Monate verstehen? Sehen wir uns diese Monate ein wenig näher
an : die Uberlieferung erzählt un.s, da^s in den ältesten Zeiten der
Pontifex den Himmel beobachtete, und wenn er Abends die schmale
Sichel des neuen Mondes am westlichen Himmel erblickte, liees er
Senat nnd Volk auf den folgenden Tag vor die cnria calabra auf
dem Gapitol berufen, und hier TerkQndete er, wie Tiel Tage yom
Verkflndigungstage (Galendae) bis zum Tag des ersten Viertels
sein werden. 0^ Tag des orsten Viertels hiessKonae, weil von ihm
bis zum Volhuond acht Tage waren, er also nach römischer Zäh-
lung8wei.se auf den Neuntag vor dem A^ollmond (Idus ; — die nona
ante Idus, oder nach später üblicher Ausdruckaweise : ante diera
nonam Idus) fiel. Am Nonentag versammelte sich das Volk neuer-
dings vor der Arx, und hier verkündete dann der König, welche
Feiertage in den laufenden Monat fallen werden, und beaeacbnete
auch die betreffenden Tage. Eigentlich ist dies so nifgends erzählt^
man hat es nur aus den yon Terschiedenen Orten zusunmengele-
senen Notizen heransgefolgert. — AUdn es ergibi sich hier gleich
eine Schwierigkeit. Der Pontifex musste seine Heobachtung seliou
damals beginnen, als der Mond fünf oder seehs Tage nach ck'm
letzten Viertel völlig verschwand; wenn er ihn nun vier-fünf Tage
darauf wieder erblickte, woher wusste er, auf den wievielten Tag
er die Neuen zu verkünden habe ? Denn vorausgesetzt, dass die
Verkflndigung nach wirklicher Beobachtung geschah, so konnte
dieses doch nur darin seinen Grund haben, dass man entweder im
Vorhinein nicht wusste, wann der Neumond erscheinen wfirde,
oder wenn es hiefBr eine Art tou Berechnung gab, man der Rech-
nung nicht traute. Nun ist aber der Füll des Nichtwisseus dadurch
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DIB AunCmncBE kumbdkb, m
ABBg^fsehlosaen-, dass das Jstenrall Ton acht Tagen swischen Nonae
und Idns festgesetzt war, sicherlich doch auf Grundlage der Er-
fahmng, dass von tiner Lichtphasf des Mondes bis zur nächsten
ungefähr acht Tiii^e vers^ trieben ; war doch aus diesen acht Tagen
das Nundinum gehihlet worden ; — man konnte sich demnach nur
darum auf die directe Beobachtung stützen, weil man der Rech-
nung nicht traute (wie noch heute die Türken); Ea war dies aber
auch natürlich. Denn wir mUssen doch yoraossetsen, dass man all
die kleinen Unregelmässigkeiten nnd Abweiehnngen, denen die
Bewegung des Mondf s unterworfisn ist, gewiss nicht genau kannte
und in Rechnung zog ; rechnete man aber von einer Phase zur
andern acht Tage, so ergal) dies 32 Tage auf den Monat, und das
war doch ofFcnl)ar zu viel. Nun sind im synodischen Monate erstes
V iertel, Vollmond und letztes Viertel Lichtersclieinungen, die sich
am Himmel leicht und sicher beobachten lassen; nicht so der
wahre Nenmondi die Conjunction, die sich nur ausnahmsweise, bei
Gelegenheit sichtbarer Sonnenfinsternisse direet beobachten liess ;
bekanntlich sind aber solche Finsternisse seltene Erscheinnngen.
Von dem Tage, an dem der Mond als dfinne Sichel am Morgen-
himmel zuletzt sichtbar war, bis zu demjenigen, wo er in fthnlieher
Gestalt am Abendhimniel wieder erschien, vergehen l>ald mehr, bald
weniger Tage, an denen der Mond überhaupt nicht sichtbar ist,
sein Stand also durch directe Beobachtung nicht bestimmt werden
kann ; da wird man sich denn so beholfen haben : Man hatte durch
Beobachtung herausgebracht, dass der Vollmond fast genau in die
Mitte zwischen das erste nnd letzte Viertel falle, und folgerte nnn
daraus, dass wohl die Conjunction eben so in die Mitte zwischen
das letzte Viertel nnd das darauf zun&chst folgende erste Viertel
fallen werde. Das hatte nun aber wieder seinen Hacken. Die directe
Beobaclitung ergab zwar zwischen erstem Viertel nnd Vollmond
nicht volle 8 Tage, aber doch mehr als 7 ; eben so stidlte sich der
Zeitraum vom Vollmond zum letzten Viertel, und eben dies hatte
darauf geführt diese beiden Zeiträume 8-tägig zu zählen ; allein,
dann blieben für den Zeitraum vom letzten Viertel bis zum nächs-
ten ersten Viertel nur 13, höchstens 14 Tage. Da man aber den
•Monat nicht mit der eigentlichen Conjunction, sondern mit dem
ersten Erscheinen des erneuten Mondes beginnen wollte, dies Wie-
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680
DSE ALTRoinsCHE KALENDEK.
dprorsclieineii aljer erst 1 — 2 Tage nach der wahreu Coiijnnctinn
eintritt, so kam mau daraaf, Tom letzten Viertel bis zum Wieder-
erscheinen des Neumondes wieder 8 Tage, das heisst also ronVoll»
mond bis Ende des Monates 16 volle Tage zu zahlen, worans na-
tflrlich folgte, dass Tom ersten Erscheinen des Neumondes bis smn
ersten Viertel nnr 5 Tage blieben. So mag die Monatsformel ont-
stuuleji sein : Kalenflne — Xonac 5 Tage ; Nonae — Idas, 8 Tjige,
Idu8 — nächste Kalendae 10 Tage.
Ist es nicht höchst bemerkenswerth, dass wir in dem 8og^>
nannten Kalender des Nnma eben diese Eintheilnng bei der Mehr-
zahl der Monate in der That wirklich antreiften ?
Oiron))ar war ein solcher 29-tägiger Monat nngenau. und
ergab schon nach Vorhiuf von vier Monaten eine DitTerenz von 2
Tagen gegen die wahren Himmelserscheinnngen. Wie hatte man
sich auf eine solche Rechnnng yerlassen können ?
Man tränte ihr auch in der That nicht, sondern beobachtete ;
Zweck der noobachtnng war, den wirkliclien Neumond nicht zu
verfehlen, denn es war eriistlieli daraut" al)gesehen, dass das erst^
Viertel auf die Nonae, der \'olliuond wirklicli auf die Tdiis lulle;
um das letzte Viertel küinmcrtt» man sich weniger : war doch der
Mond nach demselben im Abnehmen, nnd ging erst nach Mitter-
nacht auf.
Richtete man sich aber nach der Beobachtung, so war die
Dauer des Monat »»s unbestimmt. Man zählte zwar unahänd»Tlieh
von Kalendae bis Idus inmier 13 Tage ; aber von Idus bis zu d«^n
nächsten Kaienden waren nicht immer 16, sondern mitunter auch
17 Tage; dies machte aber darum keine Schwierigkeit, weil der
Neumond ja doch nur nach seinem wirklichen Sichtbarwerden
angekündigt wurde.
Meiner Ansicht nacli nniss dies tlie nr^}>rihigliche Einrichtung
desjenigen Moudmonates gewesen sein, den die ICömer für ihren
Kalender adoptirten.
Sehen wir jetzt nach, ob denn die zehn Monate des romnli*
sehen Jahres solche Mondmonate gewesen sein können ?
Da müssen wir uns aber zuvor Antwort auf die Frage sueben:
War denn das romulische Jahr ein wirkUches Jahr oder nicht?
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I»1!R AiiTR(>MIs( liK KALEHPKK.
Nuu, alles was «larülier vorliegt, deutet auf ein wii'kliches
Sonnenjahrf das von Frühling zo Frühling lief. Der Beweis ist un-
nöthig ; niemand zweifelt daran. Aber ein Sonnenjahr kann doeh
iinmdglich ans 10 Mondmonaten g^büdet sein; um so weniger
Wenn diese Monate nach wirklicher Beobaehtnng geraessen wurden ;
niemand konnte auch nur einen Moment daran denken, dass mit
zehn solchen Monaten der volle .Tahre.skreis (anmis) ahgelaufen
sei. Nach der ohen l)ereits charakterisirten Hypothese Huscbkes
und Hartman ns hätte das Jahr mit dem Martins begonnen nnd
wäre dnreh zehn Monate bis Ende December gelaufen; hier habe
man zn zahlen aufgehört, nnd abgewartet, bis der FaTonins die
Wiederkehr des Frühlings yerkttndete.
Da ist nun aber in Betracht zu ziehen, dass wenn die frag-
lichen Monate in der That Mondmonate (Monde) waren, so niusste
die Zeit von Ende Decemhers bis Anfang März je nach den Um-
ständen, bald zwei, bald drei Monde ausfüllen, die ungezählt yer-
etlichen, und ancb so können die Monate nicht gut mit den Jahres-
seiten gestimmt haben. Es konnte doch aber das Verstreiehenlas-
sen der nngeziUilten Zeit keinen anderen Zweck haben, als den
Parallelismus mit den Jahreszeiten festzuhalten. Wer nun sich die
Mühe nimmt etwa an der Hand unseres Kalenders nachzurechnen,
wird finden, dass nian mit Zeitriiuineu von 10 Monden, also etwa
296 — 297 Tagen, zwischen denen man ungezählte Monde verstrei-
chen lasst, vom 1. März eines beliebigen Jahres ausgehend, nach
zwSlf Monden (worunter nnr zehn gezählt werden) höchstens bis
zum 21 Februar gelang^, nnd es ist namentlich in Italien gar nieht
unmöglich, nun schon den Frtthlint? wiedergekehrt zu glauben, und
am 22. Fel)rnar den neuen 1. Miirz (mit dem Neumonde) eingetre-
ten zu wähnen. Von hier ausgehend gelangt man mit 12 Monden
bis zum 12. Februar ; und nun müsste der neue 1. März etwa ent-
weder schon am 13. Februar beginnen, oder man müsste noch
einen Mond ungezählt verstreichen lassen, und das neue Jahr erst
mit dem 15. März beginnen lassen, und welches von beiden zu ge-
schehen habe, wird offenbar daTon abhängen, ob das FrQhjahrs-
wetter in dem betreffenden Jahre sich etwas früher oder etwas später
einstellt. Offenbar ist dies — wenn wir auch nur «o weit gehen,
— keineswegs ein roh antrenähertes Schaltsystem, sondern eine
Dn0irtaoh« Itevue; ItWa. VUI-IX. Ucft. 44
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ganz ins Wilile laufen^le WillkOhr; eine .Taliresrechunug, die abw-
lut nicht weiss, wie laiu^e ein .lulir «buierfc ; einr Zeitfiestiinniuiig,
die «'I»en ho selir. ja viel nielir von den ZnIVlilijLjkeiten des Witto-
rUHj^sweclisels als vom Soniiciilaiit liedinjjjt wird ; kurz ein lv;il*'n-
der, worin ein zelmmouatlieiier Zeitraum schwankend lierumuiu-
melt ohne Zusamraenlian«^ mit seinem Vorgänger nnd Naclifolger,
bald um einen Monat früher, bald um einen 'Monat sj^ier anhe-
bend. Einen solchen Kalender einzurichten ist absurd ; vielleicht
noch unsinniger aber ist es, einem nttchternen Volke die Annahme
einet solchen Kalenders znzumuthen.
Sollte denn rImt nicht, wie Ilartnianii annimmt, diese Ein-
richtung dennoch ein ndier Annähernngsversueh gewesen ^^eiu
können ?
Nein ! Auch dies ist völlig absurd. Wer es nuternimrat ein
Jahr anzuordnen, muss doch mindestens beiläufig einen Begriff
Ton der Dauer des Jahres haben ; und will er es aus Monaten con-
stmiien, so muss er doch wissen, welcher Art diese Monate seien.
Nun kann es allerdings geschehen, dass jemand der sich nur auf
die rohe Annäherung weniger Beobaclitnngeu stützt, bei dem
ersten Constrnctionsversnch stark fehlen wird ; alxT der mr»irliehe
Fehler ist quantitativ in < Jren/Hn gel)annt. Wer einmal oin Tabr
von Frühling zu Frühling beobachtet hat, kann etwa im cräten
Moment auf eine Jaliresdauer von 345 — 3Sö Tagen kommen, je
nachdem Zufalle der Witterung mit auf die Grösse des Fehlers ein-
wirken ; wer die Beobachtung nur dreimal wiederholt, muss unbe-
dingt schon einsehen, dass das Jahr nicht weniger als 350 Tage
haben könne. Eine primitive Beobachtung der Mondphasen kann
zunächst zur irrthümlichen Annahme führen, dass jede Phase 8
TajTre dauert: aber eine nur -1 — 5 Monate hindurch tortgesetzte
Beoltaclitung lässt keijien Zweifel mehr darüher. dass ein Moiul-
monat niemals länger «lauern kann, als 30 Tage. Wer noch nicht
so weit gekommen ist, kann unmöglich daran denken, ein Jahr ans
Monaten construiren zu wollen. Hat aber der erste Anordner des
römischen Jahres so viel gewusst — und er musste so viel gewusst
haben ^ so konnte er niemals auf die Idee verfiiUen, dass zehn
Monate — auch nur approximativ — ein Jahr au.sraaehen.
Dagegen wird Jiun geltentl gennit ht, b'omulus liiitte gar wohl
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DF.K AI.THOMIsniK KALKNH^K. '
gewusüt, da8.s zeliu Moiuit<j da« Jalir iiiclit erfül!<*ii. Er wollte eben
nar die sacralen, Iji'irgerliclieii und wirthscUaiUichen Geschäfte auf
zehn Monate yertlieilen, der Best des Jahres sollie ein chaiacier-
loses Anhängsel sein, ein Zeitraum, in den kein Festtag, keine
Versatnmlnng, keine Gerichtssitzung, kein' Opfer, kein Gebetstag,
ja nicht einmal ein wirthschaftliches Geschäft fallen sollte. Nun
das heisst doch /u deutsch gradozn, Honiulus wollt«, der römische
Staat und das römische Volk sollen einen interschlaf sclUafeu,
bis der i^'avoniua sie wieder erweckt. Das ist denn doch ein wenig
zu bunt ; eine Idee, würdig, in demselben Gehirn ausgeheckt zu
werden, das den Bovigus ausbrAtete.
Aber, wird man fragen, wie Ussen sich die in der Tradition
so consequent festgehaltenen zehn Monate erklären ?
Jeder Gelehrte, der auf diesem <iebiete geforselit, ist hei Ceu-
sorinus (22, 6) auf die Stelle geslossen : »apud Alban<js iMartius
est sex et triginta, Majua viginti duum, Sextiiis duodevi^iuti, Sep-
tember sedecim : Tnsciilanorum Quintiiis dies habet XXXVI, Octo-
ber XXXII, idem October apud Aricinos XXXVI III*, und bei
Lydus, de mensibus (1, 16) auf diese : ^tni di *Jia/i6lov ^/^cmc,
-t'/Jyousv l'u:tQoa&€V, dexauiji'iaioyf v&v ftiv imfo rotdxovra
t)ttt^feg ffoXAe^ Toir tli l)ATTOifag /.a/dvrtov «i/rwf.* Ja Hartmann
verfällt in einem lichten Augeuldicke auf den Aussprach : „Wenn
ein Volk von der ursj>rünglichen Bedeutung seiner Monate als
Mondomläufc alisieht, und die Monate nur noch als Theile des
Sonnenjahres betrachtet, so kann es denselben, je nach seiner Cou-
▼enienz, eine beliebige Länge oder Kürze geben, und die Latiner
hatten, in späterer Zeit, von dieser Möglichkeit wirklich Gebrauch
genmcht;* aber eben die^e Äusserung zeigt, dass die vorgefasste
^leinung, ,mensis* könne überall und ausschliesslich nur «He Be-
dt-utujig Monduionat haben, ihn so beherrscht, dass er die fertig
gebotene Lösung bei iSeite wirft, damit sein Vorurtheil iiecht
behalte.
Etymologisch — darin stimmen die Sprachforscher überein,
— ist der Stamm von fnenm, eben so wie der von /i^y, jenes MEN,
diis auch der Grundstamm des Tcrbums mdior = messen ist Dem-
nach würde memis etwas gemessenes, oder messendes bedeuten,
und der Monat hätte den Namen davon, duss er ein Zeitniass ist,
44*
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684 OER AI.TEÖMISCTIF. KAI.F.NUKR.
was oßVilltiir mit dem Monde gar uichtH /n scliaü'eu bat. Sehou
(lies hätte irartinann anfniorlcsnin inaclieii können, dass er die nt-
türliche Eeihenfolge auf den Kopf gestellt ; und dies ist sein Itr-
thnm. Die Latiner haben nicht »in spTiteier Zeit* ihr Jahr in Mo-
nate von verschiedener Daner getheilt, weil Sie Ton derra nrsprGni^*
lieber Bedeutung „als Mondnmlanfe" absahen; sondern He haben
ohne Rücksicht auf den I\Toiid, als ucker) >autreibeinles Volk ein
rpines Soimonjahr /nr < !i nn(llu<jr(» ihros Kaleiidprs ;^enia<*ht, und
haben dasselbe iiuch Krrorderniss ihrer luudwirthscluittliflion (ie-
schäfte und mit Rücksicht aut" die Erscheinungen des PHauzen-
lebens in Jahreszeiten von Terschiedener Dauer getheilt, die sie
berechtigt waren mit dem Wort ntensis zu bezeichnen; sie waren
ja doch abgemessene Jahresabscbnitte von bestimmter Dauer. Die-
ser Ausdruck mensis nun hat das Unheil gestiftet, dadurch, dass
ihn die »pjiteren Schriftsteller mit dem gleichfalls metm^ genana-
ten Mniidnionatf verwechselten.
\\'(> liiittc ih'iui iiouinliis seinen Kalt nclcr lieriieiuiien sollen,
wenn nicht von den Latinern ? Itomalus legte also, Avie Öie, seinem
Kalender ebenfalls ihi^ reine »Sonnenjahr zum Gnmde, und theilte
dasselbe in zehn Abschnitte von verschiedener aber festgesetzter
Dauer (menses), die zusammen gewiss den ganzen Jahreskreis aus-
f UUteni so weit damals dessen wahre Dauer bekannt sein konnte,
das heisst : etwa 360 Tas^e. Es ist dies meines Erachtens die em-
zige haltbare Aurtassun^r des zehnnion:itliehen Jahres, dessen An-
denken die Tradition 1 wahrt ; des.sen ( onstniction hingegen völ-
lig missverstanden wurde.
Nur kurz, berühre ich den hier bedeutend ins Gewicht fallen-
den Umstand, dass die zehn Monate in drei Gruppen zerfallen. Die
ersten vier sind nach Naturerscheinungen und Phasen des Pflan-
zenlebens benannti die letzten sechs sind mit Zahlen bezeichtnet,
aber von diesen haben die zwei ersten eine andere Endung als die
vier lezten, die wohl die Zeit der Winterruhe, der herbstlichen
Bestellung n. s. f. in sich fassten. Auf den letzten Tag desDecembor
i'olgie gewiss der 1. Martins, und wenn auch die nicht ganz genau
bestimmte Jahresdauer die Zulegung einiger Ergänzungstage er-
forderte, so konnten ihrer nicht viele sein, und dieselben konnt4?n
entweder in den December eingefügt, oder als alleinstehende Fest-
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tage (wie diu aegyptisclien Epagonieuefi) zwisclien Deeember und
März eingeschaltet werdeii. Es
diese Ergüuzungstage bei Idcinias Macer und Feneslella die Notiiz .
Texuilaavt haben, dass sehon za Romnlus Zeit geschaltet worden *
sei. Alle Widersprüche nnd Einwürfe sind mit dieser einfachen
und nattirlichen Lösung beseitigt.
Wie lange dauerte nun aber jeder dieser .Juhre.sabschintte ?
AVir wissen es nicht. Ich vermuthe jedoch, dass in graner vorrömi-
scIkt Urzeit diese Dauer nielit bestimmt war. Ich stelle mir nehm-
lich die iSache so vor. Wo lueiu'e Iiandwirthe in einer Gemeinde^
zusammen Feldbau betrieben, war es nothwendig gewisse Arbeiten
auf dem Gesammtgebiete der Gemeinde zu gleicher Zeit Torznneh-
men. Noch heote thun unsere Bauern so, dass sie für den Beginn
gewisser Arlieiten Aber einen gemeinsamen Termin sich einigen ;
wir sahen z. B., dass dt-r Beginn der Weinlese an manchen Orten
5>ogar behördlich angesetzt wird. So luai^ es uucli bei den alten La-
tinern gewesen sein. Die ertalirenen alten Bauern Ijeoliachteten die
Witterung — jeder alte Landmauu ist mehr oder weniger auch
Wetterprophet — , sie gingen hinaus aul' die Felder, in die Wein-
berge, Oelpflanzungen, Obstgärten u. s. f. und hielten Umschau, ob
das Getreide der Erntereife nahe, ob die Weinbeeren anfangen
weich zu werden, ob die Heumaht Torgenommen werden könne und
dergl. ; darauf hielten sie eine Berathung und fassten Beschluss
darüber, wann diese oder jene Arbeit in Angriff genommen werde;i
könne, ünd dieser Beschluss wurde dann, höchst wahrscheinlich
mit Dazwischenkuiift der Behörde und Priesterschaft, öÜ'entlich
ausgerulen. Wahrscheinlich hat dies Ausrufen den Anfangstermi-
nen der einzelnen Arbeitsperioden den Namen Kcdendae yerschafft,
der wohl eher den auszurufenden Tag, als den Tag an dem ausge-
rufen wird bezeichnet haben wird. Zugleich wird wohl auch die
Zahlungsweise der Tage in dieser Sitte ihren Ursprung haben;
denn wenn z. B. yerkflndet worden war : von heute Ober 15 Tage
beginnt die Quintilis-zeit, so war es sehr natürlicli, dass mau an
den folgenden Tagen so /Ublte : P]s sind noch 14, 13, 12, 11 u.b. w.
Tage bis zu den Kaienden des <,>uintilis.
Der Ursprüngliche Kalender des Komulus war also kein ge-
ordneter Kalender im heutigen Sinne. Seine Grandluge war ein
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686
DEK ALTKÖMISCHE KALKNütE, ^
reiues boiiueujahr (von etwa 300 Tagen), da« in zehn Arl>eit-'-Sai-
sonen eingetbeüt war, deren Namen die bekannten zehn (soge-
nannten) Monatsnamen waren. Im Frühling, wenn der FaYonins zn
wehen begann, wurde verkündig^ an welehem Ti^ die Ealendae
Martiae eintreten; im Laufe des Martins worden die Ealendae
Apriles ansgernfen und so fort Ton Saison zu Saison, bis im Decem-
V)er wieder die Kaleiidae Martiae des neuen Jahres Kund gemacht
wurden. Die Witterung wird wohl von bedeutendem Einflnsse auf
diese Kundmachungen gewesen sein ; aber mit Ende Decemher war
der Jahreskreis (aiinns) sicher vollendet. So etwas mag Plutarch in
seinen Quellen aufgezeichnet gefunden haben, als er (Nnma, 18)
schrieb : ^^Bafi^Xov yuo .ieunXBvoprog dX^tag I/qiüvto rolv fitjcl
xai dTdxT(fjg x, r, X.* (Vergl. Quaest. Rom. 19). Plutarch gerath
zwar in einen kleineu Widerspruch mit sich selbst, denn wenn
darauf geachtet wurde, dass das Jahr 3tlo Tage haben soll, ho kann
man nicht sagen, es wäre keine liücksicht auf den Bonueulauf ge-
nommen ; aber darin hat er vollkommen recht, dass im Kalender
des Romulus der Mond keine Bolle spielte; was er äldytag und
»Toxrtaq nennt, ist eben die Schwankung, die in den der directen
Beobachtung fcdgenden Kundmachungen herrschte.
Die Latiner haben an diesem Kalender bis in verhiiltnissmäsi-
sig späte Zeit festgehalten, allenfalls mit dem I'nt^'rschiedf. da>s
sie späterhin die Tageszahlen der einzelneu Jahresabschnitte fbtirt
haben, und dann die Kundmachungen eingestellt, oder höchstens
als Formalitat beibehalten haben werden. Der Mond hatte mit die-
sem Kalender nichts gemein ; es wäre denn, dass man die Nundi-
nen gerahlt habe, die aber mit dem Jahre eben so wenig zu thon
hatten, wie unsere heutigen Wochen.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass im Jahre des Romuhis
auch die (iötter ihre Festtage hatten; al>er diese Feste haben
höchst wahrscheinlich stets den Character der Feriae conceptivae
behalten, und sind in der Regel nur kurze Zeit vorher angekündigt
worden. Ob bei Ansetzung dieser Feriae auf die Mondphasen,
Rücksicht genommen ward, kann ich nicht bestimmt behaupten ;
wahrscheinlich ist es nicht.
Mit einem Worte : das Jahr des Romulus war in keiner Be-
ziehung ein Mondjahr, weder ein freies, noch eüi gebundenes; alles
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IiKK .\i;ri;O.Ml (.UK h.VLKMfEK. Ö87
Mi8äver»täii«liiii^», aller irrtiium .stummt iluher. daiss mun es luH
aller Gewalt für ein solche» erklären, und als solches beurtheilen
wollte. _
80 wie der Name Romulus in der römischen Urgeschichte
Repraesentant des latinischen Elementes ist; so knüpft sich alles,
was in deu nhiiisdieu lu.stitutioiien sabinischen Ursprunges ist, au
eleu Namen Nuiiia.
Diese »Sabiuer waren eiu Gebirgsvolk. Wie in den Ebenen
Latiums der Ackerbau, so mnsste im Gebirge Viehzucht und Jagd
Hauptbeschäftigung der dort angesiedelten Völker sein, so dass .
wir voraussetzen dürfen, auch die Sabiner seien zumeist. Hirten
und Jäger ^;ewesen, und haben die Zeit nach Mondmonaten ge-
zahlt. Wenn liiebei auch iiui' den Wechsel der Jalireazeiten liedaelit
genomnieii \vnid»'ii ist, so waren diese hier von bedentend «i;erin-
gerei* W ichtigkeit, als bei den Ackerbauern, und nichts zwingt zur
Annahme, dass sie ihre Zeitrechnung einem Sonnenjahre ange- /
passt haben.
Dagegen kennt die Tradition die Sabiner als sehr fromm,
und dies kommt auch in der Überlieferung zum Ausdruck, dass
Numa die I?eligion und den (lottesdienHi geordnet nnd geregelt
habe. Daraus ergibt sich mit grosser \\ !ilirsclu'inlichkeit von sellist,
dass das religiöse Cerenioniell, und die Ansetzuiig der Festtage
sich nach den Mondphasen gerichtet haben wird.
Nun findet sich bei den Völkern, die einen Mondkalender
haben, eine eigenthümliche Auffiissung. Die Götter — sagen sie —
wollen nicht nur zu einer gewissen Jahreszeit, sondern das ganze
Jahr bindnreli verehrt sein, es ninsa daher der kirchliche Kalender
so eingerirhtet werdm, dass di<' Fi'icrtage das Jahr (Um hwundern,
d.h., dass deisell)c Feiertag r'inmal ins Frühjahr, dann in den Som-
mer, dann in den Herbst u. s. f. tallc. Im Alterthuni begegnet uns
diese Auffassung zuerst bei. den Aegyptern (Siehe ; Geminus, isa-
goge in Arati phaenomm. 6, und in der Tenbner^schen Ausgabe
des Martianus CapeUa pag. 409 das teteinische scholion zu Aratua
s. Capricomns). — Hente sehen wir dasselbe bei den Mohame-
danern. Ist ja doch das Festhalten der orientalischen Kirche am
Juüauiacheu Kalender, ein uüen burer lieweis, wie wenig sich die
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I
688 Am^ISCBB KALBHIOR.
Religion nm Astronomie nnd Mathematik kfimmert — Es ist dem-
nach zulässig vorauszusetzen, dass auch die Sahiner dieser Ansickt
huldigten. Sie werden uach Moudmoiiateu gerechiiot, und sieb aus
12 Monaten eine Art von Jahr coustroirt haben. Wie war di«s
Jahr, besohafi'eu ?
Ich stelle mir es so vor :
Nach dem, was idi oben über die wahrscheinliche Form des
uritalischen Monats gesagt, zählte derselbe 29 Tage, von denen 5
die Zeit vom beobachteten Neumonde Im zum ersten Viertel ans-
füllten; von da bis zum Vollmond waren stündig 8 Tage ; die Rüek-
ständigen 16 Tage machten die zweite Hälfte des Monats aus, aber
nur durchschnittlieh; denn so lange der Monatsaufang an wirkli-
che Beobachtung des Neumondes gebunden war, konnten die
Monate keine bestimmte Dauer haben ; die erste Hälfte war freilich
mit 5 ~|~ ^ = Tagen unwandelbar bestimmt, aber die zweite
Hälfte dauerte dann bis zum Wiedererscheinen des neuen Mondes.
Es kann dieser Zustand sehr lange gedauert haben, obgleich er den
Nachtheil hatte, dass so oft trübes Wetter die directe Beobachtoag
hinderte, der Kalender ins Schwanken gerieth. Mittlerweile fand
man durch fortgesetzte Beobachtung, dass eine Monatsdauer von
29*/ 2 Tagen der Wirklichkeit ziemlich nuhe entsiiricht, und dass
es auf dieser Grundlage möglich ist einen Kalender zu entwerfen,
der mit den Himmeleracheinungen ziemlich Schritt hält, daher bei
trübem Wetter verlässlich aushilft, und dazu die Möglichkeit bietet,
das Vorwärts- und Zurfickreehnen auf bedeutende ZeitiAome zn
gestatten. Auch andere Umstände mögen das Bedürfoiss nach
einem fixen Kalender erweckt haben. Es wäre nun nichts kidiler
* gewesen, als so wie die Griechen und Orientalen aus abwechselnd
30 und 29-tägigen Monaten ein I J monatliches Jahr von 354
Tagen zu bilden ; allein dem standen eigenthümliche Bedenken im
Wege. Zunächst der Aberglaube an die glückbringende Kraft der
ungeraden Zahl. 8chon dieser hatte zur Folge, dass man dem Jahr
355 Tage gab. Nun ergeben zwölf 29-tagige Monate 348 Tage, es
mussten daher noch 7 Tage zugelegt werden; aber einzeln zu den
Monaten gefügt, hätten sie die Tagzahl der Monate grade gemacht,
und das wollte man meiden ; mau fügte sie also zu zweien ein, aber
auch HO blieb noch ein vereinzelter Tag übrig. Indess sah mau ein.
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dass es »chk'chterdiug» iiumuglich sei, uus lli Mouuten voa ungera-
der Tagesziilil eiu Jahr von uBg^ader Tageszabl zu bilden, und
da man das Jakr schlechterdings nngeraUe haben wollte, so mnsste
man sich entschliessen, einen Monat von grader Tageszahl zuzu-
lassen. Man wasste aber auch, dass der 355-ste Tag des Jahres
l&berzahlig sei, und dass man, um den Parallelismus mit den Mond-
pbaisen einzuhalten ab niul zu geuütliigt sein wird, eiiiou Tag aus
dem Jahre auazuschiilteu, welclie Ausschaltuug am zweckraä8:^ig-
sten im letzten Monat vorgenommen werden köunen wird ; dem-
nach wird dieser letzte Monat ohnehin schon hie und da nicht
Tollzählig sein. Nehmen wir ihm nun noch einen Tag, und fügen
ihn den einzulegenden 7 Tagen hinzu, so erhalten wir 8, das heisst
vier paar Tage, die 4 Monaten zugelegt dieselben 31-tSgig machen,
so werden wir ein Jahr haben Yon vier 31-t'ägigen, sieben 29-tagi*
gen Monaten und einem letzten Monate der bald 28, bald 27 Tagt;
zählen wird. Man fand sich veranlasst den 1., 3., 5. und 8. Mouat
31-tägig zu uuichiMi. wofür sicli iii«dn*e (iriiude ausfindig maclH^n
lassen, von denen aber derjenige, der wirklich massgebend war,
sich nicht mit Bestimmtheit nachweisen lässt.
Aber in welchen Theü des Monates sollte man die zugelegten
2 Tage einfügen?
Es war am gerathensten es in dem ersten verkürzten Viertel
des Monates zu thun, wodurch am wenigsten an der hergebrachten
Mouatwform geändert ward.
Entwirft man aich mm nacli dem Gesagten eine Tabelle der
12 Monate, so wird man leicht sehen, da>s bei gehöriger Aufmerk-
samkeit auf rechtzeitige Ausschaltuug des überschüssigen Tages
im letzten Monate, dieser Kalender fortwährend so ziemlich mit
dem Mondlaufe stimmen konnte.
Es ist nun diese Jahreseinrichtung gewiss nicht auf so theo-
retischem Wege und so aus einem Gusse zu Stande gekommen,
wie ich es hier dargestellt; aber eines kann als sicher angenom-
men werden, nehmlich, dass sie bereits fertig war, als Nunia (um
mit der Tradition zu sprechen) in Uom Keligion und Cultus nach
sabinischen Formeln ordnete.
War aber diese Formel fertig und tabellarisch zusammenge-
stellt, so war die Verkündigung eine blosse Formalitat, die nur
690 1>J<K AhTKMMl-tHK h.M.ENDEK.
«larum beibehulteu wuid**, um bei t]«ii Uütliweudig eiutrctfinbii
DiiTerenzeu zwisdien den kaleudariscbeu und wirklichen Mond>
phasen möglielien Irrungen rorsubeugen.
Ob die sabiiiisclieii Moiiutc Xaimn gehabt, und wclrin-,
Avisseu wir nicht : sio nir>^»"U tViili v* ro-t v.v.'ii sriu. Abt,*r \vahiJscli»Mü-
lich dünkt mir, dass die Beueuuujigeu : Kuleudae, Nuuae, Klus,
bekannt und gebräuchlich waren.
Das Kesultat der bisherig«' n Entwickeluiig hat snnächst dax
für sich, dass es mit der Tradition übereinstimmt, die von Xiinia
er/,iililt, er habe an die Stelle des romnli.>chen .labres ein and<»re8
gesetzt, das genau so ronstrnirt war, wie hier angegeben. Diese
Tradition ist nie angefochten worden. Otfen)>ar kann ein, die Jah-
reszeiten so v(>llig ausser Acht lassendes Jahr, wie die», kein ge-
bundenes Mondjahr sein. Nun habe ich oben nachgewiesen, dass
das romnlische Jahr ein reines Sonnenjahr war, das Ton FrQhling
zu Frrihling, mithin 360 — 865 Tage dauerte. Aus diesem konnte
sich das 855-t;igige Jahr nicht entwickelt haben ; denn der Ober-
gang vom reinen Sonnenjahr auf ein freies Mondjahr wäre ja Hu
eiitsrliiedener Hiickschritt. Im »piiteren Korn war l»is f'aesar nach-
weislich ein gebundenes Mondjahr im Uange, du«» doch nur so zu
Stande kommen kann, wenn das freie Mondjahr sich dem Sonnen-
läufe anbequemen will Im Kalender des Romulns finde ich keine
Spur des Mon^'shres, ich leite es also von da her, woher es die
Tradition ableitet : Numa hat es eingeführt, Numa war Sabiner.
mithin ist die Institution ursprünglich sabinisch. In seiner Urform
konnte dies Jahr kein gebundenes Mondjahr sein, da «'in solches
nicht aus 355 Tagen besteht, es mussto also ein freies sein.
Aber die Tradition liefert auch directe Beweise.
Lydus, de mens. I. 16, sagt mit dttrren Worten, es habe Tor
Gründung Roms ein, nach dem Mondlanf sich richtendes Jahr in
Italien gegeben. Freilich knüpft er die irrthlimliche Folgerang
daran, Romulus habe aus diesem sein zehn monatliches Jalir gebil-
det, weil »T ja auch in dem Wahne het'aii^eii, war, dass das romn-
lische Jalir ein gebundenes Mondjahr gewesen .sei ; das thut aber
der Glaubwürdigkeit der Notitz, dass in lüilieu in vorröraischer
Urzeit ein j&eies Mondjahr im Gange war, keinen Eintrag ;nQr
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DLR ALlKuUiStUt hALENDKB. . . Q91
ist dien Jalir nicht in Latiom zu Buchen, wo man deu Muudlaut'
nicht beachtete.
Maerobius spricht Sat. 1, 12, 89 in seiner Erörterung über
den alten Kalender von einem Wändeljahr. Es ist in seiner Kotitz
ein Irrthum und ein Missferstandniss. Irrthümlich ist die Angabe,
(las Juhr sei ^304-t;igig «gewesen; missverstaiuk'ji die neliauptuuj^,
das .lalir sei des\vrn;en mit den .lahrnzeiten uicht im Einklänge
, gewesen, weil es dem Mondluiitc sieh nicht fügte: aber das VVan-
deljahr ist acht l Aber das Jahr des Kumulus wars nielit, auch das
des Numa nicht ; sondern es war das sabiuische alte freie Mond-
jahr Ton 355 Tagen, das Numa nach Rom brachte.
Ganz so wie Macrobius und mit demselben Missverständnisse
sprechen davon Plntarch. Caes. 59, und Geminus a. a. 0.
Jedenfalls ist dies sabinische Mondjahr plausibler als die
KLmstelcien Husclike« und liintmann'a, die doch am Ende resul-
tatlos bleiben.
Xuma sclinnd/ das sabinisc lie Mondjahr mit dem röniis( Ihmi
Sonueujahr zusammen, und coustruirte so ein gebundenes Mond-
jahr als Grundlage des romischen Kalenders.
In der gesammten Tradition erscheint die Verfügung Numas,
im Vergleich zu den romnlischen Zustanden als Verbesserung, als
autfallonder Fortschritt; Numas Kalender ist vollkommener als der
des Hoiiiiihis, voll Kfweiseu von Wissenschatt und Weisheit. - Ist
dem so, HO kann das Jahr (h's Numa uur ein sohdies s» in, das
sich gleichmässig dem Sonnenlauf und den Aloudumläuten au-
passte, d, h. mit einem Wort«' ein gebundenes Mondjahr, und ein
solches ist ohne Schaitmonat nicht denkbar.
Ehe ich aber auf die Tlntersuchnng über den Schaitmonat
nnd das Schaltsystem eingehe, muss ich zuerst eine andere Frage
erdrtem.
Als Numa durch Verschmelzung des sabinischen Mondjahres
mit dem romulisehen Soiineujiihre ein MondsoniK-iijahr coii^truirfe,
muHste er zunächst die Eintheilung des alten .lahres ahiindern.
Die gewöhnliche Tradition ei-zählte, dass das Jahr des Eomulus
aus 10, das des Numa aus 12 Monaten bestand. Da man nicht
wusste oder nicht beachtete, dass die romulisehen sogenannten
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ed2 ifh'H ALruimiavm: kalendbb.
Monate liimuielweit von den Moiidiu<»Uiiteii Nuiiia.s versrhieileii
waren, bildete sich die irrthUmliche Aufitwauug, dass Numa den
]0 Monaten des llomulus zwei Monate hinzugefügt, und so «las
Jahr ergänzt liabe. Diejenigen, die das 304-tttgige Jahr ernst naii-
men, sahen in den 355 Tagen des Numa einen bedeutenden Fort*
sehritt. Sie vergassen dabei, dass die angeblich dem Jahr angefügt
ten 2 Monaten 29 + 28 = 57 l^ge zahlten, iind 504 + 57 = 36 1
und nicht ij55 ergibt. Alle Künsteleien Hiisckke's und Hartniauif 8.
reichen nicht aus den Widersprueli zu lösen. Sie müssen entweder
den Character der Moudnionute ganz aufgeben, oder eingestehen,
dass sie die Sache nicht zu erklären vermögen.
Ist es nun nicht viel einfacher und natürlicher, dass Numa
das sabinische Mondjahr herüber nahm, und da er sah, da» dies
gegen das Sonnenjahr um 10 Tage zu kurz war, ein Schaltjahr
stiftete, Ton dem ich weiter unten ausAlhrlich handeln werde. Ans
lUicksicht auf die hergebrachte romische Gewohnheit, übertrug er
die Namen der alten .Jahresabschnitte auf die neuen Mundmonate,
und da solcher nur 10 waren, soll er aus einem alten latinischeu
Kalender die beiden Namen : Januarius und Februarius aufgenom-
men haben ; ich yermuthe Yielmeiur, dass es sabinische Monatsna-
men sind.
Aber es ensteht nun die Frage, wo standen die zwei neuen
Monate im Jahre?
Ans Orids oben angef&hrteTi Versen seheint zu folgen, dass
die ])eiden neuen Monate vor den luhresanfang gesetzt w orden ;
allein das steht in evidentem ^^ iderspruche mit der unläugbureu.
und weiterhin noch zu erhärtenden Thatsache, dass der Februar
nicht nur ursprünglich, sondern gewiss bis zu Caesar's ileform,
der letzte Monat des Jahres war und blieb. Hiezu kommt noch,
dass Ovid (fast 2, 47. u. ff.) zu sagen scheint, es sei Januar an den
An&ng, Februar ans Ende des Jahres gestellt worden, und hieniit
stimmt auch Augustinus (de eW. dei 7, 77) überein, anderer noch
jüngerer Schriftsteller nicht zu gedenken. Daraus hat nun schon
Petavius (Doctr. terap. IL, 74.) gefolgert, Numa hal)e die beiden
neuen Monate so an das Jahr gefügt, dass Jainiar vor dem März
an den Anfang, Februar hinter deu December an den Schluss des
Jahres zu stehen kam. Scaliger hingegen und mit ihm die grosse
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m
MpHrzjihl (Vr rUronolf.^pii. liidteu IVst, »kiss die Rcilioiifolj^e dor
Moiiatr iiiit (Inn Miir/ hojrMiiiion Ii:i1>f', und iiufli (l«'ni Deceniher,
Januar uiid Fdiniar t"nlir(rii. wie iiucliweislicli später in der repu-
blikanischen Zoit. Xeuerdings ist nun Hartmann wieder zu Petav's
Anf^idit ziiriickgekehriH imd sucht darzutliun, dass Ovid nur fast.
2, 47 das Richtige sage, aber fast 1, 43 sich ungenau ausdrücke;
dabei legfc er grosses (Gewicht darauf, dnss die Äusserung St. Au-
gustin's aus Yarro geflossen sei.
Nun mich dflnkt, nicht nur St. Augnstin, auch Ovid hat aus
der.'^elben Stelle Van-os geseliöpft. Die Identität der Quelle veiTätli
sich diircli die Identität dfr Hci^rihiduug : Jani mensis prinius, quia
janua prima est; — propter iuitia (est additus Januarius, ideo
dicuntur rerum initia ad Janum pertinere). Man sieht : Varro hat
nicht gesagt, dass er unwiderlegliche Beweise für die Stellung des
Januar am Jahresanfänge habe, sondern er stellte eine Etymologie
auf, worin er Januarius, Janus und janua zusammenfasste, und in
seiner auch sonst befolgten Weise zu dem Sohlusse kam, Januarius
müsse das Jahr eröifhet haben.
Schon der Umstand, dass die ganze Behauptung auf einer
Etymologie l>erulit, maclit sie verdächtig. Halten wir uns gegen-
wärtig, dass Numa keine neuen Monate gebildet, dass er nicht den
vorhandenen zehn Monaten zwei hinzugef(igt, sondern an die
Stelle des in 10 Saisonen abgetheilten romulischen Jahres das 12
monatliche sabinische Mondjahr zur Grundlage des romischen
Kalenders machte, mithin gar keinen Grund hatte die Reihenfolge
der Monate abzuändern. Nun ergibt sich aus dem, was ich oben
über das sabiniselie Moudjalir dargetlian habe, dass der verkürzte
Februar nur am Jahresschlüsse gestanden haben kann, und dies
ist auch nie in Zweifel gezogen worden. Es dreht sich also oti'eubar
die ganze OontrOTerse um die Frage, ob auf den Februar als erster
Monat des neuen Jahres Januar oder März gefolgt sei, and diese
Frage mnss wieder in zwei zerlegt werden. Zuerst haben wir zu
untersuchen, ob ein plausibler Grund für die Annahme existare,
Januar sei ursprünglich der erste Monat im Jahre gewesen ; dann
müssen wir uns Überzeugung davon verschaffen, ob der Januar je
so auf den Felauar folgen konnte, das- der letzte Tag Februars
pridie Kai. Januarius gehei;<seu hal>eu könne.
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694 nRR ALTRVkMlÜlIB KALKNDRR.
0
Das« im romulisclieii Jabre Mäns der erste Monat war, ist
»o «eher, das» es keines weiteren Beweises bedarf. Was konnte
mui Nunia dazu Ix'wnufeTi halM'ii doii Jahn's.iiifang vom IJegiun»»
des Frühlings uin ('iiieii Monat /-mück siut' t'iiuMi solchen Zeitpunkt
/LI verlegen, der durch giir uiehtti aiisgezeiciiüet, überhaupt kein
Jahrpuukt ist ?
Die Verfechier der Priorität des Jannar wissen hierauf nichts
zu erwiedem, als dass Numa, der auch Religions-stifter war, dem
Beginn des Jahres einen Vorbereitungs-Monat yoraufgehen lassen
wollte. Das heiast denn aber doch dem nfichtemen Staatsordner
des Alterthiims eine geradezu absurde Künstelei in die Schuhe
scliieheii. Nuturgcmiiss gcliint doch eine \'or)>crcitiintjs-fri.st ant"
4'inen beginnenden Zeital>schiiitt nicht in diesen >^lh>t, soiulorn au
da» Ende des ihm voraulgegaugenen Zeitabschuittes : und der rö-
mische Kalender gibt nns ja selbst das unverdächtigste Zeugniss
an die Hand, dass man in Rom so gedacht. Man hatte in den letz-
ten Monat des Jahres das Jahresschlnssfest, die Terminalia, gelegt,
aber nicht an das Ende des Monats, sondern auf den 23-teii Tag ;
offenbar damit nach diesem Schiusafeste noch 4 — 5 Tage erübri-
gen, an denen man sich für dtm Beginn des neuen Jahres vorhc-
reiten konnte; wozu hätte es da noch eines weiteren Vorherei-
tungsmonat>< lu'durlt {* l)ie.se ganze Ijeliaupiung ist nichts anderes,
als ein schlecht erfundener Lückenbüsser ; dies ist kein Beweis ftlr
die Anfangsstellung des Januar !
Die Tradition weiss nichts daron ; die Stellen bei Orid und
St. Angustin stehen ganz isolirt da ; ja die letztere spricht es gar
nicht bestimmt aus, man muss es erst hineinlesen ; die bei Hart-
mann Seite 18 und 19 aufgeführten Belege sind viel Jüngern
Datums und entweder direct aus Varro oder mittell>ar aus Auffus-
tili getlosseu, beweisen also weiter nichts. Desto mehr aber bestrir«
keil sie den Satz, dass Februar der letzte Monat des Jahres war.
Am 23-ten Februar war das Fest der Terminalien. Nach dem
einstimmigen Zeugnisse der Tradition bezeichnete dies Fest den
Jahresschluss. Nun war bekanntlich Terminus ein sehr halsstarri-
ger, conserratiTer Heiliger, der sich nicht Ton seiner Stelle schie-
ben liess. Diejenigen, cüe ursprünglich den Januar an die Spitze
des Jahres stellen, nnd nnn sehen, dass in bistorischer Zeit die
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Reihenfolge stet» iVwHe war: .lamiar, Fehniar, März n. h. w., sinH
.£?<MinthiV^ nii/niichiiii'ii. (biss einmal in ilor T'rzcit der Frl>riiar. und
mit iliiii uiiti'irlicli am li d*'r Terininus von der k'izicn Stelle mi die
zweite verlegt worden sei. Ist die:> nun deukbar /u einer Zeit, wo
die religiöse Sclieii noch ho mächtig war, wie /.. B. zur Zeit der
Dezemiim? Julius Caeser konnte es wagen und durchsetzen ; in
jener Urzeit hätte sieh gewiss ein Atfcus Narins gefunden, der dem
gottloaen Neuerer das Handwerk gelegt hätte. Konnte aber Februar
niebt von der zwölften auf die zweite Stelle versetzt werden, so
imisste die AndeniiiLj; so bewirkt werden, dass num den Jannar von
•ler ersten Stelle an die «dfte versezk». Aber diese Absurdität wagte
gar uiemand zu behaupten.
Wenn ursprünglich Januar der erste, Februar der letzte
Monat im Jahre war, was m»g wohl die Romer, etwa die Decem-
▼im dazu bewogen haben, den Februar vom Ende des Jahres neben
den Jannar zu versetzen ?
Ani die>e IuM<^e siu-lit Hartman ü von .Seite 83 seines Bucbe.s
l)i> S. lOo, also einen vollen Druckbogen hindureb, die Antwort.-
Der laugen ilede knizt r Sinn lüutt darauf iiiuaus, dasä luau den
Jahre.<«anfiing auf die Bruma zurückseliieben wollte aus einem nicht
ganz klaren religiös-mystischen Grund ; dass man hiezu ein Schalt-
jahr abwarten musste, um den Februar unvermerkt vor den März
schlupfen lassen zu können, und hiednreh den Januar um einen
Monat nacb rüokwiii'ts zu dr'annfen. Es ist erstaunlich zu sehen,
w ir iler Mann sieb abnnilit. nni eine eintaelu' Saelie ni(>glirlist /u
verballhornen. Um den 1-ten Januar auf di(f Bruuia zu bi'iugeu,
durfte man ja nur einen einzigen Schaltnionat weglassen : voraus-
gesetzt, aber nicht zugegeben, dass der 1-te Januar Neujahrs-
tag war.
Aber wie, wenn man diese ZurQckschiebung des Januar so
bewerkstelligen wollte, dass darum doch der 1-te März Frlihling.s-
anfang bleibe? War dov l-(e Mär/ nicht Xenjabrstag. so lilsst sieh
hietur gar kein verniuiltiger (.irund angeben : wo hingegen das
Terminalienfest ein .sehr triftiger Grund war, den Februar am Ende
des Jahres zu belassen. War aber der 1-te März Neujahrstag, so
konnte es der 1-te Januar nicht sein, und die ganze Argumenta-
tion zerfallt in Nichts.
606
DBR ALIRAHIsrnE KALBHT^BB.
Ks ist also (luicliaiis u'cl>t piinnal ein ScliPin oinos goiiugeii-
dea nnmde.s für die ümsetzuiig des Februar vorliaiiden, und da
wir in historischer Zeit deu Fo])ruar /.wi<:chen Tanuar und Man
stehend finden, so können wir ohne Scrupel folgern, dass er immer
da gestanden ; nnd da Februar unbestreitbar der letiste Monat des
Jahres war, so war Januarius nicht der erste, sondern der elfte
Mouat, und das Jahr lie^aun mit dem März. Es ist aber auch
iiati'irlicli, dfiss der (ios»'t/.geber, der der liergel)r:i<^litoiJ <iew<ihii-
heit ao gewisseuliaft ivechuung h-iigt. dass er hA Eiiitiihning einer
neuen Jahrform die Namen <1(H- alten Jahresabsohuitte für seine
neuen Monate adoptirte, sein Volk nicht durch eine ungegrOndete
und unnöthige Verschiebung der gewohnbeitsgeniassen Jahrpunkte
ärgern werde.
l'ür mich ergibt sich hieraus als unjfweifelhafte €rewissbeit,
(lass als Nnniu den sabiuischen Mondkalendrr in i\<>in eintülirt*N
er den 10 ersten Monaten seines Mondjahres die Namen der römi-
schen Jabresabschnitte gab, dem eiiften uud zwölften aber die
Namen Januarius und Februarius gab, oder wohl gar nur diese
Altsabinischen Namen beliess.
Aber sein Jahr zählte nur 855 Tsge, füllte daher das Jabr
nicht aus.
Will ein Mondjahr sich dem SounenlautV so anbecjuemen .
dass seine Monate mit den Jahrszeiten Schritt halten, so kann, es
ohne Schaltmonat nicht bestehen ; und dieser Schaltmonat kann
nur ein wirklicher Mondmonat sein. Dies bedarf keines Beweises.
Numa musste also, sollte sein 355-t&gigeB Jahr kein Bück-
schritt sein, ein Schaltsystem anordnen, um die dem Jahre abge-
benden 10 Tage herein zu bringen.
Die natürlichste und primif iv^^te Art der Schaltung ist die^
dass man den (umg des Kalenders durch unausgesetzte Beobach-
tung, controllireod, so oft man merkt, dass der Kalender der wah-
ren Zeit Yorauseilt, die Uhr des Kalenders stehen lasst, und aie
nur dann wieder in Bewegung setzt, wenn die Natur sie wieder
eingeholt hat. Numa wird nun wohl auch ein solcbee Schaltsyt-
tem adoptirt haben, dessen Formel ungeföhr folgende gewesen
sein mag :
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I>BR ALTRöMItfCBE KALRlinBR. 097
Vou Neumoud zu Neumond ist ein Monat« ungefähr 29 Tage.
Damit diese 29-tägigen Monate mit dem MondlauF in Einklang
bleiben, erhalten der 1., 3., 5. und 8. Monat je einen Tag mehr,
dagegen wird dem 12-ten Monate ein Tag jil)gezoiren, oder wenn
dies nicht ausreicht, auch 2; Das zwölt'inouatlicho GeiiK'iujahr wird
demnach 355 oder 351 Tage zälilen. Aber dies Jahr ist zu kurz,
und wird daher der wahren Zeit vorauseilen. In der Kegel «oll
März den Frühling, Juni den Sommer, September den Herbst,
Dezember den Winter beginnen. Wird man nun bei fortgesetzter
Zählung Ton Gemeinjahren merken, daas der Kalender bereits beim
März etc. angelangt, der FrQhling etc. aber noch lange nicht da
iflt, 80 lässt man den vorausgeeilten Kalender stehen, daa heisst,
man lässt einen vollen Monat als überzählig verstreichen, damit
die Jahreszeit den vorausj^ccilten Kalender einholen kann. Die ,
Durrhfiihrunjjf dieser lMassrr«_j('l wird dem J^ontitex iibertrayfeu.
Das mag Xuuias Kalenders} stem gewesen seiu. Offenbar
wir 1, wenn der Pontifex seinem Auftrage nur mit mittelmässiger
Aufmerksamkeit nachgeht, ein solcher Kalender ziemlich mit
Mondlauf und Jahrszeit stimmen, um so mehr, da in der Königs-
zeit kein Qrund vorhanden war, weshalb der Pontifex mit der ihm
Qbertragenen Gewalt Missbraueh treiben sollte. Aber auch das ist
klar, dass in einem solchen Kalender die durchschnittliche Jahres-
dauer nicht 355, sondern wenigstens 3i)5 Tage l)eträgt. Nur die
Uemeinjahre zählten 355 Tage, die ai»er durch die von Zeit zu
Z»>it eintretende Schaltung ergänzt wurden ; es ist daher ein-
fach unrichtig zu sagen, dass das römische Jahr seit Numa 355,
tSgig war.
Aber das System war mangelhaft; es war weder im Voraus
" bestimmt, welche Jahre Schalljahre sein sollen, noch war dem
Schaltmonate sein Platz im Schaltjahre angewiesen, das heisst,
nacli unserer Kedeweise : der Schaltcyclus war nicht fes^ffesetzi.
Di»' ^e<i;eben<» ^Veisung war liir den wissenden klar geijug. aber
der Laie konnte darin, dass zwischen je zwei »Schaltjahre bald zwei,
• bald drei Gemeinjalire traten, und dass im ►Schaltjahre der Scliait-
monat bald in die eine, bald in die andre Jahreszeit fiel, nur Bys-
temlosigkeit und pontificale Willkfihr erblicken. Ein geringes
Missverstandniss, eine kleine Unachtsamkeit von Seite des Ponti-
nng»H»Pb» R^vne, 19^2. vm.— IX. Heft. 45
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698 1>KS AIiTKOHIHCflK KALBNOIB.
feXf und der Kalender gerieÜi in Verwirrung and stimmte weder
mit dem Mond, noch mit der Sonne ; und das konnte leicbt vor-
]i;ommen. Der Kalender war daher einer Verbesserung bedürftig,
und es ist Servius Tullios, dem die Tradition diese Verbessenuig
zuschreibt.
Worin bestaiul nun dio Verbessei ung Sorv iu.s Tiillius ?
Einfach in der IV'stset/.ung des 8chiilt( ycluy. Wie er dabf»i
vorgegangen, hat die Tradition uicht bewahrt ; aber durch ßück-
scblnss aus dem was wir iu historischer Zeit vorfinden, können wir
uns doch beiläufig ein Bild seiner Reform entwerfen.
Wie gesagt, muss deijenige, der ein Mondsonnenjahr, and
einen dazu gehörigen Sohaltcyclus entwerfen will, die Dauer de»
Sonnenjahrs und des Mondmonates kennen. Wie genau die,ee
Kciintiiiss ist, kommt liier uicht iu Betracht. Eine ungeiuiue
Keuntuiss wird e))eii auf eiuen uugenainMi .Selialtcyelus führen.
Es muss aber der Anordner des Cyclus auch darüber mit sich
im Klaren sein, was für einen Gharaeter er seinem Jahre zu geben
beabsichtigt.
Fragen wir nun, eine wie genaue Kenntniss der Dauer des
Jahres und Monates wir bei Servins Tnllius und seiner Zeit voraus-
setzen dttrfen, so glaube ich getrost annehmen zu können, dass
man theils aus eigener Erfahrung, theils uucli aus griechischeu
Quellen bereits wissen konnte, dass das Sonuenjnhr etwas iil)er
365, das zwölfmonatliche Mondjahr etwas über 354 Tage zählte,
mithin der Unterschied der Tagzahl beider ziemlich genau 1 1 Tage
betrage. Auf einfache, naturgemässe Weise rechnend, fand man
demnach die Differenz um die das 12 monatliche Mondjahr dem
Sonnenjahr voranseilte, und die durch Schaltung auszugleichen
war, nach Ablauf des 1, 2, 3, 4 u. s. f. Jahres in 1 1, 32, 33, 44
u. s. w. Tagen ausgedrückt, und da die Schaltung in Mondmonaten
zu geschehen hatte, so war uutor diesen Difterenzeu die möglichst
kleiuste zu suchen, die auf eine volle Anzahl von etwas über
tägigen Monaten auskam, und verfiel so auf die nach Verlaut von
8 Jahren aufgelaufene Differenz von 88 Tagen, die gerade ;^ Mo-
nate zu 29 Vs Tagen gab. Man hatte also iu 8 Jahren 3 xMonate
einzuschalten, undzwar nach Anweisung der gefundenen Tages-
differenzen am Schlüsse des 3-ten, 5->ten und 8-teu Jahres. Da man
üiyiüzcü by GoOglc
nisn ALTKöMiBrni: KAt.vimKU. . 899
aber die Schaltmoiiatt; iiui' 25)-tiigig Jialini, 8(3 ergab der ganz«
ScluiUcyclus 8 X -354 + X 29 — 2832 f 87 — 2910 Tage, da
docli 8 8onnenjahre zu o05 Tagen 2920 Tage crgelieu. Der Cyclus
war demnach gegon acht Jahre um einen Tag zn kurz, det h das
konnte den Ordner des Kalenders nicht beunruhigen ; denn da. das
Sonnenjahr selbst noch etwas langer danert als 3G5 Tage, dagegen
aber die Mondjahre des Nnma 355-tagig waren, mit dem Vorbe-
halte jedoch, dass sie den Umstanden nach eventuell um einen Tag
gekürzt werden kruinen; konnte es ohne grosse Mühe gelingen
einen 8-jälirigen Cychis aus fünf 12 monatliclien und drei 13 mo-
natlichen Jahren, also im Ganzen aus 99 Mondmonaten so zu
coustruiren, dass die 8 Jahre zusammen eben auf 2920 Tage aus-
kommen.
Mag man nun selbst auf dies Resultat gekommen sein, oder
mag die griechische Oetaäteris als Muster gedient haben, so viel
steht meiner Ansicht nach fest, dass der Schaltcyclus des Servius
Tullius ein 8-jiihriger war ans '> gemeinen und Schaltjahren
gebildet, dass die Jahre in demselben wirkliclie Mondsonuenjalire
waren, d. h. solche, in denen die Monate dem Mondlaufe folgten, .
während die Jahre im Durchschnitte der Dauer des wahren Sonnen-
jahrs ziemlieh entsprachen.
Offenbar kann in einem so geregelten Cyclus yon willktthr-
lichefT Schaltung überall nicht die Rede sein. Ebenso halte ich es
für unzweifelhaft, dass man l^ei Constrnction des Cyclus eine Ta-
helle /.iisanmienstellte, die Jahre, Monate nnd Tage des ganzen
Cyclus biä ins Einzelne nachwies, so wie dass nach der Absicht des
Verfassers der Tafel auf den letzten Tag des abgelaufenen Cjclns
unmittelbar der erste Tag des neuen Cyclus folgen sollte, und die
einzelnen Schaltkreise sich ohne irgend welche Änderung vollkom-
men gleich sein sollten. Die Stelle des Schaltmonats im Schaltjahr
war gewiss die dreizehnte, er schloss sich dem 12-ten Monate an.
Icii glaube nun, es lasse sich gegen die Voraussetzinig, dass
die isiaienderverliesserung des Öervius Tullius nichts anderes gewe-
sen sei. als die Einführung eines fest geordneten Selialtkreises,
nichts erhebliches Einwenden. So wenig ich für die Richtigkeit des
eingeführten Cyclus einstehe: ich wage dennoch zu behaupten,
dass ihm grobe Fehler und Unrichtigkeiten nicht anhafteten. Nun
45'
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700 IVSR ALTBAMISOHK XALBItDBB,
zeiht freilich Momniaen auf Sehritt and Tritt die alten Römer
krasser ünwissenheif und stnpiden Aberglaubens, wo hingegen
Hnsehke und Hartinann bei ihnen die Kenotniss des Meton^schen
und Endoxischen Kalenders Tomussetzen. Aber die Römer waren
schliesslich doch nicht, so ixar eiutViltig. Wo eine cloava maxima
erbaut w erdoii kojint<\ war auch die Construetion des l^eschriehe-
nen Schaltkreises möglich.
Der Einwand, dass die hior aufgestellte Formel viel vollkom-
mener ist, als das Terwnrrene Kalenderwesen, das in der repiibli-
kanischeu Zeit nachweislieh in Rom Oeltoug hatte, wäre stichhal-
tig, wenn sich nicht die handgreiflichen Ursachen des bezeichneten
Rfickschrittes nachweisen Hessen. So lange Köp ige in Rom herrech-
ten, blieb j»ewiss die entworfene Tafel in Anwendung, und lief
ohne /nfitcl zicmlicli frc.ordiict fort, so dass jfewiss keine jrrösspre
l)iffer«'nz entstand, als welche die l 'nj'enaiüi'keit des Kiiloiider<
selbst bedingte ; ja viplleicht wurde auch diese durch fortwährende
controlirende Beobaclitung constatirt, und nach Erfordemiss durch
ausserordentliche Schaltung berichtigt.
Was war nun die wahre Daner des serrianischen Jahres?
Wir haben gesehen, dass das Geroeiigahr Numas nominell
355 Tage hielt. Nnn beträgt die Dauer Ton 12 mittleren Hond-
mouaten nach unserem heutigen Wissen 854 Tage 8 Stunden, 48
Minuten. Bleiben wir mit Ifncksicht auf ilas Alterthum l>ei :>54
Tagen, 8 Stunden stehen, so sind ;)5r» Tage um 1() Stunden zu viel,
eine Ditferenz, die schon in 3 Jahren auf volle 2 Tage, anwächst.
Diese Rechnung geht von der mittleren Dauer der synodischen
Beleuchtungsmonate ans. In der Wirklichkeit sind die Mondmo-
nate nicht YöUig gleich, besonders ist das Sichtbarwerden des
neuen Mondes durch Umstände, deren Erörterung eine hier
nicht einfftgbare astronomische Darlegung erfordern würde, einer
Schwankung unterworfen, so dass eine Abweichung von 1 — 2
Tagen zwischen Kalender und Himmel anfangs gar nicht auffallt.
Wenn aber die Differenz von Jahr zu Jahr stetig zunimmt, dann
muss sie auffallen. Die il(imer haben sie auch wahrgenommen, und
haben Abhilfe gesucht Sie beobachteten nehmlich nuausgesetzt,
und wenn sie sahen, dass der Neumond, der nach dem Kalender
am 28. Februar erscheinen sollte, schon am 27-ten sich sBeigie.
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DKR ALTKÖMIskRIS KiUM>EB.
701
Hessen sie (h u JS. Ffbnmr einfach weg. uini Iicsm n auf den 27-ten
Fel»riiar tlfii 1. März lolgeu. Diese Ausiiier/iuig wurde wabrseheiu-
lich schou au deu Noueu des Februar augekündigt, man kounte
jtf schon damals wissen, ob sie notliwendig sei. Aber durch diese
Aoameirxiiiig ward das betreffende Jahr d54-tagig. Nim haben wir
aber gesehen, dass der F^er bei fortgesetstem Zahlen von 355-
tilgigen Jahren in drei Jahren auf 2 Tage anwächst ; ja da drei
Jahre eigentlich ohne Dazwischenkuuft eines Schaltjahres garnicht
auf einander folgen kounten, so müssen wir annehmen, dais.s die
Ausmerzung jedes zweite Jalir nutliwendig wurde, also jedes zweite
.lahr o54-tägig war. Demnach hatte der Cyelus: 4 X 351 -(- 4 X
355 + a X 29 = 2923 Tage, und dien ist gegen 8 Sonne^jahre
von 3G5 Tagen um 3, ja selbst die Jahre zu 365 Tag gerechnet
noch um 1 Tag zu viel ; dazu kommt noch, dass 99 Mondmonate
genau gerechnet noch etwas Aber 2923 Tage ergeben. Fortwäh-
rt'ude Beobachtung niusste also zu dem Kesultate führen, chiss 8
Jahre, von denen i zu :>"> 1 und 4 zu oTio Tagen gerechnet werden,
nebst drei 2iJ-tägigen bchaitmouateu in 8 Sonneujahreu keinen
Kaum finden. £s muss also entweder im Vorhinein der Cyelus so
constmirt werden, dass die überzähligen zwei Tage irgendwo weg-
blieben; oder wenn damals die Differenz noch nicht so genau be-
kannt war, konnte die entworfene Tafel unberQhrt bleiben und durdi
ausserordentliche Ausschaltungen nachgeholfen werden. Dies letz-
tere ist w^ahrscheinlicher, und sind wahrscheinlich einzelne iSchalt-
monate zu diesem Zwecke um je einen Tag gekürzt worden. Es kön-
nen wohl einzelne Details dieser Darstellung beanstandet werden«
aber im Ganzen ist es gewiss, dass in diesem Systeme die gemei-
nen Mondjahre nur nominell 355-t3gig wareui und dass mit Adop-
tinmg dieses Systems der erste Schritt zur Beseitigung des Mond-
jahrcharacters geschehen, und der Übeigang zum reinen Sonnen-
jalir Hiig('l>ahnt war. Die durchscbnittliclie Juhresdauer aber in
diesem lyclus war weder 354 noch 355, sondern 365 Tage und
wohl noch etwas darüber
So wie überall, wo Mondsounenjahre gezählt werden, so war
aach ihm rdmischen Kalender die Dauer der einzelnen Jahre un-
gleich; es gab 354, 355, 382, 383, 384-tagige Jahre, die miteinan-
der abwechselten, aber nicht in sicher rorher bestimmter Reiheu-
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I
102 DBS ALTSÖNieCHK iALBHDBR.
folge ; denn die Kalendertafel gali wohl an, welche Jahre gt mräie,
welche Schaltjahre sein sollen, eh aher irgeud ein Gemeinjahr 354
oder yS.'-tä^ig, ein Schaltjahr 382, 383 oder 381-tägig sein werde
diis war aus den Tafeln nicht zu entnehmen.
Nohen den Jaliren liefen die Xundineu her ; jeder Tag
war Markttag, und dies regelmässig ohne irgend welche Rficksicht
auf Mondphase oder Jahreszeit, regelmässige oder ausserordentliche
Aus- und iiinschaltung, ganz ehen so wie unsere Wochen.
Der Schaltmonat folgte im Schaltfahr am Jahresschlosa un-
mittelbar auf den Februar; man zählte dann im Februar statt nach
Kulendae Martiae, nach Kaien dae Intercalares.
Die Ta<^e wurden hereits so gezählt, wie in der hist-orischen
Zeit; auf die Kalenchie folgte im 31-tägigen Monat ; a. d. VI : im
20 tägigen a. d. TA' Nonas ; auf die Nonen üherall: a. d. VlII Idus:
auf die Iden mit alleiniger Ausnahme des Fehruar: a. d. XVJI Ka-
lendas (mensis sequentis); im Februar im 354-tägigen Glemeuijahr:
a. d. XV, im 855-tagigen : a. d. XVI Kai. Martias ; im 883-ifigigwi
Schaltjahr: a. d. XV, im 384-fögigen: a. d. XVI Ealendas Interca-
lares ; nach den Iden des Schaltmonates in der Regel : a. d. XVII
ausnahmsweise im 382-tägigen Schaltjahr : a. d. XVI Kai. Martias.
OtlVnhar ist in diesem System alles klar und l)estimiut bis auf
den einem 35r)-tcn Tag, desseji Heil)ehaltung oder Weglassnng
einigen Anstand in der Tageszählung der zweiten Hälfte des
Febniar verursachte, der aher darum von keinem Belange war, weil
ja die VerfOgnng über diesen Dispositionstag schon an den Nonen
des Februar yerkfindigt werden sollte. Freilich kam es Tor, dass
diese Ankündigung nnterhUeh, und dieser Umstand mag schon frfih-
zeitig Veranlassung d^izn gegeben haben, dass man um sicher zu
gehen nach den Llen des Februar so zu datiren anfing", a. d. X Ter-
minalia. Das Tcrminalienfest haltete unverrückbar an di'm 23-teu
Februar, und gab demnach einen sickern Zielpunkt; nach den Ter-
miualieu aber musste man jedenfalls schon im Klaren dar&ber sein,
ob der 1 '« bruar noch 4 oder 5 Tage haben werde.
Die Römer hatten also einen wohl geordneten Kalender. Was
konnte sie bewegen ihn abzuändern.
Die Annahme, sie hatten durch fortgesetzte Beobachtung die
Ungenauigkeit ihrer Rechnung wahrgenommen, und dem Uibel
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ma ALTKoMIäCHU JiALKNHEK. 703
darch finführong eiues genauer berechueten Suterns abhelfen
woUeu, ist durch den naehweisUchen Erfolg der Aenderong ausge*
schlössen. Ich glaube aber die folgenden Gründe ausfindig ge-
macht zu haben :
1) Es war in den Kämpteii, <lie nach \ ertreibung licr Köuige
um die Freiheit und Selbständigkeit Roius gefochten wurden, dei*
Ghmbe eutstandeu, dass die Jahre, die mit eiuem Nundinaltage
begouneu, l uglück über den Staat brac hten. Um dies zu vermeiden
musste man, da der Nundinaltag nicht verlegbar war, de» Neujahrs-
tag (1. März) yerlegen. Bewirkte man dies durch Ausschaltung eines
Tages im leisten Monate des zu Eude gehenden Jahres, so musste
dieser Tag, sollte der ganze Kalender nicht Terschoben werden, im
nächsten Jahre wieder hereingebracht werden, durch Einschaltung
in den Fe)>ruar oder Schaltmonat.
«) Die römische Plebs t'eiorto au dcu Noucn jedes Monates
den Geburtstag des weisen Königs Servius Tullius ; Furcht vor
einem royalistiseheu Aufstände der Plebs bewog zu dem Beschiuss,
dass die Nonen nie auf Markttage (Nundinae) fallen sollen (S*-
Macrob. Sat. 1, 13, 18). Um dies erreichen zu können, wurde der Ea-
lender«Gommission Vollmacht ertheilt nach Ermessen und Bedarf
jenen gewissen 355-ten Tag dann und dort aus- und einzusdialten,
wo dadurch dies ZusammentreflTen vermieden wird.
Eine einfache, Rechnung deren Durchführung hier zu viel
Raum einnehmen \vürd(\ zeigt, da.ss nur in einem solchen Jahre,
dessen Nundinalbuchstabe F ist, kein Markttag auf einen Nonentag
fallt. Es war also Aufga))e der Commiss^on durch Ausmerzung eines
Tages den Nundinalbuchstaben immer auf F zu bringen ; dies ist
aber, namentlich in Gemeinjahren in dem oben dargelegten System
unausföhrbar ; es musste also das System geädert werden.
3) Im republikanischen Kalender finden wir hinter den Ter-
minalien auf a. d. VI Kai. Martias einen neuen Festtag das -Re^i-
fiigium" angeset/,1, das im Altherthume allgeuiein als .Jahrestag
der Vertreibung der Könige aufgefasst ward; uui^eblich noch später
trat a. d. III. Kai. Martias unter dem Namen „Eijuiria* ein neues
Fest binzUf eine Vorfeier der grossen Marsfeste im März. Nun sollte
das Datum dieser beiden Tage unabänderlich a. d. VI und a. d. III
Kai. Martias bleiben, und dadurch ward es unmöglich zwischen
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704 1>1K ALTRÖIOSOHB KALICMIXDL '
Febroar und März den Schalimonat einzufügen. Es mussie daber
dem Schiiltmonate eine sndeie Stelle angewiesen werden. Wieder
eine Veranlas«uiig zur Aenderiin«? der Kalendcrtaiel.
4) In der Köui^szeit hatte das Aiiit.sjabr gar keine iiedeutiiiig;
ja es ist walirscheinlicli, dass der Hegrift' des Amtsjahres noch gar
nicht ezistirte. Dagegen erhielt durch den jährlichen Wechsel der
Magistrate in der Republik das Amt^jahr hohe Wichtigkeit. Man
wollte die Amtsjahre möglichst gleich lang dauernd haben, der ToUe
Schaltmonat machte eine zu grossen Unterschied ; es musste also
das Schaltsystem geändert werden.
Ich ghiube diese vier Gründe erklären zur Genüge, warum das
republikanische Horn den aus der Künigszeit überkommenen Ka-
lender abändern zu müssen glaubte. Den fünften, die Anordnung
der dies &sti übergehe ich absichtlich ; nach meiner Ansicht hat
sie mit dem was hier in Frage steht, nichts zu schaffen.
Wie hat man nnn den Kalender al)geändert ?
Bs kann mir wohl nicht vorgeworfen werden den alten Ro-
lui rii zu gros.^e Üuwi.<.senhoit und zu grossen Aberglan))en zuzu-
muthen ; eher kr)nnte man sagen, ich setze bei ihnen ;^**nauere
Kentnüts des Jahres voraus, als mau jenem Zeitalter beimessen
könne.
Nach der allgemein acceptirten Chronologie wird die Vertrei-
bung- der Könige aus Rom anf das Jahr 509 t. Chr. angesetat; die
beiden DecemTiraljahre fallen auf 451 — 449 t. Chr. Meton stellte
seinen 19-jährigen Cyclus 432 v. Chr. aus, und Eudoxus ist noch
jiinger, s«'iiie Blütlie fallt unrs Jahr 36l) v. Chr. Di»;se kurze Zusaiii-
meustelhing wirft alles über den Raulen, was über den Eintiuj^s
des Eudoxus und Meton auf den alten republicanischen Kalender
erträumt worden ist. Zur Zeit der Decemyiru konnte die chronolo-
gische Wissenschaft in Rom keines£ftlls weiter Torgeschritten sein,
als die griechische Octaöteris ; dies ist wohl za merken.
Die oben angeführten Gründe fQr die Reform des Kalender-
wesens nun, haben sirli siehtrlich nicht iiut einmal und zugl»*i' ]i
aufgeträngt ; aber S('l}).st wenn wir voraussetzen würden, mau habr
äich nicht eher zur Jieform entschlossen, als bis alle vier ausgetre-
ten waren, so ist doch keineswegs daran zu denken, dass man das
zu lösende Problem etwa in der Weise auf einmal aufgefasst, und di-
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DHB ILTBAmSCiai KAiniüVB. 705
rect> etwa wie ein nuxkriHT (relehrter, eine i*o gründliclu' iiiul sys-
tematische Lö.suiig gesucht ha)>e. die mit einem orguiiisch ausge-
arbeiteten neuen Jüaleüdersysteme den vier Bedingungen geieclit
werden sollte : dass nie, weder der Neujahrs- noch ein Xonentag
anf emen NundiDentag falle, dass die Datirong des Regifngium und
der Eqniria ständig auf a. d. TI und a. d. III Kalender Martias Ter-
blflibe, nnd die Amisjahre Ton mdgliehst gleicher Dauer sein sollen.
Denn so anfgefesst und mit einem Sehlage gelöst, hätte das Ph>blem
zu ganz anderen Resultaten führen müssen, als welche die unbe-
zweiielhare Tradition Itewalirt. Wir sehen ja aus dieser zunächst,
dass man dem Charakter des Mündjahre>, d. i. der l'orderung dass die
Kaienden, Nonen und Iden auf die wirklichen Tage der Mondphasen
fallen sollen, gänzUch entsagte. Hatte man aber dies bewusst und
absichtlich gethan, so wäre doch am einfachsten und natarlichsten
gewesen, gleich auf das reine Sonnei^ahr überzugehen, und dies so
anzuordnen, dass man z. B. einen fanfjahrigen Cjdnss gebildet
h%tte aus zwei 360 und drei JW8-tiigigen Jahren, die nun sämmtlich
in vollcii Xundinen ausgehend den einmal festgesetzten Nuudinal-
buchötahen V fortwährend unabänderlich beibehalten hätten ; die
gegen das t^oo-tägige alte Gemeinjahr überschüssigen 5, respective
13 Tage zwischen Terminalia und llegifugium eingefügt hätten
den Schaltmonat ttberflOssig gemacht; der ganze Cyclus hätte 1B24
Tage umfasst, wäre also nur um IV4 Tage kQrzer gewesen als 5
Sonneigahl«, was für jene Zeit eine ganz respectable denanigkeit
gewesen wäre? Und in der That, wenn man die LSsung auf theo-
retischem Wege gesucht hätte, so bedurfte es auch keiner sonder-
lichen Weisheit auf eiiK' ähuliclie Auskunft zu vertaHen.
Aber der ccnservative Itömergeist konnte sich zu so durch-
greifender Keiorm und Umgestaltung nicht entschliessen ; nur nach
und nach und schrittweise trat er von seinen eingenommenen
Standpuncte ab, und Terliess ihn erst dann gänzlich, als ihn ein so
eiserner Wille wie der Julius Caesarea dazu zwang. Bezflglich der
Reihenfolge der einzeln Torgenommenen Aendemngen lässt sich
aus der Tradition etwa folgendes entnehmen :
Zunächst wurde wohl un der aus der Königszeit überkomeuen
Kalendertatel uiclits geändert; dif freie Verfügung über den ge-
wissen 355-ten Tag, genügte das Zusammentreileu des Neujahrs
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70«
mit einem Nundiiientag sa Terhüteii. Aber welcher war dieser
merzbare 355-te Tag ?
Null, so laii|j;e die Toriiiiiialicii f luitsiiclilirh ileii .Iiilire.s>cjnuss
liezf it'lineteii. und nach iliueu kein weiterer l'V>ttaj^ im Februar
i'oh^to. konnte es kein anderer Tag sein, als der 28-te Februar. Da
die Kaleuder-Commissioii gegen Ende Januar schon im Klaren
darüber sein konnte, ob die Anssehaltung nöthig sein werde oder
nicht, so konnte dieselbe an den Könen des Februar ohne Weiteres
yerkttndet werden, und man begann einfach naeh den Iden Febnian
a. d. XV Kai. Martias zu zahlen ; als aber das Kegifuginm anf a. d.
\'l und ilie Ei|iiina auf a, d. IJI Kai. Martias in den Kalender ge-
setzt wurden, kouiito der 28-te l'ebruar niclit mehr aus^esclialt«'t
werden ; höchst WHlirsckeinlich war \on da au der J9-te Januar der
Aasschalttag.
Als nun noch die Forderung herantrat, dass auch kein Xo-
nentag anf einen Nundinaltag fallen sollte, war mit der Disposition
über einen Tag nicht mehr auszukommen. Wahrscheinlieh begann
man nun zn tatoniren. Jener 355-ste Tag konnte einmal ausge-
schaltet ohne weitere rngelegeuheit auch ganz wegbleiben : er war
ja ohnehin üherzähli^ : wenn man a1 »er aus irgend einem Monate
ein«'m 'l aj^ ausgeschaltet hatte, damit die Nonen des nächsten Mo-
nate« nicht auf einen Markttag fallen, »o musste dieser Tag, wollte
mau in Ordnung l)l<'il)pu, später wieder hereingebracht werden. Ja
es konnte geschehen, dass diese Ans- nnd Einschaltung im Verlaufe
desselben Jahres zwei-, selbst dreimal wiederholt werden mnsate,
wie z, B. wenn die ersten Nundinen des Jahres anf a. d. IV Nonas
Martias fielen. Begre iflicher Weise konnte bei diesem Hin- nnd
Herschieben der Monate ein kleiner Irrthnm, eine geringe Unacht-
samkeit leiclit den ganzen Kalender iu Unordnung hringen, und
ich zweifle nicht, dass in der ersten Zeit der li<'puhlik. wo man
am meisten das Zusammentret^en der ominösen Tage zu fürchten
hatte, solche Verwirrung mehrfach vorgekommen sein wird.
Dass man dann noch das Begifugium und die Equiria Ton
den Kaienden des März nicht trennen wollte, hatte znr weiteren
Folge, dass man nun auch den Schaltmonat nicht mehr zwisdben
Februar nnd Mfirz setzen konnte, und da er doch am JahresschhiM
bleiben sollte, verfiel man darauf, itiu zwischen Temiualieu und
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DBB ALTBOUIHI'HI KALBKDBR. 707
Kfgitugium eiiizuschit-ltcji. Dadurch erlii^^lt die Tageszähhmg um
St'hluss der iSchult jahro eine ganz andere ( icstalt. Man zählte nun
nach den Iden des Febrnar nicht wie sonst: a. d. XV] Kai. Martias,
sondern : a. d. XI Kai. Intercalares ; daa Datum der Terminalieu war
Pridie Kai. Interealare« ; dann begann der Schalimonat mit seinen
Kaienden, 5-t&gigen Nonen, and regelmässigen Idas. Hier angelangt
waren noch 16 Tage des Schaltmonates nnd 5 Tage des Februar
übrig, und damit diese letzten 5 Tage ihre typische Datirung: o. d.
VT, Y, IV , III, pridie Kai. Marfcias nicht einbttssen, hätte man an-
fangen müssen zu zählen: a. d. XXI l Kai Martnis. Das wäre nun
zu UDgeheuerlich gewesen. Mau zählte also wie in andern Monaten
auch hier a. d. XVII Knl. Martias, also im ganzen noch 16 Tage,
▼on denen aber die 5 letzten zam Febrnar gehörten. Es blieben also
dem Schaltmonate nnr 24 Tage, und 5 Tage fielen ganz weg; und
da sich dies im 8-jährigen Cydns dreimal wiederholte, so wurde
dadurch der Gyclns nm 15 Tage TerkQrzt Da kam man nnn, nm
diese 15 Tage herein zu bringen auf die Idee, in den 8-jährigen
Cvclu.s ein viertes Schaltjahr einzuführen ; aber man hsitte für den
vierten Sclialtiuonat nur 15 Tage! Da half man sich denn so: Zu-
nächst nahm man drei 24-tägigeu Schaltmonateu je einen Tag, das
gab 3 Tage ; hiezu fügte man noch drei Tage, die man drei um
einen Tag auf 354 Tage Terkttrzten Jahren nahm, hinzu, und hatte
»omit drei 2d-tägige und einen 21-tagigen Schaltmonat, was so zu
sagen von selbst darauf fährte, dem einen 23-tagigeu Schaltmonate
noch einen Tag zu nehmen, und damit zwei 23-tögige und zwei
22-tägige sogenannte Schaltmonate zu bilden, und den S-jahrigeu
Cjclus 80 zu coustruireu :
1. Gemeinjahr 355 Tage 355 Tf^ 5. Gem. 355 Tage 355 T.
2. Sclmltjahr 854 + 23 377 . 6. Sch. 354 + 23 377 .
3. Gemeinjahr :i-.4 :^54 , 7. Gem. Mol 354 ,
4. bchaltjahr 355 + 22 Ml . 8. Sch. 355 + 22 377 „
Zusammen 2920 Tage.
Das» mit Annahme dieses Cyclus die Röcksicht auf denMond-
lAuf ein für allenml aufgegeben war. niusste jedermann einleuchten.
In l?»'/.iig auf das Sonnenjahr war der Cyclus ziemlich genau ; er
ergab ein Durchschuittärjahr von 365^/4 Tagen, mithin iu b Jahren
706 DBK ALVBOiaSCHB KALVKDEK.
einen Fehler von 4 Tagen, der wohl dem damaligen Staude der
Wiaisensehatt iüglich zugeniuthcf werden kann.
Aber der Cyclus war sehr lje(]ueni. Bei dem regeimiisaigtu
Wechsel der Gemein- und Schaltjahre konnte mau ihn auch uls
zweijährig betiachten, und etwa so forniuliren : Jeder CjcIqs
beginnt mit einem Gemei^jahr das abwechselnd 355 und 354-t&gig
ist, und schliesst mit einem 377'tagigen Schall jahr ; oder man konnte
aucLso sagen: im zweijährigen Cyclus ist das erste Jahr immer eis
377-ifigiges Schaltjahr, das zweite abwechselnd ein o54 und 355-
tilgiges Gemeinjahr. Wahrsclieinliih ist die letztere Formel die
beliebtere geweben, und hat vielleicht mit dazu beigetragen, dass
Caesar seinen vierjährigen Sclialtkrcis mit dem Sclialtjalir begann.
Es war nun nicht mdiir nothwendig die Kalendertafel auf 8 Jahie
auszudehnen, es konnte auch eine zweijährige genflgen ; eine vier-
jilhi ig) entsprach bis ins kleinste Detail jeder Anforderung. Dieser
Umstand mag die spätere Nachwelt, die sich bereits in den vier-
jährigen Schaltkreis Caesars hineingelebt hatte, auf die Vermuthuni;
geführt haben, dass sehen ihre Alt vonlern den vierjährigen Schall-
kreis gekannt und benutzt, und nur anders eiugetheilt haben. Aui'
Grundlage dieser Yermuthung haben auchMommsen und Hartmann
ihre Formeln für das römische Jahr entworfen, ohne zu bedenken,
dass zur Zeit der Decemvim, oder noch froher der vierjährige
Schaltkreis yon 1461 Tagen den Römern unmöglich bekannt sein
konnte.
Warum man bei der Neugestaltung des Cyclus nicht auch
formell mit dem Mondjahre gebrochen, ist unschwer zu err.ithen.
£h war das formelle Festhalten an dem mos raajorum. Der ab-
wechselnd 22 und 23«tägige Schaltmonat ist historisch b^lanl»gt,
und es ist gewiess viel wahrscheinlicher, dass man tatonnirend
rauf gekommen, als dass eine theoretisch-wissenschaftliche ziel-
bewusste Berechnung darauf geführt habe.
Uber die Epoche der Einfllhruug dieses neuen Cyclus gibt
die Tradition directen Aufsehl iiss. Macrobius uelimHch sagt (Sat
1, 13, 21,): „Tuditanufi reiert libro tertio magistratuum decemviros
qui decem tobulis duas addiderumt, de intercalando populum rogasse.
Cassius eosdem scribit auctores.** Schon Ideler hat sehr richtig
genrtheilt, dass hier nicht gesagt sein wolle, die Decemvim hätten
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zuerst die SSchnItung Oberhanpt eingeft&hH, sondern dass sie eine
Modification der bereits frUher eingefahrten Scbaltang beantragt
haben : und auch Mommsen ist dieser Meinung. Ich bin fest Uber-
zfMigt, (liiss der Antrag der Doi-einvirii pben dio entwickelte SchaU-
weise vorschlug und diese durchsetzte. Das ganze »System zeigt
übrigens oflfeiibar das Gepräge eines Verniittlungsvorschlages, der
indem er den Anfordernnj^jen einer nchtigen Zeitreehnnng gerecht
werden will, doch anch schonend die alt hergebrachten Formen
beibehält.
Wie es nun in solchen Fälleu immer zutriflPb : der Vorschlag
der allen Fordeningen gerecht werden wollte, genügte eben darum
keiner von allen vollkommen. ZnnSchst liegt es auf der Hand, das»
da.s neue 8ysten\ :mt*<las Fernhalten <l<'^ Xenjahrs und der Nonen
von den Nundiiwn gar keiu<: Kiicksicht nahm. Vielleiclit war die
Furcht vor diesem Znsammentreffeu zur Zeit der Decemvirn bereits
geschwunden. Die Notiz hei Macrobius (Sat. 1, 13, 17): „nam (pio-
tiena incipiente anno dies coepit qni addictus est nundinis, omnis
ille annus in&ustis casibus luctuosus fnit, maadmeque Lepidiano
tumultu opinio ista firmata est^S beweist, dass solches Zusammen*
treffen in der That Toigekommen, wenn auch Dio Cassius (40, 47)
von dersell)en Sache sprechend, aus einem leicht begreiflichen Irr-
thnm den 1. Jannnr für den Nenjalirstag nimmt. Dennoch glanl>e
ich, dass das neue Sy.stem. die Vollmacht der pontiHcisciien Kalen-
dercommission, durch Aus- und Einschaltung einzelner Tage sol-
chem ominösen Zusammen tretleu möglichst vorzubeugen, im Prin-
cipe unangetastet liess. Bs hatte aber das System noch den andern -
Fehler, dass der darnach constmirte Kalender in je zwei Jahren
um einen ganzen Tag zurClckblieb; ja wenn man aus Versehen,
oder um jenes Zusammentreffen zu yermeiden, auch die 354-tSgi-
gen Jahre filr .*?5.5-tägig nahm, betrug die Retardation in jedem
Jahr einen ganzen Tag: und um diesen nachzuholen, wurde nach
je 2^^ Jahren ein '2:i-tägiger Sehaltmonat einfach weggelassen. E«
int dies der 24-jühj*ige Ojclus, den Livius beiläuiig erwähnt.
Wird man mir nun einwerfen, alles bisher gesagte heruhe
auf willkahrlich combinirten Gonjecturen, so habe ich darauf zu
erwiedem, dass dies in der Natur der Sache liege. Die alte Tradi-
tion liefert mir eben so wenig detaillirte Belege Oir alle meine Be-
üiyitizcü by VdDOQle
710 •'HRR AL'Wd^aCBB KASKOSH.
Imupitiiigeii, ak andern; aber ich habe den Umstand für mich,dM9
teeine Resultate mit der wirklichen Tradition stimment imd dass
diese Übereinstimmung sicli angezwunfjen, Tenmnftgemass nnd
iolgerichtii^ or<;il)t. was gowiss nicht gering anznschlngon i>it.
ünzweitelhaft hal)en die Decemvirn, als sie ihren Vorschlag
einbrachten, ihr System in einer ausfli lirlichen Kalendertatel dar-
gelegt. Die Mehrzahl der Gelehrten zieht dies so wenig in ZweileU
dass z. B. Mommsen geradezu behauptet, diese Kalendertafel sei
ein integrirender Theil des Zwölflafelgesetzes gewesen. Dagegen
sucht mm Hartmaun darzuthun. dass die Anordnung des Kalenders
gar niclit in den Ifahnien jener ^resetzgehung gehörte. Nun. di»'
Untersnchnng üher den Umfang des Mandates der Decemvirn, ist
hier völlig müssig. Die Tradition sagt uns, die Decemvirn hütteu
einen auf die Schaltung bezüglichen Antrag Yor das Volk gebracht;
aus der Geschichte kennen wir das Schaltsystem, das nach den
Decemvirn im republikanischen Rom tiiatsäehlich in Anwendung
war; die natflrliche Folgerung ist nun, dass diese thatsachliehe
SehaUnug eben die von den Deeeinvirn vorgeschlagene und durc h-
gesetzte ist. Aber die (relelirten. dio dies in Abrede stellen, haben
Weiteres im Auge. Um sich die au Cn. Flavias geknüpfte dunkle
Sage zu erklären, mCtesen sie daran festhalten, dass die von den
Decemvirn zusammengestellte Tafel nie veröffentlicht worden sei.
Die auf Gn. Flavius bezüglichen Angaben finden sich bei
Livius (9, 4<i, 4) ; Cic. pro Mut. 11, 25; Val. Max. 2, 5, 2; Plin.
mit. lii.st. .3:5, 1.(3(17); Macroi). Sat. 1. 15, Unglauldicli, und
doch wahr; nniii hat ans diesen heran.sgele.<«ea, die Pontitices hatten
das Geheimnis s des Kalender weseus sorgfältig bewahrt ;Cn. Fla-
vius habe sich auf irgend eine Weise eine genaue Abschrift davon
yerschafft, und dieselbe öffentlich ausgestellt, mithin das Geheim-
niss verrathen (450 n. R. E.).
Was war nun dies Geheimniss ?
Man behauptet, es sei dies eine Kalendertaf»'! g«'west*n, die
die Einrichtung des Jahres und das System der ordentlichen und
ausserordentliehen Schaltungen detaillirt nachwies, und den Pon-
tifices als Richtschnur diente zur Oontrole und Orientirung der
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ikueu aiilieim gegebenen ansMerorclentliclien Aus- und Eindchaltuii*
^en, nnd der dadnrcli eventnell eutstandeuen Verwhrrnugen. Hat
nun tliesf» lic'li;iui>tiuig eiiu'ii stichhültiijon (inmd?
Wir haben gcselieu, das8 bei der Beäclilnssfassniio' über das '
neue Schaltsystera, die demsel))en angepasste Kalendertafei vor-
gelegt sein mnsste ; es ist doch undenkbar, dass eine Versammlung
— sie mag aus was immer für Elementen bestehend gedacht wer-
den — über etwas unbekanntes abstimme. Kann nun das ein
<jreheimniss geblieben sein, wa3 einmal öffentlich vorgelegt warH
Man Ivtiiiiite ilnu gugeiiülun* sag»'ii : ja. wohl wnnh' dif Tafel
dem gesetzgebenden Conutimii vorgelegt, aber die Plebejer hatten
an diesen Versammlungen kein Theii; es wird ja aber überall nur
behauptet, die Plebejer hätten das Geheim niss nicht gekannt, die
Patricier wären eingeweiht gewesen.
Dnranf enviedere ich: es ist nicht glaublich, dass seit Servins
Till) ins, ixlev .sag^^i wir, seit V«»rtroibui)g der Könige in l»om gc-
s('t/.gel)eii(le \ <)lks5V»'i suiiinihiiigen statt gefuiidtMi hiitteu, au deuten
nic'lit wenigstens Vertreter «1er Plebs theilgeuonunen hätten ; doch
will ich mi«di hierauf nicht einlassen : e« Avürde /u weit führen.
Nehmen wir also an, die grosse Menge der Plebs habe die £Lalen*
dertafel nicht gekannt.
An den Kaienden eines jeden Monates verkündete der Pon-
tiiex Minor den Xonentng : an dt-n Xoiien wurden die in den Mo-
nat fallenden Festtage verkiuidigi dies konnte also jedermann
wissen. Wo bleibt das CTeliei.nniss ?
Ja aber die Pontifices hatten Vollmacht zur Vermeidung des
Zusammentreflfens von Nonen und Nundinen einzelne Tage ans-
und einzuschalten, und machten davon ausgiebigen Gebrauch.
Diese ausserordentlichen Schaltungen konnte man nicht vorher
wissen, und die Pontiiiees hielten ihre diesbezügliehen Beschlüsse
geheim, um eventuell zur Eri-f'icltiing von Sonderzweckeix ohne
Noth und ganz willkührlich schalten zu können.
Das sagt nun mit vielen Worten gar nichts. So viel wusste
man gewiss, in welchen Monaten die Nonen auf den fünften, und
in welchen sie auf den siebenten Tag fielen, das war ja unabänder-
lich festgesetzt. Eis ist in der Oberlieferung auch nicht die geringste
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712. 1)KR ALTROmstllK ffALhVDRR.
Spur daTon zu endeckeu, flasi* die WillkGhr der PoiitiiiC4»8 hieran
- je gerQttelt hätte.
Eben so wenig ist ein Beispiel nAchweisharf dass wegeu will*
kührlicher Scluilhing der Pontifices zwischon Noiien und Iden je
mehr otler weniger Tug^ gefallen wären, als (ben sirbriL
Die Willkülir hatte «U'ninach nur in der zweiten Hlillt«^ <h -
Monats, uacU ii Idon. freien Spielraum, und auch da nur iu den
let%teu Tagen des Monates ; denn zwischen die an den Xoiien
bereits verkündigten Feiertage konnte nichts eingeschoben, aber es
konnte von da auch nichts ausgelassen werden. Es konnte aUo die
ganze Willkühr nichts weiter zur Folge haben, als dass die Kalen-
den des nächsten Monats um einen Tag IrQher oder s|Ater eintra-
t<Mi. AlM'r auch hienn war kein liauni t'iir l'l)errft8chungen. Schon
ans Riieksieht auf die rfiiniselie Ziihlungswi'ise der Tage, iniisst«'n
di»' dieshe/üglicheu Aiiordnnng<*n an «len Iden bereits l)ekaiiui
ginnaeht sein. Ich kann also hier durchaus kein (lebeimuisa eatde-
ckeUf dessen Veröffentlichung dem Publicum einen grossen nnd
wichtigen Dienst hätte leisten können.
Es bleibt also nur eine einzige Ausflucht Es war das Sjatem
der dies fasti, das geheim gehalten wurde. Die Tradition, und die
Neueren wissen zu erzühlen: es wäre der Plebejer grnr»thigt gewe-
sen sich an den Pontifex zu w«'ndeu, um zu evfaliren, oh der l'ra» -
tor an einein gewissen kilnftigeu Tage in seiuer liechtssache ein
l-rtle il fällen könne oder uieiit.
Da fragt es sich denn zunächst, ob es wohl in den all sten
Zeit-en irgend ein Prineip oder System gegeben habe« wonach die
Gerichtstage in dem Jahre vertheilt waren, oder nicht Gab es ein
solches, so konnte es nicht in der WillkOhr der Pontifices liegen,
ob ein gewisser Tag fastus sein soll oder nicht ; denn war einmal
die Stelle und Reihenfolge der Festtage verkttiidigt, so waren ja die
zwischen dieselben fallenden Ta;^^e festgelegt, und nach Zahl und
Reihe so zu >^agcii gcl^uiidm ; andererseits war es ja nicht nur dem
|M<)cessirenden l?lel)ejer nothwendig einige Tage vorher zu wiesen,
wenn das fas eintrete ; auch der Rechtspreclieude Praetor, der öftent-
lich fungierende Gerichtsredner und Anwalt, der fiechtseonsulent, der
den Partheien Rath ertheilte Ober Art und Form der einzuleitenden
Aetion, mnsAten es ja wissen ; es war also auch hier kein Raum
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♦ . - ■
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PER ALTBOMlsniE KALENDER. 718
Überraschungeii. Oab es aber keiu Rolrhes System, so kounte es
auch nicht in eine Tafel gehrncht und veröffentlicht werden.
Es hatten nnn aber die Pontifices eine genetslich ertheilte
Vollmacht snr Anordnung atMserordenilicherScIlaltiingen oder nicht;
hatten sie eine solche, so konnte die von wem immer veianlajiBte
dfFcntliehe Anestellung einer Kalendertafel sie dieser yollinaeht
nicht entkleiden, wenn sie ihnen nicht durch ein diesbezüglich
speciell beliebtes Geset/. förmlich genommen ward ; blieb ihnen die
Vollmacht, so war mit Veröffentlichung der Tafel nichts erreicht.
Hatten sie eiue solche Vollmacht nicht, so kann es sich nur um
einen Missbrauch gehandelt haben, den sich die Pontifices erlaub-
ten» und da entsteht die Frage : cui bono P Bedenken wir, dass die
ganse Gewaltthat nichts weiter zur Folge haben konnte, als dass
die Einleitung eines Processes um ein zwei Tage sieh verschob,
was fßr grosses Interesse irgend einer Partei konnte hiedurch auf
dem Spiele stehen ? Wer einen Process einleiten wollte, konnte ja
beim Pontifex anfragen. Oder fürchtete er etwa, dass man ihm aus
persönlichen Grfinden die Auskunft verweigern werde ? Hält man
denn den römischen Plebejer für so einfältig, dass er in solchem
Falle nicht jemand andern schicken konnte, der solches nicht zu
ftürchten hatte? EndUeh liesse sich sogar noch nachweisen, dass
den Pontifices fttr die Ertheilnng solcher Auskünfte kein Honorar,
keine Taxe gebohrte!
Ich spreche absichtlich nur von den dies fast! ; denn um die
Abhaltung politischer Versammlungen, ocU r die Heschlussfasaung
in solchen zu verhindern, hatte man ja einfachere Mittel, als die
Zerüttung des Kalenders.
Ich kann also durchaus das Geheinmiss nicht entdecken, das
Cn. Flavius verrathen haben soll. Hat er wirklich etwas verrathen,
so konnte es nichts von Belang sein. Den Verrath eines wichtigen
Geheimnisses hätte jene Parthei gewiss nicht ruhig lungenommen,
die damals sicher noch machtig genug war, den Yerrfttfaer zu be-
strafen, oder sich an ihm zu lachen. Die Tradition, die derlei Dinge
nicht zu verschweigen pflegt, weiss aber von einer solchen Rache
oder Strafe nichts zu erzälilen.
Wenn ich aber in Betracht ziehe, das« im Jahre G3ß Roms
ein neues Gesetz (lex Acilia) nötbig war, um den Poutifices die
Cng&riBcbe Rtvne. VUt— IX. Heft. 40
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714
Vollmacht zu ortlieilfii, die Schaltung iiacli ihrem Ermesseu anzn-
ordnen;80 ist die Vermiitlmnjr l)orecliti^, dass irgend ein frühe-
res Gesetz ihneii diese VoUmacht genommen haben müsse. Dies
mftg 80 gesehehen sein, dass Gn. Flavias, der wahrgenommen hatte,
dass die Pontifiees entweder in wülktlhrlicher VollniflditsQbef-
tehreitting, oder, was wahrsclieinlieher ist, dnrch AehÜosigkdt
oder Nacfhlassigkeit in Besorgung der ihnen übertragenen FnnctiMi
den Kalender gar oft ohne alle Noth in Verwirrung brachten, eine
Agitation einleitete, um dem Uebel abzuhelfen. Man hatte keinen
Grund mehr das Zusammentreffen von Nonen und Nundinen zu
meiden, and so konnte es ihm gelingen nieht nur den Plebejern,
sondern auch den Patrieiem begreiflieh zu machen, dass die den
Pontifices übertragene Volhnacht fiberflQssig geworden seL So kam
nun ein Cömpromiss zn Stande, worin die Sdinde sieh dahin einig>-
ten, den bestehenden, Kalender — vielleicht mit einigen unbedeu-
tenden, eben Yon Cn. Flavius selbst vorgeschlagenen Modificationen
— definitiv festzulegen, und zur allgemeinen Orientining in Tafeln
gefasst öffentlich am Fomm atifzastellen. Die Tradition erwähnt
den Oompromifls nicht, er war ohne Kampf zu Stande gekommen;
aber sein Urheber hatte das Verdienst dem »Schwanken des Kalen-
ders ein Ende gemacht zu haben, nnd dämm ward sein Namen be-
wahrt. Die Pontifices hatten dabei ein im Grunde ganz werthloses
Privilegium eingeliüsst, und keine Ursache sich darri))er zn grämen.
Höchst wahrscheinlich hörte mit Aufstellung der Kaleiider-
tafel die bis dahin übliche Verkündigung an den Kaienden und
Nonen ganzlich auf.
Obgleich man nun zu dieser Zeit in Born die Torbeeserten
-griechischen Mondsonnenkalender bereits kannte, scheint es den-
noch, dass auch die neu aufgestellten Kalendertafeln noch ziemlieh
unvollkommen waren. Eben durch das Festlegen des Kalenders
mussten sich die demselben anhaftenden Ungenauigkeiteu von Jahr
za Jahr summiren, und im Laufe von ungefähr 200 Jahren sich
eine derartige Discrepanz zwischen Kalender nnd Himmel henuuK
stellen, die man nicht mehr ertrftglich land.
Hatte man sich nun zu einer radikalen Reform entschlossen«
so wäre vielleicht im siebenten Jahrhundert Roms daselbst schon
so viel astronomisches Wissen vorhanden gewesen, dass mau eiueu
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TOU>I OMO PIBOSCmCA. 2t9
erimgliehen Kalender hätte constrniren können. Allein, der mos
niajorum war noch so stark, ilass man von der hergebrachten Jah-
resforin uit lit lassen wollte ; ila war nun al)eroline ausserordentliche
Schaltung nicht auszukommen. Einen Schlüssel zur detinitiven lle-
gehing dieser konnte man aber wahrscheinlich nicht ausfindig
machen. Da entachloss man sich 636 den Aciliachen GeaetsTor-
aehlag anzunehmen, der aber über das Ziel hinaussehoss, da er
mit Bfleksicht darauf dsss die Flavische Kalendertafel ^ich als
&l8ch erwiesen hatte, nun das ganze Scfaaltwesen dem Ermessen,
das heisst der Willkühr der Pontificea anheim stellte.
Was nun folgt ist historisch. Die Verwirrung I^rachte- als
Reaktion die grüiuUiclu' l?el"orni Caesar's v.u Stande, und ich be-
merke zum Sßhluss nur noch, dass ich d^n Ausführungen Hart- •
mann's gegenüber Mommsen's Ansicht über den aunus coufusiouis
für den geistreichsten nnd gelungensten Theil seiner chronologi-
schen Arbeit halte.
Elansenbnrg, am 1. September 1882.
Dr. Hbduugh FmiLT.
TOLDI mi) PIKOSCHKA. :
— Ans .Tobann Arany*« Dicbtiinfir • «ToldiV Liebe.** —
Vorltarnrhung. Die magyarische Heldensage von Toldi, welche
schon im Jahre ir»74 die Grundlage von Peter Ilosvai's Toldi-Dichtung
bildete, hat ia Johann Arany ihren ▼ollendetsteu Interpreten gefunden.
Während eines Zeitranmes von Aber 30 Jahren kehrte Arsay zu
diesem ihm lieb gewordenen Stoffe immer wieder zurück. Im Jahre 1847
ersehlen die poetische ErzAhlnng „Toldi** in XII. GesBngen, und im
Jahre 1854 „Toldi's Abend", * nachdem schon vorher (1851, im
„Losonczer IMioenix") der erste Gesang der „Ileldenzeiten'* erschienen,
und somit eine Toldi-Trilogie angedeutet war. Unerwartet und zur
allgemeinen Freude der Nation veröffentlichte Arany im Jahre 1879
die poetische Erzählung „Toldi\s Liebe", — die Trilogie war vollendet.
Der erste Theil derselben, ffToIdi**, schildert die Jugen4jahre des Hei«
den, der unter BauemheschSfUgungen aufwachsend, das ünwttrdige
seiner Lage mit tiefem Seelenscbmerx empfindet, wfthrend sein Blterer
* Beide öbenetst von Moriz Koibeuheyer. i'ettt, 1855, 18*>(}.
46'
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TOLDi UND moficmu
Bruder George, der am Hofe lebt, ihn um ?em Erbe zu bringen trselitet
Bei Gelegenheit eines Festmahles reizen Gcurg ä (Gesellen 'IVtlrli >o
lange, bis dieser seine bisher geübte Langmuth abwerfend, einen der-
selben erschlügt und dann entflieht. Er begibt sieb nach Ofen, and
will von König Ludwig seine Begnadigung <irfle1ien. Im Friedhofe n
Pest begegnet er einer traaemden Wittwe, die ihre zwei gefidlenMi
Sohne' beweint ; ^ czechieeher Bitter hatte beide im Zweilaunple ge-
tödtet Toldi besiegt den Czecben, und wird yom Könige an den Hof
gezogen, während sein Bruder Georg davon verbannt wird.
Vom zweiten Theile der Trilogie, gibt die hier folgende Tber
setzüng den ersten Gesang. * Die Absiebt des Übersetzers geht dahin,
die Haaptmomente ans »Toldi's Liebe*^, soweit sich diese anf Toldi
nnd Piroeka unmittelbar beuehen, getrennt Ten den Kriegsepisoden zo
tiberfeagen nnd so enger zusammenznfhssen. In Betraofai der Sdiwie*
rigkeiten, mit welchen eine Übertragung der an EigenthflmlichlceHea
reichen Sprache Aranj's verknüpft ist, weiss der Übersetzer sehr wohl,
dass es ihm nicht immer glücken wollte, allen Anforderungen zu ent-
sprechen, besondei-s da er möglichst treae Wiedergabe des Originals
anstrebte; doch hofft er TOn dem Fortgange der Arbeit weitere Fördemng
nnd empfiehlt dieses erste Stück seiner Leistung freondlicher Beaehtong.
1. Hehre Heldenzeit ! an deines Glanzes Jahre
Denkt zurück und seufzet bfiufig der Magyare;
Und auf seines Kuhm's verödeten Gefilden
Sucht er, ach, umher — ein Mährchen sich zu bilden.
Meine glüh'nde Seele sucht, von Leid gekränket,
Trost in längst verklung'ner Zeiten Flut verdenket :
Und wie der Verstorb'nen (ieister mich umschweben,
Geben mir die Todten, was versagt das Leben.
i. So gedenk ich Toldi^s, dem in Mhem Zeiten
begeistert mnst sich meine Lieder wmhien:
Wenn mein Lied nur schlicht nnd sebmncklos andi gelungen:
- Warm und rein ist es dem Herzen mir entsprungen.
Oh l dass — ni( ht um Ruhm und flfichtiges GepriBgeb
Zn erlangen nicht der Müssigeu Gedrftnge,
Nur verjüngt noch einmal durch der Jugend KISnge —
Oh, dass mir noch einmal solch ein Lied gelfinge!
* Es ist dies sqgieieii des oben erwähnte erste Oosang der ^.Heldeih
Seiten** ans dem „Lo8oncs<'r Phoenix."
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TOLDI inUD PIKOSCETA.
3. Ludwig*« jttngus Haupt trägt UngiunV Königskrone,
Ihn umsteht! des Reiches Bitter und Barone.
Schon in Ofen thront, im nea*n Palast er, droben,
Jöngst in märchenhafter Pracht erst dort erhoben.
Dort bei Eitterspiel und testlichem Gelage
Lebte wohlgemut Held ToMi seine Tage ;
Seinem Winke folgen viele edle Knai)pen,
Des besiegten Czechen Haupt trügt er im Wappen.
4. Und beendet war der Krieg, und holder Frieden
War nacli langem Kampf dem Lande neu beschieden.
Der verdienten Ruhe ^icli die Krieger freuten,
Kräfte sammelnd nun /-u neuen, schweren Streiten.
Doch der König flieht der Ruhe weiche Ki^5^en,
Sein mntvolles Herz will nimmer Thaten missen.
An^ binaiis, so spricht er, will nim Bimdflehaii Iialten,
ifir geziemt es ja des Beiolies wohl zu walten.
5. Doch dem Hofe bleibet sein Entschlnss verboigen,
Was er selbst erdacht» will Ludwig selbst besorgen;
Angetan anf ftrmHeh, nnscheinbare Weise,
Unbemerkt von Allen tritt er an die B^se.
Suchen will er Pferde, die man ihm entführet,
Horcht dabei auf alles, was sich regt und rühret;
!Merkt auf jede Klage, will mit eignem Blicke
Sehen, was vielleicht das arme Volk bedrücke.
6. Angebrochen war die dritte Tageswende,
Als der König hielt an eines Dorfes Ende.
Ringsum reiche Saaten, üppig grüne Haide ;
Dort stieg er vom Rosse, dass es ruhig weide.
Auch die Sonne neigt sich schon zur Tagosfeier,
Deckt das schöne Antlitz mit dem Wolkenschleier;
Doch wo findet er wohl eine Ruhestätte ?
£in gutherziger Busch giebt ihm vielleicht ein Bette.
7. Ein gar stattlich Haus stand an des Dorfes Ende^
Freundlich mutheten ihn an die weissen Wttnde;
Weitgeöflnet, schien das Thor ihn einzuladen.
Dortbin lenkt er nun, sein mttdes Boss zu laben.
Gleich umringten ihn die Hunde mit Gebelle :
Doch ein lieblich Mttdchen an des Brunnens Schwelle
Herrscht die Hunde an, und hatte kaum gesprochen,
Als sich diese auch gehorsam, schnell verkrochen-
mbl VhD PIJtOSCHKA.
8« Ünd sprach der König : ^Sdidne Ifaid, gMtattet,
Dass mein Boss ieh tränke, so vom Weg ermattet!"
„TnVs nur**, rief das Mftddien freonälitä tbm entgegen,
. «Armer Frönder, — wohin wdli ihr hent noch gehen?
n Besser wird 63 sein, wenn ihr bei uns verweilet,
Hat wohl morgen Zeit, wenn ihr dann weiter eilet/
Und zam guten Wort blickt sie so freundlich, offen,
Dass der König sich im Herzen fühlt getroffen.
9. „Dank euch", rief der König, „iloch mir i:<t's verwebiet,
Nie hab ich in solchem grossen Haus verkehret
Sehen will ich, wo ich andre Herberg finde,
Zum Herrn pasj?t der Herr, zum Niedern der (ieiinge.''
Dieses hört <ler Hausherr, der nahe zugegen,
ünd gebieterisch ruft er dem Gast entgegen :
„Nicht doch, lieber Freund, so darfst du's nicht betrachten I
Wer hier abends ankommt, muss auch übernachten/
10. Und auf seinen Wink herbei der Diener eilet :
„In den Stall das Pferd mir fliliret miTerweilet,
Und ihr, lieber Fzennd, herein, seid mir willkornmen,
Kner Widersprach soll enoh, bei Gott, nichts frommeiu'
Und der König Itthlt darob ein Irendig Bfihren,
LAsst sich willig m die Herrenstabe fObren.
1>ort, ihm nützt kein Sträuben, mnss er sieh bequemen,
Seinen Plats zu oberst an dem Tiseh sn iiehmeB.
11. „Piroschka, mein Engel ^, ruft der Hen' dem Kinde,
..Bring im blanken Kruge Wein herauf geschwinde!**
Flink gehorcht Piroschka. und im Augenblicke
Mit dem vollen Kruijc kehrt sie dann zurücke. '
-Rasch mein Kin»!. den Jiecher nun zur Han'l genoBunea
Rief der Wirt, und heisse unsern Gast willkommen!'*
Und die Mai<l gehorcht, doch rasch sie dann entfliehet :
Nicht der Wein trug Schuld, dass ihr Gesicht erglühet
12. Während m der EüchQ sie das Mahl besorgte,
Flossen um die Wette mit dem Wein die Worte.
Nun war es gedeckt, und als die Speisen kamen,
^ Alle an dem Tische ihre PUltse nahmen.
Oben sass der König, ihm der Wirth znr Seite,
Unten dann Piroschka, an des Tisches Breite :
Würde seinen Rang der Fremde eingestehen,
HOchV Tor Schande ob des Mahles sie yergehen<
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TOLUI ÜKD PIKOSCHKA» 710
*
18. Und doch war der Tisch mit aUism reich besetaet,
Aufgetragen, was nur Sinn und Aug ergdteet :
Braten, Kuchen, Käse, Kirschen, 8aft*ge Beeren,
Frischer Honig auch, den lieben Gast zn ehren,
Glänsend rein wie Gold, von würz'gem Hauch amflossen,
Duftend wie die Blumen, denen er entsprossen;
Dazu noch der Wein, vom besten aasgelesen,
Und des schönen Mädchen;; lieblieh holdes Wesen.
14. Auch der K<»nig fühlt dies, und entzückt von Allem,
Fehlte wenig nur, die .Maske wär' gefallen.
Weit ward ihm dui> Herz und wollte «ich orgiesscn
Ueberfluthend, schwer nur könnt' er sich yerj>chlied?«en.
Seiner Brust Geheimnis^ will den Schleier heben,
Ijeichteni Schatten gleich fühlt er ihn schon entschweben.
Doch bedenkt er*8 wieder : wie, wenn sie erschrecken ?
Wozn ihre stille Freude unterbrechend
15. nEi mein Freund, ihr fingt gar nicht wen ihr beehret • . . ?
Habt wohl ächon vom alten Rozgonyi geh^tret • . •
b'o rief jetzt der Hausherr ; schicklich wftr es eben,
Auf gemeinsam Wohl die Becher zu erheben.
Auf Andrer Gesumlhcit, eig'nes Wohlergehen,
Unsrer jungen Freundsclialt dauerndes Bestehen, '
Vaterlan»! und König . . . aber früher saget,
Welchen werthen Namen, Freundj ihr selber trageil*
16. Sprach darauf der Fremde : „Mög' euch Gott erhalten!
Viel gerühmet wird hier der Rozgonyi Walten,
Reich sind sie und tapfer, wie ich hie .und dartan,*
Sc&on von Kindheit an gehört mit Lobesworten.
Grosse Eichenwälder, DOrfer auch, und Haiden,
Heerden und Gestüte nennen sie ihr eigen;
Wie es sich doch trifft! nun komm ich euch entgegen!
Lang erhallt* euch Gott zu eures Hauses Segen!**
17. Drauf leert er den Becher, und dann, rasch besonnen
Sprach ei (noch im Trinken hatt' er's ansersonnen) :
.,Ach ja, weit berülinit ist freilich nicht mein Name,
Dürftig bin ich sehr, wenn aurh von edlem Stamme.
Erst vor kurzem i^t es mir recht schlimm ergangen ;
Räuber haben mir drei Pferde abgefangen.
Ungeackert liefen mir nun brach die Fluren ;
Viel streift ich umher, nicht fand ich ihre Spuren.
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18. «la ApÄÜ habe übrigens Hsitn toli,
Und Georg voB Gsuta hmm* ich, weim daheim iob.
Dooh mein seeUger Yator hielt es ftr erwiesen,
(Ei, wie doeh der Wein das Hers macht überfliewil)
Er behauptet* immer, £Bst und nnTerdroewn,
Daas aus Arpad's Blnte unser Stamm entsprossen,
Von den Frauen her, und Zweifel nahm er übe],
. . . Aber lieber Herr, lacht doch nicht auch darüber
19. „Ei, das will was sagen", lief jener zurücke,
„Schon seit längster Zeit erforsch ich deine Bücke,
ünd ans deinen Zügen kann man klar es lesen,
Dass dein Ahn kein Knecht, wenn auch kein Herr gewp>en.
Ja, wer weiss? Wer mag drauf einen Kid geluben?
Kommt ja auch beim Rad was unten war, nach oben;
Mancher Edelmann trägt heute schwere I^ürde :
Kommst vielleicht einmal noch eelbat zur Künigäwärde l*'
20. Ob des Wortes weidlich Lachen sich eriiebet,
Schön Piroschka lächelnd aus der Stube schwebet
„Bi!^ rief unser Geoig. „ich noch einmal ESiiigl
Schwerlioh, schwerlich, glaubt mir» dara fehlt nicht wenig.
Aber unter uns, wir hOnnen es ja sagen,
Gegen nnsem Kffnig gftb*8 anch manche Klagen —
«Was!'* rief da Bo^;onyi : „hört einmal, Herr Vetter!..."
ünd die Faust sdhlng wild anfs harte Tafelbrett er,
21. Lachte da der König : »Nun, nnn, nicht so heftig . . .
Doch das steht : wie ist doch eure Tochter prächtig . . .1
Wetter I welch ein Wuchs I und wie sie sich beweget»
Wie <1ic Lilie Jim schlanken Stiele schwebet!"
Forschend blickt der Wirth, als könnt er's nidit begreÜ'en:
Will das helle Lob nicht einer Werbung gleichen?
Doch da jener standhaft seinem Blick begegnet,
Seufzt er nun tief auf, indem er ihm entgegnet :
22. n Ach ! so seu&t er nun, was hilft es mir zu »ageii :
Hat ja jeder Ifensefa von seinem Leid zu klagen.
Mir ist nicht an helfen : wie zu meiner Freude,
Ist dies Hädehen. auch zu meinem grGssten Leide!
Wie ist sie toU Schönheit» wie toU Henensglkts,
Meines Hauses Schatz, des Gartens schönste Blüte,
Sie mein Augenstern, die Freude meines Lebens :
ünd dennoch vergebens : ach ! dennoch vergebens 1*
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TObUl UND PlBObCHKA.
721
23. Seine TrÄnen trocknend sprach j>odann der Alte :
^So ist's : andrer König, andren Rechtes Walten :
Von der Erbschaft sind die Töchter ausge^^chlossen,
Nur der Sohn kann erben ; also ist's beschlossen,
Das ist^s, was mich grämt, mein Leben will verbittern :
Balgen werden sieh auf meinen schönen Gütern
Mässige Verwandte, die in meinem Leben
• Mir keiiMii Tmak Wd», k«in gutes Wort gegeben.*
24. Damit hielt er ein, in seinen Schmerz yersmiken ;
Aeiger wKr*8 ihm noch, wenn er nicht drauf getnmken,
Und aein lieber Gebt,' der teifauihiusToll ihn hörte,
Ihm nidit guten Bath und Troet sogleich gewährte.
Denn, eo sprach der König, wie jener geendet :
. „Habt ihr nie zn Ofen ench dafllr verwendet?^
Der verneint es tranrig; war ja niemals dorten,
Weise nidit» was der Fremde will mit diesen Worten.
25. Doch wohin der König zielt mit seinem Fragen,
Und woran er dachte, will ich gern ench sagen i
Sein Gedanke war nach Ofen ihm geeilet,
Und bei seinem Toldi hatt' er dort verweilet.
Wie ein Weberschifflein hin und wieder schlüpfet,
Sein Uedanke Toldi an Piroschka knüpfet,
Will mit goldnen Fäden sie zusamiuenweben :
Welch ein herrlich Paai* sollen die beiden geben.
26. ^Folget meinem Bäte, ziehet hin zum König, — *
So sprach er ihm zu, „und bittet unterthänig :
Mein Herr und Gebieter, wollet mir gewähren,
Mich in meiner Sache gnMig anhören :
Eine eitts*ge Tochter nenne ieh mein eigen,
Habe keinen Sohn, der erbe^ was mir eigen;
Laszt ais Sohn sie gelten, damit meine Habe
Ihr zum Erbteil werde, oh f gewttirt die Gnade !
27. Da der König selbst, wie ich, noch jung an Jahren,
(Ganz in meinem Alter, wie ich jüngst erfahren)
Und, so wie ich höre, Freund des Ritterspieles :
Hört ein kluges Wort noch, nützen kann es viele?.
Eure Bitte sollt ihr nicht umsonst begehren :
Ein Turnier versprechet (wird's euch niemand wehren),
Eurer Tochter Hand, sie soll den Sieger schmücken;
Und auf diese Weise wird es euch wohl glücken."
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TOL0I ÜUD PIKOSCHKl.
«
28. „Wükh ein Segenswort liabt ihr mir da gespendet I
\Va« wollt' ich nicht tun, wenn es so gut nur endet!
Wollte mich auch nicht etwa an Keithtum kehren :
Reichlich trägt mein Gut, um alles zu gewähren.
Dann, oh lieber Freund, soll nur der Mann mir gelten
Nichts verlange ich, als kühnen Mat vom Helden:
Und vor dem sich aller Andern Speere senken,
Dem will ich som Lohn mein sfisses Ifildchen sdwnlm.'
29. So riet hocherfrent der Wirth ; sein Auge Uinkte»
Wie ermutigend es seinem Gaste winkte :
„Willst Rozgonji*» Kind besitien du zn eigen,
Stdl* dich auch zum Kampfe, deinen Mut zu zeigen.'*
Allein dieser hatte anderes im Sinne;
Strahlt doch aneh sein Hers vom Glücke bolder Mioae :
Aber wie die Sonne spiegelt neue Sonnen,
WQnscht der Glüddicfae zu sehen Andrer .Wonnen.
30. ünd geraume Zeit noch sprachen sie darüber,
Dann ging man auf andres, dann srnf alles über;
. Spät war's, auch der König müde von dem Reisen,
Als Piroschka kam, sein I^aper ihm zu weisen.
Dort im Vorderraume ihre LugerstUtte,
fn der Nel)enstube stand des Fremden Bette :
Zierlich wai\s geschmückt, vom Säulenbaldachine
Floss in äeidnen Falten nieder die Gardine.
31. Doch bevor der König auf sein Lager sinket,
Das mit Daft und Schimmer lockend an ihm winket,
ünd bevor noeh auf den schwellead vollen Bossen
Seine Angen sich zu sfisser Ruhe scbliessen :
Nimmt ein Pergamentblatt aus der Beisetasch* er,
Schreibt darauf, dann drfickt in Wachs ein Siegel rasdi er
Drauf mit seinem Ringe ] klein ist wohl das Zeichen,
Doch an Geltung will es keinem Andern weichen.
32. Denn wie nnii der König früh am uAchsten Morgen
Aufstand, um zur Reise alles zu besorgen,
(Schwer ging's mit der Rechnung, kaum zu Ende führt es :
Unersättlich war die Gastlichkeit des Wirtes) :
Wie nach vielem Abschied dann der König weiter
Zog, den Blicken auch entschwunden war der Heiter :
Fand im Bett Piroschka ihres Königs Schreiben,
l/fts, — es will das Wort ihr in der Kehle bleiben.
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' TOLDI USD PIB09CHICA. 783
33. ^Pirosithka, <Ue Torhier Paul Kozgonyi's, |ial»e
Ganz dasselbe Erbrecht, wie es hätt' ein Knabe —
Soll als einziger Erb* In Vaters Oflteini wiAieii,
Der Bozgonyl Namen äderen und erhalten.
Ein ÜMtlioh Turnier zn Pfingsten wird begangen
Und der Wackerste soll ihre Hand empiangen,
Dies ist nnser Wille, so zur Knude Alleui
Dass es König Lndwig also- hlit gefhUeu.**
34. „Und der Wackerste ..." ha, auf Piroschka*s Wangen,
War bei diesem Wort ein Frühroth aufgegangen
Wie der rasche Pfeil, von starker Hand gelenket,
In des Herzens Tiefe ihr das Wort sich renket.
Eng wird ihr da-^ Hans, die Mauern sie erdrücken,
Auf. in Gottes freien Himmel will sie blicken!
Ihre lieben Hlurnen muss sie ja begiessen,
Mag ihr Vater rufen, dass von Thau sie fliessen.
35. Doch an ihren Blomen, nicht wie sonst, verweilend,
— Was sind ihr anoh Blumen ! rasch vorflher eilend.
Sehwebt sie leichten Schrittes durch des Gartens Mitte,
Hin snm Tisza-Üfer lenkt sie ihre Schritte.
Vom Gefild die Sonne nnn mit Flammenknsse
Steigt empor und spiegelt feurig sieh im Flusse;
Flutunisäumt, vom hellen Himnielsglanz beschienen.
Scheint die weite Fnszta wie ein Band zn giünen.
36. Auf erglühter Flut ihr eignes Hild sie lieinmte,
Freier, leichter wird das Herz ihr, das beklerninle.
Feucht wird ihr das Auge, und die ThrUnen (juellend
Perlen in den Thau, zu Perlen sich gesellend.
Tief aufatmet sie, vom lauen Frühlingsodem
Schwillt ihr voller Busen, wird ihr Herz erhoben;
ZflrtUch Gilten tönet aus des Gartens Laube,
Und mit süssem Kichem )mft die Biaif^eltanbe.
87. Wie sie lauscht den Tauben, schwinden sieht die Wellen,
. Denkt sie nur des Helden, fithlt ihr Herz sie schwellen
Schier hat sie's vergessen, so lang ist*s geschehen,
Dass ihr Auge Toldi beim Turnier gesehen.
Einmal sah sie ihn, vin'ga^^s ihn mit den Jahren,
Doch kann kein Vergessen sie davor bewahren :
Xur ein Strahl der HotTnung, und in neuem Leben
Trat das schon vergess'ne Üildniss ihr entgegen.
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724
AXTOOäT TBBF0BT*8 NEOS MSATB.
38. Dort schwebt cü vor ihr, von Licht und Flath gesendet ;
Tol.li's Bikl, wohin sie nur «lie Hlicke wendet ;
Mag das Aug sie schliessen, ilennocb unverloren,
Unverrückbar bleibt das Bild heraafbeschwmik
Bflner HenenvtnRim, ach, wann kma Tnnm du wlre»t!
l!nicht*g«r Augenblick, acli, wenn da ewig wfthrkeet!
Iteee, nie ▼erblfihend, immer Knospe wiresi!
Lkriie, welche Wonne da ans dann gewihrtestl
89. Was doch an der Hose noch die Dornen sollen !
„Wird der Stolze (denkt »ie) am mich kämpfen wollen?
' Er, ffir den so viele Miidchenherzen schlagen ?
Er, für den so viele Herzen Leides tragen?
Wie /um Licht die Blumen, nai h ihm alle schauen,
Doch er tummelt stolz sein Hoss auf IHumenauen.
Mag die Sonnenblume sich zur Sonne kehren,
Uobeachtet sich das arme Her;£ veri^ehreu ! ^
40. Doch woea nan aiioh des weiteren enihlen,
Wie mit jenem Sehreibim alle noch och qn&len,
ünd dann, welchen ESndraok erat der Schreiber machte!
ünd wie vieles aioh die achCne Jungfiran dachte.
Poch die Zeit vergehet und von Gottes Gnade
Folgt ein Tag dem andern, schon ist Pfingsten nahe.
Alles voll Erwarten sieht dem Fest entgegen
Bald enihlen wir, was alles dann geschehen.
A. HnoniBB.
AUOÜST TREFORT'S NEUE ESSAYS.*
Eis gibt Bfioher, in welchen sieh nicht allein die geistige Indivi-
dualität des Schriftstellers, sondern auch der Charakter eines Zeitalters,
die geistige Signatur einer Geschichtsperiode ausprägt, welche »lie
. Tendenzen der geistigen Führer einer aufstrebenden Generation wieder-
spiegeln. Zu diesen Büchern gehört auch das jüngst erschienene Bach
TOB Angost Treforik welches eine Sammlang von Essays Über politisdie
and literarisehe, sociale and nattonalskonomisehe Gegenatittde enthilt
Biese Essays gestatten manchen Einblick in die geistige Entwiokefaings-
■
* Kisebb dolgozatok. Az irodaloiu. kö/.^^azdasag es politika kOr^bol.
Irta Trefort Agoston, Budapest 1882. m. L akademia kSnyvlEiad^i hivatala.
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AUÜCST TEKFOni\H SEPK KSSATS, 715
gesehichte dieses f^taatsmanue^ und liefern nianchen interessanten Bei-
trag zur Charakteristik jenes streitbaren, nm grosse Dingo kämpfenden
QeechlechtB, za dedaen WortfUhreni und Vorkimpfeni ergiliörte.8o
Ter^chiedeiiartig iiiieh die Qegeiutltiide mm mOgen, mit welchen sieh
der Antor in den einzelnen AnftStssen btfschlffcigi» so nngleieli ihre Ee-
deninng und ihr Intere^e unter wesentlich Teriaderten Veihlltaissen
sein mag ; da«? geistige Band ist auch in dieser Sammlung nicht zu ver-
kennen. Aus allen Arbeiten spricht derselbe Geist, dieselbe politische
und wi^ssenschaftliclie Überzeugung. Da-selbe politische Glaubensbe-
kenntnisse welches der Autor in seinen vor Jahresfrist herau-sgegebenen -
Btaatawissenschaftliehen Arbeiten abgelegt und an dem er zeitleben:« fest-
gehalten bat, kommt auch in diesen Aufeatzen znm Anedrnck. Ee and
immer die gleichen Ziele, anf welche das Denken nnd Trachten dieses
Schriftatellers hindrlngt, die gleichen Ideale, fllr deren Verwirklichnag er
klmpft Mit nnermfldlichem Sifer, mit nnerschfitterlicbem Mnth tritt
er bei jedem Anlass tür die Sache der Freiheit und des Fortschritts in
die Schranken, und er liisst nicht ab, gegen die Vorurtheile und die abge-
lebten Institutionen, gegen die Überreste des Kastenwesens und die Denk-
gewohnheiten vergangener Zeitalter anzukämpfen, allen fortsehntta-
feindlicben Mächten mm Trotze — der Freiheit „eine Qasse** zn bahnen.
Ein Theil der in dem Torliegenden Bande snaamanengefassten
AnftAtKO behandelt Qegenstlnde, die zwar hente keine äkhteUe Beden*
tong mehr haben, aber von dem grOssten huhriickm Intensse sind^
weil sie den Schlflssel za manehem RBthsel der Gesohiehle Ungarns
enthalten. Die eigenthuiusrechtlichen Institutionen, welche der Autor
in seinen vor dem Jahre 1848 geschriebenen Aufsätzen bekämpft, de-
ren Beseitigung er mit seinen Gesinnungsgenossen unermüdlich das
Wort geredet hat, sind längst beseitigt. Aber die Charakteristik und
die Kritik derselben ist auch hente für alle, welche die fiatwiokeltt^g
der EigenthmmsTerhIltnisse in Ungarn verstehn wollen, von groeeem
Interesse, nnd wird auch allen, welche sich mit Tergleichender
Becbtsgescbichte be&ssen, ma&che AnfklSrnng nnd Belehning bieten
können*
Jene merkwürdige Verbindung des nüchtenien wissenschaftli-
chen Bealismus, welclier kein Resultat des Denkens ohne die Gegen-
probe der Erfahrung gelten lassen mag und nur die Autorität der Gründe
und der Beweise gelten lässt, und jenes ethischen IdeaKsmus, woloher
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m
die als riclitig erkannten OrnndsStxe mit nnersebrockener Folgend
tigkeit in die Wirklichkeit einführt, charakterisii t auch <He Arbeit<»n.
welche in dem neuesten Buche von August Trefort zu>aiiimengetas>t
sind. Keine von diesen Arbeiten verleugnet jenen unerschütterlichen
Glauben an die Marht der menschlichen Vernunft, an die „Macbtder
Ideen*, welchen der Autor bei manchem Anlasa bekannt hat. Er Ter-
lengBjBt nirgends den Glauben an die geistige Wiedergebart semer
Nation, an die kulturellen Aufgaben und an die Zukunft seines Yat«^
landes. Aber in diesem Glauben ist kein Zusatz von SekwSrmer« oder
dogmatischer Glaabensselij?keit. Die Sucht nach dem ünerreicbbaren ist
dem Wesen dieses St4vat^maDnes fremd. Kein Zug desselben erinnert aii
den Ideologen. Er verliert nie den prakti-^chen Zweck, «la.^ erreichhare
Ziel aus den Augen. Wo aber die Anknüpfungspunkte und die Grund-
lagen fUr die Verwirklichung eines Tdeal«; gegeben sind» wo die Forde-
rung derselben sich ans den als richtig erkannten und durch das
;ürth«l der Geschichte Terificirten Grundsätzen ergibt, dringt er anf
die Verwirklichung und legt muthig Hand an die Vorartheile und fo-
teressen, welche derselben im Wege stehn. Man hat ihn und maaehoi
von seinen hervorragenden Kampfgefährten und Ge.sinnungsgenossea
oft zu den Doctrinilren gezJihlt und damit nur einen charakteristi<'< lien
Zug ihres Strebens und Wirkens bezeichnet, dessen ausschlie.^jsliche
BerUcksiebtigung keine wahre und vollstftndige Charakteristik ermög-
licht ■ In der That, jene Männer haben zunächst die theoretische Diseos-
sion der Fragen und Au%aben, deren LOsung eine unabweisbare For-
derang des geläuterten Beehtsbewusstseins war, in Gang gebracht; sie
suchten den neuen Ideen durch rege literarische Thätigkeit, dnreh
wissenschaftUohe Begrttndung ihrer Meinungen Eingang zu Terscbaflte,
die Geister zu reformatoriscber Thütigkeit vorzubereiten und mit den
Waffen der Vernunft zur entscheidenden Tliat zu drangen. Aber die
thatsächliche Verwirklichung ihrer Ideale, die praktische Anwendung j
der Principien, die Durchführung der Reform war ihnen die Haupt-
sache, in Betreff der Zwecke waren sie keine nDoctrinäre.**
Diese prakliscbe Tendenz eignet auch der politischen nnd Uten-
rischen Thätigkeit August Trefort*8. Er darf mit Recht von sich s^geot
dass er von Natur und seinem inneren Beruf nach Torwiegend ein «Maaa
der That" sei. Aber dieser Hang zur organisatorischen Thfiiigkeit, zum
praktihclien Wirken und Schaffen srbliesst, wie die Erfahrung lehrt)
üiyitizcü by GoOgl^
eine erspiiessliche literarische Thiitigkeit nicht aus ; wemi auch derje-
nige, der den Beruf zu praktischer Thiitigkeit, zur Durchführung der
als richtig erkaimten Befonneii in sieh fäbU» die litonurisehe Arbdil
nicht als Endzweck betrachten mag. Die theoretisehe ThStigMt gilt
ihm nicht als das letzte nnd hdchrte, die Wissensehaft selbst nicht' als
Endswecki sondern ali „ wirkssHocs Mittel rar Veredlnng des Lebens*; rar
Losung' der wichtigsten nnd höchsten praktischen Aufgaben, zur Ver-
wirklichung der höheren Lebenszwecke. In diesem Sinne ist auch
August Trefort bemüht, die Wissenschaft in den Dienst der fortschrei-
tenden Culturentwickelong zu steUen, die Wissenschaft init dem thä-
tfgen Leben in Zusammenhang zu bringen. Das Streben, den Znsam-
menhang der Wissenschaft mit dem Leben herrastelleni die Brgehni^
dfir wissenschaftlichen Forschung ftlr die Gestaltung dee steatliehen
Lebens rä rerwertiien, die Übenen|^g, dass die Berathnng und Werk-
'ftlhrung des Fortschritts ra dem Beruf der Wissenschaft g^Ort, hängt
mit jenem baconischen Zug seiner Denkweise zusamuien, welcher ihn
die praktische Aufgabe und den Nutzen der Wissenschaft in der Be-
förderung des Fortschritts der Cultur, in der Mitwirkung an der Lö-
sung der praktischen Lebensan^aben finden lüsst. Diese Tendenz lässt
keine doctrinfire üntarrang ra» aber sie verträgt sich ebensowenig: mit
4em CynismuB politiBcher Dilettanten und Praktiker, welohe de1^ Mit*
Wirkung der Wissenschaft» der Eemitniss ihrer Ergebnisse entrathen an
können glauben. Diese Tendenz hingt mit dem Bestreben» die Ergeb-
nisse der wissenschaftlichen Forschung zur Lösung der praktischen
Aufgaben zu verwerthen, innerlich zusammen. Es mag dahingestellt
bleiben, ob und in welchem Sinne diese Tendenz als Doctrinarhimus
beieichnet werden darf.
Das Vorwort des neuesten Buchs Ten August Trefort ist eine
interessante kulturhistorische Skizze^ welche maaohen Beitrag rar Oha-
mkteristik jener denkwfirdigeD Geschichtsperlode enthlli^ an deren
geistigen Klmpfeh sich der Auter mit unermüdlichem Bilbr betheiligt
hat. Die ratobiographischen Daten, welche diese Skiise enthillt, werfen
manches Streiflicht auf den Entwickelungsgang des Autors und auf die
geistige Atmosphtlre, in welcher er mit den Besten seiner Zeit f&r die
Sache der P'reiheit und des Fortschritts gekämpft bat
Der Autor gewährt uns einen £inblick in seinen Bildungsgang,
in die Einflösse» welche die Richtung und die Zi«le seines Strebens be-
üiyitizcü by GoOglc
AVQVn TinSF01lT*B VSUK MSATB.
stimmten. Rr gedenkt, der Srhrift^teller. mit welchen er sich in >piner
* Stadienzeit am meisten beschUftigt bat, der Anregung und Förderung,
die er znmal dem Studium der französischen und englischen Geschiebt-
selurtibfr» Denker und Diehtsr Terdankt» dmr eigenthfimUehmi Deak«
w«iM «nd LobeBMiiiliMnmgt weldio rieh dureh dkit Stodien und den
Biaflofla Mfawr Unfahiuig «iifiaigB in ilim gabfldel hatte nnd mMm
\m\d dimsh dia Siiidrlleke imd ErfidumngeB einer grossen Beis» eine
gründliche Umgestaltung erlitten.
Er erzählt uns von der früh erwachten Vorliebe für die nordame-
likanischen Institutionen, von dem Verlangen, die Welt jenseits »ies
atlantischen Oceans durch eigene Anschauung kennen zu lernen. Kr
erinnert sich mit einem gawUeen Behagen der Schwierigkeit, welche
eidi damale der Aoelfthrang grosser BeiseplSne antg^genstelltea, der
JM, dnreh welche , es ihm gelang; sieb einen Pus rar Reise in den
ettroptischen Staaten sn Tersehalfen, des gesellseluUlIicben Prestige, der
n^orition*, welche ihm seine Reisen damals In ▼aterlindlschen Erei«eB
rerschafften. Er war noch nicht zwanzig Jabre alt, als er Deutschland,
Frankieich, England, Italien, Russland und die skandinavischen Länder
hereiste. Er sagt selbst : er sei als schwärmerischer Jüngling, der aa
dem Schiksal seines Vaterlandes verzweifelte und sich mit d^ That-
saolien nidii aheufinden wnsste, in die Fremde geicgen und sei ab
Bftelitenier Juger Mann rarSchgekehrt, in dem Welt- nnd Measelien»
kenntniss die praktische Anffiusnng des Lebens geweckt baite, wekhe
iba sakber a»rii in den tranrigsten Zeiten tot der Yenweiflung aa
sieh seihet nnd an der Znknnft seines Vaterlandes bewahrt hat Das
Interesse für die bildenden Künste war früh in ihm erwacht Er hatte
sich an den Schöpfungen der bedeutendsten Meister begeistert und
seinen Qeschmack gebildet Bald nach seiner Rückkehr fasste er den
Plan, einen Knnstrereln in seiuem Vaterlande zu gründen und wnsste
seine Oesinnnagagenossen fttr die Idee nnd Ar das ron ihm ▼erftssle
Progfamm sa gewinnen, das den ersten Anlass sn weitem BeBtrebnn<>
gen anf diesem Gebtete gab.
Der Antor gedenkt ancb seiner alten Kampfgetthrtea nnd Ge-
sinnungsgenossen, welche nicht mehr unter den Lebenden weilen. Er
widmet insbesondere dem Grafen Aurel v. De?se\vffy, welchen die jün-
gere Generation nur aus seinen literarischen Arbeiten kennt, einen
ehrenvollen Nachruf.
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AÜOUbT TRBFORT*.S KCUE KSSATä. 7f9
»
Die vorliegende Sammlung pntlinU .inrli einen läni^^eren Aafsats
fiber die \,Hi$Mre du CcnsmUU de Vempire'^ Von Thiara, wdehen
der Autor im Vorwort als atoagezeidbneten Scliriftsteller md Staats*
nanu und als HiiBterbild des mit politischer Wiishelt TerlmndeBeii
Patriotisniiis bezeiolinet. Über Maeaulay, dessen' CharaHerbild er in
einer seiner früher erschienenen akademischen Reden gezeichnet lint,
sagt, er: et? gebe kaum einen Öchriftsteller. l)ei dem so viel Toleranz in
kirchlicher und religiöser Hinsicht, mit so viel Liebe zur politischmi
Freiheit vereinigt ist.
Der Essay über die englische Verfassnng, der in dem Torltegen«
dcb Bande abgedrackt ist, hängt mit dem in der ersten Sammlung
mitgetheilten Essajr snsammen. Diese Arbeiten sind Fragmente eines
grossem Werkes, dessen Ansarbeitnng die politisöhen Elmpfe nnd
Whrren unterbrooben hatten.
Der Autor erzählt mit einigen Worten die Geschichte dieses lei-
der nicht zum Abschluss gebrnchton Werks. Nachdem er im Jahre 1848
von seiner amtliehen Stellung abgedankt und sich ins Ausland begeben
hatte, wurde das Haus, in dem sich seine ganse Einrichtung, seine
Bibliothek nnd seine Handschriften befanden, von Ofen ans bombardirt.
Seine Bücher nnd liannsciipte verbrannten. Er sab in diesem JSreig-
niss einen Fingerzeig des Sobicksäls, den er dahin deutete, d#S8 er nieht
snr litecariscben Thätigkeit» sondern viel mehr Kur LOsung praktischer
Angaben bernfsn sei.
Trefort gibt auch interessante Aulschlüsse über die schutz-
aftHnerische liewegung der vierziger Jahre. Rr gehörte damals zu den
Wenigen, weli-he den Wahrheitsgehalt und <lie aktuelle Dedeutung der
nationalökonomisehen Lehren Friedrich List's unbefangen zu würdigen
Verstanden. Die Hebung der nationalen Produktivkraft, die Entwicke-
Inng und der zweckmässige Schutz vaterUbidisoher Industrie (in d4n
Bahnien eines mit Osterreich abzusohliessenden ZoUbfindnisseB) galten
ihm und seinen Gesinnungsgenossen als unabweisbare Aufgaben. Er
' scbloss sieb auch in dieser Frage an Fran« Dedk an, dessen Standpunkt
er gegen den Grafen Stefan v. Szechonyi in einer Keihe von geharnisch-
ten Artikeln vertlieidigte, ueKlic auch in dem vorliegenden Band mitge-
theüt sind. Im Vorwort gedenkt er auch seiner Begegnungen mit Sze-
chenyi, des:«en volkswirtschaftliche nml politische Velleitäten er mit
aller Kraft seines Witzes bekfimpffc» dessen Geist und bobee Streben er
Vagariiob« B«vite, 188S. TUI-^ZX. Baft. 47
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AUeUfTT TBEFOBTV HBUB IMS1T8.
gleichwol anerkaunie und würdigte. Er sagt über Szechenyi ; er sei
„einer von jenen Mftnnern, welche in der Geschichte oneeres Vaterlaa*
des ewig leben werden. £r besass die Eigenschaft der grossen Utnmf,
jeden Menschen, in welchem er irgend einen Stoff sah, ans dem sidi
ein nützlicher Mens<^ formen llsst, zn nntersifitzen und unter ünitli-
den ansznzeichncn oder — wenn er ihn auf Abwegen zu erblicken meinte
— zu tadeln. Er hatte eine instinctive Aver^^ion gegen Alle>. wa- 7ur
Revolution fuhren konnte. Gleichwol adoptirte er zeitgemä-i^e Ideen ud*!
Vorschlftge, auch wenn sie von andern kamen, und iugte sie in sein
System ein. So gefielen ihm die Docirinen von der Terantwortliofasi
parlamentarischen Begiemng, welche wir (die jüngere GeneiatioB) rar-
breiteten, durchaus nicht Aber spftter wollte er sie selbst in Sa^sa
der ffffentlichen Arbelten anwenden. Auf dem Reichstag I847]sgteer
besonders auf die Dun litührung der ätadtischen Vota Gewicht, weil €r
die Reform unserer politischen Institutionen in friedlichen Zeiten nur
mit Hülfe derselben durchfiihren zu können glaubte. Allein die Heforni
kam unter dem Druck der enropAischen Revolution auf andere Weise
zu Stande, nicht so wie er und viele andre geglaubt hatten.*
Die Sammlung enthllt auch einige politische Beden, welche der
Autor in der neuesten Aera der Geschichte üngams gehalten hat Der
Autor sogt selbst, dass diese Reden die politische Lehre ausdrücken, die
er bei jedem Anlnss wiederholen will, die Lehre : „dass: man den siho
lastischen Do< trinen entsagen und sich mit den grossen Interessen de^
Landes beschäftigen müsse, weil das Land Menschen^ Vermögm aad
InttüiffenM benOtbige/
Der erste Theil der Sammlung enthSlt eine Skizze über die Oe*
' schichte des armenischen Klosters in Venedig, einen Aufsatz in Mm
des in Pest zu gründenden Knnstvereius und das vom Autor an^gear*
beitete Programm desselben, überdies mehrere literarische und hist^ri
sehe Essays. Der zweite Theil enthält volkswirtschaftliche und politi-
sche Aufsätze und einige politische Reden.
Ein kleiner (schon 1839 ver&sster) Au&atz: MBetrachtangsa
über die Gesehiebtswissenachaft^ enthlllt mianehes geistvolle Aper^
über* die Anfi^abe und Methode der Gesdiichtscbreibung, über die wu-
senschafUicbe Gesehichtsauffassung. „Die Geschiebtewissensehaftiko)! Aber
alle confessionellen und nationalen Leidens» haften erhaben sein. >iob
von möglichst hohen Gesichtspunkten über alle menschlichen Verbfilt-
AOGÜKT TBKFOBT'S KI^B I88AT8. T8I
»
nis-e verbreiten und das Leben der Völker mit festen Strichen zeielmen
, . . Sie soll die Keime und die allmiilige Entwicklung der herrschenden
Ideen nachweisen u. s. f. ' — Bedeutende Cieschichtscbreiber sind der
liebste Umgang des Autors. Er vertieft sich mit immer firischem Inte-
reflsa in die politiBche lud sociale Geschiehte der modernen Knltor-
Tölker, am liebBten in die Geschichte der beiden grossen Nationen des
Oceidents, welchen die politische Schnhuig der enropiischen Völker
mfieL Ei verweilt gern und lange in denkender Betrachtung bei den
Werken von Thierry, Macaulay, Thiers u. m. a. Er nennt Thierry einen
jener (Jeschichtschreiher, „welche den Geist der Thatsachen erfassen, die
von Geschlecht zu Geschlecht sich forterbenden geschichtlichen Lügen
ans. Licht ziehen und auf diese Weise der Geschichtschreibung einen .
neuen Weg bahnen.*^ — Den Werken Macanlajr's bringt A« Trefort das
homogenste Interesse entgegen. Er gehört za den yerstSndnissroUen
Kennern nnd Kritikern liacanla/s, welche sich in die geistige Eigenart
dieses denkenden Geschichtschreibers mit anempfindendem Interesse
eingelebt haben. Er charakterisirt die Denkweise nnd die Leistungen
desselben mit dem liebevollsten Verstandniss. Die vorliegende f^amm-
lung enthiilt eine Ciinrakteristik der Essays von Macaulay, deren wis-
senschaftlichen Gehalt und künstlerische Formvollendung der Autor
▼oUauf zu würdigen weiss. Die Besprechung dieser Essays veranlasst >
ihn zn einer kurzgefassten Würdigung des Emaj im Allgemeinen, als
deijenigen „literarischen Foim, welche die. Vorzüge des Boohs und des
kurzgefassten Au&atzes in sich yereinigt" und sich vorzüglich zur ge*
drängten, gründlichen und gemeinfiMslichen Darstellung der meisten
Ciecenstände von wissenschaftlichem und praktischem Interesse eignet.
Mai.aulay ist sicherlich ein Essayist ersten Ranges. Trefort bezeich-
net ihn als den bedeutendsten unter allen. Bei diesem Anlass fUllt eine
trett'eiide Bemerkung über die Eigenthümlichkeiten des wissenschaft-
lichen Vortrags englischer Autoren» deren hohe Verdienste der Autor
▼ollauf würdigt, ohne nach Art gewisser Anglomanen die stylistische
Meisterechaft nnd Unfehlbarkeit derselben kritiklos anzupreisen. Man
hat sich in manchen Lftndem (in neuester Zeit auch in Ungarn, ja in
Beutscbland selbst) Yielfineh daran gewöhnt, die engUschen Prosaschrift*
ateller, insbesondere au< li die wissenschaftlichen Autoren, als Meister
der klassischen Trosii zu betra« hten und im Hinblick auf die Unarten
deul^dier Autoren zur Nachahmung zu empfehlen.
41*
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78t
kvevm TBPFOBT*?; NIDB B6S1T8.
Der Kenner Macaulay's and der englischen Literatur l etont mit
Hecht, clii88 die stylistische Eigenarh jenes Hi:?toi ikers im woliltliuenJea
Gegensatz zur Vortragsweise vieler englischer Proeaschriftstdler steht
„Die Gebrechen clee englischen Vortrags sind Breite (Weitschwei%-
keit), fibermSssig hinges Verweilen bei kleinlichen Dingel, das Ver
sinken in dem Detail, der Mangel einer philosophischen Verbindung
der Theile mit dem Ganzen und eine ge^visse Na( lilässiglceit (Noncba
lance). Macaulay hat keinen dieser Fehler.'' Dass die Spitze dieses Ur-
. theils nur die Prosa der wissenschaftlichen Schriftsteller und Publicis-
ten, nicht aber die Prosa der bedeutenden Dichter trifft^ bedarf ksnm
der Krwiliniing. Es ist selbstverstSndlich, dass ein solches Urthefl kei-
neswegs eine Entschuldigung oder Beschtoigiing der stylistisehenüsar-
ten nnd Gebrechen, deren sich die Schriftsteller andrer V5lker rühmen
dürfen, involvirt.
Die Besprechung der Geschichte des XVHI. Jahrlnmderts von
P, C. Schlosser versnlasst den Autor zu einer kurzen Charakteristik
dieses Historikers^ welche nicht ohne Hinweis auf manche ^ Zeichen der
Zeit" abgeht, die mehr nnd mehr Stoff su ernstem Nachdenken geben.
Der Antor weist anf die fortschreitende Nivellirung der IndiTidnaliii-
ten, auf das Znnehmen der Gleichförmigkeit nnd Charakterlosigkeit in
Lehen nnd in der Tiiteratuv hin. Schlosser gilt ihm als ein«i rüliroliclie
Ausnahme. Dieser Historiker könne nicht den überaus zahli-eiehen
charakterlosen Schriftstellern beigezählt werden. «Er hat ein eigenes
ürtheil ftber jede Erscheinung, über jede Tendenz, nnd dies Urtheil
ist überall ein gesundes, wenn gleich es nicht immer jeder Absonder-
lichkeit baar ist Schlosser besitat auch die wichtigste Eigenschaft dss
Qeschichtschreibers, die ünbeiangenheit. Aber diese ünbefimgenhät
ScblBgt nie in Gleichgültigkeit um. Er ist ein Mann des Fci tsi Initt- in
der edelsten Bedeutung des Worts Er ist vor allem deut^rber
Patriot, ohne jedoch die Fehler des deutsclien Volks zu beschönigen.
Er ist kein Partheimann. Wir ehren diese Eigenschaft in dem Sthriil-
steller und in jedem, der dem Gebiete der politischen Thtttigkeit fem
bleibt Dagegen fordern wir auf dem Feld der politischen KSmpfe ein
Andres. Hier ist die Partheilosigkeit, die Skepsis : Schwfiche!*
Der Antor bespricht auch die ,,Hi8toire de dix ans" von Louis
Blanc fl844). in weh lier er nidit nur die Geschichte der constifutio-
nellen Monarchie in Frankreich, sondern auch die unerbittliche Ki'iUk
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9
Auovsr TiueFoiHr*^ hbüb msats. 788
des politischen Systems findet, «las in der Aeia 1830 — 1840 in Frank-
reich bestaiKl. ]5oi diesem Aulass fonuulirt er aucli die Postulate, von
deren Jirfüllung ihm das Gedeihen der constitutionellen Monarchie ab-
zahSogra scheint. Er rechnet es dem Werk Blanc's hoch an, dass es ein
,110068 Element» das Volk ia die Geschichte eingefohrt hat. " — Der Autor
«xfreiite sich toh Jugend auf räier nachgerade selten gewordenen
eeitigkeit der Interesse. Er registrirt und beurCheflt die Leistungen
bedeutender Geschiehtsehreiber, Kationalökonomen und Politiker. Aber
auch die geistigen Bewegungen auf andern Gebieten der Wissenschaft
und der Literatur entgehn seiner Aufmerk^jamkeit nicht. Er versiimntc
es niclit. Auerbaeh's Dorfgeschichten und Dlsraeli's politische Eomane
bei dem vaterlttndischen Publikum einzutiihren.
Die Besprechung des Romans „ Coningsby* von D'Israeli veran-
lasst ihn zu Betrachtangen über die Tendenzen jener „netr ^enercrfiofi*»
für deren Frincipien D'Inraeli eintrat — Anerbach*s DoHJ^eschiehten be-
zeiehnet er nicht nur als eine künsÜerisdi yoUendeto Leistung, sondern
aueh als ein „Volksbuch'* im wahren Sinne des Worts, als ein „Hand-
buch", das alle, die in iiirem Berufe mik dem Volk, mit dem Bauer ver-
kehren müssen, kennen und beherzigen .sollten, weil „nur derjenige,
welcher das Volk vollständig zu kennen sich bestrebt, auf das Volk ein-
zuwirken vermag." Der Fürsprecher und Vertheidiger der wahren und
ber^tigten Interessen des Volks (und insbesondere des von vielen
&«nkheitou der Gultnr unberührten Landvolks) spriehi ans vielen Ar-
beiten des Auters. Er kennt die guten Eigenschaften des magyarisohen
Bauemstandes und erwartet von der Tttehtigkeit desselben mehr
als von jenen Gebildeten, welche sich „nur die Fehler und Laster,
nicht aber die Tugenden andrer Völker aneignen."
Die Abhandlung über die Ifistoire du cotisulat et de Vefiipire
von Thiers, enthult manche treffende Bemerkung über den Geschichts-
schreiber selbst» ilber Napoleon und Talleyrand. Die Bemerkungen des
Autors über das VerhBltniss des Staate zur IGrche sind auch heute vou
zeitgemSssem Interesse. Er verhehlt sich keineswegs die dgentfafimliche
Natur der kirchenpolttischen Fragen, an welchen mancher bedeutende
Politiker ge.scheitert ist, und er betont, das.s es einer Vorbindung von
ganz besondern Eigenschaften, eines eigenarti^'en T.ikts bedarf, wo die ei-
spries^liche Lösung derselben angestrebt wird. Der moderne Staat
inibse die ErrungenschaCteu der meniohlichen Vernunft) die Uewissens-
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7S4 AVGDIST TBBFOBT*ii HBDB BSSATB.
freiheit und die Freiheit der Forsehmig gegen gewaltsame Eingriffe
▼ertheidigen. Aber der besonnene Staatsmann dOrfe ancfa die geistiges
Mächte, welche ausser oder neben dem Staate bestelm, niclit ignoriien,
sondern er müsse vielinelir «liet^en Mächten Rechnung traj^^en unrl zu-
gleich darauf achten, tlass dieselhen ihre Grenzen nicht überscli reiten. *
Das Fragment über die Entwickhmp: Her englischen Verfassung
gibt eine kune übersichtliche Darstellung der Gmndsüge der englisf^ea
Yerfassang und der Hanptmomente ihrer Entwickelnngsgeschichte. In
diesem Anfsati schlugt der Autor einen Ton an, der in den nachfolgen-
den Arbeiten sehr hftnfig wiederkehrt Erprotestirt gegen die Aufrecht*
erhaltung aller mittelalterliclien Kastcnju ivileiiien, insbe^^ontlere gegen
die Steuerfreiheit bevorrei liteter Klassen und gegen die Ausschliessung
der Steuerzahler von den polifischon Rechten. ..Kin Land, wo der die
g^t^bende Macht besitzende Bruch theil des Volks nichts zur Deckung
der gemeinsamen Bedflrfiiisse (der Staatsbedfirfiiisse) beitritgi; nichts bei-
tragen will, wo in Folge dessen von einem ordentlichen Budget nicht die
Bede sein kann, entbehrt der wesentlichsten verfassungsmässigen Gami-
* Die gründliche staatswissenschafUiehe Büdong des Anton ist
sicherlich die Haaptnnache seines klaren und sicheren Urtheils über die
wichtigsten Erscheinungen der neuen - Geschichte, fiber die politische, «o-
ciele und wirthschafUiche Entwicklung der modernen Gnlturvölker. Wer
diese Entwicklung richtig beurtheilen und den Zusammenhang defielKen
andern verständlich machen will, bedarf vor allen Dingen einer amfa«««n-
den staatswissensdiaftliehen Bildung, einer Fülle von politiBchea, natieiMl-
OkonomiKchen und »oeialwiesensohaftlichen KcnntniH^^ou, obm* welche «r
über das Detail der Verfassungs- und Verwaltiuigageschii lit»' der mo<lemen
Culturvölker nicht als Sachverständiger niitsiirechcn kann. W<>r heute vom
hohen Standpunkte «los ]iolitischen Historikers ülicr »Hf Kiitwickiaii«; dfr
modernon Staaten urtlicib ii und andern das Vcrständniss derselU'ii v>^r-
niitteln .soll, inuss mit dem T>etail dor politischen und volkswirthsch.»lt-
liehen Fragen vollkoranien vertraut sein. I>ie Kenntniss und genaue An-
wendung der Forschungsnuitliodcu, das tlci>si;^'c und glückliche Durdil'or-
sehen der Archive, die Hercicheruug der Kecu(>iKs de doeuments, die Mit-
theilung ungedruckter Documeute, die fleissige Anhäufung neuer Materialien,
sind noth wendige und verdienstliche Bemühungen. Aber alle diese Vtwsn«-
setaongen genügen an sich nicht für die Aufgabe des politischen Htitori-
kers der Neuaeit, wefeher erwachs^en Menschen das VerOändm», der
modexnen Institutionen durch genetische Darstellung vermitteln solt Dieser
Aufgabe ist ein Historiker ohne vollständige staatswissenschaftliche tuul
politische' Schulung nie völlig gewachsen«
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AÜOU.ST TBIiFuKT'S VBDB E&äAYä.. , ' 735
tien . . . Wo die üttiueri&ablende KIas»e keinen Einflus« auf die Gesetzgebung
hat» da Ut die TerfassiingiMiidssige Freiheit leerer Schall.'* Dieeer Anfsats
ervebien schon im Jahre 1845. Der A^ior hatte auch m den folgenden
Jahren hinreichende Gelegenheit, die bevorrechteten Klassen (die Ade-
ligen) zur Erfüllung jener Grundbedingung^ des verfessnngsmSssigen
Stiuitslebcns, der conditio sim (luu non times modernen Staatswesens
aufzufordern.
In einem kleinen, mit polemischer Verve und nicht ohne Humor
geschriebenen Anföats über den Adel sncht der Antor die völlige Nioh*
tagkeit und Grundlosigkeit dee Anspruchs auf politische Vorrechte^ anf
eine politische nnd privatrechtliche. Sonderstellnng des Adels darsnthnn
und zn zeigen, dass dem Adel in dem modernen Bechtssfeat, in einem
constitutionellen St;iatsleben bestenfalls eine sociale Sonderstellung,
keinesfalls aber eine politi-^rhe Superioiitüt zukomme. Er drückt in die- ^
sem (im J. 1845 erschienenen) Aufsatz feste l^berzeugung aus, dass
die politi^hen Vorrechte nnd zumal lUe Stenerfreiheit des Adels in
küraester Zeit aufhSren mfissen nnd aufhören weisen. Und die Erreig-
Bisse haben seine Voranssagung bald bestKtigt.
Bei der Besprechung des Cours d^eeonomie poKHtpie von Stichel
Chevalier, dessen geistige Selbstständigkeit uud selbsteigene Leistung
der Autor einigeriiKi.ssen /.u übersrliätzen scheint, lallt er manches sell>st-
ständige ürtheil über volkswirthschaftliche Zeit- und Streitfragen von
principieller Iledcut ung. Mit Bezug auf die Interessen seines Vaterlan-
des erklärt er die Erhaltung und Sicherung der staatlichen Selbststän-
digkeit f&r die erste nnd wichtigste Aufgabe, deren Lösung vor allem
von der Hebung der nationailen ProdwMkrafl abhftnge. „Da die Ver-
breitung des Wohlstandes aus der Zunahme der Prodnctivkraft der
Gosellsehaft folgt, muss die Gesellschaft die Vorgrösserung der Pro-
du< tion anstreben. Die Bedingungen der Zunahme der Production aber
sind : Verkehrsmittel, Creditanstalten und der Fachunterricht (Fach<:
bildung).'* Der Autor erörtert ziemlich eingebend die Bedeutung eines
richtig angelegten Eisenbahnnetzes und eines guten Ganalisatiotts-
Systems Ar die Hebung der Prodnctivkraft des Volkes. Obgleich sich
seither vieles verändert hat und manches seiner Postnlate realisirt .
worden ift, enthalten seine Ausfahrungen manchen Gedanken der auch
heute nicht ohne aktuelles Interesse ist.
In einer grö^äeren Abliuudluug äb.a: „die materiellen Interessen'*
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786 AU6UST TMirOBT*B lOK» BSBATS.
^rtert der Autor die nttofatten nnd wiclitigiteai Aufgaben einer ael*
bewtraeten Volkswirtlim^altspolitik in üngam. Er zeigt vor allen, dass
die i'llege der materiellen Interessen eine Gnindbodingnug je'iei ge-
sunden politischen Entwicklung, der freiheitlichen In;stitutionen nnd
des geistigen Aafficliwungs einer Nation sei, und bekämpft jene asketisebe
AujOTaeamig, welche in, der Sorge für die Hebung des eigenen und dw
allgemeinen Woblstaiidee ein Hindemiss der höheren geistigen Etat-
WicUnng imd der Wertsehätenng idealer Güter findet, mit aUer Kraft
seines Witzes. »Indem der Wofabtaad den Mentfeben unabhängig maeht»
erweckt er edle-s Selbstbewusstsein, Sittliclikeit und Vaterlandsliebe;
denn nur derjenige, welcher an den Gütern und Wohlthaten der axia-
len Gemeinächait Theü hat, bestrebt sich, das Wohl seines Vaterlandes
zu Dördei-n/
Trefort ist kein laudatcr temporia o/cU. Aber er yerheblt sieh
aneh die traurigen Folgen und Begleiterscheiniingen des modernen Pro--
dnctionssytems, die Gefithr drohenden Übel, welche das jetzige wirt-
schaftliche System gezeitigt hat, keineswegs. «,Doch es ist das VeriAng-
niös des Menscliengeschlechts. nichts VoUkomiuenes schaffen zu können.
Der Fabrikant und der Grossproducent ^clliiessen den Handarbeiter
(das Kleingew erbe), den Kleinbesitzer und den Bauer von der Ooni-nr-
rens ans* Handelskrisen (wie die amerikanische) nnterbreoben die iFab-
riksarbeit. Das IjOOS des Arbeiters ist mngewiss nnd sckwankend, nnd
deqeiiige» webher seine Familie dnrch seiner HSnde Arbeit nfthrl, wird
erwerbeloe, dem Hunger preisgegeben ; denn er Tennag nnr wenig zq
ersparen, da ihm kein Antheil an dem üntornehmergewinn gewährt
wird. Seine Kinder verbringen iln*en LebenstVüliling freudlos, zwisclien
düsteren Wänden, bei schwerer Arbeit, bei welcher Leib und Seele
welken. Die Agiotage-Wuth füllt die bodenlosen Säcke der Wucherer
anf Kosten der mittelmUssigen Vermfigen.^ Wahi-Jich der Antor gehört
nicht zn jenen optimistischen Lobrednem des gegenwärtigen Industrie-
Systems, welche nicht mflde werden, ra erOrtem : „Wie wirs doch so
herrlich weit gebracht 1", welchen die gesteigerte Production der Gfiter
alles, die Menge traui-iger und lie>orguisiserregendcr Üegleilerscheinun-
gen nichts bedeutet. Er ist kein Anhauger jener bequemen und leicht-
lebigen ToltUk, deren ganze Weisheit sich in dem tiefsinnigen Priadp
JmSi9r faire^ laisser aUer" ausdrückt, deren Methode im Schliess«
der Aiiyeii vud im Ijgnoriren der achwer^iten Probleme besteht nnd de-
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AUOVar.TBSPOBT*.S NEUE %6»A\'H, 737 '
rea letzte Wort das f,A^rcs naus le dMuge* Id. Es liegt ihm fern,
sich selbst oder andre über die vorhandenen Übel und Gefahren za
täuschen. £i* sieht die Übel nnd er bemäht sich, die Ursaoheii derselben
m erkennen nnd ans Licht zu adeben. Aber er bilt dieselben nieht fllr
nnheilber, er findet die Ursache derselben nicht in dem Inneren Wesen
des modernen Isdnstriesysiems, sondern in der UnTollfcommenbeit der
bisherigen Durchführung. Er hält jene Übel für Hemnningsmoniente,
für Entwi( kelungsstörungen, welclie durch fortschreitende Vervoll-
kommnnng des Systems beseitigt werden könnten.
Der Antor bespricht die Bedingungen einer nachhaltigen He- .
bnng der einlieimischen Industrie nnd bestimmt zumal die Anfgaben
anf dem Gebiete des Verkehrswesens. Dagegen ist er auf manche andre
zeitgemflsse Aufgabe der Socialpofitik bei diesem Anlass nicht einge-
gangen. Doch steht er nicht an, eine allgemeine Erhöhung de!^ sfandard
of lifo und die Berufung der grossen Mehr/ahl der Men^schen, welche
jetzt noch auf einer sozusagen tliierischen Stufe steht, zu den höheren
(iütem der Cnltur ah ein eireichbared Ziel derselben zu bezeichnen.
Er glanbi an die künftige Dnrchffthmng dieses Postulats. Die Zeit
derselben »mnss nach dem dnroh die Geschichte bestfttigten Gesetz des
Fortschritte kommen.^
In der Abhandlung „Aber die materiellen Interessen'* entwickelt
der Autor auch ein Programm in Sachen der staatlichen Ablösung der
Frohndiem>te. Es war ihm hiebei /uvih-derst um die zweckmässige,
wirthHchaftliche Vei'werthung der (im Rahmen des abgelebten Urbarial-
Sytttems grtfsstentheils nutzlos vergeudeten) Arbeitskrftlüe zu thun. Bei
diesem Anlass kommt ein socialpolitisches Postulat von principieller
Bedeutung, dessen Tragweite allerdings hier nicht ntiier bestimmt würd,
zur Geltang. „Es ist die Aufgabe des Staats, den Fortschritt zu fördern
und seine Richtung /.u bestimmen, der Anwcdt der Ctoir(hsckaftich)
St'hwarJicn uml Jlülflosm zu sein.' . . . Der Autor fordert mu» h die
Aufhebung des hergebrachten Proceääualsystems , eine Regelung der
mit den modemen BechtsgrundsfttBen unvereinbaren, der festen eigen-
tbnmsrechtlichen Grundlage und der Sicherheit (etwaigen, von unvor-
denklicher Zeit daturenden Ansprüchen g^genflber) entbehrenden Be-
nitzveriifiltnisse, nnd die Aufhebung der Aviticitftt und der Steuerfreiheit
der adeligen Güter, Kr warnt seine Land.•^leute vor den Auswüchsen
dei ludustrialismus. „Benutzen wir die Erfahiungen andrer Nationen;
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738
hüten wir uns «lavor, eine Klik>«e von Proletariern zu erziehen, welche
bald eine Armengesetzgebung nöthig machen und mit der Zeii den
JBesUuid der GesellschaltsordiraDg bedrohen wfixde.*'
Eine der interesranteeien und daakenswertheslea Gaben der
Sammliuig ist der Essay „über das Beaitzrecht in üngam", in welchem
der Autor die höchst eigenthümlichen Beaitzverhältnisse and dgen-
thumsreehtlichen Grandsfttze, welche in dem vormftrzlichen Ungarn be-
standen, mit festen Strichen charakterisirt,, die Existenzberechtigung
derselben der einschneidensten Kritik unterzieht, die uuab\\ ei-b Jie
Nothwendigkeit einer raditalen Reform der Besitzverhältnisse und ded
Eigen thumsrechts rar Evidenz beweist und concreto Vonchläge in Be-
treif des modu8 proeedendi macht
Auch der Essay j^überdas Erbrecht^ enthält sehr interessante Auf-
schlttsse über die priTatrechtlichen Anachronismen, mit welchen erst in
jener Stnrm- nnd Drangperiode der Beformen aufgeräumt wurde. Auch
in diesem Esüiiy tritt der Autor für die DurLiiiüluung der Forderun-
gen des modernen Rechtsbewusstaeins ein. Auch hier ist er ein Vor-
kämpfer der Ideen, web he im modernen Rechtsstaat verwirklicht sind,
auch hier fordert er die Durchführung der liberalen und demokrati-
schen Institutionen, in welchen er die Bürgschaft des Forschrittä, das
Wachsthums der Cnltnr, der LOsung der grossen sodalMi AnTgaben des
Zeitalters erblickt. Er kämpft gegen das Überhandnehmen und die Be-
günstigung der Minorate und Fideicomisse, welche mit der politischen
Sonderstellung und den Vorrechten des Adels fallen sollen, zumal aber
gegen die I3es( hriinkung der Te^tirfreibeit. „Das Te.slament ist die
höchste Manitestation des individuellen Willens . . . das Recht zu testi-
ren i^t ein Attribut des Eigenthumb, ohne welches es aufhört, Eigen*
thum zu sein. Da aber das Eigenthum den Schutz des St^ts geniesst
und ein Theü des VolksTenndgens ist» hat der SkuU das Recht» die
QrenMen su bestimmen', bis zu welchen die Befngniss des Ihdinduunu,
über seine Güter zu disponiren, reichen dar£ Wie er einerseits Fidei-
comi8€e und Bnbs^tutionen In infinitum nicht tukssen kann^ so kann
er andererseits fordern, dass der Vater tiir >eine Kinder sorge und ge-
zwungen sei, denselben einen Theil seines Vermögens zu hinterlassen.**
Der Autor hat es verstanden, seinen »Standpunkt und seine For-
derungen gegen die Publicisten der conservativen Parthei mit grosser
Schlagfertigkeit zu ▼ertheidigen. Es fehlte ihm nioht an dem Math der
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AUOOST TREPORT*S NEOS ESäATS. . 739
eigenen ( l)ei/eugung. Und «lieiier hat gewiss seine Wirkung ebenso-
wenig verfehlt, \v\e die Kraft seiner Argumente. Damm vraren seine
Arbeiten in jener Zeit der Gübnmgen und geistigen Ktfmpfe besonders
geeignet, die Qeister für die grossen Anfgaben der Znknnft zu scbalen
nnd zu entschlossenem Beginnen, zu „mannlidiem Wagen^ anzn-
eifem.
In einigen geharnischten Artikeln weist tler Autor die Lebons-
unfühigkeit des Systems der Avitirität nach, auf dem das Grundeigen-
thnuisrecht in Ungarn nocb in den vierziger Jahren Itoruhte. Nach dem
Grundsatz dieses Systems war die Familie, das adelige Qeschleeiit der
walire Eigenthümer, das IndiWdnnm wurde nur als Hntsniesser auf-
gefassi Allein dieses System hatte sich Tollstündig ftberlebt nnd es
fehlte nicht an Hinterpförtchen nnd casnistischen Kniffen, dnrch welche
man dasselbe aussj»ioltc. Der Aut<n- wollte nichts von problematischen
Compromissen und liallion Mas^iegoln liöron, sondern ging uner-
schrocken aufs Ziel los. Er verlangte rundweg die Beseitigung des gan-
zen Systems, das er im modernen Staat fElr einen unhaltbaren Ana-
ehronismns hielt, und bezeichnete die concreten Massregehi, deren es
inr Schaffung solider, nicht unablässig durch ein frivoles Prooessnal-
System gefthrdeter und in Frage gestellter Besitzrerhflltnisse'bedurfte.
In einer schwungvollen, mit fast allzuviel polemischer Verve aus-
Lf- rührten Streitschrift, verstand es der Autor die volkswirthschaftli-
chen Tendenzen Franz Deäk's und den von ilim angeregten Imlustrie-
schutzrerein mit glücklichem Geschick und gründlicher Sachkenntniss
gegen die Angriffe des Grafen Stefan Szechenyi zn vertheidigem, weicher
sich anscheinend von den Vomrtheilen der „klassischen'* NaticnalSko-
nomie nicht losznreissen vermochte und sich in der Polemik nicht der
glücklichsten Argumente bediente. Dagegen fehlt es den scharfsinnigen
Argumentationen des Autors nicht an überzeugender Kraft Seine Aus- ,
fiihrungrn zeugen von genauer Kenntniss der wirthschaltlichen Zu-
stände und Bedür&isse seines Vaterlandes. Die Einwirkung Friedrich
lA8$*$f die sichere Erfassung des wahren Kerns seiner Theorie zeigt sich
auch in dieser Arbeit des Autors. Gegen, die Annahme des berflhmten
Gegners, dass der Indnstrieschutzverein die magyarische Nationalitftt
beeinträchtigen werde (da die Gewerbetreibenden grösstentheils andern
Volksstänimen angehörten), verwahrte sich der Autor auf das entschie-
denste. „Wir aber glauben, Uais nicbti die Kraft der magyarischen Na-
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I
740 AUGUST TBKrOBT*8 XJ£Ü£ üääAVS.
tioniilitiit mehr erhöhen werde, als die forsch reitende Entwickelang «1er
. Prodactivkrftft des Landes. Die Nationalitäten haben in nnserem Zeit-
alter keinen ftigern Feind als die Amnth, die UnwiseenheÜ, die Kneehi-
sdiaA; wie dieee Übel vermindert, das bietet anch die besten BQig-
sdwften Air die Erhaltang der Nationaütttt t'^
Trefort hat auch einen Cyklus von Aufsätzen, welche im Jahre
1 1847 unter dem Titel „Unsere nächste Aufgabe" er^:chienen siu'l. in
die gegenwärtige bammlung aufgenommen. Diese Aufsätze sind von his-
torischem Interesse, insoweit sie zeigen, Avelcher Ausdauer, welcher
hartaflekigen Energie^ welcher Sclillrfe nnd Eindringlichkeit der Argu-
mentation es damals bedurfte, nm die Öffentliche Meinung Ar die
entschiedene und beschleonigte Durehlttning zeitgemSsser Beformen,
der nnabweisborsten Fordenmgen de» Recbtsbewnstsirins m gewinnen,
und um die bevorrechteten Klassen zu verstämligem Nachgeben und re<At-
zeitigem Handeln zu veranlassen. Der Autor war<l nicht müde, die Auf-
bebnng der unhaltbaren Privilegien, der nachgerade zum ötfenÜicben
Argemiss gewordenen Stenerfreiheit des Adels nnd die Darchffibmng
eines soliden Finanasystems m urgiren« Bei jedem Anlass mft er den
Prifilegirten sein ^Cäerum aukm isenaeo* su : Steht dem EmporUfiben
' des Vaterlandes, der gesunden Entwicklung des VoHcälebens, der Frei-
heit und dorn Fortscluitt nicht im Wege ! Rafft euch aus eurer Indoleni
und ünthiitigkeit auf, nm die Zukunft des Vaf,erlandes zu sichern!
Erfüllt die Grundbedingungen, ohne welche kein modernes Staatswe-
sen bestehn kann ! Entsagt vor Allen den Rudimenten einer abgelebten
Kultur, den unbaltbar gewoi-denen Privilegien und betheiligt euch an den
LastMi Und Opfern, welche das Vaterland fordert Zahlt Stenezn ! Und'
nach jährelangen Kflmpfen wird der Autor des trockenen Tons der Be-
weisführung satt und lässt bisweilen dem Humor, den die Indolenz und
das fatalistische Abwarten der interessirten Kreise immer von neuem
erregen, und der dem begeisterten Vorkämpfer der Ideen eines neuen
Zeitalters eben darum oft abhanden zu «kommen droht, munter die Zü-
gel schiessen* Wie Saint Simon sich allmorgens zumlen liess, er hsbs
grosse Dihge zu voUftthren; — so glanbte der ungarische Pnbfidst,
der privilegirten Klasse inuner wieder zurufen zu müssen : ErfUlt eure
Pflicht nnd zahlt Steuern ! Und „wie der Muezzin vom Minaret herab die
GlUubigen zur (tottesanbetung auffordert", so erinnert der Publicist alle
Mitglieder jener Klasse an die iiirfüllang ihrer menschlichen Pflichten,
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AUGUST TBKF0BT*8 NKUK KSSiTS. 74t
welche „der Oottesanbetung am nftohsten kommt" . . . Wahrlich, der
Autor hat seine einmal abernommmie pnblioistische Pflicht in jener
Übergangszdt mit nnemftdliehem Eifer und gewissenhaftem Ernst er-
füllt Sein Bemühen war nicht TergebUeh. Die geistigen Kkmpfe Jener
Zeit Terliefen nicht resultatlos. Das Ergebniss derselben war der Sieg
der neuen Ideen, zu deren eifrigsten Vorkftmpfem Trefort gehörte,
zu deren Verbreit un*f die Kiimpfe jener kleinen Schaar streitbarer
„DoctrinHre", welcher der Autor angehörte, nicht wenig beigetragen
haben. Wenn ein späterer Geschichtschreiber mit jener Objectivitfit,
welche durcli die zeitliche Entfernung bedingt ist, das Charakterbild
j«nes Zeitalte» zeichnen wird, wird er aneh den Leistungen der Mte'
ner, welche sich um die politische Schulung jener Oeneration verdient
' gemacht haben, gerecht werden mttssen.
Im letzten Thefl der Sammlung sind eini<(e ixditisehe Beden mit*
getheilt. welche der Autor in der „Zeit der Umgestaltung^ (1861 —
1865) und in der neuen Aera des Staatslebens — nach den letzten
Beichstagswahlen ( 1881) - i^ebalten hat.
Trefort hat auch nnch dem misslungenen coQ.HtitationelIen
Experiment im Jahre 1861 den Muth nicht sinken lassen. Er hat auch
in den trübsten Zeiten den Glauben an den Sieg der neuen Ideen und
dnr nationalen Sache nicht Terloron. Er war immer bemiht, diesen
Glaaben auch in andern lu beleben and zu befestigen. Die ungarischen
Freiheitsklmpfe erschienen fhm als ein Moment in dem grossen Frei-
heitskampf der europäischen Kulturvölker. Er verzweifelte nie an dem
glücklichen Ausgang dieses Kampfes, der „sein Ziel erreichen wird
aller Vergewaltigung zum Trotze!" Es ist etwas schönes um den festen
Glauben an den Fortschritt, an den Sieg des Hechts, an eine bessere
Zukunft der Menschheit Dieser Glaube beseelt und durchwArmt alle
Arbeiten des Autors. In diesem Glauben wurzelt die geistige Lebens-
energie, mit welcher er die VerwirUiohung- seiner Ideale aagsstrebt
und auf dem Gebiete des praktischen Wirkens mehr als einmal erreicht
hat. „In dieser Welt beruht alles auf dem Glauben. ** Darum ermahnt
der Autor seine (iesinnuni^^geniHsen : „H.irren wir aus, veiv,agen wir
ni( bt. seien wir energisch und besonnen ! Die nationale .Sache niusH
und wird triumptiren I" Und bald darauf: ,.Wir haben keinen Grund.
an der Zukunft zu verzweifeln ; die Zeit i.st dem Kecht und der Frei-
heit günstig t . . Eines aber thut Noth : Geduld haben und warten k^*
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.748 AfrCnJKT TWOK'S HOB l88ATIk
/
Ben.' ~ »NurinBtttig auf ftmclaineiitaleBechte darf niemals an Traas-
actionen oder Comproniisse gedaclit weiden . . . Und sclion nach weni-
gen Jahren Vöimorhte der Autor, darauf liiuzuweisen, dass die Tlial.sa« hen
seinen Glauben gereclillertigt haben und das?s der verhei^seue Tag ge-
kommen ist. er 1865 vor seinen Wahlern erscheint, erklärt er sich
von neuem mit der Politik Frans Deäk*s «olidariech. £r tritt für den
Dualismus, für die gegenwärtige staatarecbtUcfae Oestaltnng derHo-
narchie ein. „Der Dualismus ist fär die dsterreichiselie Honardiie ein
Na^urgesetK.'' Er tritt von neuem f&r die Ideen ein, für deren Ver*
wirklichung er immer gekämpft, an deren gutes Reeht und an deren
Sieg er zeitlebens ueglaubt hat.
Die let/.ten Reden, welche die vorliegende Sauunlung enthalt,
zeigen uns, dass die Flucht der Jahre das politische Glaubensbekennt-
niss des Autors nicht erschüttert hat. Nun ist es ihm möglich, in diesen
Reden auf den zurückgelegten Wog» euf die überstandenen Kämpfe mit
einer gewissen Befriedigung surüok zu blicken. Denn er gehört zu den
Giaokliohen, welchen es veigOnnt ist, manche Idee, fIBr welche sie ge-
kämpft haben, verwirklicht in sehn, ja manche Princlp, für das sie in
Freud und Leid eingetreten sind, selbst in die Wirklichkeit einführen
zu können. Glücklich, wer nicht nur auf das l.'rtheil der Nachwelt hoflen,
sondern auch sich selbst sagen' darf, dass er nicht vergeblich gelebt,
nicht vergeblich für die Sache der Freiheit, des Rechts, des Fortschritti
gekämpft hat) wer die Verwirklichung der Ideen, für die er sich in jnn-
. gen Jahren begeistert erleben und durch sein eigenes Schaffen und
Wiricen herboifBhren kann. A. Trefort ist einer Yon diesen GlücUiehen*
welche selbst ihre Saat aufgehn und em neues Geschlecht die Frfiehte
ihrer Arbeit, die Errungenschaft; ihres Strebens geniessen sehn. Aber
ihm ist der Fortschritt eine unendliche Aufgabe. Er kennt kein betrach-
tendes Verweilen bei den bisherigen Errungenschaften. Er mag nicht l)ei
dem Geleisteten stillstehn; äonclem er beschäftigt sich immer mit neuen
Aufgaben, deren Lösung er für die Bedingung fortschreitender £nt-
wicklnng hält Und er ist entschlossen, die Lösung detselben zu un-
ternehmen, an der Lösung mancher neuen Aufgabe des Zeitalten
thatkräftig mitzun^irken.
Vor einem Jahrzehnt hat der Autor die Leitung des nngaiischen
üntcrrichtswesens übemommen. Manche Reform, manche neue Sch5«
pfung auf diesem Gebiete legt lebendiges Zeugniss vop seiner organi*
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ZÜK. OBSCniCHTE DIB OBAN£B DiOCSSe. 743
satorisclien riiäti^^keit ab. Kr blickt nicht ohne Befriedigung auf die
Ergebnisse des letzten Decenniums zurück. Denn er darf sich sagen,
dass in dieser Zeit die Cultorarbeit der Nation in mancher Hinsicht
nachhaltig gefördert worden ist nnd dass manche Bedingung des geisti-
gen Aofechwnngs geschaffen wurde. Aber der Autor weiss selbst am besten,
dass der gegenwärtige Stand der Dinge noeb manches zu wttnschen
fibrig liisst, dass noeb manche grosse Aufgabe zu lösen ist Und er hat auch
den Willen und ilen Muth, die Losung derselben zu unternehmen. Er
setzt (He begonnene Arbeit mit unverminderter geif^tiger Lebensenergie
fort. Jeder quietistische Zug ist seinem Wesen fremd. Er gehört zu
den strebensfrcudigen, .schaffenslustigen Geistern, welche „im Weiter-
schreiten Qual und Glück" finden, welche nicht müde werden, för die
Sache, in deren Dienst sie ihr Leben gestellt haben, su kimpfen und
zu wirken.
Die jüngere Generation kann Vieles aus seinen Arbeiten 1er- •
nen. Es ist nnr zu wünschen, dass sie seine Lehren auch beherzige
und durch Tiiaten bewähre, duMs sie (jlcich ihm die idealen Güter der
Memchheit Ihoch halte und dem \':iterlande <lie Segnungen tlcr Ouitur,
der Freiheit, der Bildung zu äicheru bemüht sei. p - Bf..B
ZUR GESCHICHTE DER GRANEß DIÖCESE.*
Der ungarische Klerus, dessen Patriotismus, Bildung und aufge-
klärter Geist diese Zeitschritl öfter Gelegenheit hatte hervorzuheben,
hat auch der vaterlUndisclien Geschichtschreibung zu ollen Zeiten be-
deutende Dienste geleistet. Von der Zeit der Chroniken und Legenden
gar nicht zu reden, haben im XVL Jahrhundert die Primase Olah und
Yerancsics, sowie der Bisehof Fbrgieh bedeutende Gesohichtswerke ge<
sduieben. Im XVIL Jahrhundert entfaltet der Jesuit Heveneqr in den
Arehiyümrschungen, seiner Zeit ▼orweiland, eine beiqiiellose Thfttigkflit»
* Momiswttto EetMoit Strigonientis. JoBsn et rampto ... * Joannit
Card« Simor Principis Primati« Arohiepiscopi Strigoniensis, oidine chron.
disposnit, distertatiombns et notis illuttravit Dr. Ferdinandui Knaug Eccl.
Metr. Strigon. Canonicus. Tomus socundus. 1273—1321. Cum. 0 tabulis
lithographicis et 11 sigillia signo incisis. Strigonü. 1882. t". XLIX ot 883 p.
— Der €>rate Band (979^1273) ist 1874 enchienen. XLVIII and 6ä8 äeiten.
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744
Sim OEK( HICHTB DER QRAVFB DI^KSE.
willirend der Jesuit Inkofter eine f?rossangelegte Kirchengescbiehte
ginnt. Iin XVIII. JahrhundeH weist dieser Orden eine R^ihe glänzend«
Kamen als Geschichtsfoi scher und SehriftsteUer Mtf : Kaprinaj, Kazr,
TIsAr^cxj, Fny und Entona» Des letzteren monomentalM Werk, seine
42-bliidige .Historin Critic» Begai HnagBriae" iai aoeh lieute ein nn-
entberHehes Qadlen- imdHfUfibaeb, gleichwie der vom Domherm Qeciw
ging Feh^ in der ersten HMfte des fonftoden Jehriranderts ans eigenen
Mitteln edirte, ebenfalls 42-b!lndige „Codex diplomatieos," Den neuen
(/eist der Gesehichtsst lii oiliiin}^' hat zueilt der Pauliner Virnfjh in un-
sere Literatur ein^'ebürgert. und ebenfalls ein Mann der Kirche, der
Bischof Miehad Jlomdthy Ist es gewesen, der die sämmtliehen Ei^eb*
niaae • der nenaeitUehen Forschungen nniarbeitend» seiner Nation ihre
Qeeehichfte.Ton den ftltesten Zeiten bis enf unsere Tage in 14 Bftnden
darbot.
Wir apredien bloa von den leitenden Mftnnem und schweigen
von den Lebenden.
Es ist sehr nntürlith. du.ss der hohe Clerus. imlem er die politi-
sclie Gfschiflite seines Vaterlandes ])egründet und unablässig weiter-
fördert» ^upli die Aufliellung der Vergangenheit seiner eigenen Kirche
nicht vergisst, weUshe ohnehin nüt der nationalen Geschichte in engem
Verbände steht.
WShiend die theologische Literator in Ungarn iinbegreiflidier
weise stockt^ zeigt sich auf dem speciellen Gebiete der Kircbengeschiebte
in keinem Lande eine so erfreuliche Thiltigkeit wie bei nns.
Einen namhaften Beleg dafUr weisen wir in dem monumentalen
Werke auf, dessen Titel in der Anmerkung zur ÜbeiücUritl dieser 7m-
len steht.
T)er von seiner liberalen Förderung der Wissenschaflen und
Künste bekannte Graner Kardinal Erzbischof Johann Siwor, hat einen
seiner gelehrten Dommherm Ferdinand KnauB mit der fliffHm^«g
nnd VerOifentlichitng der auf die Geschichte des Graner firzbisthuBS
beafigUchen BenkmKler betraut.
Die Wichtigkeit und Ausdehnung dieser Aufgabe kennzeichnet
schon der Umstand, dass der uns vorliegende. 1 1.'» Hu^^'en tüllende Il:in»l
nicht ganz, serlizig Jahre aus der (Jeschit bt^? des Er/.bisihuujs ulllt;^<^t.
Von der zweiten HUlfto des XIII. dahrhunderts angefangen niimlitb
bewahren sowohl das Graner ersbischöfliche und Capitolar-ArchiT, als
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«ach die übrigen Archive des Landes, dne grosse Menge von Original-
Urkunden, weldie anf die politisebe nnd Usebliobe TbSiigkeit, die
Kfinipfe und Fehden der Erzbisehöfe, sowie auch auf die besiUrecht-
liehen Verhältnisse des Erzbisthums ein volles Licht werfen.
Die kirchlichen Zuätftnde des mittelalterlichen Ungarns verdienen
gewiss in hohem Qrade die Aufinerksamkeit der Geschichtschreiber dieser
Zeit Die Wellen aller jener Ideen-Bewegongen und Interessen-Kämpfe,
weUhe das westliehe Eoropa beschftftigtei( reichten auch nach Ungarn
herein, wo sie sich in viel&cher Hinsicht in eigenthftmlicher Form ftnssem,
nicht allein wegen des besonderen Charaktei*s der Nation, sondern
hauptsäcldich wegen jenes besondern Verhältnisse.^, welches sich zwi-
schen der Krone und der röinischen Curie in Foh^c davon entwickelte,
dass der Pabst Sylvester IL den König Stephan den Heiligen und seine
Nachfolger mit der ganzen Fülle der apostolischen Rechte bekleidete;
Der Werth und die Brauchbarkeit des vorliegenden Werkes wird
dadurch erhöht, dass es nicht eine blosse Urkundensammlung ist. Es
macht uns in gründlich ausgearbeiteten Abhandlungen mit dem Lebens-
verhflltnisse und dem Wirken der einzelnen Kr/hischöt'e bekannt, und
^uppirt das Urkunden-Material in einer Weise, welche dessen Aosbeu-
tung erleichtert
Sowie das Werk die Mitthdlnng der Urkunden anbelangend die
strengste diplomatische GeuAuigkeit kennxeiohnet, ebenso wud die
Reinheit der Sprache in den Einleitungen nnd Abhandinngen von Neuem
den guten Ruf rechtfertigen, welchen der ungarische hohe Olerus durch
seine Vertrautheit mit der lateinischen Sprache zur Zeit des vatikani-
schen Concils erwarb.
Das Werk ist durch xylographische Nachbildungen der bedeu-
tenderen Urkunden und Siegel illustrirt, was die Pfleger der mittel-
alterlichen Diplomatik nnd Sphragistik gewiss mit Dank aufhehmen
werden.
VagailMli« Kovuo. nw'i. VIII- IX. Hell.
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74^ ' KiruK siramrottBucimr
KÜRZE SITZUNGSBERICHTE.
— In der volkswirthsohaftliehen und statistischen Kommission der
Akademie am 1. Noveinlier liielt /uuiklist Professor Ji Mus Kaitz einen
\'ortrag über düc Fittaneen der europäischen tSUmtm.
Der Vwirogende bespricht zunttchst die Schwierigkeiteii der
veigleichenden Finaazstatistüc tmd gedenkt namentlich der diesbezüg-
lichen Verhandhingen anf dem in Wien abgehaltenen internationalen
statistischen Kongi'ess, Er nimmt als IJasis seines Vortrages die auf lias
Jahr 1881. bezügliilien I^iulgcf -Daten. Der Vortraj^cnde theilt so%vohl
die absoluten, wie die relativen, auf den Kopf der Bevölkerung reU«-
zirten Ausgabenzitfern mit, und liefert den Nachweis, dass unser Vater*
land, so wie in anderen wichtigen TolkswirthschaftUchen Üexiehnngen
aneh in Hinsicht der Aasgaben zwischen den Extremen eine Mittel-
stellnng einnimmt Die Verwaltnngs-Aosgaben im weitem Sinne wer-
den perzentnell zn den Gesammt- Ausgaben der einzelnen Staaten ver-
glichen, und auch auf die ein/einen Elemente, aus welchen die Ausga-
ben zusammengesetzt sind, detaillirte Folgerungen gezogen. Insbesondere
werden die Ausgaben für Hofstaat, Parlament. Au.swÄrtiges, Webrkralt,
Staatsschulden der europäischen Staaten mit einander vergli» h» n uad
Ungarns Steliang in der Vergleichsreihe fixirt. Die Staats-Kinnahmen
werden in gleicher Weise betrachtet Eine Vergleichnng der Einnah-
men mit den Ansgaben zeigt, dass Spanien, Rassland nnd Oesfterreieh-
Ungarn in der Bogel mit Aufnahme von Anlehen wurfchachaften mnss,
wahrend in Dentschland, lielgien, Holland, Skandinavien. England, der
Sohweiz, Frankreicli imil Italien nalu'zu Glei<*hgewiclit in» Staat->lian>-
halte herrscht, in «len Vereinigten Staaten von Amerika aber ein ücbei-
scbusä von jahrlichen 160.000,000 fi. der Einnahmen über die Aui^
gaben zur Bclmldtilgung verwendet werden kann. Die Analyse der mm-
seinen Bestandtheile der Einnahmen, insbesondere die Betrachtung des
Verfafiltnisaes der direkten zu den indirekten Stenern gaben dem Vo^
tragenden zu sehr interessanten Betrachtungen Anlass. Von semen Be-
merkungen verdienen speziell die Ausführungen des Verfh^sers über
das Tabaksmonopol hfrvorgehoben zu werden. Der Vortrag s(hlie<st
mit einein eharaktt-ri^t ix lien Aussprui he <l«*s eiK inaliligen Ministei-s
Scbäftle über Ungarns Finanzen, welcher bei voller Anerkeauong für
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KUBzc snxl'vaeBSBicRnc: 747
die Opferwiliigkeit der Befölkerung d<H^h auch die Schwierigkeiten der
Finsnzlage des lugarischen Staates herrorhebt.
Hierauf fblgte Adolf Friittksst's Vortrag : Der QememdehauS'
halt der Hauptstadt Budapest.
Viel cHskutirt wird im Aunlande und auch bei uns, namentlich
in der Hauptstadt »larül)er, ilass die auftallende Steigerung der Ge-
meindelosten nicht sehr durch die eigentlichen Gern ein de« Aufgaben,
ab vielmehr durch die Ueberwftlzung staatlicher Funktionen anf die
(Gemeinden, herbeigeführt worden sei. In Deutschland bildet diese
These seit Jahren den Gegenstand der öffentlichen Diskussion und eine
Anszweigun^ der Bismarck'sehen Finanzpläne ist eben die Frage : wie
den dunli «lirrkte Steuern un»l Schulden überlasteten Gemeinden
wirksam geholfen werden ktinnte? Die preussisehe Kegierung liess zur
Klarstellung der Pinanzverliältnisse der G^einden eine .statistische
Aufnahme über die Zustünde in dem Zeiträume Ton 1869 bis 1876
▼ernehm^n. Das solohermassen gewonnene Material nahm der Bath im
prenssiachen Ministerium des Innern HerrAirth auf und anf Grund
dieser Publikation entstand dann in Deutschland eine ganze Literatur.
Bei uns existirt eine Statistik über die finanziellen VerhüHnisse der
Gemeinden nicht; Studien lassen si«h nur auf der Basis des zelinjühri-
gen Haushaltes der Hauptsta<lt machen, zu welchem Behufe acht Jahre
Schluäsrechnungen (von 1874 — 1881) und zwei Jahres-Budgets (1882 •
— 18B8) zur Verfligung stehen. Zur Beurtheilung der aufgeworfenen
Fnge ist der Haushalt der Hauptstadt aber auch schon darum geeig-
net, weil eben hier behauptet wird, dass in Folge legislatorischer und
gouvernementaler Verfiigungen der Aufwand der Kouunune in solch
aullUliiger Weise sich erhöht hätte.
Von der ungleichmttssigen Steigerung der Einnahmen und Auf-
gaben der prenssischen Städte zeugen die folgenden Daten : In der be-
rmts erwfihnten siebenjährigen Periode von 1869—1876 betrug per
Kopf der Berölkerung die Steigerung der Steuer-Einnahmen in Berlin
58*2, die der gedämmten Ausgaben 258*7%. tu Köln belief sich die
Steigerung l>ei <len Steupi Kinnahmen auf 78*8. bei den Ausgaben anf
inn*f{"/'». In Folge dessen erh<"di(en si( Ii auch in grossem Mas>e die
Schulden der Stildte und das zur 'rilüfun^ derselben erforilerliche Zin-
sen- und Amortisations-Erfordemiss. Die auf die Gemeinden entfallen-
den staatlichen Ausgaben, hieher auch die (Ur die Polizei gerechnet,
48*
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748 Kl RZE snzuHesBEBitiriis.
zeigen eine ansehnliche lOrhölmng. In norlin hoI> sich nnter diesem
Titel die Ausgabe von 2 15 Mark auf 3-87, in KOln von 0*98 auf 2'62,
• m Fruildurt a. M. von 2*46 auf 4*18 Hark. Eine noeb grossere Erbö-
hnng indess zeigt sieb bei den meisten Städten in Hinsicht der'im en-
geren Sinne genommenen Gemeinde- Ausgaben. Es geniigt. diesftUs
einige auf Berlin !>p/.ü^'li('lie Daten anzuführen. Für Strafvsen. Kanal!«-
rung, Pflasteining, Reinlialiung, Beleuchtung u. s. w. hob sie Ii i>er Kopf
der Bevölkerung die GemeindeschuUl von 37 auf 16'6 Mark, der Ktat
für das ArmenWesen von 4*9 auf 5*2, der Schulaufwand von 4'2 auf
8*8 Mark. Aus diesen und anderen Faktoren (der Vortragende detaillirt
*
dieselben) zieht Herrfurth den Schlnss, dass die üeberlastnng der
preussisehen Gemeinden nur znm geringsten TbeOe legislatonscbn
Verfügungen t.'nt:>pring(», wenngleich nioiit /.u leugnen, üass dunh «h-r
artige Dispositionen die Gemeinden einiger früherer Einuahmen be
raubt wurden ; — sondern es enispranircn die grossen Lasten ans der na-
türlichen Entwicklung der Gemeinde-Funktionen, deren ErtiSglichkeit
durch eine bessere Theüung der staatlichen und Qetneindesteuem und
durch eine bessere finanzielle Ausnutzung der Gemeinde-InstiiiitioM
möglich zu machen wfire.
In Budapest besteht die Klage schon seit Langem» noch aus den
Zeiten yor der Vereinigung, dass die legislatorischen und Regierung»-
Verfftgimgen einerseits die Einnahmen der Kommune sohmBlerten und
andererseits durch Zuschiebung von Ihr nicht zugehörigen Agenden
ilire Ausgal)en steigerten. Die Steigerungs- Verhältnisse der hau|>t>tildti-
schen Einnahmen und Ausgaben mögen die folgenden Daten er>icbtlicb
machen : Die ordentlichen und ausserordentlichent sowie die aus der
Verftusserung Ton Liegenschaften erzielten Einnahmen betrugen :
1875 1881 1883
5.957,561 6.409,268 7.027,990
die entfpreclienden Ausgaben 6.114,523 8.571,123 9.22ö,97;i
Demgemlss zeigt sich im Haushalte der Hauptrtadt ein Defizit;
doch wurden die ordentlichen Einnahmen übersteigendin Ansgiben
auf Investitionen gewendt t und durch Anlehen bedeckt. Nach Ab?« lilag
dieser Ausgaben war im Ordinarium wie auch im Extraordinariom, mit
geringen Abweichungen, Gleichgewicht vorhanden, insofern als
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KUKZB 8mUllG.-iB8RlCETe.
die Einnahineii
dieAaägsben .
1875
5.495,566
5.529,679
1881
6.375,470
6.884,627
betrugen.
Un<l hier macht die Krhöbaag in runder Zahl 850,000 11. .au;?.
Auffallend it»t es, dass die Kinnahmen aus den Zuschlägen zn den direk«
ten' Steneni seife 1874, trotsdem seither die StaaUsteaern nm 20 Per-
seni und die BeTdlkemng nm noch mehr zngenommen hat, beinahe
sftatienftr geblieben ut Im Jahre 1874 brachten die direkten Stenerzn-
schlage 1.598,372 fl., 1881 : 1.635,178 fl. und 1883 (prälirainirt)
1.626,000 fl. ein. Ja nicht allein stationär i.st die Einnahme gehlieben,
sondern sie liat sicli sogar, per Kupf <ler llevülkerung gerechnet, ver.
ringen. Die gleichmäädige Kriiuliung mit der ötaatssteuer war dadurch
verhindert, dass die Legislative bei den neuen Steuern die Einhebung
eines KominnnalsnBehlaga nicht gestattete ; dass dureh die Verstaaüi-
chiu^ der Theissbahn die Kommune einen grossen Steuerzahler ein-
bOsste ; und dass die Robotstener, sowie auch die snnehmenden Gemein*
denttchläge der hiesigen Filialen Osterreiehischer Bistitnte zu Gunsten
des .30 Millionen-Anlehens der Staatskasse zAifliessen. Ganz anders i.^t daa
Ke^ultat hei den der legislatorisrhen Einwirkung nicht ausgesetzt ge-
wesenen Hauszinskreuzern, sowie bei den Verzehrungs- und Verkehrs-
Stenern, welche sicli in Folge ihrer normalen Stellung ansehnlich ver-
mehrten. Die Hansunskrenzer trugen im Jahre 1874 : 571,873 fl. und
1688 (pmlimbtirt) 686,000 fl. Das Einkommen ans den Verzehrungs*
stener-ZnschUlgen beUef sich 1874 auf 564,541 fl., pro 1888 sind prft-
liminirt 737,000 fl. Die Pflastermauth brachte 1875 : 691,191 fl., für
1883 sin<l veranschlagt 874,000 fl.'Das Schankregale, das Stand- und
üfergelUUe bra<.hte 1875 : 158,656 fl. ein. für 1883 sind 352,495 Ü-
prüliminirt. Die indirekten Steuereinnahmen repräsentireu im Haus-
halte der Hauptstadt viel grössere rroiK)äitionen, wie in dem des Staa-
tes und anderer, ansUndischer Städte insofern, als in ihmsösischen und
italienischen Städten das Ertrftgniss aus dem Oktroi, per Kopf der Be-
völkerung gerechnet, übermftssig hoch, in dentschen Städten hinwieder
übermässig niedrig ist, während in Budapest die Einnahmen aus den
indirekten Stouein den aus den direkten Gemeindesteuern herrühren-
den nahe stehen.
Der Vortragende geht hierauf m den Haoptgmppen der Ge-
Üiyitizcü by GoOglc
750
KUBSK smmtofiBiaiGvrE.
meinde-Aus^gaben über. Er xergliedert die grossen und foriwfiliread
wachsenden Ausla^'en, welche durch die Verwaltung der staatiicheo
Steuern für die Haui)i8tadt erwachsen; er erörtert die Steigerung der
Ausgaben für Spitäler und Spitalsveri)tlegung, welche letzt-ere Auslagen
wieder durch legiBlatorische und Begiorungsverfü<:;ungen so hoch ange-
wadisen und ; er gedenkt der Ausgaben für das Schulwesen, wdehe
von 1874 — 1881 allein im Ordinarinm um 75Vo gewachsen sind, nn*
gereohnet, dass snr HersteUnng von Schnlgebtnden (nach Abreehnong
der Staats^nbvention) Ton 1878 angefangen 2.700»000 fl. Teraasgabt
worden sind.
Auf das Wasserwerk verwendete die Hauptstadt bis t^nde 1881
in runder Summe 5 Millionen Gulden und war das Krträ^mis- in dt^m
letztgenannten Jahre 4'47o, während das Anlehen der Hauptstadt,
ohne Amortisation, auf 6'4*Vo zu stehen kain. Das Schlachthaus kostete
2.117,000 fl. und trägt, die Baustelle nicht in Anschlag gebracht^
5*7 V«, wahrend das Bankapital mit 6'7% za verzinsen ist Auf Offent-
liobe Gesundheitspflege nnd Salobritftt, auf Promenaden, Anpflaasiuigen
verwendet die Kommune immer mehr und mehr. Znr aUgemeänen
Kanaltsimng wird demnüohst 1 Million investirt werden, während die
Durchführung des Ganzen 5 Millionen kosten soll.
Der Vortragende zieht sodann eine Parallele zwischen den Kosten
der öffentlichen Arbeiten in Budapest und^denen anderer grosser St:i4U6
und gelangt zum Schlüsse, dass es schwer sei, namentlich in der Haupt«
stadt, eine sidiere Grenzlinie zu ziehen zwischen staatlichen und koB^
munalen Aufgaben und die Ausgaben demgemllss abzusondern. So sei
es bebpidsweise unmöglich, die Kosten der Ifanipuküon der Staats-
steuern von denen aller andern Ähnlich gearteten Auslogen der Haupt-
stadt rein auszuscheiden und genau die ku>tenvermehrende Wirkung
dieses Faktors festzustellen. Die vorgebrachten Daten indessen illustrir-
ten es zur Genüge, dass, wenn auch die staatlichen Verfügungen nicht
von überwiegendem Einflüsse auf die Steigerung der hauptstädtischen
Lasten waren und auch die fortwfthrende Erhöhung der Ausgaben
durch die im engeren Sinne genommenen Gemeindeaufgaben veranlasst
worden sind : Legislative nnd Regierung doch die Einnahmen der
HsEuptstadt gesehmShlert haben und dass dies viele neue Kosten auf
die Hanpstadt gewälzt hat.
Und wiewohl es nicht zu leugnen, dass der Staut zur Hebung der
\
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f
KCBZE älTZL'NadUKKlim-E. 75]
Ha»i)tst iiU gnj^se Opfer gebracht hat namontlich seit 1870, grössere
vÄeUeiclii als andere Staaten fttr ihre Hauptstädte gebracht haben, so
erschiene es doch nicht statthafti wenn die Legislative nnd die R^e-
rang Vndapest nnd die anderen Gemeinden auch fernerhin mit derar*
tigen neueren Ausgaben beksteten, da dies der Hauptstadt und anderen
(iemeinden die Erfüllung der ihrer liarrendeii laasaeahaften kuUurellen
und üanitären Antgul)en ersdiweren würde.
In der über das letztere Thema .stattgefundenen Debatte ergi*cift
sunächst KMsi das Wort, um der Ansicht Ausdruck zn geben, dass
die Schwierigkeiten der Finansdage der Hauptstadt hauptsftchlich dnrch
jene gesetzliche Verfügung herYorgerufen werden, wonach der
ordentiichen ESnnahmen auf Öffentliche Arbeiten Terwendet werden
müssen. — Fcwjvesstj weist replieirend nach, dass die Berechnung die-
ser 50"/ 1. richtig und in denselben auch Schulden und l^ersonal- Aus-
lagen inb^gritl'en bind. Ganz besondere Autnierksamkeit erregten die
Schlussäusserungen des Präsidenten Grafen Lonyay. Er weist daraatr
hin, welche Wichtigkeit überhaupt das Aufblühen der Hauptstadt für
Ungarn besitae« Die Ansicht Jener, welche dem Staate oder der Legis-
laüve den Vorwurf machen, für die Hauptstadt nicht genug gethan zu
haben, könne er nicht theilen. Er hSlt es für sehr richtig, dass für
ürt'entlichc Arbeiten ein .solch' bedeutender Theil des Etats verwendet
werde, da das Land ein grosses Anlehen kuntrahirte, das hauptsächlich
der Hauptstadt zugute gekommen ist. Wo der Staat ein solches Opfer
bringt» ist es auch Pflicht der Hauptstadt, das Ihrige zu thun. Diesen
Anstrengungen sei es zu danken, dass Budapest in den lotsten Jahren
einen so bedeutenden Aufechwung genommen habe, w'e kaum eine
xweite St^idt des Kontinents ; und dieser Fortschritt wurde mit ver-
h.^ltnissmiissig geringer Steigerung der Steuerlast erreicht. Was die
Steuereinhebungskosten, jenes so oft besproi hene Gravamen, ]>etritit, so
maclit er darauf anfinerksam, das vordem die Bürger der Stadt dies als
ihr gutes Recht eifersüchtig Tertheidigten. Uebrigens iheüt die Haupt-
stadt diese Belastung mit allen übrigen Gemeinden des Landes. Für
viel wichtiger halt er die Beform des Gemeinde-Finanzwesens, in wel-
cher Beziehung Ung;un gh'irhfiills das Land der Extreme sei. Stiidten
gegenüber, welche «lie Steuerlasten kaum dorn Namen nacli kennen, fin-
den wir andere, wo die Gemeindesteuer 100 l'erzent der Staatssteuer
und mehr betrAgL Und doch ist ja eines der Grundprinsipien des Steuer*
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752
KUBZB SITZUKG.^BBRTCHTB.
> Wesens die Verhältnissmässigkeit der Steuer. Er schliesst mit dem
Wunsche, dass Badetest auf delr gegenwSHagen gesunden Basis wkk
weiter entwickle and dankt dem Vortragenden ffir dessen gründidu
Anafthmiigen.
— Die Mito^teohe GeteHtoMi hielt ihre erste Sitanmg nach den
Ferien am 5. Oktober. Tn derselben las zunächst Alkxiüs Jakab einea
«lurch die Jagdeu des Krunprinzen 2eitgemä»sen Vortrag Uber die Vcr-
gmufenhcit G orrienys.
Hierauf legte Lri>\vu» Szadecsky Beitrttge des Belaer evangelischen
Seelsorgers Samud Weber zur Geschichte des Wunder^ und Aber^
^ßaubens vor, welche derselbe in Z>|Mer Ckromken gesammelt und die
sich zumeist auf die Torbedeutenden Zeichen der Bocskai'sehen Invasion
beziehen. So sah man am 7. Jänner 160?? in Jjeibiz zwei Monde und am
Tug«^ darauf zwei Nebensonnen ; im SdiniiuT dosf^elben Jahre« "wiitheten
schreckliche Stürme, die in Zipsen grosse Verheernngcn anrichteten-
Ära 24. Oktober 1604 sah man am Himmel flammende Schwerter, im
Jahre 1606 buk in Zeben eine adelige Frau namens R«ik6czi Brod und
sprang aus dem Brede eine gehamischte Qestalt henror. Afi* diese Zei-
chen deuteten anf Bocskai hin. Im Jahre 1598 veiheerte eine schreck-
liche Feuersbmnst ganz Leutschau und ein Jahr später starben daselbst
2500 Menschen an der Pest. Deren spukende Seelen trieben lange Zeit
in der Stadt ihr Unwesen und beunruhigten die ohneliin erregte Bevöl-
kerung nicht wenig. Tn Lublau trieb es ein Mann namens (ru^^pitrek
nach seinem Tode so aig, dass man seinen Leib ausgraben und verbren-
nen musste. Noch jetzt wird in jener Gegend jeder tolle Kopf in Erin-
nerung an den Sehabemak, den jenes Gespenst gespielt, ^Gasparek*
genannt Auch gab es in Zipsen damals viele Blutregen, welche Furcht
und SchredEon verbreiteten. So in Leutschau 1616, in Kirehdrauf und
Igl6 1666. Bemerkenswerth ist es auch, dass die Belaer SehnetdeiN
zunft im Jahre 1630, 32 Tage im Jahre kannte, welche als dies nefasti
betrachtet wurden. Nur im Punkte des Hexenglaubens scheint die Zi|>s
ziemlich immun gewesen zu sein, denn nur ein einziger gelinder Hexen-
prozess kam im Laute der .lahrhunderte daselbst vor.
Ludwig Sßddeceky iugt diesen Daten noch« einige hinan, die er
selbst gesammelt Am 24. August 1620, am Tage, da Bethlen tum KS*
pig gewählt wurde, wurde in Gork nftehst Lentschsu ein Ciid mit zwei
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• I
KülSK RITXUKOaBKRICBTB. 753
Köpfen, tler eine über <lem andern, gel)oren. Der obere Kopf war leblos,
doch lebte der untere und wurde das Kind aiu h |j;etauft. Vortragender j
produzirt nun einen zeitgenössischen in Augsburg gedruckten Kuj^fer-
stieh, der dsts Wunderkind mit begleitendem Text darstellt. Der Text
enthält die beiden Deutungen, die dem Phänomen von beiden Parteien
gegeben wurden. BocaUus, der Hofpoet- Bethlen*8, erklärte, der obere
todte Kopf bedeute den Klerus, der untere Beihlen. -Die Wiener Den»
tung bezdchnet den untern Kopf als König Ferdinand, den oberen alii
Bethlen. — Im Jahre 1624 wurde in der Weichsel bei Warschau ein
Fisch gefangen, dessen Schuppen kriegerische Embleme vorstellten und
auf dem die Ihuhstaben R. I\ F. zu lesen waren. Bethlen (TÜhor, dem
der Fisch zugeschickt wurde, gab den Buchstaben die Bedeutung „^g-
num Poloniae Frangitur/ Vortragender erwilhnte zum Schlüsse noch
des merkwürdigen Phänomens, das bald darauf in Neuhäusel beobachtet * <
wurde. Fflnf flammende Kugeln flogen am Himmel gogeneinander ; bald
darauf wurde ein ▼eritables Kriegagetttmmel in den Lfiften gehOrt, das
drei Stnuden lang andauerte. Das Phänomen zog sich in der Richtung
nach Ofen hin, wo am nächsten Tage ein Blei- und Zinnregeu nieder-
ging, äo daää die Türken das Zinn in Schüsseln auflasen.
Letzter Vortragender war Alkxamubh Sciläoyi, der in einer treff-
lichen Skizze die Gründe darlegte, welche den Fürsten Gabriel- Bethlen
bewogen, in den /wan/iger Jahren des XVII. Jahrhunderts Juden aus
der Levante nach Siebenlnirgen zu rufen. In F()lge des schlechtwerthi-
gen Geldes, das aus Oesterreich über Polen nach Siebenbürgen drang,
sah sich Bethlen schliesslich gezwungen, ebenfalls schlechtwerthiges
Geld (poltra) prägen zu lassen, was aber die finanaiellen Verhältnisse
des Landes nicht besserte, da die Griechen, welche den Handel inne-
hatten und .ausserhalb des Landes wohnten, alles gute Geld AUS doin
Lande führten und }n demselben nur das schlechtwerthige zurücklies-
sen. Der Fürst sah sich daher nach Kautieuten um, welche im Lande
selbst wohnen sollten und diesbezüglich wandte er sich an den ihm be-
freundeten Arzt Abraham SciSfta in Konstantinopel. Auf die Interven-
tion desselben kamen nuoh viele Juden ins Land, denen der Landtag
Tom Jahre 1627 folgende Privilegien zusicherte :
1. Freie Wohnungen und freies Geleite im ganzen Lande,
2* Freie liiiniUhr von Waaren aus dem Auslande.
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754
■LABA SACR.
8. Bie erhalten einen Adeligen uls> liicbter, der ihre Streitigkeiten
schlichten aoW.
4. Damit sie keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein :>olleii,
werden sie auch Steuer zahlen and im Allgemeinen dieselbe SteUong
wie die Anabaptisten einnehmen.
5. Ereie Religionsiibnng.
6. Anch Jaden ans ehriatliolien Lindern dArisn sieb im Lande
frei niedeilaflsen.
7. Sie sollen in christlichen Kleidern gehen, ohne jeglichem Unter-
öcheidungsmerkmul, »larait sie kein Misstruuen erregen.
8. Die Ausfuhr von Geld wird ihnen gestatt-et.
9. Sollten sie durch Elementar-Un&Ue dazu gezwungen sein, köa*
nen sie anch frei answaadern.
10. Wetfti ein Jude ein Verbreehen hegeht, sosoUerin Unkr^
suehtotg gcJiegen und evenHteU bestraft werden^ doch dürfen die Übri-
gen seinetwegen weder in Untersuchung gejuagen, noch vexirl werden.
11. Ihr Arzt besitzt freies ( ieleite.
So lange Bethlen lebte, genossen die .luden diese Privilegien, die
9h&c nach un«l nach in Vergessenheit geriethen, so dass auch ihre Wohn-
sitze bald auf das einzige Karlsbnrg beschränkt wurden. Seinen Zweck,
durch die Jnden den Griechen ein Gegengewicht zu bieten, hatte Beth-
len nicht erreicht ; die Oriechen wurden erst lange danach durch die
Armenier verdrOngt, die allein ihnen an Handelsgeist fiberlegen
In der Kön'gin Garten
Blüht's im frühen Monde :
Bothe Rosen, weisse Rosen .
Braune Mädchen, blonde.
K L A Ii A Z A C H.
Von Johann Arany.
• Qualen, Todestjualen
Hab ich schon erduldet :
Sterbe ich. hat eine Hlume
Meinen Tod Terschuldet!^
„Kön'gin. meine Schwester,
Habt mit mir Erbarmen :
Jene Rose, rothe Rose
Schmacht* ich ro umarmen!
„Bruder! nicht um hundert
GHb' ich die aus Händen —
Geh! ich aflme,ma§8t dich schimen,
Ach wie'wir4 das enden!
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KLARA ZiCa,
,EUe hab' ieh, EUe,
M1188 zur Hoi^enmetie ;
Bist du krank, so leg dich nieder
Aul* wein Öammetbette.**
Königin zur Kirche
Zieht nach Hofe8 Sitte :
Schöne Blumen — holde Jangfraan
Folgen ihrem Schritte.
B^ten will sie — kann nicht,
Kann nicht Buh* erringen . . .
Liess znhanse ihren Betkranz :
Wer geht ihn zu bringen?
«Eile. Klara, eile
Eh vorbei die Mette!
Wirst ihn tinden auf dem Betpult,
Oder auf dem Bette/
Klara sucht den Hctkrunz,
Sucht, wie ihr l>otohlen :
Königin im Kirchenstuhle
Sitzet wie anf Kohlen.
Klara .sucht den Betkrauz —
Sucht ihn wohl zeitlebemi :
Königin im Kirchenetahle
Harrt» nnd harrt vergebens!
In den Kreis der Jungfraon
Tritt sie nimmer wieder :
Sti^ lieber an den Todten
In die Erde nieder.
Lieber zu den Todten
In die schwarze Erde,
Als nach ihres greisen Vaters
btolzem Ahnenherde.
11^
,To6hter, meine Tochter,
Bebst an Leib nnd Seele!
Komme, Kind, in meine Alme,
Sag mir, was dir fehle]"
,Ach, mein Vater! nein, nein...
T.ass im Staub mich betont
Und umklammem deine Fftsse —
Dass sie mich zertreten! "
OlochenUaog bei Hofe
Bnft zum Mittagsschmanse :
Aneh Felizian hat Eile
Nach dem Königshause.
Nach dem Kdnigshanse,
Doch zum Schmause nimmer :
Mit dem blanken Racheschwerte
Stürzt er in das Zimmer.
„Königin, die Jungfrau
Zahlst du mit dem Leben !*
Glück wars, dass vier zarte Finger
Sie nur preisgegeben.
^Für mein Kind die Kinder :
Ludwigs, Endre's Leichen!'"
Glnofc wars, dass entgegenstürzte
Gynlaft den Streichen.
„Nieder mit dem Schurken!
Osel^nyi — geschwinde! — **
Dort Felizian 9U Boden
Streckt das Hofgesinde^ —
„Blnt soll deine Finger
Nicht vergebens rdthen :
Mein Gemal, die Schmerzentgel tung
Magst du dir erbeten \^
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756 OEORIDSV RTROM.
„Für den ZeigpHnger Schwftbersohn und Tochter
Seine Klara sterbe ; Für die andern beidtn.
Für den Mitteltinger schmachvoll Für mein Blnt dif' ^.inze Sippe
ihm der Sohn verderbe ; Soll den Tod erleiden!''
. Bdse Btome walten,
BOse Stürme wüthen :
Wolle (rott vor harten Schlägen
Unser Land behüten!
Max Fakka.<%
GEGEN DEN STROM.
Von JoBcf £iB8. *
Nacht wird*»; es baUt sich Sttinngewölk —
Ob wohl ein Gott dort oben wacht?
O frag' mich nicht, ich weiss es nicht!
Mein Kind, geh' schlafen — es wird Nacht! —
Aus grauer Zeit ein finst'rer Geist
(iespenstig über'n Erdball kreist,
Im Blick den Holzstoss-Gluthenachein,
Wer weiss, tritt er nicht hier anoh ein. . . .
— Meüi Kind, geh* aoUafon, schlafen!
Tod im (befolge — wie die Pest,
So schreitet er von Ijand in Land,
Von seinem THtt Erbarmen stirbt,
Verliert sein ünreoht der Verstand;
ünd Hoch und Niedrig, Jung und Alt
Ein Wahnsinn fasst mit Aligewalt,
Vom Menschen, den er vor sich ti*eibt,
Nichts übng, als der Name bleil)t
— Mein Kind, geh* schlafen, schUfisn!
. Man klagt uns an. o Frcvelmuth !
Blut trinkt dein Vater, siigt man, Blut!
Und reifest Du dereinst zum Mann,
Anch Du, aach Du trinkst Blut sodann!
* Der VeriitMer, dessen OtdidiU soeben in dritter, sehr vennelurter
und prachtvoll ausgestatteter AnsgAbe erschienen sind, ist Jade-
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UK0KK DtlK .viicoir. fT$T
Die Wolke ballt sieh — es ist Nacht —
Ob wohl ein Gott dort oben wacht?
Dm leugnen — welch* ein glflh*ncler Schmers!
Ihn glauben — welche Ltetemng!
O Beides, Beides schnürt das Herz. . . .
— Mein Kind, geh' schiul'eu, schlafen !
„Wir lieben nicht dies Vaterland!**
0, wie so leichtlich sich das spricht!
Der Voj?el liebt sein Nest — das Wild
Liebt seine Sehlucht : sein Heiui — wir nicht !
0, diese Anklag' schändet mehr,
Als wenn mit feuerrothem Stahl
Auf des Galeerensträflings Stirn
Der Henker brennt sein Schandenmaal ! ...
— Hein Kind, geh* schlafen, schlafen!
Vertheid*ge Dich — Du reizt aufs Neu";
Leid* stnnun — bist Da ein feiger Widit;
Schrei auf — so ist's En^flndelm;
Ja, wieder Dich Dein |,Ach'' seihet spriehi
Nnr Ein Gesetz gilt aUerwMrts
Vür Jedes Hirn und Jcil(\> Herz ;
Natur lässt keine Ausnahm' zu —
Nur eine, eine : die bist Du .' . . .
— Mein Kind, geh* schlafen, schlafen!
0 schliess' mein Kind, o schliesse Du
Die Sterne Deiner Aeuglein zu.
Wozu auch strahlte ihre Pracht . . >
In solch' gewitterschwang'rer Nacht?
Wer weiss, ob nicht anch dieier Strahl
Sich wider mich noch kehrt, o Qnal!
Wird klar Tor Deinem feuchten Blick
Dir einst Dein Krbe : Dein (rescliiek. . . .
— Mein Kind, geh' schlafen, schlafen!
Ladislaus Nbuoxbaubr.
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1
758 rEBMiücms.
VEKMISCHTES.
• — Statistik der ungarischen Hochschulen im ersten Semester des
laufenden Studienjahres 1882/83, verglichen mit der Frequenz de^
Vorjahres :
L BttdApMter ünirersit&t :
F a k u 1 t tt t :
Zahl der Inacri-
birtcn
!l
O^n daa Toigaht
1882 3 18812 i; Zunahme .Aboabiut
K. k. Thoologeii ' 86 |
Rechts- und ätaatDwissenschaft 16 IH j
Medixin < 1041
PbUoaophie ] 324
Pharmaaeuien ..,...! 193
Hebaanmen 84
82
1560
953
422
175
Ii
Zusammen
8344
3252
4
56
88
18
24
98
Zunahme : 92
Der Rückgang in der Zahl der Philosophie-Siadierenden ist in
erster Beihe dem ümstaiide zuznscbreiben, dass der Lehrkurs der
philoaopliisebeii Faknltftt ain Schlosse des verflossenen Schnljalires von
drei auf vier Jahre erhöht wnrde, so dass fon nun an sur Ablegung der
Mittolschullehrer-Prüiung and des Doktorats der Nachweb Ton aM
akademischen Semestern erfordert wird.
8* FniwtJofiefg-UnirersUat zu Klaugenburg :
F a k n 1 1 K t : {
Zahl der fnacri«
birten
^ Gegen das V
orjahr
1'
rl
1882 3
1881/2
• Zunahme | Almahme
Reehtfl- n. Staatawissenschaflen '
212
210
!< 8 1
1' 1
94
9
Philo80phi«-(Joscliiclj<o ...
1 63
«t
_ !
_ l
i
1
Matheinatik-NuturwifiseuRchaft
i as
! 25
20
•5 '
Znsammen . 1
•
480
t
426
Zunahme
: 4
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rKBHiscirres. 759
3. .Tosofs-Polvforlniikiiiii :
Abtlieiluiig :
i Zahl der Inscri-
! Uiten
1 G^n das Vogahr
1 1882 3 ,
1Ö812 1
1 Zunahme |
Abnahme
- ■'
All^'«^moiiio Abtheilung . . .
Tnjjenionr ...
Arrliikkton „ ...
- Mechaniker . ...
Chemiker „ ...
Ansfierordentliche HQrer . .
— — --
•
2G
! 88
1 131
2S
! 26
288
109
42
♦
28
236
89
23
8
262
Zusammen •
589
470
&nabme : IVi i
* Diese Abtheilnnjf war im vertlossenea Julire noch mit der Allge
ra(*Ul<en Abtheilunij koinbinlrt.
— Von einem neuen lateinischen Wörterbuche sind vor Kurzem im
-Verlage <ler Pranklinpfesellschiift die beiden ersten Hefte erschienen. A
ItUin nydv seMra a ktUßkböl a legiobb Icgujahh seötdnrodalomra
iämaMkadva,omedaimaDr. Findig Hemik Btdapea, 18S2. (Wör-
terbuch der lateinischen Sprache ans den OriginAlqueUett mit Bentttzang
der besten und neuesten lexicogrn))hi8chen Werke, von Dr. Hein. Flnity).
H*ruiri( Ii i'inäh', Protesi^or an der K'laiisenburger Universität, hat schon
im J. IS.'iS im Vereine mit »^t. Regenyi ein Sdiulwörterlmch der lateini-
schen Sprache herauagegeben, welches zum nicht geringen Theil die
Grundlage mehrerer in neuerer Zeit erschienenen lateinisch-ungarischen
Wörterbücher abgegeben hat. £ine neue Auflage dieses Iftngst Tergriffe-
nen Werkes sollte ursprünglich das vorliegende Lexieon sein, doch kann
man es füglich ein ganz neues Werk nennen, da es nicht mehr ein Schul-
wörterbuch, sondern ein den ganzen kiteinischen Sprachschatz bis zum
sechsten Jahrb. n. Chr. uiufasx'udes Handwörterbuch ist, welches nicht
blos die grossen Handwörterbüclicr von Klotz und Georges und die Si-
teren Ausgaben des Forcellini'.schen Lexicons an VoUstUndigkeit über-
trifft, sondern sogar zur de Wünschen Bearbeitung des Forcellini Nach-
trüge liefert Hoffentlich wird das von der VerlagsgeseUsehaft prftohtilg
ausgestattete Werk bald complet sein ; als das einzige lateinisofa^ungarische
Wörterbuch, welches nicht blos den Anorderungen der Schule entspre-
chen will, wird es von allen Fachleuten mit lebhafter Ungeduld erwsirfcet.
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m
nmAiiscHi BuuoeBAPim.
UNGABISCÜE BIBLIOGRAPHIE.
Bo4m J., H^gjr mdtU dlmsIMt (Vier OriKÜua-KoTelleii t<hi
SoK^t Bodon). Budapest» 1882. 881 S.
Cum PAI» u^pbrodalMl awdUU {Ftad 0tat6*8 ichOnwiNeiuelisft-
liehe Werke, mit der Biographie des Dichters, hemugegebeB von der Kit-
falttdyOesellschaft). Bndapeet. 1888. FiaoUiii, LXX und 488 S.
Pekele SSe,, KagyarorsBig tImI M«]||Auk tHrUmHam (Geachiehte
d4»r angarinchon (lOwHRspr und Wasserbauten bis sur Einwaiiil<'rnng der
Magyaren, mit RüclcRicht auf die Knlturverhftltoisse, von Slgmimd Feket«»).
BudapoHt, 18S2. 102 S.
Ftn4i}- H., A latlii nyelv siötAra (Wörterbuch der latoiiiirtchen
Sprache, aus don Qucllon und mit IJonntziini^ der leuotitca lexico;^raphi-
schen Literatur von Hr. Heinrii h Finäly. Professor an der T.'niv.^r^^itat
Klniisenhurg). üud ii»rst. H«?. Franklin, lg Hefte zu 5 iiogen. bisher ist
da« 1. und 2. Heft (A-Catcna) iTHihicnen.
Feldes B., \(hil6kok a papirpenx tört^iietehex (Beitnii^e zur He-
iekichte uud ätatistik de» Papiergelde^« von iiela Földes). Budapest, 1^^2.
Akademie, 32 8.
CWrSnliel P.« A Mgj •kAUtf I eg jrbAs tSrt^nete (Geschichte der eraa-
gelisch-reformirten Kirche Ton Nagv-Kill6, ron Peter GOrOmbei). SAro«*
patak, 1882. 192 8.
GrMt6 iMbella» A miltak infti (Die Schntten der Vergangen-
heit, Roman in swei Bänden Ton IsabeÜa Qjv^t6), Budapest, 1882. Rerai,
191 und 151 S.
*G]niIai Päl, Katona JiSzsef (-^ Rdnk-bAiOn (Tosof KaUma und seine
Tngoedie „Biink-hunus" von Paul Gyuhu). Budapest, 1888, Franklin, 'M}9 S.
HnnfalTy JAnos, Ax ^hl^lat TAItoxösAgAnil (Cl>or die Veränder-
lichkeit des Klima*», Vortrag von Professor Johann HonfalTy). Uebrecain,
lbb2. 'M ä.
*J6kai M., Kgy ji&t^kos a ki nyer (Fin JSpieier, der ^rowiunt, Ro-
man in zwei Uäuden von Muri/. Jokai). Hiulaiust, 1882. l>^'-\ un*l 213 S.
KUfaludy-tArsasüg ^vlapjai (.1 ihrbücher der Kititulud^-UeriellKchatl,
Neue Kol^ro. XVII. Hand, 1880 81). 117 S.
Inhalt : Amtliche Mittheilungen. — Ignaz Konty Euripidet. — WW-
Mm Oy^t Zur Säkularfeier Calderons. Kairl StäUf Ode an Oaideion.
— JXberi Sturm, Die Nibelungen in Arany'» Epoe : „Boda*s Tod". — Ale-
mmder 2köt, Siebenbflrgisch-^hsische Vdlksepik (Übenetsnng von sech-
sehn Balladen, Ronuuusen und poetischen Enählnngen). Karl Vodnai,
Denkrede auf Koloman Thdt. — üTori &rf«F, Anf dem BaUe (Gedieht). —
Jfpäd Bermtüt, Die weissen Ffichse (NoveUe). — Komd Jbrämfi, Ammen-
märchen (Ballade). — AMf Agai, Ungarische Frauen-Typen. — AtUon
Ratio, Lord Byron*8 aLara" Qbersetat. — Karl htök, Siohsab, ans £iidusi*s
Schachnameh übersetat
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*
ZUR ENTHÜLLUNG DES PETÖFI-DENKMALS.
rJudapost. 15. OktoWer 1SS2.
1. Dbmkbidb auf AL£XAND£R P£TÖFI ton MORIZ JÖKAi.
^^rF.RZro Jahvp sind es her, fla.^s ich mit ihm zum ersten Male
f zusainiiiPiitrat', und dreiiiiuldnMs^jig Jalire siml dahin, seit ich
mit ihm wUhreiul der Jielagerung Ofens zum letzten Male gespro-
^chen habe.
Ich war Student in der »Physik* -Klasse in Päpa, als er zum
ersten Male auf der Strasse in einem schäbigen, schwarzen Kragen-
mantelf mit zerknittertem Hute und nacktem Halse vor mir erschien.
Mein Stnbenkollege, mit dem icli ^^erade znr Schule ging, kannte
ihn und rief ihm zu : , Outen Morgen, hi'is magyar !" Das war sein
Öpit/iiame. Jeder von uns hcsass einen solehen. Mich nannte man
•Junihor" (,der Froiniue"). Er erwiderte den Uruss nieht und
machte .stets sok lie Schritte, als ob er im Distanzgelieu begriffen
wäre. In der Schule begegnete ich ihm nur selten. Drum üug ich
an, ihn gering zu schätzen. Anstatt in die Schule zu gehen, schrieb
er Gedichte, die er in den Sitzungen des Bildungsvereines ,»K^fi-
ttfrsasiCg" deklamirte. Da begann ich, ihm neidisch zu werden. Dann
lernte ich seine Lebensweise kennen. Von Jedermann verlasiien,
ko]drte er Arbeiten fliv die jun«jfen Herren. Da begann ich ihn zu
achten. Als wir auseinandergingen, da iiebte ich ihn schon.
Und dieser fadenscheinige, verachtete und darbende Knabe
wusst«' damals schon, dass in seiner Brust ein Stern wohne, der ihn
so hoch tragen werde, als sich das Firmament einer Nation wölbt,
und dflss dieser Stern erst dann am hellsten glänzen werde, wenn
schon Alles an seinem Träger zu Staub geworden sein wird.
Nun stehen wir da vor seinem Erzbilde, auf einem glänzenden
Plfltzo, den die Metropole Ungarns naeli ihm benannt hat.
Wek'h' ein langer Weg von dem üdenburger Schilderliauü,
ÜDgmtiiche Revnei 1882. X. Ben. 40
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7«2
auf dessen ikettoTu and er seiiif» ersten (jedichte geschriebeu, \ns
zum Piedestal dioses Moimniciits !
Und nun verlangt Ihr von mir. daas ich diesen langen Weg
beschreibe, ich, der seinen Spuren folgte.
Hatte ich nur das Leben eines Dichters, eines guten Freun-
des, eines grossen Mannes zu bescbieiben, so brauchte ich mieh
nur an die Daten xuriickzaerinnem, um mit nüchterner und kaHer
Kritik die Ton ihm geschaffenen Werke ssu beurtheiien, und dann
jjriht 08 ja niolits Leichteres, als die Todtm zu preisen : aber die
sipheu Jahre, n-äliroud welcher das (icnie Petofi's wie ein fenri^fs
Meteor am Himmel unserer Nation dahiuzog, sind an und tür >ich
eine Epoche, wie es noch keine gegeben und wie es auch sobald
keine mehr geben kann.
Es gab eine im Zauberschlaf befangene ungarische Nation,
die keine Freiheit besass und nicht empfand, dass sie keine Frei-
heit besitze. In Fesseln war der Geist geschlagen. Ins Joch gebeugt
war der Nacken des Volkes. Zensur und Leibeigenschaft herrschten.
Um dieses Volk aus seinem Schlaf zu erwecken, um ihm die Frei-
heit zum religiösen Dogma zu machen, erstand Petofi.
Da reicht die Erinnerung nicht aus ; die lebendigen Empfin-
dungen muss ich heraufbeschwören, welche damals das Herz der
Zeitgenossen durchglühten; die wunderthatige Flamme man ich
anfachen, in deren Gluth der Charakter zu Stahl, der Gedanke so
Gold wurde. Ich weiss nicht, ob mir dies gelingen wird.
Wer Petdfi kennen lernen will, der lese seine Gedichte; in
diesen prägt er sein Wesen in einer Weise aus, dass das Modell
fertig dasteht : man l)raucht nur das Erz hieueinzugiesseu und die
Statue steht vor uns da.
Und jeder Zug, mit dem er seine (i estalt koutourirt, ist wahr,
und jeder Stimmung entspricht ein bemerken swerthes Ereignis«,
entspricht der stille Verlauf oder entsprechen die erschütternden
Katastrophen seines Lebens und seiner Zeit.
Keine Übertreibung, die pure Wahrheit ist Alles, was er tod
dem Elend schreibt, mit dem er bis zum Zenit seines Lebens
kämpfen musste ; doch all' das nicht im Tone mitleidheischender
l\lage; — mit dem Schicksal trotzende Selbstironie nnd oft lei^-lit-
fertiger Humor bricht aus diesen (Gedichten hervor, wie in aErio'
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süE'xNTEOnMmro w FBr6ri-J>EinncAi.s.
76S
iifTuiior an Dt'hrpczhi", .Am Ende des WinttM-s", ,Im inageren
H»'rl)st'*, in seinem Briefe an Tompa, in ,,An der grossen Donau
siebt ein kleines üaus^S wo er seiner Mutter sein Missgeschick
Terhehlt :
^Wüsst' sie, wie ich leide zum Erbarmen.
Ach, es bräch' vor Weh* das Herz der Armen
nur in ,J>a8 letzte Almosen" schlügt er in einen elegischen Ton
lim ; die Werke, die er in seiner Krankheit scbrielj, und seine Todes-
alinnngon bezeu«;en oiiie [»ro^dietische Walirlicit, wclclie uns
betroti't'n iiiaclit : aber selbsit mit dinson wollte er Niemanden 1)0-
trübeu: „Und über meinem Grabe sollt ihr singen die todten Lieder
Eures Kameraden."
Doch weder Elend noch Leiden brechen seinen Kdrper, bre«
chen seinen Geist. Vor des Winters Killte httUt er sich in seinen
dtolz nnd wie weiss er zu verherrlichen das trokene Brod und den
Bettelstab !
leb l)in ein Zeuge dessen, dass diese Gefühle alle walu' gewesen
sind. Ich habe mit ihm lange zusammengelebt; ich weiss, wie viel er
entbehrte und dass er selbst von seinem besten Freunde niemals
eine Unterstüt/uug annahm; ja, als ihm einmal f&r ein Gedicht,
das er znr Erhöhung einer Feier hatte schreiben sollen, die Stadt
Peflft eine bei seinen Verhaltniasen beträchtlich zu nennende Geld-
summe anbot, war seine Antwort eine monumentale Grobheit.
Jemanden in Tersen ftlr Geld loben, und sei es auch ein grosser
Manu, das vermochte PetöH's l'eder nimnuTmehr.
Auch seine Poltern waren arm ; sein Vater, der simple klein-
städtische Fleijjchiiauer, verleugnete ihn sogar, weil er Schauspieler
geworden, und dennoch überhäufte er seine Eltern mit solcher
Zärtlichkeit ! Zuweilen verwandelt sich sein ganzer Charakter : er
wird zum Kinde, wenn er sein Haupt in den Schoss seiner Mutter
neigen kann. Es rührt zu Thmnen ; er entsagt seinem Ehrgeize,
seinen glänzenden Tränmen, wenn er in die Stille des lieben Heims
^tuweilen zurRckkehrt : er erniahnt seinen jüngeren Bmder mit
brüderlichen Worten, seine Elt»Tn zu ]>fl('g<Mi. und (T segnet das
schwjir/e Brot des Vaterhauses. Dann vertritstf't er seine Eltern
damit, dass sie es bei ihm gut haben würden, wenn er es dereinst
werde thun können,
49»
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7^ mm mnnfLKi'KO dbr VTtRn-wmmhj»
Das fhDf^ er nicht nur, das ibai er auch.
Nur Hne SHmmnTig ist mir ein Häthsel in Petöfi'« Poesie: •
seine Weinliedor. W« r diosc liont, der j^lauht, dass Petöfi das Pro-
totyp fdr.es Truid\«'idHdde> und euips Zechers sein luot ht*^. Als wd-
chen hal.e ich ihn nie gekannt. Und doch war ich oft mit ihm au-
sammen in bistigen ( iesellsehaften ; seihst in der ProTinz, WO der gaat>
freundliche Hausherr eine Tugend darein setzt, den tranken n
machen, den er gern bei sieh sieht, — niemftla sah ich PetiSfi,
und sei es nur so weit trunken, um heiter zu seheinen. Er selbst
schreibt: ^Bin Tjacheln steigt anf meine Lippen anf, doch ist mein
Lachen selten /u vernehmen." .rahrelunLf hesuohton wir <las5ie]he
^Tastlians, nie trank er mehr, als .«-eine «Pistole* Wfin. was ein
halbes Seitel war, und im Winter bestand sein gewöhnliches Abend-
essen aus „<^siga higa*^ (Schnecken), was gewiss kein lukullisches Mahl
war. Die riesigen Quantitäten Weines, nach denen er in seinen Gedieh*
teu dttrstet und die daselbst auch konsumirt weiden, sie m5gen die
Seele irgend eines idealen Zechers belasten, Uber den er nur die
Gedichte t^eschrieben. Ich erinnere mich ganz gut daran, als sein
Gedicht erschien mit dem liefrain : .Ich verdiene kein (reld. um es
zu besitzen, sondern um es zu vertrinken und zu verprassen.*" Du
hatte er die erste grössere Summe von seinem Verleger erhalten
und das Ganze brachte er seinen Eltern, die damals bereits zn-
gründe gegangen waren, um ihnen den Lebensnuterhalt zu erleieh-
tera. Aber so wie er Niemanden gern lobte, so liebte er es auch,
sich selbst schlecht zu machen ; wenn Jemand sein Gesicht sdiSn
fand, so klebte er ein Schönheitspflaster auf seine Nasenspitze und
ging so auf die Strasse hinaus. Er liel)te es, sich von der nüchternen
Alltagswelt zu unterscheiden. Jeck» Mode verachtete er. Frack und
Zylinder halten nie seine Figur berührt Anfangs Hess er sich eine
Csokonai-Meute machen, später eine grossgehlumte, schwar/e Sei-
den-Attila, und der Hutmacher muaste eine besondere Hutfonn für
ihn erfinden, wie sie Keiner trug. Doch gibt es in seinen Wein-
Uedem etwas, was mit den SchlachtenHedem verwandt ist, das ist
dae Prahlen mit der M&nnlichkeit. »Farbenspiele meiner tnmk*nen
Seele.* Nur seine Seele war ti-unken.
Wie er seine Weinlieder nicht aus dem We.ine, so holte er
seine VolkHiedcf nicht aus dem \ olke; das Volk nahm aie
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ZUR BNTSÜLLUIie DES PKTOI I DhNKAIAL.S.
■
von ihm und sie wurden gesungen in AVäldern und auf Feldern ;
schon 1842 sang luan seine , Uortobagyer Schiuikeuwirthin* im
Btade&ten-Chor, die Melodie hatte PetoH s(>l])st geschrieben. Später
cfiftllieii das ganze Land seine Lieder: «Hab* zur Kfiefaye niicli ge^
stöhlen'; «Liebe, Liebe, aeh die Liebe — Ist *ne Grabe, tief und
tr&be*; «Die Wolke UU»t sich hernieder''; «Niemand kann^s der
Blume wehreu. dass sie blüht* : , Von der Blume Blätter wehen";
• Meine Flöte isst ein Trauerweideiizweis;'*. zu d«'nen Heuj. Egressy
die Weisen selirieb und die auch lieute noch ulhTwärt» i^^esungeu
werden. Sein Lied: „Schäferknalje, armer Öchäferknabe" uabiu der
gelehrte Johann fird^lyi unter die Meisterwerke der ungarischen
Volkadichtong auf; er wusste nicht, dass es Petöfi geschriebeni in
der That hatte das Volk selbst die Melodie dazu gefanden ; sp&ter
setzten Simonl^, Bogn^r u. A. seine Volkslieder in Masik, doch
hörte er sie nicht mehr.
Niemand verdolmetäclite den Charakter des Volke«, Niemand .
malte das ungarische Tietland und die Pu^sta so, wie Petoli. Er
trug die Pussta in den Olymp. Auf jener Pussta war sein Volk zu
Hause. Das Volk, Itir das er schwärmte, für das er lebte, für das
er kämpfte und f&r das er zu sterben wünschte. Das Volk, «das in
der einen Hand des Pfluges, in der andern des Schwertes Eisen
ftlhri" «Nur dort gibt's ein Vaterhind, wo es ein Recht auch gibt,
und diesem Volk wird nicht sein Recht** Um dieses Volk zu be-
fi-eien, ^agt er: ,Mit meinen Händen zimmere ich das Kreuz, au
dem ich gekreuzigt werde."
Den privilegirten Adel, die fremdthueuden Herreu geisselte
er schonungslos : „Ich bin ein angarischer Edelmann I** «An die
Ungarn im Anslande', «Ihr Beulen an dem Leib des Vaterlandes !*
Und mit der Liebe zum Volke entsteht zugleich in ihm die
Aubetung der „hundertfieich heiligen, himmlischen Freiheit*. Übe-
rall fühlt er das <re\vicht der Fesseln, welche die Nation und der
siklaviselie (ieist tragen. Auch .seine Hiinde drücken diese Ketten.
Jedes seiner Gedichte muss er.st zum Zensor wandern, wenn es
gedruckt werden soll, jene Gedichte, die zur Befreiung de.s Ungar-
Yolkes, zum Umsturz der AdelsTerfassuug, zur gleichen VertheUung
der Menschenrechte, zur Erweckaug der ungarischen Nation aus
ihrem tiefen Schlnfe entstanden) Und niemals gescl^ah es, di^ er
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760 ZÜB K.VniÜLLUNtt DKS PfcTOFI-DENKMALS..
sicli vom Zensor zur Atulenuig, weuii uucli uur eines euizigeu Woi^
tes l)«'\v«'<j(»Mi hätte IftSöeii. Sie niussten so erscheiueiii wie er sie ge-
flchriebeiif oder gar nieht. Aber lassen wir bei diesem Punkte dem
Zensor Petöfi*8 Gerechtigkeit widerfahren. Der gnte, alte l^^etm
war ein wackerer Ungar, ein klnger Menseh, nnd hatte Petftfi sehr
lieb. Nie benfltste er gegen ihn den morderisehen Rothstift. Von
seineu ^eaammteu (ledichten handelte er ilim hlo8 das Eine ab:
, Meiner V^nachtung. meines Ahscheirs (tegenstand, Dein Xam^ ist
Mensch.* Dieses Hess Petüfi aus der ersten Ausgabe, Ut'seta zu
Lie])e aus. Doch erschienen sein: .,tSohu des Skhiveulandes", ^Ab-
schied von 1844 dem ein grosses Moment des Landtages zugrunde
liegt, «Schon seit lange schlagt den Ungar Gottes Hand*, „Wenn
es Gott gefiele, mir zu sagen*, ,Im Traume bradi die Ketten ich
der Sklaven-Nationen*, «An Eazinczy'', «An den Landtag* und
selbst «Meine Lieder*, welches eines seiner schönsten Gedichte ist
Wer wttöste die letzte Strofe nicht auswendig?
„Was auch trftgt dies Sklavenvolk die Schande? *
Steht nicht auf, zu sprengen seine Bande ?
Soll etwa die (rot f es (Jiuid* <hm'hnagen
Wohl den Host <lei- Fesseln, die sie tragen!
Dann, o. sind <iie l^icder meiner Kehle:
Donner uicinei* iiel'em|)t>rten Seele
Dil sagt er auch an einer »Stelle: »Der Dichter ist der Freiheit
ewige Lumpe."
Und all das, dem er Töne gab, war kein eingebildetes Übel,
kein erdichteter Schmerz, kein persönlicher Hass der Partei-Leiden-
schaft ; es war das kein Streben nach der Gewalt, kein sentimen-
tales Znrfücksenfzen nach den rohen Zeiten des Urzustandes, aber
auch kein blosses Xaeliäü'en der ( Tedankenrit-lititii;^ aiKlerer Natio-
nen: all das war ix'i ihm reine P^mptindunu;, wacligenitcn durch
die Stimme des Zeitgeistes.Die.se Ideen lagen fertig da in derlirusi
jedes Mannes, der in diesem Lande Patriot, liberal und ünj^ar war,
es brauchte nur die erste Flamme aufzuzncken, damit sie Jeder-
mann in seiner eigenen Brust entdecke. Diese Flamme war Pet5fi
* Anmerkung. Die Überijetzungen der hier zitirten Gedichte rllbm
aas der Feder den Petdfi-Übereetzcrs LadiBlaiw Neugdtaitet.
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SUB SIlTHOLLOaO DSS PBTdFI.DENnULS. 767 •
und sie yerglomm nicht, sie wachs zu einer Feuersaule heran, wel-
che uns fahrte.
Das Vaterland, das Vaterland I Dieses glorreiche, dieses elende,
dieses arme, dieses mächtige Uugarlaud ! Von diesem spricht sein
erstes, von diesem sein letztes Gedicht. In allen Tonleitern des
Geffthls. iiald isi er dfister und klagt er, bald erweckt er Hofihun-
geui aiefat in die Zuknnffc, betet va Gott, ruft die Menschen wach,
venweifelt, bald ruft er uns mit beissendem Spott zu : »Dieses Volk
verdient zu leben nicht", »Ein Gotteswunder, dass das Land noch
steht", dann sagt er wieder mit Begeisterung: „Wenn die Erde
Gotteshut, ist Ungarn der f^trauss darauf*, dann wird e^ wieder
bitter; ,So lauge geiss'le ich dich mein Volk, bis dein Herz zu
pochen beginnt, oder bis das meine bricht''. Bis er endlich sein
wahres Gesicht in der Str()i)hp zeigt : ,Unj^ar bin ich, und mein
Antlitz glttht Yor Schande, dass ich Ungar bin 1 Bei uns dämmert
es erst, wahrend überall sonst die volle Sonne strahlt Aber nicht
am alle Sehätze dieser Welt verliesse ich mein Heimatland, weil
ich liebe, glühend liebe, anbete selbst in ihrer Schmach meine
Nation!«
Diese Sehnsucht nach der Grösse des Vaterlandes, nach dem
goldenen Zeitalter der Volksfreiheit und der Menschenrechte er-
hebt sich oft zu der Ekstase des Sehers. Er spricht IVophetenworte,
die alle in wunderbarer Weise in Erfüllung gehen. Er sagt 1845
die Wiederkehr glorreicher Tage voraus und fleht die Neugestaltmig
des \' aterlaudes vom Himmel herab. Dann spricht er zu den sieben-
bürgischen Patrioten: »Das Jalirhundert ist schwanger und es
werden geboreu werden grossartige Tage, die Tage des Kampfes
um Leben und Tod." Vor seiner Seele erscheinen die Riesenkämpfe,
welche die Völker kämpfen werden für die Freiheit und unter die-
sen voran am längsten seine angebetete Nation. Und mit diesen
Seherworten geht Hand in Hand die Vorahnung seines eigenen
Verhängnisses: di«' Leier mit deiu Schwerte zu vertauschen und
das grosse Werk aui' dem Schlachtfelde zu vollenden.
Zu sterben Dir der Menschheit Wohl,
Welch' seliger, welch* schöner Tod !
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768
ZDB ENTIICLLCNü P^:S PETÖli-UENKUALS.
. Drei .lalu e vor dem Beginn der Weltkümple schrieb er in
tiefer, träger Friedenszeit das sturmprophezeieude Gedicht :
Xur Ein Gedanke qiiäll luicli viel :
Im Bett zu sterben, auf dem Plulil ;
. Wenn jedes Sklavenvolk dann zieht
Zur Wahlstatt hin. des Joches müd,
Dort fair ich al> Held
Fiji blutigen FeM.
Dort m<ige mein Blut mir. das junge enlströnjcn,
Und lass* icli mein l^< liüidewort jauchzend vernelimcu.
So werd es verschlungen vom Schwertergeklirr,
DrommeteDgeschnietter nnd Schlachtengewirr,
Und üher mich hin
Sie mOgen dann fliehen
Auf schnanbendem Boss nach erfochtenen Siegen,
Mich hissend zertreten am Felde wo liegen !* —
Diese Visionen verliesseu ihn selbst in den Tagen des gross*
ten Glückes nicht. «Honigwochen' heisst bei anderen glücklichen
Menschen die Zeit, da Pet6fi das Gedicht schrieb :
.Ein Mutiges l^auoruma schwebt vor meinem Hlick : l>ie
Szenen der Zukunft. Die Feinde der Freiheit ertrinken im See ihres
eigeueu iilutes. Da.s Pochen meines Herzens ist ein Dounergeroli
und Blitze durchzucken mein Hirn. Und das Kr»pfchen an meine
Brust gelehnt, schlumniert mein Weibchen tief und ruhig.*
Und dann wieder :
«Die Freiheit Ut ein kostbar Gut,
Man mnss sie theuer kaufen,
Für theuer Geld, für rothes Blut."
Als ob der Stern, der in seiner Brust wohnte, sich bereits
ungeduldig gesehnt hätte, die Erdenlast Ton sich zu schütteln und
in den Himmel zurückzukehren !
Und do( h hatte er droben keine .schönere Stätt« als in der
Brust seines Trägers. Wenn diese sich mit liebe füllte, verklärte
sie die irdische Welt so, dass sie schöner war als das Himmelreich.
Die nämliche Leier war es, die dem Blitze sein Grollen und der
Nachtigall die schmachtende WoUnstklage stahl. £r konnte lästern
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KOR imTttÜlZVm DRfl PEI^FI DFinTHALS. *
' 769
wif Pill DiiiMOii \uu] srt;iu'ii wio ein Enj^el. Wie wiUU' Hluiut'ii die
liogeuwiillxiugcu moiuiineutaler liuiiieu, .so umspiuneii die Kaukeii
seiner Liehesliedor den selbst in seinen Trümmern wimderbai'en
Bau, den Petöfi ans seiner VaterliUid8lie))e errichtete. Öo vielerlei
Blumen gibt es nicht, wie yielerlei Empiiudungen dieses mit den
GSttem zugleich herrschende Gef&hl,die liebe, wachruft; der Son-
nenstrahl bricht sich nicht in so viel Farben, als die Liebesgluth
dieser Diehterseele sprühte ; vom Glücke bis znr Vei*zweiflung, von
der sterl>e!i(leji JSeluisurlit lii> zur losl)rocli«'n(l('ii 1( ulimsucht. vtm
irdisclicr Lust znr bimmli^schea Seeligkeit. l>iesell)e Hiesengestalt,
die Throne stürmt und Ketten bricht, kniet dort vor dem ewig an-
gebeteten Abgott mit der öeidenschnur eines Haares gefesselt, und
dem die ganze Erde nicht gross genug war, er verliert sich frei*
willig in seiner kleinen Welt.
l'ud Petöfi erlebt es wirklieh, glüeklieh zu werden. InCyprea-
seuliaiiien saug er seine Klugen nach einem todten Lieb ; sein Lie-
bessehneiL und »Schmaeliten. seine Erinnernugeu und Täusebimgen
sind in den „Perlen der Lielie" vereinigt: aber am strahlendsten
sind seine bieder vom LiebesglUck.
Im Paradiese seines Glttckes verleugnet er sogar den Himmel
de» iuihmeü äamint all seinen blutgierigen Götzen :
«Mehr ala ein guuer Lorbeerwald,
Ist eine Bosenknospe werth.**
Und nun schwärmt er schon von einem langen Leben und von
einem langen und von einem glücklichen Alter. Nur einmal Über-
kommt ihn wieder die VerzQckung des Sehers in einem seiner
schönsten Gedichte, «Ende Septemher* :
„Doch wirfst da von dir einst den Schleier der Witwe,
Dann pflanz* auf mein Grab ihn als Trsnerpanier,
Ich komme herauf ana dem Reiche der Schatten
Um Mitternacht, — nehme hinab ihn zu mir :
Zu trocknen die Thnlnpii um dich, du Geliehie,
l>ie leiclitlich vor^n >>cn du hast deinen M.mn.
Die Wunden de?« Herzens damit zu verbinden.
Das ewig dich U<ibet, selbst dort noch, selbst dann —
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770 SUB BHTBOttTTNO DE-S PVtl^n-DEHtnUtJh
So Uiiig»' P«'tofi U'bto, war er in der That }rt'li«'bt Es inu.ns
(las eine starke Liebe genannt werden, die ein au lieichtliuni, Lu-
xus und Wohlleben gewöhntes, von Anbetern umschwärmtes junge«
Mädchen bewegt, dem Zorne der Eltern zu trotzen und ihr Leben
an einen Tom Schikeal verfolgten Dichter zn knüpfen, der in Hader
lebt mit der ganzen Welt und der Dame seines Herzens keinen
anderen Schatz als seine ganze Liebe bieten kann.
Was ftir ein nnerm esslicher Schatz diese Seele war ; dass es
viele gibt, die sellist dieses einzige arme Speichen, das der Zufall
in iiiren Körper <?edrän</t. ni(;lit ganz der Gattin geben : wer spricht
davon ? Der Fr<iu iiarrten nur Entbehrungen und das bedeutet nach
d^ gewöhnlichen Auffassung Unglück.
Heutzutage wird Jedermann das Los, das sie gewählt, Armatb
nennen ; ihnen war es ein Glück, dessen sie sich so hoch rühmten.
Die Hochzeitsreise des jungen Paares ging nicht nach Italien, son-
dern nach Siebenbürgen; dort empfing sie das gastfreundKche
Schloss Graf Alexander Teleki's, der es dem guten Freunde gänz-
lich überliess. Im Herbst kamen sie naeli Pest. Wir hatten eine
gemeinsame AVolinuug, die aus drei Zimmern bestand, eines war
mein, das andere war das gemeinsame Speisezimmer, das dritte
war das Zimmer der Petofi's, ihr Schreib-, Schlaf- und Em]>fangszim-
mer : Helikon und Vaucluse zugleich. Ein einfaches Mobiliar, das
kostbarste davon war die Bibliothek, lauter Prachtausgaben mit
Stahlstichen: B^ranger, Viktor Hugo, Heine, die Geschichte der
Girondisten, Shakespeare, Ossiau, Byron, Shelley. An den WSnden
die hervorragenden Gestalten der iranzü>iselien Hevolution ; unter
diesen befand sieh nicht nur Madame Uohmd, sondern auch l'har-
lotte Corday ; das war sein einziger Luxus. Die I'rau Petofi's sah
ich nie anders, als in einfachem schwarzen Kleide ; das Haar trog
sie kurz geschnitten. Das Mittagessen Hessen wir ans dem »Gol-
denen Adler' bringen und wir speisten zusammen: unsere ganze
Ausgabe betrug monatlich dreissig Gulden. Keiner von uns trank
Wein ; ich von jeher nicht, Petöfi aber seit seiner Verheirathung
nicht; das Abend<*ssen ru'setzte der Thee und dabei lasen wir uns
aus unseren eigenen \V( rk<'ii oder aus französischen Dieliteru vor.
Unsere einzige Zerstreuung war hie und da der Besuch des Thea-
ters, wenn man ein Drama gab und wenn Gabriel lilgrBsqr
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ZOB ESTBÜhLXrSQ DES PETÖFI- DENKHALS. 771
«
spielt«'. Pctoli \u\(\ seine Frau gingen nie in di« Oper; auch nuieh*
ten sie keine Besuche, noch empfingen sie welche, die Arnny^ü au«*
genommen.
In der Wohnuug gab es weder ein Klavier, noch Blnmen,
noeh einen Singvogel.
Und diese Frau war deiiuuch glücklich, deuu retöfi geliürte
ihr gau/i uud p:ar au.
IVtöH war keine ideale Mäiinergestalt. Vou seinen liiuter-
bliebenen Porträts ist nur Jenes treu, welclies Barabas zuerst zeich-
nete und auf welchem Petoti die beiden Uände nach rückwärts halt;
die anderen sind alle idealisirt Er war yon hagerem Wüchse, von
mittlerer Grösse, von blasser Gesichtsfarbe, hatte kleine jichwarze
Augen mit satyiuhnltchen Brauen, eine spitsse Nase, die an der
Wurzel eingedrückt war, das Haar hinaufgestrichen, den Mund
klein und in Folge eines nnregel massig hervorstehenden Zahnes zu
einem satyrischen Ausdruck «geneigt. .Sein ganzes Wesen und sein
Blick waren düster und verschlossen ; am Halse trug er nie ein Tuch,
was denselben noch vorgebeugter erscheinen liess. Diese Abneigung
gegen Halstücher sollte später für ihn verhängnissvoU werden, wo*
ran uns sein G^cht: «An Mesztiros L^zar* errinneri Wenn aber
dieses Gesicht die Flamme der Poesie erleuchtete, wenn er seine
Werke zu deklamiren begann, dann fiah man in jedem seiner Züge
seine Beele glühen ; da strahlte sein Blick, seine Gestalt wuclis, sie
erschien hoch nn't der Attitilde einer Statue; wer ihn da sah, wer
ihn da hörte, d«'r nius^te sich in ihn verlieben. Er riss Männer uud
Frauen hin, wohin er wollte.
Wen er aber lieb gewann, von dem forderte er, dass er sieh
ihm ebenso ganz und gar gebe, mit seiner Seele sich so in seine
Seele verschmelze, wie er es that. Er war der Tyrann dessen, den
er liebte. Kie konnte er eine einzige abweichende Ansicht oder
einen Meinungsuuterschied verzeihen. Er beherrschte sme Freunde
dadurch, dass er sie liebte.
Jene über vergötterten ilin.
Was er in seinen <Jedichteu vou treulosen Freunden sehrieb,
das ist entweder auf äusserst geringfügige Motive zurückzuführen,
oder bezieht sich auf solche Zeitgenossen, welche unter falschen
Namen Schmähkritiken über seine Gedichte schrieben und deren
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772 tun BmOLLtKO mM SBrtFl-OBHiaCALS.
Nanit'ii IV'töH f'inuial in einem Wortspiele ven wii^te. welches mir
Wenige kennen. Einigen gab er selbst durch seine kaustischeu
Witze (irund, ihm zu zürnen, wie Nikolaus Szemere, der die Pajro-
die sZold Marczi* gegen Um schrieb. Hingegen hatte wohl Nie-
mand auf der Welt so viele mit Leib und Seele ergebene Freunde
wie Pet66. Die Gediehte, die 4r an dieselben richtete, zeugen daf&r.
Vor Allem VSrSsmarty und Bajza, welche Petdfi zuerst beim Pobli-
kum eingeführt, Arany, Egressy, Graf Alexander Teleki, au den er
oft seine Verse richtet, Kigyds, Anton Varady, Kazinczy, Adorjan,
Fraukeuburg, Valiot, Osengery uiu\ der alte Paul Szemere, der
Petofi bei ihrer ersten Begeguuug folgeudermassen auspraeb:
»Wie alt bist Du* — »Zweiundzwauzig* — »Und ich zweiond-
siebenag l Dützen wir nus." — Und endUeh die »Zehn.*
Er schuf nagB mn sich eine ganz neue Schule, die er selbst
gern die ungarischen Romantiker nannte ; man nannte ne die »Ge»
Seilschaft der Zehn". Ausser ihm befand sich in derselben: Tompa,
Kerenyi, Palfy, Degre, Lisznyay, Pakh, Obenijrik, BÄczy und ich.
Ihre Tendenz war, die Sprache des ungarischen Volkes literarisch
zu machen, in Styl und Gedaukeugang die nationalen £igenthüm-
Hchkeiteu zu bewahreu. Damit dies gelinge, war ein Genie nothig,
wie das seine, und dabei ein so geläuterter Kunstgeschmaek, ein so
starker Ssthetischer Sinn und eine solche Erudition, wie er sie
besass. Pet5fi studirte »fia yiel und er kannte die WeUl!ter«lar
aus den lateinischen, deutschen, frauzösischeu und englischen
Origiualwerkeu.
So lange jener literarischen Richtung, welche die poetische
■Schreibart in ungewohnten, gesuchteu, nach fremden Mustern
geschaffenen Worten und in nachgeahmtem Ideengang suchte, nor
deren Gegensatz, die Nachahmung des rustikalen, an der Scholle
Idebenden Volkes und die dürftige Ezzentrizitftt gegenfiberstand,
blieb immer die Brstere Siegerin. Doch so wie Petdfi erstand, brach
sich siegreich das Prinzip Bahn, dass die Idee und der bedanke
die Herren, und Worte uur Sklaven seien, und binnen Kurzem war
sein Sieg ein vollständiger. Die Volkssprache wurde die Sprache
der Literatur, die Volksdichtung die höhere Poesie, uüd das blieb so
zum heutigen Tage — und das war der ungeheure Erfolg, der
Petöii so gross machte und der sein Andenken filr ewig bew;ihri!
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2TTB KKTHfLHltNO UBB PRTÖFM'SIlKMAlif«. 778
Schon in <len inli^-f lK'u IJegioiieii ♦rrciclite er, woliin ilm
«eine Wünsche tragen, in «ler Liebe das Glück, in der Dichtung
den Ruhm. Dieser ideale Erfolg war nicht ohne inaterielle«) Kesul-
tat Vor Petöfi hat es kein ungarischer Dichter erreieht, ohne
Nabenbemf, oder wenigstens ohne Mitgliedschaft der Akademie
▼oA seiner geistigen Arbeit leben nnd sogar eine Familie erhalten
m kSnnen. Mit Petftfl sehloss sein Verln^or Emich einen Vertrag,
demgeniiis.s Petofi für seine his dahin <i;eschrieben«'n (iedichte
zwanzig Monate hindurch monatlifh hundert Onlden hekommen
sollte. So war denn der Dichter für zwanzig Monat gesichert, ohne
Jemandem sagen zu milssen ,ich danke''. FUr zwanzig Monate, für
nein gnnzos Leben !
Er hatte erreicht, was er im Himmel gesehen, den Ruhm nnd
das GlQck ; es blieb ihm nnr übrig, anch seinen irdischen Abgott,
das Ungarrolk und die Freiheit, anm Siege au ftthren.
Auch das sollte kommen.
Es kam der 15. März. Damals schrieb er sein ,Tali>ra
magyarl* Er deklainirte das Gedicht in der Mitte des Platzes unter
dem tieifallsjauchzen des jungen Ungarns.
Von diesem Tage an zählt man die Wiedergeburt des Ungar-
volkes, an diesem Tage fielen die Fesseln von den Händen der
Leibeigenen, an diesem Tage wurden frei der Boden und der Gteist.
Und seither konnte man die beiden nicht mehr ins SklaTeigoch
zwingen. Diesen Tag nenne Ungarn den Tag des h^ligen Pet5fi,
denn er hat damals die Sonne zum Stehen gebracht, ganz anders als
ehedem Josua.
Und dann kamen die blutigen Tage, von denen er geträumt,
die er vorausgesagt und an die er so innig glaubte.
Da bricht eine neue Epoche f{ir sein dichterisches Schaffen
heran.
Was er bis dahin geschrieben, hatte grossen Werth durch
den allgemeinen poetischen Goldgehalt, aber die meisten seiner
wfihrend des Kreihi^itskampfes geschriebenen Gedichte haben eine
Geschichte und ein Kommentator müsste ihre Spur verfolgen, um
dieselbe zu erzählen, damit sie die N.ichwelt verstelle , diese
»schwarz-rothen'^ Lieder, in denen der Dichter seine ,in Blut
getauchte Leier mit blutigen üündeu schlügt''.
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774 ZVft KNTRÜLHÜSO DK» nT5n-DKmMAL9i
Man rnnsa die Zeit, den Hintergnmd der Ereignüse, die henr-
schendeu Ideen jeuer Tage und die fieberhafte (iemnthsstiinmung
kennen , unter welclien sie eutstaiiileii. Manche werdeu nur dauii
verständlicl) niul wir ktiiinen nur dann sagen, daas man 80 schrei-
ben durfte, wenn wir una dazu denken das ringsum in Flammen jy^e-
ianchte Land, den angestrengten Kampf der Verzweifliu^ die
einander überflfigelnden Schreckensnachrichten und dann wieder
die nnbesehreibliehe Baserei des Siegesraosches upd die Damme
xerreissenden Leidenschaften des Yolksaornes.
Man mnss diese Gedichte lesen, als ob jedes in den Deckel
eines Sarkophage« eiugegral)en wäre. Manches Gedicht erklärt sieh
sellist, wir (las „Hörst Du, mein Herz?'' Man zeiht ihn der I-Vig-
heit, man sagt, dass er nur Andere hegeistere, aher das8 er nicht
selbst auf den Ksmpfplatz gehe. Dann folgt der „Abschied''. Er
bricht schon auf, er nimmt Abschied von seiner Gattin und ahnt
sein Yerhängniss. Er hatte den glorreichen Tod gerafen ander
erscheint ihm nnn, da er am glücklichsten ist
Ich habe stets für einen grdssem Helden Bxkhr gehalten,
der mit dem Vorgefühle des Todes sich aus den Armen seines
Weibes in die Schlacht begab , als Achillrs« den die IJache und
das Bewusstsein des sichern Siej^es dahin geleitet. Der ist der
Tapferere, den die Nerven schmerzen angesichts des Tinles, der
ihnen aber gebietet, nicht zu schmerzen. — Petdfi lies^ seine Bib-
liothek zu Gunsten der Verwundeten Tersteigem nnd begab «efa
in das Lager. Er ging nach Siebenbürgen, dort gab es «nen pol-
nischen Feldherrn, Bern; der schätzte den ungarischen Dichter
hoch nnd machte ihn zu seinem Adjutanten. Der historischen Treue
wegen mnss ich erwähnen, dass auch die ungarische Regierung
ihm für ein begeisterndes Schlachtenlied, das in der Armee ver-
theilt wurde und das die ungarische Marseillaise werden sollte, 5(M'
Gulden gab. Das war eines seiner letzten (Tcdichte, die in der
Zeitschrift „Eletkepek'' erschienen.
Eines seiner Gredichte bedarf besonders einer vollen Beleuek-
tung, weil es sonst einen Schatten würfe auf den Charakter des
Dichters. Es ist dies sein an Vördsmarty gerichtetes Gedidii^ in
welchem er dem Dichtergefahrten in einem immer wiederkehrenden
Refrain sagt : «Nicht ich riss Dir Tom Haupt den Lorber, Da hast
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77S
e« seihst ^thfin.* — Pefofi war nicht oitVrsiirlitirr als Diohtor auf
spiTiP Dicht^rgetalirteii, ja in seinen ( Jedichten ertönt der l^reia der
wirklich Hernfenen ; Arany nennt er Homer nnd er stellt ihn hoch
über sich selbst. Doch war Pet43fi, der Dichter, eifersüchtig auf die
groasen Helden ^er Politik. Davon erzählen anch seine Gedichte. .
Ich mnas es anssprechen, dass Pet6fi eifersflehtig auf Kossoih war.
Er fürchtete fftr seinen Stern angesichts der aufgehenden Sonne.
Der Rnhni der Härztage dauerte nnr so lange, bis das ungarische
Ministerium aus Presshurg eintraf, bis das ungarische Parlament
zusammentrat; von da ah sprach Niemand mehr von den Helden
des März. Auch hei der Abgeordneten wähl war es ihm schlecht
ergangen. In seiner Heimath, iu dem oft besungenen AlfÖld, war
er aufgetreten und war kläglich durchge&Uen.
Das Volk, dessen Freiheit er erkämpft, hereitete dem glän-
zendsten Genie der Nation eine sdimähHche Niederlage und wählte
an«seiner Statt einen obskuren Menschen, der wohl keine Verdien-
ste» hatte, der al)er einen vollen Keller vor nnd einen leeren nach
der Wahl hesass. Dieser l)eh*idi<;te Petofi auch in seiner Privatehre
und vens'eigerte ihm die ritterliche Uenugthuuug, die er verlangte.
Das Parlament aber sah ihm die Bestechung und die Unrittorlich-
keit nach und Petöfi erhielt im ganzen Lande keinen Bezirk, der
ihm seine Vertretung anvertraut Idtte.
Und noch einen anderen Grund hatte er, erbittert zu sein.
Nach den M&rztagen redigirten wir zusammen die «iSletk^pek*
nnd in jenem halben Jahre erschienen in diesem Blatte die Boh5n-
sten Werke fast aller literarischen Kapazitäteji, die danuils gelebt.
Von Vörösmarty „Szentember", von Arany ^i^xlusti)" . , Die Frau
R^kdczy^s", „Sklavenseelen", »Janos pap orszaga'' und „Traum
und Wirklichkeit', von Tompa in jeder Nummer Gedichte oder
Prosa, Yon Petöii oft auch zwei Gedichte in einer Nummer. Da
erschienen die schönsten Gedichte von GyuUi, Szte, Andreas und
Koloman Tdth, Liszuyay, Levay, Jtobor und Bozzai; das letzte
Werk Garay's, Prosa von VasvjCry, SziWgyi, Kolmtfr, Ldz^r, Dobso,
llt'li v, (t. Pap und Koboz ; dann die humoristiHcheu WVrke Her-
nat's und Lauka's. Ich sell)st s( hrieb stets den vierten Theil des
Blattes ; nie gab es noch so viele ungarische belletristisch»' Schrift-
steller unter einem Hut beisammen, und vielleicht wird es deren
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776 zoR nmiCixinfo rss pbtA»i-i«kihaia.
anch nicht luehr so vi»»le boi><aiuinen ; ilocli lie.sseu wir im.*'
eine üiiterla.ssuiig zu Schulden koiumeu; wir Tergasseii den Mode-
bildes und das wog sclmerer in der Waagschale, als wir A]le.Peid&
uichtj.'aasgenoiiiiDreii. Inmitten des. grössten moralischen Sieget
gingen wir materiell aogrunde. Weder seine Meisterwerke nodi
mein Charivari und nicht einmal Ludassy's kOnigsmdrderieriie
Lnstspiele ntttzten mehr ; das Publikum Hess uns im Stich imd im
glorreichen erslen Jahre der Pressfreiheit sank unser Blatt von
löOO Al)(>nuenten auf heral), so »lass uns der \'erloger schon
im Juli küiuligte. Doch .schieben wir die Schuld nicht auf das
Modebild: die Politik tödtete unser Blatt, sie, die Alles ver-
schlingende Astaroth. Niemand braachte Poesie und schöngeistige
Idterator mehr.
Bann kam ein Tag,' dieThronik hat ilin als den 21. Ausist
bezeichnet — an welchem das politische Lehen ein Moment anf-
wies, das tiir ewig unvert^csslicli hlciht : im uiiguri.schm IJcichstag«-
dehattiite man iiht r die /u crrieiitend»' ungarij^che liouved-Arme»*.
Die Opposition grill die Regierung heftig, leidenschaftlich, scho-
uungalos an; die glänzenden, grossen Ge.stalt^n Kossnth^s, Bat-
thjfbiy^s, Sst^chänyi^s, mussten sich gegen die leidenschaftlichsten
Elukubrationen mit der ganzen Beredsamkeit des Patriotismna und
der Ueberzeugung Tertheidigeu. Diese grossen, edlen Gestalten
mnssten schliesslich zu Bitten ihre Znflncht nehmen, um die Par-
teien zum Aufgeben des persrnilichen Kampfes zu bewegen. Dann
kam es zur Ab.stinnnunu- und Ko.ssnth und dit' uns^arist he Retrie-
rung siegtiMi mit einer Zweidrittel-Majorität über die radikale
Opposition. Mit der Regierung .stimmte auch Vöröamartj. Darauf
schrieb Petöfi jenes Gedicht. Ich bat ihn, dasselbe nicht in nnserem
Blatte zu yerdffentlicheu. Er that es dennoch. Darüber zerschlagen
wir ans so, dass wir bis zur Belagemng Ofens nicht mehr zusam-
menkamen. Die hnndertftlnfzigpftlndigen Argumente brachten im«
einander wieder näher. — Und noch etwas Anderes. A\'ir waren
nämlich l)innen einem Jahre Beide gestorln'n. Ungarn feiert»' tleii
Sieg der Freiheit, al)er Petoti hatte Jedermann vergessen. (Und erst
mich !) In dem Nichts begegneten wir uns wieder. Da hatte die
ungarische Armee eine glorreiche Gestalt, wie er sie getriUimt,
wie er sie gefordert hatte, aber er wan nicht mehr Mitglied dersel-
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m 8NTHÜLLPK«f DCfl PST({pi-DKVKMAl.9. 7^3
heu. Man hatte iliii gozwungon , wer weis.s welcher Formalität
wegen, mit dem Porteäpe'e auch den Säbel niederzulegen. Eines
seiner letzten Gedichte an einen groben General spielt hierauf an.
Der Seiser bemerirt hieraaf unter einem daes dieser grobe Gene-
ral Mte&os war. Das ist nicht richtig ; — einer der gefeier-
testen Helden des Freihditskampfes , der damalige nngarische
Finmizminister war es, mit dem er in Konflikt gerieth. Wen sollte
er als Kichter wühlen, da der Richter, die öffentliche Meinunj^,
Denjenigen, den er anklagte, mit Kränzen üherhäiit'te, da Alles
dessen Marsch sang und da man von i'etöli fragte : ,Wer ist das?*
Er hatte weder Leier noch Schwert mehr. Einst hatte er ge-
sungen: «Die Liebe ersetzt Alles und die Liebe wird durch Nichts
ersetat* Hat sie ihm Alles ersetzt?
Und bald sollte es weder Vaterland, noch Nation, noch Frei-
hat geben.
Fürwahr, wir waren Ueide gestorben nnd warteten auf die
< TrahesschoUe den Kusammeustiirzeudeu Vaterlandes, die uns be-
graben sollte.
Ich versuchte noch, mich ans dem Grabe herrorzoarbeiten
und das Leben aufs Neue zn beginnen. Er aber sagte, dass er
dorthin gehe, wohin er gehöre : in den Himmel*
Bs gab einen Mann, der Pet6fi wie seinen Sohn liebte : das
war Bern ; zu diesem kehrte er zurück. Nicht um wieder zu kftmpfeu,
sondern um zu sterben. Hatte er doch auch seinen Säbel ver-
schenkt, jenen berühmten handln-eiten Pallasch, den er seli).st <Juil-
lotine nannte. Der Entscheidungsschlacht wohnte er auf dem
Schlachtfelde, aber unbewaffnet, bei.
Der dumme Kosak, der ihn niederstach, hat einen ganzen
Tempel Toller Gotter zerstört !
Man sagt, es sei das ein schöner Tod. Ich aber sage, es
war ein (/uter Tod.
Mit dem Sturze Ungarns war Petöfi's Leben l^eschlossen. Für
ihn konnte es auf diesem Planeten keine Stätte mehr geben. Der
Titel seines letzten Oodichtes lautet: , Schreckliche Zeiten**. Und
er schliesst: „Wird er, der diese Geschichte hört, sie nicht fiir die
Ausgeburt eines wahnsinnigen, spukhaften Geistes halten?" Und
erst die Zeiten, die darauf gefolgt ! Da hätte er' in der That wahn-
CagwlMh« Bevne, 1889. X. Seit oO
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^ 791 ZtR KNIHOlJ.I NG DES PK'HM »-l>B.\K>lAri.S.
sinnijjf werden müsNeii. Vor dem Tode hatte er niemals Furcht.
Doch hatte er ein (ieilitlit: «in der Mimkacser Burg*" mit dem
Uefrain : ,0, dieser Kerker, vor dem habe ich Angst*. Aus ihm,
wo Andere ergrauten, wäre er wahusiunig herausgelrommen.
Es frommte ihm, m sterben ; >vir, die wir znrfickgeblieben.
wir werden immer kleiuer, je mehr wir in den Jahren vornlcken.
\\ iilirend seine lietflult iuu»o höher emporrugt, je mehr sie .sich ent-
fernt in der Zeit.
Und es var gnt, das« seine Asche in die Winde zerstob, do
erhält jeder Ungar ein Körnchen davon, nnd in jedem Körnchen
l(*bt die Vaterlandsliebe fort.
Nun stehen wir vor seinem ehernen Staudbilde, '
Ich glaube, dass er selber gegenwärtig ist..
Der Geist muss in der Statue wohnen, die die gerechte Nach-
welt zu seiner Verewignng errichtet.
T^iid die Statue sieht, fühlt nnd denkt.
Und die < reist«r i^iud gerecht; sie sehen klar und urtheilen
ohne Leidenschaft.
Kann diese fühlende und denkende Statue Rehen, was ge-
schehen ist, seitdem sein Geist die Erde verlassen?
Sie kann die Vcihsfreihmt sehen, die er wie einen Diamanten
suchte, und die er, als er sie gefunden, dem Diamant gleich schitste ;
sie ist heute ein gewöhnlicher aber nützlicher, zum Sti-assenban be-
nutzter Kiesel, man braucht ihn nicht furchtsam zu hüten, er i^t
unverlierbar. . . .
Sie kann JJuddpcst .sehen und darüber urtheileu, wohin es
sich erhoben; zur Metropole wurde die Stadt, von der er «inst so
scherzhaft gesungen.
Sie kann sehen, dass das, was er einst in seinem Credichte
nÄnf der Eisenbahn'^ in seiner Schwärmerei ersehnt das»
Ungarn von hnndert Eisenbahnen durchzogen werde, in Erftlllung
gegangen .sei. „Und habt Ihr Eisen nicht genug, brecht Enff»
Ketten alle." Auch da» ist in Erfüllung gegangen : es gibt keiue
Ketten mehr.
Sie kann sehen , «lass die Jf&urtd- Armee wieder besteht,
in Kraft und Vaterlandsliebe mit jener alten wetteifernd; daas
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sim EmmüLLUNG ms perdn-DKmoiALs. 7i>a v
Ungarn ftbr seine Zukanft vor k^nem Feinde bunge zu sein
bnnclit . . .
■ I
SiP kann sfeheu, es wolil starke Parteikiinipfe gibt, doch
ilass in lUesen ein starkes untl selbstbewnflte» nationale« Leben
zum Aosdraek kommt . . .
Sie kann sehen, dass es eine freie Presse gibt, mit einer
ganzen Legion Kmpfer des Geistes, deren Leser ein ganzes Lager,
ein ganzes Land ausmachen. Und unter den KEmpferii gibt es
keinen, der nicht die Freiheit und die Grösse des Vaterlande« ver-
theidicrte; gäbe es einen, lande er keinen Menschen, der ihn lesen
würde . . .
Bie kann sehen , dass schöne Literatur und Wissenschaft
und Kunst, Handel und Industrie bei uns so stark und mächtig sind,
dass Ungarn um Berücksichtigung nicht mehr zu betteln braucht
und dass es seinen Platz ausfttllt in der gebildeten Welt.
Und sie kann sehen, dass das, was er als Schatz hinterlassen,
dass die Werke seines Feuergeistes iu hunderttansenden Exempla-
ren verbreitet sind im ganzen Lande ; dass sie zuhause sind auf
dem Mosaiktische im Prnnksaale des Magnaten, wie auf dem Simse
des Landmanns. Auch haben sie Flflgel bekommen und bereits das
ganze Erdenrund umflogen. Die deutsche Nation, mit der er soyiel
hernmstritt, sie hat seinem Geistesschatz den Weg gebahnt in, die
weite Welt; Franzosen, Engländer, Italiener, Schweden, Polen und
Spanier haben ihr Licht an dem seiuigen entzündet; seine Gedichte
überschritten den Ocean, sie gelaugten bis nach Japan und China
und wie die Sonne kehrten sie aus dem Reiche des Ostens wieder
hieher zurück.
Und in jedem Lande, das sie durchwandert, Terkflndeten sie
den Ruhm des Ungarn.
Sie kann auch sehen, dass sie es nicht vergebens getlian.
Und noch Eines kann sie sehen.
Dass es nämlich noch »einen geliebten und seine Völker lie«
beiiden König gibt' und dass dieser König Ungarns König ist.
Und dann kann sie höreu, was ihr der Genius des Zeitgeistes
ins Ohr fliistert : dass sich dss Alles der Höhe, der Vollkommenheit zu
<ttBtwickeln werde, und er wird ihr Ton Geheimniasen der Zukunft
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I
cr/ählen , welche selbst der Statiie das Herz erljeben macken
müssen.
Yiielleicbt sehen es nur meme flimmernden Angen, doch mir
ist es, als ob nun, da dieses Yolksmeer die Statue umflothet) suf
ihrem ehernen Antlits das himmlische Däiumem eines seligra
Lächelns «Tschinimoi-te.
Oh OS kommen noch Zeiten, da sich das Herz dieses Stand-
bildes so füllt mit Wonne, dass die Statue davon erglfiht und
nächtlicher Weile leuchtet!
Deine Nation ! SieV die Eintracht zwischen dem Volke und
seinem apostolisclifn Kiuiig, die Achtnn<^ vor (h'ni (ipspt/p und das
unter dpm Segen (Ut Arbeit, in eifrigem Bestrel)en si< h erhebend«'
Vaterland ! Sieh' das Blühen seiner jungen Hauptstadt, und sieh*,
wie materieller und geistiger Wohlstand wächst auf der Spur jener
wiedererlangten konstitutionellen Freiheit, för die Du Dein Leben
lang glühtest und för die Du das Blut Deines edlen Henens ver-
gössest !
Sehr geelirte Festversammlung! Bevor ich meine ehrende
Aufgabe schiiesse, habe ich noch in aufrichtigstem Danke und mit
Worten der Anerkennung Jener zu gedenken, welche sich durch
eifrige InitiatiTC und Leitung, durch opferwillige Gaben und durch
kfinstlerische Arbeit um das Zustandekommen dieses Denkmals
herrorragende Verdienste erwarben.
Die Idee, dieses Denkjual zu errichten, liat Eduard Remenyi
im Jahre lö(iü in einem engern literarischen Kreise angeregt. Er
war es, der durch Arrangimng von Konzerten für dieses Denkmal
die namhafteste Gabe lieferte und dadurch den Grund gelegt hat
zur Verwirklichung dieser Idee. Er war der erste Plrasident der
Denkmals-Eommission und neben ihm unser gekrönter Dichter
Koloman T6th, dessen eifriger Kollege im Pr&sidium.
Eduard Remenyi ist dermalen durch künstlerischen Beruf an
einen fremden Welttheil gefesselt. Koloman Tdth aber bat, ach.
allzu früh und zum grossen Verluste unseres Vaterlandes der Tod
aus unseren Reihen gerissen. Und so Termag weder der Eine, noch
der Andere an der heutigen schönen Feier des Erfolges ihrer Be-
mühungen theilzunehmen. Ich glaube der Dolmetsch der ganzes
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SUB SNmOLLÜHO HIB PBTdn-DSNCirALS.
79t
Nation m sein, inddm ich die ersten Worte der Anerkennung und
des Daukey ihnen weilie.
Das Monument, in seiner gegen wiirtigou Form, hat Adoli
Husza»* modellirt; den Guss filhrte der berühmte Erzgiesser Karl
Tmrham ans ; den Granitsockel entwarf nnser ani^^eichneter
Architekt Nikolaus YU» Ausser dem Ruhme für das gelungene
Werk, wollen sie auch tmseren aufrichtigen Dank empfangen.
8chlie«slicli sage ich ans der Tiefe meines Herzeus Dank
aileu Jenen, welche durch eifriges Bemühen, durch Sammlungen
und Beiträge, diesen pietätvollen Wunsch der Nation Terwirkli-
chen halfen.
Gehe die Vorsehung, dass durch Patriotismus, patriotische
Tugend und durcli unbesiegbare Macht Jahrtausende laug blühe
und lebe das Vaterland I
IL ALEXANDER P£T6FL
Preisgekrönte Ode von Alexaxdsr EndrAdt, abersetst von Lamslavs
NsvenAUiB.
„Freiheit, liebe/
Sei dieser Tag ein Tag des Sieges, des Juhels,
Hochlodemder Begeisterung geweiht !
Seht die Gestalt des Diefaters ! Ihm zuneben
Als ew'gen Zeugen : (Ue Vergangenheit !
Sowie das Licht durcli Nebelschleier dringet
Und seine Ötrahlengarhe weithin streut:
So flammt sein Geist durch schwarze Wolkenhikllen,
Hit seinem Glanz den Erdball zn.erfftUen.
0 Geisty so stolz, so ungezfihmt, — Da schwebest
Ob nnsrem Haupte wie das Ideal !
Wir sehen Dich in Universums Femen
Krglünzen in der Sterne Silbers trahl —
Allein und einzig, unerreichbar stehet Du,
UnK näher doch als all' der Sterne Zahl ;
Mag Erd' and Himmel theüen Deinen Schimmer :
Doch Deine Wttrme — um bleibt sie fOr unmer !
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SUB KNTIlt)LLlIVa I>E8 PGTÖn-DEHKlUlff.
Noch sehn wir dort der Pnsits dürre Flttche
Erfüllt von Notb, diircbfegt von Siurmeswnth.
Doch plötzlich — sieh ! wi^ sich das Bild verändert :
Den Raum «lurt libebt, »Ics Zepliyrs milde Fluth,
Millionen Vöglein singen, fiöteu, .-fhmct.tern,
Das Bächlein rauscht in tollem ( Hei mulh.
knospt nn<l blüht als ob der Frühling blau'te,
Und alieä dies vom Klange — Deiner Laute !
Ihr Lieder ? Schöpfung «einer Fenerseelo,
Ihr ew'gen Sänge, wuntlerbar und liolirl
Ks ist ein Werk des Hero;:, des Titiuion,
Wa.s Ihr vollbracht zu Ungarns Kulim und Klu' :
Nicht Lieder seid Ihr: — Krieger des Jahi'bimderttt,
Der Freiheit Siegdfanfare, Schild und iSpeer,
Denn halb nur füllet i^nmutfa die^e Lieder —
Die Macht hallt aus der andern Uttlfte wieder.
() Licdrr Ihr. Dir Fil.l'ge seiner iSeelo,
Ihr hobt empor auch ihn zum Himmelsrand ,
0 sebly 0 seht! Wie kühn er fliegt, — die Kelten,
Die er gesprengt, hält er in nerv'ger Hand !
Es fliegt mit ibm das Heer der stolzen Trftnme,
Die LeidenschafI» sein finsterer Zomesbrand . . .
Jetst tritt er ein in des r)l3'm])os Flilren^
Und ein Titan : das Volk folgt seinen Spuren !
I
Krbebe deun Olympos stolze Höhe,
Ihr falschen Götter, räumet jnh das Feld ;
Der Kpheu rank' empor an den Ruinen, •
Und aus dem Schutt blüh* eine neue Welt !
Das Werde- Wort erklang, und an die Stelle
Des offnen Himmels sich die HiU^e stellt ;
Der Mythos schwand, doch über seinen Trümmern
Sieht Pus0ta man und DSlibdb * erschimmern.
* Die Fata morgana des ungarischen Tieflandeit.
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Z(iS BKTHOLLUNO des PBTÖEl-I>£KiUf ALd.
Und weit^ft wett«r Wangen .«irh <iie Lieder
So segAnKpDndendj iS^^belnd, mild und klar,
fn ihtitiH nah. gleichwie \m blanken Spiegel,
Znm ernten Mal da^$ Volk steh »elbst, wie'e war :
Dank ihnen brachten «lie «i-stennten Völker
Dem Ungar Liebe und Bewundrutij^' dar . . .
Und Vaterland und Welt und Hiiuiuel wai*en
Besiegt dnrch seiner Lieder beii'ge Suhaaren !
Verkündet seinen Ruhm denn An'n und Berge
Weithin, so weit als £ure Stimme trägt.
Wo nnr ein Herz — in Hütten und PalSsten —
In Trftnmen, Hoffen, L^d nnd Liebe schlSgt ;
Ihr Völker, die Ihr, seinem Sange lauschend,
In Eurer Bmst der Freiheit Hoffnung hegt,
Und Ihr auch dort in Eurer stolzen Ferne :
Ihr unaublöscblicb, ewig glüb'ndeu Sterne !
Denn »Sappho selbst, sie könnt' nicht sü.süei' öingt^n,
Als Liobesglück von .meiner Laute tönt,
Auch nicht Zephyr, der über Blnmen wehet
Und sich zn Tod nach ihren Kelchen , sehnt ; .
Sein Sang klingt leis, als ob ein jStemlein fiele ;
Doch rauss es sein : wie Donnergroll er dröhnt,
Es stieg in ihn des Tyrtilus Seele nieder,
Und »einen Geist ballt das Jahrhundert wieder !
Er war der Vatorlundesliebe Warte,
Der iVeiheit Eeuersäule, heilig, treu !
Von seiner Gluth zerscbmolE <les Volkes Fesf^el :
i'rometheus fühlte, regte sich anfs nen\
Des Volkes Loos trieb ihm das Blat znr Schläfe,
£r bannt ans jedem Herzen Furcht nnd Sehen,
Kühn trotzt er wilden Stürmen nnd Gewittern
Und blsst die Luft von nÄul\ Magiftir ' er/.ittern
900 SUB raTHOLLONO DS8 PRÖH-DBIim^S.
ünd es erdröhnt ringsiiin die Krieg^rommete,
Kanonen brüllen, Untig wogfc die Schlacht
Sein Geist kiimpft mit, sein Schwert : man sieht es blitzen.
Den Sclilaclitensang : er silinmt iliii an mit Maclit,
I)ann — wohe — seht ... er sinket hin zu I3o(leii,
Und über ihn ra.st schnauben <1, wiithentfatht.
Der Reiter Tross hin mit verhängtem Zügel . . .
— So weit Ihr blickt: ist seines Grabes Hügel !
Aach hier der Pankt im weiten Vaterlande,
WeisH auf den Platz, der nach ihm ewig leer ! —
Erkennet ihn an seiner stolzen Stirn,
Am FlanimenMick, — so Ijlicket Keiner mehr —
Lasst nah und fern im Jubelchor orbrausen
Das Rahmeslied zn seines Namens Ehr' I
Es leachte seine Glorie allen Landen, 1
Wo immer auch der Völker Meere branden.
0 blick empor zn ihm, wenn du verzagest,
Mein Volk, du sturingcpeitschtcs. unverwandt I
Erglüh', entflamm' an seines PenkiuaN Stufen,
Wie auch für dich einst seine Seel' entbrannt*.
Sei dies der Vaterlandesliebe Säule,
Der heirgen Freiheit ew'ges Unterpfand, .
Hier sollst du, wenn des Schicksals Wogen branden,
Gleichwie am Ararat, gerettet landen.
Denn nicht nur hier die engbegren/te Hcholle :
Ein ganzes Reich i>t dieses l)enkmals Grund I
Lasst unsren Pl'ad durch seine That erleuchten,
Begeistern uns an seinem Dichtermund ;
Für seinen Tranm ist es so süss zu kämpfen,
Im Sonnenglaaz, im Stnrm, zn jeder Stund',
0 mög* der Tiaom einst in Erfüllung gehen :
Mö(j, glorrei€h, stark dies Vaterland erstehen!
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SUR REFORM DBS TTNOABI^EN OBtRBAÜBES. 801
ZUR BEFOBM DES ÜNGABISCHEN OBERHAUSES.
Die Reform des ungarischen' Oberhauses ist, wie es scheint,
wirklich in die Reihe der Tagesfragen anfgenommen worden. Die
Überzeuguiig ist allgemein, dass man so wichtige, auf den Staats-
organ ismus })ezü«rlirhe Fiageii in ruhigen Zeiten erledigen nnd
dass (lif iiötbigeii Hetornn.'n er^rilleii werileii müssen, wenn diese
ohne grosse Erscliütterungen ausführbar sind und solange man das
Übel noch heben kann, bevor es sich yerschlimmert oder gar un-
heilbar wird.
Ich halte es deshalb für zeitgemftss, meine Ansichten Ober
diesen Gegenstand, die ich vor Kurzem in der ^BuäapesHSMemie*
(Bndapesler Reyne) entwickelte, auch separat erscheinen su lassen
und auf die ueueatens uufgotanchten Ansichten in einer Nachschrift
zu reflektieren, respektive das Gesagte mit meinen eigenen Bemer-
kungen zu ergänzen.
Wer nicht die yormürzliche alte ungarische Verfassung in
ihrer Thatigkeit sah, wird sich kaum ein klares Bild ttber diesen
eigenartigen Organismus machen können. Es war dies zwar eine
StSndeverfassnng, aber von anderen Stiindeverlassungen sein- ver-
schieden ; es entwickelte sich in derselben voUkoniuiPLi das Zwei-
karamer-System, und das Unterhans oder die untere Kaninu'r, Ta-
fel genannt, repräsentierte auch damals nur ei^ien Stand, denn der
Bargerstand (d. Ii. die Städte) war zwar auch in den Landtag gela-
den, besass aber kein Stimmrecht Wahrlich, eine merkwürdige Er-
scheinung im Staatsrechte, deren Analyse gewiss ein längeres Stu-
dium yerdiente und ein interessantes Bild unserer Knlturzustande
böte. Unstreitig ist dieser Organismus, ein Beweis der Schwäche
des bürgerlic-hen Standes und der staatswirthsehaftlichen Zustünde,
zugleich ein Zeichen der politischen Ungeschicklichkeit der Wiener
Regierung, — derselbe war aber auch der Keim des Unterganges
der alten Constitution. Unter dem Drucke der Februarreyolution
und der Folgen derselben wurde diese Verfassung umgestaltet; und
in Folge der 1848-er Gesetze und aller jener Bestimmungen, durch
welche wir an unserem Staatsrechte änderten, wurde aus dieser
Verfassung eine auf dem IJepräsentativsystem beruhende luodenu*
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§0^ SÜK BBFORX DIB ÜKOASISCHEV OBSBSlüflBi. .
V
ConcHtnfion mit purl.im»'nhirisrl)«'r Ur'j^ii^rnuv;. F]>; i«.t nneh dr>s ein
b»'iiM'rk<-ii>>\ * iHm"« '/.f'iflion. dii'*^ wälircml ^idi in nn"«'!»'»! Staars-
nM'ht»' inul iu mi-rr«ii HOcinleu VerhültHiss'Mi sehr vielp? äuiieit«'.
tUi< < )I».mIi}iii*< sirli (lennocli nnw»iiidt*ll»jir f'rhif*it„ Die« ist ein EU*
weiB der Krftft» aber zugleich nach der Schwäche uuaeres Oberhau-
ses. Es beweisi, dass im Lande das Bewastsein der KoÜhwendigMl
des Oberhauses lebi, dass das Land den Blementen desselben Ter»
trauen entgegenbringt, dass die Basis desselben, wenigsten» znm
Theile, richtig und dans dassell)e t'iihig ist, seiner Bestimninug zu
entsprechen. Aljer es beweist unter Einem, dass das Land denis«-!-
ben nur wenig Beaclitung schenkt, dass es sicli wenig darum küm-
mert, wenn das Ansehen desselben sinkt, und dass es dex ganzen
Institution nur geringe Bedeutung beimisst.
Diejenigen aber, die in das Leben der poliüsohenlnstitntioiM
tiefer eindringen, flQhlen die Nothwendigkeit einer Reform des
Oberhauses; in erster Linie aber die Mitglieder des Oberhanses
selbst, so neuestens auch Graf Ferdinand Zichy ; in diesem Sinne
äusserte sicli auch Ministerpräsident Koloiuau Tisza bei Gelegenheit
der letzten Wahlen.
Ich selbst lienierkte in meiner am 8. JSeptember zu Ödenburg
gehaltenen Rede Folgendes Uber diese Frage : «Thatsache ist, dass
' unser Oberhaus in der constitntioneUen Aera der Dnrehftthnmg
keine« heilsamen Gesetzes hinderlich war, und ich setze von unst*
rem Oberhause voraus, es besitze soviel Selbstständigkeit, dass es
unmöglich wäre, irgend eine Massregel, die dem Lande zum Scha-
den gereichte, mit seiner /iustimmun«i; durelizuiVihren. In unserem
Oberhause herrscht nicht nur wahrer Patri«jti-<mus, sondern auch
besonnener politischer (iei.st. Darum glaube ich nicht, dass die lie-
ibrm desselben eben eine brennende Frage wäre. Übrigens habe ich
nichts dagegen, wenn man während der nächsten drei Jahre andi
diese Reform durchzuführen vermag, umsoweniger, da unser Ober-
hans einen so eigcnthflmliehen Organismus hat, dass man es in seinem
gegenwärtigen Zustande wirklich nicht langer belassen kann. Mei*
ner Ansicht nach nniss das ungariselie Oberhaus ebenso auf aristo-
kratiselier liasis beruhen, wie das Unterhaus auf demokratischer
Gi'undlage fusst. Man sollte es bei unseren ])(»litischen Berathungen
und Organisationen stets vor Augen halten, dass Aristokratie und
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aCfR REFOKM DP8 ÜMOABl!>CH£>' OBKBHAUSES. 803
Demokratie heutzutage keine politiacheii Institutioneiii sonde'ra
flociale Faktoren ainil, denen Beciinung getragen wei'den rnnw und
das« dort, wo «in einander zu Terniehten «treljen, jede« oonsiitn-
tionelle Leben unmöglich wird.
.Von diesem Standpunkte aus würd«* idi l»ei f'iiwv Organi-
sienmg des Oberhauses die Hechte aller jener ungarischen Mngtui-
tentaniilieu uuMii^ctastet lassen, die heute in das Oberhaus ))eruteu
werden. Da es aber Rchon in der Natur des Oberhauses liegt, das»
ein Jeder, der dort »Sitz und Ötimme hät, irgend eine gesellschat't-
liehe Kraft, ein sociales Interesse reprSsentieren mnss, nnd dazu
der Name und Titel an sich ungeuUgend ist, wfirde ich ein Yermd»
gensminimum oder einen Stänercensns einführen, derart, dass unter
den Mitgliedern der Oeburtsaristokratie nur diejenigen ins Ober-
haus geladen würden, die eine bestimmte Summe, /.. H. drei- bis
fünftausend (iiilden Steuer zahl»;'n. Aufdie.se Weise wilren die Mag-
naten-Proletarier und solche junge Leute, die zu ihrer Väter Lebt
Seiten noch gar kein Vermögen besitzen und nichts repräsentieren, ,
aus dem Oberhause ausgeschlossen.
«Die wirklichen Di5zesan-6isch5fe wfirde ich als Vertreter
wichtiger Interessen im Oberhause belassen. In dieser Hinsicht ist
in meinen Augen die Paritöt der Confessionen von keiner Wichtig-
keit, da clie protestantischen Oenicinden iutol«»;e ihrer Organisation,
laut welcher bei ihnen da^ weltliche und das geistliche Element
gleichberechtigt sind, schon durch iiire weltlichen Inspektoren und
r*uratoren im Qberhause vertreieu sein können. Und im Falle ihre
Guratoien und Inspektoren nicht schon von Geburt aus berechtigt
sind« Blitglieder des Oberhauses zu sein, könnten unter ihnen, sowie
unter ihren Superintendenten diejenigen, die die nöthige Qnalifika^
tion besitzen, ad dies vitae su lebenslünglichra Mitgliedem des
Oberhauses eniannt werdiui. ^
,Die ()bergesi)ane hingegen, würden nach meiner Ansicht
wei5zubleil)*'n haben, nicht nur aus dem runde, weil sie vor Allem
mit der Administration ihrer Komitate beschäftigt sind, sondern
auch deshalb, weil sie fortwährend wechseln und das Oberhaus da-
durch einen sehr fluctoierenden Charakter erhielte.
«Den Platz der Obergespane wfirden als lebenslängliche Mii-
glieder .solche Mäuner einnehmen, die in Folge ihrer Vergangen*
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M ZCB BEFOSH DES rNOABISOREV. 0BBBHAÜ8E8.
heit, ihrer Vonlienste und ihrer gesellschat Iiichen Stellung wiinli^
sind an der Seite der geborenen Pairs Platz zu nehmen. Die uotb-
wendige Qualißkation würde das Gesetz bestimmen.
„Auf diese Weise organisiert könnte das Oberhans eine gehö-
rige Wirksamkeit ausüben nnd seinem hohen Berufe entspreehen,
besonders unter zwei Bedingungen : einmal dass die Peerage nadi
englischen Muster durch die Celebritftten der Gesellschaft zeitweise
aufgefrischt werde, aber bei entsprechendem Vermögen, dann aber
dass nicht solche Männer mit Titeln und erblicher Oberhaus-Mit-
gliedschaft bekleidet werden, die nicht das Vermögen zur Gründung
einer aristokratischen Familie besitzen, d. h. die schon in der zwei-
ten Generation aristokratische Proletarier werden.*
In neuester Zeit Hess ein altverehrter Veteran unseres gesell-
, schaftlichen Lebens, der in Folge seiner ausgezeichneten VerdieuBite
seiner europäischen Bildung und seiner ausgebreiteten Kenntnisse
in jeder Hinsicht competent ist. die Organisation des Oberhauses
sowie jede andere politische Frage zu erörtern, der Obergespan La-
dislaus Szögyenyi-Marich, eine 28 Seiten starke und als Manuskript
gedruckte Broschüre erscheinen, in der er sich über die Organisa-
tion des Oberhauses äussert Nach Vorausschickung einer gedräng-
ten, äusserst interessanten historischen Schilderung der Entstehung
des Oberhauses und Über die Vorschläge zu seiner schon früher ge-
planten Reform, und nach AuMhlung zahlreicher statisÜseher Da-
ten über die Elmuent/e, aus denen das Oberhaus gegenwärtig besteht,
formuliert er einen aus 15 Al)schnitten )»estehendeu Gesetzentwarf
Uber das Oi>er]iaus des ungarischen Parlamentes.
Das Oberhaus würde nach ihm ans Mitgliedern bestehen, die
auf Grund theils geistlicher und weltlicher Ämter und Würden,
theils alter Rechte und Erblichkeit, theils lebenslänglicher Ernen-
nung einberufen würden, besonders aber aus den Bischöfen und
den anderen Oberhäuptern der Kirchen, aus den ältesten GHedem
der ungarisch-nationalen und eingebürgerten Magnatenfamilien, —
wenn sie ihren Wohnsitz im Laude haben und wenigstens lOOO
Gulden direkte Steuer nach liegenden Gütern entrichten — ,aus den
Gliedern derMagiiatenfamilien, die fideicommissarische liegende Gä'
ter besitzen, wenn sie tou einem solchen Fiddcommiss wenigstens
3000 Gulden Steuer zahlen, und endlich aus solche Gfiedetn ron
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nm Kf FOBV HKS niC»A]II8CR«ir OBEBHAUWR. 809 .
Magnatciifamilkn, die von ihreu liegeudeii Gütern 10,0OO Ctulden
direkte Steuer zahlen.
Endlich würden »auf Grund lebenslänglicher Ernennung auch
Diejenigen Oberhaasraitgliederf die Se. Majestät auf VoiscUag des
Mimsteriums ans der Reihe hervorragender Staatsbürger, die sich
anf dem Gebiete der LegislatiTe, des Staats- oder Monicipaldienstes, '
der militarisehen oder richterlichen Laufbahn, anf dem Felde der
Wissenschaften, der Literatur, des Unterrichtes, der K(hist.e, des Ge-
werl)ef!, Handels und der Ökonomie Verdienste erworbon haben,
ohne Kücksicht auf ihre bürgerliche tiud finanzielle Stellung, »eit-
lebens zu Mitgliedern des Oberhauses ernennen würde.*
«Die Zahl dieser Mitglieder, auch die auf Grund ihrer geist*
liehen und weltlichen Würden und Amter zur Ob«rhausmitgHed-
schaft Berechtigten miteingerech^et, dürfte ein Drittel sämmtlicher
Mitglieder des Oberhauses nicht übersteigen."
Bevor icli zu dioseiu Vorschlaf^e meine Bemorkungt^n mache,
will ich die Nothwendis^keit der lieforni des 0))erhausps noch be-
sonders betonen. Es ist dies nicht eben eine breuueude Frage, auch
ist dieselbe, wie ich gerne anerkenne, so delikater Natur, dass mau
noh ihr mit der grössten Behutsamkeit nahem muss; ignoriert
kann sie aber nicht werden, — und wie man den Kranken nicht
heilen kann, wenn sein Blut bereits in Dissolution übergangen ist
und die Aussicht auf ein Besserwerden sehwindet, so mnss man
auch die Institutionen zu fincr Z^it reformieren, wo dieselben noch
lebensfähig sind, wenn sie noch nicht alles Ansehen verloren ha-
ben, und wenn in den Menschen noch der Glaube lebt, dass die
Inatitutton auf einer richtigen und geeigneten Gnuidlage ruht.
nie allgemeine Anerkennung dessen, dass das Oberhaus ein
nnTermeidlicher Bestandtheil des constitutionellen Organismas ist,
beseichnet einen grossen Fortschritt in der Staatswissensehaffc, in
der politischen Reife der Völker, denn mit Ausnahme von Griechen-
land, das man niclit eben als politisches Beispiel aufstellen kann,
und einigen südamerikanischen Kepabliken — die durch fortwäh-
rende Anarchie und Bürgerkriege glänzen, — ist das Zweikammer-
system überall in Gebrauch. Die abschreckendsten Beispiele des
SiinkammersTatems sind die französischen Verfassungen vom Ende
des vorigen Jahrhunderts, und das heutige Friinkreich beweist einen
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gcosneu Ferischrittf indem es mit der Idee des iSeuatB l>efreuu*
den konnte. Von grosserer Wichtigkeit ist jene Frage, wie die
Oberhaus organisiert werden solle, und in dieser Hinsielit steht das
Wort des Dichters : Eines schickt sieh nicht fQr Alle. Das System,
das in dem einem Lande heilsam wirkt, kann in dem andern
whlechto Früolite trugen. Es ;.^iebt Oberhriwsor, »lif anf d»'r Wahl,
auf der Enienmiiig und ;inf der Er1)Iiehkeit o<ler auf der V'eriui-
scliung vou zwei oder allen drei Systemen basieren. Dass in Repub-
liken von einem erblichen Oberhanse keine Bede sein kann, ver-
steht sicli von selbst; aber auch dort sucht man bei den Wahlen
solche Combinationen, damit das Oberhans ans anderen filementen
bestehe odw andere Interessen vertrete, als das Unterhaus ; — eio
deutliches Beispiel dafür sind die Vereinigten Staaten Ton Nofd-
amerika, wo die Mitglieder des Oberhauses nicht Ablegaten der
AVäliler, sonilern der Staaten sind. In der Monarchie entspricht das
gewälilte Olierhans nicht seiner Bestimnuini^ und stellt mit der In-
stitution der Monarchie nicht im Einklänge.
Durch die Wahl gelangen, im Ganzen genommen, eben aoldie
Männer ins Oberhaus, wie ins Unterhaus, so dass es ganz unwahr-
scheinlich ist, dass im Oberhanse eine andere politische StrOmnng
herrsche, wie im Unterhause ; — das Oberhaus wird desselben We-
ges wandeln, wie das Unterhans nnd der einzige Nntisen dabei ist der,
dass das Land nicht jenen Überraschungen ausgesetzt ist, die bei
dem Einkammersystem nothwendigerweise vorkommen. Was soll
aber aus der Monarchie werden, wenn sie die einzige Institution
ist, die auf der Erblichkeit beruht ?
Die ernannten Pairs bieten, besonders wenn die Ernennung
an gewisse Kategorien gebunden ist^ dem gesunden Staatsofganis-
mus unstreitig mehr Garantien ; sie repräsentieren im Gegeaatce
KU den veranderliehen Elementen, die Stabilität, sind unabhängiger
als die gewählten Abgeordneten, besitisen speeielle Eentniise and
Erfahrungen, und vertheidigen nicht nur den Thron nach unten zu,
sondern können auch das Volk nach oben hin vertheidigen. Und
wenn eine solche Korporation alle ( Vlebritiiten in «ich enthält, dann
leiht sie dem Staate selbst grosses Ansehen.
In der Monarchie verdient aber das auf dem Principe der
Erblichkeit beruhende Oberhaus den Vorzug.
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XVB M«fO»U Of« rNOAUISCHm obbrhavsbs. 807
Zur ITiiterstüt/.im^ fU*s aut" der (Tfundlage der Erblichkeit zu
orgauibireuden Oberhauses köuute man kaum bessere Argumente
TOTbringeD, als jeue, die in der im beptember und Okiober in
der fninzdsickeu Deputirieukammer erwähnt worden, wo Männer
wie Thiers, Guizot und Royer-CoUard der Erblichkeit das Wort
sprachen. Wenn es Zeit und Baum gestattete, wttrde es sich wohl
lohnen, diese Reden in ihrem gauzen Umfange mitzntheilen.
sei es mir gestattet, den Gedankengang derselben in Kür/e zu ,
schildern.
Nach Thiers giebt es drei Hegierungsformen: die Monarchie,
die Aristokratie und die Demokratie. Alle drei tragen den Keim der
Verwesung in sich und werden duroli das Temichtet, woran es
ihnen mangelt ; der Staat kann nicht fortbestehen, in welchem eine
dieser Formen ausschliesslich herrscht. Dagegen sehen wir, dass ein
Staat, dessen Regierung aus diesen drei Elementen besteht, fort-
zubestehen und zu gedeihen verniui^. England Ist es, <lessen Hegie-
rung die Vortheile des einheitlichen Willens der Monarchie, jedoch
ohne die Launeu derselben geniesst, und das den Geist und die
Stabilität der Aristokratie mit der Energie der Demokratie yerbin-
det, £s ist fraglich, ob die repräsentatiTe Monarchie, wie wir sie
bei uns organisiren wollen, nicht eben&lls ans den Eilementen der
Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie besteht?
Die Vortheile der Monarchie und der Demokratie werden
anerkannt, warum will man uns die Aristokratie vorenthalten?
Niemand hat es im Sinn, die Monarchie ausschliesslich mit Hilfe
der Demokratie im Gleichgewicht zu erhalten. Auch die Nothwen-
digkeit einer zweiten Kammer wird anerkannt; damit aber diese
einen entscheidenden Eifluss ausftben könne, muss sie auch beson-
dere Interessen yertreten, nur in diesem Falle ist sie keine (Iber-
flüssige Wiederholung. In der Gesellschaft sind zwei Interessen
herrschend : der Fortschritt und die StabilitRt, diese beiden müssen
repräseutirt werden. Aber eine hereditäre Kammer l)esitzt niclit
Einsicht genug, und hier wiederholt sich der Satz : die Söhne erben
nicht die Verdienste ibrer Väter. Aber Traditionen muss man in
der Kammer tiuden; und diese werden geer))t. Auch am Geiste
wird es nicht fehlen, denn die Aristokratie besteht nicht aus einer
einagenfVimilie. Weno eine Familie nicht Verstand und Talent be*
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sitzt, kann es das in einer anderen Familie treben. Man «agt wohl, die
Aristokratie sei ein Priviloginni und in die neue Gesellschaft können
Privilegien nicht eigeführt werden. Wenu aber das Privilegium der
Erblichkeit dem Lande zum Nutzen gereicht, steht es zum neaea
StRate ebensowenig im G^ensats, wie die Erbliclikeit der Mo-
narchie.
Yor dreissig Jahren war man der Meinung, daae es in Zn»
knnft weder Könige noch Adelige geben werde. Es erscKiMi Na-
poleon und schuf Könige, ja sogar einen Kaiser und machte ans
jenen, die vom Adel nicht einmal Ikmch avoIUmti. Herzoge. Grafen,
Landgrafen nnd Freiherrn, und es niisstiel ihnen dies gar niolit.
Aristokratische Elemente wird es immer geben und diese werden
der repräsentativen Monarchie die grösste Kraft und Consisteua
leihen. Thiera wiederholt, was auch die ErÜD^hrong beweist, das»
eine Monarchie, wie sie England besitat, die sicherste Qarantie fttr
den gesunden Staatsorganismns ist, nnd eine solche Monarchie
wfinscht er Frankreich.
Die K'ede, die Uoyer-Collard am 4. Oktober hielt, ist noch
gehaltvoller, als die Hede Thiers. Die Erblichkeit der Pairie ist
nicht eine Frage der Rationahtiit, sondern eine Frage der Uevohi-
tion, und von nichts Anderem ist hier die Hede, als davon, dass mit der
Erblichkeit, auch die Pairie zu gfmnde gehe, mit dieser auch die
erbliche Monarchie nnd die Prinaipien der Stabilit&t nnd der Be-
ständigkeit Worin besieht also die nnveraeihUche SfindederPftirie?
Man sagt, sie sei von der Jnlirevölntion, yon dem Willen des Yolkes
verworfen und verdammt worden, das heist, die Pairie ist für einige
Zeiten proskribirt. Und hier könnte ich stehen bleii)en : die Tros-
kription denkt nicht. Ich habe aber sciion genug gelebt, nnd hab»*
schon oft derartige Beschlüsse ändern sehen. Die Erblichkeit der
Pairie ist durch die Volkssouverainitat nicht in grösserem Masse
Temrtheilt, als vor 40 Jahren die zwei Kammern nnd die Monarchie
selbst Aber wie damals, so kann man auch heute Ton dem lärmen-
den Parterre an ein aofmerksameres Publikum appellieren und sieh
▼on der YolkssonverainitStan eine andere SouversiniiSt wenden, die
allein dieses Namens würdig ist: an die Sonverainitiit der \ eruunf^^
die ülirr \'r»lkerii und Königen steht und die wahre (iCsetÄgeberin
der Meuäciihcit ist. Gegen die Eriilichkcit der Pairie wendet man
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ZI K KKKnKM DKS (JNOARlAOREN •»HKKHAU>K.-o. ' 79:>
«iii. dans sie mit Ucr lu^stuunltion der ßourboncn zusammenfälltf
und nachdem jene aufhörte, aucb dieae nicht mehr haltbar sei. Hier
ist aber das die Frage : ist die erbliche Paine gat oder nicht ? Wenn
tie schlecht ist^ so niTiss man sie abschaffen, ist sie aber gnt, so soll
man nicht darnach fragen, welehen ürapmugts sie sei nnd nnter
welchem Stenie wie ssnr Welt kam. Die Charte stellte zwei Bepffi"
sentationssystonn' aut, domi jedes seine eigene Natur, eigene Ge-
setze und eigene Hcstininning liatte, das eine ist die demokratische
Vertretung der allgemeinen Interessen, die Bescliützerin der Freiheit
und ist deslialb der Wahl unterworfen, das andere die aristokra-
tische Vertretung der gesellschaftlichen Buperioritat, als wesent-
liehe Beschütxerin der Ordnung, über die sie wacht und der Sta-
bilität« die sie erhalt, sie ist deshalb erblich und moss es bleiben.
Gnisot sprach am 5. Oktober folgendermassen : Die Anarchie
nimmt flberall zu, taueht fll)erall auf und droht unaufhörlich. Sie
oftenbart sich ührrall in den Ideen, die nicht durch irgend einen
stärkeren Impuls geleitet werden und keine staatliche Macht be-
rücksichtigen. Die Kammer fühlt es, dass sie allein unfähig ist, der
sie drückenden Aufgabe zu entsprechen. Der Stützpunkt, den wir '
snehen, beruht in einer constitntionellen, unabhängigen Macht, ^
esistirt und die wir Temichten wollen. Die Erblichkeit ist in der
Charte der Welt improtokoUirt, und die Lehren, die dieselbe T<*r<>
werfen, sind barbarische nnd unwahre Lehren. Das Oberhnni« mfkn^
sen wir also, wenn wir es seiner Hestiminung gemäss organi^iren
wollen, auf das Prin/ip der Krhliclikeit gri'nuien. I he Krl)lielikeit
gieht die bestimiute Zahl der fertigen Familien, die y.wv heitung
der allgemeijien Angelegenheiten gleichsam erzogen werden, nnd
die sich von der Deniokiatie nicht trennen, denn die Paine rekrn-
tirt sich nothwendiger Weise von neuem aus der Demokratie, wio
dies die Statistik des englischen Oberhauses beweist, das im Jahre
1829 ausser den Bischöfen 375 Mitglieder hatte. Unter diesen
stammten nur 48 aus den Zeiten vor dem XVIT. Jahrhundert. 124
aus der Zeit vor dem W ill. Jahrlnmdei t . die l 'annlieii der l 'ljri-
gen wurden in unserem .lalirhini«iert ernannt. Wir lieutWhij^en un-
bedingt eine politi>»che Klasse, und diese kann man ohne Erblich-
keit nicht erreichen. Guizot schlie.s.st seine Hede folgenderweise :
«Wenn die die Erblichkeit in der Pairie behalten, wird Frankreich
fTogairtMlie ]I*TW>. IMS. X. nfti. 51
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I
794 ZUK BBi^ORM Oi:s UN'iAlilSüHBN OBEKHaUsE;.-«.
•^i n th t .St ill, Anarchie, TiImm' dir Si»> si( li iH'ldageii, wird auf-
hörvu, die Julirwoludoii winl beendigt, abgi^chlossen sein, hm
eutgegeog^etzten Falle weiss ich wol, wohin uns die herrschende
Strömung führen wird." — Wenn Guizot in Vielem auch nicht
Re^ht behielt, — hier bestätigt« sich seine Prophezeiung, denn
dii»sc »StrömuDgfüJirfe Frankreich den Revolutionen entgegen, deren
Keilie, wi<* CS sclifinl, njit Oanil»etüi's uu<l Paul Bert's Exi»erimen-
ten norli nirlif ilir Endr cneiclif liaf.
Von dio-em JStandjMiukte aus, und nicJit ideale Zustäude oder
die Verli.dtnisse ilos Auslandes, sondern die Verh'dtnisse unseres
Vaterlandes yor Augen, fragen wir: entspricht der L. Sgs.-Bche
Vorschlag wol diesen Bedingimgen?
Der Verfasser hat vollkommen Uecht, wenn er sich an die
Tradition hält und die Kirchenolierhäupter berufen hissen, respek-
tive dieselben «M'j'iliiztjii und iloit belassen will. Die Bisch<>fe haben
sinoh im cngiiseheii Ob('rhau>(' Sitz, bei (b'r Engherzigkeit .b-r engli-
«clieu Kirclie und lleligiun ijatiirlich nwv die Oberhiiupter d«^r an-
«^^h'kani sehen Kirche. Dieser TUeil de:» V orschlages braucht gar nicht
uäiier erörtert zu werden.
Da'is die ererbten Namen und Besitze das grösste Contiugeqt
des Oberhauses liefern, da^iu stimme ich nut dem Verfasser voll-
stllndig überein. In einer alten Monarchie, deren Existenz auf ihrer
hiatorisclien Ent wickluiig l»ei uiit, wilre es ein<* Ar( juditischer Un-
möglichkeit, duwS Oherhaii^ anders zu orgaiiisitn'en. Hei di- s^r Fiage
kann sich ein Meinungsunter>cliied nur auf die Modalitiitt-ii bezi<-
.heil. Uber diese Modalitäten hege ich nun andere Aiuiichteu. Da
wir unser Uberhaus nicht nach englischem Muster organidercii
können, weil unsere sozialen Zustande und Gebräuche ganz von
den englischen abweichen, die Klasse der ungarischen Magnaten
etwas ganz Anderes i^^t, als die englische Nobility, so würde ich es
nicht für zweckmässig halten,^ ei neu Theil des Oberhauses aus d«i
iilLesten Gliedern der Magnatenfaniilien zu bilden, — denn woriu
uuterscheidel sich das ültv.ste Glicil der Familie v<»n den übri-
gen dort, wo kein Majorat exi>tirt ? Es ist beispielsweise öfters der
Fall, dass der jüngere Zweig der Familie viel Termr>geuder ist als
der ältere, und dass das älteste Familienglied zu deu legislatori-
schen Funktionen eben am wenigsten taugt ; die l*heilnahme an
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' ZUR BB:'ORir DKt« UJ^O \RT ^CHEN OUIRni(BB>}. 795
deii Verhftndlungoii des Oberhauses kiuiii man ja nach moderuem
Rechte ^ar nicht als Pamilionoigenthtim betrachten, die« ist eine
staatliolu' l'iiiiktidii. die aus Zwockniiissigkeitsgründon niitt^^Ist des
Prinzipos i\ov Er1»lichkcit au jj^ewissc Familien gelmnilpii ist. Idi
glanl>e also, weuji wir die Rctorm dea Oberhauses leiclit und s hiiell
durchführen wollen, 8o sollen wir, sofern dies möglich ist, auf der
bestehenden Gruudlage bleüien ; laaseii wir jedem Gliede der Mag-
natenfamilien das Recht der Theilnahme im Oberhnnse, da wir das
Verfahren der englischen Nobility, nach welchem nur ein Glied
der Familie Rang und Titel führen und das damit verbundene Ver-
mögen sein eigen nennen kann, nicht einbürgern können, — binden
wir aber dieses U^^cht an gewiss«* v«'rniinttige und begründete Be-
dingungen, dureli die einstweilig solche ausgeschlossen werden, •
deren gesellsehaftliche Stellung und Beruf sich mit der Mitglied-
schaft des Oberhauses nicht vertragt Wer in irgend einer kleinen
Anstellung von 5 — 600 Gulden lebt, möge er anch den wohlklin-
gendsten historischen Namen haben nnd auch ein sclir ekrenwertlier
Mann sein, gehört doch nicht in das Oberhaus ; — mag sein, dass sein
Sohn ("arrirre macht und wieder hinein gelangen kann, Ins dahin
möge das Recht pansiren. Ich wünsche {\lso die Einführung eines
Cen-ius, nach welchem nur jener Magnat im Oberhanse Sitz und
Stimme hätte, der z. B. von liegendem IJesitze 3000 Gulden Steuer
zahlt Da ferner die Funktion des Oberhauses eiuf moderirende,
das Wirken des Unterhauses controllierende ist, gehört anch die
Jugend nicht dorthin, ich wOrde also für nöthig halten als zweite
Qualifikation das Alter aufzustellen, dass nümlich nnr jener Mag-
nat im OI)erhause eine gesetzgebende Rolle /.u spich n vermöge, der
wenigstens 'Ml Jnhre alt isl. Diese Bediiin;)ing ]iat zwei gute Seit«Mi:
nicht nur wUrden dadurch viele Elemente ausgeschlossen, die noch
nicht berufeo sind, im Oberlniuse zu wirken ; sondern Derjenige, der
lernen will nnd die edle Ambition besitzt, im Gemeinleben zn wir-
keu, wird anch streben ins Unterhaus zu gelangen, oder ein Amt
zn bekommen, so dass er, wenn er ins Oberhaus eintritt, in den
politischen Angelegenheiten schon bewandert sein würde.
Bei meiner Anflfassung entfallt somit die Nothwejidigkeit
der beiden anderen Kategorien von sell)st.
Bei Berücksichtigung unserer Gebräuche, unserer Vermö-
61*
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SUB EKFORM DBS UNOARI^CHtHf OinSRUAU.^S.
j^eiisv»»rliältiiis««' mwl dfr u \/A im ( )I «'iliaus»' «^niij^lMp n l'njxis.
«liiif»'» wir «Iii» Zahl der ( )berhauN)nitgliH<ler nicht zu sehr ein-
schränken, denu wenn wir die Titiilarl)i8chöff' nnt{ OhergeapSne
Ton dort ansschliessen, könnten wir leicht dahin gelangen, dass
das Oberhans selten beschlussfabig wäre und wohl gerade damal»
nicht, wenn wir es am meisten nöthig hatten^ oder es würde aoK
solchen Elemoiit»Mi zn8ammonges»*tzf werden, die zu unpassender
Zeit dem Tiaiul»' iinaii|^oii«'lnn»' Ul)orrasoliini<?t^ii l>«*nMt«»n köiiiif*»n.
Xa('li<l(Mii ich Ix'zib^licli «l»'r Ausscliliossiiug il<»r < )l)»»rt;f"*päue
und Titularhischöi'e mil «h r Auöassuiijf dt s geohrtjju Horni N'erras-
»er» ganz ein^mtanden l>in, rerstoht ««s sicli von sf^lhst, da^s i«"h
betreffs der zu ernennenden Pairs e)»enfalls seine Meinung iheile.
Alle jene Manner, die durch ausgebreitete Thätigkeit und grosse
VerdieuBte Zierden des Staates und der Gesellschaft sind, gehSien
in da« Oberhaus, ro wie dies auch in England jjeschieht. — ßrou-
gham und Macaulay, ^y\r auch die r'aniili»' Barinor, dir (irössen der
Finanzwclt, waren Mitglieder des ( ))>erlian<es. In England wnrd»'n
sie ftogieicli zu lel)enflläuglichen Peers ernaiiut, bei uuseren spezieU
len wirthschaftliehon Verhältnissen wäre dies nicht am Platze ; —
bei uns geht es nicht so leicht, ein grosses Vermögen ssu erwerben,
wie in üngland.. Und eine aristokratische Familie kann nur ein
solcher grOnden, der Vermögen besitzt
Noch zwei Fiag.Mi muss ich l>ernhren, in denen meine An-
sicht von der des Herrn Verfassers abweicht : die J^eschränlnni^f
der Zahl der Olierhausniitglieder und <lie Art der Einberut'nng. In
iler Monarchie, ja auch iu Staaten jeder andern U-egiernngstorin,
mnss die Krone, wenn man Itevolutionen oder wenigstens .sehr
ernsthai'ten Zusanunenstössen aus dem Wege gehen will, das Hecht
besitzen, das ünterhans aufzulösen oder durch neue Wahlen an
das Land zu appelUren; was soll sie aber thun, wenn solche Diffe-
renzen zwischen dem Ober- und Unterhause und der Krone selbst
entstehen? Das Oherhaus kann nicht anfgelöst werden, so würde
es alfrio die h/ichste Macht sein I Es nni<s daher irgend ein ("orre-
( tiv geben und dies kauu nichts Anderes sein, als die Verniehruu^
der Mitglieder : ohne dieses wird selbst das aus ernannten Mitglie-
dern bestehende Oberhaus zu einer oligarchischen Korporation Er-
niedrigt Die zweite Frage ist eine rein formale. Eben»o wie die
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ZVn RSPOBJE 1>BH UNOAfilSrHKH OmHAUSBS. 797
Uiiterhausmitglieder, wenn sie einmal gewählt sind, nicht noch
])eH(»ii(lei-s eingeladen werden, soiulerii ihr Mandat der Verifikation
wegtMi einreiclien, so lialte icii auch das für iiimöthig, dass die Mit-
glieder des Oberhauses noch hesondera einberufen werden. Das
Gesetz bestunmt es ; wer Mitglied des Oberhauses ist, der möge
also ersehemen und sich YOt derVerifikationskommissioD legitimie-
ren, — die Einbenifang ist ein mit vielen Umstanden veibonde-
ner feudaler Gebrauch.
Ich will jetzt nicht davon sprechen, was fUr Übergangsmass-
regeln im Falle der Creirung eines (iesetzen getroffen werden müss-
ten : da aber die Ubergangsperiode jedeiiialls von längerer Daner
sein wird, so wäre es ächou deshalb angezeigt, Krnst zu machen ;
denn es ist immer sicherer, den Kranken zn heilen, so lange uoeh
viele Chancen darauf hinweisen, dass derselbe heilbar ist
NachsduHfl. Ich halte es für eine erfreuliehe Erscheinung»
dass ebenso in der Presse wie in Privatkreisen der Gedankenaua-
tausch fiber die Reform des Oberhauses rege geworden ist. Ich
zweifle nicht daran, dass. wenn dieselbe auch in der Legislative auf
die Tagesordnung gelangt, hie einstweilen in einer durch beide
Häuser gewäiilten Landeskommission einer Debatte unterzogen
vrerden wird, in welcher dann jede einzelne Massregel besprochen
werden kann.
Ich habe schon oft gehört, dass die Keform des Oberhauses
den bisherigen Keformvorschlagen gegenüber eine schwere Frage
Hei Aber man löste auch noch schwerere Fragen, und auch diese
wird gelöst werden, wenn man sie nur angreift und auf der vor-
liaüdeiien Himn bleibt. Man sclilies.se jeden aus, der nicht zur Ober-
hansuiitgliedschart (juaüHzirt ist und mau nehme an Ötelle der aus-
geschlossenen neue, lebensfähige Elemente auf.
£s ist auch das gesagt worden, die 3000 Gulden i:^teuer, wie
ich in Vorschlag brachte, seien als Census zu vieL Was repräsen- «
tirt denn aber diese Summe? Ein Einkommen von 12 — 16,000 Gul-
den; wahrlich kein grosses Vermögen für einen Magnaten, der
Mitglied des Oberhauses sein will. Ks wurde auch behauptet, das-s
mein V orschlag /.war cinluch und luuktisch sei, aber den Naeh-
theil habe, dabä aus ciuci Familie viele in das Oberhaus ge-
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798 SUB BSFOKM DBS UVOABtSCblN i^SKÜHAU-BS.
langen köimeB. Aber das Oberhaas ist ja keine FauiUen-, eonden
eine Landesinstiintion, und . welch' ein Nachtheil entspringt denn
daraus, wenn auch mehrere gleichnamige Mitglieder im Oberhaose
sitzen, sobald sie die gehörig«- < Qualifikation besitzen ? Zwölf die
.das erforiV'rliolie Vermögen uiul c'me gesellschaftliche St^-l'ung
hesitzeu, sind jeilt'iilalls besser, als eiu A'., der gar keine i^ualiiüka-
tiou zur Mitgliedschult des Überiiauses hat
Auch jene Bemerkung liabe ich gelesen, weshalb ich nicht
auf <lie Fideicommlsse reflektiere und nach dem Beispiele L. B/Zs
uioht auch diese als Qualifikation aufstelle? Aber bei meinem Vor-
schlAge ist eine solche Qualifikaiaon überflüssig. Das Fideioommiss
hat in Unj^^arn gar keine his^torisohe Entwicklung, ist auch
keine Hasis d« s heutigen Oberhauses, und sichert aucli nicht die
Zukunft der Arist<»krati»'. Icli ha'ie es auch «Insliall» uns^t r Acht
gelassen, weil ja der Ih-itz» r des Fiileicommisses dinediei * )ber-
hausniitglied wird, wenn er ein Glied einer Magnateiifamiiie ist und
Ton liegendem Besitze ;tOOO dulden Stfuer zahlt.
Es gibt bei uns auch solche, die alle Geburtsreehte periior-
reszieren und damit die welthistorische Bedeutung derselben igno-
rieren ; die einen gewähltsn Senat wOnschen, mit der MoÜTinuig,
dass in turbulenten Zeiten das Obtrhaus ohnedem unfähig ist, die
Conflagrationen /u verhindern, — die couservative Bestiiuiuung des
Obt'rlüiust'S also gfrade damals, wenn es nüthig wäre, nicht zur
Geltung zu gelangen vermöge. Mein Gott, wenn der Ötaat in der
Auflösung bigriffen ist, dann können die Conflagrationen diu'chgar
keine Institution und gar kein Gesetz verhindert werden. Aber
Institutionen werden auch nicht wegen solcher Zeiten und Falle
geschaffen ; sie sind dazu da, um den Staat lebenskraftig zu erhal-
ten und RcTolutionen unmöglich zu machen.
Es wurde gesagt, dass ein Oberhaus nach meinem ^\^rschla^'e
so konservativ wäre, dass es jeden Fortschiitt hemmen würdp.
Auch dies ist ein gros er Irrtluim : das Interesse sämmtlicher Gros.—
grundbesitzer des Landes kann nie mit dt n Interessen des Landes
selbst einen Gegensatz bilden, und in einer solchen Corporation
herrscht immer genug Intelligenz, um einzusehen, dass die Welt
nicht stehen bleiben kann.
Am besten beweist dies das englische Beispiel; wenn daselbst
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die iieiklicliateu h'etoriii trage u leif gewi-rden sind, konnte dHxOboi-
Imus doch nie ihre Losung Terhindern, denn in solchen FilUeu
konnte die Regierung immer zum Gorrectiv greifen : zur £nien*
nnng neuer Oberliausmiiglieder.
Ein Oberbaus, das tbeils durch das Unterhaus, theils durch
sSmmtKehe Magnatenfamilien gewählt, theils durch die Krone er*
uaunt wird, würde luu li mciuer Ansicht alle aclilechten Ei^cnscliat-
ten des gt'wäliltcn SiMiatt s in sich vcreinigeji, alt*r kciiio der guten
besitzen. >'oh'lie Obt rhausmitglieder liätten v(»r Alh iu keine Se lbst-
ständigkeit, sie wiireu «»nitorisehe Maschinen einer aristokratischen
Clique und der Majorität des Unterhauses. Könnte ein solches
Oberhaus wohl genug Autorität nach unten uniü nach oben zu be-
ätzen ? Würde eine solche Yemichtung der Aristokratie nicht ge-
raden Weges zur Reaktion führen ?
Ohne also in meinen Vorschlag verliebt zn .sein, halte icli
(lensell>en doch fVir den rinraciist^'U und prakti.schesten, und s^lanbe,
das Gesetz könnte ungetiilir auf i'olgeude Weise, in nui" wenigen
Abschnitten, gesohaften werden :
1. ^litglioder des Oberhanses sind :
a) Die Erzbischöfe u^d Diöoesanbischöfe der katholischen
und griechisoh-orientalischen Kirche, sowie die Superintendenten
der protestantischen Kirchen ;
b) die Glieder des regierenden Hauses und die Reiehsbarone ;
sowie jene Mitglieder der MagnuteJilauiilien, die tlas IjO. Lebens'
jähr erreicht hal)en, von liegendem Besitze wenigstens 30(^0 Onl-
den Steuer zahlen und ihren ständigen Wohnsitz im Lande haben ;
r) solche, die durch 8e. Majestät in l'olge ihrer im öifentli-
eben Leben, oder auf dem (j-ebiete der Staatsökonomie, Wissen-
schaft und Kunst erworbenen Verdienste zeitlebens zu Obtrhaus-
mitgliedern ernannt worden sind.
2. Bei der Bmennung erblleher, sowie lebenslSngHeher Ober-
hausmitglieder ist Se. Majestät an keine Zahl gelnindfii.
^. Bei der Er''>llnuntf des Oberhauses verifizieren tlie lebeus-
länglichen Mitglieder den Census und diese Verifikation hat für
den betreffenden Ueichstagscyklus Giltigkeit.
4 In jeder andern Hinsicht wird bezüglich des Oberhauses
die gegenwärtige Praxis aufrechterhalten.
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hUO Dil JtOKNOJAHKK FRANZ KAKÖÜZVfi IL
£iu Oberhaus, das auf solcher Basis beruht, kann eine Zii-
ktixift haben, nur muBs man sieh hQien, die Aristokratie durch Ver-
leSrnng bareaukratischer und militärischer, Texmdgensloser Baro-
nate und Grafschaften licherlich zu machen. Man kehre enfweder
zn den alten Donationen oder zu den Dotationen Napoleons 1.
zurück. Titel olme Mittel, — das ist ein wnlirer Fluch lür da^. ludi-
viduuHi und für dru JStaat ; das ariatokratiacke Proletariat ist der
gefährlichste revolutionäre Faktor.
Es sei mir gestattet, meine Aoseinandersetisungen hinsichtlich
ihres Inhaltes und ihrer Form mit den Worten des Horas zn cha-
rakterisieren uud damit zugleich diese Studie zu schliessen : ,iioü
fumum ex i'ulgore, sed ex fumo luceni dare cogitut.^
Augost Tkbfobt.
DIE JUGENDJAHRE FEANZ RAKÖOZrS I[.
Die ungarische Gesehichtschreibung befindet sich gegenwär-
tig in jener Phase, wo sie die Akten und Ansichten Uber Ereignisse
und Persönlichkeiten der Vergangenheit der Reihe nach einer Retir
sion unterwerfen muss. Die Forschungen des letzten Jahrzehents
und die nnerniessliche Ausbeute, die sie in amtlichen uud privateu
Dokumenten, liriel'en, AutV.eiclmungen zn Tat^«- förderte, liahen den
Kreis der historischen Erkentniss bedeutenil erweitert und dieAiif-
iassuug ühar politiische IJegebenheiteu vergangener Jahrlinn dertxi
wesentlich modiiizirt. Selbst in den seltenen Fälleu, wo der Cie-
schichtechreiber auch früher Zutritt zum Aktenmaterial erbaltes
konnte, fehlte die Freiheit der Wissenschaft, die Möglichkeit einer
wirklichen £ritik und der auflichtigen Meinungsäusserung. Die
Gesehichtschreibung erhielt notwendigerweise einen — so zu sa-
gen — amtlichen Charakter und der Schriftsteller niusste nieist
seiner besf<eren l^berz»*ii}j,nug eutge^^en Mcn-ciu ji un«l f^reignisse
in dem Liclite «hirstfllt ii, das bei woUöldiclier (Jbrigkeit kein Miss-
lallen erregte. Ilievctii nnabhäiigig arlieitete die sageubilden de Kraft
des Volkes ; die liCgeude bemächtigte sieh einzelner grossen Namffli,
einzelner hervorragenden Gestalten, umwob sie mit dem Sonnen*
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BIK. JUGKNIMAHKK FKANZ RAKÖlZl'ö 11. 861
seheiii <ler Poesie, verkTupert« in ihnen die zeitweiligen Wünsclie
und Hotfnungen des Volkes, seine Freuden und Leiden, sah in
ihnen die Vorkämpfer seiner eigenen Bestrebimgen, nud schrieb
ihnen Ideale zu, die mit dem Geist der Zeit^ in welcher sie lebten
and wirkten, entschieden im Widerspruch standen. Die Legende
ißt gegen ihren Helden immer freigebiger als die Geschichte : siie
erhebt ihn zum Halbjrott und unigiebt all sein Thun nnd Lassen
mit dem Zuii])er der Poesie; wenn daher der ( Geschieht sdireiber
an eine legeudarisehe Gestalt iorseliend lierantritt, so nniss dieselbe
immer nur verlieren ; der Hal))L(ott wird w ieder Mensch, dessen
Persönlichkeit und Lebenslauf, Wollen und Können die Wissen-
schaft mit unparteilichem Emst beleuchten und würdigen wilL
Auch die Gestalt des Fflrsten Franz II. aus dem erlauchten
Hanse, der Rikdod lebte bis jetzt nur entstellt oder vergrössert
im Volksbewusstsein. In zwei Varianten stand er yor uns ; als ge-
föhrlicher Rebell und als nationaler Freiheitsheld. Die anitliehe
Geschichtschreibung stempelte ihn zum l»e))e]len, die Erinnerun-
gen und Legenden des Volkes erhoben iliii /,unv A})ostel der Frei-
heit. Auch sein Cliarakter})ild schwankte von der Parteien Hass
lind Glinst entstellt in der Geschichte. Die Machthaber, die das
Erbiheü des gefallenen Helden in Besitz nahmen, verfolgten durch
ihre dienstbaren Schriftsteller auch sein Andenken. Das durch
grosse nationale Erinnerungen an ihn geknüpfte Volk aber, das
mit deinem ergreifenden Schiksal Mitleid ftlhlte, das in ihm sein
eigenes Los betrauerte, schloss ihn pietätsvoll ins Herz, untl ver-
herrlichte in ihm den Märtyrer der nationalen Hestrebungcn. Der
modernen Geschichtschreibung gelang fs eiidlicli I rainz Iläkdc/i
und die Kreignisse, die sich an seinen Namen knüpieu, geschicht-
lich und menschlich unserer Erkeuntniss näher zu bringen, nnd
die grosse nationale Tragoedie sammt ihrem Helden im Lichte der
▼orurteilslosen Wahrheit darzustellen. Es ist dies in erster Reihe
das Verdienst Kolomau von Thaly's, der teils in ürkundeUf teils
in selbststandig aufgearbeiteten Werken, Uber diesen Zeitabschnitt
bereits eine ganze Hibliothek veröffenfli» ht hat, ilwn h welche eiiw
wirhtigr K]>isod(? der Vergangenlieit neu belebt und die (ie^^enwart
in den Stand gesetzt wird, sich ein richtiges Urteil zu bilden und
ihrem Heiden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die neuen Mit-
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802 i^W juaiNi'JAiiftB FRAirz xiii^ö« zi*.8 u..
t^ilungen maclien manchen unwahrem Ansichten fi ftherer Histori-
ker, aber auch den IJherschwihiglichkeif^n der Tiegeude ^iii Ende.
Und dies kanun Niemand bedaiurii; denn die Wahrheit gewinnt
dadurcli ; der AV^ahrheit zu dienen ist a])er die Hauptautgabe der
Geschichtschreibung uod die Wahrheit Uber die Vergiingeiüieit
zu erforschen die erste Pflicht späterer Gesclilechter.
. Ein hervorragendes Qaellenwerk für die Erkeutniss der ge-
schichtlichen Wahrheit ist auch das jüngst in neuer, rcTidirter Aus*
gäbe erschienene Buch Thaly's, das den Haupthelden derKnrutm*
l)ewegung, den Fürsten I'ran/, Kak«Iczi II. im er.-jten Abschnitt meines
Lebens, vom Jalire lt)70 bis zum Jahre 170], bi.s zu j« ner Zeit,
er die Bühne der gescliichtlicheu Action betritt, behandelt. Es macht
uns mit den ersten fQufiuidzwauzig Lebensjahren jenes Mannes be-
kannt, der später einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke
seines Volkes gewann, die höchsten Stufen der öffentlichen Gewi^H
erstiegf um dann, zum tiefen Schmerz seiner Landsleute, jählings in
den Abgnind zu stUrzen.
In dem vorliegenden Bande erfahren wir von dieser Periode
noch nichts, Xur da» Kind und der Jüngling Kakoczi tritt uns duriu
entgegen, der überaus reiche Fürstensohn, wie er sich entwickelt,
wie er sich Ijildet, zum Manne reift und endlicli unter dem unwi-
derstehlichen Drucke der Ereignisse auf das Feld der Thätigkeit
hinaustritt. Das Buch Thaly\s vereinigt mit vielen VorsQgen er-
hebliphe Gebrechen. Es glänzt durch die riesige Fülle neuer interes-
santer und wichtiger historischer Daten, die insgesammt Ergebnisse
seiner eigenen Untersuchungen sind, durch den Fleiss und die
Sorgfalt, mit welcher das Rohmaterial verarbeitet ist, durch die
lebendige und klare Darstellung. Docli auch diese Darstellung hat
ilire mannigfaltigen Mängel. Thaly vermag seineu Helden nicht
zur individuell charakterisirten Gestalt herauszubilden, «lern StoiT
kein Leben einzuflössen. Er liefert eine unermessliche Zahl wert-
Toller und wichtiger Details zur Kenntniss seines äussern Sohiok*
sals, seines Lebenslaufes, ohne jedoch die Daten kunstgerecht sn
yerarbeiteu. Den Genuss des Lesers stören die vielen Anmerkungen,
und noch mehr die in Anmerkungen gehörenden mas8enhaf)«ii
Zitate, die unsere Kentniss der Zeit zwar sämmtlich fördern, jedodi
eher anderswo verwertet werden könnten.
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DIB JCOBNJ'JAHKB FKA>Z UAKUtzfä 11.
m
Eiu ti'rnerer Fehler ist der überseliwüiigliche, bisweileu an-
widernd servile Tod, der das Buch durchwt lit und uuOir als einmal
an die oft Terspotieten Otfusiösen gemnluit, die auch die einfiMshsten
und kkinliehBten Lebensäusserungen forstlicher Persönlichkeiten
nur mit Worten der Anbetung und Vergötterung zu Terzeichnen
pflegen. Dieser Ton passt nicht in das ernste Geschiohtswerk, deim
der Historiker soll seine Helden ebensowenig durch die Brille mass-
lost n Entzürkins, wie einseitigen Hasses brtracliten, sie ebenso-
wenig gloritizieren, wie verleumden. Tliuly liiiuft ül)enill, wo ir
etwas von der Per-on Kakdczi's erwähnt, die devotesten Beiwörter
auf einander. Dieser Byzantinismus schliesst nicht nur eine ernste
£ritik aus, sondern führt naturgemass dahin, dass der Verfasser
seinen Helden zum politischen Götzen erhebt und ihn mit Aspi-
rationen unserer Zeit identifiziert. Er sagt es nicht, doch seine
ganze Temlcuz atmet den Glauben, dass das Ideal Rakuezi's in einer
unserer |mlitischen Parteien noch heute fortlebt. So wird sein Ibich
tendenziös und lässt den jungen Käkoczi weuiger im Lichte seiner
eigen» n, als in dem der modernen ungarischen Unabhängigkeits-
pnrtei erscheinen. Doch das Übertragen der Bestrebungen der Gegen-
wart auf die Vergangenheit, das Hineinlegen heutiger Tendenzen in
l&ngstgeschehene Dinge, der Versuch vor Jahrhunderten lebende Per- .
sonen zu Trägem modemer Ideen und ZeitstrÖmtingen zu machen,
vidersprieht nicht nur der historischen Wahrheit, sond«M-n macht
das Erfassen des Wesens früherer Zeiten und Ereignisse völlig un-
möglich. Trotz alledem muss es als ein Verdienst Thaly's anerkannt
werden, dass er die Möglichkeit bietet, den wirklichen Raköczi zu
6)rkennen. Denn nicht das ist das Wichtigste in seinem Werke, in
welcher Beleuchtung er uns die Gestalt I?tfkdczi*8 darstellt, sondern
welche tatsächliche Daten er uns liefert Thaly selbst steht ganz unter
dem Eindmck der nationalen Legende, unterwirft die angegebe-
nen Tiitsuchen keiner eingehenden Kritik und lUsst ihren psycho-
logischen Motiven nicht geh(>ri<i;e Würdigung zu Teil werden.
-Sonst müsste er selbst erkennen, dass zwi>chen dem Kakdezi der
Legende, und dem wirkliehen Raköczi ein ungeheurer Unterschied
besteht. Doch auf Grand der mitgeteilten Akten und Daten lassen
sich die Mängel der mehr von Begeisterung und Politik eingege-
benen Auflassung Thnly*s leicht fiberwachen und korrigiren.
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804 . bIB JCOIND/AIUS FBANZ BAXdCZl'S U.
W'w der tiiiitumlzwiiuzigjährige Fürst vor dem vorurteiU-
lo.sen Lestif erpcheiiit, wird er gewiss sein Mitgefühl und sein Inte-
resse erwecken. Das JSchick«al überhäufte ihn seit <ler frühen Kind-
heit mit schweren Schlägen. Er zählte kaum eiuige Monate, alstr
den Vater durch den Tod, kaum einige Jahre, als er die Mutter —
dureh ihre zweite Heirat — verlor. Seine Kindheit war freudlos
und ToU (Gefahren ; die Habgier erwachte schnell gegen den im-
mens reichen Knaben und trachtete den Verwaisten an bemubeo.
Sein Leben war mehrmals in Gefahr, denn die zweite Heirat seiner
Mutter wurde für ihn die <»|uelle unendlicher Leiden. Seine ersten
zwölf riehetisjahre vergingen unter kriegerischem Lärni und 1 u-
ruheu. Vou da kam er in die Einsamkeit des Klosters, wurde deu
Seinigeu eutiissen, mnsste seine Tage unter fremden Menschen anf
fremder Erde verleben. Seine Jahre vergingen in bitterer Einsam-
keit, nur den stillen Studien gewidmet Als er aus diesem Sjpcib,
der für ihn nur ein geräumigerer Kerker war, befreit wurde, gelaugte
er in die Nähe eines misstranischen Hofes und auf sein Vermögen
spekulirender Minister. Sugur verehelichen musste er sich iui^tehei-
men, gedungene Spione umlauerten ihn innnerfort und dasMi>s>trauf u
verbitterte seine Tage. In diesen Verhäitnisäen reifte das Kind zum
Jüngling und der Jüngling zum Manne heran. Er selbst ertrug die
lieimsuohungen mit voller Ergebung. Er war eine entschieden
aristokratische, auf seine Abstammung stolze, doch verschlossene
und mehr zur Gontemplation, als zur Aktion hinneigende Natur,
und schien kein anderes Verlangen zn hegen, als in glücklichem
I auiilienkreis«' zu bleiben, Künste und Wi.ssenschaften zu ptlegeii
und iil)erhiiu|tt ein Leben zu führen, wie andere Graud-Seigneur«
seiner Zeit. Er hielt sich v<)u aller Politik und von deu nationaleu
Bewegungen vollkommen fern, hatte keine lieziehungeu zu den
Missveignttgten, unterbrach sogar mit seiner in der Türkei leben-
den heissgeliebten Mutter jeden Verkehr, kleidete sich nach aus-
ländischer Mode und zwar absichtlich, um die einheimischen Un-
zufriedenen von sich fern zn halten. R^kdczi strebte überhau|»t
nicht danach, wie Thaly meint, ein Preiheitsheld oder im allge-
nieiiK'n ein Führer der nationaleu OpjioMition /.u werden; er wollte
kein»' l ahne entfalten, für politisch»; Ziele und Ideale nicht iii>
Feld ziehen. Und dass dieser ernste, in sich gekehrte, vou Schick-
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- rae JüdiNiUAHR R FR.Anz RÄKöczrs h. 80r»
sHlsfhliijioii imd <ler IVemdarfigt^ii Kr/i^'hung in seinem ganzen
Wesen beeinilusste Mann endlich doch mm Sdiwerte greifen
musste, das8 das auf ihm lastende Fatum ihn endlich trotz seines
Widerstandes mit sich riss, das ist seine grosse Tragoedie, die uns
Mitleid und Schmerz einfl5sst, ihn aber, sowie die mit ihm Ter-
knttpft^n Ereignisse, in einer neuen, von der bisherigen verse]»ie-
deneu B«'l<Miohtnng vor unsere Au<jeu treten liisst.
T?Hk(K'zi \v;ir k»^iiio kri<'L't'ris(. Ii«- Xatur. »t snclitf iiiclii ileii
/u.samiuonstos?, sondern wollte ihn vermeiden, bis ihn der umvi- •
derstehliche Drang mit sich t'ortriss und ihm das Schwert in die
Hand gab. Er zog es in erster lieihe nicht für nationale Ideale, er
2og es zur Selbstrerteidigung, zum Schutze seines Lebens und sei-
ner Existenz. Dies ist die wichtigste Lehre, die wir aus dem Buche
Thaly's schöpfen, wenn wir es vorurteilslos durchlesen. Er selbst
sieht dies zwar nicht, denn er snpponirt seinem Helden psycholo-
^isohe Motivr. dir der (legenwart entnoTuuu^n sind, und lii»>rin Itc-
Hii'Ui nu Avt'seutlieher Fehler seines liu(di<'s. Er sucht moderne
Prinzipien dort, wo nur Ideen des XVil. Jahrhunderts /u tindpii
üind. Der charakteristische Zul? jenes Jahrhunderts war der Kampf
des nach absoluter Macht strebenden Königtums mit den alten
'erbgesessenen Dynasten, mit den grossen Vasallen der Krone.
Dieser Kampf tobte damals überall, wenn auch mit verschiedenem
Ergebniss. In Frankreich erschuf er die Staatseinheit und gestal-
tete die Oligarchie zum Hofadel um ; Deutschland hingegen zerriss
er in Hunderte kleiner Fürstentümer, indem die Territorialherren
die ('entralniacht des Kaisers besiegten ; die ])oluisc]ie Monarchie
wurde durch ihn entkrältet. was später zur AuÜösuug des polni-
schen Staates führte. Diese Richtung, der Kampf des Königtums
mit den nationalen Adelsgeschlechtem, wütete auch in Ungarn.
Hier gewann er natürlich eine andere Gestalt ; er wurde durch lo-
kale Verhältnisse beeinflusst und durch speziell einheimische reli-
(^iöse und politische Interessen modifizirt und erweitert. Trotz
mancher Verschiedenheiten war es aber wesentlich derselbe Kani]>f.
der im XVlI. .1alirliu]i<lert alle Staaten durehfobte. In Ungarn
wurde der Kaiuj»f nocli koinpli/irter, iudiMu kein nationales KTuiig-
tum bestand, der Herrscher, — dem nationalen (iedaukenkreis ent-
zogen, dein EiiiHuss fremder Katgeber ausgesetzt — im Auslande
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806 Dil '(TORKDJAHU:: FR41fE R&KOOZr.S II.
residirU*, uiid hier- im Laudo mir seine Ireiuilfii »Söldlinge wuteteo.
Das in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch die Siege über
die Türken erstarkte Königtum war aber anch iu Ungarn nur feu
' denjenigen Tendenzen durchdrungen, die sich damals fiberall gel-
tend machten. Nur jener Adel erhielt Gnade Tor ihm, der, den Er*
iiiuerunf^<'ii (!•*>• \ t'rguugenli''i( i'iitsu^end. sicli in (Inn Dienst <W
Hofes st^'lltc. DiT dies niclit tat, wurde iinliarriilHTzii^ ausgerottet.
Das Priuzlp war grausamer, als die MeUHclieii, das Königtum uner-
* bittlicher, als der König. Auch Kaiser Tjeoj)old wollte Kakoczi nicht
nm jeden Preis «Yernichten. Er hätte ihn ja noch in seinen jungen
Jahren, ohne Aufsehen zu erregen, unschädlich machen können.
TiCopold und Riflcöczi wollten yielleicht gleichmasdg den Frieden,
wenigstens ging»m sie Jahre lang dem Kampfe aus dem Wege.
r>ie Prinzipien, (hV sie persouifizirten, machten den Ausgleirli nu-
möglich. Und im Lielito des XVIT. Jalirlninderts betraolit^t, war
dasjenige Prinzip moderu, das sich im Königtum verkörperte»
wahrend das Prinzip, das sich an die Person Kiiköcsi's knfipfte,
bereits damals für veraltet und überlebt galt
In den Rahmen des damaligen Königtums passten die riesige
Macht, der Reichtum, die Autorität und die Maohtf&lle nicht mehr,
die sich als Erbteil der Vergangenheit im Bet^ta eines einzeln«
Dyuastpu kon/.cntrirten. Hetrarliten wir die Stellung des Fürsten
Franz II. Raköczi. Au-^ser jenen BeBitziuig«'!!. anf weldie er eTen-
tuell einen Rechtsanspruch geltend maclien konnte, war er Herr
Ton 1.200,00«) □ Joch oder 120 ,1 Meilen (irundl)e8itz mit allen
darauf ruhenden politischen und herrschaftlichen Rechten. Ausser
seinen befestigten Schlössern bildeten sein Privateigentum eine
ganze Reihe wichtiger strategischer Orte, starke Festungen^ unter
ihnen Munk^cs, das damals für die mächtigste Festung des Landes
galt. Neben den Tmniohilien stand ihm ein immenses mobiles Ver-
mögen in Edelmetallen, Gewehr- ii, Kanom'U, Rüstzeug etc zur
VerlüguMg. An den Namen d«'s Inhabers dieses unermesslichen
Vermögens knüi)ften sinh die ruhmvollsten Erinnerungen. Sein
Vater war gewühlter Fürst von Siebenbürgen; von seinem Gros«-
▼ater und der Familie seiner Grossmuiter (der bereits ausgestorbe-
nen Familie der Batbori*s) erbte er noch glänzendere Überlieieran-
gen ; der Eine scbloss den Wiener Frieden und alle erwarben ibm
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ras JVQVKDJAHItB WEk'Ht RÄ«6GSI^ö II. 807
Ruhm und ihre MacbtdteHu ig im Ksimpfe g(*geu deii Köuig;8ie
übten königliche Rechte, genossen königliehe Autorität, schlössen
Bündnisse mit den ersten Fürsten des Auslandes und waren mit
ihnen verwandf . Der Mann, rlcr iliese Überlieferungen und mit ihnen
(h'n i"öiui->iL-li-(lt'iii scli^Mi lioic'lisdirsioniitcl rrhi«'. uar kein«' mhni-
HÜclitigo Natur, hoch seine Mutter war die Vrnn <!< s ,Knnit/on-
küüigs*' liimench Tiiököly, und h'hte auf türkischem Boden l>ei
ihrem Manne, der ein Verbündeter der Türken and ein Fülirer der,
atitidynastischen Bewegung iu Ungarn war.
Unter solchen Umständen mosste die riesige Macht Rriko-
ezi*s trotz seiner guten Absichten das Mi.9trunen des Königtums
erwecken. Bin so mächtiger Oligarch passte überhaupt nicht mehr
iu den liahnien de-t Staates <les XV]I. Jahrlnuiderts. Früher oder
später mussteu die j)riiizi}»iellen Gegensätze anl' einander platzen.
Dies geschah auch, dodi maclit uns das Thaly'sche Buch nur mit
der Vorgeschichte «h's Kampfes bekannt, der später einen so tief-
ersehüttemden Verlauf nuhm.
Franz IJ. lUköczi wurde am 27 März 1676 in Borsi, einem
Gute seiner Familie, geboren. Sein Vater war Franz 1., gewählter
Fürst von Siebenbürgen, seine Mutter Helene Zrinyi, die Tochter
des hin<jericliteten Graten l'eter Zrinvi. frühem Banus tod Kroa-
tieu. Das Schicksal vertolgte das Kind von d^r iStunde seiner ( iehurl
an. Er kannte nie sein<'n Vater, der drei Monate ua-^h der rTel)urt
des heisserselmteu Erben schon am 8. Juli 167(5 starb. Als ob der
Sterbende auf dem Krankenbette bereits die neue Strömung der Zeit
verspürte, als ob er seinem einzigen Sohne eiue neue Kicbtang
vorzeichnen wollte, empfahl er den Sangling, sammt dessen älterer
Schwester Julie, in den ^^besonderen Schntz' des Kaiser-Königs
Leopold. Thaly meint, dass der Sterbende damit die Waisen gegen
«die etwaige Hache" des Kaisers sehn zen wollte. Nichts rechtfer-
tigt diese Auffassung. Psychologiscli ist d esellje üherliaupt nieht
verständlich. Gegen die Küche konnte eine solche Empfehlung
keinen Schutz gewähren, viel eher kann angenommen werden, dass
der liebende Vater den Frieden zwischen seinen Kindern und dem
Kaiser anbahnen wollte. Ein Rat, eine Warnung wollte es sein,
An die eigne Familie gerichtet, dass sie Frieden halten möge mit
ihrem König. In Wien beanspruchte man auf Grund dieser Empfeh-
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«0« IHR JITHKNlUAffftE PRAKZ RiKAcnsl*» II.
]niiLj «Ii»' V(>rmuii(l>fli;irt üIht «Ii»- Waisoii t'iir (Ihm KaisfT-Köui^r
()l)/.W}ir man diospii Aiispriicli l)ald lallen liess, sieht Thaly darin
eine Verfolgung der Kinder von Seite des Hofes ; mit Unrecht. Die
Erfahrung bewies, dass für die Interessen der Kinder die VormiiDd*
Schaft» des HerrscherR entschieden Torfcheilhafter gewesen wäre,
als die ihrer Mutter, Helene Zrinyi. Die jnnge Wittwe hegann wk
schon zwei Jahre nach dem Tode ihres Gatten für den ^Knratseii*
Konig,* den zwanzigjährigen Grafen Emerich Thököly. zn intens^
«iren, und nach weiteren zwei Jahren verraShlte sie sich mit ihm.
I^as war der /wt'ite, wahrliaft schmer/.li«'li«^ und in seinen Konse-
quenzen entst'li«'id»'iide Sclilat^r f(ir Waisenkinder. Dadurch wur-
den ihr \ ermügeu, ihre iiesitzungeu, sogar ilire eigene Persou,
ohne ihr Wissen und Wollen, in die Gefahren des Krieges, in die
Thököly'sche Bewegung und in deren Katastrofe mit Terwiekeli
Helene Zrinyi konnte keinen TerhängnissToUeren Schritt thun, als
der war, dass sie ihre Hand dem Kurutzenkdnig reichte. Das
Schicksal zweier grossen und glänzenden Familie wurde dadurch
besiegelt. Ohne diese Heirat hätte vielleicht unsere ganze «lanialige
(Teschiclit«' »Muc amlere liichhmg erhalten. Thököly verliess, vorn
lleichthuui der jungen Wittwe angezogen, seine siebenbiirgische
Braut, eine Teleki'sche Tochter, durch deren Heirat er wahrschein-
lich später, wie Teleki selbst, die ohnmächtige türkische Allianz
verlassen und sich mit dem Wiener Hof yersöhnt hatte. Und - auch
die Schicksale des Hauses Raktfczi hätten gewiss eine andere Wen-
dung genommen, wenn Helene Zrinyi ihren Wittwenschleier behält
oder wenigstens nicht mit dem Alliirten der- Türken einen Heirats-
btmd schliesst. Franz Hsikdczi selbst, als er nach Dezeunien diesen
verliiinguissvollen Schritt herührt. kann, trotz seiner heissen Liehe
und V erelirung für seine Mutter, die schmerzliche Bemerkung niclit
' unterdrücken: Grosse Seelen unterjocht die Macht der Liebe ebeuho,
wie die gewöhnlichen !
Das sagt er von seiner Mutter, die er anbetet, deren Seelen-
grösse ihn ebenso ergreift, wie ihr späteres Martyrium. Was er
aber Ton seinem Stiefvater sagt, ist voller Bitterkeit, Unwillen un4
heftigem Tadel. IWcöen ffthlt es nach Dezennien, dass die Verkofl-
pfnng seiner Schicksale mit dem Drama Thököly's die Haupt-
ursaelie seines eigenen Falles war. Er erzälilt in seinen Memoiren.
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da88 leine Mutter kons Tur ihrer zw«it«u Heint eineii Traum hatte,
wonach sich eine Schlange in ihr Schla&immer ' einschlich, und
ihre ewei Kinder ermorden wollte. Vor Schrecken erwachte sie :
auf ihre Rute kam dio Dieiieiscluift iierbei, siiclite die Schlani]re,
(loch fand aicli nichts vor. Xaoh iiiclit lang»?r Zeit — sclireibt
Räkdczi — hat raeine Mutter die Öchlauge wirklich iij ihr Bett
aufgenommen: in der Person meines StiefTaters Emerich Thökdiy.
Rakdczi hatte Ursache zu dieser bitteren Bemerkung. Nicht nfir
sein £rbe wurde in die traurig endende Bewegung einbezogen,
auch seine Person wurde unerhörten Gefahren ausgesetzt. Sein
Stiefvater entriss ihn seiner Mutter, schleppte ihn mit sich in das
TjÄger nnd setzte den kindlichen Knaben allen möglichen Unbilden
des Krieores ans, als ol> er ihn al»sii-litlicli dem frühen Tod»' ))reis-
t^el)en wollte. Ein mal ♦'utgieni^ er nur zufällig dem sicheren Tod*».
Ein treuer Diener rettete sein Leben, l ud da ihn der Zufall nicht
tödten wollte, verschwor man sich förmlich gegen sein Leben;
man wollte ihn vergiften. Auch dies gelang nicht Wessen Hand
bei allen diesen Anschlägen thätig war, das zu eruiren, fehlen posi-
tiTe Daten. Auch Thaly konnte diese Frage nicht lösen. Er war am
wenigsten berufen dazu, da er aus politischen Rücksichten Thökölv
nm jeden Preis weiss waschen will. Aber dem widersprechen die
späteren Ausfälle Räkdczi's g'^gen seinen Stiefvater, '^owie die
Thatsache, dass nur Thököly aus dem Tode des Kimles wirklichen
und gros.^en Vortheil erhoffen konnte. Denjenigen, auf die Thaly
den Verdacht zu lenken sucht, hätte der Tod des Knaben kaum
nutebringend sein können. Übrigens, wen immer dieser teuflische
Plan zum Urheber haben mag, soyiel steht fest, dass die Kurutzen
gegen den jvingen Räkdczi auch keine wohlwollenderen Gesinnun-
gen hogteu, als später einig<' Minister in Wien. Die auf seine Plttn-
dernng gerichteten Anschläge wurden nicht, wie 'llialy njeint, vom
politischen Has-< eingegeben. Die krasse Selbstsucht, die TIaligier
allein wirkte hier, und diese war bei Kurutzen und Labanzen. Ix-i
Aufständischen und Kaiserlichen in gleicher Weise tätig. Der
grosse Reichtu'u des Kindes erregte die Habsucht ebenso bei sei-
nen Landslenten, wie bei den Ministem des Kaisers. In solchen
Dingen kann nur die Voreingenommenheit politische Motive suchen.
Doch wollte man in Wien lUköczi wenigstens nicht ermorden,
UngArlMlie B«Tne. KMS. X. Heft. 52
I
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8t0 ^ mi JÜOKIIDIAIISB PE4IIS ftiKÖGErS U.
während seine Konipatrio(<en, die Kiiriftsen, nm edcli seines Ver-
mögens 211 beinaclitigeij, auch vor einem Verbrechen nicht snrSck-
schraken.
Mit «lern iiiissluiig»MH'ii Vergittuug.sver.sucli nahmen »iie An-
schläge gegen «las Kiiid noch immer in'eht ilir Kn«h'. Als im
.Schicksal des Kurutzeuköuigs die . allersehlimmst^? Wendling ein-
trat, ei* wirk fe er von seiner Fraa die Erlau! »niss, ihren zelmjähri-
gen Sohn als (veisel zu den Tttrken nach Urosswardein und dann
nach Konstantinopel senden zu dfirfen. Die arme Fran willigte
nach langem Widerstreben in den schrecklichen Plan, der das Kind
ihr und dem Vaterlande vielleicht auf immer entrissen haben wGrde.
Thaly wngt irgendwo die Bemerkung, duss es ihm\ jungen Käkoczi
in Koii.stanl inopel hesser ergangen sein wurde, als später in NVii-
liHus in Höiuueii. Kine sidclK' Jiemerkun«; kann nur der idiudesten
politischen J'arfeileideuschaft entstammen. Was aus dem Manne
iiaköczi in der Türkei geworden, wissen wir ans den Berichten
seines Getreuen, Klemens Mikes. Was dort aus dem Kinde gewor-
den wäre, können wir aus einzelnen ähnlichen Episoden der tür-
kischen Geschichte ermessen, üb rigeus hat die Matterliebe ihr Kind
Tor diesem harten Schicksal bewahrt. Scfion war das Gesinde zum
Aufhrueh bereit, schon stand das IM'erd de>! Knjiben tresatt^lt im
Hof, als die Mntter im Augenlilicke des Ai'schiedes erklärte,
könne sich von ihrem vSuhne nicht treuneu. Der Junge blieb in
Munkto ; inzwischen gelaugten alle seine Familien-Festungen und
Besitzungen, — obzwar er selbst mit Niemandem Kiieg tTdirte, —
der Reihe nach in die Hände der Kaiserlichen. Nur Munkacs blieb
ihm noch, aber auch diese Festung wurde bald belagert Drei Bela-
gerungen folgten einander in kurzer Zeit ; seine Mutter leitete den
Widerstand warhaft heroisch. Er selbst machte alle drei Belage-
rungen mit. Endlich musste man ka})ituliren. Das geschah im
Beginn des .Tahres IHRH. Die Kajtitulation gewährleistete den Ka-
k<5czi*schen Waisen die Uückerstattung aller ilirer Güter, sowie
ihres mobilen Vermögens, doch waren sie verpflichtet, sammt
ihrer Mutter ständig in Wien zu wohnen, und unter die Obeiror-
mnndschaft des Kaisers gestelli
Die Familie kam am 17. März 1688, am zwölften Geburtstag
des jungen Räköczi, in Wien an. Somit begann fChr ihn ein nener
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um JiTaBKuJAHBE fkanz KAK6rzi*ri n.
811
Lt'lit'iisabsclniitt. Viel«' Leidrii. viele melir otler niiiuler ciupfindliche
Hchiiier/eii trafen ilni. diicli wie »liusler anch'l'lialy die Hreigiji.sse die-
ser Zeit darstellt, wie .schonungslos er auch den Hof und neine Mi-
nister verurteilt, seine Auffassuhg ist parteiiseli und durch die Tat-
saclieii nickt gerechtfertigt. Die zweiten swöh' Lebennjahre Franz
IL Raköczi's, die gr5s8ten Theils aoaerhalb seines Vaterlandes Ter-
flössen, naliraen einen viel ruhigem, stillem, sogar glücklichern
Verlauf, als die ersten zwölf Jahre, die er in seinen Familien-
schlössern und hei den Kurutzeu verbrachte. Wenn man gerecht
sein nill. nuiss man dies entschieden anerkennen. Mancherlei Er-
jiiedrigiinoj, Schmerz und Trül)sal niusste der Jüngling in dertVem-
den, misstvauischeii Welt ertragen ; auch hier wollte man ihn •
]>1 lindern, dies ist wahr, und gar Viele mästeten sich an seinem
Keichtnm, was übrigens* auch irüher geschah. Aber während man
früher den Knaben geflissentlich dem Tode aussetzte, gegen seiu
Leben Anschläge schmiedete und ihn in die türkische Gefangen-
schaft senden wollte, geschah jetzt mit dem .Tüngling nichts der-
gleiclien. Seiue zweiten zwöli' Lehensjahre hlieben von alldem
\ erscliitnt.
Kaiser Leopold eruauule den (ilrafeu Leopold Kollonics, Kar-
dinal-Erzbischot' von W^ien, zum Vormund der Käkoczi'schen Kin-
der. Der Kardinal, später Erzbinchof von Gran, hat iu der Ge-
schichte Ungarns ein trauriges Andenken hinterlassen. Doch gcg^n
die Räköczi- Waisen war er keinesfalls so unmenschlich, wie einst
ThökÖly, nnd ▼ielleicht auch gar nicht Si > gra u^am, wie Thaly ihn dar-
stellt. Wenigstens konnte er keinen einzigen seiner schrecklichen
Plän»' verwirkliihen. l-]r war ein ianatisi-her, gehlgieriger, roher
Men.M'h und die Waisen l»ekamen die« auch zu fühlen, i )och der K ais»*r
selbst war gegen hiie nicht feindlich gesinnt. Dies beweist am bebten
die Tat-ache, dass alle Maehinatif»nen des alhnäehtigen Vormunds
und Kardinals gegen die beiden Waisen glücklich vereitelt werden
konnten. Der Vormund trennte die Geschwister auf brutale Weise
TOD ihrer Mutter und dann von einander. Julie kam in das Ursnli-
nerinnenstift in Wien, Franz wurde zu den Jesniten nach Neuhans in
Böhmen gi'scliickt. Uoiii zog Helont' Zrinyi bald gleieiit'alls zu
ihrer 'i'ochter in das Kh)ster und konjitc ihre Erziehung dort
selbst leiten. Kollonics war nicht iui »Stande dies zu verltindern,
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812 MB JOOisjlDJAIIBR FRANS RÄKÖOZI^}< H.
ffbgldcli dH durch voraussiclitlieh Htieli »ein geheimer Pl»n in die
Brüche ging« wonach Julie Nonne, Frans aber Jesuit werden, und
ihr ganzes Yerniögen dann in den Besitz der Kirehe. re^pectire
des JeHuitenordeiiH gelangen »ollte. Das MSdohen blieb so hinge
bei .M«'in«M' Miitfer, his »«s hoiratpt«'. J):is allein l»eweist genügend,
dass der Hof und iiis]>f'sniid<'r»« d»'r Kaisci- den IJjtkofzi'sclu'U W ai-
sen nicht ab«nluf feindlich «gesinnt war, wi<' 'riialy .luiiiiniut. \\ eiin
er auf»scli1ipssli<'h v<»n Uass und Mi.*»« wollen geleitet worden wäre,
wie leieht hätte er alle seine angeblichen feindlichen Absichten
ausfnhren können, wie leieht wäre es ihm gewesen« die Kinder uw
dem Wege zu mameu, oder wenigstens die Pläne EoUouics* zu yer-
wirklieben, sie in einen geistlichen Orden zn Rteeken und damit f&r
immer iinschSdlicli zu niaclienV Er tat jenes iiiclit, und vtrhindexie
sogar die Verwirkliclning d<u- Tlän«', di»' Kollonics ans Privatinte-
resse liegte. Die Kakoczi'selicii Waisen leiden unter dem Seliut/.*'
des HotV's viel ruhiger und sicherer, aln in der Mitte ihrer Lands-
leute, der Kurntssen.
Franz warde zwar von seiner Mutter getrennt und die Tren-
nung erfüllte den zwölQährigeu Knaben mit tiefem Schmerz, den
er selbst nach Dezennien in tranrigen Erinnerungen wiederem-
ptindet; er erkennt aber an, dass man mit ibm human, seinem
Range entsprefdif nd uiuging. In Xeulmus, in dt^r damals IwMiilmiU n
Erziehuugs-Austalt der Jesuiten, verl)rachte der Knalje iu Gesell-
schaft vieler junger {Sprossen aristokratischer Familien, welche der
damaligen Sitte gemäss dort erzogen wurden, drei lange Jahre.
Seine Lehrer und Mitschüler liebten den schönen, rahigen, in sieh
gekehrten, tief religiösen nnd sehr fleissigen Jungen. Zum Beginn
des Schuljahres 1690/1 wurde er auf die Universität nach Prag ge-
schickt, wo er bis 1692 blieb. Über diese wichtigen Jahre, die. wi<»
Tlialy l>enierkt, auf das Wesen Hakdczi's einen unausir>sclilioiieii
EinHuss übten, bringt s»-in Bueli ziendieli nian«^<'lliat(p Mittlieilun-
gen. Es liesse si<di vielleiclit in irgend einem Archi? der .Jesuiten
oder in den Akt^n der Prager Universität noch manches Interes-
sante über die Studien des J&nglings linden. Aus dem Buche er-
fahren wir hier&ber im allgemeinen nur so viel, dass er fleissig
studhrte nnd speziell die Naturwissenschaften ]^flegte, in welchen
er reiche Kentnisse erwarb.
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Dil JVGBNDJAHKK FBAllZ BiK<k:^*t> tl. 8t 3
Wahrend der Jttiigliug, aljgewjWosflen von der Welt, in Prag
lebte, trat in seiner Familie ein wichtiges Ereiguiss ein, vielleicht
(las eiuziffe erfreuliche seit seiner Oelmrt. »^eine Schwester, die inii
eiuige Jahre ältere Julie, wuchs iui Wiener ürsuliuenuenstift unter
iler Aufsicht ihrer Mutter zur blühenden Jungfrau herau, deren
Schönheit nnd Beichtum viele Freier heranzog. Von den Vielen •
wählte ihr ihre Mutter den Grafen Ferdinand Gebert Aspremont-
Reckheim zum €remal und die Wahl bew&hrle sich aUi eine sehr
glüeklicfbe. Der Graf war ein Sprosse eines alten deutschen Fflrsten-
lianses und damals kaiserlicher Feldniarschall-Lieutenant. Seine
Trauung mit der Fürstin Julie liäki)c/-i fand am 24. Juni 16*J1 statt.
Den feierlichen Akt Vollzug man im Ueheimen und sogar die Ursu-
liuerinen wussten nichts davon, denn Kollonic« als Vormund, der
das Mädchen noch immer Nonne werden lassen wollte, würde seine *
Zustimmung verweigert und die Heirat vereitelt haben. Die Vor-
bereitungen wurden daher im Stillen gemacht; man benutzte die
Zdt, als der Kardinal in Rom war, und nach der Trauung entftthr|e
der junge Ehemann ohne Umstände seine schöne junge Frau aus
dem Kloster. KoUonics war nach seiner Kückkehr sehr erbost und
verlolgti' eine Zeit lang das jung«* Paar. Docli die cintlnssreichen
Verwandten des < »rafeu vereitelten alle seine Intriguen und Imld
wurde die Heirat auch vom Kaiser Leopold gutgeheissen.
Im (irrafen Aspremont erhielt das Haus liaköczi nicht nur
ein tüchtiges, edle» Mitglied, soudem auch einen Mann, dessen ver-
wandschaftliche Gonnexionen gewichtigen Einfluss bei Hofe ttbten.
Seine erste Tat war, vom Kaiser die Erlaubniss zu erwirken, dass
Franz von Prag nach Wien kommen dürfe. Kollonies konnte dies
nicht verllindern. Als der Kardinal beim Hof nichts ausrichten
konnte, n idlte er den jungen Kakoczi umgarnen, um ihn mit sei-
ner iSchwester uuil ilircm Gemal zu verfeinden. Auch dies misslang.
Franz kam im »Sommer des Jahres lt>l>2 in Wien au. Er zählte
erst sechzehn Jahre, doch sah der stattliche Jüngling etwas älter
ans. Durch seineu Schwager, der auf grossem Fusse lebte, gelaugte
er in die höchsten Kreise der Kaiserstadt. Der Kaiser benahm sich
gegen ihn gnädig, gestattete ihm standig in Wien zu bleiben, be-
freite ihn von der Vormundschaft des habgierigen KoUonics und
ernannte, auf Vorschlag der Familie, den (rrafeu Adam Üatthauyi
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814
DIE jWshdjabkk ntiMZ RiKdosf a n.-
— eiiieii älteren, ulier inui|jft n l'reiiiid des jungen J rauz — zum
Oberinspektor aller seiner Ctüter, Durch diese Tat war f ür die Ka-
- köczi- Waisen das EigentumsrerKt und der Genuss aller ihrer Göter
voUkoxnmen siehergestellt und die habsüchtigen Intrigaen Kollo-
nic8*8 fttr immer vereitelt.
Acht-neuu Monate yerbrachte der junge Franz im Palais
Aspremont mit aristokratischen Verguügimgen nnd Genfissen. Er
wurde in die damals niodisclien Iliizardspiele eingeweiht und in
das Herz des träninerisehen .liiiijj^lings schlich sich auch die er?ite
Liebe ein, die jedoch nur eine platonische Erregung blieb. Er
schwärmte für eine verheiratete Frau, ohne ihr je seine Gefühle zu
bekennen, die sogar lange nach seiner Verheiratung- in seinem Her- .
sen fort lebten. Er war kein Weiberheld im gewöhnlichen Sinne
des Wortes. Der schwärmerische, hochdenkende junge Mann kannte
die Liebe nur in ihrer edelsten Gestalt. Sein Schwager riet ihm
Hchott damals, sich zn verheiraten. Va' wollte ihn mit einer Prinzes-
sin von Hessfn-DariustHdt vermiilen. Die Prinzessin Madeleine, die
er nur nach ihrem Portrait kannt«'. gefiel dem jungen Käkoczi wohl,
ihr Vater williirte ein und die jungen Leute wurden mit e nander
versprochen. Djiss es dessenungeachtet nicht zur Hochzeit kam,
daran ist ein Hofintrigue schuld. Die Prinzessin Madeleine war
nahe verwandt mit der Kaiserin Eleonore, die, wie Thaly meint
aus politischen Gründen mit den IUkoczi*s nicht in Verwandscbaft
geraten wollte. Kaiser Leopold schickte, um die Heirat zu vereiteln,
den jungen Mann, den Uewohnlu'iten «Inr daniali^»'n Zeit eiitspre-
tlieiid, aufweisen und zwar nach Ifali<»ii. Ein Bruder seines Sehwu-
gers begleitete den Fürsten, der unter dem Namen «Maron a Bors-
heim** (ein Titel seiius 8chwager.s) reiste. Im April 1693 verliess
er Wien, besuchte Venedig, Padua, Ferrara, Bologna, verlebte vier
Monate in Florenz, ging dann nach Genua, Mailand, Turin nnd
verbrachte den Winter in Rom. Er wurde vom Papste Tnnozena.
XII. empfangen, besuchte viel die Bildergallerien, Bibliotheken und
Saiiinilungeu, wo er s''inen Kuii.st.sinii t'ntwickflte : stndirte auch
viel und nalim in den 'leschirbts- und mathematischen Wissenschaf-
ten, für die er eine grosse Vorliebe hegte, von ausgezeichneten
Fachmännern Privat-Unterricht. Anfangs 1694 war er in Neapel,
besichtigte die blaue Grotte von Cupri, erstieg den Vesuv und
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lilb JUGKMiJAUKK i-lCANZ KÄKÖCZl'.S II.
bl5 ^
kehrte daun nach Rom zurück, wo seine reiue frendigtmnd eine trau-
rige Nachricht wartete. Sein Schwager teilte ihm mit, daiis seine Frau '
glücklich eines Knaben genesen, und dass Prinzessin Madeleine
— die Verlobte Bäköczi*s — gestorben sei Die letztere Nachricht ^
war unwahr. Sie wurde Yom Hof erfänden, um die Heirat zu ver-
eiteln. Rakdczi erhielt die Naeliricht, dass «eine Braut, die Prin-
zessin liiu wieder, dass ihr I Bräutigam gestorben sei. Beide Teile er- ^
fuhren erst nach langer Zeit, wie schändlich sie irre geführt wur-
den. Die Heirat war aber für immer vereitelt
Rakdczi eilte nach Wien zur&ck. Hier erwartete ihn eine an-
genehme Überraschung ; sein Schwager hatte Tom Kaiser Leopold
die Grossjfihrigkeits-Erkl&rung des 18-jährigen Rakdczi erhalten.
Er wurde dadurch Herr seines Vermögens und konnte nach sechs-
jähriger Abwesenheit im März 1^94 seine Familienguter wieder-
sehen und in Besitz nehmen. Auch wurde er als Erbobergespan im
Komitat Saros installirt, richtete sich seinem Hange und seinem Ver-
mögen gemäss einen Hnfstaat ein, führte die Teilung der Erbschaft
mit seiner Schwester durch, war bestrebt die Lage seiner Bauern
zu Terbessem und wurde in alldem vom Hof nicht im mindesten
behindert Man liess ihn beobachten, umgab ihn mit Spionen, was
in der Natur des Verhältnisseii lag, beschi^nkte ihn aber im Übri-
gen ganz und gur niclit. Man willigte auch darein, dass Uäkdczi,
als er im Sommer nach Wien zuriickkelirte, mit s«'iiHMii Schwager
an den Rhein iu das kaiserliche Lager gehe, um seine militiirischen
Kenntnisse zu TervoUstäudigeu. Diesen Zweck gab Rakdczi au,
doch war er nur ein Yorwaud. In Wirklichkeit trat er die Reise
deshalb aä, um sich mit der Prinzessin Charlotte-Amalie von Hes-
sen-Rheiufels zu vermälen. Da zu befürchten war, dass der Hof
auch diese Heirat vereiteln werde, wurde diese Angelegenheit im
(Teheiuu ii VDrbcrcitet, und die Trauung fand iu Köln am 26. Sept.
11)91 in aller Stille statt. Thaly teilt den am 24. Sept. geschlosse-
nen und ]>isher nicht verööentlichteu Ehekontrakt mit Fürst Karl,
der Vater der Braut, giebt seiner Tochter 20,000 rh. Gulden Mitgift,
während der Bräutigam eine Morgengabe von 100,000 Thalem
verschreibt, welche Summe auf seine Güter intabulirt wird. Er giebt
seiner Braut einen Rubinsehmnck im Werte von 10,000 Thalem
und vcrptiichtet sieh, sie sammt ihrem Hofstaat, der auf SO Personen
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biÖ l'IK Jl'(il NJ>JAHJ(K kKASZ l^ÄKi^UZl's IL
und liO Pieril»' festgesetzt wird, shindesigemäsH zu erhalten, und ihr
jährlich 2000 Thaler Stecknadelgeld zu geben, in allen eyentatell
entstehenden Erbschaftspiosessen iat das ungarische Gesetc kom-
petent Dies sind die wesentlichsten Bestimmungen des Eherer-
trages.
Die Trauung laud. wie erwuhüt, im Stilleu statt, wurde aber,
nacli Sitte turstliflier Häu>er, umso feierlicher allen (]»^ut.'>eheii Fiir-
ätenhöfen au gezeigt. Die offizielle Nachrieht machte in zwei Stfid-
ten grosses Aufsehen : in Darmstadt und in Wien. Dort erfuhr man
erst jetzt, dass der todtgeglaubte Käkdczi lebt, und s^ine gewesene
Braut machte dem vermeintlich treulosen Bräutigam briefliek bit-
tere VorwOrfe. In Wien hingegen war num darttber au^ebrmdii
dass Riköczi ohne Wissen des Hofes geheiratet hatte. Nach soner
Rückkehr bekam er auch Zimuierarrest, aus dem er jedoch ▼on
seinen Fn undcn schnell befreit wurde, und die Sache hatte über-
haupt keine Nveitereu Folgen, woraus abermals hervorgeht, dass der
Hof nicht um jeden Preis mit Eaköczi anbinde u wollte, wie Thalj
im Allgemeinen anninmit
. Das junge Par Terbraohte die nächstfolgenden Jahre in Wien
oder auf seinen ungarischen Besitzungen. Die ^rste Wintersaisou
verlebte es in den höchsten Gesellschaften der Kaiserstadi BakfSesi
kannte das Misstrauen, womit man ihn verfolgte, und bewies die
äusscrste Zurückluiltung in allen lit^'entlichen Angelegenheiten.
Dass seiner eine »providenzielle ölicntliche ixolle" harrte, wie Tbaly
behau])tet, davon kann man in seiner gesammten derzeitigen Tä-
tigkeit nicht die mindeste Spur entilecken. Wenigstens teilt Thaly
keine einzige Tatsache mit^ die diese Voraussetzung glaubhaft ma-
chen würde. Aus seinen Mitteilungen ergiebt sich gerade das Ge-
genteil: Räköczi lebte wie die anderen Grands-Seigneurs jener Zeit
und wollte die Arena der Öffentlichkeit Überhaupt nicht betreten.
Nicht als ol) ihm der Siun für höhere l»estrebuugeu gefehlt liiitte :
er war ein edler C-harakter, empfaml Mitleid mit den daujalij^ren
schweren Leiden seines Volkes, doch hatte er auch Verstäudniss
für die klarliegende Tatsache, dass die Macht des Königtums be-
reits so gewaltig geworden war, dass die staatlichen Missstande
nur im Einverstandniss mit dem König, auf friedliche Wege, mit
den Mitteln des Gesetzes beseitigt werden können. Dass seine. da-
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IHK JUÜKNIMABI.'K FRANZ KAKulZlV II. «17
nialige lendeii/. der Aii.scliluss uml nu-lit die Treuuuiig von dt*r
ixcset/dicht ii Dynastie gewesen sei, deren müuuliche Erbfolge da-
laalt) bereits Teri'a88iiiig9inäs9ig auerkannt war, — spricht auis seiner
ganzen Haltung während dieser Zeit. In seiner Selbstbiographie,
die yiel sf^ter, nnter dem Eindruck harter I'r&fiingen geschrielien
wurde, sieht er seine Wirksamkeit vielleicht selbst-in anderem Liebte.
Auch Thaly sieht sich Ijemüssigt, die Daten der Selljstbiogra-
pliie an mehreren Stellf^n zu korrigimi. Das lnnvei.st i'l)eii, dass
Kaköczi, als er sie schrieb, in Folge der Jahre nicht nur )>e/Jiglieli
eiuzeluer Tatsachen, sondern auch ))ezüglich ihrer Motive nicht
mehr genügend im Klaren war. Auch ihm wie d erfuhr, was Jedem
wiederfithrt, der im Herbste seines Lebens die Jahre seiner Jugend
fiberblieki Ohne absichtlich irreffthren zu wollen, unterschiebt er
seinen Handlungeoi bisweilen nnwillkdrlich Motive, die srar Zeit
der betreffenden Tat ihm selbst noch fremd warcji.
Wt'iiii wir das \ erhalteji Kakuczi's in dt-ii letzten Jahren des
XV ll. .Tal) r hunderte nacli den Tatsachen würdigen, die im Buche
Thaly'i< mitgeteilt sind, müssen wir jedcnhills anerkennen, dass der
junge Fürst gar keine providenzielle ot^'entlickeliolle beanspruchte,
dass er sich um jeden Preis an den Hof anscliliessen wollte, und
dass auch diesen nicht buser Wille leitete. Höchstens in einzelnen '
Ministem wirkte Hass, Misstrauen und Habgier. Die uugtiustige
Oestaltnng der vaterländischen Verhältnisse, sowie unvorhergese-
hene Zufälle brachten l)eide Teile genren ihren Willen in eine Lage,
in welcher der Zusammeustoss uiud)wendbar wurde. Dass Käk(»czi
nicht in der nationalen Bewegung, sondern ganz im Gegenteil
eben im Anschluss an den Hof, deu Schwerpunkt seiner Stellung
suchte, das geht auch aus der Aktion hervor, die er mit seinem
Schwiegervater, Karl Fnrsten Yon Hessen-Rheinfels, im Interesse
der Anerkennung seines römisch-deutschen Reichsflirstentitels ini-
tiirte. Jahre lang betrieb er emsig die Angelegenheit, obgleich sie
für seine eventuelle liolle in Ungarn absolut keine Wichtigkeit
haben konnte. Die Unzufriedenen blickten uichi. zum deutscheu
Keichsfürsten, sondern zum mlichtigen ungarischen Magnaten em-
]M)r, und wie einst Thököly ohne den deutscheu l 'ürsti utitel grosse
£rfolge erringen konnte, so wurde später auch Räköczi nicht in
Folge dieses Titels Anführer der ungarischen Bewegung. In wie-
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818 DiK jüasMMAitfiB ntiiKs Kiidcsi*!« n. •
tVnie iliiii iJie.s«!r Titel zukam, das ni(»jj^*^'n >^riin«llicli»' Kenner
alten deutschen Reichsstaatsrechtes ent.sclieideii. Soviel steht fest,
dass seine Väter diesen Titel führten, doch war das Diplom, da«
denselben in ihrer Familie erblich maehte, in Folge einer Nachläwiig-
keit nicht ezpedirt worden nnd konnte nieht TOigefiinden weiden.
Den Ghrand, wanim B£k6eü die Anerkennung dieses seines Titels
so sehr urgirte, sieht Thaly darin, dass er sieh in der damaligeD
Zeit der strengen Hofetiquette eventuell nicht zurücksetzen lassen
nollte. Andererseits sajj^t er, dasn der Hof di-shall» Scliwierii^keiteu
♦ rhoh, weil er ,,das latente politische Gewicht der Angelegenheit*
ilihlte. Die Sache hatte in der Thai politische Gewichtigkeit, doeh
nicht von der Art, wie sie Tbaly voraussetzt. Nicht um in Ungarn
eine Rolle zu spielen, trachtete Rnköezi diese Titelfirage einer end-
giltigen Lösung entgegen zu f&hren. Bäköczi dachte ganz anders-
wohin. Ohne Zweifel erwachte in ihm bereits damals die merkwQr-
dige Idee, mit der er erst später hervortrat. Er urgirte die Auer-
kennung dieses seines Titels, um ein anderes, höchst wichtige?«
Projekt leiclitfr nsilisirfu zu konnt-n. Das Projekt bestand darin,
seine inigarischen Besitzungen für einen entsprechenden Gegen-
wert in Deutschland einzutauschen. Er warf diese Idee zwar erst
spater auf, doeh war sie wahrscheinlich nieht damals plötstieh in
ihm au%etancht, sondern seit langer Zeit langsam herangereift.
Jedenfalls lassen sich seine Bemühungen in Betreff der Anerken-
nung seines Reichs-Flirstentitels nur in innerer Verhmdunf; mit
seinem später gestellten Tauschantrag verstehen und würdigeu.
Die Titelfrage erhielt iilirigeiis eine günstige Lösung, indem Kaiser
Leopold diesen Hang weuigsteui« für die Person Uaköczi's feierlich
anerkannte.
Wahrend Kakdczi sich mit dieser Frage, mit gesellscbafUi»
chen YergnQgungen, mit der Jagd und höchtens noch mit den ei-
genen wirtschaftlichen Angelegenheiten be&sste, brachte das grau-
same Wttten der Soldateska ganz plötzlich einen Aufstand, haupt«
sät hlii h auf den Rakdczischen Hesitzuugen, zum Ausbruch. ,Arnie
liurschc"*, herumirrende Kurutzen standen an der Spitze der Bewe-
gung, die nicht nur gegen die deutschen Soldaten, sondern zeit-
weise auch gegen den inländischen Adel gerichtet war. Die Auf-
ständischen besetzten durch plötzliche Übeirumpelung drei wichtige
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DIE JUGENÜJARUE irBANZ KÄKOUZr.« II.
Plätze, J^arospatak, Tokaj und Ö.-Ä.-Ujlu'lv. Aüa waren Eigentum
Kaköczi's, doch hatten alle kaiserliche Garnisonen, welche Ton
den erbitterten AnfiBtändischen ntabarmherzig niedergemetzelt wur-
den. Der Aufstand ereignete eich im Sommer 1697. Rakdezi ver-
weilte sn dieser Zeit eben auf seinen imgarisehen Gütern ; er war
in Szereiics. Die Aufständischen, wissend, dass sie ohne namhafte
Pöhrer nichta ausrichten kihinen, trachteten nich der Person RÄ-
]<()czi"s zu heniiicliti^^'n, Ivakdc/.i erzülilt die Sai li«' sflhst. Am 1.
Juli wollte er sammt Familie nach iSarospatak reisen. Er hatte von
dem inzwischen zum Ausbruch gelangten Aufstand noch keine Idee;
' während der Reise kamen ihm zwei Bauern entgegen und verlang-
ten vom (befolge dem Fttrsten vorgeführt an werden, da sie ihm
eine wichtige Mitteilung zu machen hätten. Zn ihm gefUhrt« erzähl-
ten sie, dass ein Aufstand ausgebrochen sei, und die Anfsföndi-
selien eine berittene Abtheilung, die schon ganz nahe sei, ausgc-
.sandt um dt'ii KürMteu gefangen zu nehmen. ( >hy,\var Rakui zi
die Nachrichten nicht ernst nahm, gab fr docli den Befehl, dass
man aich reis^"fertig mache. Gleich darauf kamen Flüchtlinge aus
Tokaj und bestätigten die Nachrichten. Und da zeigt sich aber-
noals die unbestreitbare Tatsache, wie wenig Raköczi damals daran
dachte, an einer gegen den Kaiser g^chteten Bewegung teilzu-
nehmen. Er flQchtete sich sammt seiner Familie augenblicklich auf
die einzige Strasse, die ihm noch offen stand, und kam auf grossen
I^imvegi'u, nueli vielen Gefahren in Wien an. Tlialy meint zwar,
daö6 der Fürst de.sliall) Hüclifcte, weil er für diese liewfgung keinen
Ü^rfolg erhoft'te, weil er wusste, d;i>s der Adel sich nicht anschlies-
sen würde, da^s da» viele ^lilitür der Sache l)ald ein Ende machen
würde u. s. w. Aber wie konnte ßakdezi unter den gegebenen Um-
ständen von zwei Bauern nnd einigen flüchtigen Soldaten das Alles
erfahren, wovon Thaly spricht? Ton wo wnsste er, dass die Bewe-
gung nicht mit dem damaligen Türkenkrieg und mit seinem Stief-
vater 'riiököly in Verbindung stehe, und das ganze Land mit sich
reissen kruiue? Nein I RäKoczi wollte iiberhaupt an keiueni brw atf -
jiet( 11 Abi'uteuer mitwirken. Er würde den Schauplatz des Aufstan-
des auch dann Yerlasseii haben, wenn, anstatt Franz Pataky's,
Einerich Thököly — der übrigens damals mit einem grossen tür-
kischen üeere anf ungarischem Boden stand — an der Spitze der
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((20 PIX Jt'GBSrUMIIBK FBAKZ RAK6C2I*H II.
Bewe^^uii)^ gestanden liätte. Wenn ihm etwas diej«er Art nur ein-
gefallen wän-, wiirtlt' »t sich wenigstens aul' t iner» .meiner nahen
Cliiter hegchen liahen, um dort die Kntwickehiug <Ier Dinge H)»za-
warteu. Aher er wollte gegen den Kaiser nichts unternehmen und
war auf die erste Kunde vom Aufstande mit sich darüber im Keinen«
dass sein Plate jetsst in der Nähe des Kaisers seL Br trachtete denn
auch dahin zu gelangen ; er ging nach Wien und kam dort in dem
fttr ihn glttckKchen Augenblick an, als man gerade gegen ihn den
Verhuftsbefehl erlies«, du man nach den einlangenden Hericht^n
den Aufstand mit seiner Person in \V'rl>induug bringen mu*^>te.
Und «hizu war kein l>öser Wille vonnöthen. Gar viele Um-
st&nde mussteu gegen, Kaköczi Verdacht erwecken. Dieser Verdacht
war grondlost aber das konnte sich erst später herausstellen. I)ie
Tatsachen sprachen einstweilen anscheinend g^n ihn. Ohne sei-
nen Willen und sein Wissen missbrauehten die Aufat&ndischen
faktisch seinen klangvollen Namen. Der Aufstand war auf seinen
Besitzungen zum Ausbruch gekommen ; die Aufständischen ver-
schonten nur sein Vermögen, und als die Bewegung erdrückt \\ iirde,
fanden die deutschen »Soldaten die Wert.sachen Kakuczi's uultc-^ehü-
digt vor, während alles übrige vernichtet worden war. Das alles
berichtete man nach Wien, wo das alte M iss tränen gegen Kakoczi
darin neue Nahrung fand. Man konute ja nicht vergessen, dass seine
Mutter und sein Stiefvater Verbündete der TOrken seien, nut
denen man Krieg fnhi'te, und es gehörte wahrlich wenig bdser Wille
dazu, um zwischen dem Aufstände in derHegyalja und dem Einbrü-
che TlK'ikölv-^ in Uu<xarn einen Causalnexus zu suchen. Auch uiil)e-
tangeuere Männer, wie Prinz Eugen von Savoyii, misstrauteü dem
Kürsten Kaköczi. Und dies Misstrauen erstreckte sich selbst auf
Ungarn. Als Räköczi während seiner Flucht in »Schemnitz ankam,
ma<^te ihm die dortige Bevölkerung stürmisch den Vorwurf, dass
er ihnen die Eurutzen auf den Hals bringe.
Raköczi ftthlte selbst, dass er, zwar unschuldig, fiiktisch in den
schwersten Verdacht kam, den er nur mit einem ernsten Entschlnss
zu nichte machen könne. Er fasste auch diesen Entsehluss. Er .>t^^llt»'
dem Hof den Antrag, dass „seine sämmtlicheii ungarischen Besit-
zungen für ein gleichwertiges deutsches Fürstentum, entweder im
deutschen Reich oder in den Erbläuderu des österreichischen Hauses
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I
niB JUOBNDJAnR« PBAVs rAk6czi*s fl. 821
tungeiutiAcht werden mögen, damit er sieh dadurch von den Ifanden
der nngariiichen Verhältnisse giinzUch frei maclien könne." Kr be-
«nchte den Beichtvater des Kaisers, Pator Meiio^utti, der grossen
Kinfliiss hatte, und hrnriito sein Projclct dinch ihn zur Kenntniss
des Kaisers, wiihreiid ein vertrantt r 1'r»'inid die Saehe dem Staats-
uiiiiibter GrafVn Riusky uiitteüt*?. JJer Kaiser jaahiu den Vorsehhig
gnadig auf, doch konnte er ihn nicht reah'siren, da die kaiserliche
Kammer damals Über entsprechende Güter znr Diirchfühnmg des
Tausches nicht verfügte. E-dk<$czi geht in seinen spateren Memoiren
über diese Episode ziemlich leicht hinweg. Er sagt, dasser dadurch die
rJesinnnngen des Kaisers prüfen wollte. Thalv sieht in dem Aiitrajf
eiir n -sehr j^eschickten ^^eliarh/nir." ghiultt aher kaum. das< er ernst
war. E«! lie«.;t jedoch gar kein eirund voj-, d»*n .\ntrag nielit f-ir ernst
zu nehmen : im Gegentkeil, wenn man ihn mit alldem, was Uakoczi
zur Sicherung seines deuischen Fürstentitels tat. in Verbindung
bringt^ mnss man entschieden annehmen, das er keine momentane
-Eingebung, kein plötzlich auftauchendes Extempore, sondern eine
lange durchdachte und gereifte Idee war. Das Fallenlassen desselben
entschied das Schicksal Franz Rakdczi^s. Bis dahin hielt er sich you
aller Politik fern, und trieh seine Znrtteklialtung bis zu den Hus-
sersten Grenzen der Möglichkeit. Kr Iraelitete nielit einmal mit
seiner im Auslände h-henden Mutter l'rivathezieiiungen anzuknüj»-
fen. Er tat dies .seihat dann nicht, als er es von Italiei\ au.s viel-
leicht gefahrlos hätte tun kruinen. Er war ganz auf Seiten des Kai*
sers. Der Aufstand in der Hegyalja, das Scheitern seines Tausch-
antrages aber machte in den ernsten kriegerischen Zeiten seine
bisherige Stellung unhaltbar. Die Ereignisse dr&ngten ihn aus seiner
Einsamkeit hinaus. In Wien wuchs das Misstrauen geaen ilm, ob-
zwar es Jahre lang nur dudiireh zum Ausdruck kam, dass man ihn
mit Spionen unigah. In solch uneri|uickl icher Lage niaidite er die
liekauntschat't des Grafen Nikolaus Bercsenvi. und dies entschied
über sein ferneres Verhalten. Da er nach dem Scheitern des Tausch-
antrages mit dem Hof kein Einverstandniss erhoffen konnte, liess
er sich in den Jahren 1697 — 99 durch den Grrafen Beres^nyi ffir die
Idee eines bewaffneten Aufstandes gewinnen. Zur selben Zeit suchte
Graf Villan, der Wiener Botschafter Ludw i g's XIV, den nqch im-
mer .schwank'Miden Fürsten mit der Aussicht auf französische Hilfe
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DIR iUOIHDJAURR FRANZ R^KoCZI S II.
ZU ködern. iJotli arst spiit»'r. auf «las fori währe n«l«% l^-Miaitr Drän-
gen Beroseny^s, Hess sicth der Fürstim Herbei 1700, als man die
französischen Antrage ernenerie, dazn bewegen, mit dem Venaüler
Hof einen schriftlichen Verkehr einzuleiten. Am 1. Dezember
Hchrieb er den Terhängnissvollen Brief, von dem sein Btintiitt in
die Aktion datirl: werden kann.
Damit s( hli»»sst das iuterensante Buch Thuh \s. Es kann noch
soviel bemerkt werden, dAss der Brief verräteriHchen Händen anver-
traut Vorde, und gleich das er^te aktive Auftreten ßaktfczi's ein
trauriges Ende nahm. Longueval, französischer Hauptmann in
kaiserlichen Diensten, den der Ffirst mit der' Übergabe des Briefes
in Ver^aille« hetrante, war ein gedungener Spion und trug die Briefe
narli Wien. It'iikdrzi wur«!»' :ini 1 S. April 1701 in seinem S')il<ts^
/.n Nagysjtros g«?lang<.'ii i^t iiomiueji. Waa später geschah, iifgt au-^-
serhalb des Kähmens des uns vorliegenden J^uches. Thaly s« }iildert
nur die Jugendjahre des Fürsten, zwar etwas tendenziös, d<>( h nicht
so sehr entstellt, dass man die wirkliche Gestalt Rakdczts daraus
nicht erkennen könnte. Noch ist hier Rtfkdczi nicht der Held der
nationalen Legende; er wünscht keine FQhrerrolle, mengt sieh
nicht in ötfentlielie Angelegenheiten und empfindet keinen andern
providojizielleii W'ujisrh, als in Frieden mit seinem gesetzmiissigeii
König di<' Pthohteii seiner uristukratischen SteUung zu erfüllen.
Um diesen Frieden mit dem König sicherzustellen, will er sogar
aus seinem Yaterlaude auswandern. Und auch als er damit schei-
terte, hält er sich noch ziemlich lange passiv. Erst die Freundschaft
mit dem Grafen Bercsenyi, mit dem Rakdczi wahrscheinlich nur
darum in nähere Beziehungen trat, weil' derselbe zur Zeit ihren
Bekanntwerdens kaiserlicher Kommissär war. und die falschen Ver-
lockungen Frankreichs lenkh-n ihn aut andere Bahnen. Nur unter
dem Druck dieser EinHüsse luach er mit seiner Vergaugeuheit.
mehr von Fiemden als vom eigenen Willen getrieben. Thaly stellt
uns den jungen FUrsten in anderer Beleuchtung vor Augen ; er
sieht iu ihm einen modernen Parteimann voll Hass und Ingrimm
gegen den Kaiser und den Wiener Hof. Ei: treibt mit ihm ein
bischen praktische Politik. Das allei« widerspricht der historischen
Wahrheit. Doch auch wenn wir seine Auffassung und die von ihm
verkündeten Ansichten nicht t<Mlen, müssen wir im Allgemeinen
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UfiDRR r»EB ZIOKDNKB. 823
■die VN'ichtigkeit des Hnchen und »pexieii seineu Keichtum ttu bisher
imbekaiisteii Daten, biographieeheu und zeitgeschiehtiichen Mit-
teilungen mit Lob nnd Anerkennung herrofriieben.
Dk. 1(ü\az A1S.ÄUY.
LIEDER DER ZIUEUNEH.
1 >i(' Liiteratur der zigeuuerischeu Volkslieder war und ist auch '
norli }ieiiie eine terni incognita. Vor wenigen Decennien war kaum
,ein Dutzend Lieder dieses Vagabundenvolkes bekannt und auch heute
findet man solche nur hie und da in Zeitschriften, grOsstenthdls aber
in sprachwissenschaftlichen Werken, welche dem grossen Publikum
schwerer zugäuglicli sind und von demselben auch nicht aufgesucht
werden. Die Art und Weise, wie diese poetischen Erzeugnisse in dt^iai -
tigen Publiiuf idiicii ü:rl>ot<'n w<'rdeu, verleidet ^lanclieiu die lA-ctiiir
zig. Volkslieder, denn die Übersetzungen sind nur für den Linguisten
bereclmet und haben in dieser Form nur für ihn Interesse : dem Gros
der Xioser werden diese Übertragungen schon nacli kurzer Zeit wider«
wjtrtig» denn sie sind nicht gelftufig» nicht mundgerecht und gleichen in
diesen Fassungen „zerbrochenen Bruchstucken/
Ich habe mich seit Jahren yiel mit Zigeunern und ihrer Poesie
beschäftigt, und in meiner Mappe befinden sich zahlreiche Volkslieder,
welche ich in den l'dzten .lalufn aufgezeichnet und dun h bereits ver-
tdrentliehte l*«M'sieu ergänzt liaWe. W idirend di<'>>'i- .. Siuiiiuelzeii" habe
ich mir die 1 berzeuguug verscliatft. dass die Zigeuner, dieses Vagaijun-
deuTolk, über einen reiehen Lieder- und Sagenscbatz verfägen und dem
Hammler ziemliche Ausbeute winkt» vorausgesetzt» dass er mit Lust und
Liebe ans Werk geht* Gar so leicht darf man sich aber die Au%abe
<sines Sammlers von Zigeunerliedem nicht vorstellen, denn es existirt
Vielleicht kein Volk, welches dem Fremden gegenüber in jeder Bezie-
hung so zurückhaltend wäre, als eben dieses. Jeden Fremden betrachten
>ie als ihren Feind; <larf es da Wunder nehmen, wenn sie demselben
gegenüber überaus v<»rsiehtig sind und ihre grüssten ( Jeheimnisse. ihre
Lieder und Sagen, ndt einer «gewissen Hartnäckigkeit zumckhalten.
Unter allen Völkern besitzen die Südslaven die nahezu umfang-
reichste, die Zigeuner aber die gewiss beschränkteste Volkspoesie. Dies
darf uns bei einem solchen Vagabundenvolke gar nicht Wundernehmen.
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I
S2i I.IEDRR liKB ZJOliirNKR.
Uev VÄ'^onnev ist lioimatlos im wahren Sinne des Wortes. Sein
„engeres** Vaterland iai das Zelt» welches er in der Nfthe einer Stadt
oder eines Dorfes aaftdilügt, indem er über drei in einem Punkte so-
sammen laufenden Stangen eine grane Leinwand ansbreitet und dersel-
ben durch Spangen eine stramme Form verleiht. Aber auch in diesem
^Vaterlsnde" kann nah der Zigetiner nicbt sicher wähnen, denn die
wuclitij^en Hämlc der an<lpr^S}»iiic lii)^M'n Bevölkemng sind stets drohend
jjegcn ilin «'rliobt-n un«i vci leiden iliiii di-n lanir<M>'n Auf»*nth;dt. Jt'der-
mann erblickt in ihm <'inen „ l'rot'ession.'idiol)'* . einen treihen. ar]>eit>j-
s(dißuen Eindriiif^ling. der nicht geduldet werden dürf' und Manche
gehen gar so weit, ihn für einen Kinderriiuber lu. halten. Aua diesen und
noch vielen anderen, mehr minder triftigen Qrfinden, hat er fortwahren«
de Verfolgungen zu leiden und findet nii^gends Bast und Ruhe. Zu all-
dem gesellt sich noch eine ausgesprochene Wanderlust, die in ihm
ununterbrochen rege ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein No-
madenvolk und '/umal ein dei-artiges. sieh auf k«'ine höhere Stnte der
rnltnr v.n srhwini'f'u vermai;. Die »'pisti*;e /urücktreblie])enlieit <l^r Zi-
geuner inmitten der civilisierteii euiopäischen Bevölkerung, unter der
sie sich mit einer «gewissen Vorliebe /u bewegen scheinen, ist in der
That überraschend, denn mit Ausnahme eines verschwindend kleinen
Theiles» sind sie weder des Lesens, noch des Schreibens kundig ; sie er-
nähren sich von umgestandenen Thieren, die nacb ihrer Meinung nie-
maad Anderer als Gott „gescblaobtet" hat und führen auch sonst eine
Lebensweise, die mir bei Völkern niedersten Ranges vorzukommen
pHegt. Sie glauben an ein höheres Wesen, welehes sie d^'ht heiRsen.
Wi»' keine bestimmte Heimat, sd haben .>ie auch keine bestimiute Ueli-
giou : heute da und diese, morgen dort und jene.
Den zigeunerischen Liedern, welche so einfach wie d^r Zigeuner
selbst sind, haftet daher neben einer sehr stark vorherrschenden Gehalt-
losigkeit noch eine gewisse Oberflftchlichkeit in der Besingung des Ge-
genstandes an ; grösstentheils wird in wenigen kleinen und oft zusam-
menhangslosen Zeilen das geschildert, besser ge.sugt : besungen, was in
so engem Rahmen unmöglich genüfi^^nden -Ausdruck finden kann. Ans-
.senlejn mangelt den Liedern Naivt-tät. und der Leser /.igeuneriseher
Lieder sucht vergebens Erhebende- oder Heiehrendes in denselben.
was iu den Liedei n der Zig(*uner besungen sein soll, ist zumeist nicht
nahe genug gerückt und mitunter so proüaiscb. so nichtssagend, da.<<s
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r.m>RR jm nmin». 825
rieh WBM unwülkfirlich die Frage aufdrangen uitus : „Sind denn d«w
auch Volkslieder?" Ja. os sind wohl Volkslieder, Erzeugnisse eine« Va-
gabundenvnlkes, welche aber nur nh Wahrzeiclicn eines im Aussterben
begriffenen Volkes kulturhistorischen Werth besitzen.
Das Volkslied des Zigeuners unterscheidet sich in mehr ak einer
Beziehung yon dem des Deutschen oder Magjaren, und es gleicht fast
einer Anmaflfmng, dem deuisehen oder nngarisehen Volkaliede ein zigeu-
nerisches gegenüberstellen sn wollen. Die deutschen und ungarischen
Volkslieder sind naiv oder belehrend, oder beides zugleich und besitzen
einen bedeutenden poetischen Werth. Auch haben diese Lieder und be*
sonders die epischen Gesünge immer ein(;n bestimmten inneren Kern,
welcher seinem ganzen Wesen nach mitbew underungswürdiger (ieuauig-
keit. mitunter sogar bi« in die kleinsten jEinzelheiten ausgeführt ist.
In dem Vclksliede des Deutschen oder Magyaren finden wir femer den
Drang nack Freiheit, die Sehnsucht nach Verbesserung des eigenen Lo-
ses» oder eine Klage Überhaupt eingeflochten. In dem zigeunerischen
Volksliede ist toi» alledem nichts zu finden, der Zigeuner hat dies Alles
nicht nOthig. Er ist fi^i und braucht daher nicht nach Freiheit xu rin-
gen. Eine Verbesserung des eigenen Loseö zu erfahren, hält er ganz und
gar für überflüssig.
Die zigeuuerischeu Lieder kann man in Liebes-, Tanz-, Klage- und •
den didaktischen verwandte Lieder eintheüen. Der Vorrang gebührt den
LiebesUedem, welche in hunderterlei Variationen gesungen werden;
es scheint, dass das ZigeunervoUc filr diese Dichtungsart eine grosse
Neigung besitze und dieselbe auch besonders in jungen Jahren culti-
viere. In den Liebesliedem, welche ein beredtes Zcugniss von dem Ge-
tühle des Zigfimers abgeben, liegt noch ein kleiner Funke echter Volks-
poesie. »Solche Lietler pflegt der Zigeuner nur dann zu singen, wenn die
Jugendgiut nor h in seinem Herzen in vollster Kraft und ungetrübt
lodert, wenn diis Herz noch vollkommen rein ist und der Zigeuner noch
nicht durch Diebstahl oder unehrlichen Handel einen grossen Hausbe-
darf decken muss. ' "
Hat sich ein Bursche in das schwarze Augenpaar einer Zigeunerin-
verschaut, so schleicht er stets in der Nähe des Zeltes herum, in weh
chem die „Angebetete" mit ihren Eitern wohnt. Um seine Anwesenheit
kundzugeben singt er :
VttKMiMiM tt«TQ«. tSSS. X. H«tt. 53
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826
HXOEB Dm sioscmiR.
0 niri kiimli i^iiHtia
De man tri vMiske
Azutan baf^tale me.
'» (In iill'-vlifUsh'' nu«iti
Wiin ^'od«;iil<st dn mir zu peUm?
Beutst du mir deiu Herzelein,
Werd ich sicher glfu^klich sein.
Wenn das Mttdchen den Burschen necken will, scUftpft es ms
dem Zdte, bleibt )cnapp tot demselben stehen nad begiBnfc haB>
liebend:
LTAte upro nno dadoro
O )iia iiu'ikli tii t<' ("liajorial
M«'n- odoj bi'it rhav»^ hile
«"Mona te öhaja keren lipre.
So st^li dot h a\if. in*»in Väterleiti.
Hab Acht anf ilein Hcliön'Töcht'^rl'^in
Bedenk, ein Burscli«' if^t allhier
Der will entführen mich von. Üir !
Die Elteni werden dttranf anfinerksam, der Yaler des HSdchens
gefällt sich dann darin, nicht nnr dem Burschen, sondern such seinm
Töchterlein ^ine gewisse Angst einzujagen, denn bald stimmt auch er
ein J^ied au :
Iis me 6fa4ia t6ke d4
Eäua sal tu roma.
Sö hi nie 0(3ri räkli
Te na k&mel län kirali.
Willst dn fm^nmem TSchtedeiB.
' Mu»8t dn ein Zigeuner sein«
Doch wa» ist mein Mägdelein,
Will ein Kdnig sie nicht (tu'jl
Da«s der Zigeuner von Poesie durchdrungene Liebeslieder besitzt,
kann uns si-lion au,-> dem (rriinde in Kr^laiinen set/en. derselb**
sein Weil», seine Geliebte für Geld oder Waare kauten niuss. Nur ein-
mal liebt der Zigeuner aus voller starker Brust, nur einmal vereinigen
sich seine seelischen Empfindungen und finden ihren Ausdruck in der
Verehelichnng mit einem geliebten weiblichen Wesen. Sonst ist seine
Liebe rein thierisoh, denn schon die eigenthümlichen Lebensveihlltnisse
verhindern dieselbe, eine höhere Stufe zu erreichen oder zu behaupten.
Zuerst liebt der Zigeuner sein Weib, dann verehrt er seine Schwester,
ja selbst seine Mutter, buhlt um die Gunst derselben und da die Zigeu-
uerweiber sehr leiehtfertig sind, auch nicht ohne Krfolg. Der Zigeuner
besitzt auch sinnliche Liebeälieder.
Als die glimpflichsten mögen folgende hier Baum finden :
Kuna lioinaskd Ku/.varis
tJin^ufdine k'oiii knrvaris.
liijaba ke nani kurvaris :
K'um ie cuiangro hiiHdris.
Als ich auf nach Klausenbufi,' braei».
Schrie man Miidehenjäijor mir nach.
Bin kein Mädchen jiiger fürwahr,
Nur des Mädchenvolka Hui^isär.
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mMK ran nomviNt.
Ö d^rlorö ! «ö me k^rd'om
Trin dfai^oria ü{>re Md'om !
J^kh n uoi, s&r s nodo,
JAli Bi p&roi, fldr o j&ro.
Aver si mri d&jord,
Oh Dioui Oott, was mir paanxt!
Hab dzei MMdteii eiai^ T«rftt1irt!
Hooh wie Robr was eine»
WeiM wie Mehl war eiae,
Ünd die andere war mein Mfltter-
M&rela man mro didoro!
chen — -
Ach wie wird mich aehhigea Yftter^
ehenl
Wenn auch nicht der Form, so doch der Ansdracksweise nach
reihen sieh den Torerwähnien liebesUedem die Klagelieder an. Wirklich
originelle Klagelieder existieren bei dem Zigennerrolke überhaupt nicht,
68 sind aaeh nur wenige derselben bekannt nnd unter diesen wenigen
findet man nur ein einziges, ab» r Uesto liemerkenswertlieres Lied, das
in gedrängter Form der JietTirciitung Kaum gieljt. dass die Zigeuner sich
tiereinst an feste Wohnpiütze binden würden ; aber die Sänger dieses
Liedes sagen hierüber nichts Gutes Toraos nnd das ganze Lied gleitdit
einer dringenden Warnung. £s Ittsst sich nur sehr schwer übersetsen
nnd 80 möge denn eine Übersetzung ▼on Prot Müller hier Platz finden :
Bdbotar si e rtfma Von Bobo sind die Zigeuner
Th6 m&ren le pe dröma Und sie schlagen sie auf der Btras^e.
Pill o b(5nn bdKcna Hinter dem Ofen werden eio sitzen
Lönkhi khatu thMvena Ihnen Tbrilnen aiicli kommen werden.
Dieses Lied wird besonders von den serbisch-türkischen Zigen«
nein gesungen, die ftberhaupt viel originellere Weisen kennen und de- ^
ren Melodien von denjenigen der anderen Zigeuner sehr abweichen.
Allerdings sind auch deren Klagelieder ebenso einfach wie die anderen
Diclitungen. aber wenn sie solclic Klagelieder mit Viulinbegb*itung und
wabrer Leidenschaft .singen, dann bringen diesell)en gewaltige Wirkun-
gen hervor. Was bei dejn deutschen Volksliede die Naivität und tiefem-
pfundene Sprache, das iat bei dem /ig Volksliede die tiet^'lich angepass-
te Melodie. Das zigeunerische Klagelied ist nicht nair, nicht von wali-
rer seelischer Empfindung durchdrungen und macht ohne Musikbeglei-
tung oder ohne Leidenschaft gesungen einen unbedeutenden, ungünsti-
gen Eindruck. Die Melodien m den Klageliedern sind von hinreissender
Scliünlieit und echter Yolksthümlichkeit und wer dieselben einmal an-
zuhören (xelegenheit hatte, der wirtl sie nicht leiclit wieder vergessen.
Der Zigeuner besingt auch wichtigere Vortalle seine.s Fauiihen-
lebens und zwar in weichem Elageton. Er will seinen Nachkommen die
Geschichte besonderer Ereignisse aufbewahren und kann das auf keine
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828
LIKDRR DEK ZIOEU5SK.
*
bessere Art zu Stande Uringpn, da der Zigeuner, wio bereitt* erwilnü.
weder des Lesens noch des Schreibens knndig ist. Man kann diese Ge*
sftnge mit den Klageliedern nicht Tergleichen. denn es sind eigentlicli
keine „lieder*', aber man könnte sie ganz gut sangbare Sagen heissen.
denn der Ton welcher in denselben angeschlagen wird, Reicht ganz dem
Narli ilou l\lagoli«'<]('rn komjueii die 'J'iUi/lipdf'i". Kein Volk «lor
Krd«* tmizt so luiutig und mit solcher Ausdauer wie da- zigeunerische
und suwold unter Männern als aiieh unter Weiljern tindet man recht
gewandte Tlinzoi* und Tänzerinnen, die besonders in mondhellen Nflcb-
ten phantastische Tftnze ausführen und hiebe! von ihren ändern .unter-
stUtat werden, frewöhnlich fuhrt Alt und Jung in der Nuhe der Zelte
diese eigcnthilmlichen Tftnze aus. Wunderliche Tdne durchschwirren,
wenn ein Tanzlied angestimmt wird, die Luft. Die Kinder nehmen Hiin-
de und l*'iiss<' zu Hille uml s<.Idageu sii h hei je«]em Scldusse eines Vej:-
ses, oder hei kriitt i^ffu Momenten mit den I Linden auf die Fü.'Jse. Hie
und da jauchzen und jubeln sie vor Freude und ^eioh d^urauf stöhnen
und jammern sie; die Arie und <lic Tanzweise bringen es mit sich. Ver-
stummt dann der (lesang der Kleinen und hört die Violine auf zu to-
nen, dann lassen sieh die ftlteren Familienmitglieder wieder im Zelte
nieder und rersinkea in stilles HinbriitenT]
Nachfolgendes Tanzlied rflhrt ron Prof. Dr. !Miklosich her, der es
aueli zuerst puhlieierte. Auszugsweise lauin es:
Tordav hl se pe thiineste,
Kana phenav : ^haj de !
Beide tut angla mando.
Lome me!
MoÜio mange ba ÖaSes
Te merav, te na iorav,
Te »a Cator mothova^ :
Angla täte tat katnav.
Pal avreste kam laerav
Anda lake düj jakha
ai kale sar dnj dmka,
'HidTida lake diij rure
Kaj «i >ar fhij kure
Anda hik'' diij jaklia
Mukh;n iiituiKi irora da
Lunie uie !
Steht' .Mädchen aul dem Platze.
Weun ich «age : B.\uf zum Tanze!"
Drehe dkdü vor mir.
Meine Welt!
Sage mir die Wahrheit
Sterben soll ich, nicht leben soll ich.
Wenn ich nicht die Wahrheit «a^:
Dich allein nur Hebe ich.
Für einen andexn abor will ich tter-
hen.
Pttr ihre zwei Augen.
Die Hind schwarz wie zwei Trauben,
Und für ihre zwei UrQste.
Die sind wie zwei Töpfe,
Für ihre zwei Aurjen
Veiliesb ich meiuu arme Mutter.
Meine Welt!
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I
Prof. Mikl(«s<i(;li schroiht hienil»er : „Ein lunz-Ued, das die grüs^stc
Wirkung hervorbringt. Bei nicht tanzenden Weibern macht sicli der
Enthusiaamus in Thrttnen LufL Der Text, dessen einzelne Theile mH
einander nor lose zasamnienhSngen, rechtfertigt die Wirkung nieht ;
sie inuss anf Rechnung der Melodie gesetzt werden, , die als wubder^
schön, Ton Lebenslust strotzend, bezeichnet wird. Der Befrain iMme
nte soll das Gefilhl der Seligkeit ausdrücken. Die heftige Erregung der-
iicniütei ^'ibt meist zu einer Kauferei Veranlassung, der im Freien bald
die Versiilmung folgt.**
Auäser den Liebes-. Klage- und Tanzliedern hat der Ziegeuner
Gesänge, welche die Natur, die geistigen Cletriinke und die niedlichen
Thiere preisen, aber merkwürdigerweise ist in keinem Liede die stark
ausgebildete Liebe zu den Bändern ausgedrückt. Von Lobliedern zu
Gotto^^fihren kann bei dem Zigeuner keine Rede sein.
Historiffehe OesSnge kennt der Zigeuner nicht,' da er, soweit die
Stainiueseriunerung reicht, niemals selbststftndig war. Ks ist immerhin
uiögli« h, dass er vor seinem Auftreten in Europa derartige (Jesänge g<*- '
habt und dieselben im Lau& der Zeit vergessen hat. Wer beachtete
ilamals die poetischen Erzeugnisse des Zigeunervolkes, und wer hielt es
der Mühe werth, dieselben aus dem Munde des Volkes zu sohöpfen und
für spfitere Zeiten au&uzelchnen ? \^ele Lieder müssen Teiloren gegan-
gen sein, was bei einem Volke, das anf £e tradiüonsweise Fortpflan-
zung der Volkslieder angewiesen ist, gar ntch anders denkbar
Nicht unerwähnt wollen wir die zigeunerischen >,S(jhnadahiipter"
lassen, die allenlinga mit den steirischen keinen Vergleich aush;ilteu
und mit denselben auch nicht verglichen werden äollen. Wir haben es
hier mit gereimten Spielereien zu thun, Lieder sind es einmal nicht
Hier einige Beispiele :
Th^ar sina Gestern hatte Uop ! hip 1 Hop ! Hip !
Uospojina Die Hausfrau D^l o jiy 1 Es fftllt Sdinee !
£fta pirja Sieben TOpfc sem n&ago Ich Inn nackt
Kolompiija Erdäpfel. Thiy pemango t Und baarfins!
E lua devla de Jiia dui baiisa iiieber Gott so gib zwei j<t'ch»erl mir
De lan mangc dui roninia. Damit ich kauf zwei Frau'u dafiir.
Die Charakteristik der Zigeunerlieder lässt sich folgendermasseu
zusammen&ssen. Die Lieder sind zumeist vierzeilig, die Versfüsse theils
jambisch, theils trochäisch, ohne klare Eintheüung und die Reime bei-
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880 LiKDSB OEB noBcm».
nahe immer rein ; in den selteiutieiiFtttteiL bilden gleichklingende Worfte
den Beim. Assonana nnd Stabreim werden hftnfig angewendet und die
letzte Silbe wird im liede besonders betont. IHe mebr als vierzeiligen
Lieder sind gewöhnlich nicht ungeschickte Zusammensetzungen ver-
schiedener Lieder, doeli gibt es auch grössere d. Ii. melirzeilige Ucsange.
in denen man den Einiluss der undersspracbigeu Bevölkerung erkennL
So singen die Zigeuner in der Bukowina ein Lied Der kranke Ifdd
DaffÜHf welches eigentlich nur eine allerdings ungeschickte Ueber
Setzung des gleichnamigen bnlgarisohen Volksliedes bildet Dieselben
^Sigenner singen auch mit Vorliebe ein Lied Der Mauker äeM der
Armen, ebenfoOs nur eine fest wörtliche XTebertragung eines gereimten
rmnänischen Volksliede;?.
Im ISuchätehendeu einige Proben von Zigeuueriächen Volka-
liedem :
L
Tili tistelinav inri piranon Meine kleine Liebste sei gegrüsst,
Mindig 841 mdnge ändi uiri göili ; Du in meinem Geiste immer bist ;
J^khfar t6 mc tüt m^g sajdikbihi Könnt ich seh'n dich einmal ncx'h
Phdro mc vödiake n*4 ol&hi.
Coro röm o gondolindii,
H6d pirani zibbadinda,
Bimm «a pimai mdlo,
Ne r&taha mäj upusteno.
Upr*o rito kas&linen
tfra pirina Tid&sinen,
Anka jon la TidAaEinen —
Hogy mro jilp repedinen.
A» ta, te zav prckal tuti»,
Oda biro, kaj nie .snn«loni,
Muli pus lol niri «lijui i
Le voHVoka lu i»o diäte,
Dalke, dulke, mri diijori
."^0 mo coro ic kcrava !
auf Enlen.
Mciuem Ilcrzeu würd sicher
sdiwer nicht werden.
IT.
Es glauiit/C einst ein arm Zigeuuerlt- in.
Die Liebste müäae eingeschlafen sein,
Doch sie war todt und Tags darauf.
Stand sie am* Morgen schon nicht auf !
m
Sie mShen aaf dem Wiesenplan
Und schauen stets mein Mfedehen aa.
Sie blicken hin nnd blieken her —
Dabei wird mir nm'a Hen gar schwer.
IV.
Dnrchachreiten will ich den grünen
Wald
Aus (lejii <lii8 »icrücht ht-riUierfchallt.
i>;is8 meine Mutt<'r, die ich geliebt.
Am ImkI«' des Waldes begraben liegt.
Mutler. Mutter, o Mutter mein,
Wai werde ich, deiu Sohn, nun sein !
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UKi>£B DKE SIOSmiEB.
881
V.
O (Icvluio <W' niiiii nulrdali*
Ali piraiui lijal msindar.
Te tu l^al, de lu piilc
.ÖdoU tu m&nge dinal.
Kher ina dovlÄ
I*uj di-ljako
Tc Nuvaniii
1*0 turjakö.
Ker mä devlär
Tsiriküäkö
Te 8uw^d andi piri
K^r an tu mi äuUi.
Mi diij nd käme min
De pimi nnhi tnan,
Hoskt' na mujt' nie
Uo tc keran mu it*
0 veaoro le prajtenza
0 tSiriklo le porenza !
Te mc e dar dikhawa,
Andre tÜte chütsawa.
0 vescija snkaieia,
Pcharentut man ink akana
Te rae e dar dikhawa
Star barora chatiaTa.
The me dÜawa npre foroB,
Zinaw maage dni forgowos,
Pro forgovofl dni pantlika :
Ba&iT more jaj mri aota !
(i mein Gott wa'^ thust du mir ?
Meine LieLete nimmst du dir,
Gib sie mir zurück nur bald,
Schön wie einstens und nicht alt.
Macli mich Gott
Zum Fledermänslein,
Damit ich kriech
Ins Stiefelröhrlein.
Maeh mich Gott
Zum Fledermiln.slein
Dann kriech ich in den Topf
Und mach die Suppe sauer*
VIU,
Es ma|7 mich nicht mein Aliittcrlein
Ich nenn kein liebstes Miidchen oieini
Und sterbe noch immer nicht
Was will ich da, ich Wicht?
IX.
0 du dichtbelaubt Hochwäldlein«
0 du zai-tgeflüprelt Vöglein !
Wenn die Angst mich übermannt,
Komm ich rasch zu Kuch gerannt.
Wftlder ihr im Frahlingapn^ngea,
Wollt mich einmal noch empfnngen.
Lähmte selbst die Angst mich dchier,
Uebenpräng' ich Manem vier!
X.
Traun, heut geh* auch ich ins St&di-
Icin,
Und auch ich kauf zwei der Sti^uss*
lein;
Ffir die StrftiiMletii awei der fiSndleia
Sfiel, Sgeiwer 1 mein LeibtÜtekleiii !
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Die beiden Lieder IX— «X, deren ersteres eine ZiWMnimniatgn^
ist^ sind Dmatko^B j^Gnunmatik der Sägennenpnehe" entBommen, wo
sie auch zum erstenmale Terdffentfidit sind, üeber den IHdekt Aeeer
lieder erfahren wir Näherem vom Erzherzog Jose^ welcher an den Ver-
fasser »ler Grammatik folgende Zeilen richtete : „Nach meinen Erfali-
rungcn nimmt die Sprache (lieser Zigeuner, welche Ihre AufinerkiSÄiii-
keit auf sicli gezogen bat, zwischen den böhmisch-mährischen und
nngaziflchen Dialekten eine mittlere Stelle ein ; doch haben sie, nach
dem Oebranoh der Consonaaten sn schlieasen, manohee tob der in wakp
chieehen und slavoniBchen Gegenden ftbliofaen Annprache sieh angeeig-
net; der grammatische Ban steht dem czechtsch-m lihrisohen naher ak der
Sprache der niederlJinder und der siebenbürgisch- ungarischen Zigenaer.*
Es Hessen sich noch viele zig. Volkslieder mittheilen, jedoch bieten
dieselben keinerlei grösseres Interesse, denn es sind nackte ani>pruch9^
lose Beimerelen. ' Znr Kenntniss ihres Wesens und Charakters dArften
die mitgetheflten Ptohen genügen. m<.uiz UobKNFLLu.
VERMISCHTES.
Zur Gesohfohte des Petöft-Monumentes entnehmen wir dem
zur Enthüllung des Denkmals erschienenen Festalbum die fol^^enden
interessanten Daten :
Im November 1860 unternahm der vaterländische Virtuose Eduard
R»:xENn eine Eonzert-Toamee, die ihn durch jene Stftdte des ungari-
schen Tieflandes führte, die voll sind der Beminiszensen an Alexmder
Petdfi' und in denen auch viele der schönsten Lieder des Diohters ent-
standen, ünd da entstand aneh in ihm ^e Idee, einen Aufruf swr Er-
richtung rin^s Vrfnfi Monuwcntfi zu erlassen. Trotz der mannigfachen
Schwierigkeiten, nnf wcU^lu' damals eine solche Idee stiess, gelang es
dennoch schon im Dezember jenes Jahres, ein provisorisches Konute
au bilden, das, inbegriffen das reiche Erträgniss der von Remtoji sn
diesem Zweck veranstalteten Konzerte, bald über ein Kapital von na-
hezu 8000 fl. verfügte.
Die Zeiten des Provisoriums, in welche auch das grosse Nothjahr
l8t)U tiel, waren jedoch dem Unternehmen nicht günstig, dem auch die
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TBUnSCHTEa. 93d
dusatigen poKtiscIieii Terbtitnisse binderlieh im Wege staaden ; ja, als
der unermüdliche Remenyi zn Weihnachten 1865 bei der Statthalterei
um die Konstituimng einer (iefinifiveii Monuments-Kominission sich
bewarb, wurde ihm unter der Hand bedeutet, dass er sich v'm wenij;
gedulden möge. Und erst die konstitutionelle Regierung war es, welche
dM dieebezügliche Erlaabnus ertbeilte. Damals betrug das Kapital an
10,000 GuldeB.
Die kcmetitaiiende Sitzong der Direktion hatte folgendes Beenl-
tat : Ftfiaident : Eduard Emimji; VizeprSndent : Eoloman Täh;
Kassier: Heinrich lAmy; Komit^mitglieder : Johann .^nrnf^, Gustar
Eitiirh jun.. Nikolaus Fchl'i, August Grcgitss,, l'aul Gyulai, .Tosef
Hajos. Gustav J IrrJcenastf, Moriz Jolcat, Baron Sigmund Kemvny^ l'aul
Kiralyi, Ludwig Kuh'myi, Martin Lendvay, Samuel Petricf^-Orlaif
Gaorg liuth, Hyazinth Ronny, Josef Sorkaniff Karl Szdffz^ Moria
SueiUhii iUpi, Viktor Sgobolp, Moria Thon, Ludwig TaJnay, Lorenz
Tath, Josef Törok und Karl Ymlnm; Sehriftfltrer : Karl Bemhip.
Die nächste Folge der Konstitnirnng war die Einleitung von
Sammlungen, welehe in den Mnnizipien an 5300 fl. und unter den
Agenten der Ersten üngarisc hen Assekuraii/ au 2()UÜ fl. erzielten. Am
17. November 1871 konnte der Seki*etär Heinrich Lf'vay bereits ein
Gresammtkapital von 27,374 ti. ausweisen, in welchem auch das Erträg-
niss neuerer Konzerte Eduard Bemenyi's enthalten war.
Nun wurde aach ein engem ExekiäivkomitS entsendet» dessen
Mitglieder die beiden Prüsidenten, der Schriftifthrer, femm OregiuSf
KirMyi, Degri^ Heinrich LSvay und Andreas TavasMy worden.
Dieses Sornitz beschloss, mit der AnsfUhrnng des Monuments den
genialen Nikolaus T^so zu betrauen, ferner das Monument, dessen
Kosten nicht üher 40,000 betragen durften, vor dem auf dem Heruii-
nenplat/ geplanten Volkstheater zu errichten. Der Künstler begab sich
sofort auf eine Studienreise nach Rom und nach den grösseren Städten
des EontinentSf am sich fCkr das Probe-Modell vorzubereiten. Leider er-
kftltete er sich auf dieser Reise in einer Weise, dass er, heimgekehrt»
den Todeskeim bereits in der Brost trog. Nichtsdestoweniger machte er
sich rüstig ans Werk und Terfertigte zwei Modelle, ▼on denen das
Petöfi in der Stellung zeigte, da er am 15. Marz 1848 sein Talpra
Miujyar ! (Auf, Magyare !) deklamirte ; das andere Modell zeigte den
Dichter in ruhigerer Pose, im Gesichtsausdruck die Stimmung seines
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884 fsuascaiBB.
Wmfidal (Patrio&checi Lied). Izso htttte lieber sem eretereB Modell «ne-
gcführt, doeh begegnete daaaelbe im Pablikom maachen Anfechftiuigeii,
da man betonte, die Statue drttcke nlebt den Charakter Pet^fi*8 aas, eon-
(Ivru suclie nui" einen Akt .seines Lebens zu verewigen ; der Kün.<.tler
jüusste .sicli daher an die Auf^arbeitunfj des zweileu Modells machen.
Eine Zeit laug bestand die Holfnung, dass man die Statue »m
fünfzigsten Qebartstage des Dichters, im Jahre 1873, werde enthüllen
köniieii i diese Hofinung erwies sich als eitel, und zwar nicht in Folge
eines Ifiaageb an Geld, sondern weil die Erbannng des Volkstheaters am
Herminenplatze zweifi^haft wurde. Dock das GlQek war günstig. Der
damalige Minister des Innern, Oraf Julius Szapury, fand keinen geeig-
neteren Platz für die Oper, als auf der Radialstrasse, und so wurde jder
Orund des Vulkstlieater.s aus der Zivilliste uiu eine sf> bedeutende
Summe abgelöst, das.s auch das Theater auf einem andern, weniger
iheuren Hätz zum grossen TheUe erbaut werden konnte. DerÜau wurde
denn auch auf der Kerepeserstrasse begonnen. AUein dies war kein ge»
eigneter Punkt för die Petöfi-Statue. Das Komite suchte also 187d einen
andern passenden Platz und fimd Um auoh an der Donaozeile.
Dieser Platz hatte, gegenüber einigen kaum beaehtenswertken
Nacbtheilen, ausser der proportioneUen Bintheilnng und der prBcktigen
tiage auch noch den Vortheil, dass der Dichter, wenn seine Statue hier
auty,'estellt wird, nach dem AliÖld, jener Gegend bückt, die er als seine
GeburtsstUtte stets verheri'licht hat. Izso ersuchte die Kommission im
•April 1874, wegen Ueberlassung eines zur Erbauung einee Ateliers ge-
eigneten Grundes bei der Stadt zu interveniren. Die Sache zog sich aber
in die Linge und Izsö baute auf einem leeren Grunde in der BosMigasse
ein zwar bescheidenes aber genügend grosses Atelier, das im IVQlgahre
1875 vollendet ward. Doeh Issö starb bereits am 28. Mai 1875, bevor
er seinen sehnlichsten Wunsch, die Schaffung der Pet6fi-Statne, Uttte
verwirklicht sehen kr)nnen. Die Kommission beschloss, mit dem Werke
einen andern ungarischen Künstler zu betrauen und ilire Wahl tiel ein-
stimmig auf Adolf Huszdr, da auch Xzsö besonderes Vertrauen zu diesem
hochbegabten Bildhauer hatte.
Die Uebergabe erfolgte am 26. August 18 7 5. Hinsichtlich der
Höhe der Statue acceptirte der Ansschuss zufolge der Mahnung Adolf
Uuszär*8 die Modifikation, dass die Statue statt 9V3 Fuss, 12 Fuss heeh
werde, demgemftss auch das Honorar des Künstlers insgosMumt auf
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▼KSklSaRTKS. 835
10,000 fl. erhöht wurde. Soviel hatte- schon Nikolaus Izso von seinem
Honorar von 12,000 fl. erhalten.
Ein grosses Hmdemiss mur fttr Hnsiär hei Herstellnng der Por>
traii-Aehnlichkeit der Umstand, dass von Petöfi kein treaes Bild Tor-
handen ist. In dieser Beziehnng kamen ihm 8. Petrics-Orlai, Paul Gyn-
lai. Moriz Jökai und Senats-PrSsident SarkÄny mit den inlhrem Besitz
l)elin41iclien Bildern /u Hilfe, indem sie deren Mängel durch mündliche
Weiaungen ergänzten. Hus/är legte am 25. Oktober 1877 sf^ine Skizzen
dem engeren Komite vor ; darunter tiel besonders Eine duicli schöne
und kttnstlerisohe Ausführung an^ auf welcher Skizze Pet^fi mit durch-
geistigtem, dem Himmel zugewendeten AntKtz, mit der fiechten, den
Mantel haltend, dargestellt ist. Hehrere Mitglieder spradicgi sich für die
Ansflihmng aus, wlihrend die M%)oritlit wohl ehen&Ds diese Skisse an-
nahm, aber mit der IndividnalitSt Bst^fi^s die ganz ruhige Stellimg
nicht für vereinbar hielt und verlangte, dass ein Arm erhoben werde. Hu-
szär beugte sich, wenn auch nicht gern, dem Willen der Majorität ; auf
seine Bemerkung aber, dass eine allzu kühne Armbewegung nur der
Schönheit der Ötatue Abbruch thnn würde, nahm das £omita die vom
Künstler empfohlene ArmhaltaBg an.
Die Angelegenheit derPet6fi*8tatiie entwickelte sich nur u*ig«»"«j
machte jedoch im Juni 1879 einen grossen Schritt nacli.vorwllrts. Der
Anssohnss erfuhr aus dem Berichte Anton Bemönyi's, dass das Werk
HiLsztir'f? sich der Vollendung nühere ; die Zeit schien deumacli gekom-
men, die Arbeiten für den Erzguss und für die Aufstellung in Angriff
zu nehmen. Da mittlerweile die Stelle des Präsidenten durch den Kückr
tritt Eduard Kemönyi's erledigt worden war, ersuchte der Au3schu8B
den Grafen Ste&n Kärolyi Jon. diese Stelle an tthemehmen, welchem
Ersuchen der Graf hereitwillig nachkam. Dem znrflckgetretenen PriEsi-
denten wurde protokoUarisch der Dank ansgosproohen. Statt des hishe-
rigen Schriftführers Karl Remteyi wurden die Schriftführer- Agenden
Anton Remenyi übertragen. Hinsichtlich des Krzgusses wurde zuerst
die Schlick schc Giesseroi aufgefordert, doch trat diese von der Kon-
kunenz zurück. Die Wiener k. k. Giesserei verlangte 95UÜ Ii. tür den
Guss, die Ziselirung und den Transport nach Budapest. Die Dresdener An-
stalt beantwortete nicht einmal die Anffordemng, die Münchener rer-
langte 12,000 fl. In Folge dessen wurde mit dem Wiener anagezeidme-
ten Ersgiesser Karl Tarhain, der nur 8925 fl. yerlangte, der Vertrag
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836 VKKMI8CHTE.S.
abgesf-hlossen. Die Herstellung des So«-kels nahm i)UOU Ii. in An.sprucii,
die Fimdamentinuig 4400 fl. Zur Decknng der noch noihwendigm
Somiiien trog der Prludent durch SamTnIiiiigen imter seineii Freanden
und Bekannten 2200 fl. bei und den Best widmete die Hauptstadt. Die
' ISnthfillung der Statue fiind bekanntlich am 15. Oktober 1SB2. statt
Der Bericht hebt noch die grossen Verdienste des Oberb&i^ür«
luoisters Hüth besonders hervor und schliesst mit tblgemieii Worten :
„Es ist dios dif! erste St-<itue Tetöti s, doch sind wir überzeugt, dat^s
gleichwie sein Bahm mit den Jahrhunderten nur zunehmen und immer
glttnxender werden wird, die Nachweit mehr aU mit einer und mit viel
grossartigeren monumentalen Statuen den Dichterflirsten der Freiheit
und der Liebe ehren wird, der auf der Wahlstatt Ton Schissbnrg mit
Schwert und Leier in der Hand geihUen ist, damit sein hehrer Oeist» der
die Nation fortwShrend /n patriotischen Thaten, zu Edlem und Gutem
aneifert, unsterblich in jedem ungarischen Herzen fortlebe."
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