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Full text of "Über germanischen versbau"

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Übe 




germanischen 
Versbau 




Andreas Heusler 




Übe 




germanischen 
Versbau 




Andreas Heusler 






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o 

SCHRIFTEN 

r 

ZUR 

GERMANISCHEN PHILOLOGIE 

HERAUSGEOEBEN 

vo» 

BR. MAX ROKDIGER 

A. O. PB0PBB80B AN DESITNIVBBSITXT BERLIN. 



SIEBENTES U£FT: 

ÜBER GEHMANISUHKN VERSBAU. 

VON 

ANDREAS HEU8LEB. 



BERLIN 
WEIDUANKSCHB BUCHHANDLUNG 
18M. 



ÜBER 

6£ßMANI80H£N VERSBAU. 

# 

VON 

ANDJiEAiS HEÜSLEK 



BERLIN 

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 
1894. 




1^" 



\. Digiii^uu by G(.)0^l 



Meinem Freunde 



Dr. Julius bcliultz 



^ugeeignett 



Uebersicht 



Kap. L Allgemeines zur Verslehre 1— öO. 

Geteiltheifc der metmchen Ansichten 1; die Sicversscbcn Ilhytlmion 
des S'talireittiverses 2; «roritioroiid* — ..takticn-oiid'" T» ; Si)ii'i ln'ers (5; Vor- 
tragsfroiheitpn 9; absoluter und o«r.a.sioii«'ll("r Kliyfliiiius 11; Rrücken exat-te 
Methode 12; Eliytbnius im ^'esuii«,'Ciiou und im gesprochen on Verse 12; 
Unterschiede des Vorti'ag:es bo<lin«;6n keine luetriscbo 2SwetteUun<,^ 16 ; Au* 
Wendung auf den Stabroimven 16; Spreehvers der Griechen 18; Allg^emoinheit 
des metrischen Taktes 18; — Rhythmos 20; mctri-srhor Rahmen und sprach- 
licher Inhalt 22; Bestandteile des Grundniarses 24; Takt. Taktwechscl 24; 
Taktgesnhlecht 26; Taktzahl 28; Vcrsmiluno' 29: ihre Hauptarten 30; der 
Auttakt 30: dfis Versinnerc 32; tiuine iSilbonzahl 32; Rhythmisioruiiy^ di s 
Takiiuhttkes 34; die Cadenz 31; ihre Dreiteilung 35; einsilbig- und xvvei- 
sUbig^ToU 35; einsilbig» und sirei«ilbig4tampf 30; Differensiorung der Ca- 
densen 87; der Alexandriner 40; Gadenxfireiheiton im deutschen Volks- 
liede 42; die KindersprQche: Stellung zum littorarischen Vri han t3; ihre 
VersfUllung- 46; — Rhythmisierung toter Verse 48; Statistik uud rhythmische 
Deutung 49. 

Kap. II. Metrische Streitfragen S. 61—92. 

Zweitakttbeurie 51; Contraste der Zeitwerte 52; Wilhelm .Jordan 53 ; 
Abhängigkeit des ersten Verstaktes vom zweiten 55; ütumpfor und klingender 
ScUuss sind t. T. fanctionell gleichwertig, ab« rhythmisch venchieden 57; 
der Anftakl ist mehr oder wenigw gebunden 58; seine SilbenMhl nnt^iegt 

nur graduellen Distinctionen 60; gegen den Begriff der „Eingangssenkung" 
Ol ; der Auftakt wird nic ht willkürlit'li iroliaridliabt ßl*; die kliiiy-eiidc^ Messunir 
ruht nicht auf (niiem sprac'iü' bon Xebeiitou der EndöilbL'ii (33; sio g-eht auf 
deu UiTcrs xurück 64; liuyLkmiaierung dreisilbiger Wörter im Ver.sschluss 
65; bei Otfrid und im fHlhmhd. Vevs 65; lang H- unbetont ab Füllung des 
Sehlusstaktes 67; romanisebe Einwirkung 68; akatalelctiache Vene im 
Yolkaliede 71; Zengni^s der lateinisch-germanischen Mis :hdichtuii<; 72 ; Das 
FQiiftypensystom und die Zwoitakttheoric 74: du.s auf dio „( iliodiT^ahl" go- 
griludete Krkläruugspriucip 75; epische Vorüo, die sich ihm entziehen 75; 



Kapitel I. 



Allgemeines zur Verslehre. 

Die Darstellungen des Versbaues in Pauls Gnmdrisa der 

germanischen Philologie und das gleichzeitig herausgegebene Buch 
von Sievcrs, Altiifermanische Metrik, stellen eine baldige Einigung 
dei metrischen Theorien nicht in Aussicht. 

Der Beweis dtlrfte erbracht sein, dass keines der heute ver- 
tretenen Systeme über Argumente vorfügt, die jeden logisch 
Denkenden zu seiner Aiiii;ihme nötigen könnten, lieber den stab- 
roiraenden Versbau und, im Zusammenhang daiait, auch Uber 
einige dei' wichtigsten Probleme der Reimverscntwickliin^' kann 
man, wie 55ieh j,^czcig1; hat, bei dem Stande unsrer IJeberlieierung 
und unsrer' Kenntnisse sehr verscliiedeuer Ansiciit sein. 

Doch haben uns die genannten Schriften, wie ich glaube, 
dem Ziele näher gebracht, dass eine Klärung der Gegensätze 
erfolgen könne; dass man sich der Grundsätze bewust weixle, 
deren It^iiliinng in den verschiedenen metrischen Lagern anerkannt 
wird. Wie wünschenswert dies ist, zeigt die Polemik der letzten 
Jahre. Sievers, S. VTIT der A]tf,^erm. Metrik, vorwart sich ^a!gen 
die Ansprüche, die man vom Standpunkt der „aligcmeuien Rhyth- 
mik" an seine frühem Aufsätze g-estelit hal>e, und gibt zu ver- 
stehn, dass er über all^^emeinc Kliytlnnik anders denke als seine 
( Jegner. Unigekelirt führt Sievers zui- Verteidigung der eignen, 
zur Wide)l(»j(nng der andern Theorien Argumente vor, die viel- 
leicht nur tui' iini selbst Beweiskraft haben. 

Jetzt, wo die Sieverssche Theorie ans der mehrdeutigen Un- 
bestimmtheit des bisherigen Fünttypeusystems herausgetreten und 

Heniler, Qwm. V«n1>M. i 



2 



Kapitel I. 



rhythmiscli j,nein>ar g"eworden ist, wird eine Aiiseinantlorsetzung 
leichter möglich. Es hat sich gozoi^rt, (la."<s ein Teil dci* Iviiwändo, 
die gegen das Typensystem vorgebracht wordon sind, im 8inno 
von Sievers gegenstandslos waren, wei! man 8icvci-s Aposioposen 
in einer von ihm nicht gewollten Richtung ergänzte. Dnich die 
neueste Darstellung durfte seine Ansicht vollständig und klar 
genug entwickelt sein, dass die Kritik nicht mehr zu flU'cUten 
braucht, in ihi-en Gegenstand Fremdes hineinzutragen. 

Aof^erdem aber Ist durch das Sieverssche Buch, insbesondere 
den Teil über Entstehung und Rhythmus des Stabreimverses, der 
principieUe Gegensatz gegen alles, was man auf andein Gebieten 
der Versgeselüchte an metrischer Methode glaubte anerkennen zn 
sollen, derart verschärft voi-den, dass man sich wol nachdrück' 
lieber als zuvor die Frage vorlegen wird: kann mit diesen Grund- 
sätze weitergebaut werden? Eine entschiedene Spaltung der 
verswissenschaftlichen Piade schemt mhr an diesem Punkte un- 
ausbleiblich. Nidit in der Hollhung, dieser Spaltung vorbeugen 
zu können, sondern mit der Absicht, eine bestimmte Position zu 
umschreiben, deren Berechtigung mir nicht widerlegbar erscheint, 
versuche ich auf den folgende Blättern die Voraussetzungen zn 
skizzieren, die die Verslehre, wie ich glaube, als ihr gutes Recht 
in Anspruch nehmen darf. Wenn ich dabei an Darlegungen von 
Sievers anknüpfe, so ilenke ich dadurch meinen entgegengesetzton 
Stiiiitii)nnkt schneller und klarer präcisieren zu können; eiiu' all- 
seitige Kritik der Sieversschen Metrik .stiebe ich nicht an. 



Die Rhythmen, die Sievei s in der Agerm. Metr. § 168—180 
dem epischen Stabreim vei*se zusclneibt, sind höchst eigenartig. 
Es gibt meines Wissens in de»* Vorsgeschichte aller Völker und 
Zeiten kein irgendwie veigleichbai'cs CJegenstttek dazu. Das zu- 
meist Bezeichnende liegt in folgenden Punkten. 

Es bestehn keine bestimmten Zeitproportionen. 
Die einzelnen Ver^lieder stehn zu einander in irrationalen 



Allgonolnes zur Verslohiv. 



Zeitverhftltnissen, z. B. die SÜbengrappe Typns CX /|>^v 
hat den Rhythmus , , 

# i # # 

1 Ii 1 

d. h. die zweite Silbe Imt den rhythnüschea Wert: ein Viertel, 
vermehrt um ein Unbestimmtes; die dritte Si)be hat den Wert: 
ein Viertel, vermindert um ein Unbestimmtes. 

Diese irrationalen f und f» treten auch in den T}^peji I) und 
E aal'. Aach die Typen A und 11 soUea, nach der m § 172 
gegebenen Ljigauz.uiig, als 

aufgefasst werden. Aber auch die mit sclilichtem • bozoiclnietrn 
rhytlimisclien Glieder dürfen offenbar nicht budistäbüeh aJs Viertel 
genommen werden; denn wenn z. B. der Vers 

pefrun fuBfäon 

das Schema 

0 0 0 0 

1 I I I 

erhält, so wäre es doch wol schwerlich nach Sievers Sinne, wenn 
wir, in j^^etreuein Anschluss an dieses Sclieina, die f/e- 0) 
länger aashielten als die Silbe ha'f- i). Also auch die 
VorsL^ieder, die ia einfachem f ihren Ausdruck linden, sind nicht, 
oder nicht immer, als Zi it werte fixiert. 

Den irrationalen Cliarakter dicker Rhytiiiueu — d. h. die 
Al)wosealu'ii von einfachen und feststehenden mathematischen Pro- 
purtiunen — bestätigt Sievers ausdrllcklich mit den VV orten (§ Kii) ): 
„In bestimmten Notenwerten lassen sich diese VerschiebanLn ii der 
Quantität natdrlicli nicht ausdrücken, da Uu* Mals im eiuzeiuen 
von rhetorischen Factorcn aljiidngt . . 

Die erwähnte Eigentilmlichknlt srliliel'st notwendiger Weise 
das Vorhandensein des inetiischeu Taktes aus; d. h. Zeit- 
abschnitte von geregelter Dauer und geregelter innerer Gliederung 
existieren nicht. 

Und damit hängt wider unmittelbar das Dritte zusammen: 
es ist nicht müglich, bei diesen Rbythmisierungen einen metri- 

1* 



4 



Kaiiitel I. 



sehen Eahmen, der einheitlich uod unvoriinderlich wäre, zu 
onterseheiden von der verftnderliclien, von Zeile zu Zeile wechseln- 
den Vorsfttllnng, Diese Begiilfe sind auf Si(!vors Hliythmen 
nicht anwendbar. Die verbindende metrische Einheit fehlt den 
Versen — seihet wenn wir uns auf die nach Sievers „viei'gliedrigen** 
Verse beschränken. Zwei Schemata wie etwa 



haben keinoii rhythiaiöchen Kern, der beiden «gemeinsam wäre. 
Denn mit der abstiacteii Tatsache, dass in beiden Fällen vier so- 
genannte „Gliodei'' vorhanden sind, ist keine dem rhythnii.scheu 
Sinne warnehrabaro Einheit gegeben. Man durfte nicht etwa 

das Schema # # # # 

i I 1 i 

als gemeinsßhaftliche Grundform hinstellen; denn dies liefe ja 
wesentlich auf die alte Vierhebungslehre hinaus l — Ueberdies 
beschränkt sich ja die Minderzahl der Gedicdite auf diese „vier- 
gliediigen" Verse. 

Weiterhin ist als ei^entdmlicher Zug, dem ich aus andern 
metrischen Systemen nichts ^cL'onllber zu stellen \vil<te. dieser zu 
erwähnen: die rhythmisclien (Jhoder eines Verseij üben eine 
gegenseitige veilängernde oder verküi-zcnde Wirkung aus. Z. B. 
in dem Typus E ^ f ^ 



erfährt das zweite Glied -hord einen verkürzenden Etnfluss von 
Seiten des vorausgehenden wordf, einen dehnenden Einfluss von 
Seiten des folgenden Gliedes on-; s. Agerm. Metr. § 169, 3. 

Gegen diese rfaythnüschen Gonstructionen, die mir wie ein 
künstlich ausgedadites Mosaik von lanter Unmöglichkeiten vor- 
kommen, im einzelnen Ejinwtnde zu erheben, halte ich für zweck- 
los. Wol aber lohnt es dch, die Voraussetzungen zu 
prüfen, die zu dieser Art der Rhythmisiei ung geführt haben. 

Wenn wir fragen : weshalb hat Sicvers dem epischen Stab- 
reim veise keine bestimmten Zeitpioportionen, keinen raetriselieu 



B ffft und 

^ ^ \ 

^ fffr 




worähorä onleac 




AUgememw sur Venlelure. 



5 



Takt, kein einheitliches Grandinals zuerkannt? so lautet die Ant- 
wort: weil Sievers den epischen vStabreimvers für einen Sprech - 
vers, nicht fllr einen Gesangsvers hält Alle die geiuuinten 
Eigenscliafteu aber sollen nur dem gesongenen Verse zukommen. 

Man erinnert sieh, dass eine ähnliche Zweiteilung wie hier 
zwischen „Sprechvers'' und „Gesangsvers'' von Sievers zuerst in 
dem Aufsatze Beitr. 18, 121 ff. (1888) befürwortet wnrde. Es 
heifst dort S. 127: „Wir besitzen jetzt zwei grundverschiedene 
Vortragsweisen, die ich aJs die recitierende und die tak- 
tierende bezeichne will. Die erstere herseht beim knnst- 
mäfsigen Spreehvortrag, d. h. hi drar Becitatlon und Deda- 
raation'*. „Dem gegenüber herscht die taktierende Vortrags- 
weise allgemein im Gesang; aal!berhalh desselben finden wir sie 
auch im gesprochenen Kinderlied und ähnlieh gebauten volkstüm- 
lichen Sprüchen." Auf S. 127 Note wird gegen Stolte aus- 
drücklich l>emerkt, dass der streng taktierende Vortrag auch auf^er- 
halb des Ciesanges vorkomme. 

Was in diesem Aufsatz als „taktierend" und „recitierend" 
gesondert, wurde, das stellt sirh jetzt, in der Agerm. Metr., als 
„Gesangsvors" und „Sprechvers" geg-eniiber. Man sieht, die 
beiden Contrustiei iingen decken sich niclit ganz. Wenn Sievers 
Agerm. Metr. § 5 die erhaltenen Stabreimepen als gesprochene 
Dicht luif^ zu enveisen sucht und daraus unmittelbar den frei 
recitativischcn Vortrag folg-ert, so steht dieser S<;hluss mit 
den angeführten Aeufserungen nicht im Kinklang, weil diese 
eben auch aufserhalb des (iesanges streng taktierenden Voi"trag" 
einriUimen. Ich lege auf diesen Widerspruch kein Ciewiclit und 
erwähne ihn nur deslialb, weil melirere Stellen der Agerm. Metr. 
den Gegnern tatsächlich nicht gehegte Irrtümer zuschreiben: wer 
gegen den takt freien Vortrag protestierte, der soll den ge- 
sprochenen Voitrag in Abrede gestellt haben. 

AGform. Metr, 8. 6 o., S. 179 wirf gwKgt^ MOUw babe sieb den AUIC- 

torationsrers „zu allen Zoiton nur g-esungen" gedacht; er habe den Ueber- 
gang zum Sprochvortratr cfelfttii>Tiot; damit vorgloicho man Möller, Zur ahd. 
AUitt(!rati()iispo('si(' S. 128 Note: „Meine Accentsetznng bezieht sich überall 
auf den gesungenen oder im Takte rocitiorten Voxü^' uud boäunders K:>. 168 ; 



6 



Kapitel I. 



„Wir wissen, dnss in England dem allitterierenden Volksepos ein blofs 
gesagtoe ttlUtterrarendes K^nstoiM» gefolgt i^t, und auch der nieder- 
deotscbo Heliand üit der blors gesagten Kunatpoesie «oioaKblen . . . Wir 
wissen aber darum docb nidht mit Sicherheit, ob die Vortragsweise dos 
jüngeren altenglischen Kunstopos und der jün^reren flpiitsiln-n AUittc- 
mtionsponsio bereits zn einer nicht tnktii rciKlnu gcwoideii, oder ob der 
jüiigero Allitterationsvers im Takte ruciriert oder gesagt worden ist," 
Agorm. Motr. § 165 wird in der Tatsache, dass im westgcrmauiscbon Verso 
die syntelttisRbcn Eiiisdinitte verwiegend in die Mitte der Langseile 
ÜEtllen, mit Recbt eine llesUUigang des gesprochenen Vortrages orblicitt 
nnd daran die Anmerkung gcsoMosscn : dieses Stilprincip sei von Hirt 
und mir isrnoriert worden; damit crlp'ÜLT'" -irli die Kritik, die ich Acta 
Ciorm, 1 DS an dem Fünftypt-nsystcni'! ireübt hiitto, denn — die Nicht- 
berücksichtigung prin< ipicll wichtigor Fragen liege rein auf meiner Seite. 
Dass der Stabreimyers gesungen war, batte icb nicht einmal fttr den lijtfda* 
hAttr Toransgesetzt ; vollends den Beowulf oder den Heliand als gegangen 
zu denken, ist mir nie eingefallen. I(;h hatte 8i;hleobterding8 keinen An-> 
la-ss, jenes allbekannte Stilprincip dos Langanlcn-EnjambomeDts heranzu- 
ziehen. Nicht für den ijfpsnniretirn Vers, srindern für den taktierten Vrrs 
war ich eingetreten, und wa^t ich gegen das Fünftyponsystcm vorbrachte, 
hat sich mit keinem Worte auf Oc»ange.svortrag berufen. 

Jene Scheidung- von „recitierend" nnd „taktierend" jralt zu- 
naU'list der Vortragsw eise: die erste Art „bring^t vorzugsweise 
den mit dem Versrliytlimus sich verschlingenden natiii-liehcn Satz- 
rhythmus zum Ausdruck'' (Beitr. 13, 128); in der zweiten Art 
„wild die taktmäfsige (ihedernng der rliythmischen Reilien in den 
Vordei-i^ruiid gestellt" (ebenda S. 129). Aber Sievors erhob sofort 
den Unterschied der Vortragsart zn einem Unterscbiede des 
A^'ersbaues. Die Verse, die recitiej-end vorf-etragen wenlen, 
sollen auch ihrer metrischen fcStructur nach ihre Eigentüm- 
lichkeiten haben; ebenso ihrer-oits die Verse, die taktierend vor- 
getrasren werden. Damit war nicht blofs für die Praxis des Vor- 
tragenden, sondern auch für die Theorie des Metrikers die Zwei- 
teilung ..taktierend'* nnd „recitierend" aufgestellt. Sievors konnte 
also beispielsweise die Frage anfwerfen, ob der Vers Otfrids, ob 
der Stabreim vei's taktierend oder recitierend seien (a. a. 0. S. 133 If.), 
Und den Stabreim vers stellte er zu der recitieratiden Klasse. 

Demgemäfs finden wir nan ia der Agenn. Melr. den Begriff 
„Spre divers" (der, wie wir salieQ^ an die Stelle von „roci- 



Allgemeines lur Verslehn. 



7 



tierend'' getreten ist) als Scliirin iiiid Scliild der neuen Rlivtlmii- 
siernngen in das \'ürUertroftV^n i,^estellt. An zahlreiclion i^idUm 
beruft sich Siovors auf dm „Spreclivors" als auf die stützende, 
tragende Voraussetzung seiner Tlieoi-ie. 

Man vcrf^loiihe Ii. Aperm. Motr. 8. IX: \v(Mai dorn Flitittypeii- 
ü^steoi gcgonüber (in stMiier Fassung his zum .luiire 1892) constatiert 
worden war, im» es Ausdrucke wie „libytbmuü, rhythmische Typen'* por 
abusuni gebnueho, dft es nicht den Rhythmns auch nur einoa einxigeo 
altgeraianischen Verses fixiert hattet), so erwidert Sierers: er habe „einen 
Vors, der alle typischen inneren Konnzeichen des Sprochrerses an sich 
trägt, nicht als Cü sanf^svers nnsshandelt" I — S. '> wird gegen Amolting be- 
merkt, (lass eine .Silbe als Trägerin zweier Hebungen M-tk giffrusindf) 
beim taktmUfsigcn (Josan»,' statthaft aei, d. h. also im Sproclivcrs un- 
statthaft. V gl. die Aoiirsorungon S. 6: dann die eingehende Erwägung 
in § 5, was sieb ttber die Vortragsweise altgermanischer Poesie rennat^n 
lasse: die erhaltene epische Litteratar wird als nicht gesan$?en aui^fasst; 
der Oodankengang liinft auf die Spitze zu: nicht go,suii<,'cn — folglich 
(frei reoitativischor) Sprcchvors, nicht gleichmllfsigo Taktgli^derung'). 
Dann § 6: (b-r Sprech vers bosirzt kein Takrj,»esrhler]it, mehr Freiheit, 
das Tonip«» zu wnrhseln. „«teigend« ' und „tallciule" FUfi>o zu verbinden. 
§ 141: der Kernpunkt in der Hypothese von de>r Entstehung der Stab- 
reimrhjthmon ist der Uebcrgang „vom taktmltlhigen Gesangr aum S prech« 
vortragt*; dies wird ausgeführt § 158 IT. 

Sievers Ansicht lUsst sich so zusammenfassen: 
So lange der germanische Vers gesungen war, be- 
safs er jene drei metrischen Eigenschaften: rationale 
Zeit Proportionen, metrischen Takt, einheitliches 
Grundmafs. Durch den Uebergang zum Sprechvers 
giengen diese drei Eigenschaften verloren. Es entstanden 
* jetzt die irrationalen, taktfreion, des einheitlichen Rahmens ent- 

S. '28 f. gibt dii s Sit vt rs. mit andern Ausdrücken, 7m. 
-) Befremdlich ist die in § 5, 4. 5 gezogene Fnl'^ernni,' : im lu ntigen 
Isliindischon bozeichnof h'eda, nach Viirfiisson, „the rliapstidii iklivery of a 
hallnd (nma), half rc( itiiii: half singing"; „es liegt keintiniml vor ', sagt Sie- 
vers, „tür dsus kvata der älteren Sprache eine erheblich andere licideutung an- 
znsetxeii"; folglich wurden die Gedichte, fftr die das h9$ia gilt, „nicht gleicli- 
niftfisig faktiorend" vorgetragen! Ist denn der Vortrt^ der isl. rUuwr als nicht 
takti'Mi nd bcstoiigt? Oder allgemoiiicr: legt ein halb rn( itinronder, halb ein- 
li^ender Vortrag nicht gerade die Annahme nahe, dass der Taitt rerh&ltniss- 
mttfsig schart' markiert werde? 



Digiii^uu by G(.)0^1c 



8 



Kapitel I. 



belireiiden Rliythnion, die wir voi liin Ö. 2 1. charakterisiert haben. 

Ein Beispiel: Die Typen C und D sollen vor dem üeber- 
gang zura Sprochvers diese Rhythmen besessou haben: 

0 \i'\t\t\t 

D I (J\t\f\t 

Man siebt, wie die bewusten drei Eigeiudiafton liier vor- 
handen sind: 

beetimmte Zeitproportionen : f nnd also 1:2; metrisoho 
Takte i f f | = Vi-Takt; einiieiilieJiee Grimdmars der Verse, 
nttmlidi 

irn-rnrnr 

(= vier %-^rakten), das erst durcli den sprachlichen Inhalt seine 

Dilfcrenzioriing zu den zwei Typen C und D erlant^t. 

Damit vergleiche man die oben S. 3. -4 angefdhrten Schemata 
für C nnd D nach dem Uebergang zum Sprechverse; es zeigt 
sich, (iasi die drei Eigeuschaftcu abhanden gekommen sind. 

Zu beachten ist noch dies: Sievers fasst den „Ueberganf^ zum 
Sprechvortrag" als einen liLstorischen Vorgang, — als einen Vor- 
gang, der einmal ireseliehen ist; dessen relative Chronologie sich 
bestimmen lässt. Nicht als einen Proccss, der sich täglick widei- 
holcn, der täglich rückgJingig gemacht worden konnte. 

Als Sicvers jene Zweiteilung ,, taktierend" und ,,recitiorend" 
aufgestellt und den Stabreimvers mit „sicherer Negative" aus der 
taktierenden Zone verwiesen iiatte, da erhob sich mehrfacher 
Widerspruch. Die Opponenten — Möller, Hirt, Fuhr, Lawrence, 
ich selbst — bemühten sich wabrsctieinlicb za machen, dass die 
Stabreim vei-se im Takte vorgetragen worden seien; sie verteidigten 
die Ansicht, die einst Scherer in die Worte gefasst hatte: „Der 
Rhythmus wird je weiter zurück, desto stärker hervorgehoben 
sein"; üebcrgang zur freien Eecitation gehört immer jungen Ent- 
wicklungsstufen an u. s. w. Ich halte diese Meinung zwar auch 
jetzt noch im grofsen und ganzen für zutreffend. Aber das punc- 
tum Sailens ist, wie mir scheint, nnr flüchtig gestreift worden 
(von MOller S, 155 Note, ^ von Fahr S. III). Die Sie* 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



AUgwnflines cur Verolflbre. 



0 



veisschen AufsteUangen sind voo andrer Seite her als irrtümUcli 
nachzuweisen. 

Ist CS riclitig, dass wir im heutigen Versvortrage — denn 
von diesem ist Sievers ausgegangen ~ zwei Arten, z%voi Grade 
der rliythmischen Genauigkeit unterscheiden kOnnen? Sicherlich 
nicht. Es gibt unzähUge Grade. 

Denken wir uns als das eine Extrem, nach der streng 
metrischen Ausprftgung hin, Lieder, die zum Marsche gesungen, 
Kinderstrophen, die zum Gehn gesprochen werden; femer Chor- 
gesänge ttberhaupt (wo die Gemeinsamkdt zur rhythmischen Strenge 
nötigt); — das andere Extrem, nach der freien, das Metriun ver- 
schleiernden Seite hin, bildet der heute tlbliche Vortrag auf der 
Bohne; der Vortrag, soviel ich beobachtet habe, des berufsmäTsigen 
Declamators. Zwiscim diesen beiden Extremen finden wir eine 
ununterbrochene Kette von Uebergangsstnfen. 

Eine KunstdicJitnng wird stilrkor ..seantliort" vom Seiiiller, 
der seiiiü Aufgabe hoisa^-t ; metrisch freier, subjectiver gesprochen 
vom Erwachsenen, der privatim das Gedicht geniefst; nach 
Bildung, (xeschmack, Temperament, augenblicklicher Stiiunuing 
wird ein und dasselbe Stück bald straff gebunden, bald luckercr, 
bald declamaturi.scli IVei gesprochen werden. Nicht minder treffen 
wir im Gesänge alle erdenklichen Stufen motrischer (Jenanigkeit: 
einerseits erlaubt sich der einzelne Sänger mehr Freiheiten 
(Atempausen, ausdrucksvolle Dehnungen, Ritardandos, Act^ele- 
randos) als die Silnger im Chore; anderseits wird das Kunstlied 
in der Regel weniger strafif rhythmisiert als das Volkslied; inner- 
halb der beiden Gattungen aber machen sich die gleichen indi- 
viduellen Eigenschaften geltend wie heim Sprech Vortrag und 
bedingen, hier wie dort, Schattierungen der Genauigkeit in nicht 
bestunmbarer Anzahl. 

Die Sache liegt keineswegs so, dass alles Gesungene auf der 
Seite des streng Taktierten stünde. Das kunstmäfsige Euizellied 
und die Arie werden überwiegend so frei behandelt, dass kaum 
eine Folge von vier, fünf Takten die Zeitproportionen beibehalt, 
die in Notenschrift auf dem Papiere stehn. Der Sprechvortrag, 



10 



Kapitel I. 



aiK'li in (Ii i- Kuiistdiclitung, kann loirlit vien Gesaug an Bestuumt- 
heit der motrischon I^lastik tlberbieieii. 

Also der sinir(Mulon wie dor sprerhonden Reprodnction von 
Vei^sen laiis.süu wir eine beliebige Anzalü von Genauigkeitsgraden 
zuerkennen. Aus dieser grolsen Manigfaltigkeit zwei Arten 
herauszugreifen, eine principielle Zweiteilung zu begründen, ist 
willkürlich. 

Und nun stellen wir die Präge: liefern denn diese verschiedenen 
Vortragsarten verschiedene Vorsmaise? — Die Frage ist ohne 
Besinnen zn verneinen. 

Wenn wir uns den „Krlkünig" auf drei xVrten vorgetragen 
denken: zuerst pedantiseli scandiert, dann mit mäfsiger Freiheit, 
endlich entfesselt niieh Ali, der Declamatoren — welches wird 
die Wirkung auf den HOrer sein? Wird er den ErlkOnig in di ei 
verschiedenen Versmafsen zu hören glauben? Selbstverständlich 
nicht; sondern er wird die drei Male^ unbewust, den nämlichen 
Rhythmus innerlich reconstruieron; was ihm die genaue Scansion 
des ersten Voi-ti-ages nnmittelbar zuftUirte, das wird er ans der 
Verschleierung des zweiten und dritten Vortrages mittelbar, durcb 
eine unbewuste Schöpfung semes rhythmischen Sinnes, lieraos- 
lösen. 

Und wie hätte sich der Metriker, dem die Fixierung des 
Versmafses oblSge, dazu zu stellen? Er wttrde nicht dr^ Metra 
fttr den ErlkOnig aufzeichnen, sondern das eine Metrum, das der 
erste Voiirag matliematisch scharf zum Ausdruck biuchte, wälirend 
es der zweite und dritte Vortrag konstleriseh discret „diurchblicken'* 
liefs. 

Eine Bachische Arie, noch so kOnstlorisch frei gesungen, 
wird niemals zu dnem Bachischen Recitativ, sondern behält immer 
ihre festen Zeitproportionen, die der rhythmische Sinn wamimmt, 
und die die Notenschrift matliemaßsdi fixiert. 

Ich darf an den Ausspruch von Scherer erinnern: „Es gibt 
einen ideale Rhythmus nnd einen realen^ (z6DS.' 598). Der 
reale ist der im einzelnen Falle producierte, — den nnser äuTseres 
Ohr vernimmt; den man mit dem Phonographen oder dem Hrtlcki- 
schen Kymographion autfangen kann; der bedingt ist durcii das 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



Allgemeines stur Teralelire. 



11 



vortrairf'nde Snbjtnt untl die aii*(onl)lickliclien UnivStände: wir 
können iiin auch den occasioncUen Kliytlunus nennen. Der ideale 
Rliytlimus ist der vom Dichter t^fosotzte, - den nnser inneres 
Ohr d. h. unsro rliytlimisohe Empliodung auffasst, eventuell re- 
eonstruiert; der befreit ist von den subjectiven Zutaten des Vor- 
tiagenden und des Augenblicks: er könnte aucli der absolute 
Rbythmos genannt werden. 

Durch jene erwähnten manigfachen Vortragsartea werden Air 
ein nnd denselben Yers sehr viele reale Rhythmen ei'zengt. Aber 
aus allen diesen Varianten wird der eine, constsinte Rliythmus, 
der ideale, herausgehört'). 

Diu iie\v'e^am«((Mi, di" tlm Ivliytlnnns erzeii<j:en, iuiterlie«ren 
natnrgemäls pliysikalisclicn Gesetzen; dalier ist jeder Rliythmus 
von der einen Seite pliysikaliseh be.stiminl)ar. Iiulcui nnser !?e- 
wüstsein die ubjeetiv bpirren/-ton Hhytbnien auriiimnit. werden sie 
zu einem iiinern Kliythmcnbilde umgearbeitet. Dabei macht sicii 
ein psychopliysiseher 1^'aclor geltend, der „rhytlnuisrhc Sinn", 
der mit körperlichen Functionen im Zusammenhang steht. Ks 
ist der Factor, worauf die Existenz des metrischen d. h. des ge- 
ordneten Rhythmus der musischen Künste nnd unsre Empfäng- 
lichkeit für ihn beruht; J*ulsscidag und Atem sind die pUysio- 
iogiscliea Keime der Rhytlnnopoiia. Man kami, was Seherer als 
realen nnd idealen K]i}i;bmus contrastierte, als physikalisch be- 
stimmten und- psychophysisch verarl)eiteten Rliythmus 
sich gegenlU>er stellen. Der Rliythmus als psychophysisches Phäno- 
men hat seine eignen Gesetze: zehn nnd mehr physikalisch ver- 
schiedene Rhythmen können psychologisch als die nämliche GrO&e 
appercipiert werden. 

Man wird nicht bestreiten, dass es die Verslehre mit dem 
idealen Rliytlimus (dem absoluten, dem psychophysischen Phänomen) 

') üas.s der Vortrags siageiid odor qHDchend, in freier Bohandlttiig so 

weit gelin kann, iIph vom Compojiisten oder Dichter g«8Ctztcn motrisi-lion 
Illiythniu:^ viillip- in ['rosafniitnll tnif/tilöscn. <n\n- ilns-ä or, ans Altsidit od*'!' T'ii- 
kenntnins, einen andern, vom Aiu«ir uwUt ^^»wolUcn, niotrisüüoii Hhytlmuis 
ausprägen kann, das ist für unsro Frajfe ohm Bedeutung. 



12 



ZU tun hat, — iiicbt mit dem roalon (üccasionclleü, pliyüikalLbcii 
bcstimmbarou). 

Der Motrikcr will nicht cnnittnln, wie ein Vors vom Schau- 
spieler X oder vom Dct lamaiur Y in dem und jonem Auj,'enblick 
vor^o'tra^^en wurtU'. soiuicni in welelier Form er vom Dichter 
gedacht worden ist und vuiii Jlörer euipfiiiulcn werden soll. 

Für die Motrik als solche ist es biHlcutungsloR. ob die alt- 
srcrmanischen Hcldendichter, die norronen Skalden, die raittel- 
allerliclien Mnnehe und Spielleute, ob Hans Sachs, ob CJootlie ilire 
Vpi'so ^Uvug taktii'icnil, weniger streng, ziemlich tivi, sf^hr frei 
vurt rubren. Alles dies berührt das Wesen ihrer ViM-sniiilse nicht. 

Wer dem hier A n<:edeutoteii beistimmt, wird auch diese 
weitem Folgerungen ziehen: 

Die exacte Methode Ernst BrUckes — das Aufzeicimeii 
gesprocliener Versrhythmon mit Hilfe eines Apparates — kann 
der Metrik keine endgiltigea Ergebnisse verschaffen: denn bei 
diesem Verfahren kommt nur der jeweilige reale Rliythmus mit 
allen sanen ZufilUigkeiten zur Darstellung; von dem idealen 
Bbytlimiis, wie sieb ihn das rhythmische Empfinden herauasehAlt, 
erhalten wir kein Bild. Weshalb auch der Satz von Brttcke: 
der Yersrhythmos könne nicht in Notenschrift, nur unter dem 
Bilde mer Wellenkette mit gldchen Abstünden der Wellengipfel, 
dai^gestellt werden, für die Verslehre keine Giltigkeit hat 

Zwischen dem gesungenen und dem gesprochenen Vers- 
rhythmus dnen grundsätzlichen, die Natur des' Rhythmus be- 
rührenden G^ensatz aufzustellen, ist nicht durclifahrbar und ver- 
wickelt in die grüsten Schwierigkeiten. Unter andern ist 
Rudolf Westphal widerholt für einen solchen Gegensatz 
eingetreten (Theorie 6i&t mus. Kfinste der Hellenen 42 ff. 49. 
III 1, 1 ff. 32 f. Aristoxenos von Tarent, Melik und Rhythmik 
IT (1R93), CXLVI ff. Allgera. Metrik S. V u. ö). Er sagt 
kurzweg: „Der gesagte Vors hat nur Vorsfülsc, aber er hat keine 
Takte . . „nur dei- 'I'akt ist eine messbare Zeitgrörso": „die 
Zeitdauer des einzelnen Versfufses entzieht sich dem Bewustsein*. 
In diosei' SchrolHieit werden iiielit viele Metriker den gessprochenen 
Vers täle (^u^|o des metrischen Taktes bei-aubea! Mit voUem 



Allg«nMtinM sar Verslelire. 



13 



Rechte statuiert Paal in seiner DarsteUnng im Grondriss den 
Takt als die essentielle Eigenschaft aller und Jeder deatseher 
Boiniverse, auch der modernsten, kunstmäf^tgsten Sprechverse 
(s. 8. 909 f. 956). Jene Satze von Westphal ignorieren vollständig 
die Grundbedingungen, worauf die Wirkung des geordneten 
Rhythmus beruht Wenn wir den rhythmisohen Abschnitten im 
ge^jpiochenen Verse die messbare^ dem Bewustsein zugängliche 
Zeitdauer absprechen — wodurch wirkt dann der gesprochene 
Vers als geordneter Rhythmus? 

Westphals Behauptungen mllsten notwendig zn der un<:e- 
lieuerlicheu Annalime filhien: der Rhythmus dos gcsprüiheuen 
und der dos j,''esun^^ciieii Verses hal)en iwicli Entstehung und 
Wirkung verschiedene psycliophysischi' Lchonsgesetze. — Wenn 
man Westphals Ansicht im einzelnen prüft, sieht mau sofoit: 
der wichtige Untoi schied zwisclien dem occasionelh^n und dem 
absohlten Hiiytiunus ist üim nicht klar ircwoidcn; er constatiert, 
dass der Vortrag niclit genau taktiert, und schheist daraus, dass 
dem rccitierten Verse das Princip des n'aktes mangle! Vgl. z. B. 
die Stelle Theorie u. s. w. I 44: „Versucht man ein Gedicht so 
zn lesen, dass etwa die lange Sylbe den doppelten Zeitumfang 
der kui*zen hat, so wiiti die Declaraation aulserordentlich 
pedantisch klingen, wird im höchsten (irade maniriert und 
unnatarlich erscheinen". (Jewiss! und um das Pedantische zu 
vermelden, sacht eine kanstlerische Declamation das staii« 

mm^n - • ' 

durch allerlei iucomtneusuiablc Zutaten und Abzdge zu 
mildern; aber der rhythmische «Sinn scheut vor dem ..Pedantischen" 
nicht /urück; ihm siiul die einfachen Proportionen das (icsuchto, 
und er w eils sie aus allen Verschleierungen heraas zu finden. 

Was die Berufung auf die Griechen betrifft, so kann ich 
nicht mit Westphal glauben, dass Aristoxenos die xotd to moov 
|vM^}iot xp<{vQt dem recitierten Verse abgesprochen habe. Die 
in III 1, 2 ff. erörterten Stellen aus der Harmonik des Aristoxenos 
scheinen mir zweifellos mit Henri Weil (dessen Aulfassung a. a. 0. 
bekämpft wird) auf die Tonhöhe zu beziehen; vgl Graf, 



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14 



Kapitel I. 



Rytbmns und Metrum, Marburg 1891, S. 37. Und der Ans- 
drack « ev pAsiatxj tarr<;|j.3->o; yjf^z stellt docli nicht den Rliyth- 
mos der ^m^fr^ lukmhoiii in Gegensatz zu dem der fttvjj hsr^ot^, 
sondern bezeichnet dea Rhythmus der gesammteo tt/vti (iQ'jondJ 
gegenüber dem der Xi^tc, der natttrlkhen, ungebundenen Rede. — 
AuBjerdem sieht sieh Westphal selbst sofort genötigt, jene kate- 
gorischen Sätze zurhek zu nehmen (III 1,12): wenn zum Spreeh- 
vortrage des Schauspiele» die Ellinge des Aulos, der Kithara 
oder die Orchestik hinzutraten, dann hatten selbstverständlich 
auch die gesprochenen Versfhfee Zeitwerte, die sich nicht „dem 
Bewustsein entzogen'' 1 

Ein Gedicht kann, gesprochen und gesungen, identischen 
Rhythmus haben. Ich wäre in Yedegenheit, hm Gedichten wie 
„Ich hatt' emen Kameraden" oder ,Gott erhalte Franz den 
Kaiser^ und unzähligen andern zu sagen; der gesprochene 
Rhythmus ist so, der gesungene so; ich vermag sie mur, ge- 
sprochen oder gesungen, gar nicht verschieden vorznstdlen. 

Vorausgesetzt ist natürlich, dass der Tonsetzer kdne andre 
Foim wählte, als die dem Dichter vorschwebte. Anderseits kann 
es leicht geschehen, dass ein Gedicht, indem es seine urspi-ang- 
liehe Melodie aufgibt und dem Spi'echvortrage anbeim fällt, 
andere Rhythmen annimmt. Beispielsweise kann „Ach, wie 
ists möglich dann, dass ich dich lassen kann'' statt seiner 
gesungenen Rhythmen 

beim Sprechen die Form 

•^rpriffrirrri-cf I 

annehmen. Also Verschiebungen der Versmaße beim 
UebergangB vom Singen zum Spi^hen können unter den ver- 
scliiedensten Bedingungen eintreten (vgL Stolte, Metr. Studien 
S. 18 ff.). Alleui, die auf diese Weise entstandenen Spivchvers- 
Rhythmen entziehen sich nicht etwa den allgemeinen Gesetzen 
des metrisch-musikalischen Rhythmus; sie sind ihrerseits wider 
musikalisch darstellbar, in eine Melodie fassbar, wie an dem an^ 
geführten Beispiel klar wird: ich könnte den Rhythmus des 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



Allgwneines inr Verslebre. 



15 



gesprochenen »Ach, wie ists mOglieh dann'* 

rjrirrn--- 

olino Schwieri<(keit in einer neuen Melodisienin^ beibelialten (man 

die 7s-'i'^kt-Molodie dieses Liedes in Erks Liederhort Nr. Tg i. 
Ks handelt sich in dc'rarti<ren Fälh>n um einen Wechsel im 
Versmafse. Aber VersmaCs a und b sind gleicher Weise metrische 
(irül'seii: und will nuia den metrischen Rhythmus „musikalisch" 
nennen, so ist die (^esproclienn) Form b ebenso wol musikalisch 
wie die (iresungeno) Vown a. Sollte der Sprechvorti'ag seinen 
Rhythmus b weniger genau ausprägen, so tastet dies seine ideale 
(psychopliysisch bedingte) Form nicht an -— kann ja doch auch 
(l(>r (iesang seine l^orm a auf alle Weise frei behandeln, ohne 
dass sie ilirer nielrisclien (Uiedcrung verlustig gienge. 

Ferner kann eine \'ei'sart. wenn sie aus dem Dienst«» der 
gesungenen in den Dienst der gesproeheniMi Dichtung übeigeht. 
ihre Versfullung anders regeln. Ein anerkanntes Heispiel dafür 
möchte der frlihmittelhoclideutsche epische Vers sein: er ist in 
der Füllung des Auftaktes, des Versinnern imd der Cadenz unge- 
bundener als der Otfridische. Auch an den fünffttlsigen Jambus 
in der Lyrik und im Drama darf man (Minuern. In solchen 
Fällen ist — im (iegensatz zu den zuerst besprochenen — das 
mctmehe Gruudmai's unverändert geblieben, aber die VersfAUung- 
ist im gespi-oehenen Veraie eine andere als im sangbaren. Es 
kann auch hier keine Rede davon sein, dass der gesprochene 
Vera auf andern metrischen Grundlagen rahe. 

Damach wird es nicht missdeutet werden, wenn wir unsre 
Ansicht in dem kurzen Satze formulieren: 

Zwischen dem Bhytlimus des gesungenen und dem des 
gesprochenen Verses besteht kein grundsätzlicher Unterschied. 

Indem ich zu den Hioverssehen Ansichten, die unsern Aus- 
gangspunkt bildeten, zurttckkehre, muss ich zunäclist betonen: 
es war ein Trugschluss, wenn Hievers seinem Gegensatz von 
„taktierender" und „recitieronder" Vortragsweise einen Gegen- 
satz von „taktierten'' und „recitierten** Versen und Versarton 
beioixlnete (s. o. S. 6). Der absolute Rhythmus jeder Vers- 



1« 



Kapitel L 



art kann mit vielen oder wenigen, starken oder schwachen 
ocoasionellen Modificationcn vorgetragen werden. Graduelle 
Unterschiede des Vortrages bedingen keine principielle Ver- 
schiedonhoit des Versbaues. 

Schon an den von Sievere fT3eitr. 13. 128 f.) angcfiilirten 
noudoutschcn Beispielen lässt sich dits misslichc seiner Zwei- 
teilung zeigen. Verse mit „Synkope dei" Senkung", also ein- 
silbigen Takten, sollen zu der „taktierenden" Klasse gehören. 
Aber wird denn etwa der erste Faustmonolog, Künstlers Erde- 
wallen und ähnliches (wo wir manche einsilbige Takte treffen) 
von unsem Scliauspielern oder auch nur von gebildeten Laien 
„taktierend" voi*getragen? Umgekehrt können auch die Verse mit 
regelmäfsigem Weehsel von Hebung und Senkung sehr wol 
taktierend vorgetragen werden. Nach bievers wären z. ß. alkäische 
Strophen in die ^iieoitierende" Klasse zu stellen; Brdcke hat 
sie taktierend gesprochen und mit seinem Apparate bestätigt, dass 
er sie taktierand sprach. Und sollen wir glauben, Goethe habe 
seine Stanzen nicht taktierend empfunden und gesprochen? u. s. f. 
Würde denn Sievers, wenn er das metrische Schema irgend einer 
„recitierenden" nendeutschen Versart aufzeichnen sollte, eine 
Form, die nicht takthaltig wftre, aufstellen? 

Die Beobachtung des lebenden deutschen Versvortitiges 
gibt kdnerlei Anhalt dufOr, y^recitiierende" d. h. nicht 
taktierende, des metrischen Taktes entbehrende Versma&e 
m statuieren. Will man aus der Menge der verschiedenen Vor- 
tragsarten zwei als gegensätzlich herausgreifen, so ist damit doch 
keine Zweiteilung fElr den Versbau, also auch keine Zweiteilung 
fttr die Theorie des Metrikers gegeben. 

Und treten wir nun an den altgermanischen Vers heran: 
den Erwägungen von Sievers aber den Vortrag der Stabreun- 
gedicbte, der widerholten Versicherung, dass die erhaltene Poesie 
ans Sprechversen, nicht aus Gesangsversen bestehe, mag man 
rttckhaltslos zustimmen, ohne dass dadurch jene eigenartigen 
Rhythmisieruugen im mindesten gestatzt eFSCht^en. Sievers spricht 
viel von den rhetorischen Bedürfnissen des Vortrages, von rheto- 
rischen Pausen, von Tempowechsel u. a.; er gibt Vorschriften 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



11 



fQr die einzelnen Verstypen, ob sie in „lebhaftem" oder in ,,ver- 
laiigsamtenr' Tempo zu sprechen seien; er ^eht so weit, den 
langen Eingan ^^ssenkungen und Auftakten einen bestimmten Vor- 
trag, als „kurzes Staccato" „mit leiserer und tiefeier Stininnj** 
(§ 176) anzuweisen; - man masr davon denken, wie man will — 
(lies ist doch klar: mit der metrischen Bestimmung der Verse hat 
dies alles nichts zu schaffen. Die Rliythmisierung irgend welcher 
Verse hat ihre idealen, al>soluten Rhytlunen zu ermitteln; die 
manigfachen occasionellea Vei'schiebnngen, die der Vortrag mit 
seinen Tempowechseln, seinen Pausen und Fermaten hinzubringt, 
die entziehen sich joder Normierung — schon im heutigen Vers^ 
vortrage, wie viel mehr in dem der alten Jahrhunderte. 

Alles was Slevers über „Spreclivers", Uber „recitativisch 
freien Vortia^^", liber die Ali; dieser Vortragsfreilieitcn ftuCsert, 
das betiifft doch einzig und allein — den Vortrag ; die zu Grunde 
liegenden Rliythmon werden davon nicht berührt. Die metrische 
Kritik darf von jenen Vorschriften oder Vermutungen ganz ab- 
sehen and sich auf die Frage beschränken: welche Formen werden 
als die feststehenden, aber den individndlen Vortrag erhabenen 
entworfen? Wie sind die Rhythmen beschaffi»n, die der streng 
Scandierende mathematisch genan hervorbringen konnte, die aber 
meist, in belebterer Recltation, dem i'econstmierenden rhythmischen 
Sinne des HOrers gleichsam erst zum Auffinden gegeben wurden? 
Und als solche oder an Stelle solcher absoluter Formen finden 
wir bei Sievers die o. S. 2 ff. beschriebenen Rhythmen .... 

Da stellt sich denn die Frage ein: mit welcher Analogie 
statzt Sievers die Möglichkeit dieser Rhythmisierungen? 

Dass die Vortragenden der altgermanischen Zeit pedantischem 
Taktieren aufs flullBerste abgeneigt waren, konnte man zugeben, 
und nach wie vor bliebe die Frage: womit wird es gerechtfertigt, 
dass die idealen Rhythmen der Stabreimdiclitung keine bestimmten 
Zeitproportionen, keinen metrischen Takt, kein einheitliches Gnmd- 
mafs besitzen sollen? Wenn Sievers diese Eigenschaften in § 6 
dem „Sprechvers" aberkennt — wie will er es glaubhaft machen, 
dass dies nicht blofs für den occaslonellen Vortrag, sondern auch 
fbr das ideale Metrum des Sprechverses Geltung habe? 

Heusler, Oerm- Verabaa. 2 



18 



In dem genannten Paragraphen verweist Sievers auf den 
Sprechvers der Griechen. Diese Analogie vermochte seinen 
Rhythmiaierangen schwerlich Halt zu geben. IMe Hauptvertreter 
des griechischen ySprechverses** sind der Hexameter im Vortrage 
der Rhapsoden und der jambische Bohnenvers (Westphal a. a. O. 
l § 10). Man wird doch nicht bezweifeln, dass die Schemata 
dieser Verse nicht anders als in echt metrischer Weise, mit Takt- 
gliederungi aufgestellt werden können. Zu den Sieverssehon 
Schemata liefern diese griechischen Vem keine Parallele. Wenn 
der t'ot^agte Hexameter seinen Daktylen die „kyklische Messung''' 
gibt lind der Jambische Trimeter seine Spondeen anders misst als 
dor gesungene, logaödisehe Vers, so sind dies Vorändei uui, cn 
des Versmarses, die nach o. S. 14 zu beurteilen sind, koiue 
grundsiltzliclien Autiösung'en dos nietrisuh geurdneteu Rliytiimus, 
wie sii* uns in den wSeheuiala von Sievers entgeprentreten. Das 
„fyjJ^xoct^s;" scheint die Abweichungen des froieru (Sprech-?) Vor- 
tra^'os von den (ira {liXoc?) streng verwirklichten Zeitproportionen 
zu bezeichnen: Aiistoxenos in Westplials Ausg. Bd. IT 8. 93 
des Originaltex tt»s: pi>{JLO*to£t; oe [/povot] ot TYjv ]i£v slpr^^ievriv dx^'-pzia-^ 
[rrjv xpo;; dU.yjA-^ stipufr|>.ov -ri^tv] \y^^ '3Y'>'^fi'i r/f/vTs;. — Die von 
Siovers vor*,'esclilai:enen Stabreimi'hyUuuen, worin kein Versgliod 
in rationaler Zeitproporlion zu deiu andern stellt, wären vom 
Standpunkt der Aristoxenischen Lehre nicht als pi^tAosti^sii;, sondern 
als apput^O'^ bezeichnen: ebd. dpp!ifr{i«t ^ [xp^votj oi xavtr^ xat 
Kttvto)^ ap(ü3T0t iywtxz icp9^ dÄ,'^X.(»!^ aovfteotv. 

Den Metrikem, die f(lr den vStabreimvers nach einem metri- 
schen Taktuiafse gesucht itaben, hält Sievers entgegen, sie fassten 
die allitterierenden Verse als „eine glatt fortlaufende Ueihe gleich- 
artiger Takte im modernen Sinne^ (Agerm. Metr. S. 10). Was 
das „im modernen Sinne" soll, veUls ich nicht. Dass je ein Mensch 
in dei* metrisclien Taktgltederang ein modeiiies Phänomen erblickt 
hatte, ist mir unbekannt; nicht einmal Sievers selbst — wie man 
doch nach dem ausgehobenen Satze wol erwarten könnte ~ ver- 
tritt diese Ansicht; denn dem indogermanisclien Urverse und noch 
dorn prähistorischen Verse der Germanen schreibt Sievers die 
yighitt fortlaufende Reihe gleichartiger Takte** zu. Auf der andern 



AllgomoliMS «ar Vontlebre. 



19 



Seite bat sieb vol kein Metriker, der aieb bisher z, B. nber 
Otfrid ttuitorte, einer falschen Anwendung modemer Begriiffe 
selmldig: zn machen gegktubt» wenn er dem Otfridischen Verse 
jene nttmliehe metiische Eigenschaft beilegte. Wenn dnzig and 
allmn bei nnsern stabreimenden Denkmälern das Suchen nach dem 
metrischen Takte als Anachronismns, als ungebariiches Yorgehn 
„im modernen Sinne* gelten soll, so d&rfen wir den Bewms daftir 
erst erwarten. Allgemeiner gefas.st: wenn der |?esammten srcrmani- 
schen Vci-slittei-atur endixiimonder Zeit, ganz untei-scliiedslos ub 
Gesangesvers oder Spreclivoi-s, die metrische Takteinteilung für 
ihre idealen RlivUinien als conditio sine qua non zuerkannt wird, 
so wird es erst eines Beweises bedürfen, dass unter der Ilorschaft 
des Stabreims Verse oline diesen constituiercndon Factor über- 
haupt möglich und denkbar waren. 

Sievers Agerm. Meti*. lässt es unerklärt, weshalb für den 
Sprechvers im Beownlf, im Hildebrandslied, in der Edda andre 
psychophysi.sclie Grundgesetze gelton sollen, als für den Sproch- 
vers im King Morn, bei Ohauc.er, bei Wolfram, odei- bei (Toethe, 
Tennyson, Tegner. Sie lässt es unerkläi t, wieso di(^ l^ostrennung 
von der Musik im Beginne de-s Mittelaltci*s grundsätzlich andere 
Wirkung^ auf den germanischen Versbau jrehabt haben kann 
als später, im 11. Jahrhundert und so oft sieh diosor Vorgang 
widerholte; denn wo liefse sich ein einziger späterer Fall aof- 
findeu, dass der Uebergang zum Sprechvortrag den metrischen 
Takt zei-stört hätte? 

Unerklflii und unorklärbar ISsst die Agerm. Metr. die manig* 
fachen Beziehungen zwischen der stabreimenden und der end- 
reimenden Poesie, wie sie uns zumal in England entgegentreten. 
Man sehe z. B., in welche Schwierigkeiten Luick in dem Auf- 
sätze AnglUk 12, 487 ff. geräti da er die englischen Stabrdjnverse 
des 14. — 16. Jahrhunderts für taktfi^i hält und sie dennoch aller 
Enden in innigster Berührung mit offenbar takthaltigen Versen 
findet. Eine reale Hebung dieser Schwierigkeit gibt es nicht 
Zwei so innerlich verschiedene rhythmische Principien kOnnen 
nicht Jahrhunderte lang neben einander her gelaufen sein; es 
kOnnen nielit in mnem und demselben Gedichte, wie etwa im 

2* 



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Kapital I. 



ae. Bestiary, Verse verbunden worden sein, die von zwei von Grund 
aas anders gearteten F^ormgefUlilen hiitton erfasst werden mtlssen. 

Ich hokonne micli zu der Ansicht, die Sievers, nach stünom 
neaeeten Werke za scblicrsen, nicht einmal einer Discossion wert 
erachtet: dass esVersmarse ohne rationale Zeitproportionen, ohne 
metriflchea Takt nnd ohne geregeltes Grundmofe nie und niiigends 
gegeben hat Auf das Vorhandensem eines „Versmaises* In 
diesem Sinne aber darf man mit Sicherheit sddiefsen, sobald sich 
in irgend einer Dichtung Beigelungen der sprachlichen Quantität 
oder der Silbenzahl flndon, wie dies z. B. in der Stabreimpoeste 
der Fall ist 

Es zeigt sich hier, wie weit die Ziele der Metriker aus ein- 
ander liegen. Was Sievers (S. 5. 82) mit dem Tadel belegt ,,in 
ein festes Taktsehema bannen", „in ein hypothetisches MaCs ein- 
zwängen", das erscheint andern Metrikem als (üe unerUlssliche 
Aufgabe der Forschung 1 

Es sei nur erlaubt, die obigen Andeutungen Qber die metri- 
schen Grundbegriffe zu vervollstttndigen. 

„Rhythmus** als terminus technicus kann man widergeben 
mit „wamehrabare Gliedemng". In dieser allgemeinen Fassung 

kann „Rhythmus" auch auf die i-aiiinliclieii ErscheinunK^on ange- 
wandt werden; der Aiis(iru(:k „Symmetrie" f?u<;t luciiL dasselbe 
und kaiiii das Wort „lihythmus" nicht ersetzen. 

Die Vci-skunst, als 's.'/yr^ (louotxr^, hat es nur mit dem zeit- 
lichen Rhythmus zu tun. Mit dieser Einschräükuiig köouen wir 
definieren : 

Rhythmus entstellt durch jede Gliederung der Zelt 
in sinnlich warnehmbare, messbare Teile. 

Die iiiiythmen zerfallen zunächst in ungeordnete und geordneto. 

Der geordnete Rhythmus entsteht durch eine war- 
nehmbare Widerholung gleicher Teile. 

Die Widerkehr gleicher Zeitabschnitte bildet die Basis fftr 
die geregelten einfachen Zeitproportionen, die von der rhythmischen 
Empfindung als das wesentliche des geordneten Rhythmus 
erfasst werden. 



AllgenriiMS rar Tcnlehre. 



21 



Aristoxenos und ihm folgend Westphal verstehn imtor 
Rhythmus nar den geordneten Rhythmus; den ungeordneten 
nennen sie äppul^a Rhythmuslosigkdt Auch im gemeinen Sprach- 
gebranch fignriert Rhythmus in diesem engem Sinne: „Das ist ja 
gar Icein Rhytiimus'* sagt man von einer sehleeht gespielten Me- 
lodie und meint «kein geordneter Rliythmns*. Auch Wnndt, 
Grundzflge der physiol. Psychol.' II S. 72 f. gebraucht Rhyth- 
mus und rhythmisch in dieser engeren Bedeutung. Fttr wissen- 
schaftlichen Gebranch empfiehlt sich die Anwendung des Wortes 
im weitem Sinne. Denn auch der ungeordnete Rhythmus ist ja 
ein positives Phftnomen und kann nicht als blofse Negation des 
geordneten Rhythmus gefasst werden. 

Geordnete Rhythmen der untersten Ordnung bestehen aus 
lauter congnienten Zeitgliedem. So der Pulsschlag des gesunden 
Menschen; die ungehemmte Pendelbewegung: 

r r r r * ' ' 

(Als Einheit orfasst hier der rhythmische Smn | f 1 I i dies 
wird unverändert widerholt.) 

Mftn mag dies einfachen Rhythmus nennen. 

Der zusammengesetzte Rhythmus besteht aus Glie- 
dern höherer und niederer Ordnung. 

Die Analyse und Synthese, der wir die Zeit unterwerfen, 
rechnet mit Haupt- und Nebenabscbnitten. 

•)Trf rff- 
f rrfrr"- 

Trrrfr ff- 
'>)rrrrrr--' 
fr'f'rr"--- 

ofrr frr--- 

Sobald die einzelnen (xlieder des geordneten Hliytlnnus zeitlich 
oder dynami^ich differenziert sind, entsteht der zusammengesetzte 



22 



Kapitol L 



Rhythmus. Rein dynamische Differenzierung haben wir unter »); 
mn zeitliche Difforcnzierang anter b); beide Factoreo wirken za- 
sammen in den Rhythmen anter c). 

Die bisherigen Beispiele vertraten den nn gemischten zn- 
sammengesetztcn Rhythmus; d. h. die einzelnen Glieder höherer 
Ordnung waren unter sich congruent (das erste Beispiel bestand 
ans oongruenten I 1 i das letzte aus congruenten | ^ p | u. s. f.). 

Gemischten Rhythmus statuieren wir da> wo unter 
oder ttber den gleichen Gliedern ungleiche Teile bezw. 
Gruppen vorhanden sind. 

Die gleichen Glieder, die als Trüger des geordneten Rhyth- 
mus fiiiictionicren, sind hier | I ; sie zerfallen aber in wech- 
selnder Weis« in l iiterabschiiitte, sodass kpino, Congruenz beisteht. 

Den Jiiidcni Fall von gemischtem JAliythmus veranschauliche 
dieses Beispiel (der I'iinkt soll eine schwacliore, das Sforzato- 
zeichen eine stärkere nervoriicbiuig ausdrucken; ; 

'')?r?rrrfrrrrrTrrr 

Auch hier die gleichen Abschnitte | • f | ; aber von diesen 
ist bald hier, bald dort einer ilynainisch übergeordnet, sodass 
(Truppen entstehen, die unter sich nicht congruent sind. (Statt 
\ff\ auch I • I u. s. w.) 

Der in a) und der in b) wirkende Factor können sieh zu- 
sammen äofeem: 

c)rcrlrrMr 

Der gemischte Rhythmus vereinigt Gleichheit mit Manig- 
fultigkeit; er ist die eigentUche Eurhythmie. 

Im Tersban ist nur der gemischte Rhythmus verwirklich 
Das abstracto metrische Gerüste, das jeder Versart zu Grande 
liegt, hat ungemischten Rhythmns. Indem der sprachliche Inhalt 
in diesen metrischen Rahmen hineingelegt wird, entsteht der ge- 
mischte Rhythmus der concreten Verse, 



AllgetueineB tat Venlelure. 



28 



Beispiele. Die beiden Beowalfirerse 

458a beadusenida beUt 
2617a eatd meord eotmke 
haben den metrischen Rahmen 

d. h. ungemischten zusammengesetzten Rhythmus. 

Durch die sprachliche FQUiuig entstehen die ooncreten Vers- 
rhythmen 

Trrrf" 

* r Jrh ■ ■ 

d. h. gemischter Rliythmus, nach dem Princip oben a). 
Die beiden Verse (aus Goethes Schatzgräber) 

Moide Augen ich bHnken 

Unter dichtein Blumenkrmee 
haben die abstracte Gnmdform 

tiniromisclitoii Kliythmiis. Durch die VersfUllung sind die ge- 
mläclitcn Kh^Uimen (nach oben b) 

rrrrrrrr 
r rr''*rr 

entstanden. (Man könnte nat (Irlich in der Unterscheidung der 
Stärkeabstu fangen weiter gellen.) 
Die beiden Otfridverse 

I 26,8 drühtin, qttdd er, u4o mag sin 

I 25,26 joft ihae m&mmnnti 
haben die nngemischt-rhythmisclic Grundform 

• ■ « • 

! i • 1 I I I . 

Die Versfhlhing piiigt diesem Grundmafs zu den gemischt-rliytii- 
mischen Gestaltungen aus 

?ffrrrf 

. rrf r n 

(wie obeu unter c). 



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24 



Knpltel I. 



ßei dor Bcstimmong einor Versart ist also aus otDander 
zu haiton: der cotistante mottische Rahmen und die variable Vers- 
miong. 

Die rhythmischen Glieder des metrischen Rahmens sind, 
von unten nach oben aufsteigend: Mora, Takt, Vers, Periode 
(als Periode höchster Ordnung die Strophe). 

In diesem Organismus ist der Takt das eigentliche metrische 
Organ. Die Takte sind das liObenselement des metrischen 
Rhythmus. Denn vermOge ihrer g-oringem Aiisdelinung werden 
sie, in liöliorra Mafte als der Vors, unmittolbar als die gleichen 
Z'Mtabsclmitte empfunden, luif denen die Natur des geurdneten 
Hhythinus beruht. Dazö kommt, dass Vers arten versclüedener 
Ausdehnung viel häufiger combiniert werden als 'Pakte ver- 
schiedener J^äuge (s. u.), sodass der Takt viel häufiger das ideale 
Mafs abgeben kann. Der Mora gegenüber hat der Takt als 
metrisches Oi-gan den Vorrang, weil er auch bei mauigfacher 
Versfüllung als immer widerkehrendos Glied markiert wird, wo- 
gegen die Morae einerseits unter sich verschmolzen, anderseits 
pausiert \verden kOnnen nnd deshalb im con(!reten Versrliythmns 
weniger als Träger der rhythmisciien Ordnung hervortreten. Die 
Takte sind die ihythmisclien Glieder, die zu den zeitmessenden 
Organen des menschliciien Körpers in directe Beziehung treten 
(vgl. Leumann, Wundts PMlos. Studien 5,620 ff.); daher die 
Unterstützung der vorgetragenen Metra durch das Taktieren, das 
Auszeichnen der Takte durch y^rr^a^^ om^iatocil^. 

Es ist bekanntlich keine Forderung des geordneten Rliyth- 
mus, dasB jeder Takt mit dem vorausgehenden und nachfolgenden 
congruent m. Die Verbindung von Takten ungleicher Dauer 
und ungleichen Taktgeschlechtes, der Takt Wechsel, die 
{utaßoXiJ der Griechen, ist nicht als partielle Aufhebung der 
rhythmischen Ordnung zu betrachten, sondern als weniger ein- 
fache rhythmische Ordnung, indem hier nicht nur mit einer, 
sondern mit zwei oder mehreren ZeitgrOfsen gerechnet werden 
muss; es wird dem rhythmischen Sinne zugemutet, die wider- 
kehrenden gleichen Abschnitte zu empfinden, obwol sie nicht 



AligeoieineB zur Venlelue. 



25 



in ungemischter Folge stelm. Daram scheint Taktwechsel nur 
in strophischer und gesungener Dichtung vorzukommen — am 
leheosfiUiigsten er sich in der Verbindung mit Tanz^) — , 
wo die Wideiliolung und die Melodie erl^tera, den compli- 
dertem Autbau zu behei^schen. 

Das bekannteste Beispiel ihr Taktwechsel ist „Prinz Eugen, 
der edle Ritter^S den man gewiss nicht mit Wes^hal (Aristoienos 
I 48) in lauter fbnfgliedrige Kola ohne Taktwechsel aus einander 
legen darf (mit einer Aenderang in der ersten und in der dritten 
Zeile); die ftbliche Vorzeichnimg 7« scheint auch nur eino gewisse 
praktische Berechtigung zu haben: der rkjihmische Aufbau ist 
m. E. als eine Verbindung von 'A- nnd y^-TMea zu fassen, 
etwa so: Auftakt, "A, 'A, V4, 7*, 74, 74 (Fermate); Auftakt, 
^4, 74, 7*, 7*, V*, V* (Fermate); die Verbindung der bdden 
Taktarten zeigt also eine gewisse Symmetrie. Man tkSxt deuttteh, 
wie dne derartige Form keineswegs eine Annäherung an nnge^ 
ordneten Rhythmus bedeutet. 

Taktwechsel innerhalb der unstropliisclum und gesprochenen 
Dichtung hat auf get manischem Gebiete bislier nicht wahrschein- 
lich gemaclit werden k iinen. 

Was wir hier Taktwechsel gcua;i;il haben, ist eint? Er- 
scheinung des metrischen Raliinens. Das Wort Taktunistellung 
findet man bisweilen gebraucht für Eigentümlichkeiten der Vers- 
füllung, so z. B. wenn in einem ,Jajnbischen" Versmaise statt 
des Eingangs 



vorkommt (z. B. ten Brink, Chaucers Sprache und Versknnst 
S. 155). Der Käme Taktumstellnng scheint mir nicht gltteklich; 
denn wie man sich auch die Bhyihmisierung im einzelnen denken 
mag, daran wird doch, nach Ausweis der modernen Fälle, nicht 
zu zweifeln sem, dass bei solchen Verseingftngen in ruhigem 

1) n'Miii:^^ Hcschiclito dos Tanzes; Stoonatrup, Vore Folkoviser QraMiddol* 



der Eingang 




26 



Kapitel L 



Fhissp w oiter taktiert wird und nur die VerteUang der Silben 
auf die Takte wechselt. 

Ein Taktweclisel in der Art, dass die gleiche Taktdaner 
gewart bleibt» aber das Taktgeschlecht verilndert wird, kommt 
(nach Westphals AnfTassuDg) im antiken Yen» sdir hJlofig vor, 
— sobald die FOfse | ^ | nnd | u | innerhalb eines Verses 
zusammentreten (rhythmische Messung | ^ | = 6.3.3, also 
zweiteilig; | £ u | ^ 8.4, also dreiteilig; Tlieorie der mm Künste 
I 289 ff. XL 0.). 

Man kann im Zweifel seui, ob diese Art von Taktwechsel 
dem germanischen gesprochenen Yerse zuzuschreiben sei. Bei 
dem Vortrage moderner Kunstdichtung, auch wo die Taktab- 
stande leidlich gewart werden, wird die TaktItlUung gewiss in sehr 
freiem Belieben bald zweiteilig, bald dreiteilig rhythmisiert werden. 
Also etwa 



Wer 


reitet $0 


spät durch 


NaeM und 


Wind 




1 1 1 


IV* IV« 


2 1 






3teaig 


2teilig 


Steilig 





Aber die Frage ist, ob d^r Wechsel im Taktgeschlecht zu den 
occasionellen Verschiebungen des Vortrages zu stallen ist, oder 
ob er eine principielle Bedeutung für den Versbau hat Mir 
scheint die Fi*age im ei-sten Sinne zu bejahen. Denn man kann 
beobachten: je strenger die Verse scandieii werden, um so mehr 
tritt einheitliches '^L\ikt<i|-eschleclit hervor. Und die rliytliiniseh 
so scharf articulieitca Kindei'spriiclio wissen nichts von einem 
Wechsel des Taktgeschleclites. .lulserdcm wird sich schwerlich 
nachweisen lassen, dass der Uebergang des Vortrages von zw ei- 
teiligem zu dreiteiligem Taktge>5chleclit und umgekehrt an bestimmte 
Bedingiuigeii der TaktfUllung gebunden wäre (wie dies ja im an- 
tiken Verse der Füll ist). Um den dotitschon Tlexameter als 
Beispiel zu nehmen: filr seine di-eisilbiL-en (duktylischen) Takte 
darf man dreiteiliges Taktgesclilecht ansetzen^): ! J f J ' oder 
eher | ? f 1. Nun wird doch wol niemand die zweisilbigen 
. Takte dann dreiteilig scandieren, wenn sie „trochäisch" sind d. h. 



») Vgl. Paul, Gruudriss n 1,955. 



AUgemeiiies snr Vcrelebre. 



27 



eine .schwachtoniK''' Si.Mikiintrssilbe Imbon, dnnn aV)(?r zwoitoilig, 
wenn sie „spondeiseh" sind d. Ii. eine starktonige Öenkiingssilbe 
haben, also z. B. in dieser Weise: 

Läss nicht ünf/ini/nnt micJi zi't den Sr.'intten hitUibgehn 

ic'p'ircifp'irMCjcic'f'- 

d. h. far die „spondeischen'' Täkte | Laaa nicht \ , -^rUknU mtcA | 
das zweiteilige I ^' ^' | , ftlr die „trochaischen" Takte | unge- 1 , 
I den I das dreiteilige I f C 1 • 

Ich halte es fftr nadeokW, dass Jemals eine derartige prin- 
ciptelle SonderoDg auch nur für ein par Verse unternommen 
wQrde. Ob die SenknngssUbe stark- oder schwaehtonig ist» das 
bedingt kein verschiedenes Taktgeschlechi Dero dreiteiligen 
Takte der daktylischen Fnfse folgend, nehmen die Spondeen eben- 
sowol wie die Trochäen die Form | p ^ 1 an; was der Vortrag 
dazu oder davon tut, gehört nicht mehr zu dem uormiorharen Be- 
stände des Metrums. Deshalb wird ja auch heute wol allgemein 
zugegeben, dass die Fordern nu^ der Vossischen Scliiile, für die 
zweisilbi<,'en Hexametertakte nur .,Spondeen" zu verwenden, prak- 
tisch f^ar keinen Wert hatte, weil eben ein | lefmn \ und ein | leb- 
los I nicht veischieden rhythmisiert werden; weil dein naUlrlichen 
rliythuiischen Gefilhl die beiden Fdllungen ganz gleichwertig 
erscheinen. Das wär»^ nielit der Fall, wenn \ leben | und | kblos \ 
zu versehiiMlenem Takt^-'eselileclite hindi'iinjrten. 

Diesen Fall darf man wol zn dem Satze verallj^'-eineinein: 
Der neudeutsclie V eisbau kennt keinen grundsätzlichen Weclisel 
des Taktgcschlechtes innerhalb einer Vei-sart. 

Ich glaube, dass auch der schriftlich ttberlieferte altere Vers 
keinen Anlass gibt^ wechselndes Taktgesehlocht zu vermuten. 
Wir dürfen die rhythmischen Schemata für jede Versart in ein- 
heitlichem Taktgeschlecht entwerfen — vorausgesetzt, dass uns die 
Behandlung des Rbythmizomenon Oberhaupt zn Schlüssen auf das 
Taktgeschlecht in Stand setze. 

Der Umstandi dass zuwdlen ein und dasselbe Gedicht sowol 
in zweiteiliger wie in dreiteiliger Taktart vorgetragen werden 
kann, aberhebt den Metriker nicht der Aufgabe, das Taktgeschlecht 



26 



Kapiua L 



«eioes Uaterancbungsobjectes za bestmiiiieii: in dem genannten 
Falle rodste das Vorkommen der beiden Messun^ren constatieit 
und womöglich der Nachweis gegeben werden, welche der beiden 
die ältei-c ist. 

Damit der metrisch'^ Rahmen einer Dichtung voUstftadig 
bestimmt ^'i, nmss ni.in wissen: 

wie viclo Takte den Vers ausmaclif^n: 
welches (loschlecht die Takte haben; 
in wflrlirr Zahl und Ordnung die Verse zu Perioden ztt- 
samnu'iilretcn. 

Dor jjrci iiianischo Versbau kennt, soviel ich woi fs. nur Verse 
von gerader Taktzalil: Zwoitaktor, Vioitakter, Öechstakter, 
Achttakter. Ist eine ungerade Zahl von Hebungssilben vor- 
handen, so tritt ein pausierter Sehlusstakt hinzu. Der jambische 
Bttboenvers, der sich mit spinnn Enjambements dieser Auffüllung 
aaf sechs Takte widersetzt, tut damit einen entscheidenden Schritt 
aus der metrischen S'tm tm- lieraus. In strophischer Dichtung, 
in Stanzen, Sonetten, Terzinen u. a., ist der fünffufsige Jambus 
nnverkennlNir ein Seclistakter. Fünfteiiige rhythmische Motive 
sind tOff uns kaum fassbar. 

Es bildet einen der wichtigsten metrischen Unterschiede, ob 
die Takt zahl der Verse geregelt ist oder nicht Ein Versbau, 
der sich an das Princip der gebundenen Taktzahl hält, verwendet 
Verse von nngldcher Zahl der Takte nur in strophischen Gom- 
positionen: Jeder zwei-, vier-, sechstaktige Vers u. s. w. hat 
seine bestimmte Stelle; es ist kein unsymmetrisches Durcheinander. 

Das Princip der freien Taktzabl finden wir m zwei Gruppen 
der deutschen Dichtkunst: in den sog. freien Versen, die von 
Klopstock aufgebracht, von Goethe in den Oden und der Proserpina, 
von Heine in den Nordseebildem verwendet wurden und die sich 
noch heute (üiii^'ei- Lebenskraft erfreuen; liier ist zugleich die 
Versfalkii%^ ungeregelt; — ferner in den im 17. Jahrhundert 
auftauchenden Versen, die den italienischen Madrigalen und den 
franzflsischen vers irreguliers (libres) nachgebildet sind: sie befolgen 
geregelte Taktfüllung (meist zweisilbige Takte): dramatische Partien 
bei (iryphius, Loheusteinj Geileii^ Fabeln, Wielaads Qberon, 



Digiii^cu by C 



Allgomeinos sur Vertlehre. 



29 



grofse reile ilos Kaust zeigen diese ungeregelte Mischung von 

zwei- bis achttakti^^^en Versen. 

In diesem Piincip äulsert sich eine Lockeiimg des metrischen 
Bandes. In altertamlichen Stadien des Versbaues wird wol immer 
die geregelte Taktzahl hersehen: der mittelalterliehe Vera der 
Germanen steht nach meiner Ansidit noch nneingeschrllnkt unter 
diesem altem Gi-undsatssc. Misst man die allitterierenden „Schwell- 
verse*' und einen Teil der LJödahÄttrzeilen mit drei Haupt- 
hebungNi, oder sehreibt man den frnhmittelhochdeutschon Epen 
fttnf- bis stebenhebige Verse zu, so betrachtet man das Princip 
der freien Taktzalil als ein altgermanisches. 

Die Versftillang kann, genau genommen, nur dann be- 
stimmt werden, wenn die Ermittlung des metrtsohen Rahmens 
geglückt ist Denn die Zahl der Silben, ihro sprachliche Be- 
tonung und Quantität sind zwar der Beobachtung unmittelbarer 
zugänglich als jene Bestandteile des mctiischen Rahmens; aber 
mit dcj- Ik»stimmung dei- Silben nach Zalil, sprachlicher Daner 
und Betonung,' ist die Versliilhiny nuch nicht fixiert: es kommt 
darauf an, wio sicli diese Silben iu ih\s metiiiiche Mafs einordnen; 
zu wckduM^ rhythmischen Piguren sie gestaltet werden. 

Um diese Fraffon zu lösen, muss man das (ii-iindmars kennen. 
Die Untersuchung; der sciuiftlicii, olnie Notenzeichen Überlieferten 
Veisc kann naturgemäfs niclit auf dem Wege vorgehn, dass man 
zuerst das Grundmafs ermittle und dann die Fragen der Vers- 
ftUlung in Angriff nehme: man muss vom Rhytlimizomenon aus- 
gehn, und durch gegenseitige Schlosse und Combinationen kann 
sich gleichzeitig der metrische Rahmen und seine Füllung auf- 
hellen. 

Bei der Betrachtung der Vei-sfüUung empfiehlt es sieh, drei 
Regionen des Verses zu unterscheiden: den Auftakt (die 
Region vor dem ersten guten Taktteil); das Versinnere; die 
Gadenz (Versschluss, Versansgang). 

Die Vomrlen zerfallen iu drei matrische Klassen, je nach- 
dem sie 



Digiii^uu by G(.)0^1c 



30 



Kapitel 1. 



1) dio Silbcnsurome des Voi'ses und damit zugleich die Silben- 
zahl der einzoliion Vcrsrcfi^ioncu IVei geben; 

2) die Silbenzahl des ganzen Veiises wie seiner einzelnen 
Teile regeln; 

3) die Silbensuininc des Verses fixleroo, aber dio Silbenzabi 
der einzelnen Versgliedcr fioi geben. 

Das erste Princip ist das luinrnclisigsto; es behrvr>;chte, wio 
ieh glaube, den indogci*manischcn Urvers and ist bei den 
germanisclien V())iiern bis auf heute das Lebensprincip aller echt 
heimischen Vei-skiinst geblieben. 

« 

Das zweite Verfahren zeigt in England zuerst das Onmilum, 
in Deutschland die entwickelte höHsdie Lyrik, dann die Meistor- 
singer. "Was man als specifisch modernen Vei-sbau bei den 
germanischen Völkern bezeichnen kann, das huldigt diesem 
Princip. 

Die dritte Art hat man vormntlich im ältesten avestischen 
und im vodiächon Versbau zu erkennen; sie ist das leitende 
Princip in der Verskunst der romanischen Völker. Ans der 
germanischen Vei^sgesehichto ist zu dieser Gruppe zu stellen der 
in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert vorhersehende 
littorarische (unsangbarc) Vers, der „Hans Sächsische Vera^ — 
wofern man ihn nicht mit HOpfnor, Yilmar^rein, Koberatein, 
Paul u. A. für jambisch hält, sondern ihm, nach Goedekes und 
Andrer Aaffikssang, wechsebde Füllung zuw^t. — Die genannten 
Verse dieser Gruppe geben alle (der avestische vielldcht aus- 
genommen) nur dem Auftakt und dem Versinnem erhebliche Frei- 
heit der SUbon Verkeilung: der Cadenz, als dem markiei*testen 
Teile des Verses, ist die FoUung mdir oder weniger Strang vor- 
geschrieben. — 

Werfen wir einen Blick auf die Fttlinng der Versregionen 
im einzelnen. 

1. Beim Auftakt 
ist die Zahl der Silben zu beobachten: Auftakte von 0, i, 2, 
3 u. s. w. Silben. Es ist zu unterscheiden zwischen freiem und 
gebundenem Auftakt. Eine Versart mit freiem Auftakt erlaubt 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



AUgemeinoa nur Venlebre. 



81 



jedem Verse, unabhängig von seiner sonst itron Fa]]unt( oJor seiner 
Stellung- im Zusammenhange, mit oder ohne Auftakt aufzutreten. 
Hieher gehört der altdeutsche Rcimvcrs (mit Ausnahme der 
spätem Lyrik) und der volkstilinlieho Vors noch in heutiger Zeit. 
In der Regel ist dann auch die Silben zahl des Auftaktes frei, 
d. h. Auftakte von dner und mehr Silben werden ohne plan- 
mäfsige Unterscheidung gebraucht. Doch wird man z. B. für den 
epischen Vers Konrads von WUrzburg im allgemeinen die 
gebundene Siibenzahl (Einsilbigkeit) des Auftaktes statuieren 
dürfen, wfthrend das Vorhandensein oder Felden des Auftaktes 
frei gegeben ist. 

Bei gebundenem Auftakt ist es den einzelnen Versen nicht 
frei gestellt, ob sie auftaktig oder auftaktlos erscheinen. Entweder 
wird das Vorhandensein des Auftaktes bedingt durch die übrige 
FOUung des Verses; oder durch den Schloss des vorausgehenden 
Verses; oder die Verse mit und ohne Auftakt sind dergestalt zu 
versclüedenen metrischen Arten dififeronziert, dass sie wie etwa 
Verse von verschiedener Taktzahl gesondert werden: bei dieser 
Technik besteht ein Gedicht aus lauter Versen der einen Art, 
oder ein Nebeneinander auftaktloser und anftaktiger Verse in 
einem Gedichte wird als eine Mischung zweier Versarten em- 
pfunden, ist also meistens an eine gewisse Ordnung gebunden. 
Auf diese! Stute steht der Versbau der nieistm spätem Minne* 
siiiirei-. des Meistergesanges, besonders aber der luüdernen Kunst- 
püesic: jambische und trochilisehe, anapibtische und daktyüsehe 
Vei-se werden als gegensätzliche Ciattungen verwendet. Auch 
hiebei kann die Siibenzahl des Auftaktes eine gewisse Freiheit 
waren: z. B. in den modernen A uapästversen woeliselt einsilbiger 
Auftakt planlos mit /ANeisilbigem, während m\ Kehlen des Auf- 
taktes als ein Herausfallen aus der Versart empfunden würde. — 
Auch der epische Stabreimvers, der in den meisten Dielitnniren 
das Fehlen odei- Vorhandensein des Auftaktes regelt, gibt seine 
Siibenzahl frei, d. lu einsilbiger, zweisilbiger, dreisilbigei- Auftakt 
u. s. f. werden nicht gegensätzlich verwendet: wo einsilhiger 
Auftakt zugelassen ist, könnte auch zweisilbiger eintreten; ein 
Gedieht, das Auftakte von vier und mein* Silben gebraucht, 



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32 



Kapitel L 



schreibt doch k'»iner Versform den vicrsübigeo Auftakt als Mini- 
mum vor u. s. w. 

2. Die Takte im VersinDern. 

FQr den rfaythmischeD Habitus des Veraes sind besondere 
zwei Punkte von Belang. 

1) Die relative Stärke der Silben, auf denen die Icten anage- 
piügt sind. 

V'j^'l. die Beispiele aus OllVid und Goethe o. S. 23. Der 
moderne Jaral)en- und Tiodi Denvers erhält, da er allen Takten 
k'leic.}! viel Silben zuteilt, aUo keine Contraste der Zeitwerte kennt, 
den Clmruktcr des ^^^'inischten Rhythmus nborhanpt imi dadnrcl», 
dass die tfebungen in wedmelnder Folsre dynamiseh ab<,a\stnrt sind 
(vg-l. Stolte, Metr. Studien S. 45, Paul Gnmdr. II 1, 909). 
Sobald die Lagerung der stärkern und schwächern Hebungen in 
jedem Verse unveiündert widerkehrt, haben wir nicht mehr eine 
Eigenschaft blofs der Vers ftil hing vor nns, sondern eine dos 
metrischen Rahmens. So ordnet das i,'ormanis('ho Versmafs (der 
Stabreimdiclitung und der Kinderlieder) regelmälsig die erste und 
dritte gehobene Mora der zweiton und vierten Uber; dies gehört 
also zum festen Bestände de.s GrundmaTses: 

Diese Abstufung wii d nicht erst in einzelnen Versexomplaren 
durch die zufällige Versfillluug erreicht, sondern sie ist von vom 
lierein fQr die Versfüllnng, für die Rhythmisierung der Spi*ache 
nialsgebend. — Neben dieser coustanten, dem (ilrundmafso ange- 
hörenden Zweiteilung der Hebungen hat der Stabieimvers noch 
andre dynamische Abütufungen, die von dem jeweiligen Takt- 
inlialt abhängen, also variabel sind: einerseits sind die stabenden 
Haupticten (Iber die stablosen erhoben; anderseits sind die Neben- 
icten stärker oder schwilcher ausgeprägt, je nachdem sie auf oiue 
sprachlich starktonige oder schwachtonige Öilbe fallen. 

Als zweiter Hauptpunkt bei der Ftlllung des Versinncrn ist 
die Silben zahl der Takte zu betrachten: Takte von 1, 2, 3 
11.8. w. Silben; auch Takte ohne sprachliche Füllung (pausierte 
Takte). Aebnlioh wie beim Aaflakt ist aueh hier zwischen einer 



Allgemaines sur Veralebre. 



freien und einer gebundenen Füllung zu unterscheiden. Der Oir 
fHdisehe Vers ist ein Beispiel fUr das erstere Princip: seine 
Takte können, ohne planmft&ige Sonderung, eine bis vier Silben 
in sich aufnehmen. Der Stabreimvers geht noch veiter in 
wediselnder Silbenzabi der Takte, wobei jedoch die epische Technik 
das Yersinnei'e in Beziehungen zum Auftakt und zum Versschluase 
setzt und 80 seine Freiheit einschränkt. 

Gebundene TaktftÜlung, schon von den Lyrikern des 13. 
Jahrhunderts und von den Meistersingern erreicht, beherseht den 
grOsten Teil der deutschen Kunstpoesie seit Opitz. Der Hexa- 
meter ist bemerkenswert als die Versart, die zuerst wider freie 
Fällung des Yersinnem mit mtk brachte — wenngleich in engen 
Grenzen (Wechsel von zwd- und dreisilbigen Takten): Klopstock 
hat dieso Freiheit als einen Hauptvorzug des neuen Mafses ge- 
priesen (lieber Sprache und Dichtkunst S. 110; Von der Nach- 
almmng des griech. Sylbenma&es im Deutschen: der Hexameter 
„kann sich immer durch vier, bisweilen auch durch fünf Vor- 
üiidrungen, von dem vorhergellenden oder nachfolgenden Veise 
unterscheiden . . ."). 

Die „vermisciiftrn" uder „milnortrittigen" Verse*) des 17. 
Jahrhunderts, die impiira sou inixta Dactylica Zesens*) vertraten 
die gebundene Taktfillliin},', da sich die zwei- und die dreisilbigen 
Takto an bestiniintor Stollo dos Verses bezw. der Strophe ein- 
finden musten. Dasselbe ^äit flir die antÜvisieivnden Odenmai'se. 
Der Hexameter (Pentameter) und die anapiLstischen Metra sind 
aul'serhalb des volkstttmlichern Versbaues — und abgeselni von 
den „freien Versen" — die einzigen Formen, die sieh der ge- 
bundenen TaktflUlung entziehen. Bei einem Dichter wie Platcn 
hat alles, was nicht in den besagten zwei Versarten gedichtet 
ist, mag es Lied, Ballade, Ghasel, Sonett, Ode, Hymnus heifsen, 
die streng vollgeschriebene Silbenzahi fUr jeden Takt im Versinnom. 

Vene, die nur einerld Taktfhllung zuUssen, gebrandien ent- 
weder zweisilbige oder dreisilbige Takte; das letztens, viel seltnere 

») J. H. fladfjwi^', WolgrogrUndoto teatsche Voi-aoknnst (1G60) S. 300. 
*) Phil. Ciiosii S.uila Bolioonis Toutonici (1043) S. tiö. 

Ueusler, Ocrm. Versbsu. 8 



34 



z. B. bei Gryphius (Majuma 11 V. 95— IßO, III V. 91—108, 
Piastns IV V. 1 — 22), bei Johann Klaj, Sigmund von Birken 
(Wackeraagel Lb. 514. 517), in i^alladen von Bürger, in Balladen 
und GeseUschaftsliedern von Goethe (vgl. auch Stolte a. a. O. S. 20, 
Paul Grundr. § 66). 

Wenn ein Verstakt nach seinem (ie.sclilecht und seiner Silben- 
zahi bekannt ist, tritt die Frage ein, wie dieser Taktinhalt rhyth- 
misiert wird: z. B. bei einsilbiger Füllung fragt es sich, ob die 
Silbe über den ganzen Takt ausgehalten wird oder ob eine Pause 
hinzutritt; bei zweisilbiger Füllung eines %-Taktes sind beispiels- 
weise die Rliythmisierungen [ * f 1 und I f " f I denkbar. Bei drei- 
silbiger FiiUung desselben Taktes ist mit der Möglichkeit von 
{ f j neben | [j' f | zu rechnen a.8.f. Bei diesen Fragen macht 
sieh z.T. die spraehliche Quantität der Silben geltend: ahd. 

I manöUi \ wird anders rhythmisiert als V« | geigöta | , as. 

I inminges \ anders als V« I hslages |. Bei einem zosammen- 
gesetzten Takte wie dem */i'T9ktd ist die Tonabstafnng der 
Süben von Bedeutung, weil ein Nebenictus vorhanden ist, auf den 
die Anordnung der Silben Rücksicht nunmt: as. ^4 i eUuHican ] 
ergibt one andre rhythmische Figur als V« I irmn&tiod {, ebenso 
wie ün nhd. Kinderiiede V« I Sefihtf, Kindchen \ gegenüber 
*/4 \ Si^nßtk im JSam |. 

8. Die Verseadenz. 

Die Art ihrer Füllung ist für den Charakter des V ei'ses von 
besonderer Wichtigkeit Verse desselben Grundmafses können 
vermöge ihres verschiedenen Ausganges als ditferenzierto Arten 
erscheinen und ün Periodenbau gegensätzlich verwendet werden. 
Die Nibelungenstrophe setzt sich aus 8 Versen zusammen, die in 
ihrem metrischen Gerüste übereinstimmen; auch die Füllung des 
Auftaktes, tmd des Versinnem ist frei und dient niclit dazu, die 
8 Strophenglieder zu contrastieren. Es ist einzig die Oadenz, 
die Ui dreifecher Ausprägung gegensätzlich verwendet wird: sie 
sehafiFt aus dem einheitlichen Grnndmafse drei Vers typen, 
woraus die Strophe aufgebaut wird. Sehr viele kunsti-eiche 
Strophen in der alten und der neuen Dichtung sind nur mit 
dem einen Bausteine, dem Viertakter, aufgeführt und erhalten 



AUgonioiaos sar Verelobre. 



ihi'cn fj:anzeii rhytlimisclion Reiclitiim, ihre ganze Architektur 
durch vorscliiedene Fülhmg der Vers.schlüsse. 

Bei der Einteihing der Cadenzen ist wol das wichtigste 
Moment die Ausprägung" des letzten Yersictus: je nachdem dieser 
auf eine starktonige oder auf eine schwachtonigo Silbe oder in 
dne Pause fällt, entstehen 3 deutlich vei^schiedene Vei*sschlü88e, 
Die drei Yersgattnngen der Nibelungcnstrophe sind nach dem ge- 
nannten Princip differenziert. Diese Dreiteilung scheint iiiii- für 
die deutsche wie für die englische und skandinavische Vers- 
gcschicbte, für ültere und neuere Perioden, gleicher Weise frucht* 
bar za sein und viel zu einer klaren Auffassung beizutragen. 
Als Namen fdi" die drei Cadimzen möchte ich die Ausdrucke 
^voll, klingend, stumpf" nicht preisgeben (Möller, Z. alid. Allitt. 
155 ff., Verf., Z. Gesch. d. ad. Verskunst 49 ff.). Wol empfinde 
ich es mit Paul (Grundr. S. 919 Note) als einen Uebelstand, dass 
sieh der Wortlaut dieser Termini z. T. mit dem der Laehmanni- 
sehen deckt, während ihre Bedeutung hier und dort eine ganz 
verschiedene ist; aber es dürfte doch kaum möglich sein, diese 
kurzen, dentsehen, anmittelbar ansdiaulichen Namen durch neu 
erfundene von Shnlichen Vorzogen zu ersetzen. 

Die Dreit^ong voll, klingend, stampf ist nicht blofs auf den 
viertaktigen Vers anwendbar. Der Zweitakter erscheint in 
den dr^ Fomen (Eirk, Liederhort Nr. 26. Nr. 8 a): 

voll: ja tcändt sieh üm, 

ja Kinhe Hm; 
klingend: ja Schtvisiim, 
hekäihi; 
stampf: ja st^dkikt. ^ 

Ebenso der Sech st akter. 

Aolkor dieser Dreiteilimg kann noch mehreres an den Ca- 
denzen unterschieden werden. Ich erwähne nur den Punkt: in 
den vollen Versen kann die letzte Hebung die letzte Silbe dos 
Verses s^n oder es kann ihr noch dne Senkungssilbo folgen. 
Diese bdden Gadenzen — einsilbig- und zweisilbig -voll kann 
man sie nennen — werden schon von den mbd. Lyrikern gegen- 
sätzlich verwendet, wenn die gehobene Paenultima eine sprach- 

8* 



Sd 



Kapitel L* 



liehe Länge Ist, — sodass ftlso zwei Zeilen wie die Beimars von 
Hagenau (MF. 201, 33) 

ich enbin von n^neti \ jären 
nicht 80 ivfse daz ich \ wd 
dem Strophenbau als zwei ontorachiedene Glieder dienen können 
and sich in den Strophen eines Gedichtes in der gleichen An- 
ordnung widerholen. Dagegen die Schlüsse wie j lebeii^ \ tügent 
werden von den einsilbig-vollen, o]j«,^leich sie sieb doch rhjrthmisch 
unterschieden haben mUssen, nicht pUuimftfaig gesondeit : die einen 
Verse können für die andern an coirespondierender Strophen- 
stelle eintreten. Der Hans Sachsischen Verskunst gegenüber, die 
in der nnsangbaren Dichtung den letzten Verstakt beliebig ein- 
oder zweisilbig bildet, tritt die moderne Technik gleich schon in 
Paul Rebhuhn mit der planmäfsigen Scheidung der beiden Ca- 
denzen auf. Die moderne Kunstlyrik widcrum behandelt die 
beiden Formen als gesonderte Arten: eine Periode wie 

Mit des Bräutigams Behagen 

scJituingt sich Ritter Kurt aufg Soss 
besteht für das Formgeftthl dieser Technik aus zwei kaum minder 
stark dllferenzierten Versen als etwa die Periode 

Der Subd reist «m tkutselien Land, 

der frommen LeiUen frommt. 
Auch die stumpfe Gadenz zerföllt in eine einsilbige und 
eine zweisilbige Form. Die beiden Formen werden im Stabreim- 
verse nicht durchaus gleichwertig gebraucht: in dem Verse Beow. 
120 a wonseeaft wera könnte die zweisilbig-stumpfe Gadenz nicht 
durch eine einsilbige ersetzt w^en. 

* Die mhd. Lyrik hat, soviel ich selie, die beiden Spielarten 
nicht zu gegenstttzlidier Verwendung gebracht. In der neuen 
Knnstdichtung fragt es sich, ob man Verse wie 

Es war em Künig in TJnUe 
noch als Idingend (2%^d) verzeichnen will, — was mir zum 
mindesten filr die sangbare Dichtung unerlflssllch scheint. Von 
diesem Standpunkt aus hätte man gar kdne zweisilbig-stumpfen 
Verse, weil die undebnbaren Starktonsilben verschwunden sind, 
folglich jede Paenultima, die in den vorletzten Versictos tritt, 



üy Google 



AllgomeinM sv V«nlclm. 



87 



Uber ihren Takt ausgebaltea werden kann. Wil] man die klingende 
Measnng der Theorie des neudeutschen EunstverseB nicht mehr 
einräumen, so erscheint ein Vers wie der soeben angeführte als 
zweiälbig-stampf. und dann ist zu oonstatieren, dass der einsilbig- 
und der zweisilbig-stumpfe Scblnas als fanctionelli^cgcnsfttzlieh 
gebraucht werden: in der Periode 

Eb wdr ein Konig in ThfUe, * 
gar treu bis 6n das Oräb ' 
eracheint die einsti^'e Zweiheit kliiigeud: stumpf (Xibelungen-Lang- 
zeile) als ein Gegensatz von zweisilbig-stumpf: einsilbig-stumpf. 

Die unstrophische Diclitung ist auf die Ausbildung gegen- 
sätzlicher Versformen weniger angewiesen und bleibt darum oft 
in der Differenzierung der Cadenzen um (Mueu Schritt zurück. 
Man vei-gleiclie z. B. mit dem filnffilfsigen .Jambus in der Stanze 
und in den andern Strophen formen den dramaiisclien .Tambenvers, 
der seinen fünften Takt beliebig mit einer oder zwei Silben füllt. 
In der mhd. Periode schreit.^t die stroi)iiischc Dichtung (Lyrik, 
Spnichpoesie ) vor unsern An;.ren zur stren^'-ern Sonderung der 
Versschlüsse vor und entfernt sieii von dem Branche des un- 
strophischen (jedichtes. Der Kürenberger, Herger, einige namen- 
lose Lieder zeigen noch deutliche Reste von dem Zustande, den 
die Reimparpoesie viel länger warte: gelegentliches Vertauschen 
stumpfer, klingender und voller Cadenzen. 

Die volkstümliche Technik hält Entwicklungsstufen 
fest, über die die Kunstdichtung hinausschreitet. Dies zeigt sich 
sehr deutlich an der freien d. h. undifferenzierten Cadenz. 

Instructive Belege liefern die dAnischen Folkeviser und die 
forOischen Balladen. Aus den erstem v^leiche man das Stttck 
Tord af Havsgaard (Grundtvig, DGF. I Nr. lA). Die Strophe 
besteht aus zwei achttaktigen Langzeilen; ihr Grundmafs ist also 
gleich dem der halben Nibelungenstrophe. Aber viel freier ist 
die Handhabung der Cadenzen: wir finden ^erseits die beiden 
Langzeilentjpen 

20]. d)^ di kUnnper 

der hämmeren bar ind paa tros 
{— klingend: stumpf), 



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88 



8i f'/'/ fißg luhitl tili Xerre-field 
ali öffuer thet säWie vdnd 
voU: stampO 

— dies die beiden normaleD Formea des Kibeloiig«ii*Laiigverse8; 
daneben aber 

Hämmer äff gM 
oe b^r&te vor händ na lingi 
(— voU: klingend), 
8] ihn vor liden LöM 
9iUer sig i fUdder-'hänmi^ 
(— klingend: klingend; oder ist der zweite Vers voll zn lesen?), 
4s säa gkk händ i stöffuhi 

ält fcr Ihm thäm-greßuB ind (?) 
(= klingend: voll), 
i9t y ^jv dage fick htm idce mdd 

saa häfftwr hun stundet ki^ täl diu 
(= voll: voll), 
4i mit üdi den gäard 

they dxler händ sin skiwid 
f= stumpf: stumpf). 
Aus Uen öjürdai Kviedi (herausg^. von Hanimershairab, Nr. 1) 
nehme man diese Strophen, die in einem Gedichte neben einander 
hergehn (die spraclilichen Accentstriclie lasse ich weg): 
Ö4 So hoggür hann iSJurdür 
fästltga tu 

.fifvdir kUyv hann stidjän 
og stdbbän vid, 

(= k : s, k : s), 
41 Sjürdiir kCistar rhjdum släldri 
nidur a doklm föld, 
td id hann Jir i/rJi sin fddirs d^da, 
haim aärtnadi rätt mm 

(= V : s, V : s), 
89 Hdnn vor a UikvHUum (?), 
hann miUum mäma hirßr 
rivur ufp elkiMvi stör (?), 



AUgemeinee mt Venlebra. 



39 



kann Umjw aimmair tü hiljär 

(= V : k, V : k), 
119 Sjürdur stäkk til hjärtäd, 
to v^gnrin var trängür, 
steikti kann täd a teini, 
id triati älin var längür 

(= k : k, k : k), 

51 B^gin sn/oAdtir hj^ 
firi händm d 
Mnum Mit tu hira 
hem av^MüH M 

(» 8 : 8| 8 : s). 
Die englische Dichtung des 12/18. Jahrhunderts zeigt 
ebenfalls das Stadium der undifTerenzierten Cadenz in bemerkens* 
werter Dentüchkeit, Besonders ist anf die Gedichte hinzawdsen, 
deren Verse von Schipper als „ Alexandriner im Verein mit dem 
SeptenaH* definiert werden (Engl. Metrik I 114; Panls Grandr. 
IT 1, 1049 f.). Die Anwendung dieser fremden Namen mag im 
Hinblick auf die lateinischen und französischen Master eine ge- 
wisse Berechtigung haben. Aber es ist dabei nicht zu fibersehni 
da-ss sich unter den Septenaren und Alexandrinem der Engländer 
nichts anderes bii^t, als die achttaktige Langzeile, dieselbe, die 
auch in der Nibelungenstrophe vorliegt, nur dass in den betreffenden 
englischen .Stilckon der Cadenz noch mehr l^'reiheit gegeben ist^. 
Ein „s('chstaktit(oi' jambischer Vers" ist der mittelon^discho 
Alüxandiiiiei keineswegs, auch wenn wir von der frou rii 1 'iiUiuifi- 
des Auftaktes und des Versiniieni al)solm. Er ist so wmhj^ sechs- 
taktig und jambisch wie sein tVanzösischcs Vorbild. Denn dass die 
Franzosen hn 12. Jahrhundert so wenig wie heute scandiert liaben 

que desiis cv6cuuc ärhre avoH une piiceUe, 
wird man wul zugeben. Der Alexandriner des 12. Jahrlumderts 
war, ebenso wie der Alexandriner bei Curneille und Uacine, kein 
sechsteiliger, sondern ein vierteiliger Vers (man vergleiche die 

*) VgL SchriJer Anglia 5, 238 ff.; Wissnmnn ebenda 482 ff.; Einenkel 
eben^ Anseiger S. 36. 



40 



Ka]>itel I. 



Rhytlimisieningcn bei Becq de Fouquieres, Traite gcneral de versi- 
fication franraiso, Paris 1879): dieses Grundmafs konnten die 
Engländer gar nicht genauer nachbilden, als mit ihrer aplittakti^'on 
Langzeile, — ebenso wie die Deutschen im 17. Jahrhundert dea 
Alexandriner durchaus folgerichtig als aciittakügc Langzeile 
nachbildeten^). 

Wir find«! nun z. B. in dor Passion of oor Lord (An 
old english Miscellany ed. by B. Morris 8. 37 ff.) diese Typen 
der Langzeile: 

klingend: stumpf 
189 Pe^. quep vre Umerd. nv pu t&jst bo\ 

klingend: klingend 
110 Mayskr, am ich püke» pat Pe wüe so dyhte; 

stumpf: klingend 
246 And pene pridde day, htm aedf a newa a^reare ; 

stumpf: stumpf 
87 pQ eeyde ihesu crist, Pet ia godea 9une; 

voll: klingend 

9 purst* and Hunger, chde, and hek, pis beop strmge inji%e\ 
voll: stumpf 

55 Dunibe speke, Deiie iliere. and pe holte gon, 
271 pe Gytves pat lieolde ihesn crist. Muchele schäme him diuh. 
(Die vollen und die stumpfen Cadensien sind bald ein-, bald 



') Gogon dio hvBehoido Aimahmo, das« der Kltere doatacho Aloxaudriiicr 
ein sedistaktlger Ve» sei, sich also ron dou Trimefeor nur dvrch die (rein 
syntaktische) CIsur untenehoide, boweisett unter ander» die Melodien, lek 
kann Paul nicht beistimmen, wenn er im Grundr. S. 950 meint, der Ale- 
xandriner in Rinkarts „N'un danknt alle Oott" sei seiner eigentlichen Natur 
entkleidet tind der W'eisf dos volkstümlis^hnn Kin^hong'esang'es angepasst^'. 
Diu gesprochunun Alexandriner batton kcmcu andern Rhythmus als dieser 
Choral ( — dies neigt Meh da, wo aie in direclw Traktion auf liettte vererbt 
sind, wie in den Leberrrimen — ), und sie nltherten sioh damit dem firanaOsi- 
schon Vorbilde so weit, als es innerhalb des Opitzischen VersfüUungsprininpea 
Überhaupt möglich war. Vor-Opitzische Alexandriner von P. Melissas und 
R. Weckherlin, dio sich dem Jambentrab mit Bewustfiein widprsctzori, stehn 
dem wechselnden Tonfall dos französischen Verses noch näher (s. in i^inlcgrcfs 
Auserloiionon Gedichten Nr, 9 und 16). 



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A]lgem«bes sor Yerslelin. 



41 



zweisilbig; voller Ausgang findet sich nicht im zweiten Kurzvere.) 

Die vier ei'sten dieser Ijangzeilenformen betrachtet Schipper 
als Alexandriner, die folgenden als Septenare. Was er (Engl. 
Metr. 1117) mit den Worten sagt : „Für die Verschiedenheit beider 
Versmafse hatte der Dichter offenbar keUi klares Verstilndniss^, 
das ist wol zutreffender so auszadrOcken: „Die verschiedenen 
VersschltlSBe wurden vom Dichter niebt als functionell gegen- 
sätzlich empfunden nnd verwertet". Man stellt diesen Versbau in 
eine fiilsehe Beleuchtung, wenn man von einer ,,Mi8chung zweier 
yersmafee" spricht: die Differenzierung zweier Versarten ist eben 
auf diesem Stadium noch nicht eingetreten. Der Dichter gebinncbt 
eine Versart in den sechs genannten Variationen, die ihm noch 
als gleichwertig gelten. Nur die Bescbrilnkung legt er sich auf, 
die volle Gadenz vom zweiten Kurzverae auszoschlieüton: darin 
mag sieh wol das französische Muster äafeem, doch ist auch hier 
daanit zu rechnen, dass die germanischen Volkslieder gleichfalls 
den zweiten Teil der iAngzeilen am seltensten voU aus- 
gehn lassen'). 

Von den hier aufgeführten sechs Formen der Langzeile sind 



^ Die Metrik hat Überall, wo es sicli nni .Nadiahniaiigen aniiUtndiacher 
Veno bandelt, die Fragte zu stellen: geschieht die Nachbildung mit ein* 

heiniischciu Vtnsniatcrial oder wprdon j^anz nonc, frctndartitre Formon ver- 
anlasst? — Das letztero ist der Fall 7.. B. beim fllnffUfsiijfMi Jambus, beim 
Hexameter. Du» oiiitore trifft zu t)ci den oben besprochenen engl. Lang- 
seiloD wie aneh bei den »koraen Reimperen* (Schipper, Engl. Metr. I § 62 (f., 
Pauhi Grundr. § 83): diese Fonuon sind teils gar nkbti tdls nar graduell 
vorschieden von den Veiscn des Brut und des King Horn. Insofern man die 
lotztcrn für cüo Zok um 1200, also zwei Jahrhunderte nach ihrer Ein- 
bürg-onui«,^ als „national" gelten lässt, darf mau gewiss auch den erstercn dieses 
Prildicat nicht versagen. Die im Grumlriss vorgenommene Zweiteilung der 
englischen Versgoschichtc in »beimische Ilblctra'' und «üemdo Metra" scheint 
mir nicht sa billigen. Es ist doch ein Uebelstand, woim untiff den „fremden 
Metra** ein Gedicht wie die Passion of our Lord auftritt, worin Verse tou 
dieser Art begegnen : 

()9 As he com ithto ße hureh. a6 r^^dSndi. 

70 J5c children of ße twite, cömen »yngynde. 

247 J)U we ihvrde. her-of ir*; hercp icitnesu, 
2iltJ ^ önswerede, more. and pe kuße^ 



L/iy u^-Lu üy Google • 



42 



Raplfd f. 



(ür ei-ste und die letzt <• (k: s und v: s) die beiden Typen des 
Nibelun|,'enverse8. Alle sechs sind uns schon in den dänischen 
und ftlröischen 1/iedern bi^reg-net; diese stehen auf einer noch 
freiem Stufe der metrischeii Tccbnik, als die Piissiun of our honii 
noch sind die Keime von einer Schale umschlossen, woraus auf 
genetisch jttngerer Stufe die getrennten SchOssliuge hervorwachsen. 
^ Alle diese Dichtongen werfen auf die Vorgeschichte der 
Nibelnngenstrophe helles Licht: sie geben die Anhaltsponkte, um 
den Entwicklongsgang der Strophe Ober das erste historische 
ZeugnisSi den Ktlrenberger, hinaus nach rQckwärts za erschlieCsen. 

Im deutschen Volksliede ist mir so freie Handhabung 
der Cadenzen wie in jener nordischen Dichtung nicht bekannt. 
Doch ist das eine den deutschen Liedern in weitestem Umfange 
gewart geblieben: die Freiheit, die sich auch das Nibelungenlied 
noch in den vorliegenden Versionen des 13. Jahrhunderts nicht 
versagt, nftmlich der Wechsel der klingenden Verse mit den vollen. 
So z. B. in dem mündlich llberlieferteu Liede bei Erk Nr. 82: 

Es waren zwai Gcsjudcn, 

die yiciiyen beide spazierm: 

die eine führt ein frischen Muth, 

die andre itf/ut so sehre 
k: k, v: k. Auch die er«te Zeile kann voll sein. z. ß. 

Arh Gei^pinfp, lii>hsh' Gespiele mein 
und die dritte Zeile kann klingend sein: 

(Str. 7) weJid icJi micJt zu d'r Ar?iien, 
(Die <reraden Zeilen, die den Lan.L'vers schliefsen, koinien 
diesen Wechsel von klin^-^end und voll im allj^emoineu, so viel ich 
seile, \ iel seltener. l)age<,'en liudet sieb der Wechsel oftmals aucli 
in kui-zen-Reimpar-Strophen.) 

Die Erscheinung ist bekannt genu^. Simrock liat schon 
auf sie aufmerksam gemacht und sie als Argument fur die ver- 
kannte klingende Messung verwertet (Nibelungensti'ophc S. 17 ff.). 
Viel seltener werden klingende und stumpfe Verse deich wertig ge- 
braucht. Ein Beispiel aus Böhmes Altdeutschem Liederbuch Nr. 136: 
Str. 1 Jungfrewkin, 80Ü it^i mä euch gan 
in ittem rösengdrien? 



Digiti/ea by Gc 



AUgcmeiuu» aur Vowlobrc. 



48 



verglichen mit 

Str. ä IcJi kam zu ir in (/arten, 

wie manch gut gseü mer tut 
v: k correspondiert mit k: s. 
Bei Erk Nr. 18d: 

Str. 1 Was tv'irst mir mittehringhi 
Str. 8 Es ist zwar Euie iiinnk 
In dea übrigen Strophen correspondiert die stumpfe Form: 
Ack Jimgfer, hUt «cA^n. 
Die Melodien solcher lieder zeigen, wie der Wechsel musi- 
kalisch behandelt wird: die stumpfe Gadenz wird tlber die zwei 
Töne der klingenden ausgedehnt; die metrische Zweiheit wird 
musikalisch ausgeglichen. In solchen Fällen ist also der metrisch 
stumpfe Schluss dem Vortrage nach ein klingender. Dies ist 
schon eine gröfsere Freiheit dem Texte gegenüber, als wenn 
klingende und volle Schlüsse auf dieselben Töne gesungen werden; 
darum ist es nicht so hiliiti^,^ wir das letztere. 

In dem Liede Nr. 22(; bei Böhuie, das metrisch von tnüfscin 
Interesse ist, leider aber ohne Melodie überliefert, teil ii sich 
sogar alle drei Hauptformen in dio erste Zeile der Strophen: 

Str. 4 Mein t^dUoMn, mem t^terUAn (= v) 
Str. 2 Die fäM, dis Utih^ (= k) 

Str. 5 Ehi jär, \ ein jär \ s). 

Der volkstümliche Strophenban des 14. und 15. Jahrhunderts 
mnss sieh dieser Freiheiten in liohenn Mafse bedient haben ( Iki- 
spiele findet man in Ii. von Liiiencrons Historischen Volksliedern 
I Nr. 33. 35. 66. 78. 79. 80. 81. 82. 91. 99): daraus erklärt 
es sich, dass die damaligen Beaibeiter mittelhochdeutscher Volks- 
epen unter den (irad von Regelmäisigkeit, den die Originaie des 
13. Jahrhunderts erreicht hatten, wider tief herabsanken« 

Noch freier sls die eigentlichen Volkslieder sind die Kinder- 
spräche. Ihre metrische Altertttmlichkeit nnd ihr Wert fUr den 
Verstheoretiker schienen unangefochten zu ma; aber sobald man 



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44 



Kapitel L 



Ernst maehte, sie ftlr die Aufhellimg älterer Perioden zu ver- 
werten, regte sich Zweifel und Widersprueh, Sofern sich der 
Widersprach mit dem Schlagworte „UebersdAtssung der Kinder- 
verse" begnügte, verdient er keine Berdcksichtigung. Dagegen 
mochte ich auf die Bemerkung Heinzeis im Anz. f. d. Altert 
17, 4 folgendes erwidern. 

Heinzel fragt: „Soll sich etwa in der nnverdorbenen Kinder- 
seele die altgermanische Metrik erhalten haben, während sie in 
der der Erwachsenen durch Schale, Antike und Fremde flber- 
wuchert und erstickt wurde ?^ Ersetzt man den Begriff der 
„Unverdorhenheit" durch einen passenderen, und sagt man statt 
„Kinderseele** Eanderpoesie, Tradition der Kinderpoesie, so mfiste 
man in der Tat zu emer Bejahung dieser Frage a piioii, schon 
aus allgemeinen versgeschichtlichen Erwägungen genügt s^. 

Dass der litterarische Versbau von heute den altgeiinani- 
sehen nicht unmittelbar fortsetzt, bezweifelt niemand: Einwirkung 
von aolhen hat er im 9. Jahrhundert, im 18., dann im 17. und im 
vorigen Jahrhundert erfahren. Dass die Neueiningen Otfirids, der 
hofischen Lyriker, der Renaissanoedichter und der neuem Gasm- 
eisten nicht bis in die Region dieser volkstümlichsten, nnllttera- 
rischsten Dichtung reichten — das dürfte schon von vorh herein 
eino ge\>i8se Wahmheinlichkeit haben. Heinzel misst diesen Er- 
wägungen kein Gewicht bei; er sagt: „Die Kinder singen und 
declamieren, wie sie es von Erwachsenen gelernt haben, in der 
Schale oder im Haus, ntarkieren nur den Rhythmus st&rker, weil 
sie das podische oder dipodische Greklapper noch mehr ergötzt, 
als der Inhalt^. Darnach hätte der Kindervers zunächst seinen 
Ursprung in dem der Ei^wachsenen, d. h. doch wol in dorn litte- 
rarischen Verse: aus diesem wäre er durch eine Umsetzung 
ins Geklapper, ins monotone Scandieren. entstanden, ünd so 
wüi'de der Vers der Kindersi)rilclie ci*,^entlich eine Um- 
bildung des litterarischen Verses bedeuten, eine genetisch 
jüngere Stufe. 

Dem gegenüber liefse sich ja darauf iiinweisen, dass die Ueber- 
lieferung der Kinderspruche zwar naturgemäfs durcli die Erwach- 
senen erfolgt, aber doch nicht in der Weise, dass sich immer 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



AUgameines snr Vfinlehre. 



45 



wider, bei jeder (ieneration, der höhere Versbau g"leichsam als 
Zwischenglied einscliöbe : diese niedere Dichtungsgattung hat ihre 
abgeschlossene Tradition für sich — was man als deren wich- 
tigste Organe gelten lassen will, sei dahingestellt — , eine Tradition, 
von deren enger Geschlossenheit, deren ziüiem Festhalten schon 
der Inhalt, die inhaltlichen Uebereinstimmungen der deutschen 
Landschaften wie dar verschiedenen germanischen Völker Zeugniss 
ahle^'-en. Aber vor allem scheint mir gegen Hcinzel dieser Ein- 
wand zu erheben: was die Kinder singen und declamieren, das 
unterscheidet sich ja nicht blofs durch den Vortrag, „das po- 
disdie oder dipodische Geklapper" von der höhern Dichtung, 
sondern nicht minder deutlich und bestimmt durch die objectiven 
rhythmischen Fonnen, durch die Grundsätze des Versl)aues. Und 
alles das, worin der Versbau dieser Liedchen von der littei arischen 
Technik abw eiclit, erklärt sich keineswegs aus dem Princip der 
Monotonie. Wäre der littorariscbe Jamben- and Trocbft^vers in den 
Gebrauch der Kinderstabe übergegangen und erschiene nun in dem 
plappernden Vortrag aus Kindermunde, so hätten wir einen Yera- 
bau ungleich monotoner und völlig anders geartet, als er uns 
tatsächlich entgegentritt; dann hätten alle Kinderverse Formen wie 
etwa diese: 

wÜl Khffne K&dim bddeen. 

Nun gibt es aber bekanntlich daneben ganz andre Formen. 
Ueberblicken wir das Forraenspiel dieser Sprüche, so sehen wir: 
die rhythmische Abwechslung ist viel gröfser als in den meisten 
Versarten der Kunstiliclitunf^:. Ks kann gar nicht die llede davon 
sein, tl;iss dieser populäre Versbau seinen eigenartigen Formen- 
reichtum aus der liöher stellenden Diclitung geschöpft habe. 
Schon die dipodische Abstufung der Icten 

kann fUglich nieht als eine Simplificierang des monopodiscben 

erklärt werden. Gienge unser Eindervers auf den Viertakter der 
mhd. Dichtung oder Otfrids zurttck, so wäre durchaus zu erwarten. 



Kapitel L 

i 

(lass vier gleichstarko Takte markiert würdeu: die,«? wäre die 
nächstliegende Folge der klapperrulen Recitation. Aber wir wollen 
hier von dem Gmndmafse abseha und uns nur auf die Vers- 
fdllun^^ bpnifen: sie stellt uns unzweideutige Tatsachen vor die 
Ansron. und wenn wii- vDibin sagten, der ultertlunliclie Charakter 
düs Kmdorverses «ei a priori wahrscheinlich, so lilsst sich das an 
den (Grundsätzen seiner Vorsfullung im einzelnen beweisen. Man 
bmuelit dafdr kein neues Material hinzustellen: was von 8tolte 
a. a. 0. S. 16 f., von Sievcrs Jieitr. 13. \m. 132, von HiUlo- 
brand Zs. f. d. d. Unterr. 3, Heft 1, von mir Z. Goscb. d. ad. 
Verskunst S. 10. 45 angeführt worden ist, j^ena^rt, urn ■ Vers- 
t'üllunfj: der Ivinderlicder nach iliron wichtigsten Seiten hin zu 
verfolgen, ich hebe dies hervor: 

1) der Auftakt uA frei: zwischen auftaktigen und auftakt- 
losen Versen wird nicht planmä&ig geschieden; ebenso venig 
zwischen «nsilbigen und mehrsilbigen Auftakten. 

2) Die Fiüluug des Yersiunero, also des ersten 74''^^^tes, 
kennt diese Formen: 

( o I vgl. das von mir a. a. 0. citierte Beispiel und den 
Schlnssvers von „Hä.«?lein in der (^rul)e", den ich mehrfach in 
dieserForm aus Kindermund gehört habe: Hos Itüpf J o | j^; 

I 1^ I z. B* 1 safa und |, j kriecJi aus |, 

I 1^ p * I z. B. j ßiiko von I , i Zucker und ^ ; 
I f f f I z. B. I Sekneek im Haus | , | anhe hrot | ; 
I * f ' f I z. B. I backe, bcicke \ u. s. f.; 
I f f I z. B. |<lm lääerig]; 

z. B. j 's Sünmli schint |i 
I r f r £r I B. I soU go *a Joggdi |; 
1 r lT r r I z. B. l HdnscUma het |; 



Allgemeines sur Venlebre. 



47 



I f f I z. B, I bringen im Maitdi |; 

I r r rrr r i b. i «wf jßtMß* 1. 

(Die letzten sechs Hoispiele, mir aus mündlichem Vortrage be- 
kannt, sind anfgezeiclinet bei O. A. Seiler, Die Basler Muadart 
(1879) ö. 185. 147. 181. 162. 20:5. 15S.) 

Diese Formen lassen sich wol noch vermehren. Sie reichen 
an^, um ilie ofse Manigfaltigkeit der Takt füll an«? zu zeigen; die 
Sübeuzahl beweg^t sich zwischen 1 und 6; der giöste metrische 
Wert ist achtmal so giofs als der kleinste. Man bemerke, dass 
alle diese Takttypen piomiscue ficbiaueht werden k(5nnen: es 
sind ans diesen Vci'scliiedenheiteQ keine gosondcrtea Yeimi'ten 
entwickelt worden. 

3) Die Filllung der Cadenz, d. Ii. des zweiten V*-Takte8, 
kennt u. a. diese Formen (wofür sich die Beispiele an den an- 
geführten Stellen bieten): 

IT; 

irr . ITT ; 

irr . irrr . irrrr .iror-irc/rr. 

Aucli diese TersschlQsse sind nicht fanettoneU differenziert; 
man kann sagen: an jeder Stdle der „Strophe'' kann jede Cadenz 
eintreten. Dies ist der Grund, dass die Periodenbildung d^ 
Kinderlieder von primitivster Einfachhdt ist Entwickeltere 
Strophenformen aus Versen desselben Grundmabes sind nur 
dann möglieh, wenn die Grenzen gegensätzlich verwendet 
werden. 

Den hier angedeuteten BigentUmlichkeiten der Versfbllang 
steht man ohne Erklärung g^peaflb^, wenn man mit den metrischen 
Grundsätzen unsrer Kunstdichtung an sie herantritt. Aber es 
genOgt auch nicht, auf den Versbau etwa des Nibelungenliedes 
oder auf Otfirid zurackzugehn: ans dem altdeutschen Beimvers 
lassen sich diese Taktformen nicht herleiten. Dagegen finden sie 
sich alle ausnahmslos wider im Stabreunverse, wenn man diesen 
nach der Zwcitakttheorio rhythmisiert. D&c Versbau unsrer 
Kinderüeder — ebenso wie der unsrer metrischen Sprichwörter 



48 



Kapitel I. 



und Fornieln — mnss unmittelbar an den altgermaniselien ange- 
knüpft werden. 

Sollte jemand die Ansiclit Kauffmanns teilen (Zs. f. d. 
PhU. 25,558), dass man den Kindervers „nicht an die Alliteration&' 
dichtung, sondern an die vulgaren lateinischen Rhythmen unmittel- 
liar ansehlie&en^ müsse, so hätte er sich um den Naehweis zu 
bemühen, weshalb die Kunstdichtung, die ihrerseits von den 
vulgären lateinischen Rhythmen beemflusst war, in alter wie in 
nener Zeit einen Versbau zeigt, gänzlich verschieden von dem 
oben skizzierten. 

Ist uns irgend ein poetisches Denkmal ohne Notenschrift und 
ohne klare theoretische Belehrung (wie etwa die Aristoxenische) 
überiiefert, so kann der Versuch, seine Rhythmen zu reoonstroieren, 
meines Brachtens nur dann gewi|gt werden^ wenn man sieh auf 
lebendige Formen stützen, sich von einem realen überlieferten 
Fbrmgefllhle leiten lassen kann. Bei jedem schriftlich dai^botenen 
Verse wird schon die Betrachtung seiner sprachlichen Struetur 
zu einer Anzahl von Schlüssen führen. Aber diese aus dem 
Texte allein gewonnenen Schlosse reichen niemals aus, eine genaue 
metrische Definition, d. h. eine Bestimmung von Gmndmafs und 
Versfüllung zu erlauben. Fehlt der Zusammenhang mit lebenden, 
sinnlich wamehmbaren Rhythmen, so müssen alle jene unmittel- 
baren Beobachtungen am Texte vieldeutig bleiben. In solchen 
F^en muBS sich die Metrik mit allgemeinem, unbestimmtwen 
Formolierungen beschmden, wie etwa beim avestisohen, beim 
vedisehen Vei'sbau, auch beim dr6ttkv»tt der Skalden: das Form- 
gefühl dieser Verse lebt nicht nach. Ich kann nidit mit Sievera 
Agerm. Metr. S. 24 glauben, dass das ästhetische Experiment — 
d. h. die Ueberlegung, in welchen Rhythmen uns die Verse am 
besten gefallen — Ansicht auf Erfolg hat, wenn es die Stütze 
einer traditionellen metrischen Formensprache entbehrt. 

Die metrische Forschung war sich nicht immer bewust, in 
welchem Mafise sie einem ererbten FormgefQhle folgte. Lachmann 
hat sich, als er den Vers Otfrids deutete, nicht auf den volks- 
tümlichen Viertakter im lebenden Brauche berufen. Abei* es ist 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



Allgomeines nur Venloln«. 



4d 



keine Frage, er hätte die vier Hebungen, die einsilbigen Takte, 
die mehrsilbigen Auftakte, die klingenden Schlüsse nicht mit der 
Sicherheit postulieren können, wenn ihm niclit ein concrctos Forni- 
geilUhl die Wege gewiesen hätte. Wie sehr ohne diesen Factor 
ein verhältnissmaföig so durchsichtiger Versbau wie der Otfridische 
missdeutet werden kann, zeigt das Buch von Kawczynski, Essai 
comparatif sur l'origino et riiistoim des rhythmes (Paris 1889) 
S. 48. Die Irrtümer in Tjacbmanns Metrik fangen immer da an, 
wo die latente Vereempfindung nicht mehr w irkt, und wo spracli- 
liche Beobaehtungen unmittelto metrisch gedeutet und zu Regeln 
verallgemeinert werden. 

Wie die geschriebenen Worte irgend einer Spiache nur da^ 
durch phonetisch erläutert werden kOnnen, dass sie, durch viele 
oder wenige Zwischenstufen, an lebende Sprachlaute angeknflpft; 
werden, so gibt es für geschriebene Verse keine metrMe Inter- 
pretation, die nicht in letzter Linie von heutigen Bhythmen 
ausgienge. 

Die Methode der Verslehre ist von der der andern histo- 
rischen DIsciplinen, üb besondem der Sprachgeschichte, nicht 
grundsHtztich verschieden. Deseriptlve Buchstabenlehre und 
historische Lautlehre können nicht scharf getrennt werden: schon 
bei der Statistik der I/autzoichen muss die Einteilung, die Grup- 
pierung von phonetisdien und geschichtlichen RUcksicliten bestimmt 
werden. Die Formenlehre kann nicht zuerst die Flexionen aus 
8i<di selbst erklären (also z. B. den gotischen Genitiv dagia aus 
dem Nomuiativ dags durdi Einschnb von t), um hernach diese 
Erklärung von historischem Gesichtspunkte zu modiflcieren. So 
ist auch in der Metiik die descriptive Untersuchung des Vers- 
materialiBs durch mancherlei Fäden mit der rhythmischen Deutung 
verknüpft Es wäre unmöglich, ^nen poetischen Text zu classl- 
ficieren und Regeln der bescheidensten Art aufizustellen, ohne dass 
schon rhythmische Kriterien vorschwebten und die Einteiiungs< 
linien vorzeichnetmi. Tatsächlich ist denn auch niemals auf Grund 
rein statistischer Beobachtung ein Versbau beschrieben worden. 
.Auch Sievers Fanftypensystem ist schon in seinen Anfängen von 
gewissen ihythmischen Postulaten ausgegangen, die das Material 

UeuBler, Oerm. YarslMUi. 4 



50 



Kapitel I. 



nicht entgejfenbrachte, die hypothetischer Natur waren. Uebor 
das objectiv Erkennbai*e und Beweisbare schreitet auch der Teil 
der Agerra. Metr., der nach Sievei-s S. XI imi die Praxis ent- 
halten soll, weit hinaus. Die dualistische Fors(:liiin<jrsmethüde, die 
Sievers für die Verslehre verlanprt, die Trennung von jjPraxis und 
Theorie" d. h. von Beobachtung und Conibination, ist mir an- 
scheinend durclifdlirbar. Wenn man auf die Kntatehungshypo- 
thf^'=on dor Stabreiniiiietiik hinweist, um das Unsichere und 
Piolilf'iiKitisclie des hypothetischen Yerfalirens an einem hervor- 
ragenden Beispiel zu zeigen, so dai-f dies doch nicht darüber 
hinweg teuschen, dass, auch Ijei vollständigem S'ei-zicht auf jode 
prähistorisclie Ableitung, des Ryi)ot]i('tischen genug übrig bleibt. 
In der Verslehre wie in tIfMi vei wandten Disciplinen wird das 
Verfahren als das beste gelten müssen, worin sich Beobachtung 
und Combination, sprachliche Statistik uad rhythmische Deatimg 
am ionigston dmchdringon. 




Kapitel II. 



Metrisehe Streitfragen. 

In § 3 der Agerm. Metr. änfsert wSievers eine Reihe von 
Bemerkungen „zur Kritik der älteren Theorien". Soweit sich 
diese Kritik gegen die Zweitakttheorie richtet, möclite ich einiges 
darauf erwidern. Mit „Zweitaktthoorie" bezeichne ich die Auf- 
fassung dos Stabreim vei-ses, die zuei"st von Jordan (1868) ge- 
ahnt, von Amelung (I STI ) Nkiz/iert, soüanu von Möller (1888) 
eingehender begründet worden ist. 

Iiideni sich Sievers zunäclist der subjectiv {Isthetischen Seite 
der Frage zuwendet, bemerkt er speciell gp^ren die Zweit akttheorie, 
dass sie „wenij^stons die ;i1h'rLrn»I)sten Verstul'sc gegen Satz- und 
Sinnesaccent" vermeide, aber nur allenfalls auf eineu zugestutzten 
HildebrandsUod- oder Muspillit«xt anwendbai* sei. Von den starken 
Verstöüsen gegen den Accent, die demnach der Zweitakttheorie 
immerhin zur Last fallen sollen, ist mir nichts bekannt. Die 
Haapticten vrerden den nämlichen Silben zuteil wie bei Sievers 
(wenn wir von den Seh well vei*sen und vom LjVjdaliattr abeebn, 
die an dieser Stelle offenbar nicht ins Auge gefasst sind), und 
dareb die Nebenicten, die Moller abweichend von Sievers statuiert, 
wird niemals eine sc]jwii('hei*e Silbe über eine stärkere erhoben; 
das spracbliehe NacbdruoJcBverh&ltniss der Silben bleibt in der 
Zweitakttlieorle stäts gewart. — Der Vorwurf aber» dass eine 
VergewaltigunGT der Texte nOtig sei, trifft die Zweitaktlehre am 
allerwenigsten; denn sie kann aneh die Verse, deren Zosammen- 
Setzung von dem vorhersehenden Brauehe abweiobt, immer nocb 
als Verse, als metrisehe Gebilde, die ans ilirer Umgebung niebt 
voUstllndig herausfallen, begrdfiich maehen. 

4* 



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Kapitel iL 



„UnertillgliclL*' aber Beont Siekers die Cpniraste von „U«l)er- 
dehnnog auf der dum und Ueberhasttmg auf der andern Seite", 
und er glaubt, die Verse im Hildebrandsllede [Dohjmaht du nu 
aodWiho If. mflsten wohl anf die meisten HOrer den Eindruck des 
Grotesk-komisohen machen. Ein Streit de gustibus wäre nicht am 
Platze; doch erwSge man folgendes. Dass eine Beihe von vier 
und mehr Silben schneller gesprochen werde, wenn sie im Auf- 
takte steht, , als wenn sie das ganze Versinnere aoamacht, das be- 
zweifelt niemand. Nach den Bemerkungen Agerm. Metr. S. 204 
denkt sich auch Sievers die silbenrächen Auftakte oder „Ein- 
gangafüfee" in schnellem Tempo gesprochen. Das AnstOfeige kann 
also nicht in der Ueberhastang an und fllr sich liegen, sondern 
nur darin, dass ein and derselbe Vers sehr kleine Zeitwerte mit 
sehr grofiißn verbindet Ich neige hier vielmehr zu der entgegen- 
gesetzten Ansicht: die sObenreiehen Auftakte eilangon nur da- 
durch ihre kdnstlerische Wirkung, dass sie in den ausgehaltonen 
, Langen des ersten Verstaktes- ihr starkes Gegengewicht finden. 
Diese metrischen Contraste betrachte ich als das Ausdracksmittel 
des Pathos, das dem altgermanischen heroischen Stil eigen ist: 
der contrastraiche Versbau ist die angemessene Form ftir diese 
Poesie, die unermQdlich im summum genus dicendi einhersohreitet 
Die Entwicklung des germanischen Vorsbaaes ist die, dass die 
metrischen Contraste mehr und mehr ausgeglichen werden. Otfrid 
ist nivellierter als das Hildebrandslied; die Wiener Genesis ist 
wider weni^'oi glatt als Otfrid, weil altortnmlicher, der niedem 
Tradition nälier stehend; Konrad von Würzbarg erreicht einen 
hohem Grad der Ausglättnng als Otfrid; der Versbau des 14. 
15. Jahrhunderte und der Hans Sächsische Vers sinken von dieser 
Stufe wider zurück, was die Fällung der einzelnen Takte und 
dos Auftaktes betrifft; mit Opitz setzt sich die letzte Nivelliernng 
des Veri^ durch, und diese so durchgreifend, dass die Contraste 
der Zeitwerte völlig ausgeglichen sind ; die Entwicklung seit Opitz 
zeigt, unter dem Einfluss der Antike und des deutscli-volkstdm- 
Hehen Verses, eine erneute Reaction gegen jene Nivellicrung : der 
.Tarabeiitiab boluuiptet nicht mehr das ganze Feld; in einzelnen 
Dichtungon, wie etwa in dem Goethischen Kllnstlers Erdewalleu, 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



Metrische Streilfiegen. 



69 



wird ein Contrastreichtum gewonnen, der dem des 12. Jahrhunderts 
ebonbüi-tig ist. Die Entwicklung des detttschen Versbaues weist 
darauf hin, dass eine Teehnik, reicher an Gegensätzen der Zeit- 
werte als alle folgenden, am Anfange steht. Der Stabreimvers 
und der Jambentrab sind die beiden Extreme in der germanischen 
Yersgeschidite. 

Kehren wir zn den Versen ans dem HildebrandsUede zurOidc, 
die die ungewollte Komik wecken, so ist nieht zn Uberseheni dass 
die starken Contraste, die Urheber dieses Eindnudces, nieht ohne 
Plan angebracht sind. 

Die beiden Silben, die Je einen ganzen y^-ltki ftlllen, | o | , 
sind aod- in dem Verse 

maht du nu aodlMo 
und reht in dem Verse tbu du dar Snic reht haXies; der Fiatt, 
dass zwei Sflben den ersten Verstakt füllen, 1 T ^ | , tritt ein bei 
dien in dem Verse 

ibu dir ^ dien taoe 

und bei wSwurt in dem Verse 

tvSivurt skihit. 

Dies siüd die einzigen ,,Ueberdeliiiuii^'-en", die Uber das prewöhn- 
liche Mafs des altdeutschen Reimverses hinau.s;^^chn. Mir scheint, 
dass der bogritfliche Gehalt dieser Worte, der rhetorische Nach- 
druck, der sie trifft, ihr langes Aushalten motiviert. Die beiden 
Auftakte sodann, die eine Spaltung in kleinere Zeitwert« als J 
fordern, sind ihn dir dfn und Um du dar enic; sie be,stehn also 
aus naclid rucklosen l^'ormwurtern; in beiden Fällen folg-t eine 
der vorliin *(enannteu ,.nel)erdehuuDgen", worin die Aufiakie ihre 
Stutze linden; auch dem au.strehaltenen aod-ffhho gelit dreisilbiger 
Auftakt vüi'aui;. Mag man diese Disposition de?- Zoitwerte schön 
finden oder g-rotesk-komisch planlos ist sie jedenfalls nicht; 
von groben Verstöfsen gegen den Aceent ist keine Si)ur. Soll 
nach Siovers Vorgang der Appell an das Gefahl des Lesers 
oder Hörers erlaubt sein, so kann man darauf hinweisen, dass 
Wilhelm Jordan, dem das Stimmrecht in dieser Frage nicht 
wol abzusprechen ist, von aller philologischen Theorie unbeirrt, 
nur seinem Formgefhbie folgend, altgermanische Verse in einer 



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54 



Kapitel IL 



Weise rliytlmiisiert hat, die sich mit der Zweitakttheorie aufs 
nächste berührt (Der episclie Vers der Germanen, Frankfurt a. M. 
1868, bes. Beispieltafel bei S. 16). Man vergleitihe etwa 

tr I n rp 

mt dih es so wd ht^, 
Abgesebn von dem pdncipiellen Punkte, dass Jordan auch die 
sprachlich Inirzen Starktonsilben dehnt, z. B. 

PI rci rp 

ne svahr unnir, 
weicht seine Auffassung nur in Nebendiiigen von der Amelung- 
MOllorschcn ab. 

Jordan befindet sich in einer ähnlichen Lage ^vie Amelung: 
ohne den Versbau der Sprichwörter und Kinderlieder zur Stütze 
heranzuziehen, rhythmisieren sie instinctiv aus dem Formgefilhle 
dieses germanischen Mafises heraus und gelangen unabhSagig zu 
wesentlich gleichen Yersblldem. Ich kann nicht Iftugnen, dass 
mir dieser Umstand — neben den versgeschicbtlichen Erwugungen 
— nicht bedeutungslos ist für die Abschätzung der Zweitakt- 
theoiie. Es ist schwer zu denken, dass je der Formensinn eines 
Dichters darauf verfiele, die attgermanische Poesie in den Rhyth- 
men des FUnitypensystemes zu hOren. — Mag man Jordans 
genannte Rhythmisiernngen f&r gut oder schlecht halten, sie 
verdienen jedenfalls ihre Stelle in der Geschichte der Metrik, 
weit eher als z. B. Schmeller; schon dadurch sind sie bemerkens- 
wert, dass sie zum ersten Male — neben Edvin Jessen and un- 
abhängig von diesem — fbr den nordischen, den englischen, den 
deutschen Vera eine einheitliche Form aufteilen; das Problem, 
woran die ältere Vierhebungslehre gescheitert war: Hildebrands- 
lied und Vpluspi metrisch zu einigen, ist von Jordan gelost worden. 

Auf S. 13 sagt Sievers: „Auch MOUers Scansion verstofst wie 
die alte Vierhebungstheorie gegen wolbekannte Tatsachen der Vers^ 
technik und lasst andere uneiklärt''. Da Movers für den ersten 
Teil dieses Einwandes kern Beispiel gibt, weif^ ich nicht, woran 
er bei den Verstoßen gegen die Tatsachen denkt. Dass andere 
Punkte bei der Zweitakttheorie unerklärt blieben, wird mit 



Metrische Streitfragen. 



55 



folgendem gezeigt. Verse wie arist söht^ ^trest h9 h\m ge- 
Mü u. a. (so DACh Möllens Seandon) siiul im Engliadieii lAnfig, 
man darf sie „richtig*' nennen; sie legen den Nebenietus des ersten 
Taktes anf eine sprachlich schwachtonige Silbe; „nun werden abor 
Verse ^vie c^hta söht^^ ünldide scetdn oder gar (er^ta ges^hUf 
ünhltde gesditön tatsächlich gemieden, obwol sie genau dasselbe 
Versbetonungsschema geboten hätten, wie die oben angeführten 
jiiclitigen' Vei-se. Der Grund hierfür könnte doch nur darin 
liegen, dass Wer die zweite liebung [der erste Nebenictus] nicht 
auf eine sprachlich unbetonte, sondern eine nebentuiiige Silbe .... 
gefallen wäre. Man gelangt alsu zu der für germanische Metrik 
sichtlich absurden Re<:pl : schwächere Hebungen dürfen nur auf 
an sicli« unbetonte, niclit auch auf nebentonige Silben fallen!" 
Ich gebe zu, dass diese Regel keine mildere Benennung verdiente. 
Allein, auch abgesehn von dem Einwand, den Sievers selber 
gleicli in den folgenden Sätzen ei-liebt, möchte ich den angedeuteten 
spracidichen Tatsaclien einen andern Schluss entnehmeu. Zuerst 
ist festzustellen: Verse nach der Art von a^resta s6hU sind nicht 
durchaus gemieden; sie koiunion in der Kdda. im ITeliand, im 
iiildebrandsliede vor und, wenn man beim hnglischen bleiben 
soll, auch z. B. iiu Beowulf, und werden vou Sievers selbst 
registriert; vi^l. Beitr. 10, 227 f 250 Note. 277 f. 310; Agerm, 
Metr. § «5, 2. Die zahlreichen Verse wie 

1j. 1517 ffürgrip' flodcs 1066 (jomcnwudu gn ted 
sind bei der Besprechung dieser Frage mit in Betracht zu -'.ielm, 
da die Lagerung der Acccnto fdio sprachlich starktonige Silbe 
im ersten Ncbcnictus, bei dem Ausgang _ v,.) hier dieselbe ist. 
Nur unter bestimmten Bedingungen, im Beowulf, wenngleich niclit 
ausnahmslos, in den geraden Kurzvereen, werden diese Formen 
gemieden, und deshalb ist nicht daran zu denken, dass der- 
artige Silbengruppen für die metrische Khytlimisierang untaug- 
lich gewesen wärcn: es kann sich nor um eine Speciahregel 
der Versfüllung handeln. Darnach mnss sich die zu formu- 
lierende Vorschrift richten: ein ganz allgemeines „darf" und 
„darf nichf* ist hier unstatthaft. Nach der Zweitakttheorie ist 
die Sache so aufzufassen: wenn ein Wort wie ieresta, fSrgrijpe 



56 



Kapital U. 



in einen */t'TM i x X x X I gestellt ^^ild, so fällt dio dritte 
M(»ra dieses Tulttes, der schleciitü Taktr< il, auf die sprachlich 
starktonigc Silbe -f^ff-, gri-\ dadurch wird dieser schlechte Takt- 
teil stärker ausgeprägt (x). Man kann die 'i'akte mit dieser 
Füllung „voll" nennen. Fällt der schlechte Taktteil auf eine 
sprachlich schwachtonige Silbe, wie in den Takten | wrest |, mrest 
he Jiine^, so wird er schwächer ausgeprägt (x). In Ermangelung 
eines bessern Namens kann man diese Takte „klingend" nennen 
fobwol die Bezeichnung nur ftlr Füllungen wie | wrest |, mäclum \ 
zutrifft). Die vollen und die klingenden Takte sind, vermöge 
der ungleichen Ausprägung des Nebenictus, rhythmisch ver- 
schieden und wei^den deshalb als functionell ungleichwertig 
gebraucht: es kann nicht beliebig ein voller Takt in (Me Stelle 
des klingenden eintreten und umgekehi-t 

In ansenn speciellen Falle ist die Regel so zu formulieren: einige 
Godiclite oder (im Boowulf) die geraden Kurzverse verbinden klingende 
Gadenz wol mit klingendem, oiebt aber mit vollem erstem Takt 

Der Einwand, dass diese gegenseitige Abhängigkeit von Ca- 
denz und Yersinnerm etwas Unmögliches sei, könnte sich jeden- 
falls nicht auf allgemeine Gesetze des Rhythmus berufen, sondern 
nur darauf, dass im Keimverse diese Abhängigkeit nicht mehr 
besteht. Ich glaube allerdings, dass in diesem Punkte, in der * 
Balance der Yersglieder, eine Eigentümlichkeit des Stabreim- 
verses liegt, die später nicht in der Weise widerk^rt — denn 
der Hans Sächsische Vers bietet in der Tat keine genaue Parallele 
(dievers S. 15 Note), weil er die Balance der Yersglieder nur 
nach der Silben zahl, nicht nach der Tonstftrk» und Quantitftt 
regelt. Aber man darf fi-agen: ist jemals eine Deutung des Stab- 
roimversss untemommen worden, die ihm nicht sehr tiefgreifende 
Abweichungen von der Beimversteehnik hittte zuteilen mttssen? 
Sievers selbst behandelt Stabreimvers und Beimvers derart als 
incommensurable GrOfeen, dass von seiner Seite jener Einwand 
nicht zu erwarten ist. 

Was Sievers im Anschluss an die vorhin citierten Sfttze 
(S. 18 f.) bemerkt, darauf wäre ans dem gleichen Gesichtspunkt 
^sti orwidcm. Das „Taktiemngssystem** fordert el^en iiich^ filf 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



Mebriaclio Stroiifingeii. 



Ö7 



den sclilpchteii raktteil „genau gleiche Betonung". Der metrische 
ßahnien stellt die dritte» Mora des Taktos als neutralen Wert zur 
Verfügung; durch die jeweilige Taktfüllimg- erluilt sie ihre concrete 
Ausprat^ang (vgl. o. S. 32); dabei sind die drei FiUle zu unter- 
scheiden: sie wird pausiert; sie ruht auf einer sprachlieli schwach- 
tonigen vSilbe; sie l uht auf einer sprachlich starktonigen Öilbe. 

Ein weitrer Punkt. In Versen wie 

hringneU heran 
panon tvöc fela 
fasst Sievore die Cadenz ^ ^ als gleichwertig wii L sj . In den 
Versen gnmmmna fela 

ofer landa fela 
fasst er die Cadenz ^ ^ als „Auflösung von i Dies berulit 
darauf, dass in Versen der ersten Art statt eines heran, fela 
(v/ ^ auch ein hceron, fengel {L -) eintreten kann, wogegen in 
Versen der zweiten Art mit dem fekk {C ^) ein tiän (S.) wechselt. 

Es wäre also nichts einzuwenden gegen die Regel: ^ ist 
in einigen Fällen functionell gleichwertig mit S, w, in andern 
Fällen fimctioiiell gleichwertig mit 1. ; oder, anders ausgedrttokt: 
gewisse Verse gebrauchen beliebig die Cadenzen ^ w und ± 
gewisse andre beliebig die Cadenzen ^ w und Jl . 

So weit und keinen Sehritt welter führt die Beobachtung der 
Tatsachen. Sievers jedoch geht darüber hinaus und deutet die 
Verhältnisse so, dass w w in den beiden genannten FäQen „ein 
verschiedenes Zeitmal^*' erhalte. In § 171 wird dies dahin 
erläutert, dass ^ w, wo es mit 1 ^ abwechseln kann, auch 
seinem realen Rhytlimus nach dem ± ^ „annähernd gleichwertig" 
sei; dagegen wo ^ ^ durch 1 vertreten werden kann, da hat 
^ w die normale Dauer einer Silbe (§ 170). Wenn Sievers 
§171 sagt, diese Deutung beruhe „auf festgestellten Tatsachen'' 
und zu weiterer Bekräftigung diese Tatsachen noch einmal vor- 
führt, so ist ausdrdeklioh zu betonoi, dass die Tatsachen aber das 
Zeitmafö der Silbengruppen nichts aussagen: Sievers Erklärung 
gehört schon dem Bereich der Hypothese an; man kann sie be- 
zweifeln, ohne festgestellte Tatsachen zuläugnen. Das tatsächlich 
grweisbare hält ^icU ^u den Grenzeii des vorhin formulierten Sa^zest 



58 



Kapitel U. 



Da der gesaminte Kt'rraanische Versbau alter und neuer Zeit, 
soweit er noch mit den kurzen vStarktonsilben rechnet, die zwei- 
silbii,'--sluinpfe Cadenz ^ w (fcla) von der klingenden Cadenz 

(h(pron) rhythmisch aufs bestiumiteste unterscheidet, indem 
jene die Messung: ! x x . diese die Messnnjf | 1 x erhält, ist 
CS m. E. bedingungslos ausgeschlossen, dass der stabreimende Vers- 
bau von diesem alt germanischen Bmuche eine Ausnahm'^ niacliB 
und den beiden Cadenzen in bestimmten Fällen annähernd die 
gleiche Messung verleibe. Der Ausgang fela hat ia Uea beiden 
Versen 

jHtnon wOe fda nnd 
ofer Umda fda 

die nftmliche rhythmische Form | x x > und er ist von der Cadenz 
hmfdm oder tvicum in den Versen 

g^tOn haefdm 

geworden in iv^m 
— 1 ^ >< bestimmt antersehieden. 

Der ..gesteigerte 'ryiius A 2" (trfsffpsf wordum) und der 
„gekürzte Typus A 2 (niih'üd irarum) werden im ßeowulf und 
wol in den ineisLen andern Dichtungen nicht in gleicher Häutigkeit 
auf die beiden Kfir/verse verteilt (s. z. B. Sievers, Agerm. Metr. 
§ <S4, 3 b, Proben iS. :i8): der zweite Kureve!*? begünstigt viel 
mehr die ,,gek<lrzte" Form. Diese ("^nterscheidimg, die über den 
Zufall hinausgeht, zeigt, dass auch in diesem Falle der klingende 
und der zweisilbig-stumpfe Schiuss nicht ganz gleichwertig functiü- 
nierten; schon darnach ist es unwahrscheinlich, dass sie ihrer 
rhythmischen Ciestait nach annähernd gleich waren. Vielmehr 
wird Fuhr das Richtige getroffen haben, dass nämlich der gerade 
Kurzvei's im allgemeinen größere Vorliebe für den stumpfen Schluss 
hat (Metr. d. wgerm. AUittverses § 41. 72). 

S. 14, 7 kommt Sievers zn dem Auftakt Nach der Zwei- 
takttbeorie hat der Vera 

pone god sende 

einen zweisilbigen Auftakt: pme. Man dürfte den Vers dieses 
Auftaktes nicht berauben, weil damit seine Ffillnng unter das 



Metriacbe Streitfragen. 



50 



Normalmafs des episclien Verses herabsänke, ümgekelirt dtlrfte 
man einem Vers wie 

(efter cenned 

nicht unter allen Umständen einen Auftakt beifügen. Also das 
Vorhandensein oder Fehlen des Auftaktes ist bedingt dui*ch die 
Füllung des Versinnem und der Cadenz. Der Auftakt ist nicht 
principiell frei. 

Sievers erklärt dies ftlr rätselhaft und unverstäodlicb, denn 
— „ein echter Auftakt steht aufserlialb der mit einer Hebung 
beginnenden rhythmischen Reihe, und diese selbst erleidet dui*ch 
Synkope keine Verttnderung'*. Dieser Satz ist in seinen beiden 
Teilen schwer verständlich. Was soll es bedeuten, dass der Auf- 
takt „aultorhalb der rhythmischen Reihe" stehe? Ist es denn fCir 
den Charakter eines rhythmischen Motivs gleichgiltig, ob es mit 
nachdruckstosen Teilen beginne oder mit dem guten Taktteil? 
Jedes musikalische Motiv wird aufs fühlbarste vei-ändert, sobald 
ich ihm seinen Auftakt entzielio oder dem auftaktlosen einen Auftakt 
zusetze. Beim gesprochenen Vci-se ist es nicht anders: ein Vers 
mit Auftakt ist rhythmisch nicht dasselbe wie ein Vors ohne 
Auftakt. Daduicii dass die graphische Bezeichii iiu dcu Takt- 
strich vor den Ictus lo^^t, soll die Bedeutung de^ Aiiftakte~s uiciit 
abgeschwächt worden. Der Auftakt steht vor dem Taktstrich, 
keineswegs aufserhalb der rhythmischen llcihe. 

Auch bei den \'crsen, die das; Princip des freien Auftaktes 
befolgen, wie die volkstilmliche gci-manisclie Koiindichtniiy, ist der 
Auftakt keine rhythmische Null: ob ein Auftakt vorhanden ist 
oder nicht, emptindot Dichter wie Hörer. Nur ist hier dieser 
(Unterschied nicht im yiinie einer metrischen DitTerenzierung ver- 
wertet (vgl. 0. S. 30 f.). In der episclien Stabreimdichtung- ist der 
rhythmische rntorschicd zu ciniMn Functionsunlerschicd(> erhoben. 
Ist der eine \'erstakt klingend, der andre stumpf, oder sind beide 
Takte stumpf, so ist Auftakt gefordert : 

pone I god \ sende 
him on \ caxlc \ l(sg 

tö I West" I denum. 
Weniger scharf hat sich die functiouelie iSonderung ausgebildet 



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60 



Kapitel II. 



in dem Falle, dass beide Verstakte klingend geMlt sind: neben 
den stark Uberwi^enden anftaktlosen 

I rSde \ cempa 
(womit funcüonell gleichwertig 

I iviht ge- \ wyrcan) 
zählt der erste Kurzvers des Beowulf eine nicht ganz kleine 
Zahl, ö7o nach Sievers S. 15, von auttaktigen 

pwi pec I ytnhe- [ sitfend, 

wogegen der zweite Kurzvers hier den Auftakt, nach Sievers, nur 
in 7—8 Fällen aufweist, also eine ähnlich strenge Sonderung 
trilft, wie die Mchraalil der eildischen Fomyrdislaglieder. Bei 
den Skalden ist der Auftakt unter allen Bedingungen gebunden. 

Wenn Sievers in dem citierten Satze schlielst : die rhythmische 
Reihe „erleidet durch Synkope keine Verändernng'^ — wonach 
z. B. die drei Reihen 

\ L \ 1 \ 1 \J. 

l)^xlxxlxxU ' 

Ixv^wl :^x l}5:v^vy| ^cx 
ein nnd dasselbe rhytlunische Motiv wäreo — , so kann ich mir 
den Satz nur aus der Verwechslung von Gmndmafis und Vers- 
flQUung erkUren. Die „Synkope" sowol wie der Auftakt shid 
wesentliche Factoren des Versrhythmus; und dass sie ia eine 
gegeaseitige Abhängigkeit gebracht werden, kann man nicht als 
metrische Unmöglichkeit bezeichnen (vgl. o. S. 56). 

Sievers Leiilhrt weiterhin den Umstand, dass die Auftakte in 
den erstgenannten Versen (Typus B und C) häufig das Mafs von 
3 — 5 Silben erreichen, wogegen sie in andei'n TjT)en (A, D) kaum 
je über zwei Silben hinausgehn ; er fragt : „warum genügten denn 
da [in B, C] nicht auch die ein- bis zweisilbigon Auftakte?" 
Aber man kann dof'l! nicht sagen, dass diese nicht genügt liätten, 
da der l>eowulf die C- und B- Verse mit ein- bis zweisilbigem 
Auftakt zu Hunderten aufweist. Eine gegensatzliche Verwendung 
des zweisilbigen und des drei- und mehrsilbigen Auftaktes ist 
nicht zu statuieren, da sich jeder auftaktige Verstypus mit ein- 
silbigem oder zweisilbigem Auftakt be^aU^n kann, Daraus tes 



ICdttisdhe Stioitfragen. 



61 



die einen (schwerern) Versformen den Auftakt nur selteii zogen 
und gleichzeitig seine Silbenzahl beschränken im Gegensätze zu 
andern (leichtern) Yersformon — daraus kann docii nicht gefolgert 
werden, dass wir es nur in dem einen Falle mit „echten Auftakten", 
in dem andern Falle aber mit dem rhythmisch undefinierbaren, 
metrisch unbrauchbaren Begriff der „Eingangsaenknng" zu tun hatten. 

Wie schwierig es ist, den Beirriff der „Eingangssenkung'* 
anschaulich nnd sicher festzohalten, zeigt sich bei Sievers eigenen 
Rhythmisierungen in Abschn. Vn. Man beachte diese zwei 
Punkte. Der Heliand giebt der „Eingangssenkung^' der Typen 
B und C häufig eine bedeutende Silbenzahl. In diesen Fällen soll 
man nach Sievors § 176 die „Eingangssenkung-'' in zwei Teile 
zerlegen: in ein „einleitendes Staccatostttck" und in ein ,.Liudsttlck, 
in dem der st<'igende Rhytluniis e?.st eigentlich durchbricht". Ich 
gestehe, da^s mii* diese erkdnstelte Vorschrift unklar bleibt; aber 
hier kommt es nur auf diesen Punkt an: die silbenreicho ,,VAn- 
gangssenkung" enthiilt als erstes Stück genau dasselbe, was 
Sievers in anderm Falle (z. B. im Typus A) „Auftakt'* nennt; 
also die „Eingangssenkung" besteht, wenn sie eine gewisse Silben- 
zahl erreicht, aus „Auftakt" + „eigentliche Eingangssenkang". 
Damit wiid die sonst so naclulrilcklich geforderte Grenze zwischen 
den beiden metrischen Grüfsen merklich verwischt; aufserdem 
bleibt man im Ungewissen, bei welcher Silbenzalil jene Zerlegung 
in zwei Stücke zu beginnen habe: dürfen fünf Silben noch als 
einheitliche „Eingangssienkuag"' behandelt werden? 

Der zweite Punkt betiifft den Malahattr. Einem Verse 
wie feldi 9tod störa in den Atlamäl giebt Sievers das Schema 
— X ^ i -1 X (§ ^dO)* Vergleicht man damit den Vers ans 
der ypluspA leika Mms ssfmr 

XX ^ I v:, X » 
so dürfen, nach Sievers, die beiden Emgänge feldi und leika ja 
nicht gleich vorgetragen werden — dies höbe den Untei-schied 
der beiden Metra auf I feldi mass, wie das Schema zeigt, stärkern 
Nachdruck haben als leilca. Nun ist aber dieses leika keines- 
wegs em Auftakt, sondern eine „Eingangssenkung", darf also nicht 



62 



Kapitel n. 



80 kiirz und schwaeh wie ein Auftakt gwproelien werden (man 
vgl. § 190 Anm. 1), Dennoch steht es hinter dem feMi an 
Nachdruck zurflck; dieses seinerseits aber darf darchans nicht als 
eigentliche Hebung gesprochen werden« es moss merklich schwacher 
sein als die zweite, schwllchere Hebung itö-i denn der Vers soll 
ja kein dreihebiger sein wie die Schwellverse. Ich weiAi nicht, 
ob sich ein Anderer in diesem Lab3rrinth von Stilrkograden zu* 
recbtflnden kann. Mir ist die ytEin^angssenkung*' in ihrer Mittel- 
stellung zwischen dem Auftakt und jener sehwftohern ESogangs- 
hcbun{,' ein rliytlimiseh unfassbarer Begriff. 

Wenn man den Auftakt „aiifserhalb der rliythmisolipn Reibe" 
stellt, so ist es nur conseqiient, mit Sievers § lö Aiim. 3 zu 
sagen, dass es sich „beim Steilen und Fehlen der Auftakte stilts 
um etwas Willkürliches handelt, die Auftakte imiliin nicht als 
wesentlich angesehen weiden können". Aber wie sehr diese 
Consequenz den statistisehen Ergebnissen der Sieversschen 
Forschung, den fe^itgestellten Tatsachen widerspricht, liegt auf der 
Hand. Hat doch Sic vors selbst gezeigt, dass Verse wie cefte}- 
ceniml, mid iddfürdüHy yohlfäJnie Jielm im zweiten KnrzvcT'se 
des FiODwulf oltenso wie in der grofsen Mehrzahl dor Fornvidislag- 
Lieder verschwindend selten, so gut ^ne g;iv nie einen Auftakt 
zulassen. Es war dies eines der wicliti^^eii und schlagenden 
Resultate, wodurch ilie tVilher geglaubte Freiheit des Süibreim- 
versCvS widerlegt wurde. Und jetzt annuUiei-t .Sievei-s diesen JSatz, 
indem er den Auftakt etwas Unwesentliches, das Stehen und 
Fehlen des Auftaktes etwas Willkürliches nennt. Die Dichtc^r, 
die in Hunderten von Versen des Typus A, D, E den Auftakt 
sorglich vermieden oder aber die erste Kurzzeile planmillsig vor 
der zweiten auszeichneten, indem sie nur jener den Auftakt in 
diesen Versformen vergönnten — diese Dichter iiaben sicherlich 
den Auftakt nicht willkürlich behandelt; für sie war er nicht un- 
wesaitlich und stand er nicht „auTserhalb der rhythmisdien Reihe" 

Dm vuu Siekers iu Abscliu. Vll oatworluuc EuUtohungäg^oschichte deji 
StahreimferaeB iHsst aehon desbalb nnbofUedigr, weit sie doD Aaftidct als 
etwas bebandelti das «steben und fehlen kann* (§ 146, 8), nnd daium niebt 
eHdBrt, tranim er aas vielen Versfonnen planrnftfaig rerbannt ist. 





MetriiMsbe Streitfiragen. 



63 



— Indem ich za S. 15 der Agerm. Metrik zumckkelire, räume 
ich gerne ein, daas der von mir gebrauchte Ansdrudc (Acta Germ. 
I lld), dem metrischen Rahmen werde ein gewisses Mittelmafis 
Yon sprachlichem Stoff zugewiesen, die Aofstellnng der Special- 
regdn nicht überflüssig macht und in diesem Sinne „unzulänglich'* ist. 

Ebenso stimme ich Sievers (S. 16) bei, dass MOller im Un- 
recht war, den Znsammenhang von sprachlicher Quantität und 
sprachlichem Nebenton, nach Lachmanoischer Regel, festzuhalten. 
Wenn nur wüa, nicht aber witm, zu i x gedehnt werden kann, 
so liegt der Grund lediglich in der Dehnbarkeit des tcf-, in der 
Undehnbarkeit des wi'. Hier spielt also nicht der sprachliche 
Accent, sondern die Quantität unmittelbar eine Rolle. Hat 
doch nach Axel Kocks bekannten Untersuch im«ren auch im 
Nordischen die Endsilbe von mta mehr Nachdruck als die End- 
silbe von Visa. Mit dem sprachlichen Levis hat die klingende 
Messung i(4sä = x nichts zu schaffen (wie noch Kauff- 
mann Zs. f. d. Phil. 25, 553 Note voraussetzt). In dem Streite 
Uber den alten<,^lischen Keimvers wurde die Frage viel erürte)t, 
ob man die Betonungen löre, wenden der englischen Sprache des 
11. — 18. Jahrhunderts noch zutrauen dürfe. !)is ondlich Traut- 
inann ( Anglia 5, Anz. S. III) den richtigen Gesichtspunkt 
betonte: die klingende Mossnn«^ lori', ir(:tiiJhi gibt keinen Ab- 
druck der Prosabetonnn<4-; es handelt sich nicht um ein sprach- 
liches Accentgesetz, sondern um eine metrische Kunstform. Die 
Prosa sprach mddmes indge; der Dichter dui'fte ohne Schwierig- 
keit messen indflmes inögd. Der heutige volkstümliche Versbau 
aller germanisclien SpracluMi zeigt uns, dass die klingende Messung 
zu Recht besteht, obwol die Kndsilben keinen sprachlichen Nach- 
druck besitzen. Das accentuierende Princip der germanischen 
Yersknnst wird eben durch den Satz „Versietus und Sprachaccent 
müssen sich decken" ungenau bezeidmet; man sollte vielmehr 
sagen: der Veractus darf keine schwächere Silbe tiber die stärkere 
erheben. 

Dem altgriechischen Versbau ist die klingende Messung im 
Versschluss wie im Versinnem geläufig: z. B. 

voopdtac «icXiO|io6c _L ^ JL »-/ 1 A 



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64 



Kapitel It. 



itaiptöoyc ^0}tot>c ... ^ ^ L ' 

f W^estplial-Rossbacli Hl 1,.'330); aucli dem Satarnier uird sie 
^'owiss mit Recht von den ijicisti'n Foi-sclioi'n zugeschrieben (sie 
ist mit der acccntuierenden wie mit der quaatiticreaden Auffassung 
vereinbar), z. B. 

triümp^ triümpd 

(ITscncr, Altgi*. Versbau S. 78). Auch der Ri^veda kennt neben 
dem aclitsilbigen Päda als typische Abweichung den siobonsilbigen, 
mit dem Schliiss | ^ _ , katalektiseii liocli wol im «ri iechischen 
Sinne, d. h. = | 1 (01denbei*g, Die Hymnen des Rigvoda 
I 85; vgl. auch Klahnau, Die Trishtubh-.Iagati-Familie S. 219) ^). 
Einen Zweifel halte ich darnacli nicht für niö^dicli, dass schon 
der indo5,'"ormanische Urvers die kiin^^'nde Messung besals; und 
. dann ist ja klar, dass ein exspiratuiisclier Naclulrnck auf den 
Endsilben hier aufser Spiele ist. Die metrische Dehnung eines 
zweisilbigen Wortes oder Woilteiles mit delinbarer Paenultima 
zu der Form ' x ^^ht von Anfang an auf einen rein vers- 
technischen Brauch, nicht auf eine sprach) iclio Notwendigkeit 
znrdek. Ftlr die CailcM/ speciell lässt sich die Regel so fassen: 
fällt die dehnbare Paenultima des Verses in den vor- 
letzten Versictus, so wird sie ausgehalten, sodass aaf 
die Ultima der letzte Versictus trifft. 

Die Metriker, deren Aciifseruugen über den Urvers der Indo- 
germanen mir bekannt sind, ziehen die klingende Messung, die 
TCatalcxe — oder allgemeiner: die einsilbige Taktfiillung — nicht 
einmal in Bctraciit, - mit Ausnahme von Kilhnau, der a. a. 0. 
den einsilbigen Takt nur fUr das Versinnere läugnet, was er im 
Hinblick auf die von L'sener besprochenen volkstumlichen Vei'se 
der (kriechen schwerlich aufrecht halten wQrde. Sievers erklärt 

z. H. Agerra. Metr. § 154 Anm. 2, einen Verschluss * 

fdihä könne man dem Urgermanischen nicht zuschreiben. Aber 
wenn man auf diefiem Qebiete tlberliaupt von Sicherheit redea 

1) Die klingenden Gadeozea im altirischen Vrastatt sind nach Zimmer 
erst das Prodoct sprachlicher Synkope (KeU. Stadien, 2. Heft, Berlin 1881^ 
S. 162); dttfitr spricht, dass die vierfaebigron Verse oonstant 7 Silben, die drei* 
hebigen 6 Silben enthalten. 



Motrisobo .Stroit£ragen. 



G5 



wiU, wQste ich keinen Punkt, der sicherer wftre als dieser. 

9 

Zu Agerm. Meti-, S. 16, 9. Dw Zweitakttheorio misst 
seulidäfite, JUmuiin hanrütcco als | ' L \ ' XX» dugegeii 
sld Dedtrihhe, der si duh ml a njusto als or^jy 1 1 - 
d. h. Wörter des Baues I _ ^ werden bald zu der i^'onii 
I X X h l>ald zu der Foi jii 1 ^ 1 _1 x rhytiimisiort, j.> nacli- 
dem die ZtisammeaseUiuig des Vei'ses, imd)esondei-e der Stab- 
reim, voi'schreibt. 

Sievers findet, dass „mit vollkoiiiineuistci- Willkür verschiedene 
Betonungen" angesetzt werden. Zunächst ist za erwidern, dass 
sich auch Sievers dieser WillkUr schuldig maclit. Auoli er 
l)ezeichnet Veerse der erstem Art als Typus D, wobei die Wörter 
liäante, harmlicco als 

« % 

rrr 

erscheinen; dagegen Vei-se der zweiten Art als Typus C, wobei 
die aualog gebauten Worter als 

— 

rrr 

auftreten fS. 196). Man sieht, dass die Rhythinisieningen nach 
Dauer und Stärke der Silben vorschiedon sind. Ob deshalb, weil 
die Versclüodenhoit kleiner ist als bei Möller, auch die „Willkür'* 
geringer sein soll, wciCs ich nicht. Aber zu beachten ist, dass 
jene Messungen der Zweitakttheorie in dem einen wie in dem 
andern Falle die gleichen Zeit- und Starkeproportionen 
austeilen: 1^1^ x ist gleich dem auf das doppolte Mafö 
gesteigerten l ^ x ; motiviert ist die Steigerung dadurch, dass 
dort das dreisilbige Wort alleiniger Trflger des Stabreimes ist 

Nun beruft sieh aber Sievers auf Otfrids Vers — dne Be- 
rufung, die seine eigne Scansion nicht stutzen kann, aber die der 
Zwdtakttfaoorie widerlegen soll. Otfrid misst güutUiel^, whrkSntd^ 
Mimägä u. s. f.: jede der dm Silben erhält ihren eigenen Takt. 
Diese Rhythmisierung stimmt zu keiner der beiden Arten, die 
Moller dem Stabreimverse zuschreibt. Indessen lilsst sich leicht 
nachweisen, warum Otfrid die beiden ftltem Messungen verlassen 

Udusler, Uerui. V«rabau. 5 



Digiii^cu by Gdo^Ic 



66 



Kaplltt IL 



und nch «af die erwilmte neae RhythmiBieniog beschrinkeii 
moste. Die Form I ^ | 1 x war aosgeschloseen, da Otfrid ttber- 
lunpt kdne Zeitwerte grOfoer als % bildet: sein vieiYliedriges 
Gnmdmafli untersagt ihm das. Die Form | Z i ^ x t im Vers- 
Innern ohne Bedenken, war in der Gadenz nieht branchbar, weil 
Otftid den letzten Verstekt nnr einsilbig bildet: er bindet sich 
in diesem Punkte an sein lateinisches Vorbild, den Duneter 
jambieus, der dem vierten Takte nur ^e Silbe gibt. Da nun 
eine Messung wirkentö, ärüreniä (von giialUiehö, ältmäffä ganz zu 
schweigen) im Versschlusse sprachwidiig war'), so blieb fOr 
Otfrid nur Jio Möglichkeit, die betrelfonden Worte dreitaktig zu 
messen: . . ! I | J. 1 X- -^»f Otfrid darf man sich nicht berufen, 
wenn man dem Stabreiinveise du Messung | I x x abspreclien 
will ; denn es hat seinen guten (irund, warum Otfrid diese Form 
preisgeben muste. 

Wenn Sievers die Cadenz lidänte, hänniicco rhythnuscii nicht 
bolriedi^^-'iul ündet, su kann ich ihm nicht beistimmen; ich habe 
vielmehr den Eindruck, dass die dreitaktige Rhythmisierung, 
wlrkentöj drür^täf wobei die erste und die zweite Öilbe gleiches 
Zeitmafs bekommen, die natUrliclien Zeitproportionon der Spi-ache 
in hülienn Gi'ade verschiebe: der monopodische Viertakter war 
hier zu einer ausdruckslosen Abweichung von der naturlichen 
Sprache gedrängt, währond der altgermanische Zweitakter mit 
seinen beiden möglichen Scansionen die spiach liehen Verh^toisse 
glQclüicher stilisierte. Die Proportion 2: 1: 1 ist der ange- 
messenere, belebtere Ausdruck für jene Silbengruppen, als die 
Proportion 2: 2: 1. 

Die frtthmittolhochdeutecbe Dichtung ist von dem kirchlichen 
Dimeter jambieus nicht in dem Mafse abhängig wie Otfrid; sie 
steht der alten, volkstümlichen Tradition der Yerstoebnik nllher. 
Untei* andern legt sie sich nicht die Schranke auf, den letzten 
Terstekt nur einsilbig zu bilden. In Folge dessen treffen wir 
hier jene alten Cadenzen wider an, die wir bei Otfiid vormissten: 
man vergleiche aus der Wiener Genesis 



1) Bubatrhul Gorm. 23, 371, Vert Änz. f. d. Mtort, 17, 14. 





Uetritdie Streitfragon. 



67 



51iT do du Bähe io$b sednitte^) 
5448 die UUten die z&ten jüngdinge 
62i dae ime si göt Jtete gig&>en in HUnk 
674 der dUtesU an deme s6dd hMste, 

der minnüi ee dUer nideHste 
74tT ei dntumrHn ime mi mdndAnge 
88]t Jdeob eküi unterdiufare, 
'Israhel göfes peseöuwäre. 
Daneben ^brauchten die Dichter dieser Zeit auch die drei- 
bebige Messung, nach Otfrids Weise; es gibt kein objectivea 
Criteriom, wie häufig die eine,- wie häufig die andre Art an- 
gewendet sei. 

Die Wörter von der besondem Form 1 L y kOnnen je- 
doch nicht getrennt worden von den Wörtern L iin allgemeinen. 
Es ist eine der wichtigern Fitigen des altdeutschen Versbaues, 
üb man füi* die Wöi'ter i. y in der Cadenz nur einerlei Messung, 
die klia^^eiide. — | | x ? zulassen will, uder ob nidii .liicli, je 
nach der Fülluiig des \'erses, diese beiden Silhcn dum vierten 
Takte llberliisst, | x x I j "od die so entstellende Cadenz, zwei- 
silbig voll oder „vierhcbig klin<fond" (nacli alt«r Bezeichnung), 
dem (lentschon Roimverse als altes Eigentum zuerkennt. 

Paul vertritt Grundr. § 27. 31. 44. 40 sehr entschieden die 
erstere Auffassung. „Der alul. Keiravers ist durchaus katalektisch", 
er stellt in den letzten Vei stakt nur eine Silbe — diese Tatsache 
wird nicht aus der Nachbildung des Dimeter jamhicus erklärt, 
sondern als ein Gmndgesctz dei' deutsclien Versteehuik aufgefasst. 
Auch wie dann in mhd. Zeit die Yerssehlüsse hahm, tragm auf- 
treten, sollen sie einen „katalektisclien" Sehluss bilden, d. h. sie 
sollen nur den Hebun<,'sttMl des Taktes auslullen; der zweite Teil 
des Taktes bleibe frei ; ua(-h unsrei- BezeicliTiun<r • . > . \ ^ v \ , 
Für diese Annahme kenne ich kinrie Begründung; durch den 
lebenden Vorsvortra<^ wird sie, soviel ich sehe, nicht bestätigt. 
Die entschieden „akatalektiächea" Verse aber, ^wie 

•) Ein Roiui wie sconiste: liebesU ist zu vorglcichon oinersoits mit oincru 
Otfridiijchcn wie IV 23, 'iA »wtgitä: gühägitä^ «ndoraeits niifc den Mhaihd. 
wie Gen. 51« mme: ime, 

5* 



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es 



Kapicei IL 



wie [ süre \ n mUn | herie | Uvingett 

woMlbsl 1 raf den Schluastakt eingeachrftokt ist, — diese 
fassl Paul als eine „einschneidende Veraanderung, die aar romani- 
sclten Kinfluss znrOckznfÜhren ist^. 

I)as8 romanischer Einfluas bei dieser ganzen Frage im Spiele 
war, halt*' ith auch tllr sicher. Aber mir scheint, er kaiiii sich 
wesentlich nur in der negativen Weise geäufsert haben, dass die 
klingenden Scldiisse twinffet = j ^ j x vermieden oder zuriick- 
gedriln^'t wurden. Diose Cadonzen fehlten, wie es scheint, den 
romanischen Versen und ihren Melodien: es ist leicht verständlich, 
dass dies di«« Xa' halnnnr in Deutschland dazu filluen konnte, 
diese altgowoiiutea Rliythinisierungen bei Seite zu üchiebon. So 
ist es bei Thomasia von Zirclaria: er gebraucht zwar die volieu 
Ausgange wie 

6737 daz übermüot und smdcMit 
6576 und kk dm ändern mit ätmüai, 
dagegen der klingenden Ifuti : hiuU enthalt er sich, weil ihm 
keine national deutsche Tradition derartiges an die Hand gab 
und der welsche Versbau dafür kein Vorbild gewStte. 

Bei den Minnesingern finden wir diese negative Wirkung der 
fremden Muster nicht so durchgreifend: neben den Liedern, die 
die klingende Cadenz ausseid iofsen, dichten sie solche, die sich 
derselben bedienen. So ist es wenigstens der Fall bei Friderich 
von Husen, Heinrich von W^ldeke, RuodoU vuu Fenis, Albrecht 
von Jühansdurf, Heinrich von Kugge. 

Sobald aber liie klin^^efiden Verse zurückgedrängt wurden, 
war die Zunainno dei' /weisilbig-vollen mit lanj^er Paeiiultima 
(der ,,vierhebig-klingenden*') eine natürliche Folge. Deren Häutifj- 
keit bei manchen Minnesingern, bcs ikUms aber bei Tlioniasin, ist 
somit auch eine F(dgo des fremden i^nitlusses. Insofern hat das 
romaniselie VorI)ild nicht blofs negativ crewirkt. 

Naeii l'aiil aber wäre die Einwirkung so zu beurteilen, 
dass üiuo Versmeaaung wie 

JSSr I kam von \ ttmbee | herren | röte | 

X X 




Motriaebe StMltfniiren. 



69 



Oberhaupt erst durch die Naehahiniing der Franzofion gelehrt tmd 
ermöglicht warde. Nach dem detitschen Formgefühle hfttten diese 
Gadenzen als »ein Bruch mit den rhythmischen Grundgesetzen** 
erBcheioen müssen; es ftofeere sich in ihnen ein ganz anderes 
Princip des Versbaues. Ich habe dreierlei dagegen einzuwenden. 

1) Wio gieng diese fremde Einwirkung vor dch? Im ro- 
manischen Versbau steht der Vers mit weiblichem Ausgang neben 
dem Verse mit mäiinliclioin Ausgang, wobei der letztere eine Silbe 
weniger hat. Aher wenn doi deutsche Dicliter dieses Veihältnis.s 
nachbilden wollte, so brauchte er ja mit keinem Sehritte den Hoden 
seiner heimischen Tradition zu verlassen. Die Parallele von 



dieses Nebeneinander war ja jedem deutschen Dicliter des 12. 
Jahrhunderts geläufig, und es entsprach genau der Parallele von 
weiblichem und männlichem Ausgang bei den Romanen. Es gab 
keine Veranlassung, dem romanischen Brauche damit nachzaeifenii 
dass man Wörter mit langer Paenultima fllr den weiblichen, zwei- 
silbigen Schlusstakt verwendete — wofern namiicli diese Beliand- 
lung aller Tradition, allem Formgefühle zuwiderlief. Etwas 
anderes ist es, wenn diese Messungen von jeher dem deutschen 
Dichter zng&nglich waren: dann konnte er sie jetzt ohne 
ScliWierigkeit heranziehn» um den weiblichen Versschluss seiner 
Vorbilder nachzuahmen. — Weshalb sich der Brauch festsetzte, 
den Ausgang | tage von dem Ausgang | rate zu sondern^) und 
jenen gleichwertig mit dem einsilbigen | toß zu verwenden, ist 
nicht leicht zu erklären, sobald man die tatsAchliche Zweisilbig- 
keit von tage, lesen u. s. f. zugibt Weist dies vielleicht auf 
Melodien in dreiteiligem Takt, worin räte zu | ^ ^, dagegen 
tage zu | f ' i rhythmisiert wurde? 

2) Dass Otfrid mit seinem einsilbigen Schl}isstakt nichts für 



^) Veldeke hat uocb ein par bckaiiiito Fälle, wo sie gleichwertig gebraucht 
MF. 57. 03 (irre führend als tagi, lobit gedruckt). 



dan'fmffp svbi icir n'iht verzagen 
iiiil mit rehtcm Jierzen mhinen göt, 
und von icai kh ir umlih stU/cn 
mit trun viohtc ueyde}i rät — 





70 



Kai»it«l II. 



den echt f,'erraanischen Brauch beweisen kann, iiaben wir erwähnt 
Dio frnhmhd. Dichtung aber» die sich hierin ganz anders stellt, 
wird von Paul in diesem Zusammenhange nicht zu Rate gezogen, 
obgleicli er geneigt ist, diesem Vei'sbau einen alteii;tlmlich- 
nationalen Charakter zuzuerkennen (S. 028). Icli kann mir nicht 
voi-stellen, wie man din silbenrciclieu Verse dieses Zeitraumes in 
den Rahmen der vier Takte hineinbringen will, ohne sehr Iiäufig 
die „überschlagende Silbe** einzuräumen, — und auch Paul erklärt 
sicli ja gegen die Theorie der fttnf bis sieben Takte. 

Der Vers aus der Wiener Genesis 
A7n dae er litU unde vfhe ttber dae toäzger brähUt 
der Vers aus dem Anegenge 

6 b die der vater und der e&n hüen in tr hMe 
und zahllose andere sind gnt und wollantond in dieser „vierhebig- 
klingenden** Messung; aber dürfte man es wagra, sie als wirklich 
klingende Viertatäer zu behandeln? Sobald maQ aber zugibt» 
dass in der volkstümlichen Versübnng des 11. 12. Jahrhunderts 
diese Art der vollen Gadenz gäng und gäbe war, rückt die Fi^age 
in ein andres Licht. Es sind dann nicht die höfischen Dichter, 
die zum ersten Male wider s^t der stabreunenden 2Seit mit diesem 
Philnomen hervortreten; denn dann wäre allerdings Kaulfinanns 
Frage berechtigt (Zs. f. d. Phil. 25, 5d8): „Wie sollte höfische 
Dichtung gerade in diesem Stück etwas einheuanisch Volkstüm- 
liches conserviert haben?^ Tatsächlich beginnt gerade mit dem 
Aufkommen der hofischen Richtung das Zurücktreten dieser 
Gadenzen im Epos. In der Eneide und im Iwein sind sie, auch 
wenn man ihre Zahl noch so hoch anschlägt, sehr viel .seltener 
als in der Wiener Genesis oder im Voraner Alexander. Dann 
kann es auch nicht mehr „bedenklich machen, dass man bei 
Gottfried und Konrad, die doch sonst weiter von der alten 
Tradition abweichen, keine solclien Verse finden kann" (Paul § 49). 
Was für diese hülisclicn Epiker der Anstofs war, die bewusten 
VersscUKlsso zu verbannen, das ist eine Frage fQr sich. Genug, 
dass man in diesei' Tendenz keine Altertüralichkeit, sondern eine 
Neuerung zu erblicken hat. 

3) Weder Paul noch Sievers geben Gründe, weshalb diese 



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M«triadie 8ti«ltfrftg«n. 



71 



Gadenssen nieht echt germamach seior sollen. Die Lachmanniache 
Metrik hatte einen Grund: sie schrieb in Wörtern wie Ifäawtet 
twmget der Endsilbe einen sprachlichen Neben ton zn; dieser 
niaste un Versende berticksichtigt werden; deshalb dnrften -4$, 
-et nicht in die Senkung des letzten Taktes fallen: sie musten 
eine Hebung ftkr sich bekommen. Heute ist dieser Grand preis- 
gegeben; aber die alte Annahme setzt sich, onbegrQndet, fort 

Man vergegenwäi-tige sich diese Parallele: 
Beow. 670 hüru \ Oeäta \ UM ^ 626 I grSttc \ GiOkt Uöd; 

708 se I syn- I scdda ^ 713 | mynte se \ mdnscäda; 
274 pcBt mid \ Soyld- } ingiim 53 j Bcowidf \ Seijld()iga: 
es zeigt sich in den drei Fällen bei /. , ^ w und 1 ^ die zwie- 
fache Art tlei- Rhythmisierung, die dem Dichter zur Verfdg^ung 
steht; warum dies gerade; bei ' ^ Anstofs erregen soll, ist nicht 
einzusoini, sobald man den spraclüichen Nebenton auf der Ultima 
preisgegeben hat. 

Dass die Volkslieder niclit blofs katalektisch sind, ist bekannt. 
Nicht selten weciiselt zweisilbig- volle Cadenz mit der einsilbig- 
vollen. Vgl. Erk, Liederhort Nr. 1: 

15 Jdi wUn9^ ifm 90 viel gute ZeU, 
80 vid als Stern am Mtnmd «ein. 

16 Ich tß^imek ihm so vid Qlüdt und Segen, 
die Tr&pßein, die vom Hwmd regnen, 

die beiden vSchlnsssilben werden natürlich auf die erste Takthälfte 
eiiiguschrilnkt, sobald der nächste Vers mit Auftakt beginnt. — 
Don vorhin besprochenen Cadenzen des Stabroimverses steht nälier 
Erk Nr. 46 Str. 18: 

Dein vöryer Mann lässt dir mittmägen, 
du söllst nicht so ivHnen und wefiklägen* 

Vielleicht lässt Sievers dies als Analogon gelten, obgleich 
ich nicht sicher bin, ob nicht 

. . . . Und wehklägen 
gesungen wird (wie So müet du äuäi darüm mfg&ien u. ähnl.); 
derartige Tonverachiebnngen kann sich der gesungene Yers leichter 
erhuibeO} als die gesprochene Allitterationsdichtong. Man vgl. 



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72 Kapitel II. 

noch FaTosk Aiithologi Nr. K» Str. 21 ÜÜ i midjum graagardi, 
Str. 27 tad er imf/a Jatrardi u. a. 

Zum Scliliiss bi-inprt Sievers (S. 16 f.) oinen Einwand vor, 
den einst Vettei* ^regeti die Vierliebunpslehre erhoben hatte und 
dem auch Schipper Gewicht beimafs (Engl. Metr. I 47; Anplia 
5, Anz. 88 ff.). Der Zweitakttheorie gegenüber ist es nicht 
schwer, diesen JBinwaod zu entkräften. NäinUch „dem vier- 
taktigen Reünvers entsprechen in der gelebiten Miscbpoesie . . . 
deutlich vierhebige lateinische Verse, wie nuno älmt» 
lUsh ftUüs II thero hudghro thiemün u. s. w.". Dagegen die 
Mischungen allit toriercnder und lateinischer Verse „lassen in 
ihren lateinischen Teilen ebenso deutlich die nackte Zweihebig- 
keit hervortreten"; z. B. im Phönix 

Hafad üs älyfed htcis auctor u. s. w* 
Die Zweihebigkeit dieser lateinischen Zeilen kann man nicht 
bestreiten. Aber nichts steht im Wege, sie in derselben Weise 
ssnreihebig zu messen, wie die englischen Verse, d. h. sie anf dss 
Ma& von zwei */4"*Mii&a zu bringen. Die folgende Scansion, 
scheint mir, drängt sich geradezu auf und ist diesem feierlichen 
Hymnus durchaus angemessen: 

Bafaä üa Slüfed J )<: X X X Ii X r I 

aiMihr, Iii I 1 X 

pcH WS msttm /ift" ^ 1 1 1 I ^ rr 
merueri, I 1 J_ I 1 X ^ 

gSMöedtm begietan \ J. i(y^y^ I X X 
gaudia in cdo, I x X X X 1 1 X 

pcer w§ mStim I J. 1 I ^ x 

numma regna I x X I x i* 

s&nm and gesiUan I x X x X 1 i x r 
sedibug alHs, I X X 1 I l. X 

Ufgan in lisse I ^ x X I jl X r 

litcis et patna I x X 1 X 

u. 8. w. 

Der Einwand, dass sich das mittelalterliche Latein mit solchen 
Dehnungen nicht vorti-a^e, wird widerlegt durch das Gedieht 
Hartinanns \om glouben (Mafsnumn, Deutsche Ged. des 12. Jhs. 



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Metrischo StreUfrngon. 



• 78 



S. 1 ff.): hier sind genau eboni>ülche lateinische Vei*8e, denen 
Sievers die „nackte Zweihebigkoit" zuerkennen inüste, mit „(löuÜich 
vierhebigen"' deutschen Versen zu l'ai en verbunden. Man vergleiche: 

189 Ich yiMuife an sinen einbom tstm 

ihvsum a'htum ; 
275 U7ise harre der heilige crist 

sapienciä i/ttrts; 
881 m o- löufe in sinem circitlö 

ni zödiaco; 
447 unser lierre der hHlige crist 

uArbnm piitns; 
568 descmdlt de ci'l/s 

des süle mr (jelöulten v'd ffwi$\ 
787 der stäm der heizet Ussä 

de ctnns radii^l 
956 dem snle wir vdste widersten 

f6rüs in fidä. 

D&8S 80 gemeBsen werden miissi wird zam Ueberllass dureh 
den Reim liestHtigt, and es gibt aacb keinerlei Anstois, sobald 
man nicht meint, derartige lateinische Silbengruppen konnten nur 
schlechthin „zwdhebig", wie in der Prosa, nnd nicht anders 
rhythmisiert werden^}. 

Der englische and der deutsche Dichter standen dem Latein 
nicht wesentlich anders gegenüber als der Muttersprache: ein und 
denselben Wortcomplex konnten de v^cbiedmi rhythmisieren, 
Je nach dem Bedürfniss ihres eigenen VersmaTises. 

Ich möchte weiter gehn und behaupten, dass jene Schluss- 
zeilen des Phönix entschieden gegen die Sievei-ssche Messung 



0 Die Zeilen Tollonils, die Si hippor Engl. Metr. I 228 «Is Beweis der 
Zweih^iglcMt anfUlirt, kenn mm aidi sehr schwer in andrer Form als in 
den swei Vr^aktcn vorstollen. Diesem Ifofso fQgt deh schon die erste Strebe 

Cernite qui statt a quod nürae «im probitätia ti. s. w. 
ohne Schwierigkeit; und wenn dann Kurzzeilon kommen wie 

rapietur Ifir oculoriim 

ne tendam vim brachiorum^ 
80 kann man eine iin^eidenti(;ere Bestätigung dieees Mafses nleht verlangen. 



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74 



der Stuidvimverso sprocheii. Man iiiaclu' den Versuch und reciiiere 
in der Tartic fif/nn tnrdinga bis snic fme tlic t u^h sehen Verse 
nacli tlen Vorschriften von A|,'erni. Metr. S. I'ki. 2UH: es wird 
schwer haiton, diu lateiniäclion llillfton so daiml zu vereinen, dass 
auch nur eine Spur von metriscber Zasammeogehöiigkeit und 
Qemeinsaiiikeit empfuDdeo werde. 

Nachdem ich bisher den kritischen Bemerkungen von Sievers 
gcfoI^H bin, will ich zum Sohluss noch versuchen, den Gegensatz 
seines Typensystems zu den taktierenden Anffassnogen, q;Mciell 
znr Zweitakttheorie, von einer andern Seite zn beleuehten. 

Dem Sieversschen Systeme, anch in seiner nenesten Radaction, 
kann, wie ich glaube, der Vorwurf gemacht werden, dass es za 
eng Ut — nicht weit genug, am den Ponnenreichtnm des alt- 
germanischen Versbaues zu umschlieil^ Die Ursache davon liegt 
am Tage: Sievers ist von den Skalden ansgegangen, deren innerer 
Versbau nivelliert, auf eine verhaitnissm&feig kleine Auswahl von 
FQllungst> pcn beschränkt ist Als sich dann Sievers der eddiscjbiea 
und der westgermanischen IHchtung zuwandte, da hat er die neu 
herzutretenden Firmen zwar fast alle verzeichnet, aber es wurde 
kein neues Gebäude anfgeftihrt: die Grundmauern des altrai 
wurden nicht eingerissen, nur da und dort, so gut es gieng, aus- 
gebuchtet. 

Durch die Typen in aller ihrer Vielheit und Bimtliüit sieiiL man 
immer noch jenen ei-sten Entwurf, das eine iSciicma ^ i-? | v^; 
durchblicken. 

Es ist kein Zweifel, wäre Sievere Ausgangspunkt der Beo- 
wulf gewesen, so wäre bei son>t >:leicher Methode ein völUg ver- 
sciiiedenes Typonsystem zu Staii le gekommen. 

Der folgenreichste (jegensatz dos Fünftypensystomes zu allen 
andern A iitfassungen, der Zweitakttheoric, der von Hirt, von Fuhr, 
von ten Brink, liegt darin, dass diese letztern - mehr oder 
minder consequent - ein constantes Gruadmafs für die Stab- 
reimverse anfstollen (vgl. o. S. 22 ff.). 

Die wichtige Folge davon ist, dass die von Sievers ge- 
fnndeneu Tatsachen der Versstraotur eine andre metrische 



'igili^cu by 



75 



Deutung eifahren als im FUnftypensystemo. Die durch Siovers 
ennitteiteii Regeln über Silbenzalil,-quantitüt und -accent berühren 
nicht die Ausdehnung, das iiufsere Volumen des Verses — 
denn dieses ist mit dem (irundmafse ge^'f^beti, und zwei stark- 
tonige Silben genügen schon, um den Vevs, sprachlich zu ver- 
körpern — jene Vorschriften stellen sich dar als Regelungen 
der VersfüUung. Man erinnere sich an das o. S. 5G, 59 
Gesagte: der epische Vei*s ceresta slöh darf nicht zu ce^est yeslöh, 
der Vers poiie god sen'h> nicht zu po^tp drihten sende gciliKlert 
worden, obgleieli der äulsero UinfaDg dadurch nicht angetastet 
würde. 

Nacli der Sievereschen Deutung liängt von diesen Vor- 
scliriften unmittelbar die Ausdehnung des Verses ab: der Vors 
cerest geslöh hätte ein Glied zu wenig, er wilre zu kurz; der 
Vers pone drillten sende hätte ein Glied zu viel, er wilre zu 
lang u. s. w. Sievers schreibt dem epischen Verse im allgemeinen 
vier „Glieder^' zu: unter diese Zahl darf er nicht herabsinken; 
ttberschreitcn darf er die Zahl nm- unter bestimmten Bedingongeii 
und innerhalb gewisser Schranken. Die Einzelregeln werden 
wesentlich so gefasst, dass sie das Innehalten der 4 {e\i. 5) 
Glieder waren. (Charakteristisch für diese Auffassung ist z. B. 
das in § 190, 3, Anfang, ttber die „relative Einheit des Rhythmus" 
im Mälaliattr Bemerkte.) 

Es fragt sich, wie wdt man mit diesem Erklärungsprincip 
auskommt 

Schon innerhalb des epischen Verses treffen wir eine Stelle, 
wo Sievers za einer grundaitzlich andern Dentuug gi-eift. 

Es kommen im Westgermanischen wie im Nordischen ver- 
einzelte Kurzverse vor, die unter das gewöhnliche Minimahnalä 
der VersftUlung herabsinken; z. T. in der Weise^ da«8 eine Aende- 
mng zwar leicht, aber nicht aberzeugend wäre, da man besondere 
rhythmische Absichten des Dichters vermuten möchte: so im 
Paternoster des Heliand V. 1600 ff. ; altengUsehe Fälle bespricht 
Lawrence, Chapters on alliterative verse (London 1892) S. 82 f. 
Einige Eddalieder scheuen vor diesen magern Versen weniger 
ssnradc man vergleiche ans der Ri^s|)ul£^ 



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76 



Kapitel II. 



8 t flngr digrir 

7 4 Jietu prcel 

8 ft lotr hryggr. 

Diese Verse haben nach Sievers § 45. 180 nur bezw. drei 
und zwei Glieder. Gleicliwol sollen sie den viergliedrigen an 
ftufserm Umfange nicht nachstellen: die Glieder /im/r, prcßl^ htr^ 
liryggr sollen, durch Dehnung oder Pause^ so viel Raum einnehmen, 
wie sonst die Silbenfolge j_ w . 

Man sieht, hier tritt ein ganz neues Erklftrungsprincip auf: 
das Minus eines Gliedes bewirkt nicht mehr ein Minus an Lttnge; 
es gibt ein Mittel, diese drei- und zweigliedrigen Yerse mit ihrer 
viergliedrigen Umgebung in Zusammenimng zu bringen. 

Damit gibt Sievers zu, dass die „vier Glieder" nicht die 
innerlich notwendige Voraussetzung für einen epischen Stabreim- 
vers sind; drei und zwei Glieder sind im Stande, da-sselbe Mafs 
zu fallen. Wenn nun die Mehrzahl der Stabreimgedichte diese 
letztere Füllung meidet, so muss consequenter Weise niclit die 
Rücksicht auf die Ausdehnung des Veerses, sondern die Rücksicht 
auf seine innere Füllung als Ursache betrachtet werden — es 
ist das Erklärungsprincip, das Sievers S. 13 ff. an den andern 
Theorien tadelt. 

Aber im epischen Versbau sind die besprochenen magern 
Verse von keiner grofsen Bedellt^nL^ Sie stehn doch iiiim<^r nur 
als Aiisnalimpn fla. ^fan könnte fragen, wie sich das Fünftypen- 
system mit einem unregelmäfsigern, vielleicht altertümlichen Vers- 
bau wie dein der altenglischen Zaubersegen abfinde? Doch könnte 
hier der Verdaclit einei- späten, in Verfall geratenen Form nicht 
objectiv widerlegt werden. Auch den Hinweis auf die eddischen 
Lieder Hamdism^l und Atlakvida (Vdlundarkvida) will ich nicht 
ausführen, obwol man doch schwerlich umhin kann, in ihrer 
Mittelstellung zwischen den beiden statuierten Versmafsen, dem 
viergliedrigen und dem fünfgliedrigen, ein entschiedenes Zeugniss 
gegen das ganze Sjstem zu erkennen; der Begriff von „Misch* 
oder Uebergangsformen" oder gar von „freien Rhythmen" (Agerm. 
Metr. § 52), so sehr er sieh der Betrachtungsweise des Fflnflypen- 



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Metriflohe Streitfrigim. 



77 



systemes aufdrängten mnss, scheint mir diese Gredichte ia eine 
schiefe Stellung zu bringen (vgl. auch o. 8. 41). 

Dagegen stellt der Ljödahättr mit allem Nachdruck die 
Fi'ag-e: wie können Verse von höchst verschiedener GliederzaUl 
dooh noch als metrisch irgendwie zosammengehOrig und verclntiar 
dargetan werden? Die ungeraden Kurzzeilen des Ljödahdttr 
zeigen auf der einen Seite Füllungen wie pytr Piind, auf der 
andern Seite Füllungen wie Ratatoskr heitir Hcorni, enn cUdna 
jptun ek sötta: also dort eine Form, die unter das epische Normal- 
mafs herabsinkt, hier Formen, die fflr den epischen Vers im all- 
gemeinen viel zu scliwer w&im Die Vollzeile ihrerseits bew^ 
sich zwischen den Extremen ä fleti fyrir und ok svdgr Jtann 
aüan SUgfydur: sie kennt also auch eine viel grOfeere Spannweite 
der sprachlichen Füllung. 

Man sieht, mit dem Begriff einer bestuouDten Anzahl der 
„Glieder*', wie im FOnflypensystem, ist hier von vornherein nichts 
anzufangen. Das würe so, wie wenn man ein Versmars, das sich 
zwischen zwei und sieben Silben bewegt, ans dem Prinzip der 
SUbenzaiilnng erUaren wollte. Die Grondsütze des Typen^stems 
musten sich also dem Ljödah&ttr gegenllber als machtlos er- 
weisen. Und was tut Sievers? Elr verzichtet darauf, den Ljöda- 
hdttr in irgend welchen metrischen Zusammenhang mit dem epischen 
Verse zu bringen^); er tragt ihn auf einen andern Boden hinüber, 
wo andre Gesetze des Bhytlimns, der Sprachbehandlnng herschon: 
er gibt ihm den metrischen Takt. Womit Sievers diese höchst 
aberrasehende Trennung des gnomisohen vom epischen Versmafse 
zn rechtfertigen sucht, bleibe hier unerortert. Uns genüge der 
Hinweis, dass der Ljödahättr, wiewol aus dem Machtbereich 
der fttnf Typen verbannt, doch noch gegen das Birklärungspi incip 
des Typensystemes Zeugniss ablegt 



^) Donii wenn in § 57 Typ<mnamoti wio AA, OB, AB gfebrancht w«rden, 
80 iiiTohtert dioa k^ne wdten» Verwandtschaft mit don (Hgentliehon Fünf- 

typenvcrsen, als dass eben auch lango und kurze, starktuuigfo und schwach» 
tonige Silben das Versniatorial bilden! Die metrische Auffassun'^^ diesor 
Silbongruppcn, worauf es alleiu ankuuitut, ist eiue vullkoiumeu hoterogoue; 
s. Agenu. Metr. S. 231 ff. 



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78 



Ktpitd IL 



Auch der LjöcIalwUtr nämlich, trotz der erwähnten gröfsern 
Freiheit der Vcrsfüllung, kennt gewisse Fullungsregeln, die mit 
denen des epischen Verses ttbüreinstimmen. Ich nenne hier die 
einey die Regel für das Minimalmafs der Yollzcile: ist die Cadenz 
stampf, so ist der erste Takt voll oder es findet sich ftoltorer 
Auftakt« An Beispielen: tneinblandinn n^dr 

ok sölar syn 
eda söl it sama 
um skodask skyli 
stellen normale Vollzeilen dar. Spreche ich dagegen im ersten 
Falle * meina mjpdr und in den drei folgenden Fällen auftakt* 
los * siflar spn u. s. w., so sind die Yerse zu mager. — Diese 
Regel ist vollkommen sicher gestellt; die Ausnahmen sind derart 
spärlich, dass die Regel so wenig wie irgend eine des epischen 
Verses bezweifelt werden kann; s« Acta Germ. I 146 ff. 

Man sieht sofort, daas die nämliche Regel auch fftr den 
epischen Vers gilt. Aach in der Ypluspä, im Beownlf, im 
Heiland wären die aufgeführten Verse durchaus normal'), wo- 
gegen die angedeuteten Veränderungen (Entziehung dos Auf- 
taktes IL s. f.) eine ao&ergowOlmliche Form herstellen würden. 

Nun nüsst Sievers nach Agerm. Metr. § 57, 8 . § 19^^ die 
Verse ck sölar eda <^ U Mtno, um ikodatk (Scyli genau 
ebenso, wie sie die Zwettakttbeorie misst: er rhythmisiert mo auf 
zwei Vierviertelstakto'): 

oXr ^äar affn X I ^ _l I l 
wn tkodatk skjßi X I X j_ I x x 
n. s. w. 

Nach Sievers müste es nun unerklärlich sein, dass diese 



^) mit Ausnahme dor Form um skodask akyli x I X X i^r) I x X i Uber 
deren auch im Ljb. boscbränkted Vorkommen vgl. Acta Germ. I 151. 

In § 196 , 3 orwägrt Sieven allerdiugä aach dio MOgliehkrit, ttlnon Vom 
wie ok tüar agn and Umliche auf drei */fTBkt» «unMimniion. Di^e An* 
nähme ist ao bedrakUeh (irflO die Fleiionasilbe •ar, die im opisehon Vene 
nicht einmal eine starke Nebenbobung zn bilden vcrniUchte, einen ganzen 
</4-Ttikt füllen 8oll!), dass Sioven selbst daran zweifelt und dass whr fUgUck 
davon Abstand nubmeu dürfen. 



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79 



Vene den Auftakt nicht entbehren dürfen. Denn es shid Ja 
Verse, die eich zu tinem „Taktierangs^tem" bekennen; es sind 
Verse von genan derselben Taktstmctar, wie sie nach der Zwei* 
takttheorie auch der episehe Vers besitzt. Also alle die Em- 
wSnde, die Sievers (Agerm. Metr. S. 15, s. o. S. 58 f.) gegen die 
Zweitakttheorie erhoben hat: ein Auftakt stehe anüserhalb der 
rhythmischen Reibe, Synkope verttndre den Vers nicht, ein Za* 
sammenhang zwischen Aaftaktsetzong und innerer Synkope 
sei rein unrerstSiidlidi — diese Sinwinde, die recht eigenflich 
den Kern der StreitArage berühren, richten sich hier gegen Sievers 
selbst. Beim Ljödahättr muss er, seinen eigenen Rliythmisierungen 
zufolge, dasselbe annehmen, was die Zweitakttheorie beim episclien 
Verse annimmt. Und warum sollen die nämlichen metrisclien 
Erscheinungen in dem einen i^aiio statthaft, in dem andern Falle 
widersinnig sein? 

Der Ljödahättr darf, wie die besprochcno Erscheinnng neben 
vielem Anderm zeigt, von dern epischen Vei*se nicht losyeiissen 
werden; er ranss im Zusainraculiang mit diesem erklärt werden. 
Die Zeilen des Ljödahättr haben das gleiche Gr undmafs wie die 
opisoben Verse: den Zweitakter, der, wie es sclieint, das einzige 
Material der aufsei*skaldischi'ii Stabreimpoosio gebildet hat. 

Dieser üebercinstiiumung stellt die vorhin erwähnte Ab- 
weichong gegenUl)er: die sprachliche Füllung ist viel manig- 
faltigcr; sie bewegt sich in viel weitern Grenzen; es gibt viel 
mehr Verstypen. Die Fullungsregeln, wie sie den epischen Vers- 
bau beliersclien und dem FUnftypen^ystem zu Grunde liegen, 
iQttsten fast nach allen Seiten hin erweitert und umgestaltet 
werden^ um den Formenschatz des Ljödahättr in sich aufzunehmen. 

Der Loödah&ttr gibt eine sichere Bestätigung des Satzes: 
Die Versfullungsregeln der epischen Dichtung sind 
nicht die Grundgesetze des germanischen Stabreim- 
verses an und fQr sich; sie bilden, wenn ich mich so aus- 
drucken darf, nicht die notwendige Existenzbedingung für den 
Zweitakter. Es kann Verse geben, die die Formen des Typen- 
aystemes nach der oder jener Seite hin Überschreiten und deshalb, 
an epischem Mafse gemessen, exceptionell (wenn man will: fehler- 





80 



Kapitel IL 



halt) silid, und die dennoch lebenskitfUge nnd in Bich voll- 
Tierechtigte Zweitakter dBratellen. Die Follungitgesotze des epischen 
Verses sind Speciahtigeln der einen, wichtigsten Dichtgattung. 
Wenn man fragt: was war für das FormgefÜhl der stabreimenden 
(Germanen ein Vers? so darf man den ESntscheld nicht allein auf 
die Speciahregeln des epischen Versbaues begründen. 

Diese Forderung macht sich geltend den altgerauniselien 
Formeln gegenQber. Neben dem I^iddahAttr sind es die metrisch 
geprägten und mit Stabreim geschmfickton Spnichformeln, die 
uns lehren, dass das Wesen des germanischen Zweitakters nicht 
aus den PuUunK^stypen der episclien Dichtung erschöpfend bestimmt 
werden kann, dass sich die (irundgcsetze de.s germanischen Stab- 
reiiiueise^ und die Ke^'eln der episclien Technik nicht decken. 

Die Hauptquelle dei- stabendeu Fürmein älterer Zeit sind — 
aufser den Züsainnu nliiingenden Dichtungen selbst — die Gesetze. 
Hier stehen also die Stabreim furmeln in prosaischem Context. 
Ich will die Frage nieht di^cutieion : inwieweit ist der Begrifif 
der „stabreimenden Prosa" zulüssig? in\vi«nveit ist es voi'ge- 
kommen, dass man planmäfsig Stabreime baute, uiine zugleich 
metrischen Rhythmus herzustellen-* Sicher ist, dass ein sehr 
grofser Teil der allittorierenden Foiineln in prosaischem Context 
Versnatur hat. Man darf mit Heyne und E. H. Lind kurz- 
weg von Gesetzesversen, lagvärser sprectien 

Es fragt sich, nach welchen Kiitenen man die stabenden 
Verse aus ihrer prosaischen Umgebung auszusondern hat Ich 
gUkube, dass man sich an zwei Bedingungen, eine formale und 
eine inhaltliche, binden muss. 



>) H Heyne, FonnolM alUttenntoa, Hall» 18S4; den. Germ. 9,437 f. 
EL H. Lind, Om rim och ventominngar i de srenska UndskapBlttganie, Upsals 
UnifenitetB iUnakrift 1881, bes. S. 50 tf.; ders. Yänifikation i Gulatings- 
bgm, Uppsalastudier (1892) S. 140 ff. - O. TToffinaun, Reimfoniioln im 
Wi,'erra., Leipzig 1886. Hoffmanii. der S. 12 tf. dem rhythinischoii Bau der 
Foniuiln eine feinsitiiiige Uotrachtmig widmet, geht an der Tatsache vorüber, 
dass dieser Baa in der grufseii iMenge der Fälle nichts Anderes bt, ab der ger> 
manische Zweitakter. 




Metrische Streitt'raguu. 



81 



1) Die Stäbe müssen im Einklang mit den bekannten alt- 
germanischen Satztonregehi stehn. Die Allitteration darf keinen 
Satzteil übergelin, der in einem Gediclite am Stabreim teilnehmen 
müste. Denn was unsre Stabreimpoesien in dieser Richtung vor- 
schreiben, berulit offimbar nicht auf einer technischen Convention, 
sondern auf spiacliliclier Notwendigkeit: darum muss es fllr den 
stabenden Vers iu weitestem Umfange gegolten haben*). 

2) Der Inhalt der Formel darf nicht rein individuelles, er 
muss ein typisches Gepräge liaben. (Bisweilen kommt als weiteres 
Kennzeichen dazu das Abgehn von der prosaischen "Wortstellung.) 

Beispielsweise darf der Satz (Schmid, Gesetze der Ags. S. 72) 
gif hu'd ci/ninc/es borg ährccc, geböte pone tyht 
aus den beiden angeführten Gründen, trotz den drei ^-Anlauten, 
nicht als Vors verzeichnet werden: cyninges dürfte vom Stab- 
reim nicht übergangen sein, und der Inhalt ist nicht typisch. 

Liad hat eine grofse Zahl von angeblichen Versen aus- 
gehoben, die ich für Prosa halte, weil sie einer der genannten 
Bedingungen oder beiden niclit genügen. Z. B. Uppsalastudier 
8. 141 Nu er kirkia g0r 

oe gardr %m\ 

ebenda S. 146 >ar setd um arf dcema 

mn damn vor 

mllsten» nm Yerse zu sein, die Nomina JHrkia bezvr. arf in den 



Di« Exintonz vöUii»' reimlos or und doch int tiisclKi l^ormoln will 
ich damit niclit, läujfiieu. Man vcrgluiubo in der Rechtsformol bei R. Sr.hmid, 
Qesetee der Angclsachson, S. 408 lUe Pnrtie ne rük ne rüm \ wwlea ne 
fdde$ \ kmde» ne Btrandet: hior steht xwtsciaen einer atabroimenden und einer 
silbenrcimeuden Zolle eine roiml(«o, die swelfolloB ein motriachor Zweitakter 
ist, wie ihre Umgobung^. Eine längere Partie reimloser Verse von dem Grund- 
niaf^^o der ^erm. Langweile glaube ich in der Excommunicationis forma bei 
iSchmid S. 422 zu erblicken : 

bwn hl nwergode elende and drincemie, 

bem hi Tnoergode gangende and sittende u. s. w. 

äwergode beön keom eägan and heora eäran u. a. w. 

Auch in den fneaiaohen Formeln bei Heyne, Formnlae Nr. 278 ff. sind manche 

reimlos nnd Mi wel metrisch. 

H«asl«r, Qenn. V«nba«. 6 



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82 



Kapitel II. 



Stalireim setssen; aiifsordem mangelt hier die vcrallgeineinenide 
Prägung. 

In dem Satze ebenda iS. 

eigi vcera eUri en atta refrn 
wilrc der .Stabreim in Ordnung'; al)ci' <1<t li halt ist .so indivi- 
tiüüll, ihuss ich keinen Vers beabsichtigt ylaiibe; ilto »h'ei Wörter 
ei(/i, fliri, nffa mustcn sich ja. nin diestMi (Jodankon auszudrücken, 
uucii uhue kiUistlürisclie Absicht znäamnientniden. Das;solbe sclieint 
mii' bei 

S. 14.^ ('/" müdiT pi'u rti er muwli keypt; 

S. 147 l^üt rr jbxkr er finim menn eio sanian; 

ef pH t^nnr mann t'egenn a morku uti 
und bei vielen andoru zu gelten. 
Umgekehrt konnten 

af . * , fisei oe oUom rettom fongum (S. 141), 
späm ne goUdnm ne gemmgum iUtan (ebenda) 
Ibm begrifflichen Gomposition nach als Vei-ae gedacht sein; aber 
der Stabreim dürfte in den Nomina rittom und späm nicht fehlen: 
man mOste Umstellungen vornehmen, die an diesen Steilen nicht 
wahrscheinlich sind. — Auch unter den von Brate und Bugge 
herausgegebenen schwedischen Runenvorsen (Stoekholm 1891) wird 
vieles den Anspruch auf metrische Prägung nicht erheben kdnnen. 

Die reichste Lese an tadellosen Gesetzesvei^sen gewftrt das 
Kapitel der GrUgis Konungsbök, das die berühmten t r y g d a - 
m i 1 , den Vorbannungsfluch gegen den FriedensbrUehigen, enthält. 
Die Stadarhölsbök der Gragas gibt diesen Passus in veitkrmter. 
zusammengeschrumpfter Form (Amamagn. Ausg., Kopenhagen 
1879, c. 388, S. 406 f.). Nfther zu dem Texte der Konimgsbök 
sthnmen die Fassungcu in der Heidarvijjfasaga c. 33*) und in d^ 
Grettissaga c 73*): die eratere teilt überwiegend den Wortlaut 
der Konungsbök, während die Grettissaga nicht unerhebliche Er- 
weiterungen bringt. Ich setze den Text der Giigas Kb. her 



1) Islond. äo^rnr II (Koponh. 1847) S. 879 IT., vgl. eboudA & 484 ff. 
<J Norditko Oldskrifter Bd. Itt, Kopoulu 1859, 8. 164 f. 



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Metriwbe Streitfiflieon. 



'(nach der Ausg. von V. Finson, Kopenh. 1852, c, 116 S. 205 f.), 
um die metrisclie Hesclmffonheit der (iesetzesverse an einem zu- 
sammenhäDgcndon Beispiel zu voranscliaulichcn. Die nach meiner 
Ansicht metrischen Teile rücke icli in gebrochene Zeilen; in 
Klammern fllge ich die von der Grettissaga gebotenen Zusätze 
bei; die Orthographie ist noimalisiert (die Aceente bedeuten hier 
nicht die metrischen Icten). 

Tryydam^* Sakar v^o d mUle peirra N. N, ok N. N., 
enn nu ero peer aeUar ck fi hMtar 
8€tn 

6k tdkndr tpldo 
ok ä&mr ddmäe 

ok ßiggiendr p^o 
ok padan h^o 

med fe fidlo ok fr am konmom cyre, 

peim l hpnd seit er luifa skylde, 

pii akolot Vera menn 

sdtter ok samvcei'er 

at ^dre ok at die, 

ä pinge ok ä piödstefno, 

at hirkna sölm ok i konanys käse. 

Ok hvervelna pess er mayina funder verda, pä skolot pit svä sam- 
säHer, sem ahlrcgc höfez petta ffkkar a medal* pit skolot deila 
knif ok ki^tstykke 

ok alla hlute ykkar % mille ■ 

sem frmAt em eige (sem) fiändr, 

[Vgl. Grettissaga : Btr set ek grid aUra manna d mülom .... 

tü gamam, gitmo ok ffieäe aürary 

tu JUrvistar ok hemferiar, . 

hvart er kann parf at fara 

d lege eda Umde 
eia fkUninge; skal Hann hafa griä % ^ßom stgäom nefndom ok 
dnefndom, svä lenge sem kann parf 

tü heiUar heimkv^mo at hpldnom trygd&m. 

Set ek pesse yrid fyrei' o$s ok vdra frwndr, 

6* 



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84 



vine ok vetulamenn, 

8va konor gern karla, 

Pyiar ok prodaf 

sveina ok siälfrdda menn.] 
Sf takaar geraz sidan ä mäle pmrra mnat erm pat er vd er^p<U 

skfd fi bäta mn eige /fein rMa, 

Elm ad ffkkar 

er QCngr & ggrvar satter 

eäa wgr ä peiüar trygder, 
pä akal Jumn 

svä vida vargr 

Ttekr ok rekenn 
[GrottiBsaga: raiki' ok rekmn 

frä goäe ok godom m^mni 

br himenrike ok frä ^Uim M§om m^nom, 

ok hverge häfr 
tnayina i müh 
oksvA frä ^Uom üt fiämdr, sem vidast . . . ], 
8&n menn vidast varga reka, 
krigtner menn kirkior iäkia, 

heidner menn hof Udfa, 

eldr wpp hrennr, ip'd grir, 
mpgr mddor koBar^) 
ok möder fSder, 
alder Mi kynäa, 

Mp Oaidr, skäder bISkia, 

skSnn, «na Uggr, 

Fmnr äkridr, /%tm veac, 

valr fl^ pärlangßn 
gtenär h^nom ftyrr bemn under b&da vm^ige, 
himenn hverfr, hemr er ^ygdr, 

vmdir p^tr, vptn tU emfxxr fiM), 

Jboitiiciir kerne eä» 



1) GretL: ftuelt bfu-n niödw kaliar. 

^) Qrett.: ok vinär «NV«r v^n tU teemr^ 



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Metrische Styoitft»gen. 



85 



kaum tkail firra» 

kirkittr ok krishia metm 

€U>äs hÜ8 ok guma^) 

heim hvem nema helvite. 

Nu haJdet pH Md^ & höh ebine, enda VKjijr nu fc d hbk er N. N. 
häter fyrer sik ok sinn prjiiujxi idmn ok Oborenn, qctenn ok 
ögetenn, nefmlan ok oncfndan. N. N. tekr trygder, eim N, 
veiter wventrygdor . pipr (b skolo hcUdaz 

rmdan mold er ok menn lifok* 

Nu ero peir N. N. ok N. N, 

satter ok mviniäfn 

[hrcrr vid ayinan 
hvar sem peir hittaz^) 
. . d lande eda lege 

[d fiaUe eda fipro] 

skipe eda d skide 

[i^do eda igkle] 

i hafe eda d hests bakOf 



i huga gödomj 



eda austskoto, 
ef Parfer gmug 
i mJtne fimne 
ä braut finnej, 



ärar midla 
ßopto eda püio 
[ivd sem vin smn 
eda brödor Hirn 
iafnaäUr hvärr vid annan 
sem fader vid ton 
eda sonr vid f^dor. 
i smfpnm pUtm» 

Nu leggia peir hendr sinar saman N. N ok N N: haläet vd 
trygder at vüia Krists ok aUra manna peirra er nu heyrdo 

trygdamgL 

hafe sd hyUe gods er heldr trygder^ 



*) Hieftr QxvtL: heidna hnlda, 

hüs ok hella. 

*) Bin Vers? Grett. uod Heidarviga haben kvdrt «em vir finnomak. 



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86 



Kapilpl 11. 



nin sü i'tidt' er riifr rittur (rijf/drr^), 
cnn hyU»' «i h^äit ! hafvt heHcr atfU, 
etm per sem vdttar er vid crom stadderi 



Ks ist keine Prag^, daM von stabreimender Prosa hier nicht 
die Rede sein kann. An Poesie des Inhalts lassen diese Zeilen 
nichts za wünschen nbri^. Wegon der poetisch invertierten 
Wortstelloni? voi gloiche man Hoinzel, Beschreibung der isl. Saga 
S. 191. Die Stftbe ftlgen sich allen Anforderungen des Satss- 
toncs«. Ihre kStellun*^' ist auch insofern regclniafsi^^ als in den 
l-.an^'ZfMbMi slilts der erste Ictus des zweiten Kur/verscs stabt. 
Die ersten Iviir/.verse einer Langzeile haben fast dnrchweg den 
Suibreini in heitien letcn mlor in dem ersten; die StabverteiluDg 
X a constatiere ich nur in dem Verse 

s' )n »u )in vidust varga reka^ 

wofür btadarhiilsbök hat 

svä vida sem menn varga reka; 
die Verse 

pehi{ i hfnd sdi v^v^ I ^ I 

8V& sem tnn ginn 1^1- 

medan mM er | ^ | 

hafe sA hyUe gada y^y^s^ I ^ J_ I — 
sind wol in der hier bezeichneten Weise zn lesen ; dass die beiden 
letzten Verse den Ueimbuclistab zuirleich als Anlaut des Auf- 
taktes zeigen, kann schwerlich An^^tuI« ci regen (s. u. S. 05), 
obwol dies allerdings die beiden einzigen l'oletre aus dem vor- 
geführten Materiale sind. UmsclUielsonden .Stabreim zeigt nur 
die Versgruppe 

sem fader vid son 

eda so7ir vid ffdor. 
llire metrische Natur kann nicht bezweifelt werden ; der zwiefache 
Stabreim ist wegen der Satzbetonung unentbebrlidi: fader darf 



*) HiofOr bat die HeiAMrrfga: 

enn sä ffrcme ffods 
er r^fr rettar irygiar» 





MatriM^ho Sl^roitfragen. 



87 



nicht stablos bleiben^). Ob man die folgende Zeile 

vermöge des Bmmstabos s an die voransgehende angliedern oder 
sie als stabloses, ungebundenes Stdck betracbten soll, ist fraglich 
(die er»te Auflbssnng kann sich auf den widerkelirenden Vers 
der getspeki Heidreks bemfen: getid er pehwr). 

Der groDse, augenfüUigo Unterscliiod der Stabsetznng von 
dem Gebiiiache der Poesie im engem Sinne liegt darin, dass un- 
gcparte, selbständige Knrzverse, mit zwd Stäben, nach freiem 
Belieben wechseln können mit Langzeilen d. h. mit zwei durch 
die Stabreimordnung a a | a x oder a x | a y goparten 
Versen. Es ist dies, wie man leicht sielit, ein Unterschied der 
Stabsetssung und nichts weiter: die Periode, die wir Langzeile 
nennen, wird in diesen Gesetzesversen nur durch den Stabreim 
geschaffen; die gepaitcm Verse shid von den ungoparten im Übrigen 
nicht rh3^hmisch differenziert. Auch das syntaktische iUnd ist 
nicht enger zwischen den gemeinsam, als zwischen den einzeln 
stabenden Versen. Ob die beiden Zeilen 

mpfp' tnodor kallar 

ok moder mgg fade)- 
als zwei .selbständige Verse oder als ein Verspar empfunden worden 
seien, ist wol nicht einu gegenstandslose Frage: da in allen 
andern l'^ällen, wo sich e i n Stabreim auf zwei Verse ausdehnt, 
der zweite Vers nur mit dem ei-sten Ictus stabt, ist vermutlich 
nur unt^r dieser Be(ling"ung die engere Zusammengehöiis^^keit der 
beiden (jlieder gefühlt wui deu, und die soeben angeführten Zeilen 
musten demnach in dei-selbon Weise als selbständig erscheinen, 
wie 2^^•ei Verse mit vorschiedenem Reimlaute. 

Tst also die AiUtteration nichts woniger als locker und 
pl<ifi!n^. SO wird man sich ancli den Vortrag einer derartigen 
(jesetz«'sst('l](^ sicheiiit-h nicht als prosaisch, sondern nls metrisch 
im voUstcu Öinue vorstellen. Wer nicht des Glaubens ist, dass 



>) Einon ontsprochenden FaU Uetot die Edda In VA. 87 Vihmdr 
lidanfle um langan veg: der Reim aaf v wird von dem ersten, der Reim enf 
l Ton dem zweiten KnxcrerBe gefordert. 



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88 



Kapitel IL 



der metrische Takt nur der Mudk angehöre, wird, wenn irgendwo, 
80 bei diesen tr.vgdani&l die Unentbebrlichkeit und die Macht des 
Taktes anerkennen. Wenn Hafr, Sohn des (»örarinn, ein ordma&r 
mUtSl^ wie ans die Grettissaga erzählt, diese Sätze mit ihrem 
wuehtigcn Gehalt und ihrer ehernen Ausprägung med mkiM 
reksemd vortrug, so wird wo! taktgebondene Bede tlber s^e 
Lippen gekommen sein. Durch den Takt erlangten diese For- 
meln ihre Plastik und gruben sich dem Sinne der HOrer ein. 

Und wie ist ihr Rhytlimus beschaffen? Man braucht keine 
Aeconte und Schemata hinzuzusetzen; auch ohne diese Nachhilfe 
kann sie jeder lesen. Diese Verse haben etwas Selbstverständ- 
licheSj da uns iln-e GruiuUunn in sprich würtern und Formeln bis 
heute furtlcbt und uusorn rliytlimisclien Sinn sicher leitet. 

In ein par Fällen kann man violleicht zweifeln, ob eine 
Langzeile oder ein Kurzvers zu sprechen sei; z. B. 

oik a//a hlute ykkar i müle 

könnte allenfalls als eine Kurzzeile gefasst werden. Aber wu: 
dürfen beifügen: in deraiügen Fällen standen gewiss schon dem 
Ipgsfgumadr der alten Zeit die beiden Vortragsformen zur Ver- 
fügung; es war mOgUch, gewisse Silbengmppen ungezwungen bald 
zn einem Verse, bald zu einem Verspar zu rhythmisieren. 

Das gemeinsame Mafö aller dieser Verse ist der Zweitakter 
IxxJ:xI:k:xxx|. 

Auf den ersten Blick zeigt sich, dass die Füllnng dieses 
metrischen Rahmens überaas manigfaltig Ist. Auf der einen 
Seite sehen wir die leichteste Fttllung | ^ | j_ in zahlreichen 
Versen und mit hedentender Wirkung augewandt: 

ship skridi'\ 
sÖl skinn snce leggr 
und andre; oder mit zweisilbig-stumpfem erstem Takt: 

fura vex; 
Jiimmn hverfr. 

Auf der andern Seite begegnen gedrängte FüUungeu, wie z. B. 

ok from komnom eyre; 
ä pinge ok d pidästefno; 



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Metrische Strcittragou. 



89 



er gmgr a gervar säMer 

eda vegr ä veittar trygder; 

i hafe eia d heitts hoke* 
Die Zwischenstufen sind in grOster Maalgfaltlgkoit vertreten. — 
l)or Auftalrt kann als vüUig frei bezeichnet werden: er darf ol)en- 
sowol vor den schwer gefttllten Talrten vorhanden sein, wie vor 
den leichtesten Farmen fehlen. Auch seine Silbenzahl ist frei: 
wir haben Auftakte von ein, zwei und mehr Silben. 

AVie frei sich die sprachlichü FilHung innorlialb der weiten 
Schranken bewegt, erkennen wir auch an den \ ariiinitiu der ver- 
schiedenen Texte. Ein ok oder eda als Auftakt kann unbedenk- 
lich zugesetzt oder weggelassen wei-deu. Für den dreisilbigen 
Auftakt der Kb. in 

sfetidr höyiom byiT beinn 
hat die Heidarviga den viorsilbi^^on 

starule hötiom • . • > 
die Gretla den fünfsilbigen 

ok sfrt)/.!.j hönom . . . , 
wogegen die Stadarholsbuk den Vera in der silbenärmeren Ge- 
stalt aufweist 

ok I stände \ byrr under | bäda \ wenige, 
FUr die Lesart der Kb. 

efär npp brmnr 
hat die Grett. die leichtere Füllung 

ehlr brennr, 
die Heid, die schwerere 

eldar upp brcnva. 
Bei diesen Varianten ein „richtig" und „fehlerhaft" oder ein 
„ursprünglich" und „abgewiclien" zu unterscheiden, würde einen 
falschen Begriff hineintragen: alle diese Formen waren gleich 
möglich und gleich berechtigt. 

Dass dieser Versbau nicht an die Füllungsregeln der epischen 
Dichtung gebunden ist, bedarf nach dem Gesagten keiner Aus- 
ftihmng mehr. In keinem epischen Gedichte, weder neidisch 
noch westgermanisch, finden wir anch nur annähernd diesen Reich- 
tum an Typen, diese Spannw^te der FUUunf smOglichkeiten wie 



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90 



Kapitel n. 



in ansenD kurzen Gesotzosabschnitt Dag^en darften wol alle 
die hier vorhandenen Formen wider in dem Versmafls der Sprüche, 
im I^ddahittr, begegnen. 

Will man die alpliabetischen Zeichen des Fünftypensystems 
mit ihren Exponenten u. s. w. auf die Gesetzesvcrse anwenden, 
so mag man das tun, wofern man nur nicht den Schein wecken 
will, als ob damit das Mindeste für die rhytlimiache Deutung 
dieser SSeilen getan sei, oder als ob dieser Versbau aus den 
epischen FOllungsfcgeln erklSrhar werde. Wenn Lind, Uppsa- 
lastudter S. 141, meint, die Gesetzesverse begegneten sich mit 
dem epischen Verse in dem „gormanischen viersilbigen Allite- 
• rationsverse", so erschaut diese Berufung auf eine fixierte Silben^ 
zahl wenig förderlich bei einer Versteclinik, die ihre Zeilen 
zwischen zwei und neun Silben spielen lässt! Sollte aber die 
Meinung die sein, dass ein urgermanischer Vers mit der gerogelten 
Zalil von vier Silben der gemeinsame Stammvater sei, so wftre 
das tatsftchliche Verhältniss auf den Kopf gestellt Wo wir in 
der altgermanischen Versknnst die Annilherung an die normierte 
Silbenzahl finden, nämlich bei den Skalden, da haben wir secundäre 
Neuerung. Dem gegenüber bezeichnet der Bau der Cxesetzesverse 
nicht u'iiler eine jllngere Entwicklung, Jiondern die genetisch 
ältere Stufe. 

Die Verwandtschaft der Gesetzes-, Formel- und Spruchverse 
mit den epiticlien beruht — von der Stabroiratechnik abgeschn — 
einzig und allein auf dem geinoiiis;nnen Gruudinaiije. Hier wie 
doit haben wir die zwei Yiorviortclst.ikte. 

Die metrische Bedeutung der (jlesützesverse kann nicht darin 
liegen, dass sie „unsere Kenntniss d(\s feineren Details im alt- 
noidischeu (episciien) Versbau" veriijehren (man \gl. liiiid a. a. 
O. S. 151). Ihien grofsen Wert erha1ti»n sie violiiichr dadurch, 
dass sie diost's foinoio Detail, d. h. die beschriinkendon Füllungs- 
gesetze der episclieii Dichtung, als eine Summe kuastiiiäfsiger 
Hotrein dartun, die niclit zu den constituierenden Factoren des 
germanischen Stabreimverse.s gehören. 

Die (iosetzesverse voioinigen sich in diesem Zeugniss mit 
dem l4j()dahattr, und da man die ei'stera nicht wol als Gesanges* 



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Metrisdie Streitfragen. 



91 



verse betrachten und auf Grand davon von dem epischen Verae 
gänzlich lostrennen kann, wird die Nötigung nicht mehr Iftnger zu 
umgehen sein, die verschiedenen Grappon des altgernianischen 
Versbaues auf einen Boden m stellen und ihre Besonderlieiten 
von einer oiiganischen Ginmdlage aus zu erklAran. 

Ob der gen^ltere Versbau im Epos oder der freiere Vers- 
bau in der Spruchdichtung das chronologisch ältere sei, mag 
vorläufig unentschieden bleiben. Sicher und A'on dieser Frage 
onabhftngig ist, dass die fraiern Sprachverse den primitivem 
Versbau zeigen. Sie lelu'cn uns, welche sprachlichen Be- 
dingungen notwendig vorbanden sein müssen, damit ein 
Vers zu Stande komme. Indem wir den epischen Vera daneben 
halten, kOnnen wir unterscheiden, wie viel hier als spradilich not- 
wendige Voraussetzung des Zweitakters, wie viel als kunstraftfsige 
Norm zu geltea hat. Ebenso zeigt ans die freiere Versübung, 
welche Grenzen der FQllung des Verses durch die Natur 
der Sprache und des Grundmafses gezogen suid. Wideram 
Ubast uns dies beim epischen Verse erkennen, wie weit seine Ein- 
sehränknngra diesen piimären Charakter haben oder aber durch das 
üebercinkommen einer könstleiischen Sclmlung vorgeschrieben sind. 

Die freiere metrische Teclmik der Spi ilche bietet uns gleich- 
sam die tragenden (i rundmauern des altge»-manischen Verses. 
Eine Tliooiie der stabreimonden \'erskunst muss der An- 
for(l(M(i:iL y^iMitigcn, U ass sie die Ivunstfornien der Dichtung in 
orgiiiiiMlieiü Zusammenliango mit den primitivpin Formen der 
»Sprüche u. s. w. erkläre. Da.ss d;Ls Typensystem „zu eng" ist, zeigt 
sich am deiitliclisten dem Ljödahättr und den Sprüchen gegen- 
(Iber: die auf die „Gliodei/ahl'' gefn-ündete Definition des Verses 
— mag man ihre RiclitiLrkeit bei der opisclien Poesie zugeben — 
versagt bei dem aiilsfMopisctien Vei'se, weil sie nicht die primi- 
tiven Eigenscharten de^; Verses, soikUmii eine dem Wesen nach 
sccundäio l\egol ausdrückt. Es kann sicli niclit darum handeln, 
das epische Vor.smaterial aus seiner gebietenden Stellung in der 
Stabreimmetrik zu verdrängen oder die Wichtigkeit der epischen 
Versfüllungsregeln herabzusetzen. Aber nur dadurch, dass man 
diese traditionelle^ liunstforiqen an dem freiem Versbau misst, 



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92 



Kapitel IL 



gelangt man zu ihrer klaren Würdigung, vermag man die primären 
Factoren des Veraee von den Beschränkungen einer verfeinerten 
Technik zu nnterschddeii und dem germaniacben Versbau m 
festes und weites Bett unterzubreiten. 

Die nendeutsche Verslehre hat sich idluflg auf die Jambeo- 
und Trochaenverse und etliche andere anttklsierende Kunstformen 
beschrftnkt nnd ist mit einem halben Dutzend griechisdier Takt- 
namen leidlich ausgekommen. Aber die gesamte metrische 
Auffassung blieb unorganisch und erwies sich als unzureichend, 
sobald em complioierteres Odenmaä oder ein urwüchsig volks- 
tümlicher Vers unter Dach und Fach gebracht werden sollte: 
sie passten in die fertigen Kategorien und Definitionen nicht 
hinein; denn diese waren mit Rücksicht auf die überwiegende 
Masse der Kunstverse zurecht ge«^nlttan. In emer ahnlichen 
Lage befindet sich, mutatis mutandis, das FQnftjpensystem beim 
Versbau der alten Germanen. 



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Kapitel III. 



Taktzahl im Ljödahättr. 

An das gnoraische Strophenmafs der nordischen Dichtung 
knlipft sich die Frage: setzt os sich aus zwei- und dreitaktigen 
Veraen in unsymmetrischer Misclumg zusammen? oder besteht es 
aus lauter zweitiiktigen (i Hedem, die sicli nicht in dem Grund- 
mafs, nur iu der VersfUlluni; von der Form der episdiea Poesie 
tmterscheiden? 

Die erste Attflaasupg findet man in der metrisclien Litte- 
rattir im allgemeinen vertreten. Ich war za der Ansicht gelangt, 
dasB man damit nicht das Richtige treffe, und hatte Acta Germ. 
1 122 ff. 3SU zeigen gesucht, dass sich die Ijddah&ttnseilen auf 
das Malh von zwei Vierviertelstakten rhythmisieren lassen. Gegen 
diesen Versuch erklärt sieh Sievers Ag«in. Metr. § 511 
an& entsduedenste; er will die wechselnde Tnktzahl der Zeilen 
aufrecht halten, und zwar in dieser Verteilung: 

„Die wdtaus grOste Masse aller Voll Zeilen ist ohne all^ 
Zweifel mit drei gleichhereehtigten Hebnngen (dr^ Haqithebungen) 
IU sprechen" (§ 57); eine unbestunmte Anzahl vier hebiger Voll- 
ssoilen wird zweifelnd angesetzt (g 57, 9); ungefilhr 75 Vollzeilen 
lassen es fraglich, oh sie drei oder zwei Hebungen bedtzen 
(§ d7i 7); uagefthr 45 Vdhieilen smd nach § 57, 8 „sicher 
zweihebig^, nach g 195, 3 aber doch vielleicht z. T. dreihebig; — 

die ungerade Kurzzeile „besteht ttberwiegead aus sieher 
nur zwei hebigen Veisen", daneben aus dreihebigen (§ 58); — 

die gerade Kurzzeile „nihert sich dur^ den Ubef^ 
wiegenden Gebrauch drei heb ig er Verse der Vollzeile'' (§56, 5). 

Die ganze Frage ist von allgemeinerer Bedeutung: für die 
Beorteilang des stabreunenden Versbaues ist es weseotlkdi, ob 



94 



Kapitel m. 



wir ihm neben dem Zweitakter aneh einen Dreitakter (iiud einen 
cäsurlosen Viertakter) zuscbreibcn, und ob wir — da die Zeilen 
von drei und zwei Takten in regelloser Misdmngr stelm sollen — 
das Princip der freien Taktzahl (s. o.S. 28 f.) der Stabreimpoeaie 
zuerkennen. 

Darch die Ausführungen in der Agerm. Motiik scheint mir die 
frühere Ansicht nicht gestützt zu werden. Ich will den Nach- 
weis versuchen, dass 1) ein objcctlvcs Argument fUr dreitaktige 
Messung nicht anfgestellt worden ist, und dass 2) die CSadenz- 
regel der Vollzeilo^) ein objectives Zcngniss gegen die drei- 
taktige Messung ablegt. 

Prüfen wir die GrrOnde, die Sievers § 56 f. gegen die swei- 
taktige Messung vorführt 

An den subjectiveren Bedenken, wie „Aufopferung alles rhjlh- 
misclien Wollaiits" und Ähnlichem, gelin wir vorüber, da in diesen 
Dingen, wie wir schon oben S. 52 sahen, die Meinungen allzu 
geteilt sind und da die von Sievers selbst entworfenen Ljödahatti - 
Rhythmen ;iuf S. 235 ff. die gi'ofse Divergenz der Geschmacks- 
ricliLuiigiii bcsidilgcü. Wenn Sievers weitcrliin sagt, „grund- 
sätzliche Ignorierung all der Regeln über das Verhiiltniss von 
Satz- und Version, welche sonst in der gesamten nordischen 
Dichtung durchgeführt sind," liege meinen zweitaktigcn Hliyth- 
misierangen zu Grunde, so fehlt dieser Behauptung der Beweis 
— oder, wenn das in § 57 (spoc. Amn. 1) V^orgebrachte der 
Beweis sein soll, so ist er hinftlllig. 

Wir finden da erstens die Berufung auf ,,drci fache 
Allitteration". Von 1080 untersucliten Vollzeilen haben (nach 
§ 57, 3b) ungefälir 40 drei übereinstimmende Anlaute. Sievers 
glaubt, dies sei nur mit dieitaktiger Messung vereinbar, „da 
Doppelallitteration an stelle ret,^elreoht einfacher Allitteration in den 
übrigen N'ei'snial'sen streng gcnneden wird". Die Fm^resteihmg 
ist damit verschol)en : hier kann es sicii g-ar nicht um die i^'iagc 
der doppelten Allitteration an Stelle einlacher Allitteration handelu, 
sondern einzig um die Frage: 

Diesen Namen gebrauche ich für die unparigc^ selbständig: allUteiierouda 
2oile der LjüdaUättratropbon noch Siovoiü Voroulilag & 80 Note. 



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Taktzubl im Ljüdabattr. 



9d 



ist der Laut, der den Stabi-eim bildet, auch auiseriiaib 
des Stabreimes als ictusloser Wortanlaut geduldet? 

Denn sobald man zweiukiig misst, kommeu nur zwei ßeiin- 
stäbe in iietraclit. 

Die genannte Frage ist füi- das Westgermanische bekanntlich 
zu bejahen. Im Nonlischen werden Vocale als überyciiiiissige 
Anlaute unbedenklich zugelassen: von den bei Sievere genannten 
Fällen mit vermeintlich dreifachem »Staljieim sind also die 
vocalischen als be^vels^nkl•^lftig auszuschlielsen. Wortanlautende 
Consonanten aurserhalb des Stabreims verbietet das Hattatal 
(herausg. von Möbius 8. 2 o.). Auch die eddische Dichtung zeigt 
diese Erscheinnnjjf seltener als die westgermanische. Doch ist sie 
nicht consoquent ausgeschlossen; ich habe mir gelegentlich diese 
Fälle an|:.^emerkt (die stabenden Consonanten in aofrocbtem Druck, 
die hybriden in Fettdruck): 

Vsp. 26 1 j)ö>T einn par ?4 
Hym. 30« Hann er hardari 
Völ. Iii sat hann avd hngi 
H. Hj. 87 1 mik hefir Hdgi 
89 t ßetta sinn 
40? mir hefir hjprr komit 
H. Hu. II 7 1 \ivar hefir pü hümir 
85 a hafdu Mlfan heim 
86 1 sWea ek sv& aad 
Akv. 9i n6 ndungr annarr 
12% hvars ykr hugr teygW 
28 s h^ hjarta 
Am. 70 6 «em pü ^jglf inlir 
785 tr4 tekr at hniga 
Hmd. 2? sonu sina nnga 

27 1 huff Iiefdir pn Ramdir 
[aus Skalden : Hgfudlausn 8 o fyr Utüs sveUi 

Hakm. 7 7 feU (lod f/cina 
vSighvatr i^Uuikr. 8. ,>L:2j {)('/• pidt \)in)i hayr stönim]. 
Wenn in den Ljödaluittrvollzeilen diese Fälle verhältniss- 
oiäTsig häutiger sind, so liudet das seine genügende Erklärung 



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96 KapiOil III. 

in der durehsohnittlidi hohem SUbenzalil dieser Zeilen: ein acht- 
silbiger Vers enthUt leichter einen UbersehOssigen Anlaut, als ein 
viersilbiger u. a. f. 

Denuuu^ kennen jene vieradg Verse mit drei ftbernnstinimenden 
Anlauten nicht fUr dreitaktige Scansion beweisen. Es steht 
nichts im Wege, nur zwei dieser Anlaute als Behnstabe, den 
dritten als IlbersehOssigen Anlaut zu betrachten. 

Es kommt dazu, dass selbst bei dreitaktiger Messung 
die Annahme hybrider Anlaute nicht zu umgehen ist: 
Lok. 30 0 hverr Jiefir pinn h6rr vhit 

60 • ok pöttiska ipu) pä pbrr vSra 
werden von Sievers in der hier angedeuteten Weise gemessen: 
also stellt dort Jtcfir, hier pa aufserhalb ch^s Stabreims. Dana 
muss mau aber auch zugeben, dass in dem Verse 

Vaf. 23 a ok sva solar it s&ma 
das sväf in dem Vei se 

Lok. 58 3 h in präsir pü svä pörr 
das sehr wol aufserhalb dos Stabreimes stelin kann. 

Sievers beruft sich fernerhin darauf, „dass man bei sprach- 
lich ganz gleich gebauten Versen die Allitteration beliebig ver- 
schieben kann (Wechselallitteration), was bei keinem andern 
Metrum der Fall ist: Il6m hnlln / Häv. 109 4 gegen jptm 
g^rdum ör Hav. 108 3, oder verjni vatu/ d Hav. 158 8 gegen 
verpumk ordi ä Vaf. 7 3. Dieses Verfahren beweist, dass die 
drei Hebungen als völlig gleichberechtigt empfunden wurden" 
(§ 57 Anm. 1). Die Beispiele sind nicht gut gewählt, da Hav. 
109 4 schwerlich eineVoilzeile, sondern ein zweiter Kurzvei'S ist 
mit der Messung 

I Hpm hnllu \ 7, * 
und da Häv. 158 3 vermutlich seine beiden Stabe auf vatni und 
d hat (entsprechend den Fällen aus den Häv. bei Gering Beitr, 
13, 203). Vor allem aber zieht Sievcrs eine unrichtige Schluss- 
folgernng: die Möglichkeit, in analog gebauten Versen den Stab- 
reim und damit die Hebung zu verschieben, ist auch dem epischen 
Verse geläufig. Man erinnere sich an Verse wie diese aus dem 
Beowttlf: 



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1451 8 ßSban sundgdkmd 

▼ergliohen mit 

757 a iSean defffia gedrmg; 

oder 

858 a eifde eUenröf 

yerglichen mit 

641 b eöäe goldkrodm» 

Daraus kann natttrlich nielit der Scbluss gewonnen werden, 
dam wir dreitaktige Verse vor ans haben. 

Noch irreführender ist der folgende Funkt Ein par Voll- 
zeüen haben fehlerhaften Stabrdm, indem ein vorausgehendes 
Nomoi vom Reime ttbergangen wird; z. B. 

Grim. 8« hetri gjgld ffeta 

H. Hj, 12 e kennid mer nafn konungs: 
die Nomina hetri und 72afn dürfen nach den allgomeinen (iesetzen 
in diesem Zusammenhang' nicht stablos bleiben. 

Sievers glaubt, der Fall werde verständlich, wenn man 
diesen Versen drei iliythmisch coordinierte Hebungen gebe. Er 
verkennt damit das Wesen der Satztonrefrel, die wir aus der 
AUitterdtinn ersciiliefsen können. J>m\ diese Regel lautot ein- 
fach so: ein Nomen als ersfr (ilu l einer syntaktischen Ver- 
bindung darf dem foh^/Mnirii (iluHle den Reimstab nicht abtreten. 
Dafdr gibt es nur die i^j'klärung: das vorausgehende Nomen darf 
sich dem folgenden Gliodo nicht dynamiscli unterordnen; sobald 
es aber stablos blieboi müste es sich uaterorduen. 

Somit hat sich in 

betri gjpld geta 

das dadurch, dass es stablos blieb, in sprachwidriger 
Weise untergeordnet; die syntaktische Gruppe Mri ^;pM sollte das 
Stabreimschema a x bekommen und hat statt dessen das Scliema 
X a erhalten. Ob man nun dieses übervorteilte x (bein) in den 
Auftakt stellt oder aber, mit 8ievers, in eine Hebung — das 
ändert nichts jener objectiven Regel gegenüber. Denn diese be- 
stimmt lediglich^ dass das Nomen nicht stablos bleiben dOrfe; sie 
sagt nichts darüber aus, ob ein stabloses Glied im Verseingang 
als Auftakt dienen dttrfe oder zum Bange einer schwächend (weil 

H«utUr, 0«rm. VmbMi. 7 



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98 



Kapitel IIL 



stablosen) Hebung erhoben werden mttsse. Wenn wir in dem 
Beownlfverse 427 a brcgo lieorld-Dena statt des brego ein nicht- 
stabendes cyning einsetzen, so haben wir einen falschen Vers 
und bessern ihn nicht dadurch, dass wir diesem cynitig die erste 
Vershebung einräumen. 

Zu den Versen mit inconectem Stabreime gebOrt auch der 
von öievera § 57 Anin. 1 mit verwertete 

Vaf. 54 e själfr / cijni syni. 
Alle diese Verse hatte ich Acta Germ. I 128 ff. vollzählig 
zusammengestellt und ausdriU-klicli bemerkt, dass sie keine rich- 
tigen Zweitakter seien. Zu dem Verse Heg. 19 e. 20$ lieül at 
sverda svipun hatte ich boigefiigt: „Tcli sehe keinen Ausweg, 
da heill nicht wol ziun vorausgehenden Verse gezogen werden 
kann". Sievers schreibt hiezu: „Heuslers ^feinung, dass die 
nicht allitteiierenden Nomina hier in den , Auftakt' zu setzen seien, 
vermehrt nur die Schwierigkeiten, statt eine Erklärung zu schaffen"! 
Eine selt.sanie Art der Polemik! Wir constatieren: alle die be- 
sprochenen Verse, die als Zweitaktei" fehlerhaft sind, wären auch 
als Dreitakter fehlerhaft. Ftlr die Frage nach der Taktzahl der 
Vollzeile sind diese Verse mit falscher AlUtteraüon gar nicht zu 
gebrauchen. Ueberdies sind sie so gering an Zahl — etwa ein 
halbes Dutzend unter 1400 Volizeilea dass Sievers besser ge- 
tan hätte, sie ruhen zu lassen. 

Im Irrtum ist Sievers, wenn er unter diesen Versen auoh 
Reg. 25 s iUi er fyr heül ait hrapa 
anführt. Man vergleiche 

Am. 2^% ÜU er m>efn sS/Osan 

92 a «Kf er vin vSa 
Hmd. Us HU er tHaudim hali 
hier wird auch Sievers für das iXU keine Hebung postulieren. — 
Der Edda kann man Uberhaupt den Brauch nicht ganz absprechen, 
ein prädicatives A^jectiv reimlos seinem Substantiv voraus- 
zuschicken; man vergleiche noch 

Am. 78 t tf^Miim mm rö reidi 

100 8 iik'angt vor an^ waigffi 
Myndi. 5 • «finn er ff^r >tim 



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Taktzahl im Lfjödahättr. 



99 



{)rk. 13 1 reid vard pd Freyja» 
Da der Anfangsvers desselben Thiedes 

reidi alt' pä Vinypör?- ' 
nicht anders beurteilt zu werden braucht, ist es geraten, als 
Musterbeispiel ftlr den Reim vr : v einen andern Vers zu wählen 
(Noreen, Aisl. Gramm.* § 228 Anm. 2). ; 

Wir kommen zu dem letzteOi aUgemeinem Argumente gegen 
die Zweizahl der Takte. Sievers sagt, viele Vollzeilen lUUten 
eine „deutliche sprachliche Dreiteilung", die dem Pomyrdis- 
lag und dem Mälahattr vollkommen fremd sei. Als Beispiele 
dafttr, als entschieden dreiteilige Verse werden vorgeflUirt 
H&T. 42 1 ok gjalda gjpf fdd gj^f 
' Lok. 9 s Hendum lisdi Mmän 
HäT. 44« fara ai finm opi 

89 ff leid si, laun ef pagL 

Wenn der erste dieser Verse in der zweitaktigen IQiyth- 
imisimDg 

oh gjalda gjpf vid gj^f 

\^ W v-* I »1 X I ^ 

anstöfisig sein soll, so tragt wol nur der Infinitiv im Auftakt die 
Schuld (wegen des sdieinbar dreifachen Stabrennes vgl o. S. 95). 
Allein die Edda kann — wie auch die westgermamselie Dichtung 
ausnahmsweise — den. Infinitiv dem folgenden Satzteile unter- 
ordnen; man vergleiche 

H. Hu. II 89 7 gefa svmum aod 
Akv. 3 2 rida eyrindi 

H at säkja heim Atla 
14 u at vekja gram hüdi 
83 4 0^ reifa gjgld rpgnis 
Am. 13 0 reifa glödraudu . . 

Hmd. 2 8 hefna SmtHiMar. 
Damach ist gegen den obigen Vers in der bezeichneten zwei- 
takügen Messung nichts einzuwenden. 

Den ttbrigen drei Bdspiden stelle ich folgende Yersor deren 
sprachlicher Bau nah verwandt ist, an die Seite: 

7* 



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100 



t&pltol HL 



Am. 18 2 verda ött memmn 
30 B föro /imm sa7na7i 
Vap. 49 1 u. ö. (f^j/r nü Gannr mj^k 
Am. 2? af ömgdi bod scndi. 
Diese Verse misst auch Sievers zweihebig. Man kann nicht ent- 
decken, worin die „gröblichste Verletzung des Sinnesaceentes" 
Ueg^eE soll, wepu wir aucii jene LgödahaUrseilei^ zweitaktig 
sprechen. 

Allerdings sind ja diese gedrängten VersfUllungen im LJödahdttr 
nnglftioh hilufiger als im epischen Versmafse der Edda, und die 
soeben angreftlhrten epischen Zeilen sollen diesen üntei-schied nicht 
vcrdeckea. Almr dies können sie beweisen,, dass sich derai-tige 
Silbengruppon der zweiteiligen Rhythmisierung nicht entziebn. 
Sobald ein zweitaktiges Mafs gedrängtere FUllongen zul&sst, muss 
66 häufiger geschehe, dass sich die Verse aus solchen Wort- 
complexen bilden, die man auch drei taktig messen konnte. ?n!inn 
die Atlamäl zeigen dies deutUcli: ihre silbenreichern Zeilen 
konnten vi^ häufiger di-eltelUge Form annehmen, als dies bei 
den andern epischen Eddaliedern der Fall ist. Jedem muss dies, 
sdion hei flachtigem Ueberlesen der Atlamal, aufgesto&en sein, 
nnd Rosenber.g . hat denn aadi tatcjüehlich den sogenannten 
Milahä.ttr für ein überwiegond dreiteiliges Mal^ gehalten (Nord. 
Univ.-Tidsknft 1862, 3, 47; älinlich F. Jönsson Arkiv 6, 123). 
Das ist aber nicht durchführbar; auch Sievers ztfgert nicht, 
AtlamÄlverse, deren spraehliche Dreiteiligkeit unbestreitbar . ist, 
zweigipflig zu messen. So wenig in dieser Begehung zwisdien 
den Atiamil und den ttbrigsn epischen Liedern ein principi- 
eller Unterschied besteht, so wenig besteht er zwischen- den 
Attam^ und dem Ljddah&ttr; zeigen doch auch .die Ijöda- 
hättr- Vollzeilen alle Zwischenstufen von . der gedrängtesten Fällung 
bis zu der sehr leichten, die man schlechterdings nur zweitaktig 
messen kann. 

Aber dies führt uns auf einen allgemeinem Einwand gegen 
die Sieverssehe Auffassung: in der Agerm. Metr. wird, wie ich 
glaube, das Verhältniss der sprachlichen Betonung zum metiisehon 
Ictus nicht zutreffend dargestellt. Sclton bei. den aUgemeiueu 



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TaktMlil im LjödaliAttr. 



101 



Bflgeln über den epischen Norroalvers macht ^ dies gettend, 
und die Folge davon istV dan Stevers bei den westgermanischen 
„Schwellversen'* wleb^ den (schwerern) Uödah&ttrzeilendrnhebige 
Messung ftit das einzig mögliche hält. Anch bei den Schwell- 
versen nämlich bemeriEt Sievers gegen Kanffmann Bettr. li^, 
Se'Ö ff., das» „durch Prosatonfall, BedeniungsfUlle und -gUedemng* 
«drei grleicbberechtigte FoCie'' erwiesen- wQrden (§ 91). 

Ich will die hauptsächlichen Stellen der Agorm. Metr., die 
sich Ober das TerfaSltniss von Sprachton zn Verstetus äofiiem, 
hier widergobcn (der gesperrte Druck i lllirt von mir her, um 
einige besonders zu beaclitendc Worte iiervorziiheben). 

§ 8, 1. „Die noi iii.ile ilalUzcile zorfHUt in vier, seltener fUnf 
Glieder, von denen zwei (sprachlich und daher auch im 
Verse) stark betont oder Hebungen, die beiden resp. drei andern 
schwächer betont sind.** 

§ 22, 2 nach Erwiiiiiuiiig der sprachlichen Stärktiabstufungcn 
im altgermanischen Satze: ,J)ie nach diesen Gesichtspunkten 
stärkstbctonten z^\ ei Wörter oder Silben der Halbzeile müssen 
die Hebungen liefern". 

§ 23, 3. „Drei gioichtonige Nomina in einer Halbzeile 
würden drei Hebungen verlangen, müssen also gemieden 
werden." Dieser Satz wird dann in § 142 ausgeführt. 

Diesen Aeuföerungen liegt der Gedanke zu Grunde: weil der 
Sprachcomplex zweigipflig ist, ist es auch der Vers; wäre der 
Sprachcotnplcx dreigipÜig, so mOste es auch der Vers sein. 

Tatsäclilich muss er so gefasst werden: der Vers, seinem 
metrischen Rahmen nach, ist zweigipflig; in Folge dessen wird 
der Sprachcomplex zweigipflig rhythmisiert. 

Man nenne es nicht einen bloften Wertstreit! Schon die 
ganz gewöhnlichen epischen Verse enthalten einen Widerspruch 
gegen jene Sieverssche Fönnulierung. Man nehme beispielsweise 
diese Beowulfverse 

496 a msinde Mir wered 
897 a ft<fer on b4arm seipes 
601 a ' onbdnd bkidurüne 
nbidf'lra^eiche sie inli doli folgenden 



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102 



Kapitel m. 



376 b söhtc höldne wine 

264 ft gehad wrntra w6m 

397 a imad hUdeb&rd, 
Die beiden Haiipticten werden vod Sievers (wie aach vöd 
der Zweitakttbeorie) in der hier angezeichneten Weise- ausgeteilt. 
Wir sehen also: der Sprachcomplez Verbum 4- 'dornen -j- Nomen 
ist in beiden Gruppen zweigipflig rhythmisiert worden, aber das 
eine Mal so: v d n, das andre Mal so: ▼ ]& n. 

Man kann nun füglich nicht behaupten, diese verschiedene 
Behandlung sei sprachlich nutwendig gewesen, denn in der 
zweiten Gruppe sei das Yerbum schwächer, das zweite Nomen 
stärker: dies winde wol gelegentlich für den einen und anderen 
Fall zutreffen, aber nicht für die ganze Reihe der Fälle, woraus 
unsre Beispiele gegriffen sind. Vielmehr müssen wir constatieren: 
rein metrische Rücksichten (zumal die auf den Stabreim) haben 
diese zwiefache Messung bewirkt; der syntaktischen Stnictur 
zufolge konnte die Messung v ü n ebensowol auf die zweite 
Gruppe angewandt werden, wie umgekehrt die Messung v n n 
auf die erste Grappe. 

Wenn somit neben dem vorhandenen 

segnete tdr tosrütt 

aach ein 

seencte «Hßr wSredj 
wenn neben dem vorhandenen 

söhte hdldne lolne 

auch ein 

aöh^ hsidne wim 
möglich war, so ist Mar, dass anch der Messong 

Bdnete sctr wired 
. $$hte Mldne witte 
der sprachliche Bau nichts in den Weg gelegt hätte. Und daraus 
folgt unmittelbar: zu zweitaktigren Versen sind hier nicht zwei- 
gipflige oder zweiteilige Sprachcomplexe verwendet worden; in 
den syntaktisclien Gruppen v n n sind nicht durch die sprach- 
liche Tonabstufung zwei Gipfel markiert; vielmehr sind es 



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TAktnhl im I(i()d»hAttr. 



108 



dreiteilige Complexe, die der Dichter auf doppelte Art zu 
zweiteiligen Versen rhythmisieren kann\). 

Wir haben uns hier auf B<Mspio]p beschränkt, die nichts 
ÜDgewöhnlichee haben. Nehmen wir etwa den Heliandvers 

3117 stigun stkn endi herg^ 
den Sievers § 23, 3 d auch zweihobig misst, so zeigt sich das 
soeben Ausgeführte noch deutlidier: wollte man hier die Gruppe 
Verbum + Nomen + Nomen als sprachlich zweigipflig be- 
zeichnen, so könnte das doch nur in der Weise geschehn: vÄn. 
Aber der Dichter kann messen <i t n. Also bietet ihm auch 
das erste syntaktisebe Glied v einen Gipfel dar: er hat eine 
dreigipflige Sprachgruppe so rhythmisiert, dass er den dritten 
Gipfel nnterordoete. 

Deshalb sind Ja auch so manehe Verse rhythmisch zwei- 
dentig; z. B, 

pmt hie, pe9äen mfn 
fipffr prn yfir 

können als 

poit hie ßiöden mtn 

und als 

P(kt hie, peoihn min, 

als 

flggr gm yfir 

und als 

flpgr (Jr» fffir 

gemessen werden. Und diese Zweideutigkeit beruht nicht auf 
unsrer mangelhaften Kenntoiss des alten Satztones — »Aon den 

damaligen Recitatoren muss hier die zwiefache Möglichkeit der 

Scansion zu Gebote g:e.standon haben - , sondera auf dem Um- 
stände, diiss sich dl" ei sprachliche „(Jipfel" anbieten und dass 
wir zwei davon für die Icten auswählen müssen. 

Nicht zweigipflige Silbengruppen brauchte der 
Dichter, sondern solche, die sich zweigipflig rhythmi- 
sieren Uefsen. 

^) Noben dioser sweitaktigen Meeaung: «nd der dreitoktigen (a. o.) wi» 
ueh die eintaktige nU^licli: Beende nstr wered n. a. w«, wie rioli ebentUla 
Mu d«r Verttoiahniig d«r beiden Orappen ergibt 



A Digiii^cu by Gdo^Ic 



104 



Kapitel UI. 



Dass ilas „rhythmische Seliema" dem sprachlichen Stoffe mit 
einer gewissen Freiheit ^a'^^enüberstehe, wird von Sievei*s in 
§ 8, 2 und in § 4. 5 berührt. Abor diese Andeutungen ent- 
behren des innern Zusanimonh.intj^s mit den o. S. 101 ausgebobenen 
allgemeinen Rotrcln; aulserdeni wollen sie nur zeigen, dass eine 
äufserlich unteilbare Gruppe (wie pa ssleatan) doch einen zwei- 
teiligen Vers, dass eine äufserlich zweiteilige Gruppe (wie war 
80 jung U7id morf^ensrJtön) doch einen dreiteiligen Vers bilden 
könne. Die weiteio Pols"erung, deren Notwen(ii^,'-keit wir vorhin 
gezoig't haben, dass iiiunlicli auch dreiteilig-c (liuppen einen zwei- 
taktigen (cvent. einen ointaktigen) Vers abgeben künnen, wird 
§ 143, 5 ausdrücklich abgelehnt. 

Zweitaktiger Messung fähig sind auch solche Sprachcomplexe, 
die aus drei logiseil «.'^^^nau coordinierten Gliedern bestebn. 
Weil hiebei zwei diespi (ilieder dem dritten vorgezogen werden 
müssen, während docii alle drei den selben logischen Gehalt be- 
sitzeUi sind diese Fälle selten. Man vergleiche ans; der 

Vsp. 30? Gün7ir, Hildr, G^nduL 
Man mochte wissen, ob ein derartiger Yei s den Hörem der {)ulir 
einen inoorreeten Eindruck machte. ' Nach der Yorschrift von 
Sievers § 23, 8 (oben S. 101) konnte diese Zdle nor .dreihebig 
gemessen werden. 

In dem Verse Ysp. 12« P&der, IMr ok VUr 
sind die drei sprachlich ganz gMchgeordneten Nomina metrisch 
sogar dreifach abgestuft: das erste hat einen Ictns, mit Reim- 
stab erhalteii, das dritte einen rnndosen Ictus, das mittlere mnen 
Nebenictus. Siehe nodi 

Rfgsl». 24 5 HflU^, pegn ok Smdr 
25 t SnSt, Brüir, Svanni 
25» Mjöd, Sprunä.ok Vtf, 
Die nächstliegende Abstufung dreier derartiger Glieder sehemt 
11-1 gewesen zu sein. 

W^en wür uns jetzt den Schwell versen zn. Ich kenne 
keinen objectiven Beweisgrund gegen ihre Dreihebigkeii Aber 
die Flage, die wir zu stellen berechtigt sind: können die SchweOr 
verse ebenso wie ihre ungeschwellten Nachbarn zweitaktig rhyth- 



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Takuahl im LJödabÄttr. 



106 



misiert werden? — diese Fiuge kann anf Grand nnsrer Kennt* 
nias des alten Satztones mit SicherlieU bejaht werden. 

Ich will nieht die Aosfhlirungen von Kauffmann Beitr. 

15, 360 ff. widerholen, die' Luick ebda. S. 441 ff. nicht wider- 
legt, Sievers nicht zu widerlegen vorsucht hat. Es genllge, auf 

die von Sicvers § Ui in 18 lUibrikeii aufgestellten Schwell vers- 
typen der englischen Dichtung einen Blick zu werfen und ihre 
syntaktische Zusaramensetzung zu constaticien. Die drei Glieder, 
die Sievers jedem Vei*se als „drei gleichberechtigte Filfse" zu- 
schreibt, liaben diese syntaktische Beschaffenheit (n = Nuiueu 
oder nominale Verbalform, v = Verbum; die stabenden Glieder 
in Fettdruck): 

Anszuschliefscn sind vor allern die zahlreichen Verse, deren 
st ab loser Eingang den ersten Fufs bilden soll (sie sind unter 
den verschiedensten Typen untergebracht); z. B. unter Nr. 1; 

pü »ceaLt I ifeSmor hweorfan^ 

unter Nr. 6: 

gif pü pfnm | hjfgecraft hyles 

n. 8. f. 

Dass die hier durch den Strich abgetrennten EiingangswOrter 
keine Hebung zu tragen braacheUf sondern ohne jedes Bedenken 
als Auftakt dienen können, versteht sich von selbst; wenn die 
Yerse dieser Art als dreihebig gefasst werden, so verdanken de 
das wol nur ihrer geschwelten Umgebung. Dasselbe gilt für 
die Verse, die den einen ihrer drei FOfse mit einem zweiten 
Compositionsgliede oder mit einem Ableitungssuffix bilden 
sollen; z. B. unter Nr. 10: 

wlitige Uf ^oorddnytte^ 

unter Nr. 12: 

pS pcet weorc stadolade: 
dass sich ii'orohhujtta und stadolade mit einem Hauptictus be- 
gnügen können, kann niemand bezweifeln. — Es bleiben übrig 
folgende Gruppierungen: 

11 n u 

grimme tvid god gesomnod (Ni-. 1) 
gomolßrhd goldes brytta (Nr. 2) 



r 



106 



KapUol nL 



ärleiis of earde pfnum (Nr. 3) 
sweord and mcätigne hdm (Nr. 16) 

u. 8. f. 

Dass sich das dritte Nomen dem zweiten untergeoi*dnet hat, 
wird durch seine Reimlosigkeit objeetiv bewiesen. Wenn Sievors 
sagt: die Unterordnung darf nicht so weit gehen, dass das dritte 
Nomen in einen Nebenictus gestellt werde, es mnss doeh noeh 
einen dritten Hauptlctos erhalten, so ist das eine subjective 
Deutung, die wol nicht zu widerlegen ist, die man aber nicht 
fUr beweisbar ausgeben darf. Die syntaktische Stroctnr ist 
n n n und diese kann zweigipflig, alsänn, rhythmisiert werden. 

T n n 

geaeoh >A miffämod cyning (Nr. 6) 
n n V 

woiffra wUie mmaode (Nr. 18) 
jfelMäm pw8 Ja gebmdm m mmg (Nr. 9). 
Es wftre hier nur das eben Gesagte zn widerholen: dnrch 
die Allitteration wird die Gruppierung v n n bezw. Ä n v er- 
wiesen. Diese sind als Fallungen des zwelhebigen NomalTerses 
bekannt: wenn Sievera sie in onserm Zusammenhange wegen der 
vermehrten Silbenzahl drei hebig messen will, so kann er sich 
auf die Abstolong des Satztones, den Prosaton&U nidit berafea. ^ 
Instroetiv ist der Sdiwellvera Beow. 1167 a 
wi fShm scet f^reon Seyldinga, 
Es ist gewiss einer von denen, die Sievers in erster Linie als 
deutlich dreihebig hinstellen wttrde. Nun begegnet aber dieser 
Wortcomplex, fast genau übereinstimmend, Beow. 500 als 
Langzeile: 

pe mt fotum scet fi'eän Scyldinga. 
Hier also ist diese Wortgi'iippe mit vier „gleichberechtigten 
Hebungen" rhythmisiert, ich verstehe nicht, wie man dieser Tat- 
sache gegenüber noch behaupten will, bei den Schwellvci-sen sei 
die sprachliche Dreiteiligkeit und damit die metrische Dreihebig- 
keit scharf ausgeprägt. Da Sievers § 143, 5 das Gesetz aufstellt, 
fUr den dreihebigen Vers (SchwoUvcrs) sei sprachliche Dreiteiligkeit 
d^» QvlmhiQ Maximum, so muste er. fUr die WQrtgruppe 



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Taktwüü im Ljddab&ttr. 



107 



(pe) cet ßtum scBt freän SnjJdinga, 
die durch den Vers Beow. 500 als vierteilig dargetan wird, 
überhaupt keine andre Messiinfir als die vierhebige ziigestehn. — 
Ich erblicke in der Langzeile Beow. 500 eine Bestätigfungi dass 
mnn auch den Schwellvers Beow. 1167a zweiteilig messen darf. 
Die RbythmisieniDgea 

600 pe at fötüm sdt \ fr4an Seftdki^ 

und 1167a ai fiiwn ^ ftiän Scyläinga 
prägen genaa dieselben ss^tUchen und dynamisehen Proportionen 
aus; nur ist das zweite Mal das Ma& nm die Hülfte redaclert 
(vgl. 0. S. 65). Diese beiden Rhythmisienuigcii sind sidi viel 
nAher verwandt, als wenn wir das eine Mal vierhebig, das andre 
Mal dreohebig messen wollten. 

Zu den allgemeinem Erwägungen , die Eanffmann a. a. 0. 
S. 867 gegen die unsymmetrische Einmischnng dreihebiger Verse 
geltend macht, mochte ich dies beifügeii. Ein Granderfordemiss 
ftlr Jeden und jeglichen Rhythmus kann man in der gebundenen 
Taktzahl nicht erblicken. Dagegen verwaren sich die modwnen 
Dichtungen, die sich den beliebigen Wechsel längerer und kürzerer 
Verse erhüben, ohne dass man ihnen doch ein SSeugniss niederen 
Knnstiännes ausstellen darffce (s. o. S. 28). Aber es handelt sich 
um eine Frage des metrischen Stiles. Je weiter man in der 
Versgeschichte zurfiokgeht, um so mehr deht man die Taktzahl als 
Unveränderliches festgohallcu^). Wirkungen, die ein neuerer 
Dichter durch Wechsel in der Taktzahl anstrebt, erreicht der 
ältere Versbau durch Wechsel in dei- Taktfllllung. Für den alt- 
deutschen Reimvers scheint man diesen (irundsatz mehr und mehr 
zuzugeben. Es hat vieles für sich, dass die deutsche Verskunst 
erst dann, als sie ihren eigenen Traditionen entfremdet und aus- 
ländischen Einflüssen unterworfen wurde, in dem Princip der 
freien Taktzahl ein nenes künstlerisches Ausdnicksmittel über- 
nahm. Dass schon die stabreimenden Germanen dieses Ausdrucks- 

^) Ein plaiilosor Wecbsel vier- and dreibobiger Vene im Rigveda «cheint 

mir durch Oldcnberg (Hjmnon dos MY. T 19) ebenso wenig; glaubliaft ge- 
macht 711 sein, ^y\^■' nin «^nz fibulicliLT Wci hsol im lateinischen „ühj^thniD^*' 
durch Wilhelm Mc^or (Sitzung$l>Of. der hair. Ak. 1882, I 58>t 



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108 



Kapitel lU. 



mittel ^'•»jirtcKt liiUion, entüpriclit wtnii^' il m Stile ihrer Vcrs- 
tctilinik. — In dor Versgcschiohtp wie aiuiri.swu ftthrt weitere 
historischo Betraclitiini: zu i^'cwi^s.'n rntoisclioidiinL^on, ^(ewisseii 
Walir.schHnliclik»nt>sat/.t"ii. die man im »Mn7<'liion Kalle nicht immer 
beweisen kann, üeren lA'ituiig auf unsnhenn Boden mau doch 
nielit versclimilhen winl. Ks ist nicht zu billigen, dass Sievers 
deiarti^'e Kru-a^'un^en mit *I'm?i Ausdruck „lediglicli axiomatische 
(irUnde" (§ Ml Anm. 1) kurzweg als bare Nicliti^'keiten abtut. 

Dass die Schwellvorso auf bastimmte Wirkungen berechnet 
anü den Nornialversen bewust ent^^^ireiiL'eset'zt sind, bezweifle 
ich auch niclit. Aber das Kunstmittel, das dazu dient, ist ver* 
toderte Taktfullung, nicht veränderte Taktzabl. Nur bei dieser 
Annahme wird es verständlicb, dass die gesch wollten Langzaton 
oft ganz isoliert stehn; dass mitunter nur ein einzelner Kurzvers 
geeehwelit ist» und dass ttberhanpt die Grenze eine flOasige ist 
Anf den ae» Andreas, ein Gedicht von 1720 Langz^len, rechnet 
Sievers OVt geschwellte Langzeile (Beitr. 12, 45&): zweimal 
folgen sich zwei SchweUverse nnmittelbar; die Qbrigen -5Vt stehen 
vereinzelt In nngeschwellter Nachbarschaft. Ist es denn glanb> 
lieh, dass ein formenbeherschender Dichter in derartig spotadischer 
Weise Verse von abwuchender Taktzahl eingestreut habö? 
wogegen sich die Annahme sporadisch gesteigerter YersfUUung 
durch mancherlei Analogien stutzen IttssL 

Wenn aber Sievers mit seiner Rhythmisiemng der Schwell* 
vcrse ^ 181 ff. die KUift zwischen Scliwellvers nnd NormalverB 
noch tiek 1 aufreil'st — fllr den erstem vei lau^^t er „gleichmäfsigen 
RIiythmuÄ'', wirkliche metiisclie Form — , so scheint er mir die 
liinio des Wahrscheinlichen oder auch nur Denkbaren immer weiter 
hinter sich zu lassen. 

Mit den we.stg-ermanischen Schweliversen stimmen die Voll- 
zcilen dos Lj(')daliat(r in dem principiellen Punkte überein: 
auch da, wo man iln-en s])rachHchon Bau dreiteiüg nennen kann, 
vermag .sich ausnahmslos, den altgermanisehen Satztonregel n zu- 
folge, das eine Glied einem Nachbar unterzuordnen. Zweigipflige 
Ühythmisiening ist, soweit wir die Abstufungen des Nachdrucks 
kennen, aberall möglich. 




Taktaahl im I4ödahittr. 



Es ist mir keine \ olUeile eiinneriich, die ilirem sprach liciieu 
Bestände nach drei so dcutlicli coordinieiie Glieder hätte, wie die 
oben (S. 104) erwähnten Verse aus der Vplnsptl und der Rigspiila, 
denen ja (rl^i^hwol die zweitaktige Messung zukommt, (lieber 
den Vers Skiru. 36» vgl. Acta Germ. I 132.) 

Der Sicherheit, womit Sievers die drei Haupthebongen ohne 
allen Zweifel hinstellt, stehn keiiiB beweiskiäftigen Argumente zur 
Seite. Wul aber bietet uns der spracMehe Bau der Lgiktali&ttr- 
Volizeile ein objectives Argument gegen die dreitaktige Messung. 

Bei der grofsen Freiheit, die die Fttllong der Vollzeile ge- 
niefot, unterliegt dodi ihre Gadenz einer einsehrlnkendeii Be* 
Stimmung. Diese ist von Bngge, ihrer sprachlichen Seite nach, 
beobachtet worden; ich habe sie Acta G«rm. I 185 fL metrisch 
zn formulieren gesacht 

SieTors fügt Agerm. Motr. § ß7, 4 dio Note bei «Housler übenticht im 
Eifor dor Polemik gegen Buggo, da^^i er in letzter Instanz doch nur dessen 
aiBpranglicbe Regel widerfaoratoUt, von der erst Beitr. 6, 354 .ff. abgewichen 
wer*. SieviafB irrt sieh. EretUch bAt dch metne „Polenik** gegen Bngge 
demof besdiränkt, das« ich seine Regel nunmotrieoh^ nannte (S. 140), was 
man Terollnfltiger Weise nicht lüugiicn kann. Sudann aber ist es niclit wubr, 
dass dio von mir S. 139 formulierte Regel, .,d>-'r Versau sg'aiiL' ist entweder 
stumpf oder voll, nicht k]inf,'-PTnr\ die Bugg-oschc Uc^fcl (abf,'Lidruckt Beitr. 
G, 853 f.), sei e» in erster oder letzter Instanz, „doch nur widerherütelle*'. Die 
beiden Kegeln sind ihrer ganimi Achtung nach reiaehieden; auch Siere» 
wird die« wel, bei neehmallger yergleichimg, dasehra. U. a. Ternteht Bogge 
unter soinom „sidstc bovedtone" den letzten Worthauptton, nicht den le taten 
aCabenden letna des Veraes; deshalb fallen die metriacb identiaeben 

Off6g. 8 s falla at fjorlotum 
11g meira en tnenn viti 
unter zw i \ er sch i e d oii e Kategorien seiner Regel: im ersten Falle ruht 
der „letzte Haupttuu uui dor drittletzten Silbe, im auduro Falle auf dor 
sweitleüten Silbe; und aoa denuelbon Grande kann man «war wol einen 
Vors wie 

Skim. 81a < öfatnerdtt, 
nicht aber einen Vers wie 

Grini. 7 g unnir yfir glymja 
mit der Buggcsoheu Regel Yoroiuigen: denn in dem letztem liegt der „sidste 
hovedtono'' auf dor vorletsten ^Ibe (glym-), und l&r diese wlie spfaeh* 
liehe Kttrae «u ferdom. Da nun Sievers diesen nXnnlichen Vers gelten llsst» 



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110 



Kftpitdt in. 



baf T si«h nicht nn »ii»' Furinulieriing Huggeg gebuudüD; wie er trotzdom 
diuu k^m. tlif ohoti litiortc Note drucken xii lojincn, l>odöjl'to einer ErkUlrang^. 

Irreführend iitt auch die fulgondo Uoiuerkung dosselben Abschiiitteä 
§ 57, 4 : .Dagogon bt der Ausgang ^ so vAUn bolflfpt, diM er trete dam 
Widenpnioh von HeuslerS. 48 ebenso Bedenken erregt, wie der Awg9mgj_yc* 
leb hatte die Soltonhoit de:* Ausganges ' J|_ inf S. 147 f. auvdrUcklidl be- 
tont und die füllt Fällu citicrt' Stoverü hütto nur dio Ungonauigkoit rUgeo 
kOnnon, dio darin lag, das« ich auf der von ihm citiortcn Seite sagte, dio 
bctrotfcndtm Vcrjto «eion „nach Bugges Kugel ' tadellos, anstatt „nach Sie?en 
Ilcgol". 

Sehn wir vorerst von der metrischen Doutunjjr dieser Cadenz- 
re^rel ab und pebcn wir nur die sprachlicli feststellbaren Tat- 
sachen wider. Wenn wir als Ausgang der Vollzeile den Teil 
hint^'r dem letzten Keimstabe bezeichoen, so üuden wir den Aua- 
gang in folgenden Gestalten: 

Uiv. 18 e sä er vitandi er \ tfits 



Grim. 2 • Qewrßdar «onr | Quirn Imü, 

Die zwei letzten dieser Ausgangstypen, mit spraclilich langer 
Paenultima, sind am seltensten vertreten: zosaramcn 28 Fälle 
(Acta (jürm. I 137 f.). Doch dürfen diese Verse als g^esichert 
gelten und werden auch von Sievers § 57, 4 imd m der Auf- 
zählung S. 85 ff. anerkannt. 

Dagegen findet sich der Ausgang wie . • . | landi, 
. . . I fn^7inum, also lange Stabsilbe -|- schwaclitonige Silbe, in 
den altern Tjjödahattrgedichten man kann wol sagen in keinem 
einzigen siciiern Falle. Und doch ist dieser Schlnss, lang 
unbetont, in dem epist in ii Versmafse wol der hänfi^/'^to von allen. 

Diese Erscheinung liisst sich bei der Annahme der zwei 
yienriertelstakte unter dieser einfachen Regel zusammenfassen: 
der Ausgang ist stumpf oder voll, niolit klingend. 

Stumpf sind die Schlosse in den zwei zuerst aufgeftUirteo 



15 • ok vlgdjarft 



I Vera 

I Pess vin, sehr selten] 
I atnum Btoi 
I mantir gwmn 



[48 • pem ok 
85 t ey % 



47« ma^ tr 
lOftt d/rykk ins 
Sit ffestr ai 



I wßdar 
I gest hSünn 




V 




IHiktnhl im I<)Mah&ttr. 



lU 



Versen: ] int';, | vera. Vollen Scliliiss haben wir in den 
weitem Beispielen. Der klingende Schlussi der gemieden wird, 
wSre I landi, | mpnnum. 

Eine letzte Erklärung wird ja durch die eben erwälinto 
Regel nicht geboten. Es bliebe immer noch die Frage: weshalb 
ist es gerade die klingende Cadenz, die man aus der Yollzeile 
verbannte? Aber so weit vermtigen unsre metriselien Deutungen 
aberhaupt sehr selten vorzudringen. WiU man die ungezwungene 
Verknüpfung manig&elier EincEelersclieinungen unter einem eln- 
beltliehen Gesichtspunkte eine Erklärung nennen, so kann die 
obige Regel, wie leb glaube, wol als Erklärung der Yollzeilen- 
cadenz bezeichnet werden. 

Notwendige Voraussetzung der Regel ist, dass der Ausgang 
des Verses, d. h. das was dem letzten Reimstabe fol^^t, als ein 
Takt (von der Form | x x x x I ) aufgofasst werde. Und 
damit ist widerum solidarisch verbunden, dass man der gesammten 
Yollzeile zwei Takte, also das Grundmafe 

. . Ixxxxlxxxxl 

ziiüikuüüe. 

Da Sievers der ^^rofsen Masse der Vollzeilen drei V*-''^^'^ !'« 
zuteilt, zerfällt fUr Ilm das, was uns den vollen Schlusstakt biklot, 
in zwei Takte. Sievers rhythmisiert die oben angeführten 
Yerso so: 

f I Üfium I städ 
m&dr er j nuimiz \ gdman 
drykk ins ( dpra \ mjädar. 
So weit hat es ansclieinend kein Bodenken; denn die so ent- 
stehenden Schlüsse I sfad, | gmnan, | mjadur entsprechen dem Aus- 
gang der beiden ersten ßeispiolsveröe j vits^ \ vera und können 

wie diese als | ^ p oder | ^ h rhythmisiert werden (= stumpfe 
Cadenz); Agerm. Metr. § 194 ff. Nun aber wu-d in den beiden 
letzten Versen der obigen Reihe der volle Solüusstakt gMchfails 
in zwei Takte geteilt: 

, , , I gest I hmdinn 

. . . I Oötna I landi. 
Die notwendige Folge davon ist, dass der schließende V«'^^ 



die Füllung lang + unlK'tout erhält, fine Fällung, dio niwh aller 
Analogie, nach den von bicvers selbst in § 1^4 vertretenen Gnmü- 
afttzen nor diese rhytlimische Gestalt bekommeD kann: 

I oder I rr* 

Es ist klar, dass dies mit der statistisch nachgewiesenen 
Beschränkung der CadiMj/. uuvinMiilKir ist. Es bleibt durchaus 
rätselhaft, d'di>6 dur Ausgang _ ^ Uaun. wenn er nicht den 
letzten Reimstab trügt, in 28 Fällen zugelassen ist, dass aber der 
selbe Ausgang w als Träger des K^iiiistabes cunsecjuent ge- 
miodoa wird; denn nach Sievers niüste in dem einen wie indem 
andern Falle der Schlosstakt den Rhythmus 

irr 

erhalten. 

Es bleibe nioht aaenrJIhnt, dass sieh Sievers flir die FftUe, 
wo ein dreiaUbigea Wort des Baues l w den Vers eehlieftt, 
nach einer Erklirung umsieht (§ 194, 2. 195, 8). Er sagt,, hier 
sei der Aoagang lang -f anbetont gestattet, weil „in diesem 
Falle die Dauer der Mittelsilbe dorch die vorhergehende Hebung 
so weit herabgedrQckt wird, daas die Mittelsilbe als quantitativ 
indifferent hier der apraeMchen Kürze gleich behandelt werden 
konnte'^. Macht man sieh dies rhythmisch gegenständlich, so 
erweist es sich als unbrauchbar. Ein Beispiel bietet der V'ers 

iSigdr. l'J s ok aJlar plninar. 
Nach § 57, 6 g verglichen mit § 194 tf. würde Sievers die beiden 
ersten Takte so gestalten: 

ok allar gl- . 
Nun stelle man sich vor, dass von der Silbe p^, nachdem sie 
einen vollen V«-Takt ausgedauert hat, noch die Wirkung avi^getie, 
die folgende spf ru liliche Lange „herabzudiilcken^*, so dass -rurtor 
nicht mehr als | ^ ^ gemessen werden könnte, sondern nur noch 
^ I f f I '^^1^ ^^"^ Verse lof ok llknstaß ! Dies 

kann nicht im Brnste discutiert werden. Und bei e|nein 
Verse wie 

Sigdr. 19 4 oft imeter m^nrüiMir 



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Taktaahl im I^jiidaluLttr. 



IIS 



konnte m&a aaf diesen Ausweg gar nicht verfallen, ebenso wenig 
wie bei den Versen 

Grim. 7 s unnir yßr glymja 
Älv. 16 s JcaJIa dvergar DvaHm leika 
VL a. (auch der Vers Häkm. 1 a at kjbsa of konunga widersetzt sicli ). 

Ich behaupte daraach, dass die Sioverssche Mcssun^^ der 
Lj6dahättr-Vollzeilo, wonach die Mehrzahl der Verse drei g^ute 
Taktteile besitzt, durch die bewusto Cadenzregel widerleg-t wird. 
Ich erblicke in dieser Cadenzre^'el einen objectiven Beweis für 
die Zweitaktigkeit der Vollzeile. Hier scheint mir einer der 
wenigen Punkte in der Lehre vom stabreimenden Versbau vor- 
zaliegeo, wo uns die Schlüsse aus der sprachlichen Structur mit 
annihenider Sicherheit über die rhythmische Form aassagen 
lassen. Mittelbar eigibt sich voo hier aus eine der Hauptstützen 
für die Zwdtaktthecnle im aUgemeinea. — Es bleibt abzuwarten, 
ob auf einem anderen Wege jene positiven Tatsachen des 
Rhythmizomenon in gleicher schlagender Einfachheit metrisch 
erklärt werden kOnnen. 

Ueber die geparten Karzverse des I^'ödahättr ist wenig 
beizufügen. Dass auch sie ein Gemisch von zweitaktigen und 
dreitaktigen Exemplaren darsteliteUt kommt kaum mehr in Frage, 
sobald man der Yolizeiie ihre geregelten zwei Takte zugesteht 
— - Bei dem gerader^ Kurzvers fasst Sievers meistens die langen 
AuftaktCi die für den Tonfall der Strophe charakteristisch sind, 
als ersten Yerstakt Dass dies nicht begrUndbar ist, whrd man 
zugeben, weil für den ganzen stabreimenden Versban der Satz 
gilt: stablose Versemgaiijge braachen, ihrem natttriichen Ton- 
gewichte nach, keine Hebung zu erhalten. 

Die Allitteration der Langzeile soll nach § 58, 4 so be- 
sobafien sein,- dass -der Hauptstab in dreihebigen Versen auf die 
zweite Hebung üsdle, „sodass also das Hauptgewicht des Verses 
in die Mitte der Halbzeile verlegt wird'*. Indes trifft dies 
schön bei den wenigen Beispielen in § 197 f. nicht hnmer zu: 
man sehe z. B. 

H&v. 105 Günnl^^d \ mir um \ gäf \ 
gäUnum | \ d 

Heutier, Qenii. Venbmn. 8 



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114 



Kapital III. 



(ferner Lok. 3. 27): hier stabt ein dreitaktiger Vers nur mit dorn 
ersten guten Taktteile. Man darf bezweifeln, ob dies mit dem 
Princip des germanischen Ötiibri'ims voi-träfrlich sei. 

Ferner beachte man, dafiü die dreitaktige Messung der ge- 
raden Kurzzeile nicht ganz selten zwei consonautische llclnistäbe 
verschafft ; in den von Sievere a. a. O. behandelten Versen linden 
sicli diese Fälle: 

H4v. 10 hyrdi \ betri \ 

bhrat tnadr \ bräutu \ &t 
Lok. 57 pigi pu, \ vcettr, f 

fH^ ikal nrnm \ Pr^d- | hdmarr 

Vgl. noch 

Häv. 104 m^rgcm Moni 

nUlUtak l mlnn fröma; 
Vaf. 8 u. ö. fjfld €k för, 

fj^ de frMada 

u. a. m. 

Wenn Sievers hier nicht etwa an eine beabsichtigte Kunst- 
form denken will, sollten derartige Verse sein Misstrauen gegen 
die Dreihebigkeit erregen. Denn hier handelt es sich nun wirklich 
um „Doppelaltitteration an Stelle regeli'eeht einfacher Allitteration^ 
— im Gegensatz zu dem oben S. 94 besprochenen Falle. Bei 
zwei taktiger Messuug dieser Verse wird ^er Uebelstand vei*- 
mieden (vergl. Acta Germ. I 127 f.). Die Fttlle von nicht zu 
umgehendem zwiBfachem consonantischem Heimstabe — z. B. 
Skirn. 23« mjbvaUf mdlfän — sind so selten, dass d^ Ljüda- 
hattr in diesem Punkte gewiss nicht grundsätzlich andere zu be- 
urteilen ist, als der epische Vers. 

In welche Verlegenheiten man durch die droitaktige Scansion 
gebracht wird, tritt einem bei den Rhythmen in § 196 ff. auf 
Schritt und Tritt entgegen. Ich will nur folgende drai Punkte 
erwähnen. 

Die S. 284 unten vorgeschhigene Messung 

kaUa II hverfända | hklju \ i 
enthält nicht sowol eine „Schwierigkeit w egen der AUitteration", 
als euie Unmöglichkeit w^en des Satztones: heljn % bildet eine 



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115 



syntaktische Gruppe, deren ci-stes Glied, das Nomen helju, sich 
dem zweiten nicht unterordnen kann DasB sieh eine» derartige 
Scanslon mit den mafslosen Anschuldigungen von § 56, 2 in einem 
Buche zasammen finden kann, ist auffallend. — Vollkommen ge- 
rechte wird dem Satztone die zweitaktige Messung 

kaUa II Jtv6rfanda hi^i \ h^u ^; 
denn hmfanda hvil bildet eine syntaktische Gruppe, worin sich 
bekanntlich das zweite GUed dem ersten unterordnen darf. 
Auf S. 885 begegnen wir folgenden Messungen: 

ck Ii 8ig- 1 ja it \ sdma = j» | ® 1 T T I f f 

ok\\ sö- \ Idr \ = p II o j o I p 

um II ^g-{ nask j ^li = p || <=> | o | • p 

Hier ruht also der zwdte der drei Haupticten auf den 
sprachlich sehwacbtonigen Endsilben {seg-)ja, (8ö-)lar^ i's^^yy-) 
msäti und die beiden letzten fallen einen ganzen Takt.. Wenn 
Sievers sagt: „im ganzen widerspricht das doch der Üblichen 
Taktfhnung", so ist die Sachlage ungenügend bezeichnet Das 
jeglicher Analogie Ermangelnde liegt darin, dass unbetonte End- 
silben, die im Pttnftypensysteme nicht einmal flir eine Nebenhebung 
tauglich wären, hier als Träger einei- Haupthebung und als 
Füllung eines {ganzen -»/^-'raktps dienen sollen. D iese Messnnfren 
schreiben doiii LjudahaUr mne ^aii/.lich andere JSprachbeliandluiij. 
zu, als dem epischen Vei*se, und nicht die gexlrängten Fdl hintuen 
der Zweitakttheoriü ! Es genügte nicht, dass Sicvcrs die ubigo 
Messung' als zweifelhaft hinstellte und die zweitaktige Scansion 
als eine weitere MögUchkeit ollen liefs. 

Zuletzt weise icii noch auf eine Erscheinung hin, die die 
Bedenken gegen die drei Takle nicht uuweseutlieh verstärken 
dürfte. Betrachten wir folsrcnde Rhytimiisierungen von iäievei'S 
(sie sind dem § 57 entnommenj: 



*) Dies wäre nur dann mOglich, wenn da» hclju dorn TonniigelieiMleii 
IctaBdüiger Byiitektiach untergeordnet wilro; coireut, ist z. B. 

8* 



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116 



Kapitel HL 



HiT. 761. 77 1 I äiyr \ sjdlfr it \ ß&m, 
Lok. 11t ok\ fU \ gfmhBÜvg \ fföä 
Yaf. 87« 1 4f2to 1 mhm \ Üfir 

F&f. Sit f \hm-^\ m Ihäfi^, 
flo sehn wir» dass stablose einsilbige T^kte ünmittelbar 
vor einem stabenden Iotas stehn (\d^.\, | | , 
I mem | , | 'leik | ). 

Dies verattfM gegen ein man kann wol sagen Amdamentales 
Gesetz der altgermanischen Yerskonst Das Gesetz beraht daimaf, 
dass eine stablose Silbe schwftclier ist, als eine stabende Silbe. 
Wir können es allgemein so formulieren: 

Eine Silbe darf nur dann einen ganzen Takt fUÜen, wenn 
sie der folgenden Hebungssilbe nicht dynamisch untergeordnet ist. 

Dieses Gesetz, das seine leicht verständliche eurhythmisohe 
Grundlage hat, spielt bekanntlich auch in der Periode des 
deutschen Beimverses eine grolhe Rolle, wird aber von den 
Dichtem alter und neuer Zeit, unter dem Zusammenwirken ve^ 
schiedener Umstünde, oft Übertreten. Die stabreiaienden Dichter 
dagegen haben sich nut großer Stienge daran gebunden, was 
ihrer Spraehbebandlung alle Ehre macht. Der Takt im Yers- 
innern muss reimen, sobald er einsilbig geflUIt ist'). Aus den 
Lj6dalidttrgedichten ist mir — die zweitaktige Messung aller 
Yerszeilen vorausgesetzt — nur ein Widerspruch bekannt: 

Häv. 60 4 piss vidavt 
ein Vers, dessen Aenderung zu ök pess vidar vielleicht auch in- 
iialtlich zu befürworten wäre, der aber jedenfalls in seiner Vor- 
eiuzelung nichts beweisen kann. Bei d r e i taktiger Messung 
dagegen entstchn nicht ganz selten jene reimlosen einsilbigeu 



*) Na<!h Sievora ist os so zu formuliernii : Beim Zusaniiuenstors zwuiur 
HobungcD, in den Typen C und D, muas diu crsto Hebung rciiuon (vgl. 
§ 19« S). — Nach den Thoorion von Hlrfc und Fuhr vlipnelt dor Subroimr«» 
von Foiuloson olnsilbtgcn Takton. Du* obig« Gesichtspunkt pht das olJoisMvo 
Critctium dagogfcn, das Fuhr § 23 vcrniisst : die Sundoruiig dor boidon Voräc 
onhdnil hmdunme uiul uus&nd Higeläce ist durcli die; Stabsotxang und dio 
damit solidamchu Gcwiuhtüverteilung sehr wol mutiviort. 



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Taktsabl im LjddahAttr. 



117 



Takte naeh Art der obigen Beispiele. Die Annalime, dass in 
einem derartigen Pankte' der LJädah&ttr andern Gesetzen folge, 
als der epische Vets, w&re immerldn ein hoher Kaufpreis für 
die Theorie der drei Takte^). 

, Doreli das bisher Ausgefülirte glanbe ich meine frühere 
'Aqsiclit gestatzt zu liaben: 

Der ijddah&ttr steht nicht anter dem Princip der freien 
Taictzahl. Der einzige Baustein seiner Strophen ist der gemein- 
germanische Zwdtakter. 

Da man auch für den wcstgcrmanlsciien Schwellvers die 
DrdZalfl ' der Hebungen nidit wahrsehdnlieh machen kann, sind 
wir berechtigt — sow^ ans das lltterarisohe Matedäl Schlösse 
erlaubt — , sowol die freie Taktzahl der Verse wie auch die 
Existenz dreitakti^er bezw. dreihebiger Zeilen der altgei'manischen 
Stabreiiiip(>osio abzusprechen. 

Darnach ist es sehr wahrscheinlich, dass der im spätem 
Strophenbau aller germanischen Stänimo auftauchende Vers von 
sechs Zwei viertelstakten nicht auf einen stabreimenden 
Vorfahr zurllck«,; lie, sondern als Nouschöpfung zu gelten lial)e: 
als eine Verscinindzung der viei'taktigen Knrzzeile mit dem zwei- 
taktipen Versikel, der in Volksliedern als refrainartiges vStroplien- 
glied beliebt ist und sich vermutlich in dieser Function vou dorn 
viertaktigen (irundverso abgespalten hat^). 

Die Strophe dos ^ödahattr ist concinner als die des Forn- 
yrdislag. Sie ist durch stilrkei*e Klammern als Einheit fest- 
gehalten. Dazu trägt schon der Stabreim bei mit seiner Con- 
trastieruhg der unpari^eh VoUzeile gegen die geparten Verse. 



0 Der ervKhnte Oestcbtspunkt gibt in einigen Fftllen iwotfelhafterScanmon 
die Bntocheidaii|r. ist z. B. xa loten: Hdv. 12t ^ «cü if^'^ 51 4 ^ 

pTi alöknar; 138 ^ ü ßeim mÜdi't Kl 4 oft ßann häl; Vaf. 37 4 dfhan» v»ngjum\ 
iSkirr;. H4 ök J)at svh-ä u. s. f. Darnach ist auch nioino Messung von Sigdr. 3| 
V^ . in A( ta CJoriii. I 128 und 157 zu boricbtigen: hüü ddgr, hälir dägs 
synir ; — hveims Pm- knä ttviUar, 

■ ") Für das Verschmelzen des Zweitaktors mit dorn Viertaktor ist be- 
»cbteuBwert die 'Wme I^etnii» m AUt MF. 88 1. 




118 



Kapitel III. 



Derselben Wirkung dient aber aufserdeiii 1) dass die Cadonzen 
der drei Halbstropbengiiedcr zwar nicht geradezu plaiiiuafsig 
diffemuziert sind, aber doch zu einer vorscliiedenen Behandlung 
neigen; 2) dass dio Kt'j)arton Kurzvorsc leichtere Füllung der 
beiden Takte, die Vullzeile a-hwerere i^'lUlung bevorzu^^t ; 3) dass 
sich dei* gerado Kurzvers gewöhnlich durcli seinen Auftakt von 
dem un^^erailen inorklich abhebt; 4) dass die erste llalbstroplie 
viel soiteuer als die zweite mit Auftakt beginnt. 

Eine nietrisclie Form, deren strophisches (lefüge so manig- 
fach gestatzt ist, kann m. E. uninuglich der ungebundenen Takt- 
zahl hnldigen. Durch den Wechsel im Umfang der Verse wüide 
die Abrundung und .Symmetrie, worauf jene Mittel hinarbeiten, 
spurlos beseitigt — in ganz andrer Weise als durch das Ein- 
mengen der zeilenreicheren Strophen Varianten. »Straffer Periodea- 
bau und ungebundene Taktzahl schliefsen sich aus. 

Sievers denkt sich seine Ljödahattr-Rhythmen gesungen. Aber 
sollen wir uns voi-stellen, dass dreigliedi ige Halbstrophen, deren 
Taktzahl nach § 198 folgend ermafsen wechseln konnte: 2 -|- 2 -|- 2 
(V4-) Takte, 2 + 2 + 4 Takte, 2 + 4 + 4 Takte, 3 + 3 + 4 
Takte, 4 4 + 4 Takte — dass alle diese Formen auf eine, 
der Wandlung fallige Melodie gesungen wiuxien? Oder waren 
die Ljödahättrüeder dui elicomponiert? 

Aber dieses musikalische Bedenken will ich von meiner Seite 
nicht betonen, da ich von dem LJödah&ttr als „Gesangsmetrum^ 
nicht aberzeiagt bin. Ueber diese Frage ziun Sehluss noeh ein 
par Worte! 

Dem Namen Ijödähdttr mochte idi keinen SchloBs, weder 
fllr noch gegen die Sangbarkeit, entnehmen. Setzen wir einmal ' 
voraus, dass der Käme alten Uraprunges sei und dass zur Zeit 
seines Aufkommens das Wort Ijöd die gesungenen Strophen 
in Gegensatz znr gesprochenen Dichtung gestellt liabe, so 
konnten ja doch die Dichter, die sieh des Ma&es bodienten, 
Ittngst zum Sprechvortrage Qbergegaogen sein nnd gleichwol den 
alten Kamra bis ins 14. Jahi^undert vererbt haben; denn in 
litterartschor Zeit hatte Ijöd nicht mehr die ansschliersliche 
Beziehung auf den Gesang, wie Sievers S. 22 hervorhebt. 



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Taktasabl im LjödahAttr. 



119 



Ich glaabe, dass IjodaJtdHr „Versmafs der ZauberspiUohe'^ 
bedeatet, also ziemlieh dasselbe wie gaidralag. Man denke an 
das Wort (Plar.) mit dem Sinne „Zanberspruch'' — um nur 
die eddtschen Stellen zu erwllbnen — in den lUvam&l 146 1 Ijäd 
ek pan karm . . . , 16!24. 168« ^ fu^gtr Ijdfy Icktm, wobei 
an die achtzehn Zauberformeln gedacht ist, die nicht nach ihrem 
Inlialt, aber gleichsam nach ihrer Uoberachrift Str. 146—168 auf- 
gezählt werden und wofttr 149 4. 152«. 156«. 160 ffola und 
galdr, 157 4 daa dazu gehörige rista ok i rünum fu gebraucht 
wird; vor allem aber »Sigdr. 5 fiUlr er kann (hjorr) Ijöäa ok 
liknatafa, (/Odra gdJtdm ok gamamivm^ worauf dann die Reihe 
der — widej'um nur angcdontctcn — Zauborsprilcho folgt in 
iln-em V'ersmafs, dorn l^üdaliiittr. [Vgl. jotzl liiezu Schröder, 
Zs. f. d. Altert. 37, 258. 2Ü3 l.J 

Obvvül in diesLiu Metrum aufser den Zaubersprüchen noch 
sehr vieles Andre gedichtet wuixle, kommt ilini doch sein Name 
mit unglpich grölserm Hechte zu, als der Xaine rnülahiUir dem 
im llattiitiil 95 so bezeicbnoten fStiophennial'se. MdlaJiattr 
konnte von y^cchts wegen, wie mir .scheint, nur den Sinn haben 
„X'ersniiils dor Spiiichreden, Spruchweise" und wäre, nach all 
den eddischon möl zu schlieisen, ciiv^ g-ceij^aieto, ergänzende P>c- 
nonnun^'^ der Strophenait, die wir unter /jödaJiuttr voi-stelm^): 
die lohrhaften vipl des Hohen, des Cxriranir, VafJ)rüdnii', Alviss, 
der Sigrdrifa, des Fjplsvidr, die zauberwirkenden m^l des Öklrnir, 
die sclioltenden m^I des Pafnir u. s. f. nehmen den Namen wuiia- 
JuUtr f(h das gnomische Versmafs in Anspruch (vgl. die authen- 
tischen Bezeichnungen -})uU bei Möbius, Hättatal II 132). Die 
Ueberschriften bezw. Nachworte der Atlamal und Hamdismal im 
Codex Regius kOnnen dagegen nicht aufkommen: diese (iedichte 
mOfisen wol durch irgend ein Missverstttndniss den Titel 
bekommen haben. Die Ueberschrift von Hättatal 95 wii^ man eher 
mit den Bjarkamäl und Hjüconanmil als mit diesen b^den eddischen 
Gedichten in Zusammenhang bringen. 



<) [rgl. VigittsMn CPB. I 1. 439] 




120 



KaiMtel III. 



Iiozo»( sich (irr Niuiie Ijudahättr von Hause aus auf Zauber- 
luHler, 80 IQU88 Uicti»! StrophenmaDs allerdings auch goroiiipeDer 
DichtunfT ^^odioiit hnbcii. Aber fttr nm kommt doch nor die 
Pi-a^o in Hotrachi, ob die uns e r Ii a ] t e n e n Gedickte. Vlieses 
Maises sangbar seien. Mir ist das nickt glaublich. 

Einmal haben Inhalt und Stil der I^ödah^ttretOeke das 
entschiedene (teprüge unsangbarer Dichtung. MytholopBche Be- 
lehrung von der Art der Van^rddnism&l, Grimnis-, Alviss- und 
Fjplsvinnsmil ist gewiss zu keiner Zeit gesungen worden. Einzehio 
der Spruche, die in die HäVaniäl, Skimismil, FAfbismil» Sigrdrifa- 
mäl aufgenommen sind, mögen als gesungene Formeln gelebt 
haben; aber die zusammenhangend ausgearbeiteten Gedichte, die 
sich zu den EmzelsprQchen etwa so verhalten, wie die EpopOe 
zur Ballade, die wurden doch sicherlich sprechend vorgetragen. 

Sodann weist auch die metrische Behandlung, die Vers- 
fnllung, eher auf nnsangbare Poesie hin. Die Cadenz- 
rcgel der Vollzeilo allerdings wird wol in dem Kreise der 
pesunj^enen Ljödahättispiücho entstanden sein und sich 
auf die gesprochenen Gedichte traditiunell furtgepfiaiizt hal>en. 
Dagegen niüchte ich als Entwicklungen der unmusikalihclien, 
recitierenden Technik betrachten 1) die grofse Silbenzahl der 
Anfiakl*', 2) die aufseroidentUche Freiheit in der Silbensumme 
der Verse. Zwei Strophen wie ( irminisiiiäl 21 und 23, die eine 
mit so leichter, silbenarmor, die midic mit so gediangter Füllung 
aller sechs Zeilen, könnten ja zur Not auf eine Melodie go- 
sungen werden — die dllnischen und fürOisclien Volkslieder zeigen, 
dass in dieser Richtung ziemlich viel möglich ist; aber wahr- 
scheinlicher ist es doch, dass diese starken Ungleichheiten in der 
vom Gesänge gelösten Versübung zum Durchbruch gekommen 
sind. Wenn im epischen Versbau die Freiheit der sprachlichen 
Fallung in weit hölierm Malse beschränkt ist (vgl. o. S. 79), 
so darf man dies darauf zurückfahren, dass die epische Dichtung 
viel länger als eine ausschliefslich gesungene verharrte. Darauf 
führt ja auch das mutmaMclie Bild der altgermanischen, vor- 
litterarischen Poesie: in die Region d^ Spruchdiditung im 
weitesten ^nne wird sich seit Urzeiten das Sprechen mit dem 





TiktMia im I<fiMtili&ttr. 



121 



SingBn geteilt haben; epische Poesie kann bei den Germanen vor 
der Stamraestrennaog Schweich in andrer Form, als in sang« 
baren Balladen helmisch gewesen sein. Und so ist es verstSod« 
Uch, dass die metrische Technik der Lokasenna nnd der H&vamAl 
vom Gesänge weiter abliegt, als die der |>iym8kvida oder der 
Vpliispä. 





Kapitel IV, 



Zur Vorgeschichte des germanischen Verses. 

Die Fniffen nach Uom Uimotraiii der tndogermanen und nach 
der Entwicklung unseres Stabreimverses zu lösen, kann ich mich 
nicht unterfangen, da ich zu einer selbständigen Darehforscbong 
der ältesten aufecrgermanischen Verslitterataren nicht im Stande 
bin. Auf den folgenden Seiten mochte icli nur die Aufmerksam- 
keit auf zwei Punkte hinlenken, die ich in den bisherigen prft- 
histonsehen Hypothesen vemachUls^ finde: 1) es ist nicht 
bereclitigt, dem Urverse gebundene Silbenzahl zuzuschreiben; 
2) bei der Umbildung des indogermanischen zum germaniscben 
Mafse muss der Stabreim eine wesentliche Rolle gaspielt haben. 

Wie kam mau dazu, dem Urverse geixigelte Silbenzalil, acht 
»Silben, zuzuteilen? 

Das Verhalten der verschiedenen Litteraturen ist folgendem; 

Bei den (Jrif^chon finden ^\h■ weclisoliKlü vSiibenzahl im 
liexametei-j nocii luflii- aber in den volkstüinliolien, z. T. insclirift- 
lichen VicrtaktcrsprUchen, die Usoner, Agrifcli. Versbau vS. 7H ff., 
als altertnmücliste Denkmale hellenischei- \'erste( linik betrachtet. 
Die Silbeusuiniiie des Viertaktei's bewegt sich etwa zui^ehen 
fünf und elf Silben; und zwar haben alle Versiegionen an dieser 
Freiheit Anteil: der Auftakt besitzt 0, 1 oder 2 Silben; die 
Takte im Versinnern sind ein- bis dreisilbig gefüllt; der Schluss- 
takt ist pausiert, oder mit einer oder mit zwei Silben marldert^). 



^) Zu Usencr S. 84 mHcbte ich tiiir die Frage erlangen, oh rmht in 
ThrofTTriH S^'hwalbenliode auch die Partie V, 10 hig zn Ende in aubttaktige 
Doppel verse, statt in jambische Trimeter /.u j^liodorn ^ci: 

el {tev tt Scöas;; S. L — L u. s. f. Es müsto dann nur in 





Zur VoifreKchichte dos germiiniachen VetBes. I2d 

Der Satnrnier zeigt Vhiiliclie Verbftltnisse; docb ist die 
Spannweite der Silbenzahl im ganzen wie im einzelnen eine 
geringere (Sunune etwa 5—9 Silben); insbesondre ist die Gadenz 
in der Weise beecbränkty dass der vierte Verstalct stets eine 
Silbe enthält, — doch hängt alles einzelne davon ab, ob man 
die Satamier qiiantitierend oder aeeentuierend messen soll, ^vas 
ich nicht zu entscheiden vermag. 

Die Germanen zeigen uns in ihrem ältesten Versbau sehr 
wdte Grenzen der Silbenzalü. Es ist wol kein Zweifel : ent^ 
würfe man nnr im Hinblick auf den Beowulf, den Heliand und 
die Edda einen nigeiTnanischen Vers, so stünde er an Gegen- 
sätzen der Silbenzahl den erwähnten, . griechisclion Versen noch 
voraus. 

Dem gegenüber haben wir im vedischen und im alter- 
tttmlichsten avestisehen Versbau das Piindp dffl* constanton 
Silbensumme. Der Vers, der als Naclikomme einer urindo- 
germanischen Form in erster Unie in Betracht kumint, setzt dch 
aus acht Silben zusammen. 

Inder und Tränier bilden im Versbau nicht minder deutlich 
als in den (Ibri^^en Beziehungen eine engere A^ölkerf^riippo (vgl. 
Oldcnber^S Hymnen des Higveda 1 7). Dem geinein-ari.sclieu 
Versbau imiss man das Priacip der gebundenen Silbenzalü zu- 
erkennen. Die indo-Iranier treten als eine Stimme dem Zcugniss 
der Grieclicn, der Ttalier, der (»ermaneu entgegen. 

Der von Oldonbcig ai.a.(). 35 bcspiDolicnö vodiscbo Päda von siobun 
Silben wbd vnA mit dem acbtsUbig«ii auf eine Vevsart; »uraekgehen. 
Vielleicbt lit^ darin ein Zeagnin für die einstige frdiere Silbenzahl. Doch 
mOate sich dor si< lii'iisi]l)i<.Mi Vers, der im Avesta nicht vorzukommen scheint, 
schon in der ^cmoin-ariscbon Zeit von dem achtt»iibigen als besondere Vorsart 
abgespalten hahon. 

Der nltirisciio ^'( ishau ist bisher meines Wi^äons nicht uls Zougn 
für die g«jbundeno Silbcnvuilil des Urvcrscs in die Schranken geführt worden. 



Z. 14 «V ^ 'f epiQc; t», |i2-(a ^rj tt xai tpepotc = 1 ± J. ^ 

\^ \^ — \j J- SU 1. gelesen werden. Sonst fügt sich der Text ebne 
Scbwieiigkeit; und es verdient gewiss den Vortugi wenn der Zusammenhang 
der gut Tolkstümlichon Rhythmen niehl durch dio'firomdartigen und unbelebten 
Trimetor unterbrochen wird. 



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124 



Kapitel IV. 



Dio meistgobraacbten air. Vorso enthalten sieben Silben und scheinen zu- 
nächst auf cinm achtüilbigen Viertakter zurilckzu führen. Es kommt darauf 
an, ob diosiür Achtsilbonvors eine intpfn koltischp Entwicklunp oder eine 
Nachbildung lateinischer rhythtai i^c. Zimmer, Kult. Studien 2, 162. 185 f., 
gibl Iroine Entsdieldung. Thnrnejrsen begründet die Anakiht,, &m die 
gttainto flilbeuahlende iriadie Poesie auf lateiirischem Muster bernlie und 
dass die Roste ,der alten, rhythmbchen Poesie der Urzeit" bei den Iren 
aufserhalb der silbr iiziUilemicn Dichtung zu sucben seien (Revue Coltiquo G, 
336 ff., bes. 34Ö f.). Trifft dies zu, su träte ck-r koltischo Stamm sAa nicbt- 
silbcnzählend den drei andern europäischen versiiarkeiid an die Seite. — Dass 
ttbrigonü auch ein Vors mit constanten acht Silben nicht ohne weiteres als 
Bitotttck aus der Unelt m gelten Imuche, zeigen uns die latetaiachMi 
rbfthmi, Toiglichen mit ilinm altitaliiwhen silbepfireien Vragingern. 

Woiiii die bislierigen PTypothesen eiuoü Stimmo der Arier 
den Entscheid Uber das Aussehen des Urvei-ses ftberliefsen, so mag 
dabei das Ansehn unbedingter Altertümliehkeit, dessen sicli arische 
Sprache und Cultur erfreuten, nicht oline Wirkung gewesen sein. 
Finden wir doch bei Sievers, A^a^rm. Metr. § 144 ff., eine specielle 
Versart desRigvoda. mit allen ihren Kinzelretreluni^en, als Vorfahr des 
germanischen Verses, somit als uriudogermanisches Metrum behandelt. 

Allein aufser dieser allgemeinen Stimmung- zu Gunsten der 
Indoiranier bewirkte ein einzelner Umstand, eine Erwägung vers- 
theoretischor Art, dass man die feste Öilbenzahl der arischen 
Verse schon dem indogermanischen Stammvater zuteilte. 

Regehmg der Silbenzahl erschien als das ursprünglichste 
Versprincip. Die beiden andern Versprinciplen, das accentuieraide 
und das qnantitiercnde, galten als höhere Enti^cklungsstufen — 
etwa wie der agglutinierende und der flectiereode Sprachbau neben 
dem einsilbigen. Dies schob die Ver^ der europäischen Völker 
von vornherein in den Hintergrund, wo es gait^ den ältesten» 
urwüchsigsten ^'orsbau zu reconstruieren. , . .V/ 

Diese Auffassnng ist erklärlich und in sich consequent, so- 
bald man mit Geldner, Usener') u;.>A. von der Ansicht aus- 
gieng, Silben^lung an sieh sei ein metrisches Princlp; es gel)« 
Gedichte, deren Yersnatur nicht auf geordnetem Rhyithmtis, jBcm- 



Geldner, üeber die Metrik des jüngeren Avesta (1877); üaener »«^O. 
bef. S. 67 f. (T^i. aber ebenda S, &&. 56 Note 8), , 



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Zur Vcfgeiwbkhte doa geimftiilücbeii Venea. 



125 



dern auf abgezählten Silben bmilie. — Teil halte diese Ansicht 
für innerlich unmöglich und will mich hier nicht dabei aufhalten. 

Schwel* verstttndlieh ist es dagegen, dass Westphal, Allen*) 
u: A., die der genannten' Auffassnng ansdracklicli widersprachen, 
dennoch die fixierte Silbenzahl, als eine Iiolie AltertQmHehkeit, 
für den i^. Ven; in Anspruch nahmen. Diese Ansicht hat 
Richard Ktthnau, der die principielle Anschauung Westphals 
und Allens teilty zu begründen versoclit in seiner Trishtubh- 
Jagati-Familie (Gottingen 1885) S. 13: „Ausgangspunkt der 
Entwicklung muss die sUbenzäblende Poesie sein. Wir können 
uns keine rohere Form der Metrik denken, als die in ilir vor> 
liegende. Sie muss daher auch die Poesie des Urvolkes gewesen 
seüoi'*. „Silbenztthlend'' ist hier durdiaus in dem Sinne verstanden, 
dato neben der geregelten Zahl von Silben eine bestimmte Reihe 
von Takten, ein metrisches Grundmafs vorhanden sei. In einem 
Anhang, S. 215 ff., sucht Kllhnau den deductiven Beweis zu 
fuhren, dass ein aus Zweiviortelstakten bestehendes Grundmafs auf 
pninitivstor Stufü des Versbaues notwendig jeden Takt mit zwei 
Silben gefallt habe: eine Silbe fllr die Hebungsmora, eine Silbe 
für die Senkunpsmora. Darnach wäre nicht nur die Silben- 
summe des ältesten Verses, sondern auch die Verteilung dieser 
Summe auf lUe einzelnen Vcrsglieder gebunden und unveränderlich 
gewesen. Für den Viei tuktei- hätte es nur diese beiden Mög- 
lichkeiten der spraciilicheu Füllung gegeben: 

■ xl xxlxxlxxl X l^sSUbeo. 

Ixxlxxlxxivx) 

Diese beiden Fülluni/stypen werden denn auch von Möller, Z. 
ahd. AlÜtt.-poesie S. 110, als die einzig möglichen vorausgesetzt; 
Sievers, Agerm. Metr. S. 180, statuiert nur die erste der 
beiden Formen. 

Diese gleichmäfsig zweisilbige Taktfdllung kann sich nicht 
einmal auf den indoiranisclien Vers mit Sicherlieit berufen. Es 
ist zweifelhaft, ja unwahrscheinlich, dass der vedische Achtsilbler 
seinen funf ersten Silben, deran sprachliche (Quantität manigfach 

*> Westphalt Tböorio dor rnns. Kttnsto III I, 42 und Oftor^ Frod. Allen 
Kuhn« Zb. 24, 558. 



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126 



Kapitel IV. 



wechselt, den consUmten jambischen Tonfall gcf^eljen habe. Die 
Tato'lie, (hiss nur die drei Schhisssilben des N'erses ilir festes 
(^uantitäUsscliema haben, Aveist doch w ul mit Hestimmtheit darauf 
hin, da.ss nur diese drei Sclilnsssilbeii, nur die Cadenz des Päda 
iliren iixierten Rhytlimus luü, wülneiid die voraus«^ ehenden fünf 
8ill>en in wechselnden rhythmischen Fifruien auf die erste Vers- 
häifte verteilt werden — ähnlicli wie im romanischen Versbau. 
Man sehe die Darlegungen von Oldenberfr a. a. O. S. 13 If., 
die nur darin nicht überzeugen können, dass vereiüüeite dreihebige 
- Vei'se unter den vierhebijjren l>egegnen sollen. — Erwägt man 
nun, dass einerseits der spätere indisclie Vei*sban die quanti- 
tative Regelung auf alle Sill)en des Verses ausdeiint, und dass 
anderseits de)' olfenbar altertümlichere ave.stische Achtsübenvers 
eine Regelung dei- Quantitäten tlberhaupt nicht kennt, so wird 
man die Entwicklung vom manigfach wechselnden Rhytiimus 
zum streng fixieiten fttr die wahrscheinliche halten^). Der indo- 
• iranische Urvers hat seine acht Silben nicht in einer Anordnung 
auf die vier Takte veii;eilt. Mit der gegebenen Viei'zaUl der 
Takte und der gegebenen Achtzahl <ler Silben wurde eine ganze 
Reihe von rhythmischen Typen gebaut; die Manigfaltigkeit der 
Silbenverteilung, die von sprachlichen Bedingungen irgend welcher 
Art vermutlich ablüeng, wurde dabei nicht als be Wustes Kunst* 
piincip angestrebt — so wenig wie im I lans-Sachsischen Verse; 
darum gicng die kanstmäfsige Weiterbildung darauf aus, jene 
Manigfaltigkeit Schritt für Schritt einzuschränken. 

Also nur für die gebundene Silbensumme, nicht fUr die ge- 
bondene Silhenzahl der etnzelden Vers^Uedef findet die hersclionde 
Hypothese in dem Versbau der Indoiianier eine Stütze. 

Aber wie verhalt es sich nun mit der unfreien Silbensumm'e? 
Ist denn wirklich der Versbau der rolieste, der dem Dichter vor- 
sehreibt: acht Silben, nicht melir noch weniger, sollst da zu 

eüiem Verse zusammenfügen? Wenn man die angeführten 

Sfttze von KQhnau list, drängt sich der Einwand auf : der Namö 



I) Die«janibiscbe Measang des avestiscliea Verses erkllbi Mok Usener 
«. a, 0. S. 66 Note d für sehr voreilig. 



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Ükir V(H'go«chn;bto des gonuaniHcbcii Verses. 127 



„silbenziililoiul" leitet in die Irre; man denkt dabei unwillkürlich 
an etwas sehr Mcclianisclics, sehr Äufserlichcs, das wol «jceignet 
wäre, die ersten Sclnitte einnr iiciiijnborenon Verskunst zu be- 
stimmen. Und doch darf man niclit Ubei'sehn: die metrischen 
Factoron, die der nicht-silbenzählende Vei*sbau besitzt: Verse, 
Takte, Morac — die besitzt ja der silbenzilhlende Versbau auch, 
und aufserdom besitzt er noch die „Silbonzählung"! Diese 
Silbenzälduüg, d. h. das Vei'bot, eine bestimmte Zahl von Silbea 
nach unten oder oben zu Überschreiten, kommt zu den metnctchen 
Eigenschaften des nichtrsilbenzählenden Verses als reines Plus 
hinzu. 

Man darf sich nicht durch abstracte Berechnungen die höchst 
einfädle Sachlage ren^irren: wenn das metrische Grundmafs 4: V« 

1 xX 1 xX 1 xX IXX 
von zwei Dichtei'n gehandhabt wird, von dem einen so, dass er 

bald, vier, bald fünf, bald sechs und sieben bis zwölf Silben 
hineinlegen darf, ganz nach Bequemlichkeit, wie es der Zusammen- 
hang seiner Dichtung nahe legt; — von dem andern aber so, 
dass jedesmal, der Inlialt mag sein wie er wolle, die acht Silbi'n 
dastoiin mOssen nnd die Wald, die Stellung der Worte und Si&tze 
dieser Aehtzahl dienstbar wird — dann liat der erste Dichter 
die natnrwncl^lgere, der zweite die entwickeltere Technik. Oder 
wofern man sich den Chor im Tanzschritte vorstellen will: wenn 
auf die vier oder acht Scbrittej die 4en Vors tragen, bald mehr 
bald weniger Silben gesungen werden dürfen, so ist das ein 
einfudierer^Brauch, als wenn mit dem letzten Schritte stäts ein 
sprachliches Kolon von acht Silben schliefsen moss. Dem Vei's- 
geftlhle Opitzischer Bildung scheint allerdings nichts einfacheY, 
als Ketten zweisilbiger Takte zu bilden. Man muss sich httten, 
darauslj auf den primären Versbau - zu schliefsen. Selbst wenn 
die Icten weder auf die sprachliche Betonung noch auf die sprach- 
liche Quantität Rücksicht zu nehmen brauchten, erforderte es 
schon tedinische Verfeinerung, nach jedei- achten Silbe die für 
den Versschluss nötige Sprachcäsnr herzustellen. 

Der theoretische Satz: gebundene Silbenzahl ist eine Eigen- 
sdiafb primärer Versknnst, ist nicht haltbar. Dann aber sieht 



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m 



Kapitel IV. 



man schwer ein, weshalb vor dem Zeuj/niss der Arier das ZoiignLss 
der HolIcTif^ii. Iv<'inier und Deutschen vej>tiiin:iien sollt '. Hat doch 
die Annalirae keinerlei Sehwieritrkeit, da.s.s über die iii spi ilii^lidie, 
indogermanische Freiheit der Silbeuzahl, die sich die Gnerlü n, 
Italier, Germanen vorerst noch warten, der eine Volks'^tamiii, 
der arische, frühzeitig hinausgeschritten sei. Derselbe Vory^an^' 
tiitt später fast vor unsern Ax^fea in dea versobiedenoa euro* 
piischen Litteraturon ein. 

Wie groDs man sich die Silben freilieit des indogermanischen 
Viertakten zu denken habe, bleibt unsicher. Im Blick auf die 
erwälmten griediischen Verse, den Saturnier und den gormanischon 
Stabreimven mochte ich etwa folgendes fUr annehmbar halten: 

Auftakt: 0, 1, 2 Süben; 

Takte im yerainnem: 1, 2, 8 Silben; 

Schlnsstakt: 0, 1, 2 Silben. 
Setzen wir (mit Kühnaa, Moller. Sievers) V«*^kt an, so 
wttrden die beiden Schemata 

I ^ I ^ I ^ I r 
die Grenzen der Silbenzald nach oben und unten bezeichnen. Die 
altgriechisiäien Verse volkstOmlichen Charakters — wie etwa das 
Schwalbenlied, Usener S. 82 wurden diese "IndogermaDische 
Versart am getreuestra fortsetsten. 

Von Regelungen der sprachlichen Quantität bestand wol 
sicherlich von Anfang an die eine: der metrische Wert zwei 
Viertel L kann nur durch eine sprachlich dehnbare Silbe j^^ebildet 
worden. Zweifelhafter ist, oli die Spaltun^^ m Achtel ^ w nur 
bei sprachlicher IvUize der betreffentlen zwei vSilben raöglicli war 
(wie im Griechischen und vielleicht im Saturnier). Die Einzel- 
mora X konnte gewiss in der Hebung so gut wie in der Seukaiig 
von kui"zen und langen Silben gefallt werden. In dem letztern 
Punkte tritt dann die Neuerung der „quantitierenden" Ijittointurcn 
ein: im zwoisilhiL'^ftn Takte muss die Mebung von einer sprach- 
lichen tiagen werden — womit vielleicht Verächiebungen 
des Takt<(("S( hluchtes zusammenhiengen. 

In den drei FfiUungstypea der Cadenz 



Zar Voi^^esdikiite de» goBiaischcn Venes, 



. X X 1 XX i X X I XX 

\>i 
'■ T 

(wie Z. B. in xartH>OTV« •/i/jt>jw* y.<p. tjocubizav 
xß/.a; «'»oa; cr/^c^sa 

T, -av d-j&av _i w Oller 

Usf'ner 8. 85) sind dio drei geniMuiiscbea CadeQzformea voll, 
kÜDgeud, stampf voi^dbildet. 

Die hier vorgebrachten Vermutungen enthalten, wie ich 
glaube, mehr Wahrscheiiilichfceit aJs der \Ve«tpba1ische Entwurf 
des acbt£ilbigen Urverses. Sie machen auch die Soudereotwickliuig' 
der idg. Verskunst viel leichter vei-stftBdlicb. 

Den riqrthmischen Unterschied unseres Stabreimverses von 
flemem iadogenniaischen Voi^gaoger kann ich, wie aus dem Obigea 
folgt, lange nicht so grotk ansetzen, wie dies Moll« ond Sie vers ton. 

Den Gnmdsatz der freien SUbensnnune nnd freien Silben- 
verteOnng nnd damit die metrischen Werte u x — « ^ mehr* 
flilbigen Anflalcte^ die verschiedenen Gadenzformen — dies allea 
glaube kk nicht als Nenenmg der Germanen betniditen zn aollen. 
Die einzige Neuerung Ton tie^reifonder Bedeutung liegt darin» 
dasB das vierteOige') Gnmdmalh 

- • I XX I ^X > XX 1 X X 

zn einem zweiteiligen Ma&e 

- - i X XXX I xxxx 

umgestaltet wurde: also eine Verschiebung der dynamischeii 

") W«!gen der Aeufriening von Sierers, Agemi. Motr. $ 149, füge ich 
ergänzend bei. da.*^s if h mir die vier L:t» ii. die i -b mit dem ein^n Akutz^ ichen 
widergebe, keiue^weg'. von einflraiiL'er Sriirke deuke, sondern amh dem je- 
weiligen Ver»iiili4»ii lumii^nüi ah^tuuii, Säds es dem idg. oder germ. 
Recitator beliebte — nur d&aa diese Abstufung ron der indiridaelleii FflQiuig' 
jedes Tenas bedingt war und sieht dem Grandmafs aogahSrte (a. o. 
S. S2K Die vier Ittm waren prindpiell glelehweitig. Gende wie man auch 
Z. B. dem Goetiuacbea «^Schat^-gräbef'' das obige Viertakterschema geben würden 
ohne damit sa erfcUien, die rief Icten mIMm erafinmig gleich staik geqnodien 
werden* 

Heaeler, Oene. T«eba«. 9 



Digiii^uu by G(.)0^1c 



ido 



Kapital IV. 



Proportionen, womit aber eng verbunden war eine Bereicherung' 
der Zeitwerte, indem das neue Taktmafs die Bildung von Drci- 
uüd Vierviertolswerten und ^) ermöglichte. Weniger wesent- 
lich ist, dass die Auftakte das Mafs von zwei Silben Itberechritten 
und dass auch die gehobene Moi'a in Achtel gespalten werden 
konnte. 

Man bedenke noch dios. Sobald der üferniaiiische Nachdrucksaccent 
-exi^rierto, also lange vor dou vocalisuheu Synkopen, waren die <;cnuauiscbcQ 
Diuhtef gavangon, die metriudifn Icten mit den spracbUchen Aceeoten in 
Einidang' in aDlzen. Dies moM der Hentettung von Venen fest nnfiber- 
windlicbe Schwierigkeiten in den Wog u'tli'L,'t haben, wenn zu joner Zeit 
wirklifh nur zM'fisilhi^'p TaktflilluriLr erlaubt war. Denn alle "Wörter, die 
^hon in der urgenuanisciifti 8pra( lilorni die Gestalt jl ^ hatten (nominale 
Ableitungen, u. a. die Patrüii^iuica mit einsilbiger Wurzel ; Fartt. Praos. und 
Praot., schwache Praott., Comparatiro und Superlative), konnten dann dem Verse 
nicht ohne eine Aceeotmuabendlnng einrerleibt werden, die bei dem ursprIlDg' 
liehen Naehdrnck 4er betr. Blittelnlbeik »dir empfindlich sein mnst«, nnd die 
gegen die dpUtere, litterarisi.h beglanbigte Schonung der Sprache grell abstär he. 
(Dies bat Scherer schon IBÖÖ hervorgehoben, s. Kl. Schriften II 3(]f3). Dazu 
kuiuiiicn viele s^iitiiktische Silhenverbindungon, die der liliythniisieriniq; auf 
zweisilbige Takte widerstreben und nach dem ein- und droiäilbigon Takte ver- 
Liogen. — Moller seist denn aach 8. 117 f. Verse in jirgermaoiBcher Laut- 
form an, die doch schon den einsilbigen (Halb>) Takt j_ kennen. Aber mit 
den Aeufserungon auf S. 110, wo deutlich ein „trochäischos" luul ein , Jambisches** 
Schema als Ausgangspunkt g-enomnien werden, kann irh da.-s nicht voreinen. 
Wodurch lässt Mbllor die Zwciviertelswerte im ur^-^ermanischen Verse entstehnV 

Wer mit Miillcnhot f. Zur liunenlohre S. ö, die Zeile dos goldenen 
Hornoä als einen Langvera gulten lüäst (so auch Möller S. 117; mir ist es 
-aueb wahrschmnlich), der hat den Beweis in BXnden, dass die freie Silben* 
^1 nnd die Bildung von Doppelmone j. nicht erat das Resultat spntddtcher 
Verwitterung (Synkope) ist, sondern schon zur Zeit der unverwitterten, un- 
«ynkopiorten urgermauiwhon Sprachforni ]f»bendig war. Eine Sammlung und 
metri^chf! Untersuchung der Forme lverr<e, die wir als urgermanischen 
Besitz in Anspruch uchmou dürfen, würde darüber die eudgiltigo Entscheidung 
l}ringen. Die klingende Cadenz j_ x vindideren sie dem gemeingerm. VeE8> 
ban mit Sicherheit, wie schon ein Blick auf Otto Hoffroanns Beimfermeln 
S. 22 ff. (mit Vergleiiihung der nordisch belegten) zeigen kann. 

Den Ucbergang vom viertaktigen zum zveitaktigen Grund- 
mafse will M Oller aus der spradilichen Entwicklung erklären 
(a. a. 0. S. 110 ff.). Moller betrachtet die sprachliclieü 
Vorgänge, speciell den Eintiitt des germanischen Nachdruck- 



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Zur Vorgeachicbte des germanischen Venes. 



181 



accentes und die Vocalsvnkopen, geradezu als die einzige treibend» 
Kraft in dem Eutsteiiungsprocess des Stabreinivei-ses. Auch 
Sievers, der in der einzelsprachliclien Entwicklung (nach Voll- 
zug der >Synkoppn) einen zweiten Factor, den Ueber^ang zum 
Spreclivorti ag \i, wirken lässt, füln-t alle Umgestaltungen des noch 
gesungenen Verses auf spraehliche Ereit^misse zurück. Ich 
glaube, dass beide Forscher die Wirksamkeit des spj-acligesehiclit- 
lichen Momentes bedeutend überschätzen. Den Veränderungen 
der Spracbe, als dem uodgestaltenden, zersetzenden Factor, 
wirken zwei conservierende Mächte entgegen, die man nicht 
ignorieren darf, nämlich ij das rhythmische (Tedachtniss : die 
Pfleger der metrischen Tradition unterwerfen sich nicht sklavisch 
den Veränderungen, die auf sprachlichem Wege in ihre Verse 
eindringen mttsten. Jeder sprachlieh bedingten Antastung des- 
Versmafees kann sich das rhythmische Gedächtnis« widersetzen 
und sie ansgleiclien durch Einschub, Umstellung oder Aenderung 
von Wörtern, sohinge sich die Poesie noch lebendig fortpflanzt; 
^ 2) die unbewQSte Vergleichung Jedes Verses mit seinen Nach- 
barn. Verse werden in den wenigsten Fällen isoliert tlberliefert. 
Fast immer stehn sie im Zusammenhang, wenn auch nur einer 
mehrzeiligen Periode. Sprachliche Umgestaltungen treffiBu selten 
mehrere auf einander folgende Verse in der gleichen Weise. 
Vers a wird mit Vers b und c u. s. w. verglichen; ist die Ver- 
änderung von a derart, dass er aus dem gewohnten rhythmischen 
Verbände mit b und c herausfiele, so kann sich die sprachliche^ 
Infection nicht halten: sie wird rückgängig gemacht. 

Diese gegenseitige Abhängigkeit der Verse macht sich auch 



^) Die §§ 150—162 der Agorui, Metr. ruhen ganz auf der Voraussetzung,, 
dass der Uebergang zum SpracbTortr^r nach Vollzag der nordischen and 
der westgermaniaclim Synkopen geachehen sei Also wäre entweder alle oder 

doch die epische Poesie vor der Stammoetrennang geauiigen gewesen. Wie 

ist damit § 4. 4 (und § 5, 2) zu verein igmi, wo «resa-^'t wird, man brancho für 
das aUfrcniiaiiischo Epos vor der Stamm rrniniiniir kciiif .stidpliisrho Form anzu- 
nehmen, und die Gleichstrophigkeit des Fumyrdislag habe sich offenbar erst 
iu der nordischen Kunstdichtung entwickelt? Sollen die Germanen vor der 
Stammeetrannung nnatropliiache Epen gesungen haben? 



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182 



Kapital TV. 



bei der Trennunjf vom Gesangre geltend. Kin tresungener Tj*piis 
A ^ ^ ^ ^ könnte, isoliert oder in der Nachbftrecbalt lauter gleicb- 
gebauter Vene stehend, wol zu ein^ gesiNfochenen ^ * ^ t 
(odf»r wie man es nnn l)ezeichnen will) umgewandelt werden, mit 
Unterdrückung der beiden Ncbenicten, die aaf «prachlioh sehwaeb- 
tonigen Endeilben nüieo. Steht aber vor oder hinter dieem 
Vene ein ganz anders gearteter, wie z. B. Typoe £, nach Sfeven 
Messung f> ^ 0 f , wo mit den sehwachen Nebeoieten dee 
A-Versea stark betonte Güeder oorrespondieren, so ist jene Um- 
bildong onmOglieh. Die beiden Verse können nicht getrennte 
Wege gehen. Dorch ihr Zosanunenwirken mflssen sie das Vera- 
mafe gegen die Sprache behaupten. 

Dies kann man dorefa zahlreiche moderne Beispiele bestätigt 
linden, unter anderm anch durch dasjenige Gedicht, das Sievers 
§ 178,1 20 Gunsten seiner Theorie anftlhrt: 

Wir hatUn gebauet em HatUi^ies Häm. 
Standen diese Verse neb» lauter gleichartigen, so konnten m» 
im Sprechvortrage ihr ursprüngliches Versmafs, wie es von der 
Melodie festgehalten wird, iiiiinlich die achttaktij^e Lan^zeile, 
preisgeben und sich zu einem vierlakligeu „auapäötischeu'^ Verse 
wandeln, wie etwa 

Wir singen tmd sagen vom Grafen so gern. 
Nun folgt aber als Zeile 2 

Und drin auf Gott vertrauet trot^ Wetter, ÜtKnn U7ul Graus, 
und hm' kann von der Umbiidung zu einem vierhobigen Verse, 
mit Untruh tlckung der geraden Icten, niclit die Rede sein. 
Diese zweite Zeile hält das Versmais fest: sie verhindert die 
erste Zeile, zu einem anapa.sti.schen Viertakter zu werden. Tat- 
sächlich wird denn auch niemand beim Vortrage dieses Gedichtes , 
die Anfangszeile so sprechen, als ob es sicii um eine Versform 
wie M% singen und sagen vom Grafen so gern handelte — 
und wo es dennoeli geschähe, da wÄre es eine Rohheit, die zur 
Aufhellung der altgermanischen Versentwicklung nicht geeignet 
wäre. Geriete die Melodie dieses Liedes in Vergessenheit, so 
konnte man dennoch um die Fortdauer seiner alten metrischen 

Form unbesorgt sein: die zwdte Zeile mit ihren sprachlich mar* 

• 



V 



Zur yoiSMeUolito dfls gwmraiidieii Ven«8. 183 

fldertan Icten 2 und 6 wfirde von der ersten Zeile alle Gefohr 
«des ZuBaminemehnimpfena abnreDden. 

. Bei den Stsbreimvenen, eo wie Sievers ihre Rhythmen an« 
setzt, war die Möglichkeit des letensehwundes noch nm ein 
Bedentendee entlegener, weil vielfach der eine Vers seinen Haupt* 
ietas an der Stelle hat, wo der andere eine schwache Neben- 
liebnng fllhrt, was ja bei nnaerm neadeatschem Beispiele nicht 
•der Fall war. — 

Vor einer allzu hohen Veranschlagong der sprachlichen 
.Ebittsse lunn der französische Versbau warnen. Zwischen dem 
heutigen Französisch und dem Volgariatein liegfen tiefer greifende 
Tocalsynkopen, als etwa zwischen der Sprache des Beowulf und 
dem Indogernianischen. Und docli sind diese Sprachvorgaiige 
nicht im Stande gewesen, weder das Princip der gebundenen 
Sübenzalii zu zerstören, noch das (ii uiidiuals der einzelnen Vers- 
arten aufzulösen (vgl. Ph. Aug. Becker, Über den Ursprung der 
romanischen Versmafse, 1890, S. 44). Man sieht daraus, welch 
kräftiger Widerstand vom rhythmischen Gedcidituiös und von der 
metrischen Solidaritüt der Veise ausgeiin muss. 

Dass hberhaupt das metrisch e Grundmafs einer Veraart 
durch rein sprachliche Vorgänge umgewandelt werden könne, ist 
mir vorhlufig nicht glaublich. Um zu unserm besondem Falle, 
2u der Entstehung der germanischen zwei */4-T&kie aus den 
indogermanischen vier ^t-Takten, ziullckzukohren, so kann 
Möllers sprachliche Erklärung nicht befriedigen. Ein gorm. Com- 
positum wie WTdasinpas, Hleiuagasüz^ sagt Möller S. III, „flUlte 
zwei *li'lL2k\Af solange entweder neben dem musikalischen Accent, 
-gleichgültig wo er stand, ein Nachdrucksaccent noch völlig ver- 
schwindend war, oder das Wort zwei gleichwertige Accente hatte, 
•oder der Hauptaccent auf dem zweiten Bestandteil stand; .... 
in dem Augenblick aber, wo der Hauptton in diesen Wörtern 
4kuf die erste Silbe trat, wfthrend die dritte sich an einem Neben- 
ton genügen lassen muste, bekamen jene WOrter das Mafls eines 
^/i*Ta]ctea . . . und entsprechend gieng es mit allen mindestens 
•dreisilbigen Wörtern der Sprache und mit jeder unter einem 
Bauptton gesprochenen Gruppe von WOrtem^. Dem kann man 



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184 



Kapitel IV. 



beistimiiien — aber standen denn die Wörter dieses Baues immer 
nur ira ersten -{- zweiten oder im dritten -L vierten Verstakte? 
"Wir haben keinen Grund dies vorauszusetzen. Gewiss flllltea 
derartige Wörter iiäutig auch den zweiten + dritten V'erstakt. 
Und in diesen Fällen war die Folge der Accent Verschiebung^ 
eine andere; dann ordnete sich der zweite letus dem dritten 
über: i 

XX I <CX I ><X I XX oder 
XX f XX I XX I XX . 
Diese dynamische Abstufung lief den zwei ^/^'TMbsl zuwider. . 
Mögen diese Fälle auch in Minderzahl gewesen sein, so 
lUitten sie doch ausreichen mOssen, um der Unterordnung des 
zweiten (und vierten) Ictus vorzubeugen. Sie hätten den zweiten 
(und vieilen) Ictus immer wider als gleiehwertifr in Erinnerungf ge- 
bracht Hebung 1 und 3 hätten sich nicht als die beiden guten 
Taktteile schlechthin durchsetzen können. 

Aus der sprachliehen Acoentverschiebong wird die Um- 
bildnng des Grundmaü^ nicht verständlich, weil die verschiedenen 
Versexemphire von jener Verschiebung in ganz ungleicher Weise 
betroffen wurden, und der Ausgldek zinschen ihnen nur dazu 
hatte führen können, die vier Icten als „prineipieD gleichwertig'* 
aufrecht zu erhalten. 

An diesem Punkte muss ein au&ersprachliches, d. b. ein 
von der zufälligen Umbildung der Lautfoim unabhängiges Moment 
eingesetzt haben — em Moment, das gleichsam mit souveräner 
Gewalt den rhythmischen Sum des Dichters und des HOrers um- 
modelte. 

Der Stabreim, der den Germanen während eines langen 
Zeitraumes als nahezu onerlässliche Vorbedingung ftir einen Vera 
galt, wird bei der Ausbildung des aJtgermanischen Metrums nicht 
untätig gewesen sein. Man muss sidi wundem, dassMOller und 
Sievers den Stabreim in ihre entwicklungsgeschichtiüchen Ent- 
wtlrfe nicht hereingezogen haben. 

Die Frage ist so zu stellen, ob die Unterordnung der 
geraden Versicten durch die ursprünglich rituell vorgeschriebene 
Stabsetzung irgendwie verständlicher werde. 



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Zur Yorgoiichidite des gonnamscheii Vensea. 



185 



Alle germanischen Volker, bei denen wir die Stabreimteebnik 
in totem oder lebendigem Gebraache vorfinden, stimmen in den 
Hauptgesetzen ibrer Anwendung ttberein. Der Stabreim hat die 
zwei Functionen 

1} in einem einzelnen Zweitakter die beiden Gipfel herror- 
zuheben, zu erhöhen: so in der Yollzeile des Ljödab&ttr, 
in Fonnelversen, Sprüchen bis beute; 
2) aus zwei Zweitaktern — die unter sich noch rhythmisch 
differenziert sdn können — eine Periode herzusteilen, 
indem der Reimlaut des ersten Verses in dem zweiten wider- 
kehrt: so als durchgehende Form der epischen Dichtung, 
anÜ^erdem als Stropheüglied des Lgödahättr und gelegentlich 
in den Formeln. 

Beiden Verwendungen ist gemein, dass ein Vers nielit mehr 
als zwei SUlbe fahren kann. In dem ersten Falle sind zwei 
Stäbe, a a, selbstveretändliche Voraussetzung fllr den Reim, in 
dem andern Falle finden wir neben diesem Typus a a noch die 
Typen a x und x a, und zwar stchn dem ersten Gliede der 
Peiiude alle drei Formen zui* Verfügung, dem zweiten aus- 
schliefslich die Form a x^). Dies muss iu die gemeingermanische 
Zeit ziirück^rehn. Wir dili fon veinniten: als sich der Stal)reim 
des germanischen Verses bemächtigte, da galt als die erste feste 
Norm: der Hauptstab eines Doppelverses erhält unter allen 
Umständen die eine unvenindoriiclie Stelle im Beginne, d. h. in 
der ersten Hebung des zweien Verses. Indem ich an die Dar- 
legungen V. Liliencrons und Müllenhoffs Zur Kunenlehre 
{zumal S. 17 f. 62 f.) erinnre, ohne die das Entstehn der Stab- 
reimpoesie rätselhaft bleibt, möchte ich Uber die »formelle Ver- 
bmdung von Rune und Vers" die Vermutung wagen, dass der 
Hauptstab des Doppelverses von dem aufgehobenen Bunenstabe 
geliefert wurde, während der oder die Stollen von der interpretatio 
des sacerdos civitatis oder des pater familiae zugefügt wurden. 
Dem Hauptstabe muste in dem langsam-nachdruoksvoU gesungenen 



*) Von allen Ausnahiuon, fohlorUafter oder künstlicher Art, wird hier, 
wo BS Stell nnr um die GrandUgen haudoltf notwendig abgesehn. 




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186 



Kapitel IV. 



oder gosprocliencn Vorspare seine unwandelbare Stellung zuteiE 
werden: denn er enthielt das von der Gottheit unmittelbar dar- 
gebotene Wort, das der Woifsagung den Orund legte. Der Hörer 
sollte wissen, in welchem Augenblicke dieses über die menschlichO' 
interpretatio erhabene Wort an sein Ohr dringen würde. — Als der 
Hauptstab noch in dieser Weise den ersten Keim des Verses- 
bildete und dem vorausgehenden Verse seinen Stabreim vorschrieb^ 
da galt für ihn mit hesserm Rechte als in der spaten Skaidea- 
kunst das sd stafr rcedr kvedandL 

Zu dem aufgehobenen Runen wo tle hatte der Deutende^ am. 
der Prophetie Richtung und Gestalt zn verleihen, ein oder zwei 
stabende Worte ans eigner Eingebung zn gesellen : sie fielen dem 
ersten Kuraverse zu. Setzen wir voraus, daas Anfangs ihre Ver- 
teilung auf die vier Hebungen freigegeben war. Mit der Zeit 
setzte sich das leicht verständliche rhythmische BedUrfniss durch, 
die Abstände zwischen den beiden Stollen nnd dem Haaptstabe« 
gleich za machen. In der Reihenfolge 

XX I I XX I >< xll y:x • • • oder 
a a a 

*xlxxl>cXlx>flUX ... 
a a a 

drangen die drei gewichtigen Stabworte nicht so fassbar nnd klar- 

zu Ohren nnd Sinn der Hörer, wie in der Folge 

XXlxXlxXlxXlIxX " . 
a a a 

War diese Anordnung der Stäbe, also diese dynamische Abstufimg^ 
in dem ersten Kurzrerse yerwlrklicht, so teilte sich die Bewegung 
von selbst dem zweiten Kurzverse mit: er Uelk seuier Hebung 
mit dem Hauptstabe eine schwächere, eine stäricere und wider- 
eine schwächere Hebung folgen. Diesem Princip fügte sich so- 
dann auch der einsam stehende Stollen: es kamen jetzt für ihn. 
nicht mehr vier gute ^Faktteile in Betracht, er hatte nur noch- 
die Wahl zwischen zweien. Die Entwicklang hätte damit ab> 
geschlossen, dass auch die selbständig reimenden Kurzverse, die- 
in der Nachbarschaft der Lani(zeilen standen, ihre vStäbe nur- 
noch au den beiden Stellen, uin ^Vnfaüg und in der Mitte, duldeten^ 



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Zur Vorgeschichte des gemanischen Venes. 



137 



Diese Umfomrang des Metnmis — das HeraiuarMten zweier 
nicht versdiiebbaTer Gipfel — wirkte so weit, als der Stabreim 
selber wirkte; Von der sacralen Poesie, die an das hrieta teina 
ok A hlaniJt sjä (Hym. Is) gebunden war, also von Wei&ag^ng" 
und Zauber, vsL apä ak ßoldr, verbrüteten sich die läedstabe 
einerseits auf die Sprttcbe jeglicher Art, Rechtsfonneh, Gnom«]^ 
Lehrgedicht, — andersats auf die religiösen Hymnen und durch 
sie auf die Heldensänge, die epischen Liedor, um zuletzt noch 
das jüngste Brzeugniss altgermanischer Poesie, die westgermanische 
Epopöe, zu erobern. Den Stabreim begleitete unzertrennlich das- 
neue, zwdteifige Grondmafe. 

Scheidet man von dem hier Gesagten die constmctiven HUfs- 
linien aus — denen ich von geübterer Hand verbessernde Nach- 
zeichnung wünschte — , so bleiben diese allgemeinen hypothetischen 
Sätze zurück, deren innere Wahrscheinlichkeit ich zu erwä^^en ^^ebe: 

Der wesenllicl)e Cliarakter des Stabreimverses hat sich schon, 
in der sogenannten ^ üiuciiig L i nianischen Zeit, vor der scharfen Mund- 
artentrennung, lan<;^e vor den einzelspracliliclien Synkopen, hei'aus- 
gcbildct. Nicht Veränderungeü der liautfoi'm waren die treiben- 
den Kräfte, sondern das Kunstmittel des Stabreimes, das allei dings. 
eine spraciiliche Neuerung, den Nachdruckston auf der ersten Silbe,, 
notwendig voraussetzt. Die Lautentwicklung der einzelsprachlichen 
Zeit hat nur noch die Versfüllung nioditiciert, zumeist in der Weise^ 
dass die silbenärmem Fülhmgstypen und die stumpfen Takte, die 
zui- Zeit der urgermanischen Lautform noch seltener waren, nach 
Eintritt dei- Vocalsynkopen an Boden gewannen. Diese sprach- 
lich bedingten Neuerungen haben sich fast durchweg an schom 
vorhandene Foi men angelehnt. Nur dadurch ist es möglich ge- 
worden, dass epische Specialrcgoln den zeitlich und räumlich weit 
getrennten Beowulf, Heliand, Edda gemeinsam sind. 



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Sachregister. 



ihjh. = Ljddahdttr, llv. = Roiravers, 

reimend, V. 

•absoluter Rhythmus IL 13- 
accentuierondes Versprinrip 03. 124. 
Acc'entverschiebung, germ., LüL133f. 
Alexandriner äfl f. 
Allittcration s. Stabreim. 
Anapästiäche Verse im Deutschen Sl» 
23. 

Aristoxonos. 13. IS. 
dppu&ji'ia IS- 2L 

Auftakt, im allgom. 3Öf. 5öff. Ifif., \ 
im idg. V. 128^ im Strv. 52. 50 f. 
99. 130, in Gesotzesvorsen 89i in 
Schwellvorsen 105, im Ljh. 11.'^- 

avestiseher Vbau 3Ü. 123. 12Ö. 

Betonung, sprachliche, ß3. TL IM ff. 
llft. 13Ü. 

Brückes motr. Methode 12. 

'Cadenz, im allgom. 30. 31. 47^ im 
idg. V. 128, in der Ljhvollzeilo 
lÜÜff., zweisilbig-volle Ü2ff. 

Daktylus (griech.) Ifi. (deutsch) 2Ö. 

Differenzierung d. Versarten 3L 34. 41. 

Dreitaktor, sir., 9i IQIf. UL 

Dreiteiligkeit, sprachliche, fifi. Iü3f. 
JIM. 

„Eingangssenkung" fil. 

einsilbiger Takt, im idg. V. ÖL 128, 

ohne Stab im Strv. Il6j im neudtsch. 

V. Ifi. 

englischer Rv. im 13. Jh. 39f., Strv. 

im 14.- lfi. Jh. Ifl. 
epischer str. Vbau 25. HL 89 ff. 120f. 
Formelverse 8Ü. 13Ü. 



Strv. — Stabreimvers, str. = stab- 
= Vers.) 

freie Taktzahl 28. 1Ö2. 112. 

„freie Verse", neudtsch., 28. 

frühmhd. V. 15. 20. öfif. ID. (73j 

gebundene Silbenzahl 30. 121ff., Takt- 
zahl 2ä. 

gemischter Rhythmus 22. 32. 

geordneter Rhythmus 13. 2Ü. 21. 

Gesang, sein Verhalten zur Recitation, 
ft. 12. 

Gosangsvers 5. L IL lÖ. 118. 12Q. 132. 
Gesetzesverso 80 ff. 
griechischer Vbau 18. ß3f. 122. 128f. 
Grundmafs (metrischer Rahmen) 3f. 

I f. 20. 22. 24. 28. 52. 24. ÖO. 133. 
Hans-Sachsischer V. 30. 3fL 12Ö. 
Hexameter (griech.) 18. (deutsch) 

2Ö. 33. 
hofischer mhd. Vbau 20. 
Icten, ihre relative Stärke, 32. 35. 

129^). 13i. 
indogermanischer Urvers 30. Ö4. 122ff. 
Infinitiv im Auftakt 99. 
irischer Vbau 64»). 123 f. 
irrationale Zeitwerte 3. 18. 
jambischer Bühnenvers (griech.) Ifi. 

(deutsch) 28. 32. 
„katalektischer" Schluss im adtscb. 

Rv. fifif. 
Kindorsprücho 43 ff. 
klingende Cadenz, im allgcm. 35 f. 5ä. 

63f., im Strv. 130^ im Ljh. llOj im Rv. 

42. 02 f., klingender erster Takt im 

Strv. 5fi. 



Sachregister. 



189 



JCorzverae, str., 136, erster und zwei- 
ter differenziert 55. 58. 60. 62, in 
Gesetzesversen 87, im Ljli. 113. 

Laiigzeile, iiu ae. Er. 39 ff., in Volks- 
U«dttii 87ff. 42f. 

lateinucher »Rbythmus" (Dlmetor 
jambieiia) 66. 1071). 124, lat. Verse 
mit germaniaelieii gepurt 7211 

Ijöd 119. 

l^ödahttttr 29. 77 ff. »0. 93 ff. 108 ff., 

Kamo 118 f. 
MäUOiAttr 61. 100, Name 110. 
Mbra 24. 128. 

.«miuilcalischer'' Rhythmus 15. 
Nebonictas im Strv. 32. 34. 65t 
Nibelttni*engtrophe 34. 42. 
«ccasioiieller Rhythmus 11. 13. 26. 
Odenroafse 33. 
Opilsiiclie Reform 83. 62. 
Otfirids Yen 23. 40. 66ff. 
prSdicaÜTes Adjectir, BtaUos, 96. 
Proportionen der Zeitwerte 2. 7f. 20. 

65. 6(). 107. 
(Quantität, sprachliche, 34. 63. 126. 128. 
•quantitierendcs Versprincip 124. 128. 
«recitierender*' Vortrag und Vbau 

6f. 15f. 
leimlose Veiae 81 0. 
romanischer Vbau 80. 39. 68 f. 183. 
püfr|ioei5e(; 18. 

Rhythmus, im allgfcni. 10 f., .soine Art^n 
20 ff., im gesungenen uud im ge- 
sproohoncn Vorse 12 ff. 

•Satumier 64. 123. 

Satztott, altgem., 07. 105. 106. 115. 
^cliwellvorse, str., 20. 101. 104ff. 

Sochstaktor, im Tlv., 117. 

Äilbi'iizahl, im allp^om. 'Of. lim Auf- 
takt :iO, im Versiuneni 32) 124 tf.; 
im idg. V. 122. 128, im Ötnr. 90. 
123 (im Auftakt 60), im Ljh. 77. 
120, im KinderlMe 47. 

älniden 60. 74. 00. 136. 



«Spondeen*, deutsche, 27. 
Sprechrers, — vortng 6. 7 f. 15. 17. 

19. 120. 132. 
Stabreim 134 ff., sein Verhältniss zum 

Setston 07. 106. 118. 116, in den 

Gkeetsemnen 81* 86f., in der L|Jli.> 

▼ollieile 04 ff., -langieile 118. 
Stroplionbau, im allgem. 34. 47, tltr 

gorm. 1311), jni Ljh. 117 f. 
stumpfe Cadeiiz, im allgem. 35, im 

Strv. 58, in der LjU.-voUzeile 110. 
Synkopen, Toealische, 130. 137. 
TUct, metriBtOier, 8. 71 12. 18f. 24. 88. 
Taktmttttng 32. 125. 
Taktgeschlecht 24. 26 f. 
^taktierender" Vortrag und Vhau 6ff. 

13. 15 ff. 
«Taktumstellung" 25. 
Takt Wechsel 24 ff. 

TkktMh), im allgem. 28, im I4L Odff., 
im SdnrellTene 104ff. 

«Trochäen', doutscbe, 26. 

trygdamiU 82flr. 

vedischerVbau 30. 64. 107 »). 123. 125 f. 
«veroiisi iieto Verse* des 17. Jhs. 33. 
VersfüUung, im allgem. 4. 15. 23f. 

29, Im idg. V. 125ff., im Strv. 75. 

79. 129 f., im GesetseBTeiae 881, 

im Schwellverse 106, im IJh. 77. 

120, im Kindorliode 45. 
Verbinnores 29. 32. 
Viertakter, idg., 125. 128. 
Volkslied, dänisches 37, fiLröisches 38, 

denttdies 411, 71. 
volle Codenc, im ellgem. 85, in der 

I^h.-Tollzeile 110; voller enter 

Takt 56. 

Vollzcilp des Ljh. 77 f. 93. 108 ff. 120. 
Vortrag des .Sri v. 511". 16 f. 87 f. 118 ff. 
Zweitakter, altgerm., 32. 72. 79. 88. 

90. 117. 120. 187, im Ev. (wrei 

«/i-Tekte) 35. 117. 
Zweitekttheorie 47. 51.54.74. 113. 115. 



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