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Technische Hochschule Karlsruhe.
Bericht ober die Feier
JAHRHUNDERT-WENDE
DIE VERLEIHUNG
DES
PROMOTIONSRECHTES
AM IO. JANUAR I <) 00 .
KARLSRUHE.
DRUCK DER G. BRAUN'SCHEN HOFBUCHDRUCKEREI.
lyoo.
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Die Technische Hochschule nahm den Beginn des neuen Jahrhunderts als
Anlass zur Veranstaltung einer akademischen Feier, welche am io. Januar
abends in der festlich beleuchteten Aula stattfand und durch die Teilnahme
der (Trossherzoglichen Herrschaften eine besondere Weihe erhielt.
Unter den zahlreichen Gästen befanden sich Seine Exzellenz der Prä-
sident des Staatsministeriums Dr.Nokk und die Minister v. Brauer, Eisenlohr
und Buchenberger, der kommandierende General, General der Kavallerie
v. Bülow, sowie weitere Vertreter der Generalität, der Oberbürgermeister
Sch netzier und Vertreter des Stadtrats und der Stadtverordneten, hervor-
ragende Mitglieder der Industrie und des Handels u. s. w.
Seine Königliche Hoheit der Grossherzog, Ihre Königliche Hoheit
die Grossherzogin, Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Wilhelm, Seine
Grossherzogliche Hoheit Prinz Max und Seine Grossherzogliche Hoheit
Prinz Karl betraten um 6 Uhr den Festsaal. Rektor und Senat empfingen
die Höchsten und Hohen Herrschaften, während die in Wichs aufgestellten
Vertretungen der studentischen Verbindungen mit den Schlägern salutierten.
Im Gefolge der Grossherzoglichen Herrschaften befanden sich u. A.
Obersthofmeister Freiherr v. Edelsheim und Flügeladjutant Generalmajor
Freiherr v. Schönau-Wehr.
Nachdem der Akademische Sängerchor unter seinem Dirigenten Herrn
Reallehrer Reinfurth die F'eier mit dem Hymnus: »Die Himmel rühmen
des Ewigen Ehre», eröffnet hatte, hielt Herr Geheime Hofrat Professor
Dr. K. Keller die folgende
Festrede zur Jahrhundertwende.
»Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere,
Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!
Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn* aus ihrem Zelt?*
Königliche Hoheiten!
Durchlauchtige, Hochansehnliche Versammlung!
Werte Kollegen!
Liebe studierende Freunde!
Nicht passender als mit jenen Worten Gellerts in des unsterblichen
Meisters Beethoven Vertonung konnte unser Akademischer Sängerchor die
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Feier einleiten, die der Jahrhundertwende gewidmet sein sollte, und die
Lehrer und Schüler in unserer herrlichen neuen Aula mit unserem erhabenen,
geliebten Fürstenpaare und Hohen, Hochgeehrten Gästen vereinigt. Es
waren Worte, so recht geeignet, die ganze unermessliche Schöpfung in ihrer
überwältigenden Grossartigkeit vor unser geistiges Auge zu führen, und
uns in die Stimmung der Stunde zurückzuversetzen, da aus eherner Glocken
Munde über Land und Volk die ernste Botschaft klang, dass ein neues Jahr-
hundert angebrochen sei.
In jenem grossen Weltganzen, wo ungezählte Sterne unbegrenzte
Bahnen wandeln, Bahnen, die sie begonnen lang, ehe es ein Menschen-
geschlecht gab, und die sie fortführen werden, wenn dieses Geschlecht längst
aufgehört hat zu sein, dort ist alles über Raum und Zeit erhaben. Der
Mensch aber in seiner engbegrenzten Lebensdauer hat gelernt, alles was
ihn umgiebt, mit den Grössen des Raumes und der Zeit zu messen. Das
Maass für den Raum entnimmt er seiner sinnlichen Wahrnehmung, eben-
derselben auch sein Maass für die Zeit; aber ebenso wie sein eigenes Leben
ist auch sein Maass für die Zeit gar kurz bemessen. Die scheinbar regel-
mässige Wiederkehr der Himmelsgestirne in ihre frühere Stellung giebt ihm
den Tag, den Monat, giebt ihm das Jahr, und eine geringe Anzahl von
Jahren misst des Menschen durchschnittliche Lebensdauer. So manches
Leben endigt wieder, nachdem es kaum begonnen, bei manchem währt es
länger, wohl — wie es heisst — 70 oder 80 Jahre, nur selten erreicht es
die Dauer von 100 Jahren. Vom Menschen zum andern ist die Sprache
das Mittel des Gedankenaustausches; vom Menschen zum andern durch die
Sprache wird überliefert von Generation zu Generation, was zu seiner Zeit
des Menschen Herz und Geist erfüllt hat. Das ist die Tradition. Und sind
cs der Jahre 100 geworden, eine Lebensdauer, die nur Wenigen bescliieden
ist, so hört die Tradition von einem zum andern Menschen auf, und es
beginnt die Geschichte.
Es ist kein bloses Ungefähr, kein bloses leeres Spiel der Zahlen, das
uns auf die Jahrhundertwende liinweist; es liegt darin ein ernster Fingerzeig,
dass diejenigen, die vor 100 Jahren waren und lebten, kämpften und litten,
dass alles, was Menschen und Völker und den ganzen Erdkreis erfüllte und
in Jubel oder Jammer erbeben Hess, dass alles ihr Sehnen und Streben, ihr
Wollen und Handeln mit dem vergangenen Jahrhundert der Geschichte
angehört. Der Geschichte gehört die Zeit, die am Anfänge des verflossenen
Jahrhunderts Deutschland überwunden sah und gedemütigt von dem fremden
Imperator; der Geschichte auch die herrlichen Tage, da Preussens König
sein Volk zu den Waffen rief, und dieses dann in begeisterter Erhebung
und opferwilligem Heldenmute das Joch abschüttelte, und unser Vaterland
sich selbst wieder gab; und mitten in jenen Tagen die Gestalten der Männer
wie Stein und Scharnhorst und Blücher und Gneisenau, die, in Weisheit die
Einen, in Tapferkeit die Andern, unseres Volkes F'ührer waren; und hoch
über allen diesen mitten in Kampfesnot und Jammer das tiefrührende Bild
einer F'ürstin, eines Engels auf dem Throne, der Königin Luise. Der Geschichte
gehört dann wieder an — gottlob — die traurige, die kaiserlose Zeit eines
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zerstückelten Deutschlands, mit seinem vergeblichen Drängen und Suchen
und Streben nach Einheit und Freiheit. Der Geschichte dann die Tage, da
von frevler Hand, die nach deutschem Lande greifen wollte,” die Kriegs-
fackel in unser Vaterland geschleudert wurde, und da wieder ein Prcussen-
König sein Volk zu den Waffen rief, und alle Stämme Deutschlands sich
einmütig unter seinem Oberbefehl, um seine Fahnen schaarten, und in blutigem
Ringen und in beispiellosem Siegeslauf Deutschlands Einigung erkämpft
wurde, und ein neues deutsches Reich uns erstand, glorreicher und herrlicher
als je in vergangenen Jahrhunderten; — und in dieser Zeit die hoheitsvolle,
milde ehrwürdige Gestalt unseres Heldenkaisers und die seines unvergess-
lichen Sohnes, und die Gestalten seiner Paladine, voran die seines grossen
Kanzlers.
Und alles das gehört mit dem vergangenen Jahrhundert der Geschichte
an, und wohl dem, der darin zu lesen versteht, und die Lehre vernimmt,
die aus jedem ihrer Blätter uns entgegentönt, dass es der grosse Zweck
nationaler Erziehung ist, sich selbst und den Andern zu einem würdigen
Gliede des Ganzen zu bilden. Das Leben des Einzelnen, des freien Menschen,
soll nichts sein, als ein bewusstes freies Hingeben von Geringerem für
Grösseres; ein Hingeben von persönlichem Wohlbefinden, von äusserem
Glück und Ehren, ja des Lebens, wenn dieses Opfer einem höherem Zwecke dient.
In diesem Sinne darf ich wohl in dieser feierlichen Abendstunde, da
wir die Wende zweier Jahrhunderte in akademischer Weise durch einen
festlichen Akt begehen, hinweisen auf das Bild eines Mannes, einzelne Züge
aus dem Bilde eines Mannes vor Ihnen entrollen, dessen Hauptwirken und
Schaffen mit dem Anfänge des vor wenigen Tagen vollendeten Jahr-
hundertes zusammenfällt, eines Mannes, den wir — in diesem festlich
erleuchteten Raume versammelt als Badener mit Stolz einen der Unsrigen
nennen dürfen, der Ihnen, meine Heben, jungen studierenden Freunde, als
ein Berufsgenosse ein leuchtendes Vorbild von Pflichtfreudigkeit und Pflicht-
treue, von zielbewusstem, nimmer ermüdendem Arbeitseifer sein möge.
Gerade vor hundert Jahren, als der neuausbrechende Krieg Europas Boden
unter dem Tritte seiner Heere und unter den Rädern seiner Geschütze
erbeben machte, war ein junger Offizier mit ins Leid gerückt, und lag,
gerade um die Wende des letzten Jahrhunderts, im Feldlager der böhmischen
Grenze bei Cham. In friedlicheren Tagen hatte er sich mit weitgehenden
Plänen und Erfindungen getragen und diesen jede Mussestunde gewidmet.
Und nun, mitten im Getöse der Waffen, erstand in seinem klaren Kopfe,
vor seinem geistigen Auge eine Erfindung, die seinen Namen weit über die
Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt machte, und ihm eine bleibende
Stelle unter den grössten Ingenieuren sichert.
Dieser junge Mann war Georg Friedrich Reichenbach, in unserer
Nachbarstadt Durlach am 24. August 1771 als der dritte Sohn des dortigen
Bürgers und Schlossermeisters Johann Friedrich Reichenbach geboren,
eines in allen mechanischen Künsten bewanderten ausgezeichneten Mannes.
Da man auch in weiteren und den leitenden Kreisen auf ihn aufmerksam
wurde, sehen wir den älteren Reichenbach bald nach der Geburt seines
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Sohnes Georg als Oberstuckbohrmeister in churpfälzischen Diensten in
Mannheim.
In der Volksschule sollen des jüngeren Reichenbach Leistungen
und Fortschritte nur gering gewesen sein, dagegen soll er schon frühzeitig —
ein Erbe seines Vaters — entschiedene Vorliebe und ungewöhnliche Begabung
für mathematische und meehaniche Gegenstände gezeigt haben, so dass sein
Vater, der an dem Unterrichtserfolge seines Sohnes verzweifelnd, diesen schon
aus der Schule genommen hatte, ihn auf Drängen seiner Freunde neuer-
dings in dieselbe zurückschickte. Seine ausserordentlichen Anlagen traten
immer mehr zu Tage, besonders als er mit 14 Jahren in die Militärschule
eintrat, und dort während eines vierjährigen Kursus nebenbei fortwährend
den Unterricht seines Vaters geniessen durfte. Ihm war seine Begabung,
sein Talent, das ihm die Natur gegeben, nur — wie Lessing es fordert —
eine grössere Verpflichtung zum Fleiss und zur mühsamen Ausbildung.
Dabei hatte er das Glück, dass durch einige Proben seiner auffallenden
Begabung für die Ausführung mechanischer Gegenstände das Interesse
einflussreicher Männer auf ihn gelenkt wurde, wie des Generals von
Rumford und des Hofastronomen Abbe Barry in Mannheim. Durch
deren Vermittlung erhielt er Urlaub und Unterstützung zu einer Reise nach
England, wo damals schon der Maschinenbau in eine Periode vorher nicht
geahnten Aufschwungs gekommen war, während in Deutschland die
Maschinentechnik noch auf einer verhältnismässig niederen Stufe stand.
Dort, in England, kam Reichenbach in die Werkstätte von Soho, und
sah sich dort in dem Besitzer dieses Werkes einem Manne gegenüber, dessen
Name selbst einst als leuchtendes Gestirn am Himmel der Maschinentechnik
glänzen sollte, James Watt. Reichenbach erhielt dort Gelegenheit, die
Dampfmaschine, wie sie aus James Watts Geist und Hand hervorgegangen
war, gründlich kennen zu lernen, und sogar an der praktischen Leitung des
Geschäftes tcilzunehmen.
Mit 22 Jahren zum Artillerieleutnant ernannt, kehrte er zurück nach
Mannheim, aber mit dem Gefühle und der lebhaften Überzeugung, dass
er zwar Vieles gesehen und gelernt habe, dass er aber, um Weiteres erreichen
zu können, vor allem seine Schulbildung ergänzen müsste. Darum widmete
er sich, soweit es seine dienstlichen, militärischen Verhältnisse zulicssen, mit
grösstem Eifer dem Studium der höheren Mathematik, Mechanik und Astro-
nomie. Insbesondere war es das letztere Studium, das ihn mit den damals
gebräuchlichen geodätischen und astronomischen Instrumenten vollkommen
vertraut machte, ihm aber auch Gelegenheit gab, die Mängel und Lin Voll-
kommenheiten ihrer Herstellung und der Beobachtung mit denselben immer
klarer kennen zu lernen. Aber auch hier musste er nach drei Jahren seine
Studien unterbrechen, da er als Hauptmann der Artillerie nach München
versetzt wurde, wo er hauptsächlich im Zeughause und in den Ouvrier-
Werkstättcn Verwendung fand, sich aber nebenbei fortwährend der Verwirk-
lichung seiner grossen Ideen widmete. Er erzählt selbst in Gilberts Annalen
die Geschichte seiner Erfindung, und dabei, wie er zur Überzeugung
gekommen war, dass alle Mängel, alle Unvollkommenheiten der bisherigen
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astronomischen Instrumente darauf zurückzuführen seien, dass sie alle keine
vollkommene Kreisteilung besassen, d. h. dass keine vollkommene Her-
stellung der feingetheilten Kreise möglich war, mit denen man auf Stern-
warten, oder auch auf Schiffen oder sonst zu geodätischen und astronomischen
Zwecken den Winkel zu zwei Gestirnen misst.
Die Wichtigkeit der genauesten, ja thunlichst vollkommenen Eintheilung
von Kreisen ist vielleicht nicht von vomeherein dem Nichtfachmanne
erklärlich; deshalb mag nur erwähnt werden, dass ein Fehler von nur einer
Minute im Winkel zwischen Sonne und Mond, also etwa des 20000. Teiles
des Kreisumfanges, den Standort eines Schiffes schon um 10 Seemeilen
falsch angeben lässt. Noch ungleich grössere Genauigkeit wird bei Mess-
ungen für astronomische Zwecke gefordert, eine Genauigkeit, die bei Winkel-
messungen auch noch eine Sekunde, ja noch Bruchteile einer Sekunde
zuverlässig zu bestimmen gestattet. Eine solche Bogensekunde, weniger als
der millionste Teil eines Kreisumfanges, ist eine so winzig kleine Grösse, dass
ein Menschenhaar, in deutlicher Sehweite angesehen, schon deren 60 verdeckt.
Es dürfen daher die den Winkel bestimmenden Teilstriche auf dem Umfange
eines Kreises von der mathematisch bestimmten theoretischen I.änge nicht
um den Oo. Teil einer Haaresdicke abweichen. Um wieviel mehr muss noch
die Genauigkeit der Teilung gesteigert werden, wenn man Bruchteile einer
Sekunde ablesen will.
Reichenbach selbst sagt; - Allen bekannten Kreisteilmethodcn konnte
ich aus guten Gründen kein Vertrauen schenken, und ich musste also hierzu
eine eigene Bahn eröffnen und verfolgen. Viele hundert meiner Entwürfe,
Ideen und Versuche starben gleich wieder nach ihrer Geburt. Als ich im
Jahre 1800 mit der Armee ausmarschierte, benützte ich jede freie Stunde,
um meine Studien über eine verbesserte Teilmethode fortzusetzen, ohne mich
durch die vielen vorhergegangenen fruchtlosen Ideen abschrecken zu lassen.«
So war also das Jahr 1800 herangekommen, und mit ihm bald nach der
Jahrhundertwende der Tag, von dem Reichenbach erzählen konnte: »Da
gelang es mir, das Hauptprinzip meiner Teilmaschine zu erfinden.
Die Ausführung musste freilich noch eine gute Weile warten, bis unser
Freund nach Jahresfrist wieder in seine Garnison zurückkam, welchen Zeit-
punkt er natürlich aufs lebhafteste herbeisehnte. Er machte sich nun alsbald
an die Ausführung seiner Idee, konnte aber neben seinen dienstlichen Arbeiten
hiefür nicht genügend Zeit finden, weshalb er einen gewandten Uhrmacher-
gehilfen, I.icbherr, heranzog, mit welchem er eine mechanische Werkstätte
gründete. Was Geschicklichkeit im Arbeiten betraf, so konnte Reichenbach
seine Wahl eine glückliche nennen, aber im Charakter seines Gehilfen hatte
er sich bitter getäuscht sehen müssen, als dieser später Reichenbachs
Erfindung, bei deren praktischer Ausführung er freilich thätig war, als seine
eigene ausgab. Als Reichenbach dann später noch sich mit Utz-
schneider und dem nachmals in der Geschichte der optischen Wissenschaft
so berühmten Fraunhofer verband, da verbreitete sich der Ruf der
Reichenbach'schen Werkstätte, sowie Reichenbachs selbst und seiner
Mitarbeiter über ganz Europa. Alle grösseren Observatorien haben damals
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Instrumente aus Reichenbachs Institut erhalten, die noch heute ihre
Zierde sind. Die ihm zuteil gewordene Ernennung zum korrespondierenden
Mitgliede des Institut de France war eine Ehrung, die einem Ausländer nur
selten zuteil wird, und der Mannheimer Hofastronom Barry, sank, als er
zum erstenmale einen Reichenbach’schen Kreis betrachtete, in Bewunderung
auf die Knie. In der Mailänder Sternwarte entstand ein Sonett auf Reichen-
bach, worin der unbekannte Dichter den erfinderischen Geist des Mannes
preist, dem es gelingt, die Wunder des Himmels zu erschliessen , und der
Kurator der Mannheimer Sternwarte berichtet an das Grossh. Ministerium:
>Der blose Anblick des Reichenbach’schen Kreises versetzt den Kenner
in Erstaunen. Abgesehen von dem hohen Nutzen, den er gewährt, ist er
ein Kunstwerk, welches Ehrfurcht gebietet.«
Und dennoch war dies nicht das grösste Werk seines Lebens. Die
Kenntnisse und Erfahrungen, die sich Reichenbach auf dem Gebiete der
Mechanik erworben hatte, sollten nicht auf die Erfindung und Vervollkomm-
nung geodätischer und astronomischer I nstrumentc beschränkt bleiben ; ja sogar
der grössere Teil seines Lebens war der Anlage grosser Werke und Maschinen,
und den mannigfaltigsten Versuchen auf dem Gebiete der grossem Mechanik
und Maschinenbaukunst gewidmet. Josef Utzschncider war inzwischen in
den bayerischen Staatsdienst berufen worden als Generaladministrator der
Salinen, und als solcher bot dieser Mann sein ganzes Ansehen auf, um die
von anderer Seite beabsichtigte Verpachtung der Salzwcrke, wodurch den
durch die fortdauernden Kriege entstandenen Geldverlegenheiten abgeholfen
werden sollte, abzuwenden. So entstand der Plan, zunächst die in Reichenhall
gewonnene Soole nach Traunstein und Rosenheim zum Versieden und zur
weiteren Verwertung zu leiten. Zur Ausführung dieses Unternehmens
schien Utzschncider Niemand geeigneter als sein Freund und bewährter
Mitarbeiter Reichenbach, der infolgedessen aus dem Militärdienstverhältnis,
mit dem er bis dahin noch in einem gewissen losen Zusammenhänge
gestanden war, vollständig auszuscheiden sich entschloss, und eine Anstellung
als Salinenrat anzunehmen, in welcher er alsbald eine Thätigkcit begann,
die ihn zu einem der ersten Ingenieure, nicht blos der damaligen, sondern
aller Zeiten stempelte.
Unter den für die Anlage der Sooleleitung gegebenen schwierigen
örtlichen Verhältnissen, die nur sehr sparsames Triebwasser bei allerdings
sehr hohen Gefällen boten, entschied sich Rcichenbacli unter Verwerfung
der alten Wasserräder zum Betrieb der Soolehebung für Wassersäulen-
maschinen. Solche Maschinen waren an und für sich allerdings in damaliger
Zeit nicht unbekannt, allein Reichenbach musste eine in allen Teilen neue
Konstruktion ersinnen, um sie dem vorliegenden Zwecke anzupassen, und
konnte dabei fast nichts benützen, als das Prinzip, eine Pumpe durch eine
andere zu betreiben. So kam die Lösung der ersten Aufgabe glücklich
zustande, die Soole über Berg und Thal hinweg von Reichenhall bis Rosenheim
zu leiten, wozu sieben Wassersäulenmaschinen nötig waren. Bemerkens-
wert für die damaligen Verhältnisse mag sein, dass Reichenbach, wie-
wohl selbst in Stellung als Staatsbeamter, die Arbeit, in eigener Entreprise
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ausfülirtc (wie cs hiess), und dass ihm nachträglich ein allerhöchstes Reskript
das Zeugnis ausstellte, dass die ganze Anlage einen neuen rühmlichen Beweis
seines grossen Talentes und der Ökonomie, womit er seine Anlagen ausführte,
lieferte.
Die grösste Aufgabe aber, die allem, was er bisher geleistet, die Krone
aufsetzte, harrte noch der Lösung.
Die veränderten Territorialverhältnisse von Bayern machten im Jahre
1817 eine neue Sooleleitung nötig, um den reichen Salzbergbau der ehemals
reichsunmittelbaren Abtei Berchtesgaden mit Reichenhall, und damit mit den
beiden andern altbayerischen Salinen zu verbinden, wodurch die gesamte
l.eitungslänge bis auf 121 Kilometer ausgedehnt werden sollte. Dieses Unter-
nehmen bot wegen der von einem hohen Bergrücken durchschnittenen
Örtlichkeit Schwierigkeiten, welche bisher für unüberwindlich gehalten worden
waren. Es musste die Soole in einem Gewichte von über 600 Zentnern
durch einen einzigen Pumpendrucksatz auf jenen Bergrücken, auf eine Höhe
von 360 Meter, also auf mehr als dreimal die Höhe des Strassburger Münster-
turmes gehoben werden, um von dort durch sehr starkes natürliches Gefälle
von selbst bis Reichenhall zu laufen.
Am 21. August wurden die neuen Maschinen in Illsang und die Soole-
leitung in Gang gesetzt. Es waren lange bange Minuten, als Reichenbach
umgeben von einer illustren Versammlung am Ausgange der Leitung am
höchsten Punkte derselben wartete, bis die geförderte Soole zum Vorschein
kommen sollte. Und mancher Zweifler war in dem Kreise, voran ein nicht
unwürdiger Nebenbuhler R eichen bachs, der Professor und Oberbergrat
v. Baader, der früher als Freund sein Begleiter nach England und sein
Genosse in der Werkstätte von Soho gewesen war, nun aber eifersüchtig
auf Reichenbachs Ruhm die heftigste Feindschaft zu ihm gefasst hatte.
Reichenbach aber war seiner Sache zu sicher, um an dem Erfolge zu
zweifeln, und in der Tliat verkündeten kurze Zeit, nachdem die Maschinen
zu Illsang in Gang gesetzt waren, donnernde Böllerschüsse und der Freudenruf
der zahlreichen, zum Teil aus dem Ausland herbeigeeilten Zuschauer das
Ausgiessen der Soole aus dem letzten Steigrohr in das Reservoir des Brunnen-
hauses auf dem -SöldenköpfeL. Da hör ich wohl achselzuckend den Einen
sagen: »das ist doch nichts besonderes, und selbstverständlich, dass es so
gehen musste , und einen Anderen in stolzem Selbstbewusstsein: sdas hätte
man doch noch besser machen können . Aber Ihr grossen Menschen von
heutzutage, die Ihr »es doch so herrlich weit gebracht^, verachtet mir den
alten Meister nicht! Euch fehlt zu seiner gerechten Wertschätzung der
richtige Masstab, der nur dem wissenschaftlichen und praktischen Stande
der Technik am Anfang des verflossenen Jahrhunderts entnommen werden
darf. Wer es weiss, wie wenig ausgebildet damals die Werkzeuge und der
Bau der Werkzeugmaschinen waren, wie das beste und genaueste doch
immer von Hand hergestellt werden musste; wer weiss, wie wenig man es
damals verstand, mit exakter Rechnung die Festigkeitsverhältnisse aller
einzelnen Teile einer Maschinenanordnung zu verfolgen, der wird auch heute
noch Reichenbachs Werk die Bewunderung nicht versagen können. Von
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Interesse ist es auch, zeitgenössische Stimmen zu vernehmen, so das, was
Dinglers Journal über diese Arbeit und ihre Lösung sagte:
»Gross und gefährlich war allerdings das Unternehmen, bei
welchem Herr v. Reichenbach ausser einem vom Staate anvertrauten
Kapitale von 300000 fl. auch seine eingesetzte Künstlerehre zu berück-
sichtigen hatte. Der Erfolg hat indessen seinen Mut gekrönt, und
durch die von den geschicktesten Künstlern mit der mathematischen
Genauigkeit eines astronomischen Instrumentes vollendete Ausführung
seines Planes gelang es ihm, ein in seiner Art einziges Werk zustande
zu bringen, was jedem Andern unfehlbar hätte misslingen müssen.
Allerdings, setzt der Verfasser etwas skeptisch hinzu, müssen wir es
Fachleuten überlassen, ob diese Maschine auch zur Nachahmung empfohlen
werden kann. Doch schliesst er mit den Worten: »Es muss das Verdienst
anerkannt werden, bei dieser Gelegenheit gezeigt zu haben, dass die Kunst
selbst das Unmögliche zu leisten vermag; in letzter Hinsicht wird man die
Wassersäulenmaschine von Illsang als ein Prachtkunstwerk bewundern, das
in der That als ein Nationalwerk gilt. « *)
Dass die Zweifel, die doch hie und da in Bezug auf die Solidität und
Dauerhaftigkeit laut wurden, unbegründet waren, ergiebt sich schon daraus,
dass die Maschine von Illsang heute, nach 83 Jahren, noch in ununter-
brochenem Betriebe sich befindet. Bemerkenswert ist auch, was das Regier-
ungsblatt hierüber sagt:
»Die Maschine verdient mit Recht Reichenbachs Meisterwerk
und ein Triumph unseres Zeitalters genannt zu werden. Die Solidität
aller Teile bei gefälliger Form des Ganzen, die gefahrlose Struktur
bei einer ungeheuren Kraft, das sanfte kampflose Spiel bei dem riesen-
haften Effekte, erregen bei dem Anblicke die grösste Bewunderung,
Sie ist das getreue Abbild des bescheidenen deutschen Mannes,
der geräuschlos Grosses vollbringt.»
Und nun das weitere Leben Reichenbachs. Dass der rastlos tliätige
Mann auch nach Vollendung des Hauptwerkes seines Lebens nicht ruhen
konnte, ist ja selbstverständlich, und war sein ganzes Streben und Denken
darauf gerichtet, nützliche unil grosse Werke ins Leben zu rufen, und manche
zweckmässig ausgeführte Unternehmung hat seinen Namen der Nachwelt
überliefert. Neben dem von ihm gegründeten eigenen mechanischen Institute
hatte er auch in Wien eine ähnliche Werkstätte eingerichtet, und vom Kaiser
von Oesterreich den Auftrag erhalten, dort auch noch eine Kanonenbohrerei
zu errichten. Dieses Werk führte er ganz nach eigenen neuen Plänen aus.
und erwarb sich dadurch die Bewunderung aller Kenner, so dass man wohl
sagen darf, dass auch dieser wichtige Zweig des Artilleriewesens durch
Reichenbach zu einem hohen Grade von Vollkommenheit gediehen ist.
*) Wir bemerken, dass in Vorstehendem, wie in allen damaligen technischen Abhandlungen,
Maschine und Kunst, Arbeiter und Künstler, identische Bekiffe waren, z. B. Wasserkunst. Fahr*
kunst, Kunstkreuz, Kunstmeistcr u. a.
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Sein Streben ging neben vielen anderen Arbeiten auch dahin, die Dampf-
maschine, die er bei James Watt in Soho kennen gelernt hatte, derart zu
vervollkommnen, dass sie Gemeingut des ganzen Volkes werden würde; dass
sie nicht mehr blos Eigentum einiger weniger grosser Fabrikbesitzer sein,
sondern auch von Minderbemittelten angeschafft werden könnte, und so den
Bedürfnissen des kleineren Gewerbes, ja des häuslichen Lebens dienen sollte.
So sollte sie denn auch ohne grosse Schwierigkeit von einem Orte zum
andern gebracht, ja für den Betrieb von Fahrzeugen auf gewöhnlichen
Strassen verwendet werden. Es war die Lokomotive, auf welche sein Streben
und denken gerichtet war. Den Tag von Rainhill, den 6. Oktober 1829,
der dem staunenden Jahrhundert die Lokomotive gab, sollte er nicht mehr
erleben; er starb wie ein echter Soldat auf dem Schlachtfelde, als Opfer
seiner Bemfsthätigkeit. Ein unglücklicher Fall bei Untersuchung eines
Brunnenwerkes führte ihm ein zweijähriges Siechtum und am 26. März 1826
seinen frühen Tod herbei.
Als Mensch — sagt der Verfasser seines Nekrologes — war Reichen-
bach ebenso achtungswürdig, wie als Gelehrter und Künstler gross; ein
Muster von Rechtschaffenheit, Offenheit und deutscher Biederkeit; uneigen-
nützig, heiter, versöhnlich, gerne helfend und Gutes erweisend, wo er konnte.
Neben seinem Freunde Fraunhofer, der ihm nur wenige Tage später im
Tode nachfolgte, liegt er in den Arkaden des alten Friedhofs in München;
auf Fraunhofers Grab die Inschrift »Approxiniavit Sidcra«, auf
Reichenbachs Grab unter seinem Namen die schlichten Worte: »Sein
Name genügt, sein Denkmal sind seine Werke*. Mit Diesem lassen
sie uns das Lebensbild dieses ausserordentlichen Mannes verlassen, dessen
Hauptwerke mit dem Anfänge des 19. Jahrhunderts zusammcnfallen.
Seitdem ist wieder ein Jahrhundert im Strom der Zeit versunken; ein
Jahrhundert, wie wenig, wie Nichts vor der Ewigkeit, wie viel im Schick-
sale der Menschen und Völker, für die es die gewaltigsten Änderungen
mit sich führt. Und gerade das letzte Jahrhundert hat in unserem Volke,
ja in der ganzen Menschheit eine tiefer einschneidende Umwälzung hervor-
gebracht, als je ein anderes, früheres. Wohin wir blicken, ein neues fremdes
Geschlecht ist erstanden, neu in Leben und Sitte, neu in der Ordnung von
Staat und Gesellschaft, neu in Wissenschaft und Kunst. Die Umwälzungen
auf dem ersteren Gebiete, in Staats- und Gesellschaftsordnung, in Leben und
Sitte sind in diesen Tagen schon vielfach von beredterem Munde und be-
rufenerer Feder gewürdigt worden; der Umwälzungen auf dem Gebiete der
exakten Wissenschaften und der schwesterlich mit ihnen verbundenen
Technik und Industrie möge noch in wenigen kurzen Worten gedacht
werden. Diese Umwälzungen liegen auf dem Gebiete des Kampfes mit der
Natur, in der erstrebten und teilweise schon errungenen Herrschaft über die
Natur, in der Überwindung von Raum und Zeit.
Durch die ganze wissenschaftliche und technische Welt geht ein
gewaltiges Ringen nach Kraft und Licht. Hier entstehen unter der
Hand des kundigen Ingenieurs tausendpferdige Dampfmaschinen zum Betriebe
von elektrischen Kraft- und Lichtanlagen, und immer enger flechten sich
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die Maschen des Netzes, das Kraft und Licht über weite Strecken ver-
theilt; — dort sucht man der aus fernen Ozeanen sich heran wälzenden
Flutwelle, dem brausenden Sturmwind, den Meereswogen ihr Arbeitsver-
mögen zum Nutzen der Industrie, d. i. des Gemeinwohles abzutrotzen, zur
Gewinnung von Kraft und Licht. Tausende von Pferdestärken sucht
man bisher nicht benützten Flussläufen abzugewinnen, mit zehntausenden
der Kontinente grosse Ströme der Industrie für Kraft- und Lichtgewin-
nung tributpflichtig zu machen.
Aber auch auf anderen Gebieten, im politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Leben der Völker ist es das Ringen nach Kraft und Licht,
unter dessen Zeichen das alte Jahrhundert zu Ruhe ging und des neuen
Jahrhunderts Morgenröte emporstieg. Licht muss es werden, jahrhunderte-
lange Finsternis, Trug und Aberglaube muss schwinden, die Sonne der
Wahrheit und des Wissens emporsteigen, wenn auch manches Auge, von
ihrem Glanze geblendet, sich wegwendet und nicht wagt, in das leuchtende
Antlitz des Tagesgestirnes 2u schauen. Und Licht muss aufleuchten für
die Hundertausende, die des vergangenen Jahrhundertes Anfang und Mitte
noch in stumpfem Unwissen, in Not und Unterdrückung gesehen. In Volks-
hochschulkursen soll, durch jeden, der es vermag, Wissen und Erkenntnis
allen denen gebracht werden, denen der Wissenschaften Licht bisher noch
verborgen war. Und mit dem Wissen wird die F'reiheit des Geistes, mit
der Freiheit des Geistes Kraft und Stärke kommen, deren unser Volk,
deren unser gesamtes Deutschtum bedarf.
Wie kann aber diese grosse Kulturaufgabe, wie kann das Ringen
nach Licht im Wissen und nach Kraft des Geistes und Herzens gelingen,
wie können dieser Arbeit Früchte reifen, wenn nicht im goldenen F’riedens-
sonnenschein? Der Friede ist aber nicht die Ruhe; »Nur der verdient sich
F'reiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss». Darum tritt kampf-
bereit unser deutsches Reich in des Jahrhunderts offene Thür, bereit den
Frieden zu erzwingen, mit geballter F'aust an eisengepanzertem Arme den
bedrohend, der in frevlem Übermut es wagen wollte, den Frieden uns zu
stören. So geht auch durch unseres Reiches Leben ein Ringen nach Kraft,
auf dass ein eiserner Zaun von Waffen unsere heiligen Grenzen umgürte,
und in fernen Meeren unsere Schiffe ihre Flaggen zeigen, ein Zeichen von
des Reiches Macht und Kraft, zu unseres Reiches Ehre, doch nicht zum
Angriff auf andere edle Völker, nur zum Schutze der Arbeit und der Werke
des F'riedens.
So stehen wir voll Mut und Hoffnung auf der Schwelle des neuen
Jahrhunderts, voll Vertrauen auf den alten Gott der Deutschen und unsere
eigene Kraft. Erhalten diese beiden uns den F'rieden, dann wird jeder neue
Tag des kommenden Jahrhunderts Grosses bringen, und das Grosse noch
Grösseres erzeugen, und jedes neue Jahr wird Herrliches bringen, das wieder
Herrlicherem weicht, und wie der Dichter sagt:
■»Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiss nicht was noch werden mag .
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«3
Der Rektor der Technischen Hochschule, Herr Hofrat Professor Brauer
hielt darauf die folgende Ansprache:
Königliche Hoheiten,
Durchlauchtigste, hochgeehrteste Festversammlung.
Liebe Kommilitonen!
Die Jahrhundertwende erhält für unsere Hochschule eine epochemachende
Bedeutung durch einen Akt landesväterlicher Fürsorge.
Ich habe die Ehre folgenden hohen Erlass des Ministeriums der Justiz,
des Kultus und Unterrichts zu verkünden:
»Seine Königliche Hoheit der Grossherzog haben mit aller-
höchster Staatsministerialentschliessung gnädigst geruht, der
Technischen Hochschule in Karlsruhe das Recht zu verleihen,
nach Massgabe der in der Promotionsordnung festzusetzenden
Bedingungen:
1. auf Grund der Diplomprüfung den Grad eines Diplom-
ingenieurs (abgekürzte Schreibweise: Dipl. -Ing.) zu erteilen,
2. Diplomingenieure auf Grund einer weiteren Prüfung zu
Doktoringenieuren (abgekürzte Schreibweise: Dr.-Ing.) zu promo-
vieren,
3. die Würde eines Doktoringenieurs auch ehrenhalber als
seltene Auszeichnung an Männer, die sich um die Förderung der
technischen Wissenschaften hervorragende Verdienste erworben
haben, zu verleihen.«
Durchlauchtigster Grossherzog,
Allergnädigster Fürst und Herr!
Die Verleihung der neuen Rechte wird mit Jubel begrüsst von allen
Angehörigen und Freunden der Technischen Hochschule.
Mit ihnen erfüllt sich ein lang gehegter Wunsch, mit ihnen eröffnet
sich der Blick auf eine gesunde Weiterentwickelung der technischen Wissen-
schaften.
Und glücklich schätzen wir uns, dass es uns vergönnt ist, in dieser
weihevollen Stunde sogleich insgesamt Eurer Königlichen Hoheit, dem
geliebten Schirmherrn unserer hohen Schule und allerhöchst Ihrer Staats-
regicrung danken zu dürfen für die neue uns erwiesene Gnade und Aus-
zeichnung.
Konnten wir bei der Einweihungsfeier unserer schönen Neubauten im
vorigen Frühjahr danken für eine Gabe, deren Wert für die Hochschule
durch ihre imponierende Wirklichkeit unmittelbar einleuchtete, so ist es
heute ein Geschenk rein geistiger Art, ausgedrückt in wenigen schlichten
Worten. Und doch ist es vielleicht der Grundstein zu einem geistigen
Neubau, welcher an Wichtigkeit jene Bauten übertreffen wird.
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Der studierenden Jugend unserer Hochschule winkt künftig der Hut
des Doktoringenieurs als ein lockendes Ziel, und ist es auch eine ansehn-
liche Höhe, auf welcher nach den vorläufigen Bestimmungen der Promo-
tionsordnung das Kleinod befestigt werden wird, so ist doch unter den hier
versammelten Jüngern der Technik wohl keiner, der nicht soeben in der
Stille seines Herzens eine erste Kraftprobe anstellt, um zu erfahren, ob wohl
die Schwingen seines Geistes stark genug sein werden, ihm diesen ehr-
würdigen Schmuck des Gelehrten zu erringen.
Aber wäre es auch nur der Titel eines Diplomingenieurs, bis zu
welchem sich die Hoffnungen erheben, so wissen die Herren Studierenden
recht gut, dass ein langer mühsamer Weg dazu führt, welcher schon seit
Jahren durch die bestehende Prüfungsordnung vorgeschrieben ist.
Da ist zunächst nach zwei Studienjahren die Vorprüfung abzulegen,
welche sich auf die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse
erstreckt, die Fundamente aller technischen Bildung, sodann nach weiteren
zwei Studienjahren die akademische Srhlussprüfung zum Ausweis über die
den einzelnen Abteilungen entsprechenden Fachkenntnisse. Hierauf folgt
noch die Diplomarbeit, eine grössere selbständige Arbeit aus dem Aufgabe-
kreise der künftigen Berufsrichtung des Kandidaten, zu welcher ein Zeitraum
von acht Wochen verwendet werden darf, und über welche zur Sicherung
und Vervollständigung des Urteils ein Colloquium gehalten wird.
Wer die Diplomprüfung bestanden hat, von dem darf angenommen
werden, dass er jenes Mass von Wissen und Können erreicht hat, welches
die Hochschule zum Eintritt in das praktische Berufsleben für nötig erachtet.
Der Doktortitel wird an den Universitäten bekanntlich verliehen, als
Anerkennung für eine wissenschaftliche Arbeit, welche nicht nur Bekanntes
wiederholt, sondern zu dem Schatz des menschlichen Wissens und Erkennens
einen neuen Beitrag hinzufügt. In vielen hundert Dissertationen wird Jahr
für Jahr eine Summe von Arbeit geleistet, auf welcher zum Teil der Fort-
schritt der Wissenschaft beruht und deren Wert wesentlich dazu beigetragen
hat, dem Doktortitel Ansehen zu verschaffen und zu erhalten.
Auch seither schon haben die Technischen Hochschulen, insbesondere
die Abtheilungen für Chemie an dieser Arbeit mitgewirkt. Nur den Preis
durften sie nicht verleihen. Hierin tritt künftig eine Änderung ein, welche
wie wir hoffen, die Folge haben wird, dass die Auswanderung an die
Universitäten in höheren Semestern nachlässt, welche der Promotion wegen
unter den Chemikern sehr in Übung ist, aber für die planmässige Durch-
bildung für die Praxis nicht empfohlen werden kann.
In welchem Umfange in den anderen Abteilungen das neue Recht in
Anspruch genommen werden wird, kann erst die Zukunft lehren. Anzu-
nehmen ist, dass besonders Diejenigen, welche sich für das Lehrfach auf
irgend einem technischen Gebiet vorbereiten, bemüht sein werden, die Doktor-
würde zu erwerben, was bislang für die meisten Richtungen überhaupt nicht
möglich war, da es an den Universitäten keine Sachverständigen gab zur
Beurteilung von Dissertationen über etwa ein Thema der Architektur, des
Bau-Ingenieur- oder des Maschinenwesens.
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Auf allen diesen Gebieten werden sich zahlreiche Aufgaben für Doktor-
arbeiten finden, gleicht doch die Technik in ihrem Wachstum einer Pflanze,
welche mit jedem neuen Trieb auch wieder neue Keime entwickelt
Wie dienlich es dem Eindringen wissenschaftlichen Denkens in die
Aufgaben der Technik ist, wenn der Absolvent einer Hochschule veranlasst
wird, am Ende seiner Studien eine selbständige wissenschaftliche Arbeit zu
machen, wie sein Vertrauen zu der Tragweite seiner wissenschaftlichen Kennt-
nisse gehoben wird, wenn er sich befähigt findet, Neues damit hervorzu-
bringen, das wird auch bei denjenigen Zweigen der Technik bald erkannt
werden, in denen zur Zeit das Promovieren noch nicht möglich ist.
Auch ohne die Aussicht auf das Erringen eines akademischen Grades
bestand an den Technischen Hochschulen schon immer die Möglichkeit zu
wissenschaftlicher Vertiefung in ausreichendem Masse. Nur zu erklärlich
ist es jedoch, wenn mit ganz seltenen Ausnahmen die Absolventen bestrebt
waren, ihre erworbenen Kenntnisse möglichst bald in der Praxis zu ver-
werten, so lange nicht ein Preis für eine Arbeit ihnen winkte, von welcher
anscheinend die Allgemeinheit den Hauptnutzen zieht.
Das grosse Ansehen welches der Doktortitel geniesst, wird, wie wir
hoffen, künftig einen kräftigen Sporn bilden, nach ihm zu streben, auch wird
die Möglichkeit, ihn als Ingenieur zu erringen, gewiss auf den Zugang her-
vorragender Kräfte zum technischen Beruf vorteilhaft einwirken.
Wird hierdurch der Stand der Ingenieure in seiner Gesamtheit gehoben,
so erwächst ihm daraus umgekehrt die Verpflichtung, sich dieser Auszeich-
nung würdig zu zeigen, insbesondere für die künftigen Diplomingenieure
und Doktoringenieure, diese Titel zu Ehren zu bringen und in Ehren
zu halten.
Dass die Technischen Hochschulen nicht nur Unterrichtsanstalten sind,
sondern auch Stätten für wissenschaftliches Forschen, das ist in der Idee
wohl längst allgemein zugegeben, ln der Durchführung bleibt aber noch
viel zu thun und zu wünschen übrig. Man darf annehmen, dass das Promo-
tionsrecht die wissenschaftliche Richtung kräftigen wird, dass es auch den
Hochschullehrern mehr als bisher Anlass bieten und die Möglichkeit gewähren
wird, ihre Zeit zu wissenschaftlichen Forschungen zu verwenden. Wie das
deutsche Volk die Jahrhundertschwelle überschreitet mit der mehr und mehr
um sich greifenden Einsicht, dass seine Zukunft auf dem Meere liegt, so
werden auch wir immer mehr die Verpflichtung fühlen müssen, das unendliche
Meer des Wissens zum Wohle des Vaterlandes zu durchforschen, selbst auf
die Gefahr Jhin, bequeme, ausgetretene Pfade verlassen, gelegentlich das
schwankende Fahrzeug unsicherer Hypothesen besteigen, oder sogar den
Kriegspfad mit den Waffen des Geistes beschreiten zu müssen.
Wie ein Buch mit weissen Blättern liegt das neue Jahrhundert vor
uns. Die Werke der Menschheit werden dereinst sie mit Schriftzügen
bedecken. Möge es unserer Hochschule vergönnt sein, einen nützlichen
Beitrag zu den Werken des 20. Jahrhunderts zu liefern, beizutragen insbe-
sondere zur Förderung der Kraft und Blüte des engeren und weiteren
Vaterlandes und hierdurch bleibenden Dank abzustatten für das Gnaden-
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geschenk, welches Eure Königliche Hoheit in väterlicher Fürsorge
geruht haben, uns als Wegweiser für das neue Jahrhundert anzuvertrauen.
Um aber dem tiefen Gefühl des Dankes Ausdruck zu geben, welches
uns alle in diesem wichtigen Augenblick der Geschichte unserer Hochschule
beseelt, den heissen Segenswünschen zur Jahrhundertwende für unsern
geliebten Landesherrn und das ganze Grossherzogliche Haus rufen
wir freudig bewegten Herzens: Seine Königliche Hoheit unser aller-
gnädigster Grossherzog, Ihre Königliche Hoheit unsere allver-
ehrte Grossherzogin und das ganze Grossherzogliche Haus sie
leben hoch, hoch, hoch!
Nachdem die begeisterten Hochrufe verklungen, hielt Seine König-
liche Hoheit der Grossherzog eine mit grossem, patriotischem Jubel auf-
genommene Erwiderungsrede, in welcher er, zunächst an den Rektor und
die Professoren gewandt, sodann speziell zu den Studierenden sprechend,
etwa folgendes ausführte:
^Lassen Sie mich hier mit meinem lebhaften Dank den treuesten
Wünschen für das Gedeihen und Aufblühen der Hochschule Ausdruck geben.
Es ist nun schon eine lange Zeit, dass ich persönlich die Entwickelung
der Hochschule verfolge, die aus kleinen Anfängen heraus so Grosses
für weite Kreise des Volkes geleistet hat, die, dess bin ich gewiss, noch
Grösseres vollbringen wird und zu der wir alle voll Dank und Stolz
aufblicken können. All das, was sie geleistet, vermag ich nicht zu schildern;
aber ich kann die Freude mitempfinden über das, was die Anstalt zum
Wohle der Allgemeinheit geleistet hat. Es ist von dieser Stätte aus eine
nationale Arbeit zu vollbringen, das möge die Jugend stets im
Auge behalten, eine Arbeit, die der Grösse und Wohlfahrt des Vater-
landes gewidmet ist und später an vielen Orten der Heimat und draussen
in der Welt bethätigt werden soll. Dadurch fördern wir die Wohlfahrt des
Reiches, an dessen Spitze gottlob wieder ein deutscher Kaiser steht, dem
es gelingen möge, die Kraft des Reiches zu zeigen und seine Macht
und Ehre zu bewahren! Stimmen Sie mit ein, der Deutsche Kaiser
lebe hoch!«
Und wieder klangen lautbrausend die Hochrufe durch den festlichen
Aulasaal und legten Zeugnis ab von dem nationalen Pflichtbewusstsein, der
vaterländischen Begeisterung, die allzeit an dieser Stätte geherrscht. Mit
dem Liede des Sängerchors: »Deutsche Völker allesammt kam die unver-
gessliche Feier zum Schluss, während die Grossherzoglichen Herr-
schaften noch die Mitglieder des Professorenkollegiums in das Gespräch
zogen und auch die Vertreter der Studierenden durch Ansprachen aus-
zeichneten.
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